Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung und wünsche Ihnen einen guten Morgen. Wir kommen zunächst zur Verlesung der amtlichen Mitteilungen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Vereinbarte Debatte zu den Aussagen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten betreffend den weiteren Konjunktur- und Arbeitsmarktverlauf2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 12/7430 —b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zehnter Bericht nach § 35 Bundesausbildungsförderungsgesetz — Drucksache 12/6605 —3. Abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Friedliche Lösung des Kurdenproblems — Drucksachen 12/6858, 12/7224 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Beseitigung der Behinderung und Diskriminierung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern bei der Europawahl — Drucksache 12/7384 —5. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Teilnahme von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern an der Europawahl in Deutschland — Drucksache 12/7420 —6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes — Drucksachen 12/6621, 12/6733, 12/6744, 12/7405 —Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung — soweit dies bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist — abgewichen werden.Außerdem ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 8 — Außenwirtschaftsgesetz —, den Tagesordnungspunkt 14 — Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit —, den Tagesordnungspunkt 17 b — Arbeitsförderungsgesetz —, den Tagesordnungspunkt 18b — Umweltinformationsgesetz — und den Tagesordnungspunkt 18c — Chemikaliengesetz — abzusetzen.Darüber hinaus mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. 4. 1994 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß für Familie und Senioren zur Mitberatung überwiesen werden:Antrag der Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen — Drucksache 12/6981 —Sind Sie mit den Änderungen der Tagesordnung und der nachträglichen Ausschußüberweisung einverstanden? — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.Des weiteren mache ich darauf aufmerksam, daß nach Tagesordnungspunkt 3 — Doppelstaatsangehörigkeit — die Fragestunde stattfindet. Die Plenarsitzung wird danach bis zum Schluß der Fraktionssitzung der CDU/CSU — voraussichtlich bis 14.30 Uhr —unterbrochen. Nach Wiederbeginn der Plenarsitzung werden dann zunächst die Beratungen ohne Debatte aufgerufen. Danach wird die vorgesehene Tagesordnung fortgesetzt, beginnend mit Punkt 4, bis 1.30 Uhr früh.Die Fraktion der F.D.P. hat mitgeteilt, daß die Kollegin Dr. Gisela Babel auf ihren Sitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß verzichtet. Als Nachfolger wird der Kollege Wolfgang Mischnick vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist der Kollege Wolfgang Mischnick als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:a) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Jürgen Sikora, Werner Dörflinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/
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19362 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthCSU sowie den Abgeordneten Dr. Walter Hitschler, Jörg Ganschow, Lisa Peters, Hans Schuster und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Wohnungsbaues
— Drucksache 12/6616 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwufs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, des Wohnungsbindungsgesetzes und anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 12/5473 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau
— Drucksache 12/6880 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 12/7399 —Berichterstattung:Abgeordnete Norbert Formanski Achim GroßmannJürgen Sikorabb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7400 —Berichterstattung:Abgeordnete Dieter Pützhofen Carl-Ludwig ThieleThea Bockb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Formanski, Achim Großmann, Dieter Maaß (Herne), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDErhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau— Drucksachen 12/3913, 12/7399 —Berichterstattung:Abgeordnete Norbert FormanskiAchim Großmann Jürgen SikoraNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Zum Tagesordnungspunkt 2 hat als erster unser Kollege Dr. Dietmar Kansy das Wort.
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
— Das ist heute ein schöner Tag für die Wohnungsbaupolitik. Warum soll man sich nicht auch einmal freuen?
Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau hat in den letzten Jahrzehnten Großartiges geleistet, hat den Wiederaufbau der alten Bundesländer aus den Trümmern des Krieges wesentlich gefördert, die Eingliederung von Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen ermöglicht und sozialen Frieden in diesem Lande mit geschaffen.Doch der soziale Wohnungsbau ist ein wenig in die Jahre gekommen. Er bedarf, im Neubau und im Bestand, dringender Reformen, weil er heute nicht mehr sozial treffsicher ist, Investoren zunehmend abschreckt, nicht genügend auf kosten- und flächensparendes Bauen hinarbeitet und die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden zunehmend überfordert.Trotz Fehlbelegungsabgabe, die nach wie vor erhebliche Löcher hat, ist der soziale Wohnungsbau in Gefahr, unsozial zu werden. In den Beständen mit billigen Mieten sitzen oft die besserverdienenden Bevölkerungsgruppen, während die erstmalig eine Wohnung Suchenden die teuersten Sozialmieten zu zahlen haben, sofern sie überhaupt eine Sozialwohnung bekommen. Zudem kommen zunehmend nur Empfänger von Transfereinkommen in neu erstellte Gebäude, wo die Miete zwar vom Staat bezahlt wird, die soziologische Schichtung der Bestände aber für die Unternehmen und, wie ich meine, für die ganze Gesellschaft zunehmend Probleme aufwirft.Meine Damen und Herren, trotz vieler vom Bund geförderter Versuchsprojekte für kosten- und flächensparendes Bauen haben die Ergebnisse bisher nur unzureichend Einfluß auf die Standards des sozialen Wohnungsbaus gehabt. Angesichts knapper Haushaltsmittel wird also in der Zukunft nicht nur über effizientere Förderwege zu sprechen sein, sondern auch über Standards, die im sozialen Wohnungsbau zu nicht mehr akzeptablen Erstellungskosten führen. Angesichts der immer größer werdenden staatlichen Aufwendungen für eine einzige erstellte Wohnung und der schon angesprochenen schwierigen Haushaltslage auf allen staatlichen Ebenen wurde eine Anhebung der Einkommensgrenzen, die den Kreis der Berechtigten zwar erhöht, ohne daß damit aber eine einzige Wohnung mehr gebaut wird, immer
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19363
Dr.-Ing. Dietmar Kansywieder hinausgeschoben. Dies führte nicht nur zu den schon geschilderten einseitigen Belegungsstrukturen, sondern hinderte beispielsweise auch Unternehmen daran, Werkswohnungen zu bauen, weil ihre eigenen Arbeitnehmer nicht mehr wohnberechtigt waren, oder es verhinderte stärkeres Engagement der Wohnungsbaugenossenschaften, deren Mitglieder ebenfalls aus dem Kreis der Berechtigten herausfielen.Bundesregierung, Bundesrat, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag und fast alle wohnungswirtschaftlichen Fachleute bejahen deshalb die auch von der Union seit langer Zeit erhobene Forderung einer Gesamtreform des sozialen Wohnungsbaus. Meine Damen und Herren von der Opposition und auch Frau Ministerin Brusis, einzelne Gesetzesinitiativen des Bundesrates und von Ihnen sprechen die Teile der Gesamtproblematik an, die uns allen gemeinsam auf den Nägeln brennen. Sie waren für uns diskussionsfähig. Die Koalitionsfraktionen haben am 19. Januar 1994 deswegen den Entwurf eines Wohnungsbauförderungsgesetzes 1994 vorgelegt, der die ersten Schritte einer grundlegenden Neuorientierung des sozialen Wohnungsbaus bringen soll. Ich möchte allerdings für meine Fraktion hier bereits sagen: Ohne weitere Schritte, insbesondere eine Reform im Bestand des sozialen Wohnungsbaus, werden wir zu kurz springen.
Die Kernpunkte des Gesetzentwurfes sind auch für Laien leicht verständlich. Wir erweitern zwar den Kreis der Betroffenen, der Berechtigten für die Sozialwohnungen, machen jedoch den Einstieg in eine Förderung, bei der der besserverdienende Mieter mehr Miete bezahlt als der Geringverdiener. Für das „eingesparte Geld" werden mehr Wohnungen gebaut. Fachlich gesehen hat der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen folgende Schwerpunkte.Erstens. Die einkommensorientierte Wohnungsbauförderung soll auf eine gesicherte Rechtsgrundlage gestellt werden, damit sie bereits jetzt in die Praxis eingeführt und mit der gebotenen Rechtssicherheit angewandt werden kann.Zweitens. Konkretisierung der Anforderungen, die an die sogenannte vereinbarte Förderung nach § 88 d des zweiten Wohnungsbaugesetzes in Abgrenzung zu den anderen Förderwegen, insbesondere zum ersten Förderweg, zu stellen sind.Drittens. Die Modernisierung, einschließlich der Energieeinsparung, soll in die Wohnungsbauförderung einbezogen werden, wenn sie mit dem Erwerb von Belegungsrechten verbunden wird.Viertens. Zum Zwecke der Verbesserung der Belegungsstrukturen im vorhandenen sozialen Wohnungsbestand und zur Vermeidung von im bisherigen System enthaltenen Benachteiligungen von bestimmten Personengruppen ist eine Anpassung der Vorschriften über den Einkommensbegriff und die Einkommensermittlung im sozialen Wohnungsbau erforderlich. Zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung sollen die Bestimmungen über den Einkommensbegriff und die künftige Einkommensermittlung gleichso gefaßt werden, daß sie künftig auch auf das Wohngeld erstreckt werden können.Letzter Schwerpunkt: Ergänzend sollen durch Änderung der Freistellungsregelung in § 7 des Wohnungsbindungsgesetzes einseitige Belegungsstrukturen insbesondere im kommunalen Wohnungsbestand sowie gezielt im Werks- und Genossenschaftswohnungsbau verhindert werden.Meine Damen und Herren, als die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs bei den ersten Beratungen bei eigentlich gemeinsamem Willen zur Reform durch die SPD-Bundestagsfraktion und alle Bundesländer, unabhängig von ihrer parteipolitischen Mehrheit, sichtbar wurde, sind wir einen Weg gegangen, den manche politischen Auguren in dem Superwahljahr 1994 für unmöglich erachtet hatten. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages setzten sich an einen Tisch, baten drei Länderbauminister und die Bundesregierung hinzu und suchten nach einem seriösen Kompromiß, der weitere Reformschritte nicht verbaut und keine „politischen Verlierer" produziert, aber zwei Gewinner: die wohnungssuchenden Mieter und die verunsicherte Wohnungswirtschaft. Ich glaube, wir haben dies geschafft.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle neben dem Bundesbauministerium insbesondere meinem Sprecherkollegen von der F.D.P.-Fraktion, Herrn Dr. Hitschler, Achim Großmann von der SPD-Bundestagsfraktion, Frau Ministerin Brusis aus Nordrhein-Westfalen, aber auch Herrn Senator Nagel aus Berlin und Herrn Minister Dr. Beckstein aus Bayern ausdrücklich danken.
In diesen Gesprächen, meine Damen und Herren, forderten die Länder mit unterschiedlichen Schwerpunkten und auch die SPD-Bundestagsfraktion insbesondere den Verzicht auf sogenannte Dotationsauflagen des Bundes, eine Form der Zusatzförderung, die das finanzielle Risiko auf Bund und Länder besser verteilt, noch höhere Einkommensgrenzen als von den Koalitionsfraktionen vorgesehen und im § 88 d II. WoBauG flexiblere Lösungen bei den Belegungsrechten.Zu einigen Details wird für meine Fraktion der Kollege Sikora noch Stellung nehmen.Die schwierige Frage der sogenannten Dotationsauflagen kann dadurch gelöst werden, daß der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau des Deutschen Bundestages und, wie ich hoffe, mit dem heutigen Beschluß auch der gesamte Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, nach Vorlage des Berichts der eingesetzten Regierungsexpertenkommission dies mit den Ländern neu zu regeln.Für die neu geschaffene einkommensorientierte Förderung, die die Länder künftig anwenden können, aber nicht müssen, stellt der Bund ab 1995 jährlich 300 Millionen DM innerhalb des vorhandenen Finanztableaus als Rahmen zur Verfügung. Soweit
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Dr.-Ing. Dietmar Kansydiese Finanzhilfen für die einkommensorientierte Förderung nicht eingesetzt werden, ist ihre Verwendung auch für andere Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau möglich.Dennoch appelliere ich an die Länder, diesen neuen Weg möglichst im großen Umfang zu gehen; denn es ist ein Zeichen von sozialer Gerechtigkeit — wenn wir schon den Kreis der Berechtigten vergrößern —, daß die Höhe der Sozialmiete dann von dem Einkommen abhängig gemacht wird.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch der Kompromiß beim § 88d ist kein fauler Kompromiß, sondern sinnvoll. Die örtlichen und regionalen wohnungswirtschaftlichen Gegebenheiten und Zielsetzungen sowie die erkennbaren unterschiedlichen Investitionsmöglichkeiten des Bauherrn sind künftig zu berücksichtigen. Die Dauer der Zweckbindung der Belegungsrechte und der vereinbarten Mietzinsregelung soll 15 Jahre nicht überschreiten, wenn nicht auf Grund der Zielsetzung und der Art der Förderung, insbesondere wegen der Bereitstellung von Bauland oder wegen der Förderung zugunsten bestimmter Personengruppen, ein längerer Zeitraum geboten ist.Meine Damen und Herren, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben in der abschließenden Beratung im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau diesem geänderten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zugestimmt. Wir können also hier im Deutschen Bundestag auch eine breite Mehrheit erwarten. Ich bitte alle Bundesländer herzlich, im Bundesrat diesem Gesetzentwurf bzw. dem heute mit, wie ich hoffe, breiter Mehrheit verabschiedeten Gesetz zuzustimmen, auf langwierige Vermittlungsverfahren zu verzichten, in denen wir Wohnungspolitiker dann oft mit Paketlösungen überrascht werden, so daß ich sagen muß, daß wir die wohnungspolitischen Dinge besser unter uns hätten gestalten können, wenn wir uns vorher vernünftig geeinigt hätten. Das haben wir diesmal gemacht. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Es spricht jetzt die Ministerin für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Ilse Brusis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Der Bundesrat hat dem Deutschen Bundestag im vorigen Jahr auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zwei Gesetzentwürfe vorgelegt: den Entwurf eines Wohnungsbauänderungsgesetzes und den Entwurf eines Wohnungsbaufinanzierungsgesetzes.Als Reaktion darauf liegt heute der Entwurf des Wohnungsbauförderungsgesetzes in der Fassung des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf dem Tisch. Dabei handelt es sich um einen Kompromiß — Herr Abgeordneter Dr. Kansy hat schon darauf hingewiesen —, derzwischen Koalition, Opposition und Vertretern der Länder gefunden wurde.
Lassen Sie mich Bilanz ziehen. Der Bundesrat hatte mit seinem Wohnungsbauänderungsgesetz die längst überfällige Erhöhung der Einkommensgrenzen gefordert. Diese Erhöhung ist nach einer langjährigen Phase steigender Nominaleinkommen auch dringend notwendig, um einseitigen Mieterstrukturen im Wohnungsbestand entgegenwirken zu können.Dies dürfte erhebliche positive Auswirkungen für unsere Städte und Gemeinden, aber auch für die Wohnungswirtschaft haben. Sie alle haben ein erhebliches Interesse daran, daß die soziale, wohnungspolitische und städtebauliche Stabilität in den Wohnquartieren erhalten bleibt und keine neuen sozialen Brennpunkte entstehen.So hatte die Bundesregierung zunächst jegliche Erhöhung der Einkommensgrenzen abgelehnt. Aber es ist uns gemeinsam mit Ihnen gelungen, diese Blockade des Wohnungsbaus zu durchbrechen. Der vorliegende Kompromißvorschlag enthält sowohl eine lineare Erhöhung als auch strukturelle Verbesserungen und bedeutet eine Anhebung der anrechenbaren Bruttoeinkommen um 30 % bis 34 % je nach Haushaltsstrukturen. Damit — das kann ich hier erklären — ist das Anliegen des Bundesrats weitgehend erfüllt.
Die Anpassung der Einkommensgrenzen, meine Herren und Damen, haben Sie von seiten der Koalitionsfraktionen als Hebel angesehen, um das bekanntermaßen nicht — wenn ich es freundlicher ausdrükken will, sage ich: noch nicht — tragfähige Bundesmodell einer einkommensorientierten Wohnungsbauförderung einzuführen.Es ist vermutlich niemandem verborgen geblieben: Die Begeisterung für dieses Fördermodell hält sich in der Fachwelt in Grenzen. Die öffentliche Anhörung dokumentierte die begründeten Zweifel vor allem der Investoren, aber auch die deutliche Ablehnung seitens der kommunalen Spitzenverbände.
Auch die Länder haben nach wie vor Vorbehalte. Unbewiesen und auch höchst zweifelhaft ist die These, daß auf diesem Wege „die Kosten der öffentlichen Förderung je Wohneinheit wirklich reduziert" werden könnten.
Die Befürchtungen der Länder beziehen sich darüber hinaus vor allem auf die Risiken, die sich aus dem Finanzaufwand für die Zusatzförderung ergeben. Denn dieser Aufwand für die Zusatzförderung hängt wesentlich von der Entwicklung der Mieten und von der Entwicklung der Einkommen in den nächsten Jahren ab und kann nur schwer vorausgeschätzt werden.Aber gerade am Risiko der Zusatzförderung will sich der Bund nicht beteiligen, obwohl er die angeb-
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Ministerin Ilse Brusis
lichen finanziellen Vorteile dieses Förderungssystems propagiert. Ihre Antwort auf diese Fragen und Zweifel besteht darin, daß die Länder die Bundesfinanzhilfen, die für die einkommensorientierte Förderung bereitgestellt werden sollen, nicht unbedingt für die einkommensorientierte Förderung verwenden müssen, sondern auch für andere Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus verwenden können. Die Praxis wird zeigen, ob das komplizierte und bürokratische Modell dieser Spielart der einkommensorientierten Förderung überhaupt eine nennenswerte Bedeutung neben den Bemühungen der Lander um einkommensabhängige Förderungen, die sie jetzt schon in den verschiedensten Versionen betreiben, erhält.Ich sage hier deutlich: Als Kompromiß ist hinnehmbar, daß eine gesetzliche Regelung getroffen wird, die Länder aber nicht verpflichtet werden, diese gesetzliche Regelung auch anzuwenden; denn das finanzielle Risiko, das in diesem Modell nach wie vor steckt, ist für die Länder nur schwer kalkulierbar.Ungelöst bleibt der Fragenkreis der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Wohnungsbauförderung. Der Bundesrat hatte mit dem Entwurf des Wohnungsbaufinanzierungsgesetzes gefordert, das Zweite Wohnungsbaugesetz den Vorschriften des Grundgesetzes anzupassen, die bei der großen Finanzreform von 1969 beschlossen worden sind. Die Bundesregierung hat diese überfällige Reform in ihrer Stellungnahme abgelehnt. Nach dem Entwurf des Wohnungsbauförderungsgesetzes sollten die diesbezüglichen Vorschriften zwar geändert werden, ohne aber das Problem grundsätzlich anzufassen.Bei den Gesprächen zur Kompromißsuche haben Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU-Fraktion, erfreulicherweise doch einen Entwurf zur Neufassung dieser fraglichen Vorschriften vorgelegt. Damit ist dankenswerterweise grundsätzlich anerkannt, daß die seit langem bestehenden Vorschriften nicht mehr der geltenden verfassungsrechtlichen Lage entsprechen.Auf diesen Entwurf hätten wir uns auch verständigen können, wenn Sie von der Forderung abgesehen hätten, in der jährlichen Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern solle der Verwendungszweck der Bundesfinanzhilfen in Ergänzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes festgelegt werden. Das war nun das reine Gegenteil des Vorschlags des Bundesrates, der gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgekehrt fordert, der Bund dürfe Verwendungszweck und Förderungsprioritäten nicht neben dem Zweiten Wohnungsbaugesetz mit dem Angebot von Finanzhilfen durchsetzen. Damit wird — entgegen der häufig geäußerten Meinung — ein Mitwirkungsrecht des Bundes nicht in Frage gestellt, aber es wird auf den Weg der Gesetzgebung verwiesen.Leider haben wir uns in diesem Punkt nicht einigen können. Immerhin ist jedoch für den Anwendungsfall der einkommensorientierten Förderung gesetzlich bestimmt worden, daß die Länder mit dem Instrument der Bundesfinanzhilfen nicht zur Anwendung dieses Förderungsweges verpflichtet werden können. Das ist ein Meiner Schritt in die richtige Richtung. Ich hoffe,daß dieser Weg fortgesetzt wird, wenn in der nächsten Legislaturperiode entsprechend der Beschlußempfehlung des Ausschusses die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet des Wohnungsbaus den heute geltenden finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen angepaßt werden sollen.
Lassen Sie mich, meine Herren und Damen, abschließend sagen: Die beste Seite des Kompromisses liegt für mich darin, daß in dem Punkt, in dem die Menschen draußen wirklich betroffen sind und der sie bewegt, nämlich bei der Anhebung der Einkommensgrenzen, eine deutliche Verbesserung erreicht worden ist,
so daß nun auch alleinerziehende Frauen, Verkäuferinnen, Busfahrer, Polizisten und Krankenschwestern wieder eine bezahlbare Wohnung erhalten können. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, daß dieser Kompromiß zustande kommt.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Walter Hitschler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Brusis, herzlichen Dank für diese sehr konservative Rede, die wieder einmal bestätigt hat, daß sich NRW in der Wohnungspolitik immer ganz hinten in der Schlange anreiht, was sehr zu bedauern ist. Aber wir freuen uns um so mehr, daß Sie heute bereit sind, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
Mit dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994, das wir heute erfreulicherweise mit großer Mehrheit beschließen, fügen wir, zumindest was die gesetzgeberische Arbeit angeht, dem Strauß wohnungspolitischer Blumen in der auslaufenden 12. Legislaturperiode die schmückenden Rosen bei. Dabei stellen wir fest, daß sich das Blütenbukett der Koalitionsfraktionen und der Regierung sehen lassen kann, wurden doch gewichtige wohnungspolitische Probleme gelöst.
Im Mittelpunkt stand zu Beginn der Legislaturperiode die Lösung der Mietenproblematik in den neuen Ländern. Mittels zweier Grundmietenverordnungen, die wir mit einer Sonderwohngeldregelung Ost verknüpft haben, wurden die insbesondere für die Instandsetzung erforderlichen Mietanhebungen durchgesetzt. Dies war schmerzlich und nicht populär, aber unumgänglich. Das Sonderwohngeld hat geholfen, die Erhöhungen für alle tragbar zu gestalten.Mit der Verabschiedung des AltschuldenhilfeGesetzes ist es gelungen, der Wohnungswirtschaft im Osten Perspektiven für die Modernisierung im Bestand und für eine Teilprivatisierung zu geben. Der
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Dr. Walter HitschlerUmfang des dadurch eingeleiteten Aufschwungs für das Baugewerbe zeigt uns, daß wir mit diesen Regelungen das richtige Maß gefunden haben.
Die Bauwirtschaft hat in den neuen Ländern die angesteuerte Funktion voll erfüllt, Motor für die Konjunktur zu sein.Im Vierten Mietrechtsänderungsgesetz ist es uns gelungen, zaghafte liberale Blümchen auf gelockertem Kompost zu pflanzen, wie beispielsweise die Einführung der Indexmiete, und allen gravierenden Deckelungsbemühungen auch von NRW weitgehend Einhalt zu gebieten.
Ja, es ist mit dem Sozialklauselgesetz sogar gelungen, das heiß umstrittene Umwandlungsproblem einer Lösung zuzuführen, ohne weitflächige Umwandlungsverbote einzuführen. Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz wurden Regelungen zur Beschleunigung der Bauplanungs- und Genehmigungsverfahren ebenso verwirklicht wie neue Instrumente zur Baulandbereitstellung entwikkelt. Dieses Gesetz beginnt nunmehr in den Gemeinden allmählich zu greifen.Zugegeben, der Rahmen für die Bauwirtschaft präsentierte sich durch die Niedrigzinsphase insgesamt günstig. Es ist uns aber auch durch die Gesetzgebung gelungen, die staatlich beeinflußbaren Voraussetzungen und Bedingungen für den Wohnungsbau — natürlich auch über die Zurverfügungstellung zusätzlicher Mittel im Haushalt für die direkte Förderung und die steuerlichen Erleichterungen der indirekten Förderung — so günstig zu gestalten, daß sich die Wohnungswirtschaft nicht nur als Motor der Konjunktur im Osten, sondern auch als Stütze der Konjunktur im Westen entpuppen konnte.
Die Fertigstellungszahlen und Baugenehmigungszahlen sprechen eine so beredte Sprache, daß die anfänglich herbe Kritik der Länderbauminister inzwischen der Praxis gewichen ist, sich ebenfalls in der Sonne der Erfolgsmeldungen zu bräunen.Heute beschließen wir in einem Akt der Vernunft nach Konsensgesprächen mit der Opposition und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Bauminister der Länder gemeinsam ein Gesetz, dessen Kernstücke die Erhöhung der Einkommensgrenzen und die Einführung einer einkommensorientierten Förderung im sozialen Wohnungsbau darstellen. Das Gesetz hat gleichermaßen große Bedeutung für die Mietwohnungsmärkte wie für Eigentumsmaßnahmen. Hinzu kommt eine fortschrittliche Reform der vereinbarten Förderung durch den Wegfall des Kostenmietprinzips, die Bindung an Grundsätze des kosten- und flächensparenden Bauens, die Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten und erkennbar unterschiedlicher Investitionsbedingungen. Dies macht die Förderung flexibler; sie kann sich nunmehr zu dem entwickeln, was der Gesetzgeber eigentlich von Anfang an wollte: ein Instrument nicht einer starren, sondern einer wirklich vereinbarten Förderung. Die Länder — da bin ich sicher — werden gewiß intelligente Förderrichtlinien entwickeln, mit deren Hilfe die Wohnungswirtschaft weiter belebt werden kann. Die vereinbarte Förderung nach § 88 d des Zweiten Wohnungsbaugesetzes erlaubt jetzt die Anwendung einer maßgeschneiderten Förderpolitik durch die Länder. Dies bedeutet den Einstieg in eine wirklich zeitgemäßere modernere Förderpolitik, wovon wir alle profitieren können.Wir tun hiermit etwas, um mehr Wohnungen zu bauen, und wir sorgen mit der Anhebung der Einkommensgrenzen dafür, daß sich Wohnstrukturen entwikkeln, die das Gefährdungspotential vermeiden, das einseitiger Belegung mit Problemgruppen innewohnt.Den Steuerpolitikern der SPD empfehle ich einen Blick auf die Höhe der Einkommensgrenzen, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen. Es ist immerhin bemerkenswert, daß Sie einem Großteil der Besserverdienenden den Anspruch auf eine Sozialwohnung einräumen; doch will ich diesen Gedanken bei dieser Gelegenheit nicht vertiefen.
Cum grano salis können wir sagen: Wir haben in dieser Legislaturperiode einen Strauß von Maßnahmen gebunden, die geeignet waren, den Marktkräften Spielraum zur Entfaltung zu bieten, die geholfen haben, den Wohnungsbau kräftig zu fördern. Wir fügen mit diesem Gesetz heute sozusagen einen gesetzgeberischen Schlußpunkt hinzu, und ich vermag Sie persönlich, Frau Minister, zu dieser trefflichen Bilanz einer äußerst erfolgreichen Wohnungspolitik nur zu beglückwünschen.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hitschler, ich freue mich für Sie, daß Sie so von Frühlingsgefühlen geleitet sind, aber all Ihre Blütenträume können natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesem Hohen Hause seit mehreren Wochen im Eilzugtempo eine Entscheidung nach der anderen durchgezogen wird, die von den Fraktionen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD getragen wird, wobei Sie sich sozusagen als Zeichen Ihrer Kompromißbereitschaft immer gegenseitig und selbst auf die Schultern klopfen.
Ich habe den Eindruck, daß nach den nächsten Wahlen Verhandlungen über eine Große Koalition gar nicht mehr nötig sein werden, sie braucht dann nur noch offiziell inthronisiert zu werden.
— Es kann natürlich sein, daß Sie dann herausfallen, Herr Hitschler, aber das ist dann Ihr Problem.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19367
Dr. Ilja SeifertVor drei Monaten kam der Entwurf eines Wohnungsbauförderungsgesetzes von der Regierungskoalition, welcher in einer anschließenden Anhörung von Sachverständigen ziemlich einhellig verworfen wurde. Noch am 23. März erklärten Sie, Frau Brusis, namens Ihrer SPD-Kollegen, daß der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form „wirklichkeitsfremd, verfassungspolitisch fragwürdig und mieterfeindlich" sei. Drei Wochen später war davon nichts mehr zu spüren; man — also die Vertreterinnen und Vertreter von CDU/CSU, F.D.P. und SPD — hatte sich geeinigt.Ist nun wirklich substantiell etwas besser geworden? Trägt das Gesetz in der nun vorliegenden Fassung dem in § 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes formulierten Grundsatz Rechnung? Dort heißt es nämlich — Zitat —:Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände haben den Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baues von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für die breiten Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind , als vordringliche Aufgabe zu fördern.Wenn ich Ihre Rede hier richtig verstanden habe, Frau Brusis, haben Sie noch immer viel mehr und viel gewichtigere Argumente gegen das neue Gesetz, das Sie heute befürworten, als dafür. Nun ja, das ist Ihr Problem.Ihr hessischer Kollege hat am 21. April scharfe Kritik an dem jetzt ausgehandelten Kompromiß geübt, indem er sagte, die inhaltliche und politische Zweckmäßigkeit des ganzen Vorgangs leuchte nicht ein. — Ich kann diese Meinung nur teilen.Warum kann die PDS/Linke Liste diesem Wohnungsbauförderungsgesetz so nicht zustimmen?Erstens. Die Summe an für den Wohnungsbau bereitzustellenden Mitteln soll nicht erhöht, sondern nur auf mehr Wohnungen verteilt werden. Das führt zu kürzeren Mietpreis- und Belegungsbindungen und zu höheren Einstiegsmieten. Tatsache ist, daß bei den gegenwärtigen Einkommensgrenzen viele Menschen, vor allem Beschäftigte mit geringeren Einkommen, einerseits keinen Zugang zu Sozialwohnungen haben, andererseits nicht in der Lage sind, Mieten im freien Wohnungsbau zu zahlen. Tatsache ist aber auch, daß schon jetzt mehr Menschen auf Grund ihrer Einkommenslage einen Berechtigungsschein haben, als Sozialwohnungen überhaupt im Angebot sind. Die Wohnberechtigungsscheine werden also zunehmend zur Makulatur. Eine Erhöhung der Einkommensgrenzen ohne spürbare Erhöhung des Angebots an bezahlbaren Wohnungen wird zu einer noch stärkeren Verdrängung der Schwächsten im Kampf um die Wohnungen führen. Mit diesem Gesetz wird keine Offensive im sozialen Wohnungsbau, sondern eher der Ausstieg eingeleitet.Zweitens. Die im Gesetzentwurf als Wohltat gepriesene Erhöhung der Einkommensgrenzen wird — trotz Nachbesserung — durch die wesentliche Erweiterung des Spektrums der einzuberechnenden Einkommensbestandteile stark relativiert.Drittens. Mit dem Gesetz wird die finanzielle Belastung in noch stärkerer Weise an Länder und Gemeinden delegiert. Angesichts der herrschenden Wohnungsnot darf sich der Bund aber nicht aus dem sozialen Wohnungsbau verabschieden. Im Gegenteil: Dringend erforderlich ist eine Beteiligung des Bundes am sozialen Wohnungsbau mindestens in der Größenordnung der fünfziger Jahre, also zu Zeiten, als der Bund durchschnittlich 4 % des Haushaltes für den sozialen Wohnungsbau bereitstellte. Jetzt sind es nicht einmal 2 %.Viertens. Erklärtes Ziel der Koalitionsfraktionen bleibt, auch wenn mit diesem Gesetz noch nicht ganz festgeschrieben, der generelle Ausstieg aus dem ersten Förderweg. Die vorgeschlagene einkommensabhängige Förderung ist also nicht als sinnvolle Ergänzung, sondern als Ersatz gedacht.Fünftens. Gegen die Verpflichtung zum kosten- und flächensparenden Bauen ist natürlich wirklich nichts einzuwenden — im Gegenteil. Völlig inakzeptabel ist aber, daß der Empfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren, im Rahmen der Förderung auch das barrierefreie Bauen verbindlich festzuschreiben, nicht gefolgt wurde.Sechstens. Unberücksichtigt blieb im Gesetzentwurf die Situation in Ostdeutschland. Mit der von Bund und Ländern im Einigungsvertrag getroffenen Entscheidung bezüglich einer Überführung des gesamten Wohnungsbestandes der DDR ins Vergleichsmietensystem sowie der Altschuldenproblematik wird verhindert, daß den Menschen in Perspektive ausreichend bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen. Statt den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestand mit entsprechenden Mietpreisbindungen und Belegungsrechten zu erhalten, soll der Bestand an Sozialwohnungen in Ostdeutschland auf unter 1 % gedrückt werden.
Herr Seifert, Ihre Redezeit ist beendet.
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung. Ich hätte gern noch einige konkrete Vorschläge der PDS unterbreitet. Aber ich richte mich natürlich nach der Geschäftsordnung und sage meinen letzten Satz.
Dieses Gesetz ist angesichts zahlreicher Vorschläge zu Wegen aus der Wohnungsnot inakzeptabel. Alternativen sind möglich, um das Menschenrecht auf angemessene und bezahlbare Wohnung zu verwirklichen; sie liegen vor. Sie können sie gerne nachlesen. Ich bin auch bereit, Ihnen das noch einmal vorzutragen, wenn Sie das wünschen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bevor ich Herrn Sikora das Wort gebe, möchte ich auf der Ehrentribüne ganz herzlich den Präsidenten des rumänischen Abgeordnetenhauses, Herrn Dr. Adrian Nastase, und seine Delegation begrüßen. Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Mitglieder des Deutschen Bundestages und freue mich, daß Sie in Baden-Württemberg, in Bonn sowie in Berlin und Brandenburg enge Kontakte aufnehmen und politische Gespräche führen. Ich begrüße, in welchem Maße gerade das Parlament
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Präsidentin Dr. Rita Süssmuthdemokratische Entwicklungen in Rumänien vorantreibt, wirtschaftliche Reformen durchführt und ein durchaus als vorbildlich zu bezeichnendes Minderheitengesetz verabschiedet hat.Herzlich willkommen, und wir wünschen uns eine gute parlamentarische Zusammenarbeit.
Als nächster spricht nun der Kollege Jürgen Sikora.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem von CDU/CSU und F.D.P. vorgelegten Gesetz zur Förderung des Wohnungsbaus, sprich: Wohnungsbauförderungsgesetz 1994, verband sich nicht nur das Ziel einer Reformierung und Neuorientierung im sozialen Wohnungsbau durch Einführung der einkommensorientierten Wohnungsbauförderung, sondern auch die Absicht, die zentrale Vorschrift des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in bezug auf die Einkommensermittlung und die Einkommensgrenzen zu modifizieren. Ich sage hier ausdrücklich „zu modifizieren", da es nicht darum gehen konnte, eine nur aus Statistiken über Lohn- und Einkommensentwicklung hergeleitete Anhebung der Einkommensgrenzen zu vollziehen und damit in Größenordnungen zu kommen, die dem Prinzip des sozialen Wohnungsbaus wiederum nicht entsprechen.Erklärtes Ziel für uns war dabei von Anfang an, eine größere Treffsicherheit für diejenigen zu erreichen, die besonderen Versorgungsschwierigkeiten am Wohnungsmarkt ausgesetzt sind — ein Ziel, meine Damen und Herren, das uns immer wieder bewogen hat, auf eine maßvolle Anhebung der Einkommensgrenzen zu drängen, die insbesondere der Verbesserung der Belegungsstruktur im vorhandenen sozialen Wohnungsbestand, aber auch der Vermeidung der im bisherigen System enthaltenen Benachteiligungen bestimmter Personengruppen Rechnung trägt.Insoweit haben wir es daher auch für wichtig gehalten, daß wir über die von uns vorgeschlagenen strukturellen Verbesserungen hinaus noch einmal zu einer Nachbesserung der Einkommensgrenzen für die Ein- und Zweipersonenhaushalte gekommen sind, die sich im übrigen als Grundbetrag durchgängig auch auf die anderen Haushaltsgrößen gleichwohl verbessernd auswirken. Im Ergebnis bedeutet das, daß künftig für den Einpersonenhaushalt eine Nettoeinkommensgrenze von 23 000 DM gegenüber ursprünglich 21 600 DM gilt und sich die Nettoeinkommensgrenze für den Zweipersonenhaushalt von 31 800 DM auf nunmehr 33 400 DM erhöht hat. Brutto bedeutet das für den Zweipersonen-Arbeitnehmerhaushalt eine Erhöhung auf 49 714 DM.Das ist ein Ergebnis, meine Damen und Herren, das mit Blick auf die in der Vergangenheit besonders nachteilig betroffenen Berufsgruppen kleinerer Einkommensbezieher — wie Verkäuferinnen, Krankenschwestern, Polizeibeamte oder Busfahrer — von Bedeutung sein wird, da es nunmehr wieder möglich ist, diese erwerbstätigen Personen im Kreis der Berechtigten für den Bezug einer Sozialwohnung mit zu erfassen.Bei den Mehrpersonenhaushalten können wir in diesem Zusammenhang feststellen, daß infolge der förmlich erhöhten Einkommensgrenzen und des für jede weitere Person zu berücksichtigenden Erhöhungsbetrages von 8 000 DM die Nettoeinkommensgrenze für einen Arbeiter- oder Angestelltenhaushalt von drei Personen — Ehepaar mit einem Kind — bei nun 41 400 DM liegt, was einem Bruttoeinkommen von 61 143 DM entspricht und bei einem gleichen Erwerbstätigenhaushalt von fünf Personen eine Nettoeinkommensgröße von 57 400 DM oder, wenn Sie so wollen, von brutto 84 000 DM erfaßt.Im Zusammenhang mit diesen Einkommensgrenzen ist für die Ermittlung des Gesamteinkommens von Bedeutung, daß durch die Anhebung der Kinderfreibeträge von 1 200 DM auf 1 800 DM und die Beibehaltung der Fünfjahresfrist für den Freibetrag für junge Ehepaare von immerhin 8 000 DM die familienpolitische Komponente erheblich verstärkt worden ist.
Auch die Freibeträge für Schwerbehinderte sind an die häusliche Pflegebedürftigkeit angeknüpft worden, so daß jetzt für jeden Schwerbehinderten mit einem Behinderungsgrad von 100 % oder wenigstens 80 Prozent ein zusätzlicher Freibetrag von 9 000 DM und für Behinderte mit einem Behinderungsgrad von unter 80 Prozent ein Freibetrag von 4 200 DM bei der Einkommensermittlung abgesetzt werden kann.Die Anhebung der Einkommensgrenzen sowie die damit verbundene Erweiterung des Berechtigtenkreises hat aber auch zur Folge, daß die in der Vergangenheit besonders problematisch gewordene Situation im personengebundenen Wohnungsbau, also im Genossenschaftswesen und im werkgeförderten Wohnungsbau, insoweit verbessert wird, als hier die Möglichkeit eröffnet wird, den speziellen Wohnungsversorgungszielen gerecht zu werden. Von besonderer Bedeutung dabei ist die darauf abzielende Regelung zur Erweiterung der sogenannten Freistellung von den Einkommensgrenzen nach § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, wonach den Entwicklungen einseitiger Belegungsstrukturen in zielgerechter Weise entgegengewirkt werden soll.Dies ist ein Anliegen, das keinen Freibrief bedeutet, sondern sich in jedem Fall an den örtlichen wohnungswirtschaftlichen Verhältnissen und dem sich damit verbindenden öffentlichen Interesse an der Sozialbindung dieser Wohnungen zu orientieren hat. Damit dürfte auch für diesen wohnungswirtschaftlichen Teilbereich eine praktikable und flexible Regelung erreicht sein, die es in der Folge wieder ermöglicht, daß gegebenenfalls über die geltenden Einkommensgrenzen hinaus die notwendige Wohnungsversorgung für Mitarbeiter von Betrieben, Kommunen und Kirchen, aber auch für die Mitglieder von Wohnungsbaugenossenschaften erfolgen kann.Meine Damen und Herren, zu den Elementen einer grundlegenden Neuorientierung des sozialen Wohnungsbaus gehört auch der seit 1989 neu geschaffene dritte Förderweg des § 88 d des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, der in bezug auf die von den Ländern angewandte Förderpraxis der Konkretisierung bedarf .
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Jürgen SikoraSo hat sich in der Praxis herausgestellt, daß der dritte Förderweg nur im Rahmen von klaren Abgrenzungen vom ersten und zweiten Förderweg sinnvoll praktiziert werden kann. Mit den jetzt hierzu getroffenen gesetzlichen Regelungen ist es daher das Ziel, zu einer klarstellenden Ausgestaltung des Modells der „Vereinbarten Förderung" zu kommen, wobei die Anwendbarkeit des Kostenmietrechts künftig ausgeschlossen bleibt.Aber auch zur Vermeidung unnötigen Aufwandes in der Förderpraxis sollen künftig beispielsweise mir die erkennbaren unterschiedlichen Investitionsbedingungen des Bauherrn Berücksichtigung finden. Dabei ist gegenüber den wesentlich längeren Bindungsdauem des klassischen Wohnungsbaus eine Verkürzung der Regelbindungsdauer auf 15 Jahre vorgesehen, die aber in bestimmten Förderfällen zugunsten bestimmter Personengruppen auch einen längeren Zeitraum ausmachen kann.Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß sich mit dem Wegfall des Kostenmietprinzips, der flexiblen Handhabung des Einsatzes von Fördermitteln und den neuen Regelungen zu den Belegungsfristen weitere positive Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft privater Bauherrn im öffentlich geförderten Wohnungsbau ergeben dürften, ohne daß dafür mehr Geld bereitgestellt werden muß.Mit diesen Änderungen, meine Damen und Herren, haben wir nicht nur das Ziel von mehr Gerechtigkeit und Flexibilität erreicht, sondern auch sichergestellt, daß der soziale Wohnungsbau auch in Zukunft seine wohnungs- und sozialpolitischen Funktionen erfüllen kann.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit,
Als nächster spricht der Kollege Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Erfolg hat viele Väter.
Deshalb ist es ganz gut, sich kurz daran zu erinnern, über welchen Kompromiß und welchen Erfolg wir hier reden.Als wir im Dezember 1992 den Antrag gestellt haben, die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau endlich anzuheben, sind wir zunächst auf schroffen Widerstand gestoßen, und das bei folgender Situation: Über dreizehn Jahre hinweg waren die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau nicht mehr angehoben worden mit der Folge, daß immer weniger Menschen überhaupt die Chance hatten, in den sozialen Wohnungsbau hineinzukommen. Man muß sich einmal vorstellen: Gegenüber den gesetzlichen Grundlagen des II. Wohnungsbaugesetzes, in dem von den „breiten Schichten des Volkes" die Rede war, hatten nur noch 30 % der Haushalte überhaupt die Chance, in den sozialen Wohnungsbau zu kommen. Von den Erwerbstätigen, also den Menschen, die in Lohn und Brot stehen, die jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen, waren es nur noch rund 15 %.Jeder von uns weiß, was das bedeutet. Denn derjenige oder diejenige, der/die keine Chance hat, in den sozialen Wohnungsbau zu kommen, ist auf den freien Mietmarkt angewiesen. Wie dort die Preise und die Mieten aussehen, wissen wir. Es gab in den Ballungsgebieten mit Sozialmieten von 7,50 DM/8 DM/ 8,50 DM je Quadratmeter einen Sprung auf 16 DM/ 18 DM/20 DM/25 DM je Quadratmeter auf dem freien Mietmarkt. Es ist kein Einzelfall, daß z. B. ein Polizist in München seine Familie auf dem Land einquartieren mußte und selber, während er Schichtdienst fuhr, in München im Ledigenheim übernachtete. Er hat keine Chance, für seine Familie in der Stadt, in der er arbeitet, Unterkunft zu bekommen.
Gott sei Dank ist ein Umdenkungsprozeß entstanden, der auch damit zusammenhängt, daß der Druck, die Einkommensgrenzen zu erhöhen, größer wurde. Nach unserem Gesetzentwurf folgte relativ schnell der Gesetzentwurf des Bundesrates. Dort waren selbst Länder, in denen die CDU/CSU und F.D.P. regierten, der Meinung, es müsse dringend etwas getan werden, um das Problem zu lösen. Denn wir stehen vor der Situation, daß ganze Stadtteile „umkippen", daß wir mit Ghettoisierung, mit Verslumung zu rechnen haben, daß die Kleinkriminalität wächst. Wer sich die Wahlergebnisse in diesen Bezirken ansieht, der weiß auch, auf welche Mühlen dieses Wasser fiel.Wir haben dann im September 1993 eine Anhörung gehabt und haben bei der Anhörung festgestellt, daß auch die überwiegende Zahl der Fachleute auf unserer Seite war und gesagt hat: Leute, ihr müßt endlich die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau anheben. Es geht so nicht weiter. Wir haben keine Chance mehr, z. B. einfache Arbeitnehmer in den sozialen Wohnungsbau zu bekommen. — Das heißt, wo die direkte Verantwortung vor Ort war, da gab es auch viel Zuspruch für diese Lösung. Wir sind froh, daß wir zumindest in dem Gesetzentwurf, den die Koalition im Januar einbrachte, Ansätze dafür hatten, die Einkommensgrenzen anzuheben.Wir haben das bei der ersten Lesung kritisiert. Wir haben gesagt: Okay, Sie sind zwar auf dem richtigen Weg, Sie bleiben aber in der Mitte stehen. — Wir haben deshalb gesagt, daß wir draufsatteln müssen. Herr Sikora, Sie können sich auch nicht dafür feiern lassen, daß wir etwas für die jungen Familien und die Schwerbehinderten getan haben. Schauen Sie in Ihren eigenen Gesetzentwurf, dann werden Sie feststellen, daß für diese Personengruppen zunächst einmal Verschlechterungen vorgesehen waren.
Wir haben es erst in mühsamen Gesprächen, in Kompromißgesprächen geschafft, daß diese Benachteiligungen für junge Familien und Schwerbehinderte wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wurden und daß jetzt Lösungen drinstehen, mit denen
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Achim Großmannwir sehr gut leben können, und zwar für junge Familien wieder fünf statt drei Jahre
und für die Schwerbehinderten die Möglichkeit, einen Freibetrag einzusetzen, wenn sie zu Hause pflegebedürftig sind.Sie haben bei der Vorlage Ihres Gesetzentwurfes einen zweiten Teil mit reingepackt, und zwar die einkommensorientierte Förderung. Bei der einkommensorientierten Förderung haben wir bei der ersten Lesung kritisiert, daß der Versuch gemacht wird, aus dem ersten Förderweg völlig auszusteigen, nur noch die einkommensorientierte Lösung zu praktizieren, damit eine Menge von Problemen zu schaffen und die letztlich bei den Ländern abzuladen.Der Weg — das hat das Würzburger Planspiel gezeigt —, der hier beschritten werden sollte, war verwaltungstechnisch sehr aufwendig, datenschutzrechtlich fragwürdig, haushaltspolitisch unseriös und wohnungspolitisch ineffektiv. Deshalb haben wir auch hier bei der ersten Lesung gesagt: Das kann nicht das letzte Wort gewesen sein. Wenn es dabei bleibt, können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.Herr Dr. Kansy hat den Weg des Kompromisses geschildert. Wir haben uns vor Ostern und nach Ostern zusammengesetzt und überlegt, daß es Sinn macht, auch in der beginnenden Wahlkampfphase etwas für die Menschen zu tun und einen Kompromiß anzustreben, mit dem alle Seiten leben können und der trotzdem kein fauler Kompromiß ist. Ich glaube, dies ist uns gelungen,
denn wir haben bei den Einkommensgrenzen deutliche Fortschritte erreicht, die man in wenigen Zahlen fassen kann. Die Einkommensgrenzen steigen zwischen 27 und 34 %. Wir als SPD hatten in unserem Antrag stehen, daß wir besonders etwas für die Ein- und Zweipersonenhaushalte tun wollen. Wir stellen fest, daß inzwischen wieder 50 % der Einpersonenhaushalte unter die Einkommensgrenze fallen — ein deutlicher Fortschritt; denn Sie wissen alle, daß gerade in den Ballungsgebieten Single-Haushalte den weitaus größten Teil der Bevölkerungsstruktur ausmachen. Wir sind da auf dem richtigen Weg. Das gleiche gilt für die Zweipersonenhaushalte; auch hier haben wir deutliche Verbesserungen erzielen können.
Schaut man sich die einzelnen Beträge an, so wird man feststellen, daß der jetzige Gesetzentwurf fast identisch ist mit dem, was z. B. der Bundesrat an Forderungen aufgeschrieben hat.Wir haben mit der Erhöhung der Einkommensgrenzen auch erreicht, daß nicht nur öffentliches Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung steht, sondern daß in Zukunft wieder mehr privates Kapital in den Wohnungsmarkt fließen kann. Das betrifft im Grunde genommen alle Investorengruppen, es betrifft aberganz besonders die Genossenschaften, die für ihre eigenen Mitglieder gar nicht mehr bauen konnten.
Es betrifft auch die werksverbundenen Unternehmen, die für ihre Arbeitnehmer, selbst wenn sie in der untersten Lohngruppe waren, überhaupt keinen sozialen Wohnungsbau mehr durchführen konnten. Von daher macht es auch ökonomisch Sinn, diesen Weg zu gehen. Wir ziehen mehr privates Kapital in den Wohnungsbau und versprechen uns davon gerade in diesem Sektor neue Impulse.
Wir haben bei der Überarbeitung des zunächst unzureichenden Gesetzentwurfes darauf bestanden, daß der erste Förderweg weiter gehbar bleibt. Es war geplant, die 150 Millionen DM — das ist im Grunde genommen schon Magersucht für den ersten Förderweg — aus dem Wohnungsbaugesetz rauszunehmen. Wir haben darauf bestanden, sie wieder hineinzusetzen, und die Mittel, die für den dritten Förderweg zur Verfügung stehen, können jetzt auch für die anderen Förderwege eingesetzt werden, so daß die Länder wirklich eine große Bandbreite haben. Sie können — je nach regionaler Situation — entscheiden, ob sie das Geld in den ersten, in den zweiten oder in verschiedene Formen des dritten Förderweges einsetzen. Das macht Sinn; denn die regionalen Unterschiede der Wohnungsversorgung sind uns alle bekannt, und es hat keinen Zweck, daß der Bund hingeht und über Dotationsauflagen zuviel in die Länder hineinregiert.Ich denke, daß der Kompromiß, der hier gefunden worden ist — unter Berücksichtigung und Wahrung des ersten Förderweges —, unsere Zustimmung finden kann.
Das alles bedeutet nicht, daß wir in der Wohnungspolitik gleicher Meinung sind, daß sich hier so etwas wie eine Große Koalition andeutet; sondern es bedeutet, daß wir Teilprobleme der Wohnungspolitik aufgegriffen und weitergeführt haben. Ich will Ihnen das mit ein paar Zahlen und Fakten belegen.Natürlich ist die Koalition in den letzten zwölf Jahren am Einbruch im sozialen Wohnungsbau zum großen Teil schuld. In den 80er Jahren ist die Regierung aus dem sozialen Wohnungsbau fast völlig ausgestiegen.
Es ist kaum noch sozialer Wohnungsbau gefördert worden, und die Zahlen der sozial gebundenen Wohnungen sind dramatisch gesunken. Ich will nicht als Sphinx gelten oder als jemand, der unfrohe Botschaften verkündet; ich denke, ich sage das, was auch seriöse Wissenschaftler und Wohnungswirtschaftler sagen: Wir stehen vor der Situation, daß wir Ende der 90er Jahre unter Umständen eine ganz schlimme strukturelle Wohnungsnot bei den preiswerten Wohnungsbeständen bekommen, wenn wir hier nicht gegensteuern. Deshalb ist es dringend notwendig,
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Achim Großmanndaß mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt wird.
Man kann im Rahmen dieses Gesetzentwurfs nicht sagen, das, was wir jetzt auf den Weg bringen, bringt vielleicht 30 % mehr Wohnungen, wenn man gleichzeitig die Mittel im sozialen Wohnungsbau, in der mittelfristigen Finanzplanung um 30 % streicht. Das geht nicht, und das können Sie auch keinem Bürger und keiner Bürgerin draußen erzählen.
Die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Bundesfinanzminister und Bundesbauministerin sind ja bekannt. Wenn man schon öffentlich über die Zeitungen fordern muß, die 700 Millionen DM für das Ballungsgebieteprogramm sollten fortgesetzt werden, und der Finanzminister über die Zeitung dann antwortet, das komme überhaupt nicht in Frage, dann weiß man, daß der soziale Wohnungsbau in dieser Regierung keine guten Karten hat.
Und deshalb ist es notwendig, daß wir hier zu einer Änderung kommen und bei einem Regierungswechsel versuchen, den sozialen Wohnungsbau wieder zu fördern.
Selbst bei den Bewilligungszahlen von 1993 gibt es ein weiteres Defizit, ein Sinken der Zahlen im sozialen Wohnungsbau. Wir haben 1993 156 000 Bewilligungen; davon sind aber rund 50 000 Eigentumsmaßnahmen. Das heißt, wir haben nur 100 000 neue Sozialwohnungen gebaut oder werden sie bauen — ein Rekord nach dem Rückgang auf fast null in den 80er Jahren. Aber wir wissen gleichzeitig, daß 150 000 aus den Bindungen herausfallen, d. h., wir haben selbst bei hohen Fertigstellungszahlen nach wie vor ein Defizit und ein Absinken der preiswerten Wohnungen. Das kann nicht richtig sein. Das geht in die falsche Richtung. Wir schaffen uns damit die Wohnungsnot der nächsten Jahre.Deshalb, meine Damen und Herren, ist dieser Gesetzentwurf, zu dem wir heute ja sagen, weil er wichtige Vorteile bringt, nur ein Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung. Die anderen Schritte können wir nicht gemeinsam tun. Wir setzen darauf, daß die Wählerinnen und Wähler dies begreifen und uns die Chance geben, den Wohnungsbau der nächsten Jahre zu gestalten.Vielen Dank.
Als letzte spricht zu diesem Tagesordnungspunkt die Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Dr. Irmgard Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 verabschiedenwir heute die tiefgreifendste Reform des sozialen Wohnungsbaus seit vielen Jahren.Ich bin sehr froh, daß es auch in Wahlkampfzeiten — Herr Großmann hat sie ja in seinen letzten Worten wieder richtig vorgeführt — möglich ist, zu einer partei- und fraktionsübergreifenden Einigung zu kommen. Das zeigt, daß es in den wichtigen Feldern dessen, was die Menschen bewegt — und Wohnungsbau gehört dazu —, eben doch möglich ist, der Vernunft das Wort zu geben. Insofern bedauere ich es ein bißchen, daß hier heute morgen doch wieder das kleinliche Nachkarten stattgefunden hat und daß auch die Kämpfe auf den alten Schlachtfeldern, zumindest verbal, wieder gefochten worden sind.
Trotzdem ist es für mich wichtig, daß dieser Kompromiß zustande gekommen ist. Er besteht aus zwei Teilen — beide Teile waren für das Zustandekommen des Kompromisses gleichermaßen wichtig —: zum einen die gesetzliche Grundlage für die einkommensorientierte Förderung, und zum anderen die Anhebung der Einkommensgrenzen beim Zugang zu einer Sozialwohnung.Als ich vor ungefähr zwei Jahren das Konzept der einkommensorientierten Förderung vorgestellt habe, hat es in den Fachkreisen ziemlich schnell Zustimmung zu diesem Konzept gegeben. Aber nicht nur in den Fachkreisen. Natürlich wurde auch in den politischen Parteien darüber diskutiert. Auf dem Weg zu dem heutigen Kompromiß — Herr Huonker nickt ein wenig, obwohl er noch nicht so genau weiß, was jetzt kommt — war es ganz wichtig, daß sich die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Kommunalpolitiker relativ rasch zu einer Stellungnahme gegen den ersten Förderweg und für die Zielrichtung einer einkommensorientierten Förderung ausgesprochen hat. Dies ist wohl im Meinungsbildungsprozeß der Sozialdemokraten ein wichtiger Punkt gewesen. Insofern verstehe ich die Anmerkungen, die heute von denjenigen, die zunächst eine sehr ablehnende Position eingenommen haben, gemacht worden sind, durchaus als ein letztes Gefecht.Die größte Sorge der Länder in bezug auf die einkommensorientierte Förderung war ja relativ rasch ausgemacht. Die Länder behaupteten, der Bund wolle sich aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückziehen. Dies war nie der Fall. Das war eine Unterstellung, die natürlich im politischen Raum ihre Wirkung getan hat. Aber die Festschreibung von 300 Millionen DM für diesen neuen Förderweg, die aber nach der Entscheidung der Länder auch in anderen Förderwegen eingesetzt werden können, ist das deutliche Signal, daß der Bund nie vorgehabt hat, sich aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückzuziehen. Das schreibt er jetzt auch im Gesetz deutlich fest. Für diese Zusage des Bundes versammeln sich nun alle Parteien — die großen klassischen Parteien, nicht die PDS — hinter der Idee der einkommensorientierten Förderung.Die einkommensorientierte Förderung im Neubau verhindert Fehlbelegung von Anfang an. Fehlbele-
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19372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzergung ist ja der klassische sozialpolitische Skandal des sozialen Wohnungsbaus.
Außerdem wird mit diesem Förderweg der willkürliche Sprung zwischen stark subventionierten Sozialmieten auf der einen Seite und hohen Neubaumieten auf der anderen Seite geglättet. Statt einer Einteilung in Arm und Reich wird jetzt nach der individuellen Bedürftigkeit gefördert. Das ist ein wirklicher Fortschritt.Diese Förderung ist sozial treffsicherer, sie ist effizienter. Für das gleiche Geld können nach unseren Berechnungen etwa 30 % mehr Wohnungen gebaut werden. Das ist in der gegenwärtigen Situation wichtig; denn Bund, Länder und Gemeinden haben nicht mehr so viel Geld wie noch vor zehn Jahren. Noch einmal unterstrichen: Fehlbelegung wird von vornherein vermieden.Die Neugestaltung der Einkommensgrenzen ist ebenfalls ein guter Schritt. Jeder sieht natürlich, daß, da die letzte Fortschreibung schon viele Jahre zurücklag, ein Bedarf gegeben war. Mit der Einführung zusätzlicher Pauschalabzüge wurde die Benachteiligung Erwerbstätiger aufgehoben. Das war der entscheidende Punkt, den die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung in den Vordergrund gestellt haben.Weiterhin ist mit einem zusätzlichen Freibetrag für Alleinerziehende eine besondere soziale Härte berücksichtigt worden. Die generelle Erhöhung, die im Wege des Kompromisses zustande gekommen ist, führt dazu, daß Krankenschwestern, Polizeibeamte und Alleinerziehende in Zukunft wieder besser eine Wohnung finden können und nicht mehr auf den freifinanzierten Mietwohnungsmarkt in Ballungszentren angewiesen sind.Ich möchte noch zwei Elemente des Gesetzes erwähnen, die mir sehr wichtig erscheinen. Wir müssen uns nicht nur um den Neubau kümmern. Etwa 1 % des Bestandes wird jedes Jahr neu gebaut. Wir müssen uns mit gleicher Intensität auch darum kümmern, daß der Bestand in Zukunft für Geringverdiener ebenfalls zugänglich bleibt. Deswegen ist die Zulassung von Bundesmitteln für den Erwerb kommunaler Belegungsrechte bei einer Modernisierungsförderung wirklich ein neuer, zukunftsweisender Weg, ein Weg zur Erhaltung preiswerter Wohnungsbestände in einer Zeit, in der viele Belegungsbindungen auslaufen würden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Gerne.
Frau Ministerin, da Sie gerade ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Kommunen Belegungsrechte aus dem Bestand kaufen sollen, sagen Sie mir doch bitte, warum Sie dann die Kommunen erst zwingen, ihren Bestand zum Teil zu verkaufen, in dem sie ja Belegungsrechte haben. Wäre es nicht sinnvoller, dieses Geld einzusparen?
Herr Kollege Seifert, Sie zielen auf die Situation in den fünf neuen Bundesländern ab. Daß Sie ein Protagonist der Fortführung der alten DDR-Verhältnisse im Wohnungswesen im Osten sind, verwundert hier, glaube ich, niemanden.
— Frau Kollegin, die Situation im Osten steht in diesem Punkt des Gesetzes im Moment nicht im Vordergrund. Aber selbstverständlich wird auch diese Regelung in Zukunft in den ostdeutschen Bundesländern eine Bedeutung haben. Aber im Moment steht das, wie gesagt, noch nicht so im Vordergrund, weil dort generell Belegungsbindungen gelten. Das wissen Sie auch. Deswegen hat diese Regelung in der gegenwärtigen Situation speziell für die westlichen Bundesländer ihre hohe Bedeutung.
Schließlich stellt das Wohnungsbauförderungsgesetz die Notwendigkeit kosten- und flächensparenden Bauens auch im sozialen Wohnungsbau heraus. Auch das ist wichtig. In Zeiten knapper Kassen müssen wir uns natürlich überlegen, wofür Geld eingesetzt wird. Da sind die Prinzipien des kosten- und flächensparenden Bauens als Vorgabe dafür, was in welcher Form gefördert wird, ganz entscheidend.
Mit diesem Gesetz wird der Grundstein einer umfassenden Reform des sozialen Wohnungsbaus gelegt. Darauf aufbauend müssen wir in der nächsten Legislaturperiode selbstverständlich auch an eine Reform der Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Bestand herangehen. Das Prinzip der einkommensorientierten Förderung mit dem Effekt, daß es keine Fehlbelegung mehr gibt, muß natürlich auch auf den Bestand anwendbar werden, was es im Moment noch nicht ist. Das wird ein wichtiges Reformvorhaben sein, dem wir uns in der nächsten Legislaturperiode mit aller Energie zuwenden werden.
Ich will auch gar nicht verschweigen, daß darüber hinaus der von einigen Ländern, z. B. NordrheinWestfalen, bis jetzt noch mit großem Vorrang betriebene sogenannte erste Förderweg, der gerade der Förderweg ist, der Fehlbelegungen produziert, keine Begründung mehr haben kann und deswegen im Rahmen eines Reformpaketes mit behandelt werden muß.
Die Länder sind nun aufgerufen, die Chancen einer Neuorientierung des sozialen Wohnungsbaus auch in ihren eigenen Förderkonzeptionen zu nutzen. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren, daß sich die einkommensorientierte Wohnungsbauförderung im Wettbewerb mit anderen Förderwegen durchsetzen wird, weil sie vernünftig ist.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hitschler?
Gerne.
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Frau Ministerin, wie bewerten Sie die Tatsache, daß sich der künftige Wunschkoalitionspartner unserer großen Oppositionspartei, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf weder in den Ausschüssen beteiligt hat noch heute überhaupt anwesend ist, keinen Redebeitrag, um seine Meinung darzulegen, geleistet hat und sich offensichtlich nicht einmal an der Abstimmung zu beteiligen gedenkt?
Herr Kollege, ich bedaure die Abwesenheit der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN außerordentlich. Denn in der Tat ist Wohnungsbau ein Problem, das alle Menschen zutiefst berührt. Eine Debatte darüber würde es eigentlich erfordern, das Interesse daran deutlich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung des Wohnungsbaus, Drucksachen 12/6616 und 12/7399 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7399 empfiehlt der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, die Gesetzentwürfe des Bundesrates auf Drucksache 12/5473 und 12/6880 sowie den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3913 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei Enthaltung der PDS angenommen.
Nun rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte
zu den Aussagen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten betreffend den weiteren Konjunktur- und Arbeitsmarktverlauf
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Abgeordnete Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Frühjahr 1994 steht die Weltwirtschaft im Zeichen eines an Kraft und Dauerhaftigkeit gewinnenden Aufschwungs. Wir haben weltweit wie auch in Deutschland erneut die Chancen für einen langfristigen, dauerhaften Wachstumsprozeß, so wie bereits in den 80er Jahren.Meine jüngsten internationalen Begegnungen, die gestrigen deutsch-britischen Konsultationen, das Treffen der G-7-Finanzminister und Notenbankgouverneure am letzten Sonntag und die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds in Washington am Montag sowie mein Gespräch mit dem Geschäftsführenden Direktor des IWF, Michel Camdessus, bestätigen diese Einschätzung. Der weltweite Konjunktureinbruch ist überwunden. Die Inflation ist heute weltweit so niedrig wie seit den 50er Jahren nicht mehr. Sorgen bereitet allerdings in praktisch allen Industrieländern die hohe Sockelarbeitslosigkeit, die auch bei höheren Wachstumsraten nur allmählich abzubauen ist.Bei der jüngsten Jahresversammlung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in St. Petersburg konnten wir eine positive Bilanz ziehen. Unter der neuen Leitung von Jacques de Larosière ist das Institut aus den negativen Schlagzeilen herausgekommen. Im Mittelpunkt steht jetzt wieder die Sacharbeit, der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen und leistungsfähiger Betriebe im früheren kommunistischen Machtbereich.In erster Linie geht es um die Förderung der Privatwirtschaft und den Aufbau eines leistungsfähigeren Finanzsektors. Auch soll durch die Gründung einer von mir im letzten Jahr vorgeschlagenen russischen Mittelstandsbank der Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen besser entwickelt werden.Ich habe die Anteilseigner der Bank in St. Petersburg aufgefordert, sich stärker am multilateralen Fonds für Kernkraftsicherheit zu beteiligen. In diesem Zusammenhang habe ich in einem Gespräch mit dem ukrainischen Finanzminister deutlich gemacht, daß der geplante Weiterbetrieb der Tschernobyl-Blöcke für uns nicht akzeptabel ist.
Wir bemühen uns darum, gemeinsam mit der Ukraine, der Weltbank und der Europäischen Entwicklungsbank eine Strategie zur Stillegung und Ersatzenergieversorgung zu entwickeln. Ich meine, dies muß auch ein Thema für den Weltgipfel in Neapel sein. Dies ist viel drängender und problematischer, als es manche in der Welt wahrhaben wollen. Für uns hat das jedenfalls allererste Priorität, und zwar nicht nur energiepolitisch, sondern auch umweltpolitisch. Es ist für die ganze Weltwirtschaft entscheidend, daß wir hier endlich weiterkommen.
Ich habe in Washington vor allen Dingen die Gelegenheit genutzt, die wirtschafts- und finanzpolitische Strategie der Bundesregierung als Basis für den sich jetzt deutlich abzeichnenden Aufschwung zu erläu-
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Dr. Theodor Waigeltern. Unsere internationalen Partner haben — vor allem auch vor dem Hintergrund der Bewältigung des Wiedervereinigungsprozesses — anerkennend zur Kenntnis genommen, daß uns durch die Spar- und Wachstumspakete des letzten Jahres der schwierige Balanceakt gelungen ist, die Defizite zu begrenzen und zugleich wichtige Wachstumsimpulse zu geben. In diesen Zusammenhang gehört auch unser vor allem an den Mittelstand gerichtetes Investitions- und Innovationspaket vom Januar.In der Finanzpolitik liegen wir auf gutem Kurs. Wir haben bedeutendere Konsolidierungserfolge als viele andere zu verzeichnen. Nach den Berechnungen des IWF-Stabes erreicht Deutschland bis 1995 das beste Ergebnis beim Abbau des strukturellen Haushaltsdefizites.
Gemeinsam mit Japan werden wir nächstes Jahr das geringste strukturelle Defizit unter den führenden Industrienationen haben.Mit besonderer Aufmerksamkeit haben die G-7-Partner zur Kenntnis genommen: Durch diese konsequente Konsolidierungspolitik werden wir auch das Kriterium für den Eintritt in die Währungsunion rechtzeitig erfüllen, das wir im Vertrag von Maastricht mit einer Defizitquote von 3 % des Bruttoinlandproduktes beziffert haben.Ein wichtiges Thema früherer Tagungen spielte diesmal in Washington praktisch keine Rolle mehr, nämlich die angeblich zu hohen deutschen Zinsen. Im Rückblick erweist sich der von uns eingeschlagene Weg — strikte Haushaltskonsolidierung in Verbindung mit einer vorsichtigen, aber stetigen Zinslockerung durch die Deutsche Bundesbank — als klug, richtig und vorausschauend.
