Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Zunächst die amtliche Mitteilung: Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß der Abgeordnete Hans Koschnick auf seinen Sitz als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß verzichtet. Als Nachfolger wird der Abgeordnete Ottmar Schreiner vorgeschlagen. Einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist der Kollege Ottmar Schreiner als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung nochmals erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:3. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
h) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches — Drucksache 12/7570 —10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann , Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Weitere Behandlung der Altkredite der LPG-Rechtsnachfolger — Drucksache 12/7557 —11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Kriminalpolitik — Initiative gegen Gewaltkriminalität durch Verschärfung des Waffenrechts — Drucksachen 12/5948, 12/7442 —12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Günter Graf, Dr. Hans de With, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und Massenkriminalität — Drucksachen 12/5926, 12/5953, 12/3633, 12/5452, 12/7569 —Sind Sie damit verstanden? — Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 a bis d und Zusatzpunkt 10 auf:8. Agrardebattea) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1994 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung und Materialband zum Agrarbericht 1994 der Bundesregierung— Drucksachen 12/6750, 12/6751 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Frauen und JugendAusschuß für GesundheitAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bewertung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes beim Zugewinnausgleich— Drucksache 12/7134 — Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Marianne Klappert, Rolf Koltzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRegelung von Altpachten landwirtschaftlicher Flächen im Zusammenhang mit der Garantiemenge-Milch
— Drucksache 12/7412 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstend) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1993Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung
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19710 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthzu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPDzu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS/Linke Liste— Drucksachen 12/4257, 12/4258, 12/5231, 12/5217, 12/5216, 12/7391 —Berichterstattung:Abgeordneter Siegfried HornungZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann , Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke ListeWeitere Behandlung der Altkredite der LPGRechtsnachfolger— Drucksache 12/7557 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
RechtsausschußHaushaltsausschußZum Agrarbericht 1994 liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Egon Susset.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An und für sich habe ich geglaubt, daß der Bundesminister den Bericht einbringt. Aber wir haben ihn alle auf dem Tisch, wir haben ihn gelesen. Folglich ist es auch kein Problem, gleich Stellung zu nehmen.Zu dem, was die SPD mit ihrem Entschließungsantrag zum Ausdruck bringt, muß ich sagen: Das, was gestern in der Presse stand, nämlich: SPD-Unordnung, das kommt auch in Ihrem Entschließungsantrag zum Ausdruck.
Meine Damen und Herren, die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft hat ebenso wie die europäische Landwirtschaft neue Herausforderungen zu bewältigen. Die einzelnen Produktionsbereiche sind unterschiedlich betroffen. Dementsprechend zeichnet der Agrarbericht 1994 ein uneinheitliches Bild von der Lage der deutschen Landwirtschaft.Die Einkommen sind insgesamt zurückgegangen. Aber das dunkle Bild hellt sich auf, wenn man die Durchschnittsentwicklung nach Regionen und Produktionsschwerpunkten aufschlüsselt. So konnten die Futterbaubetriebe durch höhere Erträge bei Milch und Rindfleisch ein Einkommensplus verbuchen.Ebenso fällt das positive Abschneiden Baden-Württembergs auf. Dies zeigt: Das, was hier durch die Länder an neuen Maßnahmen geleistet wird, wirkt sich auf die Einkommen aus.In den neuen Ländern erweist sich die Stärke der neu entstehenden familienbetrieblichen Agrarstruktur. Einzelbetriebe und Personengesellschaften schneiden einkommensmäßig besser ab als die juristischen Personen.Es gibt auch dunkle Flecken auf diesem Bild. Ich denke dabei an die starken Gewinneinbußen insbesondere bei Marktfrucht- und Veredelungsbetrieben, im Obst- und Gartenbau, regional auch im Weinbau, an die großen Strukturprobleme in der Fischerei und an die angespannte Ertragslage in der Forstwirtschaft.In der ostdeutschen Landwirtschaft hat die Umstrukturierung der Unternehmen, der Aufbau selbständiger und eigenverantwortlich geführter Existenzen große Fortschritte gemacht. Die Verpachtung der Treuhandflächen ist weitgehend ordnungsgemäß abgeschlossen. Damit erhalten die Landwirte mehr Sicherheit für Investitionen und für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Betriebe. Dennoch entsteht zuweilen der Eindruck, daß am Anfang die Lasten unterschätzt wurden und jetzt die positive Entwicklung in der Landwirtschaft der neuen Länder unterschätzt wird.Trotz umfangreicher unternehmensbezogener staatlicher Leistungen zugunsten der Landwirte hat sich jedoch der Einkommensrückstand zu anderen Wirtschaftsbereichen erhöht. Es ist also das Einkommensniveau, auch verglichen mit den nördlichen EU-Partnerstaaten, ungünstiger. Deshalb müssen unsere Landwirte noch besser den Anschluß an die wettbewerbsfähige Landwirtschaft in Nordeuropa gewinnen und ihre Marktposition verbessern. Dies gilt besonders für den Veredelungsbereich.Der dringend notwendige Aufbau der Tierbestände in den neuen Ländern bedarf der Unterstützung.In dieser schwierigen Situation hat Bundesminister Jochen Borchert zu Recht den Einkommenshilfen große Bedeutung beigemessen, weil sie die negative Gewinnentwicklung abpuffem. Ich erinnere an die Einsparauflage in Höhe von 186 Millionen DM im Agrarhaushalt 1994, die nun ohne Kürzung der Mittel für direkt einkommenswirksame und investive Maßnahmen erbracht werden kann. Damit hat sich die anderslautende Prophezeiung der SPD in Luft aufgelöst. Wir haben da erfahren, daß es gar nicht schlecht ist, wenn ein Haushaltspolitiker wie Jochen Borchert in einer solchen Frage seine Erfahrung auch zugunsten der Land- und Ernährungswirtschaft entsprechend zum Ausdruck bringen kann.Zu erwähnen ist auch der soziostrukturelle Einkommensausgleich für Währungsverluste. Allein im Zeitraum von 1989 bis 1993 hat der Bund hierfür rund 4,7 Milliarden DM aufgewendet. Für die Anpassungshilfen belaufen sich die Bundesmittel von 1990 bis 1993 auf rund 4,8 Milliarden DM. Aus ihrer Verpflichtung zur Mitfinanzierung haben sich schon 1993 fast ausnahmslos die SPD-regierten Länder ausgeklinkt. Auch Baden-Württemberg mußte durch den Um-
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Egon Sussetstand, daß wir zur Koalition mit der SPD gezwungen wurden, hier von seinem bisherigen Verhalten Abstand nehmen.
Es ist ein wichtiges Anliegen, die bei der Agrarsozialreform freiwerdenden Bundesmittel für die Weiterentwicklung der Betriebe und die soziale Abfederung des Strukturwandels einzusetzen. Ich erinnere an den Verhandlungserfolg des Bundesministers im Dezember-Agrarrat in den Fragen der Basis- und Ölsaatenflächen. Die agrarpolitische Bilanz der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen kann sich also sehen lassen.Meine Damen und Herren, nach schwierigen Verhandlungen können wir heute — und das gleich im Anschluß an diese Debatte — das Agrarsozialreformgesetz 1995 abschließend beraten. Damit nutzen wir den Gestaltungsspielraum in diesem zentralen Bereich nationaler Agrarpolitik. Das berufsständische Alterssicherungssystem für die Landwirtschaft wird auf eine stabile und tragfähige Basis für die Zukunft gestellt. Das Beitragszuschußsystem trägt in Zukunft wesentlich besser der Leistungsfähigkeit des einzelnen Betriebes Rechnung und wird damit gerechter. Die zweite Stufe der Agrarsozialreform kann also wie vereinbart am 1. Januar 1995 in Kraft treten.Ebenfalls trotz großer Widerstände haben wir im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Reform des Weinrechts verabschiedet. Ich hoffe — es sieht, glaube ich, nach der gestrigen ersten Erörterung im Vorfeld des Verfahrens im Vermittlungsausschuß so aus, als ob dies gelingen könnte —, daß dieses Gesetz zum 1. September 1994 in Kraft treten kann. Denn dies würde für die deutsche Verhandlungsposition in Brüssel eine gute Stärkung bringen.
Denn das neue Weingesetz ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, um die bewährte, weitgehend nationale Zuständigkeit für den Qualitätswein zu sichern und eine EG-einheitliche Regelung zu Lasten des deutschen Weinbaus zu verhindern.
— Nun, Herr Kollege Sielaff, wir haben zum Weinrecht mehr gesagt, als daß man nur die 0,5 PromilleRegelung fordert.Meine Damen und Herren, für die Zukunft der Landwirtschaft und die Entwicklung der Betriebe sind Kontinuität und Verläßlichkeit der Rahmendaten unverzichtbar. Die Agrarreform 1992 hat vor allem bei Getreide und Rindfleisch einen Kurswechsel eingeleitet, der der Landwirtschaft ein hohes Maß an betrieblicher Anpassung abverlangt. Nicht mehr allein mit hohen Marktordnungskosten verbundene Höchsterträge werden belohnt; zum Gradmesser für betriebliche Leistung wird mehr und mehr die Fähigkeit, einen bestimmten Betriebsertrag zu möglichst niedrigen Kosten zu erwirtschaften.Für die Umstellung brauchen die Landwirte eine Verschnaufpause. Kurzfristige Änderungen und zusätzliche Anpassungslasten überfordern die Landwirtschaft. Die Schmerzgrenze ist erreicht.Dies gilt auch für die Preisvorschläge für das Wirtschaftsjahr 1994/95, in denen der Berufsstand zu Recht agrarpolitischen Zündstoff sieht. Eine baldige erträgliche Entscheidung ist notwendig, denn die Landwirtschaft braucht hier Klarheit. Wir wünschen unserem Landwirtschaftsminister viel Erfolg bei der Durchsetzung der Vorschläge, die wir aus der Bundesrepublik Deutschland bringen.
Die Bilanz des ersten Reformjahres weist erste Erfolge bei der Entlastung des Getreidemarktes aus. Bisheriges Ergebnis des deutschen Memorandums sind eine höhere und damit attraktivere Stillegungsprämie, mehr unternehmerische Flexibilität bei der Flächenstillegung und weniger Bürokratie.Die Ausgleichszahlungen leisten einen spürbaren Einkommensbeitrag und bringen Kaufkraft in den ländlichen Raum. Die Mittel fließen nicht mehr allein in eine hochsubventionierte Überschußproduktion.Der Marktausgleich über die direkte Drosselung der Produktion mindert den Druck auf die Marktpreise. Dadurch erhalten die Standorte mit natürlichen oder strukturellen Nachteilen eine Chance. Dies ist ein Beitrag zu einer flächendeckenden Landwirtschaft.Bei aller Kritik sollten diese positiven Effekte der Reform anerkannt werden, deren Ausgestaltung natürlich immer noch umstritten ist.Der sorgfältig austarierte Reformkompromiß ist Vertragsgrundlage für die gemeinsame Agrarpolitik. Es wäre eine gefährliche Illusion, jetzt von einer Reform der Reform zu träumen. Notwendig sind zielgerichtete Korrekturen und weitere Vereinfachungen. Jede Pauschalierung bedeutet aber auch ein Stück Ungerechtigkeit; davon müssen wir ausgehen.Die immer noch teilweise bürokratische Überfrachtung muß schleunigst beseitigt werden. Es muß darüber nachgedacht werden, ob bei den Ausgleichszahlungen über die Fläche hinaus betriebliche Rationalisierungseffekte mit berücksichtigt werden müssen.Im übrigen sollte man mit dem Märchen aufhören, die Landwirte seien durch die Direktzahlungen in größere Abhängigkeit geraten. Diese Zahlungen sind genauso verläßlich wie die seit Jahrzehnten für die Marktordnung bereitgestellten Mittel. Das müssen wir immer und immer wieder nach außen sagen.
Im Hinblick auf eine wirksame Marktentlastung gibt es Handlungsbedarf bei Rindfleisch, wenn auch die Bestände in der Europäischen Union spürbar geschrumpft sind. Die Flächenstillegung hat deutliche markt- und umweltentlastende Effekte.Mit dem Zauberwort „flächendeckende Extensivierung" will die SPD — wie man allen Verlautbarungen entnehmen kann und wie es auch im SPD-Parteiprogramm zum Ausdruck kommt — der deutschen Land-
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19712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Egon Sussetwirtschaft praktisch eine ganz andere Wirtschaftsweise überstülpen.
Wie die SPD eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft mit so einem Programm garantieren will, das bleibt ihr Geheimnis.
— Das ist hier.Unbestritten ist eine größtmögliche extensive und umweltverträgliche Produktion zusätzlich zur Flächenstillegung notwendig, die erst dann verzichtbar ist, wenn ein wirksameres Instrument zur Marktentlastung verfügbar ist. Es geht um Produktionsalternativen, und es geht um die Erschließung neuer Märkte.Einen mittel- bis langfristig tragfähigen Ansatz sehen wir in den nachwachsenden Rohstoffen. Die Reform trägt maßgeblich dazu bei, deren ökonomische Rahmenbedingungen in der Europäischen Union zu verbessern und deren Wirtschaftlichkeit zu stärken. Die Landwirte haben das in der Zwischenzeit als Signal aufgegriffen.Die Reform hat auch den Weg für die breitere Förderung einer umweltgerechten Produktion geebnet. Aber dies darf künftig nicht an finanziellen Problemen scheitern. Im GATT-Welthandelsabkommen sind die Ausgleichs- und Prämienzahlungen sowie ein angemessener Außenschutz abgesichert. Damit werden wesentliche Elemente der europäischen Agrarpolitik erstmals international dauerhaft verankert und anerkannt.
Gegenüber dem Agrarkompromiß vom November 1992 konnte der Gestaltungsspielraum beim GATT verbessert werden. Dieser muß nun konsequent ausgeschöpft werden. Diese Chance wäre leichtfertig vergeben worden, wenn wir — wie die SPD — bereits im Dezember 1991 eine völlige Liberalisierung des Welthandels gefordert hätten.Den Einkommensausgleich wollte sie auf „sozial initiierte Beihilfen" begrenzen. Wie aber mit Sozialmaßnahmen die wirtschaftliche Zukunft der Landwirtschaft gesichert werden kann, das bleibt ihr Geheimnis.Unsere Betriebe können sich mit den wettbewerbsstarken Betrieben der nördlichen EU-Länder nur dann messen, wenn sie ihre Leistungsfähigkeit steigern. Die betriebliche Entwicklung muß durch geeignete strukturelle Förderung unterstützt, und bürokratische Hemmnisse — man kann es nicht oft genug sagen — müssen einfach abgebaut werden.Unverzichtbare Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft im europäischen Binnenmarkt sind gleiche Wettbewerbsbedingungen. Insbesondere darf das Integrationsdefizit der Europäischen Union in der Währungspolitik nicht zu Lasten der deutschen Landwirte gehen. Dies muß die Ende 1994 erforderliche Anschlußregelung sicherstellen.Wir stehen zur traditionsgebundenen und leistungsorientierten deutschen Landwirtschaft, die nach Auffassung des SPD-Politikers Düwel eigentlich längst abgeschafft gehört. Dies macht — glaube ich — das gestörte Verhältnis renommierter Vertreter der SPD zur Landwirtschaft deutlich.Auch der vom niedersächsischen SPD-Landwirtschaftsminister Funke vorgelegte Gesetzentwurf zum Schutz bäuerlicher Betriebe richtet sich in Wahrheit gegen die bäuerlichen Betriebe. Die in Brüssel blokkierte „Wiesensteuer" des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministers spricht auch nicht für ein landwirtschaftlich freundliches Verhalten der SPD in Schleswig-Holstein.
Für uns sind Land- und Forstwirtschaft auch in einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft unverzichtbar und für die Erzeugung hochwertiger heimischer Nahrungsmittel, von Holz und von agrarischen Rohstoffen wichtig. Die Landwirtschaft als tragende Säule für einen funktions- und lebensfähigen ländlichen Raum zu erhalten ist eine unserer wesentlichen Aufgaben.
Die deutsche Landwirtschaft weiß das. Wir wissen um die Notwendigkeit großer Anstrengungen für die Zukunft. Die Landwirtschaft, die Ernährungswirtschaft und der ländliche Raum können sich auf die Bundesregierung, auf unseren Landwirtschaftsminister und auf die die Bundesregierung tragenden Fraktionen auch in der Zukunft verlassen.Ich danke schön.
Als nächster spricht der Kollege Horst Sielaff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, daß der Agrarbericht nicht von dem zuständigen Bundesminister eingebracht wird — er versteckt sich auf der Regierungsbank —,
sondern von dem agrarpolitischen Sprecher der CDU/ CSU. Ich halte das für einen erstaunlichen Vorgang. Ich habe bei denen gefragt, die noch länger hier im Plenum sind: Sie können sich nicht erinnern, daß das irgendwann einmal der Fall war.Lieber Herr Kollege Susset, es gehört zum Ritual, die Opposition zu beschimpfen. Ich gehe deshalb auf die Einzelheiten überhaupt nicht ein.
Nur, eines war schon interessant: wie hier deutlichwird, daß Sie sich vom Saulus zum Paulus bekehrthaben, wie Sie plötzlich die Wettbewerbsfähigkeit der
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Horst Sielaffdeutschen Landwirtschaft in den Vordergrund stellen.
Vor Jahren hörte man aus Ihrem Munde gerade andere Dinge. Das war das einzig Interessante und Neue.Meine Damen und Herren, heute steht die Agrarpolitik der Bundesregierung auf dem Prüfstand. Die vielen nicht eingehaltenen Versprechungen, Absichtserklärungen und Versäumnisse der Bundesregierung und der Koalition sind es wert, einmal zusammengestellt zu werden. Ich will es in aller Kürze versuchen.
So mahnen wir bereits seit geraumer Zeit die Vorlage eines integrierten Konzeptes zur Weiterentwicklung und Förderung des ländlichen Raumes an. Bis jetzt: Fehlanzeige. Beim Amtsantritt von Herrn Borchert wurde in einer groß dimensionierten Inszenierung ein neues Konzept der Agrarpolitik angekündigt. Heraus kam der „neue Weg", der sich bis jetzt als eine neue Sackgasse herausstellte.
Ich habe gestern abend noch einmal seine Rede zum Agrarbericht des vorigen Jahres durchgelesen. Da führte Herr Borchert aus, es müsse darum gehen, „unseren Bäuerinnen und Bauern eine klare Orientierung zu geben und die Agrarpolitik für sie überschaubarer, praktikabler und kalkulierbarer zu machen".
— Recht hat er, in der Tat. Nur ist er diesem Ziel keinen Schritt nähergekommen. Das bedauern wir.Herr Borchert, Sie forderten die „Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte", eine „Verbesserung der Attraktivität ländlicher Räume". Auch da: Fehlanzeige. Ich werde dazu nachher noch etwas sagen.Sie versprachen die „Verbesserung der Verbraucherinformationen und des Verbraucherschutzes". Hier stellen wir fest, daß Sie die Mittel für die Verbraucherzentralen gekürzt haben und weiter kürzen werden. Insofern waren das nur Versprechungen; Taten sind leider nicht gefolgt.Meine Damen und Herren, es rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. Einige Beispiele:Die Einführung einer nachhaltig umweltverträglichen Landbewirtschaftung kommt nur schleppend voran. Der „künftige Weg" hat dazu auch nichts Neues zu bieten. Zwei Jahre nach Rio sind wir von der Erreichung der Ziele dieser Konferenz nach wie vor auch in Deutschland weit entfernt.
Die Düngemittelverordnung, die endlich eine handhabbare Grundlage für eine umweltverträgliche Landbewirtschaftung werden sollte, wird seit Jahren zurückgehalten. Die versprochene Entbürokratisierung im Weinrecht wurde in einer Weise abgeschlossen, die, lieber Herr Susset, für die Winzer Schlimmes erwarten läßt.
Ich kann nur fragen: Wer soll da noch durchschauen?Der Streit um die Vorsorgewerte für Pestizide im Trinkwasser offenbarte große Konflikte zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Dieser Streit ist völlig überflüssig. Wir erwarten, daß die Bundesregierung in Brüssel klar für eine Beibehaltung der Grenzwerte eintritt. Auch das wollen unsere Bauern, Herr Hornung, gerade weil der Stand unserer Landwirtschaft besser ist als in vielen Nachbarländern.
Die besonderen Probleme der neuen Länder, wie bei den Altschulden und der Treuhandentschuldung sowie bei der Besserungsscheinregelung, wurden völlig unterschätzt. Mein Kollege Gerald Thalheim wird dazu noch einiges ausführen.Meine Damen und Herren, die Landwirte müssen hilflos zusehen, wie die Marktmacht der großen Handelsketten wächst und sie selber einen immer kleineren Anteil an den Erlösen erhalten.
Von jeder Mark, die die Bundesbürger für Nahrungsmittel ausgeben, erhält der Landwirt noch 27 Pfennige.Lieber Herr Hornung, ich weiß ja, wie gern Sie reden, und zwar mehr dazwischenreden als im Plenum auftreten. Ich bitte darum, daß Sie als Vorsitzender des Ausschusses hier ein wenig mehr Disziplin zeigen.
Und wenn Sie etwas zu sagen haben, sagen Sie es bitte vom Rednerpult, und reden und quatschen Sie nicht ständig dazwischen!
Meine Damen und Herren, wenn man die Entwicklung auf dem Agrarmarkt genauer aufschlüsselt, ist es noch betrüblicher festzustellen, daß bei Getreide, dessen Vermarktung die Landwirte ja fast ausschließlich dem Handel überlassen, dieser Anteil nur 6 Pfennige — in Worten: sechs — beträgt. Bei Eiern, die zu einem großen Teil in die Direktvermarktung gehen, sind es immerhin 63 Pfennige von einer Mark.Warum gehen so wenig Fördermittel in die gezielte Förderung von regionaler Vermarktung und in die Absatzförderung von Produkten, die besonders umweltschonend erzeugt werden? Verschaffen Sie,
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19714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Horst SielaffHerr Minister, den Landwirten mehr Marktmacht! Ich glaube, das wäre eine praktische Hilfe.
Der dramatische Rückgang der Zahl der Auszubildenden in der Landwirtschaft läßt auch das Ziel, eine flächendeckende Landbewirtschaftung — die wir wollen — zu erhalten, in weite Ferne rücken.Rechtzeitige Reformen in der EG-Agrarpolitik mit der Maßgabe, strukturelle und betriebswirtschaftliche Anpassungen bei sozialer Abfederung vorzunehmen, wurden mehr verhindert als gefördert.
Eine Agrarreform in der EU war — darin sind wir uns hoffentlich einig — angesichts der Probleme der Vergangenheit überfällig. Aber diese von der Bundesregierung mitgestaltete EG-Agrarreform bietet der Landwirtschaft in der vorliegenden Form keine ausreichende Perspektive. Flächenstillegungen und flächengebundene Produktionsquoten führen zu erhöhten Pachtpreisen und somit zu einem Kapitalabfluß aus der aktiven Landwirtschaft.Die Flächenstillegung ist auch ökologisch unsinnig, weil auf der verbleibenden Fläche genauso intensiv weitergewirtschaftet wird. Die wirtschaftenden Betriebe und ihre Marktpartner im ländlichen Raum werden darüber hinaus nachhaltig geschwächt. Die an regionale Basisflächen produktgebundenen Ausgleichszahlungen beschränken die wirtschaftliche Freiheit der Landwirte. Herr Susset, dies ist nicht neu, sondern ich wiederhole es, weil es in vielen unserer Papiere so auch formuliert ist.
Sie entsprechen nicht den von der SPD jahrelang geforderten direkten Einkommensübertragungen mit sozial-ökologischem Bezug.Die EG-Agrarreform ist mit einer bürokratischen Überreglementierung verbunden und schwächt die Dynamik des Agrarsektors. Die Durchführungsvorschriften dieser Reform, an der Sie, Herr Minister, und auch Sie, Herr Gallus, als Staatssekretär beteiligt waren, sind zum Teil völlig unverständlich. Sie belasten die Landwirtschaft und die Agrarverwaltungen in nicht vertretbarer Weise. Sie verstärken die Resignation und die Verdrossenheit in den landwirtschaftlichen Betrieben.Hinzu kommt, daß die Bauern — auch das muß man hier festhalten — viel zu spät wissen, was sie zu tun und zu lassen haben. So hat der Rat erst Mitte Dezember 1993 die Grundsatzbeschlüsse zur Flächenstillegung gefaßt, obwohl der Stillegungszeitraum bereits am 15. Januar begann. Durchführungsbestimmungen lagen jedoch erst im März/April vor.Nun müssen Sie mir, Herr Bundesminister, einmal erklären, wie unsere Bäuerinnen und Bauern arbeiten sollen, wenn Politik und Bürokratie so hinterherhinken.
Ich glaube, dies fällt auch in Ihre Verantwortung als Mitglied in der Kommission. Sie haben jetzt mit der anstehenden deutschen Präsidentschaft in Brüssel die Möglichkeit, die für 1995 wirksamen Regelungen vor der Herbstbestellung zu beschließen und den Bauern bekanntzugeben.Unklare Vorgaben, verspätete Durchführungsverordnungen und die künstlich in die Länge gezogenen Preisverhandlungen sind das letzte, was unsere Bauern brauchen. Sie brauchen feste Rahmenbedingungen, um überhaupt planen und entscheiden zu können. Von einer Agrarpolitik, die sowohl das Überleben der bäuerlichen Strukturen des Westens ermöglicht, aber auch den historisch völlig anderen Betriebsstrukturen im Osten Rechnung trägt, sind wir also — so das Fazit — weit entfernt.Die Neubeschreibung und Neubeschreitung des agrarpolitischen Weges in den alten Ländern darf nicht nur verbal verkündet werden, sondern muß an den Maßnahmen und ihren Dotierungen im Bundeshaushalt und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" ablesbar sein.Es zeigt sich bis heute: Diese Bundesregierung, ihre Parteien sind im Wahljahr — oder gerade deswegen — nicht fähig, den Menschen auf dem Lande zu sagen, was not tut, um nachhaltige Landbewirtschaftung, Wettbewerbsfähigkeit und Marktorientierung in der Landwirtschaft in Deutschland sicherzustellen. Die Agrarpolitik der Bundesregierung hat die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren in die Sackgasse geführt.
Hohe Überschüsse erfordern enorme Haushaltsmittel. Die Subventionen der deutschen Landwirtschaft betrugen 1993 insgesamt immerhin 30,5 Milliarden DM. Die Verkaufserlöse betrugen 1992/93 dagegen 61,2 Milliarden DM. Das heißt im Klartext: Die Subventionen entsprechen nahezu der Hälfte der Verkaufserlöse.
Selbst wenn man um die Schwachpunkte der Agrarberichterstattung weiß und berücksichtigt, daß die dort ermittelten Einkommen je Betrieb oder je Arbeitskraft nicht ohne weiteres auf ein außerlandwirtschaftliches Einkommen übertragbar sind — die Einrechnung des Wohnwertes z. B. und anderes finden nicht statt —, bleibt folgendes festzuhalten: Die Talfahrt der Gewinne der Vollerwerbsbetriebe beschleunigt sich. Der Abstand zu den Einkommen in der übrigen Wirtschaft hat sich weiter vergrößert.Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen, das bei unseren Bäuerinnen und Bauern auf kein Verständnis stößt und die Akzeptanz der Brüsseler Politik erschwert. Ich meine die Milchquotenaufstockung für
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Horst SielaffItalien. Warum hat die Bundesregierung nicht dafür gesorgt, daß auch die Italiener die EU-Milchquote ordnungsgemäß anwenden? Wir mußten für unseren „Bauchladen" 600 Millionen DM bezahlen — warum nicht auch die Italiener? Durch diesen Verzicht auf Sanktionen gingen dem Haushalt der EU für 1989 bis 1993 rund 5 Milliarden DM verloren. Wir müssen dafür 1,5 Milliarden DM aufbringen. Angesichts der Erschöpfung der Haushaltsmittel der EU ist dies ein sonderbarer Vorgang. Hier verschenkt der Finanzminister großzügig Millionen. Warum, Herr Borchert, unterstützen Sie nicht die Klage von Großbritannien gegen die EU-Kommission? Denn das ist, wie ich meine, in der Tat ein finanzpolitischer Skandal.An dieser Stelle möchte ich abschließend auf die Bedeutung unseres Antrages zur Regelung von Altpachten im Zusammenhang mit der Quotenregelung verweisen. Für die landwirtschaftliche Praxis ist die von uns geforderte Ausrichtung am Bewirtschafterprinzip ein wichtiges Signal. Ich hoffe daher auf eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Antrag.Lassen Sie mich zusammenfassen: Im Interesse unserer Landwirtschaft brauchen wir in Brüssel und in Bonn rechtzeitige und verläßliche Rahmenbedingungen. Unsere Bäuerinnen und Bauern müssen wissen, wohin die Reise bei Preisen und Beihilfen geht, damit sie überhaupt einigermaßen realistisch planen können. Unsere Bäuerinnen und Bauern müssen wissen, unter welchen Bedingungen sie in Zukunft mit einer Unterstützung der betrieblichen Entwicklung rechnen können.Es muß Klarheit über die künftige Strukturpolitik der Bundesregierung bestehen, was die Entwicklung der Landwirtschaft, aber auch der ländlichen Räume angeht. Das ist vor dem Hintergrund des Zusammenwachsens der Landwirtschaft in Ost und West um so bedeutsamer. Die ländlichen Räume können nicht allein — auch das ist wichtig, Herr Susset — mit agrarpolitischen Maßnahmen entwickelt werden. Das Angebot an qualifizierten und dauerhaften Arbeitsplätzen ist vor allem in den neuen Ländern gering. Dies führt zwangsläufig zu einer verstärkten Abwanderung junger Erwerbstätiger in Ballungsräume und damit zu einem erhöhten Pendleraufkommen, also zu mehr Verkehr.Viele Regionen erleben einen Bedeutungsverlust ihrer Gemeinden. Da muß deutlicher gegengesteuert werden. Die Zukunft der ländlichen Räume wird vor allem auf dem Arbeitsmarkt entschieden. Das Bemühen um neue Arbeitsplätze, die Verbesserung der Wohnverhältnisse und der Infrastruktur ist nur durch Maßnahmen der integrierten ländlichen Entwicklung zu erreichen.Deren Schwerpunkte sollten Dorferneuerung, Stärkung klein- und mittelständischer außerlandwirtschaftlicher Betriebe, die regionale Infrastrukturverbesserung
und nicht zuletzt die Investitionsförderung in derLandwirtschaft und dem Ernährungsgewerbe sein.Dabei ist nach unserer Überzeugung die Förderungzukünftig verstärkt auf regionsspezifische Bedingungen abzustellen.Meine Damen und Herren, entscheidend und wichtig ist, daß wir endlich ein Gesamtkonzept für den ländlichen Raum entwickeln. Ich habe den Eindruck, daß hier die Kraft des Ministers nicht mehr ausreicht.
Ich hoffe aber, daß er am Ende seiner Regierungszeit hier einige Akzente und einiges von dem, was er versprochen hat, noch realisiert, damit man nicht den Eindruck hat, der Landwirtschaftsminister Borchert hat zwar durchaus gute Gedanken gehabt, hervorragende Ansätze verkündet, aber in der Realisierung ist er zurückgeblieben und hat nichts geschafft.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Günther Bredehorn.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende der 12. Legislaturperiode ziehe ich eine positive Bilanz der agrarpolitischen Arbeit der Koalitionsfraktionen. Die Reform der europäischen Agrarpolitik ist abgeschlossen.
Auch der neue GATT-Vertrag steht jetzt endlich.Als unser Erfolg auf diesen beiden turbulenten Schauplätzen internationaler Agrarpolitik bleibt festzuhalten: Wir haben dauerhafte und verläßliche Ausgleichszahlungen für die Agrarpreissenkungen durchgesetzt und dies im neuen GATT-Vertrag abgesichert.
Wir haben einen ausreichenden Außenschutz erreicht, der die europäische Agrarproduktion vor unbeeinflußbaren Weltmarktpreisschwankungen schützt. Auch künftig wird die Rückführung von Überschußmengen nur gegen Einkommensausgleich erfolgen, und die Reduzierung der den Welthandel verzerrenden Exportsubventionen ist endlich eingeleitet.Lieber Herr Sielaff, Sie haben hier ja zu Recht gefragt: Wohin geht die Reise in der Agrarpolitik? Aber leider habe ich kein einziges Wort davon gehört, wie Sie sich denn vorstellen, wohin die Reise gehen soll.
— Oder, entschuldigen Sie bitte, ist es etwa so, wie es die niedersächsische SPD-Landesregierung sagt, die ja einen Antrag zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft über den Bundesrat eingebracht hat — der Gott sei Dank von uns abgelehnt wird —, in dem Grenzen gezogen werden, wo bei unseren Nachbarn
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Günther Bredehornin Europa und in den neuen Bundesländern die entwicklungs- und wettbewerbsfähigen Betriebe erst beginnen? Wenn Sie eine solche Politik aus rein ideologischen Gründen wollen, dann zerstören Sie letztendlich diejenigen Betriebe, die eigentlich noch eine Zukunft in der Landwirtschaft im Gemeinsamen Binnenmarkt haben.
Nach der Wiedervereinigung war die Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern für uns die größte nationale agrarpolitische Herausforderung. Im Osten Deutschlands hat sich in den letzten vier Jahren viel getan. Es entstehen wettbewerbs- und leistungsfähige Betriebe, die der Konkurrenz in Europa gewachsen sind. Hierzu haben die Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und die richtige Weichenstellung im Koalitionsvertrag — Stichwort: Vielfalt und Chancengleichheit der Unternehmensformen — sehr wesentlich beigetragen.
Die wichtigste Voraussetzung aber für den deutlich erkennbaren Erfolg im Osten Deutschlands haben die Menschen dort selbst geleistet. Sie beweisen Unternehmerwillen, und sie nutzen ihren agrarstrukturell bedingten Spielraum für eine marktorientierte Unternehmerlandwirtschaft. Sie beweisen, daß trotz schwierigster Begleitumstände, aber mit Behauptungswillen ein Neuanfang möglich ist. Der Agrarbericht zeigt ganz deutlich, daß z. B. die Gewinne je Arbeitskraft in den Einzelunternehmen und Personengesellschaften in den neuen Bundesländern deutlich höher sind als in den Vollerwerbsbetrieben im alten Bundesgebiet.Aus der positiven Leistungsbilanz unserer Agrarpolitik in den letzten vier Jahren möchte ich noch zwei Punkte herausgreifen, die für die Zukunftsfähigkeit unserer Landwirtschaft von Bedeutung sind: Durch die Einrichtung einer Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe in den neuen Bundesländern und verbesserte Rahmenbedingungen sind die Chancen nachwachsender Rohstoffe als neue Einkommensalternative für unsere Landwirte verbessert worden.Die Schaffung einer deutschen Warenterminbörse steht kurz vor der Verwirklichung. Hier wurde eine alte F.D.P.-Forderung endlich durchgesetzt, die eine Chance bietet, Erzeugerpreise auf marktwirtschaftlichem Wege gegen Preisschwankungen besser abzusichern.Trotz dieser Erfolge bleiben erhebliche Sorgen; der Agrarbericht macht das deutlich. Die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft ist in den letzten beiden Jahren negativ. Um hier wieder eine Trendumkehr zu erreichen, ist die Agrarpolitik gefordert, verläßliche und zukunftsorientierte Rahmenbedingungen für unsere Landwirtschaft zu setzen. Da sind wir uns einig.Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist überzeugt, daß zur Zukunftssicherung des WirtschaftsstandortesDeutschland ein leistungsfähiger und lebenswerter ländlicher Raum gehört, mit einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft, die sich am Markt orientiert und unternehmerisch handelt: mehr Spielraum für die Unternehmerlandwirtschaft statt Überreglementierung und staatlicher Bevormundung,
mehr Leistungsanreize zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit statt mehr staatlicher Gießkannenpolitik und Strukturkonservierung,
Stärkung des unternehmerischen Eigentums in der Land- und Forstwirtschaft statt einer Überdehnung der Sozialbindung, die insbesondere im Naturschutzbereich und bei den Bewirtschaftungsauflagen ab und an schon in die Nähe der Enteignung führt.
Dies gilt im Westen und Osten Deutschlands gleichermaßen.Wir brauchen mehr Unternehmerlandwirtschaft mit mehr Marktorientierung. Die aktuelle europäische Agrarpolitik wirkt da eher kontraproduktiv. Sie begünstigt eher die Unterlasser, auch die Überlasser von Pachtflächen und Quoten stehen besser da als die aktiven Landwirte.
Von daher ist zukünftig eine gewisse zielgerichtete Korrektur der Agrarreform notwendig. Dabei müssen die Förderung und Stärkung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe wieder stärker in den Vordergrund rücken, und der hohe Bürokratie- und Regulierungsaufwand muß durch mehr marktwirtschaftliche Freiräume abgebaut werden.Mein Fazit: Die deutsche Landwirtschaft hat im Gemeinsamen Binnenmarkt durchaus Zukunftschancen, wenn wir dem Können, der Leistungsbereitschaft, der Vielseitigkeit unserer Landwirte und ihrem unternehmerischen Talent mehr Spielraum einräumen. Wir als F.D.P. werden alles dafür tun.Ich bedanke mich.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die größte Sorge der Menschen in Deutschland ist zur Zeit die Sorge um den Arbeitsplatz. Auch wenn Politiker und einige Wirtschaftsinstitute in Deutschland zur Zeit einen wirtschaftlichen Aufschwung ausmachen, so wird sich das nicht auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das trifft vor allem auch auf den ländlichen Raum im Osten wie im Westen zu. War über Jahrzehnte der Abbau von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft durch Rationalisierung, Investitionen und Strukturwandel dahin gehend sozial gesichert, daß die
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Dr. Fritz Schumann
frei werdenden Arbeitskräfte auf einem sich dynamisch entwickelnden Arbeitsmarkt, zunächst in der Industrie und später im Dienstleistungsbereich, unterkamen, so sind gerade jetzt die ländlichen Räume im hohen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen.
— Das gilt besonders für die neuen Bundesländer, Herr Hornung. Dort können wir das sehr stark erleben. Der überaus drastische Abbau von Arbeitsplätzen in wenigen Jahren und das Ausbleiben einer dynamischen Entwicklung von Industrie, Handwerk und Dienstleistung — denn in diesen Bereichen wird ebenfalls erheblich abgebaut — haben zu großen sozialen Problemen in ländlichen Räumen geführt. Vier von fünf ehemaligen Arbeitskräften der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern haben ihren Arbeitsplatz in der Landwirtschaft verloren.
ABM, Umschulung und Vorruhestand haben vieles sozial gemindert, konnten diese dramatischen Veränderungen aber nicht abfangen.
— Verdeckte Arbeitslosigkeit, Herr Gallus, lassen Sie das doch einmal weg! Sie hätten früher mal in die LPG kommen und mitarbeiten müssen, da hätte ich Ihnen gezeigt, was verdeckte Arbeitslosigkeit ist.
Was wir brauchen, ist nicht nur Agrarpolitik, sondern Politik für den ländlichen Raum, Herr Gallus, und das im Osten vielleicht noch mehr als in vielen Gebieten der alten Bundesrepublik, die infrastrukturell ganz anders erschlossen sind als z. B. weite Teile in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg oder auch in Sachsen-Anhalt.Der vorliegende Agrarbericht ist wie immer eine Fleißarbeit und eine wertvolle Quelle für jeden, der sich mit Agrarpolitik beschäftigt. Er wird aber zunehmend den gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr gerecht, wenn er sich fast ausschließlich auf die Agrarwirtschaft bezieht. Dabei hat die Agrarwirtschaft auch und insbesondere in den neuen Ländern nicht nur Arbeitsplätze abgebaut, sondern in kurzer Zeit einen Strukturwandel vollzogen und sich gleichzeitig etabliert, wie es für andere Wirtschaftsbereiche durchaus wünschenswert gewesen wäre. Dem muß ich hier voll zustimmen. Das habe ich ja selbst miterlebt und auch gestaltet.Heute existiert in den neuen Bundesländern eine Landwirtschaft, die weitestgehend ihren festen Platz im Markt gefunden hat und auch behauptet, die modern strukturiert und auch sehr effizient arbeitet. Das hat seine Ursachen sicher in den Ausgangspositionen, im Willen der Menschen, die in der Landwirtschaft geblieben sind und dies auch mehr als Berufung denn als einen Beruf gesehen haben. Es hat seine Ursachen sicher auch darin, daß die Kolleginnen und Kollegen Mitglieder des Agrarausschusses den Prozeß mit großem Engagement und Sachkenntnis politisch begleitet haben. Dafür darf ich mich in dieser Runde einmal bedanken
und Sie und natürlich auch die Bundesregierung gleichzeitig auffordern, sich dem Gesamtproblem Landwirtschaft, ländlicher Raum, soziale Gemeinschaft noch mehr als bisher zu widmen. Wir haben heute noch zwei verbundene Debatten auf der Tagesordnung, die in diese Gesamtproblematik hineingehören, und dennoch stellen sie Einzellösungen dar.Die Frage nach der Effizienz landwirtschaftlicher Produktion, die Sicherung von vergleichbaren Einkommen, der sozial abgefederte Strukturwandel, vornehmlich über Altersversorgungsregelungen und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, greift zu kurz und löst das Problem, mehr Arbeit für mehr Menschen zu schaffen, nicht.Ich bin natürlich ein Verfechter effizienter und gut strukturierter Produktion. Die Frage ist nur: Wie weit muß man Effizienz zu Lasten von Arbeitskräften treiben? Wann und wo ist die Grenze erreicht, ab der Kapitaleinsatz gegen den Arbeitsplatz und damit zuletzt gegen den Menschen gerichtet ist? Warum nutzen wir nicht traditionelle Verarbeitungsgewerbe in regional begrenzten Räumen? Sind die größten Schlachthöfe und die größten Molkereien, zu denen die Produkte über Hunderte von Kilometern mit immer größeren Lkw über unsere ohnehin verstopften Straßen gebracht werden, der richtige Ansatz? Sollten wir den Gedanken von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen nicht wieder stärker aufgreifen, sowohl im vorgelagerten Dienstleistungsbereich als auch in der Verarbeitung und Vermarktung genossenschaftlich organisierte, regional begrenzte und unter Einbeziehung der Produzenten organisierte Systeme zu schaffen?
— Ich stehe den Gedanken von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen wahrscheinlich näher als Sie, weil ich mich mit Genossenschaftswesen immer noch identifiziere und auch befasse.Sowohl die Forderungen aus der Umweltpolitik als auch der Verbraucher werden uns früher oder später dazu bringen. Zur Zeit beherrschen etwa fünf große Handelsketten den Nahrungsmittelmarkt nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Die Gewinne werden weder beim Urproduzenten noch in der ersten Verarbeitungsstufe gemacht, dennoch ist es offenbar ein lukrativer Markt, an dem leider nur die Bauern nicht partizipieren können.
Mit der EU-Agrarreform wurden erste Ansätze unternommen, Fördermittel nicht mehr über den Umweg des Produkts, sondern flächenbezogen direkt den Landwirten zukommen zu lassen. Die Wirkung
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Dr. Fritz Schumann
reicht aber nicht aus und hat letzten Endes nur den Eindruck verstärkt, daß unsere Landwirtschaft im wesentlichen von Subventionen lebt. Aufgabe einer fortschrittlichen Politik für Landwirtschaft und den ländlichen Raum, für die Menschen, die dort leben, muß vor allem die Schaffung und leistungsgerechte Bezahlung der Arbeit sein. Dem sollte sich alles unterordnen. So hat auch die Bundesregierung mit ihrer direkten Einflußnahme auf Strukturen entscheidenden Anteil daran, wie sich die Arbeitssituation speziell in den neuen Ländern entwickeln wird.Lassen Sie mich diese Feststellung mit zwei Fakten noch vertiefen. Fakt 1: Vergabe von Flächen aus der Treuhand bzw. BWG. Es ist nicht zu verheimlichen, daß man mit einer Politik der gesteuerten Vergabe von landwirtschaftlicher Nutzfläche massiv Strukturen beeinflussen kann. Würde man diese Vergabe nicht an Ideologien, sondern an agrarpolitischen Fakten ausrichten, dann käme sicher etwas anderes heraus, als wir es gegenwärtig vorfinden. So wird immer noch der größte Teil der Tierbestände in Betrieben, die als juristische Personen organisiert sind, gehalten. Das ist übrigens der Grund, Herr Susset, warum dort mit weniger Effizienz gearbeitet wird als in Personengesellschaften. Es ist heute kein Problem, 150 ha oder 300 ha als Personengesellschaft zu bewirtschaften. Aber zur Tierproduktion gehört etwas mehr dazu. Das drückt sich auch in den Ergebnissen aus.
Wir wollen mit einer veränderten Vergabe nicht nur bodenständige Tierproduktion sichern, sondern vor allem auch Arbeitsplätze. Die Flächenvergabepraxis — politisch gewollt — benachteiligt aber gerade die Betriebe, die sich der Tierproduktion verschrieben haben. Es wäre an der Zeit, hier endlich ideologische Barrieren zu durchbrechen und die Flächenvergabe nicht an die Betriebsform, sondern an die Produktionsstruktur zu binden. Das ist übrigens auch ein Aspekt, der das Alteigentümerproblem lösen helfen könnte. Boden muß Produktionsfaktor sein und bleiben und nicht Spekulationsobjekt.Nachhaltige Produktion erfordert langfristige Planung. Haltung von Tieren erfordert meist umfangreiche Investitionen. Beides ist nur mit langfristig gesicherter Produktionsgrundlage zu erreichen. Die Bestände an Schweinen und Schafen sind im Osten gegenüber 1989 auf ein Drittel abgesunken. Bei Rindern sind es noch 40 %. Es ist höchste Zeit, politisch die richtigen Weichen zu stellen.Fakt 2: Die Behandlung von Altkrediten kann nach unserer Auffassung keinesfalls als abgeschlossen gelten. Die gegenwärtige Handhabung wirkt kontraproduktiv und sichert nicht die Erhaltung einer bodenständigen Tierproduktion und damit auch nicht die Erhaltung von Arbeitsplätzen.Ihnen liegt ein Antrag meiner Gruppe zur weiteren Behandlung der Altkredite der LPG-Rechtsnachfolger vor. Diesem ging eine Anfrage voraus, die von der Bundesregierung im vergangenen Monat beantwortet wurde. Der Extrakt dieser Antwort lautet: Für die Koalitionsregierung ist die Altschuldenproblematik erledigt. Sie sieht keinen weiteren Handlungsbedarf und auch keinerlei Finanzierungsmöglichkeiten.Im Antrag ist ausführlich dargelegt, warum wir ihn gestellt haben. Lassen Sie mich nur noch einen Fakt nennen: Die 1,4 Milliarden DM Entschuldung bedeuten keineswegs, daß damit insgesamt vergleichbare Entschuldungsleistungen geleistet wurden. Setzt man die 62,3 Milliarden DM Entschuldung, die im Bereich der Industrie durch die Treuhand geleistet wurde, dagegen, so ist zu einem völlig anderen Prozentsatz Entschuldung vorgenommen worden. Sicher hängt dies auch damit zusammen, daß private Investoren im Bereich der Treuhand aus einer anderen Richtung kamen und im allgemeinen keine Altschulden übernommen haben. In der Landwirtschaft aber handelt es sich um die eigenen Leute; denen hat man die Altschulden gelassen.Ich bitte, daß wir diesen Antrag mit Sachlichkeit prüfen und Voraussetzungen schaffen, damit sich unsere Landwirtschaft im Osten auf einem guten Weg entwickeln kann.Danke.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gallus.
Frau Präsidentin, ich glaube, daß einiges nicht unwidersprochen bleiben kann.Ich freue mich, daß Herr Schumann vom Saulus zum Paulus geworden ist; er ist auch ein guter Bauer. Nur bedenkt er nicht, daß wir im Augenblick das zu finanzieren haben, was uns 40 Jahre Kommunismus versaut haben.
Das kann die Freude an der Wiedervereinigung allerdings nicht trüben.Jetzt komme ich zu Herrn Sielaff. Herr Sielaff, über Ihre agrarpolitischen Bocksprünge, die Sie hier vollziehen, kann man nur staunen. Ich vergegenwärtige mir nur die Einlassungen der Sozialdemokraten der vergangenen Jahre — das war zu der Zeit, als ich Staatssekretär war —, als wir diese gewaltigen Überschüsse gehabt haben und hier unter Trommelfeuer genommen worden sind. Jetzt haben wir einen Weg eingeschlagen, die Überschüsse zu beseitigen. Die Zahlen beweisen das: Nehmen Sie die Rindfleisch-, die Butter-, die Getreidesituation usw. Die Zeit ist viel zu kurz, um darauf ausführlicher einzugehen.Ich sage Ihnen jetzt aber mal eines: Sie vergleichen Dinge miteinander, daß man nur staunen kann. Sie sind eben ein veredelter Agrarpolitiker, nicht wahr?
Sehen Sie: Eier kann ich einem Verbraucher nochverkaufen. Verkaufen Sie einem Verbraucher abereinmal ein Schwein oder eine Kuh. Da muß ich Fleisch
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Georg Gallusverkaufen und trete in Konkurrenz. Wir haben in Deutschland ja eine Gewerbeordnung. — Kommen Sie, hören Sie auf! In einem offenen Markt, in dem alles miteinander konkurriert, ist der Wettbewerb für die Selbstvermarktung sehr hart. Das wird eine Nischensituation bleiben. Ich glaube, Sie, Ihre Frau und Ihre Familie, würden die Belastungen, die die Selbstvermarkter auf sich nehmen müssen, nicht auf sich nehmen.
Sie müssen hier doch an die Realitäten denken! Ich habe zu Hause einen Betrieb, der teilweise selbst vermarktet, und weiß daher, wie hart das ist. Also, mit solchen Märchen, die Sie hier verzapfen, ist keine Agrarpolitik zu machen.
Darm erzählen Sie gleichzeitig, wenn gewisse Einschränkungen in bezug auf die Produktion vorgenommen werden müssen und extensiver produziert wird, die Bauern hätten zuwenig Spielraum. Man kann nicht alles wollen. — Gleichzeitig sagt Ihre Partei, wir würden zuwenig Produkte vom Osten hereinlassen. Wie sollen wir denn mehr hereinlassen, wenn man hier immer mehr produziert?!Also: Widersprüche von hinten bis vorne — damit können sie keine Katze hinterm Ofen hervorlocken.
Dann bitte ich, eines zu bedenken: Agrarreform und GATT —
Kommen Sie jetzt zum Schluß.
— liegen genau auf der richtigen Ebene. Das, was diese Koalition eingeleitet hat, bei den bäuerlichen Betrieben unterschiedliche Rechtsformen zu fördern, ist genau der richtige Weg. Da könnt ihr noch etwas lernen!
Als nächster spricht der Kollege Albert Deß.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da hier kritisiert wurde, daß die Debatte nicht vom Minister begonnen wurde, möchte ich die SPD doch erinnern, daß sie vor kurzem das Gegenteil kritisiert hat: Als da der Minister begonnen hat, hat sie darin eine Mißachtung des Parlaments gesehen.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der jährlich vorzulegende Agrarbericht der Bundesregierung gibt uns die Möglichkeit, hier im Parlament über die Situation unserer Landwirtschaft zu debattieren. Der Bericht über das Wirtschaftsjahr 1992/93 zeigt auf, daß das Einkommen bei den Vollerwerbsbetrieben um 7,5 % rückläufig war. Die letzten drei Wirtschaftsjahre haben den Vollerwerbslandwirten im wiedervereinigten Deutschland aufgerechnet einen Einkommensverlust von mehr als 25 % beschert. Daran gibt es nichts zu beschönigen.Ein Viertel weniger Einkommen in einer Zeit, in der sich die Arbeitnehmerbruttoeinkommen um ca. 18 % erhöht haben, bedeutet, daß die Landwirtschaft nicht an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilgenommen hat. Diese Entwicklung zeigt, daß ein Gegensteuern in Brüssel notwendig war. Wenn man bedenkt, wie wenig die Gewerkschaften bereit sind, einen Urlaubstag für die Gegenfinanzierung der Pflegeversicherung zu opfern, so kann man sicher sein, daß beim bäuerlichen Berufsstand viel Freude aufkommen würde, wenn die Landwirtschaft in Deutschland nur einen Einkommensverlust im Gegenwert eines Urlaubstages hätte hinnehmen müssen.Wenn ich sehe, was der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft zugemutet wird, finde ich es beschämend, wie wenig diese Gesellschaft bereit ist, selbst Belastungen auf sich zu nehmen. Mir ist kein Land in der Welt bekannt, in dem die Lebensmittel im Verhältnis zur Kaufkraft billiger sind als in der Bundesrepublik Deutschland. Daher habe ich persönlich viel Verständnis für die Forderungen des Bayerischen und des Deutschen Bauernverbandes, daß die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel um 3 % erhöht werden sollte, auch wenn ich weiß, daß diese Forderung sachlich und politisch zur Zeit nicht umsetzbar ist — es sei denn, die SPD würde diesen Vorschlag mit Nachdruck unterstützen. Hier hätte die SPD die Möglichkeit, sich agrarpolitisch zu profilieren.Das Mindeste jedoch, was wir als Landwirte verlangen können, ist, daß unserem Berufsstand keine weiteren Preissenkungen und Prämienkürzungen zugemutet werden. Herr Minister Borchert, bleiben Sie bei den Agrarpreisverhandlungen hart! Es darf keine weiteren Belastungen mehr für die Bauern geben. Die Vorschläge der Kommission sind doch geradezu eine Frechheit. So darf mit der Landwirtschaft, ein Jahr nach der Agrarreform, nicht umgegangen werden.
In Anlehnung an den Ausspruch eines bekannten Journalisten, der vor 25 Jahren gesagt hat: „Man kann die Arbeitszeit so weit verkürzen, bis keine Arbeit mehr da ist", möchte ich sagen: Man kann die Agrarpreise so weit senken, bis keine Bauern mehr da sind. Die Zeche für eine solche Entwicklung werden dann die Verbraucher bezahlen.Mir bereitet insbesondere die Konzentration im Lebensmittelhandel Sorgen. Bei dem Konzentrationsprozeß, der hier im Gange ist, hätte das Bundeskartellamt längst eingreifen müssen. Mit Billigstangeboten werden die Verbraucher in die Großmärkte gelockt, ohne Rücksicht darauf, daß dabei auch Nahrungsmittel angeboten werden, die nicht unter den strengen Auflagen produziert wurden, wie sie für die deutsche Landwirtschaft gelten.
Ich bitte unsere Verbraucherinnen und Verbraucher,hartnäckig nachzufragen, woher die Produkte kom-
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Albert Deßmen und unter welchen Bedingungen sie erzeugt wurden.
In diesem Zusammenhang bedanke ich mich bei Minister Borchert, daß er sich dafür einsetzt, die EU-Richtlinien und -Vorschriften in Europa gleichrangig umzusetzen, damit weitere Einkommensbenachteiligungen für die deutsche Landwirtschaft verhindert werden. Die Bundesregierung hat ihren Spielraum genutzt, um in einer schwierigen Situation unsere Bauern zu unterstützen. Sie hat mit umfangreichen Hilfen verhindert, daß der Einkommensverfall noch dramatischere Formen erreicht hat. Ich darf in diesem Zusammenhang z. B. den soziostrukturellen Einkommensausgleich erwähnen.Bei den heurigen Wahlen sind die bäuerlichen Wähler gerade in einer schwierigen Zeit gut beraten, wieder der CDU/CSU — und wenn es unbedingt sein muß, auch der F.D.P. — das Vertrauen zu schenken.
Das Verhalten der SPD im agrarpolitischen Bereich, überall dort, wo sie in den Ländern Regierungsverantwortung trägt, zeigt, daß die Berufskollegen, die dort ihre Betriebe haben, zu bedauern sind, da sie massiv benachteiligt werden, indem ihnen zustehende Finanzmittel vorenthalten und sie mit überzogenen Auflagen schikaniert werden.
Daß auch landwirtschaftsfreundliche Politik in den Ländern möglich ist, beweist die von der CSU geführte Bayerische Staatsregierung. In Bayern erhalten die Bauern auch in finanzpolitisch schwierigen Zeiten die Mittel, die ihnen zustehen. Ich freue mich auch darüber, daß ich in den vier Jahren, in denen ich hier in Bonn bei der CSU-Landesgruppe dabei bin, nicht eine negative Wortmeldung gegen die Landwirtschaft von meinen Kolleginnen und Kollegen erlebt habe. Hier zeigt es sich, wo die bäuerlichen Interessen vertreten werden.Vielen Dank.
Als nächster der Kollege Dr. Gerald Thalheim.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landwirtschaft in den neuen Ländern hat in nur vier Jahren einen beispiellosen Strukturwandel durchgemacht. In dieser kurzen Zeit wurden 80 % der Arbeitsplätze abgebaut. Eine vergleichbare Entwicklung wäre in der alten Bundesrepublik politisch nicht durchsetzbar gewesen, zumal dieser Prozeß mit einer Neuordnung der Eigentumsverhältnisse verbunden war. Auch mit anerkanntermaßen erheblichen finanziellen Mitteln des Bundes und der Länder ist dieser Strukturwandel den Landwirten in den neuen Ländern wahrlich nicht leichtgemacht worden. Im Gegenteil: Es hat lange gedauert, bis die Bonner Agrarpolitik die völlig anders strukturierte Agrarlandschaft in den neuen Ländern akzeptierte.
Auch wenn die gesamte Entwicklung im Agrarbericht, Herr Hornung, positiv dargestellt wurde, was sicher auf die Strukturen zutrifft, bleiben genug Risiken und Konflikte, die von der Regierungskoalition zu verantworten sind. Der Abbau der Tierbestände hält an, ja, in einigen Betrieben wird die Milchquote nicht ausgeschöpft. Das ist nicht nur eine Folge des Preisverfalls, sondern auch das Ergebnis von Kapitalknappheit und Investitionshemmnissen wegen ungelöster Eigentumsfragen und der unbefriedigenden Altschuldenregelung — alles auch ein Ausdruck der Perspektivlosigkeit.Deshalb fordern wir eine investitionsfreundliche Grundstückspolitik der TLG und der BWG als Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, wobei ich bewußt die Landwirtschaft eingeschlossen wissen möchte. Wir setzen uns für eine Wertberichtigung der Altschulden und auch für eine Umschuldung auf einen landwirtschaftsüblichen Zinssatz ein.Die ungelösten Fragen der Vermögensauseinandersetzung lähmen in vielen Dörfern die Entwicklung, ja, sie treten zum Teil erst jetzt offen zutage. Wir haben die Bundesregierung frühzeitig aufgefordert, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen und die Betroffenen besser zu informieren. Wir werden nicht müde, auf den Zielkonflikt im Landwirtschaftsanpassungsgesetz zwischen dem Kapitalerhalt in den Unternehmen und der Rückzahlung der Inventarbeiträge an ausgeschiedene Mitglieder hinzuweisen. Für diesen Konflikt fehlen bis heute befriedigende Lösungsansätze.Im Gegenteil: Durch den Landentzug durch die Treuhandanstalt und die Altschuldenbelastung werden die Möglichkeiten zur Rückzahlung der Inventarbeiträge zunehmend eingeschränkt. Allein 655 ehemalige LPGs sind in Liquidation und Gesamtvollstrekkung. Die Altschuldensumme dieser Betriebe beträgt 2,6 Milliarden DM. Die Vermutung liegt nahe, daß vor allem die hohe Altschuldenbelastung zum Aufgeben geführt hat. Es ist schlimm, daß gerade in diesen Unternehmen viele ehemalige Mitglieder nicht einmal die Inventarbeiträge zurückgezahlt erhalten, weil die Deutsche Genossenschaftsbank das verbliebene Vermögen in voller Höhe beansprucht.
— Reden Sie einmal mit den Betroffenen, Herr Hornung. Die werden Ihnen die entsprechende Antwort geben.In einigen Unternehmen, insbesondere in Sachsen, sind bis heute die Lieferungen von Kartoffeln nach Rumänien aus dem Herbst 1990 nicht bezahlt. Es ist ein Skandal, wenn Sie, Herr Bundesminister, oder andere Mitglieder der Bundesregierung öffentlich
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Dr. Gerald Thalheimrügen, daß die Vermögensauseinandersetzungen unkorrekt durchgeführt werden, Sie aber Ihre eigenen Verpflichtungen und Zusagen nicht einhalten. Auch das Geld für die Kartoffellieferungen fehlt in den betroffenen Betrieben für die Vermögensauseinandersetzungen.Für noch schlimmer halte ich, daß Sie sich über eine Zusage eines Mitglieds der Bundesregierung im Ernährungsausschuß hinwegsetzen, in einer gemeinsamen Runde von Betroffenen und Parlamentariern das Problem zu besprechen. Wie sollen die Menschen in den neuen Ländern Vertrauen in die neue Rechtsordnung gewinnen, wenn selbst die Zusage eines Parlamentarischen Staatssekretärs im Ernährungsausschuß nichts gilt?Sie, Herr Hornung, hätten hier besser zuhören sollen,
denn das wäre ein Thema gewesen, das Sie als Ausschußvorsitzenden unmittelbar angeht.In dieses Vorgehen reiht sich nahtlos ein, daß Sie, Herr Bundesminister, meine Briefe in dieser Angelegenheit nicht beantwortet haben. Für mich ist es mehr als ein seltsames Verfahren, wenn Sie Ihren Fraktionskollegen Haschke jetzt öffentlich verkünden lassen, nun doch noch einmal die Bezahlung der Kartoffellieferungen zu prüfen.Herr Haschke, Ihnen muß ich sagen: Es hätte den Betroffenen mehr geholfen, wenn Sie sich von Anfang an intensiver um die Regelung dieses Problems gekümmert hätten und jetzt nicht den Versuch gemacht hätten, sich damit persönlich zu profilieren, zumal Sie in den entscheidenden Ausschußsitzungen nicht einmal persönlich anwesend waren.
Die Art und Weise, wie die Koalitionsfraktion beabsichtigt, das Entschädigungsgesetz zu verabschieden, ist nach Inhalt und Verfahren ein Skandal. Es läßt für die Landwirte in den neuen Ländern Schlimmes befürchten. Die Konkurrenz um die Flächen wird zunehmen. Davon sind nicht nur die LPG-Nachfolgebetriebe, sondern in zunehmendem Maße auch Wiedereinrichter betroffen.Die Begünstigten des Siedlungskaufprogramms werden nicht nur gegenüber Gesellschaftern juristischer Personen, sondern auch gegenüber Wiedereinrichtern bevorzugt, die keine Treuhandflächen pachten konnten. Die Regierungskoalition nimmt solche Ungerechtigkeiten bewußt in Kauf, um den Bodenreformenteigneten ein Extrageschenk zu machen.
— Herr Hornung, ich erinnere an die gestrige Ausschußsitzung, wo deutlich von dem Vertreter der Bundesregierung die Aussage gemacht wurde, daß 50 % des Verkehrswertes der Flächen, also 50 % von 750 000 Hektar, als Subventionswert zu betrachtensind. Sie können das im Protokoll Ihres eigenen Ausschusses nachlesen.
Nichts anderes habe ich hier gesagt. Es ging gestern um die Frage nach dem Subventionswert; die Aussage ist im Protokoll nachzulesen.
Herr Gallus, möchten Sie eine Frage stellen?
Herr Gallus, ich komme sofort zu dem weiteren Punkt dieses Themas.
Für mich ist es eine unerträgliche Heuchelei, wenn dafür auch noch Art. 14 des Grundgesetzes herhalten muß. Warum werden mit Hinweis auf Art. 14 des Grundgesetzes nicht auch die Enteignungen nach DDR-Recht noch einmal überprüft und entschädigt? Wie begründen Sie eigentlich — ich kann Ihnen direkt die Frage stellen, Herr Gallus —, daß wir in den neuen Ländern noch immer getrenntes Bergrecht haben, obwohl das Grundgesetz in beiden Teilen Deutschlands gilt? Es sind vor allen Dingen Landwirte in den neuen Ländern, die aus der Zeitung erfahren, daß Kiese und Sande unter ihren Flächen von der Treuhand verkauft werden, obwohl das, wenn sie in der alten Bundesrepublik Landwirte wären, völlig anders wäre.
Ich plädiere hier für nichts anderes.
Herr Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gallus?
Ja, bitte.
Georg Gallus : Herr Kollege, wie kommen Sie eigentlich dazu zu kritisieren, daß das Bergrecht nicht vereinheitlicht ist, weil Sie nämlich vielleicht unter Ihrem eigenen Betrieb Derartiges, Kies oder sonst etwas, haben, gleichzeitig aber Art. 14 dahin gehend auszulegen, daß diejenigen, die einmal das Land im Osten besessen haben, eigentlich kein Anrecht mehr darauf hätten, es zu bekommen?
Kollege Gallus, Sie haben mich hier völlig falsch verstanden. Wir sind beim Entschädigungsgesetz, bei dem Problem, das Grundgesetz rückwirkend in Kraft zu setzen. Die Fälle, die ich Ihnen hier nenne, stammen aber aus der Zeit nach dem 3. Oktober 1990, und sie sind nicht zwischen 1945 und 1949 entstanden, wo es sich um Kriegsfolgen handelte.
Und bei den Fällen — ich spreche bewußt von denJahren 1991 und 1992 — wird, obwohl Art. 14 in
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Dr. Gerald Thalheimbeiden Teilen Deutschlands gilt, auch in den neuen Ländern, noch anders verfahren.Das empfinden die Landwirte bewußt als eine große Benachteiligung, weil ihnen damit Verluste entstehen.Ich will Ihnen noch eines sagen: Hier zu unterstellen, daß ich persönlich Betroffener wäre, halte ich schon für einen sehr bemerkenswerten Vorgang.
Meine Flächen liegen im Flächennutzungsplan eher in einem Naturschutzgebiet. Ich profitiere also davon in keiner Weise.Aber ich will Ihnen noch sagen: Wenn zu Ihnen Landwirte kommen und Ihnen diese Fragen gestellt werden, dann kommen Sie schon in Erklärungsnotstand. Auf nichts anderes wollte ich an dieser Stelle hinweisen.
Gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michels?
Ja, bitte.
Herr Kollege Dr. Thalheim, stimmen Sie mit mir in der Feststellung überein, daß die heutigen Altbesitzer 1945 bis 1949 ungerecht enteignet worden sind und daß wir als freiheitlicher Rechtsstaat heute alle Pflicht haben, dieses Unrecht, soweit nur möglich, wiedergutzumachen?
Herr Kollege Michels, diese Frage wurde mir hier an diesem Podium schon einmal gestellt. Ich kann die Antwort nur wiederholen: Es geht hier nicht um die Bewertung, ob das damals Unrecht war oder nicht. Selbstverständlich war das Unrecht. Die Frage, die wir hier zu beantworten haben, ist die, wie die Entschädigungsregelung erfolgt und ob es tatsächlich möglich ist, Art. 14 des Grundgesetzes rückwirkend in Kraft zu setzen.
Wenn wir bei der Entschädigungsfrage sind, die im übrigen morgen hier noch eine erhebliche Rolle spielen wird, dann geht es darum, einigermaßen gerechte Lösungen zu finden. Sie wissen auch, daß gerade das land- und forstwirtschaftliche Vermögen, daß also Enteignungen in dem Bereich gegenüber übrigen Enteignungen zwischen 1945 und 1949 eine Vorzugsstellung erhalten.
Ich gebe hier an der Stelle nur die Bedenken auch der Verfassungsrechtler wieder. Sie waren vermutlich selbst in der Anhörung zu diesem Thema und wissen genau, daß gerade von seiten der Verfassungsrechtler hier erhebliche Bedenken geäußert wurden.
Damit möchte ich meine Ausführungen beenden. Das ganze Thema ist geeignet, die Gräben zwischen Ost und West eher zu vertiefen.
Wir wollen das Gegenteil und halten daher eine andere Politik für erforderlich.
Als nächster spricht der Kollege Hans Paintner.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als F.D.P. haben sicherlich die Hauptanliegen zu diesem Agrarbericht bereits in unseren Entschließungsantrag der Koalition mit eingebracht. Darin erkennen wir die Erfolge der Politik der Bundesregierung an, insbesondere die ersten bei der Agrarreform sich abzeichnenden positiven Entwicklungen, die Absicherung der Agrarreform im GATT, des weiteren die Erfolge in den Bereichen der Umstrukturierung, der Milchquoten, des Weinrechts, der Agrarsozialpolitik und des Tierschutzes, der vollen Weitergabe des soziostrukturellen Einkommensausgleichs und schließlich der Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes.Darüber hinaus haben wir die Bundesregierung auch aufgefordert, die GATT-Beschlüsse weiterhin reformgerecht umzusetzen, auf eine praxisgerechtere Umsetzung der Agrarreform hinzuwirken, einer weiteren Kürzung der Milchquoten nicht zuzustimmen, in eine EG-Weinmarktordnungsreform einzutreten und gezielte Strategien gegen Tierseuchen durchzusetzen.Wenn hier draußen Bauern ihre Sorgen ausdrücken und ihre Nöte kundtun, dann, so meine ich, ist dies ein Bereich, der hierhergehört.Weiter haben wir die Bundesregierung aufgefordert, auf Tiertransportrichtlinien hinzuwirken und sich für die Verhinderung währungsbedingter Nachteile sowie für eine Verbesserung der energetischen Verwertung des Holzes und eine Rückführung des Papierrecyclings auf ein sachlich gerechtfertigtes Maß zugunsten einer Förderung der Forstwirtschaft einzusetzen. Hier brauche ich nicht hinzuzufügen, daß wir sicherlich nicht Papier recyclen und unserem Wald eben dadurch schaden und ihn vielleicht sogar sterben lassen wollen.Meine Damen und Herren, die Lage der deutschen Landwirtschaft bleibt auch im laufenden Wirtschaftsjahr sehr, sehr schwierig. Hatte der Agrarbericht 1993 für das Wirtschaftsjahr 1991/92 noch um rund 2,8 % steigende Einkommen bei den Vollerwerbslandwirten festgestellt, so müssen wir für das Wirtschaftsjahr 1992/93 einen Rückgang des verfügbaren Einkommens eines Vollerwerbslandwirts im früheren Bundesgebiet von 7,5 % beklagen. Demgegenüber konnte für die neuen Länder — bei allerdings sehr, sehr großen Unterschieden — eine insgesamt mehr zufriedenstellende Entwicklung festgestellt werden. Während hier für das gesamte Wirtschaftsjahr mit einer Stabilisierung der Einkommenssituation gerechnet werden kann, sind die Zukunftsaussichten für die alten Länder leider nicht rosig. Im laufenden Wirtschaftsjahr wird ein weiterer Einkommensrückgang im Bereich von mindestens 10 % und mehr erwartet.
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Johann PaintnerWenn sich diese Prognosen bewahrheiten, wird der außerlandwirtschaftliche Vergleichslohn um über 45 % höher sein als der eines Vollerwerbsbetriebes in Deutschland. Ich meine, dies sind deutliche Signale, die wir hören müssen. Hier müssen die Alarmglocken läuten.In den letzten Jahren hat sich in der Agrarpolitik sicherlich einiges verändert, sicherlich hat sich Grundlegendes verbessert, aber an vielen Dingen muß noch hart gearbeitet werden. Die Agrarreform — und das muß immer wieder festgestellt werden —war notwendig, um die Überproduktion in den Griff zu bekommen. Diese Überproduktion war unbezahlbar, sie war nicht mehr finanzierbar. Dies war der eigentliche Grund der Agrarreform.Es hat viel Kritik gegeben, berechtigte und unberechtigte. Sicherlich ist der Verwaltungsaufwand immens und der Ruf nach einfacheren und praxisbezogeneren Regelungen berechtigt. Aber wie überall, wo es um Auszahlung von staatlichen Geldern geht, muß eben Ordnung sein.Die Zukunft muß einer leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft gehören. Wenn wir eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft wollen, müssen wir lernen, den Begriff Landwirtschaft auch als Leistung des Bauern für Landschaft und Kultur zu definieren.
Die bäuerliche Landwirtschaft benötigen wir darüber hinaus zur Sicherung der Ernährung unserer Bevölkerung. Sie ist eine Art Lebensversicherung für alle. Gerade wenn wir an durch Kernkraft- oder Chemieunfälle verursachte Notsituationen denken, ist dies völlig klar.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen allen, Parlament und Regierung, mit auf den Weg geben, daß trotz aller aktuellen Sorgen um unsere Landwirtschaft die Vorsorgemaßnahmen für andere Zeiten, als wir sie heute haben, nicht vernachlässigt werden dürfen.
Im übrigen prägt die bäuerliche Landwirtschaft als leistungsfähige Landwirtschaft als Bestandteil unserer Gesellschaft unsere Kultur. Der Landwirt ist Umwelt-, Landschafts- und Naturschützer. Für diese wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben muß er angemessen entschädigt und bezahlt werden. Dafür muß sich der Landwirt dann aber auch gestiegenen Anforderungen stellen. Der Umwelt- und Naturschutz ist in den Mittelpunkt der Produktion gerückt, und die Anforderungen an die Qualität der Produkte sind gestiegen. Markenprodukte, deren Qualität und deren Herkunft sich erkennen läßt, werden nachgefragt wie nie zuvor. Deutsches Rind- und Schweinefleisch sind Markenprodukte. Eine Kennzeichnung des Herstellungslandes muß auch im Rahmen von Europa möglich sein.
Auch die Erschließung neuer Märkte kommt voran. Die nachwachsenden Rohstoffe gewinnen zunehmend an Bedeutung. Um zu erreichen, daß die fossilen Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden,
muß eine Orientierung des Preises an der Umweltverträglichkeit des jeweiligen Rohstoffes erfolgen.
Wenn wir all dies beherzigen und noch viel mehr und entsprechend handeln, dann brauchen wir weder vor einem liberalisierten Welthandel noch vor einem Europa zu bangen, sondern wir bekommen rentable und leistungsfähige bäuerliche Betriebe in unserem Vaterland.Ich will niemandem falsche Hoffnungen machen. Aber wenn die Politik den Blick für die täglich notwendigen Änderungen behält, sehe ich durchaus eine positive Entwicklung vor uns liegen.Nun komme ich zu einer demokratischen Kultur, die sicherlich auch in diesem Hause vorhanden sein soll. Ich möchte mit einigen persönlichen Worten schließen.Dies ist meine letzte Rede vor diesem Hohen Hause. Bei 18 Agrardebatten hatte ich 16mal die Ehre, meine Fraktion zu vertreten. Ich möchte kurz einigen Mitstreitern und Weggefährten meinen besonderen Dank aussprechen.Ich danke von dieser Stelle aus ganz besonders meinem alten Freund und Bundesminister a. D. Josef Ertl. Ich glaube, daß sicherlich alle damit einverstanden sind, wenn wir ihm aus diesem Hause heraus gute und baldige Genesung wünschen.
Ich danke auch meinem Freund und Bundesminister a. D. Ignaz Kiechle und Bundesminister Jochen Borchert sowie vor allen Dingen auch meinem langjährigen persönlichen und besten Freund Schorsch Gallus als Staatssekretär a. D.
Der Dank geht auch an alle ehemaligen und jetzigen Staatssekretäre. Hier möchte ich aber noch ganz besonders meinen bayerischen Freund Wolfgang Gröbl und den jetzigen Staatssekretär Feiter erwähnen.Nun kommt das, was auch zur politischen Kultur gehört: Ich bedanke mich bei den jeweiligen Vorsitzenden im Ernährungsausschuß, in erster Linie bei Dr. Martin Schmidt , bei Rudi Müller, bei Siegfried Hornung und — ich glaube, es ist wichtig, daß man auch dies herausstellt — natürlich ganz besonders bei meinem alten Freund Hermann Wimmer, der mir immer bei jeder Agrardebatte lächelnd zur Seite stand.
Außerdem bedanke ich mich bei den Berufsverbänden, von Freiherr von Heereman bis zu Gerd Sonnleitner in Bayern, und bei allen Beamten im Landwirtschaftsministerium — Dr. Breloh, Rolf Solmecke; ich
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19724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Johann Paintnermüßte viele nennen —, die mir immer freundschaftlich zur Seite gestanden sind und die mir auch geholfen haben, das Leben in Bonn etwas zu erleichtern. Nochmals herzlichen Dank!Ich wünsche uns allen, unserer Bevölkerung in Deutschland, unserem ganzen Volk, daß wir in diesem Bereich die Kraft haben, eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten, die die Ernährungssicherung und die Erhaltung der Kulturlandschaft gewährleistet.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Paintner.
Wir fahren jetzt fort mit unserem Kollegen Hans-Ulrich Köhler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Wende 1990 hat sich in den neuen Bundesländern auch der Agrarbereich trotz aller Probleme erfreulich entwickelt, auch wenn die Opposition immer noch das Gegenteil behauptet.
Dies ist ohne Frage ein Verdienst der Landwirte, die mit viel Energie ihre Betriebe umstrukturiert haben. Herr Dr. Schumann, zur Zeit sind so viele Personen in Handwerk und Dienstleistung beschäftigt wie noch niemals zuvor in Ostdeutschland.
— Aber natürlich haben wir die Arbeitslosigkeit zu einem beträchtlichen Teil dadurch gesenkt.
— Ich komme aus Thüringen, aus dem Freistaat Thüringen; stellen Sie sich das einmal vor, Frau Kollegin.
Die positive Entwicklung ist aber auch Folge der Hilfen, die die Bundesregierung seit 1990 für die Umstrukturierung der Landwirtschaft gestellt hat, immerhin fast 16 Milliarden DM seit 1990. Wichtigste finanzielle Maßnahme in diesem Rahmen ist die Anpassungshilfe. Dort, wo nämlich die Mittel — im Gegensatz zu sozialdemokratisch regierten Ländern — an die Bauern weitergegeben wurden, halfen sie, die Liquidität der Betriebe zu sichern.
Es ist schon merkwürdig, wie Redner der SPD die großen Erfolge und Leistungen, die das ganze deutsche Volk und die Europäische Union bei der Hilfe der Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Ländern erbringen, negieren. Daß die Anpassungshilfe auch 1995 fortgesetzt werden kann, hat die Bundesregierung in harten Verhandlungen in Brüssel erreicht, ebenso die Aufstockung der regionalen Grundfläche, ohne die ein großer Teil der Betriebe in seiner Existenz in Frage gestellt gewesen wäre. Die ökonomischen Auswirkungen dieser Erweiterung können sich sehen lassen. Allein für das Beispiel des Freistaates Thüringen bedeutet dies, daß die landwirtschaftlichen Betriebe in den Jahren 1994 und 1995 mit ca. 120 Millionen DM an Flächenbeihilfen rechnen können.
Hierfür gebührt der Bundesregierung ein herzliches Dankeschön, meine Damen und Herren.Zur weiteren Verbesserung der Situation wird auch beitragen, daß die neuen Länder seit Anfang des Jahres in das sogenannte Ziel-1-Gebiet der EG-Strukturpolitik einbezogen worden sind. Mehr als 5 Milliarden DM sind aus diesen Mitteln allein für den Agrarbereich vorgesehen. Da die Gelder aus der EG zusätzlich zu den nationalen Mitteln zur Verfügung stehen, wird der finanzielle Spielraum für die Förderung größer.
Eine weitere zentrale Frage bei der Umstrukturierung des Agrarsektors war und ist die Wiederherstellung klarer Eigentumsverhältnisse. Für die Vermögensauseinandersetzungen zwischen LPG-Nachfolgeunternehmen und ausscheidenden Mitgliedern haben wir mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz eine praktikable Lösung geschaffen. In den meisten Fällen läuft die Vermögensauseinandersetzung deshalb zufriedenstellend, auch wenn es von der SPD immer wieder bestritten wird. In den Fällen, in denen versucht wird, die rechtmäßigen Ansprüche der ausscheidenden Mitglieder zu beschneiden, bleibt, wenn eine Überprüfung durch die Landesbehörden nicht ausreicht, immer noch die Möglichkeit, den Rechtsweg einzuschlagen. Hier hat sich die Rechtssicherheit durch einige grundlegende Entscheidungen des Bundesgerichtshofes deutlich verbessert.Die schwierigste Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft ist die Privatisierung des ehemaligen volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Vermögens. Wir haben hier in diesem Hause über die Verpachtungsrichtlinie schon mehrfach gestritten. Ich bleibe aber dabei: Die Richtlinien zur Privatisierung der Treuhandflächen haben sich bewährt. Sie tragen wesentlich dazu bei, wettbewerbsfähige Betriebe aufzubauen, weil nach dem besten betrieblichen Konzept und der besten beruflichen Qualifikation verpachtet wird. Allen denjenigen, die gebetsmühlenartig vortragen, daß Anträge abgelehnt werden, obwohl gute Konzepte vorliegen und die Qualifikation stimmt, sei ins Stammbuch geschrieben, daß man nicht mehr verpachten kann, als vorhanden ist.Wenn es, wieder am Beispiel des Freistaates Thüringen, gegenwärtig 101 000 ha ehemals volkseigene landwirtschaftliche Nutzfläche in der Verwaltung der
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Hans-Ulrich Köhler
Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH gibt und demgegenüber Anträge stehen, die sich auf 400 000 ha beziehen, dann kann ich mir ausrechnen, wie viele Anträge abgelehnt werden müssen. Es wird nicht möglich sein, das Unrecht von 40 Jahren in allen Fällen zu beseitigen; in den meisten Fällen wird es nur möglich sein, wenn wir alle zusammen weiter an einer vernünftigen Zukunftsperspektive für die Landwirtschaft arbeiten. Das Fundament haben wir gelegt. Es gilt jetzt, solide weiterzubauen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es folgt der Kollege Jan Oostergetelo.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reform der Agrarpolitik war überfällig, und sie zeigt auch ihre ersten Erfolge. Aber ich habe mich heute über diejenigen gewundert, die sich solange gesträubt haben, dieser Reform zuzustimmen. Selbst Herr Susset redet heute davon, daß die Einkommensübertragung gesichert sei. Die Bundesregierung hat sich unwahrscheinlich lange geziert, um dem zuzustimmen.Herr Minister Borchert, ich freue mich darüber, daß Sie nicht das getan haben, was Sie noch beim Bauernverband gefordert haben, wenn ich an die Demonstrationen hier in den Rheinauen denke.Wir alle sind aufgefordert, die Chance in dieser Zeit nicht zu verpassen, der Landwirtschaft wieder Perspektive zu geben und den Landwirten Mut zu machen, ihren Beruf auch weiterhin auszuüben. Die Agrarreform darf nicht in dem Gestrüpp von bürokratischen Hemmnissen ersticken. Nicht die Zurückführung der Reform, Herr Minister, ist gefordert, sondern die Hemmnisse abzubauen.Meine Damen und Herren, wir alle dürfen nie vergessen: Wir brauchen unsere Bauern. Wie sähe Deutschland aus, wenn seine bäuerlich geprägte Landwirtschaft nicht mehr da wäre? Wie würde sich die Kulturlandschaft verändern? Der Osten, behaupte ich, ist auch daran kaputtgegangen, daß sie zunächst einmal ihre Bauern umgebracht haben.Deshalb, meine Damen und Herren, laßt uns hier zusammengehen. Ich habe genau aufgepaßt, wer das Wort „bäuerlich" noch in den Mund genommen hat und wer nicht. Ich warne jene, die meinen, das im Parteiprogramm streichen zu müssen. Ansätze gibt es leider überall.
Es ist auch ein Unding zu glauben, daß unsere so weit voneinander entfernt liegenden Strukturen in Ost und West einfach anzugleichen wären ohne Nachteile für die eine oder die andere Seite. Die Verteufelung der Privatisierung in den neuen Bundesländern, aber auch Verteufelung der Erhaltung von Strukturen, die gewachsen sind, oder der Altbesitzer ist falsch. Wir dürfen nicht zulassen, daß sie gegeneinander ausgespielt werden.
Zum Strukturwandel folgendes: Lediglich bei einem Drittel aller Betriebe ist die Nachfolge gesichert. Junge Leute sehen keine Perspektive mehr. Viele suchen in den Städten ihre berufliche Zukunft. Von daher ist es wichtig, das Leben auf dem Lande attraktiver zu gestalten. Die Instrumente der Dorferneuerung müssen noch stärker genutzt werden. Wir müssen Beschäftigungsalternativen im ländlichen Raum schaffen, damit die Menschen dort bleiben. Nur ein belebter ländlicher Raum kann seine vielfältigen sozialen und gesellschaftlichen Funktionen erfüllen.
Hier geschieht viel zu wenig, meine Damen und Herren. Auch uns gehen die mindestens vier Millionen Arbeitslose etwas an. Wer allein über Strukturstau redet oder am liebsten den letzten Landwirt wegrationalisiert, der negiert die gesamtgesellschaftlichen Interessen. Es geht darum, überhaupt noch Betriebe zu erhalten, auch in Räumen, wo sie zu verschwinden drohen. Es geht auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten um die Erhaltung des ländlichen Raums als Überlebensraum. Arbeitslose, im Wirtschaftsprozeß benachteiligte Menschen haben im ländlichen Raum mehr Lebensqualität zu erwarten als im siebten Stock eines Hochhauses, und es bleibt bezahlbar.
Niemand hat ein Konzept, sage ich, sie alle im Wirtschaftsprozeß wieder unterzubringen. Wir müssen hier ehrlich bleiben. Der Export stößt an Grenzen. Der Osten strömt mit seinen Produkten herein, und totale Abschottung ist tödlich.Ohne finanzielle Unterstützung kann unsere Landwirtschaft am Weltmarkt nicht bestehen. Ihr gesellschaftlicher Wert ist so groß, daß wir alle bereit sein müssen, hierfür Mittel zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist, nach welchen Kriterien diese Gelder vergeben werden. Viel zu lange war die Förderung an die Produktion gebunden, mit allen negativen Folgen. Es müssen die Möglichkeiten flankierender Maßnahmen der Agrarreform, ökologischer Landbau, Extensivierung, Grünlandprogramme und Aufforstung viel stärker genutzt werden.
Es darf aber auch nicht sein, daß Landwirte wegen bestehender Förderregeln ihre Produktionsentscheidung vorrangig nach den zu erwartenden Prämien ausrichten, z. B. Rapsanbau auf dafür völlig ungeeigneten Flächen.Herr Minister, ich fordere Sie auf, alle Möglichkeiten der flankierenden Maßnahmen noch besser zu nutzen. Damit die Agrarpolitik finanzierbar bleibt, sind auch Förderobergrenzen unerläßlich. Das Gesamteinkommen und die Arbeitsplätze der Betriebe müssen dabei eine Rolle spielen.Fehler wie bei der Milchquote, wo befürchtet werden muß, daß jene, die verpachten, mehr verdienen als die, die erwirtschaften und ermelken müssen, dürfen uns nicht mehr passieren.
Ich fordere uns alle auf, bei der Rettungsaktion für die Landwirtschaft mitzuhelfen, die Förderkriterien gerechter zu gestalten, den ländlichen Raum, um den
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Jan Oostergetelouns so viele auf der Welt beneiden, in seinen vielfältigen Funktionen zu erhalten, keine Entwicklung wie im Osten oder wie in den Vereinigten Staaten zuzulassen, gegen übertriebene Konzentration anzugehen und wieder mehr Betrieben in Voll-, Zu- und Nebenerwerb eine Chance zu geben. Dies meinte ich hier sagen zu müssen.Ich bedanke mich bei allen Kollegen, die in gleicher Weise denken und helfen wollen.
Zum Agrarbericht spricht jetzt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Agrarbericht weist im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1992/93 für das frühere Bundesgebiet einen Rückgang der Gewinne um 6,3 % aus. Auch im laufenden Wirtschaftsjahr ist mit einem weiteren Rückgang der Einkommen zu rechnen.
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Andere konnten bei der bisherigen Form der Flächenstillegung bleiben und die Vereinfachung für das nächste Wirtschaftsjahr vorsehen. Wer aber fordert, dies nicht mitten im Wirtschaftsjahr in Kraft zu setzen, der fordert dann gleichzeitig, dies auf das nächste Wirtschaftsjahr zu verschieben und damit den Bauern nicht rechtzeitig diese Chance zu geben.
Meine Damen und Herren, besondere Bedeutung messe ich der Verbesserung in der Flächenstillegung bei. Die Opposition hat die Flächenstillegung kritisiert. Sie hat kritisiert, daß hier die marktentlastenden Wirkungen der Agrarreform nicht sichtbar werden.Ich will deswegen in Erinnerung rufen: Wir haben im letzten Jahr auf Grund der Flächenstillegung 16 Millionen Tonnen weniger geerntet. Der Außenschutz, den wir auch bei Substituten erreicht haben, hat dazu geführt, daß im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres, also im ersten Halbjahr der Agrarreform, wieder 5 Millionen Tonnen mehr Getreide verfüttert wurden. Das heißt, es wird deutlich mehr heimisches Getreide verfüttert. Ich bin sicher, diese Tendenz wird sich in der zweiten und dritten Stufe der Agrarreform fortsetzen. Hier zeigt sich: Wir sind in der Marktentlastung mit der Agrarreform auf dem richtigen Weg.Bei der Flächenstillegung und bei der Agrarreform war es ein großartiger Erfolg, den wir erreicht haben, daß es uns gelungen ist, die Grundflächen für die neuen Länder rückwirkend um 330 000 Hektar und die Garantieflächen für die Ölsaaten um insgesamt 150 000 Hektar aufzustocken.Damals, als wir um diese Regelung gekämpft haben, haben mir viele gerade auch aus der SPD vorgehalten, ich würde mit meiner harten Haltung europapolitisches Porzellan zerschlagen. Aber, meine Damen und Herren, was wäre das für ein Europa, das an einmal gefaßten Beschlüssen um jeden Preis festhält, das wegen einer Prinzipienreiterei die Existenz Tausender landwirtschaftlicher Betriebe gefährdet? Deswegen mußte hier eine Änderung in Europa erreicht werden.
Auch bei nachwachsenden Rohstoffen haben viele die Entwicklung falsch eingeschätzt. Wir sind hier einen deutlichen Schritt weitergekommen —
wo, will ich gleich sagen. Der Anbau auf stillgelegten Flächen wird gut angenommen. Allein in Deutschland wurden 1993 rund 68 000 ha und bis Ende April 1994 rund 150 000 ha nachwachsender Rohstoffe angebaut. Das zeigt: Bauern erkennen die Chancen und nehmen dieses Programm an.
Wie interessant inzwischen auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit die Entwicklung wird, zeigt sich daran, daß ein großer deutscher Automobilkonzern jetzt die Serienzulassung für eines seiner Modelle zum Einsatz von Rapsmethylester erteilt bekommen hat.
— Deswegen spreche ich nur von Konzern.Daß dieser Konzern zusammen mit landwirtschaftlichen Genossenschaften und den Vertragshändlern dabei ist, ein Tankstellennetz für Biodiesel in ganz Deutschland aufzubauen, zeigt: Wir sind hier an der Schwelle der Wirtschaftlichkeit, und wir sind dabei, am Markt für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe ökonomisch Marktanteile zu erobern. Weitere Fortschritte sind programmiert, und dazu wird die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe entscheidend beitragen.Im Milchbereich können jetzt Unter- und Überlieferungen saldiert werden. Damit können wir die Einkommenspotentiale im Bereich der Garantiemengenregelung voll ausschöpfen. Wir haben darüber hinaus mit der flächenlosen Übertragung der Referenzmengen einen entscheidenden Schritt getan, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchproduktion weiter zu verbessern.Uns belasten die Schwierigkeiten, die wir bei der Regelung der Altpachtverträge haben. Hier ist durch ein höchstrichterliches Urteil der Entscheidungsspielraum außerordentlich eingeschränkt. Es muß aber eine Lösung im Interesse der Bewirtschafter gefunden werden.
Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um dies zu erreichen; aber ich weise auf den sehr engen rechtlichen Spielraum hin. Hier werden gemeinsame Anstrengungen erforderlich sein, um bei dieser schwierigen Materie eine Lösung zu finden.
Im Vordergrund stehen zur Zeit die Preisverhandlungen. Wir lehnen jegliche Preissenkung entschieden ab, d. h. Preissenkungen, die über die Beschlüsse
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Bundesminister Jochen Borchertder vergangenen Jahre hinausgehen. Ich habe Verständnis dafür, daß der Berufsstand bei diesem Thema allergisch reagiert. Bei den Bäuerinnen und Bauern ist die Schmerzgrenze erreicht. Was wir jetzt brauchen, sind Beständigkeit und Verläßlichkeit in der Agrarpolitik und in der Preispolitik der Europäischen Union. Dies sind Rahmenbedingungen, die unsere Landwirtschaft dringend braucht. Deswegen müssen wir die weitergehenden Preisvorschläge der Kommission ablehnen.Meine Damen und Herren, große Sorge bereitet mir die tierische Veredelung. Unsere Schweinehalter wurden im laufenden Wirtschaftsjahr nicht nur durch extrem niedrige Erzeugerpreise, sondern zusätzlich durch die Schweinepest schlimm getroffen. Insbesondere die Bauern in Niedersachsen leiden unter den Auswirkungen der katastrophalen Seuche. Ich habe viel Verständnis für die Proteste, für die Resignation, für die schwierige Situation in den Regionen, in denen nach wie vor Schweinepest herrscht.Für die Seuchenbekämpfung und die Finanzierung der Maßnahmen sind allein die Bundesländer zuständig. Trotzdem hilft die Bundesregierung. Wir haben für die von der Schweinepest betroffenen Länder im Agrarhaushalt zusätzlich 20 Millionen DM bereitgestellt. Wir haben ein Zinsverbilligungsprogramm der Landwirtschaftlichen Rentenbank angeregt, um den von der Schweinepest betroffenen Betrieben den Neuanfang finanziell zu erleichtern — ein Programm, das auf Grund der Antragstellung gut angenommen wird. Wir haben ein finanzielles Notprogramm in Höhe von 15 Millionen DM aufgelegt.Wir sind dabei, zur Seuchenbekämpfung Vorschriften zu verschärfen, zu verbessern. Wir haben deshalb die Viehverkehrsverordnung strenger gefaßt. Wir müssen und werden auch weiterhin alles tun, um Bauern in dieser schwierigen Situation finanziell zu helfen, sie aber auch bei der Seuchenbekämpfung zu unterstützen.Inzwischen werden die Maßnahmen auch in Niedersachsen konsequenter durchgeführt, und ich hoffe, daß es uns möglichst schnell gelingt, die Schweinepest auszurotten, damit die Betriebe dann den Aufbau der Veredelung in dieser Region wieder vorantreiben können.Wir brauchen diesen Standort als einen der leistungsfähigsten Veredelungsstandorte, den die Bundesrepublik hat. Hier muß es unsere gemeinsame Aufgabe sein, den Bauern in dieser Region zu helfen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Gern.
Herr Bundesminister, gibt es denn nicht die Möglichkeit, daß man seuchenhygienisch das tut, was zu tun ist — strengste Kontrollen und Überwachung durchführt,
— nicht so leicht die Schuld festschreibt — und gleichzeitig alles tut, damit Räume aus der Sippenhaft herausgenommen werden, die nur deshalb davon erfaßt sind, weil sie in Niedersachsen liegen? Lüchow-Dannenberg z. B. ist 200 Kilometer entfernt. Mein Gebiet reicht mehr ins Holländische, nach NRW hinein. Dann müßten wir auch die beiden Länder, seuchenhygienisch gesehen, sperren. Wir müssen das doch auf das Notwendige begrenzen, damit es auch finanzierbar bleibt. Die Sippenhaft muß verschwinden. Meine Bitte ist, daß das nun auch endlich passiert; denn ich sage Ihnen, Herr Minister: So, wie jetzt demonstriert wird, werden wir sehr bald die Tiere auf den Straßen sehen und dann nicht mehr wissen, was wir tun können, und das in Gebieten, wo es keine Seuchengefahr gibt und wo alle Erfordernisse — Blutuntersuchung — erfüllt sind und wo bei jedem Tier nachvollziehbar ist und auch beim Schlachter noch kontrolliert werden kann, aus welchem Betrieb es kommt. Das ist meine Bitte.
Herr Kollege Oostergetelo, unser Bemühen ist es, die Sperr- und Beobachtungsgebiete auf das notwendige Maß zu verringern, soweit wie möglich zu verkleinern. Unsere Bemühungen zielen natürlich in erster Linie auch darauf hin, die Sperre für ganz Niedersachsen wieder aufzuheben. Aber dies setzt voraus, daß die Ursachen, die zu dieser Sperre geführt haben, nämlich unkontrollierte Schweinetransporte aus Niedersachsen, aus den Beobachtungsregionen in andere Regionen, so zu kontrollieren, daß dies in Zukunft nicht mehr der Fall ist; denn dies hat zu erheblichen Risiken für die anderen Bundesländer, zu erheblichen Risiken auch für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt. Die Reaktion der Kommission auf diese Situation war dann die Sperre für ganz Niedersachsen.
Wir haben gerade in den letzten Tagen mit der Kommission verhandelt und deutlich gemacht, daß diese Schweinetransporte in Niedersachsen jetzt sehr konsequent kontrolliert werden und daß wir jetzt der Meinung sind, daß diese Sperre für ganz Niedersachsen aufgehoben werden kann. Sie muß vor allen Dingen für die ferkelerzeugenden Regionen im Ems-land aufgehoben werden, die nicht wissen, wohin mit den Ferkeln. Ich kenne die schwierige Situation.
Deswegen verhandeln wir fast pausenlos in Brüssel, um hier eine Änderung zu erreichen. Ich hoffe, daß uns dies in der nächsten Sitzung des Ständigen Veterinärausschusses in der kommenden Woche auch gelingt.
Herr Minister, sind Sie auch noch bereit, eine Frage des Kollegen Ulrich Heinrich zu beantworten?
Ja.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister Borchert, ist Ihnen bekannt, daß derzeit vor dem Bundeshaus eine
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Ulrich HeinrichDemonstration von niedersächsischen Bauern stattfindet, die Schweine hierhergetrieben haben? Ist Ihnen bewußt, daß eine unglaubliche Situation entstehen muß, um Bauern zu so einer Tat zu veranlassen? Herr Minister Borchert, ich glaube, wir können und müssen dieses Thema sehr ernst nehmen, und ich darf Sie bitten, Ihre Position in Brüssel hart, klar und deutlich zu vertreten.
Herr Kollege Heinrich, ich weiß, daß niedersächsische Bauern mit dieser Demonstration auf die schwierige Situation aufmerksam machen. Ich habe Verständnis für diese Aktion der Bauern. Ich werde auch weiterhin in Brüssel darum kämpfen, daß wir möglichst schnell Erleichterungen bekommen. Allerdings hat der Bund in der Durchführung der Maßnahmen, in der Seuchenbekämpfung nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Hier sind wir darauf angewiesen, daß die Bundesländer dies konsequent umsetzen.
Nur dann werden wir Erfolg haben bei der Aufhebung der Sperrmaßnahmen in Brüssel, bei der Verkleinerung der Sperrgebiete. Deswegen appelliere ich immer wieder an die Bundesländer, die Maßnahmen wirklich konsequent umzusetzen; denn ohne eine konsequente Seuchenbekämpfung und Seuchenvorsorgepolitik werden wir in Brüssel keine Erfolge haben.
Hier sind Erleichterungen nur zu erreichen, wenn die Länder dies auch ernst nehmen.
Herr Bundesminister, jetzt möchte noch der Kollege Günther Bredehorn eine Frage stellen.
Gern.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, müssen wir nicht, nachdem das Land Niedersachsen ganz offensichtlich die Schweinepest und die Seuche nicht in den Griff bekommt, zu neuen Überlegungen und eventuell sogar zu einer Gesetzesänderung kommen, um in der Seuchenbekämpfung mehr Bundeskompetenz zu bekommen?
Dies ist natürlich im Verhältnis der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern eine schwierige Aufgabe. Ich vermute auch, daß dies an dem Widerstand der anderen Bundesländer scheitert, die die Seuchenbekämpfung effizient organisiert haben und die natürlich zu Recht sagen, warum sollen wir Kompetenzen abgeben, wenn in einem Land die Seuchenbekämpfung bisher nicht erfolgreich durchgeführt worden ist, wir dies aber erfolgreich umgesetzt haben. Ich glaube, unsere gemeinsamen Bemühungen — und hier kann ja die SPD über die Landesregierung Niedersachsen auch mithelfen — sollten dahin gehen, hier gemeinsam mit der Landesregierung eine effiziente und konsequente Seuchenbekämpfung durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber noch eines zur Veredelungswirtschaft sagen. Unsere Probleme gehen ja über die aktuelle Seuchensituation hinaus. Wir haben in den letzten Jahren gerade bei Mastschweinen erhebliche Marktanteile verloren, weil wir die Vermarktung in Deutschland nicht so effizient organisiert haben, wie das in anderen europäischen Staaten der Fall ist. Hier brauchen wir mehr vertragliche Bindung zwischen der Landwirtschaft und der ersten abnehmenden Hand. Wir müssen alle Chancen nutzen, um durch vertragliche Bindungen Vermarktung effizienter, kostengünstiger zu organisieren, um Marktanteile zu sichern und wieder zurückzuerobern.
Meine Damen und Herren, ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft und damit der Sicherung des Agrarstandorts Deutschland ist die Agrarstrukturpolitik. Deshalb werden wir bei der Neuausrichtung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung die Wirtschaftlichkeit der Investitionen mehr in den Vordergrund rücken, und zwar unabhängig von der Erwerbs- und der Rechtsform des Betriebes. Wir werden Förderobergrenzen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe behindern, überprüfen, anheben oder ganz abschaffen. Wir werden bestehende Förderkonzepte straffen und vereinfachen.
Um in der Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen Prosperität und Stabilität zu erreichen — und die Opposition hat ja immer integrierte Konzepte angemahnt —, brauchen wir eben neben der Agrarpolitik ein Konzept der regionalen Entwicklung. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist die Ausweitung der förderfähigen, strukturschwachen ländlichen Gebiete, der sogenannten 5-B-Gebiete. Wir haben ja eine erhebliche Ausweitung erreicht, und hier werden jetzt in einem großen Umfang europäische Mittel in diese Regionen und damit in ländliche Regionen fließen.
Ein besonderer Erfolg der Bundesregierung, gerade für die neuen Bundesländer, — —
Herr Bundesminister, die vereinbarte Redezeit ist schon ein gutes Stück überschritten.
Ich werde mich bemühen, zum Ende zu kommen.Die neuen Länder als Ziel-1-Gebiete auszuweisen, dies bedeutet, daß in diesen Gebieten in einem erheblichen Umfang Maßnahmen gefördert werden können. Ich bin sicher, daß dies zu zusätzlichen Impulsen für die neuen Länder führen wird und daß damit Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft
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Bundesminister Jochen Borchertgeschaffen werden können; denn innerhalb der Landwirtschaft müssen wir alle Chancen wahrnehmen, um durch Rationalisierung wettbewerbsfähige Betriebe zu schaffen. Dies wird bedeuten, daß hier Arbeitsplätze eher verlorengehen, aber nicht geschaffen werden können.Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft leistet für die Gesellschaft viele Aufgaben. Deswegen müssen wir jetzt auch unsere Solidarität mit der Landwirtschaft beweisen. Die Bundesregierung wird dieser Verantwortung gerecht. Deshalb haben wir im Agrarhaushalt einkommenswirksame Kürzungen vermieden, und ich appelliere jetzt an die Verantwortlichen in der SPD, gerade auch in den Bundesländern, ebenfalls Solidarität zu beweisen und in den Agrarhaushalten keine Kürzungen vorzunehmen und den Landesanteil im soziostrukturellen Einkommensausgleich ebenfalls zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, Bauern arbeiten samstags und sonntags, Weihnachten und Ostern, meistens ohne Urlaub und schon gar nicht in einem AchtStunden-Tag. Sie üben ihren Beruf dennoch gerne aus, und wir sollten ihnen für diese Arbeit ihren gerechten Ausgleich nicht verweigern.Deswegen appelliere ich an alle: Unterstützen Sie unsere Arbeit im Interesse der Landwirtschaft. Unterstützen Sie die Arbeit der Bundesregierung für die Landwirtschaft nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Für mich gibt es keinen Zweifel: Wir brauchen für eine gesicherte Zukunft unseres Landes eine starke, leistungs- und wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Wir werden mit unserer Politik einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft Perspektiven verschaff en.Vielen Dank.
Herr Bundesminister, die Information, daß Sie eine etwas längere Redezeit haben, ist mir leider nicht weitergegeben worden. Ich muß das auch wegen der Kollegen der SPD sagen. Die Redezeit war vorher schon um ein paar Minuten verlängert worden.
Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Rudolf Krause auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Agrarbericht 1994 zeigt, daß die deutschen Bauern die Verlierer der Europapolitik sind.
: Wie denn?)
34 000 DM je Vollerwerbsehepaar, bei 80 Wochenstunden gerechnet, das sind bei einer normalen Arbeitszeit 8 600 DM. Bei den kleinen Vollerwerbsbetrieben gibt es ein verfügbares Einkommen von 25 000 DM je Ehepaar. Auf 40 Stunden zurückgerechnet, ist das ein Einkommen von 6 200 DM, nicht im Monat, sondern im Jahr. Das sind die Zahlen des Agrarberichtes.
Die Bilanz könne sich sehen lassen. Sie liegt gedruckt vor, aber ich finde, sie kann sich nicht sehen lassen.
Bevor ich in meinem Redetext fortfahre, möchte ich doch als Fachmann, als Amtstierarzt, einiges zur Schweinepestpolitik sagen. Die DDR hatte eine seuchenhygienische Absicherung ihrer Produktionsanlagen, die in der Welt ihresgleichen suchte: Seuchendurchfahrwannen, Einzäunung usw. Wir kamen nicht um die Impfung bei Schweinepest herum. Alle Tiermediziner, auch in diesem Hause, sind sich einig, daß es auf Dauer ohne Schweinepestimpfung nicht gehen wird. In der DDR hatte sich gezeigt, daß all die Opfer, die dem Trugschluß einer Seuchenfreimachung gebracht wurden, vergebliche Opfer sind.
Die DDR hatte 125 % Eigenversorgung. Pestfleisch, so wurde es genannt, kam in die Büchse, und jahrelang, vielleicht sogar 15 Jahre lang, haben die Bürger, auch die Landbevölkerung, Westdeutschlands und Westeuropas, unsere Halberstädter Würstchen gegessen — das war Pestfleisch —, ohne daß einem Menschen etwas passiert ist und ohne daß einem Schwein in diesem Lande etwas passiert ist. Hier wird eine Marktregulierung unter Mißbrauch der Schweinepest durchgeführt, eine Marktregulierung auf Kosten des deutschen und insbesondere des niedersächsischen Bauernstandes, ohne daß dafür eine tiermedizinische Begründung wirklich vorliegt.
Ein Letztes dazu: Tierschutz ist -- leider — höher als Menschenschutz angesiedelt, aber Jagd ist noch höher angesiedelt. Es ist so, daß die Wildschweine ein natürliches Reservoir der Schweinepest sind. Das heißt also, wenn aus schweinepestverseuchten Betrieben Dünger auf den Acker kommt — und wohin denn sonst —, dann werden die Wildschweine die Nachlese halten. Die Wildschweine sind infiziert, ohne selbst klinisch zu erkranken. Die Wildschweine werden es wieder an jedes Silo tragen. Die Wildschweine werden es wieder ans Grünfutter bringen. Auch die Futtermittelimporte sind immer ein Einfallstor für Schweinepestvirus.
Ich wollte hier eigentlich gar keine Rede zur Schweinepest halten, sondern zum Agrarbericht. Aber gerade die Schweinepestbehandlung zeigt, daß hier eine Eurokratie mehr zu sagen hat als Demokratie und wissenschaftlicher Sachverstand. Es darf doch nicht sein, daß wir uns als Parlament fügen müssen, das im Auftrag des Volkes souverän zu entscheiden hat. Wir haben uns einzig und allein durch Fachleute, durch Fachmeinungen zu informieren und nicht durch eine Eurokratie. Die Behandlung der Schweinepest zeigt, was an Widersinn aus Europa auf uns weiterhin zukommen wird, wenn wir die nationale Souveränität in der gesamten Gesetzgebung nicht wiederherstellen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 12/6750, 12/6751 und 12/7134,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19731
Vizepräsident Hans Klein12/7412 und 12/7557 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 12/7566 und 12/7574 sollen an dieselben Ausschüsse wie der Agrarbericht überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 12/7391. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe a, den Agrarbericht 1993 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Einstimmig so angenommen.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/5231 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuß, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5217 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuß weiterhin, den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/5216 ebenfalls abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der agrarsozialen SicherungAgrarsozialreformgesetz 1995 — ASRG 1995) — Drucksache 12/5889 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 12/7589, 12/7599 —Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Barbara WeilerUlrich Heinrichb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7591 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd StrubeIna AlbowitzNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Besteht damit Einverständnis? — Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Siegfried Hornung das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Agrarsozialreform schaffen wir die Möglichkeit, auch in Zukunft eine zuverlässige Agrarpolitik und eine Agrarsozialpolitik zu betreiben, die unter den Bedingungen eines verschärften Strukturwandels eine adäquate soziale Absicherung der bäuerlichen Familien gewährleisten und auf der anderen Seite die Belastungen bei den wirtschaftenden Betrieben dauerhaft vertretbar begrenzen. Nicht alles, was wir ursprünglich erreichen wollten, konnten wir erzielen. Nachdem die SPD-Bundesratsmehrheit im Herbst des letzten Jahres den Regierungsentwurf abgelehnt hatte, gab es ein langes Tauziehen, bei dem es schwer war, ihr Verbesserungen für die Landwirtschaft abzuringen. Unsere Verhandlungen im Vorfeld haben wieder einmal gezeigt, daß es ein mühsames Geschäft ist, mit der SPD Sozialpolitik für die Landwirtschaft zu machen.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute beraten, verwirklicht dennoch unsere politischen Ziele, die wir in der Koalitionsvereinbarung für die laufende Legislaturperiode festgeschrieben hatten. Dort heißt es:Die Bundesregierung wird eine Reform des agrarsozialen Sicherungssystems durchführen, um eine gerechtere Ausgestaltung unter anderem durch eine stärkere Berücksichtigung der einzelbetrieblichen Leistungsfähigkeit zu erreichen sowie die finanzielle Stabilisierung des Systems zu gewährleisten. Dabei wird auch die Frage einer besseren sozialen Sicherung der Bäuerinnen miteinbezogen.Es war richtig und wichtig, daß wir die Agrarsozialreform jetzt verwirklichen.
Alles andere hätte in kürzester Zeit Verschlechterungen für die Landwirtschaft bedeutet.Der Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist die langfristige finanzielle Stabilisierung des eigenständigen Alterssicherungssystems der Landwirte. Neu ist, daß der Einheitsbeitrag künftig entsprechend dem Verhältnis von Beitrag zu Leistung in der gesetzlichen Rentenversicherung festgesetzt wird.Die finanzielle Stabilisierung erfolgt künftig über die sogenannte Defizithaftung des Bundes. Zunächst — das wissen wir — kommen auf die Beitragszahler höhere Belastungen zu, als ursprünglich vorgesehen. Dennoch wird dies schon nach wenigen Jahren kompensiert sein. Mit einem 20%igen Abschlag beim Beitrag gegenüber dem Rentenversicherungsbeitrag werden die spezifischen Bedingungen der Landwirtschaft berücksichtigt. Als Stichwort möchte ich hier nur die Betriebsabgabe erwähnen. Sollte es jedoch in Zukunft dazu kommen, daß im Rahmen der Strukturveränderungen keine Übernehmer mehr zu finden sind, muß auch diese Position neu überdacht werden.
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Siegfried HornungDie Systemumstellung ermöglicht auch, auf den zwangsweisen Ausschluß von Nebenerwerbslandwirten zu verzichten, wobei auf Antrag ein Ausscheiden möglich ist.Die Nebenerwerbslandwirtschaft erhält erstmals seit Beginn der Altershilfe, seit 1957, die Möglichkeit, nach mindestens 15 Beitragsjahren die Beiträge einzustellen, ohne daß die erworbenen Ansprüche verlorengehen. Unsere Politik für den ländlichen Raum schafft den Landwirten die Möglichkeit, die Einkommenskombination zu nutzen. Insofern paßt diese Neuregelung der Versicherung voll in unsere politische Konzeption.Das Ziel, mit der Agrarsozialreform auch mehr Beitragsgerechtigkeit zu erzielen und die Zuschüsse zu den Beiträgen stärker in Abhängigkeit vom Einkommen zu setzen, ist erreicht. Allerdings müssen diese künftig dynamisiert werden. Die Einkommensobergrenzen für die Beitragszuschüsse sind jetzt mit 40 000 DM für Ledige und 80 000 DM für Ehepaare festgesetzt. Ab 1995 werden dadurch rund 75 % der Versicherten zuschußberechtigt sein; zur Zeit sind es lediglich 45 %.Der Mindestbeitrag wird 20 % betragen und ist in 24 Stufen linear gestaffelt. Damit unterstreichen wir, daß Agrarsozialpolitik in schwieriger Zeit für die CDU auch Einkommenspolitik für die deutsche Landwirtschaft ist.
Analog zu der Beitragsgerechtigkeit bei der Alterssicherung wird auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung mehr Gerechtigkeit durch die Schaffung von 20 Beitragsklassen erreicht. Ein wichtiges Anliegen der Landwirte ist damit umgesetzt.Schwerpunkt Landwirtschaft — das heißt, wir wollen nur den Versicherten in der Landwirtschaft helfen; Mitnahmeeffekte, wie sie bisher möglich gewesen sind, sind weitgehend ausgeschlossen.
— Herr Präsident?
Das gilt nicht Ihnen, Herr Kollege Hornung. Ich wollte nur verhindern, daß die neue Einrichtung der drehbaren Stühle zu Konferenzenklaven beiträgt.
Gut. — Entscheidend ist, daß dieses agrarsoziale Sicherungssystem flexibel auch auf die neuen Bundesländer übertragen wird, wobei die Wahlmöglichkeit zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und Alterssicherung der Landwirte gegeben ist. Die Agrarsozialreform ist dabei ein weiterer Schritt hin zur Vollendung der deutschen Einheit in allen Lebensbereichen.
Unbestreitbar ist ein Kernpunkt der Reform der eigenständige Anspruch der Bäuerinnen auf Altersund Erwerbsunfähigkeitsrente, wobei letzterer ein hoher Stellenwert zukommt. Mit diesem Gesetz wird auch der Stellung der Bäuerin im landwirtschaftlichen Betrieb als Mitunternehmerin Rechnung getragen. Wir können davon ausgehen, daß mit Inkrafttreten rund 180 000 Bäuerinnen Versicherte in der Alterssicherung der Landwirtschaft werden.
Dabei hatten wir es mit der SPD — das muß ich noch einmal unterstreichen — bei der rückwirkenden Anrechnung von Beitragsjahren in bezug auf die Ehejahre besonders schwer.
Dazu wird natürlich mein Freund Fuchtel noch etwas sagen, der mittlerweile als Patron der Landfrauen bekannt ist.
Ich denke, daß die deutschen Landfrauen durchaus wissen, daß die Koalition noch etwas mehr für sie gewollt hat, die SPD jedoch unnachgiebig darauf bestanden und nur die Höhe des Verheiratetenzuschlags anerkannt hat, der zudem ohnehin in 15 Jahren abgebaut wird.
Zumindest wollten wir den älteren Landfrauen einen Zuschlag von 100 DM gewähren.
Ich bin dem Deutschen Landfrauenverband dankbar, daß er dennoch sein ausdrückliches Ja zum Gesetz gegeben hat. Die Agrarsozialreform ist insgesamt positiv
und für die Zukunft richtungweisend. Sie ist aber noch nicht das Ende der Agrarsozialpolitik.
Auf einen Nebeneffekt möchte ich am Schluß hinweisen. Im ASRG ist es möglich gewesen, mit der Einführung eines Art. 29a zu erreichen, daß bei der Eingliederungshilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte auch dann eine Härte vorliegt, wenn das einzusetzende Vermögen den zehnfachen Betrag nach dem BSHG nicht übersteigt. Damit hat der Gesetzgeber ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts korrigiert. Ich glaube, damit ist vielen Menschen geholfen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kollegen Hermann Wimmer das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hornung, eine Vorbemerkung: Wenn Sozialdemokraten in den letzten Monaten nicht so aktiv und konstruktiv mitgearbeitet hätten, wäre dieser Gesetzentwurf heute sicherlich nicht verabschiedungsreif.
Hermann Wimmer
Daß Herr Hornung zur historischen Entwicklung der Agrarsozialpolitik ein etwas gestörtes Verhältnis hat,
ist ja seit Jahren bekannt.
Es war ein langer Weg, und es war zwingend notwendig, die Agrarsozialpolitik zu reformieren. Wer die letzten Jahre betrachtet und die Agrarberichte dazu sieht, wer das Maydell-Gutachten kennt und weiß, wieviel Zeit verstrichen ist, bis man endlich zu Potte kommt, muß sich darüber im klaren sein, daß die Verantwortung dafür sicherlich im wesentlichen die Koalition trägt.In der ersten Lesung sagte eine Vertreterin der CDU/CSU: „Was lange währt, wird endlich gut." Sie hat hinzugefügt, das werde jetzt an der SPD liegen. Aus heutiger Sicht sage ich: Sie hatten recht, es lag tatsächlich an uns, daß das vernünftig geworden ist.
Wir haben im Verlauf der erfolgreichen Beratungen über die Agrarsozialreform eine gute Tradition wieder aufgenommen, die in der Vergangenheit vielfach erfolgreich war: Reformen in der Sozialpolitik mit langfristiger Wirkung macht man am besten im Wege großer Übereinstimmung.
Die Agrarsozialpolitik, Herr Hornung, ist in den letzten Jahrzehnten ganz wesentlich von Sozialdemokraten geprägt worden.
Ich nenne Ihnen hierzu drei Reformen: Seit 1973 werden die Altersgelder und die anderen Geldleistungen wie die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung jährlich angepaßt. 1975 haben wir das Waisengeld für Voll- und Halbwaisen eingeführt. Seit 1980 wird Hinterbliebenengeld und Übergangshilfe für die jüngeren Witwen und Witwer in den landwirtschaftlichen Unternehmen gezahlt. Das sind alles Ergebnisse aus der sozialliberalen Koalition. Ich bin sehr dankbar dafür, daß sich mein Kollege Paintner noch sehr wohl an gute Zusammenarbeit in der sozialliberalen Koalition erinnert.In der ersten Lesung im September 1993 haben wir im Gesetzentwurf der Koalition durchaus positive Ansätze gesehen, etwa die Linearisierung der Rentenberechnung oder die eigenständige Versicherungspflicht der Bäuerinnen. Allerdings waren damals noch einige Regelungen vorhanden, die die Reform ins Gegenteil verkehrt hätten. Sie finden jetzt aber Gott sei Dank nicht den Weg ins Bundesgesetzblatt.Wir haben uns immer bereit erklärt, konstruktiv mitzuarbeiten. Wir haben festgestellt: Die Agrarsozialpolitik muß vorhandene Lücken in der agrarsozialen Sicherung schließen, innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft sozial gerecht gestaltet und zukunftsfest finanziert sein. Die heutige Altershilfe der Landwirte muß bei Wahrung ihrer Eigenständigkeit zu einer Alterssicherur g fortentwickelt werden.Großer Reformbedarf besteht, weil das heutige System der Sockelbeträge bei der Berechnung der Altersgelder dem Prinzip der Beitragsgerechtigkeit widerspricht und weil absehbar ist, daß die Beiträge der Landwirte ohne Reform weiterhin rasant ansteigen würden. Das wäre auf die Dauer nicht tragbar.Wir haben in der Diskussion um die Neugestaltung der Alterssicherung der Landwirte vier Schwerpunkte gesetzt: erstens Neuordnung des Finanzierungssystems mit einer langfristigen Beitragsstabilisierung, zweitens eigenständige Sicherung der Landfrauen mit eigenen Beiträgen, drittens Neuordnung der Ende 1994 auslaufenden Beitragszuschüsse und viertens vernünftige Übertragung des Systems auf die neuen Bundesländer.Der Gesetzentwurf der Koalition wurde diesen Anforderungen nicht gerecht. Geplant war eine nur kurzfristige Stabilisierung der Beiträge. Nach 1998/99 wären die Lasten der Beitragszahler erheblich angestiegen. Geplant war ein untauglicher sogenannter Strukturfaktor. Bei diesem Strukturfaktor wären nach der Regierungsvorlage die Bäuerinnen nicht einbezogen gewesen. Die Last des Strukturwandels wäre nur zum Teil vom Bund übernommen worden.
— Herr Hornung, lesen Sie Ihren ersten Entwurf durch. Dann werden Sie feststellen, daß das stimmt.Geplant waren zu hohe Einkommensgrenzen beim Beitragszuschuß und vor allen Dingen eine unzulängliche Regelung der Übertragung der Alterssicherung auf die neuen Bundesländer.Ich kann heute feststellen, daß unsere Änderungsvorschläge und auch diejenigen der Länder im Verlauf der Beratungen größtenteils umgesetzt werden konnten. Wir haben den Entwurf stark verändert und verbessert. Das betrifft folgende Bereiche:Das Beitrags-Leistungsverhältnis in der Alterssicherung der Landwirte entspricht nach dem erzielten Kompromiß in Zukunft im wesentlichen demjenigen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Einheitsbeiträge in der Alterssicherung der Landwirte entwikkeln sich ab 1995 parallel zur Entwicklung der Löhne und Gehälter und der Beitragssätze in der Rentenversicherung.Die SPD akzeptiert, daß vom Vergleichsbeitrag in der Rentenversicherung 20 % abgezogen werden. Dieser Abschlag ergibt sich aus den unterschiedlichen Leistungskatalogen der beiden Systeme. Er ist vernünftig und richtig.Durch die Herstellung eines vergleichbaren Verhältnisses zwischen Beiträgen und Leistungen wird es möglich, daß der Bund zukünftig die Defizithaftung in der Alterssicherung der Landwirte übernimmt. Ich erinnere daran, daß das ein sehr, sehr schwieriger Punkt war und viele in der Koalition erst davon
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Hermann Wimmer
überzeugt werden mußten, daß das auf die Dauer sinnvoll ist und zu einer Stabilisierung der Beiträge beiträgt.
Die Auswirkungen bei den Beiträgen: Der Einheitsbeitrag der Landwirte wäre ohne Reform bereits im nächsten Jahr auf 358 DM angestiegen, im Jahre 2000 bereits auf 535 DM. Durch die Reform entwickeln sich die Einheitsbeiträge nur noch im Gleichklang mit der allgemeinen Einkommensentwicklung und dem Beitragssatz in der Rentenversicherung. Der Beitrag bleibt 1995 bei 291 DM stabil, und er steigt bis zum Jahre 2000 voraussichtlich auf 347 DM an.Das stärkt das Vertrauen gerade der jungen Bäuerinnen und Bauern in die Stabilität des berufsständischen Alterssicherungssystems, wie es der Bund der Deutschen Landjugend ausdrücklich mitgeteilt hat.Durch die Herstellung eines vergleichbaren Beitrags-Leistungs-Verhältnisses war es auch möglich, auf den im Gesetz vorgesehenen Ausschluß von Nebenerwerbslandwirten oberhalb eines durchschnittlichen Einkommens zu verzichten.Die Landfrauen werden künftig eigenständig versichert. Die bisher beitragsfrei erworbenen Ansprüche auf den sogenannten Ehegattenzuschlag bleiben voll erhalten. Ich weiß, daß Sie als Koalition in diesem Punkt mehr versprochen haben. Aber es passiert gelegentlich, daß die Koalition den Frauen mehr verspricht, als sie halten kann.
Die von der Koalition gewünschte volle Anrechnung von Ehejahren als Beitragsjahre mußte auf einen großzügigen Bestandsschutz begrenzt werden. Wir müssen berücksichtigen, daß die eigenständige Sicherung der Landfrauen mit der zukünftig notwendigen eigenständigen Sicherung der Frauen insgesamt vereinbar sein muß. Außerdem muß die Belastung der Beitragszahler, auch der Bäuerinnen, und des Bundes vertretbar bleiben.Von der Versicherungspflicht können auf Antrag Bäuerinnen befreit werden, die älter als 50 Jahre alt sind, die bereits Anwartschaften in einem Umfang von 18 Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in vergleichbaren Systemen haben oder die eine private Lebensversicherung mit vergleichbarem Beitrags- und Leistungsumfang nachweisen. Im übrigen haben wir mit der Einführung der Defizithaftung den Anforderungen des Berufsstandes und des Landfrauenverbandes Rechnung getragen und damit die Bäuerinnen voll in den früheren sogenannten Strukturausgleich einbezogen.Das Überbrückungsgeld für jüngere Witwen wird deutlich verbessert. Es mildert die schwierige Lage in den betroffenen landwirtschaftlich tätigen Familien. Zukünftig wird das Überbrückungsgeld statt für ein Jahr für drei Jahre gewährt. Hiermit knüpfen wir an das 2. ASEG von 1980 an.Die im Koalitionsentwurf vorgesehenen Einkommensgrenzen für die Beitragszuschüsse konnten wir letztlich akzeptieren, weil durch die Anbindung desEinheitsbeitrags an die Rentenversicherung eine andere Grundlage geschaffen worden ist.
Durch die Herstellung eines vergleichbaren Beitrags-Leistungs-Verhältnisses werden bei der Übertragung der Alterssicherung der Landwirte auf die neuen Länder Wettbewerbsverzerrungen zwischen den dort vorhandenen unterschiedlichen Betriebsformen in der Landwirtschaft vermieden. Die Alterssicherung der Landwirte ist auf Selbständige ausgerichtet, im wesentlichen also auf die Wieder- und Neueinrichter in den neuen Ländern. Die Beschäftigten in den juristischen Personen, den LPG-Nachfolgebetrieben, verbleiben als Arbeitnehmer in der Rentenversicherung. Dies ist sachgerecht.Die SPD hat auch durchgesetzt, daß Nachteile für Wiedereinrichter beim Wechsel der Alterssicherungssysteme weitestgehend ausgeschlossen werden. Alle Landwirte in den neuen Ländern, die am Ende dieses Jahres die Wartezeit für eine Erwerbsunfähigkeitsrente erfüllen, erhalten ein Wahlrecht zwischen dem Verbleib in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Wechsel in die Alterssicherung der Landwirte. Die Zusatzversorgung für die niedrig entlohnten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer der alten Bundesländer wird auf die neuen Bundesländer übertragen.Es gäbe noch eine Reihe von Punkten der Verbesserung anzuführen. Ich meine, das Gesamtergebnis ist ein vernünftiger Kompromiß, zeigt eine Stabilität der sozialpolitischen Haltung der SPD gerade im Agrarbereich. Wir lassen uns auch von denen, die die Beschlüsse der Vergangenheit nicht so gut kennen oder unter Umständen die Verhandlungen in den letzten Wochen erheblich erschwert haben, nicht davon abbringen: Wenn es um Sozialpolitik geht, kann sich die gesamte Bevölkerung, vor allen Dingen auch die Landwirtschaft, auf die Sozialdemokratische Partei verlassen.
Herr Kollege Ulrich Heinrich, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist sicherlich ein guter Tag für die deutsche Landwirtschaft,
soweit es den sozialpolitischen Teil betrifft. Aus einem Altershilfegesetz, einem zum Teil mit großen Mängeln behafteten Gesetz, entstand nach monatelangen, man kann fast sagen: jahrelangen Verhandlungen und zähem Ringen ein Sozialgesetz, welches auch zukünftigen Ansprüchen und Anforderungen einer sich in einem tiefen Strukturwandel befindlichen Landwirtschaft gerecht wird.Besondere Gewinner dabei sind die Bäuerinnen, bei denen mit der jetzt eingeführten eigenständigen sozialrechtlichen Absicherung endlich die unerträgli-
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Ulrich Heinrichchen, beinahe schon mittelalterlichen Zustände beseitigt wurden.
Bäuerinnen ohne einen eigenen Rentenanspruch und ohne Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit — zur Erinnerung sei das gesagt; das ist die derzeitige Rechtslage — werden ab dem 1. Januar 1995 der Vergangenheit angehören.Wir haben im Rahmen unserer nationalen Zuständigkeit für die Sozialpolitik — denn in der Agrarpolitik ist es leider Gottes nicht mehr so, daß wir national ausschließlich zuständig sind; wir haben es vorhin in der Agrardebatte gehört, in welcher Art und Weise wir in eine europäische Agrarpolitik eingebunden sind — den Spielraum genutzt, und wir haben hier meiner Meinung nach ein vernünftiges Ergebnis vorgelegt.Die Agrarsozialpolitik ist deshalb so wichtig, weil wir einen enormen Strukturwandel in der Landwirtschaft sozial flankieren und damit abfedern müssen. Auf Grund der Einkommenszahlen, mit denen wir heute morgen konfrontiert worden sind, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß, wenn diese Strukturveränderung so weitergeht, wie wir sie in diesem Jahr zu verzeichnen hatten — im alten Bundesgebiet 2,5 % weniger Betriebe —, nach einer Generation, nämlich innerhalb von 30 Jahren, nur noch 30 % der landwirtschaftlichen Betriebe übrigbleiben. Wenn ich mir das vergegenwärtige, dann stelle ich fest: Das ist genau die Zeit, in der ich persönlich aktiv Landwirt bin. In 30 Jahren wird es, wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt, nur noch 30 % der Betriebe geben. Ich weiß, mit solchen Hochrechnungen muß man äußerst vorsichtig umgehen.Für mich ist das auch überhaupt kein Ziel, was ich gerade gesagt habe; ich unterstreiche das deutlich: Es ist für mich kein Ziel. Aber ich kann natürlich von meiner Seite auch nicht ausschließen, daß das so kommen wird, wenn sich die Entwicklung so fortsetzt.Gerade aus diesem Grund ist es so notwendig und richtig, ein Alterssicherungssystem zu entwickeln, das genau diesen zu erwartenden Entwicklungen Rechnung trägt, das auf der einen Seite den Beitragszahler nicht überstrapaziert, auf der anderen Seite aber die Lücken beseitigt, die das bestehende Recht aufweist.Hier möchte ich noch einmal deutlich unterstreichen: Ganz wichtig ist für uns die eigenständige Sicherung der Bäuerinnen; denn gerade die Bäuerinnen sind es, die in unseren Betrieben die unverzichtbare Arbeit leisten, die in vielen Fällen das tragende Element in den Betrieben sind. Denen haben wir jetzt endlich einmal Rechnung getragen.
Herr Präsident, stimmt es, daß meine Redezeit jetzt zu Ende ist?
Sie haben noch eine knappe Minute. Erst bei Rot ist sie ganz zu Ende.
Ich dachte, ich habe acht Minuten. Entschuldigung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, daß viele technische Details schon gesagt worden sind, daß einiges noch von meinen Nachrednern erwähnt wird. Deshalb habe ich mich mehr auf das Umfeld gestützt, in dem wir verantwortlich Sozialpolitik zu machen haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich sagen, auch an die SPD gerichtet: Es ist nicht alles schlecht, was wir hier im Konsens miteinander gemacht haben. Wir mußten eine bittere Pille in dem Sinne schlucken, daß wir den älteren Bäuerinnen — von denen ich eben auch gerade gesprochen habe — die zusätzliche Leistung nicht geben können. Das mußten wir hinnehmen. Aber ich konzediere genauso offen und freimütig, daß natürlich die Übernahme der rentenversicherungsadäquaten Beiträge und die Übernahme des entsprechenden Risikos durch die Bundeskasse — hier durchaus von uns mitgetragen — auf lange Sicht gesehen als eine Verbesserung in diesem Gesetz gesehen werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die hier über viele Jahre mitgearbeitet haben. Wir haben uns das nicht leichtgemacht. Ich möchte mich — und ich darf das vielleicht auch als einer sagen, der von der ersten Stunde an mit dabei war — auch bei den Ministerien bedanken und bei unseren Mitarbeitern der Fraktion, die Enormes geleistet haben.
Die haben uns so begleitet, wie man es als Parlamentarier wünscht. Sie haben uns unterstützt und nicht bevormundet. So wünschen wir uns das bei so wichtigen Gesetzesvorhaben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Fritz Schumann.
— Ich kann es Ihnen nicht ersparen. Ich werde heute auch noch ein drittes Mal reden.
— Es geht auch ohne Beifall, ich habe mich daran gewöhnt.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Beratung des Agrarsozialreformgesetzes im September vorigen Jahres habe ich namens unserer Gruppe die Position vertreten, daß der mit dem
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Dr. Fritz Schumann
Gesetzentwurf gewählte Weg der Weiterführung eines sektoralen Sondersystems erstens der vorwiegenden Praxis in der Mehrzahl der europäischen Unionsstaaten widerspricht und damit kein Beitrag für eine Harmonisierung von Regelungen innerhalb der Gemeinschaft darstellt.Die EU als bloße Wirtschafts- und Währungsunion hat keine Perspektive. Ihr Funktionieren bedingt klare Schritte in Richtung auf eine Sozialunion. Das müssen die Landwirtschaft und der ländliche Raum mit einbeziehen. Fortschrittliche soziale Lösungen sind in einigen Ländern schon vorhanden, und man hätte vielleicht bei der Beratung dieses Gesetzes
auch mal einen Blick in andere europäischen Staaten tun sollen.Zweitens sind wir gegen das landwirtschaftliche Sondersystem wegen der ihm zugrunde liegenden Philosophie der Verknüpfung von Alterssicherungsfunktionen mit strukturpolitischen und einkommenspolitischen Funktionen. So notwendig eine soziale Begleitung von Strukturpolitik auch ist — und auch wir begrüßen ungemein, daß mit diesem Gesetz erstmalig die Versorgung und Sicherung von Bäuerinnen geregelt ist —, so schwierig erscheint es uns, die Alterssicherung mit der Strukturpolitik zu verknüpfen. Damit ist dieses System, wie die Agrargeschichte der Alt-BRD belegt, ein Instrument der konservativen Strukturpolitik, die mit ihrer ausgeprägten Tendenz der Konservierung überholter Strukturen den objektiven Prozeß des Strukurwandels eher behindert als fördert.Es ist doch kein Zufall, daß Deutschland — und wir haben es ja eben diskutiert —, die Nummer eins unter den europäischen Industriestaaten, im Agrarbereich eben nur Mittelmaß darstellt. Darüber sollte man vielleicht auch in diesem Zusammenhang einmal nachdenken.Wir sind also aus prinzipiellen Gründen gegen das Sondersystem und für die Einbeziehung der Landwirte in die allgemeine soziale Sicherung. Zugleich wiederhole ich unseren als Konsequenz daraus gemachten Vorschlag, einen agrarstrukturellen Anpassungsfonds zu schaffen.Ich weiß, daß es für ein solches Konzept derzeit keine politischen Mehrheiten gibt, aber selbst wenn man die Philosophie des Sondersystems akzeptiert, ist festzustellen: Der große Wurf ist mit diesem Gesetz keineswegs gelungen. Es wird nicht lange dauern, dann steht die agrarsoziale Sicherung wieder auf der Tagesordnung; denn wir sollen heute ein Gesetz beschließen, das durch Umschichtung innerhalb des Agrarhaushalts und Einbeziehung der Bäuerinnen in den Kreis der Beitragszahler — ich zitiere die Bundesregierung — „ eine Stabilisierung des für das Jahr 1994 auf 291 DM angehobenen Monatsbeitrags bis voraussichtlich 1997 ermöglicht" .Deshalb ist mir die Forderung der Kreisvorsitzenden der Landesbauernverbände auf ihrer Coswiger Tagung von Anfang März nach Einführung eines Strukturausgleichs, der die Beitragserhöhung auffängt, durchaus verständlich. Zugleich offenbart diese Forderung jedoch das Dilemma des Sondersystems; denn die Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlung zu Leistungsempfängern ist nun einmal die logische Konsequenz dessen, was allgemein als gesellschaftlicher Fortschritt bezeichnet wird, nämlich daß immer weniger Landwirte die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen und daß damit natürlich auch immer weniger Landwirte die Altersversorgung sicherstellen müssen.Das Verhandeln über die Bundeszuschüsse für die Alterssicherung der Bauern ist ein unwürdiges, dem Fleiß und den Leistungen der Landwirte nicht angemessenes politisches Spiel. In der Öffentlichkeit entsteht so der Eindruck von Geschenken und privilegierten Sonderbehandlungen. All das wäre durch Einbeziehung der Bauern in die allgemeine soziale Sicherung vermeidbar.Verständnis und Unterstützung habe ich auch zur Forderung des Bauernverbandes, die Einkommensobergrenze im Zusammenhang mit dem Beitragszuschuß auf deutlich mehr als 40 000 DM pro Person anzuheben. Letztlich widerspiegelt sich in dieser Forderung die ungenügende Einkommenssituation der bäuerlichen Landwirtschaft.Auch möchte ich die Forderung des Bundesrates nach Offenlegung der kalkulierten Bundeszuschüsse getrennt nach alten und neuen Ländern unterstützen. Ich habe bereits in der ersten Lesung auf das beträchtliche Ungleichgewicht in der Förderung verwiesen.Abschließend fordere ich, daß die Altrentenfälle der Unfallversicherung in den neuen Ländern durch Bundesmittel abgedeckt werden, da hier durch eine formale Regelung im Einigungsvertrag eine Benachteiligung der landwirtschaftlichen Beitragszahler gegeben ist. Sie wissen ja, daß die Festlegung der Beitragszahlung damals nach den Beschäftigungsverhältnissen vorgenommen worden ist, was natürlich — wir haben es heute früh diskutiert — mit den heutigen Bedingungen in keiner Weise übereinstimmt und zu unnötigen Belastungen führt.Ich bedanke mich.
Herr Kollege Joachim Fuchtel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute verabschieden, ist kein Reförmchen, es ist eine wirkliche Reform!
Jeder Beteiligte wußte um die Bedeutung und ist deswegen mit der erforderlichen Umsicht an die Sache herangegangen; denn man kann aus einem Ei zwar Rührei machen, aber man kann aus Rührei nicht wieder Ei machen. Deswegen ging es darum, auf dem aufzubauen, was 1957 gemacht wurde, und dies zu einem neuen, zukunftsträchtigen System weiterzuentwickeln.Das war für die Union auch der Grund, warum wir über das ganze Verfahren hinweg stets eine enge Abstimmung mit dem Berufsstand durchgeführt
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Hans-Joachim Fuchtelhaben. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß die Koalition ihre Zustimmung zum Kompromiß erst nach positiven Signalen vom Deutschen Bauernverband und vom Deutschen Landfrauenverband erklärt hat; denn nur wenn diese Reform akzeptiert wird, kann sie auch wirklich die notwendige Entfaltung bringen.
Meine Damen und Herren, ohne Reform würden die Beiträge schon 1995 auf 358 DM steigen und dann raketenhaft — —
— Also, Herr Gallus hat heute schon so viel gesprochen, er ist heute nacht um 0.30 Uhr nicht mehr da, da gibt es jetzt keine Zwischenfragen, lieber Kollege.
Herr Kollege Fuchtel, heißt das, daß Sie die Zwischenfrage nicht zulassen wollen?
Jawohl! — Die Beiträge würden auf 704 DM im Jahre 2005 davonrauschen. Das wäre für den Berufsstand Schlichtweg untragbar.
Die bestehende Gesetzgebung hätte es gleichzeitig kaum vermeiden können, daß der Landwirtschaft bisher zugeordnete Finanzmittel vorlorengegangen wären, und dies in einer Zeit, wo die Landwirtschaft mehr statt weniger Unterstützung braucht. Ebenfalls unmöglich!
Zu dieser Reform gibt es deswegen keine ernsthafte Alternative.Die Gesetzgebung ist zustimmungspflichtig. Daraus ergibt sich: Wenn man eine Lösung wollte, mußte man versuchen, sie mit der SPD zusammen zu machen. Es war ein Gebot der Gesamtverantwortung, daß wir hier zu einem Ergebnis kommen. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, auch den Kollegen der SPD.Wohl keine Seite hat durch den Konsens alle ihre Vorstellungen realisieren können. Aber wir haben dadurch etwas erreicht, was einen Eigenwert hat. Es gibt eine breite Mehrheit, die politisch zu dieser Reform steht. Gerade im Rentenrecht, wo es um längerfristige Konzeptionen geht, kann dies nicht hoch genug eingeschätzt werden.Die Ziele der Reform werden mit dem Gesetzeswerk erreicht. Sie sind hier schon dargestellt worden. Alle unsere Wünsche wurden natürlich nicht befriedigt. Die Koalition hätte z. B. gerne erheblich großzügigere Wahlmöglichkeiten und Anrechnungszeiten für die Landfrauen gewünscht.Wir wollen aber nicht verkennen, daß der Bund für die landwirtschaftliche Sozialpolitik im Jahre 1994 immerhin 6,9 Milliarden DM zur Verfügung stellt.Dies sei einmal all denjenigen gesagt, die die Leistungen so geringschätzen.Denjenigen aber, die meinen, hier würde zuviel getan, möchte ich einmal sagen, daß von dem Altersgeld allein ein Bauernehepaar im Alter wohl kaum leben könnte.
Hier herrschen völlig falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit. Kaum über 1 000 DM ist der Maximalbetrag bei optimaler Lage heute.
Es muß hier einmal gesagt werden: Oftmals wirft die Landwirtschaft nicht einmal mehr so viel ab, daß den Alten überhaupt noch zusätzlich etwas gegeben werden kann, und dies nach einem sehr arbeitsreichen Leben.Deswegen ist es wichtig, daß man wenigstens die Strukturen für die Sozialpolitik in Ordnung bringt und hier zukunftsträchtig ausrichtet.Für die Zukunft geht es nicht um riesige Zuwächse, sondern im großen und ganzen — auch dies muß man deutlich bekennen — geht es um eine seriöse Absicherung des Status quo, nicht etwa mit neuem Geld, wie manche meinen, sondern mit Umschichtungen aus anderen, der Landwirtschaft zugerechneten Haushaltsmitteln, soweit solche benötigt werden. Dies ist aus unserer Sicht ohne Wenn und Aber vertretbar und für den Erhalt unserer Landwirtschaft unverzichtbar.Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU gehört zu einem zukunftsorientierten Bild der Landwirtschaft unbedingt die eigenständige Absicherung der Frau bei der Rente. Nur so wird man junge Frauen für die Landwirtschaft gewinnen,
und nur so wird man den Frauen gerecht, die die eigenständige Arbeit auf dem Hof erbringen und erbracht haben.Meine Damen und Herren, ich möchte das, was Kollege Gallus gesagt hat, nicht weiter kommentieren. Ich gehe ja davon aus, daß er außer im Bundestag und außer seinen Staatssekretärstätigkeiten sicher auch auf dem Hof noch seinen Mann gestanden hat.Meine Damen und Herren, der Anspruch umfaßt für die Zukunft in der Landwirtschaft den wichtigen Fall der Erwerbsunfähigkeit und auch der Hinterbliebenenversorgung. Damit haben die Vizepräsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes, Frau Staiblin, und ihre Geschäftsführerin, Frau Heereman, ihr wichtigstes Ziel tatsächlich erreicht. Wir gratulieren auch diesen Damen, die über ein Jahrzehnt für diese Ziele gestritten haben, am heutigen Tag sehr herzlich.
Ich muß auch noch etwas Unangenehmes sagen. Aber wer etwas Unangenehmes sagt, lügt Sie nicht an.
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19738 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Hans-Joachim FuchtelIch muß nämlich sagen, daß es alle diese Leistungen nicht zum Nulltarif gibt, sondern daß die Bäuerin künftig natürlich auch Beitrag zahlen muß. Sofern die Einkommenshöhe 16 000 DM pro Jahr nicht übersteigt, sind dies allerdings 58 DM im Monat.Meine Damen und Herren, auch für die Nebenerwerbslandwirte wurde ein sehr großes Problem beseitigt und eine Ausstiegsmöglichkeit nach 15 Jahren ohne Verlust der Anwartschaften vorgesehen. Die zentrale Forderung des Verbandes der Nebenerwerbslandwirte wurde damit erfüllt.Auch bei der Verteilung der öffentlichen Mittel ist das Gesetz fair gewesen. Es werden zur Berechnung alle positiven Einkünfte herangezogen. Wer zwar nur ein kleines landwirtschaftliches Einkommen hat, aber fünf Miethäuser, erhält weniger oder gar keinen Zuschuß. Auch das muß deutlich gesagt werden, daß hier nichts ins Kraut wächst.Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat zu Beginn der Legislaturperiode diese Agrarsozialreform angekündigt. Mit Hilfe des Parlaments können wir sie tatsächlich in dieser Legislaturperiode gemeinsam beschließen. Viele haben dies bezweifelt.
Es zeigt sich auch hier: Es ist besser, wenn man mit Optimismus durchs Leben und in die Politik geht.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ottmar Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe, Herr Kollege Fuchtel, überhaupt nichts dagegen, wenn die Koalitionsfraktionen ihre Zustimmung zu dem Kompromiß von einer positiven Erklärung des Deutschen Bauernverbandes abhängig machen. Ich würde Ihnen aber sehr empfehlen, in Zukunft Kürzungen des Arbeitslosengeldes beispielsweise abhängig zu machen von der Zustimmung des Arbeitslosenverbandes Deutschland e. V. Ich würde Ihnen empfehlen, die Kürzung der Sozialhilfe abhängig zu machen von der Zustimmung z. B. der deutschen Wohlfahrtsverbände, der Caritas und anderen. Wenn dies Methode werden würde, könnten wir Ihnen eine ganze Reihe von hilfreichen Tips geben.
Ich wollte eigentlich im Gegensatz zum Kollegen Hornung, der hier sehr unfreundlich begonnen hat, freundlich beginnen, Wahlkampf hin, Wahlkampf her. Ich will mich bedanken bei den Fraktionskollegen Günther Heyenn und Barbara Weiler, die zusammen mit Hermann Wimmer und mir die Verhandlungen mit der Regierung und den Koalitionsfraktionen auf seiten der SPD-Bundestagsfraktion geführt haben. Ich will mich auch beim Staatssekretär Kraus vom Bundesarbeitsministerium bedanken — stellvertretend für die Regierung und die Koalitionsfraktionen —, der mit seinem gelegentlich etwas schwermütigen Temperament mit dazu beigetragen hat, daß immer dann ein Ausgleich gefunden werden konnte, wenn die übermütigen Temperamente durchzugehen drohten. Ich will mich sehr herzlich bedanken bei den Beamten des Bundesarbeitsministeriums und den Mitarbeitern der SPD-Bundestagsfraktion, ohne deren wertvolle Zuarbeit die Bewältigung dieses außerordentlich komplexen Themas noch schwerer geworden wäre, als es ohnehin der Fall war.
Ich will mich schließlich bei der Bayerischen Landesvertretung für ihre Gastfreundlichkeit bedanken. Sie hat sich neue Freunde erworben.
Man muß das ja betonen: „neue Freunde", weil es in der bayerischen Amtssprache neuerdings eine Feindifferenzierung auf diesem Felde gibt.
— Sie hat sich neue Freunde erworben, Frau Dr. Babel.Die Verhandlungen wurden gelegentlich erschwert, weil hin und wieder die deutsche Amtssprache als Verhandlungssprache durch den doch relativ entlegenen bayerischen Dialekt verdrängt worden ist.
Aber auch dieses Hindernis konnte letztlich erfolgreich überwunden werden.Meine Damen und Herren, die SPD ist der Meinung, daß wir eine insgesamt gut vertretbare Lösung gefunden haben, die auch eine deutliche sozialdemokratische Handschrift trägt. Wir haben seit langem eine grundsätzliche Reform der Alterssicherung in der Landwirtschaft gefordert, im wesentlichen aus folgenden Überlegungen:Erstens. Es ist seit längerem absehbar, daß im noch geltenden System die Beiträge der Landwirte stark ansteigen, bald nicht mehr tragbar sein werden und damit die finanzielle Stabilität der agrarsozialen Sicherungssysteme gesprengt wird.Zweitens. Die Tätigkeit der Bäuerinnen in den landwirtschaftlichen Betrieben muß durch eine eigenständige Alterssicherung honoriert werden. Dies ist für die SPD um so selbstverständlicher, als wir seit längerem der Meinung sind, daß wir insgesamt eine eigenständige Alterssicherung für Frauen brauchen.Drittens. Die Reform ist notwendig gewesen, um die beträchtlichen Finanzmittel des Bundes, die in dieses System fließen, gezielt zur Hilfe für Landwirte mit geringem und mittlerem Einkommen zu verwenden.Viertens. Das heutige System der Rentenberechnung in der Alterssicherung der Landwirte widerspricht in weiten Teilen dem Prinzip der Beitragsgerechtigkeit.Der Ausgangsentwurf der Bundesregierung für eine Agrarsozialreform war eine typische „Hospes"Lösung — wie die Moselaner sagen —, Stückwerk, das sich schnell verbraucht hätte. Er enthielt positive Ansätze — der Kollege Wimmer hat darauf hingewiesen —; er enthielt aber auch neue, ungerechtfertigte Vorrechte und ließ vor allen Dingen das zentrale
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Ottmar SchreinerProblem der Reform, nämlich die dauerhafte finanzielle Stabilisierung der Agrarsozialpolitik, ungelöst.Entscheidend für den Durchbruch der Gespräche war, daß es gelungen war, das Beitrags-LeistungsVerhältnis in der Altersversorgung der Landwirte dem Regelungswerk in der gesetzlichen Rentenversicherung anzunähern. In der Alterssicherung der Landwirte werden, anders als in der Rentenversicherung, keine einkommensbezogenen Beiträge erhoben, sondern alle Landwirte zahlen einen einheitlichen Beitrag. Die Höhe der Renten hängt nur von der Zahl der Beitragsjahre, aber nicht vom früheren Einkommen der Landwirte ab.Wir als SPD haben immer kritisiert, daß das Beitrags-Leistungs-Verhältnis in der Landwirtschaft deutlich anders ist als in der Rentenversicherung. Die Landwirte müssen geringere Beiträge aufwenden, als für die gleiche Leistung in der Rentenversicherung erforderlich wären. Der Bund gleicht den fehlenden Rest durch einen entsprechend höheren Bundeszuschuß aus. Auf diese Weise leistet die Allgemeinheit eine Einkommenssubvention an die Landwirtschaft, die gießkannenmäßig und sozialpolitisch ungezielt — das ist die eigentliche Kritik — an alle Bauern weitergegeben wird.Im Kompromiß vom 14. April dieses Jahres wurde folgendes erreicht: Bei Inkrafttreten der Reform im Jahre 1995 beträgt der Beitrag zur Alterssicherung der Landwirte 291 DM, wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Die weitere Entwicklung des Beitrages der Landwirte wird jedoch an den Durchschnittsbeitrag der Rentenversicherung, d. h. an die Lohnentwicklung und an den Rentenversicherungsbeitrag angekoppelt.Mit dieser Methode wird erreicht, daß der Beitrag in der Alterssicherung der Landwirte bei 80 % des Vergleichsbeitrages in der Rentenversicherung liegt. Der Abschlag von 20 % ist gut begründbar, weil die Leistungsstruktur beider Systeme deutliche Unterschiede aufweist. Zum Beispiel gibt es in der landwirtschaftlichen Alterssicherung keine Berufsunfähigkeitsrenten, keine vorgezogenen Altersgrenzen und keine Anrechnungszeiten für Ausbildung, Krankheit, Arbeitslosigkeit usw.Da die Landwirte durch diese neue Regelung die ihnen zumutbare Beitragsbelastung für ihre Altersversorgung tragen, war die Voraussetzung gegeben, daß der Bund das restliche Defizit übernimmt. Mit anderen Worten: Durch die Ankoppelung der Landwirte an die Beitragsentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung wurde ein weiteres, für mich grundlegendes und zentrales Herzstück der Reform ermöglicht, nämlich eine an entsprechende Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung angelehnte Defizithaftung des Bundes für die Altersversicherung der Landwirte.Nach dem heutigen System zahlt der Bund zur Alterssicherung der Landwirte einen Zuschuß in Höhe von 77,5 % der Rentenausgaben. Der durch den Bundeszuschuß nicht gedeckte Rest der Ausgaben wird durch Beiträge gedeckt. Nach heutigem System übernehmen also die Beitragszahler und die Beitragszahlerinnen die Defizithaftung. Sie tragen auch dasRisiko, das sich aus dem Strukturwandel in der Landwirtschaft ergibt.Wegen dieses Strukturrisikos droht langfristig der Beitrag zur Alterssicherung der Landwirte zu explodieren. Nach dem Regierungsentwurf zur Agrarsozialreform sollte am heutigen Finanzierungssystem festgehalten werden. Das heißt, die zentrale Aufgabe der Reform, nämlich die dauerhafte finanzielle Stabilisierung des Systems, wäre nicht gelöst worden.Die Angleichung des Beitrags-Leistungs-Verhältnisses in der landwirtschaftlichen Altersversorgung an das Regelsystem der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die analoge Übernahme der Defizithaftung durch den Bund sorgen insgesamt, wie wir glauben, für einen fairen Interessensausgleich zwischen der Allgemeinheit und der Landwirtschaft.Kurzfristig zahlen die Landwirte etwas höhere Beiträge, als nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen. Entsprechend wird der Bundeshaushalt entlastet. Langfristig zahlt sich das für die Bauern und Bäuerinnen aus, denn sie haben die Garantie, daß ihre Beiträge nicht stärker steigen als die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Umgekehrt übernimmt der Bund als Gegenleistung für die anfängliche Entlastung und für die Einführung zumutbarer Eigenbeiträge der Landwirte das besondere agrarstrukturelle Risiko.Lassen Sie mich noch einige wenige Sätze zu einem Problembereich sagen, der von Rednern der Koalitionsfraktionen mehrfach angesprochen worden ist, nämlich zu der vorgesehenen rückwirkenden Anrechnung von Ehezeiten als Beitragszeiten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Er soll das am Schluß machen, ich bin jetzt richtig im Fluß.Die SPD hat seit langem gedrängt, das bisherige veraltete System durch eine eigenständige Versicherung der Bäuerinnen zu ersetzen. Mit dem Entwurf des Agrarsozialreformgesetzes hat die Bundesregierung im Prinzip dazu auch den richtigen Schritt getan. Allerdings wollte die Bundesregierung die eigenständige Versicherungspflicht der Bäuerinnen nicht nur mit Wirkung für die Zukunft einführen. Zusätzlich war beabsichtigt, den Bäuerinnen rückwirkend sämtliche Beiträge, die ihre Männer während der Ehe vor Inkrafttreten der Reform gezahlt haben, als eigene Beitragszeiten anzurechnen.
Auf diese Weise wären die Rentenanwartschaften der Landwirte mit einem Federstrich — ohne zusätzliche Beitragsleistung, Kollege Hornung — und letztlich überwiegend zu Lasten der steuerzahlenden Allgemeinheit nachträglich vermehrt worden.Nach Auffassung der SPD wäre dies eine öffentlich nicht darstellbare Privilegierung im Bereich der Landwirtschaft gewesen. Denn eine vergleichbar günstige Regelung könnten wir bei der in Zukunft fälligen Reform der Alterssicherung der Frauen in der Renten-
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Ottmar Schreinerversicherung den Arbeitnehmerinnen aus finanziellen Gründen niemals in Aussicht stellen.Deshalb war die SPD dagegen, den Bäuerinnen Rentenvorteile zu gewähren, die für alle anderen Frauen in dieser Form jedenfalls unbezahlbar gewesen wären.Lassen Sie mich zum Schluß noch ein herzliches Dankeschön an den Deutschen Bauernverband sagen. Er hat in einer Gesamtwürdigung vom 19. April dieses Jahres geschrieben: Das Ergebnis stellt im Vergleich zu anderen möglichen Alternativen — hören Sie genau zu, Kollege Hornung — einen deutlichen Schritt nach vorne dar.
Es wird parteiübergreifend akzeptiert. Das sollte die Stabilität der Alterssicherung der Landwirte auf absehbare Zukunft stärken.Was wollen wir eigentlich mehr als diese Gesamtbilligung des Deutschen Bauernverbandes, die klar zum Ausdruck bringt: Diese gefundene Lösung ist besser als jede andere denkbare Lösung. Mehr kann man eigentlich wirklich nicht wollen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich bin durch die vielen Gespräche und letztlich auch durch meine Freundschaft mit Hermann Wimmer auf die Idee gekommen, den kurzen Sommerurlaub dieses Jahres mit meiner Familie auf einem bayerischen Bauernhof zu verbringen, mit Reiten, Pferden, Hühnern und was es dort sonst noch alles gibt.Ich habe versucht, mich auf diesen Kurzurlaub auf einem Bauernhof in Oberbayern vorzubereiten durch die Lektüre eines bewähten Bayern, Ludwig Thoma, „Briefwechsel eines bayerischen Landtagsabgeordneten", aus dem ich kurz zitieren will. Ich bin aber bedauerlicherweise immer noch nicht der bayerischen Landessprache mächtig und muß versuchen, in der mir zu Gebote stehenden Form vorzutragen:Das Kenigreich Breißen ist ein ahrmes Land und nehren sich fon Kahrdofeln indem sonst nichts wart. Durch disses sind die Leite ser begiehrig und woben iemer ein Lahnd, wo Gäld forhanden ist und ein guter Fiehschtand und Getreihde. Disses Lahnd heist Bayern und ist inser Faderland .. .Es kohmen iemer mer Breißen zu ins. Sie kohmen scheinbahr, als wen sie was lehrnen woben bei ins oder zum Fergniegen. Haber mir miessen Ohbacht gehben, das sie nichd dableihben.
Ich wollte meine zukünftigen Gastgeber bereits trösten, daß ich nicht beabsichtige, dableiben zu wollen, mir dennoch ein paar schöne Tage in Oberbayern verspreche.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Schreiner, man lernt doch nie aus, wie man sich seine Redezeit um ein Stück verlängert. Wenn ein bayerischer Vizepräsident präsidiert, zitiert man am Schluß etwas Bayerisches; dann wird er schon nicht unterbrechen.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Horst Günther das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf der Agrarsozialreform 1995 haben wir einen Konsens gefunden, der den bereits 1994 eingeschlagenen Weg zur Reformierung des agrarsozialen Sicherungssystems erfolgreich beendet.Gemeinsam haben wir nicht nur das 1994 in Kraft gesetzte Übergangsrecht in der Altershilfe der Landwirte — eine notwendige Zwischenetappe — verabschiedet, sondern auch unsere agrarsoziale Zielsetzung erreicht. Das Gesetz soll nunmehr zum 1. Januar 1995 in Kraft treten.Von der von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Reform der agrarsozialen Sicherung wird zugleich eine gewachsene und, wie ich finde, gute Tradition bei der Verabschiedung grundlegender sozialer Reformwerke fortgesetzt.Reformwerke innerhalb unseres sozialen Sicherungssystems können zwar politisch beschlossen werden, aber sie müssen von unseren Bürgern auch angenommen werden. Verläßlichkeit und Vertrauensbildung: Das sind die entscheidenden Eckpfeiler unseres Sozialsystems. Dies gilt insbesondere für die von diesen Reformen existentiell Betroffenen.Unsere Fähigkeit zum Kompromiß bei sozialen Reformen ist für viele der Gradmesser für unser politisches Verantwortungsbewußtsein. Wie schon bei den bedeutenden Reformvorhaben in der gesetzlichen Rentenversicherung hat sich auch im Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung die Einsicht in die Notwendigkeit des politischen Konsenses durchgesetzt.Dies ist besonders bei den-verschiedenen Systemen der Alterssicherung notwendig, denn Alterssicherung hat viel m. t Lebensplanung und vor allen Dingen mit Vertrauen der Bürger zu tun.Meine Damen und Herren, der in den Verhandlungen gefundene politische Konsens ist auch tragfähig, weil er die Akzeptanz des Berufsstandes findet. Der Deutsche Bauernverband hat die parteiübergreifenden Bemühungen, die Agrarsozialreform gemeinsam zu verabschieden, ausdrücklich anerkannt und eindeutig erklärt, daß er die Kernpunkte des gefundenen Kompromisses mitträgt.Folgende Inhalte der Reform, auf die sich Koalition und Opposition geeinigt haben, werden verwirklicht:Erstens. Wegen der ständigen Verschlechterung des Verhältnisses von immer weniger aktiven Landwirten zu immer mehr Alterslohnbeziehern und
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Parl. Staatssekretär Horst Güntherwegen der entstehenden Belastungen, die den Beitragszahlern nicht zugemutet werden können, wird der Bund die Beitragszahler künftig entlasten, indem er, vergleichbar der Finanzierung in der knappschaftlichen Rentenversicherung, das in der Alterssicherung der Landwirte entstehende Defizit übernimmt. Hierdurch wird ein von Jahr zu Jahr starkes Ansteigen der Beiträge verhindert. Vor allem den jüngeren landwirtschaftlichen Unternehmerehepaaren wird so in Zeiten eines starken Strukturwandels ein in die Zukunft weisendes Signal für die Sicherung der finanziellen Grundlage des berufsständischen Alterssicherungssystems gegeben. Gerade hierdurch erfährt die Alterssicherung der Landwirte — übrigens auch nach Einschätzung des Bauernverbandes — Stabilität bis weit in das nächste Jahrhundert hinein.Zweitens. Der unentbehrlichen Mitarbeit der Bäuerin wird dadurch Rechnung getragen, daß sie künftig wie ihr Ehemann in der Alterssicherung der Landwirte beitragspflichtig und damit natürlich auch leistungsberechtigt wird. Den Bäuerinnen, die bereits vor dem 1. Januar 1995 aktiv waren, wird ein uneingeschränktes Wahlrecht eingeräumt, wenn sie am 1. Januar 1995 das 50. Lebensjahr vollendet haben.
Haben sie zu diesem Zeitpunkt das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet, besteht ein Wahlrecht, wenn eine anderweitige ausreichende Absicherung nachgewiesen werden kann.Entscheiden sie sich für die eigenständige Versicherung, sollen ihnen die vom Ehemann während der Ehezeit zurückgelegten Beitragszeiten bei ihrer Rente angerechnet werden. Der Rentenertrag aus diesen Beitragszeiten wird jedoch auf den Betrag begrenzt, der sich bei unterstellter Fortgeltung des geltenden Rechts als Verheiratetenzuschlag zur Rente des Mannes ergeben hätte. Auch die älteren Bäuerinnen erfahren so noch voll die positiven Wirkungen der eigenständigen Sicherung. Aus der Sicht der Bundesregierung ist gerade das ein wichtiger Bestandteil des Reformkonzepts.Drittens. Das Beitragszuschußsystem in der Alterssicherung der Landwirte wird sozial gerechter gestaltet. Als Grundlage der Bezuschussung wird künftig mehr als bisher auf das tatsächliche Einkommen als auf die pauschalierten, an der Betriebsgröße orientierten Werte abgestellt.
Die Zuschußhöhe wird somit in Fortentwicklung der schon 1994 in Kraft gesetzten Veränderungen ab 1995 noch mehr durch das tatsächliche individuelle Leistungsvermögen bestimmt.Viertens. Auch bei der Rentenberechnung gibt es Umstellungen. Bei der künftigen Rentenberechnung entfällt der Grundbetrag und damit die bisherige Begünstigung nur kurzzeitiger Beitragszeiten. Diese Begünstigung rechtfertigte sich in der Vergangenheit aus der erst späten Einführung der Altershilfe für Landwirte. Aber es wird Zeit, daß sie, wie jetzt geschehen, abgelöst wird. Der Wegfall des Grundbetrags bei vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit wird künftig durch die Gewährung von Zurechnungszeiten wie in der gesetztlichen Rentenversicherung kompensiert, was in der Regel zu höheren Leistungen führen wird als nach geltendem Recht. Laufende Renten sowie im ersten Halbjahr 1995 zugehende Renten bleiben von dieser Neuregelung unberührt.Die ab Juli 1995 zugehenden Renten werden durch Vertrauensschutzregelungen schrittweise an die Neuregelung herangeführt. Dies geschieht, indem zu den Renten, die in den ersten 15 Jahren nach Inkrafttreten der Reform zugehen, ein Zuschlag gezahlt wird, der die Differenz zu der nach altem Recht berechneten Rente mit im Zeitverlauf abnehmender Tendenz ausgleicht. Die Abschmelzung erfolgt hierbei nur im Jahr des Beginns der Rente. Der einmal festgestellte Rentenbetrag wird einschließlich Zuschlag bei jeder Rentenanpassung wie alle Renten erhöht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, künftig wird der Beitrag in Anknüpfung an das Beitrags- und Leistungsverhältnis in der gesetzlichen Rentenversicherung festgesetzt. Auf Grund der unterschiedlichen leistungsrechtlichen Strukturen beider Sicherungssysteme ist bei der Beitragsfestsetzung allerdings ein 20 %iger Abschlag zu berücksichtigen. Die Beitragszahler kommen somit künftig nicht durch eine steil ansteigende Beitragslast für das in der Alterssicherung der Landwirte ungünstige und immer ungünstiger werdende Verhältnis zwischen Beitragszahlern einerseits und Rentnern andererseits auf. Dank der Defizithaftung des Bundes wird die finanzielle Stabilität und Verläßlichkeit dieses Alterssicherungssystems allerdings dauerhaft sichergestellt.Dieser Finanzierungsmechanismus führt dazu, daß der Beitrag im Jahre 1995 mit 291 DM gleich hoch ist wie im Jahre 1994 und in den nächsten Jahren deutlich geringer ansteigt, als dies nach geltendem Recht der Fall gewesen wäre.Meine Damen und Herren, die Bäuerinnen und Bauern verdienen unsere Solidarität und unsere volle Unterstützung bei der Erfüllung ihrer gesamtgesellschaftlich wichtigen Aufgabe. Mit der Einführung der landwirtschaftlichen Alterssicherung ab 1. Oktober 1957 begann die soziale Abfederung des Strukturwandels in der Landwirtschaft. Mit der Reform der agrarsozialen Sicherung zum 1. Januar 1995 wird die Bundesregierung diesen Weg mit Unterstützung dieses Parlaments fortsetzen und damit die landwirtschaftliche Alterssicherung finanziell stabilisieren.Die erfolgreiche gesetzgeberische Umsetzung der agrarsozialen Zielsetzungen wäre ohne die kooperative und konzentrierte Mitarbeit aller Beteiligten allerdings auch nicht möglich gewesen. Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der von der SPDFraktion gebildeten Verhandlungsdelegation, die kooperative und faire Verhandlungspartner gewesen sind. Mein Dank gilt ebenso den Kolleginnen und Kollegen der von den Koalitionsfraktionen für dieses Reformwerk eingesetzten Arbeitsgruppe, die sich in vielen Sitzungen seit Oktober 1991 mit diesem komplexen Thema befaßt haben.Dank gebührt ferner allen mit der Reform befaßten Fraktionsmitarbeitern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ausschüssen des Bundesta-
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Parl. Staatssekretär Horst Güntherges, vor allem im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, die die Verhandlungen engagiert begleitet haben.Zu danken ist weiterhin den Vertretern der Selbstverwaltungsorgane und den Mitarbeitern bei den landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträgern, die uns mit fachkundigem Rat und erfahrenem Blick bei allen wichtigen Entscheidungen der Reform zur Seite gestanden haben.
Schließlich möchte ich den Mitarbeitern der beteiligten Ministerien danken, die mit Sachkunde und Engagement die politischen Entscheidungen vorbereitet haben.Ausnahmsweise und insbesondere deshalb, weil der Kollege Schreiner dies auch schon getan hat, darf ich es vielleicht auch einmal tun: Ich danke sehr herzlich meinem Kollegen Rudolf Kraus, der in engagierter Form und mit großem Einsatz für die Bäuerinnen und Bauern diese Reform — letztlich, wie wir sehen, erfolgreich — begleitet hat.
Zum Schluß möchte ich nun Sie, meine verehrten Damen und Herren, um Ihre Zustimmung zu dem von den Fraktionen erarbeiteten Konsens bitten. An die Verwaltung richte ich die Bitte, die eingeräumte Vorlaufzeit zu nutzen, damit der Agrarsozialreform 1995 der von uns allen gewünschte Erfolg beschieden ist.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir stimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform der agrarsozialen Sicherung, Drucksachen 12/5889 und 12/7589, ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei einer Enthaltung angenommen worden.
— Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, es handelt sich bei den GRÜNEN um eine Gruppe!
Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10a bis e auf:a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes— Drucksache 12/4869 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/7587 —Berichterstattung:Abgeordnete Marianne Klappert Meinolf Michelsb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Änderungsprotokoll vom 6. Februar 1992 zu dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen— Drucksache 12/5469 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/7178 —Berichterstattung:Abgeordnete Marianne Klappertc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne Klappert, Dr. Ulrich Böhme . Dr. Marliese Dobberthien, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDTierschutz verbessern— Drucksache 12/7299 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für GesundheitAusschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller , Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDBekämpfung des illegalen Handels mit geschützten Tier- und Pflanzenarten— Drucksache 12/5636 —Überweisungsvorchlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstene) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Marianne Klappert,
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Vizepräsident Hans KleinDr. Liesel Hartenstein, Brigitte Adler, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDEinschränkung der Tiertransporte in der EG— Drucksachen 12/5785, 12/6797 — Berichterstattung:Meinolf MichelsZum Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich trotz allgemeiner Unruhe kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Meinolf Michels.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Theodor Heuss hat es einmal bedauert, daß wir überhaupt ein Tierschutzgesetz brauchen.
Zweifellos ist die Vorstellung faszinierend, daß jeder aus seiner inneren Einstellung heraus alles tut, die Tiere nach Möglichkeit vor Leiden, Schäden und Schmerzen zu bewahren. Leider lassen sich auf dieser Welt ideale Wünsche selten erreichen. Deshalb ist eben doch ein Tierschutzgesetz notwendig, das uns die Möglichkeit gibt, die Menschen mit Nachhaltigkeit zu dem genannten Idealzustand hinzuführen.Unser derzeit geltendes Tierschutzgesetz hat den Tierschutz in unserem Lande auf einen hohen Level gebracht. Bei sachlicher Bewertung muß man feststellen, daß es sich im Grundsatz bewährt hat. Dies hat auch der Bundesrat in der Begründung seines Gesetzentwurfes, der heute hier zur Debatte steht, festgestellt.Mit dem jetzigen Tierschutzgesetz wurde die Mitgeschöpflichkeit des Tieres festgeschrieben. Natürlich reicht es nicht, wenn dies auf dem Papier so steht. Der Tierschutz muß fortentwickelt werden. Dafür hat sich der auf Initiative meiner Fraktion alle zwei Jahre erscheinende Tierschutzbericht als entscheidendes Instrument erwiesen. Als einziges Parlament werden wir so über Fortschritte, aber auch Mißstände im Tierschutz ausführlich unterrichtet. Der Tierschutz ist somit für den Deutschen Bundestag zur Daueraufgabe geworden.Es war mir seit Übernahme der Berichterstattung für den Tierschutz in meiner Fraktion im Jahre 1986 ein wichtiges Anliegen, den Spannungsbogen zwischen dem Tierschutz einerseits und der Notwendigkeit der Nutzung der Tiere andererseits so weit wie möglich in der Verantwortung vor dem Tier als Mitgeschöpf zu ziehen. Wie schwierig dies ist, zeigt uns das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin, das die Welle der Empörung nun hochschlagen läßt. Ich bin mit der Begründung dieses Urteils nicht einverstanden. Alle, die sich mit dem Tierschutz näher befassen, erfahren aber, wie emotional und fundamental dieses Thema grundsätzlich besetzt ist.Vor diesem Hintergrund war es mir ein wichtiges Anliegen, die vorliegenden Änderungsvorschläge des Bundesrates, die Gegenäußerung der Bundesregierung und darüber hinaus die vielen Anregungen und Eingaben von Verbänden und Einzelpersonen mit unterschiedlicher Zielsetzung sehr sorgfältig zu prüfen. Viele Gespräche waren dazu notwendig. Ich habe bewußt darauf gedrungen, daß dabei eine möglichst große Bandbreite derer, die am Tierschutz interessiert sind, in die Beratungen eingebunden wird.Wenn wir auch längst nicht allen Wünschen gerecht werden konnten, so war der persönliche Kontakt doch sicher wertvoll. Ich hoffe, daß besonders die Vertreter des organisierten Tierschutzes den Eindruck gewonnen haben, daß Tierschutzpolitik bei uns eben nicht im Schnellgang durchgepaukt wird.Ich habe es darüber hinaus als angenehm empfunden, daß auch die Mitberichterstatterin, Frau Klappert, für ihre Fraktion die Beratungen sehr sachlich mitgetragen hat. Ich habe natürlich Verständnis dafür, daß sie in vielen Punkten eine andere Position vertreten hat. Dies ist schließlich ureigenes Recht der Opposition.
Ich will nun auf den Änderungsentwurf des Tierschutzgesetzes und die vorliegenden Anträge eingehen. Zunächst zur Tierhaltung: Auch beim höchsten Tierschutzniveau, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen sich die Menschen immer die Tiere nutzbar machen. Deshalb ist gerade die landwirtschaftliche Tierhaltung seit Menschengedenken selbstverständlich und unverzichtbar. Vielfach wird vergessen, daß dadurch eine Vielzahl von Nutztieren überhaupt existiert.Wir führen hier zwar keine Agrardebatte, ein Tierschutzgesetz hat aber doch starke Auswirkungen auf die Tierhaltung in der Landwirtschaft. Ich will dies kurz verdeutlichen: Im Wirtschaftsjahr 1992/93 ist der Produktionswert der deutschen Landwirtschaft um 4,5 Milliarden DM gesunken. Gleichzeitig muß man aber wissen, daß rund 60 % des Produktionswertes der deutschen Landwirtschaft durch die Viehhaltung erbracht werden. Wenn wir immer wieder über Strukturwandel sprechen, so ist es wichtig zu wissen, daß es gerade die kleineren Betriebe sind, für die die Tierhaltung zur Existenzsicherung unabdingbar ist. Deshalb verurteile ich eine allgemeine Verteufelung der landwirtschaftlichen Tierhaltung, die in der Regel auf mangelnde Sachkenntnis zurückzuführen ist.Wenn hier in einem Antrag von „tierquälerischer Intensivhaltung" gesprochen wird, so verweise ich nachdrücklich auf eine Verlautbarung unseres Kollegen Rudi Müller von der SPD vom Januar des Jahres 1992. Er empfiehlt dort eindringlich, mit so „unbestimmten und emotional belasteten Begriffen" sehr vorsichtig zu sein. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.Bei weitergehenden Forderungen wird immer vergessen, daß jeder Schritt zu mehr Tierschutz auf europäischer Ebene abgestimmt werden muß. Unsere Landwirte müssen sich dem EU-Wettbewerb stellen. Nationale Alleingänge bedeuten unweigerlich eine Wettbewerbsverzerrung und Einkommenseinbußen. Bei unseren europäischen Nachbarn wird Tierhaltung weniger tierschutzgerecht betrieben als bei uns in Deutschland. Größere Differenzen in den betriebs-
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Meinolf Michelswirtschaftlichen Voraussetzungen würden aber nur den weiteren Rückgang der Viehhaltung bei uns und damit eine Verschlechterung des Tierschutzes insgesamt bedeuten.Zur Tierhaltung kommt, meine Damen und Herren, natürlich der Tiertransport. Mit Empörung stelle ich fest, daß auch heute noch in Deutschland Fernsehaufnahmen von Tiertransporten gemacht werden können, die eine brutale Behandlung der Tiere dokumentieren. Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß auf diesem Gebiet nach wie vor dringend ein enger gefaßter Regelungsbedarf besteht. Dies haben wir bereits in unserem gemeinsamen Antrag von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD im November 1992 öffentlich dokumentiert. Seitdem waren auf nationaler Ebene Fortschritte festzustellen. Ich begrüße in diesem Zusammenhang die verschärften Kontrollen der Tiertransporte durch die Bundesländer,
fordere sie aber gleichzeitig wegen der immer wieder festzustellenden Mißstände auf, diese Maßnahmen zu intensivieren.Positiv zu bewerten sind die Eigeninitiativen großer Schlachtunternehmen und der Tiertransporteure. Bekanntlich ist der Schlachtviehtransport im wesentlichen ein europäisches Problem. Bisher haben besonders am Schlachtviehtransport interessierte europäische Nachbarn leider wirksame Tierschutzregelungen blockiert. Die Europäische Kommission hat immer noch nicht die im Zuge der entsprechenden europäischen Richtlinie fällige Verordnung für die Regelung von Tiertransporten vorgelegt.Wir haben im Tierschutzgesetz dem Landwirtschaftsminister das Recht auf eine entsprechende Verordnung eingeräumt. Wir sind, wie Minister Borchert, das Warten auf die Kommission endgültig leid und begrüßen es, daß er jetzt den Entwurf für eine Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport vorgelegt hat.