So ist es uns gelungen, die Stabilitätserwartungen der Märkte zu sichern. Damit konnte Deutschland in den schwierigen ersten Jahren seit der Wiedervereinigung ein im internationalen Vergleich niedriges Niveau bei den langfristigen Zinsen erhalten. Inzwischen liegen die langfristigen Zinsen in Deutschland 2 Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt.
— Ich komme gleich darauf.
Auch der jüngste Zinsausschlag am langen Ende fiel bei uns geringer aus als in den meisten anderen Ländern. Zum erstenmal seit vier Jahren liegen die deutschen Kapitalmarktzinsen deshalb wieder unter denen der USA. Das ist ein Vertrauensvotum der Märkte für die Stabilitätsanstrengungen in Deutschland und die weitere wirtschaftliche Entwicklung.Der Erfolg unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Strategie zeigt sich auch bei den Preissteigerungsraten. Der Internationale Währungsfonds wie auch die Institute erwarten einen Rückgang der Inflationsrate auf durchschnittlich 3 % im Jahre 1994. In der zweiten Jahreshälfte werden wir wieder eine 2 vor dem Komma haben.In einem Punkt wird allerdings der IWF-Stab seine Prognose voraussichtlich revidieren müssen: Eine Wachstumsrate von 0,9 % für Gesamtdeutschland im Jahre 1994 ist angesichts der fast durchweg nach oben gerichteten Konjunkturindikatoren zu wenig. Ich habe deshalb dem geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds Michel Camdessus eine Wette darauf angeboten, daß es deutlich mehr wird. Nachdem die Forschungsinstitute mit ihrer Prognose von 1 % für Westdeutschland und 1,5 % für Gesamtdeutschland de facto dieser Wette beigetreten sind, sehe ich der Überprüfung meiner Einschätzung am Jahresende mit einiger Gelassenheit entgegen. Das, was der Kollege Rexrodt im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert hat, wird sich sogar positiv nach oben entwickeln. Er lag mit seiner Prognose genau richtig.
In den Jahren 1992 bis 1994 ergibt sich für Ostdeutschland z. B. ein Zuwachs von insgesamt über 26 %. Das ist zu vergleichen mit Produktionsverlusten in den Transformationsländern Mittelost- und Osteuropas.
— Sie sollten einmal dahin sehen, wie ohne solche Hilfe, wie wir sie durch den West-Ost-Transfer geleistet haben, die Entwicklung verläuft. Den Menschen in den neuen Bundesländern ginge es heute dank Ihrer Politik so wie den Menschen in Rumänien und Bulgarien. Sie sollten sich schämen, das nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Was das konkret für die Lebenssituation bedeutet, habe ich gerade erst bei meinen Besuchen in St. Petersburg und Königsberg erfahren. Dennoch haben die Menschen auch dort Hoffnung und den Wunsch nach stärkerer Kooperation mit dem Westen.Was wir den Bürgern durch Konsolidierung und durch Steuererhöhungen abverlangen, zahlt sich durch deutliche Fortschritte bei der deutschen Wirtschaftsintegration aus. So liegen heute die Bruttoinvestitionen in den ostdeutschen Ländern pro Kopf um 20 % über dem Westniveau. Nach der Berechnung der Institute mußten sie sich im Jahre 1991 noch mit einem im Vergleich zu Westdeutschland um 40 % niedrigeren Investitionsniveau zufriedengeben.
Herr Waigel gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Seifert?
Bitte.
Herr Minister, Sie können mich gern für 40 Jahre SED-Politik verantwortlich machen. Aber dann darf ich Sie dreieinhalb Jahre danach vielleicht nach Ihrer Regierungspolitik fragen: Wollen Sie denn nicht zumindest zugeben, daß in der Zeit seit der staatlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten etliche Fehler gemacht worden sind, die die Wirtschaft in Ostdeutschland in erheblicher Weise zusätzlich belastet haben — was nicht nötig gewesen wäre —, z. B. indem die Beziehungen
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Dr. Ilja Seifertzu den Märkten im Osten fast völlig abgebrochen wurden?
Die Beziehungen zu den Märkten im Osten sind deswegen abgebrochen, weil das gesamte kommunistische System in der Welt zusammengebrochen ist. Ich weiß nicht, ob Sie früher dabei waren. Aber jedenfalls ist die Partei, der Sie angehören, die Nachfolgeorganisation der verbrecherischen Organisation, die dieses Unglück für Deutschland weitgehend mitverschuldet hat.
Ähnlich wie bei den falschen Prognosen zur Wirtschaft ist es der SPD auch bei ihren Prognosen zum Haushalt ergangen. Mancher hatte im letzten Jahr schon voreilig Wetten auf eine milliardenschwere Defizitüberschreitung des Bundes angeboten. Am Ende gab es jedoch auch 1993, wie schon in den Jahren zuvor, eine Unterschreitung der Haushaltsansätze.
Deutschland und Europa konkurrieren heute unmittelbar mit den erfolgreichen Industrienationen Ostasiens. Und auch Nordamerika hat sich in der NAFTA zu einem starken Wirtschaftsblock zusammengeschlossen. Aus diesen internationalen Entwicklungen müssen wir unsere Anpassungsstrategie ableiten. Esoterische Vorstellungen allein im nationalen Rahmen können wir uns dagegen überhaupt nicht leisten.
Durch den Standortbericht vom letzten Dezember und durch das Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung haben wir uns der internationalen Entwicklung gestellt. Die SPD hatte demgegenüber nichts anderes anzubieten als abgedroschene Umverteilungsphrasen und die zehnte Auflage ihres Standardbeschäftigungsprogramms aus den 70er Jahren.
Wir kommen auf dem schmalen Pfad des Wachstums nur dann weiter voran, wenn wir die richtigen steuerpolitischen Weichen stellen. Nach der Einschätzung der Forschungsinstitute darf es vor allem zu keiner Mehrbelastung derjenigen kommen, die in besonderem Maße zur Wertschöpfung beitragen. Gemeint sind damit die sogenannten Besserverdienenden, die die SPD schon im Bereich von Jahreseinkommen von 40 000 bis 50 000 DM geortet hat. Das ist ein eindeutiges Urteil der Institute gegen die von der SPD geforderte 10 %ige Ergänzungsabgabe für höhere Einkommen. Eine solche Sonderlast würde zwangsläufig Investitionen und Leistungen treffen und den Konjunkturaufschwung gefährden.
Die Bundesregierung will statt dessen durch konsequente Konsolidierung den Staatsanteil zurückführen und Spielraum für künftige Steuerentlastungen schaff en.
Vorfinanzierungsmodelle nach Vorstellung der Institute kommen für uns allerdings nicht in Frage. Denn
nach allen internationalen Erfahrungen führen Steuersenkungen auf Pump zu gewaltigen und langfristigen Konsolidierungsproblemen, die vielfach die Rücknahme ursprünglicher Steuersenkungen unumgänglich machen.
Die Unternehmensteuerreform und die Entlastungen der Familien müssen dennoch nicht auf die lange Bank geschoben werden. Die notwendigen Umschichtungsspielräume werden wir vor allem durch den weiteren Abbau von Steuervergünstigungen und steuerlichen Sonderregelungen gewinnen.
Das Gutachten der Institute und die jüngsten internationalen Begegnungen unterstreichen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Die anfängliche Kritik im Hinblick auf eine angebliche Belastung der Weltwirtschaft durch den Wiedervereinigungsprozeß wandelt sich immer stärker in eine erstaunte Anerkennung dessen, was wir trotz der historisch einmaligen Aufgaben in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erreichen.
Schon heute ist der Prozeß der Normalisierung in den Stabilitätskennziffern deutlich abzulesen. Die öffentlichen Defizite, der Schuldenstand, das Wachstum, die Preissteigerungsrate und die Arbeitslosigkeit bewegen sich zumindest im internationalen Durchschnitt. Vielfach können wir sogar bessere Kennziffern vorlegen als andere vergleichbare Industrieländer.
Professor Karl Schiller hat vor gut vier Jahren in einem Interview der „Wirtschaftswoche" vorhergesagt:
Die Bundesrepublik, die zu den reichsten Staaten der Welt gehört, ist doch in der Lage, die Wirtschaft der DDR wieder auf die Beine zu bringen. Wir haben da eine einmalige Chance, eine „neue Grenze" im Sinne von Kennedy, und ich bin fest davon überzeugt, daß wir ein zweites Wirtschaftswunder erleben können.
Was einer der fähigsten deutschen Wirtschaftsfachleute prognostiziert hat, erweist sich immer stärker als zutreffend. Die Pessimisten und notorischen Schwarzmaler werden demgegenüber in den Geschichtsbüchern keine Erwähnung finden.
Alle Mühsal und alle schwierigen Entscheidungen haben sich gelohnt. Das ist kein Wunschdenken. Die klaren Zahlen und Fakten der Fachleute im In- und Ausland geben uns recht. Und nach diesen Fakten wird im Oktober entschieden.
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD, Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist keine Märchenstunde.
Hans-Ulrich KloseWir diskutieren das Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. Es kommt in seiner Mehrheitsstellungnahme zu dem Schluß — ich zitiere —,daß sich die gesamtwirtschaftliche Produktion im Frühjahr dieses Jahres deutlich belebt.Die Annahmen, die zu dieser Erwartung — eine Prognose wird man es kaum nennen können — führen, erscheinen teils plausibel, teils willkürlich. Der Konjunkturfrühling wird mit der Annahme eines Wirtschaftswachstums für Gesamtdeutschland von real 1,5 % in diesem Jahr begründet.Damit Sie uns, meine Damen und Herren aus den Koalitionsreihen, nicht mißverstehen: Wir halten diese Annahme für vertretbar und würden es begrüßen, wenn sie tatsächlich einträte. Wir freuen uns mit den Menschen, mit den Arbeitnehmern und den Unternehmern, wenn es der deutschen Wirtschaft bessergeht, und sei es nur ein ganz kleines bißchen.
Eines werden Sie freilich nicht bestreiten können — und das sagen Ihnen dieser Tage auch viele Unternehmer und Wirtschaftsverbände —: Es handelt sich bei dieser konjunkturellen Erwartung, die anderswo, z. B. beim IWF, vorsichtiger taxiert wird, um ein zartes und sehr frostanfälliges Frühlingspflänzchen. Es stützt sich vor allem auf die Belebung der Auslandsnachfrage und sonst fast nichts, denn alle anderen für die Konjunkturentwicklung relevanten Faktoren stagnieren derzeit auf krisenhaftem Niveau.Die Industrieproduktion, die das Profil der Konjunktur prägt, verharrt auf dem Stand des Vorjahres. Die Ausrüstungsinvestitionen, der eigentliche Generator von Konjunkturentwicklung, stagnieren ebenfalls und verlaufen damit ungünstiger als erwartet. Der reale Konsum befindet sich im Minus, und dementsprechend notleidend bleibt das Niveau der Inlandsnachfrage, ohne deren Wachstum eine dauerhafte und nachhaltige Konjunkturerholung nicht vorstellbar ist.Folgerichtig schreiben die Mehrheitsgutachter — ich zitiere wieder —:Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage — ich füge hinzu: wenn sie denn einträte —bedeutet freilich noch nicht, daß die Weichen für ein kräftiges Wachstum der westdeutschen Wirtschaft und für ein hohes Beschäftigungsniveau schon gestellt sind.Meine Damen und Herren, im Volksmund, der sich mit interessierter Wirtschaftsprognose kaum beschäftigt, dafür aber über Lebenserfahrung verfügt, sagt man, eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. Dieses Konjunkturschwälbchen, Herr Bundesfinanzminister, macht bestimmt noch keinen Sommer.
Es handelt sich, um es lyrisch auszudrücken — da wirdmir mancherlei zugetraut —, um einen fernen Harfenton, ein eher geistiges Produkt der Forschungsinstitute, nicht aber um handfeste Realität.
Die Bundesregierung, die durch ihre Politik das Ausmaß und die Dauer der tiefsten Rezession in Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik mit verursacht hat, wird allerdings wenig oder gar nichts tun können, um eine mögliche Konjunkturerholung wirtschaftlich und steuerpolitisch zu stützen. Die Bundesregierung kann und konnte sich schon 1993 ein Deficit-spending zur Belebung der Nachfrage nicht leisten, weil sie sich schon zuvor bis zur Halskrause verschuldet hatte.
In diesem Jahr und in den Folgejahren wird die Situation, wie wir alle wissen, nur der Herr Bundesfinanzminister nicht, eher noch schwieriger und schlimmer.
Herr Kollege Waigel, wer die Abgabenquote auf über 50 % hochschraubt und die Verschuldung der öffentlichen Hände weiter nach oben treibt, der trägt zur Konjunkturbelebung nichts bei.
Wenn es jetzt, wie gesagt, Hoffnung auf einen Aufschwung gibt, dann nicht wegen, sondern trotz der verfehlten Politik der Bundesregierung. Das ist die Wahrheit.
Und Sie müssen sich schon gefallen lassen, daß wir Ihnen diese Wahrheit immer wieder ins Stammbuch schreiben.
Was die Geldpolitik der Bundesbank angeht, so hätten wir uns eine kräftigere Zinssenkung spätestens zu dem Zeitpunkt gewünscht, zu dem erkennbar war, daß die Tarifpartner für 1993 maßvolle Abschlüsse zustande bringen würden.
Wir müssen uns aber von der Bundesbank sagen lassen, daß der hohe Kreditfinanzierungsbedarf des Bundes und seiner Schattenhaushalte und die fehlende Verläßlichkeit des mittelfristigen Konsolidierungspfades in der Finanzplanung des Bundes weitere kräftige Zinssenkungen nicht erlauben, und das, obwohl sie konjunkturell geboten wären.
Die Bundesrepublik Deutschland ist eben unter dieser Regierung ein Kapital importierendes Land geworden,
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Hans-Ulrich Kloseund auch daran hat sich prinzipiell nichts geändert, so daß ich meine erheblichen Zweifel habe, ob sich die Bundesbank der Sichtweise der Forschungsinstitute anschließen kann, die einen Zinssenkungsspielraum von 2 Prozentpunkten im Jahresverlauf für möglich erachten.Es stört Sie alle sehr; es ist für Sie schwierig, die Wahrheit anzuhören; deshalb werden Sie dann immer laut.
— Sie sind ja auch ein Spezialist, Herr Weng.Was die Belebung der Inlandsnachfrage angeht, so sehen wir bei dieser Bundesregierung gegenwärtig eigentlich nur prozyklische Tendenzen, also Neigung, den privaten Verbrauch weiter zu drosseln. Anders ist nicht zu erklären, daß Sie unseren Vorschlag ablehnen, den Solidaritätszuschlag, der ab 1. Januar 1995 wieder eingeführt wird, so zu gestalten, daß für mehr als 70 % der Privathaushalte die zusätzliche Belastung durch höhere Lohn- und Einkommensteuer vermieden wird. Die Ersetzung dieser Steuer durch die von uns vorgeschlagene Ergänzungsabgabe macht eben nicht nur tarifpolitisch Sinn, sondern auch wirtschaftspolitisch.
Darüber sollten Sie mal sehr gründlich nachdenken.Im übrigen, meine Damen und Herren, wäre es gut, wenn Sie möglichst bald erklären würden, wie Sie es denn mit der Mehrwertsteuer und der Mineralölsteuer und den Straßenbenutzungsgebühren, von denen der Kanzler redet, künftig halten wollen.
Das sollten Sie schon deshalb erklären, weil Sie ja jedenfalls die Hoffnung haben, Sie werden auch in der nächsten Legislaturperiode regieren, was dem deutschen Volk, hoffe ich, erspart bleibt.
Sie erklären es aber nicht, weil Sie sich ganz offensichtlich nicht trauen. Wenn Sie nach der Mineralölsteuer gefragt werden, wie kürzlich der Herr Bundeskanzler von der „Süddeutschen Zeitung", dann ist die Antwort bestenfalls verwirrend. Lesen Sie es noch mal nach! Wenn es um die Finanzierung der Bundesbahnreform geht — um nur ein weiteres Beispiel zu nennen —, dann vertraut der redegewandte Herr Bundesfinanzminister
auf die Verkehrspolitiker. Ihm selbst fällt dazu nichts ein. Schwaches Bild, Herr Minister, schwaches Bild.
Mit der konjunkturellen Erholung ist im übrigen für die Arbeitnehmer in unserem Land noch eine ganz andere Realität verbunden. „Die wirtschaftliche Entwicklung", schreiben die Mehrheitsgutachter, „wirdvoraussichtlich noch für das ganze Jahr 1994 über von sinkender Beschäftigung und steigender Arbeitslosigkeit überschattet sein."
Die zeitliche Prognose ist aus meiner Sicht geschönt. Zumindest sind Experten der Wirtschaft sehr viel skeptischer in der Einschätzung, ob und wann eine konjunkturelle Erholung der Wirtschaft zu einem Umschwung auf dem Arbeitsmarkt führen würde, wahrscheinlich erst 1996.
Jedenfalls rechnen die Wirtschaftsgutachter allein für 1994 mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen um rund 400 000.Meine Damen und Herren, bei weiter steigender Arbeitslosigkeit von einem Ende der Krise zu reden, das überschreitet nach meiner Auffassung die Grenzen erlaubter Schönfärberei.
Zugleich soll die bereits weitgespreizte Schere der Einkommensentwicklung noch weiter auseinanderklaffen. Während die gesamtwirtschaftliche Nettolohn- und -gehaltssumme um weitere 2 % abnehmen soll, was einen deutlichen Rückgang der Kaufkraft der Arbeitnehmer zur Folge hat, sollen sich die verfügbaren Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stärker als im Vorjahr erhöhen, mit anderen Worten: Der wirtschaftspolitische Erfolg, den die Bundesregierung 1994 feiern will, wird uns eine Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit und eine zusätzliche Bedrohung des sozialen Friedens bescheren.
Ich kenne leider keinen Vorschlag und keine Initiative dieser Regierung, die geeignet wären, diese Entwicklung aufzuhalten oder wenigsten zu bremsen. Sie will es in Wahrheit gar nicht. Offensichtlich gehen Sie davon aus, daß es eine besondere Leistung der Bundesregierung sei, den Menschen die soziale Schieflage in diesem Land als gottgegeben oder zumindest unvermeidlich darzustellen.Der Bundeskanzler gefällt sich ohnehin darin, seine Fehler und die krisenhaften Folgen seiner Politik in aller Breite darzustellen, um hernach den Leuten nahezulegen, ihn als Kanzler wiederzuwählen.Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, Sie täuschen sich. Sie täuschen sich in der Wahrnehmung der Menschen, die längst bemerkt haben, daß die Nöte und Mißstände in dieser Republik auch und maßgeblich damit zusammenhängen, daß Deutschland schlecht regiert wird.
Sie täuschen sich in der Geduld der Menschen. Sie wollen, daß etwas geschieht, daß gehandelt wird. Auf
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19378 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Hans-Ulrich Kloseschöne Reden vor einem geladenen Messepublikum können Sie gut verzichten.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum eigentlichen Kern des Problems. Wir alle hier wissen, daß ohne Investition, Konjunktur und Belebung des privaten Verbrauchs bei dem gegebenen niedrigen Auslastungsgrad unserer Kapazitäten mit konjunkturellen Beschäftigungseffekten nicht zu rechnen ist. Wir alle müssen umgekehrt auch wissen, daß anders als in der Natur, wo der Sommer zwangsläufig auf den Frühling folgt, eine Konjukturerholung nicht zwangsläufig zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft führt.Vielmehr könnte eine allzu euphorische Darstellung der konjunkturellen Lage dazu führen, die Probleme- und Krisenanzeichen zu verdrängen oder zu verniedlichen. Unser Land befindet sich doch deshalb in einer außerordentlich prekären ökonomischen Situation, weil konjunkturelle und strukturelle Probleme der Wirtschaft zusammentreffen, weil wir uns, Konjunktur hin, Konjunktur her, mit unserer gesamten Wirtschaftstätigkeit nicht mehr auf der Höhe der Zeit befinden und Wettbewerbsvorsprünge und den Anschluß an Innovationszyklen verloren haben, jedenfalls in wichtigen Bereichen der Wirtschaft.Wenn wir den Standort Deutschland sichern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken wollen, brauchen wir eine umfassende Modernisierungsstrategie. Innovation, technischer Fortschritt, der auch der Umwelt zugute kommt, und Qualifikation sind der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.Nur mit Spitzenqualität zu konkurrenzfähigen Preisen können die deutschen Unternehmer auf den Weltmärkten bestehen. Deshalb ist es für den Standort Deutschland lebensgefährlich, daß Forschung, Bildung und Wissenschaft von dieser Bundesregierung, aber auch von privaten Unternehmen in den letzten Jahren eher vernachlässigt worden sind.
Wenn wir die Zukunft der deutschen Wirtschaft sichern wollen, ist hier eine Kurskorrektur dringend notwendig. Wir müssen öffentlich und privat mehr für Forschung, Entwicklung, Bildung und Wissenschaft tun.
Zu einer Modernisierungsstrategie gehört, daß die Bereitstellung von Risikokapital für junge kapitalintensive Technologieunternehmen verbessert wird. Den mittelständischen Unternehmen muß der Gang an die Börse erleichtert werden. Wir müssen die industrielle Gemeinschaftsforschung für die Unternehmen stärken, die keine eigenen Forschungskapazitäten vorhalten können.Wir müßten, was problematisch ist — ich weiß das sehr wohl —, sogar Personalkostenzuschüsse gewähren, um kleinen und mittleren Unternehmen dieEinstellung von Forschungspersonal zu ermöglichen.
Wir müssen diese Unternehmen bei der Erschließung von Auslandsmärkten unterstützen. Das scheint inzwischen auch im Auswärtigen Amt erkannt zu sein, was ich dankbar registriere.
Die Investitionstätigkeit der Unternehmen muß durch eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen gestärkt werden. Dazu sind günstigere Abschreibungsbedingungen bzw. Investitionszulagen nötig, aber auch die Straffung von Genehmigungsverfahren, um ihnen die Investitionen zu erleichtern. Vielleicht könnten wir Westdeutschen, was diesen Punkt angeht, von den ostdeutschen Ländern lernen. Die entscheiden häufig trotz größerer Schwierigkeiten oder gerade deshalb schneller.Meine Damen und Herren, es ist keine Frage, daß wir in den neuen Ländern aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben müssen. Aber die Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe über die Sozialversicherung statt über Steuern ist ein Fehler.
Die Finanzierung über die Bundesanstalt für Arbeit hat die Lohnnebenkosten erhöht und damit die Investitionskraft der Unternehmen geschwächt. Die von der SPD angestrebte Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten — sie wird nicht in einem Zuge zu erreichen sein — würde alle Unternehmen und alle Arbeitnehmer entlasten. Sie käme nicht zuletzt auch den kleinen und mittleren Unternehmen zugute.
Meine Damen und Herren, in Deutschland fehlen etwa 6 Millionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Wir werfen dieser Bundesregierung nicht vor, daß sie keine schnell wirksamen Rezepte hat, genausowenig wie wir behaupten, die SPD hätte den Königsweg zur raschen Beseitigung von Arbeitslosigkeit. In Wahrheit gibt es diesen Königsweg nicht, und die Bevölkerung weiß das auch.
Aber wir werfen dieser Bundesregierung vor, daß sie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht zum vordringlichen Ziel ihres politischen Handelns macht,
daß sie nicht fähig ist, alle kooperationsbereiten Kräfte in Deutschland für dieses Ziel zu bündeln, und daß sie nicht bereit ist, alle Optionen gleichzeitig und entschieden zu nutzen, die eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage bringen könnten.
Wenn diese Regierung dieselbe Kraft, mit der sie die ständigen Koalitionsstreitigkeiten managt und ihre Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit betreibt, auf die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit konzentrieren würde, dann, aber nur dann, würden die Men-
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Hans-Ulrich Kloseschen glauben, daß diese Regierung wirklich etwas für sie tun will.
Ich sage es noch einmal: Den Königsweg zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit gibt es nicht. Aber es gibt die Möglichkeit einer geballten Anstrengung von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften, und zwar über Monate und Jahre, zugunsten einer vernünftigen und marktkonformen und pragmatischen Industriepolitik. Keine Politik der platten Erhaltungssubventionen und um Gottes willen keine Politik, bei der staatliche Bürokratien den Unternehmen vorschreiben, was produziert und welche Märkte entwickelt werden sollten.Was wir brauchen, ist eine Kooperation von Wirtschaft und Politik zur Bündelung privater und öffentlicher Ressourcen, um die erfolgversprechenden Zukunftspfade unternehmerischer Entwicklung zu eruieren und die bestmögliche Begleitung und Förderung zu entwickeln.
Als ein Beispiel nur — ich könnte unzählige andere aus vielen Gesprächen zitieren — gebe ich den Unternehmensberater Roland Berger aus seinem Gespräch mit dem „FAZ"-Magazin wieder:Im Sektor Hochtechnologie könnten schnell 600 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir unsere Exporte mehr auf die wachstumsintensiven Länder in Amerika und Asien orientieren,
lassen sich anderthalb Millionen Arbeitsplätze neu schaffen.
Wenn wir im Dienstleistungssektor nur das japanische Niveau erreichen, bedeutet das 4 bis 5 Millionen neue Arbeitsplätze. Wenn wir die Flexibilitätskrise überwinden und den Anteil der Teilzeitarbeit von 15 auf 20 % erhöhen — in Holland liegt er bei 35 % —, haben wir die nächsten 2 Millionen.All das addiert ergibt mehr als 9 Millionen Arbeitsplätze. Ziehen wir 30 % als Realisierungsrisiko ab, bleiben immer noch 6 Millionen.
Meine Damen und Herren, soweit Roland Berger, der im übrigen auf die Frage, ob Unternehmer und Gewerkschaften einander verdienen, antwortet: Sicher, genauso wie wir die Regierung haben, die wir verdienen; um dann hinzuzufügen, daß sich jedenfalls bei den Gewerkschaften eine Menge bewegt — wie gesagt: bei den Gewerkschaften —, nicht bei der Bundesregierung.
Wie denn auch? Mit einer Regierung, die pragmatische marktkonforme Industriepolitik scheut wie der Teufel das Weihwasser, kann dergleichen nicht erreicht, nicht einmal konzeptionell gedacht werden. Unser Vorwurf an diese Regierung ist, daß sie die Systemkonkurrenz der Marktwirtschaften untereinander verschläft, daß sie ein strategisches Defizit imgezielten wirtschaftspolitischen Denken und Handeln hat. Unser Vorwurf ist, daß sie sich dadurch der einzigen erfolgversprechenden Möglichkeit begibt, die Arbeitslosigkeit zu stoppen und schrittweise zu reduzieren, nämlich Wirtschaft, Verwaltung und die beruflichen Ausbildungssysteme für den globalen Wettbewerb wieder fit zu machen.Ich fasse zusammen: Wie nicht anders zu erwarten, fühlt sich die Regierung durch das Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute in ihrer Politik bestätigt.
Nun gut, das Gutachten bestätigt der Bundesregierung, daß sie Gründe hat, eine leichte konjunkturelle Belebung für 1994 zu erwarten. Das Gutachten bestätigt der Bundesregierung aber darüber hinaus, daß der Konjunkturmotor noch immer im Kriechgang läuft und eine Beschleunigung alles andere als sicher ist. Es bestätigt der Bundesregierung, daß ihre Versäumnisse die Arbeitslosigkeit weiter anschwellen lassen und das soziale Klima zusätzlich verschärfen. Das Gutachten bestätigt der Bundesregierung, daß sich an den Problemen der strukturellen Krise der deutschen Wirtschaft nichts geändert hat und daß dieses Land auf den internationalen Märkten im Jahre 1994 nicht wettbewerbsfähiger sein wird als heute. Es bestätigt der Bundesregierung, daß sie nichts, aber auch gar nichts zur Beseitigung der tiefer liegenden Ursachen der Massenarbeitslosigkeit getan hat. Das Gutachten bestätigt also letztlich das Scheitern des Bundeskanzlers und seines Kabinetts bei der Gestaltung von Wirtschaft und Finanzen. Das ist die Wahrheit. Alles andere ist Schönfärberei.
Weil das so ist, meine Damen und Herren, sage ich voraus: Wenn Sie, verehrte Regierungskoalition, sich noch damit beschäftigen werden, der Wahlbevölkerung den zarten Schimmer am Horizont des Konjunkturhimmels zu verdeutlichen, wird Sie der Regierungswechsel ziemlich abrupt überraschen.
Das geht zwar aus dem Frühjahrsgutachten nicht hervor.
Das ist meine Prognose, die nehme ich auf meine Kappe. Wir werden ja sehen, wie es ausgeht.
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Werner Hoyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dem Kollegen Klose eben genau zuhörte, konnte man fast den hoffnungsspendenden Eindruck gewinnen, daß es hier letztendlich auch ein Bekenntnis zu Markt und
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19380 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Werner HoyerWettbewerb gegeben habe. Wir werden Ihre Politik, Ihr Regierungsprogramm daran messen.Meine Damen und Herren, es ist eine liberale Tugend, sich so gegen manche Mode des Zeitgeistes zu stellen. Das heißt auch, sich gegen die in Deutschland so hoch entwickelte Kultur des Klagens und der Larmoyanz zu stellen. Trotz der öffentlichen Miesmacher und Lautsprecher der Larmoyanz wächst das Bewußtsein, daß es aufwärts geht. Nun haben wir es zwar nicht amtlich, aber noch besser wissenschaftlich fundiert.
Es gehört vielleicht zu unserem Nationalcharakter, daß bisweilen die Stimmung im Lande schlechter ist als die Lage. Andererseits gilt auch, daß die Menschen nichts so überzeugend finden wie nach oben weisende harte Wirtschaftsindikatoren, und diese Wirtschaftsindikatoren weisen nach oben.
Das gravierendste Problem der Wirtschaftspolitik, Arbeitslosigkeit, ist dabei bei weitem nicht bewältigt, sondern hat sich weiter verschärft. Vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Institute wird deutlich: Wir müssen uns nicht mit hoher Dauerarbeitslosigkeit abfinden. Wir dürfen uns nicht mit hoher Arbeitslosigkeit abfinden.
Wir brauchen uns auch nicht mit hoher Arbeitslosigkeit abzufinden, wenn wir endlich die vielen Hindernisse wegräumen, die auf dem Weg zur Schaffung neuer Arbeitsplätze reichlich liegen.
Denn das ist für Liberale völlig klar: Wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht werden, wenn wir das Heil lediglich in einem möglichst intelligenten System der Verwaltung der Arbeitslosigkeit sähen.Der Weg zurück in die soziale Gemeinschaft der Arbeitswelt führt über die Schaffung neuer Arbeitsplätze, über die Erschließung neuer Märkte, über die Entwicklung neuer Produkte und nicht zuletzt auch über modernste Produktionsverfahren, und das heißt aus Sicht des Staates auch über Investitionen in die Zukunft, nicht über Investitionen in veraltete, in Vergangenheitstechnologien.
Den Schlüssel hierfür sehen die Institute in der Investitionsdynamik. Die Investitionsdynamik wird definiert als die Schnittstelle, an der die erneut bestätigte konjunkturelle Belebung mit politisch verbesserten und zu verbessernden Rahmenbedingungen auf der Angebotsseite verbunden werden muß. Genügend Arbeitsplätze werden im Aufschwung nur dann geschaffen, wenn Investoren mit einem anhaltenden Aufschwung rechnen und wenn sie auf mittlere Frist auf Kostenentlastung und mehr Flexibilität im Strukturwandel setzen können.Meine Damen und Herren, die Institute haben den Tarifpartnern ein großes Lob gezollt. Dem schließe ich mich an. Die Richtung stimmt: mehr Flexibilität, mehr Betriebsnähe, mehr Orientierung auf Produktivität, mehr Sicherung von Arbeitsplätzen. Hier haben die Tarifvertragsparteien endlich einmal die ihnen zukommende Verantwortung wahrgenommen, und das war auch höchste Zeit.
Denn sonst würden sich die Tarifvertragsparteien auch weiterhin dem Vorwurf aussetzen, im Grunde ein Kartell der Arbeitvergebenden mit den Arbeitbesitzenden zu Lasten der Arbeitsuchenden zu sein.
Vor allem muß klar sein: Die tiefen strukturellen Probleme unserer Betriebe und unserer Unternehmen sind dadurch noch nicht gelöst. Tarifpolitische Vernunft, Verantwortungsbereitschaft und Augenmaß dürfen keine einmalige Rezessionsfliege sein.Ich weiß, wie schwierig dies für die Gewerkschaftsvertreter zu vermitteln sein muß, die für ihre Kolleginnen und Kollegen das Beste herauszuholen bemüht sind. Deshalb bewundere ich den beachtlichen Beitrag, den einige weitsichtige Gewerkschaftsführer in diesem Zusammenhang erbracht haben. Es ist zu wünschen, daß Einsicht und Augenmaß auch in der nächsten Runde wieder eine Chance haben; wir haben noch ein steiniges Feld zu beackern.Dies wird gewiß nicht dadurch leichter, daß wir uns in einem gefährlichen Zielkonflikt zwischen kurzfristig orientierter Arbeitsmarktpolitik und mittel- bis langfristig orientierter Zukunftssicherung befinden. Unsere Wirtschaft, unsere Betriebe durchlaufen gegenwärtig unter größten Anstrengungen ein gewaltiges, ein hartes, forderndes Fitneßprogramm. Die damit erreichten Produktivitätssteigerungen, die Mobilisierung erstaunlicher Effizienzreserven, die neu geweckte Innovations- und Investitionsdynamik sichern Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze der Zukunft. Aber die logische Kehrseite der Medaille ist die Fähigkeit, ein und dasselbe Produktionsergebnis mit weniger Arbeitskräften herstellen zu können, und ein bescheidenes Wachstum von 1,5 % — so erfreulich es für sich genommen ist — reicht bei weitem nicht aus, diese Arbeitsplatzverluste wettzumachen.Um so wichtiger ist es doch, den Weg freizumachen, der zu neuen Märkten und zu neuen Produkten und zu neuen Zukunftschancen führt.
Um so wichtiger ist es, sich von alten Vorurteilen und von Scheuklappen zu befreien, die die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern. Auch hierbei ist einiges erreicht worden, aber bei weitem noch nicht genug.Am wichtigsten scheint mir die Stärkung des Mittelstandes zu sein, der jedoch nicht danach ruft, endlich an den Tropf des Staates gehängt zu werden, sondern der nur befreit werden will von einem Über-
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Dr. Werner Hoyermaß an Regulierung, an Bürokratie und Abgabenbelastung.
Warum sind wir denn eigentlich so pessimistisch in diesem Lande, daß ein dynamischer Mittelstand nicht wie schon einmal in den Jahren 1982 bis 1989 eine siebenstellige Arbeitsplatzoffensive zustande bringt, wenn der Staat nur seinen Beitrag dazu leistet?
Manches, was in der letzten Zeit geleistet worden ist, ermutigt und motiviert ja durchaus. Der Handwerker, der längst seine Hoffnung hat fahren lassen bei dem Versuch, eine dringend benötigte Fachkraft vom Arbeitsamt vermittelt zu bekommen, rechnet sich hoffentlich bei privater Arbeitsvermittlung höhere Chancen aus. Mit Recht!
Ein mittelständischer Zulieferer der Automobilindustrie, der nicht mehr durchs Kleingedruckte daran gehindert werden darf, seine Forderungen gegenüber der Automobilindustrie abzutreten, wird manches Liquiditätsproblem, das ihm gegenwärtig lebensgefährlich zu schaffen macht, vermeiden können.
Die kleine Aktiengesellschaft, die die F.D.P. nach jahrelangem Kampf durchgesetzt hat, ist ein weiteres gutes Beispiel für praktische Lebenshilfe für den Mittelstand, nicht zuletzt über bessere Finanzierungsmöglichkeiten durch freiere Rechtsformenwahl der Unternehmung.
Diese und viele andere Anstöße, die Günter Rexrodt vor nicht einmal einem Jahr mit seinem Bericht zum Standort Deutschland gegeben hat, beginnen zu greifen, in den alten wie in den neuen Ländern.
Aber wir können zweifellos noch mehr tun. Gerade in den neuen Ländern bedarf das zarte Pflänzlein des Mittelstandes der Pflege, und zwar auch dort nicht über den Subventionstopf, aus dem sich die Großen im Zweifel immer mehr holen können als die Kleinen, sondern in erster Linie durch weniger Bürokratie, durch Chancengleichheit am Markt, durch Verbesserung der für die ostdeutschen Betriebe nach wie vor gravierend schlechteren Liquiditätssituation, und zwar bei ansonsten durchaus kerngesunden Unternehmen, und, wie ich finde, auch durch eine anzustrebende Wertschöpfungspräferenz für die neuen Länder.
Auch die Beschäftigung in privaten Haushalten, und zwar steuerpflichtig und durch die Sozialversicherung abgesichert, aber dann auch steuerlich gleichgestellt, darf nicht länger ein Tabu bleiben. In Hunderttausenden von Haushalten der Bundesrepublik, wenn nicht in weit über einer Million, warten Arbeitsplätze darauf, aktiviert zu werden oder — auch das wäre ja schon ein Fortschritt — aus der Schwarzarbeit herausgeholt zu werden.
Es ist eine ideologische Verblendung und unsozial, wenn mancher dies als Dienstmädchenprivileg rundheraus ablehnt und abqualifiziert. Es ist geradezu ein Milchmädchenprivileg, dies so zu sehen.
Noch viel wichtiger aber scheint mir zu sein, daß der Staat seinen Beitrag leistet, und zwar vor allem dadurch, daß er seine Staatsfinanzen in Ordnung bringt. Das geht nun einmal nicht über die Einnahmenseite, Frau Matthäus-Maier.
Im Gegenteil: Wer sich nicht einmal dazu durchringen kann, den Solidaritätsbeitrag nach zwei oder drei Jahren einer harten und immer wieder anzumahnenden Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls degressiv abzubauen, der setzt sich dem Verdacht aus, daß er im Grunde keinen Sonderbeitrag zur Bewältigung einer besonders schwierigen Situation will, sondern eine dauerhafte Steuererhöhung auf kaltem Wege.
Steuereinnahmen machen sinnlich. Wer die Staatsfinanzen auf diesem bequemen Wege in den Griff bekommen will, der wird niemals den Mut aufbringen, sich auf der Ausgabenseite richtig anzustrengen, d.h. vor allem Staatsaufgaben in Frage zu stellen.
Wir sind gut beraten, wenn wir bescheidener werden im Anspruch an das, was Politik angeblich alles leisten kann, wenn wir den Machbarkeitswahn überwinden, den uns die Menschen sowieso nicht mehr abnehmen. Deswegen sind wir gut beraten, den Wählerinnen und Wählern keine Versprechungen zu machen, sondern Mut. Die Bürger wissen doch zu genau, daß das mit der Rundumversorgung von der Wiege bis zur Bahre nichts wird. Es ist deutlich, daß wir mehr Dinge wieder in die Hände der Bürger selber zurückgeben müssen und daß die fürsorgliche Belagerung des Bürgers durch den Staat dazu führt, daß dieser Staat letztlich immer weniger freiheitlich wird.
Herr Kollege Hoyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Aber gern.
Herr Kollege, würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß Ihre Ausführungen einigermaßen unglaubwürdig sind, nachdem Sie in dieser Regierungskoalition sowohl die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger auf eine nie gekannte Rekordhöhe hochgeschraubt und gleichzeitig eine
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19382 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Ingrid Matthäus-MaierStaatsverschuldung nie dagewesenen Ausmaßes herbeigeführt haben?
Frau Kollegin, ich bestreite überhaupt nicht, daß wir eine viel zu hohe Staatsverschuldung haben. Daß wir sie in Kauf genommen haben, hatte allerdings Gründe, die auch ich gesehen und auf Grund derer auch ich dazu beigetragen habe, daß es zu dieser Staatsverschuldung gekommen ist. Denn zu einem Zeitpunkt, als Sie noch gar nicht bereit waren, die Chancen zu erkennen und zu ergreifen, die mit der deutschen Einheit verbunden waren, sind wir bereit gewesen, dieses Risiko zu tragen.
Das Problem besteht doch nur darin, ob wir alle bereit sind, jetzt zu sagen, welche Aufgaben bewältigt worden sind oder in den nächsten Jahren abgearbeitet werden, und dann zu einem Kurs der Konsolidierung zurückzukehren, den wir von 1982 bis 1989 mit großem Erfolg gefahren haben,
oder ob wir uns einfach an Staatsverschuldung auf höchstem Niveau zu Lasten späterer Generationen gewöhnen wollen. Das ist die entscheidende Frage.
Meine Damen und Herren, der freiheitliche Staat kann eben nicht alles richten. Politiker in einem freiheitlichen Staat können z. B. die Grundgesetze der Ökonomie nicht außer Kraft setzen. Auch wenn wir das einmal getan haben, z. B. im Zusammenhang mit der Einheit bei der Frage des Umtauschkurses OstMark/D-Mark aus übergeordneten Gründen und voll vorsätzlich, dann dürfen wir nicht zulassen, daß mancher daraus den Schluß zieht, man könne sich daran ohne Schaden gewöhnen
Hier ist die Position der Mehrheit der Forschungsinstitute eindeutig: Wir kommen mittelfristig um weitere Steuerreformen nicht herum. Steuersenkungen sind doch nicht das Geschenk nach einem konjunkturellen Aufschwung mit wachstumsbedingtem Einnahmenzuwachs des Staates. Umgekehrt wird ein Schuh daraus.
Die glaubwürdige mittelfristige Perspektive von Steuerentlastungen für die Bürger ist Mindestvoraussetzung für eine ausreichende Investitions- und Innovationsdynamik, für mehr Arbeitsplätze.
Fünf der sechs Institute gehen sogar weiter und fordern eindeutig Steuersenkungen als Vorbedingung für einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung. Nun dürfen wir keine Erwartungen wecken, die wir nicht erfüllen können; das schafft kein Vertrauen. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir glaubhaft machen könnten, daß der Staat nicht einfach weiter abkassieren will.
An manchen Tagen scheint das auch Herr Lafontaine zu sehen, so beispielsweise, als er gestern forderte, die Bundesregierung müsse auf die Erhöhung des Solidarzuschlags ab 1995 verzichten, denn
die Binnenkonjunktur sei zu schwach, vor allem sei die Belastungsgrenze für die Arbeitnehmer überschritten. Darüber ließe sich reden, auch wenn ich nicht vergessen habe, welche Rolle Herr Lafontaine und Herr Scharping gemeinsam bei den Verhandlungen über die gemeinsam zu verantwortenden Maßnahmen bei der Durchsetzung des von den Sozialdemokraten damals auf 7,5 % hochgetriebenen Solidarzuschlags gespielt haben.
Aber dies wird nicht funktionieren über einen Ersatz des Solidarzuschlags durch eine Ergänzungsabgabe für „Besserverdienende". Es hat nämlich noch niemand entdeckt, wie solche Ergänzungsabgaben die Investitionsdynamik des Mittelstands stärken sollen, wie dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Jedes Wort zur Steuerpolitik, das auf weitere Steuerlasten für die Bürger zielt, ist Gift für die Investitionsdynamik und lenkt außerdem nur von den tatsächlichen Anforderungen an die Haushaltskonsolidierung ab. Ausgabenkürzungen, und zwar auf Grund schonungsloser Aufgabenkritik, sind das Gebot der Stunde.
Herr Kollege Hoyer, der Kollege Klose möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Hoyer, haben Sie schon einmal in einer stillen Stunde über die tarifpolitischen Konsequenzen dieses Solidaritätszuschlags nachgedacht? Wie vereinbaren Sie die ständigen Maßhalteappelle bei Tarifverhandlungen mit einer solchen Steuerpolitik, die schon bei dem geringsten zu versteuernden Einkommen einsetzt?
Diese Frage macht uns selbstverständlich durchaus zu schaffen, zumal wir wissen, daß wir im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Besteuerung des Existenzminimums noch einen gewaltigen Brocken vor uns haben, den wir beherzt anpakken müssen.
— Das kann Sie durchaus beruhigen. Deswegen sind wir beispielsweise der Auffassung, daß wir unser System gerade im Bereich der am geringsten Versorgten in dieser Gesellschaft umstellen müssen. Deswegen sollten wir auf ein Bürgergeldsystem umsteigen, bei dem es um Anreize für mehr Arbeitsplätze durch die Kombination eines zuverlässig kalkulierbaren Bürgergeldes mit Erwerbseinkommen, das nur zur Hälfte angerechnet werden soll, gehen wird. Es wird keine soziale Hängematte, keine Lohnsubventionen geben, aber damit wird Bürokratie abgebaut und soziale Hilfe, die gerade in der gegenwärtigen sozialen Situation unseres Landes erforderlich ist, zielgenauer.
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Dr. Werner HoyerMeine Damen und Herren, die Hauptaufgabe, Innovationsdynamik in Wirtschaft und Gesellschaft freizusetzen und dabei endlich auch neue Arbeitsplätze zu schaffen, werden wir nur meistern, wenn wir durch konsequente Rückführung des Staates auf den Kern seiner Aufgaben den Bürgern, vor allein aber dem Mittelstand wieder die Freiräume schaffen, in denen Fleiß und Einfallsreichtum im Strukturwandel neue Arbeitsplätze schaffen.Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben die SED als eine verbrecherische Organisation bezeichnet. Gestatten Sie mir dazu drei Bemerkungen.Erstens glaubte ich bisher, in einem Land zu leben, in dem die Entscheidung darüber, was Verbrechen sind und wer Verbrecher sind, immer noch den Gerichten überlassen ist und nicht Ihnen. Ich gehe davon aus, daß die CSU nicht die höchstrichterliche Instanz in diesem Land ist.Zweitens beleidigen Sie damit 2,3 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern, die dieser Partei angehörten, die Sie damit als Verbrecherinnen und Verbrecher bezeichnen.Drittens werden zumindest in den neuen Bundes ländern solche Äußerungen als heuchlerisch empfunden, weil Sie und vor allem Ihr Vorgänger Franz Josef Strauß wesentlich engere, häufigere und freundschaftlichere Kontakte zu dem Vorsitzenden dieser Organisation, die Sie als „verbrecherisch" bezeichnet haben, nämlich zu Herrn Honecker, hatten als die meisten SED-Mitglieder zusammen.
Die Begegnungen, die Sie mit Herrn Honecker hatten, scheinen auf die CSU abgefärbt zu haben, zumindest in zwei Fragen.
Erstens fällt mir als Ähnlichkeit der Hang zu Verboten auf und zweitens die Schönfärberei.Davon haben Sie heute ein sehr praktisches Beispiel geliefert, indem Sie nämlich über Konjunktur in einer Art und Weise reden, als ob sie mit dem Hauptproblem dieser Gesellschaft zu tun hätte, der Massenarbeitslosigkeit. In Wirklichkeit handelt es sich um einen ganz leichten konjunkturellen Aufwind, der in erster Linie oder ausschließlich durch Exportsteigerungen bedingt ist. Was es überhaupt nicht gibt, ist eine Steigerung der Binnennachfrage. Dazu komme ich noch.Außerdem wird dabei übersehen, welche Ergebnisse der Aufschwung, wo er stattfindet, tatsächlich hat. Die Gewinne sind z. B. bei den Banken riesig gestiegen. Hatte das irgendeine positive Resonanz auf die Beschäftigung? Nicht einmal bei den Bankenselbst! Im Gegenteil: Sie haben Arbeitsplätze abgebaut. Einen wirklichen, relativ hohen Aufschwung gab es z. B. bei Mercedes. Im Vergleich zum ersten Quartal 1993 stieg die Autoproduktion um 28 %. Dennoch werden in diesem Jahr bei Mercedes 8 000 Beschäftigte entlassen. Das heißt, wir haben es mit einer Situation zu tun, in der sogar ein konjunktureller Aufschwung die Massenarbeitslosigkeit vergrößert und nicht etwa abbaut. Deshalb sagt die eine Tatsache über die andere relativ wenig aus oder höchstens Nachteiliges und Gegenteiliges.In diesem Jahr werden wir weitere 330 000 Entlassungen im Westen und 70 000 im Osten erleben. Damit erreicht die Massenarbeitslosigkeit einen gesellschaftszerstörenden Charakter, übrigens einen solchen gesellschaftszerstörenden Charakter, der in erster Linie den Rechtsextremisten in diesem Lande zugute kommt. Das ist die eigentliche Gefahr.Es gibt auch bei Investitionen große Unterschiede. Wenn wir gegenwärtig Investitionen haben, sind es in aller Regel Rationalisierungsinvestitionen— das sind solche, die wiederum Arbeitsplätze abbauen —, während Ausrüstungsinvestitionen völlig stagnieren. Das wären die einzigen, die tatsächlich Arbeitsplätze schaffen würden.Es wird immer gesagt, es gibt zu alledem keine Alternativen. Ich denke schon, daß es Alternativen gibt. Was hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren gemacht? Sie hat dafür gesorgt — das wird in dem Gutachten letztlich begrüßt —, daß wir es mit umfangreichen Reallohneinbußen und mit dem höchsten Sozialabbau zu tun hatten und nach wie vornahen, den es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab. Das aber bedeutet, daß die Kaufkraft immer weiter zurückgeht. Das aber bedeutet, daß die Umsätze im Handel und im Dienstleistungsbereich immer weiter zurückgehen und daß mithin von einer steigenden Binnennachfrage, die zu Investitionen führen könnte, keine Rede ist. Im Gegenteil: Die Binnennachfrage baut sich immer weiter ab. Wie sollen denn auch Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Umschülerinnen und Umschüler, Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tatsächlich mehr konsumieren? Sie haben überhaupt keine Chance. Die Reichen in dieser Gesellschaft sind satt. Auch sie werden nicht mehr konsumieren, als sie bisher konsumierten.Ich finde es schon ein ziemlich starkes Stück, Millionen Arbeitslosen, Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern zu sagen, Herr Kollege Hoyer, daß sie durch den Staat fürsorglich belagert werden. Sie würden sich wirklich etwas mehr Fürsorge wünschen. Der Staat drängelt sich ihnen nicht mit Hilfen auf. Das ist nicht die Realität in der Bundesrepublik Deutschland. Ganz im Gegenteil: Er entzieht sich immer stärker seiner Verantwortung und gibt die notwendigen Hilfen nicht.Deshalb brauchen wir eine andere Politik, wenn man Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen will. Das erste, was wir beseitigen müssen, ist ein großes Investitionshemmnis, das darin besteht, daß in dieser Gesellschaft das Finanzkapital viel stärker privilegiert ist als das Produktionskapital. Es lohnt sich nicht, Geld zu investieren. Es lohnt sich viel mehr, Geld zur
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19384 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Gregor GysiBank zu bringen. Also müßten Sie das Kapital auf den Banken anders behandeln, auch anders besteuern. Aber genau dazu sind Sie nicht bereit, weil Sie, die Mehrheitskoalition in diesem Deutschen Bundestag, die Lobby der Banken sind. Damit leisten Sie auch der Wirtschaft und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den schlechtesten Dienst. Sie müßten sich dazu entschließen, den Sozialabbau endlich zu stoppen und mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Das ist ein Gesichtspunkt des Humanismus, ein sozialer Gesichtspunkt, aber zugleich ein wirtschaftspolitisch sinnvoller Schritt, weil dadurch die Kaufkraft erhöht wird.Sie können sehr wohl den Vermögenden, den Reichen in dieser Gesellschaft wesentlich mehr wegnehmen, als Sie das gegenwärtig tun. Die bekommen ja permanent Geschenke von Ihnen, und nichts, aber auch gar nichts trägt das zur Belebung der Wirtschaft oder der Investitionstätigkeit bei.Nur ein Beispiel: Die westdeutschen Unternehmen hatten allein durch das Hinzukommen des ostdeutschen Marktes Gewinne von über 50 Milliarden DM. Nichts von diesen 50 Milliarden ist im Osten reinvestiert worden, das ist alles nur zur quantitativen Entwicklung der Banken verwendet worden, so daß wir dort jetzt ein frei vagabundierendes Kapital von über 700 Milliarden DM haben. Das ist übrigens auch gefährlich; denn wenn das unkontrolliert auf den Markt stößt, werden wir einen Schwarzen Freitag erleben, gegen den der aus dem Jahr 1929 ein harmloses Vorspiel war.An dieses Geld könnten Sie mittels einer Zwangsanleihe heran, Sie könnten gerechter besteuern, Sie könnten die Steuerprivilegien abbauen, Sie könnten Steuerverkürzung wirksam bekämpfen. 130 Milliarden DM gehen dem Staat im Jahr auf diese Art und Weise verloren, dagegen machen Sie fast nichts, aber Sie kontrollieren inzwischen bei jeder Sozialhilfeempfängerin, ob sie nicht vielleicht 10 DM zuviel hat. Da scheuen Sie weder Mühen noch Finanzen, um das zu ermitteln. Das zeigt die ganze Ausrichtung der Politik dieser Bundesregierung.Ich denke, es gäbe auch noch viele andere Chancen, für Einnahmen zu sorgen, mit denen Arbeitsplätze dort geschaffen werden könnten, wo genügend Arbeit vorhanden ist, nur nicht genügend Erwerbsarbeit, z. B. im Bereich der Ökologie, im Bereich der Kultur, im Bereich der Bildung, im Bereich der Wissenschaft und im Bereich von Dienstleistungen.Sie könnten zugleich, z. B. durch eine soziale Grundsicherung, einen Beitrag dazu leisten, daß endlich auch reproduktive Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen geleistet werden — ich nenne als Beispiel nur die Kinderbetreuung —, eine gesellschaftliche und auch eine materielle Anerkennung finden.Wenn Sie das täten, hätten Sie die Möglichkeit, Mehreinnahmen von über 500 Milliarden DM im Jahr zu realisieren. Damit könnten Sie sehr wohl den Haushalt konsolidieren und wesentlich mehr soziale Gerechtigkeit herstellen, als das gegenwärtig der Fall ist. Statt dessen befördern Sie den Reichtum permanent mit der eindeutig falschen Behauptung, daß dadurch Wirtschaftstätigkeit angekurbelt werdenwürde, und beschneiden das soziale Netz Stück für Stück, bis Sie diese Bundesrepublik Deutschland verändert haben, aber in einer Art und Weise, die zu ihrem großen Nachteil ist.Daß übrigens auch so viele Menschen in den alten Bundesländern die Einheit inzwischen als Belastung empfinden, daran haben Sie einen ganz großen Anteil, weil Sie ihnen z. B. täglich falsche Zahlen nennen, was sie der Osten kostet. Damit erreichen Sie doch nur, daß die Leute eine Antihaltung zur deutschen Einheit entwickeln. Warum operieren Sie nicht mit realen Zahlen? Warum sagen Sie nie, wer eigentlich was an der Einheit verdient hat und was aus diesem verdienten Geld in dieser Gesellschaft geworden ist? Weshalb nehmen Sie diejenigen, die daran verdient haben, nicht bei der Finanzierung von Transfers in Anspruch?
Sie wollen spalten, weil Ihnen der Ost-West-Widerspruch lieber ist, denn er verdeckt den eigentlichen Grundwiderspruch dieser Gesellschaft, den zwischen Unten und Oben und zwischen Arm und Reich. Das ist das Ziel, das Sie damit verfolgen und womit Sie partiell auch Erfolg haben, allerdings immer weniger.
— Sehen Sie, das ist ja nicht mein Problem. Im Unterschied zu Ihnen bin ich nicht machtgeil, und ich kann mich deshalb mit der Oppositionsrolle ganz gut abfinden.
Sie müssen sich mal wirklich überlegen, wie die CSU in Bayern regiert. Die regiert da nämlich seit über 40 Jahren so wie früher die SED, und so sieht sie heute auch aus. Veränderungen sind dort wirklich dringend geboten.
Ich erteile dem Abgeordneten Werner Schulz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle sehen sich wieder einmal vom Gutachten der Forschungsinstitute bestätigt. Der Finanzminister will uns einreden, daß die Institute die finanzpolitischen Auswüchse dieser Regierung gutheißen. Der Wirtschaftsminister fühlt sich in seiner aufgedrehten Untätigkeit bestätigt, und Ulrich Klose sieht zu Recht, daß eine Frühjahrsschwalbe noch keinen Konjunktursommer ergibt, zumal wenn sie einen vom Auftraggeber ausgefüllten Wunschzettel im Schnabel trägt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19385
Werner Schulz
Offenbar ist dieses Gutachten geeignet, reichlich fehlinterpretiert und von allen Seiten ausgequetscht zu werden. Bei näherem Hinsehen wird man feststellen, daß es keine klaren Aussagen macht und deshalb auch nicht die Schlußfolgerung der Bundesregierung zuläßt.Am allerwenigsten kann man auf die Prognosen der Institute vertrauen. Aber das wissen Sie eigentlich. Die Institute und auch der Sachverständigenrat lagen noch fast bei jedem Gutachten mit ihren Wirtschaftswachstumsprognosen beträchtlich daneben.Seit Jahr und Tag werden die Gutachten für den Wahlkampf zweckentfremdet. Das ist auch in diesem Jahr nicht anders; allerdings muß man feststellen, daß sich diesmal die Institute selbst am Spiel beteiligen. Das „Handelsblatt" spricht dagegen von einem „kleinen Wahlgeschenk", und der Abgeordnete Waigel tritt, wie wir ihn heute erlebt haben, sogar in die allseits beliebte Serie „Wetten, daß ..." ein. Bisher haben wir Sie nur als spekulierenden Finanzminister kennengelernt, der hier so sein Zahlenlotto präsentiert bzw. den Haushalt in einen Lotterladen verwandelt hat.
Aber es ist neu, daß Sie sogar noch auf das wetten, was Sie verursacht haben.Wo ist eigentlich die Debatte um den Standort Deutschland geblieben, frage ich Sie, die wir ja in den letzten Monaten so leidenschaftlich geführt haben? Ein prophezeiter Silberstreifen am Wirtschaftshorizont läßt die Regierung die gesamte Debatte abbrechen, als hätte es sie nie gegeben.
Nichts mehr von den strukturellen Schwächen, kein Klagen mehr über das geistig träge Management in Deutschland, die unflexible Arbeitszeitgestaltung, die geringe Investitionstätigkeit! Vergessen, verdrängt ein exorbitant verschuldeter Staat, der sich durch seine liederliche Finanzpolitik selbst die Mittel aus der Hand genommen hat, in einer Wirtschaftsflaute mit antizyklischen Maßnahmen zu reagieren.Jeder wirtschaftspolitische Strohhalm, der vorbeigeschwommen kommt, wird von dieser Regierung aufgegriffen und zum Wachstumsbaumstamm aufgeblasen. Getan hat die Regierung reichlich wenig dafür.Erinnern wir uns doch, bitte schön. In seiner Regierungserklärung von 1991 hat sich der Bundeskanzler damals noch an die Vorgaben der Institute und des Sachverständigenrats gehalten. Der Kanzler wollte die Verschuldung so schnell wie möglich verringern. Tatsächlich hat sich die Gesamtverschuldung des Staates seither nahezu verdoppelt.Die Bundesregierung wollte den Abbau von Subventionen voranbringen und die Vorteile der Großunternehmen gegenüber den kleinen und mittleren Unternehmen abbauen. Tatsächlich werden weiterhin vor allem die großen Unternehmen und die alten Branchen subventioniert.Der Kanzler wollte ein steuerpolitisches Gesamtkonzept verwirklichen. Aus der Ankündigung wird am Ende der Legislaturperiode das größte Steuerchaos in der Geschichte der Bundesrepublik.Die Ignoranz und Lernunfähigkeit dieser Regierung waren es, die den Aufbau in den neuen Ländern zunächst verhindert haben und auch heute noch behindern. Viele werden sich im Wahljahr daran erinnern, wie der Kanzler gegen alle wirtschaftspolitische Vernunft abenteuerliche Wunschträume produziert hat.Gewachsen sind vor allem die Stilblüten der liberalen Wirtschaftsminister. Unablässig redet der Wirtschaftsminister von Deregulierung und Privatisierung, ohne einen einzigen vernünftigen Vorschlag zu unterbreiten. Ein Konzept, das geeignet wäre, die Marktkräfte zu stärken und den Strukturwandel zu fördern, ist uns Herr Rexrodt bis heute schuldig geblieben.
Der Befund könnte schlimmer eigentlich nicht sein. Von den rund 10 Millionen Arbeitsplätzen, die es 1989 in Ostdeutschland gegeben hat, sind nur noch etwa 5 Millionen übriggeblieben. Die Bundesregierung hat der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen nichts entgegengesetzt, und das nach dem weltweit medienwirksamen Auftritt von Ankündigungsminister Töpfer in Rio de Janeiro!Diese Regierung ist verantwortlich dafür, daß die Armut in Deutschland sich immer mehr ausweitet und die Einkommensentwicklung weiter auseinanderdriftet. Von sozialer Sicherheit, Gerechtigkeit und auch von Chancengleichheit sind wir weit entfernt.In den vergangenen elf Jahren hat die Bundesregierung die Probleme geschaffen, die sie jetzt lösen will. Aber die Verursacher der Krise können sich heute nicht als die Zugpferde empfehlen, die in der Lage wären, uns da herauszuholen. Diesmal wird es nicht klappen, einfach nur auf das Kurzzeitgedächtnis der Wähler zu setzen.Es gibt keinen Zweifel: Auch mit einem Wachstum in geringem Umfang wird die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr von sinkender Beschäftigung und weiter steigender Arbeitslosigkeit begleitet sein.Das Warten auf den Aufschwung ersetzt kein Konzept zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Mit Ihrer Politik forcieren Sie statt dessen die soziale Spaltung. Ökologisch geschieht überhaupt nichts. Auf Ansätze, wie der Reformstau in diesem Land gelöst werden kann, können wir bei dieser Regierung lange warten. Da ist nichts, und da kommt nichts.Doch an der Stelle der Vertiefung des alten Modells Deutschland brauchen wir eine einschneidende Reform. Die Soziale Marktwirtschaft muß durch eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft weiterentwickelt werden. Eine ökologisch orientierte Steuerreform und eine Politik der Arbeitsumverteilung sind die ersten und wichtigsten Schritte auf dem Weg zu einem neuen Wohlfahrtsmodell.
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19386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Dr. Günter Rexrodt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sie gibt Gelegenheit, der Opposition zu verdeutlichen, daß die Politik der Schwarzmalerei nicht zum Erfolg geführt hat, daß sie am Ende ist. Ihre Rechnung ist nicht aufgegangen. Der Aufschwung kommt, auch wenn er Ihnen — zumindest politisch — jetzt gar nicht in den Kram paßt.
Ich habe Sie — gerade Sie, Herr Jens — noch sehr gut im Ohr, wie Sie die Bundesregierung in den letzten Monaten permanent der Schönfärberei bezichtigt haben. Der Jahreswirtschaftsbericht, so haben Sie gesagt, lese sich wie ein schlechtes Weihnachtsmärchen. Die darin enthaltene Wachstumsprognose sei „reines Wunschdenken". Die Berechnungen des Bundeswirtschaftsministers seien „schlichtweg unseriös und widersprüchlich".
Ich füge hinzu, daß auch einige andere außerhalb der Opposition, die sich von der Schwarzmalerei kurzfristig den einen oder anderen Vorteil versprochen haben, bewußt oder unbewußt schiefgelegen haben.
Das soeben veröffentlichte gemeinsame Gutachten der führenden Forschungsinstitute beweist, daß wir mit unserer Einschätzung richtig gelegen haben, und es deutet darauf hin, daß wir auch mit unserer Wirtschaftspolitik richtig liegen.
— Darauf komme ich noch. — Die jetzt vorgelegten Wachstumsannahmen von fünf der sechs Institute bewegen sich an der Obergrenze der von der Bundesregierung im Januar erwarteten Spanne. Sie, Herr Professor Jens, sollten heute eigentlich Reue zeigen und sich von Ihren polemischen Äußerungen, die von wenig ökonomischem Sachverstand gekennzeichnet sind, offen distanzieren.
Wir haben nämlich die Chance, daß das tatsächliche Wachstum dieses Jahres noch höher ausfällt, als es im Gutachten der Institute zum Ausdruck kommt. Die laufenden Konjunkturindikatoren — da bitte ich einmal hinzuschauen — lassen eine spürbare Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation in den alten Ländern erkennen. Die Geschäftserwartungen in der westdeutschen Industrie — ein wichtiger Frühindikator der Konjunktur — haben sich, wie Ifo zeigt, beträchtlich verbessert. Der Saldo von pessimistischen und optimistischen Antworten lag im Herbst 1992 bei minus 43. Heute überwiegen die positiven Stimmen mit plus 8. Die Bestellungen beim verarbeitenden Gewerbe waren in den ersten beiden Monaten
dieses Jahres real um 2,5 % höher als vor Jahresfrist. Die Auftragseingänge aus dem Ausland sind real um 9 % gestiegen. Gleichzeitig meldete das Bauhauptgewerbe ein Auftragsplus von 8,5 %, und im Wohnungsbau ergab sich ein Zuwachs von mehr als 30 %.
Die Exporte überschritten im Zeitraum Januar/ Februar ihr entsprechendes Vorjahresniveau um 2,5 %, und die Kapazitätsauslastung der Industrie nimmt seit dem dritten Quartal letzten Jahres wieder spürbar zu. Insgesamt dürfte das Bruttoinlandsprodukt im ersten Vierteljahr 1994 wieder deutlich höher liegen als im vergleichbaren Zeitraum des vorigen Jahres.
Lassen Sie mich zu den neuen Ländern folgendes sagen. Ich kann Ihnen allen, meine Damen und Herren von der Opposition, nur raten, sich an Ort und Stelle einen Eindruck zu verschaffen
von der Hartnäckigkeit, mit der die Dinge dort angepackt werden. Statistische Daten bieten nur ein abstraktes Bild. Die Wirklichkeit sieht positiver aus. Die Auftragseingänge der Bauwirtschaft haben um 37 % zugenommen. Im Wohnungsbau sind es 85 %. Die Bautätigkeit insgesamt weist einen Zuwachs von 20 % aus.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jens zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Minister, bei dem, was Sie da vortragen, kriege ich fast das Grauen.
Aber könnten Sie mir vielleicht zustimmen, daß der von Ihrer Partei getragene Kanzler vor der letzten Wahl davon gesprochen hat, daß es in den neuen Bundesländern demnächst blühende Landschaften geben werde? Wo sind diese denn?
Sie sind jetzt in der Gefahr, von blühenden Konjunkturlandschaften zu sprechen. Und können Sie mir zustimmen, wenn ich sage: So ein Aufschwüngchen, von dem Sie hier reden, ist wirklich überhaupt nichts wert, solange es nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit deutlich zu verringern. Aber die Arbeitslosigkeit wird nach Aussage von Tyll Necker auch im nächsten Jahr weiterhin steigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Professor Jens, ich kann Ihnen nicht zustimmen, um das gleich zu sagen. Aber Ihre gebetsmühlenartigen Vorträge hinsichtlich der schlechten Konjunkturaussichten sind doch durch Fakten widerlegt, die ich zunächst einmal nur vorgetragen habe.