Ich begrüße es ausdrücklich, daß dort eine zeitliche Begrenzung der Schlachtviehtransporte vom Verladen bis zum Erreichen des Schlachthofes auf acht Stunden vorgesehen ist. Die Vorschriften über die Anforderungen an Transportmittel, die Dokumentation des Transportes und die Sachkunde der beteiligten Personen sind ebenso konsequent. Natürlich darf man nicht übersehen, daß mit dieser Verordnung neben dem Transport von Nutztieren auch der Transport aller anderen Tiere ausführlich extra geregelt wird.Wenn Tiere zum Nutzen des Menschen getötet werden müssen, ist es selbstverständlich, daß dies ohne unnötige Schmerzen und Leiden für die Tiere geschieht. Dies gilt für den Schlachtvorgang selbst, ebenso aber auch für den Transport zum Schlachthof. Aus diesen Gründen ist es mir ein persönliches Anliegen gewesen, den Tierschutz in den Schlachtbetrieben im Gesetz zu verankern. Ich halte es für unbedingt notwendig, daß ab 50 Großvieheinheiten Schlachtkapazität jeweils ein weisungsbefugter Verantwortlicher für die Kontrolle der Einhaltung der Tierschutzvorschriften benannt wird. Es geht hier nicht darum, daß zusätzliches Personal und bürokratischer Aufwand notwendig werden, sondern der Verantwortliche soll jeweils aus dem vorhandenen Personalbestand benannt werden. Es fallen somit keine Mehrkosten an.Tierversuche sind zweifellos das sensibelste Thema überhaupt. In den Beratungen wurde heftig an zwei Enden gezogen: Die Tierschutzseite war für eine strikte Verschärfung aller Bestimmungen, die Wissenschaft für eine Lockerung und weniger bürokratischen Aufwand. Der Bundesrat hat hier hauptsächlich Feinregulierungen vorgeschlagen, die auf Erkenntnissen aus der Praxis beruhen.So kann ich verstehen, daß eine Genehmigungsfrist von zwei Wochen für anzeigepflichtige Tierversuche die Behörden in Terminnot bringen kann. Wir haben hier einen Kompromiß gefunden: Für Wirbeltiere gilt künftig ein Monat Frist. Für wirbellose Tiere haben wir eine differenzierte Lösung gefunden: Höher entwickelte wirbellose Tiere müssen nach wie vor spätestens zwei Wochen vor Beginn der zuständigen Behörde angezeigt werden; bei Versuchen mit anderen wirbellosen Tieren entfällt die Anzeigepflicht. Damit ist eine sinnvolle Abstufung erreicht.Auf der anderen Seite verstehe ich aber auch die Sorgen der Forschung, wenn seitens der Behörde bei Anträgen für genehmigungspflichtige Versuche die Entscheidungsfrist von drei Monaten wesentlich überschritten wird. Deshalb dringen wir darauf, daß es hier nicht zu unnötigen Verzögerungen kommt. Die Ausgangslage muß aber klar sein: Die Frist gilt erst ab Vorliegen der kompletten Unterlagen.Dies ist auch wichtig für die Arbeit der beratenden Kommissionen, die — wie ich mich immer wieder überzeugen konnte — hervorragende Arbeit leisten. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, das Tierschutzbewußtsein auf allen Seiten zu schärfen. Sie beweisen auch, daß eine sachliche Zusammenarbeit zwischen Tierschutz und Forschung möglich ist. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitgliedern der Kommissionen, auch im Namen meiner Fraktion, nachdrücklich zu bedanken.Ich will bei den Tierversuchen keinesfalls eine Aufweichung der gesetzlichen Auflagen. Die Forschungspraxis hat aber gezeigt, daß die jetzigen Bestimmungen nicht flexibel genug im Sinne des Tierschutzes sind. Oft werden Änderungen der Versuchsanstellung notwendig. Dann muß der Versuch abgebrochen und neu konzipiert wieder beantragt werden. Dies kann auch im Hinblick auf die Zahl der Versuchstiere nicht sinnvoll sein. Wir sehen deshalb vor, daß Änderungen künftig ohne neues Genehmigungsverfahren durchgeführt werden können, wenn erstens der Zweck des Versuchsvorhabens beibehalten wird, zweitens bei den Versuchstieren keine stärkeren Schmerzen, Leiden oder Schäden entstehen, drittens die Zahl der Versuchstiere nicht wesentlich erhöht wird und viertens diese Änderungen vorher der zuständigen Behörde angezeigt worden sind.
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Meinolf MichelsIn diesem Zusammenhang muß ich auf einen weiteren Punkt eingehen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
— Aber die nächste Kollegin von eurer Fraktion will auch noch ihre Redezeit haben, lieber Ernst.
Dann lassen Sie mich zum Schluß kommen und ein Wort des Dankes all den Mitarbeitern aus der Regierung sagen, die über lange Monate sehr intensiv an diesem neuen Gesetz mitgearbeitet haben. Ansonsten wären wir mit Sicherheit heute nicht zu einem solchen Ergebnis gekommen. Im Interesse des Schutzes der Tiere möchte ich Sie alle bitten, sich — auch ohne durch ein Gesetz ausdrücklich dazu angehalten zu sein — so um die Tiere zu kümmern, wie Sie es sich für Ihr eigenes Haustier wünschen.
Schönen Dank.
Das ist hier kein Zuchtmeisterjob. Aber die zweite Kollegin der CDU/CSUFraktion hat jetzt eine Minute weniger. Sie hätte ohnehin nur fünf Minuten.
— Du schon, aber die Kollegin nicht.
Ich erteile der Kollegin Marianne Klappert das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Für viele, viele Bundesbürger und längst nicht nur für die Gruppe der organisierten Tierschützer ist die Gretchenfrage, die sie an die Politik stellen: Was macht ihr mit dem Tierschutz?Es ist unbestreitbar, daß sich die Politik mit dem Tierschutz schwertut. Ich verkenne nicht die objektiven Schwierigkeiten, die mit dieser Novellierung verbunden waren. Der Druck von außen mit teilweise diametral entgegengesetzten Intentionen, die emotionale Diskussion, unrealistische Wünsche, unbegründete Befürchtungen — das alles macht eine sachgerechte Beratung dieses Themas nicht sehr leicht.Deshalb bewerte ich es zunächst als positiv, daß in den entsprechenden Arbeitsgruppen, Ausschüssen und Berichterstattergesprächen trotz teilweise erheblicher Differenzen in den Ausgangspositionen sachlich und rational argumentiert und diskutiert worden ist. Dafür sage ich meinen Kollegen und Kolleginnen und an dieser Stelle ganz besonders Herrn Michels herzlichen Dank.
Ebenso herzlich danken muß ich aber auch den Mitarbeitern in den Ausschüssen und in den beteiligten Ministerien, die oft buchstäblich über Nacht neue Vorlagen schreiben und neue Synopsen zusammenstellen mußten.In der Sache bleiben trotz intensiver Beratungen zwischen den Koalitionsparteien und der SPD schwerwiegende Differenzen, die wir in unserem Änderungsantrag noch einmal deutlich gemacht haben. Bevor ich dazu im einzelnen Stellung nehme, gestatten Sie mir ein paar grundsätzliche Bemerkungen.Dieser Gesetzentwurf wird zum falschen Zeitpunkt zur Abstimmung gestellt. Solange nämlich der Tierschutz ohne verfassungsrechtliche Absicherung ist, bleiben zahlreiche Regelungen im alten wie im neuen Gesetz Makulatur. Die jüngst ergangenen Urteile bzw. Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes und des Berliner Verwaltungsgerichtes im Hinblick auf Tierversuche bestätigen das eindrucksvoll.Es mag durchaus sein, daß die Unterbewertung des Tierschutzes gegenüber vorbehaltlos gewährten Grundrechten ein nicht ungern gesehenes und genutztes Instrument ist, dem Tierschutzgesetz seinen ohnehin nur sehr bescheidenen Stachel zu ziehen. Aber wenn das so gewollt ist, wenn man dem Tierschutzgesetz die nötige Unterfütterung im Grundgesetz verweigern will, dann soll man das auch offen sagen. Dann soll man sagen, daß man mehr Tierschutz einfach nicht will — aus welchen Gründen auch immer —, und nicht nur quasi symbolische Politik machen.
Ich gehe zu Ihren Gunsten einmal davon aus, daß Sie das nicht wollen. Dann aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, widersetzen Sie sich nicht länger einem Staatsziel „Tierschutz"! Wir führen hier und heute zwar keine Verfassungsdebatte, solange wir dieses Fundament aber nicht gelegt haben, bleibt das Tierschutzgesetz ein statisch völlig ungesichertes, bröckelndes Bauwerk.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das, was heute als Beschlußempfehlung zur Abstimmung vorgelegt wird, erfüllt nicht die großen Erwartungen, die an die Novellierung geknüpft worden sind. Der Versuch, allen wohl und niemandem weh zu tun, hat zu einem Hindernislauf auf Zehenspitzen geführt, um nur ja niemandem auf die Füße zu treten. Was von den gut begründeten Vorschlägen des Bundesrates nach den Ausschußberatungen noch übriggeblieben ist, ist nicht einmal ein Bruchteil des eigentlichen Novellierungsbedarfes.Den Versuch der SPD-Bundestagsfraktion, ein bißchen noch davon zu retten, haben Sie gestern im Ernährungsausschuß zunichte gemacht. Deshalb wird meine Fraktion die Beschlußempfehlung als völlig unzureichend ablehnen. Lassen Sie mich kurz skizzie-
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19746 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Marianne Klappertren, welche Einzelgründe dafür ausschlaggebend sind.Zunächst einmal halten wir in § 1 den Ersatz des „vernünftigen Grundes" durch den Begriff „rechtfertigender Grund" für unumgänglich.
Der Begriff „vernünftig" ist viel zu schwach und viel zu wenig klar definierbar. So kann z. B. auch ein rein ästhetischer Grund vernünftig sein; damit bliebe das Kupieren von Hunderuten mit dem Gesetz vereinbar. Es ist aber nicht einzusehen, daß aus rein ästhetischen Gründen so schwerwiegende Eingriffe wie die Amputation von Körperteilen weiterhin erlaubt sein sollen.
Mit dem Begriff „rechtfertigender Grund" würde der Zwang zu einer gründlicheren Abwägung zwischen den Interessen des Tieres und denen des Tiernutzers erheblich verstärkt und damit ein wesentlicher Beitrag zu mehr Tierschutz geleistet. Dazu, denke ich, sollten Sie eigentlich ja sagen können.Leider, liebe Kollegen und Kolleginnen, sind in der öffentlichen Diskussion neben dem Bereich der Tierversuche andere, ebenso wichtige Tierschutzbereiche etwas in den Hintergrund geraten. Ich nenne nur die Stichworte Tierhaltung und Tiertransporte. Was sich in der industrialisierten Tierhaltung abspielt, läßt sich mit einem ethischen Tierschutz wahrlich nicht mehr in Einklang bringen.
Es ist einer Kulturnation absolut unwürdig, durchgreifende Änderungen in diesem Bereich aus vorwiegend wirtschaftlichen Gründen immer wieder abzulehnen.Selbst die Minimalforderung nach der Möglichkeit für die Tiere zu artgemäßem Verhalten ist am Widerstand der Regierungskoalition gescheitert. Warum Sie aber nicht einmal der Zulassungspflicht für serienmäßig hergestellte Haltungssysteme ihre Zustimmung geben wollen, bleibt mir unbegreiflich.Nach wie vor äußerst unbefriedigend sind aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion auch die Ausnahmen von der Betäubungspflicht bei Eingriffen an Tieren. Solange nicht einwandfrei erwiesen ist, daß Amputationen von Körperteilen tatsächlich schmerzfrei sind und damit ohne Betäubung durchgeführt werden können, müssen sie nach unserer Auffassung unter Betäubung durchgeführt werden. Aus wirtschaftlichen Gründen eine Betäubung zu unterlassen ist ethisch nicht vertretbar.
Deshalb fordern wir in unserem Änderungsantrag die Abschaffung der Ausnahmen von der Betäubungspflicht.Darüber hinaus mag das Entfernen von Körperteilen in dem einen oder anderen Fall gerechtfertigt sein. Aus Sicht des Tierschutzes ist es aber ganz sicher nicht zu rechtfertigen, Tiere zu bestimmten Nutzungszwekken oder gar zur Erlangung eines bestimmten Rassestandards prophylaktisch zu amputieren. Die entsprechenden Absätze in § 6 sollten deshalb nach unserer Ansicht ersatzlos gestrichen werden.
Ich will aber auch Erfreuliches sagen: Daß es endlich zu konkreten und hoffentlich durchgreifenden Verbesserungen im Bereich der Tiertransporte, ganz besonders im Bereich der Schlachttiertransporte, kommt, ist eine gute Nachricht.
— Niedersachsen auch.Ich sage mit einer gewissen Genugtuung, daß es die SPD-Bundestagsfraktion war, die dazu einen Antrag vorgelegt hat, der offensichtlich konsensfähig ist, obwohl er weitreichende Bestimmungen zum Inhalt hat.Wenn nun darüber Einigkeit besteht — immerhin ist dieser Antrag im Ernährungsausschuß einstimmig angenommen worden —, dann frage ich mich allerdings, warum nicht Nägel mit Köpfen gemacht und die entsprechenden Forderungen daraus ins Gesetz geschrieben werden. Ich weiß, daß Sie jetzt darauf hinweisen wollen, daß die Bundesregierung demnächst eine nationale Verordnung vorlegen wird, die zu besseren Transportbedingungen führen soll. Das wird auch dankbar anerkannt, und wir harren ihrer in Geduld. Aber hätte denn die Aufnahme der Forderung nach einer Transportzeitbegrenzung, nach Anforderungen an die Beschaffenheit der Transportfahrzeuge, nach einem Sachkundenachweis für Transporteure, einer Drittstaatenregelung usw. ins Gesetz der Verordnung geschadet? Im Gegenteil, ich meine, das wäre eine gute rechtliche Stütze der entsprechenden Verordnung gewesen.
Besonders brisant ist in der Tierschutzgesetzgebung sicherlich der Bereich der Tierversuchsregelungen. Kaum ein anderes Thema führt zu so erbitterten Auseinandersetzungen in der öffentlichen Diskussion. Hinter der immer wieder erhobenen Forderung nach einem gänzlichen Verzicht auf Tierversuche verbirgt sich neben dem Mitleid mit der geschundenen Kreatur und dem Bewußtsein der Verantwortung des Menschen für das Mitlebewesen Tier wohl auch ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft.
Die Frage nach der Verantwortbarkeit von Wissenschaft allgemein und bestimmter Forschungen im besonderen ist nun wahrlich keine neue Frage. Aber sie gewinnt im Bereich der Tierversuche dadurch an Bedeutung, daß der Erkenntnisgewinn nicht auf einer eher abstrakten gedanklichen oder auf einer technischen Ebene erreicht werden soll und kann, sondern nur unter Verwendung von Lebewesen, die bei den Menschen eine besondere Sensibilität auslösen.Deswegen wird es von seiten der Tierschützer sicherlich vehemente Kritik daran geben, daß die SPD ihre Forderung von 1986 nach einem grundsätzlichen Verbot von Tierversuchen nicht aufrechterhält. Sie hat aber nicht aus Opportunismus davon Abschied genommen. Sie hat das vielmehr deshalb getan, weil
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Marianne Klappertdie Forderung nach einem grundsätzlichen Verzicht auf Tierversuche zwar berechtigt, aber irreal ist. Berechtigt ist diese Forderung deshalb, weil man nur mit dem Unmöglichen als Ziel zum Möglichen kommt. Irreal ist diese Forderung deshalb, weil sie noch nicht durchsetzbar ist.
Sie ist noch nicht durchsetzbar, weil einerseits zahlreiche gesetzliche Vorschriften den Tierversuch vorschreiben und weil andererseits noch nicht genügend Ersatzmethoden entwickelt wurden und validiert sind, um daran die vorgeschriebenen Toxizitätsprüfungen mit der gleichen Sicherheit vornehmen zu können.Die Forderung nach einem grundsätzlichen Verzicht auf Tierversuche ist aber auch deshalb noch nicht durchsetzbar, weil man damit unzählige, bislang unheilbar kranke Menschen, die Hilfe auch aus Tierversuchen erwarten, in die Hoffnungslosigkeit entlassen würde.
Der Hinweis darauf, daß viele dieser Krankheiten der Preis unserer Zivilisation seien und wir deshalb unsere Lebensgewohnheiten ändern müßten, ist sicher berechtigt, begründet aber nicht den Verzicht auf Hilfe für diejenigen, die jetzt an diesen Krankheiten leiden.Wenn aber die Situation so ist, daß auf Tierversuche noch nicht verzichtet werden kann, muß dennoch an dem Ziel festgehalten werden, unverantwortliche und quälende Tierversuche zu verbieten und insgesamt noch mehr als bisher zur Erforschung und Einführung von Ersatzmethoden zu tun.Vor diesem Hintergrund erneuert die SPD ihre Forderung nach einem Verbot von Tierversuchen in der wehrmedizinischen Forschung und zur Erprobung jeglicher Kosmetika. Letzterem hat der Ausschuß ja zugestimmt. Sie fordert in ihrem Ergänzungsantrag, jedem Tierversuch die Prüfung des Vorhandenseins und der Anwendbarkeit von Alternativmethoden vorzuschalten. Damit könnte nach unserer Auffassung die Entwicklung von Ersatzmethoden beschleunigt und schon im Vorfeld eine Vielzahl von Tierversuchen vermieden werden.Ohne Zweifel haben die strengen Einschränkungen durch das Tierschutzgesetz in den letzten Jahren aber auch einen Innovationseffekt gehabt. Diesen Innovationseffekt gilt es zu verstärken. Die Tatsache, daß auf Tierversuche noch nicht verzichtet werden kann, rechtfertigt auf keinen Fall den Versuch, hinter Bestimmungen des jetzt geltenden Tierschutzgesetzes zurückzugehen. Die Absicht, unter dem fragwürdigen Stichwort „Entbürokratisierung " Aufweichungen der bestehenden Rechtslage einzuleiten, trifft auf den entschiedenen Widerstand der SPD. Die sogenannten finalen Versuche aus der Genehmigungspflicht herauszunehmen und nur noch der Anzeigepflicht zu unterwerfen ist ein Versuch, den die SPD nicht mitmacht,
ebenso die Absicht, Änderungen im Versuchsablauf nur noch anzeigepflichtig zu machen. Mit uns nicht!Ausdrücklich begrüßt wird von der SPD aber die Ausdehnung der Verpflichtung zu statistischen Angaben über die verwendeten Wirbeltiere auf weitere tierschutzrelevante Bereiche der Wirtschaft, Forschung, Lehre und biomedizinischen Produktion. Aber diese und andere marginale Verbesserungen reichen nicht aus, uns zu einer Zustimmung zur Beschlußempfehlung zu veranlassen.Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte noch einmal an Sie appellieren, unserem Änderungsantrag, wie er heute vorliegt, zuzustimmen; denn nur dadurch ist eine tatsächliche Verbesserung des Tierschutzes in Deutschland möglich.Danke schön.
Frau Kollegin Bärbel Sothmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Tierschutz betrifft ganz wesentlich auch die Bereiche Forschung und Wissenschaft, die ich heute hier vertrete. So sehr Ersatzmethoden für Tierversuche vom Staat gefördert werden und zunehmend zum Einsatz kommen, sie können weder jetzt noch in naher Zukunft nach Aussage der Wissenschaft Versuche am gesamten Organismus, am Tier ersetzen.Vergessen wir bei dieser sehr emotional geführten Diskussion doch nicht, worum es in der Forschung eigentlich geht. Frau Klappert hat das schon kurz angerissen. Es geht darum, zum Wohle der Menschen Arzneien, Hilfsmittel und Verfahren im Tierversuch zu testen. Das schreiben die bestehenden Gesetze sogar ausdrücklich vor. Es muß an dieser Stelle auch einmal ganz klar gesagt werden: Auch Wissenschaftler sind Tierschützer und dürfen nicht von vornherein als kleine Frankensteins hingestellt werden.
Meine Damen und Herren, die bisherigen Bestimmungen im Tierschutzgesetz zum Schutz der Versuchstiere sind vollkommen ausreichend. Im übrigen werden nur 0,2 % aller für den menschlichen Bedarf getöteten Tiere für Versuche verwendet. Alle anderen werden ganz schlicht und einfach aufgegessen.Mehr Bürokratie führt nicht zu mehr Tierschutz. Mehr Bürokratie verhindert dagegen aber erheblich die deutsche Forschung und Wissenschaft. Sie benachteiligt den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb. In einem gemeinsamen Appell haben Wissenschaftler und technische Mitarbeiter aller namhafen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Forschungsunternehmen im Lande eindringlich vor den Gefahren, die mit einer Erschwerung von Tierversuchen für den deutschen Forschungs- und Wirtschaftsstandort verbunden sind, gewarnt. Zu diesen Unterzeichnern gehören allein vier Nobelpreisträger, 25 Tierschutzbeauftragte, 44 wissenschaftliche
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Bärbel SothmannFachgesellschaften im Namen von 93 000 Mitgliedern und weitere.Meine Damen und Herren, als malmendes Beispiel sollten wir uns die zähe Diskussion um die Novellierung des Gentechnikgesetzes vor Augen halten, die als Konsequenz die Abwanderung der gentechnologischen Forschung, Entwicklung und Produktion aus Deutschland zur Folge hatte. Auch hier kann man nur sagen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Denn Triebfeder des Wettbewerbs ist die Zeit. An einer solchen Demonstration wie diesem Appell der deutschen Wissenschaftler kann man nicht einfach vorbeigehen, wie es die SPD teilweise tut.Gestützt auf diesen Appell, fordern die Forschungspolitiker der Koalitionsfraktionen deshalb, alle Regelungen im Tierschutzgesetz zu streichen, die den bürokratischen Aufwand von Forschung und Entwicklung erhöhen, ohne dem Tierschutz zu nutzen. Die vom Bundesrat eingebrachten Novellierungsvorschläge, meine Damen und Herren, waren da durchaus nicht hilfreich.In einem intensiven Dialog der Berichterstatter haben wir für die Forschung sehr Nachteiliges verhindert und teilweise sogar einen Abbau der bürokratischen Hemmnisse erreicht, ohne dabei den Tierschutz in Frage zu stellen. Ich muß Ihnen sagen: Für diese gute Kooperation möchte ich mich insbesondere bei Ihnen, Herr Michels, und bei den Mitarbeitern der Ministerien ganz, ganz herzlich bedanken.
Meine Damen und Herren, es bedeutet z. B. eine große Erleichterung für die Forschung — Herr Michels hat es bereits dargestellt —, daß zukünftig nachträgliche geringfügige Änderungen im Versuchsablauf von bereits genehmigten Versuchen nicht mehr genehmigungspflichtig, sondern nur noch anzeigepflichtig sind. Das gleiche gilt für Finalversuche; und dazu zählen heute schätzungsweise rund 30 % aller Tierversuche.Auch die Arbeit mit ausländischen Gastwissenschaftlern und die Durchführung von interdisziplinären und internationalen Forschungsprojekten werden künftig vereinfacht. Dies wirkt sich wieder positiv auf unsere Wettbewerbsfähigkeit aus.Ein weiteres wesentliches Ergebnis ist, daß die Anzeigepflicht für die Tierversuche mit Wirbellosen — und dazu zählen eben Fruchtfliegen, Pantoffeltierchen und Würmer —
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider schon ein gutes Stück überschritten.
— bis auf bestimmte Ausnahmen und in Einklang mit dem geltenden EU-Recht aufgehoben wird.
Es tut mir leid, daß wir für Forschung und Entwicklung nur so wenig Zeit haben.
Ich bedanke mich.
Herr Kollege Günther Bredehorn, ich bedanke mich für Ihre chevalereske Reaktion darauf, daß ich Ihnen die Frau Kollegin Sothmann vorgezogen habe. Sie haben das Wort.
Herr Präsident, auch Präsidenten sind nur Menschen. Dafür habe ich durchaus Verständnis.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in Deutschland viele Menschen, denen der Tierschutz ein besonderes, hohes Anliegen ist. Nach vielfältigen Beratungen und einer ausführlichen Anhörung zu den Änderungsvorschlägen kann ich heute sagen: Diesem ausgeprägten Tierschutzbewußtsein tragen wir mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes Rechnung. Der Tierschutz wird mit dieser Novellierung weiter verbessert.Wir haben ausgewogene und praktikable Änderungen am Tierschutzgesetz vorgenommen, ohne seine tragenden Grundsätze zu verändern. Das heißt, die Bedürfnisse des Menschen bleiben berücksichtigt; die Praktikabilität der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung bleibt gewährleistet; es werden Maßnahmen eingeleitet, um Mißstände bei den Tiertransporten noch gezielter zu beseitigen.Ein Schwerpunkt der tierschutzpolitischen Debatte sind die Tierversuche. Der Dritte Tierschutzbericht der Bundesregierung, der uns im Januar 1993 vorlag, bestätigte die Tendenz, die schon im Zweiten Tierschutzbericht des Jahres 1991 erkennbar war. Erfreulicherweise geht die Zahl der benötigten Versuchstiere kontinuierlich zurück.Wegen der statistischen Vergleichbarkeit, bezogen auf die Gesamtheit der alten Bundesländer, sieht die Zahlenreihe folgendermaßen aus: 1989 waren es 2,64 Millionen verwendete Versuchstiere, 1990 waren es 2,37 Millionen Tiere und im Jahre 1991 noch 2,11 Millionen Versuchstiere. 82 % der Versuchstiere waren Nager, also im wesentlichen Ratten und Mäuse. Der Trend des Rückgangs beim Verbrauch von Versuchstieren war erfreulicherweise bei Katzen und Hunden besonders ausgeprägt.Diese hier kurz skizzierte Entwicklung bei der Anzahl der Tierversuche und den verwendeten Versuchstieren erlaubt mir folgende Schlußfolgerung: Auch ohne die Novellierung des Tierschutzgesetzes waren wir schon auf dem richtigen Weg einer nachhaltigen Reduzierung der Tierversuche.
Mit der Novelle wollen wir jetzt durch den Abbau einiger bürokratischer Vorschriften bei den Tierversuchen die Anzahl der verwendeten Versuchstiere noch weiter senken.Hinzu kommt, daß die Alternativmethoden weiter vorangetrieben werden müssen. Sparsamer und restriktiver Umgang mit Versuchstieren und die Fortentwicklung von Alternativmethoden bleiben eine tierschutzpolitische Daueraufgabe.Dennoch dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, daß wir in Zukunft ohne Tierversuche auskommen können. Die Statistiken der Bundesregierung zeigen, daß das Schwergewicht bei der Verwendung von Versuchstieren im Bereich der Entwicklung und der
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Günther BredehornPrüfung von Arzneimitteln nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes liegt. Mehr als die Hälfte der Versuchstiere wurden im Jahre 1991 hierfür verwendet.Unsere Ansprüche an immer bessere, sicherere Arzneimittel gründen sich auf die Hoffnung, daß die biomedizinische Forschung die entsprechenden Fortschritte erzielt. Ein Minimum an Tierversuchen wird daher unerläßlich bleiben, um der schweren Krankheiten — ich erinnere z. B. an die Aidsproblematik —, die die Menschen ja weiterhin bedrohen, Herr zu werden.Allerdings sollte die Bundesregierung auch einmal überprüfen, ob die in den einschlägigen Gesetzen — wie Arzneimittelgesetz, Pflanzenschutzgesetz usw. — vorgeschriebenen Tierversuche reduziert werden können.
Das Thema Tiertransporte, besonders das der Schlachttiertransporte, ist zu einem hochemotionalen Thema geworden, weil es immer wieder zu schlimmen Mißständen kommt, die der Bevölkerung zu Recht an den Nerv gehen. Es gibt bereits jetzt viele Vorschriften, die eigentlich Mißstände verhindern müßten. Trotzdem gelingt es nicht. Wir müssen also die Durchsetzung der Vorschriften energisch vorantreiben, d. h. die Kontrollen intensivieren und die Vorschriften noch wirksamer gestalten.
— Die Länder müssen das machen, völlig richtig, Herr Kollege. Es ist zivilisierter Staaten unwürdig, sich immer wieder diese grauenerregenden Bilder anschauen zu müssen.
Seit geraumer Zeit fordert die F.D.P. hier Verbesserungen und setzt sich dafür ein.Bundeslandwirtschaftsminister Borchert hat jetzt eine umfassende Tierschutztransportverordnung vorgelegt. Darin wird die auch von uns geforderte zeitliche Begrenzung für die Transportdauer von Schlachttieren auf acht Stunden festgeschrieben. Hinzu kommen Vorschriften über Ladedichte, Fütterungs- und Tränkeintervalle, Ruhepausen, der Sachkundenachweis für gewerbliche Transporte und ein kontrollierbarer Transportplan.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oostergetelo?
Ja, gern.
Herr Kollege, weil Sie den Punkt Tiertransporte ansprachen, frage ich Sie: Ist es nicht notwendig, daß wir nicht nur vom Tierschutz in puncto Transport reden, sondern endlich auch etwas unternehmen, daß die Konzentration der Schlachthöfe nicht noch weiter voranschreitet, so daß praktisch alle Schlachttiere gezwungenermaßen bis zu 100 km oder was weiß ich, wie weit, gefahren werden müssen, auch mit dem Nachteil, daß die Bauern nur die Möglichkeit haben, an diesem Hof abzuliefern, ohne beeinflussen zu können, welchen Preis sie bekommen? Ist es nicht unglaubwürdig, sich zu Recht gegen Tiertransporte einzusetzen, wenn man gleichzeitig dafür sorgt, daß der Transport sein muß, weil man die Tiere sonst nicht mehr geschlachtet kriegt?
Also, lieber Herr Kollege, es gibt hier in diesem Wirtschaftsbereich bei Schlachthöfen Entwicklungen, die von uns sehr kritisch und aufmerksam verfolgt werden müssen. Trotzdem müssen wir feststellen — da haben Sie vollkommen recht —, daß hier eine gewisse Konzentration festzustellen ist.
Aber ich meine, nach den bisherigen Entwicklungen hier ist es noch möglich, in jedem Bundesland einigermaßen vernünftig und auch innerhalb dieser acht Stunden -- mitunter sogar sehr viel eher — zu einem Schlachthof zu kommen. Von daher, meine ich, ist das nicht das entscheidende Problem, sondern bei den Transporten quer durch Europa und nach Übersee treten ja diese wirklich erbärmlichen und schlimmen Zustände auf, wie wir sie leider Gottes dann im Fernsehen erleben müssen. Dagegen müssen wir wirklich ernsthaft etwas tun.Ich habe ja schon einmal gesagt: Man müßte vielleicht auch einmal in der EU überprüfen, ob für solche Tiere, die schon verendet oder mit gebrochenen Knochen, mit gebrochenen Beinen usw. ankommen, einfach keine Erstattung mehr stattfindet. Dann würde das nämlich endlich mal beendet werden, weil es nicht mehr so lukrativ wäre.
— Ich habe ja ganz deutlich gesagt, Herr Kollege, daß wir diese Entwicklung im Auge behalten müssen.Die F.D.P. begrüßt ganz ausdrücklich die Initiative von Bundeslandwirtschaftsminister Borchert und f ordert gleichzeitig, daß die EU-Kommission diese Verordnung umgehend genehmigt und ihrerseits für entsprechende und einheitliche Tierschutztransportregelungen in ganz Europa Sorge trägt. Neben dem Schutz der Tiere in ganz Europa gilt es auch, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu vermeiden.Meine Damen und Herren, die vorliegende Tierschutznovelle wahrt die Praktikabilität der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Ich möchte einige Beispiele nennen.Entgegen der Auffassung des Bundesrates sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß der sogenannte Kuhtrainer, richtig angewendet, mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Die jetzt gefundene Formulierung stellt sicher, daß an den Grundsätzen des Tierschutzgesetzes nicht gerüttelt, die praktische Landwirtschaft jedoch in die Lage versetzt wird, mit diesem Gerät weiter zu arbeiten.Jeder Landwirt kann künftig die Eckzähne seiner Ferkel abschleifen. Es gibt inzwischen geeignete Zahnschleifgeräte. Da das Abkneifen der Ferkelzähne zum Schutz der Sauen ohne tierärztliche Indi-
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Günther Bredehornkation grundsätzlich verboten ist, ist die Zulässigkeit des Abschleifens ohne Betäubung ein praktischer und tierschutzgerechter Fortschritt.Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, serienmäßig hergestellte Haltungssysteme für landwirtschaftliche Nutztiere einer Zulassungspflicht zu unterwerfen. Wir haben uns hier der Haltung der Bundesregierung angeschlossen, die dies aus guten Gründen abgelehnt hat. Neben EU-rechtlichen Bedenken und Abgrenzungsproblemen hat uns der mit einer Zulassungspflicht verbundene große bürokratische Aufwand abgeschreckt. Wir setzen dafür auf freiwillige Prüfverfahren, wie sie für landwirtschaftliche Maschinen und auch Stalleinrichtungen schon bisher von den Selbsthilfeorganisationen, z. B. DLG oder KTBL, durchgeführt werden und durchaus auch erfolgreich sind. Ich halte dies jedenfalls für praktikabler und erfolgversprechender.Jenseits der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben wir uns im Grundsatz für eine Beibehaltung der sogenannten Teletaktgeräte für die Hundeausbildung geeinigt. Wir wollen, daß die Bundesregierung dies im Zusammenhang mit der Neufassung der Hundehaltungsverordnung regelt und die Anwendung dieser Geräte auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, bei dem man davon ausgehen kann, daß er in der Lage ist, ordnungsgemäß und tierschutzgerecht mit diesem Gerät umzugehen.Nun noch einige Gedanken zu Grundgesetz und Tierschutzpolitik: Die Debatte über die Aufnahme des Tierschutzgedankens in das Grundgesetz ist noch nicht abgeschlossen. Ich möchte hier für die F.D.P.Bundestagsfraktion noch einmal ganz deutlich erklären, daß wir davon überzeugt sind, daß Tiere in unserer Lebensumwelt auch des besonderen Grundgesetzschutzes bedürfen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion würde daher folgender Formulierung zustimmen:Tiere werden im Rahmen der geltenden Gesetze vor vermeidbaren Leiden und Schäden geschützt.
Wir sollten ferner einmal ernsthaft überlegen, ob wir nicht eine Gesetzesänderung im Zusammenhang mit der Tierseuchenbekämpfung und dem Tierschutz brauchen. Wir haben das ja gerade vor einigen Stunden hier vor dem Bundestag wieder erlebt. Ich meine die akute Schweinepest in Niedersachsen, zu deren erfolgreicher Bekämpfung das Land Niedersachsen offenbar nicht in der Lage ist.
Wir sollten jedoch wirklich einmal ernsthaft prüfen, ob es nicht eventuell doch durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu mehr Bundeskompetenz bei der Bekämpfung von Tierseuchen kommen muß. Deutschland als zentrales Transitland kann sich nicht länger uneinheitliche Veterinärregelungen in den einzelnen Bundesländern leisten. Mehr Bundeskompetenz würde unsere Stellung bei der Tierseuchenbekämpfung in Europa verbessern und zudem auch mehr Tierschutz bedeuten.Abschließend möchte ich feststellen: Die Novellierung unseres bewährten Tierschutzgesetzes wird den Tierschutz noch weiter verbessern. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aber auch bei den Mitarbeitern des Bundeslandwirtschaftsministeriums für ihre engagierte und sachkundige Arbeit.Tierschutz ist aber nicht nur Sache der Politik und des Gesetzgebers. Hier kann und sollte jeder einzelne seinen Beitrag leisten, eine Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf wahrnehmen und dessen Leben und Wohlbefinden schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Kollege Fritz Schumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tierschutz ist sicherlich eines der sensibelsten Themen, die den landwirtschaftlichen Bereich betreffen, und ich möchte in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Diskussionszeit auch vorrangig über die landwirtschaftliche Problematik sprechen.Der einstimmig im Ausschuß gefaßte Beschluß zu Tiertransporten muß nunmehr schnell umgesetzt werden, weil die Überwindung der skandalösen Verhältnisse bei Lebendtiertransporten bei engem Zusammenwirken aller Verantwortlichen und einem festen Willen zur Veränderung schnell möglich ist. Es ist ja heute die entsprechende Verordnung des Landwirtschaftsministers angekündigt worden.Allerdings warne ich vor der Illusion, daß damit alles Mögliche getan wäre, daß damit die Probleme vom Tisch wären. Das wird so lange nicht der Fall sein, wie die europäische Agrarpolitik nicht ernsthaft die Weichen für Rahmenbedingungen stellt, die Transporte von Tieren, überhaupt Transporte kreuz und quer durch Europa, zu einer ökonomisch unsinnigen Angelegenheit werden lassen.Es sind Maßnahmen notwendig, die einen Schutz der Regionalökonomie vor allem durch eine drastische Verteuerung der Transporte gewährleisten. Das läge nicht allein im Interesse des Tierschutzes, sondern ist vor allem eine Grundbedingung zum Erhalt der Landwirtschaft in jeder Region, auch in benachteiligten Regionen, zum Erhalt von Arbeit im ländlichen Raum, zur Verringerung der Verkehrs- und Umweltbelastungen usw. Ich danke ausdrücklich Jan Oostergetelo, daß er die Frage hier noch einmal so konkret gestellt hat, was den Schutz oder die weitere Konzentration von Verarbeitungsbetrieben anbelangt.Die von Minister Borchert ausgelöste Diskussion zum Agrarstandort Deutschland muß, wenn sie wirkliche Zukunftslösungen für die Bauern bringen will, das Problem der Regionalisierung weitaus stärker aufgreifen. Daß dem derzeit nicht so ist, hängt mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen Regionalisierung und Liberalisierung zusammen. Das scheint mir einer
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Dr. Fritz Schumann
der größten Mängel in der agrarpolitischen Perspektivdiskussion zu sein.Zweiter sensibler Punkt im Bereich Tierschutz in der Landwirtschaft sind die Amputationen. Ich weiß, daß es viele Menschen gibt, die bei diesem Begriff erschaudern und Schlimmes vermuten. Da aber z. B. niemand in Deutschland Eberfleisch essen will, muß man eben bei den kleinen Ferkeln, wenn sie geboren sind oder unmittelbar danach, die Kastration vornehmen. Ansonsten gäbe es nur noch eine andere Alternative, die ich nicht benennen will, was man mit den männlichen Ferkeln anfangen müßte.Ich glaube, daß die im Gesetz vorgeschlagenen Fristen und Methoden für die Praxis akzeptabel sind und auch zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen dürften.Dritter in der öffentlichen Diskussion sensibler Punkt ist die Haltung von Tieren in Intensivanlagen. Einmal abgesehen davon, daß dieses Wort zunehmend negativ besetzt wird und mit „Massentierhaltung" noch weiter diskreditiert wird, bin ich der Meinung, daß man alleine aus der Intensivhaltung größerer Tierbestände nicht auf die Haltungsbedingungen schließen kann.Es ist heute durchaus Standard, daß gerade in größeren Tierproduktionsanlagen viel mehr für gute Haltungsbedingungen getan wird als in manch kleinem Stall. So sind einerseits der Vorschriften und der stärkeren Kontrolle wegen Platzbedarf, Klimatisierung, Bewegungsmöglichkeiten zum Teil besser, andererseits gibt es inzwischen Erkenntnisse, daß gute Haltungsbedingungen auch eine effiziente Haltung bedeuten. Echte und richtige Landwirte haben übrigens ihre Tiere immer als Mitgeschöpfe betrachtet. Ich bitte uns alle, die Diskussion über die Landwirtschaft nicht durch nur unbedachte und unbegründete Äußerungen weiter zu belasten.Vierter sensibler Punkt sind die Tierversuche. Wir sind uns sicher darüber einig, daß man Tierversuche vermeiden sollte. Moderne Methoden in der Wissenschaft gestatten schon heute viele Entwicklungen ohne Tierversuche. Es gab in den Anhörungen viele Fachleute, die Tierversuche gänzlich verneint haben.Die Formel, daß man gegen Wissenschaftsfortschritte ist, wenn man gegen Tierversuche ist, ist sicher auf die Dauer nicht haltbar. Es muß einfach erklärtes Ziel sein, langfristig Tierversuche auszuschalten, obwohl auch ich mir bewußt bin, daß ohne Tierversuche bestimmte Fortschritte speziell in der Medizin zur Zeit nicht zu gewährleisten sind.Ich bitte uns alle gemeinsam, den sensiblen Bereich des Tierschutzes so zu diskutieren, daß daraus eine wachsende Akzeptanz der Landwirtschaft entsteht.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Als nächster hat das Wort der Kollege Peter Carstensen.
— Ja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war nur etwas überrascht, Frau Präsidentin, weil ich dachte, ich wäre noch nicht ganz dran. Aber daß ich noch drankommen würde, das wußte ich.
— Das ist wohl wahr.Meine Damen und Herren, ich habe — ich gebe das gerne zu — nach der Demonstration der Schweinemäster vor der Tür des Parlamentes Probleme, meine Rede noch so zu halten, wie ich sie an sich halten wollte, weil ich mir doch die Frage stelle, ob es richtig ist, wenn wir auf der einen Seite so einfach über Teletakt-Geräte, über Kuhtrainer, über das Kupieren von Ohren und von Ruten bei Hunden reden können und auf der anderen Seite feststellen müssen, daß durch Beschlüsse der EG eine Million Schweine, ich sage einmal: zu einem großen Teil grundlos erschlagen, geschlachtet, gekeult — so heißt es ja so schön — werden.Ob das immer der vernünftige Weg ist, liebe Frau Klappert, wage ich wirklich zu bezweifeln. Ich bedanke mich bei den Landwirten, die heute in dieser Art draußen demonstriert haben. Das ist eine Art, die wir von den Landwirten gewohnt sind, nämlich ordentlich, vernünftig und sauber zu demonstrieren.
— Wir in der Bundesrepublik sind das gewohnt; über etwas anderes wollen wir nicht reden.Es steht ja etwas mehr dahinter. Es steht dahinter nicht nur eine ethische, sondern auch eine moralische Diskussion. Man muß sich einmal vergegenwärtigen, was in den Köpfen dieser Leute und in den Familien dort vorgeht. Mir geht es nicht nur um die Schweine, sondern mir geht es wirklich auch um das Leid und die Qual, die diese Familien erdulden müssen. Deswegen— das sage ich ganz offen — habe ich wirklich Probleme, jetzt die richtigen Relationen zu finden, so daß ich ganz schnell auf das sachliche Thema überwechseln kann. Ich will es trotzdem versuchen.
Der Regelungseifer des Bundesrates gerade beim Tierschutzgesetz war in diesem Fall ja kaum zu sättigen. Wenn ich das richtig erinnere, gab es am Anfang einen Wunsch des Landes Baden-Württemberg, vielleicht ein oder zwei Änderungen in das Tierschutzgesetz hineinzubringen. Nachher haben wir uns mit gut 100 — vielleicht sogar mehr — Änderungen zu befassen gehabt. Wir hatten das Gefühl, daß manche Änderungen, die gefordert worden sind, nicht unbedingt sachgerecht und auch nicht unbedingt durchführbar sind.
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19752 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Peter Harry Carstensen
Ich habe, liebe Frau Klappert, einen anderen Eindruck gehabt als den, den Sie hier vermittelt haben. Vielleicht habe ich das nicht richtig verstanden, und vielleicht habe ich auch nicht immer richtig zugehört. Aber ich habe den Eindruck gehabt, daß gerade die Berichterstatter eine gute Arbeit geleistet haben. Ich nenne Sie, Frau Klappert, den Kollegen Günther Bredehorn und auch den Kollege Meinolf Michels, dem ich an dieser Stelle auch noch einmal ganz herzlich danke, weil er sich nun sehr intensiv — ich gehe davon aus, daß das bei den anderen ebenfalls der Fall gewesen ist; aber bei ihm konnte ich das besser sehen — mit dieser Materie beschäftigt hat. Ich habe ja auch schon die letzte Änderung des Tierschutzgesetzes in diesem Parlament mitgemacht; ich habe diese Zusammenarbeit und das gute, ordentliche, saubere Diskutieren nicht immer so in der Art feststellen können, wie wir das jetzt gemacht haben. Ich habe das als sehr angenehm empfunden. Ich glaube, wir haben mit diesem Tierschutzgesetz eine recht ordentliche Leistung erbracht.Deswegen will ich auch einige Punkte nennen, die einer besonderen Anmerkung bedürfen, die man ansprechen kann und die auch eine Diskussion auslösen, wie z. B. das Teletakt-Gerät und die Fischscheuchen. Wir haben in das Gesetz einige Klarstellungen hineingeschrieben, nämlich daß auch manche Art, mit Elektrizität oder mit anderen Maßnahmen auf ein Tier einzuwirken, tierschutzgerecht sein kann.Ich möchte hier als ein Beispiel nur die elektrischen Fischscheuchen nennen, bei denen man vielleicht vordergründig das Gefühl haben könnte, man würde die Fische einschränken. Bei tieferem Nachdenken allerdings muß man einsehen, daß es tierschutzgerecht ist, durch Fischscheuchen und ähnliche Dinge die Tiere davon abzuhalten, daß sie z. B. in Turbinen geraten.Meine Damen und Herren, die Redezeiten sind natürlich immer recht kurz. Frau Präsidentin, das liegt ja auch im Sinne einer zügigen Durchführung. Ich habe ja begründet, weswegen ich auf einige Punkte, die ich gerne mit angesprochen hätte, z. B. Dinge, die sich auf die Jagd beziehen, oder die Laparotomie, verzichte.Die Laparotomie möchte ich aber doch noch mit einem Satz erwähnen. Normalerweise befinden wir uns immer in einer Situation, daß wir sagen: Unsere Regelungen müssen praxisgerecht sein. Für mich ist es nicht immer praxisgerecht, wenn man sagt, dieses und jenes müsse von Tierärzten gemacht werden, wenn es auch andere Fachleute und Praktiker gibt. Wenn wir aber versuchen, Praktiker mit in die Entscheidung einzubeziehen, und sie bitten, uns Stellungnahmen zu schicken, und wir dann leider z. B. von einem Mitarbeiter einer Bezirksregierung aus Bayern eine recht eigenartige Stellungnahme bekommen, dann muß man sich auch nicht wundern, wenn man dann einige Sachen mit weniger Herzblut verfolgt, als es ansonsten notwendig wäre.Ich habe das Gefühl, daß wir mit dem Tierschutzgesetz und seiner Änderung eine ordentliche Arbeit geleistet haben.Danke schön, meine Damen und Herren.
Nun hat das Wort Frau Kollegin Ulrike Mehl.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leisten uns die Tierhaltung zur Erzeugung von Fleisch und sonstigen tierischen Produkten, zu Forschungszwecken, aber auch zur Tierliebhaberei und zu Bildungszwecken. Dabei müssen wir uns ein paar grundsätzliche Fragen stellen, denn der Nutzungszweck allein rechtfertigt nicht die Haltungsbedingungen, egal um welches Tier oder um welche Nutzziele es geht.Zum Beispiel dürften hier auf diesem Rednerpult etwa sechs bis acht Legehennen einer Legebatterie Platz finden. Sie haben nämlich weniger Platz, als ein DIN A4-Blatt groß ist. Für das Außen- und Innengehege von vier Menschenaffen sollen 36 Quadratmeter reichen.In Zoos, Zirkussen und in Privathand leiden Tiere wegen nicht artgemäßer Haltung und müssen auf Transportwegen zum Teil noch mehr leiden. Nur zum Teil ist das auf Vollzugsdefizite zurückzuführen. Denn trotz des im Tierschutzgesetz verankerten Anspruchs, daß Tieren ohne vernünftigen Grund kein Leid, keine Schmerzen oder Schäden zugefügt werden dürfen, ist genau das alltägliche Praxis.So ist nicht einzusehen, daß, nur um die Eierpreise niedrigzuhalten, die Hennen leiden müssen oder Tiere kreuz und quer durch die Europäische Union gekarrt werden. Wenn wir hier weiterhin Eier essen und Fleisch auf dem Teller haben wollen, dann kann man von einem so hochentwickelten Land wie der Bundesrepublik erwarten, daß dieses zumindest unter ethisch vertretbarer, artgerechter Haltung und Transportbedingungen geschieht.
Es ist nicht einzusehen, daß bisher praktisch jede Tierart, und sei sie noch so schwer zu halten, in Zirkussen, Zoos und Tierschauen vorgeführt werden kann. Denn nicht artgerecht gehaltene Tiere können wohl kaum beispielhaften Lehrzwecken dienen, es sei denn, man will vermitteln, wie man es nicht machen sollte.Es ist auch nicht einzusehen, warum grundsätzlich jede Tierart — von Ausnahmen abgesehen — für private Tierliebhaber zur Verfügung stehen soll, schon gar nicht, wenn sie dazu der Natur entnommen wird.Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Bundestagsbeschluß vom 23. September 1993 hinweisen, mit dem wir die Bundesregierung entsprechend der eingegangenen Petition auffordern, sich in der Europäischen Union für ein Verbot des Imports von wildlebenden exotischen Vögeln einzusetzen, weil die großen Verluste beim Fang und Transport oftmals einen schweren Verstoß gegen Tierschutzvorschriften darstellen und die extrem hohe Sterberate bereits zu einer Gefährdung einiger Vogelarten geführt hat. Das hat der Bundestag beschlossen.
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Ulrike MehlEiner geschätzten Einfuhrquote in die Europäische Union von 1,5 Millionen Wildvögeln entsprechen etwa 7,5 Millionen gefangene Tiere. Das ist ein anschauliches Beispiel für die enge Verflechtung von Tier- und Artenschutz.Um aber wenigstens die artgerechte Tierhaltung zu sichern, fordern wir die möglichst schnelle Vorlage von Mindestanforderungen, die für kommerzielle und private Tierhaltung zum Maßstab werden müssen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die in Vorbereitung befindlichen Gutachten zur Haltung von Säugetieren, Wildtieren in Gehegen, Vögeln, Reptilien und Amphibien möglichst schnell vorzulegen und daraus Verordnungen für die Mindestanforderungen der Haltung zu entwickeln.Für Tiere, bei denen die Möglichkeit einer artgerechten Haltung stark angezweifelt werden muß, z. B. bei Delphinen und Menschenaffen, dürfen Haltungsverbote kein Tabu sein.Wir erwarten auch, daß geregelt wird, daß die Zootierbestände ausschließlich aus Nachzuchten aufgebaut werden und nur im Rahmen von wissenschaftlich begründbaren Erhaltungszuchtprogrammen Wildentnahmen zulässig werden. Zoos haben für ihre Nachzuchten die Verantwortung zu übernehmen und müssen lückenlos Nachweise über den Verbleib von lebenden und toten Tieren bringen können. Nur so wird das alltägliche Sterben von Tieren in Zoos nicht länger tabuisiert, den Besuchern nicht länger eine heile Welt vorgegaukelt und dem illegalen Handel mit geschützten Arten ein weiterer Riegel vorgeschoben.Dieser Handel floriert ganz mächtig. Im letzten Jahr wurden laut Zollkriminalamt fast doppelt so viele Exemplare geschützter Tier- und Pflanzenarten beschlagnahmt wie 1992. Obwohl die Anzahl der Direktaufgriffe gegenüber dem Vorjahr um 150 — das sind 15 % — zurückgegangen ist, sind 50 000 Exemplare illegaler Arten aufgegriffen worden.Daraus läßt sich ablesen, daß erstens die Zahl der direkten Aufgriffe sinkt, weil durch den Binnenmarkt die Grenzen und damit die Kontrollen weggefallen sind, und zweitens, daß die Schmuggler immer dreister werden.Der illegale Handel — ich sagte das bereits — floriert, weil hier Gewinnspannen winken, wie sie nur noch im Drogenhandel zu finden sind. Das Vollzugsdefizit im Artenschutz wird größer, und wir müssen wegen des europäischen Binnenmarktes gezielt etwas gegen diese Entwicklung unternehmen.Ohne Kontrolle und wirksamen Vollzug bleibt der Artenschutz aber wirkungslos. Wir brauchen eine sinnvolle Konzeption gegen den illegalen Handel mit geschützten Pflanzen und Tieren. Dazu haben wir in dem Antrag, der unter Tagesordnungspunkt 10 d aufgeführt ist, einige Wünsche geäußert, die die Bundesregierung umzusetzen hat. Weil meine Redezeit abgelaufen ist, kann ich sie nicht mehr aufführen.Wir halten nach wie vor am Prinzip eines vorsorgenden Artenschutzes fest und fordern die Bundesregierung auf, die kommende Ratspräsidentschaft dafür zu nutzen, sich gegen weitere Verschlechterungen im Artenschutz zu wenden. Die Vogelschutzrichtlinie und die FFH-Richtlinie dürfen durch die EG-Artenschutzverordnung nicht aufgeweicht werden, so wie sich das jetzt angebahnt hat.Der Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union darf nicht zu einer Unkontrollierbarkeit des Handels mit wildlebenden Tieren und Pflanzen führen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erhält die Kollegin Dr. Helga Otto.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich heute bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes sowohl bei dem Änderungsantrag meiner Fraktion als auch bei der Vorlage des Bundesrates meiner Stimme enthalten.Ich glaube, daß Tierschutz unser aller Anliegen ist und daß wir dem auch Rechnung tragen müssen. Ich bin aber Ärztin und stehe sehr oft am Bett von unheilbar kranken und an Schmerzen leidenden Patienten. Ich kann deshalb den von meiner Fraktion geforderten „rechtfertigenden Grund" für Tierversuche nicht unterstützen und auch nicht die grundsätzliche Vorschaltung von Ersatzversuchen.Der Begriff „rechtfertigend" steht für die ausnahmsweise geltende Erlaubnis einer verbotenen Handlung. Wir sollten uns davor hüten, Ärzte, Biophysiker, Biochemiker, Laboranten, Tierpfleger und auch die Tierschutzbeauftragten in die Ecke von verbotenen Handlungen zu stellen, gegen die sie sich unentwegt rechtfertigen müssen.
Wissenschaftliche Forschung in und an Tieren ist grundsätzlich an eine Hochschulausbildung gebunden und wird durch Ethikkommissionen begleitet. Das gibt den Forschern auch die nötige moralische Bestätigung für die Notwendigkeit des Tierversuches im Einzelfall.Die zwingende Vorschaltung von Ersatzversuchen kann ein sinnloser und teurer Umweg zu dem definierten Ziel des Tierversuches sein. Seitenlange Anträge und Begründungen sind ja schon vorgeschaltet!Der geänderte Gesetzesentwurf der Bundesregierung hat ein Mehr an Tierschutz gebracht. Er darf die Forschung nicht weiter behindern. Ich enthalte mich allerdings auch, weil ich glaube, daß in den Bereichen Tiertransporte und Tierhaltung nicht ausreichend Verbesserungen erreicht wurden.Ich glaube auch, daß wir ein wenig unehrlich sind, wenn wir bei der biomedizinischen Forschung zur Gewinnung eines Leberpräparats z. B. die Tiere zählen müssen, während kein Mensch von uns die Hüh-
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Dr. Helga Ottonerschenkel und die Lebern, die er jeden Tag oder jede Woche ißt, zählt.
Aus meiner Sicht ist das eine eindeutige Benachteiligung der Forschung, der ich nicht zustimmen kann.
Es liegt eine weitere Erklärung zur Abstimmung von der Frau Abgeordneten Schmidt zu Protokoll vor.*) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zuerst über den Tagesordnungspunkt 10a. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes auf den Drucksachen 12/4869 und 12/7587.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/7594 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7587 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig, wenn ich das richtig gesehen habe, angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10b, zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen auf der Drucksache 12/5469. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 12/7178, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.*) Anlage 2Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 10 c und 10 d. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/7299 und 12/5636 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Es handelt sich um die Anträge der Fraktion der SPD zur Verbesserung des Tierschutzes und zur Bekämpfung des illegalen Handels mit geschützten Tier- und Pflanzenarten. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist dies so beschlossen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10e. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Einschränkung der Tiertransporte in der Europäischen Gemeinschaft — heute: Europäischen Union — auf der Drucksache 12/6797. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5785 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 19, 25a bis k und die Zusatzpunkte 3 a bis h auf:19. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Anderung des Kündigungsschutzgesetzes— Drucksache 12/6968 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung InnenausschußRechtsausschußAusschuß für Wirtschaft25. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Umweltschutzprotokoll vom 4. Oktober 1991 zum Antarktis-Vertrag— Drucksache 12/7490 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Umweltschutzprotokolls vom 4. Oktober 1991 zum Antarktis-Vertrag
— Drucksache 12/7491 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 24. Juli 1992 über die Errichtung, den Bau und den
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19755
Vizepräsidentin Renate SchmidtBetrieb einer Urananreicherungsanlage in den Vereinigten Staaten von Amerika— Drucksache 12/7494 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes und anderer Rechtsvorschriften— Drucksache 12/7358 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß Rechtsausschuße) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus Kübler, Dr. Dietrich Mahlo, Ingrid Walz und weiterer AbgeordneterZur Lage in Birma— Drucksache 12/5368 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Kastner, Ulrike Mehl, Michael Müller , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDNotwendige Regelungen des Exports von Pflanzenschutzmitteln— Drucksache 12/7294 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für GesundheitAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der Wiley-Kaserne in Neu-Ulm— Drucksache 12/7349 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußh) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungDreiundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1994 bis 1997
— Drucksache 12/7175 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes fürdas Haushaltsjahr 1993 — Einzelplan 20 —§ 101 BHO— Drucksache 12/7383 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußj) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Werner H. Skowron, Michael Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Lüder, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, HeinzDieter Hackel und der Fraktion der F.D.P.Abschließende Regelungen zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht— Drucksache 12/6748 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußFinanzausschußHaushaltsausschußk) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Dr. Sissy Geiger , Uta Würfel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.Frauenförderung innerhalb der Europäischen Strukturförderung— Drucksache 12/7504 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft EG-AusschußZP3 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und zur Änderung anderer Gesetze— Drucksache 12/7563 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Frauen und JugendAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschußb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einesAusländerzentralregistergesetzes
— Drucksache 12/7520 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
FinanzausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Hans-Gottfried Bernrath, Rudolf Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDInternationale Anstrengungen zur friedlichen Lösung des Kurdenproblems in der Türkei— Drucksache 12/7422 —Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
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19756 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidtd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Wolfgang Zeitlmann, Werner H. Skowron, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Wolfgang Lüder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Entschädigung für Opfer nationalsozialistischen Unrechts in den baltischen Staaten— Drucksache 12/7467 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Auswärtiger AusschußRechtsausschuß FinanzausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuße) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDGrenzüberschreitende Kulturarbeit im östlichen Europa— Drucksache 12/6901 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Auswärtiger AusschußAusschuß für Bildung und Wissenschaftf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Angelika Barbe, Ingrid Bekker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZukunft der Bundeskulturförderung— Drucksache 12/7047 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Auswärtiger AusschußAusschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschußg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Erwin Marschewski, Wilfried Seibel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Kulturförderung des Bundes ab 1995— Drucksache 12/7231 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschußh) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches— Drucksache 12/7570 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Ausschuß für WirtschaftDabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 26a bis 1 sowie den Zusatzpunkt 4 a und b und Tagesordnungspunkt 21 auf:26. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes— Drucksache 12/4875 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7364 —Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrichb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Georgien über den Luftverkehr— Drucksache 12/6849 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7365 —Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrüggerc) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die Seeschiffahrt— Drucksache 12/6850 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7366 —Berichterstattung: Abgeordneter Carl Ewend) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ukraine über die Seeschiffahrt— Drucksache 12/6851 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7367 —
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19757
Vizepräsidentin Renate SchmidtBerichterstattung:Abgeordneter Carl Ewene) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBehandlung der Saldena) Ein Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 1552/89 des Rates zur Durchführung des Beschlusses88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaftenb) Ein Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, zuletzt geändert durch die Verordnung Nr. 610/90 vom 13. März 1990— Drucksachen 12/7180 Nr. 2, 12/7368 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Diller Bartholomäus Kalbf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften— Drucksachen 12/6347 Nr. 3.1, 12/7369 — Berichterstattung:Abgeordnete Karl DillerBartholomäus Kalbg) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Abschluß des Europa-Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tschechischen Republik andererseitsVorschlag für einen Beschluß des Rates und der Kommission über den Abschluß des Europa-Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Slowakischen Republik andererseits— Drucksachen 12/6155 Nr. 3.1, 12/7321 —Berichterstattung:Abgeordnete Christian Schmidt Karsten D. Voigt (Frankfurt)Ulrich Irmerh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zum Verbot der Erfüllung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Verträgen und Geschäften, deren Durchführung durch die Resolution 757 (1992) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und mit ihr in Verbindung stehende Resolutionen berührt wurde— Drucksachen 12/5749 Nr. 3.1, 12/7409 —Berichterstattung:Abgeordnete Christian Schmidt Dieter SchlotenUlrich Irmeri) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBeziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern, Maßnahmen zur Verbesserung des Marktzugangs im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen— Drucksachen 12/5827 Nr. 2.2, 12/7410 —Berichterstattung:Abgeordnete Christian Schmidt Dieter SchlotenDr. Helmut Haussmannj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Aktionsprogramm zur Durchführung einer Berufsbildungspolitik der Europäischen Gemeinschaft „LEONARDO da Vinci"zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm „SOKRATES"— Drucksachen 12/7180 Nrn. 9 und 8, 12/7473 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Dr. Peter EckhardtDirk Hansenk) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 150 zu Petitionen— Drucksache 12/7416 —1) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 151 zu Petitionen— Drucksache 12/7417 —ZP4 a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 25. September 1991 zum Chloridüber-
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19758 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidt
— Drucksache 12/6971 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7465 — Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Susanne KastnerDr. Jürgen Starnickbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7592 — Berichterstattung:Abgeordnete Hans Georg Wagner Michael von SchmudeDr. Wolfgang Weng
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen , Dr. Else Ackermann, Ina Albowitz und weiterer Abgeordneter zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dietrich Austermann, Heinz-Günter Bargfrede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Carl Ewen, Arne Börnsen (Ritterhude), Freimut Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Lisa Peters, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. sowie des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENSituation der Niederdeutschen Sprache— Drucksachen 12/6579, 12/5355, 12/6073, 12/7443 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf OlderogGünter Graf21. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs seines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt — Drucksache 12/7138 —
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (Umweltinformationsgesetz — UIG)— Drucksache 12/5696 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7582 — Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Renate HellwigDietmar SchützGerhart Rudolf BaumDr. Klaus-Dieter Feigebb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7590 — Berichterstattung:Abgeordnete Hans Georg Wagner Michael von SchmudeDr. Wolfgang Weng
Dabei handelt es sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Zum Umweltinformationsgesetz — Tagesordnungspunkt 21 — liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes auf den Drucksachen 12/4875 und 12/7364, Tagesordnungspunkt 26a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Nichtbeteiligung einer Anzahl von Abgeordneten angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26b. Dabei handelt es sich um den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen mit Georgien über den Luftverkehr auf der Drucksache 12/6849. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/7365, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26c. Dabei handelt es sich um den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Sozialistischen Republik Vietnam über die Seeschiffahrt auf Drucksache 12/6850. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/7366, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen, Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19759
Vizepräsidentin Renate SchmidtWir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26d, Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Ukraine über die Seeschiffahrt auf Drucksache 12/6851. Auch hier empfiehlt der Ausschuß für Verkehr auf Drucksache 12/7367, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte wiederum diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? —
— Nein. Ich erkläre es Ihnen dann gern. Es stimmt.Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26e. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu Vorschlägen der Europäisch- n Union zum System der Eigenmittel und zur Haushaltsordnung der Europäischen Gemeinschaften auf Drucksache 12/7368. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung bei einer Gegenstimme angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26f. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einem weiteren Beschlußvorschlag der Europäischen Union zum System der Eigenmittel auf Drucksache 12/7369. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Auch diese Beschlußempfehlung ist bei einer Gegenstimme angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26 g und der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Beschlußvorschlägen der Europäischen Union zum Abschluß des Europa-Abkommens mit der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik auf Drucksache 12/7321. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26h und der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu einem Verordnungsvorschlag der Europäischen Union zum Embargo der Vereinten Nationen gegen die Föderative Republik Jugoslawien auf Drucksache 12/7409. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26i und der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses über die Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern auf Drucksache 12/7410. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — G egen-stimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dies einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26j und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu den Vorschlägen der Europäischen Union zu den Aktionsprogrammen LEONARDO und SOKRATES auf der Drucksache 12/7473. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei zahlreichen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 26k und 261 und den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/7416 und 12/7417. Das betrifft die Sammelübersichten 150 und 151. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dies bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 4 a, Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Chloridübereinkommen/ Rhein auf Drucksache 12/6971. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7465, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 4 b und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen , Dr. Else Ackermann, Ina Albowitz und weiterer Abgeordneter zur Großen Anfrage zur Situation der Niederdeutschen Sprache auf Drucksache 12/7443. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6579 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?— Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 21: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt auf den Drucksachen 12/7138 und 12/7582 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7583 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt gegen diesen Änderungsantrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. —Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?— Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Umweltinformationsgesetzes auf Drucksache 12/5696. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7582 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe
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19760 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate SchmidtBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/5696 abstimmen
und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt, und die weitere Beratung entfällt nach unserer Geschäftsordnung.Damit sind wir mit diesen Abstimmungen zu Ende.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: erstens weitere Privatisierung der Deutschen Lufthansa; zweitens Gesetzentwurf zum Vertrag über den Beitritt des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union; drittens Gesetzentwurf zum Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen; viertens Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantiks.Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Verkehr, Herr Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat mit dem heutigen Kabinettsbeschluß den Weg für die weitere und vollständige Privatisierung der Lufthansa freigemacht, nachdem es ihr mit allen Beteiligten in den letzten Wochen gelungen ist, die seit Jahren umstrittene Versorgungsproblematik der Lufthansa im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lufthansa, einer Lösung zuzuführen.Die nunmehr mögliche Privatisierung der Lufthansa ist ein Meilenstein auf dem Weg, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern und weiterzuentwickeln. Endlich kann die notwendige Kapitalerhöhung eingeleitet werden; denn die Eigenkapitalquote der Lufthansa muß verbessert werden, die Kreditwürdigkeit des Unternehmens muß dauerhaft gesichert werden. Die Zahlen des Unternehmens im ersten Quartal 1994 stimmen zuversichtlich. Wenn sich Kosten und Erträge weiterhin günstig entwickeln, wird die Lufthansa 1995 für 1994 die Dividendenzahlung wieder aufnehmen können.Das Bundesministerium für Verkehr hat zudem mit den neuen deutsch-amerikanischen Luftverkehrsbeziehungen und der genehmigten Kooperation zwischen Lufthansa und United Airlines den Boden für einen besseren und faireren Wettbewerb im Nordatlantikverkehr bereitet. Sie wissen, daß darum seit vielen Jahren gerungen wurde. Nun haben wir endlich ein ausgeglichenes Luftverkehrsrecht über dem Atlantik und damit einen weiteren Baustein in der Sanierung der Lufthansa und ihrer Festigung derPosition als ein entscheidender Global Player auf den Luftverkehrsweltmärkten.Mit der Beendigung der VBL-Mitgliedschaft kann die Lufthansa in die Phase zwei der Sanierung einsteigen: Eine Umstrukturierung des gesamten Lufthansa-konzerns ist möglich. Die vom Unternehmen geforderte Flexibilität kann damit erreicht werden.Die politischen Entscheidungen sind getroffen. Die Bundesregierung eröffnet der Lufthansa mit der Verabschiedung unserer heutigen Kabinettsvorlage alle Chancen, sich nach schwierigen und verlustreichen Jahren im europäischen und interkontinentalen Wettbewerb zu behaupten.Zur heutigen Kabinettsentscheidung möchte ich auf folgende wichtige Punkte hinweisen:Erstens. Mit der heutigen Entscheidung wird die Privatisierungspolitik der Bundesregierung in einem wichtigen Bereich konsequent fortgesetzt. Voraussetzung hierfür war, daß die Lufthansa zu für alle Beteiligten tragbaren Bedingungen aus der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, VBL, ausscheidet.Zweitens. In zähen Verhandlungen haben sich die Beteiligten auf eine Paketlösung geeinigt, an deren Zustandekommen der Bundesminister der Finanzen einen wesentlichen Anteil hat. Die Paketlösung enthält Zahlungen des Bundes an die VBL in Höhe von 1 050 Millionen DM und an die Deutsche Lufthansa von maximal 500 Millionen DM. Das führt zu Jahresraten in den ersten zehn Jahren von 154,91 Millionen DM, damit auch eine langfristige Perspektive gesichert ist.Der Bund übernimmt ferner Garantien in Höhe von anfangs 1,1 Milliarden DM für den nicht erwarteten Insolvenzfall der Lufthansa, um die Zusatzversorgung der Mitarbeiter für die nächsten 30 Jahre abzusichern. Ich kann hier mitteilen, daß wir mit allen Beteiligten — den Gewerkschaften, der Unternehmensführung, VBL, Bund und Ländern — Einvernehmen über die gefundene Paketlösung erzielt haben.Jetzt geht es — dazu ist die Möglichkeit durch den heutigen Kabinettsbeschluß geschaffen — um den Abschluß eines Auflösungsvertrages über das Ausscheiden der Lufthansa aus der VBL und um die Herbeiführung der Beschlüsse der Hauptversammlung am 6. Juli, und zwar vor allem darum, genehmigte Kapitalien über 515 Millionen DM als Stammaktien zu ermöglichen und, was ich im Interesse der Lufthanseaten besonders begrüße, um die Schaffung von neuen Belegschaftsaktien über bis zu 50 Millionen DM, die in den kommenden Jahren den Mitarbeitern angeboten werden können. — Es ist ein ausgesprochenes Ziel der Bundesregierung, durch Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivkapital einen weiteren Baustein für die Mitverantwortung von Mitarbeitern für ihr Unternehmen zu setzen. — Gleichzeitig ist die Voraussetzung geschaffen worden für den Verkauf von Bezugsrechten aus der Kapitalerhöhung der Lufthansa, an der der Bund nicht teilnimmt. Wir werden die notwendigen Schritte für die Einwilligung von Bundestag und Bundesrat nach dem Haushaltsrecht zur Veräußerung weiterer Bundesanteile und die schrittweise Privatisierung des gesamten Bundes-
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Bundesminister Matthias Wissmannanteils an der Lufthansa zu marktgerechten Bedingungen einleiten. Wir begrüßen es sehr, wenn eine breite Streuung der Aktienemission erzielt werden kann, um von vornherein die Bildung zu großer Pakete zu verhindern.Mit der heutigen Kabinettsentscheidung, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, helfen wir dem Unternehmen Lufthansa und tragen zugleich dazu bei, die Staatsbeteiligung weiter konsequent abzubauen — eine nicht nur verkehrs-, sondern auch wirtschaftspolitisch wichtige Entscheidung, die konsequent auf der Linie liegt, die die Bundesregierung immer verfolgt hat, nämlich privatwirtschaftliche Tätigkeit zu stärken, den Staat zurückzunehmen und gleichzeitig die deutschen Unternehmen mit ihrer Position auf den Weltmärkten in eine bessere Ausgangssituation zu bringen als bisher.
Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. Gibt es zu dem Bericht jetzt Fragen aus Ihrem Kreis? — Das ist nicht der Fall.
Gibt es zu den weiteren, vorhin gerade angesprochenen Themen, also zunächst zum Gesetzentwurf zum Vertrag über den Beitritt des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union, Fragen? — Herr Kollege Kittelmann.
Ich begrüße, daß die Bundesregierung hier schnell handelt, und darf fragen, welche Erwartungshaltung die Bundesregierung an das Parlament und im Hinblick auf die schnelle Ratifikationsmöglichkeit dieser Beitritte hat.
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, natürlich wissen Sie — wie alle, die sich mit der schwierigen Materie der Verhandlungen im Deutschen Bundestag beschäftigt haben —, daß die Bundesregierung so schnell wie möglich, d. h. noch vor der Sommerpause, daran denkt, die Ratifizierungen im Deutschen Bundestag durchzuführen, wobei wir davon ausgehen können — das ist wohl auch in allen Beratungen mit Ihnen, den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen, deutlich geworden —, daß der Bundestag über die gesamten Abläufe gut informiert worden ist, so daß wir nicht bei Null anzufangen brauchen. Aber im Interesse des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags zum 1. Januar 1995 nach den Referenden wollen wir natürlich noch vor der Sommerpause nach Möglichkeit den Ratifizierungsvorgang hier abschließen.
Ich darf in dem Zusammenhang schon jetzt meine Bitte an Sie alle aussprechen, hier mitzumachen. Wir wissen ja aus den Beratungen, daß es auch im Interesse des Parlaments liegt, wenn der Gesetzentwurf zügig verabschiedet werden kann.
Eine nächste Frage dazu vom Kollegen Jan Oostergetelo.
Herr Bundesminister, ich nehme die Aufnahme dieser Länder zustimmend zur Kenntnis. Aber Sie wissen, daß unsere Anrainerstaaten im Osten sehr oft den Wunsch zum Ausdruck bringen, in die Gremien der Europäischen Union aufgenommen zu werden. Welche Meinung hat die Bundesregierung hier? Ist sie für die Möglichkeit einer Mitgliedschaft von Anrainerstaaten, z. B. Polen, Tschechei und Ungarn, allerdings mit langen Übergangsfristen, oder denkt die Bundesregierung, daß jetzt erst einmal ein grundsätzlicher Beitrittsstopp sein muß, so daß diese Länder keine Perspektive hätten?
Herr Kollege, natürlich hat die Bundesregierung — fast im Wortlaut dessen, was Sie gesagt haben — in Gesprächen mit unseren östlichen Nachbarstaaten schon darauf hingewiesen, daß wir natürlich eine Perspektive für die Mitgliedschaft dieser Staaten haben. Es sind inzwischen Assoziierungsverträge abgeschlossen worden. Es gibt die Europaverträge mit diesen Staaten, die bereits eine Heranführung an die Gremien bedeuten und natürlich auch den Prozeß einer späteren Mitgliedschaft erleichtern.
Was den zeitlichen Rahmen weiterer Mitgliedschaften in der Europäischen Union betrifft, hielte ich es für verfrüht, jetzt Festlegungen zu treffen, auch deshalb, weil natürlich der Erweiterung der Europäischen Union mit Sicherheit eine Strukturreform der Europäischen Union vorausgehen müßte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das, was in den sehr schwierigen Beitrittsverhandlungen mit den vier Ländern deutlich geworden ist — das betrifft z. B. das Quorum, die Zahl der Kommissare in Brüssel, die Zahl der Parlamentarier — so weitergehen kann. Man muß sich vorher klar werden, wie man eigentlich die Strukturen regeln will. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Sie sind, Herr Kollege Oostergetelo, gerade in Fragen der Landwirtschaft ein Experte. Sie wissen, daß der Anteil der Landwirtschaft an der Volkswirtschaft der genannten Staaten um das Vier-, Fünf- oder Sechsfache über das hinausgeht, was in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union — unter schweren Opfern für die Landwirte — inzwischen Realität ist. Auch zur Regelung dieses Problems braucht ein solcher Umstrukturierungsprozeß Zeit.
Also: Perspektive ja, Heranführung ja, aber noch kein Zeitrahmen, sondern die Notwendigkeit, solche weiteren Mitgliedschaften sehr intensiv vorzubereiten, sowohl was die Volkswirtschaften der Nachbarstaaten betrifft als auch was die dringende Strukturreform der Europäischen Gemeinschaft betrifft, spätestens bei der Regierungskonferenz 1996; denn auch das Europäische Parlament wird, wenn es um Erweiterung geht, sicher nicht mehr mitspielen, wenn nicht gleichzeitig die Rechte des Parlaments entsprechend erweitert werden.
Nun Frau Kollegin Hellwig.
Herr Staatsminister, ich möchte mich in meinen Fragen auf die heute anstehende Erweiterung konzentrieren.Meine erste Frage ist: Was wird die Bundesregierung im Zuge ihrer Präsidentschaft tun — und sie wird einiges tun müssen —, um zu erreichen, daß die
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Dr. Renate HellwigZielsetzung, nämlich Beitritt dieser vier Länder zum 01. Januar 1995, verwirklicht wird?Ich stelle diese Frage in folgenden Zusammenhang: Mit Sorge sehe ich, daß die beiden Staaten Schweden und Norwegen ihre Abstimmung, ihr Referendum erst im November diesen Jahres durchführen werden. Ich kann Ihnen berichten, Herr Staatsminister Schäfer: Bei der COSAC, der Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlamentes, ist meine Anregung, doch so zu verfahren wie der Deutsche Bundestag, nämlich die Ratifizierung schon vor den Referenden durchzuführen, leider nicht auf die nötige Resonanz gestoßen. Überwiegend war man der Meinung, man könne das Ratifizierungsverfahren erst beginnen, wenn die Referenden abgehalten sind.Ich frage nunmehr die Bundesregierung, ob sie Möglichkeiten sieht — wir werden als Bundestag sicher auch das Erforderliche tun —, auf die anderen Regierungen einzuwirken, damit das Ratifizierungsverfahren in ihren Ländern beschleunigt wird. Ich darf Ihnen sagen — das wird Sie sicherlich freuen —, daß sich bereits gestern der Europaausschuß im Zuge der Selbstbefassung mit den Beitrittsverträgen befaßt hat.
Frau Kollegin, in diesem Sinne wird die Bundesregierung mit Sicherheit in der Präsidentschaft ab 1. Juli dieses Jahres tätig werden. Es liegt natürlich in unserem Interesse, daß nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch die anderen Parlamente zügig ratifizieren und nicht erst den Ausgang der Referenden abwarten, da wir wissen, daß der Ausgang der Referenden wiederum von der Bereitschaft der europäischen Mitgliedstaaten abhängig ist, deutlich zu machen, daß auch ihre Parlamente den Beitritt wünschen, und daß eine Verzögerung möglicherweise einen negativen Einfluß auf die Referenden haben könnte.
Noch eine weitere Frage der Frau Kollegin Hellwig.
Herr Staatssekretär, meine Frage steht damit im Zusammenhang. Wenn sich der Beitritt um ein halbes Jahr verzögern sollte: Wie sehen Sie dann die Perspektive des rechtzeitigen Abschlusses der Revisionskonferenz 1996?
Jede Verzögerung des Beitritts würde es den jeweiligen Präsidentschaften — im Anschluß an uns wäre das im nächsten halben Jahr die Präsidentschaft Frankreichs — sicher schwermachen, die Vorbereitungen so zu treffen, daß ein guter Abschluß der Regierungskonferenz 1996 möglich ist. Es müssen auch die neuen Mitgliedstaaten, wenn sie denn aufgenommen sind, ein Wort mitreden dürfen, und sie sollten das auch unbedingt tun. Insofern kann ich nur sagen: Wir wollen den Beitritt zum 1. Januar mit allen Mitteln erreichen. Jede Verzögerung darüber hinaus wird es erschweren, die dringend erforderlichen Vorbereitungen, die langwierig und auch schwierig sein werden, für die Regierungskonferenz 1996 zu treffen.
Weitere Fragen zu dem zweiten Themenkomplex liegen nicht vor.
Dann gibt es zu dem dritten Themenkomplex, dem Gesetzentwurf zum Seerechtsübereinkommen der UNO, eine Frage vom Kollegen Kittelmann.
Frau Präsidentin, nachdem beim Seerechtsübereinkommen erfreulicherweise außerordentlich positive Veränderungen im umstrittenen Teil 11 zugunsten der Industrieländer erfolgt sind und es sich als richtig herausgestellt hat, daß wir dem Seerechtsübereinkommen nicht beigetreten sind und so als Außenstehende guten Druck ausüben konnten, frage ich die Bundesregierung, ob ihr Wunsch nach einer schnellen Ratifizierung einschließt, daß sie es auch für wünschenswert hält, daß das Übereinkommen, das jetzt erzielt worden ist, vorher durch die UNO sanktioniert werden muß?
Herr Kollege Kittelmann, bevor ich auf Ihre Frage eingehe, möchte ich zunächst einmal sagen, daß die Bundesregierung, nachdem bis zum 16. November 1993 60 Staaten das Internationale Seerechtsübereinkommen ratifiziert haben und damit das Ratifikationsverfahren in Gang gesetzt worden ist, heute die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dem Übereinkommen bis zum 16. November 1994, wenn es in Kraft tritt, beizutreten. Dazu bedarf es natürlich der Mithilfe des Bundestages und des Bundesrates. Wir sind uns bewußt, daß wir hier verkürzte Fristen haben müssen, damit wir dem Übereinkommen noch rechtzeitig beitreten können.
Wir haben ein etwas extraordinäres Verfahren gewählt: Wir haben jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. Wir werden bis etwa Ende Juni eine entsprechende Verordnung vorbereiten. Der Beitritt zum Internationalen Seerechtsübereinkommen setzt voraus, daß wir mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates alles Erforderliche bis zum 16. November 1994 geschaffen haben.
In diesem Zusammenhang möchten wir auch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die dieses Abkommen seit vielen Jahren, auch bei der Beratung in New York, Genf und Jamaika, begleiten, sehr herzlich für die Unterstützung danken. In diesen Dank beziehe ich ausdrücklich den Abgeordneten Kittelmann, der an vielen Sitzungen teilgenommen hat, ein.
Nun noch eine Zusatzfrage des Kollegen Kittelmann.
Frau Präsidentin, ich nehme an, daß die Bundesregierung es als so selbstverständlich voraussetzt, daß die Ratifizierung erst erfolgen soll, wenn die Änderungen an dem Übereinkommen in der UNO sanktioniert sind, daß es einer Beantwortung meiner ausdrücklichen Frage nicht bedurfte. Ich nehme dies gern entgegen.Meine nächste Frage ist: Ich weiß, daß inzwischen sichergestellt ist, daß der Seegerichtshof in Hamburg
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19763
Peter Kittelmannnicht gefährdet ist, und darf fragen, ob es auch die Bundesregierung so sieht, daß jetzt alle Voraussetzungen gegeben sind, damit das für Hamburg sehnliche Ziel, Sitz des Seegerichtshofs zu werden — für Sie als Hamburger eine besondere Freude —, verwirklicht werden kann.
Herr Kollege Kittelmann, Sie wissen, daß 1981 in Genf Hamburg als Sitz des Seegerichtshofs gewählt und die Bedingung formuliert worden ist, daß Hamburg nur dann Sitz dieses Internationalen Seegerichtshofs sein kann, wenn das internationale Seerechtsübereinkommen vom Sitzstaat, also der Bundesrepublik Deutschland, ratifiziert wird. Insoweit besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Ratifikation und dem Sitz des Seegerichtshofs in Hamburg.
Nun noch eine Frage vom Kollegen Harries.
Herr Staatssekretär, ich begrüße sehr, daß die sogenannten Dialogverhandlungen in New York, an denen die Bundesregierung aktiv und an hervorragender Stelle beteiligt war, zu einem befriedigenden und sachlich vernünftigen Ergebnis geführt haben, und bin dankbar dafür, daß Sie erklären, daß die Bundesregierung rechtzeitig ein Ratifikationsverfahren einleiten wird.
Fragen möchte ich, wie Sie die bekanntgewordene Intervention Rußlands beurteilen, das offenbar gegen das Verhandlungsergebnis zu Teil 11 Bedenken geäußert hat. Hat das Gewicht? Lassen sich die Bedenken ausräumen? Wie beurteilen Sie diese Intervention Rußlands?
Die Stellungnahme Rußlands wird sicherlich Gegenstand der nächsten Dialogrunde Ende Mai, Anfang Juni sein. Ich sehe keine Gefährdung der bisherigen Position der Industriestaaten. Es wird nach unserer Einschätzung zu einer einvernehmlichen Regelung kommen.
Weitere Fragen zu diesem Themenkomplex liegen mir nicht vor.
Darf ich fragen, ob es zu dem vierten Themenkomplex Fragen gibt? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Darf ich fragen, ob es weitere Fragen an die Bundesregierung gibt? — Auch dieses scheint nicht der Fall zu sein.
Herzlichen Dank. Dann sind wir am Schluß der Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde
— Drucksache 12/7527 —
Ich darf darauf hinweisen, daß die Fragestunde nur sehr kurz sein wird, und die Geschäftsführer bitten, Sorge zu tragen, daß wir dann den nächsten Tagesordnungspunkt debattieren können.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Fragen 13 und 14 der Frau Kollegin Siegrun Klemmer werden ebenso wie die Fragen 15 und 16 des Kollegen Dr. Dietrich Mahlo schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Deswegen können wir uns gleich dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes zuwenden. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Die Frage 24 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zu Frage 25 des Kollegen Gernot Erler:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Bemühen der Weltgesundheitsorganisation , vor dem Internationalen Gerichtshof ein beratendes Gutachten zur Völkerrechtsmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen zu erwirken, und in welcher Weise ist die Bundesregierung bereit, dieses Anliegen zu unterstützen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hält den Antrag der WHO auf Erstattung eines solchen Gutachtens für unzulässig, da er nicht im Einklang mit Art. 96 Abs. 2 der UN-Charta steht. Die vorgelegte Rechtsfrage stammt weder aus dem spezifischen Tätigkeitsbereich der WHO, noch ist die Organisation zur Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben auf die Beantwortung dieser Frage angewiesen.
Die Bundesregierung wird daher dem Internationalen Gerichtshof empfehlen, den Antrag der WHO abzulehnen. Aussprachen im Rahmen der Arbeitsgruppen der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik haben gezeigt, daß die anderen EU-Mitgliedstaaten diese Auffassung teilen.
Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hohen Haus in der Sache erklären, wieso die Frage der WHO nach Auswirkungen der Anwendung von Atomwaffen auf Gesundheit und Umwelt nicht Gegenstand einer völkerrechtlichen Entscheidung sein kann, obwohl sich diese Organisation doch insbesondere mit Gesundheit und Umwelt zu befassen hat, obwohl das doch ihre Aufgabe ist?Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie sind doch sicherlich mit mir einer Meinung, daß die Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen durch ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof nicht erreichen kann und wird, daß die derzeitigen Atomstaaten ihre Atomwaffen sozusagen abschaffen. Der Weg geht über die notwendigen politischen Gremien, über die internationalen Bemühungen im Rüstungskontrollbereich, sicher nicht über — wenn auch noch so gutgemeinte — Vorstellungen von Unterorganisationen.Nach unserer Rechtsauffassung und der aller Staaten der Europäischen Union ist es sicher nicht die Aufgabe der Weltgesundheitsorganisation, die mit ganz spezifischen Themen befaßt ist, sich nun über den Weg von Gutachten in die Atomwaffenpolitik der Atomwaffenmächte einzuschalten. Sie wird nicht allen Ernstes glauben, sie könne die atomaren Mächte
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19764 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Staatsminister Helmut Schäfermit solchen Gutachten zu etwas bringen, was diese politisch bisher nicht getan haben, und diese Staaten nun zu einer Änderung ihrer Haltung veranlassen. Ich glaube, wir sollten hier realistisch bleiben.Im übrigen darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß der von mir bereits einschlägig zitierte Art. 96 Abs. 2 tatsächlich auf den spezifischen Tätigkeitsbereich jeweiliger Unterorganisationen abstellt, wir also völkerrechtlich nicht der Auffassung sind, daß es Aufgabe der WHO ist, mit der Erstellung von Gutachten in diese sehr schwierige politische Materie einzugreifen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung von der Völkerrechtsmäßigkeit einer Anwendung von Atomwaffen in einem Konfliktfall ausgeht?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Nein, das können Sie so nicht, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Bindig.
Herr Staatsminister, wenn die WHO auch sicher nicht — wie Sie ja erläutert haben — Entscheidungen über die Beseitigung der Atomwaffenfällen wird, ist es nicht dennoch so, daß, wenn man noch zusätzliche Argumente sammeln will, ein Gutachten, welches im Auftrage der WHO erstellt worden ist, ganz wichtige Informationen liefern könnte, die die Willensbildung verschiedener Staaten doch beeinflussen können?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Bindig, es hat im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine Fülle von einschlägigen wissenschaftlichen Aussagen gegeben, nicht nur der WHO, sondern aller nur denkbaren Gruppierungen. Hinter Ihrer Frage steckt sicher auch eine sehr wichtige deutsche humanitäre Organisation — „Ärzte gegen Atomwaffen" —, die ja immer wieder beschworen und deutlich gemacht hat, welche verheerenden Folgen der Einsatz von atomaren Waffen hat. Es wäre all den Staaten, die über atomare Waffen verfügen, sicherlich nicht viel Neues über die katastrophalen Auswirkungen der Anwendung atomarer Waffen zu sagen.
Unsere Politik ist — um das noch einmal deutlich zu machen—nicht, über Umwege, über die Weltgesundheitsorganisation neue Argumente gegen atomare Kriegsführung zu gewinnen, sondern politisch alles zu tun, damit diese Art der Kriegsführung in Zukunft ausscheidet.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zu Frage 26 des Kollegen Erler:
Welche Stellungnahme wird die Bundesregierung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag bis zu dem vorgesehenen Stichtag 10. Juni 1994 zur von der WHO aufgeworfenen Frage der Legalität von Atomwaffen abgeben?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird in ihrer Stellungnahme den Gutachtenantrag der WHO als unzulässig bezeichnen. Im übrigen verweist sie auf die Antwort auf eine Große Anfrage zu kriegsvölkerrechtlichen Grundsätzen aus dem Jahre 1983, in der sie die Frage nach der Völkerrechtsmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen ausführlich beantwortet hat. Sie ist der Auffassung, daß ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes zur Frage der Legalität des Atomwaffeneinsatzes den fortgesetzten Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbemühungen nicht förderlich wäre.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, begibt sich die Bundesregierung durch diese rein formaljuristisch gehaltene Antwort nicht der Chance, eine zusätzliche Unterstützung für das Ziel der Bundesregierung, z. B. das Nichtverbreitungsregime zu stärken, dadurch zu schaffen, daß sie hier eine inhaltliche Stellungnahme zu der Frage der Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen abgibt?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, darüber kann man sicher geteilter Meinung sein. Ich würde auch nicht völlig ausschließen, daß das ein zusätzliches Argument sein könnte. Aber wir setzen zunächst einmal auf die wichtigen Entscheidungen im Hinblick auf die weitere Geltung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Die Verhandlungen sind ja schon in den Vorstadien. Es geht im nächsten Jahr um die Verlängerung des Vertrages. Ich gehe davon aus, daß wir auch mit Gutachten, die Sie für wichtig hielten, leider nur sehr schwer schon jetzt Art. I und II dieses Vertrages aufheben können, denn in Art. IX Abs. 3 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen wird gesagt, daß die als solche definierten sogenannten Kernwaffenstaaten das Recht zum Besitz von Nuklearwaffen haben. Es müßte also der Vertrag geändert werden. Es müßte darüber hinaus politisch die Bereitschaft der betreffenden Staaten erreicht werden, ihre Politik völlig zu ändern. Das ist nach all dem, was wir und was Sie wissen, vorläufig sicher nicht der Fall, langfristig aber unsere Zielsetzung.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung bei ihrer Verweigerungshaltung, eine Stellungnahme abzugeben, mit anderen Staaten, mit anderen westlichen Staaten vor allem, abgestimmt, oder ist damit zu rechnen, daß andere Staaten eine inhaltliche Stellungnahme abgeben werden?Helmut Schäfer, Staatsminister: Eine Verweigerungshaltung, Herr Kollege, kann ich hier nicht erkennen. Ich hatte Ihnen ja schon einmal gesagt, daß wir bei der Frage, ob die WHO auf Grund der bestehenden UN-Charta das Recht hat, zu einer solchen Frage ein Gutachten zu bestellen, nein sagen, weil wir den Artikel mit den anderen Partnerstaaten in der Europäischen Union so beurteilen, daß es nicht die Aufgabe dieser Organisation ist, dieses Gutachten zu bestellen. Das ist keine Verweigerungshaltung, auch
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Staatsminister Helmut Schäferkeine formatrechtliche Einstellung, sondern eher eine politisch notwendige, weil es jetzt darauf ankommt, in ganz anderer Weise Ihrem und unserem Anliegen gerecht zu werden.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Wir kommen dann zur Frage 27 der Kollegin Dr. Helga Otto:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung in der Frage nach der Legalität des Besitzes atomarer Waffen beim Internationalen Gerichtshof ein?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, der Internationale Gerichtshof hat die Bundesrepublik um Stellungnahme zur Frage der Rechtmäßigkeit des Einsatzes atomarer Waffen und nicht zur Frage der Legalität des Besitzes dieser Waffen gebeten. Die Bundesregierung hält im übrigen den zugrunde liegenden Antrag der WHO auf Erstattung eines solchen Gutachtens für unzulässig, da er, wie ich bereits soeben ausgeführt habe, nach unserer Auffassung nicht im Einklang mit Art. 96 Abs. 2 der UN-Charta steht. Die vorgelegte Rechtsfrage stammt weder aus dem spezifischen Tätigkeitsbereich der WHO, noch ist die Organisation zur Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben auf die Beantwortung dieser Frage angewiesen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Otto? — Nein, das ist nicht der Fall. Gibt es weitere Zusatzfragen? — Auch das nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 28 der Frau Kollegin Dr. Helga Otto auf:
Wann wurde die Stellungnahme dazu in Den Haag vorgelegt?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung wird ihre Stellungnahme innerhalb der vom Internationalen Gerichtshof vorgeschriebenen Frist abgeben. Diese läuft bis zum 10. Juni 1994. Ich habe mich noch heute vormittag vorsorglich informiert. Bis zu diesem Datum wird die Bundesregierung nach Absprache zwischen den Ressorts ihre Stellungnahme abgeben.
Eine Zusatzfrage von Ihnen, Frau Kollegin Otto? — Nein. Eine Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, ich nutze die gute Gelegenheit, daß die Kollegin Otto ähnliche Fragen wie ich gestellt hat, um meine letzte Frage an Sie zu wiederholen, weil Sie sie nicht beantwortet haben. Ich hatte Sie nämlich gefragt, ob es eine Abstimmung hinsichtlich dieser Nichtstellungnahme der Bundesregierung mit anderen Ländern gibt oder ob zu erwarten ist, daß andere westliche Staaten doch eine inhaltliche Stellungnahme vor dem Gerichtshof abgeben werden.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es entzieht sich meiner Kenntnis, welche anderen westlichen Staaten möglicherweise eine solche Stellungnahme abgeben könnten. Ich bin gerne bereit, das festzustellen. Ich hatte Ihnen nur über die Europäische Union berichtet, also über unsere europäischen Partner. Diese teilen unsere Auffassung. Welche anderen westlichen Staaten möglicherweise eine andere Stellungnahme abgeben könnten, kann ich im Moment nicht beantworten.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.Dann kommen wir zur Frage 29 des Kollegen Claus Jäger:Weshalb unternehmen die Vereinten Nationen nichts gegen das schauerliche Blutvergießen in Ruanda, und was geschieht nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seitens der Völkergemeinschaft für die Versorgung der in die Nachbarländer geflohenen und dort in Flüchtlingslagern lebenden Ruander?Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, der UN-Sicherheitsrat hat am 17. Mai 1994, also vorgestern, eine Resolution verabschiedet, die vorsieht, eine 5 500 Mann starke UN-Truppe nach Ruanda zu entsenden. Es soll sich um eine humanitäre Operation mit den Schwerpunkten „Schutz für ruandische Flüchtlinge und Vertriebene" und „Sicherung des Flusses der humanitären Hilfe" handeln.Die UN haben inzwischen mit Hilfsflügen nach Ruanda begonnen. Darüber hinaus haben die UN, insbesondere UNHCR, Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge in Nachbarländern Ruandas eingeleitet.Die Vereinten Nationen können nicht für den mangelnden Friedenswillen von Konfliktparteien in den verschiedenen Krisenregionen dieser Welt verantwortlich gemacht werden. Nach der Vereinbarung von Arusha waren UN-Friedenstruppen in Ruanda unter der Voraussetzung eingesetzt worden, daß sich ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs verhindern ließe. Für ein aktives Eingreifen in kriegerische Auseinandersetzungen hatten sie weder das Mandat noch die entsprechende militärische und technische Ausrüstung.Der UN-Generalsekretär kam deshalb in seinem Bericht vom 20. April dieses Jahres zu der Schlußfolgerung, daß es UNAMIR, also dieser UN-Truppe, unter den veränderten Bedingungen des ausgebrochenen Bürgerkrieges unmöglich war, ihr zuletzt am 5. April verlängertes Mandat zu erfüllen.Auf der Grundlage dieses Berichtes beschloß der Sicherheitsrat mit Resolution 912 am 21. April, das Mandat von UNAMIR in veränderter Form zunächst mit nur 270 Personen teils zivilen, teils Militärpersonals fortzusetzen. Kernpunkte der Resolution waren: Vermittlung zwischen den Parteien, um deren Zustimmung zu einem Waffenstillstand zu erreichen; Unterstützung der Wiederaufnahme humanitärer Hilfsmaßnahmen im Rahmen des Möglichen; die Ereignisse in Ruanda, einschließlich der Sicherheitslage von Zivilisten, die in UNAMIR-Einrichtungen Zuflucht gesucht haben, zu überwachen und darüber zu berichten.Darüber hinaus hat sich der Generalsekretär intensiv bemüht, verschiedene afrikanische Länder direkt und über die Organisation Dar Afrikanische Einheit zur Bereitstellung von Truppen für ein eventuelles militärisches Eingreifen zu gewinnen. Inzwischen haben sich Tansania, Ghana und Nigeria bereit erklärt, Soldaten nach Ruanda zu schicken — kein westlicher Staat.
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19766 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jäger.
Herr Staatsminister, nachdem mit dem von Ihnen zitierten Beschluß des Sicherheitsrates wenigstens ein kleines Hoffnungszeichen gesetzt wird, möchte ich doch noch einmal fragen: Wie sieht jetzt im einzelnen die Situation in den Flüchtlingslagern aus? Was tun — danach hatte ich auch gefragt — die Vereinten Nationen über das hinaus, was sie bisher schon getan haben?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Sie wissen, daß es inzwischen seitens der Vereinten Nationen schon Hilfsflüge gibt und daß auch wir gebeten worden sind, uns in diesem Zusammenhang zu beteiligen. Darüber wird gerade zur Zeit, nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern auch mit den Fraktionen, gesprochen, weil hier wiederum gewisse Schwierigkeiten aufzutreten scheinen. Ich will das jetzt nicht vertiefen.
Es geht darum, daß schnellstmöglich geholfen wird, daß also erstens durch Maßnahmen der jeweiligen UN-Flüge — also durch die Verbringung von Medikamenten und Materialien zur Hilfe in den Flüchtlingslagern — in Ruanda selbst etwas getan wird und daß zweitens so schnell wie möglich die UN-Truppenstärke von 5 500 Mann, die in Ruanda tätig werden, sichergestellt wird, was ein schwieriger Prozeß ist, wie Sie sich vorstellen können, denn der Generalsekretär muß erst einmal Staaten finden, die bereit sind, Truppen dorthin zu schicken.
Ich kann Ihnen sagen, daß wir dabei sind, uns mit zu beteiligen, und daß wir hoffen, möglichst schnell mitzuwirken, Lufttransportleistungen von Nairobi nach Kigali durchführen zu können.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Jäger.
Herr Staatsminister, nachdem die in Ruanda stattfindenden Massaker in ihrer Grausamkeit und in dem Umfang der eingetretenen Verluste in der Bevölkerung selbst das inzwischen an Schreckliches gewöhnte Vorstellungsvermögen in der Welt noch bei weitem übersteigen, möchte ich fragen: Welche Aktivitäten entfaltet insbesondere die Bundesregierung im Rahmen der Vereinten Nationen, um dafür einzutreten, daß die Maßnahmen der Vereinten Nationen über das von Ihnen geschilderte Maß hinaus noch verstärkt werden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Alles, was wir in den Vereinten Nationen verlangen, wird immer die Gegenfrage auslösen: Was tun Sie dabei? Hier stoßen wir gelegentlich immer noch auf gewisse Schwierigkeiten, z. B. auf die Tatsache — ich will das hier andeuten —, daß sich dann, wenn wir Transallmaschinen zur Verfügung stellen, die Lebensmittel, Medikamente und anderes mehr dorthin bringen und wenn möglicherweise auch der Transport einiger weniger Beobachter der Vereinten Nationen in diesen deutschen Flugzeugen erfolgen soll, hier schon wieder die Frage nach theoretischen Spitzfindigkeiten, ob das mit der Verfassungslage in Einklang steht, stellt.
Ich darf hier nur einmal andeuten, wie schwierig die Situation ist und wie wenig wir ernst genommen werden könnten, wenn wir in den Vereinten Nationen dauernd als besonders moralische Kritiker auftreten, ohne selber in der Lage zu sein, bei solchen Operationen militärisch mitzuwirken oder möglicherweise auch nur andere Militärs dorthin zu transportieren. Das ist die Sachlage.
Insofern warne ich immer wieder vor einer allzu massiven Kritik an den Vereinten Nationen. Die sind ja nun keine Organisation, die eine Truppe hat, die ihr zur Verfügung steht, die sie sofort einsetzen kann. Der Generalsekretär muß einen Konflikt nach dem anderen lösen. Die Welt schreit nach den Vereinten Nationen. Insofern bitte ich doch um Verständnis, daß wir im Rahmen dessen, was jetzt vom Sicherheitsrat beschlossen worden ist, mitwirken wollen, soweit wir es können, und wir hoffen, daß die afrikanischen Staaten, die jetzt schon bereit sind, Truppen zu entsenden, noch durch weitere Staaten unterstützt werden, eben durch Entsendung von Truppen, die dann insgesamt bis zu 5 500 Mann stark sind.
Ich darf Ihnen weiter sagen, daß eine darüber hinausgehende Truppenstärke auch an Bedenken der amerikanischen Regierung scheitert.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, bei dieser Frage drängt sich ja der Vergleich mit Somalia auf. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wie kommt es denn, daß bei zwei unterschiedlichen afrikanischen Ländern — wobei man eigentlich, wie der Kollege Jäger eben, glaube ich, richtig gesagt hat, davon ausgehen kann, daß die Verstöße gegen Menschlichkeit sowie Mord und Totschlag in Ruanda eigentlich noch schlimmer sind als die in Somalia — die Bundesregierung so unterschiedliche Entscheidungen fällt? Damals hat sie immerhin 1 700 Bundeswehrsoldaten in Marsch gesetzt. Das tut sie jetzt nicht.Können Sie einmal dem Hohen Haus die Kriterien nennen, wonach entschieden worden ist, daß zwar in Somalia ein so umfangreicher Einsatz stattgefunden hat, während man hier den Eindruck hat, daß Sie die Auffassung vertreten, es sei eher eine Sache von benachbarten afrikanischen Staaten, eine Intervention in Ruanda vorzunehmen.Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Erler, Sie versuchen jetzt, mit einer Polemik, die die Bemühungen der Bundesregierung sicher nicht ganz trifft, die Dinge etwas zu verklären. Im Falle Somalia ist die Bundesregierung von den Vereinten Nationen angesprochen worden, zu einer großangelegten militärischen Operation — Sie erinnern sich, in einer sehr viel höheren Zahl als 5 500 — mit beizutragen.Im Falle Ruanda hat der Sicherheitsrat die Zahl 5 500 beschlossen und auch bereits genannt. Ich habe Kollegen Jäger eben gesagt, und ich darf es noch einmal deutlicher ausführen, daß die Forderungen nach einem massiven militärischen Eingreifen wie seinerzeit in Somalia seitens der UN nicht vorgesehen sind. Warum? Weil es Bedenken gibt, daß in einer ungeordneten Situation, in der weder ein Waffenstill-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19767
Staatsminister Helmut Schäferstand herrscht noch die Zustimmung aller Konfliktparteien zum UN-Einsatz vorliegt und zudem eine sehr schlimme Auseinandersetzung anhält, die, wie Sie richtig sagen, gar nicht mit Somalia vergleichbar ist, auf Grund deren die großen Staaten dieser Welt, auch die Sicherheitsratsstaaten, eben nicht bereit sind, eine größere Truppe in diesen schwierigen Raum zu senden.Insofern sind wir — das muß ich noch einmal sehr deutlich machen — nicht gefragt worden, ob wir bereit wären, wie im Falle Somalia Truppen zu entsenden, sondern wir sind lediglich am 17. Mai, also vorgestern, vom UN-Sekretariat gefragt worden, ob die Bundesregierung im Austausch für ein kanadisches Transportflugzeug ab dem 23. Mai, also nächste Woche, zunächst für ca. drei bis vier Wochen bereit ist, Lufttransportleistungen von Nairobi nach Kigali durchzuführen.Wir haben natürlich bereits eine ganze Reihe humanitärer Leistungen erbracht — das darf ich hier sagen —, haben auch über den UNHCR beträchtliche Summen zur Verfügung gestellt, insgesamt Leistungen, die sich derzeit mit den Betreuungen in den Lagern auf über 1,8 Millionen DM für medizinische und andere Hilfen belaufen.
Eine weitere Zusatzfrage kommt vom Kollegen Jan Oostergetelo.
Herr Bundesminister!
— Ich hätte nichts dagegen! Aber ich möchte mich verbessern: Herr Staatsminister, ich kann mir nicht vorstellen, daß es eine Stabilisierung in Kigali geben kann, wenn es nicht auch in Bujumbura und Kampala in dieser Richtung Hilfen gibt. Frage: Hat die Bundesregierung auf Bujumbura und Kampala Einfluß genommen, und wie sieht z. B. Staatspräsident Museveni die Dinge? Können Sie dazu etwas sagen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Ganz entscheidend wird sein, daß die Verhandlungen von Arusha in der nächsten oder übernächsten Woche wiederaufgenommen werden. Bei diesen Verhandlungen, bei denen insbesondere der tansanische Präsident, aber auch die Präsidenten der von Ihnen genannten Nachbarstaaten eine sehr positive Rolle gespielt haben, versucht man ja, die Bürgerkriegsparteien an einen Tisch zu bekommen, um einen politischen Frieden auszuhandeln.
Die beiden Präsidenten sind genauso wie wir alle machtlos, wenn es darum geht, diesem gräßlichen Treiben ein Ende zu setzen. Wir haben leider Gottes keinen Einfluß nehmen können. Selbst die afrikanischen Staaten und auch die Organisation für Afrikanische Einheit, in der Herr Museveni eine herausragende Rolle spielt, haben gesagt, daß selbst sie nicht in der Lage seien, dieses Problem zu lösen, und sie bitten die Vereinten Nationen, tätig zu werden. Das ist die alte Erfahrung: Afrika selber ist noch nicht in der Lage, afrikanische Konflikte allein und mit den eigenen Möglichkeiten zu beenden.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen damit zur Frage 30 des Kollegen Bindig:
Wie wird die Bundesregierung im bilateralen und multilateralen Bereich darauf reagieren, daß in Italien Minister ernannt worden sind, die zu den Neofaschisten gehören, insbesondere wird sie mit den neofaschistischen Ministern „normale" politische Beziehungen unterhalten, oder wird sie jeden Umgang mit diesen Ministern meiden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Bindig, das italienische Volk hat in freien und demokratischen Wahlen sein Parlament gewählt, dem auch Abgeordnete der ehemaligen neofaschistischen Partei MSI, jetzt Allianza Nazionale, angehören. Daß auch Abgeordnete dieser Partei als Minister im Kabinett vertreten sind, ist daher Folge souveränen Willens der italienischen Wähler, den die Bundesregierung weder zu kommentieren noch zu kritisieren hat.
Die Bundesregierung wird die ausgezeichnete deutsch-italienische Zusammenarbeit im bilateralen wie im multilateralen Bereich auch mit der Regierung von Ministerpräsident Berlusconi fortsetzen, der versichert hat, daß seine Regierung außenpolitisch die traditionelle Friedenspolitik fortführen und allen internationalen Verpflichtungen nachkommen wird sowie den demokratischen Werten der Italienischen Republik und Europas auch weiterhin verpflichtet bleibt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Bindig.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es in anderen Ländern, so z. B. in der Schweiz, durchaus eine öffentliche politische Diskussion darüber gibt, wie man mit den italienischen Ministern umgehen soll, und daß in diesen Ländern sogar im jeweiligen Kabinett eine Haltung festgelegt wird, und will die Bundesregierung es jedem einzelnen Minister, z. B. dem Postminister, dem Landwirtschaftsminister, dem Verkehrsminister und dem Umweltminister — das sind wohl die Betroffenen —, und seinem Gespür überlassen, wie er mit den neofaschistischen Ministern umgeht?Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde davor warnen, alle Mitglieder der italienischen Regierung, die dieser Partei, also der Allianza Nazionale, angehören, als Faschisten anzusehen. Das kann man so nicht machen. Herr Fini hat sich in letzter Zeit wiederholt sehr deutlich beispielsweise von den neofaschistischen Demonstrationen in Vicenza distanziert.
Soviel ich weiß, ist inzwischen sogar ein Dekret der Regierung herausgegeben worden, das solche Demonstrationen verbietet.Ich hielte es für außerordentlich gefährlich, wenn wir jetzt anfangen würden festzustellen, welche Minister möglicherweise nach unserer Auffassung von
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19768 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Staatsminister Helmut SchaferAufarbeitung der Vergangenheit und der Gegenwart nicht mehr Gesprächspartner von deutschen Ministern sein dürften. Ich hielte das für verhängnisvoll. Wir sollten doch bitte erst einmal abwarten, was die italienische Regierung leistet. Sie hat Erklärungen abgegeben, und wir werden sehen, wie die Zusammenhänge sind. Von moralischen Verurteilungen von Ministern befreundeter Partnerstaaten kann ich nur dringend abraten.
Ihre zweite Zusatzfrage, Kollege Bindig.
Teilt dann die Bundesregierung nicht die Auffassung, daß sich das demokratische Europa frühzeitig gegen jede Akzeptanz oder Aufwertung faschistischen Denkens wenden muß, und zwar angesichts der Tatsache, daß Faschismus einerseits und an ethischen Werten ausgerichtete Demokratie andererseits in striktem Gegensatz zueinander stehen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden hier — entschuldigen Sie, wenn ich das so sage — sehr theoretisch. Wir teilen natürlich die Auffassung, daß faschistisches Gedankengut, wo auch immer und wie auch immer, nicht die Zukunft Europas bestimmen darf. Aber wir müssen davon ausgehen, daß es in Italien auch bei dieser Partei eine Wandlung gegeben hat — sonst wäre sie mit Sicherheit nicht in dieser Regierung —, die durchaus klarmacht, daß zwischen Mussolini-Faschismus und der heutigen Allianza ein ganz erheblicher Unterschied besteht.
Im übrigen werden wir — ich darf das wiederholen — abwarten, wie sich einzelne Persönlichkeiten dieser Partei verhalten werden.
Aber es wäre wirklich unerhört, wenn wir, nachdem diese Regierung gestern erst im Parlament bestätigt worden ist, jetzt schon sozusagen den Stab über sie brechen würden. Ich halte das nicht nur für eine gefährliche Art und Weise, mit demokratisch gewählten Vertretern anderer Staaten umzugehen, sondern auch für eine Vorverurteilung, die wir uns weiß Gott als europäische Partner nicht leisten können.
Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen Klaus Jäger, dann der Kollegin Schulte, dann des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, wird sich die Bundesregierung in ihrem Verhalten gegenüber der italienischen Regierung von früheren Vorgängen leiten lassen, bei denen mit Sicherheit niemals gefragt worden ist, ob z. B. Minister einer damaligen polnischen oder bulgarischen oder ungarischen Regierung etwa kommunistisches Gedankengut offen propagieren und vertreten, weil sie der kommunistischen Partei ihres Landes angehört haben?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, Ihre Frage richtet sich mehr an die Kollegen aus der SPD, die mich gerade gefragt haben. Ich verstehe die Polemik. Wir haben auch damals — —
Die Frau Präsidentin weist der guten Ordnung halber darauf hin, daß Dreiecksfragen normalerweise nicht zulässig sind. Ich will nur sagen, daß Sie jetzt nicht interpretieren können, was die SPD eventuell gemeint haben könnte.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Frau Präsidentin, aber es war doch für das Publikum hier schon wichtig, deutlich zu machen, worauf sich die Frage von Herrn Jäger richtet. Er wird sicher bestätigen können, daß sich die Frage — so befürchte ich — weniger an mich richtet.
Wir haben immer Beziehungen mit Staaten unterhalten, die in keiner Weise immer unserem Gedankengut entsprochen haben. Ich glaube allerdings, schon der Vergleich zwischen dem Gedankengut in früheren kommunistischen Staaten und dem Gedankengut junger Repräsentanten einer sich wandelnden Partei ist nicht mehr zulässig.
Ich kann nur sagen: Warten wir bitte ab. Es besteht für die Bundesregierung kein Anlaß, in irgendeiner Weise italienische Politiker, die — ich sage das noch einmal — bei einer freien und demokratischen Wahl ins Parlament gewählt worden sind und jetzt der Regierung angehören, vorzuverurteilen oder moralisch abzuwerten.
Jetzt eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Schulte.
Herr Staatsminister, trifft es dann nicht zu, daß die amerikanische Regierung, die französische Regierung und auch die britische Regierung beunruhigt sind durch die Feststellung, daß einer der Koalitionspartner und Minister, Herr Fini, den früheren Diktator Mussolini als den „größten italienischen Staatsmann dieses Jahrhunderts" bezeichnet hat?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, Herr Fini hat sich meines Wissens inzwischen von dieser Äußerung distanziert. Im übrigen gehört er nicht der Regierung an.
Nun noch eine Zusatzfrage des Kollegen Gernot Erler.
Herr Staatsminister, in einem anderen Fall hat die Bundesregierung einen ebenfalls frei gewählten Vertreter eines großen Nachbarvolkes, nämlich Herrn Schirinowski aus der Russischen Föderation, die Einreise verwehrt. Auch der ist frei gewählt worden. Sehen Sie einen qualitativen Unterschied zwischen dem russischen Rechtsextremismus und Faschismus, den Herrn Schirinowski vertritt, und dem — da stimme ich Ihnen zu —, den nicht alle Vertreter der Allianza Nazionale vertreten, wohl aber der neofaschistische Teil der Allianza Nazionale, der hier in Frage steht?Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich sehe darin einen ganz beträchtlichen Unterschied.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19769
Weitere Zusatzfragen liegen dazu nicht vor.
Wir kommen nun zur Frage 31 des Kollegen Rudolf Bindig:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Monitor-Sendung vom 12. Mai 1994, die von der Bundesregierung zur Bildauswertung über deutsche Waffenlieferungen in die Türkei in bezug auf den abgebildeten Schützenpanzer BTR-60 PB getroffene Feststellung, „daß anhand der äußeren Merkmale der Fahrzeuge, soweit sie auf den Photos festgestellt werden können, ..., nicht nachweisbar" sei, „daß es sich um Fahrzeuge aus deutschen Lieferungen handelt", und die dazu gelieferte Begründung durch Aussagen russischer und ehemaliger NVA-Experten nicht nur detailliert widerlegt wird, sondern daß durch etliche weitere Merkmale schlüssig die Herkunft der Schützenpanzer aus Deutschland bewiesen wird, und ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf diese Erkenntnisse und Beweisführung ihre bisher vertretene Auffassung zu korrigieren?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung bleibt bei der in den Schreiben an die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses vom 4. Mai 1994 dargelegten Auffassung, die übrigens gestern sowohl vom Bundesverteidigungsministerium als auch von uns, dem Auswärtigen Amt, noch einmal in beiden Ausschüssen vertreten worden ist und die auf der Auswertung des Bundesministeriums der Verteidigung beruht, nämlich daß anhand des vorliegenden Bildmaterials ein vertragswidriger Einsatz von Waffen und Gerät aus Rüstungshilfsprogrammen der Bundesregierung an die Türkei nicht bewiesen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bindig? — Bitte.
Herr Staatsminister, da Sie noch einmal auf das ursprüngliche Schreiben des Chefs des Führungsstabes der Streitkräfte abgestellt haben und nicht auf die neuerliche Beweisführung, die ich erfragt habe, möchte ich dann doch noch einmal fragen: Hat man denn diese neuen Argumente und die Ausstattungsmerkmale, die dort neu genannt worden sind, nochmals geprüft? Hat das Verteidigungsministerium das noch einmal überprüft, insbesondere auch die Aussagen der russischen Experten, die ja darauf hinauslaufen, zu sagen: Die Panzer, die dort abgebildet sind, stammen nicht aus dem russischen Bestand, weil sie andere Merkmale aufweisen? Hat man denn das nach der neuerlichen Sendung noch einmal überprüft, oder berufen Sie sich nur auf das Alte?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Nein, Herr Kollege, ich berufe mich schon auf das neueste Ergebnis.
Das wurde gestern auch sehr ausführlich im Verteidigungsausschuß und auch im Auswärtigen Ausschuß
angesprochen. Ich würde Sie sehr herzlich bitten,
zuzustimmen, daß Ihnen der Kollege Wilz aus dem
Verteidigungsministerium die neuerlichen Prüfungsergebnisse zu den Behauptungen in der „Monitor"Sendung, sofern sie Ihnen noch nicht zugegangen
sind, vorlegt. Er hätte heute hier sein können, aber er
hätte ja nach der Geschäftsordnung nicht auf Ihre
Frage antworten können, weil das Auswärtige Amt
dafür zuständig ist. Ich habe das aber mit Herrn Wilz
schon abgesprochen. Er wartet, daß diese Anfrage kommt, und wird dafür sorgen, daß Sie, weil Sie nicht im Verteidigungsausschuß oder im Auswärtigen Ausschuß sind, das Material bekommen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sprechen denn nicht schon Überlegungen der Logik dafür? Wenn 300 Schützenpanzer aus Deutschland geliefert worden sind und rund 50 aus Rußland, dann kann zwar nicht ein hundertprozentiger Nachweis erbracht werden, daß diejenigen, die dort fahren, unbedingt aus Deutschland stammen, aber die Wahrscheinlichkeit, daß es so ist, ist bei der Vielzahl der aus Deutschland dorthin gelieferten Schützenpanzer sehr hoch, zumal wenn darüber hinaus noch Merkmale darauf hinweisen. Was muß eigentlich bewiesen werden, bis die Bundesregierung zugeben kann, daß aus Deutschland gelieferte Schützenpanzer offensichtlich dort eingesetzt werden?Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wir hatten die vertraglich mit der Türkei schon vor Jahren vereinbarte Ausrüstungshilfe, die Sonderhilfe, die Rüstungshilfe und die Lieferung von NVA-Gerätschaften, die der Türkei zugesagt worden sind, gestoppt, und zwar auf Grund der Behauptungen in der deutschen Öffentlichkeit, daß entgegen einer ausdrücklichen Absprache die Türkei solche von Deutschland gelieferten Waffen — insbesondere geht es hier um die alten NVA-Waffen der DDR — im Einsatz gegen die Kurden verwendet würden. Sie wissen das; wir haben das gestoppt.Wir haben dann gesagt, daß wir, wenn sich durch die Prüfung herausstellen würde, daß diese Behauptungen, mit aus Deutschland stammenden Waffen seien die Kurden bekämpft worden, nicht zutreffen oder nicht eindeutig bewiesen werden könnten, die Lieferungen, die ja am Ende dieses Jahres sowieso auslaufen, fortsetzen. Wir müssen Verträge erfüllen. Wenn Sie Verträge erfüllen wollen, können Sie sich nicht darauf verlassen, daß die von diesem oder jenem angeblichen Experten behauptete eindeutige Aussage, daß diese Waffen aus deutscher oder aus DDR-Produktion stammten, zutrifft, sondern Sie müssen den Beweis führen, und Sie können ihn angesichts der Prüfung nicht führen. Wir können nicht Verträge brechen, weil in einer „Monitor"-Sendung zwei sogenannte Experten behauptet haben, dieses sei eindeutig Gerät, das aus deutscher Produktion kommt, nachdem feststeht, daß aus der russischen Produktion entsprechende Geräte kommen. Ich kann es nur so wiederholen.Ich wäre dankbar, wenn dieser waffenspezifische Teil, Frau Präsidentin, noch durch Angaben des Bundesverteidigungsministeriums ergänzt würde. Es ist nicht unsere Aufgabe und gehört nicht in unseren Bereich, die Rückspiegel verschiedener leichter Panzer zu vergleichen. Das hat das Verteidigungsministerium vorgenommen.
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19770 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Nun eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Uta Zapf.
Herr Staatsminister, wenn ich Sie jetzt richtig interpretiere, bezichtigen Sie die beiden Experten, die in Monitor aufgetreten sind, der Unkenntnis oder vielleicht auch der Falschaussage. Würden Sie dann bitte die Qualifikation der Experten benennen, die bei der Prüfung durch das Verteidigungsministerium ihre Aussagen gemacht haben, zumal Sie z. B. auch im Verteidigungsausschuß keine Rechenschaft ablegen konnten über die Frage der Seitenstützen bei den in Monitor vorgeführten Panzern, die offensichtlich exklusiv bei den Beständen aus der ehemaligen NVA anzutreffen sind?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, zunächst habe ich niemanden, der in der MonitorSendung aufgetreten ist, der Unwahrheit bezichtigt, sondern nur gesagt: Wenn dort zwei Experten aufgetreten sind, können Sie nicht behaupten, daß diese Experten sozusagen ex cathedra feststellen, was nun aus deutscher Produktion kommt oder nicht. Das sind nur zwei Experten.
Es gab viele Experten, die sich mit den Vorwürfen befaßt haben. Ich habe Sie schon einmal, und darf das wiederholen, an das Verteidigungsministerium verwiesen. Ich bitte Sie, wenn Sie die Berichte über die Prüfung noch nicht haben, sie sich bitte geben zu lassen, aus denen hervorgeht, daß ein Beweis nicht geführt werden kann.
Ich darf außerdem sagen: Es ist auf Grund der zu Recht erfolgten öffentlichen Debatte in Deutschland, der Kritik an der Türkei, noch einmal und zum wiederholten Mal der Türkei gesagt worden: Es kann nicht angehen, daß solche Waffen aus deutscher Produktion eingesetzt werden. Es ist uns dann schriftlich erneut versichert worden, daß solche Waffen in der Osttürkei zur Sicherung der Grenzen stationiert sind — das habe ich gestern im Verteidigungsausschuß auch schon gesagt —, zwar dort stationiert sind, aber ausschließlich der Armee dienen, und daß die Einsätze gegen die PKK von der Gendarmerie durchgeführt werden, von der solche Waffen angeblich gar nicht benutzt werden können.
Ich kann nur sagen: Hier steht Aussage gegen Aussage. Wir können auf Grund unserer Prüfung den eindeutigen Beweis nicht führen, der dazu führen würde, einen Vertrag mit der Türkei zu brechen. Dazu müssen einfach die Beweise ausreichend und die Evidenz ganz klar sein.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Gernot Erler.
Herr Staatsminister, bleibt Ihr Haus bei der Erklärung, die Herr Kinkel in diesem Zusammenhang als Entlastungsargument abgegeben hat, daß es auch sein könnte, daß diese Accessoires, die eindeutig von deutschen BTR-60 stammen, nachträglich von der türkischen Seite an russische BTR-60 angebracht worden sein könnten? Und ist Ihr Haus bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach den von der Bundesregierung abgegebenen Erklärungen Aussagen türkischer Politiker vorliegen, die zugeben, daß deutsche BTR-60 in Ostanatolien in einem zivilen Zusammenhang eingesetzt worden sind?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur wiederholen, was ich eben gesagt habe: Wir haben das Verteidigungsministerium gebeten nachzuprüfen, ob Vorwürfe, wie sie erhoben worden sind, zutreffend sind und ob eindeutige Beweise vorliegen, daß diese Waffen aus deutscher Produktion stammen. Eine solche Eindeutigkeit konnte auf Grund der Prüfung nicht festgestellt werden. Wir haben das wiederholt erklärt. Alle anderen Aussagen, wer was wann wo eingebaut haben könnte, kann ich hier nicht ausführen. Es tut mir furchtbar leid. Ich bitte also, waffentechnische Fragen über Rückblenden und Seitenstützen mit dem Bundesverteidigungsministerium abzuhandeln. Es ist wirklich nicht die Aufgabe des Auswärtigen Amtes, solche Einzelheiten hier in der Öffentlichkeit zu diskutieren,
nachdem sie im Ausschuß ausführlich diskutiert worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Jan Oostergetelo.
Herr Staatsminister, unabhängig davon, ob von uns gelieferte Waffen eingesetzt worden sind oder nicht, hat die Bundesregierung den Versuch unternommen, in einem verbündeten Land, unabhängig von der Herkunft der Waffen, auch Einfluß darauf zu nehmen, wie die Regierung mit den Kurden umgeht, und hat sie ihnen das mißbilligend auch mitgeteilt?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Oostergetelo, wir haben in den letzten zwei Jahren hier eine Fülle von Debatten zu diesem Thema geführt. Wir haben wiederholt klargemacht, in welcher Weise wir auch mit der türkischen Seite gesprochen haben im Hinblick auf die Einhaltung dessen, was wir als europäische Rechtsnormen bezeichnen müssen. Die Türkei bewirbt sich immer noch um die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft und muß sich dann an die Rechtsnormen halten, die für die Europäische Gemeinschaft gelten.
Ich kann nur sagen: Wir brauchten nicht erst die letzten Thematiken, um uns mit der Türkei auseinanderzusetzen. Wenn Sie die Berichte der letzten Tage lesen, dann wissen Sie auch, mit welchen Methoden beispielsweise die PKK vorgeht. Und es sind wohl auch dort Waffen im Spiel, die aus Produktionen kommen, die vielleicht auch einmal die Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages finden sollten, mit denen türkische Dorfbewohner ermordet werden. Auch das muß, glaube ich, mal geprüft werden.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen werden die Frage 32 des Kollegen Benno Zierer, die Frage 33 des Kollegen Ortwin Lowack und die Frage 34 des Kollegen Dr. Egon Jüttner schriftlich
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19771
Vizepräsidentin Renate Schmidtbeantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes— Drucksache 12/6480 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)
— Drucksachen 12/7554, 12/7572 —Berichterstattung:Abgeordnete Anneliese Augustinb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Auswirkungen des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes unter Einbeziehung der Erfahrungen mit dem Dritten und Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes und den arzneimittelrechtlichen Vorschriften des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik und der EG-Recht-Überleitungsverordnung
— Drucksachen 12/5226, 12/7554, 12/7572 —Berichterstattung:Abgeordnete Anneliese AugustinZum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der Kollegin Anneliese Augustin das Wort.
Frau Präsidentin! Zunächst darf ich Ihnen einige redaktionelle Berichtigungen zur Beschlußfassung des 15. Ausschusses zu Protokoll geben.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beenden heute die Beratungen zur Fünften Novelle des Arzneimittelgesetzes und der hiermit in Zusammenhang stehenden weiteren Gesetze. Ursprünglich dachten wir alle nur an die Umsetzung von zahlreichen Bestimmungen aus Richtlinien der Europäischen Union. Aber vor allem die Ereignisse des letzten Jahres um die HIV-verseuchten Blutprodukte führten uns zu viel weitergehenden Änderungen des Arzneimittelgesetzes, als es zunächst geplant war. Das ist gut so.Sicherlich lassen sich durch kein noch so gutes Gesetz kriminelles Handeln und menschliche Unzulänglichkeit aus der Welt schaffen. Unsere Mitbürger haben jedoch einen Anspruch darauf, daß der Gesetzgeber das Menschenmögliche tut, um seine Bürger vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Diesen Anspruch haben wir mit dieser Novelle erfüllt, auch wenn die SPD das nicht wahrhaben will.So haben wir das Sicherheitsniveau bei Blut und Blutprodukten erheblich angehoben. Nun sind Wirkstoffe, die Blutzubereitungen sind oder enthalten, den Arzneimitteln gleichgestellt. Damit unterstehen sie denselben Schutz- und Aufsichtsmaßnahmen wie Arzneimittel: ein klares Plus beim Sicherheitsstandard.Die Sicherheitsstandards werden zukünftig bei der Einfuhr von Blut und Blutprodukten aus Drittstaaten ganz wesentlich angehoben. Beispielsweise kann die Einfuhr von Blut und Blutplasma aus Risikoregionen generell ausgeschlossen werden. Der Kommentar der SPD hierzu: „Nicht geeignet, die Arzneimittelsicherheit zum Schutze des Verbrauchers zu gewährleisten. "Diese Einschätzung wird den Tatsachen einfach nicht gerecht. Ich kann mich nicht ganz des Eindrucks erwehren, die SPD unterliegt hier einem Wahrnehmungsdefizit, oder sie macht Wahlkampf. Dieser Eindruck beschleicht mich auch, wenn ich ihr Lamento über die neue Regelung der Nachzulassung höre.Meine Damen und Herren, wir haben den gordischen Knoten durchschlagen, und Sie werden staunen, wie schnell sich der Nachzulassungsstau verflüchtigen wird. In unserem Entwurf schaffen wir Platz. Die übergroße Mehrheit der etwa 35 000 zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel wird durch unsere Neuregelung aus dem Zulassungsverfahren ausscheiden. Die traditionellen freiverkäuflichen Arzneimittel werden weitgehend freigegeben.Gleichzeitig ermöglichen wir allen Unternehmen, die bis Ende 1995 für ihre Arzneimittel den Nachzulassungsantrag zurückziehen, ihre Produkte noch weitere zehn Jahre auf dem Markt zu lassen. Wir schaffen mit dieser effektiven und unbürokratischen Regelung Platz. Wir in der CDU und CSU reden nicht nur von Entbürokratisierung, wir schaffen sie auch!
Wir schaffen mit dieser Regelung Platz für wirksame und innovative Produkte und für jene Arzneimittel, für die vom Hersteller das Nachzulassungsverfahren nach den jetzt gültigen und zugegebenermaßen strengen Zulassungsregeln gewünscht wird. Der Marktzugang sowohl für pflanzliche Arzneimittel als auch für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wird hierdurch nicht versperrt.Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von der Opposition, den Begriff des Arzneimittels einzuschränken und den Begriff des Gesundheitspflegemittels einzuführen, ist dagegen nur ein Griff in die Mottenkiste von 1985.
Auch bei der Neuregelung der Arzneimittelwerbung in Printmedien haben wir die Arzneimittelsicherheit im Auge. Statt auf die Macht des ,,Kleingedruckten" in Anzeigen bauen wir auf die persönliche
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19772 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Anneliese AugustinBeratung durch den Arzt und den Apotheker. Diese ist letztendlich immer verständlicher und einleuchtender und vor allen Dingen viel individueller als eine mit medizinischen Fachangaben übersättigte Anzeige. Wichtig für uns ist das Ergebnis, nämlich die Verbesserung der Compliance.Als ausgesprochen positiv werte ich die nunmehr gesetzliche Verankerung der Ethikkommission, und zwar einer unabhängigen und interdisziplinär besetzten Ethikkommission, bei der klinischen Prüfung. Jedem Insider dürfte es verständlich sein, daß wir den Vorschlägen des Bundesrates und der Opposition in dieser Frage nicht nachgekommen sind. Denn nur mit einer bundeseinheitlichen Regelung verhindern wir eine sonst unweigerlich einsetzende Zersplitterung des Rechts in diesem so sensiblen Bereich.Aufgegriffen haben wir jedoch das Petitum des Bundesrates, aus Gründen der Arzneimittelsicherheit Sera und Impfstoffe künftig ausschließlich über Apotheken abzugeben. Durch eine Änderung der Preisspannungsverordnung haben wir gleichzeitig Sorge dafür getragen, daß dieses Plus an Arzneimittelsicherheit weitgehend kostenneutral verläuft. Den Vorwurf, dies sei ein Wahlgeschenk — zuletzt vor zwei Tagen auch im ZDF vorgetragen —, halte ich einfach für nicht gerechtfertigt.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist notwendig, die zahlreichen Neuregelungen des Gesetzes so rasch wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist uns daher nicht leichtgefallen, auf Grund der Bedenken des Rechtsausschusses einen Teil des wichtigen Bereichs der Haftungsregelung vorerst auszuklammern. Ich bitte Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Als nächster hat der Kollege Karl Hermann Haack das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte zur Verabschiedung der 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes wird in dieser Legislaturperiode ein Endpunkt zur Neuordnung des Arzneimittelgesetzes gesetzt. Kernpunkt dieses Gesetzes ist für die SPD die Frage der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes. Daneben vertritt die SPD die Auffassung, daß die notwendig gewordene Angleichung an EG-Recht ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland und der pharmazeutischen Industrie ist.Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit aidsinfiziertem Blut und Blutprodukten hat die SPD darauf gedrängt, mit der 5. Novelle wichtige Eckpunkte zu setzen, die dokumentieren sollen: Erstens. Wir nehmen den Patientenschutz ernst. Zweitens. Die Arzneimittelzulassung wird qualitativ den internationalen Erfordernissen angepaßt mit dem Ziel, die Standortsicherung der Pharmaproduktion in der Bundesrepublik zu verbessern. Diese beiden Leitlinien einer sozialdemokratischen Arzneimittelpolitik haben sich in zahlreichen konstruktiven Änderungsvorschlägen der SPD-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuß niedergeschlagen.Lassen Sie mich mit dem Thema Verbraucherschutz und Patientensicherheit beginnen.Erstens. Im Zuge der Beratungen zum Gesundheitsstrukturgesetz konnte die SPD die Gründung eines Arzneimittelinstitutes durchsetzen, das die Aufgabe hat, eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel zu erstellen. Diese sogenannte Positivliste ermöglicht eine Arzneimittelauswahl nach den Gesichtspunkten der Therapiesicherheit und der Wirtschaftlichkeit. Diese seit langem geforderte Positivliste in Verbindung mit dem Arzneimittelinstitut wird langfristig zu einer positiven Umstrukturierung des Arzneimittelmarktes führen. Wir glauben, hiermit einen sinnvollen Beitrag zum Patientenschutz geleistet zu haben. Dank hier auch an die Koalition, die sich in Lahnstein unseren Vorstellungen angeschlossen hat.Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang darauf, daß die Verschreibung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen auch weiterhin möglich bleibt. Diese Arzneimittel werden weiterhin das Spektrum der Arzneiverordnung bereichern; sie werden kaum von der fünften Novelle des Arzneimittelgesetzes berührt.Das Arzneimittelgesetz — die fünfte Novelle — hätte die Chance eröffnet, die im Gesundheitsgesetz fixierten Regelungen zur Arzneiverordnung sinnvoll zu ergänzen, und zwar durch Neuregelungen zur Zulassung, zur Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln und insbesondere zur Gefährdungshaftung. Daß die Bundesregierung nicht bereit war, diese Chance zu ergreifen, hat sich bereits bei der Diskussion um die Neuordnung des Bundesgesundheitsamtes gezeigt. Anstatt durch eine sinnvolle Reorganisation des Arzneimittelinstituts das Problem der Zulassung und Nachzulassung von Arzneimitteln unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit in Angriff zu nehmen, ist die Bundesregierung bei der Neuordnung aus unserer Sicht auf halbem Wege stehengeblieben.Die SPD hat statt dessen den Vorschlag gemacht, das BGA durch eine Neufassung des Arzneimittelbegriffs zu entlasten. Niedergeschlagen hat sich dies in Anträgen zur fünften Novelle des Arzneimittelgesetzes. Wir unterscheiden in unseren Anträgen zwischen Arzneimitteln und Gesundheitspflegemitteln. Bei diesem Vorschlag, nicht alle Arzneimittel dem strengen Wirksamkeitsnachweis zu unterziehen, kann sich die SPD-Bundestagsfraktion auch auf das Gutachten von Mummert + Partner zur Reorganisation des Arzneimittelinstituts stützen, ebenso auf den Erfahrungsbericht zum Arzneimittelgesetz.In der Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Arzneimittelgesetz machte Herr Rechtsanwalt Schröter sehr deutlich, daß unter Beibehaltung der jetzigen Zulassungsregelung der Zulassungsstau frühestens im Jahre 2025 behoben wäre.Die SPD hat ihre Abänderungsvorschläge vorgelegt. Wir ermöglichen mit der Einführung des Begriffs Gesundheitspflegemittel eine vereinfachte Zulassung von Altarzneimitteln und neu zuzulassenden Arzneimitteln. Die Pharmaindustrie kann selbst entscheiden,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19773
Karl Hermann Haack
ob sie ihre Produkte als Arznei- oder Gesundheitspflegemittel auf den Markt bringen möchte. Im Gegensatz zur Bundesregierung, die eine Regelung nur für Produkte in der Nachzulassung getroffen hat, bezieht die SPD alle Arzneimittel in ihr Konzept ein.Wir wollen die Tätigkeit der Sachverständigen bei der Arzneimittelzulassung transparenter machen. Denn wo wissenschaftliches Engagement sich mit finanzieller Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie paart, wird ein Mehr an Vertrauen in die Zulassung von Arzneimitteln geschaffen werden. Für die SPD ist eine hohes Maß an Objektivität von Sachverständigen eine Grundvoraussetzung für die Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit, auch auf dem Arzneimittelmarkt, der in der Vergangenheit durch Skandale hinreichend erschüttert worden ist.Zweitens. Wir sind in Deutschland auf den Export zur Sicherung unseres Wohlstandes angewiesen. Auch die Pharmaindustrie benötigt eindeutige rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, um sich auf dem internationalen Markt behaupten zu können.Die derzeitig in der Bundesrepublik geltenden Zulassungsregelungen genügen dem internationalen Standard nicht. Die SPD will eine konsequente Anwendung der Regelwerke der Europäischen Union und der WHO, die die Beweislast in der Zulassung von Arzneimitteln generell dem Pharmahersteller übertragen. Die SPD hat dazu vorgeschlagen, auf Punkt und Komma die internationalen Regelungen in das deutsche Arzneimittelgesetz umzusetzen, und dies mit dem Ziel, die den deutschen Pharmastandort diskriminierende Debatte zu beenden, aber auch, einen optimalen Patientenschutz zu realisieren. Auf die in diesem Zusammenhang wichtige Rolle der Gefährdungshaftung durch den pharmazeutischen Unternehmer möchte ich später eingehen.Alle genannten Punkte hat die Koalition abgelehnt. Dies hat zur Folge:Erstens. Der Zulassungsstau als Ausdruck bürokratischer Willkür wird sich fortsetzen.Zweitens. Wir werden weiterhin einen grauen Markt von Sachverständigen haben.Drittens. Die den Pharmastandort Bundesrepublik Deutschland diskriminierende Debatte wird sich zum Schaden der deutschen Pharmaindustrie weiter fortsetzen.Nun zu einem weiteren Punkt. Die Beratungen über die fünfte Novelle sind zum Teil durch Ergebnisse des 3. Untersuchungsausschusses „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte" bestimmt worden. Ein zentraler Punkt ist dabei die notwendige Regelung von Haftungsansprüchen von Patienten, die infiziert wurden. Wir wissen, daß die derzeitigen Regelungen des Arzneimittelgesetzes hier versagt haben.Ergebnis der Debatte im 3. Untersuchungsausschuß wie auch im Gesundheitsausschuß war: Es muß auf der Grundlage der Produkthaftungsrichtlinie 85/374/ EWG vom 25. Juli 1985 eine eindeutige Regelung für alle Infizierten auf der Basis der Beiweislastumkehr eingeführt werden. Bei diesem Vorschlag stützen wir uns auf das Gutachten von Professor Hart aus Bremen, eines Gutachters, dessen Aussagen sowohl vom Minister als auch von der Koalition zum Zeitpunkt der Diskussion dieses Gutachtens akzeptiert worden sind.Unter Inanspruchnahme fadenscheiniger Gründe ist nun die Regelung der Haftung bei Arzneimittelschäden zugunsten der Betroffenen und zukünftig Betroffener verschoben worden. Hier hätte aus Sicht der SPD ein Signal gesetzt werden müssen, und zwar sowohl für die frühzeitig erkrankten Opfer des HIVSkandals als auch für zukünftige Fälle. Dies ist um so beschämender, als nicht nur die Betroffenen, deren Partner und Kinder auf eine Entschädigung hoffen, sondern auch die Öffentlichkeit auf eine Regelung dieses Tatbestandes wartet.Statt dessen bleibt es dabei: Viele Infizierte werden mit geringen Entschädigungen abgespeist, es sei denn, sie können vor Gericht ihre Ansprüche einklagen, wie es kürzlich geschehen ist. Partner und Kinder gehen leer aus. Angesichts dieses Sachverhalts ist der Ausdruck „infam" noch milde.Wie trickig Koalition und Regierung zu Werke gehen, lehrt uns die Aushebelung der Mitentscheidung des Bundesrates. Alle 16 Bundesländer, also auch die CDU-geführten Bundesländer, hatten Gemeinsamkeit signalisiert und dies in einem gemeinsamen Beschluß zum Ausdruck gebracht. Alle Länder legen Wert auf eindeutige Regelungen, weil sie Kontrolltätigkeit im Rahmen der Länderüberwachung ausüben. Hier sind eindeutig Defizite, die zu regeln sind. Hier verweise ich auf das, was die SPD-Arbeitsgruppe im 3. Untersuchungsausschuß eingebracht hat. Darüber hinaus hat die SPD dazu in ihren Anträgen Vorschläge gemacht. Auch diese sind abgebügelt worden.Nunmehr will die Regierung im Alleingang ihr unsinniges Konzept durchzusetzen, und dies ungeachtet der Notwendigkeit, Regeln und Standards umzusetzen, die ein Mehr an Verbraucherschutz realisieren und den Pharmastandort Bundesrepublik Deutschland sichern würden, ferner der Notwendigkeit, auf der Grundlage der EG-Haftungsrichtlinie im Rahmen einer Beweislastumkehr den Patienten zu schützen, sowie der Notwendigkeit, die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln auf internationalem Niveau zu regeln.Die SPD lehnt daher die Regierungsvorlage ab und stellt ihren Entschließungsantrag zur Abstimmung.Die Forderung an Sie bleibt: Nutzen Sie den Bundesrat zur Nachbesserung, indem Sie die Mitentscheidung zulassen. Verpassen Sie diese Chance, werden Sie für zukünftige Arzneimittelskandale allein die Verantwortung tragen. Nicht die SPD-Fraktion und nicht der Bundesrat wird dann in Haftung sein.
Als nächster hat der Kollege Thomae das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die 5. AMG-
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19774 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Dr. Dieter ThomaeNovelle besteht aus drei großen Bereichen: erstens dem EG-Recht, das umgesetzt werden soll, zweitens der Thematik Blut und Blutprodukte sowie drittens den Regelungen der Nachzulassung.Als wir damals mit der 5. AMG-Novelle begannen, hatten wir eigentlich nur ein Ziel: Die EG-Richtlinien umzusetzen. Hier war entscheidend, daß die beobachteten Nebenwirkungen, die bis dahin nicht aufgeführt werden sollten, gemeldet, festgehalten und umgesetzt würden.Der zweite wichtige Bereich der EG-Richtlinien war die Thematik: Wie kann man bürokratische Hemmnisse stärker beseitigen? Dies haben wir in der 5. Novelle umgesetzt.Der dritte große Komplex war die Thematik HIV, Blutprodukte und Blut. Hier mußten wir handeln. Dies möchte ich in der Kürze der Zeit in einigen Stichworten festhalten:Erstens. Wir haben nun eine Regelung bezüglich der Herstellungserlaubnis getroffen. Sie muß heute vorliegen.Als zweites Stichwort möchte ich die Erweiterung der Auflagenbefugnis bei den Zulassungsbehörden nennen. Dies bedeutet: Anordnung von Aktivierungsverfahren. Wenn Blut aus dem Ausland importiert werden soll, muß ein aussagefähiges Zertifikat vorliegen oder die deutschen Behörden müssen diese Betriebe inspiziert haben. Ich denke, es war seit langem dringend notwendig, daß wir diese Voraussetzungen für die Sicherheit der Blutprodukte erfüllen.
Der nächste große Komplex, der uns seit vielen Jahren Sorge macht — wir kennen es ja —, ist die Thematik Nachzulassung. Wir hatten immer das Problem, daß neue innovative Produkte zu lange in Berlin lagen und nicht bearbeitet werden konnten und daß damit medizinische Fortschritte wirklich be- oder verhindert wurden. Daher bin ich froh, daß wir endlich den Mut gefaßt haben, bei der Nachzulassung wirklich neue Schritte zu gehen.Wir gehen in zwei Richtungen: Zunächst einmal bieten wir die Möglichkeit, die Nachzulassung weiterzuverfolgen. Wer die Nachzulassung bis Ende 1995 nicht realisiert — dies ist die zweite Möglichkeit —, kann sein Produkt bis zum Jahre 2004 ohne weiteres auf dem Markt lassen. Auf diese Weise haben wir einen ganz entscheidenden Schritt für die mittelständische Wirtschaft getan, damit sie langfristig ihre Produktpalette umstellt und langfristig eben auch auf dem Gebiet der Werbung, des Vertriebs neue Wege einleitet. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Faktor und eine Beruhigung für die mittelständische Industrie.Ich möchte hier, weil die Sorge der traditionellen Hersteller immer wieder deutlich wird, noch einmal folgendes betonen: Wer dieses Gesetzeswerk genau liest, weiß, daß die traditionellen Naturheilverfahren gesichert sind.Ich denke, dies ist ein ganz wichtiger Bereich. Das müssen wir auch der deutschen Bevölkerung immer wieder sagen. Sie haben in den Therapiemöglichkeiten die Auswahl oder auch die Kombinationsmöglichkeiten zwischen traditionellen und chemischen Verfahren.Meine Damen und Herren, die Haftungsfragen haben uns natürlich intensiv beschäftigt. Ich bin froh, daß die Mindestversicherungssummen erhöht worden sind. Ich denke, dies war an der Zeit. Die Frage des staatlichen Haftungsfonds, die Einführung einer Schmerzensgeldregelung im Rahmen der Gefährdungshaftung des Arzneimittelrechts, also unabhängig von der Verschuldung, meine Damen und Herren — Herr Schmidbauer, das möchte ich besonders an Ihre Adresse sagen —, ist ein Thema. Aber es ist so ein kompliziertes Thema, über das wir wirklich in Ruhe diskutieren müssen.Darum hat sich die Koalition entschieden, diese Frage in die nächste Wahlperiode zu verlagern, weil diese Thematik der Arzneimittelhaftung hier nicht alleine gelöst werden kann, sondern es sind die Auswirkungen auf das gesamte Produkthaftungsrecht — beispielsweise auch im Umweltbereich — zu analysieren.Von daher meine ich, daß wir aus Rechtssicherheitsgründen diese Thematik nicht über das Knie brechen können und dürfen.
Herr Kollege Thomae, würden Sie noch eine Frage gestatten?
Von daher haben wir es auf die nächste Wahlperiode verschoben.
Herr Schmidbauer, bitte schön.
Herr Dr. Thomae, ich habe eine Frage an Sie bezüglich der Haftungsregelung. Bedeutet das dann, daß im Gegensatz zu vielen Rechtsauffassungen, die eine sofortige Realisierung auch für den Bereich des AMG-Sektors erst möglich gemacht haben — Sie haben ja durch Ihr Verhalten die Geschichte jetzt für längere Zeit vertagt —, neue Fälle, die ja immer wieder jede Woche bekanntwerden, an Opfern nach alten Entschädigungsgrundlagen behandelt werden? Sehen Sie nicht ein, daß damit ein Problem entsteht, nämlich daß damit weiterhin auch Unrecht für Opfer verbunden ist?
Ich sagte es schon, wir sind in einer schwierigen Situation. Ich sehe Ihre Argumente. Ich sehe aber auch die anderen Argumente, und die sind für mich noch stichhaltiger. Wenn wir insgesamt unser Rechtssystem auf Grund dieser Tatsache ändern müssen, muß dies sehr sorgfältig mit allen beteiligten Ressorts —und es sind ja nicht nur ein oder zwei Ressorts — abgeklärt werden. Von daher sah sich die Koalition nicht in der Lage, innerhalb von wenigen Wochen ein solches Produkthaftungsgesetz über die Rampe zu bringen, und ich stehe zu dieser Entscheidung.
Nun hat Frau Kollegin Ursula Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegende fünfte Novelle des Arzneimittelgesetzes war im wesentlichen notwendig geworden, um verschiedene Richtlinien der EU in deutsches Recht umzusetzen, wirksamere gesetzliche Voraussetzungen für den Abbau des anhaltenden Arzneimittelzulassungsstaus zu schaffen, vor allem aber auch, um unerläßliche Maßnahmen zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit zu verankern und das bestehende Haftungsrecht deutlich zu verbessern. Die letztgenannten Ziele standen dabei ganz besonders unter dem Eindruck der erschütternden Erfahrungen mit den HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte.
Mißt man nun den vorliegenden Gesetzesvorschlag an seinen eigenen Intentionen, so muß das Urteil insgesamt unbefriedigend ausfallen. Schon bei der ersten Lesung war zu erkennen, daß die vorgelegte Neufassung neben nützlichen und weiterführenden Regelungen auch viel Fragwürdiges enthielt, darüber hinaus aber äußerst dringliche Probleme völlig ungeregelt ließ.
Darauf hatte auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme nachdrücklich aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung erklärte damals allerdings, daß sie im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens noch die Implementierung weiterer Maßnahmen prüfe; insbesondere — ich zitiere ihre Gegenäußerung — zur Sicherheit bei Blutprodukten und zur Verbesserung des Patientenschutzes.
Inzwischen hat sie geprüft, und herausgekommen ist entschieden zuwenig. Bundesregierung und Koalition haben in zentralen Punkten nicht einmal ihre eigenen Ziele erfüllen können.
Dabei übersehen wir nicht, daß jetzt immerhin solche seit langem notwendige Maßnahmen zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit — wie verstärkte Auflagenbefugnisse der zuständigen Bundesoberbehörden, erweiterte Meldepflichten für unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen oder Ermächtigungen für Importverbote von Blut und Blutzubereitungen — endlich Eingang in das Arzneimittelrecht gefunden haben.
Zweifellos sind auch die getroffenen Regelungen zur Auflösung des Zulassungsstaus und zur rechtlich verbindlichen Einsetzung von Ethik-Kommissionen bei klinischen Prüfungen Schritte in die richtige Richtung. Ich sage das, obwohl in beiden Fällen sicher bessere Lösungen möglich wären.
Am vielleicht wichtigsten, in jedem Falle aber menschlich und politisch sensibelsten Punkt des ganzen Gesetzes sind Regierung und Koalition jedoch gescheitert. Die brennend notwendige und, wie gesagt, sogar angekündigte Verbesserung des Haftungsrechtes ist nicht gelungen. Das betrifft insonderheit die sogenannten verschuldungsunabhängigen Haftungstatbestände, den Schmerzensgeldanspruch im Falle der Arzneimittelgefährdungshaftung und die Etablierung eines entsprechenden Entschädigungsfonds. Bedenken des Rechtsausschusses des Bundestages, die im übrigen gar nicht im Arzneimittelrecht ihre Begründung suchen und — ich füge das hinzu — dort auch gar nicht finden können, sondern sich auf befürchtete Folgewirkungen in anderen Bereichen beziehen, haben alle guten Vorsätze zunichte gemacht.
Nun soll erst einmal eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Prüfung eingesetzt werden. Die berühmte lange Bank läßt grüßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ein novelliertes Arzneimittelhaftungsrecht den HIV-Infizierten, Aids-Toten und ihren Angehörigen nicht mehr unmittelbar zugute gekommen wäre — für sie bleibt in jedem Fall eine spezielle Lösung erforderlich —, so heißt das doch alles in allem im Ergebnis, daß aus der unbeschreiblich schlimmen entschädigungsrechtlichen Situation, in der sich die Opfer der HIV-Tragödie seit Jahren befinden, immer noch keine entsprechenden Schlußfolgerungen gezogen worden sind. Das ist für mich unglaublich — ich bin auch im 3. Untersuchungsausschuß „HIV-Infektion durch Blut und Blutprodukte" —, aber es ist eine empörende Wahrheit. Aber so sind offensichtlich nun einmal die Kräfteverhältnisse oder — wie Sie so schön sagen — das Recht im Lande. Die Wirkung dieses Signals, meine Damen und Herren, auf die Bereitschaft der Rückversicherer der Pharmaindustrie, für einen Entschädigungsfonds für die HIV-Infizierten einzutreten, kann nur verheerend sein.
Fazit: Das Gesetz bleibt erheblich hinter dem dringlich Gebotenen und praktisch Möglichen zurück. Die PDS/Linke Liste wird diese Novelle ablehnen.
Nun hat der Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin zunächst sehr froh, daß ein gutes halbes Jahr nach der Aidsdiskussion und der Diskussion um die Sicherheit von Blut und Blutprodukten im letzten Herbst der Deutsche Bundestag mit dieser Arzneimittelnovelle die ersten gesetzgeberischen Konsequenzen zieht. Ich halte dies deshalb für bemerkenswert, weil normalerweise in der Bundesrepublik Deutschland solche Affären und Skandale nach einem alten Strickmuster aufgearbeitet werden: erstens Entrüstung, zweitens gegenseitige Schuldzuweisung und drittens Übergang zur Tagesordnung und Einschlafen.
Der Deutsche Bundestag — in dem Falle genauer gesagt: die Koalition — gibt ein sehr bemerkenswertes Gegenbeispiel, daß wir nicht zur Tagesordnung übergehen, nicht einschlafen, sondern die Arzneimittelsicherheit auf Grund der Erfahrungen im letzten Herbst bedeutend nach vorne entwickeln.
Das betrifft beispielsweise die Qualität von importiertem Plasma. Wir wollen sicherstellen, daß nur solche Produkte nach Deutschland kommen, meine Damen und Herren, die nachweisbar allen notwendigen Sicherheitsanforderungen genügen. Das heißt im Klartext: Plasma darf nach Deutschland nur dann eingeführt werden, wenn gegenseitig anerkannte Zertifikate über den Herstellungsbetrieb vorliegen
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19776 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Bundesminister Horst Seehoferoder die zuständige deutsche Überwachungsbehörde sich über die ordnungsgemäße Gewinnung des Plasmas vergewissert hat. Das gewährleistet, daß der hohe deutsche Sicherheitsstandard auch künftig bei importiertem Blutplasma gelten wird. Wir werden darüber hinaus dafür sorgen, daß die Einfuhr von Plasma aus bestimmten Staaten verboten werden kann, wenn das aus Gründen der Arnzeimittelsicherheit notwendig ist.Ein zweiter Punkt. Zur Sicherheit von Arzneimitteln gehört es auch, daß die pharmazeutischen Unternehmen mehr als in der Vergangenheit Auskunft über Arzneimittelrisiken bei bekannten Stoffen geben. Es nutzt die schönste Statistik nichts, wenn sie über die wahre Lage einer Ausbreitung der Krankheit Aids oder HIV keine Auskunft gibt, wenn sie nur eine Teilwahrheit wiedergibt. Deshalb sieht dieses Gesetz eine Ausweitung der Verpflichtung zur Meldung von Risiken vor. Die pharmazeutischen Unternehmer müssen insbesondere künftig auch jede schwerwiegende Nebenwirkung, die bei Anwendung eines Blutprodukts auftritt, der Zulassungsbehörde melden. Das heißt, die tatsächliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und die statistische Wahrheit werden wieder in Einklang gebracht.Drittens. Die Auflagenbefugnis der Zulassungsbehörde, also des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, wird künftig auch genutzt werden können, um Gefahrenabwehr zu betreiben, also um Risikovorsorge durchzusetzen. Durch die Auflagenbefugnis war bisher nur möglich, Gefahren abzuwehren, die schon bekannt waren. Jetzt wird die Auflagenbefugnis erweitert, um auch Risikovorsorge zu betreiben.Viertens. Ich halte es auch bei der Neuordnung des Bundesgesundheitsamtes mit für das Wichtigste, daß wir die positiven Erfahrungen, die wir im PaulEhrlich-Institut bei Sera und Impfstoffen gemacht haben, nun auch bei Blut und Blutprodukten nutzen. Das heißt, zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit bei Blut und Blutprodukten werden die gleichen Prüfungsinstrumentarien wie bei Sera und Impfstoffen zur Verfügung gestellt. In der Öffentlichkeit wird weitgehend kaum zur Kenntnis genommen, daß wir die Zuständigkeit dafür von Berlin vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum PaulEhrlich-Institut nach Frankfurt verlagern. Auch das ist ein wesentlicher Schritt zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit.Besonders freut mich, meine Damen und Herren, daß wir nach fast 20jähriger Diskussion endlich einen realistischen Befreiungsschlag bei der Aufarbeitung der Arzneimittelnachzulassung in der Bundesrepublik Deutschland schaffen.
20 Jahre wurde theoretisiert. Wir würden noch 30 Jahre brauchen, um die Arzneimittel, die schon seit 100 Jahren auf dem Markt sind, amtlich zuzulassen; das können wir in der Öffentlichkeit niemandem mehr erklären. Dies ergänzt mit jährlich immer neuen Forderungen nach zusätzlichem Personal und vielem anderen mehr, ist Parkinson im Quadrat. Wir machen jetzt einen gesetzgeberischen Befreiungsschlag.Wenn Arzneimittel und Tröpfchen seit 100 Jahren von den Menschen eingenommen werden, keine negativen Wirkungen erkennbar wurden, dann, glaube ich, ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit gerechtfertigt, daß der Deutsche Bundestag die Entscheidung trifft, wir lassen diese Arzneimittel vereinfacht durch ein Gesetz zu, und das tun wir jetzt.
Alle Ressourcen, die wir jetzt damit freibekommen, können wir für eine beschleunigte Zulassung von neuen Arzneimitteln einsetzen, d. h., Innovationen werden schneller zugelassen, und wir können mehr Personal und Organisation zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit verwenden. Bei der Güterabwägung, noch 30 Jahre die letzten 100 Jahre aufzuarbeiten oder das traurige Kapitel zu beenden und unsere Kräfte auf die Zukunft zu konzentrieren, hat sich die Koalition für die Zukunft entschieden.
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt auch bei der Neuordnung des Bundesgesundheitsamtes. Wir zeichnen nicht nur in die Geschäftsverteilungspläne neue Kästchen und vergeben neue Titel — das ist das Anliegen der SPD —, sondern wir ergreifen auch in der Praxis wirksame Maßnahmen.
— Herr Dreßler, wir zwei treffen in zehn Minuten aufeinander. Schonen Sie Ihre Kräfte!Ich halte auch etwas anderes für wichtig. Wir werden im Arzneimittelgesetz einen ganz wichtigen Punkt festschreiben, einen Punkt, der in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert wird und in der Medizin immer mehr Beachtung findet. Ich meine die Frage, in welchem Rahmen medizinisches Handeln auch ethisch gerechtfertigt ist. Wir werden im Arzneimittelgesetz festschreiben, daß vor der ersten Anwendung von Arzneimitteln am Menschen Ethik-Kommissionen ihre Stellungnahmen dazu abgeben müssen. Ich denke, es ist eine wichtige Verzahnung zwischen medizintechnischem Fortschritt und ethischen Maßstäben in unserer Gesellschaft, daß wir vor der Anwendung eines neuen Arzneimittels am Menschen Ethiker um ihre Stellungnahme dazu befragen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, von diesem Kollegen mit besonderer Freude.
Herr Minister, ich möchte einmal nachfragen. Gestern hat Ihre Koalition nicht erklären können, wie das nun mit der Entschädigung bei Aids- und HIV-Infizierten sein soll. Sie haben auf der Ministerialebene gesagt, es würde durch BGB geregelt, und Herr Dr. Hoffacker
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19777
Karl Hermann Haack
hat von zukünftigen Fällen gesprochen. Ich habe nachgefragt. Sie haben sich doch immer vehement dafür eingesetzt, daß die Altfälle zügig und optimal geregelt werden. Wir waren uns im 3. Untersuchungsausschuß einig, daß im Zuge der fünften Novelle zum Arzneimittelgesetz ein Verfahren gefunden würde, welches die Altfälle bereinigt und die betroffenen Partner und Kinder entschädigt. Seit gestern müssen wir feststellen, daß zunächst einmal nichts geregelt ist, sondern alles der Arbeit in der kommenden Legislaturperiode überlassen wird. Vielleicht können Sie mir einmal weiterhelfen, wie das Konzept denn nun aussieht?
Herr Kollege Haack, ich war gerade bei der Ethik in der Medizin. Das, was Sie hier geistig anstellen, ist ein sehr kühner Quantensprung. Ich wäre auf diesen Punkt gleich gekommen; er liegt vor mir.
Sie sollten sich der alten bayerischen Weisheit befleißigen: Nichts ist so wichtig in der Politik, wie Wasser halten können.
Sie müssen abwarten können.
Ich komme jetzt auf Ihre Frage: In meiner Rede steht, daß ich nicht verschweigen möchte, daß ich mir im Bereich der Arzneimittelhaftung bereits für diese Novelle weitergehende Regelungen gewünscht hätte, z. B. eine Beweiserleichterung für den Geschädigten, ein Schmerzensgeld im Bereich der Arzneimittelgefährdungshaftung und eine Fondslösung für sonst kaum zufriedenstellend regelbare Problemfälle.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Ich hätte mir eine Regelung bereits in diesem Gesetz gewünscht. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß die Koalition und auch ich persönlich alles tun werden, daß zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine solche Regelung erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich habe mich überzeugen lassen, daß man diese Frage isoliert für das Arzneimittelrecht nicht lösen kann. Denn wie wollen Sie einem Menschen erklären, daß eine Entschädigung in bezug auf ein Arzneimittel möglicherweise anders gestaltet ist als bei einer Gesundheitsschädigung durch Umwelteinwirkungen? Deshalb müssen wir die Produkthaftung in der Bundesrepublik Deutschland generell einer Überprüfung und Lösung zuführen. Wir wollen dies nicht bis zum SanktNimmerleins-Tag prüfen, sondern eine Lösung erreichen.
Ich halte eine Verzögerung um wenige Monate auch deshalb für vertret- und verantwortbar, weil den Aids- und HIV-Geschädigten aus den 80er Jahren eine Neuregelung ohnehin nichts helfen würde. Bei einer Neuregelung wird es nach meinem Dafürhalten wohl entscheidend auf den Zeitpunkt der Schädigung, nicht aber auf den Zeitpunkt, wann der Schaden bekannt wird, ankommen. Weil dies so ist, habe ich es für verantwortbar gehalten, die Entscheidung für Entschädigungsfälle, die in der Zukunft auftreten, im
Herbst herbeizuführen — wir werden sie herbeiführen —; für die Fälle, die in der Vergangenheit liegen, hatten wir ohnehin eine Soforthilfe vor. Möglicherweise kommt der Untersuchungsausschuß zu einem Ergebnis, daß wir für die Fälle in der Vergangenheit noch zusätzliche, andere Lösungen finden müssen, weil eine Neuregelung des Entschädigungsrechts keine Lösung wäre.
Herr Haack, das ist die ernste, seriöse Antwort auf dieses sehr schwierige Problem.
Ich bedanke mich beim Gesundheitsausschuß, daß er in einer atemberaubenden Geschwindigkeit das Thema „Erhöhung der Arzneimittelsicherheit und Novellierung des Arzneimittelrechts" bearbeitet hat. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Damen und Herren der Koalition — leider kann ich das mit gleicher Überzeugung für die Opposition nicht sagen —, daß sie neben der Geschwindigkeit auch noch den Willen und die Kraft zur inhaltlichen Fortentwicklung aufgebracht haben.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Minister?
Ich wäre fertig, Frau Präsidentin.
Ich lasse die Frage noch zu, wenn Sie gestatten.
Ja.
Herr Minister, „Patientenschutz und Arzneimittelsicherheit" ist ein sehr umfassendes Thema. Wir haben gesehen, daß Sie mit Ihren Vorschlägen zum Arzneimittelgesetz nur Teilsegmente erfassen konnten. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß ein durchgreifendes System nur gemeinsam von Bund und Ländern praktiziert werden kann, weil hier übergreifende Kompetenzen und Aufgabenüberlagerungen vorhanden sind? Erachten Sie es nicht auch für falsch, daß durch einen Verfahrensdreh die Länder aus der gemeinsamen Verantwortung für die Gestaltungsaufgabe herausgehalten worden sind?
Lieber Herr Kollege Schmidbauer, wenn Sie einen Teil Ihrer Zeit darauf verwenden würden, nicht ständig Pressemitteilungen über ein sehr ernstes Thema zu verteilen, sondern sich zu informieren, was auf diesem Gebiet geschehen ist, dann könnten Sie diese Frage nicht stellen.
Wir haben auf Grund eines Beschlusses der Gesundheitsministerkonferenz — 16 Länder- und ein Bundesgesundheitsminister — die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vereinbart. Wir haben vereinbart, daß diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe innerhalb eines Vierteljahres Vorschläge ausarbeitet, um über das hinaus, was wir heute verabschieden, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, und daß sie sich
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19778 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Bundesminister Horst Seehoferinsbesondere auch mit der sehr schwierigen Frage der Selbstversorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Blut beschäftigt. Diese Arbeitsgruppe, an der die SPD-Länder beteiligt waren — darum überrascht es mich, daß Sie das nicht wissen —, hat im Konsens ein Konzept erarbeitet, wie die Arzneimittelsicherheit und die Sicherheit von Blut und Blutprodukten in der Bundesrepublik Deutschland auf allen Ebenen — Bund, Länder, Kommunen, Blutspendedienste, Krankenhäuser, Ärzte, Hersteller — verbessert werden können. Das war ein übereinstimmendes Ergebnis. Wir haben mit den 16 Ländern vereinbart, uns wegen der Ernsthaftigkeit des Themas nicht in der Öffentlichkeit gegenseitig zu überbieten — wozu Sie etwas neigen —, sondern das Ergebnis gemeinsam seriös vor der Öffentlichkeit vorzustellen.
Das ist ein seriöser Umgang, Herr Schmidbauer. Sie sind ja in dieser Sache sehr engagiert, und das respektiere ich auch. Aber wir sollten uns wegen der Betroffenen hier eines wesentlich seriöseren und ernsteren Umgangs mit dem Thema befleißigen und nicht ständig unsere parteipolitischen Spiele auf dem Rücken der Betroffenen austragen.
Zur ergänzenden Berichterstattung bittet die Kollegin Augustin um das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Beschlußempfehlung des 15. Ausschusses sind folgende Änderungen erforderlich:
In Art. 1 Nr. 6 ist Buchstabe c zu streichen; so der Ausschußbeschluß vom 16. Mai 1994 auf der Grundlage der Ausschußdrucksache 12/870, Blatt 2. Ferner bitte ich, die entsprechenden Passagen auf den Seiten 3 — Absatz 4, Satz 3 — und 8 — Satz 3 der Erläuterung zu Art. 1 Nr. 6 — des Berichtes zu streichen.
In Art. 1 Nr. 34 wird in der Einleitung das Wort „gefaßt" durch das Wort „geändert" ersetzt. Das ist lediglich eine redaktionelle Berichtigung.
In Art. 1 Nr. 49 Buchstabe a Doppelbuchstabe ff wird in Abs. 5 d die Angabe „vom 28. September 1990 " durch die Angabe „vom 28. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2915)" ersetzt. Das ist ebenfalls eine redaktionelle Berichtigung.
In Art. 4 Abs. 2 Nr. 3 wird die Angabe „Doppelbuchstabe dd" — ich weiß, daß Sie das alle aufregt — durch die Angabe „Doppelbuchstabe ee" ersetzt. Auch hier handelt es sich um eine redaktionelle Berichtigung.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
Danke, Frau Augustin.
Damit schließe ich die Aussprache und teile vor der Abstimmung mit, daß der Kollege Wilhelm Schmidt eine persönliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgibt.' )
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, Drucksache 12/6480. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 12/7554, den Gesetzentwurf nach Kenntnisnahme des Berichts der Bundesregierung auf Drucksache 12/5226 in der Ausschußfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf entsprechend der Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung mit den vorgetragenen Berichtigungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7575. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften — GKV-Anpassungsgesetz —
— Drucksache 12/6958 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
— Drucksache 12/7558 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Als erster hat in der Aussprache Dr. Paul Hoffacker das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf des Gesetzes zur Anpassung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften. Das') Anlage 3
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19779
Dr. Paul Hoffackerheißt konkret, wir beraten über ergänzende Vorschriften zum Gesundheitsstrukturgesetz.
— Herr Schuster, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben sollten, ist es Ihnen hiermit mitgeteilt.Ich glaube, es ist wichtig, daß dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung heute dieses Haus durchläuft.Das hat den Ärger der Opposition hervorgerufen; denn sie bezeichnet unser Bemühen „als groben Verstoß" gegen die Notwendigkeit der Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge und der Entlastung der Lohnnebenkosten.
Wir freuen uns sehr, daß der Kollege Dreßler den Streit mit Herrn Lafontaine jetzt ein wenig übertünchen kann und daß er uns über die Sozialabgaben, die er demnächst alle streichen will, hier gleich Aufschluß gibt.
Meine Damen und Herren, daß die Opposition das Angebot zu einem Konsens nicht angenommen hat, das bedauern wir sehr. Aber der Vorwurf, der nun lautet, wir hätten den Konsens aufgekündigt, ist eigentlich das letzte, was einem an Schwachheit noch einfallen kann. Ich finde das direkt rührend. Wenn ich mir so ansehe, daß sich die SPD in den letzten Tagen benommen hat, als wenn ein ganz treuer Freund weggelaufen wäre, dànn muß ich sagen: Das ist etwas, was ich durchaus sehr schade finde. Daß wir uns bei diesem Gesetz so trennen müssen, mag wahrscheinlich manchem die Tränen in die Augen bringen.Die SPD ist nicht auf Zack. Sie schläft, sie rostet, sie rastet. Sie hat also noch nicht erkannt, daß tatsächlich die Zeit gekommen ist, sich auch an der Weiterentwicklung dieses Reformvorhabens zu beteiligen.
Der Herr Kollege Kirschner hat unentwegt gesagt, das sei alles Wahlkampf, was wir machen. Ich würde sagen, Klaus Kirschner: Wenn man im Wahlkampf so rostig aussieht wie jetzt die SPD, ist das ein ganz schlechter Zustand und ein wenig gutes Zeichen.
So eine schmuddelige rote Farbe, das wollen die Leute gar nicht. Deshalb, würde ich sagen, sollte man sich hier schnell zu einer klaren Position bekennen.
Ich kann diese Träume von Lahnstein gut nachempfinden. Das waren noch Zeiten, meine Damen und Herren. Da waren die Freunde von der SPD noch rührig. Da hatten sie noch eigene Gedanken. Da haben sie uns manchmal sogar über den Tisch gezogen. Aber jetzt? Eine fußkranke Karawane, die sich hier als Konsenspartner anbietet. Das kannst du vergessen, wird man sagen.
Sie bringen nichts mehr herein, keine neuen Ideen. Sie sind also nicht mehr rührig. Bei dem Stichwort „rührig" muß ich sagen: Sie rühren mich alsbald in diesem desolaten Zustand, in dem Sie sich nun darstellen.Meine Freunde, es ist wahr: Das Gesetz vom 9. Dezember 1992 war ein Erfolg unseres Konsenses. Das muß man sagen. Ich bin auch der Meinung, daß der Konsens für solche großen Projekte nach wie vor wichtig wäre.
Wenn sich jetzt der Herr Kollege Dreßler einfach das Wort nimmt, werde ich versuchen, das mit dem Mikrophon ein wenig zu übertönen. Denn der Konsens von Lahnstein, der inzwischen ja sprichwörtlich geworden ist, bedeutet, daß wir auf diesem Kurs hätten weiterfahren können, wenn die SPD tatsächlich gewollt hätte. Aber dieses Stichwort „Konsens von Lahnstein" erinnert uns an die gemeinsamen Erfolge, die wir gar nicht kleinschreiben wollen. Die Zahlen sprechen für sich. 10,2 Milliarden DM Mehreinnahmen im vergangenen Jahr — ein für die Patienten durchaus wichtiges Datum —, ein Überschuß von 10,2 Milliarden DM gegenüber einem Defizit in 1992 von 9,4 Milliarden DM — ein durchaus klarer Konsolidierungserfolg. Ich stehe auch heute noch dazu, daß wir den Konsens brauchen, wenn wir einen Weg beschreiten, der zukunftsorientiert ist und auf dem große zukunftsorientierte sozialpolitische Vorhaben bewerkstelligt werden sollen.Wenn eigentlich alle unsere Gesetze, die von Bedeutung sind, im Vermittlungsausschuß landen, dann ist das, wie ich finde, keine glückliche Lösung; ich betone dies. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition und vor allen Dingen von den Ländern: Sie müssen sich sehr gut überlegen, ob Sie in der Tat einen solchen Kurs weiterfahren wollen.Ich finde, daß die SPD den Zeitpunkt verpaßt hat. Das liegt wesentlich an dem Herrn Kollegen Dreßler. Herr Dreßler hat Ende des vergangenen Jahres, nach der Inkraftsetzung des Gesetzes die Devise ausgegeben, wir müßten jetzt alle Kraft darauf verwenden, das Gesetz umzusetzen. Da hat er recht. Aber, strategisch und politisch falsch war die von ihm weiterhin ausgegebene Devise, wir dürften nicht über die dritte Stufe der Reform sprechen, sondern da müßten wir uns sehr deutlich zurückhalten, denn darüber dürfe jetzt nicht geredet werden. Schweigen, meine Damen und Herren, zu diesem Zeitpunkt eines solchen Prozesses ist falsch. Wir wissen: Wer rastet, der rostet. Dafür wurden gestern im Ausschuß von den Sachverständigen sehr deutliche, gute Zeichen gesetzt.Ich verhehle gar nicht, hier heute mit Genuß zu berichten, daß die SPD uns dazu verholfen hat, daß wir zu einer zweieinhalb- bis dreistündigen Anhörung der Sachverständigen gekommen sind,
— ich bin ganz dankbar, Herr Dr. Thomae, natürlich;denn davon kann ich jetzt ein wenig zehren —, die
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Dr. Paul Hoffackermeine Behauptung ganz klar belegt haben, daß das, was die Koalition macht, richtig ist,
und daß das Schweigen und das Zurückhalten der SPD natürlich völlig falsch ist.