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Bundesminister Dr. Günter RexrodtWenn Sie von den blühenden Landschaften reden: Der Bundeskanzler und wir alle haben uns, was die Zeitabläufe angeht, getäuscht. Wir haben Einschätzungen revidieren müssen, weil uns nicht bekannt war, in welchem Maße die DDR-Wirtschaft verrottet war. Niemand wußte auch, daß die Sowjetunion in dieser Form nicht weiterbestehen würde. Was wir im Osten Deutschlands in drei Jahren geschafft haben, obwohl wir ein solches Erbe übernommen haben, kann sich sehen lassen.
Das lassen sich die Leute im Osten von Ihnen auch nicht wegreden, die nämlich Zuversicht haben und wissen, daß es aufwärtsgeht. Nur: Ihnen paßt es politisch nicht in den Kram, daß es aufwärtsgeht.
Da können Sie so viel reden, wie Sie wollen, die Leute, die betroffen sind, wissen es besser.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Graf hatte ebenfalls den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Ich weiß nicht, ob dieser noch besteht. — Er besteht. Sind Sie bereit, ihm eine Antwort zu geben, wenn er fragen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das würde ich machen. Danach würde ich allerdings gern weiter fortfahren.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Graf.
Herr Minister, ich höre diesem sehr schönen Bericht über die großartigen Erfolge ja sehr aufmerksam zu. Ich habe in diesem Zusammenhang eine Frage an Sie, nämlich was ich den Leuten in meinem Wahlkreis, die jetzt zum Teil sicherlich zuhören, vor dem Hintergrund der Schweinepest sagen soll — das ist nicht Ihr Thema —, wo gerade in diesen Tagen die Industrie- und Handelskammer und die Gewerkschaften davon ausgehen, daß durch die augenblickliche Situation etwa 35 000 Arbeitsplätze im sogenannten Oldenburger Münsterland — Südoldenburg — gefährdet sind und sie für die gesamte Region keine Chance sehen, daß sich etwas bewegt, und die Arbeitslosigkeit, die in diesem Bereich ohnehin sehr hoch ist — —
— Herr Glos, Sie sollten ein bißchen mehr Verantwortung den Leuten gegenüber zeigen, die jetzt davon betroffen sind, wo es an die Existenz geht!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie fragen mich ja, was Sie Ihren potentiellen Wählern, den Menschen in Ihrem Wahlkreis, sagen sollen. Sagen Sie denen, daß sie, was ihre individuelle Situation mit der Schweinepest angeht, zumindest auf die Bundesregierung zählen können,
daß aber bei dem, was die Landesregierung in Niedersachsen veranstaltet, wenn es um Kontrollen geht,
wenn es darum geht, sehr schnell und zügig mit Hilfen zur Seite zu stehen, noch einiges zu verbessern ist.Erzählen Sie den Menschen in Ihrem Wahlkreis vor allen Dingen, daß diese Bundesregierung die strukturellen Probleme dieses Landes erfaßt hat und durch eine überzeugende Politik dabei ist, die Weichen so zu stellen, daß die Menschen in größerem Umfang wieder zu Arbeit und Brot kommen und dieses Land wettbewerbsfähig wird, und zwar entgegen den Vorstellungen Ihrer Partei, die darauf hinauslaufen, die Leistungsträger stärker zu besteuern und den Leistungsträgern das wegzunehmen, was notwendig ist, um in diesem Land einen Fortschritt zu erzielen.
Meine Damen und Herren, ich bestreite ja gar nicht, daß es auf dem Arbeitsmarkt riesige Probleme gibt. Wir können uns nicht auf dem ausruhen, was sich jetzt durch die Überwindung der Rezession abzeichnet. Wer wollte denn leugnen, daß ein wieder stärkeres Wirtschaftswachstum nicht ausreicht, um mit den struktuellen Problemen der Arbeitslosigkeit fertig zu werden?Ich kann Ihnen nur sagen: Zunächst einmal ist festzuhalten — und das müssen die Menschen in diesem Lande auch wissen —, daß wir in konjunktureller Hinsicht Tritt gefaßt haben, daß die Zinsen merklich niedriger sind, daß die Gewinne wieder steigen und damit die Investitionsvoraussetzungen verbessert sind, und vor allen Dingen, daß es bei den Tarifpartnern mehr Verständnis hinsichtlich der notwendigen Flexibilität gibt.Wir haben unsere Wirtschaftspolitik so angelegt, daß wir auf Grund der besseren Konjunktur nicht zögern werden und nicht nachlassen werden in dem Bemühen, die strukturellen Probleme, die gewachsen sind — nicht nur wegen der Lage in unserem Land, sondern auch auf Grund weltwirtschaftlicher Entwicklungen —, in den Griff zu bekommen. Wir müssen als Unternehmen und Unternehmer, aber auch als Staat in Forschung, Entwicklung und Innovation eine ganze Menge mehr tun. Wir müssen unsere Präsenz auf den boomenden Märkten rund um den Globus verbessern.Ich komme gerade aus der Asien-Pazifik-Konferenz. Wenn Sie sich ein Bild von dem machen, was außerhalb Deutschlands, was in diesen Regionen geschieht, dann werden Sie mit der Überzeugung zurückkommen, daß wir das Ganze ohne zusätzliche Flexibilität, ohne zusätzliche Anstrengungen und ohne Veränderungen, die auf ein Auflösen der Erstarrungen hinauslaufen, nicht schaffen werden. Ich bin aber optimistisch, daß wir das schaffen können.Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von Zielen zu erreichen, die von uns mit großer Nachhaltigkeit angestrebt werden. Wir haben — ich habe das eben gesagt — Versäumnisse in Forschung, Entwicklung und Innovation gehabt. Die Antwort darauf kann nicht allein sein, daß wir ein paar Millio-
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19388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Bundesminister Dr. Günter Rexrodtnen Mark mehr an Forschungsförderungsmitteln in Großunternehmen stecken. Die Antwort kann nur darin bestehen, daß wir unsere Bildungssysteme verändern, daß wir sie effizienter machen, daß es mehr Durchlässigkeit gibt und daß wir in diesem Land endlich die Technikfeindlichkeit, die Skepsis überwinden, die von Ihnen jeden Tag neu genährt wird.
Die Überwindung der strukturellen Probleme und damit der Arbeitslosigkeit kann nur erfolgen, wenn wir endlich Gesetze und Verordnungen abbauen oder vereinfachen und Deregulierung nicht vor uns hertragen, sondern in den Städten und Gemeinden — gerade in denen, die von Ihnen regiert werden — zu schnelleren Verfahren kommen, so daß die Bürger, wenn sie zur Administration, zur Verwaltung gehen, das Gefühl haben, daß die Menschen, die dort arbeiten, für sie — die Bürger — da sind und nicht umgekehrt. Das verstehen wir unter Abbau der Regulierung.
Wir wollen die Privatisierung fortsetzen und glauben, daß wir als Bundesregierung da ein ganzes Stück vorangekommen sind, im Gegensatz zu vielen Ländern und Gemeinden, wo noch vieles zu tun ist.
Über die Konsolidierung der Haushalte ist schon gesprochen worden. Der Konsolidierungskurs der Bundesregierung wird konsequent und strikt fortgesetzt.
Keiner will leugnen, daß die Staatsverschuldung zu hoch ist. Keiner will leugnen, daß wir uns nicht leisten können, die Nettoneuverschuldung so anwachsen zu lassen wie in den letzten Jahren.
Ich bitte aber nur um Fairneß, um einen Hinweis darauf und Würdigung dessen, warum das so gekommen ist. Wir haben eine Aufgabe zu meistern gehabt, die kein anderes Land in dieser Dimension hat meistern müssen. Wir müssen jetzt nur konsequent bleiben.Wir sprechen über Konjunktur. Wenn sich auf Grund der Konjunkturverbesserung und auf Grund der Tatsache, daß strukturell das eine oder andere besser wird, wieder Spielräume ergeben, dann dürfen wir diese Spielräume nicht für neue Wohltaten benutzen, sondern dann müssen wir die Unternehmen und den Bürger von Steuern und Abgaben entlasten. Dafür werden wir kämpfen, und darauf werden wir hinwirken.
Das Schwierigste und Wichtigste in unserer Politik, die fünf Elemente hat — Forschung und Entwicklung, Deregulierung, Privatisierung, Konsolidierung undRepräsentanz auf den neuen Märkten —, ist die Rückführung der Kosten in unseren Unternehmen.
Wir haben nicht deswegen nicht ausreichend Arbeitsplätze, weil wir keine Arbeit hätten — ich sage immer wieder, wir haben Arbeit in Hülle und Fülle —, sondern weil die Arbeit zu teuer geworden ist. Die Arbeit läßt sich zu den Kosten, die sie in Deutschland aufwirft, nicht mehr produktiv organisieren. Deshalb muß die Kostenkrise in den Unternehmen überwunden werden, dann haben wir auch wieder genügend Arbeitsplätze. Keiner kann sich dem verschließen.
— Nicht in die 50er Jahre, sondern wettbewerbsfähig müssen unsere Unternehmen bleiben. Wenn unsere Unternehmen ihre Produkte absetzen können, weil die Preise stimmen und weil die Qualität stimmt, dann wird sich die Frage der Arbeitsplätze überhaupt nicht mehr stellen. Das ist unsere Politik, die auf eine Veränderung der Strukturen hinausläuft, und keine Schaumschlägerei.
Meine Damen und Herren, ich gehöre ja nicht zu denen, die in Abrede stellen wollen, daß durch Lohnzurückhaltung ein Einkommenseffekt und ein Nachfrageeffekt entsteht, der tendenziell negativ ist. Wer will das bestreiten? Das ist eine ökonomische Binsenwahrheit. Nur, wir sind in einer Situation, wo es abzuwägen gilt zwischen diesem Faktum, dem Ausfall von Nachfrage, und dem Faktum der Kostenbelastung der Unternehmen. Wenn ich sehe, daß wir unsere Produkte nicht mehr loswerden und daß andere genau so hochwertige Produkte in Asien zu anderen Kosten herstellen,
dann muß ich diesem Kostenaspekt der Entlastung der Unternehmen zunächst einmal ein stärkeres Gewicht beimessen; das ist nun einmal so.
Dann können wir an anderer Stelle und zu anderer Zeit auch wieder über den Nachfrageeffekt reden. Dagegen wird sich niemand verschließen.
Das sind ökonomische Grundwahrheiten, die Sie nicht beherrschen, weil Sie die Kompetenz nicht haben, meine Damen und Herren. Und die Menschen sehen das auch wieder.
Dies, Herr Bundeswirtschaftsminister, veranlaßt Herrn Dr. Gysi, Sie zu bitten, ihm eine Frage zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber sicherlich.
Herr Bundeswirtschaftsminister, würden Sie mir zustimmen, daß es
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Dr. Gregor Gysisich vielleicht lohnen würde, zur Kostenentlastung der Unternehmen über eine grundlegende Reform dergestalt nachzudenken, daß die Unternehmen ihre Abgaben in die Sozialversicherungssysteme, die Steuern etc. künftig nicht mehr in erster Linie - wie heute — nach der Zahl der Beschäftigten zu leisten hätten, sondern nach Umsatz und Gewinn? Damit hätten wir eine ganz andere wirtschaftliche Größe, und Beschäftigung würde viel weniger bestraft werden, als das heute der Fall ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wissen Sie, Herr Abgeordneter Gysi, das ist eben das Mißverständnis, das Sie seit vielen Jahrzehnten mittragen: Der Gewinn ist in unserer Wirtschaftsordnung nichts Negatives,
sondern der Gewinn ist eine Residualgröße, die dringend erforderlich ist, um Investitionen durchzuführen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Wer den Gewinn primär besteuert und ihn nunmehr auch zum Maßstab für Sozialabgaben machen will, der vernichtet die Grundlage dafür, daß in unserer Volkswirtschaft eine Expansion stattfinden kann.
Gewinne und Einkommen sind genug belastet. Wir müssen diese Besteuerung zurückführen und können sie nicht mit zusätzlichen Abgaben belegen.
Es ist eine ideologische Brille, durch die Sie die Dinge sehen.
Herr Bundesminister, Sie haben ihn nicht zufriedengestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist auch sicherlich schwierig, Herr Präsident.
Er bittet darum, eine weitere Frage stellen zu dürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist dann die letzte, und danach würde ich gern zu Ende kommen wollen.
Ich höre dann auch auf, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Ich habe ja gar nicht von mehr oder weniger gesprochen, sondern habe einfach von einer anderen Berechnungsgröße gesprochen, um die Beschäftigung nicht mehr zu bestrafen wie heute. Oder sehen Sie es nicht als einen großen Mangel an, daß von zwei Unternehmen mit der gleichen Umsatzhöhe — sagen wir mal, 100 Millionen oder 200 Millionen, das ist mir egal —, aber einmal mit 20 Beschäftigten und einmal mit 2 000 Beschäftigten, weil es um völlig unterschiedliche Produktionsstrukturen geht, das eine Unternehmen für 20 Beschäftigte diese Abgaben leisten muß, das andere aber für 2 000, so daß es dadurch erheblich benachteiligt ist?
Wenn man es nach Umsatz und Gewinn organisieren und berechnen würde, gäbe es sozusagen auch einen Ausgleich zwischen höher produktiven und weniger produktiven und damit zwischen beschäftigungsintensiveren und weniger beschäftigungsintensiven Bereichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Gysi, unser System besteht darin, daß wir Einkommen und Gewinn besteuern durch die Körperschaft- bzw. durch die Einkommensteuer, und die ist bereits sozial gestaffelt, wie wir alle wissen. Der Umsatz wird ohnehin besteuert.Dann haben wir die Sozialabgaben zu leisten, und diese Sozialabgaben sind in unserem System cum grano salis so angelegt, daß diejenigen, die in Beschäftigung sind, in ein System einzahlen, damit sie aus diesem System später auch Leistungen entnehmen können.
— So ist das, und dieses System muß so erhalten bleiben.
Es gibt doch nur eine Einzahlung, und die wird in der Lastenverteilung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Sonst müssen Sie das System ändern. Wenn Sie ein besseres haben, dann können wir darüber diskutieren. Ich fürchte nur, daß selbst Ihre Freunde hier auf dieser Seite oder Ihre parlamentarischen Kollegen dabei einige Schwierigkeiten bekommen.Lassen Sie mich noch etwas zu den Abgabenquoten sagen. Damit knüpfe ich ja auch an das an, was Sie, Herr Gysi, erfragen wollten. Der hohe Anstieg der Abgabenquote in den letzten Jahren war eine Folge der Wiedervereinigung. Ich habe das bereits gesagt. Wir müssen schnell zu der Belastung zurückkehren, die wir vor der Wiedervereinigung hatten.Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie in der SPD wollen. Zu Recht betonen die Forschungsinstitute, daß von der hohen Abgabenbelastung diejenigen am meisten betroffen werden, die in besonderem Maße zur Steigerung des Sozialproduktes beitragen. Gerade die möchten Sie von der SPD stärker belasten. Die Vorstellung der SPD, zusätzliche Steuereinnahmen voll von den sogenannten Besserverdienenden zu nehmen, ist keine Medizin; das ist Gift für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze.
Wie können Sie denn Ihrer Klientel mehr Milch versprechen, wenn Sie der Kuh das Futter entziehen wollen?
Angesichts der steuerpolitischen Vorstellungen Ihrer Partei schrieb der Bonner „General-Anzeiger" am 23. März, er müsse an die verzweifelte Warnung Karl Schillers von 1971 erinnern. Schon damals sagte
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19390 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Bundesminister Dr. Günter RexrodtIhnen Ihr damaliger Wirtschaftsminister: „Genossen, laßt die Tassen im Schrank!"
Auch der frühere Bundesbankpräsident Pöhl sieht das nicht anders. Ich zitiere aus einem Interview mit Herrn Pöhl in der „Wirtschaftswoche" vom 11. März dieses Jahres:Einige Vorschläge der SPD finde ich im höchsten Maße bedenklich, etwa die Höherbesteuerung der sogenannten Besserverdienenden.
Wir brauchen keine weitere Umverteilung à la SPD, bei der am Ende alle schlechter dastehen.
Was wir brauchen, sind Investitionen großen Ausmaßes für neue Arbeitsplätze, und zwar auf Jahre hinaus. Die Rückkehr zu einer solchen Entwicklung zu ermöglichen, wie sie bereits in den 80er Jahren erreicht werden konnte, ist Ziel der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik der Bundesregierung.
Diese Regierung hat im Unterschied zu Ihnen dazu das richtige Konzept und die fachliche Kompetenz.
Herrn Klose, der seine Rede mit einer persönlichen Prognose beendete, sage ich: Ihre Prognose wird nicht aufgehen, solange Sie in Schwarzmalerei und Pessimismus verharren, solange Sie diesen Standort herunterreden.
Dieser Standort ist ein guter Standort. Wir setzen auf diesen Standort, auf die Marktkräfte, die Menschen hier, die Unternehmen. Wir setzen auf die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen. Wir setzen auf Senkung der Kosten, Abbau der Überregulierung. Wir setzen auf mehr Repräsentanz in den boomenden Märkten. Wir setzen auf Flexibilität, und wir setzen auf ein Zusammenwirken von Wirtschaft, Staat und Gewerkschaften in einer Industriepolitik, die wir jeden Tag in einer Art und Weise, wie das richtig ist, betreiben: nicht unter Verschiebung der Verantwortlichkeiten, sondern mit Abstimmung, Hinhören und Aufeinandereingehen.Das ist eine Politik, der Sie nichts hinzuzufügen haben — außer der Besteuerung der Besserverdienenden. Das ist zu wenig. Das wissen auch die Menschen. Deshalb hat diese Bundesregierung, Herr Klose, meine Damen und Herren, allerbeste Chancen, noch lange ihre Verantwortung zum Wohle der Deutschen wahrzunehmen.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Manfred Reimann versucht seit geraumer Zeit, Ihnen eine Frage zu stellen. Sind Sie bereit, dieselbe noch zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieselbe will ich gerne noch beantworten.
Dafür bedanke ich mich, Herr Minister. — Weil Sie dauernd das Thema, die Besserverdienenden höher zu besteuern, geißeln,
frage ich Sie: Ist es richtig, daß diese Bundesregierung für die nächsten Jahre — Ende offen, niemand weiß das Ende — bereits eine Steuererhöhung von 7,5 % für alle beschlossen hat?
Geißeln Sie sich in diesem Fall selbst?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben nie in Abrede gestellt, daß wir nicht glücklich darüber sind, den Solidarzuschlag wieder einführen zu müssen.
Das ist Ausdruck dessen — ich habe das schon auf die Frage des Abgeordneten Jens gesagt —, daß wir die Einbrüche im Osten haben hinnehmen müssen. Der Wegbruch der Märkte und das Ausmaß der Verrottung der meisten Unternehmen erfordern Aufwendungen, die wir aus der vorhandenen Masse nicht leisten können. Das haben wir immer oder seit geraumer Zeit gesagt.Ich selbst würde mir wünschen — ich fühle mich da einig mit meiner Partei —, daß wir diesen Solidarzuschlag möglichst nur für eine begrenzte Zeit erheben und daß wir möglichst früh auch darüber Aussagen machen können, in welchen Schritten wir ihn zurückführen.Aber dieser Solidarzuschlag ist allemal etwas Besseres als die von Ihnen gewollte Ergänzungsabgabe,
die wiederum nur diejenigen treffen soll, die Sie als Besserverdienende bezeichnen. Das ist genau der Punkt: Sie wollen damit den Menschen, die in diesem Land das Rad drehen und die Dinge voranbringen, zu einem guten Teil die Luft zum Atmen nehmen.
Das sind Unterschiede zwischen Ihnen und uns.
Selbst Empfänger mittlerer Einkommen sollen bei Ihnen überdurchschnittlich zur Kasse gebeten werden. Die Arbeitnehmer, die Sie zu vertreten haben, werden Ihnen die Quittung erteilen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19391
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt— Nicht die kleinen Leute. Denn die Ergänzungsabgabe ist ein Prozentsatz, der sich auf eine Grundgesamtheit bezieht. Das heißt: Wer mehr hat, muß auch mehr zahlen. Das Gerechtigkeitselement ist in unserem System. Aber Sie wollen diejenigen, von denen Sie meinen, daß sie etwas mehr haben — das gehört sich nicht nach der Philosophie einiger von Ihnen —, besonders heranziehen.
Dafür werden Sie die Rechnung bezahlen müssen. Verlassen Sie sich darauf.
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für einen Oppositionspolitiker ist es in diesen Monaten unglaublich schwer, nach der Rede des sogenannten Bundesministers für Wirtschaft inhaltlich zu argumentieren,
weil dieser Wirtschaftsminister außer heißer Luft und Unsinn in diesem Parlament wirklich nichts bringt.
Herr Rexrodt, es war schlimm, was Sie hier abgelassen haben. Wenn ich mir überlege, daß der Bundeswirtschaftsminister vor wenigen Minuten ernsthaft von diesem Pult — Herr Hoyer, auch Sie lächeln schon; ich nehme an, Sie wissen, was kommt — von einem Menschen in Deutschland, der 2 000 DM Steuern im Monat bezahlen darf und der nach SPD-Auffassung 46 DM mehr bezahlen soll, behauptet hat, daß ihm angeblich die Luft ausgehe, dann frage ich: Wo leben Sie eigentlich, Herr Rexrodt?
Aber es lohnt wirklich nicht.Meine Damen und Herren, das Frühjahrsgutachten der fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute signalisiert, daß das Ende der ökonomischen Talfahrt unseres Landes erreicht ist. Immerhin, es besteht Anlaß zur Hoffnung. Diesen Hoffnungsfunken zu leugnen wäre ebenso töricht, wie es allerdings auch vermessen wäre, Herr Mischnick, ihn aus kalter, wahlpolitischer Berechnung zu einem wirtschaftlichen Aufschwung aufzuplustern.
— Nein, aber Ihr Fraktionskollege Rexrodt hat das hier vor mir getan.
Dazu besteht überhaupt kein Anlaß, denn die ökonomischen Rahmendaten sind widersprüchlich. Diezaghaften Wachstumstendenzen in der deutschen Volkswirtschaft haben nur eine einzige Ursache: Eine sich wiederbelebende Weltkonjunktur, mit den USA an der Spitze, sorgt für eine deutlich belebte Auslandsnachfrage.
Das heißt, meine Damen und Herren, die Wachstumstendenzen sind außenwirtschaftlich bedingt. Wenn daraus ein veritabler Aufschwung werden soll, muß die außenwirtschaftliche Belebung durch eine positive binnenwirtschaftliche Entwicklung ergänzt und abgestützt werden.
Wenn dies nicht geschieht, dann wird sich die ankündigende Wendung ins Positive als Strohfeuer erweisen.Die binnenwirtschaftliche Entwicklung bietet jedoch nach wie vor ein wenig erfreuliches Bild. Die Investitionsgüternachfrage stagniert auf unzureichendem Niveau. Die Konsumgüternachfrage liegt darnieder — Folge einer ebenso einseitigen wie schrägen Steuer- und Sozialpolitik der Regierung.Die Kürzungen von sozialen Leistungen haben ebenso wie die zahlreichen Steuererhöhungen der letzten Jahre die Konsumgüternachfrage schwer geschädigt. Die Politik der Regierung hat einseitig auf eine Stärkung der Angebotsseite der Volkswirtschaft gesetzt und die Nachfrageseite vernachlässigt oder gar geschädigt.
Das konnte nicht gutgehen; die Ergebnisse sehen wir heute.Also: Außenwirtschaftlich geht es aufwärts; binnenwirtschaftlich bleibt die Lage traurig. Das zeigt, wie die ökonomische Entwicklung zu bewerten ist.
Das, was an Hoffnung auf Besserung vorhanden ist, kommt von außen, hat also mit dem Ergebnis regierungsamtlicher Wirtschaftspolitik nichts zu tun, meine Damen und Herren.
Und da, wo deutsche Wirtschaftspolitik das Maß vorgibt, also im eigenen Land, ist wenig Erfreuliches zu vermelden. Hans-Ulrich Klose hat völlig recht: Die leichte Aufhellung des konjunkturellen Horizontes kommt nicht wegen, sondern trotz dieser Bundesregierung zustande.
Sie stützt die Aufwärtsentwicklung mit ihrer Politik nicht, sondern behindert sie.
Natürlich bestreitet die Regierung das; das muß siesogar, weil sie sonst ihr zweifelhaftes Prestige, ihrenRuf, beschäftigungspolitisch ignorant, steuerpolitisch
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19392 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Rudolf Dreßlerwortbrüchig und wirtschaftspolitisch inkompetent zu sein, bestätigen würde.
Ich möchte daher dem kollektiven Gedächtnis der Koalition mittels weniger Beispiele ein wenig auf die Sprünge helfen.Vor nicht einmal einem Jahr, meine Damen und Herren, wollten Sie mit Ihrer Regierung im Standortsicherungsgesetz Abschreibungssätze und damit die Ertragslage der Unternehmen verschlechtern,
um äußerst umstrittene Steuersenkungen für Unternehmen zu finanzieren.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Bundesländer
haben dieses absurde und verhängnisvolle Vorhaben durchkreuzt. Ohne Einspruch und Gegenwehr der SPD wäre dieser Mumpitz heute im Bundesgesetzblatt, meine Damen und Herren.
Noch im Herbst 1993 pries die Regierung als Ausweg aus der Krise eine Verlängerung der Arbeitszeit an. Die ökonomische Vernunft jedoch setzte sich durch; das Gegenteil trat ein. Unternehmensleitungen, Betriebsräte und zuständige Gewerkschaften setzten, wie z. B. bei der Volkswagen AG, eine Arbeitszeitverkürzung durch.
Diese Arbeitszeitverkürzung sicherte Arbeitsplätze; sie half gleichzeitig, die Kosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Viele andere Unternehmen sind diesem Beispiel gefolgt. In der Krise haben die Unternehmen für die Arbeitszeitgestaltung wegweisende Folgerungen gezogen, die in völligem Gegensatz zu den Vorstellungen und Forderungen der Bundesregierung standen.
Ausführungen des Bundeskanzlers in einer „SAT 1" -Sendung am Dienstag dieser Woche habe ich zu meiner Verwunderung allerdings entnommen, daß er immer noch mit der Arbeitszeit in Deutschland hadert. Denn er fand, daß die Deutschen mit überreichlich langem Urlaub gesegnet seien. Nun weiß ichnicht, wer den Bundeskanzler in solchen Fragen berät.
Man muß ihm freilich einmal erklären, um was es geht und daß er sich irgendwie zu entscheiden hat. Wenn er meint, die Automobilarbeiter könnten auf Urlaub verzichten, dann bereitet er ihnen Probleme, denn eine Arbeitszeitverlängerung durch Verkürzung des Urlaubs bedeutet abermals Entlassungen, also mehr Arbeitslose, meine Damen und Herren.
Dabei haben Tarifvertragsparteien sowie Betriebsräte und Betriebsleitungen eigentlich Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Entwicklung auch binnenwirtschaftlich wieder aufwärtsgehen kann. Durch Kraftanstrengungen, wie sie noch vor einem Jahr für unmöglich gehalten worden sind, wurden die Löhne und Gehälter schmerzhaft angepaßt, also regional verringert. Ferner sind die Bemühungen zur Anpassung sowie zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu nennen. Hinzu kommen Modernisierungserfolge produktionstechnischer und arbeitsorganisatorischer Art in vielen Betrieben. Das alles ist doch zum Teil gegen die Bundesregierung, zumindest aber ohne ihre Unterstützung erreicht worden, meine Damen und Herren.
Das Ergebnis der Bemühungen liegt auf der Hand. Die Arbeitsproduktivität ist sprunghaft gestiegen, und sie steigt weiter. Muß ich uns wirklich ins Gedächtnis rufen, was dies bei einem volkswirtschaftlichen Wachstum von nur einem Prozent — und das ist optimistisch geschätzt — bedeutet?
Die sich andeutende wirtschaftliche Belebung wird nicht nur am Arbeitsmarkt vorbeigehen, sondern die Zahl der Arbeitslosen wird weiter steigen, geschätzt um weitere 400 000 Menschen.
Ich frage die Bundesregierung: Wo ist die aktive Arbeitsmarktpolitik, die dem entgegenwirkt? Die Antwort ist mit Händen zu greifen — wir haben sie gerade gehört —: Fehlanzeige.
Wann endlich begreifen CDU/CSU und F.D.P. — Herr Hinsken, ich frage mich auch, wann Sie das endlich begreifen —: Wirtschaftliches Wachstum allein löst nicht die Arbeitsmarktprobleme?
Sie sind struktureller, nicht konjunktureller Natur, und die politische Antwort der Regierung fehlt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19393
Rudolf DreßlerWer sich die Zeitschrift des Bundes der Selbständigen, Ausgabe 4 vom April 1994, anschaut, der versteht, wie sehr die Regierung abgewirtschaftet hat. Dies ist das eigentliche, grundlegende Thema dieser Debatte. Es geht um den dramatischen Verfall von Verantwortung und Führungsfähigkeit, den Verfall von Kompetenz in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik.
Weder die Lohnpolitik noch die Arbeitszeiten, weder die Lohnnebenkosten insgesamt noch die sozialen Schutzgesetze unseres Landes verhindern ernsthaft und grundsätzlich den wirtschaftlichen Wiederaufstieg. Es sind die Politik dieser Regierung und die Folgen ihrer Politik, die niederdrücken, Aufschwungkräfte lähmen und Chancen zerstören.Auf der Seite 1 der Ausgabe des erwähnten Verbandsorgans wird beklagt, daß es nach dem grundsätzlichen Beschluß, das Eigenkapitalhilfeprogramm wieder einzusetzen, ein unverständliches und widersinniges Ressortgerangel zwischen den Ministern Rexrodt und Waigel gebe.Daneben, immer noch auf Seite 1, wird Kritik an der Abschaffung des Rabattgesetzes geäußert. Darunter werden in Form kurzer Meldungen die von der Regierung geplante Erhöhung der Patentgebühren um 20 % sowie die rückläufige Zahl der Gründungen von selbständigen Existenzen beklagt. Viermal Kritik auf Seite 1 dieses Selbständigen-Organs gegen die Regierung, Herr Rexrodt, nicht gegen die SPD!
Auf der Seite 2 jammert der Bundeswirtschaftsminister mit Blick auf Sozialabgaben, Steuerbelastungen und komplizierte Gesetzesvorschriften, daß in den vergangenen 40 Jahren vieles in die falsche Richtung gelaufen sei.
Ja, wie das, habe ich mich nach der Lektüre des Textes von Herrn Rexrodt gefragt.
Sollte Ihnen, Herr Rexrodt, entgangen sein, daß Ihre Partei, die F.D.P., in den vergangenen 40 Jahren — mit einer relativ kurzen Unterbrechung von drei Jahren, das war die Große Koalition — mitgesessen, mitberaten und mitentschieden hat.
Sollte Ihnen das entgangen sein?
Anders ausgedrückt: Was auch immer während der letzten 37 Jahre vom Gesetzgeber beschlossen oder als Richtlinie erlassen wurde, mußte durch den blaugelben F.D.P.-TÜV.
Das heißt doch, wenn es im Laufe der letzten 40 Jahre kontinuierliche Fehlentwicklungen oder sich verschärfende Fehlentwicklungen gegeben haben sollte, dann sind diese Entwicklungen in ersterLinie und vor allem mit dem Kürzel F.D.P. verknüpft.
Man könnte es auch anders sagen. Der Analogieschluß des F.D.P.-Ministers Rexrodt heißt: Die F.D.P. ist sich selber zur Erblast geworden.
Herr Abgeordneter Dreßler, Sie haben die Möglichkeit, eine Frage des Abgeordneten Lüder zu beantworten.
Lassen Sie mich das bitte noch zu Ende führen.
Ein Interview in der „Wirtschaftswoche", Ausgabe 17 vom 22. April 1994, ist eine wahre Fundgrube für all diejenigen, die sich einen Überblick über die Doppelzüngigkeit der CDU/CSU verschaffen wollen. Der Fraktionsvorsitzende Schäuble kündigt verklausuliert längerfristig Verbrauchsteuererhöhungen und höhere Steuern auf — ich zitiere — „das private Vermögen" an.
Wie paßt das zu dem Versprechen der Regierung, bis auf die Solidarabgabe die Finger aus den Geldbörsen der Leute zu lassen, Herr Waigel? Wie verträgt sich das mit der Ankündigung, die Steuer- und Abgabenquote nicht zu erhöhen? Welche Verbrauchsteuern sind gemeint, Bundesregierung und CDU/CSU?
Was versteht die CDU unter privatem Vermögen?
Werden hier bereits die neuen steuerpolitischen Wortbrüche auf die leise Tour vorbereitet?
Und letztlich frage ich Sie: Wieso beschimpfen Sie ausgerechnet die SPD als Steuererhöhungspartei, wenn Sie hier eine solche Vorbereitungsorgie inszenieren?
Nun hat der Abgeordnete Lüder die Möglichkeit, Herrn Dreßler zu befragen.
Herr Kollege Dreßler, abgesehen davon, daß wir um der geschichtlichen Wahrheit willen darauf hinweisen müssen, daß die CDU zusammen mit der CSU auch einmal eine absolute Mehrheit hatte und wir damals nicht dabei waren, würde ich gern die Frage stellen,
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19394 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Wolfgang Lüderob der „blau-gelbe TÜV" nicht in Zeiten der sozialliberalen Koalition der deutschen Politik gut getan hat.
Verehrter Herr Kollege Lüder, wenn das eine Einladung zu Gesprächen ab dem 17. Oktober sein soll: Herrn Scharpings Adresse kann ich Ihnen geben, ganz zweifelsfrei.
Ich habe mich doch nicht über die sozialliberale Koalition beklagt oder zu beklagen; ganz im Gegenteil: Wer sich darüber beklagt und partiell hier distanziert hat, waren doch einige Kollegen aus Ihren Reihen, aber nicht die SPD. Ich stehe zu dieser Zeit; ich war doch daran beteiligt. Überhaupt kein Zweifel.
Aber lassen Sie mich jetzt weitermachen. Ich denke, es wäre nötig — —
Entschuldigung, Herr Abgeordneter, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Der Abgeordnete Hinsken möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte jetzt weitermachen.
Es wäre freilich nötig, daß in Regierung und Koalition zuallererst zur Kenntnis genommen würde, was sich auf dem Arbeitsmarkt getan hat. Die letzte tiefergegliederte Strukturuntersuchung der Bundesanstalt hat Aufrüttelndes zutage gefördert.In den Statistiken über die registrierte Arbeitslosigkeit stecken mittlerweile über 20 % Arbeitsuchende mit Facharbeiterbrief. Weitere über 20 % der Arbeitsuchenden werden als Angestellte mit gehobener Tätigkeit ausgewiesen. 115 000 legten zusammen mit der Meldung der Arbeitslosigkeit einen Abschluß an einer Fach- oder Berufsfachschule vor. Rund 45 000 haben mit Erfolg eine Fachhochschule besucht, und 100 000 Arbeitslose absolvierten ein Universitätsstudium.Der Bundesarbeitsminister wird diese Zahlen kennen. Er wird auch wissen, welche Sprengkraft für unser Wirtschafts- und Sozialsystem darin steckt, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird. Ich nenne es tragisch, daß er sich trotz besseren Wissens seit langem nicht mehr durchsetzen kann.Die Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, ist aus den Regionen mit längerdauerndem Strukturwandel ausgebrochen. Sie hat sich längst in Gebieten mit einer Wirtschaftsstruktur eingenistet, die vor wenigen Jahren noch als krisensicher galt. Arbeitslosigkeit greift heute ebenso nach dem Ungelernten wie nach dem Facharbeiter, nach der überaus qualifiziertenAngestellten ebenso wie nach dem Ingenieur oder dem Betriebsleiter.Arbeitslosigkeit ist zum Flächenbrand geworden, der etwas Wichtiges bedroht, was die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft Deutschland hat, nämlich Wissen, Kenntnisse, Erfahrungen und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmerschaft. Die Arbeitslosigkeit ist das eigentliche Trauma unserer Gesellschaft. Die Regierung hat diese Entwicklung schlicht ignoriert.
Im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit steht sie in den alten Bundesländern wieder da, wo sie 1989 schon einmal stand. Zusammen mit den 30 % Langzeitarbeitslosen in den neuen Ländern ergibt sich eine Größenordnung von 1 Million Menschen, die wenigstens seit einem Jahr auf Arbeitsuche sind. Sagen Sie, Herr Blüm, was diese Menschen und deren Familien von der Politik der Regierung konkret zu erwarten haben,
der Sie angehören, und erklären Sie bitte hier, Herr Blüm, warum ausgerechnet die Arbeitslosen die Zeche für die verfehlte Steuer- und Finanzpolitik Ihres Kollegen Waigel zahlen sollen!
Denn die Regierung hat die berufliche Aus- und Weiterbildung nicht einmal ansatzweise auf dem Stand gehalten, der notwendig wäre, um berufliche Kenntnisse auf breiter Basis modernen Anforderungen anzupassen.Ich will hierzu nur einige Zahlen nennen, die meine Fraktionskollegin Renate Jäger kürzlich angegeben hat. In den neuen Ländern haben 1992 noch 887 000 Menschen eine geförderte Weiterbildungsmaßnahme beginnen können. 1993 waren es nur noch 294 000.
Die Regierung Kohl hat die Möglichkeiten beseitigt, den Hauptschulabschluß nach der Schulzeit zu machen, und sie hat Jugendlichen mit Leistungsschwierigkeiten das Leben noch schwerer gemacht. Es wurde gekürzt und gestrichen.Außerdem wurden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung exorbitant erhöht. Heute ächzt die Arbeitslosenversicherung überdies unter Aufgaben, die objektiv von der Gesellschaft insgesamt getragen werden müßten. Wenn es also Lohnnebenkostenbelastungen gibt, die zum Ärgernis wurden, weil sie vermeidbar waren, und sich daher zum Handicap entwickelten, dann trägt die Bundesregierung dafür die alleinige Verantwortung, meine Damen und Herren.
Es gibt keinen Politikbereich, in dem der Verfall von Verantwortungs- und Führungsfähigkeit so deutlich hervortritt wie in der Beschäftigungspolitik. Ich unterstreiche: Ohne Unterstützung und Ergänzung durch den Staat wird es keinen Aufschwung geben, der diesen Namen verdient. Das Land braucht um seiner
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19395
Rudolf DreßlerZukunft willen eine handelnde Regierung, die eine Bildungs- und Fortbildungsoffensive einleitet. Darüber hinaus muß die Arbeitsbeschaffung ausgeweitet und, wo immer es geht, mit Qualifizierung verbunden werden.Vor wenigen Wochen schrieb mir ein älterer Arbeitsloser, der ein langes Berufsleben hinter sich hat. Ich will aus seinem Brief einen Satz zitieren:Selbst wenn man mir 30 % kürzen würde, hätte ich keinen neuen Arbeitsplatz.Für diesen Arbeitslosen und Hunderttausende, die ein ähnliches Schicksal zu meistern haben, hält die Regierung beschäftigungspolitisch nichts bereit. Diese Menschen existieren beschäftigungs- und ordnungspolitisch für die Regierung faktisch nicht. Oder möchte etwa die Bundesregierung einen 55jährigen Facharbeiter zum Abschluß seiner Erwerbstätigkeit für 25 DM am Tag in die Pflaumenernte schicken?
Die Konjunkturanalyse zeigt einen Zuwachs der Auslandsnachfrage und ein Stagnieren der Inlandsnachfrage, ein typisches Zeichen für eine gespaltene Konjunktur. Das ist kein Aufschwung für alle, sondern eine erfreuliche, aber bei weitem nicht ausreichende Erhöhung in Teilen der exportierenden Wirtschaft. Die Bundesbank sieht in ihrem jüngsten Geschäftsbericht eine Aufhellung der Perspektiven für die deutsche Wirtschaft. Aber in der weiteren Analyse heißt es vorsichtig:In Westdeutschland zeichnet sich derzeit für die ersten Monate des laufenden Jahres noch keine eindeutige Aufwärtsentwicklung in der gesamtwirtschaftlichen Produktion ab.Genau dies ist der Grund, weshalb die SPD die Regierung auffordert, die Zeit zu nutzen und den positiven Prozeß, der eingesetzt hat, zu stützen. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn die Bundesregierung während der letzten Monate ihrer Amtszeit wirtschafts- und beschäftigungspolitisch eine aufkeimende Konjunkturhoffnung fördern würde. Unterläßt sie dies und spielt sie weiter wie Herr Rexrodt den Gesundbeter, der sich auf eine ritualisierte propagandistische Beschwörung der Lage beschränkt, wird die sich ergebende Chance für eine bessere Lage erneut vertan.Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Selbstverständlichkeit; aber nach dieser Debatte habe ich den Eindruck, daß man hier Selbstverständlichkeiten wiederholen muß: Ohne wirtschaftlichen Aufschwung keine Besserung auf dem Arbeitsmarkt.
Deshalb kann man sich über die positiven Zahlen der Wirtschaft doch nur freuen.
Von den roten Zahlen in die schwarzen Zahlen, das ist immer eine gute Nachricht, ist die richtige Fahrtrichtung nicht nur für die Wirtschaft, aber auch in der Wirtschaft.
Freilich kommt es darauf an, den Abstand zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und arbeitsmarktpolitischer Besserung zu verkürzen. Aber, lieber Kollege Dreßler, sollten wir uns nicht zusammen freuen? Bei Opel — ich war diese Woche in meiner alten Firma — gibt es ein Auftragsplus im März von 25 %,
bei Mercedes sind es 28 %.
Lieber Kollege Dreßler, das betrifft nicht nur den Export; auch die Zulassungszahlen im Inland haben zugenommen. Kollege Dreßler ist im Moment mit der Behauptung aufgetreten: Abschwung hausgemacht, Aufschwung exportorientiert. Diese Arbeitsteilung können wir nicht vornehmen.
— Aber, verehrter Herr Jens, bleiben wir noch einmal dabei: Bei Opel 25 % Auftragszuwachs; gleichzeitig steigen die Zulassungszahlen in Deutschland. — Wir können auch wechseln, wir haben noch mehr Beispiele: Im Baubereich gibt es 30 % mehr Baugenehmigungen, und zwar nicht in der Sahara, sondern hier. Das ist kein Export, sondern findet hier bei uns statt.
Sie werden ein bißchen nervös. Ich weiß: Das Drehbuch war anders geschrieben. Die Wahlkampfmanager hatten die Drehbücher geschrieben. Pessimismus war angesagt. Sie sind die Depressionsmelker, Sie wollten aus dieser Milch Ihren Wahlkampf bestreiten. Und die Milch ist sauer geworden.
Jeder Bauer ärgert sich über saure Milch, und Sie ärgern sich, daß Sie die Drehbücher einstampfen müssen.
— Nicht „Kölle alaaf" ! Norbert hat recht! So ist das.
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19396 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, Rudolf Dreßlers Frage — —
Meinem Kollegen Dreßler könnte ich nie eine Frage verweigern.
Herr Minister Blüm, da ich soeben ausschließlich die Bewertung des Sachverständigenrats zitiert habe und sonst gar nichts:
Würden Sie dann so freundlich sein und mir sagen, ob Sie mich oder den Sachverständigenrat als Depressionsmelker bezeichnen?
Herr Kollege Dreßler, in der Verehrung des Sachverständigenrats lasse ich mich von Ihnen überhaupt nicht übertreffen.
Richtig ist, daß im Baubereich die Zahl der Baugenehmigungen hier zugenommen haben, daß die Zulassungszahlen bei Pkw zugenommen haben. Freilich hat auch der Export dazu beigetragen.
— Sie sind der Depressionsmelker.
— Nein.
Es war mir zu peinlich, Sie sozusagen zu outen.
Wenn Sie mich aber danach fragen, muß ich die Wahrheit sagen.
Nach diesen Reden frage ich: Was wollen Sie eigentlich? Ich habe den Eindruck: Je konkreter, um so konfuser.
Fangen wir einmal mit der Steuerpolitik an. Wenn Sie den Besserverdienenden, das unbekannte Wesen,
definieren sollen, ist Ihre Mobilität bei der Festlegung
der Grenzen unübertreffbar — wie Kimble immer auf
der Flucht vor Festlegungen. Nur nebulöse Begriffe!
Sie haben auch den Unterschied zwischen Netto und Brutto verwechselt. Oder bleiben wir bei ganz Aktuellem: Ich habe heute morgen die Zeitung gelesen: SPD-Standpunkt zum Tempolimit. Man höre und staune: Die einen sind gegen Tempolimit, die anderen dafür. Wie schlichtet Scharping diese Frage?
Er schlichtet sie: Ja, Tempolimit, aber ohne Angaben von Kilometerzahlen.
Am besten, Sie schaffen den Tachometer ab. Dann haben Sie das Problem ganz gelöst.
Ein schwankendes Schilfrohr ist ein Festungsturm gegenüber der Biegsamkeit der Positionen der SPD.
Was den F.D.P.-TÜV anbelangt: Lieber Herr Dreßler, einer alten klassischen Arbeiterpartei wie der SPD würde ich lieber einen F.D.P.-TÜV gönnen als eine grüne Müslikompanie.
Das würde ich der alten Arbeiterpartei wirklich gönnen.
Doch das hat die F.D.P. zu entscheiden. Sie hat sich entschieden, was ich sehr begrüßt habe. Aber gut, das ist Sache der F.D.P.
— Regen Sie sich doch nicht so auf! Sie benehmen sich wie eine verschmähte Jungfrau, wie ein sitzengebliebener Liebhaber. Deshalb beschimpfen Sie die F.D.P. Wenn die Koalitionsaussage der F.D.P. anders verlaufen wäre, hätten Sie heute morgen einen Schmusekurs gefahren. Jetzt fühlen Sie sich wie eine verschmähte Jungfrau und sind böse. Gut; aber das ist Ihr Problem.
Herr Bundesminister, Frau Matthäus-Maier fühlt sich bemüßigt, Ihnen eine Frage zu stellen.
Herr Blüm, obwohl ich mich mit Ihnen über Ihre Gags freue
— ich finde sie wirklich gelungen —: Glauben Sie nicht, daß es angemessener wäre, wenn Sie zum Thema zurückkämen und sagten, wie Sie mit uns zusammen, mit der Bundesbank und mit den Tarifvertragsparteien wirklich verhindern wollen, daß in diesem und im nächsten Jahr zusätzlich Hunderttausende von Menschen arbeitslos werden? Wäre es nicht angemessener, darüber zu reden,
statt darüber Witze zu machen, die mir im übrigen gefallen?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19397
Seien Sie nicht so voreilig; ich bin erst bei der Hälfte meiner Redezeit angekommen. Ich wollte nur einmal beschreiben, was heute morgen hier abgelaufen ist.
Mehr oder weniger Staat? Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie immer mehr Staat. Im Grunde soll der Schiedsrichter die Tore schießen.
Das ist schon bei dem Spiel des FC Bayern München verkehrt gewesen.
Ich habe ein anderes Verständnis.
Frau Matthäus-Maier, könnten Sie mir noch einmal Ihre geschätzte Aufmerksamkeit zuwenden? — Wie stehen Sie beispielsweise zur Frage einer neuen Arbeitszeitordnung? Morgen hat der Bundesrat darüber zu entscheiden. Das entscheidet, ob Flexibilisierungsmöglichkeiten gegeben sind oder nicht, nicht Ihre Reden. Ich sehe die SPD-Position morgen im Bundesrat wie hier: Nein! Damit verhindern Sie Beschäftigungschancen.
Sie haben den Rasenmäher, die Einheitslösungen, immer gern. Sie verwechseln den Rasenmäher mit der Samenmaschine. Schon wieder eine Verwechslung. Wir brauchen Flexibilisierung auch, um den Abstand zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und Arbeitsmarktbesserung zu verringern.
— Ich bin noch nicht am Ende, ich fange erst richtig an, Frau Fuchs.
Bleiben wir beim Arbeitsmarkt. Der Kollege Dreßler hat eben gesagt, wir würden nichts tun. Meine Damen und Herren, 50 Milliarden DM gibt die Bundesanstalt für Arbeitsmarktpolitik aus. Und Herr Dreßler stellt sich hin und sagt, das sei nichts. 50 Milliarden — ich wiederhole es zum Mitschreiben! Wissen Sie, was das für ein Prozentsatz, gemessen an den Ausgaben der Bundesanstalt, ist? Rund 50 %. Wissen Sie, wie hoch der Prozentsatz 1982 war? 20 %.
Mein lieber Kollege, Sie können doch nicht erstens sagen, wir machten nichts, und zweitens fortfahren, das, was wir machten, sei nicht das Ergebnis unserer Gesetzgebung. Sie müssen sich schon entscheiden.
Dann hat der Kollege Dreßler gesagt — ich habe mir alles aufgeschrieben —: Keine Fortbildung und Umschulung. Wir würden alles zusammenschlagen. —15 Milliarden DM für Fortbildung und Umschulung. Ist das nichts? Sie können sagen, wir sollten noch mehr machen. Ich bin der Meinung, daß in den Betrieben mehr geschehen muß, daß Ausbildung vor Ort, am Arbeitsplatz, stattfinden muß, weil das näher an der Praxis ist. Aber unsere Pflicht haben wir erfüllt.
10 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungsprogramme. Man wird sagen, das sei zuwenig. Aber daß wir nichts getan hätten, das kann man selbst mit bösem Willen nicht sagen.
Die Förderung des Hauptschulabschlusses sei abgeschafft. Lieber Herr Kollege Dreßler, war es nicht Ihre Forderung während der letzten Bundestagsdebatte zu diesem Thema, daß man die Sozialversicherung von sachfremden Aufgaben befreien soll? Seit wann ist es denn die Aufgabe der Beitragszahler, der Arbeitnehmer und der Handwerksmeister, das Nachholen des Hauptschulabschlusses zu finanzieren?
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Manfred Reimann möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte, obwohl ich so schön in Fahrt bin.
Herr Minister, es treibt einen ja fast vom Stuhl, wenn Sie den Eindruck erwecken, als sei es die Regierung, die diese gigantische Leistung von 50 Milliarden DM vollbringt. In Wirklichkeit sind es doch die Beiträge der Arbeitnehmer, auch der Arbeitgeber, weil es sich um Selbstverwaltungsorgane handelt. Das heißt, das, womit Sie strunzen, zahlen wir alle selbst. Sind nicht auch Sie dieser Meinung?
Nein. Erstens sind es nicht nur die Beitragszahler, sondern die Steuerzahler, die diesen Beitrag leisten. Denn wir haben einen Bundeszuschuß von über 20 Milliarden DM; den haben Sie kurzerhand unterschlagen. Zweitens habe ich doch gar nicht gesagt: Wir machen das. Aber Sie können uns doch nicht wegen des Fehlens von Arbeitsmarktpolitik in Nürnberg beschimpfen und anschließend, wenn ich Ihnen die Zahlen nenne, sagen: Das ist nicht Ihre Sache. Deswegen haben Sie uns doch gerade angegriffen. Sie müssen in der Logik Ihrer Argumentation bleiben!Frau Kollegin Fuchs, noch einmal zum Hauptschulabschluß.
— Sagen Sie einmal, warum ist der Herr Schwier, Kultusminister in Nordrhein-Westfalen, nicht dafür verantwortlich, daß so viele junge Menschen in Nordrhein-Westfalen den Hauptschulabschluß nicht schaffen?
Diejenigen, die mit dazu beigetragen haben, daß unsere Hauptschule verkümmert und daß wir ein Gesamtschulsystem haben, das vielen jungen Menschen keine Chance gibt, sollen die Zeche zahlen und nicht der Beitragszahler.
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19398 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Bundesminister Dr. Norbert BlümWieso sind die Beitragszahler der Lastesel einer verfehlten Schulpolitik? Fangen Sie da an! Auf dem regulären Weg muß der Hauptschulabschluß geschafft werden und nicht über den Umweg des Arbeitsamtes. Dieser ist für Hauptschulen nicht vorgesehen. Wir sind nicht der Notnagel, der von den Arbeitnehmern und von den Handwerkern bezahlt wird. Dafür sind die Steuerzahler zuständig.
Ich habe davon gesprochen, daß es darum geht, den herkömmlichen Abstand zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und arbeitsmarktpolitischer Besserung zu verringern. Diesen Abstand gab es immer. Jeder Tag ist verloren. Deswegen bin ich für befristete Arbeitsverträge, die Sie bekämpft haben, weil ich glaube, daß man sich in unsicheren Zeiten, bei der unsicheren ersten Phase des Aufschwungs, mit Einstellungen erwiesenermaßen zurückhält, da man sich über die Dauer des Aufschwungs nicht sicher ist. Diese Unsicherheit könnte man mit befristeten Arbeitsverträgen überbrücken, die anschließend in unbefristete übergeführt werden. Ich finde, befristete Arbeit ist noch immer besser als unbefristet arbeitslos.
Ich halte von befristeten Arbeitsverträgen mehr als davon, Überstunden zu schieben. Darin stimmen wir doch hoffentlich überein. Es könnte sein, daß — wie immer beim Aufschwung — zunächst einmal Überstunden gefahren werden. Deswegen bin ich dafür, statt zu reglementieren, Instrumente für Einstellungen zu schaffen. Dazu gehört auch die Teilzeitarbeit.Lassen Sie mich noch etwas zu dem attackierten Sparkurs sagen. Ich gestehe: Auch mir fällt Sparen nicht leicht. Nicht daß Sie meinen, das wäre ein ungeheurer Lustgewinn. Nur, die Früchte des Sparens genießen auch die Rentner und Arbeitnehmer. Daß die Preissteigerungsrate zurückgegangen ist, das ist auch das Ergebnis einer Konsolidierungspolitik.
Ich sage Ihnen: 1 % weniger Inflation ist besser und viel gerechter als 2 % Lohnsteigerung, denn der Betrüger war und ist immer die Inflation.
1 % weniger Kaufkraft durch Preissteigerung bedeutet für einen Arbeitslosen mit zwei Kindern in einem Jahr einen Verlust von 260 DM. Da wird den Leuten ganz geräuschlos Geld weggenommen. Die Inflation ist ein verrücktes Sparkonzept, denn es beklaut die kleinen Leute, es betrügt sie um ihre Kaufkraft.Wenn wir eine Stabilitätspolitik betreiben, bekämpfen wir die Inflation und helfen wir damit den kleinen Leuten.
Ich finde, daß in aller wechselseitigen Kritik unser Standort zwei große Vorteile hat. Es gilt, die Stärken auszubauen und die Schwächen zu beseitigen. Von den Schwächen habe ich gesprochen: Erstarrungunserer Arbeitszeitorganisation, verkrustetes Arbeitszeitmanagement.Zu den Stärken gehört die Qualifikation. Es gibt kaum einen Standort auf der Welt mit so qualifizierten Arbeitnehmern. Wir sind neben Japan das einzige Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit niedriger ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das basiert sicherlich auch darauf, daß wir eine hervorragende Lehrlingsausbildung haben. Es gilt, dieses duale System zu stärken, die Anstrengungen vieler Ausbildungsbetriebe zu unterstützen, sie auch anzuerkennen, auch die Betriebe, die im letzten Jahr mehr ausgebildet haben, als sie zur Erfüllung ihres augenblicklichen Bedarfs benötigen. Solchen Betrieben in Ost und West gilt es Mut zu machen, statt immer herumzumäkeln und alles mieszumachen.
Wir brauchen Weiterbildung, auch der älteren Arbeitnehmer. Ich halte es für bedenklich, daß bei den Weiterbildungsmaßnahmen diejenigen, die über 50 Jahre alt sind, nur mit einem Anteil von 15 % vertreten sind. Das entspricht einem Trend, dem wir uns gemeinsam entgegenstellen müssen. Wir müssen uns gegen das Abdrängen der älteren Arbeitnehmer wenden. Viele Betriebe haben ihre Personalprobleme durch Frühverrentung gelöst. Das ist erstens unsozial und zweitens unwirtschaftlich. Ich sehe darin geradezu eine kulturelle Gefahr. Einer Gesellschaft, die unter einem Jugendtick leidet, die den Jüngeren und Gesunden alle Chancen bietet, aber die Älteren abdrängt, müssen wir auch durch Qualifikation entgegentreten; im übrigen auch durch flexible Altersgrenzen, die nicht gesetzlich reglementiert werden.Den zweiten großen Vorteil unseres Standorts sehe ich in der sozialen Partnerschaft. Sie hat gerade in diesem Frühjahr ihre Bewährungsprobe bestanden. Wo auf der Welt gibt es so kooperative Sozialbeziehungen wie in Deutschland?
Wo gibt es soviel Vernunft und Verantwortung, daß ohne jeden Arbeitskampf die Arbeitnehmer aus Einsicht und Verantwortung auf Lohnzuwächse verzichtet haben?Dies ist auch die Stunde, den Tarifpartnern unsere Anerkennung für ihre Einsicht und ihre Verantwortung auszusprechen.Wir haben also zwei wichtige Standortvorteile. Es gilt, mit den Pfunden zu wuchern, die Schwächen abzubauen und dem wirtschaftlichen Aufschwung auf schnellstmögliche Weise den Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt folgen zu lassen.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist richtig: Jeder Arbeitslose ist eine Herausforderung für den Sozialstaat. Es geht nicht nur um Zahlen und Prozentsätze, sondern hinter allem verbirgt sich ein Schicksal. Deshalb ist der Wettbewerb, den wir in den Diskussionen hier austragen, kein Wettbewerb gegen oder für die Arbeitslosen, sondern es geht einfach nur darum, welcher Weg der bessere ist. Darüber laßt uns streiten, denn Arbeitslo-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19399
Bundesminister Dr. Norbert Blümsigkeit ist eine schwere Beschädigung unseres Sozialstaats, die wir gemeinsam bekämpfen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Friedhelm Ost.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Dreßler, ich war überrascht über Ihren Immobilismus. Das, was Sie hier als Ergebnis Ihres ökonomischen Denkens vorgetragen haben, war sehr statisch. Ich muß sagen: Diese Staatsgläubigkeit, die Ihnen Bundesminister Blüm bereits vorgehalten hat, überrascht mich ein wenig.Vor allem wird mir angst, wenn ich bedenke, daß Sie dann sozusagen an den Schalthebeln des Staates sitzen und Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben.
Das ist, glaube ich, ziemlich schlimm.
Aber Sie hätten vielleicht vom Wirtschaftsminister und vom Finanzminister erfahren können, daß wir eben nicht allein auf den Staat setzen. Wir unterstützen mit staatlichen Rahmenbedingungen die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung. Aber wir setzen auf private Initiative in allen Bereichen, um Wachstum zu schaffen, zu investieren, Erträge zu erzielen
und rentable, zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen.
Liebe Frau Kollegin Fuchs, jetzt sage ich Ihnen eines: Kaufen Sie in Ihrer Fraktion für das viele Geld, das Sie haben, ein paar Bücher von Karl Schiller!
Verteilen Sie sie und lesen Sie sie; damit machen Sie aktive Fortbildungspolitik in Ihren eigenen Reihen.
Ich sage Ihnen eines ganz offen: Daß Sie als SPD in der Wirtschaftspolitik und in allen Bereichen den Rückwärtsgang einlegen und dann noch nach einem Tempolimit schreien, hat in der Tat nichts mit guter Wirtschaftspolitik zu tun, nicht einmal mit richtiger Verkehrspolitik.
„Fünf zu eins für den Aufschwung in Deutschland" heißt es heute in der „Neuen Zürcher Zeitung" . Herr Dreßler kann übrigens nicht einmal bis sechs zählen. Er wirft fünf Weise und sechs Forschungsinstitutedurcheinander. Das zeigt, daß er sich gar nicht ernsthaft damit beschäftigt.
„Fünf zu eins für den Aufschwung in Deutschland". — Ja, ich lese die Dinge richtig und bewerte sie auch.Vielleicht hätten Sie auch einige Kolleginnen und Kollegen nach Hannover schicken können. Dann hätten Sie nicht nur aus Institutsberichten und Forschungsberichten sehen, fühlen und spüren können: Es geht wirtschaftlich aufwärts. Daß wir im Export erfolgreich sind, muß Sie doch freuen.
Das zeigt, daß wir in vielen Bereichen wettbewerbsfähig sind, daß wir aufgeholt haben. Schauen Sie einmal in den Bundesbankbericht! Schauen Sie zum Statistischen Bundesamt! Schauen Sie in die Firmenteile der Zeitungen und lesen Sie wenigstens die Überschriften! Da können Sie sehen, wie es aufwärts geht.
— Nein, auch bei uns, lieber Kollege Jens, auch natürlich bei uns. — Schauen Sie heute in die FAZ! Die hat extra einen Konjunktur-Artikel, damit Sie alle Fakten und Daten serviert bekommen. Schauen Sie sich das einmal ganz genau an!Hier in Westdeutschland geht es wieder aufwärts. Wir selber haben nicht nur reagiert, wir haben prophylaktische Wirtschaftspolitik betrieben.
Wir haben rechtzeitig Weichen gestellt, damit sich der Einbruch nicht verstetigt. Wir haben fünfzehn Monate lang eine Schwäche gehabt, eine Rezession. Das stimmt.
Aber wir sind aus diesem Tal der Rezession raus. Wir sind auf der Bergfahrt. Schauen Sie sich das alles richtig an! Sie müssen Fakten und Daten zur Kenntnis nehmen
und dürfen nicht nur blinde Ideologie betreiben. Damit bekommen wir die Wirtschaftspolitik nicht nach vorne.
Es ist wirklich falsch, wenn gesagt wird, in Ostdeutschland gehe es nicht bergauf. Wir haben Zuwächse von 7 % bis 8 % . Das ist mir nicht genug; ich sage das ganz offen. Aber wir sind auf dem Weg nach oben, nach vorne. Das müssen Sie unterstützen, statt mit miesepetrigen Reden die Stimmung weiter zu verschlechtern.
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19400 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Friedhelm OstNun sage ich auch ganz ehrlich — der Bundesminister Blüm hat das deutlich gesagt —: Wir haben große Erfolge an allen Fronten, in der Finanzpolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Geldwertstabilitätspolitik.
Frau Kollegin Maier, Sie verstehen das nicht. Wie eine Oberlehrerin mäkeln Sie dauernd an irgendwelchen Dingen herum.
Das kann kein Mensch draußen mehr ertragen. Wir haben eine Preisstabilität, die bald in Richtung einer Zwei vor dem Komma geht. Ich denke, diese Preis- und Geldwertstabilität ist ein Vorteil für alle: für die Wirtschaft, für Arbeitnehmer, für Sparer, für Rentner. Sie wollen das nicht. Sie wollen mehr Staat, mehr Inflation, mehr Deficit-Spending,
mehr Verschuldung und mehr Steuererhöhung. Dauernd sind Sie dabei.
Herr Abgeordneter Ost, der Abgeordnete Professor Jens möchte Ihnen gern eine Frage stellen. Sind Sie bereit?
Bitte; immer gerne!
Herr Kollege Ost, können Sie mir vielleicht zustimmen, daß das, was das Bundeswirtschaftsministerium herausgibt, einigermaßen seriös ist? Ich habe hier die internationalen Verbraucherpreise im Vergleich und stelle fest, daß wir im März eine Preissteigerungsrate von 3,2 % hatten. Insgesamt 14 Länder waren deutlich besser als wir. Wie können Sie da von einer großen Preisstabilität reden? Können Sie mir vielleicht erklären, wie es hinhaut, daß wir jetzt 4 Millionen Menschen haben, die als Arbeitslose registriert sind, daß 6 Millionen einen Arbeitsplatz suchen, daß wir Kapazitäten haben, die nicht ausgelastet sind, aber trotzdem die Preise bei uns noch urn über 3,2 % steigen?
Lieber Herr Kollege Jens, das erkläre ich Ihnen gerne. Ich habe gesagt, wir sind auf dem Wege zu einem höheren Maß an Stabilität. Wir haben administrierte Preise angehoben. Wir haben auch — das muß man ehrlich sagen — die Mineralölsteuer erhöht. Ohne das hätten wir eine Zwei vor dem Komma, wie Sie selber wissen und wie Sie sicherlich auch schon im Seminar besprochen haben.
— Ich komme gleich noch auf den Arbeitsmarkt, warten Sie einen Moment ab. Ich wollte meinen Vortrag erst mal so fortführen.Ich sage Ihnen auch ganz offen: Wir haben durch die Finanzpolitik und durch die Stabilitätspolitik Spielräume für die Bundesbank geschaffen. Sie haben die Bundesbank immer wieder wegen der Geldpolitik angegriffen. Ich kann das nicht mittragen, weil dieBundesbank jeden Spielraum genutzt hat und damit auch die Chancen geschaffen hat, Freiräume für Zinssenkungen, Kreditzinssenkungen zu nutzen. Ich denke, daß Banken und Sparkassen, vor allem Institute mit öffentlich-rechtlichem Charakter, hier mehr Wettbewerb machen sollten.Lieber Herr Kollege Hoyer, die Diskussion über den Solidaritätszuschlag sollten wir im eigenen Interesse bald einstellen.
Denn dies hängt von vielen Faktoren ab, Variablen in einer Rechnung, die wir alle heute noch nicht sehen können. Selbst die interessante Diskussion von Ihrer Seite schafft Verwirrung und nach jeder Diskussionsrunde Verwirrung auf höherem Niveau. Deswegen sollten wir das einstellen.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Aufschwung muß gepflegt werden und gestärkt werden, und zwar nicht dadurch, daß wir dauernd neue psychologische Hagelschauer durch Ihre Programmdiskussionen erleben, ob Regierungsprogramm oder ähnliches. Ihr Kollege Klose ist damit auch ganz unzufrieden. Heute morgen hat mich gewundert, daß er große Forderungen stellt und Hinweise auf Roland-Berger-Analysen und andere Dinge bringt. Ich weiß gar nicht, ob Sie sich noch mit Betriebsräten über Kernenergie, Luft- und Raumfahrt, Gentechnologie, Transrapid und ähnliche Dinge unterhalten.
Da bekommen Sie die richtigen Antworten. Sprechen Sie auch, wie das der Bundesarbeitsminister gemacht hat, mit den Betriebsräten in den Automobilfabriken! Die können Ihre Tempolimitdiskussion doch überhaupt nicht mehr verstehen, zu einem Zeitpunkt, da die Automobilindustrie wieder nach vorne rollt. Stellen Sie dieses Gerede ein; es wirkt auch psychologisch wie eine Heuschreckenplage in einem frisch aufblühenden Feld.
Lieber Herr Kollege Jens, nun komme ich zu den Arbeitsplätzen. Wir haben 35 Millionen Beschäftigte, Gott sei Dank. Ich denke, das wichtigste Signal auch der Forschungsinstitute, der Bundesbank, der Konjunkturanalysen an diese 35 Millionen ist: Eure Arbeitsplätze sind sicherer geworden, sie werden sicherer mit einem weiteren Aufschwung. Dies ist ein ganz wichtiges Signal. Wir müssen überlegen — es ist doch wirklich absurd, was der Kollege Dreßler sagt —, wie man mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik Arbeitsplätze schaffen kann, aber dies kann doch nur ein kleiner Behelfsweg sein. Der wichtigste Weg ist, daß wir mittlere und kleinere Unternehmer ermutigen, zu Zigtausenden neue Existenzen zu gründen, neue Arbeitsplätze zu schaffen,
vorhandene Arbeitsplätze zu sichern, Neueinstellungen vorzunehmen. Das schaffe ich nicht mit immerneuen Belastungen, mit Steuererhöhungen und ähn-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19401
Friedhelm Ostlichem, sondern mit Entlastung an allen Fronten. Kostenentlastung bedeutet z. B. Entlastung der Kosten im Lohnbereich.