— Entweder hat der Herr Kirschner nicht ganz gelesen, oder er hat nicht ganz verstanden, was da war. Bisweilen wurde von den Professoren darauf hingewiesen.
— Ich weiß, daß natürlich euer Gedächtnis etwasdurchlöchert ist; das hängt mit dem Rost zusammen.Beispielsweise haben gestern namhafte Professoren auf die Frage „Soll die Reform jetzt weitergeführt werden?" klar geantwortet: „Wer jetzt nicht handelt, handelt unverantwortlich und macht sich strafbar an der Zukunft. " Deutliche Worte, die man hier gehört hat.Meine Damen und Herren, ich vermute, daß die SPD dies noch nicht gemerkt hat und daß sie glaubt, den Prozeß aufhalten zu können. Dieser Prozeß, meine Damen und Herren, ist unumkehrbar. Er ist unumkehrbar, weil bereits jetzt in der Praxis und in der Wissenschaft die nächsten Schritte getätigt werden, um diesen Reformprozeß weiterzuführen.Da waren gestern in der Anhörung der Sachverständigen sehr deutliche Worte zu hören, beispielsweise war von „Liberalisierung des Vertragsrechts", von „Wettbewerb" und von „Einbindung des Patienten" die Rede.
— Herr Dr. Thomae, daß die Koalition auch der Wissenschaft weit voraus ist, ist ja richtig; aber die SPD braucht die Nachhilfe, damit sie ungefähr merkt, wann sie ein wenig beschleunigen muß, um den Anschluß noch zu bekommen.
Herr Dr. Hoffacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Ja, wenn das mit der Redezeit geht. — Herr Klejdzinski ist das.
Danke.
Er war unentwegt bei uns im Ausschuß.
Es ist richtig, daß ich nicht in Ihrem Ausschuß bin und ich mir Ihre Rede anhöre. Weil ich mir Ihre Rede angehört habe, frage ich Sie — und zwar als Nichtangehöriger Ihres Ausschusses; bei dieser Arroganz —, ob Ihre Argumente in der Sache so schlecht sind, daß Sie laufend versuchen, die SPD anzugreifen?
Herr Klejdzinski, ich nehme zu dem schwachbrüstigen Entschließungsantrag Ihrer Fraktion unentwegt Stellung. Sie haben das nur noch nicht gemerkt; das bedauere ich sehr.
Meine Damen und Herren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das wissen wir, und das gilt auch für Herrn Klejdzinski. Wer zu spät kommt und den Antrag seiner eigenen Fraktion nicht gelesen hat, den bestraft das Leben. So ist das. Es ist aber auch gar nicht verwunderlich; denn der Streit, der in der SPD zur Zeit herrscht, überlagert natürlich alles.
— Da braucht man nur die Zeitungen aufzumachen. Dort liest man beispielsweise: „SPD-Unordnung", „Schattenspiele", „Zwischen allen Stühlen", „Oskar im Leerlauf". Es geht noch viel weiter: „SPD über Sozialpolitik zerstritten", „Dreßler weist Lafontaine zurecht",
— nein, hier steht „zurecht"; ich muß ja richtig zitieren.Nun, meine Damen und Herren, damit müssen Sie selber klarkommen, auch mit dem Drogenproblem von Herrn Krumsiek. Da habe ich gestern sehr schöne Töne morgens um 7.28 Uhr im Deutschlandfunk vernommen und noch sehr deutlich im Gehör. Ich muß sagen, es hat mir augesprochen gut gefallen, was Peter Struck da gesagt hat. Peter Struck ist ja einer der Vernünftigen in der SPD. Das muß man ganz klar sagen.
Der hat das erkannt. Er ist ja nicht derjenige, der mit der Zeitverschiebung zu tun hat.Nun, meine Damen und Herren, damit müssen Sie selber klarkommen. Nur, daß unsere Arbeit darunter leiden soll, finde ich eigentlich nicht sehr gut. Daß in diesem unappetitlichen Zusammenhang auch der Kollege Dreßler genannt wird, ist für ihn natürlich bedauerlich. Das kann ich verstehen.Der Entschließungsantrag endet mit der Aufforderung an die Bundesregierung: erneute Gesetzesvorlage — erneute, jetzt, gestern. Ich habe diesen Antrag gestern abend per Fax bekommen. Ich weiß nicht, habt ihr den schon alle? Ja, das ist eben so, wenn es zu spät kommt.
Deshalb lese ich jetzt daraus vor: eine erneute Gesetzesvorlage, die sich aus dem Gesundheitsstrukturgesetz ergebenden Anschluß- und Folgeregelungen im Sinne der fraktionsübergreifenden Gesetzesinitiativen von Oktober 1992 zu treffen. — Dies sollen wir also tun.Ich kann nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine schlechte Alibiveranstaltung der SPD, schlecht inszeniert. Was drinsteht, kann man sich wirklich sparen.
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Dr. Paul HoffackerNun, meine Damen und Herren, ich würde sagen, daß diese Weiterentwicklung notwendig ist, und daß Sie natürlich den Anschluß noch bekommen können, wenn Sie unseren Vorstellungen im Vermittlungsausschuß zustimmen. Das tun Sie nicht; das weiß ich schon jetzt. Aber das ist wiederum ein Fehler, denn Konsens heißt nicht Stagnation, heißt nicht, bei dem zu bleiben, was man hat.
— Zu den Wahlgeschenken komme ich gleich, Herr Kollege Kirschner. Da habe ich mir ein gutes Repertoire aufgeschrieben, weil das nämlich besonders schön ist, gerade für den Kollegen Klaus Kirschner, den ich ja, wie jeder weiß, sehr schätze.Diese politisch sinnvolle Weiterentwicklung wird mit unseren Vorschlägen gemacht, und wir legen Wert darauf, daß sie heute verabschiedet werden; denn diese punktuellen Veränderungen, die sinnvoll sind, werden auf der Grundlage von Lahnstein weiterentwickelt. Das wird von Ihnen nicht geteilt, das weiß ich, aber das müssen Sie gleich selber belegen. Zu diesen punktuellen Veränderungen, die wir vornehmen, verweigern Sie die Mitarbeit — das muß klar gesagt werden — und natürlich auch Ihre Zustimmung.Ich muß jetzt ein wenig pingelig werden; wie wohl jeder weiß, ist das nicht mein Wesenszug. Aber da die Debatte hier von der Seite drüben, wie wir in den letzten Tagen erleben konnten, nicht fachlich orientiert geführt wird, nicht politisch-strategisch, sondern gleich moralistisch gestritten wird, werden hier gleich die Koryphäen auftreten und uns vorhalten, was wir für treulose Tomaten sind, weil wir uns nicht an Lahnstein halten. Das wissen wir, und deshalb möchte ich dem Kollegen Kirschner jetzt einiges ins Gedächtnis rufen. Jetzt wird es für dich peinlich; merke es dir, es wird peinlich.Also, Kollege Kirschner, jetzt muß ich einmal mein schriftliches Gedächtnis zu Rate ziehen: Am 11. April 1994 haben wir ein erstes Sondierungsgespräch zum GKV-Anpassungsgesetz geführt. Wir sind alle Stichworte durchgegangen und haben Sie gefragt, ob Sie da mitmachen können. Der 11. April 1994 liegt jetzt zwischen fünf und sechs Wochen zurück!
— Es geht ja weiter. — Am 26. April habe ich wiederum von Ihnen zu erfahren versucht, wie denn nun die SPD-Fraktion denkt und wie sie sich zu unseren Änderungsvorschlägen stellt. Schweigen im Walde.Dann habe ich mein Telefon genommen, habe wiederum angerufen, um zu wissen, wie es denn nun eigentlich aussieht; denn am 27. April — das habe ich Ihnen deutlich gesagt — muß ich unsere eigenen Änderungsanträge einbringen, damit nicht das Gesetz deshalb vor die Wand gefahren wird, weil die SPD mit Verzögerungstaktik aus terminlichen Gründen dieses Gesetz scheitern lassen wird.Ich muß hier sagen, es ist klar, daß offenbar der Verhandlungspartner nicht klar war. Einmal sollte es Herr Kirschner sein. Dann wurde uns gesagt, es istHerr Dreßler. Herr Dreßler läßt am 28. April eine Tirade von zwei Seiten los, wo er also alle unsere Vorschläge in Grund und Boden verdammt und meint, in der Tat, das sei ein Konsensangebot.Meine Damen und Herren, Sie mögen bitte selber entscheiden, was Sie davon zu halten haben. Ich kann nur folgendes sagen: Wir werden all das den Bürgern nahebringen, was jetzt bei den Sozialdemokraten besonders im Schwange ist, beispielsweise dieses hier — das ist meine Heimatzeitung mit einem Bild —, wo Herr Lafontaine mit der Bemerkung zitiert wird, es müsse Einschnitte bei den Sozialausgaben geben, um den finanziellen Anforderungen der nächsten Jahre gerecht zu werden. Wir werden den Bürgern sagen, daß dies die Meinung der SPD ist, und wir werden das unters Volk bringen, damit die Leute wissen, woran sie sind.Um es klar zu sagen, meine Damen und Herren: Wir wollen eine ganz deutliche Veränderung in den Einzelpunkten, die Sie alle kennen. Wir wollen die Verweigerungshaltung der SPD nicht respektieren. Wir kennen sie aus dem Psychotherapeutengesetz, wir kennen sie aus der Instandhaltungsinvestitionsvermeidung. Wenn die Lander die Krankenhäuser seit Januar vergangenen Jahres hungern lassen, weder Reparaturen bezahlen noch in irgendeiner Form ihre Planungskompetenz angleichen — —
— Jetzt kommt die Ausnahme Bayern. Das steht hier auch: Hier muß Bayern genannt werden, das sich ebenfalls auf das Urteil stützen könnte. Bayern kommt weiter seinen Verpflichtungen nach. — Herr Kollege Zöller, das ist eben eine sehr aufschlußreiche Handlungsweise, die hier von Bayern betrieben wird.
— Die Summen kann ich jetzt nicht belegen, es geht aber um einen deutlichen Instandhaltungsfonds, der den Krankenhäusern — —
— 700 Millionen DM, Herr Kollege Thomae? Wir geben zu den Akten: Bayern 700 Millionen DM.
— 700 Millionen DM stehen aus. Was Bayern davon zahlt, kann man hier nicht sagen. Einverstanden!Meine Damen und Herren, wenn sich die SPD also weiter verweigert, dann wollen wir die Stärkung der hausärztlichen Versorgung durchsetzen. Wir wollen, daß eine wirtschaftlich sinnvolle hausärztliche Grundversorgung gewährt werden kann. Wir alle wissen, daß das auch ein Anliegen der SPD ist. Wenn sie jetzt meint, daß das durch Umschichtung aus dem Bereich der Hausärzte selber erbracht werden soll, verkennt sie die Tatsachen; denn die niedergelassenen Ärzte— die Internisten ebenso wie die Kinderärzte — müssen sich selbstverständlich entscheiden, ob sie weiter als Fachärzte oder als Hausärzte fungieren wollen. Wir wissen, daß die Zulassungszahl sehr hoch
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Dr. Paul Hoffackerist, so daß hier die Punktzahlen bei den Leistungen sehr abgesunken sind. Wir wollen keinen Crashkurs bei der innerärztlichen Verteilung über die einzelnen Positionen.Wir wollen weiterhin das ambulante Operieren fördern. Sie alle wissen — und das wird von der SPD mitgetragen —, daß das ambulante Operieren in der Verzahnung von stationärer und ambulanter Behandlung der Patienten für uns ein ganz wichtiges Ziel war. Inzwischen ist der Punktwert für das ambulante Operieren derart abgesunken, daß die Existenz auch der Ärzte, die sich entschlossen haben, sich zum ambulanten Operieren niederzulassen, deutlich gefährdet ist.Wir wollen in der Zahnmedizin eine längst überfällige Frage bei der Amalgambehandlung, bei der Zahnfüllung lösen. Künftig wird der Versicherte, der sich gegen Amalgam und für einen anderen Füllungsstoff entscheidet, zumindest den Zuschuß bekommen, den er bei der Wahl von Amalgam erhalten hätte. Nach der heute geltenden Regel erhält der Versicherte, der sich gegen Amalgam entscheidet, auf Grund des Votums der SPD nichts. Das ist unsozial, dient nicht der Gesundheit und dient auch nicht einer wegweisenden, zukunftsorientierten Gesundheitspolitik. Wir handeln nicht nach dem Prinzip „alles oder nichts", sondern wir wollen diesen Bereich ebenfalls mit besorgen, und das fällt uns nicht schwer.Wir wollen weiterhin nicht einfach etwas für die Pharmaindustrie tun, wie so dahingesagt wird, Herr Kollege Kirschner, und es geht hierbei auch nicht urn Wahlgeschenke. Ich kann nur folgendes sagen: Der Kollege Rappe läßt bereits jetzt grüßen im Zusammenhang mit dem Vorstoß der Koalition; denn ihm geht es auch um die Sicherheit der Arbeitsplätze,
und es geht ihm selbstverständlich auch um die weitere Forschung. Damit hat die SPD offenbar nichts im Sinn, sondern erzählt hier, wir machten gegenüber der Pharmaindustrie Kniefälle oder Verbeugungen.Meine Damen und Herren, wer so kurzsichtig ist und derart unverantwortlich redet, hat nicht verstanden, daß die Forschung in der Medizin und in der Pharmaindustrie für den Patienten und damit auch für die Politik eine unaufgebbare Forderung sein muß. Denn wir rufen nach neuen Arzneimitteln. Wir rufen nach der Innovation. Wenn das so sein soll, muß auch die Forschung in die Lage versetzt werden, diese Ausgaben zu finanzieren.Wir wollen letztlich die Kostenerstattung für alle Versicherten. Hier wird von der SPD dauernd erzählt, das sei eine Steuerung. Herr Kollege Dreßler, Sie wissen ja genau, daß Sie in der Anhörung falsche Fragen gestellt haben. Wir haben nie behauptet, daß das ein Steuerungselement ist. Wir haben behauptet — und dazu stehen wir —, daß das ein Stück mehr Freiheit für die Bürger ist,
die sich entscheiden wollen, ob Sie die Kostenerstattung oder das Sachleistungsprinzip wählen wollen.Dies werden wir auch durchsetzen und versuchen, unseren Standpunkt deutlich zu machen, wenn Sie das ablehnen. Daß die Länder bereits die Proberegelung im § 64 SGB V — Eingriff in ein geltendes Gesetz — abgelehnt haben, macht deutlich, wie Sie denken.Sie erzählen, Sie seien für die Freiheit der Bürger. Sie sind für die Vorschriften per Gesetz, für das, was par ordre du mufti sich einer an Gesundheit leisten soll oder nicht. Wenn Ihnen das nicht paßt, reden Sie hier von den Allüren von Zweiklassensystemen. Wir kennen also diese Sachen zur Genüge. Sie machen auf uns keinen Eindruck mehr.
Wenn Sie im Wahlkampf, Herr Kollege Kirschner, diese Themen tabuisieren wollen, dann machen Sie das. Wir gehen davon aus, daß die Bürger wissen sollen, was in Zukunft auf sie zukommt, womit sie rechnen müssen. Wenn Sie das durch Schweigen erreichen wollen, ist das Ihre eigene Angelegenheit.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dieses Gesetz, das mit der Verkündung in Kraft treten soll, anzunehmen und ihm zuzustimmen und den Entschließungsantrag der SPD abzulehnen.Schönen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kirschner.
Frau Präsidentin, ich möchte zu dem, was der Kollege Hoffacker hier dargestellt hat, aus meiner Sicht eine Berichtigung geben. Es ist richtig, daß am 11. April ein Gespräch stattgefunden hat, bei dem u. a. der Kollege Hoffacker und der Kollege Dr. Thomae sowie Mitarbeiter der Fraktionen anwesend waren. Da wurde uns vom Herrn Ministerialdirektor Schulte ein Papier in Stichpunkten mit möglichen Änderungswünschen von seiten der Koalition vorgelesen.Ich habe von meiner Seite für die SPD erklärt, daß wir dies zur Kenntnis nehmen und darum bitten, daß wir dies auch schriftlich bekommen. Das wurde uns zugesagt. Nach mehrmaliger Anmahnung auch gegenüber dem Kollegen Hoffacker, der mich daraufhin immer wieder gefragt hat, wie es aussieht, habe ich ihn gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß diese Zusage eingehalten wird. Dieses Papier ist dann ca. eineinhalb Wochen später bei mir eingegangen. Das heißt, es war ein sehr langer Zeitraum, bis das mit der Post — oder wer auch immer das zu transportieren hatte — bei mir eingegangen ist. Ich will darauf nur hinweisen. Ich will hier die Dinge so darstellen, wie sie sind. Herr Kollege Lohmann, ich denke, das ist in unser aller Interesse.Am 25. April hat auf dieser Grundlage ein Gespräch mit den zuständigen Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsministern sowie -senatorinnen und -senatoren von der SPD stattgefunden. Auf Grund dieses Gesprächs — der Kollege Dreßler könnte dies bestätigen— wurde dann ein Gespräch mit dem Herrn
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Klaus KirschnerBundesgesundheitsminister in Aussicht genommen, bei dem auch die Vertreter der Koalition hätten anwesend sein sollen. Dieses Gespräch hätte am 13. Mai stattfinden sollen und ist dann am 9. Mai vom Herrn Bundesgesundheitsminister auf Grund von Presseerklärungen abgesagt worden, die der Koalition nicht gefallen haben. Auch dies gehört dazu.Ich stelle nur fest, daß das, was vom Kollegen Hoffacker hier dargestellt wurde, so nicht stimmt.
Als nächster spricht jetzt der Kollege Rudolf Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen und die SPD haben in den vergangenen sechs Jahren in diesem Hause neben dem unlängst verabschiedeten Pflegeversicherungsgesetz drei grundlegende sozialpolitische Gesetzeswerke im Konsens erarbeitet: das Rentenreformgesetz und das Gesundheitsstrukturgesetz und — im Zuge der deutschen Einheit kam es als weiteres Projekt hinzu — das Rentenüberleitungsgesetz. Jede der konsensbeteiligten Parteien hat bisher erfolgreich der Versuchung widerstanden, die jeweiligen Einigungspakete aufzuschnüren oder die Basis der Einigung einseitig zu verlassen.
Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden sogenannten GKV-Anpassungsgesetz verlassen nun Bundesregierung und Koalitionsfraktionen von CDU/ CSU und F.D.P. diesen Pfad der Tugend und der parlamentarischen Vernunft. Denn mit dem GKVAnpassungsgesetz wird der Konsens in der Gesundheitspolitik, der zur erfolgreichen Verabschiedung der ersten wirklichen Strukturreform in der Gesundheitspolitik geführt hat, von der Koalition einseitig aufgekündigt und verlassen. Dies dient weniger der Sache und auch nicht dem Interesse der Beitragszahler und der Patienten. Und als besonderer Beitrag zu vernünftigen parlamentarischen Umgangsformen kann es wohl auch nicht herangezogen werden.Der Kollege Hoffacker wird als gesundheitspolitischer Sprecher der Union in der Presse mit folgender Feststellung zitiert: Die Zeit der Konsensgespräche mit der SPD ist vorbei. Zitat Ende.
Das sind starke Worte. Es scheint allerdings, daß Herr Hoffacker dabei eine parlamentarische Grundregel übersehen hat. Sollen starken Worten ebenso starke Taten folgen, benötigt man dazu Mehrheiten, im Bundestag wie im Bundesrat. Hat die Koalition sie, Herr Hoffacker?
Ich kann die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. nicht von dem Versuch abhalten, das GKV-Anpassungsgesetz im Alleingang durchzusetzen. Für die SPD-Bundestagsfraktion erkläre ich, daß es eine Zustimmung zu diesem Gesetz nicht geben wird. Die sozialdemokratischen Gesundheitsminister und -senatoren der Länder haben michautorisiert, das für sie ausdrücklich zu unterstreichen.Wenn die Zeiten des Konsenses also vorbei sind, Herr Hoffacker, dann sind sie eben vorbei. An der SPD jedenfalls hat es nicht gelegen,
daß die noch regelungsbedürftigen Fragen des parteiübergreifenden Kompromisses vom Oktober 1992 nicht das Gesetzblatt erreichen werden. Jeder der an den Konsensgesprächen beteiligten Parteien war jedenfalls eines klar: Wenn der im Gesundheitsstrukturgesetz festgeschriebene Reformkompromiß auch nur von einer Stelle wieder aufgeschnürt werden würde, wird es kein Halten mehr geben. Dazu waren die Zahl der einschneidenden Strukturveränderungen zu groß und die Begehrlichkeiten der Verbandsinteressen zu mächtig. Der Erfolg von Lahnstein lag gerade in der Geschlossenheit des Parlaments gegenüber den Einwirkungsversuchen der Gesundheitslobby. CDU/CSU und F.D.P. haben diese Geschlossenheit zerstört, weil sie sie aus naheliegenden wahltaktischen Erwägungen zerstören wollten.
Das Gesundheitsstrukturgesetz hat den Anbietern von Gesundheitsleistungen, den Ärzten, Zahnärzten und der Pharmaindustrie, einiges beschert, was diese nicht nur geärgert hat, sondern was von ihnen als Zumutung empfunden wurde. Das GKV-Anpassungsgesetz kam offenkundig gerade recht, an diese vermeintlich so gebeutelten Gruppen zielgerichtet vor den Bundestagswahlen politische Beruhigungspillen in Form von finanziellen Zückerchen zu verteilen.Denn in diesem Gesetz werden nicht etwa krankenversicherungsrechtliche Vorschriften angepaßt, meine Damen und Herren, wie es der Titel sagt; hier sollen vielmehr die zukünftigen Einkommen an die Einkommenserwartungen dieser Gruppen angepaßt werden. Es handelt sich um nichts weiter als um ein Wahlgeschenkegesetz, meine Damen und Herren.
Es ist erst wenige Wochen her, daß die finanziellen Ergebnisse der Krankenversicherung im abgelaufenen Jahr 1993 vorgelegt wurden. Sie verzeichneten eine erfreuliche Entwicklung und belegten, daß das Gesundheitsstrukturgesetz in seiner ersten Phase ungewöhnlich positive Auswirkungen hat. Die in der Vergangenheit angesammelten Defizite der Krankenkassen konnten durch einen Überschuß ausgeglichen werden. Die Krankenkassen reagierten darauf mit einer erfreulich besonnenen Beitragssatzpolitik, obwohl sie von seiten der Koalition durch politischen Druck zu voreiligen Beitragssatzsenkungen bewegt werden sollten.Daß mit dem Gesundheitsstrukturgesetz gleichwohl die Schlacht noch nicht gewonnen worden ist, zeigt die aktuelle Entwicklung im ersten Quartal des laufenden Jahres. Die ersten Hochrechnungen der Krankenkassen beweisen: Die Steigerungsrate der Ausgaben liegt wieder deutlich über der Steigerung der Einnahmen. Bei den Betriebskrankenkassen wachsen die Ausgaben um 7,5 %, die Einnahmen aber nur um 3 %. Die Ortskrankenkassen bestätigen eine ähnlich
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Rudolf Dreßlerbedrohliche Tendenz. Wenn diese Entwicklung über das ganze Jahr hinweg anhält, dann können die erwarteten Beitragssatzsenkungen für 1995 in den Wind geschrieben werden, meine Damen und Herren. Statt dessen werden wir dann wieder Beitragserhöhungen zu verzeichnen haben. Ich sagen Ihnen: Das muß verhindert werden und das kann verhindert werden, und zwar durch eine konsequente Anwendung der Bestimmungen des Gesundheitsstrukturgesetzes.Derartige Steigerungsraten bei den Kassenausgaben werden, auf das ganze Jahr fortgeschrieben, mit Sicherheit zur Überschreitung der vorgegebenen Budgets, also der Ausgabenobergrenzen in einzelnen Sektoren führen. Das Gesundheitsstrukturgesetz sieht in solchen Fällen vor, daß die Budgetüberschreitungen von den entsprechenden Gruppen zurückgeholt werden.Ich fordere deshalb den Bundesgesundheitsminister auf, sich eindeutig zu erklären, ob er diese Bestimmungen des Gesundheitsstrukturgesetzes anzuwenden gedenkt. Denn daran sind angesichts der im GKV-Anpassungsgesetz enthaltenen Wahlgeschenke, etwa diejenigen an Ärzte in Höhe von rund 600 Millionen DM, begründete Zweifel angebracht. Wer den bisherigen Erfolg des GSG nicht aufs Spiel setzen will, muß es voll anwenden. Es muß ein eindeutiges Signal gesetzt werden: Wer mehr ausgibt, als im Budget vorgesehen ist, muß zurückzahlen.Herr Seehofer, ich frage Sie: Sind Sie zu diesem Signal bereit, oder werden Sie aus opportunistischen, wahltaktischen Erwägungen Übertretungen des Gesundheitsstrukturgesetzes hinnehmen? Auf eine klare Anwort wartet nicht nur die Sozialdemokratie, son-dem darauf warten Millionen beitragszahlende Versicherte und Tausende von Unternehmen. Hier geht es nämlich auch um das, was wir Lohnnebenkosten nennen. Die nämlich werden finanzielle Verbeugungen von CDU/CSU und F.D.P. in Richtung der Anbietergruppen im Gesundheitswesen zu bezahlen haben.
Würde das GVK-Anpassungsgesetz in Kraft treten, wäre das eine schwere Belastung der finanziellen Stabilität der Krankenversicherung, erst recht vor dem Hintergrund einer möglichen neuen Kostenzuspitzung.Gerade diese Bundesregierung, vor allem aber ihr F.D.P.-Teil, führt ständig die erhebliche Belastung des Standortes Deutschland durch zu hohe sogenannte Lohnnebenkosten im Munde. Bemerkenswerterweise kannten die vergangenen Jahre in diesem Lande nur einen einzigen Produzenten von höheren Lohnnebenkosten: die Politik dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren.
Diese Politik hat nämlich die deutsche Einheit in wesentlichen Teilen über die Groschen der Beitragszahler finanziert, und tut es noch weiter. Die Politik der staatlichen Erhöhung von Lohnnebenkosten soll nun offenbar in der Krankenversicherung durch das Verteilen von Geschenkpackungen an Anbietergruppen vervollkommnet werden.Daran könnte man elementare Fragen nach der politischen Glaubwürdigkeit knüpfen. Ich habe das aufgegeben. Vor allem in Richtung F.D.P. lohnt dies nicht mehr, denn da ist ja jede Wendung denkbar. Hier ist Beliebigkeit zum politischen Prinzip geworden.Wir haben in unseren Konsensrunden mit den Koalitionsfraktionen im Herbst 1992 die Förderung der hausärztlichen Tätigkeit vereinbart. Das war und bleibt sinnvoll. Dazu haben wir 600 Millionen DM aus dem Bereich der Laboratoriumsmedizin zur Verfügung gestellt. Ich frage mich, wieso die Koalition weitere 600 Millionen DM außerhalb des Budgets für die kassenärztliche Gesamtvergütung zur Verfügung stellen will.Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für ambulante ärztliche Leistungen stiegen in den Jahren von 1989 bis 1992 um insgesamt 21,7 %, im Jahre 1993 noch einmal um 3 %. 1994 ist mit einer ähnlichen Steigerungsrate zu rechnen, wenn die Budgetgrenzen beachtet werden. Glauben Sie nicht, daß Steigerungsraten von fast 30 % in den letzten fünf Jahren ausreichenden Spielraum lassen, notwendige Vergütungsverbesserungen für Hausärzte durch Umschichtung zwischen den Ärztegruppen, also aus dem Einkommensbestand zu finanzieren?
Ich füge hinzu: Es ist Opportunismus, daß die bessere Vergütung der Hausärzte durch ein Geschenkpaket sichergestellt werden soll, das beitragszahlende Versicherte und Unternehmen finanzieren. Damit das klar ist: Die Beitragszahler sind auch nicht dazu da, mit ihren Groschen die innerorganisatorischen Honorarverteilungs- und -vergütungsstreitigkeiten in der kassenärztlichen Bundesvereinigung zu schlichten.
In kaum einem anderen Bereich des sogenannten GVK-Anpassungsgesetzes läßt sich eindeutiger Beweis führen, daß CDU/CSU und F.D.P. die Konsensvereinbarungen des Gesundheitsstrukturgesetzes zu revidieren beabsichtigen, als bei der vereinbarten Umgestaltung der Selbstverwaltung und Geschäftsführung der Krankenversicherung zu bleiben. Waren wir nicht gemeinsam der Auffassung, daß ein durch Wahlfreiheit der Versicherten stärker wettbewerbsorientiertes Krankenversicherungssystem ein schlagkräftiges Management braucht?CDU/CSU, F.D.P. und SPD haben sich gemeinsam entschlossen, die zweistufige Selbstverwaltung zu einem kleineren einstufigen Gremium unter der Bezeichnung Verwaltungsrat zusammenzufassen, so wie es heute im Gesetz steht. Im Gesetz steht auch, daß die Geschäfte zukünftig von einem hauptamtlichen Management, dem Vorstand, geführt werden sollen.Das sogenannte GKV-Anpassungsgesetz revidiert all dies. Denn es schafft die Möglichkeit, der geplanten Neuregelung auszuweichen und alles bei der alten Selbstverwaltung zu belassen. Die Koalition argumentiert, das müsse so nicht kommen. Als Sicher-
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Rudolf Dreßlerheitsventil sei dazu eine Zweidrittelmehrheit der Betroffenen vorgesehen. Da kann ich nur sagen: Oh heilige Einfalt.Ein von der Auflösung bedrohtes Gremium, meine Damen und Herren, wird im Zweifel sogar einstimmig beschließen, daß es nicht aufgelöst zu werden wünscht.
In Wahrheit weiß die Koalition das auch, denn in Wahrheit will sie die neue Struktur der Leitungsebene der Krankenversicherung nicht mehr, sie kann es nur nicht öffentlich eingestehen.Verabschiedet haben sich CDU/CSU und F.D.P. auch von der gemeinsamen Festbetragsphilosophie in der Arzneimittelversorgung. Sie wollen die Festbetragsregelung aufweichen. Es kommt fast einer Groteske gleich, wenn ausgerechnet CDU/CSU und F.D.P., die die von der SPD in den Konsensgesprächen durchgesetzte begrenzte Ausnahmeregelung für patentgeschützte Präparate nicht wollten, nunmehr im GKV-Anpassungsgesetz unter dem Vorwand des Patentschutzes eine Gesetzesbestimmung anstreben, die das gemeinsame Ziel — 80 % des Marktes soll unter Festbetrag — zur völligen Illusion werden lassen. Auch dies ist für uns inakzeptabel.Das GKV-Anpassungsgesetz setzt ein Signal. Es signalisiert, daß die Bundesregierung den Rückweg zur Gesundheitspolitik der alten Art eingeleitet hat: Flickschusterei statt struktureller Gestaltung und hektisches „stop and go" statt politischer Beständigkeit. Nach der übergreifenden Reform nun das politische Kleinklein.Der Bundesgesundheitsminister, der sich im vergangenen Jahr mit Blick auf die einflußreiche Gesundheitslobby öffentlich gleichsam als mutiger Drachentöter hat feiern lassen, hat sich rechtzeitig vor den Bundestagswahlen als Bürgermeister von Schilda entlarvt.
Die SPD, meine Damen und Herren, steht nach wie vor zu den ehedem gemeinsamen Grundsätzen einer Strukturreform, die die Koalition um des politischen Friedens mit der Gesundheitslobby aufzugeben bereit ist. Das sogenannte GKV-Anpassungsgesetz hat die Zustimmung der SPD nicht verdient, es wird sie auch nicht bekommen.Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Menzel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verfolgt man die Auseinandersetzung um das nun zur Abstimmung stehende Gesetz in den Medien und in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages, kann man den Eindruck gewinnen, daß der ursprüngliche Anlaß, ein Anpassungsgesetz für die gesetzlicheKrankenversicherung auf den Weg zu bringen, keine große Rolle mehr spielt.Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs ist und bleibt aber die vor dem Hintergrund der einschlägigen Bestimmungen des Gesundheitsstrukturgesetzes notwendig gewordene Harmonisierung des Dienstordnungsrechts der gesetzlichen Krankenkassen.Knapp eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes bietet ein solches Gesetz allerdings auch die Gelegenheit, dort Korrekturmaßnahmen einzuleiten, wo sich Fehlentwicklungen abzeichnen. Rasches Handeln, insbesondere in der Gesundheitspolitik — das haben die Erfahrungen gelehrt —, kann vermeiden, daß sich solche Tendenzen verfestigen und anschließend nur mit großen Anstrengungen revidiert werden können.Diese Korrekturen sind notwendig und richtig. Dadurch sollen die positiven Effekte des Gesundheitsstrukturgesetzes nicht gefährdet werden. Nicht nur aus diesem Grund erscheint mir die Empörung seitens der am Zustandekommen des Gesundheitsstrukturgesetzes schließlich beteiligten Opposition nicht ganz nachvollziehbar.
Aber lassen Sie mich zunächst auf den zentralen Punkt des GKV-Anpassungsgesetzes eingehen: die Änderung des Dienstordnungsrechts. Vor dem Hintergrund der mit dem Gesundheitsstrukturgesetz durchgesetzten Kassenwahlfreiheit für die Versicherten und dem somit verstärkten Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen untereinander müssen Voraussetzungen für wettbewerbsfähiges Handeln geschaffen werden.Das bisherige Dienstordnungsrecht der Krankenkassen steht einem flexiblen Personalmanagement entgegen. Motivationsanreize fehlen völlig.Mit der Anpassung des Krankenkassendienstrechtes kommen wir dem Ziel einer wettbewerbsorientierten, leistungsfähigen Kassenlandschaft einen großen Schritt näher. Ich würde es begrüßen, verfolgten die Bundesländer ebenfalls dieses Ziel. Aber mit seinen Forderungen wie beispielsweise einer Budgetierung der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen oder der Erstellung von detailliertesten Stellenplänen, die auch außertarifliche Zulagen ausweisen, oder gar einer Ausdehnung dieses Instruments auf die Ersatzkassen wird der Bundesrat dieser Intention kaum gerecht.Bedauerlicherweise üben sich die Länder auch in einem anderen wichtigen Bereich des vorliegenden Gesetzentwurfes in ihrer Verweigerungshaltung. Auf Grund einer wenige Wochen nach Inkrafttreten des GSG getroffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, die eine andere Abgrenzung von Betriebs- und Investitionskosten forderte, mußte vor dem Hintergrund des im GSG festgeschriebenen gedeckelten Krankenhausbudgets der Gesetzgeber erneut tätig werden.Nach den Grundsätzen der dualen Krankenhausfinanzierung, nach der die Betriebskosten eines Krankenhauses über die Pflegesätze und die Investitionskosten von den Ländern getragen werden, hätten
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Dr. Bruno Menzelnach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes die bisherigen Kosten bei Krankenhausinstandhaltung über die Pflegesätze finanziert werden müssen, was aber angesichts einer Höhe von 700 Millionen DM bis fast 1 Milliarde DM auf Grund der festen Krankenhausbudgets nicht praktikabel ist. Folglich galt es, eine gesetzliche Grundlage zu erarbeiten, nach der die Länder wieder angemessen in die Finanzierungspflicht genommen werden, der sie vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bereits unterlagen.
Ich habe ja persönlich Verständnis dafür, daß die Lander um ihre Finanzinteressen kämpfen. Jede Mark Investitionskosten, die sie sparen, entlastet Länderhaushalte. Nur muß man dabei natürlich folgendes sehen: Dieselben Länder, die gemeinsam mit uns die große Sparoperation des Gesundheitsstrukturgesetzes beschlossen haben, wollen davon nun offensichtlich nicht mehr unbedingt etwas wissen. Das Geld, das die Länder ohne die entsprechende Präzisierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes im Rahmen des hier vorliegenden Gesetzentwurfes einsparen würden, müßte sonst im Gegenzug, Herr Dreßler, über höhere Beiträge der Versicherten aufgebracht werden.
Auch dessen sollten sich die Lander natürlich bewußt sein.Von seiten der Bundesländer hört man immer wieder die Forderung nach mehr Kompetenz in der Gesundheitspolitik.
— Ich komme noch darauf, Herr Dreßler. Ich lasse nichts aus, da können Sie ganz sicher sein.
Am Beispiel der Auseinandersetzung um die Krankenhausfinanzierung könnte man mutmaßen, daß eine dem Allgemeinwohl verpflichtete Gesundheitspolitik der Länder immer dann besondere Priorität genießt, wenn ihre massiven finanziellen Interessen dieser nicht entgegenstehen. Ich fordere deshalb die Länder mit Nachdruck auf, auch bei diesem Gesetz zu ihrer gesundheitspolitischen Verantwortung zurückzukehren. Eine einseitige Entlastung der Länderhaushalte zu Lasten der Beitragszahler darf es nicht geben.
Dies wäre ein eindeutiger Widerspruch zum Gesundheitsstrukturgesetz. Auch das ist eine Tatsache.Wie Herr Dreßler schon sagte, liegen mittlerweile die Finanzdaten der gesetzlichen Krankenversicherung für das Jahr 1993 vor. Wir haben über ein ganzes Jahr hinweg Erfahrungen mit der Umsetzung der Instrumente des Gesundheitsstrukturgesetzes machen können. Das ist richtig. Insgesamt gesehen ergibt sich zur Zeit ein erfreuliches Bild. Das Defizit des Jahres 1992 wurde abgebaut, und es wurden sogar Überschüsse erzielt.Wie eingangs erwähnt, hat sich aber in den vergangenen Monaten auch ein Korrekturbedarf ergeben. Das ist bei einem Gesetz dieses Umfanges überhaupt nicht ungewöhnlich. Das GKV-Anpassungsgesetz gibt uns nun Gelegenheit, diese Nachbesserungen vorzunehmen. Im Interesse der positiven Auswirkungen und der auf längere Sicht vorgenommenen Weichenstellung des GSG sollte diese Gelegenheit natürlich nicht ungenutzt bleiben.Nun hören wir von der SPD, daß die Koalition mit diesem Anpassungsgesetz den Konsens von Lahnstein aufkündigen würde.
Meine Damen und Herren von der SPD, wir haben Ihnen angeboten, die Änderungen im Sozialgesetzbuch gemeinsam mit uns zu machen. Nur, nachdem wir längere Zeit keinerlei Rückinformationen bekamen, sahen wir uns gezwungen, entsprechend zu handeln. Anderenfalls wäre die Chance tatsächlich verstrichen, relativ zeitnah Korrekturen im GSG zu realisieren.Die Klage, daß die Koalition die Wege der Gemeinsamkeit verlassen würde, ist vor diesem Hintergrund nicht so ganz verständlich, erst recht nicht, wenn man sieht, welche Punkte herangezogen werden, um diese Aussage zu untermauern.
Die Kostenerstattung: Wir haben gemeinsam mit Ihnen im GSG endlich die unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten der Krankenkasse für Arbeiter und Angestellte aufgehoben. Das war nach Auffassung aller dort Anwesenden dringend notwendig. Jetzt gehen wir hin und beseitigen die unterschiedlichen Möglichkeiten für Besser- und Schlechterverdienende — oder wie immer Sie es bezeichnen wollen —, sich für die Kostenerstattung zu entscheiden.Ich frage mich, wie durch eine solche zwangsläufig logische Maßnahme der gemeinsame Konsens aufgekündigt werden kann. Ich hege den Verdacht, daß es Ihnen hier weniger um die Argumentation in der Sache als vielmehr um die Aufrechterhaltung gesundheitspolitischer Dogmen geht.
Oder die Übernahme der Mehrkosten durch die Versicherten bei Wahl einer nicht vertragsärztlichen Versorgung mit Zahnfüllung:
Ich vermag auch hier keinen Systembruch zu erkennen. Es geht in dieser Frage doch nicht darum — wie immer behauptet wird —, daß andere Füllungen bei nachgewiesener Unverträglichkeit dann nicht mehr bezahlt werden können, sondern es geht um die Fälle, in denen jemand aus objektiv unberechtigten Ängsten heraus z. B. eine Gußfüllung wählt. Dann muß er doch zumindest das erhalten, was die Amalgamfüllung
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Dr. Bruno Menzelgekostet hätte und was die Krankenkasse hätte dementsprechend bezahlen müssen.
Es ist den Versicherten mit Sicherheit nicht klarzumachen, daß sie nicht einmal das erhalten sollen, was ihnen eigentlich doch zusteht. Hier wird nicht das Sachleistungsprinzip in der GKV ausgehebelt, sondern eine vernünftige Lösung für die Fälle realisiert, in denen der Versicherte etwas anderes möchte, als die Kasse ihm zugedacht hat. Es ist für mich eine äußerst unsoziale Haltung, hier das Alles-oder-nichts-Prinzip zu propagieren.
Herr Kollege Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haack?
Bitte, sehr.
Herr Dr. Menzel, wir haben ja in den Lahnsteiner Konsensgesprächen über Wahlleistungen und Grundleistungen gesprochen, die sich dann im abrechnungstechnischen Verfahren von Sachleistungen und Kostenerstattung wiederfinden sollten. Können Sie mir bestätigen, daß wir unter zwei Aspekten zunächst einmal das jetzige Verfahren festgeschrieben haben, daß wir nämlich gesagt haben: Beim Zahnersatz wird die innovative Komponente, die jeweils den medizinischen und technischen Fortschritt manifestiert, zunächst einmal — wie in der Vergangenheit immer — als eine Luxusleistung deklariert werden? Wir haben uns von Experten darstellen lassen, daß es in der Vergangenheit so gewesen ist, und deshalb haben wir uns dafür entschieden, bei der Grundversorgung und Zusatzversorgung nicht dieses Prinzip einzuführen, sondern es komplett bei der Sachleistung zu belassen.
In Lahnstein haben wir gesagt: Solange nicht sichergestellt ist, daß die innovative Komponente in der medizinischen Versorgung allen Patienten zur Verfügung steht, eignet sich so ein Gesetz nicht.
Der zweite Punkt.
Herr Kollege Haack, Fragen sind kurz und knapp zu stellen.
Ja.
Wie wollen Sie bei dem Verfahren der Kostenerstattung die Qualitätssicherung garantieren?
Ich kann den ersten Teil Ihrer Frage zunächst einmal bestätigen. Das waren die Absprachen, die wir getroffen haben. Sie werden mir bestätigen, daß die F.D.P. grundsätzlich anderer Meinung war; aber in den Konsensgesprächen haben wir uns halt zu dieser Regelung durchgerungen. Doch Sie werden mir auch zugeben, daß die Frage der Amalgamfüllung, die ich hier angesprochen habe, eine etwas andere Qualität hat als das, was Sie als innovative Zahnmedizin bezeichnet haben.
Ich habe ausdrücklich gesagt: Wenn ein Patient von sich aus die Befürchtung hat, daß er mit dieser Amalgamfüllung nicht zurechtkommt, wir zur Zeit aber noch die Situation haben, daß Amalgamfüllungen bezahlt werden, dann muß er die Möglichkeit haben, sich als freier Bürger dieses Landes für etwas anderes zu entscheiden. Er hat natürlich das Recht, daß ihm zumindest das, was ihm für die Füllung zusteht, von der Kasse bezahlt wird.
Diese Meinung sollte durchaus der Diskussion wert sein, Herr Dreßler. Ich betrachte es nicht so, wie Sie es vorhin ausgeführt haben, als Sie sagten, daß die F.D.P. ihre Meinung ändert. Im Gegenteil, es ist eine ganz klare Meinung, die die F.D.P. die ganze Zeit über vertreten hat. Aber sie kann halt, wenn Konsensgespräche geführt werden, zunächst einmal nur ganz bestimmte Ziele erfüllt bekommen. Man muß dann sehen, wie das weiter zu entwickeln ist. Das war unser Konsens in Lahnstein. Es ist eine Entwicklung, die hier vor sich geht.Das gleiche gilt für die Budgeterhöhung für ambulante Operationen. Wenn wir auf der einen Seite wollen, daß ambulantes Operieren gefördert wird, weil es in der Endkonsequenz für den Patienten und auch für die Kassen Vorteile hat, müssen wir doch auf der anderen Seite die Voraussetzungen schaffen, daß ambulantes Operieren überhaupt möglich ist.Wenn wir im Verlauf dieses einen Jahres oder dieser anderthalb Jahre feststellen, daß unter den Bedingungen, die wir geschaffen haben, ambulantes Operieren nicht vorankommt, weil ambulant operierende Praxen zum Teil schließen müssen, dann halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, daß der Gesetzgeber dort etwas ändert, wo etwas geändert werden muß.
Was Sie zur Hausarztpauschale hier ausgeführt haben, war sehr schön. So eine Summe von 600 Millionen DM hört sich immer gut an. Sie reden von Wahlgeschenken. Tatsache ist doch — darüber waren wir uns alle in Lahnstein einig —: Die hausärztliche Versorgung ist der Dreh- und Angelpunkt der medizinischen Versorgung der Bevölkerung überhaupt. Wir waren uns in Lahnstein einig, Herr Dreßler, daß die Honorarverteilung bei den praktischen Ärzten dringend einer Veränderung bedarf. Darüber waren wir uns einig.Wenn Sie von 600 Millionen DM sprechen, dann sollten Sie dazusagen, daß das, was wir beschlossen haben, bedeutet, daß pro Hausarzt für eine Fallbehandlung letztlich 90 Punkte mehr gewährt werden, dann könnte man sich darunter schon eher etwas vorstellen; das sind etwa 8 DM. Das ist die Summe, die Sie als riesiges Wahlgeschenk bezeichnen und von der wir der Meinung sind, daß sie unverzichtbar ist, um den Bestand der ambulanten Praxen in unserem Lande zu gewährleisten.
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Herr Kollege Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Aber natürlich; das ehrt mich.
Bitte, Kollege Dreßler.
Herr Kollege Menzel, stimmen Sie mir zu, daß wir in Lahnstein bei der Frage der Umschichtung für hausärztliche Tätigkeit von seiten der SPD einen Betrag von 1 Milliarde DM vorgeschlagen haben,
daß dieser auf der Grundlage einer Intervention eines B-Landes auf 500 Millionen DM reduziert werden sollte und daß wir uns dann in Form eines levantinischen Teppichhandels auf 600 Millionen DM verständigen konnten, wissend — sonst hätten wir ja nicht 1 Milliarde DM gefordert —, daß das nicht ausreicht, aber im Konsens diese 600 Millionen DM getragen haben? Finden Sie es unter diesen Gesichtspunkten nicht mindestens merkwürdig, ausgerechnet uns mittelbar anzuschuldigen, wir hätten etwas gegen die Stärkung der Hausärzte? Richtig ist doch, Herr Dr. Menzel, daß wir etwas dagegen haben, daß dort ein Kompromiß mit 600 Millionen DM begründet wird und daß Sie diese 600 Millionen DM jetzt den Beitragszahlern und Lohnnebenkostenträgern, den Unternehmen, kurz vor dem 15./16. Oktober zusätzlich aufs Auge drücken wollen. Sehen Sie da nicht einen logischen Zusammenhang, Herr Dr. Menzel?
Herr Kollege Dreßler, wir haben diesen Kompromiß gefunden. Sie wissen ja auch, daß die Selbstverwaltung verpflichtet worden ist, für diese Umschichtungen im Laborbereich Sorge zu tragen.
Ich muß sagen, es verdient größten Respekt, daß die Kassenärztliche Bundesvereinigung diese Vereinbarung trotz etlicher von dieser Regelung betroffenen Arztgruppen, die sich enorm dagegen verwahrt haben, tatsächlich durchgesetzt hat.
Sie wissen ganz genau, daß es bei der Frage 600 Millionen DM, 1 Milliarde DM darum ging, wie denn die Laborleistungen insgesamt zu bewerten sind. Ich weiß nicht, ob Sie sich einmal erkundigt haben, welche Punkte z. B. ein Kardiologe heute für einen Patienten pro Quartal zur Verfügung stehen hat, um Laborleistungen durchführen zu können.
— Das konnten wir in Lahnstein überhaupt nicht wissen, weil wir als Politiker die Umschichtung nicht vornehmen, sondern die Umschichtung nur vorgegeben haben. Das mußte von den Ärzten selbst durchgeführt werden. So können Sie das natürlich nicht sehen. Wir haben nicht die 600 Millionen DM freigeschaufelt, sondern die ärztliche Bundesvereinigung hat das getan.
Herr Kollege Dr. Menzel, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hoffacker?
Ja, natürlich.
Bitte, Kollege Hoffacker.
Herr Kollege Menzel, Sie sind Arzt und haben das Geschick der Ärzte im Rahmen unserer Gespräche selbst erlebt. Können Sie bestätigen, daß dieser Vorzieheffekt der niedergelassenen Ärzte
im vergangenen Jahr etwa 9000 betrifft, so daß man eine solche Maßnahme, die die Existenzsicherung der Ärzte betrifft, verantworten kann?
Dem stimme ich voll zu. Das würde ich absolut so sehen, Herr Kollege Hoffakker.
Das Thema der Festbeträge für Patentarzneimittel nach dem 1. Januar 1993 haben Sie auch angesprochen, Herr Dreßler. Ich denke, daß diese Regelung ein wichtiger Beitrag ist, um den Forschungsstandort Deutschland tatsächlich zu befördern und attraktiv zu machen.
— Das ist nicht lächerlich.
— Das fällt mir jetzt gar nicht ein.
— Nein, nein. Sie wissen genausogut wie ich, daß wir auch um die Laufzeit der Patente arg gerungen haben. Sie wissen, daß wir uns sehr darum bemüht haben, diese Laufzeit der Patente entsprechend zu verlängern.Wenn ich das denn alles in allem betrachte, befürchte ich eigentlich, daß die Haltung der Opposition zum GKV-Anpassungsgesetz, mit dem wirklich nur einige Nachbesserungen vorgenommen werden, die Chancen einer weiteren Reformstufe des Gesundheitswesens nicht gerade erhöhen wird. Vor diesem Hintergrund habe ich überhaupt kein Verständnis für diejenigen, die in diesem Zusammenhang von einem wahren Füllhorn von Wahlgeschenken reden, Herr Dreßler, und auch hier wieder behaupten, daß der Lahnsteiner Kompromiß damit verlassen worden sei. Wenn der Lahnsteiner Kompromiß bedeutet, kompromißlos auch an Fehlentwicklungen festzuhalten, dann muß man sich in der Tat fragen, was dieser Geist dann wert ist.
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Dr. Bruno MenzelDanke sehr.
— Die kommt auch noch, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, Zwischenrufe sind natürlich zulässig, aber wir müssen insgesamt sehen, daß der Redner zu Wort kommt und in Ruhe seine Ausführungen machen kann.
Aber das geschieht ja auch.
Das Wort hat nun Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, ich wundere mich über die Koalition nicht, muß ich sagen.
Ich bin sehr froh, daß ich für Lahnstein nicht mitverantwortlich bin,
denn sonst müßte ich hier und heute sagen, ich hätte sehenden Auges Tür und Tor geöffnet für das vorliegende Gesetz.Als der Kabinettsentwurf dieses Gesetzes dem Parlament zugeleitet wurde, konnte es in der Tat noch als eine Sammlung echter Anpassungsregelungen gelten, die nach dem Gesundheitsstrukturgesetz einfach notwendig geworden waren. Niemand konnte beispielsweise ernsthaft etwas gegen die Vermeidung von Nachteilen für die in den gesetzlichen Krankenkassen verbleibenden Dienstordnungsangestellten haben. Gar die Lander zu zwingen, bestimmte Instandhaltungsinvestitionen, die sie bereits vorschnell abstoßen wollten, schließlich doch zu übernehmen, verdiente für die Koalition fast schon das Prädikat einer durchdachten gesundheitspolitischen Maßnahme.
Ich sage fast, weil natürlich die getroffene Grundsatzentscheidung, die Länder generell aus ihren Investitionsverpflichtungen für die Krankenhäuser zu entlassen, für mich nur ein Teil jenes unseligen sozialpolitischen Verschiebebahnhofes ist, mit dessen Hilfe sich Staat und Wirtschaft Schritt für Schritt zu Lasten der Beitragszahler aus ihrer Verantwortung für ein funktionierendes Gesundheitswesen herausstehlen.
Zurück zum Gesetz. Alles in allem schien es eher eine teils harmlos notwendige, teils sogar ausgesprochen nützliche Sache zu sein. Dann kamen aber plötzlich Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen, die es nun wirklich in sich haben. Insofern kann ich die Kollegen von der SPD schon verstehen, daß sie eine wesentliche Verlängerung der Debatte verlangt haben, handelt es sich hier doch mehr oder weniger um nichts anderes, als daß der Anfang vom Ende des bisherigen sozialen Krankenversicherungssystems in der Bundesrepublik Deutschland schon einmal etwas geprobt wird. Was belegt diese Feststellung, meine Damen und Herren?Erstens. Nicht nur freiwillig Versicherte, sondern auch alle Pflichtversicherten sollen künftig die Kostenerstattung wählen können, um sich dann wie ein Privatpatient gegen Rechnung behandeln zu lassen. Auch wenn es natürlich nicht viele sein werden, die dieses Privileg in Anspruch nehmen, kann man dazu nur sagen: Endlich ist es gelungen, nun auch die Pflichtversicherten in Patienten erster und zweiter Klasse zu teilen, denn Patienten mit Sachleistungen sind dann auf Dauer allemal weniger attraktiv.Von Kosteneinsparung in diesem Fall kann nach allen Erfahrungen keine Rede sein. Aber die soziale Qualität der gesetzlichen Krankenversicherung wird dafür nachhaltig beschädigt. In das solidarische Prinzip einer gemeinschaftlichen und gleichen Absicherung des Krankheitsrisikos ist auf jeden Fall eine neue und beachtliche Bresche geschlagen worden. Weiteres wird sich finden lassen.Zweitens. Mit der Festbetragsregelung für Arzneimittel — dem wohl respektabelsten Teil des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988 — war endlich einmal ein Instrumentarium in Kraft getreten, mit dem der Pharmaindustrie wenigstens in Ansätzen die Grenzen ihrer Beutelschneiderei gezeigt werden konnten.Prompt hat das auch zu deutlichen Entlastungen der Kassen- und Beitragszahler geführt. Den notleidenden Arzneimittelherstellern genügte es allerdings, eine ihrer Uraltforderungen aus der Mottenkiste zu holen — die Herausnahme patentgeschützter Wirkstoffe aus der Festbetragsregelung —, und unser entschlußgewaltiger Gesundheitsminister samt einer ganzen Regierungskoalition ist sang- und klanglos umgefallen.
Die Neuregelung lautet: Für Arzneimittelwirkstoffe, die nach dem 1. Januar 1993 patentiert wurden, werden keine Festbeträge mehr gebildet. Die Pharmaindustrie wird sich für diese — offensichtlich nicht sehr mühsam erkämpfte — Steilvorlage sicherlich sehr herzlich bedanken. Sie wird sie auf jeden Fall kräftig zu nutzen wissen. Was innovativ ist und patentgeschützt wird, bestimmt schließlich weitgehend sie selbst. Beitragssatzstabilität hin, Beitragssatzstabilität her: Wenn es gilt, die eigene Klientel zu bedienen
— erzählen Sie mir nichts —, ist eigenartigerweise von diesem sonst so ehernen Grundsatz nichts mehr zu spüren.
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19790 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Dr. Ursula FischerDrittens. Auf der Zunge zergehen lassen darf man sich das Vorhaben, bei der Zahnbehandlung die Mehrkosten bei Gußfüllungen oder Inlays den Versicherten zu übertragen, falls diese kein Amalgam wünschen. Ohne alle Implikationen dieser famosen Idee hier würdigen zu können, möchte ich nur sagen: Hier waren wirklich Kenner am Werk. Auf einigermaßen plausible Weise werden alle Beteiligten
— ich habe möglicherweise sehr viel mehr Ahnung als Sie — bei einem Detail des Leistungskatalogs schon einmal probehalber an das Funktionieren von Regel- und Wahlleistungen gewöhnt. Die tatsächliche oder eher wohl vermeintliche Schädlichkeit des Amalgams kann dann jederzeit als Alibi herhalten. Das wird auch so sein.
— Ich muß die ganzen Redensarten auch dauernd von Ihnen aushalten, da können Sie auch einmal etwas aushalten.Viertens. Auch die mit dem Gesetz getroffenen Regelungen für an und für sich vernünftige Dinge wie die hausärztliche Versorgung und das ambulante Operieren haben zumindest ihre Tücken. Ich kann aus Zeitgründen jetzt nicht näher darauf eingehen.Völlig verfehlt ist allerdings die Einführung von Festbeträgen für Kranken- und Rettungstransporte. Nicht zuletzt auch angesichts der fehlenden Wahlmöglichkeit beim Rettungsdienst ist es einfach unzumutbar, die Patienten mit den dann anfallenden beträchtlichen Zuzahlungen zu belasten.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, was Sie da kurz vor Toresschluß unter Nutzung — oder sollte ich eher sagen: Mißbrauch — Ihrer Mehrheit noch zusammenzimmern wollen, ist nur ernst zu nehmen, weil es erneut ihre weitergehenden Absichten beleuchtet und weil es leider der gesetzlichen Krankenversicherung Schaden zufügt.
— In einer Demokratie. Deswegen kann ich auchsagen, was ich darüber denke. Merken Sie sich das.So ist das Gesetz unversehens Teil der immer heftiger geführten Auseinandersetzungen um die Zukunft des Gesundheitswesens in diesem Land geworden. Mit schockierender Deutlichkeit wird sichtbar — auch wenn es gegenwärtig nur Ansätze sind —, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll.Im Zwischenbericht der vom Gesundheitsminister eingesetzten Sachverständigenkommission zur Vorbereitung der angekündigten nächsten Reformstufe wird bereits eine etwas deutlichere Sprache gesprochen. Die Hauptüberlegungen sind nur noch darauf gerichtet, wie die Versicherten bzw. die Patienten die Lasten der Krankheitskosten erheblich stärker als bisher selbst tragen können.
Mehr noch: Was seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung im Gesundheitswesen Schritt für Schritt an Sozialstaat gewachsen ist, soll nun wieder zurückgefahren werden — erklärtes Ziel des Bundesgesundheitsministers.Der gesellschaftspolitische Zusammenhang ist eindeutig: Indem man den Versicherten die zweifellos auch künftig steigenden Kosten des Gesundheitswesens auflädt, sollen Staat und Wirtschaft massiv entlastet werden. In Kauf genommen wird dabei offensichtlich, daß dann die sich ohnehin vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich
— das werden Sie ja nicht bestreiten; 6 Millionen unter dem Existenzminimum — auch wieder voll auf die Versorgung der Kranken durchschlägt.Dieses widerspricht unseren Vorstellungen von einem sozial gerechten und humanen Gesundheitswesen. Gemäß der Maxime „Wehret den Anfängen" lehnen wir diesen Gesetzentwurf entschieden ab.
Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Martin Pfaff.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Sternstunden eines Parlamentes zählen sicher die großen Debatten, in denen sich Regierung und Opposition streitig auseinandersetzen mit den großen Fragen der Zukunftsgestaltung und öffentlich um ein Ergebnis gerungen wird; denn das Parlament ist ein Wettbewerb der Ideen, nicht ein Krieg der Parteien.Zu den Sternstunden des Parlaments zählen meiner Meinung nach aber auch die Anlässe, bei denen Regierung und Opposition im Konsens wichtige Weichenstellungen vornehmen, weil es wirklich um ganz große Herausforderungen für die Zukunft geht. Für mich waren die Verhandlungen von Lahnstein und dann die Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes eine Sternstunde des Parlamentes.Was wir heute dagegen erleben, ist wirklich ein sehr trauriger Anlaß.
Hier geht es nicht um ein GKV-Anpassungsgesetz, hier geht es um ein GSG-Revisionsgesetz. Das ist der Punkt.
Damals, Herr Bundesminister, haben Sie und wir alle zu Recht den Applaus der Fachkundigen, der Medien, der Öffentlichkeit bekommen; denn es ging wirklich um strukturgestaltende Elemente. Damals, Herr Bundesminister, haben Sie durch dieses Gesetz, das wir von der Opposition mitgestalteten, auch Ihre Reputation aufgebaut. Was Sie heute durchsetzen wollen, befürchte ich, wird Ihrem Lorbeerkranz nichts hinzufügen. Nein, im Gegenteil. Ich sage: Das, was im
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Dr. Martin PfaffKonsens vereinbart wurde, kann doch nur im Konsens verändert werden und nicht anders.
Ich erinnere, Herr Bundesminister, an meine Frage, die ich Ihnen einmal gestellt habe. Nachdem die Tinte auf dem GSG kaum trocken war, richteten Sie an die Sachverständigen Fragen zur Weiterentwicklung der GKV. Mir schwante schon damals Böses. Ich fragte Sie deshalb im Gesundheitsausschuß: Herr Minister, stehen Sie auch weiterhin zum Geist von Lahnstein —
— nicht zum Gespenst, zum Geist von Lahnstein —, auch noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode? Oder wollen Sie versuchen, das, was wir gemeinsam miteinander diskutiert und wofür wir gerungen haben, noch in dieser Legislaturperiode mit Ihrer Mehrheit zu ändern, wo doch wesentliche Elemente dieses Gesetzes überhaupt noch nicht umgesetzt wurden? Sie sagten damals im Ausschuß laut und klar: „Nein, ich stehe zu diesem Gesetz,
wir werden es nicht einseitig ändern."
Was haben wir denn hier? Wir haben zumindest sieben Punkte, die ich nur als Streiche bezeichnen kann; denn eigentlich ernsthafte Veränderungen des GSG sind sie nicht.Ich beginne mit der Kostenerstattung auch für Pflichtversicherte. Da wundert mich schon sehr, wenn hier Stichworte wie mehr Freiheit genannt werden und Kritik an der Ideologie, am Dogma geübt wird. Die größte Freiheit — wenn Sie die haben wollen — wäre doch die Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung: jeder würde dann machen, was er will. Es geht hier doch nicht um Freiheit, es geht um Steuerung der Gesundheitsausgaben, und es geht um das Sachleistungsprinzip.Da zitiere ich eine Untersuchung zum Thema „Auswirkungen der Kostenerstattung auf Kostenkenntnis, Kostenbewußtsein und kostensparendes Verhalten", die diese Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Die Empirie — das hat mit Dogma wirklich nichts zu tun — zeigt, daß hier keine positiven Effekte zu erwarten sind. Ich zitiere zudem wörtlich aus einem internen Vermerk des Arbeits- und Sozialministeriums vom 16. Dezember 1986 zu demselben Thema — einige Sätze sollte man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen —:Ein geregelter Ablauf der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Versorgung ist nach dem Kostenerstattungssystem nicht mehr möglich, ebensowenig eine gezielte Gesundheitssteuerung. Das Kosten- und Leistungsgeschehen spielt sich weitgehend im Freiraum ab und wird beisteigenden Arzt- und Zahnarztzahlen zwangsläufig zur Kostenexpansion führen.Der Schlußsatz, Herr Bundesminister:Gesamtwirtschaftlich wird das Kostenerstattungssystem mithin zu einer weiteren Kostenexpansion zu Lasten der Krankenkassen und Versicherten führen.Kostenerstattung heißt nicht Kostendämpfung, Kostenerstattung heißt nicht mehr Freiheit, Kostenerstattung heißt höchstens mehr Freiheit für die Leistungsanbieter, die Bezahlung für ihre Tätigkeit, ihr Einkommen zu erhöhen. Das ist der wesentliche Punkt.
Aber das war leider nur der erste Streich, der zweite folgt sogleich: 600 Millionen DM für hausärztliche Behandlungen. Wir alle — wir haben das damals eingeführt — wollten den Hausarzt aufwerten, aber es sollten 600 Millionen DM durch Einsparungen im Laborbereich und durch Umschichtung innerhalb des Budgetvolumens der Ärzte erreicht werden. Mit Ihrer Vorlage sanktionieren Sie jetzt ein Umsetzungsdefizit. Sie belohnen die Ärzteschaft, die die Umsetzung dieses Gesetzes schleppend vollzogen hat, mit 600 Millionen DM. Wenn das kein Wahlgeschenk ist, dann gehöre ich wirklich zu den letzten Naiven dieser Republik.
Das war eigentlich nur der zweite Streich; der dritte folgt zugleich: Festbeträge. Noch nicht lange her, da war Herr Blüm an Ihrer Seite, Herr Bundesminister. Eigentlich müßte er hier mit gemischten Gefühlen und mit einem tränenden Auge sitzen; denn einer der wesentlichen Punkte, das Herzstück des GesundheitsReformgesetzes, die Festbetragsregelung, haben Sie, Herr Seehofer, ausgehebelt, indem Sie Zuzahlungen eingeführt haben. Jetzt hebeln Sie die Umsetzung der Stufen 2 und 3 aus. Wenn das kein Wahlgeschenk für die Pharmaindustrie ist, was dann?
Hier geht es um Milliardenbeträge, die überwiesen werden sollen.Der vierte Streich: Gußfüllungen und Inlayversorgungen. Dazu sage ich folgendes: Wenn Gußfüllungen und Inlayversorgungen nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst geboten sind, wenn also eine biologische, zahnmedizinische Indikation vorliegt, dann sollen sie alle, wirklich alle haben, nicht nur diejenigen, die es sich leisten können, 70 %, 80 % oder 90 % zuzuzahlen. Ist etwas notwendig, angemessen, nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst erforderlich und wirtschaftlich, dann gehört es in den Leistungskatalog; sonst nicht. Hier haben Sie den Einstieg in Regel- und Wahlleistungen, etwas, was wir in Lahnstein verhindert haben.Das war leider nur der vierte Streich, der fünfte: die Verschiebung der Verschlüsselung bei den Krankheitsdiagnosen. Wir wollten doch mehr Transparenz, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Durchlässigkeit und
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19792 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Dr. Martin PfaffDurchsichtigkeit zwischen dem ambulant-ärztlichen und dem stationären Bereich. Wenn jetzt die ICD 9 im Krankenhaus und später dann die ICD 10 im ambulanten Bereich durchgeführt wird, torpedieren Sie nicht nur die Transparenzzielsetzung, Sie gefährden damit die Umsetzung der Fallpauschalen und Sonderentgelte. Ist das eine Großtat? Ich bezweifle es.Der sechste Streich, das sind die Festbetragsregelungen für Rettungsdienste. Festbeträge haben dort einen Sinn, wo ein Wettbewerb besteht, doch nie, wo Monopolstrukturen vorhanden sind. Dies ist wiederum ein Einstieg in ein System von Zahlungen und Zuzahlungen der Kranken.Den siebenten Streich möchte ich gar nicht weiter thematisieren. Hier geht es um die DO-Regelungen, wo keine Anreize geschaffen werden, es geht um die Verwischung des Aufgabenbereichs der Ehrenamtlichen und der anderen.Das alles betrifft die Quantität; das ist schlimm genug, aber noch nicht das Ende der Botschaft. Es geht vor allem um eine andere Qualität. Es sind doch genau die Elemente, die durch die Diskussion gegangen sind, die Sie, Herr Minister, durch Ihre Fragen an die Sachverständigen begonnen haben: Dort geht es um Kostenerstattung, um Regel- und Wahlleistungen, um Beitragsrückerstattungen, um all jene Maßnahmen, die im Endeffekt den Starken helfen und die Schwachen belasten. Es geht um den Abbau des Sozialstaats im Gesundheitswesen, um die Reprivatisierung der Gesundheitsrisiken. Das ist doch die Wahrheit.
Nachdem Paul Hoffacker am Anfang — ich will es nicht als Arroganz, sondern nur als Übermut interpretieren — hier doch einige recht lockere Worte gesagt hat, möchte ich ihm auf dieselbe Art antworten, nach der Devise „Übermut tut selten gut". Deshalb zitiere ich zum Abschied aus einem Buch, das ich den Parlamentariern nur nachhaltig empfehlen kann:Ach, was muß man oft von bösen Kindern hören oder lesen!Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Paul und Dieter hießen. Die, anstatt durch weise Lehren— und durch weise Lehrer —sich zum Guten zu bekehren oftmals noch darüber lachten und sich heimlich lustig machten.Aber wehe, wehe, wehe!Wenn ich auf das Ende sehe!! — Ach, das war ein schlimmes Ding, wie es Paul und Dieter ging. —Kurz, im ganzen Ort herum ging ein freudiges Gebrumm:„Gott sei Dank! Nun ist's vorbei mit der Übeltäterei! !"Signiert: W. B. — nicht für Wilhelm Busch, sondern für Wählerinnen und Wähler und für Bürgerinnen und Bürger. Datiert: 16. Oktober 1994. Danke schön.
Vizepräsident Helmuth Becker Nächster Redner ist jetzt unser Kollege Klaus Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage Sie von der Koalition: Wie glaubwürdig und berechenbar ist eigentlich der Gesetzgeber, der ein Gesetz, das hier mit 80%iger Mehrheit verabschiedet wurde, in wesentlichen Punkten bereits zu einem Zeitpunkt verändert, wo es noch keine Chancen hatte, sich zu bewähren? Das frage ich Sie mit allem Ernst.Das Gesundheitsstrukturgesetz ist kaum eineinhalb Jahre alt, und die Umsetzung der in diesem Gesetz angelegten strukturverändernden Maßnahmen beginnen gerade erst zu wirken. Der gewünschte kurzfristige Stopp der Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung ist 1993 gelungen. Erste Finanzergebnisse — der Kollege Dreßler hat darauf hingewiesen — des ersten Quartals 1994 weisen, so der Bundesverband der Betriebskrankenkassen am gestrigen Tag, bereits wieder Kostensteigerungen in Höhe von 7,5 % für die westlichen Bundesländer und 19 % für die neuen Bundesländer gegenüber dem Vorjahr auf. Eine gleiche Tendenz melden die AOKs.Meine Damen und Herren, in einer solchen Situation — ich wiederhole: die strukturverändernden Maßnahmen beginnen gerade erst, die kurzfristige Stabilisierung der Krankenkassenfinanzen zum Ausgleich der Defizite der vergangenen Jahre ist für das Jahr 1993 gelungen, für 1994 deuten sich bereits wieder höhere Steigerungsraten an — werden zum Schaden der Beitragszahler, also der Versicherten, der Arbeitgeber und der Patienten, kurzsichtige Wahlgeschenke an die Leistungserbringer verteilt.Erstens wird aus dem Portemonnaie der Versicherten und der Arbeitgeber ein Betrag von 600 Millionen DM zugunsten der Ärzte umverteilt, jeweils für 1994 und 1995, anstatt die innerärztliche Solidarität, die dringendst notwendig wäre, einzufordern.
— Herr Kollege Zöller, Sie haben bei der Anhörung doch sicherlich aufmerksam zugehört, was der Vorsitzende des Bundesverbandes der Praktischen Ärzte, Dr. Kossow, zu diesem Bereich sagte.
— Das mag Ihnen zwar nicht gefallen, Kollege Voigt, aber das zum Stichwort der innerärztlichen Solidarität hätten Sie sich genau anhören sollen.Zweitens wird die Möglichkeit zur Festbetragsbildung für Arzneimittel mit Patentschutz in Zukunft wieder erschwert. Mittelfristig — das ist die Konsequenz aus diesen Änderungen — werden die Beitragszahler mit Beiträgen in Milliardenhöhe belastet.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19793
Klaus KirschnerDrittens. Weitere Mehrbelastungen kommen nach Ihren Vorstellungen auf die Versicherten für Zahninlays und mit der Einführung von Festbetragsregelungen bei Rettungs- und Krankentransporten zu. Da dies hier schon angesprochen wurde, möchte ich darauf nicht näher eingehen.Aber ein Weiteres: Mit der Abkehr vom reinen Sachleistungsprinzip wird der Einstieg in die Zweiklassenmedizin vollzogen.
— Ihr könnt ja immer sagen: So ist das nicht gemeint. Warum macht ihr es denn dann?
— Also, das ist ja bald wirklich eine Märchenstunde. Ich sage deutlich: Sie entsolidarisieren, statt den Solidaritätsgedanken der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken.
Ich will einmal auf das hinweisen, was der Kollege Hoffacker vorher sagte. Natürlich kommt sein Lob für den Sachverständigenrat nicht von ungefähr. Wenn wir dem folgen würden, was der Sachverständigenrat in seinen vier Optionen aufzeigt, läuft das letzten Endes darauf hinaus, das, was medizinisch notwendig ist, nicht mehr im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abzusichern. Mit Zu- und Abwahlmöglichkeiten soll der Weg in die Zweiklassenmedizin beschritten werden.
Mit dieser Art von Zusatzleistungen wird doch suggeriert, daß man sich mit mehr Geld auch mehr gesundheitliche Leistungen kaufen kann.
— Natürlich, Herr Kollege Zöller. Was soll das? — Mit der Einführung von Zusatzleistungen bleibt die innovative Medizin dann denjenigen, die das zwar genauso benötigen, es sich aber vielleicht nicht leisten können, verschlossen.Ich sage Ihnen: Geben Sie dieses bewährte System nicht auf!
Bleiben Sie doch einmal bei dem, was wir in Lahnstein beschlossen haben. Sie sind doch nicht gezwungen, mit Ihren Änderungsanträgen den Weg von Lahnstein zu verlassen.
— Ich denke, Sie waren bei den Beratungen die ganze Zeit dabei.
— Na, das bezweifle ich. — Ich sage hier, was schon wiederholt gesagt worden ist: Sie kündigen mit diesem GKV-Anpassungsgesetz, das gar kein GKVAnpassungsgesetz ist, den Konsens mit der SPD auf; denn mit Ihren Änderungsanträgen haben Sie den Gesetzentwurf der Bundesregierung in ganz wesentlichen Punkten verändert.
— Natürlich wollen Sie das. — Sie kündigen den Konsens mit der SPD auf, den wir in mühsamen Gesprächen in Lahnstein gefunden haben. Sie kündigen ihn auf, um eigene Wählerklientel in Milliardenhöhe zu bedienen. Die Zeche für diese Art Wahlgeschenke — Sie können uns schon abnehmen, daß wir dies im Wahlkampf zum Thema machen werden — müssen Versicherte, müssen Arbeitgeber und Patienten zahlen.Dies ist natürlich alles nichts Neues. Es reiht sich in eine Kette von Umverteilungen ein, die Sie bereits in der Vergangenheit betrieben haben. Ich erinnere nur an die Streichung der Sozialleistungen zu Beginn dieses Jahres in Höhe von 14 Milliarden DM. Hier hätten Sie einmal das Stichwort „Solidarität" benutzen können. Da waren Sie sich nicht zu schade, bei den Arbeitslosen zu streichen, und zwar auf einem wesentlich niedrigeren Einkommensniveau. In dieser Situation haben Sie Ihr Herz für die Arbeitslosen nicht entdeckt. Aber bei den Ärzten hätten Sie die innerärztliche Solidarität einfordern können. Das mag Ihnen alles nicht gefallen.
— Entschuldigen Sie bitte. Es ging jetzt darum, daß wir eine gemeinsame Linie finden sollten, und um sonst gar nichts.Ihr habt doch hier mit euren Anträgen von vornherein gesagt: Wir wollen einen anderen Weg gehen. Jetzt muß man den Weg des Parlamentarismus gehen— Bundesrat und wahrscheinlich Vermittlungsausschuß —, und dann wird man sehen, was dabei herauskommt. Ob das klüger ist, das wage ich zu bezweifeln. Sie hätten auch einen anderen Weg gehen können.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, letzter Redner zum Tagesordnungspunkt 13 ist nun der Bundesminister für Gesundheit, unser Kollege Horst Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt heute nur freudige Ereignisse. Ich freue mich nämlich mit Ihnen allen, daß nach längerer und nicht ganz einfacher Krankheit heute zum erstenmal wieder unser Kollege Dr. Menzel unter uns ist
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19794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Bundesminister Horst Seehoferund, wie man bei seiner Rede vernehmen konnte, offensichtlich wieder bei bester Gesundheit.Meine Damen und Herren, ich möchte drei Stichworte zum Thema Ausgabenentwicklung im ersten Quartal 1994 und Beitragssatzentwicklung in der GKV geben.Erstens. Es gibt sehr voreilige Hochrechnungen und fahrlässige Bewertungen einzelner Kassenarten zur Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben in den Monaten Januar bis März 1994. Diese Voreiligkeit und Fahrlässigkeit lassen keine zuverlässige und repräsentative Schlußfolgerung zur Finanzentwicklung des gesamten Jahres 1994 in der gesetzlichen Krankenversicherung zu. Wir haben die Erfahrung aus all den letzten Quartalen, daß entsprechende Vorabschätzungen zu vorschnellen Fehlinterpretationen über die tatsächliche Finanzentwicklung geführt haben. Noch keine dieser Hochrechnungen der genannten Kassen in den letzten Quartalen war zutreffend.Zweitens. Das Gesundheitsstrukturgesetz — das kann man nicht oft genug in Erinnerung rufen — ermöglicht in den Jahren 1993 bis 1995 in allen zentralen Leistungsbereichen Zuwächse. Deshalb bin ich über manche Kommentierung des heutigen Tages, daß es ein Plus in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt, geradezu verwundert. Wir wollen ja eine Fortentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir wollen eine optimale soziale Absicherung, und wir wollen ein Plus. Nur, wir wollen, daß sich dieses Plus innerhalb der Grundlohnsummenentwicklung bewegt.
Deshalb ist es überhaupt nicht verständlich, daß man jetzt einen Zuwachs in der gesetzlichen Krankenversicherung kritisiert. Das war von diesem Deutschen Bundestag und vom Bundesrat, von allen 16 Bundesländern, gewollt. Wir werden nicht zulassen, daß diejenigen, die im letzten Jahr als Leitartikler wegen des scharfen Sparkurses die Versorgung der Bevölkerung als gefährdet angesehen haben, jetzt die finanziellen Zuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung kritisieren. Entweder kritisiert man die finanziellen Zuwächse, oder man kritisiert die gefährdete Versorgung der Bevölkerung. Aber in einem Jahr hüh zu sagen und im anderen hott, das ist nicht gerade sehr glaubwürdig.
Drittens. Sollte es im ersten Quartal überproportionale Steigerungsraten bei Zahnersatz und Arzneimitteln geben, dann gibt es dafür eine ganz einfache statistische Erklärung. Lieber Kollege Professor Pfaff, Sie sollten nicht im Märchenbuch „Max und Moritz" lesen, sondern Ihren Kollegen Rudolf Dreßler und Klaus Kirschner „Adam Riese" zur Verfügung stellen.
Das ware viel mehr für die Bildung: Adam Riese. Daß ich schon erstaunt bin über dieses Gegackere, das da manche von sich gegeben haben, gestern und zum Teil auch heute, das könnte man als Politiker noch verkraften. Denn wir erleben jetzt gerade bei der Auswertung des Drogen-Urteils des Bundesverfassungsgerichts bald täglich, was da für Unsinn von sich gegeben wird. Nur, daß ausgerechnet all die Profis und Fuhrleute wie der Rudolf Dreßler und der Klaus Kirschner darauf hereinfallen, das hat mich jetzt doch erschrocken gemacht.Meine Damen und Herren, ich mache es an einem Beispiel deutlich: Im Arzneimittelbereich sind 1992 in der GKV West 27 Milliarden DM ausgegeben worden; es sind 5 Milliarden DM 1993 gespart worden. Das macht 22 Milliarden DM. Das war 1993 ein Einsparvolumen in Höhe von etwa 20 %. 1993 ist jetzt das Vergleichsdatum für 1994. Wenn jetzt 1994 die Ärzte um 2 Milliarden DM mehr Arzneimittel verschreiben sollten, dann ist das eine Steigerung um 10 %. Nur, meine Damen und Herren, dann liegen sie noch immer unter dem gesetzlichen Arzneimittelbudget und noch immer um 3 Milliarden DM unter dem Spitzenverbrauch von 1992.
Was soll denn dieser Unsinn, den da manche von sich geben? Wir liegen 1994 mit Sicherheit noch Milliarden DM unter den Ausgaben von 1992. Das war das Auslösungsmoment für die Gesundheitsreform. Nur hat das dann, gemessen an dem, was im letzten Jahr stattgefunden hat, Steigerungsraten in Höhe von vielleicht 5 %, von 10 %, von 15 % zur Folge.Meine Damen und Herren, auf diese schiefe Bahn dürfen wir uns nicht begeben. Wir sollten den Stolz des Deutschen Bundestages, die Intelligenz, einbringen und auf solche unintelligenten Äußerungen nicht hereinfallen.
Spekulationen über notwendige Beitragssatzerhöhungen als Folge einer möglichen überproportionalen Ausgabenentwicklung: Meine Damen und Herren, das ist geradezu abwegig. Die Krankenkassen haben bereits im vergangenen Jahr die abgeschmolzenen Rücklagen aufgefüllt. In vielen Fällen waren schon Ende 1993 die zulässigen Höchstgrenzen bei Rücklagen und Betriebsmitteln
— das sind maximal 1,5 Monatsausgaben — deutlich überschritten.Ein Teil der Krankenkassen haben Beitragssatzsenkungen vorgenommen. Wir haben jetzt einen durchschnittlichen Beitragssatz, der nicht mehr bei 13,4 % liegt, sondern bei 13,2 %. Weitere Krankenkassen können Beitragssatzsenkungen vornehmen.Die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung — das sage ich sehr bewußt und nach sorgfältiger Prüfung — wird sich 1994, auch in Kenntnis dieser ersten Zahlen, weiter verbessern, weil auch in diesem Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung zwangsläufig Überschüsse entstehen werden. Jetzt hören Sie genau zu: Diese Überschüsse würden
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19795
Bundesminister Horst Seehofersich selbst dann noch ergeben, wenn die Steigerung bei den Ausgaben 1994 um 5 % höher läge als die Steigerung bei den beitragspflichtigen Einnahmen. Selbst dann hätten wir 1994 noch Überschüsse. Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir uns an der Wahrheit orientieren und nicht an den Nebelwerfern, die in den letzten 24 Stunden aufgetreten sind.
Herr Kollege Dreßler, in zwei Punkten stimme ich Ihnen zu.
— Das Problem ist, daß wir auch weiterhin auf der Aufgabenseite höchste Disziplin üben müssen; das sage ich immer dazu.Herr Kollege Dreßler, auf das, was Sie mich gefragt haben, sage ich eindeutig: Es kann bei 80 % der Leistungsausgaben gar nicht zu einer stärkeren Entwicklung als bei den Einnahmen kommen, weil sie budgetiert sind. Sie können nicht stärker steigen als die Grundlöhne. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir als Bundesgesundheitsministerium — und auch die Aufsicht — dafür sorgen werden, daß auch 1994 diese gesetzliche Bestimmung auf Punkt und Komma eingehalten wird. Wir wollen Seriösität in der Politik und nicht Wahlgeschenke verteilen. Darauf können Sie sich verlassen.Das zur aktuellen Ausgabenentwicklung in der GKV. Meine Damen und Herren, Sie werden, obwohl es ziemlich glasklar ist, in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder die gleichen Kommentare und Bewertungen erleben. Das gehört zu einer Stimmungsdemokratie Bundesrepublik Deutschland. Nur, wir sollten nicht darauf hereinfallen.Nun zu dem Geist von Lahnstein.
Das Krankenversicherungs-Anpassungsgesetz, das wir als Koalition eingebracht haben, hat zunächst nichts anderes vorgesehen als die dienstordnungsrechtlichen Vorschriften für Bedienstete in der gesetzlichen Krankenversicherung, eine klare Regelung, wer künftig für Krankenhausinvestitionen zuständig ist, und einige technische Änderungen. Sonst nichts! Das war der Geist von Lahnstein.Dann betrat der Bundesrat die Bühne. Die Mehrheit im Bundesrat haben die SPD-geführten Länder.
Und siehe da: Die SPD-geführten Länder, die auch in Lahnstein anwesend waren, haben in 28 Änderungsanträgen, die 40 Positionen betreffen, den Geist von Lahnstein verändert.Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren: Da geht es nicht um den Geist von Lahnstein, sondern diejenigen, die die Änderungsanträge eingebracht haben, sind von allen guten Geistern verlassen gewesen.
Von allen guten Geistern! In 40 Positionen beantragt die SPD im Bundesrat über ihre Länder Änderungen im gemeinsam geschaffenen Gesundheitsstrukturgesetz, und anschließend wirft sie der Koalition vor, daß sie den Geist von Lahnstein gebrochen hat. Wer so etwas vorwirft, der ist von allen guten Geistern verlassen.Lieber Herr Dreßler, nach diesem Stilbruch haben wir gesagt: Jetzt bringen wir auch einige Änderungsanträge ein. Nach diesem Stilbruch von Ihnen haben wir zwei uns hier im Plenarsaal in der letzten Sitzungswoche auf neutralem Boden, nämlich in der dritten Reihe der F.D.P.-Bundestagsfraktion, getroffen, auf Ihren Wunsch hin.
Dann haben Sie mir gesagt: Lieber Herr Minister— „lieber" hat er weggelassen —,
wir haben Anträge, ihr habt Anträge. So Dreßler auf den Bänken der F.D.P.: Wir haben Anträge, ihr habt Anträge. Ich schlage dir vor, wir treffen uns in der nächsten Woche mit einer Verhandlungsdelegation. Wir haben fünf Leute, ihr habt fünf Leute, du bereitest ein schönes Frühstück vor, und dann sondieren wir, wo wir uns treffen können.Am Tag nach diesem Gespräch, meine Damen und Herren, lese ich in einer Agenturmeldung, daß der Herr Dreßler, der mir 24 Stunden vorher von sich aus ein Gespräch zur Sondierung angedreht —
— angetragen hatte, sagt: Was die Koalition will, kommt nicht in Frage.Ja, meine Damen und Herren, wenn man uns schon vor einem Gespräch mitteilt, wie das Gespräch ausgeht, dann muß ich als verantwortungsvoller Gesundheitsminister meinem Büro sagen: Das Frühstück müssen wir absagen, aus finanziellen Gründen; denn sonst hätten wir der SPD ein Frühstück umsonst verabreicht.
Das zu dem Geist von Lahnstein, lieber Kollege Dreßler. Ich halte hier ausdrücklich fest: Sie haben diesen Geist verlassen.Und jetzt hat er gesagt, ich sei nicht der Drachentöter, als der ich mich feiern ließe, sondern ich sei der Bürgermeister von Schilda. Ja, lieber Herr Dreßler— das meine ich ernst: lieber Herr Dreßler, lieber Rudolf —, der Lafontaine, der Wundermann für Wirtschaft, Finanzen, Soziales, für die ganze Weltpolitik, erklärt, die Zukunft können wir nur gestalten, wenn wir soziale Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland kürzen.
Der Kollege Dreßler sagt, das kommt nicht in Frage. —Was nun? frage ich. Jetzt hat er gesagt, ich sei derBürgermeister von Schilda. Dann sage ich: Lieber
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19796 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Bundesminister Horst Seehofererster Bürgermeister von Schilda als Sprecher von Radio Eriwan.
Ja, so ist es, lieber Kollege Dreßler.Jetzt zu den Inhalten, zur angeblichen Zweiklassenmedizin. Meine Damen und Herren, wir wollen eine moderne gesetzliche Krankenversicherung, und es ist vielleicht Ihr Problem, daß Sie mit dem Tempo unseres Reformwillens nicht Schritt halten. Das ist Ihr Problem. Sie legen eher das Tempo einer Schildkröte an den Tag.
Daß der Kollege Pfaff, den ich fachlich sehr schätze, im Jahre 1994 aus gesundheitspolitischen Erwägungen des Jahres 1986 zitiert, zeigt mir, daß wir es hier eher mit sozialpolitischen Neandertalern zu tun haben. Wir können doch die Zukunft nicht mit der Vergangenheit gestalten. Sie bewegen sich im Reformtempo, Kollege Pfaff, wie eine Schildkröte. Die ganze Sozialdemokratie tut das.