Da kann ich nur sagen: Was hier von einigen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in diesem Jahr geleistet worden ist, ist beispielhaft. Es darf nicht auf dieses Jahr begrenzt bleiben, sondern muß mit unserer Hilfe, mit Investivlohn und ähnlichen Dingen fortgesetzt werden. Das war das größte Signal an die heimische Wirtschaft und an die ausländische Wirtschaft.
Es geht auch um Kosten in anderen Bereichen, Kosten, die anfallen, weil wir immer zu hohe Ansprüche an den Staat stellen oder solche Ansprüche aufnehmen und durchsetzen wollen. Wir brauchen Entlastung an allen Fronten. Ich denke, wenn Sie das Erste und das Zweite Steueränderungsgesetz und das Standortsicherungsgesetz genau studieren, werden Sie feststellen, daß Bundesregierung und Koalition wichtige Weichenstellungen vorgenommen haben.Hugo Müller-Vogg, einer der Herausgeber der F.A.Z., hat ein Buch geschrieben— ich rate allen, es zu lesen —: „Deutschland, deine Stärken". Wir haben wieder an Stärke gewonnen. Wir sind noch nicht überall stark, aber wir haben die Chance, die Zukunftsperspektiven gut zu gestalten, die konjunkturellen Impulse aufzunehmen, um so auch in einem Aufschwung die strukturellen Probleme, die Schwierigkeiten besser zu lösen.Vielen herzlichen Dank.
Als nächstem erteile ich dem Abgeordneten Ortwin Lowack das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die Bundesregierung erinnert mich an die Endzeit des SED-Regimes: Man belügt sich nur noch und schließt vor den Problemen die Augen; einige wiegen sich noch in trügerischer Sicherheit.So sagte es mir vor wenigen Tagen ein Mann in Leipzig wörtlich. Ich glaube aber, das könnte in jeder x-beliebigen Stadt in Westdeutschland genauso gesagt werden. Das ist in der Zwischenzeit in weiten Bereichen der Bevölkerung einhellige Meinung, ein überraschender Aspekt der deutschen Einheit.Es ist auch wirklich imponierend, mit welcher Unverfrorenheit die Bundesregierung künstlich Optimismus erzeugt, um, weil sie sonst keine anderen Möglichkeiten findet, die Wirtschaft anzukurbeln und zu neuen Investitionen zu veranlassen. Dieser künstliche Höhenflug wird für beide nur von kurzer Dauer sein.Die Arbeitslosigkeit bleibt nicht nur, sie geht weiter nach oben. Die Kaufkraft wird damit mit Sicherheit auch nicht zunehmen; sie wird abnehmen. Die Strukturkrise bleibt. Sie ist zwischenzeitlich weit wenigereine betriebswirtschaftliche oder volkswirtschaftliche, sondern vor allen Dingen eine politische strukturelle Krise. Wer das übersieht, wird überhaupt nicht die richtigen Mittel und Antworten finden.Die Politik findet keine Mittel gegen den hohen Staatsanteil, für den ausschließlich sie die Verantwortung trägt. Im Gegenteil, der Staatsanteil nimmt zu und liegt heute bei über 54 %.Die Politik findet kein Mittel für die dringend notwendigen Steuersenkungen. Im Gegenteil, die Steuer- und Abgabenlast nimmt zu, und der Solidaritätszuschlag ist ja nichts anderes als ein semantischer Betrug an den Bürgern.Die Politik findet kein Mittel für die dringend notwendige Sparsamkeit. Im Gegenteil, die hohen Schulden nehmen überproportional zu. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nahezu 100 % der privaten Ersparnisse in Deutschland werden bereits verwendet, um die Zinsen aus den Schulden der öffentlichen Hand zu bezahlen. Dieses Geld fehlt für die notwendigen Investitionen.Die Politik findet kein Mittel gegen Unternehmenszusammenbrüche. Im Gegenteil, die Zahl der Pleiten nimmt dramatisch zu. Wir haben Hochkonjunktur bei den Unternehmenszusammenbrüchen. Ich frage den Bundesfinanzminister, warum er, wenn es um die Frage der Sparsamkeit geht, erst jetzt darauf kommt, für Deutschland auch nur die Beiträge zur Europäischen Gemeinschaft einzufordern, die unserer Wirtschaftskraft entsprechen, und warum er das nicht bereits vor zwei oder drei Jahren getan hat. Allein die Ersparnisse hieraus würden jede Steueranhebung zum 1. Januar 1995 überflüssig machen.Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Kollegium, Sie verbrauchen für Ihre Fraktionen und Gruppen in diesem Jahr an die 100 Millionen DM. Auch das ist kein Investitionsgeld. Auch das ist eine Belastung durch öffentliche Haushalte und dient nicht dem Investitionsklima. Ich freue mich, daß ich mit 0,0 DM das nicht brauche. Es erzieht zu einer eminenten Selbständigkeit im Denken und ist vielleicht allgemein empfehlenswert.Die Politik greift den für eine gesunde wirtschaftliche Struktur so wichtigen Mittelstand an, indem sie die Abschreibungsbedingungen schon verschlechtert hat. Sie hat sich entschieden, in erster Linie die zu begünstigen, die zu der Klientel der Großverdiener gehören. Die Bereiche der Selbständigen, der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, aber auch unsere Bauern, unser gesamter ländlicher Bereich, werden von der Politik systematisch diffamiert.Ich frage Sie: Wer soll denn eigentlich der Motor der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland sein? Wer ist denn eigentlich der Adressat der Appelle, die von hier immer wieder in das Land hinausgehen?Nein, wir brauchen eine völlig neue Politik in und für Deutschland. Wir brauchen freie Bürger, die nicht an allen Ecken und Enden gegängelt, schikaniert, mit Abgaben und Steuern ausgebeutet und bürokratisiert werden. Wir brauchen eine Gemeinschaft, eine wirkliche Union leistungs- und verantwortungsbewußter
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19402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Ortwin LowackBürger, kein System sich gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfender politischer Spielwiesenbetreiber.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen Deutschland, unser Land, als Motivation. Wir müssen weltweit einen Spitzenplatz einnehmen wollen. Wer dies leugnet oder gar noch mit Hysterie darauf reagiert, lügt sich in die Tasche und bereitet ein langes Fiasko in der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung vor.Nicht der Erhalt einer Bundesregierung und zahlloser Posten und Pöstchen kann im Mittelpunkt der Politik stehen. Im Mittelpunkt steht das Leben von Millionen von Menschen, die draußen einen alltäglichen, immer schwierigeren Kampf führen müssen.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es macht wirklich Spaß, am Ende einer solch langen Debatte nachzutarocken und aufzuräumen. Ich möchte mit zwei Bemerkungen beginnen, und zwar erstens mit einem herzlichen Dank an den Bundeswirtschaftsminister und auch an den Kollegen Ost,
daß die beiden in so bewundernswerter Art und Weise den Kollegen Gysi und Reimann eine lange, geduldige Einführung in die Grundlagen unseres Wirtschafts-, Steuer- und Sozialrechts gegeben haben.
Zweitens zum Kollegen Dreßler von der SPD, der mich übrigens gebeten hat, ihn zu entschuldigen; er mußte weg. Wenn man anhört, was er steuerpolitisch vorschlägt, dann kommen einem fast die Tränen. Man muß sich auch in Erinnerung rufen, was die SPD zum Thema Solidarzuschlag vorschlägt. Sowenig ein Hund eine Wurst bewachen kann, könnte die SPD dem Versuch widerstehen, diesen zehnprozentigen Solidarzuschlag so schnell wie möglich in die Tarife einzubauen und das dann nicht mehr Solidarzuschlag zu nennen, sondern ganz einfach den Spitzensteuersatz auf 56 % oder 60 % zu setzen, wie sie es ja schon einmal getan hat.
Nun zum eigentlichen Thema, meine Damen und Herren. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die SPD-Fraktion die Rede ihres Vorsitzenden Klose so lange bejubelt hat. Dieser Jubel paßt überhaupt nicht zu der Miesmacherei, die die Opposition und vor allen Dingen die SPD heute vormittag verbreitet hat. Wenn man sich die ersten Reaktionen und Stellungnahmen, vor allen Dingen von SPD-Seite zum Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute ansieht, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß diese in der Tat positive wirtschaftliche Entwicklung hinten und vorne nicht in das Wahlkampfkonzept der SPD paßt.
So beklagt beispielsweise Oskar Lafontaine, daß der begonnene Aufschwung „kein richtiger Aufschwung für alle" sei, und er wirft der Bundesregierung eine weiterhin unzureichende Wirtschafts- und Finanzpolitik vor, die den Beschäftigungsabbau und steigende Massenarbeitslosigkeit untätig hinnehme.
Meine Damen und Herren, wer sich hier in Bonn einigermaßen auskennt, kann so etwas nicht ernst nehmen. Ich gehe auch davon aus, daß die Öffentlichkeit in Deutschland und darüber hinaus dies nicht ernst nimmt. Herr Lafontaine und viele von Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, tun ja geradezu so, als herrsche in Deutschland Jammer, Not und Elend.
— In diesen Ländern mag das zum Teil zutreffen, lieber Herr Kollege Hornung. Aber es paßt ganz und gar nicht zu den vielen Meldungen aus vielen Branchen. Ich nenne beispielsweise nur die Reisebranche, die für heuer historische Rekordbuchungen, vor allen Dingen bei den weiten Auslandsflugreisen, meldet. Je weiter die Auslandsflugreise, desto ausgebuchter, sagen die Reiseexperten. Das ist die Wirklichkeit in Deutschland, meine Damen und Herren. Deswegen muß ich sagen, daß Sie von der SPD ein übles Spiel mit Menschen, Arbeitsplätzen und Investitionen betreiben, die einer zivilisierten Nation und einer Politik, wie sie hier betrieben werden soll, nicht würdig ist.
Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, und an Ihre wissenschaftlichen Wasserträger, die jetzige unzweifelhaft positive Konjunkturentwicklung nicht aus kurzfristigen Wahlkampferwägungen heraus kaputtzureden. Sie wissen genau, daß wirtschaftliche Entwicklung und Stimmung zu einem großen Teil psychologisch angelegt sind. Wer die Lage wider besseres Wissen schlechter redet, als sie ist, der macht sich als Investitionsschreck schuldig. Da denke ich gerade an eine Rede wie die des Kollegen Dreßler oder an Reden Ihrer Länderminister.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es wird Ihnen in den kommenden Monaten ohnehin immer schwerer fallen, die Lage in Deutschland mieszureden, auch wenn Sie dieses für Ihren Wahlkampf gerne so haben möchten.
— Der Herr Kollege Professor Jens hat eine Zwischenfrage.
Bitte sehr!
Herr Kollege Ramsauer, könnten wir uns vielleicht darauf einigen:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19403
Dr. Uwe JensWir bemühen uns, die Situation so zu schildern, wie sie ist. Mir persönlich liegt überhaupt nichts daran, alles mieszureden. Könnten Sie dem zustimmen? Aber Sie sollten sich darum bemühen, die Situation nicht schönzureden. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
Und können Sie mir vielleicht sagen, was Sie ganz konkret für die 6 Millionen Menschen, die in diesem Land einen Arbeitsplatz suchen, tun?
Herr Kollege Professor Jens, ich schätze Ihre Kompetenz im Wirtschaftsausschuß des Bundestages außerordentlich. Denn man hat nicht alle Tage einen ordentlichen Wirtschaftsprofessor in einem Bundestagsausschuß. Aber wo Sie schiefliegen, da liegen Sie schief, Herr Kollege Jens. Sie kommen auch hin und wieder ins Ausland. Das Ausland lacht langsam über dieses weinerliche Oppositionsgehabe. Während beispielsweise die Japaner mit Quantensprüngen darangehen, ihre eigene Strukturkrise zu überwinden, machen Leute wie Sie klein in klein,
nicht Sie persönlich, Herr Professor Jens, aber Ihre Fraktion.
Auch der Abgeordnete Hinsken sollte Gelegenheit haben, seinem Freund Ramsauer eine Frage zu stellen.
Sehr gern; noch viel lieber.
Herr Kollege Dr. Ramsauer, wären Sie bereit, dem Kollegen Professor Jens unser 30-Punkte-Aktionsprogramm zur Verfügung zu stellen, damit er sich einlesen kann, wie wir ansetzen wollen, um die Wirtschaft noch mehr in Fluß zu bringen, als sie momentan ist.
Dreiecksfragen lasse ich nicht zu. Herr Dr. Ramsauer, fahren Sie fort.
Herr Präsident, ich fahre fort. Aber die Fragen sind nun einmal so gestellt, und ich greife die Anregung des Kollegen Hinsken gern auf, Ihnen dieses Programm noch einmal zur Verfügung zu stellen. Darin stehen die wichtigen Schritte, die wir zum Teil gerade umsetzen. Und daß die Richtung so richtig ist, zeigen die Daten, die uns vorgestern vorgelegt worden sind.Die Erholung nach einem so langen Tal geht nicht von heute auf morgen, und daß dies heuer noch hohe Arbeitslosigkeit zurückläßt, ist ganz klar. Jeder Wirtschaftskundige weiß, daß nach einem so langen Tal, nach einer solchen Krise erst einmal die nicht ausgeschöpften Ressourcen voll ausgefahren werden.
Bei den maschinellen Ressourcen und bei den personellen Reserven wird zuerst ausgefahren, und erst dann wird zusätzlich eingestellt. So, glaube ich, verstehen wir beide uns auch, Herr Jens und ich, als wirtschaftskundige Leute.Meine Damen und Herren, bei der Beurteilung der gesamten konjunkturellen Lage dürfen wir auch nicht so tun, als hätte sich in Europa in den letzten fünf Jahren nichts verändert. Wir merken heute erst, welch wirtschaftlicher Schutzzaun der Eiserne Vorhang, der Gott sei Dank gefallen ist, gewissermaßen war, weil Investitionen und Arbeitsplätze nicht in osteuropäische Länder abwandern konnten. Seit der Öffnung nach Osten, die wir alle begrüßen, ist das nun der Fall. Die Investitionen und die Arbeitsplätze, die in den vergangenen fünf Jahren abgewandert sind, kommen natürlich auch bei einem Konjunkturaufschwung nicht sofort zurück, sondern es bedarf langer Anstrengungen, bis auf den vielen, vielen Feldern, wo in den letzten Jahren und Jahrzehnten Fehlentwicklungen eingetreten sind, die schmerzhaften Korrekturen zu vollziehen sind: im Bereich der Steuerpolitik, im Bereich der Bürokratie, im Bereich von vielen, vielen Belastungen für die Wirtschaft, gerade für die mittelständische Wirtschaft, die so nicht hingenommen werden können.
Sehen Sie sich einmal an, Frau Kollegin Fuchs, was beispielsweise aus dem SPD-beherrschten Bundesrat alles an Folter- und Marterinstrumenten für die Wirtschaft vorgeschlagen wird.
Da haben wir als Regierungspartei alle Hände voll zu tun, um das abzuwehren.Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen, der heute zu kurz gekommen ist. Wir können als Koalitionsparteien wirklich stolz darauf sein, daß unsere solide Finanzpolitik und unsere Konsolidierungspolitik jetzt auch die Inflationsrate unglaublich stark nach unten drücken. Sie liegt jetzt bei 3 %. Die Wirtschaftsforscher sagen uns für das zweite Halbjahr 2 % voraus und sind der Meinung, daß die Inflationsrate im kommenden Jahr noch weiter sinkt.Gegen etwas habe ich starke Bedenken, daß nämlich diese positiven Entwicklungen bei uns als Staatsgeheimnis gehütet werden. Über solche guten Nachrichten sollte man reden.
Man kann nicht oft genug darüber reden, damit den Sparern in Deutschland, den Konsumenten und auch denjenigen, die investieren wollen, Sicherheit und Vertrauen gegeben werden. Deshalb haben wir überhaupt keinen Anlaß, Trübsal zu blasen, mies und mies zu machen und in klein-klein zu machen, wie das von Oppositionsseite heute passiert ist. Vielmehr können wir sicher davon ausgehen, daß wir auf einem hervorragenden und erfolgversprechenden Weg nach oben sind.
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19404 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Peter Ramsauer Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
— Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Einbürgerung und Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit
— Drucksache 12/4533 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Staatsangehörigkeitsrechts
— Drucksache 12/5684 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 12/7318 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Zu diesem Gesetzentwurf der SPD liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.
Wir können die Aussprache eröffnen. Ich erteile zunächst einmal der Abgeordneten Frau Dr. Cornelie Sonntag das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die erste Lesung dieses Gesetzentwurfes liegt jetzt genau ein Jahr zurück. Ich finde, für ein so konkretes, überschaubares und einleuchtendes Vorhaben ist das eine lange Zeitspanne. Das Parlament hätte zu dieser Reform längst ja sagen können,
denn sie ist überfällig, sie ist notwendig, und sie findet auch bei der Mehrheit der Bevölkerung Beifall. Das weiß ich aus vielen Resolutionen, aus Briefen, aus Unterschriftensammlungen und Gesprächen. Ich kenne auch das geheime Kopfnicken hinein bis in die Reihen der Koalition.Wir sind geduldige Leute, und das Warten auf eine bessere Einsicht war uns die Sache wert. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich im Innenausschuß über Monate hinweg mit gewundenen Erklärungen geziert. Aber nun muß Schluß sein. Denn eine vorwärtsgerichtete Ausländerpolitik verträgt keinenKriechgang, sondern verlangt einen deutlichen Schritt nach vorn.
Außerdem: Die interessierten Bürger wollen nun Klarheit. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, müssen deswegen Flagge zeigen.Unsere Forderungen sind im übrigen dringlich und aktuell wie eh und je. Wir wollen für die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer die Einbürgerung von bürokratischen und psychischen Hemmnissen befreien. Wir wollen den Anspruch auf Einbürgerung nach acht Jahren, für Ehepartner von Deutschen erheblich früher. Wir wollen die Möglichkeit im Rahmen der Ermessensentscheidung ab fünf Jahren Aufenthalt. Mehrstaatigkeit kann hingenommen werden. Wir wollen weiterhin für die Angehörigen der dritten Ausländergeneration den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch die Geburt.Der Gesetzentwurf des Bundesrates, den wir heute ebenfalls beraten, ist nicht deckungsgleich mit unseren Vorstellungen. Aber er zielt in dieselbe Richtung, und er hat unserem Anliegen Schubkraft gegeben.Allerdings muß ich nun auf ein Kuriosum hinweisen: Diese Bundesratsinitiative entspricht wortwörtlich den Vorschlägen der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung.
— Das kommt so: Die Länder mußten praktisch in die Rolle der Hebamme schlüpfen, um diesem Vorhaben auf die parlamentarischen Sprünge zu helfen. Denn leider haben die Kollegen der F.D.P.-Bundestagsfraktion weder die Kraft noch die Eigenständigkeit, den Koalitionspartner zu einer Zustimmung für ein Vorhaben zu bringen, das sie politisch wollen. Offensichtlich sehen Sie, liebe Kollegen aus dem liberalen Lager, das Konfliktpotential nach dem langen Tauziehen um die Pflegeversicherung ausgeschöpft. Ein Streit wird nicht mehr riskiert. Also spitzen Sie nur noch die Lippen, aber gepfiffen wird nicht mehr.Deswegen geben wir auch nichts mehr auf die Beteuerungen, die wir noch am zurückliegenden Wochenende etwa vom Vorsitzenden Kinkel hören und nachlesen konnten, daß nämlich die F.D.P. nun endlich bei der CDU mit allem Nachdruck auf eine liberale Einwanderungspolitik und die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft dringen wird. Sie verkünden verbal den aufrechten Gang und üben sich dann aus Koalitionsräson im Kniebeugen. So geht es nicht weiter. Die bei uns lebenden Einwanderer müssen das büßen. Ich finde, das ist ein armseliges Schauspiel.
Niemand von uns behauptet, daß mit unserer Gesetzreform Gewalttätern und Brandstiftern das Handwerk gelegt wird. Wer Ausländer beschimpfen, schlagen oder ermorden will, der läßt sich nicht dadurch beeindrucken, daß die Opfer vielleicht deutsche Pässe haben.Aber es geht uns ja um etwas anderes: Es geht um gegenseitige Anerkennung, partnerschaftliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Her-
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Dr. Cornelie Sonntag-Wolgastkunft. Die eingewanderten Bürgerinnen und Bürger, die hier seit langem ansässig sind, sollen sich heimisch und anerkannt fühlen, nicht nur als Steuerzahler, als Lückenfüller auf dem Arbeitsmarkt, als Absicherer von Renten, sondern eben als Partner, die an der politischen und gesellschaftlichen Willensbildung voll teilhaben können.Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/ CSU, unterliegen einem fundamentalen Irrtum; denn Sie werten es als Zeichen mangelnder Identifizierung mit unserem Land, wenn Migranten nicht ohne weiteres bereit sind, auf ihre bisherige Staatsangehörigkeit zu verzichten. Aber Sie wissen doch ganz genau, daß mit einem solchen Verzicht in vielen Fällen erhebliche rechtliche und materielle Nachteile verbunden sind. Außerdem fühlen sich viele — obwohl sie in der Bundesrepublik längst fest verwurzelt sind — mit ihrem Herkunftsland weiter verbunden. Sie wollen den Kontakt zu Familie und Freunden erhalten, wollen ihre kulturellen und mitmenschlichen Bindungen wahren. Was eigentlich ist so schlecht daran?
Wir jedenfalls verlangen nicht, daß sie alle Brücken hinter sich abreißen. Für uns setzt der Anspruch auf Einbürgerung nicht die Meisterprüfung in deutscher Wesensart voraus. Darum geht es!
Gerade die Chance, alle Rechte und Pflichten so selbstverständlich wahrzunehmen wie ihre deutschen Kollegen und Freunde, hilft den Einwanderern auf dem Weg zur Integration.Und Integration, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll eben kein mühsames Hürdenrennen bis zum bitteren Ende sein, sondern ein Prozeß, bei dem auch wir den ausländischen Bürgern ein Stück entgegenkommen können.Im übrigen, drei Jahrzehnte Einwanderung nach Deutschland sind nicht mehr umkehrbar. Manches, was unser Gesetzentwurf vorsieht, vollzieht schlicht die Lebenswirklichkeit nach; denn in vielen Fällen wird schon jetzt etwa Mehrstaatigkeit hingenommen, ohne daß unser Staatswesen in seinen Grundfesten wankt. Ich erinnere da an die Kinder aus binationalen Ehen, ich erinnere an den Status der Aussiedler, bei denen die ausländische Staatsangehörigkeit in der Regel fortbesteht, und ich erinnere daran, daß in einem Viertel der Ermessenseinbürgerungen Mehrstaatigkeit akzeptiert wird.Und noch etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Jahr dürfen bekanntlich Unionsbürger erstmals bei der Europawahl am 12. Juni zu den Urnen. Demnächst kommt für sie die Teilnahme an der Kommunalwahl dazu. Es geht deshalb nicht an, daß andere Migranten, die seit langem hier leben, von dieser Chance ausgegrenzt werden.
Es geht auch nicht, daß der größten Gruppe unter den Migranten in Deutschland — und das sind dieTürken — auf Dauer wichtige Rechte vorenthalten werden. Wir wollen keine Ausländer zweiter und dritter Klasse!
In die Mottenkiste althergebrachter Einwände gehört der Hinweis auf das internationale Abkommen vom 6. Mai 1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit. Das nämlich verpflichtet nur den Vertragsstaat, der einen Bürger aus der Staatsangehörigkeit entläßt, nicht aber den, der ihn einbürgern soll. Und was ist nun? Wir Deutschen wetteifern mit Österreich und Luxemburg um eine besonders restriktive Praxis. Unsere übrigen europäischen Partner sind da viel großzügiger.Im übrigen hat beim Hearing zu unserem Gesetzentwurf im vergangenen September keiner der Experten ernsthafte völkerrechtliche Bedenken geäußert.Vergessen Sie auch das Märchen von der sogenannten Rosinentour! Die Loyalität, die Rechte und Pflichten hat man nämlich gegenüber dem Land zu üben, in dem man seinen Hauptaufenthalt hat. Da gibt es kein Herauspicken nach Gusto und Vorteil.Kürzlich, meine Damen und Herren, haben einige von Ihnen aus der CDU/CSU — ich denke da etwa an Peter Hintze — unsere Vorschläge in diesem Gesetz als Bedrohung der inneren Sicherheit diffamiert.
Meine Kollegen und Kolleginnen, die These, kurdische Aktivisten würden die Zulassung von Mehrstaatigkeit als Ermunterung nehmen, ihre handfesten Interessen auf deutschem Boden zu vertreten, ist einfach abstrus. Sie wissen doch, daß unser Gesetzentwurf durchaus die Möglichkeiten zur Einbürgerung mit der Frage nach Straffälligkeit verknüpft, und Sie wissen auch, daß wirklich militante PKK-Anhänger sich einen feuchten Kehricht darum kümmern, welchen eigenen bürgerlichen Status sie haben.
Im übrigen geht man die Lösung der Kurdenproblematik anders an. Man geht sie eher dadurch an, daß man über Waffenlieferungsstops nachdenkt und auf unseren NATO-Partner Einfluß nimmt, endlich die Menschenrechte dort voll zu wahren.
Abwegig, meine Damen und Herren, ist im übrigen auch Ihr Schielen auf bilaterale Verhandlungen mit der Türkei mit dem Ziel, rechtliche Nachteile für ehemalige Landsleute abzuschaffen. Ich finde, das ist durchaus ein sinnvolles Ziel. Aber wie wir Deutschen unser Staatsangehörigkeitsrecht gestalten, ist keine Sache gegenseitiger Vereinbarungen, sondern unsere ureigene souveräne Angelegenheit.
Das Schlimme ist ja nun: Ihnen ist momentan kein Argument zu fadenscheinig, kein populistischer
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19406 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Cornelie Sonntag-WolgastSchachzug zu billig, um ja kein ausländerfreundliches Signal zu setzen.
Punktsiege am Stammtisch sind Ihnen wichtiger. Das müssen wir Ihnen vorhalten.
Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, dann war es die Methode, wie sich die CDU/CSU-Fraktion und die noch amtierende Bundesregierung aus einem wichtigen Versprechen für die laufende Legislaturperiode herausgemogelt haben. Denn nach einer langen Hängepartie haben Sie nun die verbindlich zugesagte umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts endgültig auf Eis gelegt und bis nach der Wahl verschoben.
— Herr Zeitlmann, ich darf Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.Erstens. Diese Reform ist bei den Koalitionsvereinbarungen im Dezember 1990 verbindlich zugesagt worden.Zweitens. Auch der Parteienkompromiß vom 6. Dezember 1992 zum Asylrecht sagt ausdrücklich — ich zitiere —: „Die Einbürgerung von Ausländern soll gegenüber der bestehenden Rechtslage weiter erleichtert werden. "
Drittens. Beredt engagierte sich der Kanzler, der zur Zeit noch aus Ihren Reihen, von der Union, gestellt wird, am 16. Juni 1993 in diesem Sinne. Ich zitiere aus der Regierungserklärung „Aktuelle Lage der deutschtürkischen Beziehungen, Bekämpfung von Gewalt und Extremismus sowie Maßnahmen für eine verbesserte Integration der Ausländer in Deutschland". Damals sagte Helmut Kohl — hören Sie bitte hin —:Unser Staatsangehörigkeitsrecht ist jetzt 80 Jahre alt. Ich denke, wir sind gemeinsam der Auffassung, daß es jetzt notwendig ist, daß wir die Regelungen des geltenden Rechts überprüfen.
Er sagte weiter:
Wir wollen weitere Regelungen schnell treffen. Das heißt, wir wollen sie noch in dieser Legislaturperiode verabschieden.
Das war des Kanzlers Rede einst, noch unter dem Schock der Schreckenstat von Solingen. Was ist jetzt? Verflogen die guten Vorsätze, beiseite gefegt der Wille, zur besseren Integration von Ausländern konkret etwas beizutragen.
Sie haben nicht nur die Erwartungen vieler Betroffener bitter enttäuscht, sondern auch frei nach demMotto „Was schert mich mein Geschwätz vongestern?" einen weiteren Wortbruch geliefert. Knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl stehen Sie offenbar unter dem Zwang, sich vor dem rechten Rand der Wählerschichten zu verbeugen. Das ist die Wahrheit, und das werden wir nicht nur heute laut und deutlich sagen.
Sie, Herr Marschewski, haben uns kürzlich wissen lassen, wie die nun auf irgendeine vage Zukunft verschobene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aussehen könnte. Ich finde, wesentlich aufschlußreicher ist das, was in Ihrer Aufzählung jetzt nicht mehr enthalten ist. Sie haben uns seinerzeit immerhin angedeutet, wie und wo Sie uns entgegenkommen könnten:
Es sei z. B. daran zu denken, die Frist für den Anspruch auf Einbürgerung von jetzt 15 Jahren abzusenken, in Deutschland geborenen Kindern von Ausländern mit Einwilligung der Eltern unmittelbar die deutsche Staatsangehörigkeit zu geben und die Möglichkeiten zur Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit wenigstens zu präzisieren und zu erweitern. Davon, Herr Marschewski, ist jetzt nicht mehr die Rede. Ich schließe daraus: Sie haben damals nur Entlastungsargumente gesucht; ernst waren Ihre Vorschläge offenbar nie gemeint.
Sie, liebe Kollegen aus der Koalition, haben jetzt zwei Alternativen: Entweder Sie schwenken noch in letzter Minute um und billigen unseren Gesetzentwurf, oder Sie verabschieden sich aus dem Kreis derer, die eine Reform für nötig halten. Denn in der nächsten Legislaturperiode brauchen Sie einen neuen Anlauf nicht mehr zu nehmen. Dann wird in diesem Hause eine andere, eine sozialdemokratisch geführte Mehrheit die Arbeit leisten,
die Sie hätten leisten sollen, aber offenbar nicht leisten wollen.Danke schön.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn zwei Fragen:Erstens. Kann sich die Bundesrepublik Deutschland eines gewalttätigen Ausländers oder eines ausländischen Drogentäters entledigen, wenn diese die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen?Zweitens. Könnten oder dürften wir es hinnehmen, daß sich Deutsche, die zugleich bosnische oder serbische Staatsangehörige sind, im jugoslawischen Bürgerkrieg gegenseitig umbringen, daß sie diesen Krieg mitten in unser Land tragen?
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Erwin MarschewskiDie Antwort auf beide Fragen lautet unmißverständlich: Wir können es nicht. Wir dürfen es nicht. Wir wollen dies nicht. Schon deswegen kommt die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft für uns nicht in Frage.Es ist absurd, Frau Kollegin, wenn — wie ich gelesen habe — die SPD uns vorwirft, unsere Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft sei Ausfluß — ich zitiere — „von obskuren, irrationalen Blut-undBoden-Ideologien". Ich glaube, man sollte überlegen, was man sagt und wie man das sagt.Darüber hinaus, genau das Gegenteil ist richtig: Nur die eindeutige Zuordnung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten verbürgt diejenige Rechtssicherheit, die ein auf rationalen Prinzipien und Toleranz beruhendes Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in unserem Land möglich macht.Die generelle Zulassung von Doppelstaatsangehörigkeiten widerspricht aber nicht nur dem Gebot der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit; sie ist auch mit dem Wesen der Staatsangehörigkeit unvereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus der Staatsangehörigkeit ein umfassendes Rechtsverhältnis, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen. Die Staatsbürgerrechte und -pflichten sind also keineswegs beliebig austauschbare Äußerlichkeiten. Sie betreffen vielmehr den innersten Kern unseres Staates und unserer Demokratie.Deutscher Staatsbürger zu sein heißt für mich, dieses Land anzunehmen, es zu akzeptieren mit seinen Nachteilen, mit seinen Vorteilen, sich zu identifizieren mit Vergangenheit, mit der Gegenwart, mit unserer Geschichte. Für mich bedeutet, deutscher Staatsbürger zu sein, dieser Schicksalsgemeinschaft anzugehören, aus der man nicht nach Belieben ein- oder austreten kann. Es bedeutet, daß man nicht nach Belieben zwei oder drei oder mehr Staatsangehörigkeiten annehmen kann.
Voraussetzung ist die eindeutige Hinwendung, die Integration — so sagt es zumindest das Bundesverfassungsgericht. Aus dieser Tatsache folgt zwingend: Nicht die Einbürgerung ist Voraussetzung für die Integration, sondern umgekehrt: Die Integration ist Voraussetzung für die Einbürgerung.Deutscher Staatsbürger darf nur werden, wer durch sein Verhalten die Integration in unsere Gesellschafts- und Staatsordnung glaubhaft gemacht hat und sich ohne Wenn und Aber zur staatlichen Gemeinschaft bekennt. Dazu gehört, Frau Kollegin, in der Regel auch die Kenntnis der deutschen Sprache.Es ist falsch, wenn immer wieder behauptet wird, die erleichterte Einbürgerung fördere die Integration der betreffenden Ausländer in unsere Gesellschaft dann, wenn wir die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich verleihen. Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall: Es ist gerade die mangelnde eigene Identifizierung mit Deutschland, die dazu führt, daß Ausländer oft nicht bereit sind, ihre angestammte Staatsangehörigkeit aufzugeben.Meine Damen und Herren, die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft ist kein tauglichesMittel gegen rechtsradikale Verbrechen und fanatisierten Vandalismus. Ein deutscher Paß schützt unsere ausländischen Mitmenschen nicht vor Übergriffen verblendeter Gewalttäter. Vielmehr — da sind wir wieder beim Punkt — muß das Gewaltmonopol des Staates wieder verstärkt zur Geltung gebracht werden. Nur so können alle, Deutsche und Ausländer, in Frieden und Freiheit zusammenleben.Es ist ein schwerer und verhängnisvoller Irrtum, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem geltenden Staatsbürgerrecht und der wachsenden Gewalt gegen Ausländer herzustellen, weil so deren eigentliche Ursachen übersehen werden.Meine Damen und Herren, das gedeihliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern kann nur gefördert werden, wenn wir die Integration der bei uns lebenden Ausländer verbessern. Dazu zählt insbesondere, daß integrationswilligen Ausländern bei ihrer Einbürgerung keine unnötigen Schwierigkeiten gemacht werden. Deswegen haben wir uns ebenso erfolgreich wie intensiv dafür eingesetzt, im Bereich der Asylgesetze beträchtliche Erleichterungen der Einbürgerung zu erreichen. Ich darf dies noch einmal sagen.Erstens. Das Erfordernis der einheitlichen Staatsangehörigkeit der Familie ist entfallen.Zweitens. Den Ausländern, die seit 15 Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, wird künftig ein Anspruch auf Einbürgerung eingeräumt. Der Einbürgerungsanspruch von jungen Ausländern der zweiten und dritten Generation wird erweitert.Drittens. Auch nichtehelichen Kindern deutscher Väter wird die Möglichkeit gegeben, Deutsche zu werden, natürlich nur dann, wenn die wirksame Feststellung der Vaterschaft erfolgt ist.Viertens. Wir haben die Verwaltungsgebühr für die Einbürgerung erheblich gesenkt. Sie beträgt jetzt nicht mehr bis zu 5 000 DM, sondern maximal 500 DM für Erwachsene und 100 DM für Kinder.Diese Rechtsänderungen, die Sie offensichtlich vergessen haben, Frau Kollegin,
stellen einen spürbaren Fortschritt dar, weil sie integrationswilligen Ausländern die Entscheidung, Deutscher zu werden, erheblich erleichtern. Wir müssen keineswegs die generelle doppelte Staatsbürgerschaft anerkennen, um Ausländer bei uns heimisch werden zu lassen.Zur Zukunft, meine Damen und Herren: Es ist allgemein bekannt, daß das im wesentlichen aus dem Jahre 1913 stammende Staatsangehörigkeitsrecht mittlerweile veraltet und reformbedürftig ist, und deswegen ist natürlich eine grundlegende Reform vonnöten. Wir haben nicht gesagt, daß wir dieses Recht in dieser Periode reformieren wollen. Das weiß der Koalitionspartner, mit dem wir uns einig sind.
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19408 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Erwin MarschewskiWir haben gesagt: Wir wollen die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Angriff nehmen. Meine Damen und Herren, Sie wissen natürlich, daß ein erster Entwurf im Innenministerium bereits erstellt ist. Ich werde Ihnen jetzt über die wesentlichen Punkte dieser Reform Mitteilung machen.Erstens. Wir wollen den Grundcharakter der Einbürgerung ändern. Das ist eine wichtige Bestimmung. Wir wollen an die Stelle des Ermessens die Anspruchsentscheidung setzen.Ein zweiter Punkt: Wir wollen weitere Erleichterungen der Einbürgerung erreichen. So wollen wir — Sie haben dies vorhin erfragt, und ich will dies sagen — erstens die Mindestaufenthaltsdauer für ein Einbürgerungsrecht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland lebender Ausländer von 15 auf 10 Jahren herabsetzen und zweitens die Härteklausel für Personen, denen bei Aufgabe ihrer angestammten Staatsangehörigkeit unzumutbare Rechtsverluste drohen, erweitern. Dabei mache ich auch darauf aufmerksam, daß es vorrangig die Aufgabe der Herkunftsstaaten ist, für die Vermeidung unnötiger Härten und bürokratischer Hemmnisse Sorge zu tragen. Sie wissen, was ich damit meine, wenn ich dieses anspreche. Ich denke an Erschwernisse, die z. B. in der Türkei leider vorhanden sind. Deswegen sollte die Bundesregierung — sie tut dies bereits auch — bilateral mit den entsprechenden Staaten reden, um eine notwendige Änderung der entsprechenden Rechtsordnungen zu erreichen.Das Staatsbürgerrecht ist sehr kompliziert, meine Damen und Herren, und wir wollen weitere Dinge regeln.Drittens ist z. B. die Lösung offener Fragen im Zusammenhang mit der früheren DDR-Staatsbürgerschaft nötig. Hier ist insbesondere die Wirkung des Verlustes der ehemaligen DDR-Staatsbürgerschaft auf die deutsche Staatsangehörigkeit zu nennen.Viertens. Wir streben an, über die sogenannte Statuseigenschaft Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit gemäß Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit zu geben, in die deutsche Staatsbürgerschaft übergeleitet zu werden.Fünftens. Wir wollen eine Rechtsgrundlage schaffen zur bindenden Feststellung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse durch die Staatsangehörigkeitsbehörden.Sechstens. Wir wollen die Gründe für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ausdrücklich regeln. Wir können nicht nur auf der einen Seite Erleichterungen anbieten; wir wollen diesen ganzen schwierigen Bereich insgesamt regeln. Wer z. B. — das ist ein typischer Fall — eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, obwohl er dauernd, nachdem er Deutscher geworden ist, bei uns lebt, oder wer endgültig in sein Heimatland zurückkehrt, der soll auch die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren.Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Deutsche, die in zweiter oder dritter Generation dauernd im Ausland leben, die deutsche Staatsangehörigkeit weiter behalten können, sollte ebenfalls geregeltwerden. Sie sehen, meine Damen und Herren, es ist ein sehr kompliziertes Regelungswerk.
— Nein, in den verbleibenden wenigen Monaten sind mehr Leistungen im Bereich der Innenpolitik — ich nenne Asylrecht auf der einen Seite, Verbrechensbekämpfungsgesetz auf der anderen Seite, Sicherheitsüberprüfungsgesetz, Ausländerzentralregistergesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz, das mit Sicherheit kommen wird — nicht möglich. Mehr ist in dieser Periode nicht machbar.Ich möchte ein Gesetz für die Zukunft schaffen, das 100 Jahre hält und das von uns wirklich ganz sorgsam erarbeitet werden muß.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Herr Kollege Wiefelspütz, ich bitte um Verständnis.Eines aber werden wir nicht ändern. Wir werden im Rahmen der umfassenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts am Abstammungsprinzip festhalten. Vor allem, meine Damen und Herren von der SPD: Für uns ist und bleibt die grundsätzliche Bereitschaft zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit Voraussetzung für eine Einbürgerung. Eine generelle Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaft wird es mit der Union nicht geben.Ihre Forderung, denke ich, stärkt den gesellschaftlichen Grundkonsens in unserem Lande nicht. Dies fördert keine Integration, und wie es die neuesten Umfragen klar gesagt haben, Frau Kollegin Sonntag, ignorieren Sie mit dieser Forderung den Willen der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes. Die meisten Deutschen wollen keine generelle doppelte Staatsangehörigkeit.
Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf und den des Bundesrates mit allem Nachdruck ab.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, Sie waren mit Verlaub etwas zu selbstgerecht. Der erste Ausländerbeauftragte war der von mir sehr verehrte Heinz Kühn. Er hat den ersten Vorschlag gemacht, die Einbürgerung drastisch zu erleichtern.Wir sind in unserer damaligen Koalition keinen Zentimeter weitergekommen. Ich habe mit größter Mühe einen Gesetzentwurf über die Einbürgerung von Kindern, also von hier geborenen Ausländern, durch das Kabinett und in den Bundesrat bekommen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19409
Dr. Burkhard HirschNichts hat sich bewegt, keinen Zentimeter. Bitte verdrängen Sie nicht Ihre eigene Vergangenheit.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, in dieser Legislaturperiode mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu beginnen. Dieses Ziel haben wir nicht erreicht, obwohl wir Erklärungen des Bundeskanzlers nach schrecklichen Brandanschlägen entnehmen konnten, daß eine allgemeine Bereitschaft vorhanden sei, wirklich drastische Schritte zur Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zu unternehmen.Es muß verhindert werden, daß in unserer Mitte eine neue Diaspora entsteht, eine Bevölkerungsgruppe minderen Rechtes, die sich selbst zunehmend abkapselt und ihrerseits zum Gegenstand von Angriffen und Diskriminierungen wird.
Wir haben unsere Zielvorstellungen in einem Gesetzentwurf festgehalten, der entscheidend von der Ausländerbeauftragten, Frau Schmalz-Jacobsen, entwickelt worden war und auf den dann der Gesetzentwurf des Bundesrates und später auch Ihr Gesetzentwurf aufgebaut haben. Das ist ein Gesetzentwurf, den unsere Fraktion einmütig beschlossen hatte. Er beinhaltet Anspruch auf eine Einbürgerung nach achtjährigem rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik bei einwandfreiem Leumund, Erleichterungen der Einbürgerung gegenüber dem jetzigen Recht nach fünfjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik, die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit dann, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann, und insbesondere den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Geburt im Inland, wenn es sich um die dritte Generation handelt, d. h. wenn schon ein Elternteil in der Bundesrepublik geboren wurde.Ich halte es für falsch, den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Abstammung als „Blutrecht" zu verteufeln. Das Jus soli, das „Bodenrecht", kann im Zugriff auf Fremde sehr viel härter sein, wenn es nicht, wie das deutsche Recht und auch unser Gesetzentwurf, vollkommen am Grundsatz der Freiwilligkeit festhält. Man kann aber die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß jemand, der in der dritten Generation hier geboren wurde, nicht ein Ausländer, sondern ein Deutscher mit ausländischem Paß ist.
Wer auch hier Angst hat und Hürden beibehalten will, der scheint kein großes Vertrauen in die Integrationskraft und Stärke unserer Kultur und unserer Lebensweise zu haben.
Die Scheu vieler, gerade junger Ausländer, in der Staatsangehörigkeit mit ihrer Familie und ihrer Herkunft zu brechen, liegt in einem ganz anderem Punkt begründet, nämlich in der berechtigten Frage, ob wirDeutsche bereit sind, sie als Menschen anzunehmen.Wenn jemand Izmir Öztürk heißt und äußerlich als Anatolier erkennbar ist, akzeptieren wir ihn denn dann ohne Einschränkung und Vorbehalt als Deutschen, wenn er seine ererbte türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat und es nun wagt, seine Zukunft ausschließlich in Deutschland zu finden?Es ist scheinheilig, wenn wir von einem Ausländer verlangen, sich zu entscheiden, solange wir selbst nicht offen genug sind.
Integration ist ein Geschäft auf beiden Seiten. Nicht nur die Ausländer, die bei uns leben, sondern auch wir selbst müssen endlich die Folgerungen daraus ziehen, daß die Zeiten nationaler und völkischer Isolierung in Europa vorbei sind.
Es wird auch Zeit, daß wir endlich unser eigenes Recht durchforsten, wie die Niederländer es getan haben, ob die Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern in allen Punkten noch gerechtfertigt sind. Natürlich sind sie es nicht. Es wird Zeit, uns aus den Fesseln des 19. Jahrhunderts zu befreien und endlich Europäer zu werden.Wir sind mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nur schrittweise vorangekommen, indem wir insbesondere — das, Herr Kollege Marschewski, ist wirklich die Leistung dieser Koalition und neu im deutschen Recht — klar definierte Ansprüche auf Erwerb der Staatsangehörigkeit sowohl für hier geborene Ausländer als auch für langjährig hier lebende Ausländer durchgesetzt haben. Das haben wir in das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht eingeführt.
Aber natürlich haben wir uns mit der Koalitionsvereinbarung und im Asylkompromiß weit mehr vorgenommen.Aber: Wir haben es mit drei Innenministern in dieser Legislaturperiode zu tun gehabt.
Wir sind am Ende einer Legislaturperiode, und in ihr ist die Zeit für große Würfe auf diesem und auch auf anderen Rechtsgebieten vorbei. Jeder weiß das.Es bleibt aber dabei, daß wir gemeinsam mit der Fraktion der CDU/CSU und sobald wie möglich die Mindestaufenthaltsdauer — wie der Kollege Marschewski das ausgeführt hat — für einen Einbürgerungsanspruch rechtmäßig in der Bundesrepublik lebender Ausländer von 15 auf 10 Jahre herabsetzen und die Härteklausel für Personen erweitern werden, denen bei Aufgabe ihrer angestammten Staatsangehörigkeit unzumutbare Rechtsverluste drohen.
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19410 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Burkhard HirschIm Vertrauen auf die notwendige umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wird die F.D.P.-Fraktion
die Gesetzentwürfe ablehnen, weil wir bei der Definition der Frage, wer Deutscher ist oder werden kann — das ist ja eine Frage, die eigentlich Verfassungsrang hat —, eine größere Mehrheit suchen wollen, als sie heute erreicht werden kann. Aber eine ganze Reihe von Kollegen und ich selbst können und wollen diese Gesetzentwürfe nicht ablehnen, die nach unserer Überzeugung richtig sind. Dazu gehört auch die Ausländerbeauftragte Frau Schmalz-Jacobsen, die in einer besonders schwierigen parlamentarischen Lage ist und deren Verhalten und Leistung unseren besonderen Respekt verdienen.
Wir werden uns der Stimme mit der klaren Absicht enthalten, bei einer Fortsetzung der Koalition — —
— Gnädige Frau, ich weiß gar nicht, mit welcher Sicherheit Sie eigentlich hier den Wähler bevormunden wollen. Behalten Sie doch einmal Ihr Pulver trocken, und warten Sie bitte ab, was die nächste Wahl ergibt. Dann reden wir weiter.
Ich bin einmal neugierig, ob Sie dann, wenn Sie in die Regierung kommen sollten, in der Frage der Staatsangehörigkeit mutiger sind, als Sie in den ganzen letzten Legislaturperioden waren.
Ich kann nicht akzeptieren, daß Sie hier so tun, als ob die Frage der Staatsangehörigkeit heute vom Himmel fällt, während es jahrelang, in denen wir uns zusammen bemüht haben, keinen Zentimeter Bewegung gab. Darüber müssen Sie doch auch einmal nachdenken.
Die Abgeordneten Wiefelspütz und Anke Fuchs möchten Zwischenfragen stellen.
Nein, diesmal keine. Ich habe schon genug Zwischenrufe bekommen.
Ich sage für die Fraktion, daß wir die Gesetzentwürfe ablehnen werden. Aber einige Kollegen werden sich der Stimme enthalten, mit der klaren Absicht, bei einer Fortsetzung der Koalition nach den gemachten Erfahrungen eindeutige und unzweifelhafte Vereinbarungen in der Koalitionsvereinbarung festzulegen.
Die Abgeordnete Frau Ulla Jelpke hat nun die Möglichkeit zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß mit der heutigen Ablehnung der beiden Gesetzentwürfe eines der beschämendsten Kapitel dieser Legislaturperiode abgeschlossen wird. Ich darf daran erinnern, daß sich erst nach den Morden von Mölln und Solingen eine größere Öffentlichkeit für Fragen der erleichterten Einbürgerung und doppelten Staatsbürgerschaft interessiert hat. Erst da kamen Bundesrat und SPD-Fraktion auf die Idee, durch einige Selbstverständlichkeiten den Hindernislauf zum deutschen Paß zu erleichtern. Aber wir wären nicht im Deutschland des Jahres 1994, wenn dies nicht auf den härtesten Widerstand vor allen Dingen der Unionsfraktion gestoßen wäre. Umfassende Reform des Art. 116 des Grundgesetzes heißt die billige Ausrede, mit der schon in der Asyldebatte beschwichtigt wurde. Umfassende Reform irgendwann einmal, vielleicht in der nächsten Legislaturperiode.Es fehlt nicht an praktikablen Vorschlägen; diese sind meines Erachtens vorhanden. Es liegt daran, daß diese Regierung und die Mehrheit dieses Hauses in den vergangenen Jahren in keiner einzigen Frage zu einer wirklich großzügigen und klaren Entscheidung zugunsten der ausländischen Bürgerinnen und Bürger willens und fähig waren. Etwa 6 Millionen Menschen nichtdeutscher Herkunft leben in diesem Land. Herr Marschewski, ich möchte Ihnen sagen, daß Sie mit der Einleitung Ihres Redebeitrags diese Menschen hier heute faktisch zu Kriminellen und potentiellen Gewalttätern gestempelt haben.
Davon leben etwa 70 % seit zehn Jahren hier, und fast vier Fünftel der nichtdeutschen Kinder sind hier geboren.All das konnte die Unionsfraktion nicht dazu bewegen, auf die völkischen Relikte des Einbürgerungsrechts zu verzichten. Es soll dabei bleiben, in die deutsche Schicksalsgemeinschaft, wie Herr Schäuble und Kollege Marschewski diesen Staat immer häufiger nennen, darf mensch nur noch bei einer besonders großen Loyalität zu diesem Staat aufgenommen werden. Wir werden also — da folge ich der Ausländerbeauftragten des Landes Berlin, Frau John — auch noch von Ausländern der 20. und 25. Generation sprechen müssen. Reform des Art. 116 des Grundgesetzes irgendwann einmal — und so lange wird immer lauter behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Die CSU will die Überfremdung gar als Hauptthema im Wahlkampf in diesem Jahr benutzen. Da mögen Häuser brennen und Menschen geschlagen und beleidigt werden, Sie scheint das offenbar nicht zu interessieren. Vermutlich werden auch noch einige Millionen mehr Unterschriften gesammelt werden müssen, damit die doppelte Staatsbürgerschaft endlich durchgesetzt werden kann.Selbst Kritik aus Ihren eigenen Reihen hat Sie nicht davon abgehalten, heute hier tatsächlich einen Vorschlag vorzulegen. Herr Marschewski, ich frage mich: Warum haben Sie im ganzen letzten Jahr nicht den
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19411
Ulla JelpkeVersuch gemacht, einen Entwurf vorzulegen, mit dem man sich wirklich hätte auseinandersetzen können?Ich möchte zu Frau Sonntag-Wolgast sagen, daß auch die SPD ihren Anteil daran hat, daß die doppelte Staatsbürgerschaft nicht zustande kommt. Sie haben der Asylrechtsänderung hier zugestimmt und haben damals von einem Paket gesprochen. Da ging es zum einen um die Bürgerkriegsflüchtlinge, zum anderen ging es um die Erleichterung der Einbürgerung. Dieses Paket ist faktisch nie zustande gekommen. Sie haben damals selbst gesagt, daß Sie nur eine Paketlösung wollen. Ich kann nur daran erinnern, daß Sie die Vorschläge zur erleichterten Einbürgerung erst später eingebracht haben.Der SPD-Entwurf zur Erleichterung der Einbürgerung ist restriktiver als der des Bundesrates. Sie waren nicht bereit, Ihren Entwurf zugunsten des Bundesratsentwurfs zurückzuziehen. Die SPD ist meines Erachtens viel zu sehr damit beschäftigt, sogenannte Mißbrauchslücken zu schließen — ich denke da nur an das Beharren auf einen biologischen Vaterschaftsnachweis eines deutschen Vaters —, statt alles für eine erleichterte Einbürgerung zu tun, die diesen Namen auch verdient.Die — ablehnende — Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der 6 Millionen nichtdeutschen Menschen in diesem Land. Erneut wird ihnen klar gemacht, daß Regierung und Parlamentsmehrheit für sie weiterhin den Status minderen Rechts festschreiben.Ich werde zwar beiden Entwürfen, also dem Bundesrats- und dem SPD-Entwurf, zustimmen. Das ist aber auf die Tatsache zurückzuführen, daß die CDU/ CSU überhaupt keinen Schritt in Sachen erleichterte Einbürgerung tun will.Danke.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 31. Dezember 1993 lebten in Deutschland 6,5 Millionen Menschen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Zwei Drittel dieser Menschen leben länger als 10 Jahre unter uns. Sie haben hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden, sind hier zu Hause. Mehr noch: Deutschland ist ihre Heimat geworden. Viele Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen wurden in Deutschland geboren, sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie bejahen unsere Demokratie. Wir aber verweigern ihnen hochmütig das Bürgerrecht.Es muß endlich Schluß sein mit dem politischen Skandal, daß wir Menschen nichtdeutscher Herkunft von der aktiven Einflußnahme auf die demokratische Gestaltung des Landes, in dem sie leben, arbeiten und Steuern zahlen, ausschließen. Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist ein vordemokratisches Unrecht, das Menschen allein wegen ihrer ethnischen Herkunft dazu verurteilt, Mitbürger statt Bürger und geduldet statt gleichberechtigt zu sein.Das völkische Recht, das immer noch gilt, ist entsetzlich antiquiert und undemokratisch. Vor 200 Jahren waren die Preußen schon weiter: Preuße war, wer Preuße sein wollte. Ein modernes Staatsbürgerrecht kann dahinter nicht zurück: Deutscher soll sein, wer Deutscher sein will. Alles andere, was wieder Mode wird, diese Tümelei von deutscher Art, deutschem Blut und Schicksalsgemeinschaft, ist einfach erbärmlich.Angesichts der nationalistischen und restaurativen Tendenzen in unserer Gesellschaft, angesichts der Überfälle auf Ausländer und Mordbrennereien, angesichts der rassistischen Verirrung und Verführung muß endlich Schluß sein mit dem Zögern und Zaudern, mit dem Hinhalten und Verschleppen der Reform des Staatsbürgerrechtes. Es sollte für das Parlament der Wiedervereinigung eine Ehrenpflicht sein, Einwanderer und Flüchtlinge rechtlich und politisch gleichzusetzen. Offensichtlich hat jedoch die Union — aus lauter Angst, Wählerinnen und Wähler von Rechtsaußen zu verlieren — die Reformliberos ins Abseits und den Bremser vom 1. FC Recklinghausen ins Tor gestellt, um jegliche Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes in dieser Legislaturperiode zu blockieren. Das wird aber nicht viel nützen. Ein solidarisches Staatsbürgerrecht wäre ein besserer Schutz vor nationalistischen Attacken. Das starre Festhalten an einem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das von Wilhelminischer Deutschtümelei geprägt ist, ist für ein demokratisches Land, zumal für ein Land der Europäischen Union, schlichtweg ein Anachronismus.In der Bundesrepublik Deutschland gab es 1993 eine breite gesellschaftspolitische Aktion zugunsten der doppelten Staatsangehörigkeit und der erleichterten Einbürgerung. Was anfänglich kaum jemand für möglich hielt, wurde wahr. Mehr als 1 Million Unterschriften wurde gesammelt; das kann man nicht einfach ignorieren. Umfragen zufolge spricht sich inzwischen eine deutliche Mehrheit in Deutschland dafür aus, die Einbürgerung zu erleichtern.Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat, wie auch die Fraktion der GRÜNEN in den Legislaturperioden zuvor, immer wieder die Reform des Staatsbürgerrechtes eingefordert und zahlreiche Vorschläge hierzu eingebracht. Angesichts der Anschläge auf Einwanderer und Flüchtlinge halten wir es für dringlicher als je zuvor, die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit wesentlich zu erweitern und zu erleichtern. Die politische Gleichstellung von Einwanderern und Flüchtlingen kann ein wirksamer Beitrag gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung sein. Nach unserer Auffassung hätte der Entwurf des Bundesrates das weitgehend leisten können.Wir bedauern, daß sich die F.D.P. von eigenen Parteitagsbeschlüssen entfernt und sich letztlich auch vom Entwurf der Ausländerbeauftragten distanziert hat.Der Gesetzentwurf der SPD bleibt in manchem hinter dem Entwurf des Bundesrates zurück. So ist z. B. nicht einleuchtend, warum die Erlangung der Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder vom Geburtsort der Eltern abhängig sein soll. Wir
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19412 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Konrad Weiß
werden dennoch dem Vorschlag der SPD zustimmen, weil uns ein kleiner Fortschritt wichtiger erscheint als keiner, vor allem aber weil wir die Hoffnung haben, daß dieses Gesetz die tatsächliche Situation der — noch — nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit verbessern wird.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich Gerd Andres das Wort gebe, möchte ich Sie über die Geschäftslage kurz informieren.
Diese Debatte ist nach zwei weiteren Beiträgen voraussichtlich zu Ende. Wir werden dann eine Fragestunde haben. Die Fragestunde wird relativ kurz sein, weil nur drei Geschäftsbereiche — Bundeskanzleramt, Auswärtiges Amt und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — mit relativ wenigen Fragen abgehandelt werden.
— Das ist keine Aufforderung, durch zusätzliche Fragen das Unternehmen zu verlängern.
Wir werden dann unterbrechen, weil eine Sonderfraktionssitzung der Union stattfindet. Nach dem jetzigen Stand der Dinge gehe ich davon aus, daß wir gegen 15 Uhr in der Tagesordnung fortfahren.
Wann die Sitzung des Ältestenrates beginnt, werden wir Ihnen noch mitteilen.
Ich habe nun, weil sich die Zeiten verschoben haben, an die Geschäftsführer der Fraktionen das Anliegen, daß sie dafür Sorge tragen, daß die Fragesteller anwesend sein werden, und an die Regierung die Bitte, daß die Antwortenden da sein werden, damit wir nicht in Verlegenheit kommen.
In der Annahme, daß alles klappt, kann ich nunmehr dem Abgeordneten Gerd Andres das Wort geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst ein Wort an den Abgeordneten Burkhard Hirsch richten. Wenn man sich die Entwicklung dieser ganzen Debatte ansieht, ist es leicht, zuzugestehen, daß wir bei unserem Entwurf, bei unseren Überlegungen auf Vorarbeiten zurückgegriffen haben, die Sie über viele Jahre geleistet haben und die auch Frau Schmalz-Jacobsen geleistet hat. Wir unterscheiden uns in einigen Punkten, deswegen unser Entwurf.Ich kann, nachdem ich Sie am vergangenen Samstag im Fernsehen in der schönen Sendung „Babylon" für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gesehen habe, verstehen, daß Ihr eigentliches Problem darin besteht, daß all das, was auch Sie — so wie wir — für richtig halten, deswegen nicht realisiert werden kann, weil eine Seite dieses Hauses das kaputtmacht. Es hilft überhaupt nichts, sich hier über uns zu erregen und auf lange zurückliegende Legislaturperioden hinzuweisen; das will ich nicht tun.Damit bin ich bei Herrn Marschewski. Ich kann hier jetzt viel zitieren, Herr Marschewski: von Herrn Gerster über Kanzleramtsminister Bohl bis hin zum Bundeskanzler, der einmal nach einem Türkei-Besuch von einer Fünfjahresfrist gesprochen und erklärt hat, man müsse das alles bearbeiten. Das eigentliche Geheimnis, warum Sie in diesem Bereich nichts fertigbringen, ist, daß damit Ihre innere Einheit im Eimer wäre, die Einheit Ihrer Fraktion.
Sie sind wegen des nationalkonservativen Teils Ihrer Partei nicht handlungsfähig. Weil Sie das wissen, bringen Sie nichts auf den Weg.
Für uns bleibt es dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, an das zu erinnern, was der Bundespräsident aus seiner Erfahrung als Regierender Bürgermeister einmal geäußert hat:Nicht nur die Lebenslage der dauerhaft und rechtmäßig hier lebenden Einwohner ohne deutsche Staatsangehörigkeit könnte verbessert werden, wenn wir ihnen den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erleichterten, und sei es neben ihrer bisherigen. Es würde darüber hinaus auch unser Zusammenleben fördern.Diese Aussage ist auch der zentrale Punkt einer von der SPD-Fraktion angestrebten umfassenden, zukunftsorientierten Migrationspolitik, in der Rechtssicherheit vermittelt, Integration gefördert und sozialer Frieden geschaffen werden soll. Gesetzliche und soziale Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß sie allen hier lebenden Menschen gleichberechtigte Perspektiven sowie eine sinnvoll erscheinende Lebensplanung und -führung eröffnen, ist unser Ziel.
Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung gibt es auf Dauer keine Alternative. Ebensowenig gibt es eine Alternative zu der Notwendigkeit, unser aus nationalistischem Erbe stammendes Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz grundlegend zu ändern.Kein Staat kann es auf Dauer hinnehmen, daß ein zahlenmäßig wachsender, bedeutsamer Teil der Bevölkerung über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemeinschaft und außerhalb der Loyalitätspflichten ihm gegenübersteht. Keinem Zuwanderer, der seit 20, 30 oder 40 Jahren in der Bundesrepublik lebt oder als Kind einer Migrantenfamilie in diesem Land geboren wurde, hier aufgewachsen ist, Lebensweisen und Wertvorstellungen der Einheimischen teilt, ist zuzumuten, nach den jetzigen Gesetzen als Ausländer ausgegrenzt zu werden.
In Frankreich, Belgien, Großbritannien und den Niederlanden würde die überwiegende Mehrheit der etwa 1,6 Millionen „Jugendlichen" unter 16 Jahren — das sind ca. 24 % aller Ausländer —, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, als Inländer gelten.In Deutschland sind Ausländer in vielfacher Hinsicht von Rechten und Chancen ausgeschlossen, die deutschen Bürgern im Bereich der staatlichen Mei-
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Gerd Andresnungsbildung zustehen. Vor allem das Wahlrecht war bisher Nichtdeutschen generell und ausnahmslos versagt. Eine Mitwirkung an der Staatswillensbildung war daher nicht möglich. Die Versuche in Hamburg und Schleswig-Holstein, länger hier ansässigen Ausländern auf kommunaler Ebene die politische Mitbestimmung durch Einräumung des Wahlrechts nach einer gewissen Aufenthaltsdauer zu eröffnen, scheiterte am Grundgesetz und der Ablehnung der Regierungskoalition, dem von der SPD in die Verfassungskommission eingebrachten Änderungsantrag für ein kommunales Wahlrecht von Ausländern zuzustimmen.
Das kommunale Wahlrecht für Angehörige von EG-Staaten gemäß den Maastrichter Verträgen kann nun vielleicht als erster Schritt auf dem Weg zu einer politischen Gleichberechtigung verstanden werden. Man könnte die Privilegierung der EG-Staatler aber auch als eine Art von Diskriminierung der übrigen auf Dauer in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, beispielsweise der rund 1,9 Millionen Türken, ansehen. Diesen bleibt nur eine politische Beteiligung im Rahmen der beratend tätigen sogenannten Ausländerbeiräte übrig.Selbstverständlich gibt es kleine Schritte auf dem Weg zu einer umfassenden Migrationspolitik. Ich kann sie hier jetzt nicht alle aufzählen. Wir haben viele davon, auch diejenigen, die Sie hier genannt haben, gegen den erbitterten Widerstand der Union auch in den Asylverhandlungen durchsetzen müssen. Sie sind von uns eingebracht worden. Sie sind nicht sozusagen als freiwillige Morgengabe von Ihnen auf den Weg gebracht worden.
Für das Festhalten an der traditionellen Staatsangehörigkeitskonzeption und der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit bestanden nach Meinung vieler deutscher Bürger wegen der nicht gelösten deutschen Frage bis 1989 gute Gründe. Nach der Wiedervereinigung sind diese rechtlichen und politischen Gründe gegen eine deutlich erleichterte Einbürgerung entfallen.Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat kann nicht nur unter rationalen, staatspolitischen Gesichtspunkten eines Landes betrachtet werden. Es spielen auch emotionale Beweggründe der Betroffenen eine Rolle, wenn außerhalb eines Staatsgebiets lebende Menschen dazu neigen, eine fremde Staatsangehörigkeit nicht anzunehmen oder zumindest zu versuchen, ihre bisherige beizubehalten.Für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Migranten spielte die Frage der Einbürgerung zunächst eine untergeordnete Rolle. Sie wird aber immer wichtiger. In zahlreichen westeuropäischen Ländern wird der doppelten Identität zugewanderter ausländischer Wohnbevölkerung schon lange Rechnung getragen, um ihr hierdurch die Möglichkeit der uneingeschränkten Gleichbehandlung zu eröffnen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das zweite Zusatzprotokoll zum „Übereinkommen über die Vermeidung der Mehrstaatigkeit". Wer sich ansieht, wie sich die Beurteilungen in dieser Hinsicht veränderthaben, muß zugestehen, daß viele unserer europäischen Nachbarländer und Unterzeichnerstaaten auch des Zusatzprotokolls anerkennen, daß ein wichtiger Punkt für die Integration auch die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit ist.
Wir wissen, daß zwei Drittel der Bevölkerung sowohl die verbesserte Einbürgerungsmöglichkeit als auch die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit billigen. Deswegen ist nicht zu verstehen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, warum Sie sich mit fadenscheinigen Argumenten seit Jahren gegen diese Konstruktion und damit auch gegen unseren Gesetzentwurf wehren.
Wie ein Kind, das verstockt im Sandkasten sitzt und erst auf die Mahnung der Mutter hin zuläßt, daß auch andere im Sand spielen können, werden auch Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, nicht umhin kommen, die Mahnung des Europäischen Parlaments zu einer gemeinsamen Migrationspolitik mit einem menschlichen, zukunftsorientierten Staatsangehörigkeitsgesetz zu akzeptieren. Das, was Sie jetzt betreiben, nennt man in der Kindererziehung Bocken.Ich erinnere mich an die Debatte zum Ausländergesetz 1990. Das haben Sie ganz schnell über den Tisch gezogen: wegen zu erwartender veränderter Mehrheitsverhältnisse in Niedersachsen. Wir standen hier und haben Ihnen gesagt: Sie machen das nur, weil Sie sonst im Bundesrat keine Mehrheit mehr für Ihr Gesetz haben. Ich sage Ihnen vorher: Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird die Kraft und die Kompetenz haben, diese Frage im Interesse der hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und im Interesse unserer eigenen Bürgerinnen und Bürger entsprechend zu lösen.Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Belle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Mein Freund Erwin Marschewski hat zu den Gesetzentwürfen umfassend Stellung genommen. Ich will mich daher mit einer dpa-Meldung der letzten Tage beschäftigen. Sie hat nach meinem Eindruck zuwenig Beachtung gefunden.Der türkische Staatspräsident Demirel hat — ich zitiere mit der freundlichen Genehmigung des Präsidenten — „die in Deutschland lebenden rund 1,8 Millionen Türken aufgerufen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen" . Die türkische Staatsbürgerschaft sollten sie aufgeben. Dann bietet er an, die Türkei könne die Wiedereinbürgerung auf Wunsch vereinfachen. Nun wird Staatspräsident Demirel wörtlich zitiert:Für die Ausreise von rund 60 %-70 % der etwa3 Millionen Türken in Europa war ich in den 60erund 70er Jahren verantwortlich, weil ich immer
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Meinrad Belleeine Lobby in Europa haben wollte. Mir geht es nicht um bloße Propaganda für die Türkei, sondern darum, daß die Realitäten in unserem Lande weitab von Vorurteilen und falscher Information gesehen werden.Meine Damen und Herren, diese Meldung, die bei der Fülle täglich auf uns einströmender Nachrichten leicht überlesen werden konnte, lohnt durchaus eine genauere Betrachtung und Analyse. Sie ist nämlich praktisch die Aufforderung, für die Interessen der Türkei — wie auch immer — Partei zu ergreifen, aktiv zu werden, ohne Rücksicht auf den besonderen Status im Gastland und die dadurch gebotene Zurückhaltung.Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur eine tagespolitische Meldung. Sie zeugt von einem tiefgreifenden Unterschied im Verständnis der Staatsangehörigkeit und des Staatsbürgerrechts. Staatspräsident Demirel gibt klar und deutlich zu erkennen, daß er die Frage des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel der möglichen Vertretung der Interessen des türkischen Staates betrachtet. Auf diesem Wege können wir ihm — auch im Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland — nicht folgen.