Deshalb würde ich sagen, SPD heißt eigentlich „Schildkrötenpartei Deutschlands".
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pfaff?
Ja.
Herr Minister, gestehen Sie mir zu, daß das ganze Bündel Kostenerstattung, Beitragsrückzahlung, Regel- und Wahlleistungen zu den Ladenhütern der gesundheitspolitischen Konzeption zählt, und ist es richtig, daß Sie in Ihrer Frage an die Sachverständigen nur nach diesen Ladenhütern gefragt haben und nicht nach zukunftsweisenden Konzepten?
Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit, Kostenerstattung: Jetzt kommen wir zum Inhalt. Bisher waren das ja alles nur Stilfragen.
Zum Inhalt: Gemeinsam mit den Sozialdemokraten haben wir die Kostenerstattung für freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung einstimmig beschlossen. Wenn man so etwas gemeinsam mit den Sozialdemokraten macht, ist es sozialpolitischer Fortschritt. Wenn man es als Koalition allein macht, sind es sozialpolitische Ladenhüter.
Ja, meine Damen und Herren, das, was Sie mitgemacht haben, nämlich die Kostenerstattung für 6 Millionen freiwillig Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland, machen wir jetzt für Pflichtversicherte, und zwar nicht in der Weise, daß ein Pflichtversicherter zwangsläufig die Kostenerstattung zu übernehmen hat, sondern er kann zwischen Sachleistung und Kostenerstattung wählen. Es liegt also in der Hand des Versicherten, des Patienten. Sie reden doch ständig vom mündigen Patienten und mündigen Versicherten. Was spricht — außer der ideologischen Befrachtung von Kostenerstattung und Sachleistung — eigentlich dagegen, dem Bürger zu sagen: Du kannst zwischen Sachleistung und Kostenerstattung wählen, und es hat für dich keinen Nachteil, wenn du dich für Sachleistung entscheidest?
Die Sozialdemokraten haben das noch vor eineinhalb Jahren mitgetragen. Deshalb ist es schon erstaunlich, daß sie sich jetzt nicht mehr an das erinnern wollen, was sie vor eineinhalb Jahren noch mit beschlossen haben.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Kirschner?
Ja.
Bitte, Kollege Kirschner.
Herr Kollege Seehofer, Sie wissen doch ganz genau, wie die Praxis dann aussieht, wenn ein Patient mit seinem Arzt oder Zahnarzt im Gespräch steht. Das ist doch alles nicht so wertfrei. Das spielt sich doch alles gar nicht so ab, wie Sie das hier darstellen. Wenn dies alles so gut ist, dann erklären Sie doch einmal, warum wir in all den zurückliegenden Jahren wesentlich höhere Ausgabensteigerungsraten der privaten Krankenversicherung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung zu verzeichnen haben. Die Statistiken kennen Sie genausogut wie ich. Wo ist denn eigentlich der Vorteil in Richtung Stabilität, Ausgabendisziplin, Steuerungswirkung?
Hat hier heute jemand von Steuerungswirkung, Ausgabenreduzierung oder Ausgabendisziplin gesprochen? Die einzige Überlegung ist doch, die Dinge, die wir gemeinsam mit Ihnen für 6 Millionen Bundesbürger eingeführt haben, jetzt auch für die anderen 60 Millionen einzuführen. Ja, meine Damen und Herren, ist das nicht logisch? Jeder Mensch soll sich entscheiden können.
— Herr Dr. Schuster, es wäre gut — darauf komme ich noch —, wenn Sie als Arzt endlich ein bißchen ärztliches Ethos in die Überlegungen Ihrer Bundestagsfraktion einbringen würden. Es ist ja schrecklich, was wir heute gehört haben. Der Patient, der Versicherte, entscheidet über Kostenerstattung oder Sachleistung. Ich halte noch einmal fest: Das Wahlrecht für freiwillig Versicherte ist mit Zustimmung der Sozial-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19797
Bundesminister Horst Seehoferdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden.
Zweitens, die Geschichte mit dem Patentschutz: Das wird im Bundesrat noch sehr spannend. Das sage ich Ihnen im voraus. Da gibt es einen Kanzlerkandidaten, der vom Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland und von der politischen Mitte spricht. Da gibt es einen Ministerpräsidenten in Hessen, der seine Pharma- und Chemieindustrie feiert, und in Nordrhein-Westfalen einen Präsidentschaftskandidaten, der die Industrie seines Landes nicht hoch genug loben kann.
Wir, meine Damen und Herren, machen jetzt nichts anderes als eine gesetzliche Festlegung, daß in der Zukunft während der Patentlaufzeit eines Arzneimittels, das innovativ und kreativ ist, das eine echte Verbesserung für die Menschen bringt und eine Chance beinhaltet, eine Krankheit zu lindern oder gar zu heilen, ein Festbetrag nicht möglich ist, damit sich die in Deutschland ausgegebenen Forschungskosten über das Arzneimittel refinanzieren lassen. Das ist kein Wahlgeschenk, das ist kein Kniefall gegenüber der Pharmaindustrie, sondern ein bedeutsamer Beitrag zur Sicherung des Forschungsstandorts Deutschland.
Wir deutschen Abgeordneten sind nicht für Arbeitsplätze in Asien verantwortlich, sondern dafür, daß in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen werden, Herr Professor Pfaff.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pfaff, Herr Minister? — Bitte, Kollege Pfaff.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß nur ein ganz kleiner Prozentsatz der patentgeschützten Arzneimittel wirklich der Kategorie entspricht, die Sie hier bemüht haben, nämlich innovative Arzneimittel? Ist Ihnen nicht bekannt, daß uns Pharmakologen und Pharmakotherapeuten sagen, daß durch kleine molekulare Veränderungen der Zusammensetzung eine Patentanmeldung erfolgen kann, so daß in wenigen Jahren — ich zitiere wörtlich — ein Großteil des Arzneimittelschrotts ebenfalls patentgeschützt sein wird, und daß es sich hier um Milliardenbeträge zusätzlicher Kosten für die Versicherten handelt?
Herr Professor Pfaff, wenn es eine echte Innovation ist, die meinetwegen 200 DM oder 300 DM teurer ist als ein vorheriges Produkt, aber eine Innovation, die für den Menschen einen Fortschritt bringt, dann, so sage ich, müssen wir über die gesetzliche Krankenversicherung diese Forschungskosten und den Fortschritt bezahlen.Wenn es sich um eine Variation handelt, dann, so prophezeie ich Ihnen, läßt sich ein Kostensprung auf dem Markt nicht durchsetzen, weil die Arzneimittelbudgets und die Richtgrößen die Ärzte dazu anhalten, daß sie den Patienten keinen Unsinn verordnen. Das wird stattfinden.
Jetzt zum Hausarzt: Wir haben die Stärkung des Hausarztprinzips in Lahnstein gemeinsam vereinbart. Ich habe hohen Respekt davor — ich möchte das heute einmal dankbar erwähnen; Herr Schuster, es würde Ihrer Fraktion gut anstehen, wenn auch Sie das einmal tun würden —, daß die Ärzte mit größter Kraftanstrengung nicht aus der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern aus ihren eigenen Honoraren 600 Millionen DM zugunsten der Hausärzte umgeschichtet haben.
Herr Schuster, hören Sie endlich auf, ständig auf den Ärzten herumzutrampeln. Sie haben nicht mehr die Kraft, eine gute Fortentwicklung, die die Ärzte zu ihren eigenen Lasten bewirkt haben, hier vor der deutschen Öffentlichkeit zu würdigen.
Jetzt heißt es: Plünderung, Zückerchen werden verteilt, Wahlgeschenke. Das sagt ein sozialpolitischer Sprecher der SPD — der gerade amtierende; ansonsten ist es ja Lafontaine. Das sagt ein Rudolf Dreßler, der mit den SPD-regierten Bundesländern im Moment eine Plünderung der gesetzlichen Krankenversicherung anstrebt, die doppelt so hoch ist wie die Stärkung des Hausarztes, die wir vorsehen.Meine Damen und Herren, wissen Sie, was stattfindet? Die SPD-geführten Bundesländer wollen, daß die Mittel für die Krankenhausinstandhaltung, die in der Vergangenheit über lange, lange Zeit, über Jahrzehnte, aus den Haushalten der Bundesländer finanziert wurde, künftig von der Krankenversicherung aufgebracht werden.Das Ganze hat nur die Absicht, daß die Lander, die sich in ihren Länderhaushalten übernommen haben, in einer Größenordnung von über 1 Milliarde DM entlastet werden und daß die Krankenversicherung belastet wird. Sie nehmen doppelzüngig hier in den Mund: Schutz vor Lohnnebenkosten und Schutz der Arbeitgeber. So etwas habe ich noch nicht gehört.
Die Bundesländer wollen sich bei den Krankenhausinvestitionen in Höhe von über 1 Milliarde DM entlasten und werfen uns vor, daß wir die Hälfte des Beitrages für eine sinnvolle medizinische Fortentwicklung zur Verfügung stellen wollen. Die Bundesländer sollen ihrer Aufgabe nachkommen und endlich im Bundeshaushalt die Mittel für Krankenhausinvestitionen, die sie 1982 durch eine Verfassungsänderung zugesprochen bekommen haben, angemessen einsetzen und nicht ständig einen Schönwetterföderalismus betreiben. Solange es in den Ländern funktionierte, waren dafür natürlich nur die Bundesländer verantwortlich, und in dem Moment, wo ein Problem auftritt, ist Bonn verantwortlich. So ist das nämlich bei uns.
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19798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Bundesminister Horst SeehoferHerr Dreßler, daß kein Mißverständnis aufkommt: Wir geben heute für die Krankenhausinstandhaltung noch etwa 500 Millionen DM aus. Nur: Wenn die Bundesländer diese in die Krankenversicherung verschieben könnten — was wir nicht mitmachen —, dann würde sich diese Summe mindestens verdoppeln oder verdreifachen. Denn wenn die Entscheidungskompetenz und die Finanzierungskompetenz auseinanderfallen, wenn die Herren Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder Bremen entscheiden können, was zu Lasten der Krankenversicherung für die Krankenhäuser finanziert wird, dann werden die Spendierhosen angezogen. Dann wird sich dieser Betrag verdoppeln und verdreifachen.
— Es lebe der Freistaat Bayern, weil der Freistaat Bayern diesen Unsinn im Bundesrat nicht mitmacht.
Herr Dreßler, seien Sie glaubwürdig. Sie verteilen Wahlgeschenke und Zückerchen an Ihre eigenen Ministerpräsidenten, damit Sie für Ihre eigene Wiederwahl besser dastehen, und uns werfen Sie vor, daß wir eine gesunde medizinische Fortentwicklung als Plünderung der Krankenkassen betrachten.
Jetzt zu diesem Unsinn mit Amalgam: Dieses Problem müssen wir grundsätzlich lösen, auch unter medizinischen Aspekten; das ist keine Frage. Nur, im Moment müssen wir folgendes angehen: Es ist doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß jemand, wenn er sich aus freien Stücken heraus gegen eine Zahnfüllung aus Amalgam entscheidet — aus freien Stücken heraus, ihn zwingt niemand dazu; wenn er sich aus medizinischer Indikation dafür entscheiden muß, bekommt er das sowieso voll bezahlt —, ohne daß eine medizinische Indikation vorliegt, null Komma null D-Mark Zuschuß der Krankenversicherung bekommt, wie es heute Gesetzeslage ist.Jetzt sagen wir: Er bekommt, wenn er sich für etwas anderes entscheidet, mindestens den Zuschuß, den er im Falle einer Amalgam-Füllung erhalten hätte. Das ist doch ein Stück mehr sozialer Gerechtigkeit und nicht sozialer Kahlschlag.
Vizepräsident Helmuth Becker Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pfaff?
Ja, natürlich.
Bitte, Herr Pfaff.
Herr Bundesminister, haben wir uns nicht in Lahnstein darauf verständigt, daß z. B. beim Zahnersatz das, was notwendig, nach den Regeln der ärztlichen oder zahnärztlichen Versorgung angemessen und wirtschaftlich ist, in den Regelkatalog gehört und daß das, was nicht in diesen Regelkatalog gehört, dann auch nicht über die Zwangsbeiträge der Solidargemeinschaft finanziert werden kann? Denn nach der Regel, die Sie jetzt aufstellen, auf Grund deren praktisch das Äquivalent oder der Gegenwert der Regelleistung als Zuschuß gilt, können sich doch nur diejenigen, die mittlere und höhere Einkommen haben, diese Alternative leisten. Ich sage: Entweder ist es notwendig und angemessen, dann sollen es, bitte, alle haben; oder es ist dies nicht, dann müssen wir nach einer anderen Lösung suchen. Wie stehen Sie dazu?
Herr Professor Pfaff, jetzt noch einmal ganz ruhig und nacheinander, weil ich genau das gerade ausgeführt habe. Ich habe folgendes gesagt: Wenn jemand eine andere Füllung braucht als Amalgam, weil er z. B. allergisch ist, dann ist dies medizinisch indiziert und wird bezahlt. Das entspricht Ihrem Begriff, daß es dann bezahlt werden muß, wenn es notwendig ist. Wenn sich aus Gründen, die nicht medizinisch indiziert sind, jemand gegen Amalgam entscheidet, dann bekommt er jetzt null Komma null Zuschuß. Ihm geben wir zukünftig einen Zuschuß in der Höhe, als wenn er sich für Amalgam entschieden hätte.Den dritten Punkt habe ich auch angetippt, nämlich daß wir die Grundsatzfrage „Amalgam: Gesundheitsschädigung — ja oder nein" seriös mit Wissenschaftlern und nicht in einer hysterischen Stimmung entscheiden müssen.
Was ist jetzt an dieser Lösung parteipolitisch, meine Damen und Herren? Was ist an dieser Lösung ein Wahlgeschenk? Ist es denn in Deutschland mittlerweile so weit gekommen, daß in dem Moment, in dem man eine logische Entscheidung trifft, eine rational nachvollziehbare Entscheidung, diese sofort parteipolitisch zertrampelt und einem Wahlkampf zugeordnet werden muß? Dann können wir uns in einem Wahljahr gleich nach Hause begeben und können aufhören zu arbeiten. Das sind doch alles logische Ansatzpunkte.
Oder ist es nicht sinnvoll, wenn sich das ambulante Operieren in der Praxis zu einer guten Maßnahme entwickelt hat, zum Schutze des Patienten, weil der körperliche Eingriff schonender ist, und zum Schutze der finanziellen Ressourcen, weil es nicht so viel kostet, zu sagen: Das wollen wir weiter fördern, und wir ziehen die Förderung in Höhe von 10 %, die wir im Gesetz für 1995 ohnehin vorgesehen haben, auf 1994 vor? Ja, sind wir denn so unbeweglich und verstaubt geworden, daß der Bundestag zu solchen schnellen Reaktionen nicht mehr in der Lage ist? „Schildkröte" sage ich nur; ein Schildkrötentempo haben Sie.Ich verstehe das überhaupt nicht. Das sind ganz logische, sinnvolle Fortentwicklungen; das hat nichts mit Wahlgeschenken zu tun. Wir haben gemeinsam immer davon gesprochen, daß das Hausarztprinzip gewahrt werden muß, daß die Maßnahmen sozial ausgewogen sein müssen und daß der Forschungsstandort Deutschland gesichert werden muß. Alle diese drei Grundprinzipien werden durch dieses Gesetz verwirklicht.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19799
Bundesminister Horst SeehoferLiebe Frau Kollegin Fischer, weil wir jetzt entscheiden, haben Sie gesagt: Das ist ein Mißbrauch kurz vor der Wahl. Wenn wir nicht entscheiden, treten Sie an dieses Pult und sagen: Diese Regierung ist unfähig, weil sie nicht entscheiden kann. Sie müssen sich allmählich einmal darüber klar werden, was Sie wollen. Wir sind doch verpflichtet, auch mitten in Wahlkämpfen politisch zu entscheiden, wo es notwendig ist. Das kann man doch nicht als Mißbrauch bezeichnen.
Ich möchte jetzt auch noch einige klare Worte zu der nächsten Stufe der Gesundheitsreform sagen, weil Sie immer etwas anderes hineininterpretieren. Sie ist notwendig, weil wir uns ständig bemühen müssen, besser zu werden. Wer nämlich aufhört, besser werden zu wollen, hört bald auf, gut zu sein. Darum sind Sie nicht mehr gut, weil Sie sich nicht mehr bemühen, besser zu werden.Für diese dritte Stufe der Gesundheitsreform gelten ganz klar die folgenden Orientierungspunkte: Das deutsche Gesundheitswesen wird qualitätsorientiert bleiben, es wird sozialorientiert bleiben, und es wird freiheitlich bleiben. Die riesigen Herausforderungen der Zukunft, nämlich die Kosten auf Grund des medizinischen und des medizinisch-technischen Fortschrittes, der Multimorbidität, der demographischen Entwicklung, der steigenden Lebenserwartung und der ständig steigenden Erwartungshaltung der Menschen insgesamt an die Medizin, werden weiterhin finanziell auf die gesetzliche Krankenversicherung drücken.Wenn wir diese gewaltige Aufgabe nicht lösen, und zwar rechtzeitig, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, meine Damen und Herren, dann brauchen wir nicht über Zweiklassenmedizin zu reden, Herr Professor Pfaff, dann wird das ganze System zweitklassig.
Und ich will, daß dieses System erstklassig bleibt.
— Nein, jetzt nicht mehr.Ich will, daß dieses System erstklassig bleibt und daß wir auch künftig solidarisch für die Menschen das absichern, was sie selbst und ihre Familien im Falle der Krankheit nicht tragen können. Umgekehrt müssen wir auch an die Menschen appellieren, Solidarität und Eigenverantwortung als Geschwisterpaar zu sehen und die Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen, die ihnen ökonomisch, medizinisch und sozial zumutbar ist.
Mit dieser Koalition, Herr Professor Pfaff, wird die gesetzliche Krankenversicherung das leistungsfähigste System auf dieser Welt bleiben, in der medizinischen Qualität und auch im Ausmaß des sozialen Schutzes im Falle der Krankheit. Interpretieren Sie nicht immer etwas anderes hinein, als wir wollen.Wir sagen ja zur Reform, weil wir in der Gegenwart die Zukunft sichern müssen. Und weil Sie diese Kraft nicht haben, meine Damen und Herren, werden Sie mir nach dem 16. Oktober genau an diesen Plätzen gegenübersitzen in der gleichen Funktion wie heute.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Rudolf Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß eine Bemerkung zum Frühstücken machen. Lieber Horst Seehofer, ich bin immer dafür, wenn wir schon aus solchen Gesprächen, die übrigens nicht in der dritten, sondern in der vierten F.D.P.-Reihe stattfanden, zitieren,
daß wir die Dinge beim Namen nennen. Beim Namen zu nennen ist, daß wir eine Verabredung getroffen haben, die auf Ihren Wunsch hin — ich zitiere — ein inoffizielles Gespräch sein sollte, in dem geklärt werden soll, ob Verhandlungen möglich sind. Diese waren für Freitag vorgesehen.Sie und Ihre Fraktionen haben aber vorher für den nächsten Montag, für drei Tage später also — dazwischen liegen bekanntlich ein Samstag und ein Sonntag, an denen dieses Parlament und die Ausschüsse nicht tagen —, die dritte Lesung im Ausschuß terminiert, und vorher für weitere drei Tage später, für Donnerstag, die dritte Lesung im Plenum.Wie also ein redlich organisiertes Vorgespräch, ob Verhandlungen stattfinden sollen, innerhalb eines Freitags, Samstags und Sonntags bis zur dritten Lesung am Montag geführt werden soll, bleibt Ihr Geheimnis.Ich wollte das nur klarstellen. Es war nämlich gar nicht redlich gemeint, sonst hätten Sie die Termine nicht vorgesetzt, denen wir uns auszuliefern hatten.Zweite Bemerkung, was das Frühstücken betrifft. Wir können die Frühstücke in Zukunft wieder bei mir machen, wir können die immer noch bezahlen. Ich weiß, daß der Regierung die Luft ausgeht, augenscheinlich auch schon das Kleingeld.Die dritte Bemerkung geht allerdings in Richtung dessen, was wir Innovationen nennen. Wir haben in Lahnstein die Innovationsfähigkeit für Patente ausdrücklich festgeschrieben. Es war Ihre Koalition, es waren die Sie tragenden Fraktionen, die das Kriterium Preisverhandlungen beim Arzneimittelmarkt ausdrücklich nicht wollten und sich für die dirigistischere Form der Festbeträge entschieden haben. Dann haben wir uns auf 80 % festgelegt.Es beißt keine Maus den Faden ab, daß wir in den letzten 15 Monaten nicht klüger geworden sind und daß die Reduktion der Festbetragsprozente genau zu dem führt, was Martin Pfaff hier gesagt hat. Denn das Budget des Arzneimittelmarktes, Horst Seehofer, löst sich auf. Dann geht das Theater wieder genauso los wie vorher. Das habt ihr alle gewußt, und jetzt eröffnet ihr erneut genau diese Milliardenquelle zu Lasten der Beitragszahler und der Unternehmen, die die Lohnne-
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Rudolf Dreßlerbenkosten zu tragen haben. Das ist der eigentliche zentrale Vorwurf. Das hat mit Innovation überhaupt nichts zu tun. Es ist und bleibt ein Wahlgeschenk.
Zu einer Erwiderung auf diese Kurzintervention hat Herr Minister Seehofer das Wort.
Hochverehrter Herr Kollege Rudolf Dreßler, zum ersten: Patentschutz. Er gilt für Patente, die seit 1. Januar 1993 neu angemeldet wurden. Nach dieser Neuanmeldung erfolgt zunächst einmal die klinische Erprobung des Medikaments. Nach der klinischen Erprobung erfolgt die Zulassung des Medikaments, und nach der Zulassung des Medikaments erfolgt die Markteinführung des Medikaments.
Das ist ein Prozeß, der Jahre dauert, im Durchschnitt mindestens fünf Jahre. Das ist eine sehr langfristig angelegte Forschungsperspektive für den Standort Deutschland. Wie Sie bei dieser langfristigen Wirkung zu dem Ergebnis kommen, daß jetzt aktuell finanzieller Druck auf die gesetzliche Krankenversicherung ausgeübt wird oder die Festbeträge zerschlagen werden oder gar ein Wahlgeschenk und Milliarden oder Millionen für die Pharmafirmen verteilt werden, das ist mir schleierhaft.
Es bleibt dabei: Die Pharmahersteller brauchen, wenn sie jetzt forschen, eine Perspektive, wie sie die Forschungskosten in der Zukunft amortisieren können. Wir bleiben bei dieser Alternative.
Das zweite: Wir haben viele Dinge gemeinsam gemacht: Rentenreform, Rentenüberleitung, Gesundheitsstrukturgesetz. Wir haben bei der Vereinbarung von solchen Gesprächen immer auch festgelegt: Es gibt einen terminlichen Fahrplan der Koalition, der Regierung für den Fall, daß die Gespräche platzen.
Diesen Fahrplan gab es auch in diesem Falle; den haben Sie gerade zitiert. Aber aus dem Fahrplan, den wir immer zur Grundlage unserer Gespräche gemacht und den Sie immer akzeptiert haben, können Sie jetzt nicht schließen: Weil wir einen Fahrplan hatten, waren wir an Gesprächen gar nicht ernstlich interessiert.
Und das letzte und dritte: Ich bestätige Ihnen ausdrücklich, daß das Gespräch nicht in der dritten, sondern in der vierten Reihe der F.D.P.-Bundestagsfraktion stattgefunden hat.
Weitere Wortmeldungen zu irgendwelchen Reihen in der F.D.P.-Fraktion liegen mir nicht vor. Wir kommen daher zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksachen 12/6958 und 12/7558.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7576. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften
— Drucksache 12/6959 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/7595 —Berichterstattung:Abgeordnete Kurt Palis Hermann RindGunnar Uldallb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Hans Gottfried Bernrath, Lieselott Blunck (Uetersen), Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Lieselott Blunck (Uetersen), Arne Börnsen (Ritterhude), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVorsorgender Verbraucherschutz im europäischen Versicherungswesen— Drucksachen 12/5716, 12/7595 —Berichterstattung:Abgeordnete Kurt Palis Hermann RindGunnar UldallZum Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald das Wort.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19801
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten lieben Kollegen! Die abschließende parlamentarische Beratung möchte ich dazu nutzen, nochmals auf die weitreichende Bedeutung hinzuweisen, die dieses Gesetzeswerk für Deutschland und für Europa hat.
Für Deutschland bringt das Gesetz epochale Änderungen des seit 1901 bestehenden Versicherungsaufsichtssystems. Das bisherige Genehmigungsverfahren bei den allgemeinen Versicherungsbedingungen wird ab 1. Juli 1994 der Vergangenheit angehören.
Hier wird Verantwortung vom Staat auf die Wirtschaft verlagert. Ich bin zuversichtlich, daß sowohl die deutschen als auch die europäisch-ausländischen Unternehmen keine Mogelpackungen, sondern verbrauchergerechte Produkte anbieten werden. Hier wird dem Wettbewerb einerseits und einem kritischen Verhalten der Verbraucher andererseits eine verstärkte Bedeutung zukommen.
Sollte es dennoch zu Mißständen kommen, so stehen dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen auch in Zukunft die notwendigen Instrumente zur Verfügung, um „schwarzen Schafen" das Handwerk zu legen. Dies gilt gleichermaßen gegenüber deutschen wie gegenüber ausländischen Unternehmen. Der Finanzaufsicht des deutschen Aufsichtsamtes unterliegen allerdings nur die deutschen Versicherungsunternehmen. Dies bedeutet für den Versicherungskunden, der mit einem Versicherungsunternehmen aus einem anderen EU-Staat einen Vertrag schließt, daß er sich damit auch der entsprechenden ausländischen Aufsichtsbehörde anvertraut.
Sehr genau wird das Amt das Verhalten der Unternehmen bei der Behandlung von ausländischen Versicherungsnehmern in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung beobachten. Hier sind die Versicherungsunternehmen aufgerufen, von der neuen Freiheit verantwortungsvollen Gebrauch zu machen, wie es auch dem Wunsche des Petitionsausschusses entspricht.
Der Wegfall der letzten Tarifgenehmigungen und der europaweite Wettbewerb werden sicher dafür sorgen, daß sich auf der Preisseite für die Nachfrager positive Entwicklungen ergeben. Denn auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es starke und dynamische Versicherungsunternehmen, die nur darauf warten, ihr Betätigungsfeld in Europa weiter zu verstärken.
Was nun den sensiblen Bereich der privaten Krankenversicherung anlangt, so enthält das Gesetz eine Regelung, die die Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet, die Zinsüberschüsse vor allem den Versicherten gutzuschreiben, die das 65. Lebensjahr vollendet haben. Dies wird ganz sicher dazu beitragen, die teilweise überproportionalen Beitragssteigerungen gerade für ältere Menschen zu dämpfen.
Trotz dieses Schrittes erscheint es notwendig, die Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter noch intensiver zu untersuchen. Ich bin froh und dankbar, daß wir in den umfänglichen Ausschußberatungen hier einen Konsens erreichen konnten.
Zukunftsweisende Veränderungen gibt es aber auch für den europäischen Versicherungsmarkt; denn nunmehr wird es für alle Versicherungszweige einen einheitlichen Binnenmarkt geben. Dabei schließt der Binnenmarkt bereits die Beitrittsländer Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland ein. Binnenmarkt bedeutet ganz konkret, daß die Versicherungsunternehmen künftig mit der Geschäftsgenehmigung ihres Heimatstaates innerhalb des gesamten europäischen Wirtschaftsraumes Dienstleistungen erbringen können oder auch alternativ gleichzeitig Niederlassungen betreiben können.
Ein weiterer Aspekt sollte nicht unerwähnt bleiben. Auf Grund der Tatsache, daß die Versicherungsunternehmen als institutionelle Anleger allererster Provenienz künftig ihre Anlagen im gesamten Binnenmarkt tätigen dürfen, wird das Gesetz einen erheblichen Beitrag zu einer weiteren Verflechtung und Globalisierung der Kapitalmärkte leisten.
Für die Bundesrepublik als äußerst attraktiver Finanzplatz wird daraus sicherlich eine weitere Stärkung erwachsen. Dies ist dann ein weiterer Beitrag zur Stärkung des Standortes Deutschland.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum das nunmehr zu verabschiedende Gesetz in der Öffentlichkeit eine so große Resonanz und im Parlament, insbesondere in den Ausschüssen, eine so verdiente intensive Beratung gefunden hat, wofür ich mich bei den Kollegen aller hier im Hause vertretenen Parteien ganz herzlich bedanken darf.
Als nächster hat der Kollege Kurt Palis das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Europäisierung des deutschen Privatversicherungsmarktes zum 1. Juli dieses Jahres bringt auf beiden Seiten des Marktgeschehens gravierende Änderungen mit sich. Dies ist bei den Expertenanhörungen ebenso wie bei den Ausschußberatungen überdeutlich geworden. Wie werden sich deutsche Versicherungsunternehmen den EU-Wettbewerbern stellen, vor allem im heimischen Markt? Wie werden sich die Versicherungskunden auf dem zweifellos bunter und unübersichtlicher werdenden Markt zurechtfinden?Mehr Wettbewerb verspricht gemeinhin günstigere Preise, hier also günstigere Prämien. Andererseits gehen mit dem Wegfall der Vorabgenehmigung von Bedingungen und Tarifen durch die Berliner Aufsichtsbehörde Elemente von Überschaubarkeit, von Vergleichbarkeit und damit von Sicherheit verloren. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung in den nächsten Jahren.Am Anfang dieses neuen Weges mußte man vom Gesetzgeber eine deutliche Wegweisung erwarten. Dies ist mit dem Regierungsentwurf in einigen Teilen auch erfolgt. Insoweit haben wir bei gewichtigen Punkten Einvernehmen erzielen können. Der Herr Staatssekretär hat gerade darauf hingewiesen. Ich möchte hier vier Beispiele dafür nennen.
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Kurt PalisErstens. Es ist gut, daß wir bei der vorgeschriebenen Aushändigung der Verbraucherinformationen einen Weg gefunden haben, wie der Versicherungskunde sich rechtzeitig und umfassend kundig machen kann, wie aber andererseits auch die Unternehmen ihrer Aufklärungsverpflichtung ohne bürokratische Überforderung nachkommen können.Zweitens. Wir begrüßen ausdrücklich, daß künftig bei jeder Prämienanpassung ein Kündigungsrecht eingeräumt ist, nicht erst beim Übersteigen ganz bestimmter Margen.Drittens. Es ist gut, daß wir gemeinsam die Gleichstellung minderjähriger Adoptivkinder mit den neugeborenen leiblichen Kindern geschafft haben.
Der jetzt geltende Kontrahierungszwang beseitigt die Gefahr, daß adoptierte Kinder unter Umständen weder Kassenmitglieder noch Privatversicherte werden können.Es ist auch konsequent, daß Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, uns bei der Klarstellung gefolgt sind, daß ein pauschaler Risikozuschlag bis zur hundertprozentigen Prämienhöhe nicht in Frage kommen kann, sondern daß es sich nur darum handeln kann, daß nach erfolgter individueller Risikoprüfung bei Vorliegen eines erhöhten Gesundheitsrisikos ein Zuschlag erhoben werden darf, der aber auf 100 % des Beitrags zu begrenzen ist.Viertens. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß wir mit einem gemeinsamen Entschließungsantrag das Problem übermäßig steigender Krankenversicherungsbeiträge im Alter angegangen sind — angegangen sind, meine Damen und Herren, nicht mehr! Uns wäre es lieber gewesen, wir hätten hier bereits eine Lösung gefunden, mit der wir uns bei den älteren Privatversicherten hätten sehen lassen können.Dafür war die Vorlage der Bundesregierung leider nicht ausgereift genug, aber auch die viel zu knapp bemessene Beratungszeit ließ die Entwicklung eigener Lösungsansätze nicht zu.Die zu berufende Expertenkommission muß umgehend an die Arbeit gehen, so daß die Bundesregierung spätestens im ersten Halbjahr 1996 die gesetzgeberischen Konsequenzen ziehen kann. Eine SPD-geführte Regierung wird zu diesem Wort stehen. Für den weniger wahrscheinlichen Fall, daß sich am 16. Oktober nichts Entscheidendes ändert,
stehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, im Wort.
Neue Kalkulationsansätze müssen sicherstellen, daß Privatversicherte auch im Alter zu angemessenen Beiträgen ihren vollen Versicherungsschutz aufrechterhalten können, gerade im Alter, wenn er besonders benötigt wird. Dies ist auch im wohlverstandenen Interesse der Krankenversicherungsunternehmen; davon bin ich fest überzeugt.Meine Damen und Herren, diese vier Beispiele — und einige mehr — weisen in die richtige Richtung. Meine Fraktion wird das vorliegende Gesetz dennoch ablehnen.
Sie lassen uns keine andere Wahl, weil Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, an drei Stellen gepaßt haben, ohne daß das Blatt ausgereizt war. Mit anderen Worten: Sie hätten gekonnt, aber Sie haben es nicht gewollt.
— Das, Kollege Poß, ist erst der dritte Punkt. Ich beginne jetzt mit dem ersten.Erstens. Sie sind uns nicht gefolgt, als wir bei den Ausschußberatungen beantragten, eine Maßnahme gegen Ausländerdiskriminierung in der Kfz-Versicherung zu ergreifen. Wir haben in der Expertenanhörung gemeinsam lernen müssen, daß eine faktische Diskriminierung durch das Geschäftsgebaren einzelner Versicherer erfolgt, ohne daß ein grundgesetzlich garantiertes Diskriminierungsverbot einen wirksamen oder gar justitiablen Schutz bietet. Sie wollen eine solche Diskriminierung ebensowenig wie wir; das glauben wir Ihnen. Aber warum haben Sie nicht mitgeholfen, die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten des Aufsichtsamtes an dieser Stelle zu stärken, wenn solche Mißstände zu beklagen sind?
Unsere ausländischen Mitbürger erwarten deutliche Signale von uns, und wir hätten sie gemeinsam aussenden können. Ihre formalrechtlichen Einwendungen haben in keiner Weise überzeugt.
Zweitens. Warum sind Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, uns nicht gefolgt, als wir beantragten, einem durch Arbeitslosigkeit oder Invalidität in wirtschaftliche Not geratenen Versicherten die außerordentliche Kündigung oder Teilkündigung eines langfristig vereinbarten Unfall- und Sachversicherungsvertrages zu ermöglichen? Ihre Gegenargumente ziehen auch hier nicht. Weder brächen tradierte Kalkulationsgrundlagen der Versicherer zusammen, noch würden in Not geratene Menschen leichtfertig wichtigen Versicherungsschutz aufkündigen. Sie hätten ohne Not zustimmen können.Drittens. Meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, warum sind Sie nicht mutig geblieben, als wir beantragten, Abschied von den Zehnjahresverträgen bei Unfall- und Sachversicherungen zu nehmen?
Die Zeit dafür ist reif. Dies zeigt die negative Erfahrung mit der 1990 novellierten Bestimmung. Die seit damals geltende Rabattierung der Prämien hat die Zahl der Langzeitverträge ebenso erhöht wie die Anzahl der Beschwerden. Es ist wahr, bei längerer Bindung der Versicherten könnte das Unternehmen im Prinzip günstiger kalkulieren. Ob dies jedoch an wirklich niedrigeren Prämien ablesbar ist, muß bezweifelt werden. Dafür sind zu viele Einjahresverträge beitragsgünstiger als Zehnjahresverträge.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19803
Kurt PalisEs ist auch wahr, daß die Provisionsvereinbarungen der Unternehmen mit den Verkäufern zu einem Gutteil auf Langzeitabschlußmöglichkeiten basieren, Aber das darf den Gesetzgeber nicht daran hindern, das zu tun, was er für wichtig und richtig hält, Versicherungsunternehmen verändern ständig ihre Vertragsgrundlagen mit ihren Mitarbeitern. Was denken Sie, wie viele Änderungen ich als Mitarbeiter in ein und demselben Versicherungsunternehmen in 25 Jahren miterlebt habe und als Betriebsrat auch mitzuberaten hatte? Sie hätten uns und dem Verlangen der Verbrauchervereinigungen sowie dem vieles Langzeitversicherter folgen müssen.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben sich von Ihrem liberalen Partner in die Pflicht nehmen lassen.
Das war äußerst kurzsichtig. Die Zehnjahresverträge sind mit den Grundgedanken eines liberalisierten und wettbewerbsintensiveren europäischen Versicherungsmarktes nicht zu vereinbaren. Ich wage die Behauptung, daß die Tage der Langzeitverträge gezählt sind. Sie verteidigen hier starrsinnig und wider besseres Wissen ein versicherungsrechtliches Fossil.
Meine Damen und Herren, weil wir es mit dem Verbraucherschutz und dem Wettbewerb im Versicherungswesen ernst meinen, machen Sie uns die Zustimmung zu der Regierungsvorlage unmöglich. Meine Fraktion wird sie deshalb ablehnen. Wir geben Ihnen aber Gelegenheit, Ihre Position nochmals zu revidieren, indem Sie den von uns zur Abstimmung gestellten Änderungsanträgen zu diesen drei Bereichen zustimmen. Wir stellen außerdem unseren Entschließungsantrag „Vorsorgender Verbraucherschutz im europäischen Versicherungswesen" vom 22. September des vergangenen Jahres hier zur Abstimmung. Er weist in die richtige Richtung. Wir bitten Sie, ihm zuzustimmen.
Nun hat der Kollege Gerhard Schüßler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige abschließende Beratung dieses Gesetzes zur Umsetzung der Dritten Richtliniengeneration im Versicherungsbereich betrifft ein Vorhaben von besonderem Gewicht. Finanzpolitik, Europapolitik und Verbraucherpolitik kommen an dieser Schnittstelle zusammen. Auf den Verbraucherschutz, Herr Kollege Palis, möchte ich zuerst eingehen.Unser Verbraucherschutzniveau ist im Versicherungsbereich außerordentlich hoch. Es kann sich, wenn Sie dies einmal vergleichen, weltweit sehen lassen. Wir ergänzen es jetzt durch zwei wesentliche Maßnahmen:Die Chance des Kunden, sich vor endgültiger vertraglicher Bindung genau zu informieren, wird entschieden verbessert. Wenn der Kunde die kompletten Vertragsunterlagen hat — ich will es einmal ganz einfach ausdrücken —, kann er sie in Ruhe durchsehen. Hat er den Eindruck, sich verkauft zu haben, falsch beraten worden zu sein oder etwas falsch gemacht zu haben, hat er das Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein, dann kann er sich ohne Probleme aus der in Aussicht genommenen Bindung lösen.
Das ähnelt der Garantie „bei Nichtgefallen zurück", wie es das ja vielfach im Handel gibt.Mit der Abschaffung der vorsorglichen Konditionengenehmigung durch Behörden wird auch der Druck auf die Unternehmen verstärkt, von sich aus alle Anstrengungen zu unternehmen, damit ihre Dekkungspakete auch wirklich den Anforderungen der Rechtsprechung genügen. Das wird auch zu verständlicheren und einfacheren Produkten führen. Die unter dem Schirm einer fürsorglichen Aufsicht entwickelten komplizierten Systeme von bedingten Einschlüssen oder von Ausnahmen mit Gegenausnahmen werden sich, meine Damen und Herren, nicht lange auf dem Markt — auf dem deregulierten Markt, betone ich — halten.Einiges, was uns unter dem Stichwort Verbraucherschutz angedient wird, sollten wir nicht durchführen. Dazu gehören Änderungen bei den Kündigungsrechten, die ja durchaus wahlweise wahrgenommen werden können, meine Damen und Herren. Sie haben bei Versicherungsverträgen erhebliche Wahlmöglichkeiten, was die Vertragsdauer anbetrifft. Im übrigen haben wir sie gerade vor drei Jahren überarbeitet.Sie haben, meine Damen und Herren von der SPD, in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, ein Sonderkündigungsrecht bei sozialer Notlage einzuführen. Das klingt sehr edel, ist es aber in Wahrheit nicht. Ich sage nur ein Beispiel: Wer soll denn den abgebrannten Hausrat eines Arbeitslosen ersetzen, wenn er keine Hausratversicherung mehr hat? Sie stürzen diesen Betroffenen sicherlich in eine schwierigere Situation, als es die ist, in der er sich ohnehin schon befindet.
— Ja, was Graf Lambsdorff sagt, ist in der Regel auch gut.
Wenn man Argumente von Graf Lambsdorff übernimmt — Herr von Larcher, das würde ich Ihnen auch empfehlen —,
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Gerhard Schüßlerdann kommt man eigentlich gut an.
Die Europapolitik, meine Damen und Herren, kommt mit diesem Gesetzentwurf ebenfalls ein tüchtiges Stück voran. Wir sind dabei, den großen europäischen Markt für Finanzdienstleistungen zu vollenden, und zwar nicht nur für die Europäische Union, sondern wir schließen gleich den ganzen Europäischen Wirtschaftsraum mit ein. Unseren Bürgern steht damit eine erheblich weitere Produktpalette zur Verfügung. Auf einem riesigen Markt wird eine große Zahl von Anbietern um Kunden werben. Da wird der Kaufmann noch genauer hinhören müssen, was der Kunde wirklich wünscht. Da wird er noch genauer analysieren müssen, was der Kunde wirklich braucht. Nur die besten Anbieter mit den besten Produkten werden in diesem Wettbewerb bestehen — und das zugunsten der Bürger.
Dazu gehört, daß wir ständig daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für einen gesunden Finanzplatz Deutschland zu optimieren. Da darf man nicht jeder schillernden Seifenblase nachlaufen, Herr von Larcher.
Aber für solide Anbieter von Finanzdienstleistungen muß die Bundesrepublik Deutschland ein attraktiver Standort sein.Sie wissen, daß das Bundesbankgesetz, das Kreditwesengesetz und das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz ebenfalls auf unserer Agenda stehen. Hier muß das Versicherungsaufsichtsgesetz sauber und effizient eingefügt werden. Hierzu schaffen wir wichtige Elemente, z. B. mit der Abschaffung überholter Reglementierungen im Versicherungsbereich und mit der Überarbeitung der Regeln über die Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen. Europaweite Kapitalanlagefreiheit und Flexibilisierung bei Aufrechterhaltung eines hohen Sicherheitsstandards sind hier zu nennen.Namens der F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag empfehle ich Ihnen die Annahme des Gesetzentwurfes.Herr Grünewald hat schon darauf hingewiesen
— richtig, Herr Kollege Weng —, daß die Probleme bei der privaten Krankenversicherung, die sich in besonderer Weise durch dramatisch steigende Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter zeigen, in diesem Gesetz nicht gelöst werden konnten. Es ist aber erfreulich, daß sich diese gemeinsame Auffassung der Koalitionsfraktionen und der SPD ebenfalls in einem gemeinsamen Entschließungsantrag wiederfindet, dessen Annahme ich seitens meiner Fraktion empfehle.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Gunnar Uldall das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes machen wir einen großen Schritt zu einem geeinten Europa. Versicherungsgesellschaften aus Deutschland können ihre Leistungen im Ausland anbieten, und ausländische Versicherer können ihre Leistungen in Deutschland anbieten. Da es zu einer großen Verschiebung der Rahmenbedingungen kommt, ist es notwendig, vor allen Dingen darauf zu achten, daß der Versicherungsnehmer, der Versicherungskunde, auch den Schutz behält, den er bisher gehabt hat. Dies ergibt sich auch eindeutig aus dem Gesetz. Der Versicherungsschutz, so wie er bisher in Deutschland auf hohem Niveau gegolten hat, wird auch in Zukunft weiter gelten, ja ich möchte hinzufügen: Der Versicherungsschutz wird sogar in einigen Punkten noch weiter ausgebaut.Neu ist für den Verbraucherschutz, daß es z. B. eine Überrumpelung durch Vertreter zukünftig kaum noch geben kann, da der Kunde für 14 Tage nach Zahlung der ersten Prämie ein Widerspruchsrecht erhält. Neu ist für den Verbraucherschutz, daß die Anbieter von Versicherungen eine erweiterte Informationspflicht vor Abschluß des Versicherungsvertrages auszuüben haben. Neu ist für den Verbraucherschutz, daß der Versicherungsnehmer bei Auslegungsfragen in stärkerem Maße als bisher den Rechtsweg beschreiten kann.Meine Damen und Herren, diese neuen Punkte zeigen, daß die übertriebenen Behauptungen aus den vergangenen Wochen, daß der Verbraucherschutz verlorengehe, falsch sind.
Manche Äußerungen von Interessenvertretern hatten nicht das Ziel, die Öffentlichkeit über das aufzuklären, was sich neu entwickelt, sondern hatten das Ziel, neue Mitglieder für ihre Interessenverbände zu gewinnen.
Meine Damen und Herren, jetzt zu den von Herrn Palis genannten Gründen, weswegen die Sozialdemokraten den Gesetzentwurf ablehnen. Zunächst zu dem Zehnjahresvertrag. Erst vor drei Jahren hat das Parlament gegen den Verkauf langfristiger Versicherungsverträge zusätzliche Schutzmaßnahmen beschlossen. Vor einer erneuten Verschärfung dieser Bestimmungen sollten wir den Erfolg unserer bisherigen Bemühungen abwarten. Eine Untersuchung der Verbraucherverbände, die uns jetzt vorgelegt wurde, zeigt, daß die Einjahresverträge häufig billiger sind als Zehnjahresverträge. Das sollte uns ermutigen, bei den Regelungen zu bleiben, wie wir es jetzt im Gesetz vorgesehen haben.Warum, so möchte ich in einem Beispiel fragen, sollte der Gesetzgeber überhaupt eingreifen? Stellen Sie sich bitte folgendes vor: Wir haben zwei Telefon-
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Gunnar Uldallgesellschaften. Die eine Telefongesellschaft bietet ihre Anlagen mit Zehnjahresverträgen und zu teureren Raten an. Die andere Gesellschaft bietet niedrigere Raten an und verlangt nur Einjahresabschlüsse. Dann würde doch jeder Verbraucher immer dem günstigeren Angebot und auch den flexibleren Vertragsbestimmungen den Vorzug geben. Kein Politiker würde auf den Gedanken kommen, faktisch einen Ausschluß von Zehnjahresverträgen durch Gesetz zu verlangen. Kein Politiker würde das verlangen! Aber bei den Versicherungen wird das gefordert. Ich bin der Auffassung, daß dieses Problem durch den Markt geregelt wird. Warten wir ab, was der Markt in dieser Frage machen wird. Wir werden sehen, welche Verträge und welche Maßnahmen sich dann durchsetzen werden.An die Versicherungsgesellschaften sei aber auch der Appell gerichtet, daß sie eine seriöse Beratung vor Vertragsabschluß vornehmen und bei Notlagen den Versicherungsnehmern gegenüber eine große Kulanz zeigen.
Herr Kollege Uldall, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Larcher?
Gern. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte.
Herr Kollege Uldall, wie erklären Sie sich, daß sich der Wirtschaftsausschuß, zu dessen Aufgabe es doch gehört, für Wettbewerb zu sorgen und unsere Marktwirtschaft zu pflegen, auf daß es eine Marktwirtschaft bleibe, bis auf eine Enthaltung einstimmig für unser Vorhaben ausgesprochen hat, das auf kürzere Verträge und auf Kündigungsmöglichkeiten langfristiger Verträge zielt?
Herr Kollege von Larcher, es gibt Argumente dafür, es gibt Argumente dagegen. Leider ist es im Leben nie so einfach, daß man immer nur ja oder nein sagen kann. Das politische Leben ist meistens ein Abwägen von verschiedenen Argumenten. Ich bin der Auffassung, daß wir im Grunde genommen etwas zu Lasten der Versicherungsnehmer beschließen würden, wenn wir von vornherein Zehnjahresverträge faktisch ausschließen würden.
Dies ist keine gute Entwicklung. Ich glaube, daß wir diese Entwicklung dem Markt überlassen sollten. Wir müssen nicht alles hier im Parlament regulieren.
Jetzt zu einem sehr ernsten Thema, das Herr Palis auch angesprochen hat, zu der Entwicklung der Krankenversicherungsbeiträge für ältere Versicherte. Mir liegt ein Brief, den ich gerade heute bekommen habe, eines älteren Versicherungsnehmers vor, der von 1990 bis Oktober 1993 eine Beitragserhöhung um 91 % erfahren hat. Dies ist eine Entwicklung, die nicht sein darf. Die Entwicklung darf so nicht weitergehen, deswegen wird dieses Problem auch aufgegriffen. Erstens wird ab 1. Juli 1994 von den privaten Krankenversicherungen ein Standardtarif angeboten, der dem Durchschnitt der Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Zweitens werden in der Gesetzesnovelle verstärkt Alterungsrückstellungen vorgeschrieben. 80 % der Überschüsse müssen überwiegend zur Prämienermäßigung der älteren Versicherungsnehmer zurückgestellt werden.
Drittens wird die Informationspflicht über die zukünftige Entwicklung der Tarife erweitert. Dieses Thema, meine Damen und Herren, ist für Polemik völlig ungeeignet.Die Ursachen dieser besorgniserregenden Entwicklung liegen in der Verschiebung der Altersstruktur, dem medizinisch-technischen Fortschritt und der allgemeinen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.
— Nein. Kollege Palis ist wirklich ein fachkundiger Kollege. Meine kritische Bemerkung soeben richtete sich an eine Kollegin der SPD-Fraktion, die immer da ist, wenn Fernsehkameras laufen, heute aber nicht.
Der Finanzausschuß fordert deswegen die Bundesregierung auf, eine Expertenkommission einzusetzen, die bis zum ersten Halbjahr 1995 Vorschläge zur Lösung dieses Problems vorlegen wird.Ein Aspekt, der schon verschiedentlich angesprochen wurde, ist die Ausländerfeindlichkeit. Es gibt im Versicherungsmarkt keine Ausländerfeindlichkeit, und Ausländerfeindlichkeit ist auch nicht zulässig. Das Bundesaufsichtsamt kann, wenn solche Fälle auftreten, einschreiten und hat das notwendige Instrumentarium, um handeln zu können. Die SPD muß sich davor hüten, durch ihren Antrag den Eindruck zu erwecken, als ob Ausländerdiskriminierung jetzt erst verboten werden müßte. Nein, meine Damen und Herren, Ausländerdiskriminierung ist bereits heute auf Grund der Bestimmungen nicht zulässig.
Der SPD-Antrag ist zwar gut gemeint, bewirkt aber das Gegenteil. Mit der gleichen Begründung müßte in vielen anderen Gesetzen klargestellt werden, daß eine Ausländerdiskriminierung nicht statthaft ist. Es würde einen verheerenden Eindruck in der internationalen Öffentlichkeit hinterlassen, wenn eine Vielzahl von Gesetzen in Deutschland durch eine Rege-
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Gunnar Uldalllung zum Verbot der Ausländerdiskriminierung geändert werden würde.
Meine Damen und Herren, die SPD-Argumente gegen diesen Gesetzentwurf, wie sie Herr Palis soeben vorgetragen hat, ziehen nicht. Die SPD erliegt der Versuchung, sich um des Ausnutzens polemischer Streitpunkte willen der Verantwortung zum Mitgestalten des deutschen Versicherungswesens im Rahmen der EG zu entziehen. Dies ist nicht gut. Ich glaube auch nicht, daß die Öffentlichkeit einer Partei, die stärker Polemik als einer sachlichen Arbeit folgt, das Vertrauen geben wird.
Nun hat die Kollegin Barbara Höll das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Uldall, den Wahlkampf haben Sie hier geführt.
Das bundesdeutsche Versicherungsrecht soll zum 1. Juli an die Vorschriften der Europäischen Union angepaßt werden, um auch für Versicherungen den Binnenmarkt möglich zu machen. Nach dem Willen der Bundesregierung und der Regierungskoalition soll diese Liberalisierung nicht mit einer Verbesserung des Verbraucherschutzes kombiniert werden.
Die PDS/Linke Liste unterstützt Forderungen nach einer Verbesserung des Verbraucherschutzes. Gerade vor dem Hintergrund der Europäischen Union kommt der Vereinheitlichung des Verbraucherschutzes auf höchstem Niveau eine besondere Bedeutung zu. Wir setzen uns sowohl auf EG-Ebene als auch im nationalen Rahmen für die Erarbeitung hoher europaweiter Mindeststandards ein. Das bedeutet zugleich, daß wir uns allen Versuchen der Bundesregierung widersetzen, bereits erreichte Standards zurückzuschrauben oder ganz abzuschaffen bzw. dringend erforderliche Verbesserungen mit dem Hinweis auf die Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands abzulehnen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt einen Kniefall vor den Interessen der Versicherungswirtschaft dar. Deshalb wird ihn die PDS/Linke Liste hier ablehnen. Unsere Hauptkritikpunkte dabei sind folgende:
Erstens. Wir halten die den Versicherungen auferlegten Informations- und Aufklärungspflichten für unzureichend. Wir vertreten den Standpunkt, daß diese Pflichten in das Versicherungsvertragsgesetz aufgenommen werden sollten. Dabei unterstützen wir die Forderung nach einer genauen Ausgestaltung dieser im Entwurf des Versicherungsaufsichtsgesetzes bezeichneten Pflichten im Rahmen von zivilrechtlichen Rechtsverordnungen. Die Versicherten sollen in die Lage versetzt werden, ihre Ansprüche gegenüber den Versicherungen direkt geltend zu machen und dabei den Weg der Zivilgerichtsbarkeit zu gehen.
Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage — —
Nein, ich habe heute keine Zeit.
— Das wissen Sie genau.
Zweitens. Die PDS/Linke Liste setzt sich außerdem für die Verbesserung des Widerrufs-, Kündigungsund Rücktrittsrechts zugunsten der Kundinnen und Kunden ein. Die vor allem in Ostdeutschland wachsende Arbeitslosigkeit läßt immer mehr Menschen in soziale Notlagen geraten, in denen sie z. B. durch Versicherungsverträge zusätzlich geknebelt werden. Deshalb möchten wir außerordentliche Kündigungsrechte einführen.Auf drastische Prämienerhöhungen sollte auch mit der Kündigung des Versicherungsvertrages reagiert werden können. Verträge mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren sollten ausgeschlossen sein, zumindest jedoch zum Ende des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können. Dieses aus Sicht der Verbraucherverbände dringendste Anliegen findet unsere volle Unterstützung.Wir begrüßen es, daß sich der Bund der Versicherten um einen Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof gegen auf zehn Jahre angelegte Versicherungsverträge bemühen will, falls diese auch nach Einführung des Binnenmarktes für Versicherungen in der Bundesrepublik zugelassen werden.Aus Sicht der PDS/Linke Liste erschweren Zehnjahresverträge den Wettbewerb unter den Versicherern und machen es vielen Verbrauchern unmöglich, sich von als zu teuer erkannten Versicherungen zu trennen. Jährlich verlieren die Versicherten rund 10 Milliarden DM, weil sie zu teure Versicherungen nicht kündigen können.Drittens. Der Gesetzentwurf sieht nicht vor, daß bei Beitragskalkulation sowie beim Anwartschaftsdekkungsverfahren in der privaten Krankenversicherung die künftigen Schadenserwartungen im Gesundheitswesen, für die Erfahrungswerte vorliegen, berücksichtigt werden müssen. Auf diese Weise werden horrende Prämien für ältere Menschen geradezu provoziert.Wir treten dafür ein, daß die Unternehmen der privaten Krankenversicherung den medizinischen Fortschritt, die längere Lebenserwartung und die Inflationierung ihrer Rückstellungen in ihre Kalkulation einbeziehen. Den Versicherten sollen nicht, wie bisher, lediglich 80 % der über 4,5 % hinausgehenden Verzinsung zugute kommen, sondern die volle Verzinsung der Altersrückstellungen.Viertens. Wir halten diesen Gesetzentwurf, wie die SPD, für ungeeignet, der Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern in der Kfz-Haftpflichtversicherung zu begegnen, die darin besteht, daß im Kaskobereich Angehörige einzelner Nationalitäten differenziert behandelt werden. Nach diesem Durchführungsgesetz soll der Aufnahmezwang in die KfzHaftpflichtversicherung wegfallen und die Verwendung der Staatszugehörigkeit als Merkmal für die
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19807
Dr. Barbara 11Versicherungstarife nicht ausdrücklich untersagt werden.Die PDS/Linke Liste lehnt diesen Gesetzentwurf deshalb ab. Wir unterstützen aber den Entschließungsantrag der SPD, der unserer Meinung nach wirklich in die richtige Richtung weist.Ich bedanke mich.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien der EG auf den Drucksachen 12/6959 und 12/7595 Nr. 1 a. Dazu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7596? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7597? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7598? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.
Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 1 b und 1 c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7595 die Annahme von Entschließungen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage zum vorsorgenden Verbraucherschutz im europäischen Versicherungswesen auf der Drucksache 12/7595 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/5716 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer , Dr. Wolf Bauer, Dr. Dionys Jobst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz — FStrPrivFinG)
— Drucksache 12/6884 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7555 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolf Bauer
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7556 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried Bohlsen
Werner Zywietz
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich darf Sie um Zustimmung dafür bitten, daß der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Manfred Carstens, seinen Beitrag zu Protokoll gibt.*) Gibt es dazu Zustimmung? — Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Rolf Bauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Eine der ganz großen Herausforderungen unserer Tage ist die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland. So enthält nicht zuletzt auch der Jahreswirtschaftsbericht 1994 der Bundesregierung die Aufforderung, „mit einem leistungsfähigen Verkehrswesen und attraktiver Infrastruktur zur Zukunftssicherung beizutragen". Das heißt, daß eine zukunftsorientierte Verkehrsinfrastruktur unverzichtbar ist, wenn wir dem Wirtschaftsstandort Deutschland als Motor unseres Wohlstandes und unserer Zukunft gerecht werden wollen.Ein wesentlicher Eckpfeiler einer solchen Infrastruktur ist der erste gesamtdeutsche Bundesverkehrswegeplan. Mit ihm soll ein großes und ehrgeiziges Ziel erreicht werden. Die Prioritäten liegen hier eindeutig sowohl bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit als auch beim Ausbau der Schienenwege.*) Anlage 4
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19808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Dr. Wolf BauerInsbesondere unsere Arbeitsgruppe, die Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat in den zurückliegenden Jahren, vor allem während der Haushaltsplanberatungen, immer wieder darauf hingewiesen, daß zum Erreichen dieses Zieles eine entsprechende Finanzausstattung unabdingbar erforderlich ist.
Zugegebenermaßen halten wir es zur Zeit — wie gesagt: zur Zeit! — unter dem vorrangigen Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht für opportun, diese Forderung uneingeschränkt weiter zu verfolgen. Nach wie vor legen wir allerdings größten Wert darauf, daß bei der Einführung einer zeitbezogenen Vignette eine Zweckbindung für Unterhaltungsmaßnahmen an Bundesautobahnen und außerörtlichen Bundesstraßen erreicht wird.Meine Damen, meine Herren, gerade vor dem Hintergrund zur Zeit knapper Mittel haben wir noch intensiver als bisher nach Alternativen gesucht, um andere Finanzquellen — sprich: privates Kapital — zu erschließen. Denn fest steht, daß der überaus hohe Finanzbedarf für den Verkehrswegeausbau nicht allein über den Bundeshaushalt finanziert werden kann.
Eine ergänzende Privatfinanzierung ist das Gebot der Stunde. Da immer wieder — mehr oder weniger bewußt — von der Opposition versucht wird, mit Fehlinformationen für Irritationen zu sorgen, möchte ich noch einmal folgendes klarstellen.Erstens. Der wesentliche Teil der Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur erfolgt nach wie vor über Einzelplan 12 des Bundeshaushalts.Zweitens. Als Ergänzung hierzu sind die zwölf Projekte zu sehen, die über das Konzessionsmodell finanziert werden sollen. Auch wenn es sich hierbei nur um eine private Vorfinanzierung handelt, so kann doch für zwölf wichtige Projekte bis zum Jahr 2000 ein zusätzliches Investitionsvolumen von rund 3,9 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden.
Wenn ich z. B. an meinen Wahlkreis denke, wenn ich das einmal sagen darf, und daran, wie überaus wichtig der Lückenschluß zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Verlauf der A 1 ist, nicht zuletzt für die Zukunft der gesamten Eifel-Region, so wäre ich mehr als glücklich, wenn die Schließung dieser Lücke als weiteres Projekt hinzukäme.
— Bitte zuhören, Frau Kollegin. — In Anbetracht der prognostizierten Verkehrsentwicklung ist letztendlich ausschlaggebend, daß gebaut wird, und das möglichst schnell.Drittens. Von den beiden bereits genannten Finanzierungsmodellen, also von der Haushaltsfinanzierung und dem Konzessionsmodell, vollkommen getrennt zu sehen ist die Privatfinanzierung mitRefinanzierung durch Einzelmaut. Hierbei handelt es sich um eine echte Privatfinanzierung.Mit dem heute vorliegenden Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz sollen die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen werden. Um es noch einmal zu wiederholen: Die Hauptsäule der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur bleibt die Haushaltsfinanzierung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir unabhängig davon zusätzliche Finanzmittel über eine reine Privatfinanzierung erschließen. Es handelt sich also lediglich um eine ergänzende Finanzierungsmöglichkeit. Einzig und allein die Bemautung dieser —just dieser — durch das Betreibermodell erstellten Projekte ist mit diesem Gesetz angesprochen.Was heißt das im einzelnen?Erstens. Das vorliegende Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz findet nur für Neubauten Anwendung, also nicht für bestehende Verkehrswege. Insofern ist es unsinnig, zu behaupten, daß der deutsche Autofahrer erneut zur Kasse gebeten wird für etwas, wofür er bereits Steuern gezahlt hat.
Zweitens. Dieses Gesetz zielt ab auf den Bau von ganz speziellen, vor allem ganz speziell teuren Ingenieurbauwerken im Zuge von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen, also Tunneln, Brücken, eventuell auch Gebirgspässen.
Drittens. Diese Einschränkung des Betreibermodells auf bestimmte neu zu errichtende Straßenbaumaßnahmen ergibt sich aus den EG-rechtlichen Rahmenbedingungen. Um jedoch die EG-rechtlichen Rahmenbedingungen voll ausschöpfen zu können, beziehen wir den Neubau von autobahnähnlichen Bundesstraßen in das Betreibermodell ein. Wichtig hierbei ist, daß an die Bemautung von Anliegerstraßen selbstverständlich nicht gedacht ist.Viertens. Die Erhebung der Maut ist befristet; auch das ist wichtig. Ob es sich letztendlich um 10, 15, 20 oder 25 Jahre handelt, hängt von den einzelnen Projekten ab. Wir wollen hier ja nur den gesetzlichen Rahmen schaffen. Die Ausfüllung muß durch den Bund und die Länder geschehen. Nach Ablauf der vereinbarten Frist gehen die Projekte in das Eigentum des Bundes über.Fünftens. Mit dem Gesetz werden keine Privatstraßen entstehen, die dann nicht mehr integraler Bestandteil des öffentlichen Gesamtverkehrsnetzes sind.Sechstens. Mit dem Gesetz schaffen wir — das ist eigentlich das Wichtigste — eine Option. Ob und wie sie genutzt wird, hängt vor allem von den Ländern ab. Auf jeden Fall wird hierdurch eine gute Möglichkeit geschaffen, besonders dringend benötigte Projekte von den Ländern wesentlich schneller zu verwirklichen, als es sonst möglich wäre.
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Dr. Wolf BauerEbenso ist es möglich, nicht im Bundesverkehrswegeplan vorgesehene Projekte mit privatem Kapital zu realisieren. Ich appelliere daher an die Länder, diese Chance zu nutzen. Sollte es dennoch Länder geben, die hiervon keinen Gebrauch machen wollen, dann sollten sie zumindest im Bundesrat anderen Ländern diese Möglichkeit nicht verbauen. Das Interesse der Länder ist durchaus vorhanden. Erste Interessensbekundungen liegen vor.Bei all diesen Überlegungen bleibt festzuhalten, daß der Autofahrer diese Vorteile unmittelbar sowohl durch Zeitersparnis als auch durch geringeren Treibstoffverbrauch positiv bemerken wird. Den Nutzen hat also letztendlich der Autofahrer, da Engpässe beseitigt und direkte Verbindungen bei gleichzeitig erhöhter Sicherheit geschaffen werden.Siebtens. Für neue Aufgaben brauchen wir neue Lösungen. Weder Polemik noch das ständige Gerede von „Abkassieren" und „moderner Wegelagerei" helfen hier weiter.Achtens. Mit diesem Gesetz sollen nicht Voraussetzungen für die Einführung einer streckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr geschaffen werden. Das sind zwei, und zwar zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Richtig ist, daß die streckenbezogene Autobahnbenutzungsgebühr die zeitbezogene später einmal ablösen kann. Aber weder die Einführung einer zeitbezogenen noch die einer streckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr hat etwas mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz zu tun.Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß durch 1 Milliarde DM, die für den Verkehrswegebau ausgegeben wird, im Schnitt 12 000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert werden. Wer also, meine Damen, meine Herren, diesem Gesetz nicht zustimmt, handelt nicht nur gegen das Wohl der Autofahrer, sondern verhindert auch die Schaffung neuer und die Erhaltung bestehender Arbeitsplätze.Ich empfehle daher die Annahme.
Nun hat unser Kollege Klaus Hasenfratz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie man eine verfehlte Verkehrspolitik und eine zerrüttete Finanzpolitik mit einem untauglichen Gesetzentwurf, wie er hier vorliegt, wieder in die Reihe bringen will.
Des weiteren, Herr Kollege Bauer, ist es mir unerklärlich, wo zu lesen ist, daß auch die privatfinanzierten Projekte nicht Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans sein müssen. Wo es dafür in dem Bedarfsplan eine gesetzliche Grundlage gibt, ist mir schleierhaft. Sie haben es gerade vorgetragen.Der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich nahtlos ein in das gegenwärtige Chaos von halbherzigenDementis und vagen Berechnungen, die uns beinahe täglich aus dem Bundesverkehrsministerium präsentiert werden.
Im Privatisierungstaumel glaubt die Bundesregierung einen neuen Zauberstab gefunden zu haben, um ihren maroden Haushalt zu entlasten. Nach dem Willen der Koalition müssen die Autofahrer zukünftig hierzulande ihre Brieftasche zücken, wollen sie Brücken, Tunnel oder Gebirgspässe passieren.
Diese Maut wird von privaten Bauträgern einkassiert, die im Gegenzug die Straßen bauen, finanzieren und unterhalten sollen.
Dieses sogenannte Betreibermodell ist nichts anderes als eine moderne Form der Wegelagerei.
Hier liegt ein untaugliches Mittel auf dem Tisch, das ebenso untaugliche Ziele verfolgt; denn erstens soll die in Beton gegossene Verkehrspolitik fortgesetzt werden, und zweitens sollen die Autofahrer erneut zur Kasse gebeten werden. Stehen erst einmal die Mauthäuschen oder ihre elektronischen Nachfolger an Brücken und Tunneln, werden sich die privaten Unternehmen ihre Nothilfe vergolden lassen.
Die Gefahr, daß ungebührlich abkassiert wird, liegt auf der Hand. Schließlich handelt es sich bei den privaten Financiers nicht um karitative Einrichtungen, sondern ein privater Autotunnel wird nun einmal als Profitunternehmen betrieben.
Autofahrer sind wieder die Melkkühe dieser Politik. Auf sie rollt eine neue Kostenlawine zu, wenn sich die Gewinnkalkulation des Betreibers in horrenden Benutzungsgeldern niederschlägt.Verkehrsminister Wissmann setzt damit den Privatisierungskurs seines gestrauchelten Vorgängers Krause fort. Ihm galt bereits die Auslagerung von Straßenbauinvestitionen als probates Mittel, um seine Straßenbauorgien doch noch realisieren zu können.Mit zunehmendem Einfluß privater Investoren auf unser Straßennetz wird sich das Ziel der Maximierung des Straßenverkehrs weiter verstärken. Der Kurs der Bundesregierung, steigendes Verkehrswachstum mit noch mehr Infrastruktur zu beantworten, ist damit weiterhin ungebrochen.Unsere Forderungen nach Verkehrsvermeidung, Verkehrsbegrenzung und Verkehrsverlagerung sucht man hier vergeblich. Diese Ziele werden auf mögliche private Investoren sogar abschreckend wirken.Mit der Zauberformel Privatisierung wird nun hastig versucht, Abhilfe zu schaffen. Verkehrs- und
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Klaus Hasenfratzumweltpolitische Fragen blieben dabei auf der Strecke.
Herr Kollege Hasenfratz, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk Fischer gestatten?
Ja, gerne. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte.
Herr Kollege, ich würde mich doch dafür interessieren und Sie fragen, wie Sie Ihre Glaubwürdigkeitslücke schließen möchten, die zum einen angesichts der Tatsache entstanden ist, daß die Anmeldungen der SPD-regierten Länder zum Bundesverkehrswegeplan, Teil Straße, noch weit über das Maß hinausgegangen sind, das wir überhaupt haben berücksichtigen können, und die zum zweiten dadurch entstanden ist, daß Sie vor allem unter dem Aspekt Waldsterben und ökologischer Grundziele einen Endpreis beim Vergaserkraftstoff von 2 bis 3 DM pro Liter eingefordert haben und jetzt hier bei einem viel geringeren Endpreis nicht nur vom Abkassieren sprechen, sondern auch in großen Anzeigen durch Herrn Scharping beklagen, daß eine Mineralölsteuererhöhung von insgesamt 38 Pfennig pro Liter beschlossen worden sei, die aber zu einem Endpreis noch weit, weit unterhalb der 2 bis 3 DM geführt hat, die von der SPD begehrt werden. Wie ist diese Glaubwürdigkeitslücke zu schließen?
Erstens, Herr Kollege Fischer, ich brauche keine Lücke zu schließen, weil noch keine Lücke entstanden ist.
Zweitens ist doch klar — —
— Wollen Sie eine Antwort haben, Herr Gibtner, oder wollen Sie keine haben? Dann lassen Sie mich doch antworten.
Zweitens. Wenn wir uns die Diskussion bei den Beratungen zum Bundesverkehrswegeplan noch einmal in Erinnerung rufen, so ist doch klar: Wir haben Vorschläge gemacht, notwendige Straßen auch in den Ländern, die Sie gerade genannt haben, in den Bundesverkehrswegeplan einzubringen. Sie haben dies abgelehnt und wahnwitzige Projekte hineingeschrieben, die natürlich Mittel binden und heute nicht zur Verfügung stehen. Daß dann notwendige Maßnahmen von den Ländern angemeldet werden und diese die letzte Möglichkeit darin sehen, sie privat über das Konzessionsmodell, nicht über das Betreibermodell, heute finanzieren zu lassen, war natürlich Ausfluß Ihrer Politik.
Herr Kollege Hasenfratz, es gibt den Wunsch zu einer weiteren Zwischenfrage vom Kollegen Weng.
Ich weiß nicht, in welchem Regierungsprogramm der SPD Sie gelesen haben, daß eine SPD-geführte Regierung den Mineralölpreis auf 2 bis 3 DM bringen will. Ich glaube, wenn Sie richtig gelesen haben, wird es unter einer SPD-geführten Regierung — und das ist ja nicht mehr lange hin — keine Erhöhung von Steuern und Abgaben geben.
Ich habe Sie vorhin gerade unterbrochen. Entschuldigen Sie, ich habe nicht gewußt, daß die Antwort noch weitergeht.
Jetzt noch eine Zwischenfrage vom Kollegen Weng?
Ja. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ja, bitte.
Herr Kollege Hasenfratz, Sie haben gerade erläutert, daß auf Grund dessen, daß die Bundesregierung oder die Mehrheit des Parlaments unnötige Projekte im Straßenbau finanziere, Geld für notwendige Projekte fehle. Können Sie ein paar dieser unnötigen Projekte aufzählen?
Ja, da will ich aus meinem Bundesland sagen: Wenn die wahnwitzige Idee, das Rothaargebirge zu durchschneiden, in den vordringlichen Bedarf gesetzt wurde, wenn des weiteren jetzt diskutiert wird, die Dü-Bo-Do, die A 44, die jetzt schon 1,8 Milliarden DM kosten soll, in Tunnellage zu legen, dann weiß ich nicht, wie diese Kosten aufgebracht werden sollen. Dies steht auch im vordringlichen Bedarf. Das sind nur Dinge aus meinem Land. Da werden natürlich Mittel gebunden, und dann ist es nicht möglich, notwendige Maßnahmen durchzuführen.
— Frau Präsidentin, ich hatte nicht gedacht, daß ich jetzt in der Fragestunde bin.
Herr Kollege, es steht Ihnen frei, Zwischenfragen zuzulassen oder nicht.
Noch einmal der Herr Weng.
Also noch einmal, und dann haben wir's.
Herr Kollege, sind die von Ihnen genannten Projekte im Land Nordrhein-Westfalen auf Grund der Prioritätenbin-
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Dr. Wolfgang Weng
dung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens enstanden, oder wer hat diese Prioritäten gesetzt?
Diese Prioritäten hat die Bundesregierung gesetzt.
Aber, meine Damen und Herren, es paßt zu der völlig konfusen und konzeptlosen gegenwärtigen Verkehrspolitik, daß es die Bundesregierung peinlich vermeidet — und jetzt hören Sie zu, was Sie hier alles machen wollen —, ein einziges Projekt zu nennen, das für diese Form der Finanzierung zur Verfügung stünde.
Trotz unserer wiederholten Nachfragen im Verkehrsausschuß war die Bundesregierung zu einer konkreten Aussage nicht in der Lage.
Mit anderen Worten: Bei dem hier vorgelegten Gesetzentwurf handelt es sich um ein unausgereiftes Schnellschußverfahren, das mit Platzpatronen ins Leere schießt. Die Nennung eines konkreten Projektes unterläßt Herr Wissmann wohlweislich, weil ihm der Sturm der Entrüstung sicher wäre. Statt dessen schiebt er den Schwarzen Peter den Ländern zu, die sich mit seinen unausgegorenen Finanzierungsexperimenten herumschlagen sollen.
Keine Region wird sich darum reißen, Zusatzkosten auf sich zu ziehen, während überall sonst die Benutzung der Infrastruktur kostenfrei ist. Vor allen Dingen gibt es eine Benachteiligung derjenigen Autofahrer, die in den Regionen leben, wo noch ein Nachholbedarf für Straßenbauwerke besteht. Sie werden gegenüber den Autofahrern in den Regionen mit sehr gut ausgestatteter Infrastruktur ganz besonders belastet. Arbeitnehmern, die gezwungen werden, jeden Tag den mautfinanzierten Tunnel zu benutzen, wird eine ungerechte gewaltige monatliche Belastung zugemutet. Man muß sich fragen, ob nachher nur noch die Besserverdienenden Gebirgspässe, Tunnel oder Brücken passieren können.
Ebenso wie die in Frage kommenden Projekte bleiben die Höhe der Maut sowie ihre Erhebung und die Frage nach den Investoren völlig im dunkeln. Ob die Autofahrer also demnächst in langen Warteschlangen an Mauthäuschen stehen werden, ob sie für die Benutzung der Straße und zusätzlich auch noch z. B. für das Befahren einer Brücke zahlen müssen, ist ungeklärt.
Herr Kollege Hasenfratz, der Herr Kollege Jobst möchte auch noch eine Frage stellen.
Ja, meinem Ausschußvorsitzenden kann ich das nicht verwehren.
Herr Kollege Hasenfratz, wenn Sie sagen, daß die Autofahrer gezwungen werden, diese Zusatzeinrichtungen — Tunnel oder Brücken — zu benutzen, frage ich: Wer zwingt denn die Kraftfahrer, diese neuen Projekte zu benutzen? Sie können doch die Straßen, die sie bisher befahren haben, weiterhin benutzen.
Also, lieber, sehr geehrter Herr Jobst, wenn ein Tunnel gebaut wird, gehe ich davon aus, daß der nicht irgendwo in der Pläne gebaut wird, sondern daß vor diesem Tunnel eine Autobahn oder eine Bundesstraße ist und nach dem Tunnel auch. Sonst wäre es ein überflüssiges Projekt. Aber das heißt doch, daß ich dann, wenn ich die Straße vorher als Autobahn benutze, bezahlen muß, in einem Konzessionsmodell meinetwegen. Dann wird der Tunnel in einem Betreibermodell gebaut, und dann muß ich, wenn ich den Tunnel durchfahre, für diese Tunneldurchquerung nach dem Betreibermodell noch einmal eine Abgabe zahlen.
— Also, ich habe noch keine Brücke gesehen, die weder vorn noch hinten eine Straße hatte.
Ich weiß nicht, welche Straßenbauarchitekten Sie an dieses Modell setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, offen bleibt auch, ob letztendlich nicht doch der Steuerzahler für die auftretenden Verluste geradestehen muß.Stutzig macht auch ein kleiner Nebensatz, den der Bundesverkehrsminister wie selbstverständlich eingefügt hat. Art und Höhe der Gebühren sollen erst später durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festgelegt werden. Maßgeblich dafür werden vor allem die Baukosten sein. Da der Staat nicht als Garant für Rückzahlungen bereitsteht, dürften sich die Bauherren das gut absichern lassen. Das ist mehr als unbefriedigend.Wenn Sie aber glauben, meine Damen und Herren von der Koalition, daß wir die Katze im Sack kaufen, dann sind Sie auf dem Holzweg.An dieser Stelle muß die Frage erlaubt sein, wie es um die Seriosität dieser Regierung bestellt ist,
wenn auf so offensichtliche Weise die Politik des Abkassierens fortgesetzt werden soll. Bevor Sie bei den Autofahrern eine Maut erheben, sollten Sie lieber das Finanzierungskonzept für den Transrapid noch einmal überdenken.
Da haben Sie ja gestern zum Teil „Finanzierung" inder Anhörung wohl eine Lehrstunde bekommen, wie
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19812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Klaus Hasenfratzunseriös das ganze Finanzierungsmodell zum Transrapid ist.
Meine Damen und Herren, warum überlassen Sie es denn nicht den Privaten, diese Technik auch privat durchzuführen und zu finanzieren? Wie wollen Sie dem Bürger erklären, daß Sie beim Transrapid bereit sind, das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster zu schmeißen, und daher leider gezwungen sind, neue Abkassierungsmodelle bei den Autofahrern einzuführen?
Die Schmerzgrenze der Belastbarkeit bei den Bürgern infolge der drastischen Steuer- und Abgabenerhöhungen der Bundesregierung ist erreicht. Die Mineralölsteuer wurde in den letzten Jahren um mehr als 50 Pfennig pro Liter Benzin erhöht, und zwar ohne daß die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt wurde, wie es in unserem Vorschlag zur ökologischen Steuerreform vorgesehen war.
Ab 1996 ist im Finanzplan der Bundesregierung darüber hinaus schon eine Mineralölsteuererhöhung um 8 Milliarden DM eingeplant.
Herr Kollege Hasenfratz, es gibt noch einmal den Wunsch einer Zwischenfrage, und zwar von der Frau Kollegin Blank.
Ja, dann nehmen wir die auch noch.
Kollege Hasenfratz, zur Mineralölsteuererhöhung: Können Sie sich vielleicht erinnern, daß die SPD vor ca. sechs Wochen im Verkehrsausschuß den Antrag gestellt hat, die Mineralölsteuer stufenweise pro Jahr um 25 Pfennig zu erhöhen, oder ist dies Ihrer Erinnerung entfallen?
Ich weiß nicht, in welchem Ausschuß die SPD eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 25 Pfennig beantragt hat. Aber, Frau Blank, da gibt es einen gewaltigen Unterschied: 1990 hat die SPD in ihrem Regierungsprogramm gesagt, daß Steuererhöhungen im Zuge der deutschen Einheit unumgänglich sind. Sie haben gesagt: Die deutsche Einheit wird aus der Portokasse finanziert.
In diesem Zusammenhang ging das Filibustern herum: Wir machen keine Steuererhöhung, wir machen eine Abgabenerhöhung. Just in diesem Zeitraum ist die Mineralölsteuer von Ihnen um 50 Pfennig erhöht worden, wobei Sie 1990 gesagt haben: Es gibt keine Steuererhöhung. Das ist der Unterschied zwischen der Politik der SPD, die vorher sagt, was sie macht, und Ihrer Politik, wo Sie vorher dieses sagen und anders handeln.
Aber ich will Ihnen sagen, warum Sie so hastig privates Kapital — koste es, was es wolle — für Ihre Verkehrspolitik heranschaffen wollen, nämlich weil Sie die Staatsfinanzen vor die Wand gefahren haben und weil Sie eine vollkommen fehlgelenkte Verkehrspolitik betrieben haben.
Die derzeitige konfuse Diskussion zur kurzfristigen Lösung der gewaltigen Finanzierungsengpässe im Verkehrssektor beweist die Richtigkeit unserer Position. Der gesamte Planungs- und Finanzierungsrahmen des Bundesverkehrswegeplans war von Anfang an vollkommen unseriös.
Die SPD hätte mit ihren Änderungsvorschlägen zum Fernstraßenbau Einsparungen in Höhe von 11,5 Milharden DM erzielt. Wir haben den Verzicht auf teure Prestigestraßenbauprojekte gefordert, die unnötige Mittel binden. Aber auch hierauf hat sich die Koalition nicht eingelassen.
Mittlerweile hat der Verkehrsminister Wissmann immerhin eingestanden, daß das Konzessionsmodell, die private Vorfinanzierung, bis auf wenige Projekte keine Zukunft hat. Schonjetzt werden Zweifel laut, ob die Pilotprojekte überhaupt realisiert werden.
Es ist ein Irrglaube, daß diese Art der Privatfinanzierung kostengünstiger Leistung erbringen würde. Selbst die Bundesregierung teilt mittlerweile die Auffassung aller Sachverständigen, daß die private Vorfinanzierung von Verkehrsprojekten etwa 30 % teurer kommt als eine staatliche Finanzierung, geht es hier doch lediglich um eine Zwischenschaltung von privaten Kreditgebern, die den Steuerzahler und auch unsere Nachkommen teuer zu stehen kommt.
Mit Ihren Vorschlägen, die über das Konzessionsmodell, über die Lkw-Vignette und Mautgebühren sowie die Erprobung des Road-pricing vollkommen unkoordiniert und planlos im Raume stehen, haben Sie ein heilloses Wirrwarr veranstaltet.
Ich fordere Sie auf, endlich Klarheit zu schaffen und ein zukunftsweisendes verkehrspolitisches Gesamtkonzept vorzulegen. Aber machen Sie das bitte schnell; denn Sie haben nur noch vier Monate Zeit.
Solange Sie noch nicht soweit sind, müssen wir solchen untauglichen Versuchen wie diesem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz eine klare Absage erteilen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Ekkehard Gries das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin hier jetzt in der zweiten
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Ekkehard GriesLegislaturperiode. Siebeneinhalb Jahre lang hatte ich ziemlich ein Gefühl dafür, was die SPD in der Verkehrspolitik will. Seit einigen Wochen weiß ich überhaupt nichts mehr.
Da kommt Scharping 1, dann kommt Zöpel, dann kommt Scharping 2, dann kommt Klose. Vom Klaus Daubertshäuser habe ich nichts mehr gehört,
vernünftigerweise, weil das alles gegen das geht, was die Arbeitsgruppe der SPD hier im Bundestag zwölf Jahre lang immer wieder gefordert hat.Klaus Hasenfratz, das war in der Tat wieder ein Beispiel für die totale Verwirrnis innerhalb der SPD. Sie weiß nicht mehr, was sie im Verkehr tun soll.Sie kennt nicht einmal ihre eigenen Anzeigen — ich habe sie gerade bekommen; sie sind brandfrisch — für die Europawahl: 38 Pfennig total, sagt Herr Scharping, also nicht 50 Pfennig — ich berufe mich hier auf Scharping —, sondern nur 38 Pfennig. Man kann darüber streiten, ob das nicht zuviel ist. Aber es sind nicht 50 Pfennig. Es ist allerdings ein Beispiel, wie hier mit Zahlen und Fakten umgegangen wird.
Langsam tun Sie mir wirklich leid — das muß ich ganz ehrlich sagen —, weil Sie keine Konzeption mehr haben.Das zeigt sich auch hier an der Privatfinanzierung. Ich erinnere mich an Stimmen aus Ihren Reihen, die immer wieder davon gesprochen haben, daß man Privatkapital für Verkehrsinvestitionen aktivieren muß. Wo sind denn diese Stimmen jetzt? Jetzt lehnen Sie diese ganzen Vorschläge wieder ab.Jedenfalls wir werden diesem Gesetz zustimmen.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte schön. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte.
Lieber Kollege Ekkehard Gries, ich glaube, daß ich über den Gesetzentwurf der Koalition referiert habe, nicht über einen Gesetzentwurf der SPD. Ich weiß gar nicht, was Sie verwirren kann, wenn ich über einen Gesetzentwurf spreche, der aus Ihrer Koalition kommt, und warum Sie sagen: Sie haben mich jetzt verwirrt in Beziehung auf das, was Sie eigentlich wollen.
Das ist ganz einfach zu sagen: Weil die Stellungnahme zu diesem Gesetz deutlich macht, daß die SPD nicht weiß, was sie will. Auf der einen Seite predigt sie, daß man privatesKapital für die Verkehrsinfrastruktur aktivieren und interessieren müsse — das ist exakt unsere Position —, und wenn wir dann dazu mit diesem Gesetz einen Versuch unternehmen, sind Sie in der gleichen Weise dagegen. Das meine ich damit, wenn ich sage, daß ich gar nicht mehr weiß, was Sie wollen. Aber Sie wissen es auch nicht; das ist ja das Schlimme.
Deshalb kann ich nur hoffen, daß dem deutschen Wähler erspart bleibt, daß Sie für die Verkehrspolitik Verantwortung tragen; denn mit dieser Unentschlossenheit kann man nun Verkehrspolitik nicht machen.Es nützt auch nichts, den Straßenverkehr zu verteufeln, meine Damen und Herren. Wir haben uns gemeinsam entschieden und die Bahnreform gemacht; wir haben uns für die Binnenschiffahrt, für die See- und Küstenschiffahrt eingesetzt. Wir wissen genau, daß wir alle diese Verkehrsträger brauchen. Es ist einfach unrealistisch und dumm — sage ich einmal — zu vergessen, daß eine gute Straßeninfrastruktur das Rückgrat des Verkehrs ist. Alles andere ist Gerede. Daran ändert auch die Magnetschwebebahn nichts. Auch das hat sich gestern wieder gezeigt: Wir brauchen ein leistungsfähiges Straßennetz. Das wissen wir genauso gut wie Sie.Wenn Sie denn im Herbst an die Regierung kämen — ich wünsche es Ihnen gar nicht —, dann würden Sie feststellen, daß mit den normalen Haushaltsfinanzierungsmöglichkeiten eine vernünftige, leistungsfähige Straßeninfrastruktur, überhaupt Verkehrsinfrastruktur — ich sage nicht nur: Straßeninfrastruktur — nicht mehr zu finanzieren ist. Wir brauchen andere Finanzierungswege, und wir versuchen hier über das Konzessionsmodell, das ja eigentlich kein reines Privatisierungsmodell ist und das interessanterweise von den von Ihnen geführten Ländern Saarland und Rheinland-Pfalz am meisten nachgefragt wird,
einen neuen Weg zu gehen. Wer das nicht will, wird — das steht doch im Gesetz — nicht zu seinem Glück gezwungen. Die Länder reden hier mit. Wenn sich das rechnet, auch für die privaten Kapitalgeber, dann kann das gemacht werden.Ich sage Ihnen: Sie werden sich wundern, wie groß die Inanspruchnahme sein wird. Ich habe das gestern bei einer Besuchergruppe von mir gemerkt. Einer stand da spontan auf, ein sehr erfahrener Kommunalpolitiker, und sagte — Klaus Daubertshäuser weiß sogar in etwa, wo das ist, nämlich in Weilburg, wo man 15 Jahre auf eine vernünftige neue Brücke im Zuge einer Ortsdurchfahrt einer Bundesstraße wartet —: So, dann finanzieren wir das privat. — Sie glauben gar nicht, wie groß das Interesse und der Bedarf für solche Dinge ist.