Unter solchen Umständen können wir auch die doppelte Staatsbürgerschaft nicht generell zulassen. Wer bisher, meine Damen und Herren von der SPD, bei der doppelten Staatsbürgerschaft das Entstehen von Loyalitäts-, von Interessenkonflikten geleugnet hat, muß sich durch solche Meldungen eines Besseren belehren lassen.Gerne will ich anerkennen, Frau Schmalz-Jacobsen und Herr Dr. Hirsch, daß mich ein großer Teil Ihrer Ausführungen in den Koalitionsgesprächen zu diesem Thema beeindruckt hat. Ich vermag Ihnen aber leider nicht ganz zu folgen. Wir alle wissen, daß wir nicht in einer heilen Welt leben. Wir müssen daher nach wie vor mißbräuchliche Anwendungen unseres Staatsbürgerrechtes ausschließen. Deshalb sind wir der Auffassung, daß wirklich jeder, der auf die Dauer hier bei uns leben will, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten will, sich einfügen, sich integrieren muß.
Er muß die Grundwerte unserer Verfassung akzeptieren, die Gleichberechtigung, die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit anerkennen. Die erklärte Bindung an die Bundesrepublik Deutschland muß glaubhaft und nachvollziehbar sein. Unverändert kann daher für uns die Einbürgerung nur am Ende des Integrationsprozesses stehen.Auch ich will noch einmal festhalten, daß wir in den letzten Jahren die Einbürgerungsmöglichkeiten erheblich verbessert haben. Einzelne, auch an mich gestellte Fragen, ob wir bei diesen Einbürgerungserleichterungen nicht schon zu weit gegangen seien, habe ich bisher immer mit einem klaren Nein beantwortet, und ich werde dies auch in Zukunft so tun.Aber ich sehe mich außerstande, weiteren aufweichenden Teillösungen zuzustimmen. Wir brauchen wirklich die Gesamtreform des Staatsangehörigkeitsrechts, und diese Reform muß, neben weiteren Einbürgerungserleichterungen, auch Regelungen für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei dauerndem Wohnsitz im Ausland bzw. dauerhafter Rückkehr in das ursprüngliche Heimatland enthalten.Die Vorarbeiten für diese umfassende Gesamtreform sind so weit gediehen, daß wir sie in der neuen Legislaturperiode zügig in Angriff nehmen können. Ich lehne daher die vorliegenden Gesetzentwürfe ab.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Verlängerungen, die sich im Laufe des Tages ergeben haben und voraussichtlich noch ergeben werden, bedeuten, daß wir aller Voraussicht nach nicht vor Mitternacht mit dem Plenum fertig werden.Die Geschäftsführer sind deswegen — zu Recht, meine ich — bemüht, die Dinge so ökonomisch wie nur irgend möglich zu gestalten. Deswegen erbitte ich mir Ihre Zustimmung, daß ich nach der Abstimmung über diesen Tagesordnungspunkt über die Punkte abstimmen lasse, die zwar zum Teil kontrovers sind, die aber ohne Aussprache beraten werden sollen. Dadurch gewinnen wir Zeit, und anschließend machen wir die Fragestunde. — Das Haus ist offensichtlich mit diesem Vorschlag einverstanden. Dann werde ich so verfahren. Danke schön.Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Erleichterung der Einbürgerung und Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit auf Drucksache 12/4533. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7318 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen.Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf abstimmen. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU, bei unterschiedlichem Stimmverhalten und einigen Enthaltungen in der F.D.P.-Fraktion abgelehnt worden.Die dritte Beratung entfällt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/7424. Wer dem Entschließungsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Für den Vorschlag haben gestimmt: je ein Vertreter der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste. Enthalten hat sich die SPD-Fraktion, und abgelehnt haben ihn die CDU/CSU-und die F.D.P.-Fraktion.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19415
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergWir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrats zur Änderung und Ergänzung des Staatsangehörigkeitsrechts auf Drucksache 12/5684. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7318 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen.Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 12/5684 abstimmen. Wer für diesen Gesetzentwurf ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Für den Bundesratsentwurf hat der Abgeordnete Weiß gestimmt, enthalten hat sich die SPD-Fraktion, und dagegen gestimmt haben — bei unterschiedlichem Stimmverhalten der F.D.P.-Fraktion — die CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion. Damit ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt.Eine weitere Beratung entfällt.Ich komme jetzt, wie angekündigt, zu den Tagesordnungspunkten ohne Aussprache.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 a und 17 c bis 17m sowie Zusatzpunkt 2 a und b auf:17. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom ... über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen— Drucksache 12/7267 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
FinanzausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes— Drucksache 12/7262 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten FinanzausschußAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebaud) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts— Drucksache 12/7263 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnunge) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts
— Drucksache 12/7265 — Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß FinanzausschußAusschuß für Wirtschaftf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes— Drucksache 12/7269 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Post und Telekommunikationg) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation
— Drucksache 12/7270 —ÜberweisungAusschuß für Post und Telekommunikation
InnenausschußRechtsausschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOh) Erste Beratung des von den Abgeordneten Siegfried Hornung, Dr. Hans Stercken, Michael von Schmude, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Hans-Joachim Otto , Ina Albowitz, Gerhart Rudolf Baum, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den deutschen Auslandsrundfunk— Drucksache 12/7401 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Auswärtiger AusschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOi) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
— Drucksache 12/7345 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaftj) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungRaumordnungsbericht 1993— Drucksache 12/6921 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für GesundheitAusschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
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19416 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergk) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Hermann Bachmaier, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKündigung des deutsch-brasilianischen Abkommens über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie— Drucksache 12/6881 — Überweisungsvorschlag :Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Auswärtiger AusschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit1) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Gleichberechtigung vonSchwulen und Lesben in der EG— Drucksache 12/7069 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugendm) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenVeräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert von mehr als 30 Mio. DM;hier: Ehemalige NVA-Kaserne in Zwickau, Werdauer Straße— Drucksache 12/7311 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/7430 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie und SeniorenAusschuß für Frauen und JugendHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungZehnter Bericht nach § 35 Bundesausbildungsförderungsgesetz— Drucksache 12/6605 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie und SeniorenAusschuß für Frauen und JugendHaushaltsausschußEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/7262, das Zweite Gesetz zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes — das ist Tagesordnungspunkt 17c —, soll zusätzlich an den Finanzausschuß und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden.Ist das Haus damit einverstanden? — Weitere Vorschläge wurden nicht gemacht. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 a und 18 d bis q sowie den Zusatzpunkt 3 auf:18. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Umweltstatistiken
— Drucksache 12/6754 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7397 —Berichterstattung:Abgeordnete Erhard Niedenthal Dietmar SchützDr. Jürgen Starnickbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7398 —Berichterstattung:Abgeordnete Helmut Esters Michael von SchmudeDr. Sigrid Hothd) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"- Drucksache 12/6848 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren
— Drucksache 12/7361 —Berichterstattung:Abgeordnete Christel Hanewinckel Herbert Werner
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7362 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Konstanze Wegner
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19417
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberge) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Deutsche Bundesbank— Drucksache 12/6909 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 12/7346 —Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Karl H. Fellbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7355 —Berichterstattung:Abgeordnete Dieter Pützhofen Dr. Wolfgang Weng Helmut Wieczorek (Duisburg)f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Griechischen Republik zur Westeuropäischen Union und über die assoziierte Mitgliedschaft der Republik Island, des Königreichs Norwegen und der Republik Türkei in der Westeuropäischen Union— Drucksache 12/5439 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7385 —Berichterstattung:Abgeordnete Klaus Francke
Karsten D. Voigt
Ulrich Irmerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7386 —Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus RoseDr. Sigrid Hoth Ernst Waltematheg) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze— Drucksache 12/6243 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7277 —Berichterstattung:Abgeordnete Joachim Gres Dr. Eckhard Pickh) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags
— Drucksache 12/6485 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)
— Drucksache 12/7381 —Berichterstattung:Abgeordnete Gerd Wartenberg Michael StübgenWolfgang Lüderi) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen
— Drucksache 12/6476 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 12/7427 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Dr. Walter HitschlerGünter Oesinghausbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7428 —Berichterstattung:Abgeordnete Dieter Pützhofen Dr. Wolfgang Weng Helmut Wieczorek (Duisburg)j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.Aktionsprogramm SOKRATES und LEONARDO— Drucksachen 12/6939, 12/7274 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Siegfried VerginDirk Hansenk) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung einerTeilfläche der ehemaligen WGT-Garnison
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19418 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergin Halle-Heide an das Land Sachsen-Anhalt gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung— Drucksachen 12/6412, 12/7285 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Nils Diederich Adolf Roth (Gießen)Werner Zywietz1) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1992 bei Kapitel 10 02 Titel 656 54 —Zuschüsse zur Sicherung der späteren Altersversorgung als Arbeitnehmer bei Abgabe landwirtschaftlicher Unternehmen
— Drucksachen 12/2590, 12/7286 —Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid HothErnst Kastningm) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung zur Verringerung von Beteiligungen und Liegenschaften des Bundes— Drucksachen 12/6889, 12/7287 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)n) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der von den britischen Streitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnsiedlung in Soest— Drucksachen 12/6879, 12/7288 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Nils Diederich Adolf Roth (Gießen)Werner Zywietzo) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare EinhundertdreiundzwanzigsteVerordnung zur Änderung der Einfuhrliste— Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz— Drucksachen 12/6542, 12/7347 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Elke Leonhard-Schmidp) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungEinunddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 12/6543, 12/7348 —Berichterstattung: Abgeordneter Josef Grünbeckq) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 148 zu Petitionen— Drucksache 12/7335 —ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDFriedliche Lösung des Kurdenproblems — Drucksachen 12/6858, 12/7224 —Berichterstattung:Abgeordnete Friedrich Vogel Karsten D. Voigt (Frankfurt)Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Zu Tagesordnungspunkt 18i — Grenzpendlergesetz — liegen ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Zunächst Tagesordnungspunkt 18a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über Umweltstatistiken auf den Drucksachen 12/6754 und 12/7397.Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat mich gebeten, Ihnen folgende Berichtigung bekanntzugeben. In der Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7397 ist bei Art. 1 § 2 Abs. 2 versehentlich der Satz 2 vergessen worden. Sowohl unter „Entwurf" als auch unter „Beschlüsse des 17. Ausschusses" ist der Satz hinzuzufügen:Die Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzes umfaßt den Acker-, Garten- und Dauerkulturbau.Ich nehme an, daß Sie das alles mitbekommen haben.Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD-Fraktion mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung des Rests des Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 18d: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Änderungsentwurf zum Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder". Er liegt Ihnen auf Drucksache 12/6848 vor. Der Ausschuß für Familie und Senioren empfiehlt auf Drucksache 12/7361, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
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Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von Frau Köppe haben alle übrigen zugestimmt.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen ist der Gesetzentwurf angenommen.Tagesordnungspunkt 18 e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften über die Deutsche Bundesbank. Er liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6909 und 12/7346 vor.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen ist der Gesetzentwurf angenommen.Tagesordnungspunkt 18f: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über den Beitritt der Griechischen Republik zur WEU und über die assoziierte Mitgliedschaft der Republik Island, des Königreichs Norwegen und der Republik Türkei in der WEU. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/5439 vor. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7385, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Offensichtlich keiner. Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 18g: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6243 und 12/7277 vor.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Lesung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18h: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Dubliner Übereinkommen, Drucksache 12/6485. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7381, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zu folgen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.Tagesordnungspunkt 18i: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Grenzpendlergesetzes, Drucksachen 12/6476 und 12/7427. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Dieser liegt Ihnen auf Drucksache 12/7440 vor.Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag abstimmen. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dieser Änderungsantrag ist bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Jetzt lasse ich über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung abstimmen. Wer stimmt dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zu? —Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion und Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.
— Die SPD hat sich zum Teil enthalten und zum Teil dagegen gestimmt. Ich kann das jetzt im einzelnen aufzählen, Herr Kollege.Wie dem auch ist, der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktion angenommen.Wir kommen zurdritte Beratungund Schlußabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei nunmehr geschlossenem Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion und bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Dann haben wir noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu Tagesordnungspunkt 18 i auf Drucksache 12/7433 abzustimmen. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Abgeordneten Köppe ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Tagesordnungspunkt 18j: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zu den Aktionsprogrammen SOKRATES und LEONARDO. Dieser liegt Ihnen auf Drucksache 12/7274 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6939 anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Abgeordnete Frau Köppe hat sich enthalten. Ansonsten ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
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19420 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergTagesordnungspunkt 18k: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung eines bundeseigenen Grundstückes in Sachsen-Anhalt. Dies liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6412 und 12/7285 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Abgeordneten Frau Köppe einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 181: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe im Haushaltsjahr 1992, Drucksachen 12/2590 und 12/7286. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie eben angenommen.Tagesordnungspunkt 18m: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Bericht der Bundesregierung zur Verringerung von Beteiligungen und Liegenschaften des Bundes. Dies liegt Ihnen vor auf den Drucksachen 12/6889 und 12/7287. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einstimmig angenommen *).Tagesordnungspunkt 18n: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung einer bundeseigenen Wohnsiedlung in Soest, Drucksachen 12/6879 und 12/7288. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Abgeordneten Frau Köppe einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 18 o: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Einfuhrliste, Drucksachen 12/6542 und 12/7347. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.Tagesordnungspunkt 18p: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung, Drucksachen 12/6543 und 12/7348. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —Mit denselben Mehrheitsverhältnissen wie eben angenommen.Tagesordnungspunkt 18 q: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/7335. Das ist die Sammelübersicht 148. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN angenommen.Zusatzpunkt 3: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer friedlichen Lösung des Kurdenproblems, Drucksachen 12/6858 und 12/7224. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Abgeordneten Köppe angenommen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der Tagesordnungspunkte, über die ohne Debatte beraten wird.Wir kommen jetzt zur Fragestunde. Dazu übergebe ich den Vorsitz an den Kollegen Becker.*) Erklärung nach § 31 GO siehe Anlage 2
Meine Damen und Herren, wie Herr Vizepräsident Cronenberg schon angekündigt hat, kommen wir jetzt zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
— Drucksache 12/7356 —
Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.
Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Bernd Schmidbauer zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 der Frau Abgeordneten Ingrid Köppe auf:
Welchen Inhalt hatten das von dem iranischen Minister Fallahian anläßlich seiner Unterredungen Anfang Oktober 1993 mit dem Staatsminister im Bundeskanzleramt, Bernd Schmidbauer — ausweislich eines Protokollvermerks des Bundeskanzleramtes hierüber —, vorgetragene „Paket" von „Maximalforderungen" sowie die von Staatsminister Bernd Schmidbauer daraufhin angeregten Maßnahmen zur „politischen Schadensbegrenzung" nach dem „Mykonos"-Attentat, und welche dieser wechselseitigen Vorschläge sind inzwischen realisiert worden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin, zum Inhalt des „Pakets" von „Maximalforderungen" gehörte u. a. auch, daß von deutscher Seite auf den Mykonos-Prozeß eingewirkt werden sollte. Darüber hinaus gibt die Bundesregierung, wie ich schon mehrfach gesagt habe, keine öffentlichen Erklärungen über den Inhalt der Gespräche ab, damit deren zentraler Zweck, nämlich die Lösung konkreter humanitärer Härtefälle, nicht gefährdet wird.
Die Parlamentarische Kontrollkommission ist von mir über Verlauf und Inhalt der Gespräche im einzelnen unterrichtet worden und hat den Grund, warum ich diese Gespräche geführt habe, ausdrücklich unterstützt.
Im übrigen steht in dem Protokollvermerk, den Sie ja insoweit genau kennen, ganz eindeutig, in welchem Sinne ich die iranische Seite zur politischen Schadensbegrenzung aufgefordert habe. Diese Aufforderung ist so einfach zu verstehen, daß ich mich über Ihre Frage in dieser Weise nur wundern kann.
Frau Kollegin Köppe.
Sie haben noch nicht den zweiten Teil der Frage beantwortet, der da lautete: Welche dieser wechselseitigen Vorschläge sind inzwischen realisiert worden?Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Liebe Frau Köppe, es war wieder so eindeutig, daß ich mich wieder nur wundern kann, in welcher Weise Sie insistieren, wenn ich Ihnen deutlich sage, daß die Parlamentarische Kontrollkommission im einzelnen und detailliert informiert wurde, ich auch jederzeit für Gespräche zur Verfügung stehe, wenn es um Punkte geht, die vielleicht nicht klar sein sollten, ich aber in der Öffentlichkeit über dieses Paket aus gutem Grund keine Antworten geben kann. Ich habe hier in der Fragestunde und auch zu einem anderen Zeitpunkt
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Staatsminister Bernd Schmidbauerwiederholt betont, daß es Möglichkeiten gibt, sich hier zu informieren.Ich will auch nicht verschweigen, daß ich es sehr begrüße — es hat mir auch sehr gutgetan in dieser Phase —, daß alle Fraktionen, die in der PKK vertreten sind, dies verstanden und gebilligt haben. Sicher besteht auch für Sie die Möglichkeit, sich im einzelnen zu informieren.
Frau Kollegin Köppe.
In welchem Zusammenhang mit den Gesprächen bzw. Nongesprächen einerseits mit Fallahian sowie andererseits mit der iranischen Parlamentarierdelegation unter Leitung eines Mitglieds des Nationalen Sicherheitsrates des Iran im Januar 1994 stehen denn dann folgende, wie ich meine, auffällige Entgegenkommen der Bundesregierung gegenüber dem Iran, nämlich erstens die Entfernung eines einschlägigen BND-Vermerks aus den Mykonos-Ermittlungsakten auf Veranlassung des Bundeskanzleramtes und zweitens die Beiordnung zweier Pflichtverteidiger für den im Mykonos-Verfahren angeklagten Amin, welche nach einer Meldung der iranischen Zeitung KAR vom November 1993 mit dem BND bzw. dem Verfassungsschutz verbunden sein sollen?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich bin hier der völlig falsche Ansprechpartner. Das Verfahren liegt in Berlin bei der Generalbundesanwaltschaft und dem zuständigen Gericht. Die Begründung zu dem einen Vermerk, den Sie heranziehen, ist in diesem Verfahren gegeben worden. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie eindeutig gegeben worden. Es sollte kein Sachinhalt unterschlagen werden, wie Sie das unterstellen, sondern es ging und geht hier einzig und allein — das können das Gericht und auch die zuständigen Ermittlungsbehörden beurteilen — um den Schutz einer Quelle.
Jetzt kommen wir zur Frage 4 der Frau Abgeordneten Köppe:
Wann wird der Staatsminister im Bundeskanzleramt Bernd Schmidbauer — auch unter Berücksichtigung des Rücktritts seines Amtsvorgängers Ende 1991 aufgrund unzutreffender Auskünfte gegenüber dem Deutschen Bundestag — die gebotenen Konsequenzen aus dem Umstand ziehen, daß er auf mehrfache Anfragen im Deutschen Bundestag, ob die geführten Unterredungen mit dem iranischen Minister Fallahian im Oktober 1993 sich auch auf den „Mykonos"-Prozeß bezogen hätten, unzutreffend geantwortet hat? *)
Bitte, Herr Staatsminister.
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Daß Sie, Frau Kollegin Köppe, mir trotz meiner klaren, unzweideutigen Antwort auf Ihre schon in der vergangenen Woche gestellte Frage den Vorwurf machen, auf Ihre Anfragen im Bundestag unzutreffend geantwortet zu haben, läßt mich an der Fähigkeit zum richtigen Verständnis meiner Antwort sehr zweifeln. In eindeutiger, klarer Weise habe ich Ihnen diese Antwort
*) Nach Auffassung von Präsidium und Ältestenrat war diese Frage nicht zulässig, weil sie ehrenrührige Unterstellungen enthält.
gegeben. Ich erspare mir deshalb auch die Wiederholung dieser Antwort. Sie ist mittlerweile veröffentlicht.
Ich gehe auch nicht näher auf Ihren menschlich fragwürdigen Versuch ein, bei dieser Gelegenheit die Erinnerung an einen verstorbenen Kollegen, der sich große Verdienste um unser Land erworben hat, ins Negative zu ziehen. Dabei wissen Sie als Mitglied des 1. Untersuchungsausschusses doch ganz genau um die Hintergründe der damaligen Vorgänge und hätten deshalb nicht zu dieser Aussage kommen dürfen.
Aus meiner Antwort von voriger Woche ist mit aller nur wünschenswerten Klarheit zu erkennen, daß ich den Versuch, den Mykonos-Prozeß zum Gegenstand des Gesprächs zu machen, kategorisch unterbunden habe. Daran können Sie auch durch noch so viele weitere Variationen bei der Formulierung Ihrer Fragen nichts ändern. All diejenigen, die den normalen Sprachgebrauch in der Politik verstehen, haben, glaube ich, auch sehr gut verstanden, was ich dazu gesagt habe.
Frau Kollegin Köppe.
Herr Schmidbauer, Sie haben in der Vergangenheit hier im Parlament erklärt, Fallahians Besuch habe nicht mit den Ermittlungen zum Fall Mykonos — ich zitiere — im Zusammenhang gestanden. Dann haben Sie weiterhin erklärt, das Mykonos-Verfahren habe — ich zitiere — keinen Gegenstand dieser Gespräche gebildet. Darüber hinaus haben Sie auf die Frage des Abgeordneten Gansel formuliert — ich zitiere —: „Die Gespräche mit Minister Fallahian ... standen in keinem Zusammenhang mit dem Fall Mykonos."
Wie wir inzwischen wissen, haben Sie bei diesen Gesprächen natürlich mit Fallahian über den Fall Mykonos gesprochen. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie tatsächlich der Auffassung, daß solcherlei semantische Spitzfindigkeiten, wie Sie sie hier vortragen, den sich aufdrängenden Eindruck beseitigen können, daß Sie gegenüber dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit gesagt haben?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich wehre mich ganz entschieden gegen diese Unterstellungen am laufenden Band im Plenum des Deutschen Bundestages. Die PKK hat lückenlos die Protokollvermerke eingesehen und hat lückenlos gesehen, was Gegenstand der Verhandlungen war und was nicht. Wenn irgendein Gesprächspartner den Wunsch hat, etwas zu besprechen und dieser Wunsch abgelehnt wird, dann können Sie nicht behaupten, daß darüber gesprochen wurde.
Ich sage noch einmal: Es ist ein skandalöser Vorgang, mir dies zu unterstellen. Ich stehe zu jedem Satz in der Fragestunde und zu meinen Äußerungen in diesem Plenum. Was Sie hier nicht nur einem verstorben Kollegen, sondern auch mir zu unterstellen versuchen, geht an die Grenze des Machbaren.
Frau Kollegin Köppe, noch eine Zusatzfrage.
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Aber Sie sind doch, inzwischen jedenfalls, bereit zuzugeben, daß über den Wunsch von Fallahian, nämlich das Mykonos-Verfahren niederzuschlagen, bei diesem Gespräch am 7. Oktober 1993 gesprochen wurde?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich bin überhaupt nicht bereit, Ihnen etwas zuzugestehen, wenn Sie in Ihren Fragestellungen ständig Unterstellungen vorbringen.
Nehmen Sie zur Kenntnis — Sie haben selbst das Protokoll; ich zitiere jetzt aus diesem Protokoll —: „Staatsminister lehnt weitere Verhandlungen auf der Grundlage ... ab." Es geht dann weiter: „Staatsminister — —
— Ich bitte Sie doch inständig, einmal zur Kenntnis zu nehmen: Wenn ein Gesprächspartner einen Wunsch hat und der Wunsch sofort abgelehnt wird, dann gibt es keine Gespräche darüber, keine Verhandlungen, sondern da gibt es ein miserables Ergebnis der Gespräche, wie sich herausgestellt hat. Das ist Ihnen übrigens sehr geläufig; denn Sie zitieren aus diesem Protokoll, das von mir persönlich dem Gericht übergeben wurde.
Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, hier solche Unterstellungen vorzutragen.
Ich habe Ihnen noch einmal gesagt: Ich verbitte mir diese Unterstellungen in diesem Parlament. Ich bin auch Angehöriger dieses Parlaments und weiß, wie ich mit dem Parlament umzugehen habe. Ich bin bislang mit Sicherheit auch dafür bekannt, daß ich immer einen Ausgleich suche und, wenn offene Fragen sind, gern bereit bin, auch mit oppositionellen Mitgliedern dieses Hauses zu sprechen.
Suchen Sie das Gespräch, aber versuchen Sie nicht, in der Öffentlichkeit einen solchen Eindruck zu erwecken, und zwar mit allen Möglichkeiten, die offensichtlich genutzt werden, auch wenn ich an bestimmte Pressemitteilungen in dieser Woche denke. Es ist eine Unterstellung, die Sie hier vortragen. Es sind keine Fragen, die eine solide Grundlage hergeben.
Im übrigen: Ziehen Sie bitte nicht die Kollegen einer anderen Fraktion als Beispiel heran. Diese Kollegen wissen, wovon sie reden, sie wissen auch, welche Fragen sie gestellt und welche Antworten sie bekommen haben. Ich will Ihnen noch einmal deutlich sagen: Auch mit diesen Kollegen gab es ausführliche und längere Gespräche im Rahmen der Parlamentarischen Kontrollkommission.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne die Auseinandersetzungen und die vorangegangenen Fragestunden nicht, nicht die Fragen und nicht die Antworten, aber auf eines will ich aufmerksam machen: Wir haben eine Geschäftsordnung. In dieser Geschäftsordnung steht in Anlage 4:
Die Fragen müssen kurz gefaßt sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen. Sie dürfen keine unsachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten. Jede Frage darf in zwei Unterfragen unterteilt sein.
Ich sage nur allgemein, welche Geschäftsgrundlage wir haben. Den Fall selbst kann ich nicht beurteilen.
Herr Staatsminister, herzlichen Dank für Ihre Anwesenheit und die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 9 unseres Kollegen Friedhelm Julius Beucher auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen oder was hat sie bereits unternommen, um die Einreise deutscher Neonazis nach Südafrika, die die Ausübung eines Anschlages auf Nelson Mandela zum Ziel haben, zu verhindern?
Bitte, Herr Staatsminister.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß einzelne deutsche Rechtsextremisten in Südafrika Aktivitäten entfalten. Es liegen jedoch keine konkreten Anhaltspunkte vor, daß deutsche rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzeltäter einen Anschlag auf Nelson Mandela planen. Unabhängig von der Visafreiheit für Reisen Deutscher nach Südafrika kann die Bundesregierung wegen der Freizügigkeit Ausreisen nach Südafrika nicht verhindern, solange keine konkreten Hinweise für denkbare strafrechtlich relevante Handlungen vorliegen.
Herr Kollege Beucher, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen in diesem Zusammenhang bekannt, daß Herr Busse, der Vorsitzende der FAP, in einer Fernsehsendung am 6. April 1994 geäußert hat, daß der Gewalt von Herrn Mandela notfalls auch mit deutscher Gewalt begegnet werden müsse?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich pflege nicht alle Äußerungen, die im deutschen Fernsehen gemacht werden, zu verfolgen, vor allem nicht die Aussagen von Leuten, die überhaupt keine Bedeutung haben. Ich glaube, wir sollten Äußerungen einzelner Figuren, die sich der rechtsradikalen Szene zuordnen, nicht so bedeutend machen, daß wir sie hier zum Gegenstand unserer Diskussion erheben.
Ich glaube nicht, daß wir uns den Vorwurf machen können, irgendwelche Aktivitäten von Rechtsextremisten in Südafrika zu unterstützen oder leichtfertig nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind gerade im Hinblick auf die Vorbereitung dieser Wahlen im Sinne derer sehr aktiv geworden, die sich zur Wahl stellen, auch im Sinne von Nelson Mandela.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Brecht, bitte.
Herr Staatsminister, sind Ihnen Verbindungen zwischen der deutschen rechts-
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Dr. Eberhard Brechtextremen Szene und den südafrikanischen Rechtsextremisten bekannt, und würde es sich vor solch einem Hintergrund nicht anbieten, die Reisetätigkeit von Rechtsradikalen durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen?Helmut Schäfer, Staatsminister: Es ist natürlich ungemein schwierig, die Reisetätigkeiten aller der rechten Szene im weitestgehenden Sinne zuzuordnenden Personen nach Südafrika zu verfolgen. Sie müßten dann schon vorher in der Lage sein, alle diese möglicherweise Reisenden ständig zu überwachen. Dies ist gar nicht möglich.Wir sind darüber informiert, daß es in Publikationen deutscher Rechtsextremisten — wie bei solchen Äußerungen, die der Kollege Beucher genannt hat —gelegentlich Zustimmung zum politischen Vorgehen der dortigen Rechtsextremen, der weißen radikalen Szene gegeben hat. Es gab wohl auch Kontakte einzelner. Wir wissen ja, daß Deutsche im März bei einem Schußwechsel verhaftet worden sind. Aber man kann auch nicht in allen Fällen, wo Sympathie für den Rechtsextremismus in Südafrika zum Ausdruck gebracht wird, davon ausgehen, daß dies immer die rechtsextreme Szene ist. Es gibt auch in Südafrika selbst Abenteurer, Söldner, Figuren, die sich in dieser Gegend schon lange herumtreiben, so daß es sehr, sehr schwer sein würde, alle diejenigen, die Sympathien für den Rechtsextremismus in Südafrika haben, zu überwachen oder bei ihrer Reisetätigkeit so zu kontrollieren, daß wir völlig ausschließen können, daß einer von ihnen dorthin fährt.
Zusatzfrage des Kollegen Klaus Kübler.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung die Absicht, diese Frage in der Zukunft mit der südafrikanischen Regierung intensiv zu besprechen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Solange es sich nicht um intensive Bemühungen von wirklich bedeutenden Kräften in Deutschland handelt, haben wir nicht die Absicht, mit der südafrikanischen Regierung darüber zu sprechen. Eher käme wohl die südafrikanische Regierung auf uns zu, wenn tatsächlich die Gefahr bestünde, daß sich deutsche Rechtsextreme in großem Umfang oder in gefährlicher Weise mit Rechtsextremen in Südafrika verbinden. Aber Sie können sicher sein, daß wir im Kontakt mit der südafrikanischen Regierung darauf achten werden, daß eine solche Entwicklung nicht eintritt.
Nunmehr rufe ich die Frage 10 unseres Kollegen Friedhelm Julius Beucher auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen oder hat sie bereits unternommen, um ihre Erkenntnisse über Aktionen und Aufenthalt deutscher Rechtsradikaler in Südafrika an die für die Sicherheit Nelson Mandelas und weiterer gefährdeter Personen zuständigen südafrikanischen Stellen weiterzugeben?
Bitte, Herr Staatsminister.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Beucher, die Bundesregierung nimmt die kürzlichen Vorfälle in Südafrika ernst und beobachtet die weitere Entwicklung der Situation sorgfältig. Es ist sichergestellt, daß etwaige Erkenntnisse über geplante Aktionen deutscher Rechtsextremisten unverzüglich den zuständigen südafrikanischen Sicherheitsbehörden und damit auch den für den Personenschutz von Nelson Mandela und anderen möglicherweise gefährdeten Personen Zuständigen weitergeleitet werden.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Keine weiteren Zusatzfragen.Die Frage 11 unseres Kollegen Claus Jäger soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Somit kommen wir zu Frage 12 unseres Kollegen Dr. Klaus Kübler:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, einen Beitrag gemeinsam mit anderen europäischen Staaten zu einer politischen Lösung in Ruanda, einem Land, mit dem Deutschland historisch und aktuell eng verbunden ist, zu leisten, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für humanitäre Hilfsaktionen in Ruanda?Bitte, Herr Staatsminister.Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung betrachtet die seit dem 6. April in Ruanda anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit großer Sorge. Die Bundesregierung hat daher, zunächst im Rahmen humanitärer Soforthilfemaßnahmen, verschiedenen Hilfsorganisationen bisher insgesamt 1,45 Millionen DM für die notleidende ruandische Bevölkerung zur Verfügung gestellt; im einzelnen dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes 500 000 DM zur Versorgung und Evakuierung von Verletzten, dem Deutschen Caritasverband 350 000 DM zum Ankauf und Transport von Medikamenten, dem Malteser-Hilfsdienst 292 000 DM für die medizinische Notversorgung in Ruanda lebender burundischer Flüchtlinge und schließlich dem Deutschen Roten Kreuz 308 000 DM für allgemeine Hilfsmaßnahmen in Ruanda.Die Bundesregierung begrüßt die regionalen Bemühungen zur Konfliktlösung und unterstützt im Rahmen der Europäischen Union die Initiative des tansanischen Präsidenten zu einem Treffen zwischen der Ruandischen Patriotischen Front und der provisorischen ruandischen Übergangsregierung in Arusha. Die für den 23./24. April 1994 vorgesehene erste Gesprächsrunde dort, an der auch der deutsche Botschafter in Daressalam als Beobachter teilnehmen sollte, kam wegen Nichterscheinens der ruandischen Regierungsdelegation nicht zustande. Präsident Mwinyi von Tansania setzt seine Bemühungen um eine Lösung des Konfliktes in diesem Sinne fort.Die EU hat in zwei öffentlichen Erklärungen vom 12. April 1994, 18. April 1994 und einem gemeinsamen Kommunique vom 25. April 1994 die gewaltsamen Ausschreitungen in Ruanda verurteilt und die Verantwortlichen aufgefordert, auf der Basis des Arusha-Friedensvertrages nach einer politischen Lösung des Konflikts zu suchen. Möglichkeiten weiterer humanitärer Hilfsmaßnahmen werden in enger
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19424 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Staatsminister Helmut SchäferAbstimmung mit den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen geprüft. Die Lage vor Ort macht es allerdings sehr schwierig, die Hilfsgüter zu den notleidenden Menschen zu bringen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Klaus Kübler.
Herr Staatsminister, wir gehen wohl übereinstimmend davon aus, daß es sich hier um einen Völkermord handelt. Ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, ob nicht auch ein öffentlicher Appell des Bundeskanzlers — es gab ja verschiedene öffentliche Appelle von verantwortlichen Persönlichkeiten — hier eine gewisse Funktion haben könnte? Ist die Bundesregierung deshalb bereit, zu prüfen, ob sich auch der Bundeskanzler in der Form äußert und ob er dazu auffordert, diesen Völkermord zu beenden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesaußenminister hat einen solchen Appell an die kämpfenden Parteien in Ruanda gerichtet. Aber gestatten Sie mir, als ein — wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen — erfahrener Außenpolitiker zu sagen, daß Appelle in einer Situation, in der im Busch gekämpft wird, nur sehr schwer vermittelbar sind.
Ich glaube, wir sollten vor allem darauf setzen, daß jetzt tatsächlich die Nachbarstaaten — insbesondere der tansanische Präsident, der sehr bemüht ist; der deutsche Botschafter wirkt ja mit — von uns unterstützt werden, damit es zu Gesprächen zwischen den sich befehdenden beiden Parteien — im wesentlichen sind das die Regierung und die Rebellen — kommt.
Ich glaube, daß man auch seitens der Vereinten Nationen alles tun muß — wir sind gerne bereit, auch solche Appelle zu machen —, damit die schreckliche, grauenhafte Kampftätigkeit eingestellt wird, die inzwischen schon zu Zehntausenden von Toten geführt hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kübler.
Ich gehe davon aus, daß der Bundesregierung bekannt ist, daß Anfang nächster Woche der Übergangsaußenminister — oder wie immer man das nennen mag — der bisherigen mandischen Regierungsseite hier ist. Kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten ausschöpft, um auch auf ihn Druck auszuüben? Natürlich ist Ihnen und mir bewußt, wie relativ Appelle sind. Gleichwohl scheinen sie möglicherweise nicht ganz überflüssig zu sein.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, alles was wir tun können, tun wir. Wenn der ruandische Außenminister kommt — mir ist das zwar schon angedeutet worden, aber wir sind noch nicht ganz sicher, ob es denn auch eintreten wird —, dann werden wir natürlich auch ihm sagen — verstehen Sie das auch als Appell! —, daß er und seine Partei alles tun müssen, um diesen grauenhaften Auseinandersetzungen ein Ende zu bereiten, d. h. daß sie vor allen Dingen auch bereit sein müssen, sich mit der anderen Seite, den Rebellen, zu treffen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Eberhard Brecht.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, im Innern des Landes überhaupt zu helfen? Wenn dies sehr schwierig sein sollte: Meinen Sie, daß eine solche humanitäre Hilfe über die verbliebenen UNAMIR-
Truppen in Ruanda möglich sein könnte?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Zunächst sehen wir unsere Hilfe, wie ich bereits ausgeführt habe, vor allen Dingen darin, daß wir Mittel zur Verfügung stellen, um den in Ruanda weiter tätigen humanitären Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz, Malteser-Hilfsdienst, Caritas die Möglichkeit zu geben, diese Hilfsmittel der betroffenen Bevölkerung zu bringen, was sicherlich sehr schwierig ist, insbesondere in Gegenden, wo noch gekämpft wird. Unmittelbar durch uns selber wird das vorläufig nicht möglich sein.
Sie wissen, daß auch die Angehörigen der deutschen Botschaft Ruanda wegen der Gefahrensituation verlassen mußten und daß nur insgesamt, wenn ich recht sehe, noch 13 Deutsche in Ruanda geblieben sind — auf eigenen Wunsch —, so daß wir im Moment kaum eine Möglichkeit haben, als Bundesregierung direkt tätig zu werden. Aber das geschieht über die humanitären Hilfsorganisationen und, sobald es möglich ist — wenn die deutsche Botschaft wieder arbeiten kann —, sicher auch direkt.
Meine Damen und Herren, die Frage 13 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard-Schmid soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Damit sind wir mit den Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen fertig. Wir bedanken uns, Herr Staatsminister, daß Sie da waren.Nun rufe ich als letzten Fragenkomplex den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Klinkert zur Verfügung.Die Fragen 50 und 51 der Frau Abgeordneten Ina Albowitz sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Da unser Kollege Karl Diller im Moment nicht anwesend ist, bitte ich Sie, Herr Staatssekretär, damit einverstanden zu sein, daß ich jetzt die Frage 53 des Kollegen Dr. Klaus Kübler aufrufe:Wie beurteilt die Bundesregierung die konkreten Ergebnisse der am 21. und 22. April 1994 von der IAEO durchgeführten Tschernobyl-Sonderkonferenz, und in welcher Weise wird sie sich an der Umsetzung der Ergebnisse beteiligen?
— Herr Kollege Kübler, Sie können es auch von da aus machen; nicht von der Regierungsbank, daneben.
Bitte sehr.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19425
Ziel der Tschernobyl-Sonderkonferenz der IAEO am 21. und 22. April 1994 in Wien war es, über die Ergebnisse der IAEO-Mission vom 7. bis 18. März dieses Jahres zu berichten und diese mit Vertretern der Ukraine und Rußlands sowie westlicher Staaten zu erörtern.
Die Diskussion hat die besorgniserregende Situation am Standort Tschernobyl bestätigt. Zugleich haben die Vertreter der ukrainischen Regierung erklärt, daß aus ihrer Sicht die Energieversorgungslage der Ukraine ein Abschalten der Blöcke 1 und 3 derzeit nicht erlaube und gegebenenfalls auch Block 2, der seit dem Turbinenbrand im Oktober 1991 stillsteht, wieder in Betrieb genommen werden müsse.
Die Ergebnisse der Konferenz werden in den laufenden Prozeß der G-7-Verhandlungen für den Wirtschaftsgipfel in Neapel einfließen, um dort zu einer gemeinsamen Meinungsbildung zu kommen.
Die Bundesregierung sieht sich durch die Ergebnisse der Sonderkonferenz in ihrer Auffassung bestätigt, daß die Blöcke 1 und 3 schnellstmöglich abgeschaltet werden müßten und eine Wiederinbetriebnahme von Block 2 vermieden werden müsse.
Sie wird diesen Standpunkt in den internationalen Gremien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, vertreten.
Die Sonderkonferenz hat zugleich auch die problematische Situation des verunglückten Reaktors Block 4, des sogenannten Sarkophags, bestätigt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es dringend erforderlich, ein tragfähiges Konzept für die Sanierung des Sarkophags zu entwickeln. Dabei wird es darauf ankommen, schrittweise Lösungsansätze gemeinsam mit den zuständigen ukrainischen Behörden zu entwickeln. Die Bundesregierung wird die ukrainischen Behörden sowohl bilateral als auch im Rahmen des TACIS-Programms der Europäischen Union unterstützen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Klaus Kübler. Bitte.
Ist die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, bereit, Überlegungen anzustellen, wenn sie bei ihren Verhandlungen und Unterredungen mit der Ukraine im Gespräch ist, nun nicht konditional, aber zumindest überhaupt zu sagen, daß die Bundesrepublik ein so elementares Interesse an dieser Sicherheitsfrage hat, daß man dies nicht losgelöst von allgemeinen Fragen der Unterstützung für die Ukraine sehen kann, und daß die Bundesregierung, wenn sie die Ukraine in erheblichem Maße unterstützt, auch von seiten der Ukraine ein Entgegenkommen in der Tschernobyl-Frage erwartet?
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist mit der Regierung der Ukraine im permanenten Gespräch über die Verbesserung der Reaktorsicherheit und speziell über das Abschalten des Kernkraftwerkes Tschernobyl. Im übrigen entspricht es aber der Politik der Bundesregierung, zu versuchen zu helfen und nicht zu bestrafen.
Noch eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kübler. Bitte.
Die Frage des Bestrafens würde ich so nicht sehen. Ich würde ebenfalls sagen: Man muß dieses der anderen Seite nicht in den Mund legen. Ich glaube, es ist auch die Sicherheit der Bundesrepublik von den Gefahren in Tschernobyl so essentiell betroffen, daß in meinen Augen die Bundesrepublik in der Tat alle Möglichkeiten ausschöpfen muß, daß es zu einer Stillegung kommt, und dazu gehört auch diese Überlegung.
Ich bitte nochmal die Bundesregierung — ich wäre eigentlich für eine positivere Antwort dankbar —, daß sie versucht, alle Möglichkeiten einschließlich dieser auszuschöpfen.
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kühler, ich glaube, daß ein restriktives Vorgehen der Bundesregierung und gar ein wirtschaftlicher Druck sich eher ins Gegenteil umkehren würden, weil dann die Regierung der Ukraine um so länger gezwungen wäre, mit diesem maroden Kraftwerk auszukommen.
Im übrigen gebe ich Ihnen recht, daß wir alle diplomatischen Mittel nutzen sollten, um der Ukraine hier zu helfen und auch Wege aus dieser Krise aufzeigen zu können.
Meine Damen und Herren, ich rufe die letzte Frage in der Fragestunde auf. Es handelt sich um die Frage 52 des Abgeordneten Karl Diller:Treffen die von Greenpeace gegenüber der Presse behaupteten Fakten, wie: jährlich rollen durch Trier 40 Bahntransporte mit Atommüll, teils mit relativ gering radioaktiven Brennelementen für Atomkraftwerke, teils mit hoch radioaktiven abgebrannten Brennelementen, teils mit Uranhexafluorid in jeweils lächerlich schwach geschützten Behältern, die weder einem Zusammenstoß bei 50 km/h noch einem Feuer mit einer Hitzeentwicklung von 800° standhalten, so daß ein Unglück im Stadtbereich von Trier dazu zwinge, möglichst schnell die ganze Stadt zu evakuieren, nach Kenntnis der Bundesregierung zu, oder wie ist jeweils der tatsächliche Sachverhalt?Bitte, Herr Staatssekretär.Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Die von Ihnen zitierten Pressebehauptungen treffen bezüglich der Schutzeigenschaften der Behälter und bezüglich eventueller Evakuierungen nicht zu.Auf dem Streckenabschnitt Perl-Apach — Grenzübergang zwischen den französischen Staatsbahnen und der Deutschen Bahn AG — bis Rangierbahnhof Trier-Ehrang finden im Jahr ca. 40 Schienentransporte mit radioaktiven Stoffen, z. B. bestrahlte Brennelemente, Uranhexafluorid, statt.Auf diesem Streckenabschnitt werden keine unbestrahlten Brennelemente mit Schienenfahrzeugen befördert. Für den Transport von radioaktiven Stoffen mit entsprechend hohem Aktivitätsinventar dürfen nur unfallsichere Transportbehälter verwendet werden, sogenannte Typ-B-Behälter, die einem Zusammenstoß mit größerer Geschwindigkeit als 50 km/h und den bei Transportunfällen zu erwartenden Brandbelastungen einschließlich des genannten Feuers standhalten können.
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19426 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Parl. Staatssekretär Ulrich KlinkertDies gilt auch für die Beförderung von mit Uran-235 angereichertem Uranhexafluorid. Für Transporte von Uranhexafluorid mit natürlicher Isotopenzusammensetzung ist die Verwendung von Typ-B-Behältern nicht notwendig, weil auf Grund des geringen radiologischen Gefährdungspotentials keine signifikante radiologische Gefährdung des Transportpersonals bzw. der Umgebungsbevölkerung bei einem Unfall zu befürchten ist.Es ist nicht zu erwarten, daß bei einem Transportunglück im Stadtbereich von Trier Evakuierungen erforderlich wären.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Karl Diller.
Herr Staatssekretär, vorausschikkend, daß ich das Hin- und Herfahren von atomaren Brennelementen und Müll nicht billige, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß Ihre Antwort kein Grund zur Beruhigung ist, sondern zur Beunruhigung. Denn Ihre Abteilung sieht das Ganze unter atomrechtlichen Gesichtspunkten.
Sie haben zugegeben, daß abgereichertes Uranhexafluorid in Behältern des Typs A transportiert wird. Typ-A-Behälter sind aber nicht gegen Unfälle geschützt, zumindest nicht in dem Maße wie die Behälter des Typ B. Das bedeutet im Falle eines Unfalls, daß dieses abgereicherte Uranhexafluorid an die Luft treten kann.
Wenn es an die Luft tritt, bildet es Flußsäure und andere ätzende Verbindungen, was nach einem Gutachten, das für die Stadt Saarbrücken von einem Professor Noack erstellt worden ist, bedeutet, daß in einem Umkreis von bis zu 600 Metern je nach Windrichtung bis zu 1 000 Todesfälle durch Verätzung der Atemwege eintreten können.
Ich frage Sie angesichts dieser Tatsachen: Ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, daß aus diesen Gründen künftig auch abgereichertes Uranhexafluorid in den sichereren Behältern des Typ B transportiert werden soll?
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Kollege Diller, bei nichtangereichertem Uranhexafluorid handelt es sich in der Tat um eine Substanz, die bei Austreten an die Luft zu Reaktionen führt, die auch schwere Störungen hervorrufen können.
In diesem Zusammenhang unterliegt aber diese Substanz ähnlichen Voraussetzungen wie die Transporte von anderen chemischen Substanzen. Ich erinnere hier an Ammoniak- oder Chlortransporte. Für diese Transporte gelten einschlägige Sicherheitsvorschriften, die natürlich auch für den Transport von Uranhexafluorid gelten. So gesehen bildet das Material Uranhexafluorid in nichtangereicherter Form keine Ausnahme beim Transport von gefährlichen Stoffen.
Ich erwähnte, daß alle übrigen Maßnahmen, die für den Transport von gefährlichen Stoffen einzuhalten sind, auch beim Transport einschließlich der Behälter von Uranhexafluorid in nichtangereicherter Form eingehalten werden müssen.
Meine Damen und Herren, ich muß Sie noch einmal auf das aufmerksam machen, was ich soeben aus der Geschäftsordnung zitiert habe. In der Fragestunde müssen die Fragen kurz gestellt werden und eine kurze Antwort ermöglichen.
Wir neigen'— viele jedenfalls — dazu, Vorträge dazu zu halten, und fordern natürlich die Regierung auf, daß sie auch Vorträge hält. Ich erinnere noch einmal an die Regeln der Geschäftsordnung: kurze Fragen, kurze Antworten.
Bitte, Kollege Diller. Bitte, Kollege Karl Diller.
Vielen Dank, Herr Präsident. Da auch bituminierte mittelaktive Abfälle auf ihrem Rückweg von der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague durch Trier gefahren werden, möchte ich Sie wegen der Gefahr eines Brandes — sie werden in Typ-A-Behältern transportiert — dringend bitten zu prüfen, ob man sie nicht in Typ-B-Behältern fahren soll; denn im Falle eines Brandes von länger als 15 Minuten Dauer fängt das Bitumen an zu brennen und setzt seinen radioaktiven Inhalt frei.
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Ich nehme diese Bitte zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Wir bedanken uns bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Klinkert, für die Beantwortung dieser Fragen.
Es gibt eine Vereinbarung, daß die Sitzung bis 15 Uhr wegen einer Sondersitzung der CDU/CSU-Fraktion unterbrochen wird.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens
— Drucksachen 12/6551, 12/7112 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)
— Drucksache 12/7419 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Dieter Thomaeb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Karl Hermann Haack (Extertal), Klaus Kirschner, Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19427
Vizepräsidentin Renate SchmidtReorganisation des Bundesgesundheitsamtes als Bundesamt für Gesundheitsschutz— Drucksachen 12/6490, 12/7419 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Dieter ThomaeZum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gesamte Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendwelche anderen Meinungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Paul Hoffacker das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider sind die Mitglieder meiner Fraktion noch in einer Sitzung, so daß wir hier nicht vollständig vertreten sind. Ich bitte also um Nachsicht. Ich denke, daß die übrigen gleich kommen werden.Die Genese dieses Beratungsvorgangs ist bekannt: Am 8. Oktober vergangenen Jahres berichtete Bundesminister Seehofer im Gesundheitsausschuß aus aktuellem Anlaß über die Bekämpfung der HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte. Ich nehme an, daß dieser Vorgang bekannt ist. Anschließend entstand eine besondere Dramatik, nachdem klar war, daß wir diese Zustände im Bundesgesundheitsamt so nicht hinnehmen konnten.Die CDU/CSU-Fraktion — ich darf auch sagen: die gesamte Koalition — hat von Anfang an den Beschluß einer solchen Neuordnung des Bundesgesundheitsamts mitgetragen. Wir haben auch die Konsequenzen mitgestaltet. Logische und notwendige Folge dieser Entscheidung ist die heutige zweite und dritte Lesung dieses Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens. Dieser Gesetzentwurf setzt die sich aus unserer gemeinsamen Entscheidung ergebenden Konsequenzen um. Ich darf vorab bemerken: Auch das Gesetzgebungsverfahren im Ausschuß und insbesondere die Sachverständigenanhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages haben für mich kein Argument gebracht, das die Richtigkeit dieses Konzepts ernsthaft in Frage gestellt hätte.Nun frage ich: Wie war denn die Meinung der Opposition zum Zustand des Bundesgesundheitsamtes? Man könnte ja annehmen, daß es hier gravierende Unterschiede gäbe. Dies nicht. In der gleichen Sitzung, am 8. Oktober 1993, haben sich die Kolleginnen und Kollegen von der SPD zu Äußerungen hinreißen lassen, die in der Dramatik, wie ich finde, kaum noch zu überbieten waren. Ich darf den Kollegen Schmidbauer zitieren, der damals äußerte: Wer schützt die Menschen vor dem Bundesgesundheitsamt?, und dies, nachdem er zuvor das Bundesgesundheitsamt als ein Bermudadreieck gekennzeichnet hatte, woran sich eine ganze Legendenbildung anschloß. Ich meine, es ist notwendig, hier zu sagen, daß mit den Strukturfragen nicht Mitarbeiter oder die Qualifikation von Mitarbeitern in Frage gestellt worden ist. Es liegt mir sehr daran, das hier in der zweiten und dritten Lesung festzuhalten.Auch der Kollege Haack hat damals starke Worte gefunden,
indem er meinte, das Bundesgesundheitsamt sei am Ende. Nachdem der Kollege klargestellt hatte, daß das Gesundheitsamt nicht mehr das Vertrauen der SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuß hatte, haben wir natürlich erwartet, daß in der politischen Handlung, im Umsetzungsverfahren auch etwas von der SPD kommt. Das ist nicht festzustellen. Es blieb vielmehr bei einem Antrag auf Einsetzung einer Expertenkommission.Was also die Tatsachenfeststellung betrifft, darf ich zusammenfassen: Wir alle waren der Meinung, daß das BGA umgestaltet werden müsse. Das Ob war und ist also völlig klar. Aber das Wie bleibt streitig. Um dieses Wie geht es hier konkret. Deshalb darf ich mich zunächt den Vorschlägen zuwenden, die von der Opposition gemacht werden.Das von der SPD mit deren Antrag und jetzt auch einem zusätzlichen Entschließungsantrag vorgelegte Konzept war, so finden wir in der Koalition, zur Problemlösung ebensowenig geeignet, wie auch das Verhalten der Opposition bei den Ausschußberatungen sehr wenig Interesse an einer gemeinsamen Problemlösung hat erkennen lassen. Sie haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sowohl in Ihrem Antrag als auch bei den Ausschußberatungen, so scheint mir, ausschließlich auf Zeit gespielt, ohne das drängende Sachinteresse ernst zu nehmen und im Auge zu behalten.
— Darauf komme ich gleich, Herr Kollege Haack. Denn anders ist das Ziel des Antrags, die Einsetzung einer international besetzten Expertenkommission,überhaupt nicht zu verstehen. Sie wissen genauso gutwie ich, daß ein derartiges Gremium nicht geeignet ist und auch nicht geeignet wäre,
die anstehenden Entscheidungen noch in dieser Legislaturperiode zu treffen, geschweige denn umzusetzen.
Die lange Liste der Experten, die Sie vorgeschlagen haben, hätte allein auf Grund der Einladungsfristen kaum zu einem Ergebnis geführt, das uns der Sache und dem Entscheidungsprozeß etwas nähergebracht hätte.Anders war auch nicht das Verhalten während der Ausschußberatungen zu verstehen. Denn der nahezu groteske Versuch in den Ausschußberatungen, zu dem Gesetzesvorhaben eine zweitägige Expertenanhörung durchzuführen, zeigt, wie wenig Sie von der Materie Ahnung hatten. Diese zweitägige Experten-
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19428 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Paul HoffackerSitzung ist dann auf etwa sechs bis sieben Stunden verkürzt worden. Das ganze Geld, das wir dafür aufgebracht haben, Herr Kollege Haack, müßten Sie eigentlich aus Überschüssen Ihrer Apotheke im Schadenersatzwege an die Bundeskasse zurückzahlen.
Die Auswahl der Wissenschaftler ist also ein ganz besonders delikates Kapitel. Ich fand, daß bei diesen ausgesuchten Wissenschaftlern einige dabei waren, die als Wissenschaftler getarnte Parteigänger waren,
die mühsam ihre Karrierebauklötzchen wieder zusammensuchen wollten, die ihnen während der Tätigkeit im Bundesgesundheitsamt abhanden gekommen waren. Das war ein ganz mißglückter Versuch, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Ich habe richtig einige im Auge, wie die mühsam, fast mit geröteten Augen dabei waren, das Verhalten der Vergangenheit vor einer breiten Öffentlichkeit zu zitieren, was eigentlich nichts anderes war, als den Vorschlag des Ministers mieszumachen. Das ist ihr gutes Recht, nur sollte man das als Sachverständiger eigentlich nicht versuchen.Herr Kollege Klaus Kirschner, wenn bei einer Expertenanhörung, die für zwei Tage beantragt wurde, schon am Vormittag die Fragen ausgehen — —
— Bei der SPD. Wir hatten keinen Fragebedarf, weil wir wußten, was wir wollten.
— Das ist es eben: Wir wissen immer, was wir wollen. Ihr habt Fragen und bekommt dann noch falsche Antworten. Das ist auch schlimm.
— Fragen sind Fragen, und Anträge laufen auf eine Entscheidung hinaus. Das ist völlig klar.Ihr erinnert euch sicher: Wir saßen morgens im festlich geschmückten Reichstag, und bereits kurz nach der Mittagspause kamen die ersten Boten, die fragten, ob man nicht von 21 auf 19 Uhr verkürzen könne. Im Flugzeug saßen dann schließlich welche dabei, die schon um 16 Uhr den Laden verlassen hatten, weil es weder Frage- noch Antwortbedarf gab.Ich finde, Herr Kollege Kirschner, daß wir als Ausschuß des Deutschen Bundestages bei allen sachlichen und parteipolitischen Unterschieden solche Spielereien vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit nicht machen sollten und auf solche Inszenierungen verzichten sollten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Kollege Kirschner.
Herr Kollege Hoffacker, daß Ihnen die Fragen so früh ausgegangen sind, hängt das vielleicht damit zusammen, daß Ihnen die von Ihnen beim Bundesgesundheitsamt angeforderte Fragenliste nicht lang genug war?
Herr Kollege Kirschner, bei den Fragenlisten denken Sie bestimmt an die Zeit der sozialliberalen Koalition zurück. Wir haben eigentlich so viel Verstand, daß wir unsere Fragen selber formulieren können. Aber die von Ihnen benannten Wissenschaftler waren nicht in der Lage, diese Fragen zu verstehen. Deshalb haben wir unsere genommen, und die haben eigentlich die Fragen gut beantwortet.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich natürlich darüber hinaus fragen lassen, wie Ihre vollmundigen Erklärungen im Gesundheitsausschuß und die Verteufelungen des BGA mit Ihrer politischen Handlungsunfähigkeit zusammenhängen. Sie sollten von Ihrem Vorschlag Abstand nehmen, Sie sind da nämlich auf einem völlig falschen Weg. Sie sollten mit uns konkret feststellen, daß die gesundheitspolitischen Aufgaben von Gegenwart und Zukunft mit dieser tradierten, überkommenen zentralistischen Struktur des Bundesgesundheitsamts heute und auch zukünftig nicht mehr mit ausreichender Sicherheit bewältigt werden können.
Der Handlungsbedarf besteht jetzt, er liegt auf der Hand. Wir können nicht bis 1996 warten. Deshalb war und ist die Entscheidung des Bundesministers Seehofer richtig, diese Spitze zu verändern, die Struktur des Gesundheitsamts in eine effiziente Einrichtung, nicht Bürokratie, umzumünzen, die in der Lage ist, die einzelnen Aufgaben tatsächlich zu erfüllen.Fazit bleibt deshalb für mich, daß die Präsidialstruktur des Bundesgesundheitsamts aufgegeben wird und die Aufgabenwahrnehmung auf die verselbständigten Institute übertragen wird.Die Erfahrungen in der bisherigen Praxis mit dem Bundesgesundheitsamt bestätigen ja eigentlich auch die Einschätzungen des Sachverständigen Professor Habermehl. Der hat immerhin für 88 Institute in der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften gesprochen. Er hat gesagt, die weitgespannte und heterogene Aufgabenvielfalt des bisherigen BGA und die präsidiale Vertretung dieser Aufgaben sei fachlich unmöglich.Ich finde, daß wir in der Anhörung kein überzeugendes Gegenargument gefunden haben, das dieses Argument ausgehebelt hätte. Wir brauchen deshalb, meine Damen und Herren, rechtlich selbständige Institute, die dem jeweiligen federführenden Ministe-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19429
Dr. Paul Hoffackerrium nachgeordnet und mit einem konzentrierten Aufgabenzuschnitt ausgestattet sind. Das heißt konkret: Wir brauchen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Robert-Koch-Institut sowie das Institut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin.Meine Damen und Herren, dieser Handlungsbedarf wird von uns inhaltlich dahin gehend verantwortet, daß wir für den Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung einstehen, daß wir ein Konzept erarbeitet haben, das die Voraussetzungen für effizienten vorsorgenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung schafft, und daß wir dieses Konzept last not least, meine Damen und Herren von der Opposition, auch gegen Sie durchsetzen.Mit diesem Gesetz ist nämlich die Grundlage für einen Neuanfang gelegt worden, und ich meine, daß dieser Rahmen mit Leben gefüllt werden muß und daß die Beteiligten in der Kooperation und Koordination eindeutig zusammengehen müssen.Nun, meine Damen und Herren, ist von den Beteiligten und Sachverständigen die Sorge geäußert worden, die neue Struktur lasse möglicherweise die wissenschaftliche Arbeit zu kurz kommen. Daß die Freiheit wissenschaftlicher Arbeit bei der Wahrnehmung der Aufgaben nicht zu kurz kommen darf, möchte ich noch einmal betonen.Wir haben diese Sorge ernstgenommen und mit den Einzelmaßnahmen im Entschließungsantrag Abhilfe geschaffen. Wir halten fest, daß mit diesem Gesetz die Freiheit der Nachfolgeinstitute in Fragen der Wissenschaft und Forschung nicht beeinträchtigt wird. Gerade der in unserem Entschließungsantrag vorgesehene gemeinsame wissenschaftliche Beirat der Institute wird hier richtungsweisende wissenschaftliche und gesundheitspolitische Signale setzen können.Wir haben dabei eine Anregung von Herrn Professor Fuchs umgesetzt, nicht in Form einer Vorstandszusammenarbeit institutionalisiert, sondern, wie das in der Wissenschaft üblich ist, von Fall zu Fall zusammenzutreten, sich auszutauschen und dies auf Einladung des Bundesministers dann auch in einem gemeinsamen Zusammenwirken zu tun.Daß wir die Prüfung der Teilprivatisierung ebenfalls in diesen Entschließungsantrag übernommen haben, hängt damit zusammen, daß wir selbstverständlich auch sparen müssen. Ergebnisse aus verschiedenen Universitäten müssen abgerufen und umgekehrt Aufgaben aus dem Haus des Bundesgesundheitsamtes alter Prägung in die Universitäten hineingegeben werden können.Mit dem Gesetz und dem Entschließungsantrag ist der Weg für eine erfolgversprechende Arbeit im Gesundheitswesen geebnet.. Ich bin sicher, daß diese Umsetzung gelingt, wenn sich die Wogen einer nicht vorurteilsfreien Emotion bei den Mitarbeitern geglättet haben und eine faire Zusammenarbeit eine gedeihliche Handlungsbasis für die Zukunft bildet.Die bisweilen geäußerten Befürchtungen, das Ministerium könne die Zügel zu straff ziehen, sind gegenwärtig unbegründet und sollten deshalb diezukünftige Arbeit nicht belasten. Im übrigen: Wenn es Klagen gibt — der Weg zum Parlament ist nicht verstellt.Deshalb, meine Damen und Herren, weil es sich hier um eine runde Sache handelt, bitte ich um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf sowie zu der eingebrachten Entschließung und bitte, die übrigen Dinge der SPD abzulehnen.Schönen Dank.
Als nächste hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich sehr klar, Herr Hoffacker, daß wir Ihrer Anregung, das abzulehnen, was wir vorgeschlagen haben, nicht folgen können. Wir können als Bundestagsfraktion auch nicht der Tatsache folgen, daß Sie die Experten, die dort benannt und von Ihnen und von uns geladen waren, von diesem Platze aus diskreditieren und es als negativ anmerken, daß die Expertenkommission nicht zwei, sondern einen Tag lang angehört wurde. Denn Sie haben uns sämtliche internationale Kontakte zu ausländischen Behörden, die auf diesem Gebiet arbeiten und eine Vorbildfunktion hätten haben können, verwehrt, Sie haben die Anreise von deren Vertretern nicht gestattet. Diese wurden erst gar nicht eingeladen.
Daß Sie sich hier durchsetzen können, ist klar. Aber es ist natürlich nicht unbedingt eine Heldentat, wenn man sich so durchsetzen muß und dies nicht inhaltlich tun kann.
Frau Kollegin Schaich-Walch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoffacker?
Gut.
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß die Nichteinladung von den Obleuten einvernehmlich besprochen worden ist und ebenfalls einvernehmlich beschlossen worden ist, schriftliche Gutachten der einzelnen Behörden anzufordern, so daß der Eindruck, den Sie hier vermitteln wollen, falsch ist?
Die Einvernehmlichkeit ist dadurch zustande gekommen, daß Sie mit Ihrer Gesamtzahl gegen 33,5 % abgestimmt haben. Da haben wir letztendlich keine Chance. Wenn wir überhaupt noch etwas machen wollen, dann müssen wir Ihrem Vorschlag zustimmen.
— Aber in den Obleutegesprächen zeigt sich auch immer das Verhältnis.
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19430 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Gudrun Schaich-WalchIch hatte geglaubt, Herr Kollege Hoffacker, daß es in Berlin die Möglichkeit gäbe, etwas gemeinsam zu machen; denn gemeinsam waren wir der Ansicht, daß Strukturen verändert werden müssen. Nach dem Protokoll hatten Sie auch vom „Ringen um geeignete Strukturen" gesprochen. Aber dieses Ringen um geeignete Strukturen war von Ihrer Partei offensichtlich schon während der Anhörung nicht so ernst gemeint. Denn es lag uns eine Broschüre des Bundesgesundheitsamts vom November 1993 — nicht vom März 1994 — vor, in der bereits vom „ehemaligen Bundesgesundheitsamt" die Rede ist. Da muß ich Sie ernsthaft fragen, wie ehrlich dann das Ringen um geeignete neue Strukturen war.
Frau Kollegin Schaich-Walch, es wird noch einmal die Bitte geäußert, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen.
Ziehen Sie mir das ab?
Nein, ich ziehe Ihnen das nicht ab. Ich setze die Redezeit zusammen. Aber ich bitte einmal zu überdenken, ob diese Art der Diskussion für andere noch nachzuvollziehen ist.
Aber bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, ich muß die Frage, die ich jetzt stelle, zum Schutz der Kollegen der SPD stellen. Denn wir waren wegen der Reisekosten einmütig übereingekommen, diese Reisen nicht zu machen, zu sparen und ein schriftliches Verfahren vorzusehen. Ist Ihnen das nicht klar, Frau Kollegin Schaich-Walch?