Meine Damen und Herren, es ist eben unredlich: Sie stellen sich hier hin und sagen von dem Bundesverkehrswegeplan, er sei unterfinanziert. Zugleich haben Sie in Ihr Wahlprogramm geschrieben, daß Sie Straßenbaumittel aus den alten Ländern abziehen
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19814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Ekkehard Grieswollen und selbst die Mittel für den kommunalen Straßenbau im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz kürzen wollen. Dann schreien Sie gleichzeitig: Es ist unterfinanziert. Sie reden über zu umfangreiche Maßnahmen. Zugleich sind es Ihre eigenen Kommunalpolitiker, die die Bundesregierung dann immer an den Pranger stellen und sagen: Es gibt nicht genug Geld für Umgehungsstraßen. Ja, mein Gott, das ist doch keine glaubwürdige Politik. So geht das auf Dauer nicht!
Wir sind ebenfalls der Meinung — um das deutlich zu sagen; da bin ich z. B. mit meinem Freund Wolfgang Weng ein bißchen unterschiedlicher Meinung —: Der Straßenbauhaushalt kann nicht der Steinbruch sein, um alle möglichen anderen Schwierigkeiten auszugleichen, die sich in der Realisierung anderer Politikfelder ergeben.
Vielmehr muß deutlich sein, daß die Gelder, die vom Kraftfahrer für die Benutzung der Verkehrsinfrastruktur aufgewendet werden, auch zweckbestimmt ausgegeben werden. Das ist eine klare Position von mir. Das, was ich jetzt sage, gilt zunächst einmal für die Vignette für die Lkws.
Herr Kollege Gries, Ihr Parteifreund Weng möchte Ihnen eine Frage stellen.
Bitte schön.
Frau Präsidentin! Lieber Fraktionskollege, Herr Kollege Gries, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach meiner Überzeugung mit einer solchen Zweckbindung, wie Sie sie fordern, das Parlament in unangemessener Weise eigene Rechte einschränken würde, wenn es dem zustimmen würde?
Herr Kollege Weng, ich bin natürlich nicht mit Ihnen der Meinung; wir haben schon einmal darüber gesprochen. Erstens handelt es sich bei der Vignette nicht um eine Steuer. Das wäre einfach rechtlich schnell gelöst. Es gibt keine Zweckbindungen bei Steuern. Es handelt sich vielmehr um eine Gebühr.
Jetzt sage ich Ihnen ganz klipp und klar dazu: Das Parlament begibt sich nicht seiner Möglichkeiten, denn das Parlament bestimmt, welche Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen beschlossen werden. Aber die Verkehrspolitik verliert jede Möglichkeit, wenn die anderen, nämlich die Finanz- und Haushaltspolitiker, ihnen das Geld nicht zur Verfügung stellen.
Bei dem Geld — das ist ein ganz wichtiger politischer Punkt —, das der Benutzer von Verkehrsinfrastruktur — ich sage das ganz bewußt, nicht nur der Autofahrer, sondern der Benutzer von Verkehrsinfrastruktur — durch Steuern und Gebühren aufbringt, hat er ein Anrecht darauf, daß das auch wieder zurückfließt, jedenfalls im wesentlichen, zur Verbesserung, zum Ausbau, zur Erhaltung, zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur.
Anders kann man bestimmte notwendige Abgabenerhöhungen oder -einführungen überhaupt nicht begründen.
Ich bin ganz sicher, daß das hier noch nicht der letzte Weg ist. Es ist aber auch gar nicht neu. Jeder von Ihnen weiß, daß alle Nachbarländer um uns herum diese Regelung haben. Herr Kollege Weng, wir wissen auch, daß in diesen Ländern, wo in der Regel private Gesellschaften die Träger dieser Investitionsmaßnahmen sind, nämlich für das, was wir hier machen wollen, genau diese Mittel auch für den Straßenbau verwandt werden. Das ist gar keine Frage. Genau das verlangen wir hier auch. Wir betreten insofern nicht völlig Neuland. Es ist ein Mosaikstein zur Verbesserung und Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur in diesem Lande.
Vielen Dank.
Nun hat die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Privatisierung des Bundesfernstraßenbaus ist in der Tat ein wenig hilfreicher Versuch mit ebenso hilflosen Mitteln. Es ist ein weiteres Steinehen im Mosaik des hektisch um sich greifenden Privatisierungswahns, in den die Bundesregierung verfallen ist.Offensichtlich hält sie die Privatisierung öffentlicher Aufgaben für ein Allheilmittel zur Sanierung ihrer leeren Kassen. Sie ist damit insofern erfolgreich, als es ihr gelingt, über diverse Schattenhaushalte Verwirrung über die tatsächlichen Verpflichtungen des Bundes und vor allen Dingen über die zukünftigen Belastungen zu stiften. Die reale Haushaltslage wird gekonnt verschleiert, frei nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.
— Das wird Ihnen wahrscheinlich verweigert werden.Niemand hat etwas gegen moderne Infrastruktur. Aber das heißt eben nicht nur Straßen. Der von den alten Bundesländern angemeldete Bedarf an Neuoder Ausbau von Bundesfernstraßen ist nicht nur mit Blick auf die neuen Bundesländer dringend zu begrüßen. Projekte wie z. B. die Untertunnelung des Ruhrgebiets sind schlicht und einfach Ausdruck einer Gigantomanie und werden keinen Deut dazu beitragen, die Verkehrsprobleme im Ruhrgebiet zu lösen. Dazu sind ganz andere Maßnahmen erforderlich. Ich verweise hier gerne auf den Entwurf der PDS/Linke Liste für ein ökologisch integriertes Gesamtverkehrskonzept.Minister Wissmann verwies in seiner Rede am 3. März auf Forderungen von Bürgerinitiativen auf Ortsumgehungen, die ihm täglich vorgetragen würden. Damit begründet er die vermeintliche Notwen-
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Dr. Dagmar Enkelmanndigkeit privat finanzierten Straßenbaus. Genau so werden die Leute für dumm verkauft. Das ist eigentlich genau das Problem, daß diese Kostenrechnung nicht bis zum Ende gemacht wird. Es geht nicht darum, dem einen oder anderen verkehrsgeschädigten Ort eine Umgehungsstraße zu finanzieren, sondern es geht um Großprojekte wie z. B. diesen Ruhrgebietstunnel, von dem sich die privaten Investoren versprechen, kräftig abkassieren zu können.Die Auswirkungen, die solche Großprojekte für Hunderttausende Betroffener haben — Stichwort neu induzierte Verkehre — interessieren nicht. Die einen betroffenen Bürgerinnen und Bürger sollen gegen die anderen ausgespielt werden, um die Kassen der privaten Kapitalgeber zum Klingen zu bringen.Darüber hinaus fordert das Bundesraumordnungsgesetz gleichwertige Lebensbedingungen. Wie wird diese Gleichwertigkeit garantiert, wenn plötzlich in einigen Regionen Mautzahlungen für die Benutzung der Infrastruktur fällig werden, die in anderen Regionen kostenlos zur Verfügung steht? Herr Waigel hat in einer Mitgliederversammlung der bayerischen Bauindustrie den Industriellen entsprechende vollmundige Versprechungen in Richtung Betreibermodell gemacht. Das ist die Zukunft, in die das ganze Ding geht.Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken, die von einigen Experten vor allen Dingen hinsichtlich des Vollständigkeitsgrundsatzes des Haushalts angemeldet werden, werden vom Tisch gefegt. Die Privatfinanzierung von Infrastruktur ist ein unseriöses und untaugliches Instrument. Sie wird um so unverständlicher, wenn die Bundesregierung in Projekte wie z. B. den Transrapid — er ist schon angesprochen worden —, die tatsächlich privat finanziert werden müßten, Millionen DM hineinbuttert.Es ist also höchste Zeit, daß der Verkehrshaushalt in Ordnung gebracht wird. Es muß gründlich geprüft werden, ob die Prioritätensetzung im Straßenbau stimmt. Beginnen wir endlich mit dieser so notwendigen Wende in der Verkehrspolitik.
Nun hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verkehrspolitik der Bundesregierung ist wieder einmal in argen Nöten. Ihr Bundesverkehrswegeplan, das größte Straßenbauprogramm seit Bestehen der Bundesrepublik, droht mangels Finanzmasse frühzeitig auszutrocknen.
Um sich den Anschein der Wahrung ihrer Wahlversprechen besonders in den neuen Bundesländern zu geben, also angeblicher Wirtschaftsaufschwung durch mehr Straßen, verfällt die Bundesregierung erneut auf eine Scheinlösung. Der Gesetzentwurf für den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private soll nichts weiter als Haushaltslöcher im Etat des Verkehrsministers durch Privatkapital schließen.
Anders als bei den bisher in einigen Ländern vom Bund begonnenen Modellen privat finanzierten Straßenbaus sollen sich die privaten Investoren durch die Erhebung einer Gebühr wieder refinanzieren und natürlich auch einen Gewinn einfahren. Ohne diese Nutzungsgebühr liefe der private Straßenbau zwangsläufig auf die Entstehung neuer Schattenhaushalte hinaus.
Um dies zu vermeiden, soll die Autobahngebühr kommen, zur Gewöhnung der Autofahrernation vorerst nur auf neu zu bauende Bundesstraßen mit Autobahncharakter. Wenn es wirklich darum ginge, dem Straßennutzer die vollen Wegekosten aufzubürden, wäre gegen diese Gebührenstrategie nicht viel einzuwenden. Doch von einer vollständigen Privatisierung des Straßennetzes, bei der die Nutzer eine Gebühr zu zahlen haben, die die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kosten des Infrastrukturangebotes voll deckt, bleibt der Koalitionsentwurf weit entfernt.
Jetzt soll nur das aufgeblähte Straßenbauprogramm in seinen Grundzügen gerettet werden. Die Umsetzung der Straßenbaupläne durch private Hilfe löst aber das Verkehrschaos nicht und wird unsere Umweltprobleme verschärfen.
Auch eine elektronische Maut für das ganze Autobahnnetz wird wohl mehr Probleme schaffen, als sie Geld für den Staat bringt. Die Maut dürfte durch Ausweichverkehre die Probleme auf den Landstraßen zudem verschärfen.
Außerdem unterscheidet eine Maut nicht zwischen Schnell- und Langsamfahrern und dem unterschiedlichen Benzinverbrauch der Fahrzeuge. Die Bundesregierung hat offenbar angesichts des explosiven Wachstums des Straßenverkehrs längst resigniert, und gestern in der Anhörung zum Transrapid haben Ihnen das die Gutachter auch bestätigt.
Herr Kollege Feige, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bauer?
Aber ich freue mich darauf.
Herr Kollege, nur eine ganz kurze Frage. Erklären Sie uns doch einmal bitte, oder sagen Sie uns einmal, wer die totale Privatisierung des gesamten Bundesfernstraßennetzes möchte.
Ich kann das ganz einfach formulieren: Ich habe nichts weiter als eine logische Konsequenz aus den Ergebnissen der Untersuchungen der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre im Verkehrsbereich formuliert. Diese sagt, daß die Internalisierung sämtlicher externer Kosten das eigentliche Prinzip wäre, um die CO2-Emission und ähnliche Probleme im Rahmen des Treibhauseffektes zu reduzieren.Die einzige Konsequenz könnte nur sein, daß der Autofahrer, der ein Auto benutzt und CO2 durch Verbrennung von Mineralöl erzeugt, für die Kosten
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Dr. Klaus-Dieter Feigeaufkommen muß. Die Forderung nach einer vollständigen Privatisierung des Straßennetzes hat keine Partei eröffnet, aber sie ist die logische Konsequenz daraus.Das einfache Lösungsprinzip würde darin bestehen: Verkaufen Sie doch sämtliche Straßen der Bundesrepublik Deutschland dem ADAC für eine Mark, der nämlich genau hinter dieser Forderung steckt, und lassen sie ihn für die Erhaltung, für den Betrieb und den Neubau sämtlicher Straßen aufkommen. Sie werden sehen, wie schnell dieses Prinzip funktioniert und wie deutlich wir um unsere Erhöhung von Steuern herumkommen.
Durch die Übergabe an private Investoren beginnt der Bund auch, sich aus seiner Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur zu verabschieden. Wer die Verkehrs- und Umweltprobleme aber wirklich lösen will, kann zu einem einfacheren und wirksameren Mittel greifen: zu unserem Mittel. Mit einer gezielten schrittweisen Erhöhung der Mineralölsteuer kann der Straßenverkehr durchaus verringert und gleichzeitig der Markt für sparsame Fahrzeuge eröffnet werden — neue Arbeitsplätze durch neue Märkte.Gleichzeitig brauchen wir einen neuen Bundesverkehrswegeplan, der ohne derart extremen Ausbau des Straßennetzes auskommt, zugunsten der Schiene. Privates Kapital ist dafür nicht notwendig. Aber einem solchen Abzockgesetz kann man nun wahrlich nicht ernsthaft zustimmen.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes auf den Drucksachen 12/6884 und 12/7555. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
— Drucksache 12/6753 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/7545 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Hansgeorg Hauser
Gerhard Schüßler Lydia Westrich
Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Hansgeorg Hauser das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir das Berufsrecht der Steuerberater weiterentwickeln. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich einmal aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die alten Standesrichtlinien der Rechtsanwälte als Grundlage für Eingriffe in die anwaltliche Berufsausübungsfreiheit formal und in einigen Bereichen auch inhaltlich verworfen hat. Diese Entscheidungen machen nicht nur eine Anpassung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, sondern aller rechts-, Steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe notwendig, da in der rechtlichen Ausgangslage keine substantiellen Unterschiede zwischen Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bestehen.Der Entwurf geht jedoch über das verfassungsrechtlich Notwendige, nämlich die Einführung einer verfassungskonformen Ermächtigungsgrundlage für Standesrecht, hinaus. In wichtigen Bereichen wird das Berufsrecht neugeordnet und fortentwickelt. Dabei halten wir an Grundsätzen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, fest.Da ist zunächst der Grundsatz der beruflichen Selbstverwaltung durch Berufskammern und der unabhängigen Berufsgerichtsbarkeit. Die neuen Standesrichtlinien sollen in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen von der Selbstverwaltung des Berufsstandes erarbeitet werden. Dies erfolgt durch ein neugeschaffenes Organ der Bundessteuerberaterkammer, nämlich der Satzungsversammlung, deren Besetzung eine demokratische Legitimation und breite Beteiligung aller Berufsangehörigen sicherstellt.Selbstverständlich halten wir auch an den zentralen Berufspflichten der steuerberatenden Berufe fest, nämlich Unabhängigkeit, Eigenverantwortung, Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit.Gleichwohl sind Reformen des Berufsrechts unabweisbar. Das Umfeld und die Tätigkeitsbereiche der Steuerberater haben sich in den letzten Jahren verän-
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Hansgeorg Hauser
dert. Im wesentlichen lassen sich hier drei Entwicklungstendenzen feststellen.Da ist einmal die zunehmende Internationalisierung der Beratung. Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, daß mit dem Fortschritt der europäischen Integration auch die Beratung über die Grenzen hinweg zunimmt. Dies bedeutet nicht nur, daß sich der deutsche Steuerberater verstärkt mit dem Steuerrecht unserer europäischen Partnerstaaten befassen muß, sondern daß er sich ebenfalls in zunehmendem Maße einer internationalen Beratungskonkurrenz ausgesetzt sieht.Zweitens macht die Notwendigkeit von Deregulierungsmaßnahmen auch vor dem Berufsrecht der Steuerberater nicht halt. Wie gesagt, wollen wir hier an den Kernbereichen des Berufsbilds der Steuerberater festhalten. Aber das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, gerade unter dem Gesichtspunkt der Deregulierung wettbewerbsbeeinträchtigende Regelungen im Berufsrecht abzubauen.Schließlich haben sich auch Veränderungen in den Berufsfeldern der traditionellen Steuerberatung ergeben. Dabei ist auf der einen Seite ein Trend zur Spezialisierung festzustellen, auf der anderen Seite aber auch das Bedürfnis nach einer Rundumberatung der Mandanten. Wir brauchen deshalb ein modernes, europataugliches und für die Zukunft offenes Berufsrecht, das die steuerberatenden Berufe in die Lage versetzt, sich auf sich ändernde Verhältnisse einzustellen und die Rahmenbedingungen für eine Chancengleichheit im nationalen und internationalen Wettbewerb sicherstellt.In diesem Zusammenhang möchte ich auf zwei Neuregelungen im Gesetzentwurf hinweisen, die mir als besonders wichtig erscheinen. Das ist einmal die Erweiterung der Werbebefugnis der Angehörigen der steuerberatenden Berufe. Es ist selbstverständlich, daß eine aggressive, in erster Linie auf Gewinnung neuer Mandanten gerichtete Werbung im Stile von Waschmittelreklame weiterhin nicht zulässig ist. Auf eine maßvolle Erweiterung der Werbebefugnis kann jedoch schon deshalb nicht verzichtet werden, weil andernfalls die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Berater im nationalen und internationalen Bereich empfindlich eingeschränkt würde.Eine sachliche, objektiv nachprüfbare Informationswerbung, wie sie die Rahmenbestimmung des Gesetzes nun vorsieht, entspricht auch dem Bedürfnis der Steuerpflichtigen nach mehr Information und Transparenz in bezug auf das Angebot der Dienstleistungen.Es obliegt nun dem Berufsstand, die Generalklausel des Gesetzes zu konkretisieren. Dabei kann es in erster Linie nicht darum gehen, mit ellenlangen kasuistischen Aufzählungen die Größe von Praxisschildern, die Gestaltung von Briefbögen etc. möglichst detailliert aufzulisten. Wichtigste Aufgabe der berufsständischen Selbstverwaltung muß es sein, auf ein von den Berufsangehörigen selbst getragenes Standesethos hinzuwirken, das den Maßstab für eine sachlich gebotene Informationswerbung im einzelnen festlegt und dem Berufsbild der steuerberatenden Berufe angemessen ist.Ein zweiter wichtiger Punkt ist die im Gesetz vorgesehene Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten der steuerberatenden Berufe. Im Unterschied zum alten Recht ist nunmehr grundsätzlich auch eine Sozietät oder eine Bürogemeinschaft mit allen Angehörigen rechts- und wirtschaftsberatender Berufe möglich, die einer Berufskammer angehören.Der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dient auch die im Gesetz vorgesehene Erweiterung dieser Kooperationsmöglichkeiten auf internationale Sozietäten mit ausländischen Steuerberatern, Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern. Ich bin überzeugt, daß wir diese Kooperationsmöglichkeiten in einer späteren Novellierung nochmals erweitern müssen.Noch einige Worte zum Änderungsantrag, den die SPD eingebracht hat bzw. zur zweiten Lesung einbringen wird. Dieser Änderungsantrag zielt darauf ab, Bilanzbuchhaltern und Buchführungshelfern die Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen zu gestatten. Das Problem ist in dem Expertenhearing und in den Sitzungen des Finanzausschusses ausführlichst erörtert worden. Ich will deshalb nur einige wichtige Argumente gegen diese Maßnahmen nennen.Sie begründen Ihren Antrag im wesentlichen damit, daß die Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldung bei kleinen und mittleren Unternehmen in der Regel ein Abfallprodukt der laufenden Buchführung darstelle, für das keine weiteren Nebenrechnungen erforderlich sind, und daß dies deshalb auch von Bilanzbuchhaltern und Buchführungshelfern sachgerecht geleistet werden könne.Das ist in dieser Form einfach nicht richtig. Umsatzsteuervoranmeldungen sind Steuererklärungen. Zur sachgerechten Erstellung bedarf es regelmäßig zusätzlicher Feststellungen und Berechnungen, die eine umfassende Kenntnis des Steuerrechts voraussetzen, wie z. B. die Prüfung der Voraussetzungen für bestimmte Umsatzsteuerbefreiungen, Möglichkeiten der Option, Feststellung des Eigenverbrauchs usw. usf.Mit der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und der Neuregelung der Umsatzbesteuerung des Wirtschaftsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft ist das Umsatzsteuerrecht nochmals erschwert und verkompliziert worden. Wir haben das schon einige Male beklagt. Es ist in einem Ausmaß verkompliziert worden, daß wir es als eine der Hauptaufgaben der im Sommer beginnenden deutschen EG-Präsidentschaft ansehen, das EG-Umsatzsteuerrecht zu vereinfachen und für die Betroffenen praktikabler zu machen. Wer angesichts dieser Rechtslage immer noch behauptet, die Umsatzsteuervoranmeldung sei ein Computerabfallprodukt, hat von dieser Sache keine Ahnung.Ich möchte noch ein zweites Argument nennen, nämlich die Selbständigkeit des Steuerberaters. Die Buchführungshelfer und Bilanzbuchhalter streben in der Regel keine Selbständigkeit an, sondern wollen weiterhin im Angestelltenverhältnis tätig sein und vor allem — das ist der entscheidende Punkt dabei — weiterhin auch gewerblich tätig sein. Das kann absolut nicht hingenommen werden. Wir haben einen Einheitsberuf des Steuerberaters geschaffen und auch
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Hansgeorg Hauser
entsprechende Urteile des Verfassungsgerichts dazu bekommen. In den Grundsatzentscheidungen von 1980 und 1982 ist eindeutig klargestellt, welche Tätigkeiten von Bilanzbuchhaltern und Buchführungshelfern ausgeübt werden dürfen. Wir sollten uns an diese Rechtsprechung halten.Es ist nicht richtig, daß wir den Bilanzbuchhaltern den Zugang zum Steuerberatungsberuf erschweren wollen. Vielmehr haben wir angeboten, daß der Zugang unter Zugrundelegung der Bilanzbuchhalterprüfung zumindest in diesem einen Fach entsprechend vereinfacht wird. Das müssen wir entsprechend nachprüfen. Das werden wir, wenn das gewünscht wird, gerne auch in einem weiteren Gesetzentwurf einbringen, so daß wir nicht davon reden können, daß wir den Bilanzbuchhaltern hier eine Ausweitung der Tätigkeit verweigern wollen.
Als nächstes hat unsere Kollegin Lydia Westrich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer unsere komplizierte Steuergesetzgebung kennt, der weiß, es ist für einen normalen Bürger fast unmöglich, sie zu durchschauen und korrekt Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Ohne Berater sind die meisten Steuerpflichtigen heute hilflos dem Dschungel der Steuergesetzgebung ausgeliefert.Für die SPD-Fraktion ist es deshalb wichtig, daß mit dem heute zu verabschiedenden 6. Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes viele notwendige berufsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden können, um im Rahmen der bundesdeutschen und der europäischen Entwicklung der letzten Jahre die erforderliche Sicherstellung einer umfassenden und qualifizierten rechtlichen Beratung der Steuerpflichtigen zu ermöglichen.Viele wichtige Schritte sind in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf bereits gemacht worden. Ich will hier trotz der ausführlichen Darstellung des Kollegen Hauser, die ich nicht abschließend wiederholen will, einige beispielhaft aufführen.Wir haben die abschließende Regelung der endgültigen Eingliederung der nach dem DDR-Recht bestellten Steuerberater und Steuerbevollmächtigten in § 40a des Gesetzes bewirkt. Auch die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der steuerberatenden Berufe wird durch eine maßvolle Auflockerung berufsrechtlicher Regelungen verstärkt. Das wird erreicht durch die Gestattung einer maßvollen Informationswerbung, durch die Zulassung der Gründung auch überörtlicher und internationaler Sozietäten sowie durch die Schaffung der Möglichkeit, daß Steuerberater und Steuerbevollmächtigte auch als Angestellte ausländischer rechts- und wirtschaftsberatender Berufe arbeiten dürfen, und dadurch, daß Steuerberater neben ihrer Hauptniederlassung auch weitere Beschäftigungsstellen, auch am selben Ort, unterhalten können.Noch viele weitere sinnvolle berufsrechtliche Änderungen, wie die Satzungsversammlung, sind mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden.Mir geht es hauptsächlich darum, aufzuzeigen, daß mit dem Gesetzentwurf wichtige und sinnvolle Änderungen auf dem Gebiet der Steuerberatung zum Schutze und zum Nutzen des steuerpflichtigen Bürgers, aber auch zum Vorteil des Steuerberaterberufes bewirkt werden.Besonders erfreulich ist die Ausweitung der Beratungsbefugnisse der Lohnsteuerhilfevereine auf alle die Fälle, bei denen Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den neuen Besteuerungsgrenzen von 6 100 DM bzw. 12 200 DM vorhanden sind. Dies ist eine sinnvolle Änderung, um den Belangen gerade der niedrigverdienenden Steuerpflichtigen Rechnung zu tragen.Nichtsdestotrotz, bei aller Einigkeit im Finanzausschuß gibt es — dies haben Sie schon angesprochen — noch einen wichtigen Aspekt, der im Ausschuß keine Mehrheit finden konnte, weswegen wir unseren Antrag eingebracht haben. Er muß im Rahmen dieses Änderungsgesetzes unbedingt Berücksichtigung finden. Dabei handelt es sich um die Frage, ob und in welchem Rahmen die Befugnisse der geprüften Bilanzbuchhalter und Buchführungshelfer erweitert werden können. Zur Beantwortung dieser Frage komme ich wieder auf den Beginn meiner Ausführungen zurück. Auf Grund der komplizierten und oft völlig undurchsichtigen Steuergesetzgebung ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich die 54 000 Steuerberater in der Bundesrepublik zur Zeit und wohl auch noch in ferner Zukunft vor Arbeit kaum mehr retten können. Dabei darf nicht übersehen werden, daß es sich bei einem Teil der erforderlichen Tätigkeiten doch um reine Routinearbeiten handelt. Diese Routinearbeiten, wie z. B. die Erstellung der laufenden Umsatzsteuervoranmeldungen, die bei kleinen und mittleren Unternehmen in aller Regel doch ein Abfallprodukt der laufenden Buchführung darstellen,
dürfen nach der geltenden Rechtslage gemäß § 5 Steuerberatungsgesetz als unbefugte Hilfeleistung in Steuersachen von Bilanzbuchhaltern und Buchführungshelfern unter Zwangsgeldandrohung nicht durchgeführt werden. Einzig die Verbuchung lauf ender Geschäftsvorfälle ist den Bilanzbuchhaltern gestattet.Man muß einfach sehen, daß es sich bei dieser Kompetenzeinschränkung um eine realitätsfremde und von der Wirklichkeit in unserem Land doch längst überholte Regelung handelt, der es auch an der erforderlichen Sachlichkeit mangelt. Die selbständig tätigen Bilanzbuchhalter und Buchführungshelfer müssen, um in ihrem Betrieb laufende Geschäftsvorfälle verbuchen zu können, zunächst einmal die Buchführung einrichten und einen Kostenplan aufstellen lassen.Es ist doch einfach abwegig, davon auszugehen, daß der Unternehmer, dessen Geschäftsvorfälle verbucht werden sollen, seine Buchführung selbst auf der EDV-Anlage des selbständigen Bilanzbuchhalters
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Lydia Westricheinrichtet, damit der extra beauftragte Fachmann dann die laufende Verbuchung vornehmen kann. Genauso unrealistisch ist es, anzunehmen, daß ein Dritter, der nach dem Steuerberatungsgesetz dazu befugt wäre, für diese Tätigkeit noch zusätzlich herangezogen wird.Die Realität sieht doch schon lange Zeit anders aus. Besonders in Kleinbetrieben werden die von mir soeben aufgezählten Tätigkeiten regelmäßig auch von Buchführungshelfern und Bilanzbuchhaltern durchgeführt.
— Das ist illegal. Dies geschieht nicht zuletzt auch deshalb, weil die Helfer für einen Buchungssatz oft nur eine Gebühr von 50 Pfennig verlangen, Steuerberater dagegen für die gleiche Tätigkeit oft mehr als das Doppelte abrechnen.
In München sind sogar 4 Mark pro Buchungssatz bei den Steuerberatern keine Seltenheit.Nicht nur für den Berufsstand der Bilanzbuchhalter, sondern auch zum Vorteil der auf diese Tätigkeiten angewiesenen Unternehmer ist es nach der Überzeugung der SPD-Bundestagsfraktion endlich an der Zeit, die Bilanzbuchhalter- und Buchführungshelfertätigkeit vom Makel der Illegalität zu befreien.
Mit dem hier zur Debatte stehenden Änderungsantrag der SPD-Fraktion soll daher eine offensichtlich unsachgemäße gesetzliche Forderung, gegen die in der Praxis in vielen Fällen zwangsläufig verstoßen wird, beseitigt werden. Der Antrag soll nur dazu beitragen, daß das geltende Recht in Einklang gebracht wird mit den sich aus der Sache ergebenden vernünftigen Arbeitsabläufen und der bereits bestehenden Praxis.Ich möchte nur noch einmal klarstellen, daß es sich bei diesem Antrag keinesfalls darum handelt, dem Berufsbild des Steuerberaters zu schaden. Das Gegenteil ist der Fall. Die steuerberatenden Berufe sollen von oft routinemäßigen Tätigkeiten entlastet werden, um ihre Kraft ganz den Steuerpflichtigen zuwenden zu können.Auf der anderen Seite ist natürlich zu bedenken — wie Sie schon angesprochen haben —, daß die korrekte Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen eine umfassende Kenntnis des Umsatzsteuerrechts voraussetzt. Es wurde in der Diskussion, auch im Ausschuß, schon oft angeführt, daß die Steuerberatung als Teil der Rechtsberatung ein wichtiges Gemeinschaftsgut ist, das es rechtfertigt, die Hilfeleistung in Steuersachen nur solchen Berufen anzuvertrauen, deren Angehörige ihre Qualifikation nachgewiesen und die bestimmte Berufspflichten übernommen haben. Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß auch die geprüften Bilanzbuchhalter ihre Abschlüsse vor der Industrie- und Handelskammer nach dem Berufsbildungsgesetz ablegen und dort — nach glaubhafter Darstellung des Deutschen Industrie- und Handelstages — ausreichende Fähigkeiten erwerben,
um die von der SPD geforderten zusätzlichen Tätigkeiten sachgerecht ausführen zu können.Ich will es noch einmal betonen: Es geht hier allein um die zusätzlichen Möglichkeiten der Buchführungseinrichtung und der Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen.
Es gibt tatsächlich Leute, die Buchführung gerne machen und den Steuerberaterberuf nicht anstreben.Auch der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft steht dem Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zur mäßigen Erweiterung des Aufgabenfeldes sehr positiv gegenüber.
Wie der DIHT ist auch er der Überzeugung, daß die geprüften Bilanzbuchhalter hinreichend qualifiziert sind, die beiden zusätzlichen Tätigkeitsbereiche sachgerecht auszuführen.Die maßvolle Erweiterung ist nicht nur auf Grund der gewährleisteten Qualifikation gerechtfertigt, sondern darüber hinaus auch aus bildungspolitischen Erwägungen überaus sinnvoll und notwendig. Wenn man sieht, daß die Anzahl der Studenten immer weiter zunimmt, obwohl in Lehrberufen die Auszubildenden fehlen — und das wird oft in Sonntagsreden auch gesagt —, dann muß auch dafür Sorge getragen werden, daß denjenigen, die sich beruflich fortbilden, adäquate Berufs- und Karrierechancen, gerade auch im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit, eingeräumt werden können.
Zum Abschluß möchte ich noch einmal für den Beruf der Buchführungshelfer einen Vergleich mit den Regelungen im Ausland ziehen. In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind die betreffenden Bestimmungen sehr viel großzügiger gefaßt. Aber es ist natürlich keine Lösung, Buchführungshelfer und Bilanzbuchhalter auf die Möglichkeit der Niederlassung im europäischen Ausland hinzuweisen. Hier sind sinnvolle und praktikable Wege aufzuzeigen. Die mäßige Erweiterung des Aufgabenfeldes ermöglicht zudem — das wissen Sie ja — einen leichteren Zugang zur Steuerberaterprüfung. Bei so vielen Vorteilen und nur vermuteten Nachteilen kann ich die Damen und Herren von der Koalition nur dazu auffordern, sich nicht gegen den Änderungsantrag der SPD zu sperren, sondern versuchen Sie, mit uns und dem Bundesbildungsminister das sechste Änderungsgesetz zu einem sinnvollen Abschluß zu bringen.Vielen Dank.
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19820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Nun hat unser Kollege Gerhard Schüßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzausschuß hat sich in mehreren Sitzungen und auch in der öffentlichen Anhörung intensiv mit der Änderung des Steuerberatungsgesetzes beschäftigt. Das Ergebnis der Ausschußarbeit zeigt weitgehende Übereinstimmung zwischen Koalition und Opposition, bis auf einen Punkt: die Erweiterung der Arbeitsmöglichkeiten für Bilanzbuchhalter und Buchführungshelfer.
— Die Opposition. Ja, das ist richtig.
Aber lassen Sie mich zunächst die anderen Elemente der Reform erwähnen, die für das Steuerberatungswesen von Bedeutung sind. Die Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß einer Standesrechtssatzung ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes notwendig geworden. Die jetzt vorgesehene Regelung sieht in diesem Zusammenhang einen Genehmigungsvorbehalt des Bundesfinanzministeriums vor.
Des weiteren dürfen Steuerberater und Steuerbevollmächtigte in Zukunft in engen Grenzen werben und sich mit anderen rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen in Sozietäten zusammenschließen. Das ist eine gute Sache, die dem Kunden nutzen wird, und sie ist auch im Hinblick auf die Deregulierungsbemühungen eingefordert und nun umgesetzt worden. Sie ist auch eine gelungene Antwort im Rahmen der europäischen Einigung.
Bei den Beratungen ist deutlich geworden, daß eine neue Übergangsregelung notwendig ist, um Steuerberatung in den neuen Bundesländern nicht unnötig zu erschweren. Abweichend vom ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir im Rahmen der Ausschußarbeit deshalb eine Übergangsfrist vorgesehen, die rechtzeitig vor Ablauf des Jahres 1995 überprüft wird. Wir schaffen hier keine Fakten unabhängig von der realen Entwicklung — das ist richtig —, da niemand den Aufbau lückenloser Steuerberatung vorhersehen kann. Wir geben damit auch ein sinnvolles Signal in Richtung der in den neuen Bundesländern engagierten Steuerberater. Mit dieser Maßnahme wird ein erhebliches Beratungsdefizit und ein Verlust von Ausbildung und Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern vermieden.
Die Steuerberater können sicher sein, daß wir auch 1995 eine Lösung im Sinne der Steuerberatung und der Verbraucher treffen werden.
Den vorliegenden SPD-Antrag, meine Damen und Herren, zur Erweiterung der Befugnisse der Bilanzbuchhalter und Buchführungshelfer lehnen wir ab.
Die Vorschläge der SPD würden die bestehende Systematik, die sinnvolle Arbeitsteilung unnötig verändern. Wer Steuerberatung leisten will, meine Damen und Herren, soll nach Meinung der F.D.P. die Steuerberaterprüfung ablegen. Der Antrag der SPD ist ein erster Schritt, diesen Grundsatz aufzuweichen. Wir lehnen es auch deshalb ab, weil die Bilanzbuchhalter anstreben, sowohl im Angestelltenstatus als auch gewerblich tätig zu sein. Bei dem SPD-Antrag handelt es sich nur um eine Etappe auf dem Weg zur Erreichung dieses Gesamtziels, wobei letztlich die Genehmigung der Steuerberatung ohne den Nachweis entsprechender Prüfung angestrebt wird. Das ist auch mit der geltenden Rechtsprechung nicht vereinbar. Auch die Bilanzbuchhalter müssen sich an ihrem gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenfeld orientieren.
Offenbar wird nicht erkannt, daß Steuerberater für ihre in freiberuflicher Tätigkeit erbrachten Leistungen verantwortlich sind, wohingegen im Falle der Erstellung einer Bilanz durch Angestellte in der Regel der Eigentümer des Unternehmens haftbar gemacht werden kann. Eine Verwischung der klaren und richtigen Trennung wäre ein großer Fehler. Für geprüfte Bilanzbuchhalter sollte nach unserer Meinung allerdings eine Erleichterung bei den Klausuren zur Steuerberaterprüfung vorgesehen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch deswegen lehnen wir den Antrag der SPD ab. Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschußfassung stimmen wir zu.
Meine Damen und Herren, um die Zukunft der steuerberatenden Berufe brauchen wir uns in diesem Hohen Hause keine Sorgen zu machen,
auch dann nicht, Herr von Larcher, wenn wir das tun, was dringend geboten ist, nämlich Steuergesetze abzuschaffen und über Steuervereinfachung nicht nur zu reden, sondern sie auch umzusetzen.
In dieser Legislaturperiode haben wir dafür — da sind wir uns sicherlich einig — kein gutes Beispiel geliefert.
Meine Damen und Herren, bevor ich der Abgeordneten Dr. Höll das Wort gebe, möchte ich Sie kurz über die Geschäftslage informieren. Nach meinen jetzigen Feststellungen werden zu Tagesordnungspunkt 17 alle Redebeiträge zu Protokoll gegeben. Das heißt, ich wäre den Geschäftsführern dankbar, wenn sie dafür Sorge tragen würden, daß die Redner für den nachfolgenden Punkt anwesend sind, denn sonst ist die dankenswerterweise erwirtschaftete Zeit vertan.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19821
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergIch erteile nun der Abgeordneten Frau Dr. Höll das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste kann diesem Gesetzentwurf aus zwei Gründen nicht zustimmen. Wir verkennen zwar durchaus nicht, daß sich die Bundesregierung und der Finanzausschuß gegenüber den zumeist berechtigten Änderungsvorschlägen des Bundesrates aufgeschlossen gezeigt haben, halten aber den jetzt gefundenen Kompromiß nicht für eine Dauerlösung.
Ich komme zum ersten Punkt. Die Bundesregierung hatte zunächst vorgesehen, Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR, die in den neuen Ländern zur Leiterin bzw. zum Leiter der Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins bestellt werden, keine längere Übergangsfrist über den 31. Dezember 1994 hinaus zu gewähren, um ihnen den gesetzlich geforderten Nachweis der fachlichen Eignung möglich zu machen. Das bundesdeutsche Steuerrecht war ja erst ab 1991 in den neuen Bundesländern anzuwenden. Deshalb werden nur sehr wenige Beratungsstellenleiterinnen und -leiter bis zum 31. Dezember 1994 die geforderte dreijährige berufliche Tätigkeit nachweisen können.
Der Bundesrat hatte deshalb angeregt, diesem Personenkreis eine Fristverlängerung bis zum 1. Januar 1998 zu ermöglichen. Die Bundesregierung hatte diesem Vorschlag im Grundsatz zugestimmt, allerdings vorgeschlagen, diese Ausnahmeregelung nur bis zum 1. Januar 1997 zu verlängern. Kein Verständnis habe ich nun jedoch dafür, daß sich der Finanzausschuß nur auf eine Verlängerung um ein Jahr bis zum 31. Dezember 1995 geeinigt und zugleich kategorisch ausgeschlossen hat, diese Sonderregelung noch weiter auszudehnen. Wenn man berücksichtigt, daß die Veranlagung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der ehemaligen DDR erstmals 1992 erfolgte und viele Beratungsstellenleiterinnen und -leiter entweder aus beruflicher Unsicherheit oder Unkenntnis ihre Tätigkeit erst spät aufnahmen, dann wird klar, daß sie auch bis zum 31. Dezember 1995 wohl kaum auf eine dreijährige Tätigkeit zurückgreifen können.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf zweitens auch deshalb ab, weil sowohl die Bundesregierung als auch der Finanzausschuß nicht dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt sind, die Ausnahmeregelung für weitere Beratungsstellen von Steuerberaterinnen und -beratern in den neuen Bundesländern, die ihren Sitz nicht am Ort oder in dessen Nahbereich haben, zu verlängern. Der Bundesrat hatte unter Hinweis darauf, daß diese Beratungsstellen nach Auslaufen der Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 1993 geschlossen werden müßten, vorgeschlagen, eine Ausnahme bis zum 31. Dezember 1998 zuzulassen. Da in den neuen Ländern gegenwärtig 4 000 bis 5 000 Beratungsstellen etwa 1 bis 1,5 Millionen Haushalte, das sind also etwa 3 Millionen abhängig Beschäftigte, steuerlich betreuen, würde eine Schließung vieler Beratungsstellen nicht nur ein erhebliches Beratungsdefizit hervorrufen, sondern auch viele Beratungsstellenleiterinnen und -leiter in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Die PDS/Linke Liste unterstützt den Vorschlag des Bundesrates, der sich mit den Forderungen des Deutschen Steuerberaterverbandes deckt. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn dann vom Vorsitzenden des Finanzausschusses die vom Vorsitzenden des Deutschen Steuerberaterverbandes, Herrn Pinne, vorgeschlagene Verlängerung dieser Ausnahmeregelung bis zum Jahre 1998 mit der lapidaren Bemerkung abgekanzelt wird, diese erscheine ihm als — ich zitiere — „zu lang". Ich muß sagen, die Lobby der Versicherungswirtschaft konnte im Finanzausschuß offene Türen einrennen und jede Hürde nehmen, um sich ein Gesetz nach ihrem Gusto zu schneidern — das haben wir nun verabschiedet —, wovon Steuerberater und Lohnsteuerhilfevereine jedoch nur träumen können.
Trotz kleiner Verbesserungen im Detail, die wir anerkennen, lehnen wir diesen Gesetzentwurf deshalb ab.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich kann jetzt zur Abstimmung kommen, weil der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Grünewald dankenswerterweise angekündigt hat, daß er seine Rede, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, zu Protokoll gibt. *) Darum frage ich Sie: Sind Sie damit einverstanden? — Das Haus ist damit einverstanden.Damit kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes. Dies liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6753 und 12/7545 vor. Zu dieser Vorlage gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Dieser liegt Ihnen auf Drucksache 12/7573 vor.Ich lasse zunächst über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?— Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Nunmehr bitte ich diejenigen, die der Gesetzesvorlage in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Dagegen? — Enthaltungen?— Dann ist das Gesetz gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste in zweiter Lesung angenommen worden.Wir kommen nunmehr zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Dann ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in zweiter Lesung angenommen.Nun komme ich zu Tagesordnungspunkt 17:a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 164 der Internationalen Arbeitsorganisa-*) Anlage 5
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19822 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergtion vom 8. Oktober 1987 über den Gesundheitsschutz und die medizinische Betreuung der Seeleute— Drucksache 12/7188 —Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 161 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1985 über die betriebsärztlichen Dienste— Drucksache 12/7191 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 12/7546 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Alexander Warrikoffb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜbereinkommen 163 über die soziale Betreuung der Seeleute auf See und im Hafen Empfehlung 173 betreffend die soziale Betreuung der Seeleute auf See und im Hafenzu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜbereinkommen 165 über die soziale Sicherheit der Seeleute— Drucksachen 12/6681, 12/6682, 12/7546 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Alexander WarrikoffIn der Tagesordnung war versehentlich die Beratung der Berichte zu den Übereinkommen über die Heimschaffung der Seeleute angegeben. Diese sind jedoch im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung noch nicht abschließend bearbeitet worden. Kann ich davon ausgehen, daß wir heute statt dessen die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur sozialen Betreuung der Seeleute beraten können? — Offensichtlich ist das der Fall. Dann ist das so beschlossen.An sich hätten wir nun eine Aussprache von einer halben Stunde. Diese erübrigt sich aber, wenn Sie zustimmen, daß folgende Reden zu Protokoll genommen werden: erstens vom Abgeordneten Wolfgang Engelmann, zweitens vom Abgeordneten Günther Heyenn, drittens von der Abgeordneten Dr. Gisela Babel und viertens vom Parlamentarischen Staatssekretär Horst Günther. * ) Wenn ansonsten keine Redewünsche vorhanden sind — das ist offensichtlich der Fall —, frage ich, ob das Haus mit diesem Verfahren einverstanden ist. — Auch das ist der Fall.Dann, meine Damen und Herren, kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über die betriebsärztlichen Dienste. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7191 vor. Der Ausschuß für Arbeit und*) Anlage 6Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7546 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Wer dem Gesetzentwurf — es handelt sich um ein internationales Abkommen — zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit hat das Haus den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/7191 einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über den Gesundheitsschutz und die medizinische Betreuung der Seeleute. Das ist Drucksache 12/7188. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7546 ebenfalls unter Nr. 1, auch diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Hier gilt das gleiche Verfahren wie eben: Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7546 empfiehlt der Ausschuß schließlich, die Unterrichtung durch die Bundesregierung über die soziale Betreuung der Seeleute auf See und im Hafen sowie die Übereinkommen über die soziale Sicherheit der Seeleute zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:7. Erste Beratung des von der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994
— Drucksache 12/7565 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Frauen und JugendAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPDVerbesserung des Ärztlichen Dienstes und der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit— Drucksachen 12/2142, 12/3593 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Christoph SchnittlerNach einer interfraktionellen Vereinbarung wird Ihnen empfohlen, für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Auch das ist offensichtlich der Fall.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19823
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergDann kann ich die Debatte eröffnen. Zunächst hat der Abgeordnete Adolf Hörsken das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen hat der Deutsche Bundestag mehrheitlich das Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 beschlossen. Er hat dieses Gesetz entsprechend der Beschlußformel als ein Gesetz beschlossen, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.Nun macht der Bundesrat geltend, daß in einem Teil des Beschäftigungsförderungsgesetzes, nämlich in der Änderung des Schwarzarbeitgesetzes, eine Vorschrift enthalten sei, die das ganze Gesetz zustimmungsbedürftig mache. Die Änderung des Schwarzarbeitgesetzes beruht auf einer Initiative der Wirtschaftsminister der Länder. Daraufhin wurde der Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorbereitet. Er sah keine Zustimmung der Länder vor. Dem haben die Länder damals zugestimmt, so wie sie jetzt auch der Änderung des Schwarzarbeitgesetzes zustimmen wollen. Aber nun wollen sie diese Regelung benutzen, um das Beschäftigungsförderungsgesetz zu torpedieren.Am Arbeitsmarkt haben wir eine ernste, eine schlimme Entwicklung. Trotz anziehender Konjunktur wird die Arbeitslosigkeit nicht automatisch drastisch gesenkt werden können. Deswegen müssen alle Maßnahmen darauf gerichtet sein, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Wir brauchen eine Aufbruchstimmung, um zusätzliches Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Dies ist die beste Vorsorge für die Zukunft des Industriestandortes Deutschland.Wer sich der Innovation verweigert, verspielt die Chancen zur besseren Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Unser Platz in der Spitze der Weltwirtschaft und das Ziel, unseren Lebensstandard zu erhalten, verpflichten uns, in wichtigen Bereichen technologisch und organisatorisch besser zu sein als andere. Dabei geht es um die Sicherung der deutschen Position auf den Weltmärkten.Die deutsche Wirtschaft ist in hohem Maße exportabhängig: Jeder dritte Beschäftigte arbeitet bereits für den Export. Ein Beispiel: In den Vereinigten Staaten von Amerika ist das bei jedem neunten der Fall.Viele Einzelfaktoren sind für die Wettbewerbsfähigkeit erforderlich. Einen wichtigen Beitrag haben die Tarifpartner in diesem Jahr durch ihre maßvollen Tarifabschlüsse erbracht.Schon im letzten Jahr haben wir entscheidende Gesetze verabschiedet und auf den Weg gebracht: das Standortsicherungsgesetz, das die Steuern auf Gewerbeerträge senkt und somit Geld für arbeitsplatzschaffende Investitionen freimacht; das neue Gentechnikgesetz, das uns in dieser wichtigen Schlüsseltechnologie neue Chancen eröffnet, ohne Abstriche beim Umweltschutz und bei der Sicherheit; die Bahnreform, die nicht nur den Verkehr auf unseren Straßen, sondern auch die Bundeskasse, also den Steuerzahler, entlasten wird; das neue Arbeitszeitgesetz, das die veraltete und unflexible Arbeitszeitregelung aus den 30er Jahren ablöst und den Tarifparteien undBetriebspartnern neue und flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten gibt.Hinzu kommt die günstige Zinsentwicklung auf dem Kapitalmarkt. Die beträchtlich niedrigeren Zinsen liegen in der Nähe ihres tiefsten Standes in den letzten 30 Jahren.Mit diesen vielfältigen Maßnahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994 werden wesentliche Voraussetzungen für die Festigung der konjunkturellen Entwicklung und eine Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsaussichten geschaffen.
— Ob Sie von der SPD es glauben oder nicht, Herr Kollege Gilges: Wir sind auf dem Wachstumspfad.
1 % Wachstum in Westdeutschland, 7,5 % in Ostdeutschland, 13 % allein in der ostdeutschen Industrieproduktion.
Ich kann mir vorstellen, daß die SPD mit diesen Zahlen noch Schwierigkeiten haben wird, weil ihre Horrorszenarien nicht mehr glaubwürdig sind.
Die jüngsten Wirtschaftsprognosen der führenden deutschen Forschungsinstitute belegen eindeutig, daß sich der Wachstumspfad ausdehnen wird. Diese konjunkturelle Erholung gilt es nicht zu verspielen, sondern mit gesetzgeberischen Maßnahmen zu flankieren und nachhaltig zu unterstützen. Unser Kampf gegen Arbeitslosigkeit muß weitergehen. Die Politik kann das Problem der Arbeitslosigkeit jedoch nicht allein lösen. Sie kann nur einen vernünftigen Rahmen setzen, damit die Wirtschaft floriert und Arbeitsplätze geschaffen werden.Wer sich aber wie die SPD dieser Rahmengebung verweigert, stiehlt sich aus der Entscheidung und der Verantwortung. Lafontaine stellt alles auf den Prüfstand, auch die sozialen Leistungen, Kollege Dreßler behauptet das Gegenteil, und Scharping erklärt: Beide haben recht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann es nicht sein. Dieses Hin und Her der Sozialdemokraten hilft uns nicht.
Oder anders gesagt: Eine konjunkturelle Entwicklung mit positiven Daten paßt den Sozialdemokraten nicht ins Wahlkampfkonzept.
Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz werden viele Ideen verwirklicht, die die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes verbessern helfen. Wir sichern damit bestehende Arbeitsplätze, und wir schaffen damit neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten.
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19824 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Heinz-Adolf HörskenZu diesen neuen Ideen gehört das Überbrückungsgeld, das seit 1986 Arbeitslosen beim Übergang in die Selbständigkeit gezahlt wird. Von Existenzgründern und Klein- und Mittelbetrieben kommen vor allem die Arbeitsplätze für Arbeitslose — eine bekannte Tatsache. Dieses Überbrückungsgeld hat sich bewährt, und wir wollen die Leistungsdauer gesetzlich auf 26 Wochen erhöhen, nachdem der Verwaltungsrat der Bundesanstalt sie auf 10 bis 15 Wochen beschränkt hat.Zu diesen neuen Ideen gehört auch die produktive Arbeitsförderung nach § 249h AFG, mit deren Hilfe wir in Ostdeutschland innerhalb eines Jahres 83 000 Arbeitsmöglichkeiten im Umweltbereich und Sozialbereich für Arbeitslose geschaffen haben. Diese Möglichkeit soll durch das Beschäftigungsförderungsgesetz auf Westdeutschland übertragen werden. Nun will der Bundesrat dieses Instrument ablehnen, weil zu dem Zuschuß der Bundesanstalt von rund 3 000 DM je Arbeitsplatz öffentliche Mittel von Ländern und Kommunen erforderlich sind. Ist das ein Lösungsbeitrag zur Minderung der Arbeitslosigkeit? Dies macht deutlich, daß man die SPD an ihren Taten in den Ländern und nicht an ihren Worten im Bund messen muß.
Arbeitslosenhilfe soll weiter gewährt werden, wenn freiwillige Gemeinschaftsarbeiten verrichtet werden.Die Gewährung einer Saisonarbeitnehmerhilfe in Höhe von 25 DM pro Tag für Arbeitslosengeldbezieher wird eingeführt, um endlich eine zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit in zeitlich befristeten Saisonverhältnissen zu ermöglichen.
Bei diesen Maßnahmen soll für die Landwirtschaft der gültige Tariflohn gezahlt werden. Ich glaube, hierin sind wir völlig einer Meinung; wir haben das ja gemeinsam beschlossen.Die illegale Beschäftigung wird durch folgende Maßnahmen besser bekämpft: Verstärkung der Möglichkeit zur Aufdeckung und Verfolgung der Schwarzarbeit, Belegung der Generalunternehmen mit Bußgeld, wenn die Subunternehmer bei der Weitergabe von Bauaufträgen ausländische Arbeitnehmer ohne erforderliche Arbeitserlaubnis einsetzen, Ausschluß der Unternehmen, die sich an illegaler Beschäftigung beteiligen, von der Vergabe öffentlicher Aufträge. Ich könnte noch eine Reihe weiterer Punkte mit neuen Lösungsansätzen durch das Beschäftigungsförderungsgesetz aufzählen.Wir sind mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz auf dem richtigen Weg. Wie schon im letzten Jahr haben wir zur Verbesserung der nationalen Rahmenbedingungen entscheidende Gesetze verabschiedet und auf den Weg gebracht. Unser Kampf gegen die Arbeitslosigkeit muß weitergehen und wird weitergehen.Vor zehn Jahren lag der Anteil der Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik — ausdrücklich sage ich noch einmal: für die aktive Arbeitsmarktpolitik — am Gesamthaushalt der Bundesanstalt für Arbeit bei lediglich 20 %. Er beträgt jetzt rund 42 %. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Die Ausgaben der Bundesanstalt für die Arbeitsmarktpolitik lagen 1982 bei 9,1 Milliarden DM, jetzt sind es über 54 Milliarden DM.Noch nie wurde in Deutschland ein solch enormer Betrag zur Förderung von Arbeitsplätzen und für die Qualifizierung ausgegeben. Allein in diesem Jahr sind es rund 54 Milliarden DM.Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind es 9,6 Milliarden DM, mit denen wir im Westen 55 000 und im Osten 210 000 Beschäftigte in AB-Maßnahmen finanzieren.Für Fortbildung und Umschulung — einschließlich Einarbeitungszuschuß — sind es 14,8 Milliarden DM, mit denen 290 000 Menschen in den alten und 240 000 Menschen in den neuen Bundesländern fortgebildet oder umgeschult werden können.Für Kurzarbeit sind es 3,1 Milliarden DM, wobei wir die Bezugsdauer von 18 auf 24 Monate verlängert haben, damit die Mitarbeiter in ihren Betrieben bleiben und nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wurde das Sonderprogramm bis 1996 verlängert und auf insgesamt 790 Millionen DM aufgestockt. Der Erfolg dieses Programms ist leicht meßbar: Eine Untersuchung belegt, daß 40 % der Teilnehmer kurz nach Abschluß ihrer Maßnahmen wieder berufstätig waren.Aktive Arbeitsmarktpolitik kann und muß Brücken bauen zu selbsttragender Erwerbstätigkeit. Aber Brücken sind nur Übergänge von einem Ufer zum anderen und nicht Aufenthaltsorte.Doch diese Hinweise haben bereits deutlich gemacht, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz auf keinen Fall alten Ideologien und dem Wahlkampf zum Opfer fallen darf. Aus diesem Grunde haben wir das Gesetz geteilt und die beiden Gesetze neu eingebracht.Ich rufe die Opposition auf: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr; denn wir brauchen neue Ideen und nicht alte Kämpfe.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Adolf Ostertag hat nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich mit der Erfolgsbilanz beginnen, die der Kollege Hörsken hier aufgelistet hat, und einige Punkte dagegensetzen. Zum Beispiel sind die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik hier als erfolgreich gelobt worden.In der beruflichen Weiterbildung hatten wir 1992 noch 863 000 Menschen; 1993 waren es noch 530 000. Das ist also ein Rückgang um über 300 000 Menschen in diesem Bereich.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19825
Adolf OstertagBei den berufsfördernden Bildungsmaßnahmen hatten wir im Jahr 1993 jahresdurchschnittlich 122 000 Teilnehmer; in diesem Jahr werden es 73 000 Teilnehmer sein — also ein Rückgang um rund 50 000 Menschen in den berufsfördernden Bildungsmaßnahmen.Bei den allgemeinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten, die hier so groß herausgestellt wurden, insbesondere mit dem § 249h AFG, hatten wir 1992 466 000 Menschen; in diesem Jahr werden es jahresdurchschnittlich 263 000 sein. Selbst wenn man den Aufbau im Osten hinzurechnet — von 22 000 auf 78 000 —, fehlen immer noch weit über 100 000 ABM-Stellen, die in einem Jahr abgebaut worden sind.Die Liste ist beliebig fortzusetzen. Also ist es in der Tat ein sehr, sehr merkwürdiger Katalog einer Leistungsbilanz, die hier vorgetragen wurde.Wenn man über zehn Jahre rechnet, dann kann man sagen: Okay, es wird heute mehr Geld für Maßnahmen ausgegeben als 1982 oder 1984. Nur, was haben wir für eine Arbeitslosenentwicklung in dieser Zeit? Das muß man doch letzten Endes sehen. Wir haben 4 Millionen registrierte Arbeitslose, wir haben 2 Millionen Menschen in Maßnahmen verschiedenster Art. Das sind viel zuwenig. Wir haben also 6 Millionen fehlende Arbeitsplätze in diesem Land — und dann wird hier von einer Erfolgsbilanz in dieser Wirtschaft gesprochen.Das ist doch nur die eine Seite der Medaille. Selbst wenn wir 1 % Wirtschaftswachstum haben sollten — wir bekommen in diesem Jahr zusätzlich 450 000 Arbeitslose mehr. Das ist doch der Fakt. Ich glaube, alle anderen Zahlen sind in der Tat aus der Luft gegriffen.
Meine Damen und Herren, heute erleben wir den zweiten Anlauf, das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz durchzupeitschen. Der erste Versuch ist kläglich gescheitert. In Ihrer Hektik haben Sie wohl übersehen, daß der Bundesrat der bisherigen Fassung zustimmen muß. Nur allzugut wissen Sie, daß dieser Politik der weiteren Zerstörung der Arbeitsbeziehungen und der Ausgrenzung besonders Benachteiligter unsere Zustimmung verweigert wird. Deshalb tricksen Sie jetzt, um das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz unter Umgehung eines Vermittlungsverfahrens doch noch durchzubringen. Durch Zellteilung machen Sie drei Gesetze, von denen zwei nicht mehr der Zustimmung der Länderkammer bedürfen.
Ihre Abfüllung ist doch nur der alte Wein in neuen Schläuchen.Schon vor der Umwandlung war der Inhalt für uns ungenießbar.
Und wieder einmal konzentrieren sich die Leistungskürzungen und der Abbau von Arbeitnehmerrechten insbesondere auf den Bereich der Arbeitsförderung und der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Ich habe eben die Zahlen genannt. Sie beweisen nachdrücklich, daß Hunderttausende von Menschen aus den aktiven Maßnahmen herausgenommen worden sind. Das ist letztlich ja auch das Ergebnis der Arbeitslosenentwicklung in diesem Land.Mit dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz wurden in den letzten Tagen bestenfalls Beamte im Bundesarbeitsministerium beschäftigt, und künftig werden die Arbeitsämter und die Sozialämter — allerdings zusätzlich — belastet und von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten.
Notwendig wäre statt dessen eine zukunftsgerechte Politik für mehr Beschäftigung. Ich sagte schon, 4 Millionen registrierte Arbeitslose warten hier auf Signale, die allerdings nicht kommen. Ihr Motto „Augen zu und durch" ist nicht nur realitätsfern, sondern auch arrogant. Das Votum des Bundesrates wird erst gar nicht abgewartet. Die Kritik von allen Seiten kümmert Sie überhaupt nicht, und alle fachlichen Bedenken von Experten werden in den Wind geschlagen.Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialhilfeeinrichtungen und die Fachöffentlichkeit haben in Übereinstimmung mit uns Sozialdemokraten bereits die ursprüngliche Version des Beschäftigungsförderungsgesetzes heftig kritisiert und als Teil einer langen Kette der sozialen Degradierung bewertet. Entgegen dem irreführenden Titel handelt es sich bei den Vorschlägen vor allem um gnadenlose Deregulierung zu Lasten der Arbeitslosen sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.Deshalb lehnen wir, wie bekannt, Ihre Vorschläge ab. In der Tat: Sie bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, Sie bekämpfen die Arbeitslosen. Das muß man zu diesem Gesetz sagen.
Selbst die Bundesanstalt für Arbeit geht auf Distanz zu dieser hektischen Gesetzgebungstätigkeit der Bundesregierung und zum damit verbundenen Abbau aktiver Maßnahmen. Nach Meinung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt erschweren die immer häufiger vorgenommenen Verschlechterungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine dauerhafte Planung und aktive Bemühungen für alle arbeitsmarktpolitischen Akteure.Für die Gewerkschaften ist das Beschäftigungsförderungsgesetz eine Bankrotterklärung. Noch vor zwei Tagen hat der DGB verlautbart, daß hier in der Tat ein verfassungswidriger Eingriff in sozialstaatliche und beschäftigungspolitische Maßnahmen vorgenommen wird, der keine Zustimmung findet.Der Entwurf beinhaltet zudem eine Aufforderung zum Unterlaufen von Tarifverträgen; denn die Lohnkostenzuschüsse für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für Umwelt-ABM orientieren sich nur noch an 80 % des Tariflohnes.
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19826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Adolf OstertagHerr Hörsken, es ist wirklich bedauerlich, wenn Sie hier diese Maßnahmen verteidigen. Damit werden in der Tat Tarifverträge ausgehebelt, vom Gesetzgeber sozusagen verordnet. Ich glaube, das kann doch niemand von uns wollen, egal, auf welcher Seite dieses Hauses er letztlich sitzt.
Auf Ihrem Aktionstag vor wenigen Wochen haben die Beschäftigungsförderungsgesellschaften und Initiativen hier in Bonn erklärt, daß auch sie keine positiven Auswirkungen erkennen können; im Gegenteil, der Gesetzentwurf verschärfe über Saisonarbeiten und Gemeinschaftsarbeiten den Druck auf Arbeitslose. Er schaffe keinen einzigen regulären Dauerarbeitsplatz im produktiven Bereich, und darauf kommt es ja schließlich an. Daher sei er beschäftigungspolitisch ein großer Rückschritt.Die Bundesregierung folgt mit diesem Gesetzentwurf den Forderungen der Deregulierungskommission und den Marktradikalen. In dieser Frage ist man wirklich konsequent. Sie zerschlägt die öffentliche Arbeitsverwaltung und kündigt den sozialen Konsens zwischen öffentlicher Hand und den Sozialparteien, der in den letzten 50 Jahren im Bereich der Arbeitsvermittlung die Grundlagen ausgemacht hat.Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben im Superwahljahr den Beweis dafür erbracht, daß sie den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit längst aufgegeben haben. Mehr denn je ist eine neue Konzeption der Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gefragt. Es reicht nicht ein Gesundbeten, daß vielleicht 1 % Wachstum kommt; denn die Massenarbeitslosigkeit mit den damit verbundenen wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen für die betroffenen Menschen und deren Angehörige zwingt schließlich zu einem schnellen Handeln. Vorrang für Arbeit ist in diesem Land das Gebot der Stunde.Ihre Ratlosigkeit, die in zunehmende Hektik umschlägt, fördert allerdings weder Beschäftigung noch Wirtschaftswachstum. Dieses sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz ist die Bankrotterklärung Ihrer Arbeitsmarktpolitik.
Wir Sozialdemokraten werden in dieser Legislaturperiode nicht verhindern können, daß Sie dieses Gesetz beschließen. Wir werden aber ab dem 17. Oktober eine andere Beschäftigungspolitik machen. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wird bei uns eine hohe gesellschaftliche Priorität haben. Wir werden die staatliche Finanz- und Arbeitsmarktpolitik vollbeschäftigungsorientiert machen und das, was Sie an enormen Kürzungen vorgenommen haben, zurücknehmen.
— Ich habe ja schon die erschreckenden Zahlen genannt. Wir werden eben Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Das ist menschlicher, humaner und wirtschaftspolitisch vernünftiger und gibt letztenEndes Millionen von Menschen wieder eine Perspektive in diesem Land.
Frau Babel, Sie wissen — wir haben es schon mehrfach diskutiert —, daß in der Tat die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit sinnvoller in Arbeit zu investieren wären. Das bringt uns in diesem Lande weiter. Vor allen Dingen hilft es den Menschen, und darauf kommt es bei unserer Politik an.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Abgeordnete Dr. Gisela Babel hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel des Zusatzpunktes heißt „Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994". Meine Damen und Herren, die Eingeweihten, aber vielleicht nicht die Bürger, die heute hier sind und uns zuhören, wissen, daß das nicht die erste Beratung ist. Es ist im Grunde die vierte Beratung; denn dieses Beschäftigungsförderungsgesetz ist von der Koalition ganz normal in erster Lesung eingebracht, in Ausschußberatungen und Anhörungen ordentlich beraten und dann in zweiter und dritter Lesung verabschiedet worden. Das, was wir hier vorlegen, ist völlig identisch mit dem, was wir hier schon einmal beraten haben.Auch die etwas müden Entgegnungen der SPD zu diesem Gesetz sind uns allen hinlänglich bekannt. Wir wissen, daß in Ihren Augen Arbeitslosigkeit ganz leicht zu beseitigen ist, indem man nämlich Arbeit finanziert. Jeder der genauer hinguckt, weiß, daß das nicht geht.Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich passiert? Bei dem Paket, das in den Bundesrat gekommen ist, ist die Koalition davon ausgegangen, daß es sich um ein Gesetz handelt, das ein Einspruchsgesetz, also nicht zustimmungsbedürftig ist, so daß wir hier damit rechnen konnten, daß es in diesem Verfahren auch zu einer Mehrheit kommt. Nun ist aber das passiert, was ich bedauere — und da haben Sie vielleicht auch eine gewisse heimliche Schadenfreude, nämlich eine Panne, indem Bestimmungen in diesem Paket sind — ich glaube, das betrifft die Hauptzollämter, also etwas ganz hoch Angesiedeltes —, bei denen nach übereinstimmender Meinung des Bundesrates und der Bundesländer und nach etwas zögerlicher Überprüfung auch der Ressorts bei uns im Bundestag die Rechtsauffassung besteht, es handele sich in der Form, wie das Gesetz dem Bundestag vorliegt, um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz.
— Ich widerspreche nicht so laut, Herr Schreiner. Ich nenne das eine Panne.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19827
Dr. Gisela BabelWas macht nun die Koalition in dieser Situation? Wir könnten uns nun auf die Knie werfen und die SPD und die Länder anflehen, diesem vernünftigen Gesetz zuzustimmen. Aber da wir das Ausmaß Ihrer Vernunft schon kennen, wollen wir diesen Weg lieber nicht wählen, sondern wir haben gesagt: Gut, dann nehmen wir einen neuen Anlauf. Das Ergebnis dieses neuen Anlaufs liegt heute vor.
Wir bringen das, diesmal ohne die Vorschriften, die die Zustimmungsbedürftigkeit verursachen, und pakken den Rest, bei dem Zustimmungsbedürftigkeit vorhanden ist, in ein parallel gestartetes Gesetz.Das ist der Vorgang, meine Damen und Herren. Da können Sie sich nun wehren und winden, wie Sie wollen, wir werden das Beschäftigungsförderungsgesetz in dieser Form durchsetzen!
Wir werden die sinnvollen Vorschläge, die wir gemacht haben, auch Wirklichkeit werden lassen. Die private Arbeitsvermittlung wird ohne Einschränkung kommen.
Diese Änderungen — wir haben das hier mehrfach gesagt — werden zu einer Entkrampfung des Arbeitsmarktes und der Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt führen.An die Adresse der SPD-geführten Länder möchte ich fast sagen: Okay, Sie haben Ihren Spaß gehabt. Dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist da eine peinliche Panne passiert, aber diese Panne beheben wir jetzt, und die erneute Einbringung stellt sicher, daß der Entwurf auch ohne Mitwirkung der SPD und ohne Mitwirkung der Bundesländer Gesetz wird. Gegenüber dieser Blockade der Opposition demonstrieren wir Handlungsfähigkeit.Ich gebe zu, daß diese erneute Einbringung ein etwas ungewöhnliches Mittel ist. Dies gibt der SPD aber noch nicht die Berechtigung zu einer Totalblockade. Wenn die Bundesländer klug sind, dann arbeiten sie konstruktiv mit uns zusammen, und zwar schon in dieser Woche im Vermittlungsausschuß, damit wir beim Beschäftigungsförderungsgesetz zu einer vernünftigen Lösung gelangen.Ich hoffe sehr, daß sich die SPD die kämpferischen Töne der Gewerkschaften nicht zueigen macht; denn Sie können schließlich auch nicht den frischen Wind ignorieren, den bereits die Ankündigung der privaten Arbeitsvermittlung sozusagen ins Land gebracht hat.
Es ist nicht nur so, daß wir jetzt schon seriöse und namhafte Unternehmer in den Startlöchern sehen, die dieses neue Feld der Arbeitsmarktpolitik besetzen, sondern es ist auch so, daß die Arbeitsämter selbst sozusagen voll aufgewacht sind und in ganzseitigen Anzeigen für ihre Stellenvermittlung werben. All dieskönnen Sie nicht ignorieren und kann Sie nicht zu der klassenkämpferischen Haltung des 19. Jahrhunderts zurückkehren lassen.
Sie erreichen damit nur, daß Ihr politischer Einfluß auf dieses Gesetz letztlich gleich null sein wird.
Mit der Fortsetzung der Blockade ist kein Gewinn für die Bundesländer, auch nicht für die neuen Bundesländer, verbunden.Meine Damen und Herren, aus keinem einzigen Satz Ihrer Ausführungen ist ein konstruktiver und brauchbarer Vorschlag hervorgegangen, während die Koalition mit diesem Gesetz solche Vorschläge vorlegt.Ich bedanke mich.
Die Abgeordnete Petra Bläss hat das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich ist die zweite Auflage des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994, die heute vorgelegt worden ist, einmal mehr ein Signal dafür, daß die Regierungskoalition am Ende ist.
Nichts wird ausgelassen, um das Deregulierungs- und Sozialkürzungsprogramm durchzuziehen.
Sie nehmen sogar die Peinlichkeit in Kauf, einen Gesetzentwurf noch einmal einzubringen, um ein Vermittlungsverfahren zu umgehen. Am schlimmsten an dem Papier finde ich, daß darin sämtliche Erfahrungen in der Praxis und unzählige Sachverständigenanalysen ignoriert werden.Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 — das ist ein ebenso vielversprechender wie verlogener Titel. Kein einziger Arbeitsplatz wird dadurch geschaffen, und keine akzeptablen Lösungen zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit werden mit dem vorgelegten Gesetzentwurf angeboten. Das Gesetz ist vielmehr ein weiterer schwerwiegender Einschnitt in das soziale Gefüge der Bundesrepublik und setzt den Kurs der Deregulierung und der Vernichtung sozialer Standards fort.Im Kern ist das Gesetz eine erneute Verschärfung des Arbeitsförderungsgesetzes. Das Arbeits- und Sozialrecht wird weiter ausgehöhlt, die Tarifautonomie wird unterlaufen, und reguläre Arbeitsverhältnisse werden weiterhin vernichtet.Selbst der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit kritisiert offen die immer hektischer werdende Verstümmelung des Arbeitsförderungsgesetzes und wird darin von Gewerkschaften, Kirchen und Betroffeneninitiativen unterstützt.Angesichts der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit kann ich nur auf drei Punkte eingehen.
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19828 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Petra BlässZum ersten zur Zulassung der privaten Arbeitsvermittlung. Die Bundesregierung entzieht sich mit der Privatisierung der wichtigen Verpflichtung, für einen ausreichenden und effektiven Beratungsdienst als öffentliches Angebot zu sorgen. Mögliche Folgen sind bekannt: Gewinnträchtige Bereiche der Arbeitsvermittlung werden privatisiert, und schwierige Fälle bleiben in der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit.Der zweite Punkt sind die vorgesehenen Zwangsdienste für Bezieherinnen und Bezieher der Arbeitslosenhilfe. Das Argument, daß über untertariflich bezahlte und sozial prekäre Beschäftigung Betroffene motiviert würden, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt nach einem Job umzusehen, halte ich für demagogisch und verleumderisch gegenüber all jenen, deren verzweifeltes Bemühen um einen regulären Arbeitsplatz zum x-tenmal ergebnislos geblieben ist.Als drittes will ich noch die Bemessung der Lohnkostenzuschüsse für arbeitsmarktpolitisch geförderte Beschäftigungsverhältnisse anführen. Mit diesen Maßnahmen wird öffentlich geförderte Beschäftigung zum Vorreiter staatlich verordneter Lohnkürzungen und massiver Angriffe auf tariflich bezahlte Arbeit und auf die Tarifautonomie. Ein Arbeitsmarkt minderbewerteter Arbeit wird geschaffen und kreiert. Dort Beschäftigte werden auf lange Zeit als Geringverdienende abgestempelt.Danke.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Darm kann ich die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Ihnen die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/7565 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Verbesserung des ärztlichen Dienstes und der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit. Der Antrag der SPD liegt Ihnen auf Drucksache 12/3593 vor.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2142, den Antrag abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes
— Drucksache 12/7564 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird Ihnen vorgeschlagen, eine Debattenzeit von einer halben Stunde anzusetzen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir können die Debatte eröffnen, und ich erteile wiederum dem Abgeordneten Heinz-Adolf Hörsken das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der das Baugewerbe in zwei wesentlichen Bereichen unterstützen will, nämlich zum einen bei der Arbeitnehmerüberlassung, zum anderen beim gesetzlichen Schlechtwettergeld.Im Rahmen der Regelung des Schlechtwettergeldes hat sich die Vernunft durchgesetzt. Die Tarifvertragsparteien haben sich auf eine einvernehmliche Regelung einigen können. Ich halte tarifvertragliche Regelungen für besser als staatliche Reglementierungen. Den Weg, den wir gegangen sind, mußten wir auf Grund des starken Druckes seitens der Gewerkschaften korrigieren. Einig waren sich aber alle darin, daß eine Neuregelung auf Dauer unumgänglich war. Mit dem ersten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 wurde beim Schlechtwettergeld u. a. bestimmt, daß diese Sonderleistung für das Baugewerbe ab 29. Februar 1996 wegfällt und Schlechtwettergeld nur noch in den Monaten Dezember, Januar und Februar gewährt wird.Es hat sich nunmehr aber gezeigt, daß die Tarifpartner des Baugewerbes bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Sie haben die Bereitschaft erklärt, Vereinbarungen über ein ganzjährig gesichertes Einkommen mit Wirkung vom 1. Januar 1996 zu treffen.
Dabei soll auch der Wegfall des gesetzlichen Schlechtwettergeldes ausgeglichen werden.
— Ich habe das getan.Diese Bereitschaft wurde allerdings unter dem Vorbehalt erklärt, daß das Schlechtwettergeld für die Monate März und November 1994 und März 1995 gewährt wird. Die Bundesregierung hat sich nunmehr darauf verständigt, daß das gesetzliche Schlechtwettergeld außerdem für die Monate November und Dezember 1995 gezahlt werden kann. Damit ist eine Nahtlosigkeit im Bezug dieser Leistungen bis zum Jahresende 1995 sichergestellt. Hiermit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, nach Auslaufen des bisherigen Bundesrahmentarifes Bau zum 31. Dezember 1995 ab 1996 neue Wege zu beschreiten.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19829
Heinz-Adolf HörskenVon Anfang an hat die Opposition diese Entwicklung torpediert. Im Bundestag und Bundesrat wurden Gesetzesinitiativen gestartet, die alten Regelungen beim Schlechtwettergeld wieder einzuführen. Die SPD nahm offenbar an, hier könnten unter großem Aufwand Stimmen gewonnen werden. Allzu gern wurde verschwiegen, daß die Mehrheit im Bundesrat mit den Stimmen mehrerer SPD-regierter Länder noch im Dezember denselben Gesetzesänderungen zugestimmt hat, die nunmehr mit dem Schlagwort „Abbau des Sozialstaates" bezeichnet werden.Ich bin froh, heute sagen zu können, daß diese durchsichtige Rechnung nicht aufgegangen ist. Die SPD ist dem Irrtum zum Opfer gefallen, man könne neue Probleme mit alten Rezepten lösen. Dies ist aber ebensowenig möglich, wie bekanntlich jungen Wein in alte Schläuche zu füllen und zu glauben, das sei besser.Das gesetzliche Schlechtwettergeld hat ohne Zweifel seine Verdienste, indem es über mehrere Jahrzehnte gelungen ist, das Phänomen der winterlichen Massenarbeitslosigkeit unter Bauarbeitern in den Griff zu bekommen. Was jedoch in den 90er Jahren trotz Schlechtwettergeldes noch geblieben ist, sind große Einkommensunterschiede zwischen den Winter- und den Sommermonaten, eine große Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Nachwuchssorgen in den Baufachberufen.Das gesetzliche Schlechtwettergeld kann nur in einem sehr begrenzten Umfang zur Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse der Bauarbeiter beitragen. Dies ist zwar den Tarifpartnern der Bauwirtschaft seit langem klar — und es gibt auch entsprechende Gewerkschaftsbeschlüsse —, aber bedauerlicherweise nicht den Damen und Herren von der Opposition.Die deutsche Bauwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen. Der europäische Einigungsprozeß führt dazu, daß sich die deutschen Baubetriebe zunehmend auf den harten Wettbewerb mit ihrer europäischen Konkurrenz einstellen müssen. Die Ersetzung des gesetzlichen Schlechtwettergeldes durch tarifvertragliche Lösungen unterstützt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft.Die in den vergangenen Jahrzehnten erzielten technischen Fortschritte beim Schutz vor ungünstigen Witterungen können in weitaus stärkerem Maße genutzt werden, als dies bislang der Fall ist. Ausbildungsplätze in den Bauberufen gewinnen an Attraktivität, die deutsche Bauwirtschaft gewinnt durch eine ganzjährige Auslastung ihrer Kapazität an Schlagkraft gegenüber ausländischer Konkurrenz, bei der eine vergleichbare Schlechtwettergeldregelung nicht besteht.
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen ist in der Presse der Eindruck erweckt worden, die Bundesregierung oder die sie tragenden Fraktionen wollten das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe aufgeben. Wenn verschiedenen Pressemitteilungen Glauben geschenkt werden kann, hat sich Herr Scharping in einem Brief an den Vorsitzenden der IG Bau, Herrn Köbele, bemüßigt gefühlt, alsRetter dieser wichtigen Schutzvorschrift gegen Leiharbeit im Baubereich aufzutreten. Offenbar ist Herr Scharping aber Opfer eines Mißverständnisses geworden.
Denn eines ist klar: Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe bleibt bestehen.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit den Arbeitgebern des Baugewerbes und mit der IG Bau-Steine-Erden Einigung darüber erzielt, daß innerhalb des Baubereichs in einem eingeschränkten Maße Arbeitnehmerüberlassung möglich wird. Es entspricht einem von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern anerkannten Bedürfnis, daß ein Betrieb des Baugewerbes Arbeitnehmer an einen anderen Betrieb des Baugewerbes überlassen kann. Diese Möglichkeit einer Hilfe unter Kollegenbetrieben erhöht die Wettbewerbsfähigkeit und die Flexibilität der Betriebe des Baugewerbes. Gleichzeitig können Kurzarbeit und Entlassungen vermieden werden.Sie sehen, man hat sich auf eine sozialverträgliche Lösung verständigt. Gleichzeitig werden Mißstände, die durch untertarifliche Bezahlung unter Umgehung der Bausozialkassen möglich wären, vermieden, illegale Leiharbeit in den Betrieben des Baugewerbes wird weiterhin wirksam bekämpft.Das Baugewerbe ist und bleibt einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der deutschen Volkswirtschaft. Durch das vorliegende Gesetz wird diese Bedeutung unterstrichen und nachhaltig unterstützt.Schönen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Gilges das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir erleben heute hier ein Trauerspiel in drei Akten unter der Leitung des Schauspieldirektors Norbert Blüm.Der erste Akt lautet folgendermaßen: Es wird ein Gesetzentwurf mit drei Schwerpunkten eingebracht. Einmal: Streichen des Schlechtwettergeldes bis 1996; zweitens: eine Stunde Entschädigungskürzung pro Tag für die Bauarbeiter, die Schlechtwettergeld erhalten; drittens: Wegfall von Schlechtwettergeldzahlungen für die Monate November und März.Zweiter Akt dieses Trauerspiels ist: Proteste der Bauarbeiter — 130 000 Bauarbeiter hier in Bonn, eine der größten Demonstrationen, die es in den letzten Jahren in dieser Stadt gegeben hat —, und das kurz vor der Niedersachsenwahl, führen dazu, daß der Bundesarbeitsminister einen Rückzieher macht. Blüm verspricht, für die Monate März und November 1994 und 1995 wieder Schlechtwettergeld zu zahlen, wobei
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19830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Konrad Gilgeser die Stundenkürzung und das Auslaufen für 1996 beibehält.Dritter Akt ist das heutige Gesetz, das wiederum gegenüber dem ersten Gesetz verändert worden ist. Denn es heißt mittlerweile erstens: eine Stundenkürzung pro Tag — das ist geblieben —; zweitens: auf die Monatskürzung für November und März wird verzichtet; drittens: es wird nun endgültig das Gesetz über die Schlechtwettergeldzahlung im Januar 1996 gestrichen. Es wird also um drei Monate vorgezogen.Die Bauarbeiter wissen eigentlich nicht mehr, was die Bundesregierung denn nun will.
Das weiß sie anscheinend selbst nicht.
Es werden zwei Gründe aufgeführt. Der erste Grund ist die Kostenfrage. Es ist eine Milchmädchenrechnung, wie viele Fachleute in Anhörungen nachgewiesen haben. Dieser Wegfall des Schlechtwettergeldes wird im Ergebnis teurer sein, weil die Bauarbeiter gezwungen werden, Arbeitslosengeld zu beziehen. Sie werden zum Arbeitsamt gehen.
Sie werden über längere Zeiträume arbeitslos sein.Der zweite Effekt, der damit verbunden ist: Bauarbeiter werden zu Saisonarbeitern gemacht, wie es einmal in den 50er Jahren und davor war. Ich habe es selber noch als Bauarbeiter erlebt, Saisonarbeiter zu sein.Es stimmt überhaupt nicht, Herr Hörsken, daß der Beruf attraktiver gemacht wird. Im Gegenteil, ein Saisonarbeiterberuf ist unattraktiv, und der Facharbeitermangel, der schon jetzt im Baugewerbe herrscht, wird durch den Wegfall des Schlechtwettergeldes noch verstärkt.Sie berufen sich dann im zweiten Grund auf die tarifvertragliche Vereinbarung. Sehen Sie sich einmal die Vereinbarung an, Herr Hörsken. Das ist eine Absichtserklärung, in der ausgesagt wird: Wenn das Schlechtwettergeld wegfallen würde, müssen wir zu einer tarifvertraglichen Vereinbarung kommen. Aber das ist schon 1992 zwischen der IG Bau-Steine-Erden und dem Arbeitgeberverband der Bauindustrie und des Bauhandwerks abgeschlossen worden.Es ist 1994 wieder abgeschlossen worden, nur gibt es keine Lösungsmöglichkeiten. So einfach ist das alles nicht, wie Sie sich das vorstellen. Das heißt, es wird diese Lösung nicht geben, und sie wird dazu führen — —
— Ich komme nachher noch darauf. Ich schlage vor, daß das Schlechtwettergeld beibehalten wird, Frau Kollegin, wie es Bruno Köbele und der Arbeitgeberverband in der Absichtserklärung von Leipzig unterschrieben haben.Aber die Vereinbarung sagt ausdrücklich: Es gibt drei Partner bei diesem Geschehen, nämlich den Staat, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer. Sie haben die gesamte Verantwortung auf die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber gelagert. Bruno Köbele schreibt in einem Brief an alle Abgeordneten: Es gibt drei Säulen, um den Baumarkt zu stabilisieren.
— Das ist der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, Herr Kollege Feilcke. Wenn Sie das nicht wissen, ist das Ihr Problem. Sie sollten sich einmal informieren. — Die eine Säule ist die staatliche Regelung im Rahmen des AFG, d. h. das Schlechtwettergeld. Zweitens gibt es die Winterbauförderung, und drittens gibt es eine tarifvertragliche Regelung über ganzjähriges Einkommen. Nur alle drei Säulen werden dazu führen, daß die Bauarbeiter und die Bauwirtschaft in ihrer Gesamtheit eine Lebenschance in der Bundesrepublik Deutschland haben.Wir haben dazu viertens einen Gesetzentwurf vorgelegt, der unter der Drucksache 12/6951 vorliegt.
Der bedeutet, daß wir wollen, daß das Schlechtwettergeld wieder in seinen alten Zustand versetzt wird. Ich glaube, das wäre der vernünftigste Weg.
— Nein, die Gewerkschaft ist nicht weiter.Ich will Ihnen das noch einmal aus dem Brief des Kollegen Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden zitieren, Herr Weng — den Brief haben Sie auch —:Wer die Bemühungen der IG Bau-Steine-Erden um eine tarifliche Regelung für ein ganzjährig gesichertes Einkommmen fördern will, der sollte nach unserer Auffassung den Antrag der SPD zur Wiederherstellung der Schlechtwettergeldregelung unterstützen und die Abschaffung des § 12 a AFG verhindern.Das ist der Schlußsatz des Briefes des Vorsitzenden von Bau-Steine-Erden an alle Abgeordneten.
— Der Brief ist — das gucke ich nach— vom 5. April 1994. Den haben Sie alle. Der Brief ist eindeutig.
Die Gewerkschaft — auch in Abstimmung mit den Arbeitgebern — fordert, daß die Schlechtwetterregelung erhalten bleibt. Deshalb sind alle Versuche, das Gegenteil zu behaupten, falsch und entbehren jeder Grundlage.Zur Kollegenhilfe habe ich schon in der ersten Debatte bzw. der zweiten Debatte gesagt: Darüber kann man reden, wenn damit verhindert wird, daß sie eine andere Form der Leiharbeit ist. So wie die Gesetzesvorstellung jetzt ist, sehen wir, daß es keine
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19831
Konrad GilgesMöglichkeit gibt, daß über diesen Umweg wieder Leiharbeit im Baugewerbe eingeführt wird.Ich will zur Schlußbemerkung kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen. Es wird Zeit — um im Bild zu bleiben —, daß der Vorhang für diesen Arbeitsminister und für diese Regierung im Herbst fällt.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Dr. Gisela Babel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Ja, das ist kein Teilzeitjob hier.
Die Schlechtwettergelddramatik. Die Akte sind ja richtig bezeichnet; aber es sind einige interessante Schriftstücke von dem Kollegen der SPD nicht genannt worden.
Ich wollte nur einmal sagen: Das grundsätzliche Anliegen der Koalition war, daß wir das Schlechtwettergeld als eine Leistung der Bundesanstalt abschaffen wollten. Warum? Weil wir nicht einsehen, das die Arbeitnehmer aller Branchen mit ihren Beiträgen eine Branche subventionieren.
Wir haben gesagt, das muß diese Branche selbst schaffen. Sie muß das Dilemma des schlechten Wetters — Ausfall von Arbeit an bestimmten Tagen im Jahr — durch eigene geeignete Maßnahmen selbst lösen. Das war das Ziel.
Dieses Ziel ist richtig.
Jetzt sage ich einmal, um gleich an das Ende zu springen: Dieses Ziel hat die Koalition auch erreicht. Sie hat es auf eine Weise erreicht, die ich besonders gut finde, nämlich nicht unbedingt nur durch ihr eigenes gesetzgeberisches Handeln, sondern durch den Impuls, den dieses Gesetz für die Bauwirtschaft gehabt hat. Man kann auch von Druck reden; das ist egal.