Wir waren übereingekommen, keine eigenen Reisen zu machen, aber wir hatten auf unserer Liste der Anzuhörenden sehr wohl Sachverständige aus dem Ausland. Es war allerdings nicht möglich, deren Reise durchzusetzen. Das akzeptiere ich auch. Nur, uns das hinterher vorzuwerfen und zu sagen, deshalb habe es nicht lange genug gedauert, ist nicht der richtige Weg.Das Hauptproblem, über das wir hier verhandeln, ist die Tatsache, daß sich nach der Anhörung und Auswertung gezeigt hat, daß es offensichtlich schon im November 1993 klare und eindeutige Zielsetzung war, das Bundesgesundheitsamt aufzulösen, statt neue Strukturen zu schaffen. Ihr Minister hat erst einmal das Fehlverhalten — nicht sein persönliches, sondern politisches Fehlverhalten über Jahre hinweg —, daß man sich um das Bundesgesundheitsamt nicht gekümmert hat, mitgetragen. Er hat dann Fehlverhalten und Fehler von einzelnen Personen zum Anlaß genommen, dieses Bundesgesundheitsamt aufzulösen.Um das einmal klarzumachen: Wir sind in einer Situation, in der wir allgemein darüber diskutieren, daß wir gesundheitliche Probleme, Umweltprobleme, Arbeitsprobleme, soziale Probleme nicht immer weiter in einzelne Teilbereiche aufgliedern sollten. In dieser Situation kommen Sie mit Ihrem Gesetzentwurfund glauben, daß Sie sämtliche Probleme, die wir beim gesundheitlichen Verbraucherschutz und bei der Beratung haben, damit lösen könnten, daß Sie dieses Institut, dessen Arbeit und dessen Leitung Sie kritisieren — in der Anhörung ist deutlich gesagt worden, daß es dort Aufsichtsmangel gegeben hat —, einfach in vier Institute aufteilen und diese dann im wesentlichen weiterhin unter der Aufsicht belassen, unter der sie bislang waren, nämlich unter den gleichen Institutsführungen.Ich möchte an einem praktischen Beispiel aufzeigen, wie schwierig es ist, dem Vorschlag, den Sie gemacht haben, auch inhaltlich zu folgen. Das Robert-Koch-Institut soll nach Ihrem Anliegen außer für Infektionskrankheiten auch für andere Krankheiten zuständig sein. Da gehen Sie aber so vor, daß Sie das Robert-Koch-Institut vom Veterinärmedizinischen Institut trennen. Gerade im Zusammenhang mit der Bewältigung der Salmonellenproblematik waren wir sehr wohl darauf angewiesen, daß es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Robert-Koch-Institut und dem Veterinärmedizinischen Institut gegeben hat. Das, was dort an Strukturen bereits bestanden hat und was in der Zusammenarbeit sicher verbesserungsfähig gewesen wäre, lösen Sie jetzt ganz auf und glauben, daß das Ganze von allein funktionieren kann.Das ist der Punkt, wo wir glauben, daß es sich bei dem, was Sie machen, um einen absoluten Fehler handelt. Es gab auch einen Sachverständigen, der in Berlin aufgetreten ist, und der wesentliche Konfliktpunkt war dort: Wie geht diese Bundesregierung mit dem gesamtgesundheitlichen Schutz, mit dem Gut Gesundheit um? Es wurde zum Teil als leichtfertig empfunden.Jetzt aber zur Auftrennung der Institute! Sie haben die Institute aufgetrennt, ohne daß Sie neue Zielvorgaben für die Arbeit dieser Institute eingeführt hätten. Das ist auch einer der wesentlichen Kritikpunkte von Professor Kewitz gewesen. Er hat das ganz deutlich gemacht, indem er gesagt hat, er sei entsetzt, daß so wenig über die genuinen Aufgaben im Gesetz steht. Darin steht nämlich in diesem Gesetz überhaupt nichts. Es wäre an der Zeit gewesen — und unser Antrag wäre eine Chance dazu gewesen —, gemeinsam darüber zu diskutieren, welche Zielsetzungen das BGA in der letztendlichen Konsequenz haben sollte.Wenn es in diesem Bundesgesundheitsamt an Koordination und Kooperation durchaus gefehlt hat, dann wird sich daran nichts ändern, wenn Sie die Institute nur aufteilen, sie an die kurze Leine des Bundesgesundheitsministers nehmen und glauben, daß Sie dann die Kontrolle über diese Institute haben werden, die Sie offensichtlich über die ganzen Jahre über das gesamte BGA nicht gehabt haben. Es verwundert mich sehr, wie Sie das bei vier Einzelinstituten leisten wollen. Sie haben es vorher nicht geleistet, und es gibt L t Ihrem Papier auch keinen Ansatz, wie es denn zu leisten sein sollte.Ich komme jetzt zu den Aufgaben zurück, die das BGA hat, und beginne wieder mit einem Zitat aus der Anhörung, das hieß:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19431
Gudrun Schaich-WalchIch kann mir nicht vorstellen, wie man in einem Land wie dem unseren mit Gesundheit nicht sorgfältiger umgehen kann, als das im Moment der Fall ist.Ich habe das als Appell an uns alle, an alle Fraktionen gewertet. Es tut mir sehr leid, daß wir dieser Aufgabe nicht in dieser Form nachgekommen sind.Ich bin aber der Überzeugung, daß eine Aufgabe dieses Gesundheitsamts in Zukunft die eigenverantwortliche Gesundheitsberichterstattung sein sollte, und diese kann wiederum nur von einer unabhängigen Behörde geleistet werden. Nur auf dieser Grundlage können verantwortungsbewußte politische Entscheidungen getroffen werden, und nur, wenn das Problem aus den verschiedenen Sichtweisen der Institute heraus sehr klar dargestellt worden ist, kann die Bevölkerung auch klar und deutlich nachvollziehen, warum sich Politik so oder so entscheidet. Es ist der Politik ja nicht abgenommen zu entscheiden. Das war auch nie unser Anliegen.Unser Anliegen war: Es soll den Menschen deutlich und klar verständlich sein, warum wir auf einmal mit BSE ein so großes Problem haben, das wir vor einigen Jahren nicht hatten, obwohl das Bundesgesundheitsamt darauf aufmerksam gemacht hat. Wir hatten dann hier eine sehr gute Debatte, wir hatten auch einen guten Antrag dazu, und nun hört man wieder, daß aus wirtschaftlichen, landwirtschaftlichen Gesichtspunkten das Einfuhrverbot von Rindern zurückgenommen werden soll.Das sind Dinge, bei denen man hinterher ganz deutlich machen muß, daß es politisches Entscheiden war, nicht das Versagen von Instituten oder von Forschung. Im Moment wird es einfach so diskutiert. Es muß ganz deutlich werden: Auf einer wissenschaftlichen Grundlage muß politisch entschieden werden. Aber dann muß ich auch sagen, warum ich mich letztendlich so entschieden habe.Zu Ihrem zusätzlich eingebrachten Antrag, der die Freiheit von Forschung sichern soll, sage ich mir: Das ist eine ganz selbstverständliche Angelegenheit. Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein Gut, das hier sehr hoch geachtet wird. Aber ich habe den Eindruck, daß Sie mit dem Weg, den Sie eingeschlagen haben, eigentlich Ihren eigenen Antrag konterkarieren.
—Ja, Sie machen es. Aber Sie haben ein Problem nicht gelöst: Sie haben diese Institute mit ihren Erkenntnissen direkt an das Bundesgesundheitsministerium angebunden, statt eine Konstruktion zu wählen, durch die den Instituten so viel eigene Rechte und so viel Freiheit gegeben worden wären, daß sie etwa wie das Bundeskartellamt hätten arbeiten und agieren können und somit nahezu völlig aus dem Einflußbereich von Politik herausgenommen worden wären.
Das würde dann nämlich das bringen, was wir fordern: Es muß alles auf den Tisch; es muß politisch bewertet und letztendlich in der Politik entschieden werden.
In diesem Anliegen konnten Sie uns nicht folgen. Sie haben lediglich die Institute aufgeteilt.Es ist Ihnen nicht gelungen, wesentliche neue Zielsetzungen für die Aufgaben des Instituts zu finden, obwohl wir eine sehr veränderte Gesundheitssituation haben: Von wesentlichen Problemen der Infektionskrankheiten nach dem Krieg sind wir übergegangen zu einem großen Bereich von chronischen Erkrankungen. Wir sind zu einem Bereich übergegangen, wo es Erkrankungen auch aus sozialen, aus arbeitsrechtlichen und aus Umweltgründen gibt. Alle diese Dinge vernachlässigen Sie, weil Sie nur bereit sind, sie im Detail zu sehen.
Als nächstem erteile ich dem Kollegen Dr. Dieter Thomae das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir wollen keiner Legendenbildung folgen. Die Reform des Bundesgesundheitsamtes stand für die F.D.P. seit 87/88
im Mittelpunkt. Schon damals hat die F.D.P. permanent darauf gedrängt, die Strukturen im Bundesgesundheitsamt, gerade im Arzneimittelinstitut, zu verändern, weil nennenswerte Klagen vorlagen, daß die Behandlung von Anträgen sehr zögerlich verlief. Ich will das einmal so sanft ausdrücken.Von daher hat die F.D.P. in den folgenden Jahren viele Expertengespräche über die Frage geführt: Wie kann man dieses Arzneimittelinstitut reformieren?Dann kam der aktuelle Anlaß HIV. Hier zeigte es sich, daß nicht nur die Thematik Arzneimittelinstitut in den Mittelpunkt der Diskussionen treten mußte. Vielmehr mußten auch die anderen Institute in eine solche Reform einbezogen werden.Gravierende Mängel waren in zwei Punkten klar erkennbar: erstens beim Informationsfluß zwischen den Instituten und zweitens beim Informationsfluß zwischen dem BGA und dem Bundesministerium für Gesundheit. Dies war der entscheidende Knackpunkt, warum wir nicht länger mit Experten sprechen konnten. Wir mußten handeln — das sage ich sehr deutlich —; denn es ist an der Zeit, Behörden — wie es auch draußen in der Wirtschaft üblich ist — schlanker zu machen, effektiver zu machen. Dies wollen wir auch in diesem Falle tun.Meine Damen und Herren, wir wollen mit dieser Reform fünf Ziele erreichen, erstens mehr Eigenverantwortung der Institute. Welchen Sinn hat es, die Informationen über die Zentralabteilung laufen zu lassen, wenn dann der Institutsleiter, wenn es zu entscheidenden Gesprächen kommt, mit dabei sein
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19432 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Dieter Thomaemuß, um die Informationen, um die Erkenntnisse überzubringen?
Ich sehe überhaupt keine Begründung, warum hier eine Zentralabteilung vorgeschaltet werden muß.Zweitens. Neben der Eigenverantwortung — Herr Professor Habermehl hat in der Anhörung sehr deutlich gemacht, daß die Eigenverantwortlichkeit der Institute gestärkt werden muß — wollen wir überschaubare Behörden. Sie können heute Behörden mit 3 000 Mitarbeitern kaum noch vernünftig lenken, führen und innovativ tätig sein. Die Maximalgröße ist jetzt 900. Das ist eine Größe, die heute auch schon fast am Rande der Möglichkeiten einer soliden Führung liegt.Dennoch: Wir haben Aufgabengebiete zusammengeführt, die nach Meinung der Koalition zusammengehören, und wir wollen eine hinlängliche Überschaubarkeit der Institute. Ich sagte schon, wir wollen die Zentralbehörde, die Zentralbürokratie abbauen.Eines ist noch nicht gesagt worden, meine Damen und Herren: Es gehen keine Arbeitsplätze verloren, sondern die Mitarbeiter werden in andere Institute versetzt, so daß wir wirklich die Garantie abgegeben haben, keine Entlassung von Mitarbeitern vorzunehmen. Ich denke, dies ist ein ganz wesentlicher Faktor.Meine Damen und Herren, der nächste wichtige Punkt — und in diesem Zusammenhang wird immer wieder Kritik angebracht — betrifft das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene. Es wird ja im Grunde genommen verschwiegen, daß die Fachaufsicht schon die ganze Zeit irgendwo anders angeordnet war, und zwar bei Herrn Töpfer. Jetzt wird die Dienstaufsicht ebenfalls dorthin verlagert. Aber warum? Die Mehrheit der Arbeit dieses Instituts obliegt der Fachaufsicht des Umweltministeriums, und von daher sind wir der Auffassung, daß Fach- und Dienstaufsicht von einem Ministerium übernommen werden sollen. Dies, meine Damen und Herren, ist der konsequente Weg. Herr Töpfer hat ja sehr deutlich gemacht, daß dieses Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene seine bisherige Identität behält.Letztlich, eine berechtigte Kritik von der Opposition: Was ist mit der wissenschaftlichen Freiheit? Meine Damen und Herren, es ist ganz klar, die wissenschaftliche Freiheit muß erhalten bleiben. Da kann es keinen politischen Einfluß geben. Aber die hoheitlichen Aufgaben müssen dem Ministerium untergeordnet werden.
Herr Kollege Thomae, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Titze gestatten?
Bitte schön.
Herr Thomae, was rechtfertigt Ihre Annahme, die Verlagerung des WaBoLu aus dem Bereich des BMG in den Bereich des BMU gewährleiste, daß die medizinischen Aspekte der Arbeit dort besser garantiert und beachtet werden können?
Ich bekenne ja, daß Sie eine ganz kritische Frage angeschnitten haben.
Das Ideale wäre — und für die Zukunft ist das sicherlich ein heißes Thema —, das Ministerium für Gesundheit und das Ministerium für Umwelt enger zu koppeln, ich würde fast sagen, gemeinsam einzubeziehen, weil die Umweltmedizin in den nächsten Jahren eine stärkere, eine entscheidende Rolle spielen wird.
Aber nach heutigem Erkenntnisstand sage ich auch: Der Bereich „Stoffbezogene Umwelt" ist jetzt in diesem WaBoLu integriert, und es paßt gegenwärtig noch besser in diesen Bereich des Umweltministeriums. Das war der entscheidende Grund, warum wir uns so entschieden haben.
Den Schutz der Wissenschaft — meine Damen und Herren, ich sagte es schon — wollen wir sichern. Ich denke, über die Koordination des Beirates haben wir hier die Möglichkeiten geschaffen, die die Befürchtungen ausräumen, wissenschaftliche Erkenntnisse könnten ohne Filter nicht mehr über die Rampe kommen.
Ein ganz wichtiger Punkt — ich sagte es anfangs schon — ist die Teilprivatisierung. Wir sind schon lange daran. Wir haben schon mit vielen Gutachtern und Fachleuten gesprochen, wie man gewisse Aufgaben aus diesen Instituten in die Privatwirtschaft verlagern kann. Ich will ja gar nicht von der Tierhaltung reden, meine aber, daß es beispielsweise um die Wäscherei geht, die dort noch vorhanden ist, und um andere solche Aufgaben. Die gehören einfach nicht in dieses Institut. Als typisches Beispiel nenne ich noch: Müssen Laborarbeiten dort erbracht werden, oder kann man nicht Laborarbeiten auch an Universitätsinstituten preiswerter und günstiger realisieren lassen?
Meine Damen und Herren, der Staat muß wie die Privatunternehmen schlanker werden. Der Staat muß Wege dazu suchen. Wenn wir jetzt die Chance haben, mit einem so bedeutenden Institut den ersten Schritt zu gehen, um zu zeigen, daß die Politik ebenfalls in der Lage ist, Behörden schlanker zu machen und trotzdem ihre Leistungen zu erhöhen, dann sollten wir diese Chance ergreifen.
Die F.D.P. wird diesen Weg mitgehen. Von daher unterstützt sie die Anträge der Koalition.
Bevor ich nun der Kollegin Ursula Fischer das Wort erteile, habe ich die Freude, auf der Ehrentribüne den Präsidenten des Nationalrates von Namibia begrüßen zu können. Herr Kandy Nehova hat dort Platz genommen. Er befindet sich anläßlich eines offiziellen Besuches auf Einladung des Bundesrates hier bei uns in Bonn.Herr Präsident, ich freue mich sehr, Sie von dieser Stelle aus im Namen des gesamten Hauses noch einmal herzlich begrüßen zu können, nachdem Sie bereits gestern abend mit der Frau Bundestagspräsidentin Gespräche geführt haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19433
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch hoffe, daß Sie bei Ihrer Reise durch Deutschland viele interessante Eindrücke gewinnen können, und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren politischen Arbeit zum Wohle des namibischen Volkes. Weiterhin viel Glück für Ihr Volk!
Und nun spricht Frau Kollegin Ursula Fischer.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben einen in vieler Hinsicht höchst bemerkenswerten Verlauf eines Gesetzgebungsverfahrens. Man weiß nicht, was daran bedrückender ist: die Ziele und Inhalte, um die es geht, oder der Stil, in dem das Ganze abläuft.
Auf alle Fälle scheinen sich Inhalt und Form gegenseitig zu bedingen.Nach subjektiv offensichtlich großer Verärgerung, von der sich allerdings wenig später herausstellte, daß sie durch teilweise falsche Annahmen hervorgerufen wurde, und vergleichsweise kurzem Nachdenken verkündete der Gesundheitsminister seinen unerschütterlichen Entschluß, das Bundesgesundheitsamt als einheitliche Bundesbehörde aufzulösen. Dabei geht es immerhin um die zentrale Einrichtung des Gesundheits- und Verbraucherschutzes im Lande, welche — sicherlich mit Höhen und Tiefen — auf eine mehr als 120jährige Tradition zurückblicken kann, im In- und Ausland alles in allem beträchtliches Ansehen genießt und nicht zuletzt auch zur internationalen Reputation der deutschen Medizin beigetragen hat.Im Eilverfahren wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der nicht anders sein kann als hingeschludert und dem man das auch gleich auf den ersten Blick ansieht.
Eine von der Opposition geforderte Sachverständigenanhörung wird, obwohl nach Zahl der einzuladenden Experten und vorgesehenem Zeitvolumen bereits kräftig zusammengestrichen, geradezu ein Debakel für Regierung und Koalition. Die Sachverständigen fällen aber nicht nur ein vernichtendes Urteil, sie lehnen das Vorhaben so gut wie einstimmig ab.Sie sagen erfreulicherweise auch, worauf es eigentlich ankäme: Erstens Erhalt des Bundesgesundheitsamtes als einer einheitlichen Institution des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zwecks erforderlicher Koordination, Kooperation und Kommunikation — die ist nämlich in Frage gestellt —, zweitens völlige fachliche Unabhängigkeit, natürlich auch von der Industrie, bei der Erfüllung der Amts- und Dienstaufgaben sowie bei der notwendigen Forschung und drittens bessere Dotierung der Leiter und leitenden Mitarbeiter, um wirklich fachkompetente Wissenschaftler gewinnen zu können.Wir waren nun sehr gespannt, was geschehen würde. Und siehe da, Minister und Koalition gehen, als hätte es die Anhörung überhaupt nicht gegeben,zur Tagesordnung über — ganz nach dem Motto: Augen zu und durch!
In den Gesundheitsausschuß eingebrachte Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen erwiesen sich, mit Ausnahme der Installierung eines Übergangspersonalrates, als rein redaktioneller Natur.In einem Entschließungsantrag wird plötzlich die Freiheit der Forschung in den vorgesehenen Nachfolgeinstituten beschworen, was an der eigentlichen Problematik glatt vorbeigeht. Im übrigen meinte ich bisher, solches wäre zumindest in Europa, spätestens seit dem 19. Jahrhundert, ein Resultat der Aufklärung und des Liberalismus gewesen. Ein darüber hinaus in äußerst vager Form vorgeschlagener wissenschaftlicher Beirat zur Gewährleistung der Kooperation dürfte — das läßt sich ohne Schwierigkeiten schon jetzt voraussagen — mehr Probleme aufwerfen als lösen.Damit muß leider als Faktum konstatiert werden, was ich in der ersten Lesung noch als Frage formuliert hatte. Ich hoffte, daß die Regierung wenigstens dort, wo sie sich völlig rettungslos verirrt hat, doch noch die Bereitschaft zum Lernen aufbringt. Nun aber wird vor unseren Augen tatsächlich die Kompetenz der Wissenschaft brüsk zurückgewiesen und durch eine Arroganz der Politik ersetzt. Ich bin darüber nicht froh.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei hätten doch die vorhandenen Mißstände und Probleme beim Bundesgesundheitsamt, die hier von niemandem geleugnet werden, und der daraus erwachsende tatsächliche Reorganisationsbedarf die Chance geboten, einmal generell zu fragen: Was ist auf dem Gebiet des Gesundheits-, Verbraucher- und Patientenschutzes heute eigentlich notwendig? Wo steht hier unser Land? Welche Aufgaben sind neu herangereift? Wie müssen sie angepackt und schließlich mit Hilfe welcher Organisationen, Strukturen und wissenschaftlichen Institutionen gelöst werden?Ich kann nur einige Stichworte nennen: Gesundheitssystemforschung, Gesundheitsökonomie, Evaluationsforschung in Medizin und Gesundheitswesen — dies ist ganz wichtig —, Epidemiologie einschließlich Pharmakoepidemiologie, Krankheitsregister, Melde- und Frühwarnsysteme. Das alles sind Gebiete, die bekanntermaßen zunehmend wichtig für das Funktionieren eines modernen Gesundheitswesens sind und auf denen unser Land seit nunmehr schon Jahrzehnten beklagenswerte Rückstände zu verzeichnen hat.Sollte es etwa gar nicht so sehr ein Zufall sein, daß die bisher größten Arzneimitteltragödien hier vorgekommen sind? Dieses Land besitzt beispielsweise eines der leistungsfähigsten Potentiale in der Arzneimittelinnovation. Aber warum versagen gerade hierzulande so oft die Frühwarnsysteme, vorausgesetzt, es gibt überhaupt welche? Spätestens die Sachverständigenanhörung hätte also zu einem neuen Ansatz der Problemlösung für das BGA führen können und müssen.
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Dr. Ursula FischerVerehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, hat es Sie denn nicht wenigstens irritiert, daß die anwesenden Wissenschaftler keineswegs eine einfache strukturelle Zerschlagung des BGA befürwortet haben? — Offensichtlich in keiner Weise. Haben Sie sich nicht darüber unterhalten, was dort eigentlich gewollt gewesen ist? Es war an sich eine sehr sachliche Anhörung.Für eine Neudefinition dürfen dann allerdings weder die Probleme des politischen Tagesgeschäfts noch das vermeintliche oder wirkliche Versagen einzelner Personen ausschlaggebend sein. Ganz im Gegenteil: Hier geht es doch um grundsätzliche Weichenstellungen für die vor uns liegenden Jahrzehnte. Also wären nicht unausgegorene Schnellschüsse, sondern gründliches Nachdenken und weit vorausschauendes Handeln gefordert.Daran gemessen ist die Bundesregierung dabei, erneut eine große Chance zu versäumen und der Sache — dem Gesundheitsschutz der Menschen — einen denkbar schlechten Dienst zu erweisen.
Nun erteile ich dem Kollegen Klaus Kirschner das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Kollege Hoffacker vorhin mit zwei Zwischenfragen den Eindruck zu erwecken versucht hat, als ob die Anhörung von uns mehr oder weniger als Alibifunktion o. ä. mißbraucht worden sei, will ich hier nur feststellen:
Erstens. Es bestand im Obleutegespräch zuerst Einvernehmen darüber, daß wir Vertreter vergleichbarer ausländischer Institute aus Frankreich — wie Pasteur —, den USA oder Japan zu den Anhörungen einladen.
Zweitens. Nachdem eine Kostenschätzung vorlag und auch vom Haushaltsausschuß gesagt wurde diese Kosten seien nicht vertretbar, haben wir uns darauf konzentriert, nur jeweils einen Vertreter einzuladen.
Auch dies hat dann nicht geklappt.
Drittens — darauf lege ich Wert — ist dann angeboten worden, daß wir uns über die deutschen Botschaften in Washington, in Paris und in Tokio entsprechende Berichte über das Funktionieren bzw. auch über die Fragestellungen besorgen, die wir zur Neuorganisation unseres Bundesgesundheitsamtes aufwerfen wollen.
Dazu stelle ich nur fest: Das war das korrekte Ablaufverfahren. Wir haben das nie zu einer Farce gemacht. Wir haben allerdings — auch das muß ich dazu sagen — bis heute die Berichte nicht erhalten, weil es offensichtlich nicht funktioniert hat.
Als nächster hat Herr Bundesminister Horst Seehofer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erste Feststellung: Seit Jahren sind sich alle Fachleute einig, daß das Bundesgesundheitsamt neu organisiert werden muß.
Seit Oktober letzten Jahres, also seit sieben Monaten, besteht die konkrete politische Absicht. Ich denke, nach einer jahrelangen Diskussion und nach einer Konkretisierung der Absicht vor sieben Monaten ist es schon zumutbar, daß man dann auf politischer Ebene eine Entscheidung trifft und nicht nur Kommissionen einsetzt.
Meine Damen und Herren, wir sind doch nicht gewählt, um Phrasen zu dreschen, sondern um die Probleme zu lösen und auch Entscheidungen zu treffen, zumal es so war, daß bei Verkündung der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes die ersten Äußerungen aus der SPD durchaus hoffnungsfroh waren.
— Herr Kollege Kirschner, bevor Sie die Zwischenfrage stellen, seien Sie ganz vorsichtig. — Es gab sogar Abgeordnete, die zu mir kamen und mir Informationen gaben, wo sie Schwachpunkte sehen, beispielsweise im Bereich Nebentätigkeiten. Darunter war auch eine Kollegin von Ihnen, Herr Kollege Kirschner.
Frau Titze, ich erinnere mich an meinen Auftritt vor dem Haushaltsausschuß, wo Sie mir ein zweites Weihnachten beschert haben, indem Sie mich ausdrücklich zu diesen Entscheidungen im Zusammenhang mit Aids und HIV und Bundesgesundheitsamt beglückwünscht haben. So war das, und so ist es.
Herr Minister, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Kirschner und dann noch eine weitere?
Ja, natürlich.
Wunderbar. Bitte.
Herr Kollege Seehofer, ich wollte nur eine Bemerkung machen, weil Sie hier versuchen, unseren Vorschlag einer Expertenkommission herunterzumachen. Ist es denn nicht üblich, Herr Bundesminister, daß wir in vielen Fragen Expertenkommissionen benennen? Ich darf beispielsweise nur daran erinnern, daß ja die Bundesregierung auch die Mitglieder des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion benannt hat, und ich frage Sie: Sind Sie eigentlich nicht Manns genug, diese Fragen im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen zu beantworten,
wo Sie doch andererseits sagen: Wir als Parlamentmüssen doch Manns genug sein, in einer solchenFrage selbst die notwendigen Antworten zu geben?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19435
Klaus KirschnerIch denke, hier gibt es doch Parallelen. Teilen Sie nicht meine Meinung, daß auch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen von Fall zu Fall, dort, wo es notwendig ist, eben Expertenkommissionen einsetzen?
Lieber Herr Kollege Kirschner, die Frage mit meiner Männlichkeit möchte ich gerne mal an einer anderen Stelle klären und austragen, wo ich in der Lage bin, Ihnen den Beweis zu liefern, Herr Kirschner.
Doch zur Sache: Lieber Herr Kirschner, ich bin ja sehr dafür, daß sich ein Parlament oder ein Ausschuß eines externen Sachverstandes bedient, wenn es sich wirklich um eine kniffelige und schwierige Angelegenheit handelt. Aber wenn ein Parlament oder ein Ausschuß nicht in der Lage wäre, die Umsetzung von 200 Leuten ohne internationalen Sachverstand zu bewältigen, wenn wir deutschen Abgeordneten nicht mehr in der Lage wären, ein so läppisches Problem einer Neuorganisation einer Behörde aus eigener Kraft zu lösen, dann stelle ich die Frage, ob wir am richtigen Platz sitzen.
Ja, für was alles sollen wir denn noch Experten heranholen? Man bezieht sich ständig auf das Ausland. Sie haben gerade wieder in Ihrer Frage „just in time" und „lean production" genannt und gesagt: Da gibt es ein Institut in Paris und ein Institut in der Schweiz und noch eines in Amerika. Das alles wegen einer läppischen Aufgabe, nämlich der Umsetzung von 200 Leuten und einer strafferen Organisation von Instituten und der Zusammenarbeit der Institute! Meine Damen und Herren, so viel Grips muß jede Frau und jeder Mann im Deutschen Bundestag haben, daß er das alleine löst.
Was soll denn ein mittelständischer Unternehmer, der jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr mehrere Rationalisierungen durchzuführen hat, von uns halten, wenn wir zu solchen Aufgaben nicht mehr in der Lage sind? Die Wirtschaft muß zur Zeit in allen Bereichen umstrukturieren. Machen wir uns doch nicht vor der Öffentlichkeit dadurch lächerlich, daß wir für so etwas auch noch ausländische Anleihen oder gar Experten in größerer Zahl in Deutschland brauchen!
So, und nun gibt es weitere Wünsche zu Zwischenfragen, einmal des Kollegen Heistermann und dann der Frau Kollegin Fischer. Ich würde bitten, daß wir danach wieder zur Rede zurückkehren, weil wir nicht in der Fragestunde sind. Sie sollten dann Ihre Rede zu Ende führen, Herr Minister.
Herr Heistermann.
Herr Kollege Seehofer, da Sie ja auch Mitglied des Bundeskabinetts sind und auch dort den Maßstab, den Sie hier deutlich gemacht haben, insbesondere was den Grips anbetrifft, anlegen können, können Sie dem Hohen Hause erklären, warum die Bundesregierung zur Neugliederung der Bundeswehr einen Koalitionsausschuß einsetzen mußte, um solche wichtigen Fragen zu beraten und zu einer Meinungsbildung zu kommen? Gibt es keinen Grips mehr im Bundeskabinett, solche Fragen umgehend und sofort in der Art und Weise, wie Sie das hier in Ihren Worten dokumentiert haben, zu lösen? Wo liegt denn eigentlich der Unterschied?
Lieber Herr Kollege, machen Sie es mir doch nicht gar so leicht.
Schauen Sie, diese Arbeitsgruppe, die wir da einsetzen, gab es bei der Frage der Neuorganisation des Bundesgesundheitsamtes in der Koalition ebenfalls. Bevor ich an die Öffentlichkeit ging, habe ich alle wesentlichen Leute der Koalition dazu befragt. Wir haben uns einen ganzen Tag lang beraten, was man machen kann, wir haben unseren Grips und unser Gehirnschmalz eingebracht und haben dann entschieden. Mir geht es darum, daß wir nicht ständig externen Sachverstand für eine solche einfache Frage brauchen und daß wir noch dazu keine Anleihen im Ausland machen müssen. Eine solche Aufgabe, Herr Heistermann, können wir auch allein erledigen.
Und nun die vorläufig letzte Zwischenfrage, nämlich die der Kollegin Fischer.
Außerdem muß ich, Frau Präsidentin, nachdrücklich unterstreichen, daß es sich beim Bundeskabinett um ein geistig hochkarätiges Gremium handelt, Herr Heistermann. Das muß ich ausdrücklich festhalten.
Herr Minister, es bleibt Ihnen unbenommen, das zu jedem Zeitpunkt, den Sie für richtig halten, zu betonen.
Frau Kollegin Fischer.
Herr Minister, ich möchte mich zuerst einmal gegen die Bemerkung „läppische Aufgabe" verwahren. Ich bitte Sie, das zurückzunehmen. Denn das Bundesgesundheitsamt ist eine Sache, bei der ich mich unwahrscheinlich aufrege. Deswegen auch eine prinzipielle Frage an dieser Stelle. Für mich gibt es Institutionen in einer Gesellschaft — dazu zähle ich eindeutig auch das Bundesgesundheitsamt —, die einfach funktionieren müssen. Eigentlich muß eine solche Institution völlig unabhängig von jeder Parteipolitik sein, und man muß sie in jedes gesellschaftliche System setzen können. Dort muß sie wiederum funktionieren. Das ist die einzige Aufgabe. Wenn man so gedacht hätte, hätte
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19436 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Ursula Fischerman möglicherweise auch andere Schlußfolgerungen ziehen müssen. Ich frage Sie nur, ob Sie da politisch mitgehen könnten.
Nein, überhaupt nicht. Wissen Sie, es geht gar nicht um den Kern dieser Institute, um die fachliche Arbeit. Darauf komme ich noch zurück. Es geht vielmehr um den bürokratischen Überbau, und Bürokratie hat mit ordentlicher Gesundheitspolitik nichts zu tun. Die Bürokratie können wir abschneiden, ohne daß die. Effizienz der gesundheitspolitischen Zielsetzungen beeinträchtigt ist.
— Ich habe mit Nein geantwortet. Kürzer kann man eine Frage nicht beantworten. Ich teile Ihre Ansicht nicht.Ich möchte zunächst einmal festhalten: Seit Jahren sind sich alle Fachleute einig: Es muß umorganisiert werden. Wir tun das jetzt.Zweitens zu den Sachverständigen. Ich behaupte, in Ihrer Regierungszeit und in unserer wären viele Gesetze niemals verabschiedet worden, wäre man allein dem Rat der Sachverständigen in den Hearings gefolgt. Ich persönlich vertrete gerade in diesem Zusammenhang die Auffassung, daß der Instinkt eines Laien oft besser ist als das Wissen eines Sachverständigen und daß die Zehn Gebote nicht so kurz und verständlich wären, wenn bei ihrer Entstehung Sachverständige mitgewirkt hätten.
Ich sage Ihnen, bei mir waren sogar Sachverständige, die in der Sachverständigenanhörung anwesend waren, die mir im kleinen Kreise noch einschneidendere Maßnahmen empfohlen haben, als wir sie jetzt mit diesem Gesetz durchführen.
— Ja, was sind das für Sachverständige? Nach wem soll ich da gehen?Meine Damen und Herren, der wesentliche Unterschied ist: Wir sind den Sachverständigen in vielen Punkten nicht gefolgt, und Sie erinnern sich nicht mehr an das, was Sie über das Bundesgesundheitsamt im Herbst des letzten Jahres gesagt haben. Ich kann es Ihnen einfach nicht ersparen, und ich werde es anschließend im Untersuchungsausschuß auch in den Mittelpunkt meiner Aussagen stellen.Es waren nicht Koalitionsabgeordnete, sondern es waren Sie, die im Oktober des letzten Jahres gefragt haben: Wer schützt die Menschen vor dem BGA? Sie haben davon gesprochen, daß es sich um ein Bermudadreieck handelt. Das Bundesgesundheitsamt ist am Ende. Das Amt hat Ihnen gegenüber Tarnen und Täuschen gespielt. Ich denke, daß die Wut und das Entsetzen der Menschen über die Arbeitsweise einer obersten Behörde verständlich ist. Ist es nicht so, daß es eventuell eine Kumpanei und Seilschaft mit derpharmazeutischen Industrie gegeben hat? — So Ihre Aussagen.
Außerdem hieß es: Des weiteren möchte ich noch einmal auf die zusätzlichen Nebentätigkeiten der Mitarbeiter des BGA zu sprechen kommen. Es gibt doch da Verdachtsmomente. — Das können Sie alles in den Protokollen vom 8. und 20. Oktober nachlesen. Tun Sie jetzt nicht so, als wären Sie der Hüter der Wissenschaft, der Forschung und dieser Behörde!
Das ist die Realität. Der entscheidende Unterschied zwischen Ihren und unseren Vorstellungen besteht darin: Sie wollen eine Megabehörde, wir wollen überschaubare, eigenverantwortliche, schnell reagierende, kleinere Institute. Das ist der wesentliche Unterschied.Wir haben in Deutschland in der Wirtschaft wie in der öffentlichen Verwaltung mit großen unüberschaubaren Einheiten, die hierarchisch strukturiert sind, schlechteste Erfahrungen gemacht. Deshalb ist es in der Betriebswirtschaft heute wie selbstverständlich, daß man auch in großen Konzernen Arbeit in kleinen Gruppen verwirklicht. Genau das machen wir mit den Instituten.Wir machen aus sechs Instituten drei. Das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene kommt ins Umweltbundesamt. Das ist meines Erachtens eine richtige Maßnahme. Seit den 70er Jahren besteht die Forderung von Fachleuten und vom Rechnungshof, daß diese Behörde in den Umweltbereich eingegliedert wird. Wenn fast vier Fünftel der Aufgaben zur Fachaufsicht des Umweltministers gehören, dann bin ich der Auffassung, wir sollten nicht künstlich eine Behörde in der Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministers halten, für die zu 80 % der Umweltminister die Fachaufsicht hat. Dann soll man klare Verantwortlichkeiten schaffen und die Zuständigkeit auch gleich beim Umweltminister herstellen.Ich bin nicht so eitel, daß ich noch vier- oder fünfhundert Leute brauche. Die sollen dorthin, wo sie fachlich hingehören. Das ist eine richtige Entscheidung.Dann wird oft übersehen, daß wir nicht nur die Institute zusammenführen, sondern daß wir mit diesem Gesetzentwurf die Institute zwischenzeitlich auch in sich straffer gestaltet haben.Ich nenne Ihnen aus Zeitgründen nur drei große Beispiele:Erstens. Es ist im Zusammenhang mit der Neuorganisation des Bundesgesundheitsamts eine richtige Entscheidung, daß die Zuständigkeit für Blut und Blutprodukte vom Arzneimittelinstitut zum Paul-Ehrlich-Institut übergeht, das auch die Zuständigkeit für Sera und Impfstoffe hat. Das ist eine richtige Entscheidung. Das wird künftig auch mehr klare Verantwortung und mehr klare Motivation bringen.Zweitens. Meine Damen und Herren, das AidsZentrum war bisher unmittelbar dem Präsidenten
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Bundesminister Horst Seehoferzugeordnet. Alle Geschichten im Zusammenhang mit Aids werden jetzt sauber in einer Abteilung im Robert-Koch-Institut mit klaren Verantwortlichkeiten zusammengeführt. Ich meine, auch das war überfällig.Drittens. Die Koalition verbindet mit der Neuorganisation des Arzneimittelinstituts die politische Entscheidung, daß wir die Arzneimittelzulassung erheblich straffen und die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir uns im Arzneimittelinstitut nicht mehr mit ständig wachsendem Personal um die Vergangenheit kümmern, sondern mit dem gleichen Personal um die Arzneimittelsicherheit und um die schnellere Zulassung von neuartigen innovativen Arzneimitteln. Wir brauchen nicht ständig mehr Personal, um die Vergangenheit zu bewältigen, sondern wir nehmen das gleiche Personal, um die Zukunft zu gestalten.
Also es geht nicht nur um die Neuordnung der Institute, um das Abschneiden der Bürokratie oberhalb der Institute und des Präsidialbereichs, sondern es geht auch darum, die Institute in sich geschlossener und effizienter zu gestalten.Zur Forschung und Wissenschaft. Ich betone noch einmal: Es gibt keine Forschung und Wissenschaft auf Weisung. Alle Institute werden auch künftig — und ich wünsche mir das — unabhängig ihre Forschungstätigkeit durchführen und das Ergebnis der Politik, den Ländern oder dem Bund, oder Behörden als Beratungsmaterial zur Verfügung stellen. Es ist dann Aufgabe der Politik, zu entscheiden, ob sie dem Ergebnis eines Instituts folgt oder nicht. Das ist unabhängige Forschung und Wissenschaft.Das einzige, das wir lösen müssen, ist, daß wir von Zeit zu Zeit eine Entscheidung treffen, auf welchen Feldern geforscht wird und welche Prioritäten bei der Forschung gesetzt werden.Da nehme ich gerne einen Vorschlag aus dem Robert-Koch-Institut auf — den verwirklichen wir als Koalition —, nämlich einen wissenschaftlichen Beirat zu bilden, dem alle Institutsleiter unter der Leitung des Ministers angehören. Wir fügen eine gleich große Anzahl von externen Wissenschaftlern hinzu. Dann haben wir ein überschaubares Gremium von etwa zehn Personen. Das trifft sich ein- bis zweimal im Jahr, diskutiert über den Forschungsbedarf und über die Forschungsfelder und legt Prioritäten fest. So haben wir nicht nur eine Koordination zwischen den Instituten, sondern auch eine sehr wirkungsvolle Klammer zur Forschung, die extern, außerhalb der Behörden, stattfindet.
Das ist besser als das, was wir heute haben.
Deshalb ist das alles ein Geschwätz, wenn ständig von der mangelnden Unabhängigkeit und ähnlichem gesprochen wird. Meine Damen und Herren, die Institute werden unabhängiger sein, als das Bundesgesundheitsamt jemals seit seinem Bestehen in den 50er Jahren war. Das wird auch so bleiben.
Zum Verwaltungsvollzug, meine Damen und Herren: Um ein Spezialgesetz zu vollziehen, brauche ich doch keine Koordinationsregelung, Frau Schaich-Walch. Es wird — ganz gleich, wie wir es organisieren — immer wieder Fragestellungen geben, die über den Ressortbereich eines Ministers oder eines Instituts oder einer Megabehörde hinausgehen.Ich nehme als ein Beispiel die Frage: Sind Mineralfasern krebserregend? Da könnten wir das Bundesgesundheitsamt oder die Institute in der Zukunft gestalten, wie wir wollten, wir würden immer auch die Zuständigkeit anderer Ressorts mit erfassen, nämlich Umwelt- oder Arbeitsschutz, also des Arbeitsministeriums oder des Umweltministeriums. Die haben ebenfalls nachgeordnete Behörden und Institute.Ich muß doch bei einem hochbezahlten Minister oder einer hochbezahlten Ministerin verlangen können, daß ich, wenn es fachliche Aufgabenstellungen gibt, die über meine eigene Kompetenz hinausgehen, keinen Paragraphen brauche, um mit den Ministerkollegen zu reden, sondern daß das der kluge Menschenverstand gebietet. Das gleiche gilt für einen gut dotierten Institutsleiter.
Also: Wir haben jetzt eine schlagkräftige Organisation, unabhängig, überschaubar, flexibler und klar mit eigenen Verantwortlichkeiten.
Ich stelle seit November/Dezember letzten Jahres, seit diese Grundentscheidung gefallen ist, fest, daß die Motivation der Mitarbeiter dort enorm zugenommen hat, und wir bekommen auch bedeutend bessere Ergebnisse als zu Beginn meiner Amtszeit.
Meine Damen und Herren, ich möchte diese Debatte nicht abschließen, ohne hier noch einmal deutlich festzustellen, daß wir uns vor dem Hintergrund von Interessenkollisionen, von Nebentätigkeiten und ähnlichem bei aller parteipolitischen Auseinandersetzung als Politiker bemühen sollten, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamts nach rechtsstaatlichen Grundsätzen umzugehen. Mir mißfällt, daß hier in den letzten Wochen und Monaten zuviel an Vorverurteilung stattfindet und daß Persönlichkeitsrechte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verletzt werden. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist nicht mehr korrigierbar.
Dies sage ich nicht, wie manche Zeitungen jetzt schon wieder schreiben wollen oder gerade recherchieren, weil ich etwas zudecken will. Wir haben in den letzten Monaten bewiesen: Dort, wo es berechtigte Vorwürfe gibt, haben wir gehandelt, im Ministerium und im Bundesgesundheitsamt, personell und organisatorisch. Das werden wir auch in der Zukunft tun.Aber wir müssen uns davor hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Deshalb appelliere ich heute
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Bundesminister Horst Seehofernoch einmal gerade an die Opposition, keine Vorverurteilungen vorzunehmen, die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten und nach rechtsstaatlichen Prinzipien auch bei der Aufklärung im Untersuchungsausschuß vorzugehen. Was ich jetzt schon wieder in der Presse zum Teil an Mutmaßungen darüber lese, ist nicht gut. Ganz überwiegend sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamts qualifiziert. Sie sind motiviert. Wir sollten nicht wegen einzelner, die ihre Aufgabe in der Vergangenheit einfach nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Sensibilität bewältigt haben, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Hauses in Mißkredit bringen.
Herr Minister, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Titze?
Natürlich.
Herr Minister, wie wollen Sie die Gratwanderung zwischen der zu Recht angemahnten Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter und dem Problem der exorbitanten Nebentätigkeiten denn bestehen?
Indem wir endlich einmal — das richtet sich jetzt insbesondere an Mitglieder Ihrer Fraktion — mit der verdammten Sucht aufhören, in dem Moment, wo man eine Information hat, ohne Recherche an die Öffentlichkeit zu gehen, Personen zu belasten und nicht zuerst mit den Betroffenen selbst zu reden und zu recherchieren. Ich möchte zuerst wissen: Was ist an dieser Behauptung dran, und was ist an ihr nicht dran? Dazu gehört, daß man sich die Unterlagen ansieht, daß man mit den Betroffenen redet, daß man ihnen die Chance des rechtlichen Gehörs gibt und nicht durch Suggestivfragen beispielsweise im Untersuchungsausschuß den Eindruck erweckt, es wäre alles so, wie man fragt. Die Sucht, die eigene Profilierung, weil man nur so in die Schlagzeilen kommt, vor den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen zu setzen, muß aufhören. Mich ärgert maßlos, was da in den letzten Tagen abgelaufen ist. Ich meine gerade das, was mit dem Leiter eines Instituts bei Frankfurt passiert ist. Ich bin dafür, daß man es aufklärt. Aber ich bin nicht dafür, daß man eine halbe Vorverurteilung vornimmt, bevor man den Betroffenen überhaupt eine Chance zur Erwiderung vor den zuständigen Gremien gegeben hat.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Titze und danach eine Zwischenfrage von Frau Schaich-Walch?
Das kann ich alles unterstreichen. Aber das war keine Antwort auf meine Frage. Mich interessiert nicht das Suchtverhalten der SPD-Bundestagsfraktion.
das vermeintliche oder das unterstellte, sondern mich hat interessiert, wie Sie diese Problematik, diese Diskrepanzen, zu lösen bestrebt sind. Was haben Sie vor, um Nebentätigkeiten mit Einkünften in sechsstelliger Höhe im Jahr abzuschaffen? Es gibt eine Gebührenordnung; wir haben uns im Haushaltsausschuß des öfteren damit befaßt.
Von dem Sachverhalt, den Sie nennen, gibt es einen mir bekannten Fall.
Wir sind dabei, es zu korrigieren.
Die Schwierigkeit ist: Es sind genehmigte Nebentätigkeiten aus den 80er Jahren. Bei diesen Nebentätigkeiten — auch das müssen wir der Öffentlichkeit sagen — geht es nicht um Interessenkollisionen oder gar Korruption. Vielmehr habe ich dieses Thema als Beispiel aufgegriffen, weil ich der Meinung war, bei dem Umfang dieser Nebentätigkeiten können ernsthafte Zweifel angemeldet werden, ob die Haupttätigkeit noch ausgeübt werden kann.
Wir müssen in einem Rechtsstaat einfach mit folgendem Problem leben: daß sich der Betroffene eines Rechtsbeistands bedient, daß wir nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vorgehen müssen und daß es unheimlich schwer ist, einen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen. So geht man vor. Wenn andere Vorwürfe kommen — ich hoffe, wir werden heute im Untersuchungsausschuß die Verfahrensregeln klar festlegen —, dann, meine ich, müssen wir die Vorwürfe aufnehmen, ohne daß wir vorher eine breit angelegte Rasterfahndung gegenüber allen Mitarbeitern durchführen. Dann müssen wir prüfen: Was ist an den Vorwürfen dran? Ist etwas dran, müssen wir Konsequenzen ziehen. Ist nichts dran, müssen wir den Betroffenen natürlich rehabilitieren. Das ist rechtsstaatliches Vorgehen.
Aber ich verurteile es, meine Damen und Herren, so zu tun, als wäre jede Vermutung schon Wahrheit. Damit wird, glaube ich, in den letzten Tagen etwas zu großzügig umgegangen.
Nun die Zwischenfrage von Frau Kollegin Schaich-Walch.
Herr Minister, ich freue mich, daß Sie offensichtlich einen Sinneswandel hatten und sich jetzt so vor diesen Mitarbeiter stellen. Das habe ich, muß ich ehrlich sagen, eine Zeitlang bei der BGA-Debatte vermißt. Ich frage Sie jetzt, ob Sie bereit sind, diesen Mitarbeiter, der freigesetzt, dann aber wieder eingestellt wurde, ebenfalls öffentlich zu rehabilitieren.
Jetzt lese ich Ihnen etwas aus dem Protokoll der Bundestagssitzung vom 28. Oktober 1993 vor.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19439
Bundesminister Horst Seehofer— Frau Präsidentin, ich bin jetzt oft unterbrochen worden. Dies ist ein ganz wichtiges Thema für 3 000 Mitarbeiter im Bundesgesundheitsamt.Ich zitiere vom 28. Oktober 1993. Das Wort hatte, leider nicht durch Sie erteilt, der Bundesgesundheitsminister:Ich möchte heute noch einmal den folgenden Appell an die Öffentlichkeit richten. Wir leben in einem Rechtsstaat. Solange die vielen Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit erhoben wurden, nicht belegt werden können — sie können bis zum heutigen Tage nicht belegt werden —, müssen und sollten wir von der Unschuldsvermutung bezüglich der Mitarbeiter sowohl im Ministerium wie im Bundesgesundheitsamt ausgehen. Ich stelle mich— so damals —deshalb voll vor diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, daß allgemein gehaltene Vorwürfe ausreichen, um Mitarbeiter und ein ganzes Amt mit dem Vorwurf der Interessenkollision und der Korruption zu verunglimpfen, ohne daß Roß und Reiter genannt werden. Ich stehe zu diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und lasse es nicht zu, schon aus menschlicher Fairneß, daß alle in einen Topf geworfen werden und mit Korruption und ähnlichen Verdächtigungen in Zusammenhang gebracht werden.
Das Protokoll vermeldet eine ähnliche Reaktion wie soeben.Meine Damen und Herren, deshalb sind wir in der Kontinuität unserer Einlassungen — von September, Oktober bis zum heutigen Tage. Niemand von der Koalition, kein einziger Abgeordneter — ich habe alle Protokolle nachgelesen —, hat am 8. oder am 20. Oktober, wo es eine sehr heiße Diskussion gab, so reagiert wie Sie und öffentlich die Frage gestellt: Wer schützt die Menschen vor dem Bundesgesundheitsamt? Das waren Sie.Deshalb sage ich noch einmal: Tun Sie heute nicht so, als wären Sie der Anwalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesgesundheitsamt!
Als nächster hat der Kollege Karl Hermann Haack das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat sehr lautstark gesprochen; er verfügt über einen Resonanzboden von 1,87 Metern Länge.
Diese Lautstärke aber hat nichts damit zu tun, daß wir uns heute hier über ein Projekt unterhalten, das einer besonderen Würdigung bedarf. Darum will ich zunächst einmal versuchen, Ruhe in die Sache zu bringen.Ich stelle fest: Dieses Bundesgesundheitsamt ist historisch gewachsen. Es verfügt über eine mehr als hundertjährige Tradition. Berühmte Namen wie Robert Koch und Max von Pettenkofer sind damit verbunden; d. h. ein Teil der Geschichte der medizinischen Wissenschaft nimmt im Bundesgesundheitsamt, früher im Reichsgesundheitsamt, seinen Ausgang. Darüber hinaus hat sich das Bundesgesundheitsamt, 1952 — in der Tradition des Reichsgesundheitsamtes bis 1933 stehend — gegründet, als Anwalt der Gesundheitspolitik aus einem Guß verstanden.Dieses Amt in Berlin hat sich seit 1952 wesentlich erweitert; es sind Institute wie z. B. das Arzneimittelinstitut hinzugekommen. Der Personalkörper hat nach der deutschen Einigung etwa 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfaßt.Es hat in der Vergangenheit mehrere Versuche gegeben, das Bundesgesundheitsamt zu reformieren und an die notwendigen Erfordernisse internationaler Qualität anzupassen. In Vergleichen ist aber auch deutlich geworden, daß die Arbeit des Bundesgesundheitsamts internationalen Standards standhält.Die Probleme dieses Amtes liegen nicht darin, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denunziert werden, sondern darin, daß Entscheidungsstrukturen nicht mehr die erforderlichen Ergebnisse gebracht haben, die sie hätten bringen müssen.Herr Minister, Sie unterstellen jetzt hier der SPD, sie wolle das Bundesgesundheitsamt denunzieren und niedermachen sowie die Motivation der Mitarbeiter zerstören. Sie gehen doch gleich in den 3. Untersuchungsausschuß — „Aids" —. Der 3. Untersuchungsausschuß hat seinen Ursprung vermutlich im Bundesgesundheitsamt. Das ist doch einer der Punkte, die aufgeklärt werden sollen. Also hat es dort doch Probleme gegeben.Die Probleme liegen in den Entscheidungsstrukturen und in dem Verhalten bestimmter Personen, Leitungspersonen. Wenn die SPD in der Vergangenheit Vorkommnisse in der Öffentlichkeit genannt hat, hat sie das nicht getan, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort in der erfolgreichen Tradition des Reichsgesundheitsamtes und des Bundesgesundheitsamtes seit 1952 täglich ihren Dienst tun, niederzumachen, sondern um Fragen zu klären, auf deren Beantwortung die Öffentlichkeit ein Recht hat.Nun füge ich hinzu: Mich betrübt sehr, daß, während wir eine Auseinandersetzung über die Reform dieses Amtes führen, plötzlich versucht wird, die Ergebnisse der Krankenhaushygienekommission unter politischen Gesichtspunkten zu minimieren. Oder nehmen Sie die Sache mit den Kühleiern, der Salmonelleninfektion. Auch darüber haben wir uns unterhalten. Das ist das Stichwort: Unabhängigkeit von Wissenschaftlern in diesem Institut. Bei Hinterfragen dieser Angelegenheit kam heraus: Es gibt unterschiedliche Ansichten über das Problem. Es ist politisch Einfluß genommen worden. So zu tun, als sei mit dem Bundesgesundheitsamt alles in Ordnung, Herr Minister, geht nicht.
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19440 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Karl Hermann Haack
Die Gemeinsamkeit hat darin bestanden, daß die SPD gesagt hat: Eine Behörde mit 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reformieren, kann nicht im Wechselspiel von Regierung und Opposition sowie Opposition und Regierung geschehen. Gemeinsamkeit war da. Ich erinnere daran: Zwei der sechs Institute sind erfolgreich reformiert worden. Das ist das Robert-Koch-Institut, und das ist das Arzneimittelinstitut. Auf diesem Wege wollten wir weitergehen. Da kam Ihr Schnellschuß.
Wir konnten der Presse entnehmen: Jetzt machen wir das alles alleine. Ich war der Auffassung — Sie zitieren mich ja immer —, es werde mit dieser Gemeinsamkeit weitergehen. Dann habe ich erfahren, daß Sie das im Grunde alles mit der Koalition abgekaspert haben.
— Gut. Ich sage nicht „abgekaspert", sondern „abgesprochen".
— Eine Zwischenfrage gibt es nicht. Es ist jetzt genug zwischengefragt worden.
Ich wiederhole: Es ist genug gefragt worden. Es macht keinen Sinn. Das geht im Kleinkram unter. Sie können mir einen Brief schreiben, wenn Sie damit nicht einverstanden sind.
Wir waren der Meinung, wir könnten die Angelegenheit weiter miteinander betreiben. Das war nicht der Fall. Da ist der Punkt der Auseinandersetzung zwischen Ihnen und uns.Sie haben Ihren Gesetzesentwurf heute in zweiter und dritter Lesung vorgelegt. Sie haben hier verbal dargestellt, daß Sie sich vor die Mitarbeiter gestellt haben. Dazu ist anzumerken, daß Sie sowohl bei der Personalversammlung im ICC in Berlin als auch in Einzelgesprächen beim Personal oder beim Personalrat nie eine Mehrheit gehabt haben. Es sind die Worte gefallen, daß der Minister versuche, die Reform im Bundesgesundheitsamt nach Gutsherrenart durchzusetzen. So ist uns vom Personal im einzelnen berichtet worden.Wir bleiben also bei der Einschätzung, daß der Bundesminister die Notwendigkeit der Neuordnung des Bundesgesundheitsamts zur Pflege seines eigenen Images instrumentalisiert hat. Die Art und Weise, wie das Bundesgesundheitsministerium die Neuordnung durchzusetzen versucht, hat die Politikverdrossenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefördert.Wir sagen, daß die SPD, wenn sie im Oktober die Mehrheit bekommt, dabei bleibt, ein Bundesamt für Gesundheitsschutz mit folgender Aufgabenstellung einzuführen:Wir wollen den Vollzug administrativer Aufgaben, wie wir es im Rahmen dieser Reform beim Arzneimittelinstitut getan haben, beschleunigen. Wir wollen im Zusammenhang beispielsweise mit der Zunahme von umweltbedingten Erkrankungen ein System der Risikoerfassung und Riskoabschätzung im Gesundheitswesen etablieren.Insofern finden wir es nicht gut, daß das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene dem Bundesumweltamt zugeschlagen bleibt, obwohl es gesundheitliche Aufgaben hat. Es gehört eigentlich in das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz.
Des weiteren sind wir der Auffassung, daß bei der Spezialisierung unserer industriell verfaßten Gesellschaft ein Bedarf an permanter Politikberatung besteht. Diese Politikberatung erfordert — damit komme ich auf die Unabhängigkeit der Institute und Wissenschaftler vor dem Hintergrund sowohl der Ergebnisse der Krankenhaushygienekommission als auch der Vorgänge um die Salmonelloseverhinderung bei der Eierkühlung zu sprechen —, daß die Unabhängigkeit der einzelnen Institute im Sinne des Bundeskartellamts gewährleistet ist. Das ist unsere Auffassung. Nur dadurch wird institutionell die Unabhängigkeit der einzelnen Institute sichergestellt.Desgleichen ist es erforderlich, unter dem Aspekt von Rehabilitation und Prävention einen Schwerpunkt auf die Gesundheitsaufklärung zu legen. Wir meinen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist in ein solches Bundesamt für Gesundheitsschutz einzubringen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir bedauern, daß diese gemeinsame Aufgabe, von SPD und Koalition zusammen mit der Regierung begonnen, eine Reform dieses Amtes in dem Sinne durchzuführen, es an internationale Standards heranzuführen und damit auch einen Beitrag zur Sicherung des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland zu leisten, durch ein Koalitionsmanöver im Sinne eines Schnellschusses ausgehebelt worden ist. Es sind Fehler gemacht worden.Am 9. März hat im Reichstagsgebäude eine Anhörung zu Ihrem Gesetzentwurf stattgefunden. Herr Dr. Hoffacker, es hilft nichts, sich Bruchstücke herauszupicken. Diese Veranstaltung ging voll gegen Sie,
sie ging voll zu unseren Gunsten aus. Ich bedaure, daß Sie politisch so verstockt sind und den Rat der Sachverständigen nicht angenommen haben.
Ich bedaure, daß der Minister diesen Rat sogar disqualifiziert hat.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19441
Vizepräsidentin Renate SchmidtWir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens auf den Drucksachen 12/7112 und 12/7419.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/6551 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7434 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Besteht darüber Einverständnis ? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Reorganisation des Bundesgesundheitsamtes als Bundesamt für Gesundheitsschutz auf Drucksache 12/7419. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6490 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt weiterhin in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7419 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sachenrechtlicher Bestimmungen
— Drucksache 12/5992 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7425 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael Luther Detlef Kleinert
Hans-Joachim HackerDr. Eckhart PickDr. Wolfgang Ullmann,Dr. Uwe-Jens HeuerDazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Über den Änderungsantrag der SPD werden wir im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Michael Luther das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidetin! Meine Damen und Herren! Heute setzen wir einen Meilenstein bei der Lösung der Probleme, die uns die deutsche Einheit in eigentumsrechtlicher Hinsicht gebracht hat. Wir müssen zwei unterschiedliche Gesetzeslagen verarbeiten. Wenn man ein Ergebnis erzielen will, das dann einheitliche Rechtsgrundlage ist, ist der Weg dahin kompliziert und steinig.Deshalb war eine lange Vorbereitung für das Gesetz notwendig. Viel Arbeit wurde in die Rechtstatsachenforschung gesteckt. Der Einigungsvertrag gab uns den Auftrag, eine Lösung für die auf fremden privaten Grundstücken bestellten dinglichen Nutzungsrechte und das grundbuchlich fixierte selbständige Gebäudeeigentum zu finden. Am Ende der Untersuchung stellen wir fest, daß es eine Vielzahl von Detailproblemen gibt. Alle müssen gelöst werden. Alle werden durch dieses Gesetz aufgegriffen.Gelernt habe ich in den letzten zwei Jahren zwei Dinge: Das wahre Leben ist kompliziert, viel komplizierter, als man manchmal denkt. Das Verwaltungshandeln der DDR war nicht nur lückenhaft, sondern stand unter dem Zeichen einer Diktatur, in der einzelne wie Vögte Entscheidungen treffen konnten.Bei der Rechtstatsachenforschung haben wir auch viele Extremfälle kennengelernt. Sie werden heute von Demagogen oftmals in der Öffentlichkeit vorgetragen. Mit Extremfällen als Argument kann man jedoch keine allgemeingültige Lösung finden.
Denn die meisten Fälle betreffen einfache Menschen, ganz normale Menschenschicksale und Familienschicksale.Am Ende des Beratungsverfahrens glaube ich feststellen zu können, daß uns eine menschenfreundliche Lösung gelungen ist. Diese Behauptung begründe ich mit meinen Erfahrungen vor Ort, die ich in öffentli-
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19442 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Michael Lutherchen Diskussionen, wo Bauern und Häuslebauer an einem Tisch saßen, gemacht habe. Meine Erfahrungen gehen sogar so weit, daß es in einigen Orten in meinem Wahlkreis dieses Gesetzes überhaupt nicht mehr bedarf, weil vernünftiger Menschenverstand zur Einigung fähig war. Deshalb ist die Behauptung von Herrn Thierse — ich hätte ihn gerne angesprochen, wenn er da wäre — in seiner Pressemeldung von gestern einfach falsch, den Häuslebauern werde kein optimaler Schutz geboten. Herr Thierse, Sie wissen, daß das, was Sie sagen, falsch ist. Aber es paßt Ihnen nicht in Ihre Wahlkampfstrategie.
Deshalb wollen Sie lieber die Menschen verunsichern,
Meine Damen und Herren, wir suchten eine optimale Lösung, keine maximale, die nur für die eine oder die andere Partei maximal sein kann. Wir hatten die Wahl über die gesamte Entscheidungsbreite. Entweder nur der einen Personengruppe oder nur der anderen Personengruppe zu Gefallen zu sein ist nicht gerecht, sonderen schafft die meisten Ungerechtigkeiten.
So etwas ist mit der CDU nicht zu machen.
Eine solche Extremposition, meine Damen und Herren, nimmt z. B. die PDS ein.
Sie putscht die Menschen auf und mobilisiert ihre alten Kampfgefährten von Berlin, um Politik zu machen. Die Lebensläufe mancher Verbandsvorsitzender, die in Berlin laut Stellung beziehen, sind schon sehr interessant.
Ihre Änderungsanträge, Herr Heuer, die wir nur in einer einzigen Ausschußsitzung zu sehen bekamen, brauchen Sie offensichtlich als Wahlkampfmunition. Es ist noch nicht einmal schlechte Politik, was Sie betreiben, sondern Stänkerei. Deshalb werden wir, die CDU/CSU, diese Anträge ablehnen.Meine Damen und Herren von der SPD, Herr Hacker, ich wollte Ihnen heute meinen Dank für Ihre konstruktive Zusammenarbeit entgegenbringen. Ich wollte Ihnen heute sogar ein Kompliment aussprechen, weil ich glaubte, daß Sie gelernt haben, Kompromisse schließen und konstruktiv mitdenken zu können. Heute muß ich Ihnen sagen, daß ich schwer enttäuscht bin.
Manchmal glaube ich, Sie sind nicht besser als derVorgenannte. Auch Sie denken in Schachteln, Siegaukeln den Bürgern im Osten Deutschlands etwas anderes vor, als Sie im Westen verkünden. Auf Ihre Zusagen im Berichterstattergespräch — das ist meine Enttäuschung — war eben kein Verlaß.Man stelle sich das einmal vor: Für alle Bedenken, die Sie vorgetragen haben, habe ich mich bemüht, einen Kompromißvorschlag zu unterbreiten.
Ich habe Überzeugungsarbeit bei meinen Fraktionskollegen geleistet. Ich habe mit den Berichterstattern von der F.D.P. gesprochen. Herr Hacker, Sie haben im Berichterstattergespräch die Kompromisse gutgeheißen. Meine Damen und Herren, die SPD hat in der letzten Woche in der Ausschußsitzung, ohne Bedenken zu äußern, allen einzelnen Paragraphen zugestimmt. Sie haben in Ihrem Abschlußplädoyer der Bundesregierung gedankt und das Gesetz als ein gelungenes Werk gelobt. Und heute? Ich zitiere noch mal Herrn Thierse mit seiner Pressemeldung: „Deshalb lehnen wir dieses Gesetz im Bundestag ab." Das verstehe ich nicht.
Weil alles so ist, wie auch Sie es gemacht hätten, lehnen Sie das Gesetz ab! Das verstehe ich nicht. Es kann offensichtlich nicht das gut sein, was nicht gut sein darf. Kurz vor der Wahl kann man doch nicht die von der CDU/CSU und der F.D.P. geführte Bundesregierung loben. Auf die Menschen scheint es Ihnen dabei nicht anzukommen, und auf die Gestaltung der deutschen Einheit legen Sie offensichtlich keinen Wert.Meine Damen und Herren, ich bin deshalb froh, daß wir die Federführung für dieses Gesetz hatten und somit einen Beitrag zur Vollendung der deutschen Einheit leisten konnten. Auch ich hätte sagen können: „Ostinteresse geht über alles". Nein, meine Damen und Herren, ich habe versucht, die CDU/CSU hat versucht,
das Rechtsstaatsverständnis, welches im Westen gewachsen ist, mit der Lebenswirklichkeit aus 40 Jahren DDR im Osten zu verbinden und zu vermitteln. Mein Beitrag besteht darin, daß ich Mauern in den Köpfen abtragen möchte.
Ich weiß, daß dieser von mir gewählte Weg der schwerere Weg ist. Aber er ist auf Dauer besser, denn nur so werden wir ein Volk. Deshalb verteidige ich die Lösungen, die Regelungen, und zwar alle Regelungen des Sachenrechtsänderungsgesetzes.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19443
Dr. Michael LutherMeine Damen und Herren, wie war die Ausgangssituation für die Erstellung eines Sachenrechtsbereinigungsgesetzes? Auf der einen Seite standen die Inhaber von dinglichen Nutzungsrechten und selbständigem Gebäudeeigentum. Auf der anderen Seite standen Privateigentümer an Grund und Boden, denen man ein Haus auf ihr Grundstück gestellt hatte, ohne sie zu fragen. Die einen fordern DDR-Baulandpreis und den Ankauf ihrer Grundstücke, und die anderen sagen: „Das BGB regelt doch alles: Das Haus ist mit dem Grundstück verbunden, und die Eigenheimbesitzer sollten vom Staat entschädigt werden." All das war zu hören gewesen.Beide Extrempositionen gehen nicht. Wir haben den goldenen Schnitt getätigt und jedem die Hälfte zuerkannt. Verfassungsrechtlich ist dieser Weg nicht nur begründbar, sondern logisch — die Anhörung hat das auch deutlich formuliert —, denn es bestehen praktisch auf einem Grundstück zwei Eigentumstitel: Der eine ist der im Grundbuch eingetragene Eigentümer, und der andere ist der im Grundbuch eingetragene Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts. Beide Eigentumstitel sind wahrscheinlich von gleicher Qualität, und demzufolge drängt sich die Lösung der Teilung je zur Hälfte des Wertes des Grundstückes auf.Meine Damen und Herren, im folgenden war die Frage, wie eine Zusammenführung geschafft werden sollte. Zugegeben, wir haben uns für eine Besserstellung der Eigenheimbesitzer entschieden, wonach der Eigenheimbesitzer wählen kann, ob er das Grundstück kaufen oder pachten möchte. Für Grundstücke mit einem Verkehrswert von unter 30 000 DM gibt es nur die Ankaufsmöglichkeit.Aber gerade an diesem Beispiel möchte ich einmal kurz beschreiben, was auf den Eigenheimbesitzer denn zukommt. 30 000 DM Bodenwert bei 500 m2 Grundstück ergibt einen Quadratmeterpreis von 60 DM. Da bei der Bodenwertermittlung in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern 25 DM Erschließungskosten vom baureifen Land abzuziehen sind, haben wir es also hier — umgekehrt — mit 85 DM pro Quadratmeter als Preis für baureifes Land zu tun. Dieses Beispiel können Sie in meiner Heimatstadt Zwickau, einer Stadt mit über 110 000 Einwohnern, finden. Das Grundstück befindet sich in der Randlage von Zwickau. Das Beispiel hat mir gestern noch einmal der Baudezernent von Zwickau, Herr Dietmar Vettermann, bestätigt.Meine Damen und Herren, zahlen muß aber der Häuslebauer nur die Hälfte, also 15 000 DM; und abzüglich des Rabatts, wenn sofort bezahlt wird, nur 14 250 DM. Wenn er es finanziert, bezahlt er bei 7 % Zinsen, 2 % Tilgung und 16 Jahren Laufzeit monatlich rund 100 DM. Entscheidet er sich für einen Erbpachtvertrag, bezahlt er anfangs 12,50 DM im Monat, später 25 DM, nach sechs Jahren 37,50 DM und erst nach neun Jahren die volle Höhe von 50 DM im Monat. Hinzu kommt, daß er zwölf Jahre lang Zeit hat, aus dem Erbpachtvertrag heraus sich zum Kauf zu entschließen.Da steht für mich die Frage, wo hier die „Enteignung Ostdeutschlands fortgesetzt" wird — siehe die genannte Pressemeldung! Meine Damen und Herren von der SPD, ich bitte Sie, sagen Sie solche Dinge nicht wieder! Sie wissen, daß das falsch ist.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen am Beispiel von Zwickau vorgerechnet, was jemand bezahlen muß. Auf dem flachen Land sind die Preise viel niedriger, und die meisten werden mit den Regelungen dieses Gesetzes sehr zufrieden sein.Wenn Sie jedoch den Fall eines 1000-m2-Grundstücks, Lage Alexanderplatz, vorrechnen und das verallgemeinern, müssen die Menschen ja Angst bekommen. Ich sage hier und heute: Vor diesen gesetzlichen Regelungen braucht niemand Angst zu haben, ausgenommen die, die ein schlechtes Gewissen haben oder lieber eines haben sollten.Selbst bei einem Grundstückspreis von 500 DM je Quadratmeter und einem Grundstück von 500 m2 zahlt bei Bestellung einer Erbpacht der Nutzer in den ersten vier Jahren 104 DM im Monat an den Grundstückseigentümer. Da stellt sich für mich eher die Frage, ob das nicht zuwenig ist, wenn ich vergleiche, was jemand an Miete in einer Neubauplattenwohnung zu bezahlen hat.
Sozialdemokratie und Gerechtigkeit sind offenbar zwei verschiedene Paar Schuhe.Meine Damen und Herren, ich habe an diesem Beispiel zeigen wollen — ich sage es deutlich —, was CDU-Politik ist: verantwortliches Handeln und das Bestreben, einen ausgewogenen Ausgleich zwischen allen Beteiligten zu schaffen. So schaffen wir die innere Einheit Deutschlands.
Wir haben in diesem Gesetz viele Detailfragen angesprochen und geklärt, weil die Realität eben so umfangreich ist. Das macht das Gesetz dick, aber es ist übersichtlich, und jeder wird sich darin wiederfinden.Erfaßt sind so gut wie alle Gebäude, die man als Eigenheime bezeichnen kann oder die am 2. Oktober 1990 zu Wohnzwecken dienten. Außerdem sind die Überlassungsverträge in das Gesetz eingebunden für den Fall, daß der Nutzer erheblich investiert hat. Wirtschaftsgebäude von Handwerkern, aber auch von Genossenschaften fallen mit unter die Regelungen dieses Gesetzes. Auch die Gebäude des komplexen Wohnungsbaus im Falle der Überbauung von privaten Grundstücken sind Gegenstand dieses Gesetzes.Nicht erfaßt sind Wochenendhäuser, Garagen und Datschen und zur kleingärtnerischen Nutzung übergebene Anlagen. Das kann man nicht in diesem Sachenrechtsbereinigungsgesetz lösen; denn es handelt sich um Miet-, um Pachtverhältnisse, also um schuldrechtliche Fragen. Außerdem würde die Einbeziehung dieser Fälle zu erheblichen Problemen unter raumordnerischen Gesichtspunkten in den Städten und Gemeinden führen. Hierfür haben wir in der letzten Woche das Schuldrechtsänderungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht, und ich hoffe, daß es uns gelingt, es noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
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19444 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Michael LutherDas Sachenrechtsbereinigungsgesetz trifft auch eine vorläufige Regelung für Grundstücke, auf denen Gemeingebrauchsflächen, Straßen, Plätze usw., entstanden sind. Die Grundstückseigentümer können bis zur endgültigen Lösung dieses Problems ein Entgelt von der öffentlichen Hand verlangen.Sie sehen schon allein an dieser kurzen Aufzählung, wie breit die Regelungsvielfalt dieses Gesetzes ist, wie viele Detailfragen erfaßt sind. Deshalb kann ich den Vorwurf nicht gutheißen, den Sie als SPD bei Einbringung dieses Gesetzes erhoben haben, nämlich daß dieses Gesetz viel zu spät komme. Wenn man dem folgen wollte, müßte man schließen, daß offensichtlich der Bundeskanzler Helmut Kohl, unser Bundeskanzler, bereits am 3. Oktober 1990 dieses Gesetz hätte vorlegen sollen.Es ist uns in historisch kurzer Zeit ein gutes Gesetz gelungen. Erstens. Wir haben Kompromisse geschlossen und konnten erreichen, daß die von Brandenburg geforderten, wenn auch sachlich nicht begründbaren 700 qm Regelgrundstücksgröße gegenstandslos geworden ist. Unsere Regelung ist sinnvoll und richtig.Zweitens. Die geforderten Preisnachlässe und die Einlaufkurve für Erbpachtverträge haben wir diskutiert und geklärt. Wir haben einen Kompromiß im Sinne der Beteiligten und im Sinne des Gewollten finden können. Dafür stehe ich.Drittens. Wir haben schwierige Fragen im Zusammenhang mit dem komplexen Wohnungsbau diskutiert und sind zu einer Lösung gekommen, die den zu zahlenden Betrag an die Grundstückseigentümer nicht von der Zufälligkeit des Standortes eines Hauses abhängig macht.Viertens. Wir haben eine Lösung gefunden, die tatsächlich gewünschten, gewollten und zugelassenen Eigenheimen in Wochenendsiedlungen als Eigenheimen Bestandskraft geben, und sind somit zu einer nutzerfreundlichen Lösung gekommen, auch wenn sich für die Kommunen so manch planungsrechtliches Problem ergeben wird.Fünftens. Mit dem notariellen Vermittlungsverfahren kann den Hauseigentümern und Grundstücksbesitzern juristische Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme gegeben werden. Zudem ist das für die Beteiligten das billigste Verfahren.CDU/CSU und F.D.P. haben mit diesem Gesetz ihr Versprechen eingelöst, welches sie bei den Beratungen zum Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz gegeben haben. Bei den Beratungen zum Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz haben wir den Stichtag 18. Oktober 1989 in der Weise ausgeweitet, daß auch derjenige bestandskräftig erwerben kann, der vor dem 18. Oktober 1989 den Kauf angebahnt hat oder der sehr viel an seinem Haus als Nutzer investiert hat.Uns ist in der damaligen Beratung nicht deutlich gewesen, daß das Grundbuchamt in dieser Zeit so gut wie nicht funktioniert hat, und Erwerb heißt eben Grundbucheintragung. Demzufolge blieben dieser Regelungsversuch und damit auch unsere Intention für diese Gesetzesänderung wirkungslos. Nichts wäre deshalb einfacher, als das Gewollte klarzustellen.Aber — das muß man auch sehen — es gibt erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aus heutiger Sicht. Seit der deutschen Einheit sind vier Jahre ins Land gegangen. Es gibt verfestigte rechtliche Positionen für Restitutionsberechtigte. Eine Klarstellung, z. B. indem man nicht den Grundbucheintrag, sondern den notariellen Kaufvertrag in den Vordergrund stellt, bedeutet, daß auf einmal der Restitutionsantragsteller auf das Entschädigungsgesetz verwiesen wird. Eine relativ sichere Rechtsposition würde wieder weggenommen, und zwar ganz. Das ist verfassungsrechtlich problematisch; das sagen uns die Verfassungsrechtler.Es macht meines Erachtens wenig Sinn, eine solche Regelung heute ins Gesetz schreiben zu wollen, wenn man weiß, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken erheblich sind. Es nutzt niemandem etwas, wenn uns das Bundesverfassungsgericht eine solche Regelung hinterher wieder aufhebt.Deshalb habe ich mich auch hier um einen Kompromiß bemüht. Meinen Vorschlag finden Sie heute im § 120 a Abs. 1 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes. Demnach sollen in den genannten Fällen des § 4 Abs. 2 Satz 2 des Vermögensgesetzes die Inhaber von Kaufverträgen für Gebäude und Grundstücke den Ankauf oder die Erbpacht des Gebäudes und des Grundstückes vom Grundstückseigentümer verlangen können. Der Mieter eines solchen Objektes hat durch sein Wirken in dem Haus das Haus erhalten. Er hat Lebenszeit, Freizeit und Geld investiert. Zu DDR-Zeiten war er praktisch nicht kündbar. Er hatte also durch sein Engagement und durch den gesetzlichen Rahmen der DDR eine eigentümerähnliche Stellung. Heute steht die zweite Eigentümerposition in Form der Restitutionsberechtigung. Deshalb ist es logisch, auch hier einen Interessenausgleich zu versuchen, den Interessenkonflikt wie beim Eigenheim auf fremdem privatem Grundstück aufzulösen. Das schlagen wir — die CDU/CSU und die F.D.P. — vor. Das ist gerechter gegenüber dem Nutzer und dem Alteigentümer, es ist gerechter gegenüber dem Häuslebauer, der heute auch den halben Verkehrswert zahlt. Damit wird ein wesentlicher Wunsch der Nutzer erfüllt: im Haus bleiben zu dürfen.Auf der anderen Seite gehen die Alteigentümer nicht leer aus. Da auch hier die Möglichkeit der Bestellung eines Erbbauvertrages besteht, glaube ich, daß selbst Zweifamilienhäuser in einigermaßen guter Lage mit einer geringen monatlichen Belastung rechnen müssen.Herr Hacker, noch in der letzten Woche konnten Sie der Logik dieser Gedanken folgen, heute nicht mehr. Ich frage mich bloß: Warum?
Meine Damen und Herren, ich finde, das von der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition vorgelegte Sachenrechtsbereinigungsgesetz ist ein gelungenes Gesetzeswerk. Ich habe bisher von keinem eine bessere Lösung gehört, auch von Ihnen nicht, meine Damen und Herren von der SPD.Ich glaube, wenn das Gesetz Bestandskraft hat, werden alle, sowohl die, die im Umland von Berlin
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19445
Dr. Michael Lutherwohnen, als auch die, die im flachen Land, in Mecklenburg, Sachsen oder Thüringen wohnen, lernen, welche Vorteile dieses Gesetz für alle Beteiligten bietet. Da die betroffenen Häuslebauer und Grundstückseigentümer oft im selben Ort wohnen, wird es auch zur Befriedigung im Dorf beitragen, und wenn die Partner aus Ost und West kommen, ist das ein Baustein zur deutschen Einheit.Ich danke der Bundesregierung für ihr Engagement für dieses Gesetz. Ich danke Ihnen, Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger, für Ihren persönlichen Einsatz, und ich danke vor allem auch den fleißigen Mitarbeitern Ihres Hauses, die in Tag- und Nachtstunden an diesem Gesetz gearbeitet haben.
Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt spricht der Minister des Landes Brandenburg Herr Bräutigam.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Sachenrechtsänderungsgesetz ist eines der wichtigsten Gesetze im Bereich der offenen Vermögensfragen. Es ist für Hunderttausende in den neuen Bundesländern von geradezu existentieller Bedeutung.Für zehntausende Familien im Umland von Berlin wird sich nach dem Erlaß dieses Gesetzes die Frage stellen, ob sie sich ihr oft seit Jahrzehnten genutztes Haus noch finanziell leisten können. Das böse Wort von der „Vertreibung über den finanziellen Hebel" macht die Runde. Ich mache mir das nicht zu eigen; aber ich sage, was man heute überall im östlichen Deutschland hören kann.
Der Kampf um die Wohnung, der Kampf um die Häuser nimmt an Schärfe jeden Tag zu. Viele Bürgerinnen und Bürger der neuen Länder befürchten im wahrsten Sinne des Wortes, daß ihnen oft genug nach dem Verlust des Arbeitsplatzes jetzt auch noch der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Das ist die Ausgangslage, über die heute beraten wird. Diese Angst wird nach meinem Eindruck von Tag zu Tag größer. Sie muß von den Menschen genommen werden, und dies möglichst bald, mit möglichst eindeutigen und sozialverträglichen Regelungen. Denn zur Verunsicherung trägt auch das Gefühl bei, einem Gestrüpp von komplizierten Bestimmungen gegenüberzustehen, denen man als Neubundesbürger weniger gewachsen ist als die oft aus dem Westen kommenden Alteigentümer.Ich weiß, daß wir es hier nicht mit einer OstWest-Problematik zu tun haben. Aber besonders im städtischen Raum und ganz besonders im Umland vonBerlin stehen sich doch weit überwiegend ostdeutsche Nutzer und westdeutsche Alteigentümer gegenüber, also zwei Parteien, von denen die eine Partei die zum Ankauf vielleicht erforderlichen 200 000 DM oder sogar noch mehr nicht aufbringen kann und die sie in den letzten 40 Jahren auch unmöglich ansparen konnte, und auf der anderen Seite die Partei, die bis 1990 nicht im Traum daran gedacht hat,
ihr in der DDR gelegenes Grundstück noch einmal nutzen zu können oder noch etwas dafür zu bekommen. Das ist die psychologische Dimension dieses Problems.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Einigungsvertrag hat dem gesamtdeutschen Gesetzgeber aufgegeben, das Auseinanderfallen des Eigentums am Grundstück und des Eigentums am Haus sachenrechtlich zu bereinigen. Darum dieser schöne Begriff „Sachenrechtsbereinigung". Diese Bereinigung muß die in der DDR entstandene faktische Situation berücksichtigen. Sie muß aber auch, um wirklich sozialverträglich zu sein, die Sorgen und Nöte der ostdeutschen Bevölkerung ernst nehmen, wenn die deutsche Einigung nicht dauerhaft Schaden nehmen soll.Die Ihnen jetzt zur Beschlußfassung vorliegende Fassung des Sachenrechtsänderungsgesetzes wird diesem Anspruch nach meiner Meinung in einigen wesentlichen Punkten nicht gerecht.
Einige aus ostdeutscher Sicht besonders wichtige Punkte kann jedenfalls Brandenburg nicht akzeptieren. Darüber wird im Bundesrat zu reden sein.Bevor ich zu den kritischen Punkten komme, möchte ich zunächst einmal feststellen, daß wir das dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Teilungsprinzip ausdrücklich begrüßen. Das ist ein sachgerechter und überzeugender Ansatz — übrigens ein himmelweiter Fortschritt gegenüber dem Prinzip Rückgabe vor Entschädigung. Das sollten wir hier einmal sehen. Der Ansatz ist richtig.Ich begrüße auch, daß die jetzt vorliegende Fassung eine Reihe von Vorschlägen der SPD-Bundestagsfraktion und des Landes Brandenburg, teilweise übrigens auch anderer ostdeutscher Länder, mindestens zum Teil aufgenommen hat. Das gilt namentlich für die Verlängerung der Eingangsphase im Falle der Erbbaurechtslösung bei hohen Grundstückswerten.Absolut unbefriedigend, ja fatal, ist dagegen die Regelung zur Abwicklung der Überlassungsverträge bei Grundstücken mit bereits aufstehenden Gebäuden. Solche Überlassungsverträge sind nur bis zum Jahre 1975 vergeben worden. Es kann doch nicht ernsthaft angehen, daß ein Überlassungsvertragsnehmer, der in Grundstück und Gebäude über Jahrzehnte hinweg viel Zeit, Arbeitskraft und Geld unter den schwierigen Bedingungen der DDR investiert hat, jetzt darum bangen muß, ob er unter die Sachenrechtsbereinigung fällt oder ob er lediglich den weit geringeren Schutz des in Vorbereitung befindlichen
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19446 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Minister Dr. Hans Otto Bräutigam Schuldrechtsbereinigungsgesetzes in Anspruch nehmen kann.
In diesem Punkt ist, wenn man den betroffenen Menschen die Angst nehmen will, eine wesentliche Verbesserung erforderlich, die notfalls im Vermittlungsausschuß erreicht werden muß. Jedenfalls werden wir das versuchen.
— Und ob wir das versucht haben! Ich komme noch darauf.
Ein weiterer Punkt, der ganz und gar unbefriedigend geregelt ist, betrifft die sogenannten hängenden Verkaufsfälle. Für die Juristen der Bundesregierung ist der Erwerb eines Grundstücks erst mit der Eintragung in das Grundbuch abgeschlossen.
Nur dann sind redliche Käufer vor Rückübertragung geschützt. Aber in den wenigsten Fällen ist es noch vor dem 3. Oktober 1990 zu einer Eintragung im Grundbuch gekommen, so daß die wichtigen Ausnahmen von der Stichtagsregelung für eine große Zahl von Menschen, die geglaubt hatten, das Grundstück redlich erworben zu haben, leerlaufen.
— Das ist ganz sicher eines der Kernprobleme. Es betrifft viele, viele tausend Menschen.Die jetzt vorgeschlagene Regelung, nämlich daß die Betroffenen nochmals kaufen sollen — und jetzt zu hohen Preisen —, weil sie beim ersten Mal hängengeblieben sind, das kann man wirklich niemandem begreiflich machen.
Ich kann das keinen Kompromiß nennen. Ich finde absolut unverständlich, was hier offensichtlich noch in letzter Minute beschlossen worden ist. Jedenfalls ich kann mich damit zu Hause nicht sehen lassen; ich werde das nirgendwo vertreten.
Brandenburg bleibt bei seiner Forderung, daß bereits der notarielle Kaufvertrag als Erwerb im Sinne des Vermögensgesetzes anerkannt werden muß. Denn es ist doch, meine sehr geehrten Damen und Herren, zutiefst ungerecht, wenn allein der Zufall darüber entscheiden soll, ob der Betroffene vor einer Rückübertragung geschützt wird oder nicht.
Ich erinnere daran, Frau Bundesjustizministerin, daß diese Frage in Ihrem Haus bereits im Zusammenhang mit der Arbeit an dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz erörtert worden ist. Mitarbeiter Ihres Hauses haben damals erklärt, daß nach ihrer Auffassung auf das Erwerbsgeschäft, nicht auf die Grundbucheintragung abzustellen sei.
Auch Brandenburg hat diese Auffassung, die sich eindeutig aus den Materialien des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes ergibt, nachdrücklich vertreten.Seit der bedauerlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Oktober 1993 kann diese Position leider nicht mehr aufrechterhalten werden. Darum ist jetzt eine gesetzliche Klarstellung unabdingbar, und diese fordern wir ein.
Daß dagegen nun plötzlich verfassungsrechtliche Einwände vorgebracht werden, ist mir völlig unverständlich. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Luther, meinen, das Bundesverfassungsgericht würde das wieder kassieren, dann kann ich Ihnen nur raten: Etwas Mut zum Risiko würde Ihnen sehr gut anstehen!
Ich will daran erinnern, daß das Bundesverwaltungsgericht in seinem sehr kurz formulierten Beschluß eine gesetzliche Klarstellung zu bedenken gegeben hat.
Ich will nicht sagen, daß das eine Aufforderung gewesen ist, aber das Bundesverwaltungsgericht hat dies offenkundig für möglich gehalten. Es handelt sich ja doch um die Korrektur einer Regelung, bei der man von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, und darum kann ich das verfassungsrechtliche Problem beim besten Willen nicht erkennen.
Herr Minister, gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luther?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Minister, weil Sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zitiert haben, möchte ich fragen: Sind Sie mit mir der Meinung, daß das Bundesverwaltungsgericht genau den umgekehrten Fall zur Überprüfung gestellt hat, nämlich ob die damals ins Grundbuch Gekommenen rechtmäßig hineingekommen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe aus diesem Urteil nicht zitiert, ich habe die Gründe dieses Beschlusses nicht vor Augen. Dies ist jedenfalls nicht mein Verständnis.
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Minister Dr. Hans Otto Bräutigam
Abschließend noch ein Wort zu der vieldiskutierten Stichtagsregelung. Sie ist nicht Gegenstand der Sachenrechtsbereinigung, aber sie hat auch in diesem Zusammenhang Relevanz. Die Diskussion über die Stichtagsfrage, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht zur Ruhe gekommen. Sie wird heute, nachdem die Folgen für jedermann sichtbar geworden sind, mit noch größerer Erregung geführt als zu der Zeit, als das Land Brandenburg im Bundesrat eine Initiative zur Streichung des Stichtags eingebracht hat.Diese Bemühungen sind leider erfolglos geblieben. Aber das ändert ja nichts daran, daß der Stichtag als Ausschlußregelung im Vermögensgesetz zutiefst ungerecht ist. Ich erinnere daran, daß in der Erklärung vom Juni 1990 der Stichtag eine andere Funktion hat. Er ist erst im Vermögensgesetz zu einer Ausschlußfrist geworden. Dadurch wird eine Redlichkeitsprüfung im Einzelfall ausgeschlossen, und die Betroffenen fühlen sich pauschal als unredlich qualifiziert.Auf die ganz große Mehrheit der Erwerber von Grundstücken nach dem sogenannten Verkaufsgesetz vom März 1990 trifft das aber nicht zu.
Sie haben in redlicher Weise gekauft — dies ist heute überhaupt nicht mehr umstritten —, und sie haben auch zum erstenmal überhaupt volkseigenen Grund und Boden kaufen können. Früher konnten sie ja überhaupt nicht kaufen.
Die Stichtagsregelung ist aber nicht nur ungerecht, sie ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich; denn hier werden viele tausend Verträge rückwirkend aufgehoben.
Im Vermögensgesetz vom September 1990 ist diese Frage, so meine ich, falsch entschieden worden. Jedenfalls ist man von falschen Voraussetzungen ausgegangen,
von einer nicht klaren Einschätzung der Lage.Sie ist aber mit dieser Entscheidung von 1990 nicht erledigt. Wenn man in den ostdeutschen Ländern herumkommt, dann muß man feststellen, daß diese Regelung keine Akzeptanz gefunden hat. Eine sozial verträgliche Regelung dieser Problematik steht noch aus. Die Debatte, die hier heute stattfindet, bestätigt in einem tieferen Sinne, daß wir sozialverträgliche Regelungen der so wichtigen Eigentumsfragen bis heute nicht erreicht haben.
Diese Regelungen sind im Interesse der Zusammenführung der Menschen in beiden Teilen Deutschlands unverzichtbar.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Detlef Kleinert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für einen Justizminister und Diplomaten hat sich Herr Bräutigam eben doch verhältnismäßig einseitig
und auch sehr gezielt auf den einen Teil der von einer sehr schwierigen Frage betroffenen Bürger bezogen.
Das Problem ist doch nicht — wie das Herr Bräutigam sagt —, daß diejenigen, die Eigentum haben, es behalten müssen,
daß die Grundsätze unseres Eigentumsrechts nur darauf gerichtet sind, daß irgend jemand, der, auf welche Weise auch immer, in den Besitz von Grundstücken gekommen ist, diese jetzt als Eigentum erhalten muß,
nachdem ein solcher Vorgang nach allen Rechtsregeln, auch nach den Rechtsregeln der früheren DDR,
nicht zustande gekommen war.
Wir sagen ja nicht — wie Sie, Frau Fuchs, mit Ihren Zwischenrufen zu unterstellen belieben —, daß diejenigen, die jetzt in ihren Häusern sitzen, die sie zum Teil mühsam selbst aufgebaut haben — —
— Sagen Sie einmal: Was ist das für eine Art zu debattieren? Ihnen kommen die Tränen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Respekt habe vor denen, die da jetzt Besitz haben, die da wohnen und die da eigene Leistungen erbracht haben?
— Ist Eigentum für Sie ein Schimpfwort? Es käme uns für die deutschen Bürger darauf an, bei dieser Gelegenheit einmal von der Sozialdemokratie ganz allge-
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Detlef Kleinert
mein zu hören, daß Eigentum für sie ein Schimpfwort ist.
Das ist ja eine ganz seltsame Art, eine solche Verhandlung zu führen.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gebe mir hier Mühe, bei der Schilderung der Ausgangslage einmal auf beide Seiten einzugehen.
Frau Matthäus-Maier, bitte schön. — Entschuldigung, Herr Präsident, das steht natürlich Ihnen zu.
Ich wollte nur mein Einverständnis für die Zwischenfrage geben.
Sie müssen die Frage zulassen. — Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Herr Kleinert, wollen Sie nicht den Unterschied sehen, den wir machen? Selbstverständlich ist für Eigentum einzutreten etwas Gutes. Was wir ablehnen, ist der Eigentumsfetischismus, der bei Ihnen hier hervorkommt,
der schon bei der unseligen Regelung Rückgabe vor Entschädigung im Osten Böses angerichtet hat.
— Nein. Da ich hier die Hauptrednerin und Berichterstatterin beim ersten Einigungsvertrag war, kann ich sagen: Wir haben ausdrücklich diesem Punkt des Einigungsvertrages, des ersten Staatsvertrages, nicht zugestimmt.
Wir waren der Ansicht, daß dieser Punkt Rückgabe vor Entschädigung — wie es dann auch gekommen ist — zu schwerer Störung der Investitionstätigkeit in Ostdeutschland führen würde. Also: ein Unterschied zwischen Eigentum und Eigentumsfetischismus, Herr Kleinert.
Sehr verehrte Frau Kollegin, wenn Sie Ihre Ohren benutzt hätten, um den hinter Ihnen sitzenden Herrn Kollegen in seinen unglaublichen Äußerungen zu verfolgen, dann hätten Sie festgestellt, daß er darauf, daß ich versucht habe, die Lage derjenigen, die jetzt Besitz, aber kein Eigentum haben — mit deren Lage wollen wir uns hier in einer möglichst ausgleichenden und objektiven Weise beschäftigen —, geantwortet hat — wobei er inForm eines Schimpfwortes, noch dazu in durchaus aggressiver Form auf mich eindrischt, wenn ich so etwas Verständnisvolles sage —, es kämen ihm die Tränen, wenn ich das sage. Er glaubt mir also nicht. Im nächsten Atemzuge sagt er, wir seien eine Eigentumspartei. Das ist eine Beschimpfung der Idee des Eigentums, die von größter Bedeutung für die persönliche Freiheit und das persönliche Wohlergehen ist.
Ich mache den Versuch noch einmal, es Ihnen zu erklären — ich bin da sehr geduldig —: Es gibt viele Menschen, die unter sehr unklaren Rechtsverhältnissen und mit der Perspektive, daß diese unklaren Rechtsverhältnisse nie geändert würden, Besitz erworben haben, was auf eine Art, historisch bedingt, einen besonderen guten Glauben begründet. Daraus entsteht ein Problem gegenüber einer Gesellschaft, deren Rechtsverhältnisse sich kontinuierlich fortentwickeln, gegenüber denjenigen, die nun einmal nach bürgerlichem Recht — so wie es jetzt wiederhergestellt worden ist — Eigentum an eben diesen Grundstücken, von denen andere glaubten, sie gutgläubig erworben zu haben, begründet haben. Da liegt das Problem, mit dem wir uns bei diesem Gesetz auseinandersetzen müssen.
Wenn Sie beide Extrempositionen beziehen — sie sind mir wohlbekannt; ich halte sie, von sehr, sehr seltenen Ausnahmefällen abgesehen, für falsch —, dann handelt es sich darum, daß der eine sagt: Ich habe hier das Regime ertragen aus Treue zur Heimat, habe stillen Widerstand geleistet, habe dabei noch das Grundstück bebaut mit meiner Hände Arbeit. Jetzt kommt jemand, der abgehauen ist, der die ganzen Jahre im Wohlstand gelebt hat, und sagt, seine Großeltern seien einmal Eigentümer gewesen. Er will es wiederhaben.Die andere Position ist: Ich bin bei Nacht und Nebel verhaftet worden. Ich bin unter schäbigsten Bedingungen eingesperrt, dann aus dem Lande hinausgetrieben worden, habe mich beim besten Willen nicht um mein Grundstück kümmern können und will nun für die Jahre der Vertreibung von meinem Grund und Boden und aus meiner Heimat wenigstens mein ererbtes Grundstück wiederhaben.
Die beiden Positionen werden vertreten, nur in Extremfällen zu Recht. Die Wirklichkeit geht immer etwas mehr zur Mitte hin. Die Positionen sind miteinander unvereinbar.Auf der Basis lassen sich mit solchen schlagwortartigen Positionen diese schwierigen nun einmal entstandenen Zustände nicht bereinigen, so wie es notwendig ist, wenn wir alle zusammen wieder einen vernünftigen Begriff von Eigentum haben wollen und wenn die Wunden, die dieses Unrechtsregime und nicht die alten Eigentümer geschlagen haben, nach und nach verheilen sollen. Wir werden es keiner der beiden Seiten recht machen können, schon gar nicht den Verfechtern von Extrempositionen. Deshalb haben wir mit diesem Gesetz die schwierige Aufgabe zu lösen versucht, einen einigermaßen vernünftigen
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Detlef Kleinert
Weg zur Lösung zu finden. Das ist das Ergebnis, vor dem wir heute stehen, vor dem Hintergrund der Ausgangsposition, die ich zu bezeichnen versucht habe.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie jetzt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanitz?
Bitte schön.
Bitte, Kollege Schwanitz.
Danke schön.
Herr Kollege Kleinert, nachdem ich Ihren Worten entnehmen konnte, daß nach Ihrer Auffassung bei der Frage Rückgabe vor Entschädigung, bei dieser Grundsatzentscheidung, 1990 offensichtlich kaum Unterschiede zwischen den Parteien bestanden hätten,
möchte ich Sie fragen, wie Sie sich erklären, daß in dem jüngst vorgelegten Entwurf Ihrer Partei unter dem Titel „Mehr Freiheit durch mehr Eigentum", der offensichtlich ja zum Parteitag eingereicht werden soll und dort Beschlußvorlage ist, der Satz zu finden ist, bezogen auf die These Rückgabe vor Entschädigung:
Sie allein
— nämlich die F.D.P. —
hat diesen Grundsatz immerhin für die Enteignungen nach 1949 gegen den Widerstand der anderen Parteien im Einigungsvertrag durchgesetzt.
Es handelt sich hier um eine Folge bewußt herbeigeführter Mißverständnisse. Sie wollen einfach nicht verstehen, was ich Ihnen mühsam zu erklären versuche.
Wir haben schon vor der Abstimmung über den Vertrag zur Einheit in der F.D.P.-Fraktion, und zwar nicht für die Fraktion, sondern mit den Unterschriften einer großen Zahl einzelner Mitglieder, einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem wir gesagt haben: Wir wollen den Grundsatz des Eigentums, obwohl im Einigungsvertrag, aus Gründen, die hier jetzt nicht ausführlich behandelt werden können, diesbezüglich Verzichte geleistet worden sind, so weit, wie es möglich und verträglich ist, durchgesetzt wissen. Auf dieses unser Verhalten in dieser Frage haben wir in dem Papier, das Sie eben freundlicherweise zitiert haben — ich hoffe, es wird noch weit bekannt im Lande —,
erneut hingewiesen, weil wir nämlich wirklich der Auffassung sind, daß Freiheit sehr viel, aber keineswegs ausschließlich mit Eigentum zu tun hat.
Das wollten wir bei dieser Gelegenheit in Erinnerung rufen. Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch und keinen Grund für Ihre Frage.
Wenn aber Herr Bräutigam als Justizminister und somit für Frieden unter den Bürgern Verantwortlicher hierherkommt und sagt: „Man spricht von neuer Vertreibung. Im Lande wird das so gesagt."
und wenn er dann von diesem Pult aus sagt: „Aber ich mache mir das ja nicht zu eigen": Das ist doch die Art von Häuseransteckern, die es dann nicht gewesen sein wollen. Das gehört sich nicht.
Das gehört sich nicht für einen Justizminister.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Hitschler?
Bitte schön, Herr Hitschler.
Bitte.
Herr Kollege Kleinert, sind Sie bereit, dem Gedächtnis des Kollegen Schwanitz ein bißchen nachzuhelfen und ihm zu sagen, daß der Einigungsvertrag nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde, sondern auch von der damaligen DDR-Regierung, in der die Partei des Kollegen Schwanitz, wenn ich mich recht erinnere, maßgeblich vertreten war, so daß der Vertrag damit die Zustimmung der Partei des Kollegen Schwanitz gefunden hat? Das ist das erste.
Zum zweiten zur Stichtagsregelung: Herr Kollege Kleinert, wenn ich mich recht erinnere — ich war im Bauausschuß auch an diesen Fragen beteiligt —, geht die Initiative zur Stichtagsregelung im wesentlichen auf Kollegen aus den neuen Bundesländern zurück,
die mit der Einführung dieser Stichtagsregelung verhindern wollten, daß eben schnell vor der Einheit zu äußerst niedrigen Preisen, insbesondere von privilegierten Bonzen des damaligen Systems, noch abgeschlossene Kaufverträge in den Genuß dieser Regelung kommen und der Erwerb nachträglich gebilligt wird.
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19450 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Walter HitschlerIch kann mich beispielsweise aus dem Bauausschuß daran erinnern,
daß Ihr Kollege — —
Herr Hitschler, das geht so nicht. Wir sind auf Zwischenfragen eingerichtet, aber nicht auf Kommentierungen der Fragen anderer. Es kann also nur so sein, daß Sie dem Kollegen Kleinert eine direkte Frage stellen. Wenn Sie das noch wollen, bitte!
Herr Präsident, ich habe die Frage des Kollegen Hitschler verstanden
und möchte mich bei ihm sehr herzlich dafür bedanken, daß er mir die Mühe, um die er mich gebeten hat, weitgehend abgenommen hat. Danke schön.
In dieser enorm schwierigen Lage zwischen den Interessenten, in der wir uns eben nicht darauf einlassen, Schwarz-Weiß-Positionen zu beziehen, und in der wir uns nicht darauf einlassen, uns auf dogmatische Festlegungen zu kaprizieren, in dieser schwierigen Ausgangssituation ist das Gesetz vorbildlich ausgearbeitet und beraten worden. Dafür möchte ich der Frau Bundesjustizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, und ihren Mitarbeitern sehr herzlich danken.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ullmann?
Ich möchte auch, Herr Kollege Ullmann, den Kollegen, also auch Ihnen — das wird Sie für die kleine Verzögerung Ihrer Frage entschädigen —, sehr herzlich für die Teilnahme an den Beratungen danken. Ebenso danke ich den Berichterstattern für den aufgeschlossenen und objektiven Geist, in dem die Beratungen geführt worden sind. Seltsamerweise war es erst jetzt, in letzter Minute, so, daß Sie, die Sie an der früheren verständnisvollen Suche nach einer einigermaßen erträglichen Lösung — denn mehr kann aus einer solchen Sache beim allerbesten Willen aller Beteiligten nicht werden — beteiligt waren, sich nun aus dieser Sache verabschieden. Sie wollen in einer Weise, die Sie schon hier im Plenum deutlich zu erkennen geben, offenbar in den nächsten Monaten mit einer Art Schlagwortargumentation über Land gehen, die der Sache nicht gerecht wird, statt zu dem gemeinsamen, mühsam erarbeiteten Ergebnis zu stehen, das dem Frieden und einer Einigung in unserem Lande dienen soll.Ich bin darüber sehr betrübt, daß Sie den Versuch, den wir gemacht haben, einen Versuch, bei dem gerade die Liberalen sehr weit über gewisse Grundsätze, denen sie aber nicht dogmatisch verpflichtet sind, hinweggegangen sind, einfach mit platter Polemik wegwalzen wollen. Denn wenn — was Herr Bräutigam hier bedauert hat — eine Regelung hinsichtlich der hängenden Verkaufsfälle gefunden worden ist, wie sie Herr Luther ersonnen, angeregt und anschließend mit uns allen gemeinsam so vereinbart hat, dann bedeutet das doch in krassem Gegensatz zu Ihrer Betrachtungsweise, daß beide Seiten nachgeben.Natürlich ist es hart, wenn man für das, für das man einmal bezahlt hat und worin man schon wohnt, auf Grund der schwierigen Rechtslage noch einmal etwas bezahlen soll. Aber natürlich ist es doch genauso hart für die andere Seite, wenn sie auf die Hälfte dessen, was ihr nun einmal nach tadellos verbrieften Rechtstiteln normalerweise zustehen würde und bei Untätigkeit des Gesetzgebers zu einer Fülle von Prozessen der härtesten Art führen würde, ihrerseits auch verzichten soll. Es sollen beide Seiten verzichten.Ich möchte dann einmal wissen, ob es kein Kompromiß ist, wenn man sagt: Beide Seiten müssen nachgeben und aufeinander zugehen. — Das ist doch der Prototyp des Kompromisses.Der Ministerpräsident von Brandenburg, Herr Stolpe, hat der Frau aus Hannover, die seit einigen Tagen die erste Seite der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" mit dem Bericht über diese Auseinandersetzungen nicht ganz, aber doch zu einem erheblichen Teil füllt, seinerseits angeboten, statt der 20 000 Mark, die er einmal an irgendeine Stelle der ehemaligen DDR für das Grundstück, auf dem er wohnt, bezahlt hat, jetzt die Hälfte des Zeitwerts zu zahlen.Das früher einigermaßen freundschaftliche Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ist dann schließlich aus allen möglichen Gründen — vermutlich auch wegen atmosphärischer Störungen — schlagartig an dem Tag abgebrochen, an dem der Herr Ministerpräsident glaubte, durch eine Verwaltungsentscheidung der DDR irgendeine Art Eigentum erworben zu haben. An diesem Tage hat das freundschaftliche Verhältnis abrupt geendet, und das dürfte die Vergleichsverhandlungen etwas beschwert haben.
Was er angeboten hat, war das, was wir mit diesem Gesetz vorschlagen,
daß nämlich ungefähr das, was er den Erben angeboten hat — die Hälfte des Verkehrswerts —, noch nachgezahlt wird und dann die eine Seite nicht den vollen Schaden trägt und auch die andere Seite nicht den vollen Schaden trägt — ein Ergebnis, wie man es, Frau von Renesse, bei Gericht als vergleichstiftender Richter nicht besser erwarten kann.Nun machen wir den gewagten Versuch, einen solchen Vergleich angesichts der Masse der Fälle durch ein Gesetz den Betroffenen anzudienen. „Gewagt" sage ich auch im Hinblick auf die hier angesprochenen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte. Dann kommen Sie doch bitte nicht her und sagen, wir machten uns nicht äußerste Mühe, und wir würden nicht beide Seiten verstehen.Wir bemühen uns, das Ding so gut, wie es bei einem so unglaublich schwierigen Fall überhaupt nur möglich ist, unter Zurückstellung all unserer grundsätzlichen, in anderen Fällen nach wie vor gültigen Ansich-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19451
Detlef Kleinert
ten über das Eigentum zu einem guten Ende zu führen. Dafür haben wir Beifall verdient und nicht Ihre unintelligenten Angriffe.
Herr Kollege Kleinert, jetzt muß ich Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ullmann?
Ich bitte darum.
Bitte, Kollege Dr. Ullmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Kleinert, noch eine Frage zum Thema Brandstifter: Stimmen Sie mir zu, daß wir hier in diesem Hause einen Konsens darüber hatten und, wie ich denke, auch noch haben, daß hier weder die Anstifter noch die Sympathisanten derselben sitzen, sondern die Gegner derselben,
und stimmen Sie mir nicht auch darin zu, daß wir Herrn Minister Bräutigam in diesen Konsens einbeziehen sollten?
Wir hatten ja kürzlich, Herr Kollege Ullmann, wie Sie wissen, auf die liebenswürdige Einladung von Herrn Minister Bräutigam — an einem anderen Ort und deshalb natürlich in einer etwas ruhigeren Atmosphäre; auch beflügelt durch das ruhiger Atmosphäre immer dienliche Essen, das Herr Bräutigam im Interesse des Landes Brandenburg ausgegeben hat — eine Unterhaltung über dieses Thema. Auf der Basis werden wir ja sicherlich auch wieder miteinander in aller Ruhe sprechen können.
Aber wenn ich mir hier anhören muß, daß man ja eine Meinung nicht habe, die man gerade als die Meinung anderer zitiere, dann darf ich mir doch einmal erlauben, meine Meinung über diesen besonderen rhetorischen Kunstgriff in möglichst kurzer und prägnanter Form zum Ausdruck zu bringen.
Das wird man hinterher persönlich dann schon wieder bereinigen können. Aber diese Art von Rhetorik war etwas zu dicke gegriffen. Nur das hatte ich gemeint.
Allein der Zufall entscheidet, sagt Herr Minister Bräutigam. Natürlich ist das so. Der Zufall hat entschieden, ob vor oder nach dem Stichtag Kaufverträge — teils sehr redlicher und teils erheblich weniger redlicher Art — abgeschlossen worden sind. Da wir aber in den allermeisten Fällen nicht herauskriegen können, wer wirklich redlich und wer nicht ganz so redlich oder total unredlich war, müssen wir uns auf
eine etwas pauschalere Verhaltensweise einrichten, wenn wir es ernst meinen mit dem Gedanken, in dieser Sache — nach Jahren, in denen es weiter brodeln wird, weil die Beteiligten das nicht so hinnehmen; das sehen wir mit Bedauern — doch schließlich zu einer Beruhigung zu kommen. Dann muß aber auf einer vernünftigen mittleren Basis entschieden werden.
Da kann man nicht sagen: Diese haben recht! oder: Jene haben recht!
Wenn Sie uns hier vorhin als die „Eigentumspartei" angegiftet haben,
was wir gern als Ehrenzeichen durch den Wahlkampf tragen werden — —
Ich sprach im Moment nicht von Frau MatthäusMaier, sondern von ihrem Hintermann.
Der Eigentumsfetischismus wäre wohl ein Ding, das wir besser außerhalb des Plenums erörtern, weil sich mit diesem Begriff eine Fülle schillernder und unterschiedlichster Möglichkeiten der Ausdeutung verbindet. Einiges davon weisen wir schon einmal auf Verdacht mit Abscheu und Empörung zurück.
Das andere können wir dann einmal diskutieren.
Natürlich walten hier diese gewissen Zufälle. Wir haben einen mutigen Schritt getan — das werden uns die Alteigentümer genauso verübeln wie die Neueigentümer, wenn ich einmal entgegen der Rechtslage so sagen darf —, um wenigstens in absehbarer Zeit zu einer einigermaßen akzeptablen Lösung zu kommen.
Ich sage Ihnen mit großem Ernst: Daß wir das getan haben, hat einen Grund. Wir möchten gern, daß das Wort „Eigentum" nicht das Schimpfwort bleibt, als das Sie es zu mißbrauchen belieben, sondern daß das Wort „Eigentum" auch in Herz und Hirn der Bürger in den neuen Ländern einen vernünftigen und festen Platz findet.
Deshalb sind wir bereit, von denen, die nach den starren und toten Buchstaben des Gesetzes alleine Eigentümer sein würden, hier Opfer zu erbitten, damit aus diesem Aufeinanderzugehen dann wirklich die Gemeinsamkeit entsteht, in der sich alle an ihrem dann wieder sicheren Eigentum erfreuen können.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
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19452 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem nicht enden wollenden Beitrag meine Bemerkungen zu diesem Thema. Der Gesetzentwurf ist nicht nur im Bundestag und seinem Rechtsausschuß heftig umstritten. Das spiegelt die Diskussion auch wider. Es finden zwischen vielen Ostdeutschen und Westdeutschen, auch, wenngleich in den Formen zivilisierter, zwischen Ostdeutschen — aber die Leidtragenden sind immer Ostdeutsche —, dramatische Auseinandersetzungen um rund zweieinhalb Millionen Grundstücke, darunter allein 600 000 Einfamilienhäuser, in Ostdeutschland statt.
Herr Kleinert hat soeben den Ruhm auf seine Fahnen oder die Fahnen seiner Partei geheftet, daß die Formel Rückgabe vor Entschädigung die Erfindung der F.D.P. sei und daß sie das dann den anderen Parteien beigebracht hätte. Es handelt sich hier allerdings wirklich um eine Extremposition. Er hat sich heute als Vertreter des Juste-milieu dargestellt. In Wirklichkeit war das die Extremposition, unter deren Folgen wir heute ununterbrochen leiden und die jetzt, auch von der Partei des Herrn Kleinert, korrigiert werden muß. Aber die Ursachen für unsere heutige Diskussion liegen in ihrem damaligen Satz Rückgabe vor Entschädigung. Er hat uns vor die Probleme gestellt, die wir heute haben.
Herr Kleinert hat mit der ihm eigenen wünschenswerten Offenheit heute auch gesagt, normalerweise würde das alles natürlich sowieso den Westdeutschen gehören, und es ist ein großes und gütiges Zugeständnis — —
— Aber natürlich haben Sie das gesagt, Herr Kleinert!
— Eine Frage von Herrn Otto.
Herr Kollege Otto, bitte.
Herr Kollege Heuer, würden Sie mir bitte erläutern, wie es sich mit den von Ihnen immer so titulierten Westdeutschen verhält? Würden Sie vielleicht bereit sein, anzuerkennen, daß es sich bei diesen Menschen um Ostdeutsche handelt, die allerdings aus verschiedenen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben worden sind oder geflüchtet sind? Es sind keine Westdeutschen, wie es immer wieder hingestellt wird, die dort Ansprüche haben. Sind Sie bereit, mir das zu konzedieren?
Es sind sowohl Westdeutsche wie Ostdeutsche. Das habe ich schon gesagt.
Es geht letztlich auch hierbei um die Frage: Wer soll die Last der Vereinigung tragen, wer soll welchen Preis dafür zahlen?Unter den Ostdeutschen, die plötzlich den Alteigentümer, öfter noch aber dessen Erben oder den Makler mit dem aufgekauften Rückübertragungsanspruch — meinetwegen auch einen ostdeutschen Makler —, im Garten oder im Wohnzimmer ihres Häuschens stehen sehen, machen sich Wut und Verzweiflung breit, bis hin zu Selbsttötungen, wie Sie wissen. Herr Kollege Eylmann hat das wohl in der letzten Woche in Falkensee erfahren.Diese Wut und diese Enttäuschung werden bei vielen Ostdeutschen auch aus dem Gefühl genährt, hier von der Bundesregierung getäuscht worden zu sein. In der Gemeinsamen Erklärung beider Regierungen vom 15. Juni 1990 war noch gesagt worden, daß das Eigentum und die dinglichen Nutzungsrechte in den Fällen redlichen Erwerbs geschützt seien und die Veräußerungen nach dem 18. Oktober 1989 „überprüft" würden, was ja nur Einzelfallprüfung heißen konnte.Mit dem Vermögensgesetz — das ist hier schon gesagt worden — wurde dann die Stichtagsregelung mit der Unredlichkeitsfiktion festgeklopft, die niemand im Osten versteht. Wenn hier jemand unredlich war, dann die Bundesregierung! Wir sind für die Streichung der Stichtagsregelung, die wir für verfassungswidrig halten.
— Wessen Leute das waren, darüber wird die Geschichte urteilen!
Worum geht es der Regierung bei dem vorliegenden Gesetzentwurf? — Formal geht es darum, die Rechtslage in der ehemaligen DDR, nach der das Eigentum an Grund und Boden und an den darauf befindlichen Gebäuden auseinanderfallen konnte, an die Rechtslage nach dem BGB anzupassen.Ich bin der Meinung, die Bundesrepublik Deutschland würde nicht untergehen und hätte auch keinen ernsthaften Schaden genommen, wenn diese unterschiedliche Rechtslage fortbestehen würde. Es hat in der Geschichte des deutschen Zivilrechts und des BGB immer Gegenstände gegeben, die unterschiedlich geregelt waren. Ich erinnere nur an das Anerbenrecht.Ob die Rechtsangleichung nur Vorwand ist oder nicht, in jedem Falle ist die geplante Regelung ein Schritt zur weiteren Enteignung der Ostdeutschen. Nachdem das Produktivvermögen Ostdeutschlands und die Industriegrundstücke schon zu 85 % an Westdeutsche und zu weiteren 10 % an Ausländer gegangen sind, geht jetzt auch ein großer Teil des Privatvermögens an Westdeutsche. Nimmt man das Schuldrechtsänderungsgesetz und die Vorgänge dazu, die jetzt bei der Privatisierung des ostdeutschen Waldes durch die Treuhand in Gang kommen, dann wird am Ende dieses Jahrhunderts ein großer Teil der Vermö-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19453
Dr. Uwe-Jens Heuergenswerte in Ostdeutschland nicht den Ostdeutschen gehören.Herr Kleinert hat hier sehr wortreich und in Wiederholungen ausgeführt, daß das Eigentum Grundlage der Freiheit sei. Ich frage Sie: Warum sollen dann die Ostdeutschen ihr Eigentum verlieren? Warum soll denn nicht in Ostdeutschland auch Eigentum Grundlage der Freiheit sein?Was wollen wir mit unseren Vorschlägen zu diesem Gesetz? — Unser Anliegen ist es, den jetzigen Nutzern von umstrittenem Immobiliareigentum den Lebensmittelpunkt zu erhalten. Daran sind alle unsere Vorschläge ausgerichtet, und daran messen wir auch die Vorschläge anderer.All dies zwingt uns, zu sagen, daß die Kaufoption zum halben Verkehrswert und die Bestellung eines Erbbaurechts zu einem Pachtzins von 2 % für viele Nutzer in den Ballungsgebieten eben kein Schnäppchen sind, sondern das Aus, d. h. die Vertreibung aus der angestammten Umgebung. Herr Luther hat hier auf Zwickau hingewiesen und dann als anderes Extrem Grundstücke am Alexanderplatz genannt. Aber es gibt eben in den Ballungsgebieten von Berlin, Dresden und Leipzig die Situation, daß sich die meisten der jetzigen Nutzer, die über keine nennenswerten Vermögen verfügen und zu etwa 50 % arbeitslos oder im Vorruhestand sind, den Ankauf auch zum halben Verkehrswert nicht leisten können. Man muß dabei auch beachten, daß die Durchschnittsgröße der umstrittenen Grundstücke knapp 1 000 m2 beträgt und daß sie in vielen Fällen nicht teilbar sind. Deshalb unser Vorschlag, den Preis pro m2 auf 100 DM zu begrenzen und die Regelgröße der Grundstücke auf 1 000 m2 festzulegen.Diskussionen um diese Fragen zeigen immer wieder das gegenseitige Unverständnis. Die Westdeutschen halten den halben Verkehrswert für ein Schnäppchen, viele Ostdeutsche für eine Katastrophe. Für die einen geht es um die Vertreibung, für die anderen um einen überraschenden Geldsegen. Dabei sind die Vertreiber in über 90 % der Fälle — jedenfalls bei den Überlassungsverträgen — nicht mehr die eigentlichen Alteigentümer, sondern die Erben, die in jedem Fall ihren eigenen Lebensmittelpunkt inzwischen ganz woanders haben, oder aber Immobilienmakler mit aufgekauften Rückübertragungsansprüchen. Es stehen also in vielen Fällen Schicksale einerseits und Geldinteressen andererseits einander gegenüber. Deshalb schlagen wir auch vor, den Wertzuwachs zur Hälfte an den Alteigentümer abzuführen, wenn der jetzige Nutzer bis zum Jahre 2024 verkauft. Wir wollen Lebensmittelpunkte erhalten, nicht die Westspekulation durch die Ostspekulation flankieren.Diesem Zweck — Erhaltung des Lebensmittelpunktes — dient auch unser Vorschlag, den Nutzern mit sogenannten hängenden Verträgen zum Abschluß des Erwerbsgeschäfts zu verhelfen. Sie konnten erst nach dem sogenannten Modrow-Gesetz das Land, auf dem ihr Haus steht, kaufen. Sie konnten aber die zwei hohen Hürden — extremer Mangel an Notaren in der DDR und überlastete Grundbuchämter — nicht überwinden. Sie scheiterten also an Umständen, die sienicht zu vertreten hatten. Wir wollen sie so stellen, als ob sie erworben hätten, und damit die Rückgabe nach § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes ausschließen.Die SPD hat diese Frage ebenfalls gestellt, bezieht sie aber nur auf die als Erwerbsgeschäft notariell beurkundeten Verträge. Wer sich an die dramatischen Szenen in den Wartezimmern der wenigen DDR-Notare im Jahre 1990 erinnert, wird dies nicht für ausreichend halten. Die Koalition will nicht einmal das zugestehen.Es wird uns oft entgegengehalten, das seien doch keine realistischen Preise gewesen. Die Leute hätten für einen Apfel und ein Ei und damit irgendwie sittenwidrig Eigentum erworben. Man muß aber doch bedenken, daß Immobilien in der DDR praktisch nicht verkehrsfähig waren und dabei auch kein Gewinn zu realisieren war. 20 000 bis 30 000 Mark entsprachen zum damaligen Zeitpunkt dem zwei- bis dreifachen jährlichen Bruttodurchschnittseinkommen eines DDR-Bürgers. Die Betroffenen können weder verstehen, warum sie heute das Zehn- bis Dreißigfache ihres heutigen Jahreseinkommens einsetzen sollen, um einen Status zu erwerben, den sie schon einmal hatten, noch sind sie dazu in der Lage.Viele sagen mir immer wieder, wir sollten uns doch bescheiden. Sie im Westen hätten 1945 auch klein angefangen und hart gearbeitet. — Ich darf ihnen mitteilen: die Ostdeutschen auch. Wir haben erhebliche Reparationen geleistet. Warum sollen wir denn noch einmal wie 1945 anfangen?Weiter wird uns erklärt, diese Vorschläge seien populistisch. — Meine Damen und Herren, die Vorschläge sind machbar. Sie würden allenfalls zu Mindereinnahmen einiger Kommunen führen, die geringere Verkaufserlöse erzielen.Schließlich wurde in den letzten Beratungen des Gesetzentwurfs von seiten der Koalition angedeutet, schon die jetzige Fassung sei vielleicht nicht verfassungskonform und nicht rechtsstaatlich und werde vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. — Die Menschen im Osten wissen sehr genau, für wessen Interessen Art. 14 des Grundgesetzes hier mobilisiert wird. Wenn Sie so argumentieren und wenn das Bundesverfassungsgericht dem folgen sollte, dann würde in Ostdeutschland das Ansehen des Rechtsstaates und der politischen Institutionen weiter dramatisch sinken. Italien hat gezeigt, wohin solche Prozesse führen können.Herr Hitschler hat hier wieder von den privilegierten Bonzen gesprochen.
Wenn es nur die privilegierten Bonzen wären, hätten Sie nicht solchen Respekt vor der jetzigen Situation. Herr Eylmann war in Falkensee. Er hat da die Tausenden von „privilegierten Bonzen" gesehen. Es geht um einen wesentlichen Teil der ostdeutschen Bevölkerung.Herr Luther hat hier erklärt: Sie haben die Menschen aufgeputscht. — Sie überschätzen bei weitem
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19454 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Uwe-Jens Heuerunsere Möglichkeiten. Der wirkliche Putschist ist die Bundesregierung.
Sie hat durch ihr Verhalten die Menschen in Wut und Enttäuschung versetzt. Die Leute, die diese Koalition 1990 — im Irrtum über deren Vorhaben — gewählt haben, werden sie jetzt nicht mehr unterstützen und nicht mehr wählen. Das ist Ihr Werk, nicht unseres!
Sie sind selbst schuld. Wenn dieser Entwurf Gesetz wird und wenn er nicht durch eine andere Mehrheit in diesem Haus nach dem 16. Oktober umgehend geändert wird, dann wird es eine massenhafte Vertreibung von Familien im Osten aus ihren bisherigen Wohnungen geben. Sie wollten, meine Damen und Herren, die politische Klasse der DDR abstrafen.
Sie haben dabei einen großen Teil des Volkes getroffen. Das ist Ihr Problem.
Das ist kein Beitrag zur Versöhnung, sondern das spaltet weiter. Das werden Ihnen die Betroffenen nicht vergessen, schon gar nicht am Wahltag.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtseinheit und Rechtsfrieden — seit Juni 1990 angestrebte Ziele einer gesamtdeutschen Eigentumspolitik. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Sachenrechtsänderung sind wir ihnen ganz gewiß ein gutes Stück nähergekommen.
Das liegt vor allem daran, daß der mit der Erklärung vom 15. Juni 1990 und dem Vermögensgesetz aus dem gleichen Jahr beschrittene Weg der Privilegierung von Alteigentümern hier in einem wichtigen Stück korrigiert wird.Es geschieht so, wie es von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in einem Entwurf vom 12. Februar 1992 schon einmal vorgesehen war. Diejenigen, die im Rahmen der besonderen Rechtslage der deutschen Teilung und der zusätzlichen Abriegelung der DDR nach außen Nutzer bzw. Besitzer von Gebäudeeigentum auf fremdem Grund und Boden geworden waren, erhalten durch das Recht, zwischen Erbbaurecht und Ankauf zu besonderen Bedingungen zu wählen, erstmalig die Voraussetzungen dafür, in die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit einer gesetzlich gesicherten Ausgangsposition eintreten zu können,statt wie bisher das weitgehend wehrlose und beweispflichtige Opfer fremder Ansprüche zu sein.BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten schon vor mehr als zwei Jahren vom Bundesjustizministerium gefordert, die gesetzlichen Regelungen für die Ausgestaltung solcher Erbbaurechte unter den komplizierten Vorgaben der Eigentumsentwicklung von 40 Jahren DDR zu schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf kann als Erfüllung dieser Forderungen begrüßt werden.Inzwischen wissen wir auch, welches Ausmaß von Arbeit für die Erstellung des Entwurfs nötig war. Den beteiligten Beamten des Bundesministeriums der Justiz muß hier im Namen des ganzen Parlaments Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit ausgesprochen werden.
Nicht minder gilt mein Dank den an den Berichterstatterrunden beteiligten Kollegen für die konstruktive Zusammenarbeit, die den Gesetzentwurf an vielen Stellen nachbessern half.Um so mehr bedaure ich, feststellen zu müssen, daß auch in der vorliegenden Fassung der vom Gesetz angestrebte Rechtsfriede nicht wird hergestellt werden können. Die Kette gerichtlicher Auseinandersetzungen wird sich weiter verlängern. Das liegt an der Aufrechterhaltung jenes Stichtags 18. Oktober 1989, der, für die Gestaltung des Eigentumsrechts in der ehemaligen DDR schlechthin belanglos, nur zu dem Zweck in § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes eingeführt worden ist, um jeden Erwerb in der Vorbereitungsphase der Währungsunion unter den Verdacht der Unredlichkeit zu stellen.Meine Damen und Herren, da vorhin so viel Geschichte betrieben wurde, muß ich eine Anmerkung machen: Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung steht schon in der Eigentumserklärung der Regierung de Maizière vom Juni 1990. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist leider eine Koalitionsregierung gewesen, an der Sie teilgenommen haben. Das muß man doch feststellen.
Schon damals hätte von seiten der Regierung der noch existierenden DDR eine Regelung getroffen werden müssen, wie sie das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz erst viel später bewerkstelligt hat, nämlich eine grundbuchlich gesicherte Befriedung der Eigentumsordnung gleichzeitig mit der Rückgabe unrechtmäßig enteigneter Vermögen wie der Betriebe von 1972, der Mauer- und Grenzgrundstücke und schließlich der unter Nötigung veräußerten Häuser und Grundstücke von Ausreisewilligen. Das ist unwiderruflich versäumt worden. Darum ist unsere seitherige Eigentumsgesetzgebung eine einzige große Schadensbegrenzung.Wie schwierig diese Aufgabe ist, kann man sich durch einen Blick in den Einigungsvertrag klarmachen, der für das Sachenrecht den ganzen Regelungsbedarf mit einer Änderung des Art. 233 des Einführungsgesetzes zum BGB für gedeckt ansieht. Allenfalls für bestimmte sachenrechtliche Lasten wird eine spätere gesetzliche Regelung in § 3 Abs. 2 vorbehal-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19455
Dr. Wolfgang Ullmannten. Aber was Sachenrecht im Rahmen der Eigentumsordnung eigentlich heißen soll, mußte erst einmal auf neue und rechtsgeschäftsfähige Grundlagen gestellt werden. Erst dann machte die generelle Festlegung Sinn, im Sachenrecht die Vorschriften des BGB anzuwenden.Ich glaube, daß der vorliegende Gesetzentwurf diese Aufgabe so gelöst hat, daß dabei den schutzwürdigen Interessen von Nutzern und Überlassungsnehmern weit, aber nicht so weit wie irgend möglich, entgegengekommen wird. Insofern unterstütze ich natürlich die zusätzlichen Forderungen, die Minister Bräutigam seitens seines Landes vorgetragen hat.Weitergehenden Forderungen gegenüber, wie sie von seiten des Brandenburger Mieterbundes und von der PDS erhoben werden, ist folgendes festzustellen: Jede vorgeschlagene Regelung muß doch das geltende Recht zugrundelegen. Das heißt aber, daß Grundstückseigentümer — ob es einem gefällt oder nicht — wirkliche Eigentümer und nicht nur Anspruchserheber sind. Wenn von deren Seite gegen diesen Gesetzentwurf vorgebracht worden ist, der Gesetzgeber habe vor, sie zu 50 % zu enteignen, so kann daran ermessen werden, wie tief in ihre Rechte eingegriffen worden ist.
Was würde es den vom Mieterbund Vertretenen helfen, wenn zu ihren Gunsten Sonderpreise und Grundstücksregelgrößen beschlossen würden, gegen die alsbald von den Vertretern der anderen Seite mit Verfassungsklagen vorgegangen würde, denen — das läßt sich unschwer vorhersehen — gewiß stattgegeben würde?Äußerst ungünstig für die Betroffenen und rechtssystematisch kaum vertretbar ist der Vorschlag der PDS, die Erholungsgrundstücke in das Sachenrechtsänderungsgesetz aufzunehmen. Für Datschen und ausgebaute Gartenlauben Erbbaurechte zu bestellen macht weder praktischen noch rechtlichen Sinn.
Hier wird der Vorschlag der Nießbrauchbestellung in einem eigenständigen Gesetz den besonderen Umständen und den Interessen der Nutzer weit besser gerecht. Außerdem ist mir nicht klar, verehrter Kollege Heuer, wie sich der Formulierungsvorschlag Ihrer Gruppe zu § 5 Abs. 3 zu Abs. 1 Nr. 3 e des gleichen Paragraphen verhalten soll.Im übrigen rate ich allen Betroffenen, in die unvermeidliche Auseinandersetzung um das in seiner jetzigen Fassung gewiß vielfach korrekturbedürftige Schuldrechtsänderungsgesetz und in die um den noch immer festgehaltenen diskriminierenden Stichtag vom 18. Oktober 1989 nicht mit undurchsetzbaren Maximalforderungen hineinzugehen, sondern besser auf der weit solideren Basis des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes und dieses Sachenrechtsänderungsgesetzes.Zur Stichtagsregelung, Herr Kollege Luther, möchte ich nur sagen: Die Sache ist auch nach der anderen Seite hin verfassungsrechtlich bedenklich. Wir können mit Gewißheit davon ausgehen, daß dievon der Stichtagsregelung Benachteiligten ihrerseits Verfassungsklage erheben werden. Der Kompromißvorschlag, der von Ihnen unterbreitet worden ist, basiert genau auf dem Anerkenntnis der Stichtagsregelung in § 3 des vorliegenden Entwurfs. Das wenden Sie in Ihrem Vorschlag zu § 120 a an. Insofern kann ich nicht recht sehen, worin der Kompromiß bestehen soll.Effektiv erreichen werden wir den Rechtsfrieden freilich nur dann, meine Damen und Herren, wenn sich die noch immer vor uns liegende Regelung der Entschädigung nicht an der Größe enteigneter bzw. verlorener Vermögen ausrichtet, sondern an den Rechten und der Menschenwürde der Opfer einer diktaturgeschuldeten Rechtsverwirrung.Ich danke Ihnen.
Ich habe zunächst die Bitte des Herrn Ministers Bräutigam um eine kurze Erwiderung auf das, was Herr Kleinert gesagt hat. Dem folgen dann noch zwei Interventionen. — Bitte sehr, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur eine kurze Bemerkung zu Ihnen machen, Herr Kleinert. Sie haben mich in der Ihnen eigenen Weise dafür kritisiert, daß ich Sie auf das bittere Wort der Vertreibung hingewiesen habe. Wenn das nur Propaganda wäre, dann hätte ich es nicht erwähnt, und wir könnten es vergessen.
Aber dieses Wort bringt ein ganz bitteres Gefühl zum Ausdruck, das Gefühl, wie die Eigentumsregelung seit dem Einigungsvertrag in breiten Teilen der Bevölkerung in Ostdeutschland empfunden wird.
Herr Abgeordneter, Sie und dieses Haus müssen zur Kenntnis nehmen, daß es ein solches Gefühl gibt, mag es nun berechtigt sein oder nicht.
— Die kenne ich auch. Niemand hat Sie dafür kritisiert, daß Sie die Interessen der Eigentümer vertreten. Das hat auch jeder von Ihnen erwartet. Es ist völlig in Ordnung, daß Sie das tun. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß bestimmte Regelungen mit einem großen Gefühl der Bitterkeit empfunden werden. Damit müssen wir uns hier auseinandersetzen, wenn wir ein wichtiges Gesetz beschließen. Wir tun das doch nicht in einem keimfreien Raum, sondern wir tun es in der schwierigen sozialen Lage, in der sich der Prozeß der deutschen Einigung heute befindet.
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19456 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Minister Dr. Hans Otto Bräutigam
Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr zu einer Intervention gemäß § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte entstand eine Auseinandersetzung über den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung. Dabei wurde von mehreren behauptet, auch durch lautstarke Zwischenrufe des Kollegen Geis von der CDU, die SPD sei mit dem Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung einverstanden gewesen, was man daran sehe, daß sie dem ersten Staatsvertrag zugestimmt habe.
Ich möchte dazu zwei Klarstellungen vornehmen: Erstens. Die SPD war nie mit dem Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung einverstanden.
Wir hatten schon in den Debatten zum ersten Staatsvertrag darauf aufmerksam gemacht, daß dies das Investitionshindernis Nummer eins sein würde. Dies hat sich dann auch herausgestellt.
Sie haben sich zu zwei kleinen Korrekturen bereit erklärt, weil Sie das selber gemerkt haben, aber Sie haben sich nicht wirklich zu der klaren, investitionsfreundlichen Regelung durchgerungen, nämlich diesen Grundsatz umzudrehen.
Zweite Klarstellung, meine Damen und Herren: Dankenswerterweise hat in dieser Debatte die Regierungskoalition — und speziell Herr Geis durch seine lauten Zwischenrufe — klargestellt, daß die SPD dem ersten Staatsvertrag — und ich füge hinzu: auch dem zweiten Staatsvertrag — zugestimmt hat.
Angesichts der Tatsache, daß Sie sonst immer durchs Land laufen und erzählen, wir seien gegen die Einheit gewesen — noch heute morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte —, finde ich es ganz gut, daß aus Ihrem Munde auch der letzte erfährt, daß wir den Staatsverträgen und der Einheit zugestimmt haben.
Das hindert uns allerdings nicht daran, Ihnen die schweren ökonomischen Fehler vorzuhalten, die Sie bei der Herstellung der deutschen Einheit begangen haben.