Sie haben sich dagegen gewehrt, daß es so schnell gehen sollte. Sie haben sich dagegen gewehrt, daß sozusagen von jetzt auf gleich ein Arbeitnehmer weder von seinem Arbeitgeber noch von der Bundesanstalt Geld bekommt. Das heißt, daß der Arbeitnehmer durch die Ritze fiel. Das konnte in der Tat nicht gehalten werden. Innerhalb von 24 Stunden ist die Front zusammengebrochen, die hier aufgebaut worden war. So tapfer waren wir dann auch nicht.
Aber es hat eine schriftliche Versicherung der Tarifpartner gegeben, liebe Kollegen von der SPD, in der steht, daß mit dem neuen Tarifvertrag zum 1. Januar 1996 das Schlechtwettergeld aus dem ablaufenden Tarifvertrag durch eine vereinbarte Jahresarbeitszeit abgelöst wird.
Nun ist die SPD eigentlich in einer ein bißchen blöden Lage; denn die Gewerkschaft ist moderner, aufgeschlossener und flexibler als die SPD.
Nun haben Sie Schwierigkeiten, da hinterherzuhinken. Dann werden Sie denen sagen: Ja, ihr Lieben, wir werden, wenn wir dazu in die Lage versetzt werden — das werden Sie zum Glück natürlich nicht —, das Schlechtwettergeld wieder einführen. Das ist eigentlich nicht so sehr einleuchtend.
Frau Abgeordnete, das veranlaßt den Kollegen Gilges, Sie zu bitten, eine Frage zu beantworten.
Ja, bitte schön.
Ich will nur nachfragen, ob Sie einen anderen Brief erhalten haben als wir. Das kann ja sein. Ich will deswegen aus dem Brief zitieren, den wir erhalten haben. Darin steht:
Wir wollen Sie aber nicht im unklaren darüber lassen, daß nach unserer Auffassung ohne eine staatliche Beteiligung an dem sozialen Sicherungssystem für Bauarbeiter eine tarifliche Absicherung des ganzjährig gesicherten Einkommens nicht geschaffen werden kann.
Vorher schreibt er:
... sich durch die Abschaffung der Schlechtwettergeldregelung seiner sozialen Verantwortung für die Bauarbeiter zu entziehen.
— Gemeint ist der Staat. — Damit ist die Aussage zumindest eines Tarifpartners, Frau Kollegin, eindeutig. Es könnte ja sein, daß Sie einen anderen Brief erhalten haben. Die eine Vereinbarung ist von 1992 — ich hoffe, daß Sie die auch erhalten haben —, und die andere ist von 1994. Darin steht eindeutig, daß wir nur dann, wenn der Staat die Schlechtwettergeldregelung abschafft, gezwungen sind, unter Umständen so etwas zu vereinbaren. Das heißt, es ist ausdrücklich kein Ersatz.
Abgesehen von der Tatsache, daß das, was Sie hier erzählen, keine Frage ist, jedenfalls grammatisch nicht, ist der Hinweis, daß das Schriftstück, das Sie in Händen halten — —
Herr Abgeordneter Gilges, wenn Sie wenigstens die Form wahren würden und so zu erkennen gäben, daß Sie an einer Antwort interessiert sind, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
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19832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Es ist jedenfalls klar, daß dies aus der Bauindustrie schriftlich fixiert vorliegt. Wenn ich gewußt hätte, daß wir heute so konkret an Schriftstücken entlang diskutieren, hätte ich den Brief mitgebracht. Leider hat ihn auch der Staatssekretär nicht dabei, sonst würde ich ihn Ihnen gern zukommen lassen, damit wir feststellen können, ob wir von demselben reden.
Jedenfalls steht drin, daß, wenn wir in den Jahren 1994 und 1995 die Schlechtwettergeldzahlung garantieren, in dem neuen Tarifvertrag mit einer Jahresarbeitszeitvereinbarung die Zahlung von Schlechtwettergeld abgelöst wird. Das ist die Kernbotschaft.
Der Abgeordnete möchte nachfragen.
Frau Kollegin, ich will nur die Frage stellen: Wenn es keine tarifvertragliche Vereinbarung gibt, werden Sie dann zustimmen, daß die Zahlung des Schlechtwettergeldes verlängert wird bzw. daß die Aufhebung des Schlechtwettergeldes wieder rückgängig gemacht wird?
Lieber Herr Gilges, wenn Sie hier mit der Möglichkeit drohen, daß sich die Unvernunft durchsetzen würde, und fragen, was wir dann machen würden, kann ich nur sagen: Ich gehe nicht davon aus, daß die Gewerkschaft so blöd ist, wie Sie es andeuten. Ich gehe vielmehr davon aus, daß sie das vernünftig regelt.
Jetzt komme ich zu den Punkten, bei denen es eigentlich auch ein bißchen interne Kritik gibt. Es gab ja von Anfang an von uns Sozialpolitikern — sowohl bei der Union als auch bei der F.D.P. — den Hinweis auf die geltenden Tarifverträge und auf die Unmöglichkeit, die Forderung, die grundsätzlich berechtigt ist, kurzfristig und eigentlich etwas unausgewogen durchzusetzen.
Wir haben einerseits die Genugtuung, daß nun auch die Finanzpolitiker, daß überhaupt alle obersten Heeresleitungen unter dem Eindruck der Ereignisse des schlechten Wetters und des zu zahlenden Geldes zu dieser Einsicht gelangt sind. Ich gebe aber zu: Für uns war es eine etwas säuerliche Genugtuung, daß wir jetzt das machen, was wir von vornherein angemahnt haben, nämlich einem solchen Umwandlungsprozeß ein bißchen mehr Zeit zu lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben also das Schlechtwettergeld bis Ende 1995 gesichert und einen brauchbaren Kompromiß erzielt.
Die bisher generell verbotene Arbeitnehmerüberlassung am Bau soll nur dann zugelassen werden, wenn die betroffenen Betriebe von denselben Rahmentarifverträgen und Sozialkassen sowie von deren Allgemeinverbindlichkeit erfaßt werden.
Ich glaube, diese Regelung hat viel Gutes für sich. Vor allem trägt sie einer schon heute viel geübten Praxis Rechnung und legalisiert diese. Viele Betriebe wissen gar nicht, daß das, was sie tun, nicht legal ist. Darüber hinaus hilft sie gerade kleinen und mittelständischen Bauunternehmen bei einem flexibleren Personaleinsatz.
Durch die erwähnte Einschränkung ist sichergestellt, daß das tarifvertragliche Gefüge zum Schutz der Arbeitnehmer erhalten bleibt. Auch das System der Bausozialkassen bleibt unberührt. Die eingeräumten Flexibilisierungsmöglichkeiten sind daher sozialverträglich und leisten einen Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen in kleinen Unternehmen.
Ich bin der Meinung, daß die Opposition diese beiden Punkte so, wie sie jetzt sind, gar nicht ablehnen kann, sondern daß wir alle gemeinsam die hier eingebrachten Gesetzesvorschläge akzeptieren sollten.
Ich bedanke mich.
Es spricht nunmehr die Abgeordnete Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorübergehende Rücknahme der Kürzung bzw. Streichung des Schlechtwettergeldes ist zum ersten — darauf hat Kollege Gilges zu Recht verwiesen — nur auf Grund des enormen Drucks der Gewerkschaften ins Auge gefaßt worden. Zum zweiten sollte sie nicht darüber hinwegtäuschen, daß ab 1996 eine Streichung vorgesehen ist. Nach wie vor wird die erste Schlechtwetterstunde nicht mehr gezahlt.Insofern hat die Studie der IG Bau-Steine-Erden über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einer Streichung des Schlechtwettergeldes nicht an Aktualität verloren. Sie macht deutlich, daß die Abschaffung des Schlechtwettergeldes tatsächlich zu erheblichen Mehrkosten der öffentlichen Hand führt und mindestens 300 000 Arbeitnehmer im Baugewerbe zusätzlich entlassen werden würden.Es kommt zum einen zu Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit, zum anderen zu Mindereinnahmen an Steuern und Sozialbeiträgen. Das macht zusammen jährlich 1,2 Milliarden DM.Zu den Konsequenzen einer Abschaffung des Schlechtwettergeldes gehören zunehmende Ausfallstunden, Kurzarbeit, mehr Schwarzarbeit, mehr Überstunden im Sommer und die Verschlechterung der Auslastung der Kapazitäten im Baugewerbe sowie — als langfristige Folge — auch höhere Baupreise.Einkommensverluste von jährlich durchschnittlich 6 500 DM brutto führen dazu, daß die Verarmung von Bauarbeitern staatlich verordnet wird. Fakt ist: Nur ganzjährig gesicherte Arbeitsplätze machen die Bauberufe für den dringend benötigten Nachwuchs attraktiv.Lassen Sie mich kurz auf die vorgesehene Formulierung des § 12 a AFG eingehen. Er enthält in der Tat eine gefährliche Öffnungsklausel, die teilweise Aufhebung des Verbots der Arbeitnehmerüberlassung.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19833
Petra BlässIch denke, die Zweifel sind berechtigt, ob bei der im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilitätserhöhung vorgesehenen Regelung sozialer Schutz von Arbeitnehmern tatsächlich gewährleistet ist. Ich sehe bei der sogenannten Kollegenhilfe durchaus die Gefahr des Mißbrauchs. Der jetzige § 12a des AFG ist eine wichtige Grundlage für Beschäftigungs- und Tarifpolitik in der Bauwirtschaft. Seine Streichung bzw. schon seine Einschränkung hätte verheerende Folgen für das Baugewerbe und die öffentlichen Kassen. Das in der Bauwirtschaft aufgebaute Tarifsystem würde damit zerrissen werden.Ich möchte schließen mit einem Zitat der IG Bau-Steine-Erden:Wir wollen keine neuen Schleusen für illegale Beschäftigung öffnen. Wir wollen tarifvertraglich geregelte Beschäftigungsverhältnisse für alle.Ich danke.
Ich erteile nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Horst Günther das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Babel, ich habe keine Briefe bei mir. Ich denke, sie dürfen bei diesem Thema hier auch keine Rolle spielen. Ich werde gleich etwas dazu sagen.Am 10. März 1994 hat im Bundesarbeitsministerium ein Gespräch mit den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes über die gesetzliche Neuregelung des Schlechtwettergeldes stattgefunden. Diese haben schriftlich erklärt, nunmehr mit den bereits 1992 angekündigten Verhandlungen beginnen zu wollen. Gegenstand der Verhandlungen soll auch die Schaffung tariflicher Anschlußlösungen nach dem Wegfall des gesetzlichen Schlechtwettergeldes sein. Die Bundesregierung begrüßt diese Verhandlungsbereitschaft und unterstützt sie durch dieses Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes.Herr Kollege Gilges, ich bin von Ihrem Auftritt gerade in dieser Frage sehr enttäuscht.
Deshalb sage ich auch: Was in diesem Brief steht, ist völlig uninteressant für die Auseinandersetzung bzw. für die kommenden Tarifverhandlungen. Sie als alter Tarifexperte — als solchen habe ich Sie im Ausschuß jedenfalls immer kennengelernt —, der sachkundig ist, sollten hier doch nicht soviel Mißtrauen in die Verhandlungsbereitschaft und auch Abschlußbereitschaft der Tarifvertragsparteien setzen.
Das konterkariert doch deren Möglichkeiten. Sie wissen ganz genau, daß eine Gewerkschaft — Sie zitierten aus dem Brief der IG Bau-Steine-Erden — nicht Verhandlungspositionen freigeben kann, bevordie Verhandlung überhaupt begonnen hat. Das ist doch tarifpolitischer Unfug.Wenn die Gewerkschaft einfordert, daß sich auch der Staat beteiligen soll, dann wissen Sie genau, warum das so ist. Ich spreche das hier nicht aus. Aber Insider wissen das ganz genau, und das wissen Sie auch. Deshalb ist Ihr Auftritt hier fehl am Platze, in dieser Frage einen solchen Zinnober zu veranstalten. Das dient der Sache nicht, sondern schadet ihr.
Deshalb ist es auch uninteressant, wenn Sie hier aus diesem Brief zitieren und uns einen Zickzackkurs vorwerfen. Wir haben uns in vernünftigen Verhandlungen in der zugegebenermaßen schwierigen Frage, die zu lösen ist, aufeinander zubewegt. Das kann man nicht ruckzuck machen, sondern da muß man abtesten, wo der Wille ist und was geschehen kann. Das haben wir abgetestet.Deshalb kommen wir durch diese Gesetzesänderung jetzt zu einer vernünftigen Lösung. Durch die Gesetzesänderung wird die Gewährung von Schlechtwettergeld in den Monaten März und November wieder möglich werden, nachdem die Zusage für Verhandlungen da ist, und zwar rückwirkend auch für den Monat März 1994.
— Doch, das ist sehr überzeugend, jedenfalls für die, die es betrifft. Das mag ja für Sie nicht überzeugend sein. Aber für diejenigen, die es betrifft, ist das sehr überzeugend, und sie haben es auch längst verstanden.
Dafür wird diese Leistung zwar nur noch bis Ende 1995 gezahlt. Aber die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes gewinnen die erforderliche Zeit, deren Fehlen sie ja reklamiert haben, um sich bei ihren Tarifverhandlungen auf die Gesetzesänderungen einzustellen.Ich vertraue auf die Zusammenarbeit der Tarifpartner, die sich in der Vergangenheit oftmals bewährt hat.
— Das dürfen Sie mir nicht sagen. Gucken Sie mal in meine Biographie. — Ich bin froh, daß ab Januar 1996 ein tarifliches Ausgleichssystem nahtlos das fortsetzen und weiterentwickeln kann, was bislang durch das gesetzliche Schlechtwettergeld abgedeckt wurde.Das Ziel der Bundesregierung ist die ganzjährige Beschäftigung und ein vereinbartes Jahresarbeitsentgelt. Bauarbeiter haben die gleichen Rechte wie andere Arbeitnehmer, auch das Recht auf wirtschaftliche Sicherheit.
Unser Ziel sind Jahresarbeitszeitverträge, die die Arbeitszeiten besser an saisonale Spitzen anpassen und die Arbeit auf günstigere Monate verteilt. Das ist kein Saisonarbeitnehmer, Kollege Gilges.
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19834 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Parl. Staatssekretär Horst Günther— Der wird durch das Gesetz nicht geschaffen.
— Nein. Es wird die Arbeitszeit vernünftig verteilt. Das hat mit Saisonarbeit nicht das Geringste zu tun.
Das ist allemal besser — da nutzt auch Ihr lautstarker Zwischenruf nichts — als das bisher gezahlte Schlechtwettergeld.Durch Witterungsausfall verlieren die Bauarbeiter trotz Schlechtwettergeld im Durchschnitt 13 % ihres Entgeltes.
Die Bauarbeitgeber lassen im Winter ein Drittel ihrer Kapazität unausgelastet. Das ist schlecht, meine Damen und Herren. Das gesetzliche Schlechtwettergeld in seiner bisherigen Ausgestaltung kann die Probleme des Baugewerbes infolge ungünstiger Witterung eben nicht lösen.Tatsache ist, daß das gesetzliche Schlechtwettergeld nur in einem sehr begrenzten Umfang zur Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse der Bauarbeiter beitragen kann. Das ist nicht nur die Meinung der Bundesregierung, das ist auch die Meinung der Tarifpartner der Bauwirtschaft.Ich will in diesem Zusammenhang nur auf die Vereinbarung vom 19. Mai 1992 zwischen der IG Bau-Steine-Erden, dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie verweisen. Diese Vereinbarung enthielt damals schon die eindeutige Verpflichtung der Tarifpartner, in Verhandlungen über ein ganzjährig gesichertes Einkommen und Möglichkeiten seiner Verstetigung als Grundlage für eine tarifvertragliche Regelung ab 1996 einzutreten.Daß das bisher nicht geschehen ist, lag halt daran, daß es immer noch Schlechtwettergeld gab. Die Baugewerkschaft ist doch nicht in der Lage, solche Verhandlungen zu führen, Herr Kollege Gilges, solange es Schlechtwettergeld gibt.
Niemand kann leugnen, daß das gesetzliche Schlechtwettergeld eine Sonderleistung ist, die nur wenigen zugute kommt, aber von allen Beitragszahlern an die Bundesanstalt für Arbeit bezahlt wird.
Eine Überprüfung dieser Sonderleistung ist daher durchaus berechtigt.Ein Weg zurück zur Rechtslage beim Schlechtwettergeld im Jahre 1993 ist eine Sackgasse. Außerdem würden die Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes erschwert, und kostbare Zeit ginge verloren. Ich sage: Sie ist ohnehin schon verlorengegangen.Das liegt weder im wohlverstandenen Interesse der Bauunternehmer noch im Interesse der Bauarbeiter. Ich bitte Sie daher, den vorgelegten Gesetzentwurf zu unterstützen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 12/7564 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei dem Haushaltsausschuß die Vorlage zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden soll.Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist und weitere Vorschläge nicht gemacht werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das Ganze so beschlossen.Ich rufe Punkt 18a bis d der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes— Drucksache 12/7014 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugendb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Konrad Weiß und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAufenthaltsrecht der ausländischen Familienangehörigen bei Beendigung der Lebensgemeinschaft nach § 19 Ausländergesetz— Drucksache 12/6421 —Überweisung svorschlag:Innenausschuß RechtsausschußAusschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugendc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke ListeÄnderung des § 19 des Ausländergesetzes — Drucl sachen 12/6291, 12/6796 —Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Dr. Burkhard Hirschd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDAppell an die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer, in deren Heimat gekämpft wird— Drucksachen 12/2818, 12/6882 —Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach-Hermann Freimut DuveDer Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19835
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergDann eröffne ich die Debatte und erteile zunächst einmal der Abgeordneten Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Gestern, während der Aktuellen Stunde zur Magdeburger Menschenhatz, fiel es mir einmal wieder so deutlich auf: Gesellschaft und Politik reagieren auf ausländerfeindliche Krawalle je nach Fall mit einem Griff nach gängigen Argumenten und Appellen. Da reicht dann die Palette von verantwortungsloser Schönfärberei — Marke Alkohol und Sonnenschein — über Rufe nach schärferen Gesetzen, veränderten Haftregelungen, intensiverer Sozialpädagogik, beredter Klage über zuviel Gewalt im Fernsehen bis hin zu den Ritualen der Betroffenheit.
Nun mag das ja, für sich betrachtet, alles notwendig sein. Aber das wahl- und hilflose Stochern in einem Sammelsurium von Themen und Maßnahmen wirkt nicht gerade überzeugend auf all diejenigen, die sich mit Recht von einer wehrhaften Demokratie schlüssige Antworten und konkrete Schritte gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenhaß erhoffen.Wenn wir das schaffen wollen, was Michel Friedman kürzlich ein „Magnetfeld" nannte, „stärker als das der Rechten", dann gehört dazu ein längerer Atem und ein geschlossenes Konzept. Es gehören dazu auch deutliche und klare Zeichen des Gesetzgebers für die Integration der Migranten in diesem Land.
Gerade das leisten weder die Bundesregierung noch Sie, die Kollegen von der Koalition.Im Gegenteil. Sie liefern uns geradezu eine Paradeschau an Unbeweglichkeit und Abwehr. Sie haben das versprochene umfassende Staatsangehörigkeitsreformwerk fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Sie torpedieren Bemühungen der SPD um die Verankerung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer auch aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Kollegen der F.D.P. haben für die Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit die Werbetrommel angefaßt, aber hier im Plenum nicht gerührt. Sogar das befremdliche Votum des Präsidentschaftskandidaten der Union gegen die doppelte Staatsangehörigkeit erregt nur noch schwächlichen Protest.Fazit: Die Liberalen knicken vor der Koalitionsdisziplin ein, und die CDU/CSU beugt sich offenbar der Angst vor dem rechten Wählerrand. Ich sage Ihnen: Wenn Sie so weitermachen, bleiben all Ihre gebetsmühlenhaften Bekundungen, wie ausländerfreundlich diese Bundesrepublik sei, ein hohles Geschwätz.
Wir nehmen heute einen weiteren Anlauf, dieses Parlament aus der Starre der Abschottung gegenüber Migranten herauszubringen. Wir verlangen Änderungen am Ausländergesetz. Es ist ein Reparaturprogramm für ein Gesetz, das insgesamt den Anspruch an eine fortschrittliche, humane, klare und einleuchtende Regelung nicht erfüllt. 40 Monate nach dem Inkrafttreten steckt es noch immer in der Eingewöhnungsphase. Das belegen der Zwischenbericht des Bundesinnenministeriums und die Erfahrungen aus den Bundesländern.Selbst Fachleute aus den Behörden bahnen sich nur mühsam den Weg durch dieses Vorschriftendickicht. Das wäre bei einem anderen Gesetz schon schlimm genug. Aber besonders schlimm ist es natürlich, wenn es einen Personenkreis betrifft, der allein schon im Umgang mit unserer Sprache, Kultur und auch dem besonderen Charme unserer Verwaltungsbürokratie seine liebe Not hat.Skandalös ist geradezu, daß nach mehr als drei Jahren Verwaltungsvorschriften immer noch fehlen. Deswegen fordern wir die Innenminister von Bund und Ländern mit Nachdruck auf, endlich diese selbstverständliche Aufgabe zu erfüllen.
Wir haben keinesfalls mit dem Ausländergesetz Frieden geschlossen. Wir haben bekanntlich ein anderes, ein besseres, ein fortschrittlicheres vorgelegt. Aber im Interesse der Betroffenen wollen wir nicht warten, bis uns ein anderes Meinungsklima, andere politische Mehrheiten oder auch der Sieg der Einsichtigen in CDU/CSU und F.D.P. eine durchgreifende Reform ermöglichen.Dringlich ist vor allem die Änderung des § 19 dieses Gesetzes. Wir wollen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehepartner von Ausländern. Das Gesetz erlaubt dieses erst nach vier Jahren. Leidtragende sind vor allem die Frauen. Gewalttätige Ehemänner und Frauenhändler nutzen das aus und setzen die Betroffenen häufig unter Druck. Selbst Härtefallregelungen treten erst in Kraft, wenn die Partner mindestens drei Jahre in ehelicher Gemeinschaft gelebt haben. Mit Recht laufen Interessenverbände, Gewerkschaften und Frauenverbände dagegen seit langem Sturm. Deswegen wollen wir Schluß machen mit den Quälereien und unerträglichen Situationen, die der bisherige Rechtszustand mit sich brachte. Meine Kollegin Hanna Wolf wird dazu gleich noch Stellung beziehen.Wir wollen auch regeln, daß der Bezug von Sozialhilfe in größerem Umfang als bisher kein Hindernis für den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik sein muß.Ein anderer, wichtiger Punkt: Bessere Rückkehrmöglichkeiten für junge Ausländerinnen und Ausländer. Wenn sie, oft gegen ihren Willen, auf Wunsch der Eltern in deren Herkunftsland zurückkehren oder übersiedeln, finden Sie sich in der Kultur nicht mehr zurecht. Sie kennen die konkreten Schilderungen dieser sogenannten „Deutschländer". Es trifft auch da vor allen Dingen wieder die Mädchen, die etwa in islamisch geprägten Ländern in Konflikt geraten mit der freieren, stärker auf Selbstentfaltung ausgerichteten Lebensweise, die sie bisher kennengelernt haben. Für sie wollen wir die Fristen, innerhalb derer sie sich
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19836 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgastdoch zur Rückkehr in die Bundesrepublik entschließen können, großzügiger fassen.
Ich möchte an dieser Stelle eine Anmerkung zur möglichen Abschiebung von Kindern und Jugendlichen machen, die derzeit aus aktuellem Anlaß, nämlich am Schicksal des 13jährigen türkischen Jungen aus Köln, diskutiert wird. Wir haben gestern im Innenausschuß darüber gesprochen und wir werden uns weiter mit der Problematik des § 22 des Ausländergesetzes befassen.Mir ist jetzt der dringliche Appell an die zuständigen Behörden wichtig, zu prüfen, ob solche Fälle nach den vorläufigen Anwendungsrichtlinien nicht doch als außergewöhnliche Härte einzustufen sind und damit dem Kind das Hierbleiben ermöglicht werden kann.
Wir wollen außerdem die Bedingungen für den Nachzug von Familienangehörigen und Ehegatten großzügiger fassen und die Rechtsstellung von Defacto-Flüchtlingen verbessern. Schließlich halten wir es für sinnvoll, älteren Erwerbstätigen und Selbständigen, die länger als 20 Jahre hier gelebt haben, praktisch eine Reise- und Niederlassungsfreiheit zu gewähren.Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich bekräftige, was wir vor drei Wochen während der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft sagten. Eine Reform des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts ist wahrhaftig kein Allheilmittel gegen Rechtsextremismus und Gewalt gegen Minderheiten, aber es ist ein wichtiges Signal für unsere Bereitschaft, den Einwanderern eine sichere Lebensplanung, Anerkennung und gleichberechtigte Partnerschaft mit den deutschen Mitbürgern zu ermöglichen.
Wer das nicht tut, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er offenbar nicht willens ist, via Gesetzgebung den Sumpf von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Menschen anderer Nationen, Hautfarbe und Religion auszutrocknen.
Diese Ausbrüche von Fremdenhaß, die wir erleben, fußen doch auf der Vorstellung, man habe es mit Menschen zweiter und dritter Klasse zu tun, die hierzulande eher gelitten als geliebt sind und an denen man ruhig mal ein Mütchen kühlen könnte. Wenn man diesem Ungeist nicht gegensteuert, dann wird er sich weiter einnisten.Gegensteuern heißt aber nicht nur lautes Wehklagen über den nächsten Anschlag und kurzfristige Schadensbegrenzung, sondern heißt positive Zeichen setzen. Wenn Sie das nicht endlich begreifen, können Sie gleich Ihren ausländerpolitischen Offenbarungseid leisten, und das sollten Sie vielleicht tun.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Erika Steinbach.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast, wenn man Einzelschicksale betrachtet, kann einem jedes einzelne Schicksal das Herz schier im Leibe herumdrehen. Wenn wir als Vertreter des deutschen Volkes mit dieser Prämisse Politik machen, werden wir absolut politikunfähig; das prophezeie ich Ihnen.
Die Hilflosigkeit der vergangenen Jahre bis zur Asylgesetzgebung hat mit dazu beigetragen,
daß sich Ausländerfeindlichkeit in diesem Lande manifestiert hat. Das ist eine der Ursachen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, gehen Sie einmal in sich, und denken Sie in Ihrem Stübchen einmal intensiv darüber nach. Auch die Schicksale aller Millionen anderer Menschen auf dieser Erde, die Hunger leiden, die Not leiden, können einen erbarmen. Aber wir können dieses Elend nicht auf deutschem Boden heilen. Das ist doch völlig ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund haben wir als Abgeordnete im Deutschen Bundestag die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, eine Politik zu betreiben, die auf der einen Seite human ist, auf der anderen Seite aber auch die Interessen dieses Staates schützt und wahrt und uns davor schützt, daß Ausländerfeindlichkeit hier überhaupt einen Nährboden findet.
Frau Dr. Sonntag-Wolgast, wenn Sie nicht nur meinen Parteifreund, sondern meinen sehr engen persönlichen Freund Michel Friedman als Kronzeugen benutzen, dann ist das — das will ich Ihnen ganz deutlich sagen — ein Mißbrauch dieser Person.
Wir sind sehr eng befreundet. Ich kenne seine Gedanken in- und auswendig, und ich kenne sein persönliches Schicksal.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Duve zu beantworten?
Aber gerne.
Bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19837
Verehrte Kollegin, nachdem Sie Ihren persönlichen Freund so vehement davor in Schutz genommen haben, im politischen Raum zitiert zu werden: Ist es künftig beabsichtigt, uns zu verbieten, Mitglieder des Zentralrats und Personen, die sich im Präsidium anderer Bundesorganisationen befinden, zu zitieren, nur weil sie einer Partei angehören?
Aber Herr Duve, das war eine sehr unkluge Frage. Sie ist so gestellt, daß darauf eine Antwort gar nicht zu geben ist.Natürlich zitieren wir auch Persönlichkeiten und Personen.
Ich sage nur: Dr. Michel Friedman hier zu zitieren ist zum Teil auch Mißbrauch, weil das natürlich zum Teil verkürzt geschieht und nicht alles beinhaltet, was er zu den Dingen denkt.Wir haben vor etwa einem halben Jahr hier schon einmal zu einer ähnlichen Thematik gesprochen. Sie haben damals in Ihrer Forderung nach einem Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum neuen Ausländergesetz Ihre Position so dargestellt, wie Sie es heute getan haben. Die Absicht, die jeweils hinter Ihrem Anliegen steckte, ist deutlich: Sie möchten durch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen u. a. den Zuzug von Ausländern hierher erleichtern und die Ausreiseverpflichtung von Ausländern weitestgehend verhindern. Das sollen alle diese Einzelmaßnahmen bewirken.
— Nein, Integration fördern ist etwas anderes. Integriert werden sollen diejenigen, die das Aufenthaltsrecht hier im Lande haben und die Anforderungen erfüllen, Deutsche werden zu können. Das ist die Voraussetzung für die Integration.
Wir können die Elendsprobleme aller Welt nicht hier in Deutschland lösen. Mit Ihrem nun vorliegenden Gesetzentwurf soll Ihre ultralinke Klientel bedient und befriedigt werden;
denn ein ganz erheblicher Teil Ihrer Parteifreunde — das weiß ich doch aus meinem eigenen Wahlkreis — betrachtet die Dinge doch genauso wie auch wir.
Sie würden Deutschland am liebsten zu einem Einwanderungsland umgestalten. Deutschland ist kein Land, das Einwanderungsland werden kann, obwohl wir heutzutage immer noch großzügiger mit vielen Dingen umgehen als die Vereinigten Staaten oder auch Kanada.Es wundert mich nicht, daß Ihre Intentionen von der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in vollem Umfang unterstützt werden. Die Intention ist bei beiden identisch.
Ich will exemplarisch nur § 19 herausgreifen, den auch Sie angeführt haben. Ich sehe schon deshalb keinen Handlungsbedarf, weil die Grenze im neuen Ausländerrecht schon heruntergesetzt worden ist. Die Grenze war zuvor wesentlich höher. Die Scheidungsopfer — das sind meistens Frauen — haben heute schon bessere Möglichkeiten als nach dem alten Ausländerrecht.Das geltende Ausländergesetz hat die Rechtslage für die nachgezogenen ausländischen Ehepartner bereits erheblich verbessert. Wer mindestens vier Jahre in der Bundesrepublik lebt, verheiratet ist und sich dann scheiden läßt, der hat auch heute schon ein eigenständiges Aufenthaltsrecht — ohne Wenn und Aber.
In besonderen Härtefällen beträgt diese Frist sogar nur drei Jahre.Jetzt wollen Sie die Fristen verringern. Mit einer Verringerung der Frist gibt es aber neue Grenzfälle. Wie wollen Sie denn mit diesen neuen Grenzfällen umgehen? Der nächste Schritt wäre dann, überhaupt keine Fristen mehr festzulegen. Das heißt, es würde völlig freigegeben.Die Fristen, die jetzt vorhanden sind, haben wir bei der Verabschiedung des damaligen Ausländerrechtes bewußt gewählt. Sie reichen nach unserem Dafürhalten völlig aus, da in den allermeisten Fällen dem zur Rückkehr verpflichteten Ehegatten durchaus zugemutet werden kann, in sein Heimatland zurückzukehren.Deutschland kann nicht das Auffangland für die ausländischen Partner gescheiterter Ehen sein, wenn diese Ehen nur ganz kurz bestehen. Natürlich möchte ich nicht verschweigen, daß es dabei schwierige Fälle gibt — auch bei Ehen, die kürzer bestehen —, daß es auch Härtefälle gibt. Härtefälle aber wird es bei jeder Frist geben, auch bei Ihrer.
— Lieber Herr Kollege Hirsch, ich sage Ihnen: Beruhigend kann das nie sein, weil ein menschliches Schicksal dahintersteht. Wir müssen aber sehen, wie wir in unserem Lande damit umgehen, wie wir Mißbrauch verhindern können, auch Scheinehen, die nur zu dem Zweck geschlossen werden, in dieses Land einzuwandern und unsere Zuwanderungsbeschränkungen zu unterlaufen.
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19838 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Erika SteinbachDas wollen auch Sie nicht, Herr Kollege Hirsch; so gut kenne ich Sie doch. Sie wollen doch nicht, daß das Recht unterlaufen wird.
— Ehen können auch 65 Jahre bestehen und Scheinehen sein. Das war eine besonders dümmliche Aussage, muß ich sagen. Das bringen meistens — — Nein, ich sage nichts dazu. Ich halte mich zurück.
Frau Abgeordnete, der Kollege Burkhard Hirsch möchte Ihnen gerne eine Frage stellen. — Bitte schön, Herr Abgeordneter Hirsch.
Frau Kollegin, ich werde ja durch Ihre Bemerkung nur provoziert.
Ich habe lediglich auf den Zwischenruf reagiert.
Wenn nun eine Ehe nicht erst nach drei Jahren, sondern nach zwei Jahren nicht mehr besteht, weil der Ehemann stirbt, oder scheitert, weil er sich in brutaler Weise gegen seine Frau vergeht: Meinen Sie denn, daraus schließen zu können, daß es sich in Wirklichkeit nur um eine Scheinehe gehandelt hat? Oder wie soll ich Ihre Bemerkung verstehen? Ist das kein Härtefall, den man lösen muß? Hängt die Härte von der Frist ab oder von den Umständen?
Verehrter Herr Kollege Dr. Hirsch, es läßt sich alles konstruieren, wenn man ein Recht mißbrauchen will.
Wir haben auch für den Mißbrauch von Rechten Belege in Hülle und Fülle. Sie können alles konstruieren. Wer will denn das am Ende nachprüfen? Wie wollen Sie das denn handhaben, wenn die Frist, wie Sie sagen, ein halbes Jahr beträgt? Ich sage Ihnen: Wir brauchen Fristen. Wir müssen Fristen haben, die nach menschlichem Ermessen auch einen gewissen Grad an Sicherheit vermitteln, daß in unserem Staate kein Mißbrauch betrieben wird.
Ich füge hinzu — ich habe das ja gleich zu Beginn gesagt —, daß hinter allen Überlegungen sicherlich schwierige menschliche Schicksale stehen. Aber als Parlament dieses Landes haben wir die Pflicht und Schuldigkeit, Schutzmaßnahmen für unser eigenes Land einzuziehen. Das gehört ganz einfach dazu.
Das Elend in anderen Regionen der Welt müssen wir mit anderen Methoden hilfreich zu beseitigen versuchen. Das können wir nicht alles in diesem Lande schaffen. Wir können auch nicht alle menschlichen
Schicksale durch Fürsorge in der Gesetzgebung verhindern. Das geht nicht.
Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zu beantworten?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Steinbach, trifft es zu, daß in Deutschland aufgewachsene Türkinnen von ihren Eltern an junge Männer zum Zwecke der Verheiratung verkauft werden, um die Zuzugsregelungen umgehen zu können, und insofern unser offenes Recht des Familienzuzugs glatt umgangen wird?
Liebe Renate Hellwig, das ist einer der Punkte, bei denen wirklich offenkundig Mißbrauch betrieben wird. Und das ist natürlich nicht der einzige Fall. Das gibt es auch in anderen Bereichen. Man kann sich davor ja kaum schützen, weil die Macht der Familie über junge türkische Mädchen ganz enorm ist. Unsere Feministinnen, die die Fahne der Gleichberechtigung sonst immer so hochhalten, versagen in diesen Fragen völlig.
Auch das muß man einmal auf den Tisch legen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden dem Anliegen, das die SPD uns hier auf den Tisch gelegt hat, nicht zustimmen, weil wir glauben: Das Ausländergesetz in der derzeitigen Fassung ist wirkungsvoll, es ist sinnvoll, und es ist auch human.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme mir manchmal so vor, als säße ich gleichzeitig in zwei verschiedenen Parlamenten. Immer dann, wenn es darum geht, Abscheu und Entsetzen gegenüber einer neuen Eskalation fremdenfeindlicher Gewalt auszudrücken, geschieht das hier prompt, unisono und ganz unmißverständlich. Aber wenn es um konkrete Erleichterungen oder Verbesserungen geht, dann ist die Einigkeit sehr schnell dahin.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19839
Cornelia Schmalz-JacobsenDies, meine Damen und Herren, enttäuscht eben nicht nur die betroffenen Ausländer, sondern auch weite Teile der deutschen Bevölkerung. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen. Denn längst sind wir ja sehr viel mehr mit den zugewanderten Menschen und ihren Nachkommen verbunden und verwoben, als es vielen klar oder vielleicht auch lieb ist.
Ich möchte das an einem einzigen Faktum verdeutlichen: Jede zehnte Ehe, die heute in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wird, ist eine binationale Ehe.Die Integrationsleistung beider Bevölkerungsteile ist groß, ebenso der Wille zur Integration. Bei den meisten kann man das jedenfalls sagen. Darum interessiert es viele Menschen, wie wir mit denen umgehen, die keinen oder noch keinen deutschen Paß haben. Um so kritischer werden die rechtlichen Voraussetzungen für das Leben von Ausländern in Deutschland betrachtet.Das Ausländerrecht ist für das Leben aller Ausländer in Deutschland von entscheidender Bedeutung, egal, wie lange sie hier schon leben, egal, ob sie hier geboren sind und sich als Deutsche fühlen wie jeder von uns. Nur die Bürger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind von unserem Ausländerrecht in geringerem Maße betroffen. Aber alle anderen — das ist die überwältigende Mehrheit von mehr als 75 % — betrifft das ganz erheblich.Die Vorschriften des Ausländerrechts müssen sich aber auch daran messen lassen, ob sie sich wirklich an der Realität in unserem Land orientieren.
In diesem Punkt ist das Ausländergesetz aus dem Jahr 1990 trotz erreichter Fortschritte — es ist ja besser als sein Ruf — noch stark verbesserungsfähig.Als der Bundesinnenminister vor knapp einem Jahr seinen Erfahrungsbericht vorlegte, habe ich Vorschläge zur Verbesserung gemacht. Nach einer Expertenanhörung hat die F.D.P. ebenfalls Korrekturen angemahnt, diese beschlossen und veröffentlicht. Es ist ja nicht weiter verwunderlich, daß die Punkte, die hier zweimal aufgelistet sind und zum drittenmal bei der SPD, ganz ähnlich sind. Das zeigt doch nur, daß bestimmte Veränderungen offenbar besonders notwendig und zwingend sind — nicht mehr und nicht weniger.
Ich denke dabei z. B. an das Wiederkehrrecht junger Ausländer, das ja im Ausländergesetz geregelt ist und eine gute und richtige Sache ist. Aber wir müssen heute feststellen: Es ist zu eng gefaßt. Ich denke an Familiennachzug oder an Visumfreiheit für die Gastarbeiter der ersten Generation, denen wir Dank schulden, was wir hier auch immer sagen. Das kann man ganz leicht besser regeln.Einen besonderen Schwerpunkt in drei Vorlagen, die heute hier auf dem Tisch liegen, bildet das eigenständige Aufenthaltsrecht für ausländischeEhepartner gemäß § 19 des Ausländergesetzes. Wir diskutieren hier vor einem schwierigen Hintergrund. Wir sollten meiner Meinung nach beide Seiten sehen. Es kann kein Mensch wollen, daß der Gesetzgeber Scheinehen Tür und Tor öffnet, indem er solche Regelungen allzusehr lockert. Darum bin auch ich strikt dagegen, ein sofortiges eigenständiges Aufenthaltsrecht einzuräumen. Ich meine, daß gegen die im Gesetz vorgesehene Regeldauer von vier Jahren gar nichts einzuwenden ist, wobei ich den Vorschlag vernünftig finde, ein Jahr anzurechnen, wenn die Ehe schon im Ausland bestanden hat.
Aber gegen die starre Dreijahresfrist für Härtefälle ist doch eine Menge einzuwenden. Meine Damen und Herren, eine grün- und blaugeschlagene Frau kann ihre Mißhandlungen nicht vortäuschen, und einen toten Ehemann, mit Verlaub, kann man ebenfalls nicht vortäuschen.
Ist eine Härte erst wirklich dann eine Härte, wenn sie mindestens drei mal 365 Tage angedauert hat? Ich glaube, daß wir uns hier bewegen müssen.Ich möchte etwas geraderücken. Es gibt in diesem Bereich tragische Entwicklungen. Aber es geht hier nicht um die Regel, sondern es geht um Ausnahmen.
Es gibt hier eine Kampagne. Aber die genannten Fälle sind Ausnahmen. Das Gegenteil ist nämlich wahr. Binationale Ehen haben in Deutschland eine geringere Scheidungsquote als Ehen zwischen zwei deutschen Partnern. Es funktioniert ja wohl in der Regel.
Ich meine, wir sollten uns anderen Fragen — in meinen Augen viel grundsätzlicherer Natur — zuwenden. Welchen Respekt räumen wir familiären Bindungen ein? Sobald wir unsere Abscheu vor Gewalt ausdrücken, vergessen wir niemals, auf die Werte hinzuweisen, die Werte von Familie und was man füreinander tun kann. Wenn sich die Familien um ihre Alten kümmern, wenn sich die Großeltern um ihre Enkel kümmern, wenn ältere Geschwister Verantwortung für jüngere Geschwister übernehmen, dann ist das ein Verhalten, das unseren Beifall verdient und auch erhält.Bei ausländischen oder binationalen Ehen und Familien sieht es dann anders aus. Bevor eine ausländische Familie Großmutter oder Großvater zu sich holen kann, gibt es hohe Hürden zu überwinden. Wenn andere Verwandte als die Eltern ein Kind bei sich aufnehmen wollen, dann ist das von vornherein schier unmöglich. Ich erinnere hier auch an das, was als „Kölner Fall" bundesweit Bekanntheit errungen hat.
Ist es denn so schwer verständlich, daß sich zugewanderte Familien eben auch über Grenzen hinweg
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19840 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Cornelia Schmalz-Jacobsenwie Familien benehmen und füreinander da sind? Ich meine, daß der grundgesetzlich garantierte Schutz von Ehe und Familie bei binationalen und ausländischen Familien stärker beachtet werden sollte als bisher
und daß das Kindeswohl, das wir doch sehr hoch einschätz en, Vorrang vor ausländerrechtlichen Regelungen haben sollte.
In diesem Haus ist oft davon gesprochen worden, daß junge Menschen Perspektiven brauchen. Das gilt natürlich auch für junge Ausländer. Es ist hier eine Menge verbessert worden. In meinem Bericht, den wir ein anderes Mal diskutieren werden, habe ich das gesagt. Es wäre auch ein notwendiger Schritt, jungen Ausländern, die in Deutschland geboren sind — darüber müssen wir nachdenken —, ein Aufenthaltsrecht mit in die Wiege zu geben.Zum wiederholten Male, meine Damen und Herren, muß ich an dieser Stelle für die F.D.P.-Bundestagsfraktion die Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz anmahnen, die bis zum heutigen Tage noch immer nicht da sind.
Wir wurden stets mit der Bemerkung vertröstet, die Verwaltung hätte zuviel zu tun. Wenn aber offenbar genügend Zeit da war, um 400 Seiten sogenannter „vorläufiger Anwendungshinweise" zu produzieren,
—ja —, dann ist es, denke ich, ein Unding, daß wir die Verwaltungsvorschriften, bei denen wir ja wohl auch ein Wörtchen mitzureden hätten, nach wie vor noch nicht haben.Es ist hohe Zeit, auch begriffliche Klarstellungen im Ausländergesetz vorzunehmen, etwa im Bereich Ausweisung und Abschiebung. Die vielen unscharfen und ungeklärten Rechtsbegriffe — „unbillige Härte", „besondere Härte", „außergewöhnliche Härte", „unzumutbare Härte" — machen allen das Leben schwer, übrigens auch den Ausländerbehörden; das sind ja auch keine Steine, die da sitzen.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burkhard Hirsch zu beantworten?
Ja, natürlich.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Frau Kollegin, Sie haben eben den außerordentlich erstaunlichen Umfang der vorläufigen Anwendungsrichtlinien erwähnt, der mich wirklich überrascht hat. Sind Sie als die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung an der Abfassung oder der Formulierung der vorläufigen Anwendungsrichtlinien zum Ausländergesetz in irgendeiner Weise beteiligt gewesen?
Nein, ich war in keiner Weise beteiligt.
Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, den Erfahrungen vieler mit dem Ausländergesetz umgehender Behörden und Institutionen Rechnung zu tragen.
Ich will nicht verschweigen, daß ich hin und wieder höre, man könne das alles nicht machen, denn das sei das falsche Signal. Meine Damen und Herren: Da wird es ernst. Ich frage mich: An wen eigentlich? Denn in dem anderen Parlament, in dem wir so einig sind, senden wir doch Signale von Toleranz und Offenheit aus. Aber solange das nur Signale sind, die sich gut anhören, und nichts geschieht, so lange werden wir auch keine Klimaverbesserung in der Gesellschaft haben.
Die rechte Szene hat durchaus ein Gespür dafür, ob sie heimliche Verbündete hat oder ob sie wirklich geächtet wird. Zu den falschen Signalen gehört übrigens auch die öffentlich gemachte Bemerkung eines Staatssekretärs in einem Bundesland, er möchte keinen Bürgermeister haben, der Mustafa heißt. So etwas ist Polemik. So etwas ist überflüssig. Das schürt.
Das Klima für Minderheiten bei uns ist rauher geworden. Ich bitte Sie alle: Lassen Sie uns gemeinsam, lassen Sie uns offen und mit der gebotenen Toleranz das Ausländerrecht durchgehen und dort, wo es notwendig ist, neu formulieren.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Innenminister Kanthers maßgeblicher Meinung diskutieren wir heute ein „sachlich unvertretbares Zuzugsprogramm" in Form des SPD-Antrages zur Änderung des Ausländergesetzes, und das auch noch ohne Not, wie er meint.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994 19841
Ulla JelpkeDamit drückt er ziemlich genau das gespenstische Niveau aus, das diese Regierung der Diskussion um die Situation von Ausländerinnen und Ausländern gegeben hat, mit tatkräftiger Unterstützung des Mobs auf der Straße, wie wir alle wissen.„Ohne Not" würde die Lockerung unmenschlicher bürokratischer und juristischer Fesseln gefordert. Das behauptet der Innenminister einer Regierung, die gerade ihrem größten Konflikt mit den Kirchen entgegensteuert, eben weil Menschen von dieser Regierung in Not gebracht wurden und werden. Herr Kanther fordert Vertreter der Kirchen auf, ihr Gewissen gefälligst auf den Stand seiner Politik zu bringen.Er sieht keine Not darin, daß Kindern Ausweisungsbescheide zugestellt werden, Ausweisungsbescheide, in denen sie wegen Visumvergehen zur Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik erklärt werden.Not gibt es auch nicht bei den Frauen, die wegen § 19 Ausländergesetz in Ehen festgehalten werden, weil sie jahrelang kein eigenes Aufenthaltsrecht erhalten.Not kann er auch nicht erkennen bei den durch Ausländer- und Asylgesetz in die überquellenden Abschiebeknäste gesperrten Menschen und wenn Familien durch unerträgliche Rückkehrfristen getrennt werden oder familiäre Perspektiven zerstört werden. Alles kein Grund zur Not.Versuche gab es genug, mehr Rechte und mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Es ist hier schon genannt worden: Das gilt für die Erleichterung der Einbürgerung und die doppelte Staatsbürgerschaft. Das gilt für die Frage eines sicheren Aufenthaltsstatus für die ehemaligen Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen in der DDR. Das gilt für die Kritik am Asylbewerberleistungsgesetz und einiges mehr. Gegen alles wurde der Hammer der „Zuzugsprogramme" oder — wie wir heute wieder hören durften — der Mißbrauchsbegünstigung geschwungen. Dieser Politik werden auch die schamhaftesten Änderungsanträge der SPD zum Opfer fallen.Wer auf diese Weise die Wirklichkeit verdreht und gegen mehr Gerechtigkeit, mehr Rechte und weniger Not Überfremdungsängste schürt, der weiß genau, an welche Klientel er sich damit wenden will. Es ist der Mob, es sind die öffentlichen und die heimlichen Beifallklatscher bei Ereignissen, die ich nicht weiter benennen muß. Hier fand jedesmal eine Aktuelle Stunde im Bundestag statt, zuletzt gestern zu Magdeburg.Ich möchte Ihnen sagen, daß Herr Kanther keine Probleme hat, diesen Zusammenhang herzustellen.75 % der CDU-Wünsche seien Gesetz geworden, erklärt Innenminister Kanther in der „Süddeutschen Zeitung" vom 7. März dieses Jahres. Ich zitiere ihn:Dieses Ergebnis bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung — die natürlich auch Hitzegrade erzeugt hat.Wer damit nicht einverstanden sei, möge ihm bitte erklären, wie demokratische Politik ohne das Volk zu machen sei.Tausende von ausländerfeindlichen Straftaten pro Jahr, 80 Tote in fast vier Jahren und unzählige Brandanschläge — alles bloß Hitzegrade, die der Unionspolitik zum Erfolg verhelfen.Diese Sicht der Dinge führt natürlich zur Ablehnung der kleinsten Verbesserungen für Ausländerinnen und Ausländer in diesem Land. Die Verhältnisse in diesem Lande müssen sich schon gewaltig ändern, um hier überhaupt noch irgend etwas zu erreichen.Danke.
Nunmehr spricht der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Ausländergesetz hat die vom Gesetzgeber behauptete Rechtssicherheit für die in Deutschland lebenden Einwanderer und Flüchtlinge, die praktisch längst zu Inländern geworden sind, nicht erreicht. Nach mehr als drei Jahren Erfahrung mit diesem Gesetz bestätigt sich vielmehr, daß die Kritik, die bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes geübt wurde, mehr als berechtigt war.Kernpunkt dieser Kritik war und ist, daß wir es hier mit einem Gesetz zu tun haben, das in erster Linie der Abwehr, nicht aber den Erfordernissen einer zivilen und humanen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik genügt. Die wenigen Rechtsansprüche, die das Gesetz einräumt, sind unzureichend und werden in der Praxis kaum umgesetzt. Eine Fülle von Ermessensvorschriften bewirkt Unsicherheit bei den hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern. Selbst ein so nachsichtiger Berater dieses Gesetzes wie Bundesrichter Kemper spricht von einem „verwirrenden System", bei dessen Anwendung selbst Juristen der besonderen Hilfe bedürfen.Wie berechtigt die Forderung nach einer umfassenden Überarbeitung des Ausländergesetzes ist, wird mittlerweile durch eine Fülle von Schicksalen belegt, in denen die unnachsichtige Durchsetzung von restriktiven Paragraphen demokratische und humane Grundwerte unserer Gesellschaft in Frage gestellt hat. Auch die Bundeskonferenz der Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und Gemeinden hat in ihren Beschlüssen wichtige Bereiche genannt, die dringend einer Änderung bedürfen.Obwohl von der Bundesregierung immer wieder ein kritischer Erfahrungsbericht eingefordert wurde, der die Schwachstellen aufzeigt und daraus notwendige Regelungen ableitet, ist bis heute nichts passiert.An Hand von nur zwei Beispielen will ich die untragbaren und inhumanen Folgen verdeutlichen, die aus der Anwendungspraxis des Ausländergesetzes resultieren.Die derzeit geltenden Regelungen im § 19, die heute schon mehrfach angesprochen worden sind, bedeuten insbesondere für ausländische Frauen, die zu ihren in der Bundesrepublik lebenden Ehegatten nachziehen,
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19842 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1994
Konrad Weiß
daß sie erst nach vier Jahren, bzw. in Härtefällen nach drei Jahren, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten.Uns allen ist noch der aufsehenerregende Fall jener in Köln lebenden Türkin in Erinnerung, die im vergangenen Jahr vor den fortwährenden Mißhandlungen ihres Ehegatten Schutz suchte. Damit aber bestand die für ihr Aufenthaltsrecht notwendige „eheliche Lebensgemeinschaft" nach Auffassung der Ausländerbehörde nicht mehr. Auf Grund der Rechtslage sollte sie deshalb in die Türkei zurückkehren, obwohl ihr für diesen Fall angedroht worden war, umgebracht zu werden. Trotz der verzweifelten Situation dieser Frau konnte die in Betracht kommende Härtefallklausel nicht wirksam werden, weil der im Gesetz geforderte Mindestaufenthalt von drei Jahren nicht gegeben war.Beispiele wie diese sind durchaus kein Einzelfall. Daher hat die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Antrag vom 9. Dezember 1993 ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Familienangehörige bei Beendigung der Lebensgemeinschaft nach § 19 Ausländergesetz gefordert, um insbesondere für „nachgezogene" ausländische Frauen eine Absicherung ihres Aufenthaltsrechts ohne die Voraussetzung starrer Fristen zu gewährleisten.Häufig sind Kinder und Jugendliche die Opfer restriktiver ausländerrechtlicher Vorschriften. Der in den vergangenen Wochen diskutierte Fall des 13jährigen Muzaffer Ucar, der unter Mißachtung der UNOKinderkonvention in sein Herkunftsland ausgewiesen werden sollte, zeigt besonders deutlich die offenbar gewordene Kluft zwischen Legalität und Humanität, die durch entsprechendes Verwaltungshandeln immer größer wird.Die in diesem und offenbar in vielen weiteren Fällen nach § 22 des Ausländergesetzes getroffene Entscheidung, daß das nach einer Ausweisung drohende Schicksal für ein Kind nur eine „gewöhnliche Härte", nicht aber eine „außergewöhnliche Härte" bedeutet, die aber für eine Aufenthaltserlaubnis erforderlich wäre, ist ein Eingeständnis der erbarmungslosen Gleichgültigkeit gegenüber der schwierigen Situation alleinreisender Flüchtlingskinder, die in der Gesellschaft kaum eine Lobby haben.Daher unterstützen wir Forderungen von Kinderschutzorganisationen nach einem Bleibe- und Aufenthaltsrecht für Kinder und Jugendliche, wenn eine vorrangige Berücksichtigung des Wohles des Kindes dies verlangt.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt den vorliegenden Antrag der SPD zur Änderung des Ausländergesetzes, auch wenn wir wissen, daß dies noch nicht ausreichen kann. Aber es ist ein erster Schritt.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Gerd Andres das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfinde es als ein Stück aus dem Tollhaus, wenn man sieht, was in unserem Land passiert: Mittwoch diskutiert der Bundestag in einer Aktuellen Stunde die unerträgliche Ausländerhatz von Magdeburg; öffentlich beklagt der Bundesaußenminister den Zerfall des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland; der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, mischt die Debatte über die Staatsangehörigkeit öffentlich auf und empfiehlt Hunderttausenden Ausländern, die nicht Deutsche werden wollen, die Ausreise. Dazu hört er ein Echo von der F.D.P.
Schäuble bewegt die „nationale" Frage; Frau Süssmuth kontert.
Statt vieler folgenloser Reden wäre jetzt entschiedenes Handeln gegen rechtsradikale Gewalt und gegen Ausländerhaß notwendig.
Dazu gehören auch Entscheidungen im Ausländerrecht.
Wie so oft erlebt man aber auch heute abend hier die Diskussion nach der üblichen Melodie: Der Kollege Solms hat in einer Presseerklärung vom 28. April 1994 unter dem Motto „Seien wir doch mal ehrlich!" die These verbreitet, er wolle der SPD, die hinter den beiden abgelehnten Gesetzentwürfen für eine erleichterte Einbürgerung und die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit stehe, keine Wahlkampftaktik unterstellen; aber den augenscheinlich vielen Problemen ausländischer Burger, vor denen niemand in der Bundesrepublik die Augen und Ohren verschließen könne — eine gute Einsicht, würde ich einmal sagen —, sei durch derartige Schnellschüsse nicht gedient.
Herr Abgeordneter Andres, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Feilcke zu beantworten?
Bitte schön.
Herr Kollege Andres, können Sie mir bitte in allem Ernst einmal die Logik erklären, wie man mit einer liberaleren Gesetzgebung im Ausländerrecht rechtsextremistische oder überhaupt extremistische Gewalttätigkeiten verhindern will?
Ich will Ihnen das ganz einfach beantworten, Herr Feilcke. Ich finde, was wir tun müssen — tun müssen, nicht nur darüber reden; ich würde Sie bitten zuzuhören —, ist, mit allen Mitteln und Möglichkeiten gegen rechtsradikale Gewalt vorzugehen. Das ist der eine Teil. Was wir aber auch tun müssen, ist, sozusagen politische Signale in unsere Gesellschaft hinein zu setzen. Das bedeutet: Integration, d. h. unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, so weit das möglich ist, in diese Gesellschaft einzubeziehen, dafür Voraussetzungen zu
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Gerd Andresschaffen. Dazu gehören auch solche Signale wie das, dort, wo unser Ausländerrecht völlig unzureichend ist und große Probleme aufwirft, die notwendigen politischen Veränderungen vorzunehmen.
Wird die Nachfrage auch beantwortet, Herr Abgeordneter Andres?
Bitte schön. Ich weiß zwar nicht, ob es bei Herrn Feilcke was nützt, aber — —
Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß ich mich mit dem Thema weniger ernst befasse als Sie. Seien Sie bitte nicht so arrogant!
Herr Kollege, ich frage in allem Ernst nach, bei der Besorgnis, die uns anläßlich der Ausschreitungen in Magdeburg vielleicht verbindet: Glauben Sie in allem Ernst, daß es zu diesen Ausschreitungen nicht gekommen wäre
— lassen Sie mich bitte ausreden, Frau Kollegin —, wenn die betroffenen Ausländer einen deutschen Paß gehabt hätten?
Herr Feilcke, das ist überhaupt nicht das Problem, sondern das Problem ist, daß die Politik auch durch Ihr Verhalten, durch Ihren Umgang mit solchen Fragen öffentliche Signale setzt.
Wir hätten es damit nicht verhindert; aber wenn es praktisch entschiedenere Vorgehensweisen derer gäbe, die es machen können, die Mehrheiten haben, und wenn es auch ein anderes Verhalten gegenüber den Ausländern, und zwar auch durch die offizielle Politik, gäbe, dann könnten wir dem auch mit solchen Maßnahmen entgegentreten.
Das Argument von den Schnellschüssen ist eben hier wieder gekommen, indem es hieß: Man muß es prüfen, man muß sich das alles anschauen. — Man kann sich über Zeitempfinden natürlich sehr streiten. Das könnte ich auch an dem Gesetz über die erleichterte Einbürgerung und die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit deutlich machen.Ich möchte darauf hinweisen, daß vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden emotionalen Abkühlung einige Wochen nach den schlimmen Vorgängen in Solingen und in Mölln sowie der Abkehr vom Vorsatz für mehr menschliche Erleichterungen und Rechte von Migranten die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer und deren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und Gemeinden gemeinsam folgenden Beschluß gefaßt haben:Wir protestieren gegen die Entscheidung, derMehrheit des Deutschen Bundestages, die überfällige Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts über das Ende dieser Legislaturperiode hinauszuschieben.Hier ist vorhin von der Kollegin Steinmeister-Hermann bemerkt worden
— Steinmeiser-Hermann —, die SPD formuliere ihre Initiative mit Blick auf die ultralinke Klientel.Ich will Sie darauf hinweisen, daß unsere heutige Gesetzesvorlage zur Änderung des Ausländergesetzes allerdings angesichts der allen bekannten sozialen Situation von Migranten in der Bundesrepublik Deutschland eine wohlüberlegte, von den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen, den Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der überwiegenden Zahl der Bundesländer geforderte, kurzfristig angelegte Änderung des bestehenden Rechts darstellt. Ich glaube ganz bestimmt, daß Sie bei all denen, die ich aufgezählt habe, nicht auf die Idee kommen, daß es sich dabei um eine linksradikale oder linksextreme Klientel der SPD handelt.
Weil unmittelbarer Handlungsbedarf besteht und weil unsere politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiele steht und weil man einem Patienten nicht erst dann Zuwendung zukommen lassen kann, wenn er schon irreparable Schäden davonträgt, ist eine Änderung des Ausländerrechtes noch in dieser Legislaturperiode notwendig. Wir Sozialdemokraten wollen handeln, weil es notwendig ist und weil viele schwierige Fragen, die sich in drei Jahren Anwendung dieses Ausländerrechtes herausgestellt haben, dringend einer Veränderung bedürfen. Dazu gehören die gegenwärtige Ausgestaltung des Ehegattenaufenthaltsrechts in § 19, die unbefriedigende Rechtslage im Bereich des Wiederkehrrechts in § 16 und § 44, auch für ausländische Senioren, Regelungen im Familiennachzug in § 17 und § 23, Ehegattennachzug in § 18 und bei der Aufenthaltsbefugnis in § 30, § 35 und § 99 und bei der Aufenthaltsberechtigung in § 27 und § 94a.Dabei verhehle ich nicht meine Meinung, daß eine umfassende Novellierung des Ausländerrechts langfristig anzustreben ist. Aber dazu ist wahrscheinlich notwendig, daß wir zu einer veränderten geistigen und moralischen Haltung auch der Mehrheit dieses Hauses kommen müssen, die verinnerlicht hat — ich sage ausdrücklich „verinnerlicht", meine Damen und Herren — und es nicht nur verbal äußert, worin der Unterschied zwischen ausländerpolitischen Vorschriften und Migrationspolitik besteht.Frau Schmalz-Jacobsen hat dies in ihrem Bericht, dessen Behandlung auf Antrag der F.D.P. leider heute von der Tagesordnung abgesetzt worden ist, verdeutlicht. Dieser Bericht, wird er von Ihnen ernstgenommen, läßt nur eine Schlußfolgerung zu: die Zustimmung zur Gesetzesinitiative der SPD-Bundestagsfraktion.
In umfassender, klarer und emotionsloser Form macht er auf die Problemlage von Migranten in der
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Gerd AndresBundesrepublik und von hier geborenen Kindern von Migranten aufmerksam, auf die Notwendigkeit von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, auf Berechenbarkeit, Übersichtlichkeit und Transparenz von Vorschriften, auf ein Ausländerrecht als Instrument der Integrationsförderung und nicht der Abwehr.Aber das ist genau das Gegenteil dessen, was diese Koalition an praktischer Politik betreibt. Sie hat dies auch im Vorwort zur Drucksache 12/6960, dem Bericht, unübersehbar schwarz auf weiß gedruckt. Ich will das zitieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil das, glaube ich, sehr wichtig ist:Der vorliegende Bericht ist in Inhalt und Wertung in der alleinigen Verantwortung der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer erstellt worden. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer entspricht damit einem an sie gerichteten Berichtsersuchen des Deutschen Bundestages vom 23. September 1993. Die Bundesregierung hat daher von einer Stellungnahme abgesehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit wird der Bericht der Bundesbeauftragten schlicht zur Privatsache der Bundesbeauftragten erklärt. Frau Schmalz-Jacobsen, ich bin sehr dafür, daß wir den Bericht gesondert diskutieren; vielleicht können Sie mir auch sagen, wann und ob das noch in dieser Legislaturperiode stattfindet. Denn ich finde, mit der Art und Weise der Debatte in der letzten Sitzungswoche zur erleichterten Einbürgerung und mit der Art, wie mit diesem Bericht und seinen Inhalten umgegangen wird, werden Sie in Ihrer Position als Ausländerbeauftragte ganz massiv desavouiert.Meine Zwischenfrage von eben, was die F.D.P. dazu tut und wie sie sich dazu verhält, war schon sehr wichtig, weil ich glaube, daß es auf Dauer nicht reicht, als Feigenblatt mit guten politischen Inhalten dazustehen, die wir nachdrücklich unterstützen, aber einer Koalition anzugehören, die in ausländerrechtlichen Fragen genau das Gegenteil von dem tut, was Sie vorschlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Einzelfragen wird meine Kollegin, die hier sprechen wird, noch eingehen.
Ich sage Ihnen nur: Wer sich mit den Einzelfragen beschäftigt und hier sagt, die Einzelfragen, die menschlichen Schicksale seien zwar alle ganz schwierig, aber man müsse in der Politik das Ganze im Auge haben und deswegen dürfe man nichts tun, der hat ein Politikverständnis, das ich für mich ganz entschieden ablehnen muß, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Denn Politik, die nicht dazu in der Lage ist, schwierige Einzelfragen zu regeln, und sich hinter Aussagen von einem Gemeinwohl und einem Staatswohl und weitgehend rechtskonservativen und nationalen Formulierungen versteckt, hat für mich jeden moralischen Anspruch verloren. Ich finde, wir müssen alles dazu tun, um das auch nach außen deutlich zu machen.Deswegen sage ich noch einmal ganz ausdrücklich: Ich bin der Bundestagspräsidentin sehr dankbar, daß sie am heutigen Tag denen eine klare Absage erteilt hat, die sich für die besseren deutschen Menschen in diesem Lande halten. Es gibt eine aktuelle Auseinandersetzung, bei der, wie ich finde, das sehr notwendig ist. Sie hat gesagt: Wenn man fordert, wir müssen mehr zusammenstehen, dann dürfen damit nicht nur jene gemeint sein, die einen deutschen Paß haben. Die Gefahr der Ausgrenzung müssen wir artikulieren, damit sich nicht jene Gestrigen bestätigt fühlen, die schon immer „Deutschland den Deutschen" gefordert haben.In diesem Sinne fordere ich für die SPD-Fraktion für alle Migranten in diesem Lande eine Änderung des Verhaltens der Regierungskoalition, weg von einer integrationshemmenden Ausländerpolitik und hin zu einer integrationsfördernden umfassenden Migrationspolitik.
Heute haben Sie die Chance, einen ersten kleinen Schritt zu tun. Helfen Sie mit, daß dieser Entwurf zur Änderung eines Ausländergesetzes mit politischer Mehrheit noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird. Ich glaube, dies ist ein ganz wichtiges öffentliches Signal für alle Migrantinnen und Migranten in dieser Republik, aber auch für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich für eine menschliche Gesellschaft einsetzen wollen.Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Hanna Wolf das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme jetzt nur auf die Inhalte des § 19 zurück, den ich für die größte Fehlkonstruktion des erst 1990 verabschiedeten Gesetzes halte. Er ist nicht Recht, sondern Unrecht. Ich werde Ihnen zeigen, warum.Liebe Frau Kollegin Steinbach, stellen Sie sich vor, Ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland würde allein vom Weiterbestand Ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft abhängen. Stellen Sie sich vor, Sie würden von Ihrem Ehemann verstoßen und müßten dann, ohne Trennungsjahr und Scheidungsverhandlung abwarten zu können, das Land verlassen, weil er Sie einfach umtauschen will.Stellen Sie sich vor, Sie würden von Ihrem Ehemann psychisch und physisch mißhandelt oder zur Prostitution gezwungen und könnten sich nicht wehren, weil Sie dann das Land verlassen müßten. Und stellen Sie sich vor, Sie wären ausgewiesen worden und könnten Ihre Kinder nicht mehr sehen, weil diese in Deutsch-
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Hanna Wolfland leben. Für Sie undenkbar und schrecklich, aber für Tausende von Ausländerinnen Realität.
Das ist die Realität des bestehenden § 19 des Ausländergesetzes.Das deutsche Ausländerrecht atmet noch den Geist der Zeit vor den großen Reformen des Ehe- und Familienrechts der fünfziger und siebziger Jahre. Für ausländische Frauen aus Nicht-EU-Staaten gelten diese Reformen bei uns nicht. Drei Viertel von ihnen müssen ohne eigenen Aufenthaltstitel nach Deutschland einreisen. Sie sind vier Jahre lang der Willkür eines Ehemannes ausgesetzt. Ihnen wird eine Ehe- und Familienstruktur aufgezwungen, die sie zudem noch in ihrer deutschen Umgebung isoliert, weil solche Abhängigkeitsstrukturen für uns — glücklicherweise — nicht mehr existieren.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie reden immer vom Schutz der Ehe und Familie und neuerdings auch von der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Halten Sie einen solchen Abhängigkeitszustand immer noch für zumutbar: Frauen, die praktisch wie Sklavinnen gehalten werden können, weil die Gesetze so sind, wie sie sind, Täter, die wissen, daß sie keine Bestrafung fürchten müssen, weil die Gesetze sie schützen?Wir debattieren heute unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländergesetzes. Meine Damen und Herren, wenigstens diesen Änderungen müssen Sie zustimmen, wenn Sie es ernst gemeint haben mit Ihren Erklärungen gegen Ausländerfeindlichkeit — immer wenn die Häuser gebrannt haben.
Wir schlagen Ihnen folgende Änderungen vor:Erstens. Die Wartezeit für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ist nur noch an das Bestehen einer zweijährigen ehelichen Lebensgemeinschaft gebunden. Nur ein Jahr davon muß sie in Deutschland bestanden haben. Bis jetzt gelten in diesem Falle vier Jahre Wartezeit.Zweitens. Bei physischer und psychischer Mißhandlung in der Ehe entfällt jede Wartezeit. Das eigenständige Aufenthaltsrecht kann dann unmittelbar in Kraft treten. Selbst bei diesen Härtefällen muß nach geltendem Recht heute drei Jahre gewartet werden, bevor den Opfern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuerkannt wird.Drittens. Solange minderjährige Kinder von ausländischen Alleinerziehenden betreut werden, ist ein Aufenthalt zu ermöglichen, auch wenn wegen der Betreuung von Kindern Sozialhilfe gezahlt werden muß. Daß Menschen mit nur abgeleitetem Aufenthaltsrecht auch Kinder haben können, haben Sie in Ihrem Ausländergesetz 1990 völlig vergessen.Erst wenn wir diese Änderungen des § 19 vornehmen, können viele kriminelle Machenschaften überhaupt verfolgt werden: Menschenhändler, Zuhälter und Schläger können zur Verantwortung gezogen werden. Ihnen kann das Handwerk gelegt werden.Eine Frau aus Asien, Osteuropa, Afrika oder Südamerika wird dann auch den Schutz der deutschenGesetze genießen, wenn sie in Deutschland verheiratet ist.Ich erspare Ihnen die Schilderung der vielen drastischen Fälle von Zwangsprostitution, Quälerei, Erniedrigung, Körperverletzung, Todesgefahr und Vergewaltigung, für die die Täter — obwohl bestens bekannt — nicht belangt werden und die Opfer auch noch mit Ausweisung bestraft werden.Ich behaupte keineswegs, daß jede binationale oder rein ausländische Ehe ein Ort der Unterdrückung ist. Ich versuche Ihnen nur deutlich zu machen, daß solche Unterdrückung, wenn sie denn stattfindet, durch dieses Ausländergesetz gefördert wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der bestehende § 19 des Ausländerrechts verstößt gegen die Menschenrechte von Frauen, weil er in der Mehrzahl ausländische Ehefrauen in Abhängigkeit zu ihren Ehemännern bringt. Dies verstößt gegen unsere Vorstellung von Menschenwürde und ist extrem ausländerinnenfeindlich, denn fast alle Betroffenen sind Frauen.Wenn Sie diesen Paragraphen nicht ändern wollen, dann nehmen Sie kriminelle Handlungen billigend in Kauf, ja Sie fordern sie geradezu heraus. Die Leidtragenden sind die Frauen und ihre Kinder.
Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention gemäß § 27 unserer Geschäftsordnung erteile ich unserem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Frau Kollegin Steinbach, Sie haben sich sehr vehement gegen den Begriff „Einwanderergesellschaft" gewehrt. Ich möchte uns alle am Ende dieser Diskussion — wir haben auch ein wenig von Patriotismus und Nationalstaat gesprochen — an eine sehr patriotische Aufgabe erinnern, an der sich alle hier tätigen nichtdeutschen Arbeitnehmer seit vielen, vielen Jahren stärker beteiligt haben als die Mitglieder des Bundestages und die Mitglieder der Bundesregierung, die diese patriotische Aufgabe beschlossen haben.
Ich meine die Überweisung von Milliarden Mark an die Sozialkassen der ehemaligen DDR, in die wir nichts eingezahlt haben, aber alle türkischen und anderen ausländischen Arbeitnehmer Monat um Monat gezahlt haben, ohne daß sie demonstriert oder protestiert haben. Das zeigt, wie eng wir in unseren sozialen Verhältnissen und auch in der Zuordnung von patriotischen Aufgaben, die eigentlich mit diesen Kassen gar nichts zu tun haben, bereits eine Einwanderergesellschaft sind.
Wir selber haben uns jedenfalls daran nicht beteiligt.
Zu einer Antwort Frau Kollegin Sothmann. — Entschuldigung, Frau Steinbach.
Herr Kollege Duve, ich weiß ja nicht, welche meiner Reden Sie gehört haben, aber die heute abend sicherlich nicht, denn das
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Erika SteinbachWort Patriotismus kam darin nicht vor. Ich bin allerdings ein Patriot; das sage ich ganz offen. Ich glaube, dann ist man bereit, sein Vaterland schützend mit Gesetzen zu umhüllen — das gehört dazu — und das Beste zu wollen.
Ausländerfeindlichkeit darf man nicht wollen. Aber unsere Wege, das zu verhindern, sind andere Wege als die Ihrigen. Nur, Ihr Aufhänger war unpassend, weil ich heute dazu nichts gesagt habe.Ich habe einmal einen Leserbrief dazu geschrieben, in dem ich ausführte: Ein selbstverständliches nationales Selbstwertgefühl ist für den inneren Frieden in einem Lande auf Dauer wahrscheinlich hilfreicher als ein Sich-Öffnen in alle Himmelsrichtungen, wo am Ende keiner mehr greifbar ist.
Frau Kollegin Steinbach, ich bitte um Entschuldigung wegen der Namensverwechslung.
Als letzter in dieser Runde hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unser Kollege Eduard Lintner, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der SPD wird die Debatte über die grundsätzlichen Eckpunkte der deutschen Ausländerpolitik wieder einmal aufgegriffen. Aber leider vermeidet es dieser Entwurf, klipp und klar die Notwendigkeit der Begrenzung des weiteren Zuzugs von Ausländern aus sogenannten Drittstaaten zu berücksichtigen.Das Ziel der Integration der hier lebenden Ausländer kann nämlich nur dann erreicht werden, wenn der Zuzug weiterer Ausländer aus Drittstaaten in engen Grenzen gehalten wird. Als unberechtigt zurückzuweisen ist daher die in der Begründung zu dem Gesetzentwurf enthaltene Formulierung, daß — ich zitiere wörtlich — „abwehrende Elemente den teilweise gewährenden Regelungsinhalt des Ausländergesetzes überlagern".Tatsache ist vielmehr, daß mit dem neuen Ausländergesetz aus dem Jahre 1990 erstmalig gesetzlich fixierte Rechtsansprüche für die betroffenen Ausländer geschaffen worden sind. Sie sehen eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus und auch exakte Regelungen über den Nachzug etwa im Rahmen der Familienzusammenführung vor.Diese Vorschriften geben Rechtssicherheit. Sie ermöglichen eine vernünftige Lebensplanung. Diese Regelungen sind auch wirksam, wie die Praxis zeigt. Sie werden nämlich stark in Anspruch genommen und haben im Zusammenspiel mit anderen Vorschriften in den letzten Jahren zu einem starken Anstieg der Zahlen der hier auf Dauer lebenden Ausländer geführt.Angesichts dieses Tatbestandes sollte aber weitergehenden Zuzugserleichterungen mit Zurückhaltung begegnet werden. Dies gilt z. B. für die Ausdehnung des Wiederkehrrechts, wie sie von dem Entwurf gefordert wird. Nach der geltenden Rechtslage kann dieses Recht nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres geltend gemacht werden.Wenn Sie jetzt eine Verlängerung um zwei Jahre verlangen, wird verkannt, daß das Wiederkehrrecht in erster Linie junge Ausländer begünstigen soll, die mehr oder weniger auf Druck ihrer Eltern in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind. Das Wiederkehrrecht soll ihnen helfen, wenn sie dann später feststellen, daß sie sich in der Heimat ihrer Eltern nicht zurechtfinden können, etwa deshalb, weil sie zu sehr durch die deutschen Lebensverhältnisse geprägt worden sind.Wenn nun unser Ausländerrecht diesen jungen Menschen die Rückkehr nach Deutschland ermöglicht, so sollte dies aber auch zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Betroffene mit Rücksicht auf sein noch geringes Lebensalter eine wirkliche Chance hat, seine berufliche und gesellschaftliche Reintegration in Deutschland zu erreichen.Gibt man nun dem jungen Ausländer, so wie es der Gesetzentwurf vorsieht, die Möglichkeit, seine Rückkehr nach Deutschland für einen längeren Zeitraum aufzuschieben, erweist man ihm, wie wir meinen, und auch der aufnehmenden Gesellschaft damit einen schlechten Dienst.Auch die großzügigere Einräumung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für Ehegatten erscheint mir nicht angezeigt. Ich darf Sie an die Debatte erinnern, die am 2. Dezember letzten Jahres in diesem Hause stattgefunden hat. Schon damals wurde zu Recht darauf hingewiesen, daß die derzeitige Regelung der Problemlage gerecht wird und auch ausreichend ist. Das liegt daran, daß sich das ursprünglich zweckgebundene Aufenthaltsrecht des ausländischen Ehegatten schon nach vier Jahren, in Härtefällen nach drei Jahren, in ein zweckunabhängiges, d. h. eigenständiges Aufenthaltsrecht umwandelt.Warum soll eigentlich — das frage ich mich nach den gerade erfolgten Ausführungen — die Rückkehr ins Heimatland innerhalb dieser relativ kurzen Frist im Normalfall nicht zumutbar sein? Ich möchte auch Kommentierungen entschieden zurückweisen, die da lauten, daß kriminellen Handlungen Vorschub geleistet werde, wenn jemand anderer Meinung sei. Solche Polemik, meine Damen und Herren, wird dem ernsten Problem, das in dem Zusammenhang diskutiert wird, nicht gerecht.
Es gibt in diesem Zusammenhang — Frau Kollegin Steinbach hat darauf hingewiesen — schützenswerte Interessen der Bundesrepublik vor willkürlicher Zuwanderung.
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Pari. Staatssekretär Eduard Lintner— Ja, Sie nehmen keine Rücksicht darauf, das wissen wir.
Sollten in Einzelfällen, meine Damen und Herren, wirklich einmal erhebliche humanitäre Bedenken gegen eine Rückkehrverpflichtung eines Ausländers bestehen, bieten nach unserer Auffassung die Abschiebeschutzbestimmungen des Ausländergesetzes hinreichende Möglichkeiten, wirkliche Härtefälle abzuwenden.
Herr Kollege Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Ja, bitte.
Vizepräsident Helmuth Becker Bitte, Kollegin Wolf.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es in der Bundesrepublik ganz wenige Anklagen wegen Frauenhandels gibt, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß die Frauen, die hier hereingelockt wurden — meist mit sogenannten Scheinehen —, wenn die Männer ihrer überdrüssig werden und sie verstoßen, dann mit Hilfe der Ausländerbehörde ausgewiesen werden? Sind Ihnen diese Fälle bekannt? Glauben Sie nicht, daß in diesem Fall eine Strafverfolgung von Frauenhändlern und Zuhältern nicht möglich ist, weil sie im Schutz dieses § 19 leben?
Frau Kollegin, würden Sie mir recht geben, daß es in dem hier unterstellten Fall, da die Frist von drei Jahren noch nicht überschritten ist, durchaus auch eine Überlegung sein kann, ob die Frau in die Heimat zurückkehrt, zumal dann, wenn sie registrieren muß, daß das Sicheinlassen auf eine Scheinehe schiefgegangen ist?
Würden Sie noch eine Zusatzfrage zulassen, Herr Staatssekretär?
Ja, bitte.
Bitte, Frau Kollegin Wolf.
Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt. Es geht in diesem Falle um die Strafverfolgung, um die Verfolgung des Frauenhändlers, der hier überhaupt keine Strafe zu befürchten hat, weil die Zeugin nicht mehr vernommen werden kann. Sie ist ausgewiesen. Ist das für Sie eine Dimension, daß diese Machenschaften mangels Zeugen nicht verfolgt und angeklagt werden können?
Haben Sie noch nicht zur Kenntnis nehmen können, daß bis zur Ausweisung in der Regel eine ganz gewaltige Frist verstreicht und daß die Frau in dieser Zeit selbstverständlich die Möglichkeit hat, sich der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder wem auch immer zu offenbaren? Außerdem besteht auch die Möglichkeit, im Ausland Einvernahmen von Zeugen durchzuführen. Der Fall, den Sie konstruieren, ist der außergewöhnlichste Ausnahmefall, der in dem Zusammenhang überhaupt angeführt werden kann.
Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, welcher Mißbrauch mit diesen Bestimmungen betrieben wird. Sie wissen auch, daß die Frist von drei Jahren im Normalfall jederzeit ausreicht — auch für eine Frau, die Sie schildern, die diese Erfahrung gemacht hat —, wieder in das Heimatland und in der Regel zur Familie zurückzukehren.
Der Änderungsvorschlag zu § 30 des Ausländergesetzes, also zur erweiterten Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen, begegnet besonders schwerwiegenden Bedenken. Hiernach sollen in Zukunft auch solche Ausländer ein Aufenthaltsrecht bekommen, die lediglich geduldet, d. h. also illegal, im Bundesgebiet waren und diesen Aufenthalt unter Verletzung von Visumvorschriften erreicht haben.Dieser Änderungsvorschlag kann von zuwanderungswilligen Ausländern und den Schleuserorganisationen eigentlich nur dahin gehend verstanden werden, daß sie ihre Anstrengungen noch erhöhen, weil dann als Lohn der illegalen Einwanderung letztlich ein gesichertes Bleiberecht winkt.
Natürlich gibt es Fälle, in denen aus vom Ausländer nicht zu vertretenden Gründen letztlich eine Legalisierung des Aufenthalts stattfindet. Diese Tatbestände sind aber bereits heute präzise geregelt und werden befriedigend gelöst. Eine Erweiterung der bewußt engen Regelung zugunsten von solchen Ausländern, die keine objektiv zwingenden, sondern lediglich subjektive, d. h. in ihrem Individualinteresse liegende Gründe vortragen, kann nicht mitgetragen werden. Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist aus unserer Sicht daher entschieden abzulehnen.Demgegenüber begrüßt die Bundesregierung selbstverständlich den von der SPD-Fraktion eingebrachten Appell
— Vorsicht, Herr Kollege Wartenberg! — an die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer, in deren Heimat gekämpft wird. Die in diesem Antrag ausgesprochene Aufforderung an diese Gruppen, sich in der Bundesrepublik Deutschland politischer Aggressionen und der Gewalt zwischen den sich in ihren Heimatländern bekämpfenden Gruppen zu enthalten, wird von uns mit Nachdruck unterstützt.
Wie ich an dieser Stelle bereits mehrfach ausgeführthabe, werden wir die Austragung derartiger Konflikte
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerauf unserem Boden nicht hinnehmen und, soweit geboten, die notwendigen Maßnahmen gegen derartige Gewalttäter ergreifen. Gleiches ist von den Bundesländern zu fordern, die in erster Linie für den Vollzug zuständig sind.
Meine Damen und Herren, eine öffentliche Zusicherung, bei politisch motivierten Straftaten nicht abzuschieben, bewirkt in der Praxis doch nur das Gegenteil dessen, was angeblich beabsichtigt ist.
Zum Appell, den Sie heute an uns richten und den wir unterstützen, muß daher auch die Konsequenz im Handeln kommen, wenn er wirken soll. Daran fehlt es bei manchen im Lande. Ihrem Appell droht deshalb die Wirkungslosigkeit. Es tut mir leid, meine Damen und Herren, dies abschließend feststellen zu müssen.
Lassen Sie noch eine Frage zu, Herr Staatssekretär? — Kollege Duve, bitte.
Sie waren so freundlich, den Urheber dieses Appells zu benennen. Aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß hier einstimmige Beschlüsse von zwei wichtigen Ausschüssen, nämlich des Innenausschusses und des Auswärtigen Ausschusses, vorliegen. Dies ist also ein Appell des Deutschen Bundestages und nicht der eines einzelnen Abgeordneten.
Herr Kollege Duve, dann entspricht es nur der konsequenten Haltung auf unserer Seite, diesen Appell weiterhin zu unterstützen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich will die Aussprache daher schließen.
Ich habe jetzt noch eine Bitte: Bleiben Sie bitte noch wenige Minuten im Saal; denn zu dem letzten Tagesordnungspunkt, den wir zu behandeln haben, gibt es eine Reihe von Wünschen, die Reden zu Protokoll zu geben.
Zunächst aber zum Tagesordnungspunkt 18. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/7014 und 12/6421 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 12/6796. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6291 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen nun zu der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Appell an die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, in deren Heimat gekämpft wird, Drucksache 12/6882. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/2818 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Frau Kollegin Jelpke ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe jetzt den letzten Punkt unserer heutigen Tagesordnung, den Punkt 22, auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes
— Drucksache 12/7136 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7437 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus Lippold Marion Caspers-Merk
Dr. Jürgen Starnick
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Es sollen aber alle Wortbeiträge zu Protokoll gegeben werden.') Dafür brauche ich Ihre Zustimmung. Es handelt sich im einzelnen um die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Klinkert, des Kollegen Dr. Jürgen Starnick, der Frau Kollegin Caspers-Merk und des Herrn Kollegen Dr. Paziorek. Von den beiden Gruppen sind keine Beiträge vorgesehen.
— Bitte, Herr Kollege Andres.
Herr Präsident, ich wollte nur anmerken, daß man diesen Kolleginnen und Kollegen ganz besonders dankbar sein muß,
weil unsere Kollegin Gudrun Weyel heute Geburtstag hat und es damit möglich ist, diesen Geburtstag noch ein bißchen in privater Atmosphäre zu feiern. Deswegen sollten wir dieses Begehren nachdrücklich unterstützen.
Vielen Dank, Herr Kollege Andres. — Wir gratulieren zunächst unserer Frau Kollegin Gudrun Weyel. Sodann brauche ich Ihre Zustimmung dafür, daß wir die Reden zu Protokoll') Anlage 7
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Vizepräsident Helmuth Beckergeben können. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Nun muß ich Sie noch fragen, was wir bei den Abstimmungen für Ergebnisse erzielen können. Wir kommen zunächst zum Gesetzentwurf, Drucksachen 12/7136 und 12/7437. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?— Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Der Herr Kollege Weiß stimmt dagegen. Wer enthält sich der Stimme? -- Die SPD-Fraktion enthält sich der Stimme. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung angenommen.
— Herr Kollege Rüttgers hat das Wort.
Herr Präsident, ich wollte nur fragen, ob meine Liste falsch ist. Muß nicht Tagesordnungspunkt 19 noch ohne Debatte behandelt werden?
— Ja, ist klar. — Tagesordnungspunkt 19 betrifft das Gesetz zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes mit einem Überweisungsvorschlag.
Nein, diese Gesetzentwürfe sind im Rahmen der Beratungen ohne Aussprache bereits heute mittag behandelt und überwiesen bzw. verabschiedet worden.
Danke schön. Dann ist meine Liste falsch.
Dann können wir jetzt fortfahren. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7437 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die SPD-Fraktion enthält sich. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7447. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
— Einen Moment, hier gibt es Irritationen. Bitte bleiben Sie noch einen Moment!
— Alle Unklarheiten sind beseitigt. Ich bitte wirklich um Entschuldigung. Aber Sie wissen, daß wir in der Tagesordnung hin und wieder schnell, kurzfristig Veränderungen vornehmen und daß nicht jeder ganz genau wissen kann, wenn er nicht immer hier ist, was geschehen ist. Deswegen ist die Sorge um die korrekte Abwicklung der Tagesordnung völlig verständlich. Aber wir haben alles ordnungsgemäß abgewickelt.
Damit sind wir wirklich am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Mai 1994, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.