Zu einer weiteren Intervention gemäß § 27 der Geschäftsordnung hat jetzt unser Kollege Dr. Walter Hitschler das Wort.
Herr Präsident! Ich habe mich zu dieser Kurzintervention gemeldet, weil mir der Auftritt des Herrn Kollegen Heuer von der PDS äußerst schwer erträglich und hinnehmbar erschien.
Für jemanden, für den das Institut des Privateigentums ein Grundpfeiler unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung ist, ist es schwer zu verstehen, daß jemand, der persönliche Verantwortung dafür trägt, daß Menschen drüben enteignet wurden, daß Menschen in Mietknechtschaft gehalten wurden, daß der Eigentumsgedanke überhaupt mit Füßen getreten wurde,
sich hier in einer Rede als Verteidiger des Eigentumsgedankens aufspielt.
Herr Professor Heuer, ich möchte hinzufügen, daß nicht der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung schuld ist an den Problemen, die wir mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz und dem Schuldrechtsänderungsgesetz zu lösen versuchen, sondern daß Schuld an dieser ganzen Misere Ihre Praxis in der damaligen DDR hat, in der Sie als Direktor des Instituts für Staatsrecht und Wirtschaftsrecht maßgeblich persönlich mitgewirkt haben. Mit den Gesetzen, die wir heute beschließen, werden unsere Mitbürger in den neuen Bundesländern zum ersten Mal überhaupt in die Lage versetzt, Eigentum zu erwerben.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Uwe-Jens Heuer hat das Recht, zu erwidern. Er will das auch. Bitte sehr.
Gestatten Sie mir, diese Kurzintervention und meine persönliche Erwiderung zu kombinieren?
Sie dürfen einmal auf eine Kurzintervention antworten, und dazu haben Sie jetzt für zwei Minuten das Wort. Bitte.
Herr Hitschler hat erklärt, mein Auftritt sei für ihn schwer verständlich, weil ich persönliche Verantwortung trug. Diese persönliche Verantwortung hat er nicht bewiesen, kann er auch nicht beweisen. Ich war Wissenschaftler in der DDR, ich habe dort vieles geschrieben, was ich Ihnen immer noch zum Lesen empfehle.
— Ich trage natürlich keine persönliche Verantwortung für die Enteignung von irgend jemandem.Ich möchte Ihnen ein Weiteres sagen. Sie haben gesagt, ich dürfe mich heute nicht für das Eigentum der Ostdeutschen einsetzen, nachdem ich damals für Enteignung gewesen sei. Sie sagen damit folgendes: Wenn ich dieselben Auffassungen wie früher habe, darf ich sie nicht äußern; wenn ich andere Auffassungen als früher habe, darf ich sie auch nicht äußern.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19457
Dr. Uwe-Jens HeuerDas bedeutet: Ich darf hier überhaupt nichts sagen, mein Herr. — Dafür bin ich nicht gewählt. Ich bin gewählt, um hier die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten. Das werde ich bis zum letzten Tag dieses Parlaments und — denke ich — auch im nächsten Parlament tun.Danke schön.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat unser Kollege Norbert Otto.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu diskutierenden Sachenrechtsänderungsgesetz mußten wir fast Unmögliches leisten. Es galt, eine Brücke zu schlagen, um die 40jährige DDR-Geschichte und die darin geprägte Eigentumssituation mit dem Eigentumsbegriff des Grundgesetzes, Art. 14, in Einklang zu bringen.In 40 Jahren Sozialismus haben sich Eigentums- und Nutzungsverhältnisse herausgebildet, die den Eigentümer vielfach entrechteten. Die Tragik dieser Entwicklung war, daß sie von den Menschen in der DDR im täglichen Leben kaum noch als Unrecht erkannt oder empfunden wurde. Man fand sich eben damit ab. Das war eben sozialistischer Alltag, in dem man zu leben hatte.Nur so ist andererseits zu erklären, daß Eigenheimbauer in Treu und Glauben auf staatliche Entscheidung hin ihre Häuser eigentlich auf fremdem Grund und Boden bauten; lediglich eine staatlich ausgestellte Nutzungsurkunde sicherte die Inanspruchnahme. Das wiederum reichte nach DDR-Recht völlig aus. Tausende haben so ihre Existenz, ihr Familienheim, ihre Zukunft aufgebaut. Diese Existenzgrundlage war und ist auch jetzt schutzbedürftig.Selbstverständlich sind aber auch die Eigentümer dieses Grund und Bodens schutzbedürftig. Vielfach handelte es sich bei den in Anspruch genommenen Flächen um Grundstücke, die seit Generationen in Familienbesitz waren. Es ist nur verständlich, wenn es in diesem Spannungsfeld bei den Betroffenen beider Seiten große Verunsicherungen gab und gibt.Für uns Wohnungspolitiker stand im Rahmen der Mitberatung dieses Gesetzentwurfs neben einer sauberen juristischen Klärung insbesondere die Problematik der sozialpolitischen Absicherung im Vordergrund. Wir konnten deshalb nur einer Lösung zustimmen, die weiterhin ein sicheres Wohnen der Betroffenen gewährleistet, und dies bei vertretbaren finanziellen Belastungen.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird den Eigenheimbesitzern die Sicherheit gegeben, daß sie den Grund und Boden kaufen können, und zwar zu einem Preis von 50 % des Verkehrswertes abzüglich der Erschließungskosten für das Grundstück. Zur Minderung finanzieller Härten, die möglicherweise auftreten — das ist ja gar nicht zu bezweifeln —, kann der Nutzer aber auch wahlweise ein Erbbaurecht bestellen, und dies bei einem Zinssatz von 2 %. Durch eine vorgeschaltete Eingangsphase ist in den ersten drei Jahren ein Viertel des Erbbauzinses zu entrichten. Das steigert sich um jeweils 25 % bis in das zehnte Jahr. In besonderen Fällen wird diese Einlaufphase auf zwölf Jahre gestreckt.Im Rahmen dieser Regelung werden auch solche Fälle berücksichtigt, bei denen sich Häuslebauer in Erholungsgebieten mit staatlicher Billigung ihr Haus errichtet und es bereits vor dem 2. Oktober als Wohnhaus genutzt haben.Wer bei diesen Regelungen noch von Vertreibung spricht, wer den Menschen in den neuen Bundesländern suggerieren will, daß sie jetzt von westdeutschen Grundstücksbesitzern obdachlos gemacht würden, treibt bewußt ein böses Spiel mit den Gefühlen der Menschen.
Es gibt hier übelste Beispiele. Es verwundert mich nicht, wenn gerade die Republikaner auf einem Flugblatt von der „Vertreibung der Deutschen im wiedervereinten Deutschland" schreiben.Der Chor der Panikmacher — hören Sie genau zu — ist aber noch größer und viel interessanter. Neben den bereits erwähnten Republikanern meldete sich z. B. auch die brandenburgische SPD-Sozialministerin in einem offenen Brief zu Wort und unterstützte ausdrücklich solche Formulierungen wie die, daß man doch vor allem in solchen Gebieten mit sehr großer Wohnungsnot die Vertreibung hunderttausender Mieter verhindern müsse.
Ein Verein brandenburgischer Eigenheim- und Grundstücksbesitzer prophezeit finanziellen Ruin, Obdachlosigkeit und Gewalttaten für den Fall, daß dieses Gesetz beschlossen würde.
Das ist üble Stimmungsmache. Das ist Wahlmache zu Lasten der Bürger der neuen Bundesländer.
— Wenn Sie Interesse hätten — ach, es ist zwecklos bei Ihnen.Ich möchte allerdings betonen, daß sich die SPD-Fachkollegen in den Berichterstattergesprächen dankenswerterweise in sehr sachlicher Weise mit dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt haben, was sich wohltuend von den schrillen Tönen aus Brandenburg unterschieden hat. Aber Ihre Parteistrategen haben Sie wieder eingeholt, und Sie sind nicht mit uns den Konsens im Interesse der Bürger der neuen Bundesländer gegangen.Geradezu abenteuerlich ist der Antrag der PDS, grundsätzlich alle Datschen, die dazu geeignet sind und deren Besitzer das wollen, zu Dauerwohnungen im Rahmen des Sachenrechtes umzunutzen und gegebenenfalls noch weiter auszubauen. Das ist meines Erachtens billigster Wahlkampf, der hier mit unerfüllbaren Hoffnungen der Menschen betrieben wird.Nicht, daß ich gegen die Schaffung neuen Wohnraums wäre. Ich hatte mich bereits mit meinem Aufruf
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19458 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Norbert Otto
„Datschen zu Wohnhäusern" im Februar dieses Jahres öffentlich dazu geäußert und ein starkes und ausschließlich positives Echo von Rostock bis Suhl erhalten. Aber die raumordnerischen und baurechtlichen Randbedingungen müssen doch stimmen. Das werden auch Ihre SPD-Bürgermeister und -Landräte Ihnen sagen. Es ist eben nicht möglich, grundsätzlich jedes Datschengebiet in eine Eigenheimsiedlung umzuwandeln. Hier spielen Fragen des Umweltschutzes, des Wasserschutzes, der Erschließung, der Siedlungsstrukturentwicklung und andere Dinge eine entscheidende Rolle. Das läßt sich nicht im Rahmen dieses Gesetzes regeln.
— Siegfried Scheffler, nun sei doch mal still; du hast vorhin schon genug geredet.Vielmehr sind hier die Länder und die Gemeinden gefordert, mit mehr Kreativität und Entscheidungsfreude Ortssatzungen, Flächennutzungs- und Bebauungspläne so zu gestalten, daß der vorhandene Spielraum des Baugesetzes voll ausgeschöpft wird. Ich könnte mir auch vorstellen, daß seitens des Bauministeriums auf der Basis dieser Hintergründe an Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern appelliert wird, damit diese Reserven der Wohnraumgewinnung durch die Umnutzung von solchen Wochenend- und Sommerhäusern sinnvoll ausgeschöpft werden.
Ein völlig anderes Thema ist der Schutz der Wochenend- und Sommerhäuser als Eigentum der Nutzer gegenüber den Eigentümern von Grund und Boden. Aber auch das ist nicht Sache dieses Gesetzes. Diesbezüglich findet morgen in Leipzig eine Anhörung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Schuldrechtsänderungsgesetz statt.Auch im komplexen Wohnungsbau und im genossenschaftlichen Wohnungsbau der DDR gibt es noch eine Vielzahl ungeklärter Probleme. Zehntausende von Mietwohnungen, meist Plattenbauten aus den 70er und 80er Jahren, stehen heute noch immer auf privatem Grund und Boden. Entweder wurden die Grundstückseigentümer vor der Inanspruchnahme überhaupt nicht gefragt, oder die Grundstücksverhandlungen wurden einfach nicht abgeschlossen. So ist z. B. in meiner Heimatstadt Erfurt von dieser Situation ein ganzes Wohngebiet von über 8 000 Wohnungseinheiten davon betroffen.Mit den im Gesetzentwurf getroffenen Regelungen wurde mit der festgelegten Kaufpreisermittlung ein aus wohnungspolitischer Sicht akzeptabler Kompromiß gefunden, um Wohneigentum der Genossenschaften und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Eigentum an Grund und Boden zusammenzuführen. So wird von dem ermittelten Bodenwert ein Drittel für Erschließung, Baufreimachung und andere Aufwendungen abgezogen. Der Restbetrag wird halbiert und bildet so den Kaufpreis. Mit dieser Regelung werden auch Hindernisse im Zusammenhang mit der Privatisierung von Wohnungen im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes beseitigt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf des Sachenrechtsänderungsgesetzes wird es weder Sieger noch Besiegte geben.
Er stellt vielmehr einen Sieg der Vernunft dar. Er wird der Sicherung des sozialen Friedens in unserem Land dienen, und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, eine kurze Bemerkung zur Geschäftslage. Sie wissen, daß zu diesem Gesetzentwurf ein Änderungsantrag der SPD vorliegt, über den namentlich abgestimmt werden soll. Diese namentliche Abstimmung wird etwa 18.45 Uhr erfolgen.
Jetzt hat unser Kollege Hans-Joachim Hacker das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zehntausende Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern, aber auch in den alten Ländern schauen heute auf den Deutschen Bundestag. Im vierten Jahr nach der Einheit ist der Tag herangerückt, an dem der Bundesgesetzgeber die Frage des Auseinanderklaffens von Gebäude- und Grundstückseigentum regeln muß.Die Ursachen für diesen Zustand sind in diesem Hause mehrfach erörtert worden. Das Regelungsprinzip Rückgabe vor Entschädigung und die Stichtagsregelung 18. Oktober 1989 sind dabei als wesentliche Ursachen anzusehen. Unbestritten ist auch, daß der eigentümerfeindliche Umgang des DDR-Staates und Oberflächlichkeiten in der Verwaltung in der DDR uns heute nach dem Untergang der DDR einen Gordischen Knoten hinterlassen haben, den zu durchtrennen äußerst schwierig ist.
Betroffene Bürgerinnen und Bürger, deren Verbände und nicht zuletzt die beiden großen Kirchen in Deutschland appellieren im Interesse des sozialen Friedens und der inneren Einheit nun bereits seit Jahren an die Bundesregierung und an den Deutschen Bundestag, eine sozialverträgliche Lösung zu finden. „Berechtigte Ansprüche zu einem gerechten Ausgleich zu bringen" haben die Kirchen deshalb als Anliegen ihrer Stellungnahmen bezeichnet.Dies war die Herausforderung für die Bundesregierung im Bereich der Lösung der Eigentumsfragen allgemein, der sie jedoch in weiten Bereichen in den zurückliegenden Jahren nicht gerecht geworden ist und auch in der heutigen Debatte zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz nicht im Ansatz gerecht zu werden bereit ist. Meine Damen und Herren, es darf nicht dazu kommen, daß das schlimme Wort — es ist heute schon einmal gesagt worden — von der Vertreibung der Ostdeutschen mit ökonomischen Mitteln Wirklichkeit wird.
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Hans-Joachim HackerDie Ausgangslage für die vorgesehenen Regelungen im Sachenrechtsänderungsgesetz wurde dadurch bestimmt, daß in der ehemaligen DDR die Errichtung von Gebäuden zumeist nicht mit dem Eigentumserwerb an den Baugrundstücken verbunden war. Die Bereitstellung des Bodens erfolgte in unterschiedlichen Rechtsformen, zum Teil auch ohne Beachtung bestehender Eigentumsverhältnisse. Heute stehen sich nun Gebäudeeigentümer, die Nutzer fremden Bodens sind, und Grundstückseigentümer mit ihren gegensätzlichen Interessen gegenüber.Entgegen mancher Darstellung sollten wir uns verdeutlichen: Dieses ist keine reine Ost-West-Interessenkollision. In einigen Bereichen der neuen Länder allerdings, insbesondere im östlichen Teil der Bundeshauptstadt Berlin und im Berliner Randgebiet, ist es jedoch ein Konflikt, der als Ost-West-Interessengegensatz typisch ist.
Dies verlangt von uns Politikern besondere Sensibilität und die Suche nach sozialverträglichen Ausgleichsregelungen.
Meine Damen und Herren, zu dem Grundansatz des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, nämlich der hälftigen Teilung des Verkehrswertes des Grundstückes, gibt es meines Erachtens keine realistische Alternative, die im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes Bestandssicherheit hat.
— Zu Ihnen komme ich noch, Herr Dr. Luther; warten Sie noch die zwei Minuten ab.Auch das Wahlrecht des Nutzers zwischen Ankauf des Grundstückes und Bestellung eines Erbbaurechtes wird durch meine Fraktion ausdrücklich unterstützt.Im übrigen ist es tatsächlich in den Berichterstattergesprächen gelungen, deutliche Verbesserungen des ursprünglichen Gesetzentwurfes gemeinsam zu vereinbaren, die zu einer weitgehenden Übereinstimmung geführt haben. Wohlgemerkt: die zu einer weitgehenden Übereinstimmung geführt haben.An dieser Stelle möchte ich auch den Herren aus dem Bundesjustizministerium nochmals ganz herzlichen Dank sagen; Ihnen, Frau Ministerin, soweit Sie mitgewirkt haben, ebenfalls.
Was die Verbesserung angeht, nenne ich erstens insbesondere die Berücksichtigung der Aufwendungen zur Erschließung, zur Vermessung und für andere Kosten zur Baureifmachung des Grundstückes, wenn diese der Nutzer getragen hat, wie sich das jetzt aus § 18 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes ergibt, ebenso die Kosten des Abbruches eines aufstehendenGebäudes oder einer baulichen Anlage unter den in § 18 definierten Bedingungen.Zweitens. Die in § 19 Abs. 3 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes nunmehr enthaltene besondere Bestimmung für die im komplexen Wohnungsbau und Siedlungsbau verwendeten Grundstücke ist ebenso zu erwähnen. Als Alternative zum Regierungsentwurf wird eine Bewertung unter Ansatz von pauschalen Abzügen für Erschließungs- und ähnliche Maßnahmen vorgeschlagen. Beim komplexen Wohnungsbau oder Siedlungsbau ist vom ermittelten Wert des baureifen Grundstückes ein Betrag von einem Drittel für die Maßnahmen zur Baureifmachung des Grundstükkes und für andere Maßnahmen abzuziehen.Drittens. Die rechtliche Gestaltung des Problems der Überschreitung der Regelgröße von 500 m2 gestaltete sich tatsächlich schwierig. Oft wurde die Regelgröße von 500 m2 für ein Eigenheimgrundstück in der DDR überschritten. Vor dem Hintergrund der damaligen Verkehrswerte der Grundstücke spielte dies in der Praxis eine untergeordnete Rolle.Im Widerstreit zwischen dem Erhalt der Gebäudenutzung und dem Zuerwerb des Eigentums am Grundstück einerseits sowie dem gestiegenen Kaufpreis des Grundstückes andererseits haben wir uns am Ende auf die Möglichkeit der Abtrennung selbständig baulich verwertbarer Flächen über 500 m2 oder in anderer Weise wirtschaftlich verwertbarer Flächen über 1 000 m2 entschieden. Eine solche Abtrennung kann gegebenenfalls auch im Interesse des Nutzers liegen, um die finanzielle Belastung aus dem Ankauf bzw. der Bestellung des Erbbaurechtes zu reduzieren.Wichtig ist für meine Fraktion — damit komme ich zum vierten Punkt — insbesondere der erreichte Kompromiß zum § 52 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, der die Eingangsphase für ein Erbbaurecht, das für ein Grundstück in teurer Lage bestellt wird, von neun auf zwölf Jahre verlängert. Diese Verlängerung wird durch uns ausdrücklich unterstützt und trägt der besonderen Situation in Gebieten mit hohen Verkehrswerten Rechnung.Ich bin mir jedoch auch darüber im klaren, daß mit dieser Präzisierung nicht jedem Einzelerfordernis, vor allen Dingen jedem Einzelerfordernis der Nutzer, entsprochen wird. An dieser Stelle werden die für viele betroffene Bürgerinnen und Bürger nicht zu vermittelnden Konsequenzen aus dem Prinzip Rückgabe vor Entschädigung in gravierender Weise deutlich.Zum fünften: Eine maßgebliche Klarstellung wird mit der Beschlußvorlage in der Frage der Legitimierung der Vollmachtsurkunden staatlicher Organe erreicht. Das begrüße ich ausdrücklich. Hierbei haben sich die Berichterstatter und auch die Fraktionen und Gruppen unter Beachtung der Verwaltungsrealitäten in der DDR zu einer sachgerechten Regelung entschlossen. Die Vorschrift in Art. 231 § 8 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt, daß die von dem vertretungsberechtigten Leiter des Organs oder einer von diesem ermächtigten Person unterzeichneten und mit ordnungsgemäßem
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Hans-Joachim HackerDienstsiegel versehenen Vollmachtsurkunde wirksam ist.Die eben genannten im Konsens erzielten Verbesserungen des Regierungsentwurfes und die mit der Koalition gemeinsam verabschiedete Beschlußempfehlung zu einem Moratorium für in Privateigentum stehende Grundstücke für öffentliche Zwecke hat uns in der SPD-Bundestagsfraktion optimistisch gestimmt, zwei weitere wichtige Probleme endlich einer Lösung zuzuführen.Es geht dabei einmal um die Regelung der Rechtsnachfolge der unter der Nazidiktatur enteigneten Vereinigungen wie der Weimarer Gewerkschaften und des Arbeitersportvereins. Mit dem Ihnen vorliegenden Änderungsantrag streben wir unter Ziffer 1 eine Anpassung an die Rückerstattungsregelungen in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen Deutschlands und in West-Berlin an. Warum sollten wir das heute nicht erreichen?Ich bitte Sie, diesen Antrag zu unterstützen.
Insbesondere für den Deutschen Gewerkschaftsbund hatten wir bei der Verabschiedung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes derartige Ansprüche unter Bezugnahme auf das Gutachten des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Professor Ernst Benda eingeräumt.Herr Dr. Luther, jetzt komme ich zu Ihnen. Sie haben hier Aussagen getroffen, die in keiner Weise zutreffen. Sie selbst waren es, der seit Beginn der Berichterstattergespräche die Frage der Behandlung der hängenden Fälle nach hinten geschoben hat. Sie haben von Beginn an gesagt: Das ist ein Sonderthema, das stellen wir einmal zurück, und dann wollen wir sehen, was in der Koalition, was in der Fraktion und mit — jetzt sage ich einmal den Namen nicht, der da gefallen ist — noch zu erreichen ist.Dann haben wir tatsächlich über Nachbesserungen diskutiert. Hier ist heute das Gespräch auf das abendliche Treffen gekommen. Da waren wir uns doch alle einig — oder nicht? —, wie der Wille zum Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz gewesen ist. Wir wollten doch die Klarstellung, daß diejenigen, die notarielle Kaufverträge geschlossen und damals nicht den Zugang zum Grundbuch gefunden haben, jetzt Rechtssicherheit und auch soziale Sicherheit finden sollen.
Ihre Argumentation hier, Herr Dr. Luther, und auch die von Herrn Kleinert — der leider wieder mal kurz draußen ist — kann ich absolut nicht verstehen. Herr Geis, ich bitte Sie, sekundieren Sie doch bitte einmal Herrn Dr. Luther, was die abendliche Gesprächslage angeht. Ich glaube, wir können dann heute noch eine Lösung finden. Ich denke, die Lösung ist möglich, wenn wir nachher über den Antrag der SPD abstimmen.
— Ich gebe Ihnen nachher noch einmal die Chance, Herr Dr. Luther, darauf zurückzukommen.Ihr Kriterium, Herr Dr. Luther, wie Gesetze gemacht werden sollen, nämlich nach dem schlechten Gewissen und dem guten Gewissen, halte ich doch für einmalig in der Rechtsgeschichte. Kommen wir zur Sache zurück, zum Regelungsthema, das vor uns steht, und lassen Sie uns heute eine gute Lösung finden.
Zum zweiten Punkt unseres Änderungsantrages, der Ihnen vorliegt: Das, meine Damen und Herren, ist für uns der Markstein des Gesetzes. Wir Sozialdemokraten fordern heute erneut eine eindeutige Regelung des Rechtsschutzes für die redlichen Erwerber von Grundstücken in der DDR, wenn ein notarieller Kaufvertrag vorliegt.
Ich wundere mich über Ihre strikte Ablehnung, Herr Dr. Luther und Herr Kleinert. Wir sind doch gar nicht mal allein mit der Forderung. Abgesehen davon, daß Bürger und Verbände diese Forderung in den neuen Ländern erheben, selbst aus der CDU/CSU wird doch eine derartige Forderung vorgetragen. Nehmen Sie doch endlich einmal den flammenden Appell des Justizministers von Sachsen-Anhalt zur Kenntnis, der doch nicht meiner Partei angehört, sondern Ihrer Partei zugehörig ist!
Die Klarstellung, daß notarielle Kaufverträge Rechtsschutz bekommen sollen, war die Absicht des Gesetzgebers bei der Beratung und Verabschiedung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes. Lediglich eine urkonkrete Formulierung im Text führte zu einer nicht gewollten Auslegung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes durch das Bundesverwaltungsgericht. Hier besteht in Zehntausenden von Fällen, für Zehntausende Familien in den neuen Ländern dringender Handlungsbedarf. Diesem Handlungsbedarf dürfen wir uns heute nicht verschließen.
Von dieser Lücke sind doch redliche Erwerber betroffen, denen es — teilweise auch wegen fehlender Beziehungen — in den letzten Monaten der DDR nicht gelungen ist, einen Grundbucheintrag zu erreichen.An Herrn Hitschler gewandt — auch er ist leider nicht mehr da —, sage ich: Ihr Zwischenruf, daß mit der von der SPD angestrebten Regelung alten Seilschaften
— alten Bonzen oder wie immer man das bezeichnen will — ein Vorrang eingeräumt wird, trifft nicht zu. Das ist doch gerade nicht der Fall. Es sollen doch jetzt endlich gerade die Rechtssicherheit bekommen, die
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Hans-Joachim Hackeres nicht geschafft haben, ins Grundbuch zu kommen.
Die Uhr läuft wieder einmal falsch; ich habe nur noch eine Minute Redezeit und muß deshalb zum Ende kommen.Das Durcheinander in der Vermögensgesetzgebung und in der Anwendung der rechtlichen Regelungen wird auch dadurch illustriert, daß die Treuhandanstalt, die ja keine Dienststelle der Opposition ist, sondern der Regierung untersteht, noch im Jahre 1991 erklärt hat, daß die Erwerber den Kaufvertrag natürlich weiterhin nach den 1990 abgeschlossenen Verträgen bzw. Vorverträgen und den damals zugrunde liegenden Preisen vollziehen können.Herr Dr. Luther, ich bin gerne bereit, Ihnen diese Meldung der Treuhandanstalt vom 11. März 1991 auszuhändigen. Ich bin auch der Auffassung, das könnte Ihren Entscheidungsprozeß in Richtung einer Zustimmung zum Antrag der SPD beflügeln.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nachdrücklich: Schließen Sie sich unserem Antrag an. Stimmen Sie in der namentlichen Abstimmung einer Klarstellung in § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes zu, die in den neuen Ländern endlich Rechtssicherheit und sozialen Frieden schafft!Ich danke Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Norbert Geis das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Volksvertretungen, die Volkskammer und der Bundestag, haben sich mit dem Vermögensgesetz dafür entschieden, das große Unrecht wiedergutzumachen, das die Eigentümer unter dem Regime der SED erlitten haben, das unbestritten ist und das auch von allen anerkannt worden ist.
Deswegen haben beide parlamentarischen Vertretungen mit ganz großer Mehrheit dem Prinzip Rückgabe vor Entschädigung zugestimmt. Dies war eine richtige Entscheidung.
— Es ist nicht gut, wenn Sie sich heute distanzieren, Frau Matthäus-Maier, selbst wenn einiges dafür sprechen mag, daß Sie das tun. Aber daß Sie diejenigen, mit denen Sie damals gemeinsam gestimmt haben, heute beschimpfen, halte ich für unehrlich und für unehrenhaft.
— Sie beschimpfen uns laufend, deswegen sage ich das.Auch die Tatsache, daß wir damals die Stichtagsregelung getroffen haben, war Ihr und war unser Wille. Wir mußten einen Stichtag festlegen, um zu bestimmen, wer noch redlich erworben hat und wann dieser redliche Erwerb nicht mehr möglich war, nämlich nach dem 18. Oktober 1989. Die Logik des Stichtages war richtig. Es war allerdings auch richtig, daß wir Ausnahmen von dieser Stichtagsregelung gemacht haben. Diese haben wir ebenfalls im Gesetz festgelegt.Im Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz haben wir eine weitere Ausnahme von dieser Stichtagsregelung festgelegt. Ich gebe zu, daß diese Änderung nicht zur vollen Zufriedenheit aller gelungen ist; denn wir haben uns vom Bundesverwaltungsgericht sagen lassen müssen, daß unter Erwerb das zu verstehen ist, was man im Rechtsleben darunter zu verstehen hat, nämlich der grundbuchrechtliche Erwerb. Das ist unbestritten.Nun stellt sich die Frage: Wie können wir aus dieser Sackgasse herauskommen? Sie schlagen vor, § 4 Abs. 2 Satz 2a, b und c des Vermögensgesetzes zu ändern und das so klarzustellen.
Ich gebe zu, daß daran viel Überlegenswertes ist.
Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß eine solche Klarstellung gut wäre, wenn man sich nur auf die hängenden Fälle bezieht. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber Sie müssen dabei etwas bedenken, was wir vielleicht intensiver als Sie bedacht haben. Deswegen kommen wir nicht zu der Regelung, die Sie vorschlagen, sondern zu einer anderen.Wir sind nach langen, heftigen Auseinandersetzungen innerhalb unserer Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis gelangt, daß, träfen wir jetzt eine sogenannte Klarstellung, die verfassungsrechtlichen Bedenken ein großes Durcheinander auslösen würden; denn wir haben ja schon auf Grund der Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 des Vermögensgesetzes Fälle der Rückübertragung an Alteigentümer. Diese können wir unmöglich rückgängig machen. Das ist völlig klar. Wenn wir das änderten, verstießen wir aber schon gegen den Gleichheitssatz gegenüber denen, deren Grundstücke vielleicht noch rückübertragbar wären. Das geht also aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht.
— Lassen Sie mich, Herr Hacker, diesen Gedanken zuEnde bringen, sonst verliert es den Zusammenhang.
Aber es gibt noch einen zweiten Punkt. Es gibt einen Vertrauensschutz, der durch diese jetzige Regelung entstanden ist, auch für die Alteigentümer. Auch der hat verfassungsrechtlichen Rang, nämlich guter
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Norbert GeisGlaube. Auch deswegen können wir davon nicht runter, und ich bitte Sie sehr um Verständnis, daß wir nicht wie Sie nun eine Klarstellung des § 4 Abs. 2 anstreben, sondern eine andere Regelung suchen. Diese Regelung wurde ja von Herrn Dr. Luther vorgetragen. Wir sehen eine solche Regelung in dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz.Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz — das haben Sie ja, Herr Ullmann anerkannt — hat die Philosophie, daß die Rechte des Alteigentümers und die Rechte dessen, der Nutzer oder der Gebäudeeigentümer ist, gegenübergestellt werden und daß man versucht, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Dieser vernünftige Ausgleich wurde ja von Ihnen, Herr Hacker, und von Ihnen, Herr Ullmann, gutgeheißen. Darüber kann man ja eigentlich auch nicht diskutieren, denn es muß ein Ausgleich gefunden werden.Nun, bezogen aber auf Ihre Fragestellung bezüglich einer Klarstellung des § 4 Abs. 2: Wir meinen, daß es auch in der Logik der Sachenrechtsbereinigung liegt — wo wir ja die Interessen der Nutzer mit denen der Alteigentümer ausgleichen wollen —, daß wir im Sachenrechtsbereinigungsgesetz die Nutzer gleichstellen mit den Alteigentümern. Wir meinen, daß es in der Logik dieses Gesetzes liegt, auch die hängenden Fälle einzubeziehen, denn das waren ja letztendlich auch Nutzer. Wir würden gegenüber den verbrieften Nutzern in eine Schieflage geraten, wenn wir nicht so verfahren würden. Wir würden also ein doppeltes Risiko der Verfassungswidrigkeit eingehen.Also, nehmen Sie es uns ab: Nach langer Überlegung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, und wir können es nicht anders verantworten, weil wir meinen, daß wir sonst in eine ganz schiefe verfassungsrechtliche Lage hineinkämen, und dann würden wir den Alteigentümern und den Nutzern nicht nützen, und auch den hängenden Fällen würden wir keinen Nutzen bringen.
Herr Kollege Geis, ich frage noch einmal: Es gab zwei Zwischenfragen. Der Kollege Dr. Heuer wollte fragen — —
Ich habe nur noch eine Minute, und die Debatte dauert lange genug. Ich möchte keine Zusatzfrage zulassen.
Bitte sehr. Sie entscheiden das.
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt bringen, der auch im Sachenrechtsbereinigungsgesetz geregelt ist, der aber nicht nur die neuen Bundesländer, sondern auch die alten Bundesländer betrifft. Es handelt sich ja um ein Artikelgesetz. Wir haben in diesem Artikelgesetz auch das Nachbarrecht in den Blick genommen und haben zugunsten der Vereine, zugunsten der Sportvereine, zugunsten der Tennisvereine, eine nachbarrechtliche Regelung in § 906 BGB gefunden, die es
nun ermöglicht, daß die Vereine, die Tennisvereine nicht um ihren Bestand zittern müssen.
Wer aber — das möchte ich der Opposition sagen — dieses Gesetz ablehnt, der lehnt auch diese Regelung zugunsten der Vereine ab. Genauso ist es. Das Gesetz ist ein Artikelgesetz. Wenn Sie es ablehnen, lehnen Sie auch die Regelung zugunsten der Vereine ab.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Siegfried Scheffler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die beiden Redner für die SPD in dieser Debatte den Schwerpunkt ihrer Redezeit auf die juristischen Probleme in dem nun vorliegenden Gesetzestext gelegt haben, so werde ich Ihnen einmal die realen Auswirkungen des Gesetzes und der mit dem Einigungsvertrag verabschiedeten Formel Rückgabe vor Entschädigung darstellen.Vor diesem Hintergrund erfolgt heute die Beratung in der zweiten und der dritten Lesung und, da Sie von der Koalition die zur Zeit vorhandenen Mehrheitsverhältnisse in diesem Bundestag repräsentieren, sicher auch deren Verabschiedung. Am 16. Oktober wird sich da was ändern.
Damit setzt die Mehrheit dieses Hauses das friedliche Aufeinanderzugehen großer Teile unserer Bevölkerung aufs Spiel.Ich stimme ausdrücklich nicht zu. Ich finde, es ist ein negativer Meilenstein, der heute hier gesetzt wird,
nicht nur, weil ich es in meinem Wahlkreis in Berlin besonders spüre, wie dieser Gesetzentwurf in erheblichem Maße Gräben aufwirft, nein, sondern weil in allen anderen Bundesländern, wo es um die Immobilien geht, die Eskalation derart zunimmt, daß Psychoterror, Aggression, Gewalt auf der Tagesordnung sind.Mit Empörung muß ich feststellen, daß mancher Rechtsanwalt, der als Stimme der Rechtspflege eine besondere Mitverantwortung für den Rechtsfrieden hätte, mit rüdem Ton und brachialen Methoden die ohnehin schon verängstigten Menschen auf unerträgliche Weise verunsichert.
Dabei ist der Versuch, das bei Berlin liegende Amtsgericht in Strausberg niederzubrennen, nur die Spitze eines Eisberges. Ursache ist auch, daß diese Bundesregierung es jahrelang versäumt hat, den Alteigentümern ein befriedigendes Entschädigungsgesetz vorzulegen.
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Siegfried SchefflerDie Folge ist, daß über zwei Millionen Rückübertragungsansprüche Politiker, Rechtsanwälte, Notare und Gerichte bis zum Bundesverfassungsgericht über Jahre beschäftigen werden — Jahre der Unsicherheit, die bei einem sozialverträglichen Interessenausgleich zwischen den Eigentümern und Nutzern von Eigenheimen bzw. den Alteigentümern und den Bodeneigentümern hätten vermieden werden können.Dabei vergesse ich ausdrücklich nicht, daß die Ursache des verhandelten Konflikts in der Mißachtung von Eigentumsrechten durch die damaligen Staatsorgane der DDR sowie durch die geltenden DDR-Rechtsvorschriften begründet sind. Ich vergesse aber auch nicht, daß Tausende von Eigentümern ihre bereits verschuldeten und heruntergekommenen Häuser aus den verschiedensten Gründen verlassen haben und vor dem Mauerbau in den Westteil unseres Landes gegangen sind.Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf: Auch wenn es meiner Fraktion mittels verschiedener Änderungsanträge gelungen ist, die krassesten Ungereimtheiten dieses Gesetzentwurfes zu entschärfen, so bleibt der ungerechte Grundtenor erhalten.Ich kann diesem Versuch, Unrecht durch ein neues, geteiltes Recht zu ersetzen, nicht zustimmen. Aber ich kann in vielen Punkten den Ausführungen der Betroffenen in den neuen Bundesländern und im Ostteil Berlins zustimmen. Ich zitiere exemplarisch einige Passagen aus mir zugegangenen Schreiben von Betroffenen aus Berlin und Brandenburg:Wenn es bei den Alteigentümern und den Erben im wesentlichen ums Geld geht, im Falle der Nutzer aber um existenzielle und zutiefst menschliche Probleme, wäre es da nicht wirklich angebracht, die Prämisse umzukehren und Entschädigung vor Rückgabe zu setzen?
Eine weitere Familie schreibt mir:Leider müssen wir heute erkennen, daß bei einem Gesetz, bei dem es sich um Besitz, Eigentum oder Erbschaftsverhältnisse handelt, moralische Grundsätze keine Rolle spielen.Ich möchte aus einem dritten Brief vortragen: Das übernommene Haus war bereits verschuldet und wäre nicht mehr bewohnbar gewesen, wenn wir nicht das Dach umgedeckt, den Schornstein neu gebaut, die Heizung, die Hauswasserversorgung, die Klärgrube, die Eingangstreppe und den Außenputz ständig erneuert und das Bad neu installiert hätten. Die jetzigen Alteigentümer hätten von dem Gebäude nichts mehr vorgefunden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoyer?
Ich möchte das hier noch weiter ausführen.
Bitte sehr.
Dabei haben uns selbst erfahrene Juristen bei der Anhörung die Rechtspositionen in der Auseinandersetzung zwischen Sachenrechtsbereinigungs- oder Schuldrechtsänderungsbzw. Vermögensrechtsänderungsgesetz als Politiker nicht überzeugend und unstreitig darstellen können. Auch hier gibt es verschiedene Positionen, die in etwa 50 zu 50 verstritten sind.Deshalb sind wir mehr denn je als Politiker gefragt. Wir, die heute über dieses Gesetz zu entscheiden haben, dürfen nicht einseitig die Rechtsposition der Alteigentümer beachten,
so wie es das Justizministerium in einem internen Vermerk zur Bearbeitung vermögensrechtlicher Ansprüche vorschreibt. Gerade wir sollten über alle Parteigrenzen hinweg eine Angleichung der Rechtsgrundlagen herbeiführen.
Herr Kollege Otto, ich stimme Ihren Ausführungen in der Sitzung des Bauausschusses ausdrücklich zu, daß man schon tiefgreifende Kenntnisse aus dem Leben der DDR haben müsse, um die Auswirkungen des Gesetzentwurfes überhaupt zu erfassen. Leider haben Sie vergessen, daß sich diese Gedanken in einem Gerechtigkeits- und Gleichbehandlungsgebot wiederfinden lassen. Wie sollten diese Angleichungen meines Erachtens aussehen?Wir haben heute schon sehr viel vom Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung gehört, der in Entschädigung vor Rückgabe nicht mehr umkehrbar scheint. Daher müssen in dem uns vorliegenden Gesetzentwurf noch wesentliche Korrekturen erfolgen.Die erste betrifft die sogenannte Stichtagsregelung, die ich nach wie vor für ungerecht und in ihren Auswirkungen für sehr problematisch ansehe. Vielmehr — und das haben wir nach den ersten freien Kommunalwahlen im Ostteil Berlins praktiziert —mußte und sollte übrigens auch heute noch in jedem Einzelfall eine Redlichkeitsprüfung vorgenommen werden, jedoch nicht in dem Sinne, daß der Erwerb eines Gebäudes oder Grundstücks welches nach dem Stichtag 18. Oktober 1989 erworben wurde, als unredlichenzustufen ist, sondern dahin gehend, daß Partei- oder Staatsfunktionäre bzw. Repräsentanten derdarjenigen DDR ihre Machtposition zum Erwerb von Grundeigentum mißbrauchten. Unter diesem Aspekt hättten Krenz und Co. schon lange aus ihren Häusern ge :t werden müssen.
Minister Bräutigam hat uns dazu ausführlich die Rechtsposition dargestellt, so daß ich Ihnen ergänzend zu diesem Detailproblem die Stellungnahme des Rates der Berliner Bürgermeister nicht vorenthalten möchte. Sie lautet: Nutzer und Erwerber von Grundstücken, deren Kaufanträge auf Grund der Überlastung von z. B. damaligen Magistratsangestellten und Notaren nicht bearbeitet werden konnten, sollten differenziert behandelt werden. Hier wurde im Interesse der Nutzer entschieden. — Ich denke, das ist richtig so. Bestandsschutz des Nutzers bzw. des Erwerbers geht hier den Interessen des Alteigentümers vor.
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19464 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Siegfried SchefflerAuch nach meiner Auffassung ist es zutiefst ungerecht, wenn allein der Zufall, ob im Sommer 1990 noch eine grundbuchliche Umschreibung zu erhalten war, darüber entscheiden soll, ob jemand, der damals in redlicher Weise ein Grundstück mit notariellem Vertrag kaufte, unter den Schutz des Vermögensgesetzes fällt oder nicht. Das Problem wurde auch bei der Behandlung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes nicht gesehen und nicht gelöst. Deshalb besteht hier nach wie vor dringender Handlungsbedarf, da unter den betroffenen Nutzern der Unmut spürbar zunimmt und bereits jetzt viele Initiativgruppen zum Zwecke der Änderung dieser Regelung gegründet werden.Ich komme in diesem Zusammenhang auf die Zusage des Rechtsausschusses, wo gesagt wurde, daß hinsichtlich dieser Fälle im Rahmen der Sachenrechtsbereinigung eine für die Nutzer befriedigende Lösung gefunden werden soll. Diese befriedigende Lösung liegt uns heute nicht vor.Ein weiteres Problem stellt sich in diesem Zusammenhang mit den Wochenend- und Ferienhäusern. Zwar konnte die Forderung, als Wohnhäuser geeignete bzw. dienende Gebäude, die mit Billigung staatlicher Stellen errichtet wurden, in das Gesetz aufzunehmen, durchgesetzt werden, jedoch konnten Gebäude in Kleingartenanlagen, wenn diese für Wohnzwecke — ich betone eindeutig: auch für Wohnzwecke — genutzt wurden, keinen Eingang in das Sachenrechtsänderungsgesetz finden.Gleiches gilt auch für Behelfswohnheime, die nach DDR-Recht als Wohnhaus definiert wurden. Sie werden — wie in meinem Wahlkreis anhängige Gerichtsverfahren beweisen — nicht nach den Entwürfen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes beurteilt werden können. Ich bedauere das. Wir haben uns hier mit unserer Forderung nicht durchsetzen können.Die schon nach DDR-Recht schwachen Rechtsverhältnisse erlaubten keine Möglichkeit des Eigentumerwerbs. Es mußten schuldrechtliche Rechtsbeziehungen eingegangen werden. Aber wenn, wie Minister Bräutigam vor dem Bundesrat ausführte, 53 % aller Ostdeutschen von den Regelungen des Schuldrechtsbereinigungsgesetzes betroffen waren, dann muß auch verdeutlicht werden, daß nach dem ZGB der DDR diese Nutzungsrechte de facto nur durch gerichtliche Entscheidung hätten aufgelöst werden können. Das wurde bei der Bearbeitung des Gesetzes nicht beachtet.Auch an dieser Stelle räume ich ein, daß aber berechtigte Interessen von Nutzern auf der einen Seite und von Eigentümern auf der anderen Seite zum Ausgleich gebracht werden müssen, aber — ich muß das immer wieder betonen —: nur unter Berücksichtigung der vorhandenen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten.Ich komme unter Berücksichtigung des Letztgenannten auf die im Bauausschuß und auch heute wieder mehrfach angesprochenen Modellrechnungen. Ich muß Ihnen, Frau Ministerin, und auch Herrn Luther attestieren, daß diese zumindest im Umland von und in Berlin an der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit vorbeigehen. So beginnen die derzeitigen Verkehrswerte für unbebaute Grundstücke in meinem Bezirk überwiegend erst bei 400 DM/m2 und enden in Lagen am Müggelsee, an der Spree und an der Dame bei 2 000 DM.Ich sage Ihnen: Der Verschuldungszwang durch diese in keiner Weise gerechtfertigten Verkehrswerte, ob nun für Kauf oder Erbpacht, kommt selbst bei Halbierung der Erbpachtzinsen und Verlängerung der Einstiegsphase letztendlich einer Vertreibung gleich. Prozesse der Betroffenen stehen uns ins Haus, die bei einer verträglichen Deckelung der Verkehrswerte hätten verhindert werden können. Wie ernst und existenzbedrohend die Situation ist, ist nicht zuletzt bei der Anhörung des Rechtsausschusses am 28. Januar diesen Jahres im Reichstag in Berlin überdeutlich geworden.
Herr Kollege Scheffler, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluß!
Lassen Sie mich hier noch einmal kurz als weiteren Kritikpunkt die Grundstücksgrößen ansprechen, wie das schon dargestellt wurde. Es wurden mehrheitlich auch zur damaligen Zeit und auch im ersten Gesetzentwurf der Ministerin die 700 m2 genannt. Ich denke, hier hätten wir durch eine Erweiterung auf eine vernünftige Regelung kommen können.
Für mich sind all die aufgeführten Tatsachen lebensfremd und verdeutlichen, daß die mit der deutschen Einheit entstandenen Probleme nicht nur juristisch, sondern, wie von mir eingangs gefordert, politisch, aber in erster Linie sozialverträglich hätten gelöst werden müssen. Aus den von mir angesprochenen Gründen kann ich dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß der Debatte erteile ich jetzt unserer Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei den Vorrednern bedanken, die sehr besonnene und nachdenkliche Worte gewählt haben und die sich damit wohltuend von der Polemik einiger anderer Redner im Laufe der letzten zwei Stunden abgehoben haben.Das hat gezeigt, daß es möglich ist, auch in Einzelfragen unterschiedliche Auffassungen auf eine doch diesem Parlament angemessene Art und Weise auszutragen. Rechtssicherheit und angemessener sowie sozialverträglicher Interessenausgleich zwischen zwei Betroffenen mit jeweils schutzwürdigen Interessen, das sind die Maximen, von denen sich die Bundesregierung und die Regierungskoalition auch bei diesem Gesetzentwurf haben leiten lassen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19465
Bundesministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerHier wird niemand vertrieben, hier wird auch niemand überfordert, auch wenn versucht wird, das den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern einzureden, sondern der Nutzer oder auch — einmal nicht so juristisch gesprochen — der Gebäudeeigentümer entscheidet ja in den neuen Ländern selbst darüber, welche Stellung er künftig haben möchte. In der ganzen Debatte und in den Beratungen und Gesprächen in den neuen Ländern geht oft unter, daß er alleine entscheidet, ob er ein Erbbaurecht bekommt und damit Erbbauzins zahlen muß oder ob er Eigentümer auch an dem Grundstück werden kann.Ich möchte auch mit dem Märchen aufräumen, daß hier die Nutzer und die Erbbauberechtigten finanziell hoffnungslos überfordert würden. Das trifft nicht zu.
Rechnungen machen das deutlich. Wir haben — das ist vorhin angesprochen worden — in diesen Gesetzentwurf Regelungen gerade auch für Grundstückswerte aufgenommen, die höher liegen. Bei 250 000 DM und mehr Grundstückswert muß in den ersten drei Jahren ein monatlicher Erbbauzins von mindestens 108 DM gezahlt werden, im vierten bis sechsten Jahr 209 DM und im siebten bis neunten Jahr 313 DM. Da soll mir noch einmal einer sagen, wir würden Regelungen treffen, die zur Vertreibung oder Überforderung der Nutzer führen würden!
Frau Minister, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen? Herr Dr. Heuer möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich würde gern, weil die Debattte schon so weit fortgeschritten ist und ich weiß, wie die Fragen gestaltet sind, fortfahren, damit wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf kommen können.
Ich möchte auch noch eines sagen. Wenn ein Nutzer ein geringes Einkommen hat, dann hat er im Rahmen der geltenden Bestimmungen auch das Recht, Wohngeld zu beziehen. Das heißt, er steht den Mietern gleich. Auch das müssen wir den Menschen sagen, wenn wir sie darüber informieren, wie die Rechtslage jetzt ist und künftig sein wird. Wir schaffen Rechtssicherheit und Vertrauen.
Wir schaffen alles andere,
als jetzt von der Warte von Westeigentümern aus arrogant an diese so schwierigen und uns alle herausfordernden Punkte heranzugehen. Im Gegenteil, die Beratungen über die letzten Monate hinweg haben deutlich gemacht, daß jedenfalls wir von der Regierungskoalition ein Ziel im Auge haben: Beiden Seiten, die betroffen sind, nämlich denjenigen, die in den Gebäuden wohnen, und auch denjenigen, denen das
Grundstück gehört und die seit vielen Jahren mit diesem Grundstück nichts anfangen können, in einem angemessenen Umfang gerecht zu werden.
Wir haben in diesem Gesetzentwurf das Schwergewicht auf die Stellung der Nutzer, auf die Stellung derjenigen gelegt, die in den neuen Bundesländern leben, die ihr Eigenheim selbst geschaffen haben. Ich glaube, das zeigt, daß wir, ausgehend von der richtigen Grundentscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben, Rückgabe vor Entschädigung, mit diesem Gesetzentwurf sehr wohl einen ganz wichtigen Schritt auf das Ziel zugehen, bald in ausreichendem Umfang Regelungen geschaffen zu haben. Gesetzliche Regelungen gibt es jetzt bald genügend, und wir können den Menschen sagen: Ihr wißt, worauf ihr euch verlassen könnt. Wir sind nämlich in der Lage, zur Lösung dieser Fragen einen demokratischen Konsens zu finden.
Ich finde es bedauerlich, daß sich dieser Konsens, der sich schon bei den Justizministerkonferenzen angekündigt hat, auf denen dieser Weg von allen Justizministern eindeutig bestätigt und unterstützt worden ist, in den letzten Tagen mit einem Mal von Ihnen, von der Opposition, aufgekündigt werden soll. Im Rechtsausschuß haben wir noch am 20. April breiten Konsens über den vorgelegten Entwurf gehabt. Wir haben — Herr Luther, Sie sind der Initiator des Gedankens, den wir sehr lange diskutiert und erörtert haben — dann auch eine wirklich vernünftige, angemessene und ausgleichende Regelung gefunden.
Ich kann es nicht verstehen, und die Menschen in den neuen Ländern werden es nicht verstehen, wenn diese Regelungen von Ihnen jetzt wieder aufgekündigt werden und Sie damit die Verabschiedung dieses Gesetzes, auf das sehr viele Menschen warten, hinauszögern wollen, möglicherweise gefährden und die Menschen dann im Oktober vielleicht immer noch nicht wissen, woran sie sind. Das ist ein Verhalten, das wir nicht vertreten können.
Wir werden das auch offensiv vertreten, um den Menschen klarzumachen, wer hier wirklich ihre Interessen im Auge hat.
Frau Ministerin, eine Sekunde.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, den Rednern bis zum Abschluß dieser Debatte zuzuhören. Wir haben nach der Rede der Frau Ministerin noch zwei Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung. Ich bitte wirklich um Ruhe.
Bitte, Frau Ministerin.
Vielen Dank, Herr Präsident.Ich möchte auch noch einige Worte zu der Diskussion um die Stichtagsregelung verlieren, die nicht nur dieses Gesetz wieder begleitet. Diese Fragen sind ja
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Bundesmininisterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon bei allen anderen Gesetzgebungsvorhaben in den letzten Monaten immer wieder zum Gegenstand der Beratung gemacht worden.Ich möchte hier mit der Legende aufräumen, daß keine Klarheit darüber bestünde, um was für eine Regelung es sich in § 4 Abs. 2 Satz 2 Vermögensgesetz handelt. Es ist immer eindeutig gewesen, daß Erwerb im Sinne dieser Vorschriften genau dasselbe bedeutet wie in allen anderen rechtlichen Bestimmungen auch, nämlich Kauf und Eintragung in das Grundbuch. Die Frage, ob es noch zu einem Kaufvertrag gekommen ist oder nicht oder ob die Anbahnung vor dem Stichtag ausreicht, war Gegenstand der Überlegungen und des Kompromisses, den wir im Juli 1992 geschlossen haben.Mit dem in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Kompromiß wollen wir einen Weg gehen, der beiden Seiten gerecht wird, nämlich einmal den Häuslebauern, denen wir nicht erklären können, warum sie die Hälfte des Verkehrswertes zahlen müssen, während andere, die nach dem bisher geltenden Recht nicht in dieser Position sind, jetzt für einen Apfel und ein Ei Eigentümer an Grund und Boden werden sollen. Das können Sie niemandem klarmachen, der wirklich in vielen Jahren mit allem, was er hatte, mit seinem ganzen finanziellen Engagement ein Eigenheim, ein Haus errichtet hat und jetzt benachteiligt würde, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen würden. Deshalb tun wir das nicht.
Wir tun es aber auch deshalb nicht, weil die verfassungsrechtliche Seite hier nicht vernachlässigt werden darf. „Mal so ein bißchen verfassungsrechtliches Risiko einzugehen" ist in meinen Augen etwas zu salopp, und damit macht man es sich wirklich etwas zu einfach. Wenn wir § 4 Abs. 2 Satz 2 so ändern würden, daß quasi die Stichtagsregelung nicht mehr greift, würden wir in die Rechte, in die Ansprüche eingreifen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Wir würden diese Rechte nehmen, ohne einen adäquaten Ausgleich dafür zur Verfügung zu stellen. Und wie sollen wir mit denen umgehen, bei denen die Restitution schon abgewickelt worden ist? Wie machen wir das dann? Wir würden neue Ungerechtigkeiten schaffen. Das heißt, diesen Weg zu beschreiten würde bedeuten, dieses Gesetz wirklich dem großen Risiko zu unterwerfen, daß es beim Bundesverfassungsgericht gerade in diesen Punkten keinen Bestand haben würde. Das, glaube ich, können alle die, die hier Verantwortung tragen, nicht mitmachen.
Deshalb darf ich alle bitten, diesem Gesetzentwurf in der Ihnen vorliegenden Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zuzustimmen und den Änderungsantrag der SPD zu diesen Punkten abzulehnen.
Ich darf mich zum Schluß ganz herzlich bei den Berichterstattern und bei allen Mitgliedern des Rechtsausschusses bedanken, die wirklich in intensivsten Beratungen, ohne Tages- und Nachtzeiten zuscheuen, dazu beigetragen haben, daß wir heute ein ganz wichtiges Gesetz verabschieden können, das einen Meilenstein auf dem Wege zur Klärung der offenen Vermögensfragen darstellt.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Die erste Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung gibt jetzt Frau Dr. Dagmar Enkelmann ab.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde dieses Gesetz ablehnen und Ihnen heute eines nicht ersparen: Ich werde Sie gerade angesichts dieser Debatte, in der Sie Ihre Lösung sogenannter ungeregelter Eigentumsfragen kraft Mehrheit durchsetzen werden, an einen Menschen erinnern, der an diesem Unrecht kaputtgegangen ist.
Detlef Dalk aus Zepernick im Land Brandenburg nahm sich vor mehr als zwei Jahren das Leben, um Sie, meine Damen und Herren, wachzurütteln und Sie mit den Folgen politischer Fehlentscheidungen zu konfrontieren. In seinem offenen Brief an den Bundeskanzler schrieb Detlef Dalk:
Ich bin so weit. Ich werde mein Leben opfern, damit meine Familie und andere Familien in den sog. Beitrittsgebieten ihr Leben friedlich dort verbringen können, wo sie heute leben.
An Ihnen aber ist offenkundig sein Appell spurlos vorbeigegangen. Sie setzen heute das fort, was mit der Entscheidung über das unselige Prinzip Rückgabe vor Entschädigung im Einigungsvertrag begonnen wurde. Da, wo inzwischen ein weitgehender Kündigungsschutz für Nutzer erreicht wurde, setzen Sie den finanziellen Knebel an.
Ich bitte Sie, bei Ihrer Abstimmung folgendes zu bedenken: Allein in Brandenburg gibt es ca. 300 000 Rückübertragungsansprüche. Das heißt, mehr als eine Million Menschen sind nur in diesem Bundesland betroffen. Die Wahl zwischen Kauf des Grundstücks und Erbbaurecht bedeutet konkret nach Angaben des Deutschen Mieterbundes, im Durchschnitt 300 000 DM einmalig oder bis zu 1 000 DM pro Monat auf den Tisch zu legen. Unberücksichtigt bleiben dabei Tausende von D-Mark als Notarkosten.
Das mag aus Ihrer Sicht sozialverträglich sein. Vergessen Sie aber nicht, daß von den Betroffenen in Brandenburg 36 % Rentnerinnen und Rentner, 17 % Arbeitslose und 12 % Vorruheständler sind. Wie sollen die das Geld aufbringen?
Überdenken Sie im Interesse dieser Menschen Ihre Entscheidung. Stimmen Sie gegen das vorliegende Gesetz. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Betroffenen einen Kompromiß finden, der kein neues Unrecht, der kein neues Leid schafft.
Meine Damen und Herren, zu einer weiteren Erklärung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung hat jetzt unser Kollege Uwe Lambinus das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um der vom Kollegen Geis begonnenen Legendenbildung vorzubeugen, erkläre ich hier, daß die SPD-Fraktion und ich in zweiter Lesung Art. 2 dieses Gesetzes zustimmen werden, weil wir die Ergänzung des § 906 BGB im Interesse der sporttreibenden Vereine wollen. Unsere Ablehnung in dritter Lesung hat mit dieser Entscheidung nicht das Geringste zu tun.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung sachenrechtlicher Bestimmungen auf den Drucksachen 12/5992 und 12/7425. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/7435 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei einigen Stimmenthaltungen von der großen Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7426. Die Fraktion der SPD hat Teilung der Abstimmung verlangt. Wir stimmen deshalb zunächst über die Nr. 1 des Änderungsantrages auf dieser Drucksache ab. Wer stimmt dafür? — Die Gegenprobe! — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Nr. 2 des Änderungsantrages der SPD auf Drucksache 12/7426. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Alle Plätze an den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Dann bitte ich, dies doch jetzt zu tun.Sind alle Stimmen abgegeben? — Dies ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Abstimmung.Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir warten jetzt auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung. —Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7426 bekannt. Es wurden 479 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 181 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 292 gestimmt. 6 haben sich ihrer Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 478; davon:ja: 180nein: 292enthalten: 6JaSPDAdler, BrigitteAndres, GerdBartsch, HolgerBecker , Helmuth Berger, HansBeucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck , Lieselott Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, AnniDr. Brecht, Eberhard Büchner , Peter Büttner (Ingolstadt), Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, PeterDr. Diederich , Nils Diller, KarlDr. Dobberthien, Marliese Duve, FreimutDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, Konrad Erler, GernotEsters, Helmut Ewen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFischer , Lothar Fuchs (Köln), Anke Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, NorbertDr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, IrisGraf, GünterGroßmann, Achim Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter Hiller , Reinhold Hilsberg, StephanHorn, ErwinHuonker, Gunter Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, RenateJanz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJungmann , Horst Kastning, ErnstKemper, Hans-Peter Klappert, MarianneDr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, SiegrunDr. Knaape, Hans-HinrichKörper, Fritz RudolfKolbe, Regina Kolbow, Walter Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte Lennartz, KlausDr. Leonhard-Schmid, Elke Lörcher, ChristaLohmann , KlausDr. Lucyga, ChristineMaaß , DieterMarx, DorleMatschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeMeißner, HerbertDr. Mertens ,Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niese, RolfOdendahl, Doris Oesinghaus, GünterOpel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Palis, KurtPaterna, PeterPeter , HorstPfuhl, Albertvon Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto Reuter, BerndRixe, GünterSchaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Scheffler, SiegfriedSchily, OttoSchloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Dr. Schnell, EmilSchöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Karl-HeinzSchütz, DietmarSchulte , BrigitteDr. Schuster, R. Werner Schwanitz, Rolf Seuster, LisaSimm, ErikaDr. Soell, HartmutDr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, WielandDr. Sperling, DietrichSteen, Antje-MarieDr. Struck, PeterDr. Thalheim, GeraldThierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, SiegfriedDr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Wagner, Hans GeorgWallow, Hans Waltemathe, Ernst
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19468 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Vizepräsident Hans Klein Walther , Rudi Wartenberg (Berlin), GerdDr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen , Gert Dr. Wernitz, AxelDr. Wetzel, MargritDr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter Wimmer ,HermannWittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, HannaZapf, UtaPDS/Linke ListeDr. Enkelmann, DagmarDr. Fischer, Ursula Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Jelpke, UllaDr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, IngeborgDr. Schumann ,FritzDr. Seifert, IljaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKöppe, IngridPoppe, GerdSchenk, ChristinaSchulz , Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), KonradFraktionslosDr. Krause , Rudolf KarlNeinCDU/CSUAdam, UlrichDr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Bauer, WolfBaumeister, BrigitteBelle, MeinradDr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-DirkDr. Blank, Joseph-Theodor Blank, RenateDr. Blens, HeribertBleser, PeterBöhm , Wilfried Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, FriedrichBohlsen, WilfriedBrähmig, KlausBreuer, PaulBühler , Klaus Büttner (Schönebeck), HartmutBuwitt, DankwardCarstens , ManfredDehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, MariaEngelmann, Wolfgang Eppelmann, RainerErler , Wolfgang Eylmann, HorstEymer, AnkeFalk, IlseDr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, JochenDr. Fell, Karl H.Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.Fuchtel, Hans-Joachim Ganz , JohannesDr. Geiger , Sissy Geiger, MichaelaGeis, NorbertGibtner, HorstGlos, MichaelGötz, PeterDr. Götzer, Wolfgang Gres, JoachimGrochtmann, Elisabeth Gröbl, WolfgangDr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, KlausHaschke , GottfriedHasselfeldt, Gerda Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),HansgeorgHeise, ManfredDr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Herr, NorbertHiebing, Anna Maria Hinsken, ErnstHintze, PeterHörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hoffacker, Paul Hollerith, JosefHornung, Siegfried Hüppe, HubertJäger, ClausJaffke, SusanneDr. Jahn ,Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, KarinDr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, EgonJung , Michael Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Karwatzki, Irmgard Kauder, VolkerKeller, PeterKittelmann, Peter Klein , Hans Klinkert, UlrichKöhler ,Hans-UlrichKolbe, ManfredKors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrey, Franz Heinrich Kriedner, ArnulfKrziskewitz, Reiner Dr. Lammert, Norbert Lamp, HelmutLaumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, UrsulaLenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, EdithaLink , Walter Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, SigrunLohmann , WolfgangLouven, JuliusDr. Luther, MichaelMaaß , Erich Männle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, Dietrich Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,MartinMeckelburg, Wolfgang Meinl, RudolfDr. Meyer zu Bentrup, ReinhardMichalk, MariaMichels, MeinolfMüller , Elmar Nelle, EngelbertNitsch, Johannes Nolte, ClaudiaDr. Olderog, Rolf Ost, FriedhelmOswald, EduardOtto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Pesch, Hans-Wilhelm Dr. Pinger, Winfried Pofalla, RonaldDr. Pohler, Hermann Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Raidel, HansDr. Ramsauer, Peter Rau, RolfRauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),HanneloreRoitzsch , Ingrid Romer, FranzDr. Rose, KlausRossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Schartz , Günther Schell, ManfredScheu, GerhardSchmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, ChristaSchmidt , Christian Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), JoachimSchmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi von Schmude, MichaelGraf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Scholz, RupertFrhr. von Schorlemer, ReinhardSchulhoff, WolfgangDr. Schulte , DieterSchwalbe, ClemensDr. Schwörer, Hermann Seesing, HeinrichSeibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSkowron, Werner H. Sothmann, BärbelSpilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, RudolfSteinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, HansDr. Frhr. von Stetten, WolfgangStockhausen, KarlStrube, Hans-GerdStübgen, MichaelDr. Süssmuth, RitaSusset, EgonDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, GunnarVogel , Friedrich Dr. Vondran, RuprechtDr. Waffenschmidt, Horst Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenWerner , Herbert Wetzel, KerstenWiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, BerndWimmer , Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, MatthiasDr. Wittmann, Fritz Wittmann ,SimonWonneberger, Michael Wülfing, ElkeWürzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, Wolfgang Zöller, WolfgangF.D.P.Albowitz, InaDr. Babel, GiselaBaum, Gerhart RudolfDr. Blunk , Michaela Cronenberg (Arnsberg),Dieter-JuliusEimer , Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, JörgDr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K.Funke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink, MargretGallus, GeorgGanschow, JörgGenscher, Hans-Dietrich Gries, EkkehardGrüner, MartinGünther , JoachimDr. Guttmacher, Karlheinz
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19469
Vizepräsident Hans Klein Hansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, BurkhardDr. Hitschler, Walter Homburger, BirgitDr. Hoth, Sigrid Dr. Hoyer, WernerKleinert , Detlef Kohn, RolandKoppelin, JürgenDr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger, SabineLüder, WolfgangLühr, UweMischnick, WolfgangNolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, RainerOtto , Hans-JoachimParr, Detlef Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ,ManfredRind, Hermann Dr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmidt (Dresden), ArnoDr. Schnittler, Christoph Schüßler, GerhardSehn, Marita Seiler-Albring, UrsulaDr. Semper, SigridDr. Starnick, JürgenDr. Thomae, DieterTimm, Jürgen Türk, Jürgen Walz, Ingrid Dr. Weng ,WolfgangWolfgramm ,TorstenWürfel, UtaEnthaltenCDU/CSUDr. Ackermann, Else Göttsching, Martin Junghanns, UlrichKrause , WolfgangF.D.P.Dr. Schmieder, JürgenFraktionslosLowack, OrtwinDamit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD hat Einzelabstimmung über eine Reihe von Vorschriften verlangt.Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Art. 1 ist angenommen.Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 ist angenommen.Ich rufe Art. 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.Der Rechtsausschuß empfiehlt unter II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7425 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? —Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:Kommunalpolitische DebatteBeratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Adolf Herkenrath, Wolfgang Zeitlmann, Theo Magin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch, Wolfgang Lüder, Hans-Joachim Otto , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Lage der Städte, Gemeinden und Kreise — Drucksachen 12/5373, 12/6815 —Dazu liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der Fraktion der SPD sowie der Gruppe PDS/Linke Liste vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, ihre Gespräche in der Halle fortzusetzen. — Sind Sie mit dieser Debattendauer einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Adolf Herkenrath.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sind nun mit dieser Kommunaldebatte in die Tageszeit gekommen, in der die Kommunalpolitiker nach ihrem beruflichen Alltag normalerweise ihr Mandat ausüben: in den Sitzungen, in den Rathäusern. Es ist also anzunehmen, daß zur gleichen Zeit Tausende von Kommunalkollegen in den Rathäusern ehrenamtlich Dienst tun. Auch das ist ein wichtiger Beitrag für die Demokratie, der täglich geleistet wird, wofür wir bei dieser Gelegenheit auch einmal Dank sagen dürfen.
Wir Kommunalpolitiker sind beweglich und flexibel und haben es akzeptiert; denn es war ja wichtig, heute morgen in der Wirtschaftsdebatte auch über verbesserte Rahmenbedingungen zu sprechen. Wenn wirtschaftlicher Aufschwung verzeichnet werden kann, bedeutet das, daß dadurch auch mehr Geld in die kommunalen Kassen kommen wird. So schaffen wir Rahmenbedingungen.Die kommunale Selbstverwaltung ist, wie wir wissen, ein wesentlicher Bestandteil der verfassungsrechtlichen und politischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Für die Demokratie in unserem Staat sind die Funktionsfähigkeit, der Schutz und die Erhaltung des notwendigen Handlungsspielraums der Gemeinden von fundamentaler Bedeutung. Durch unsere Gesetzgebungstätigkeit tragen wir Mitverantwortung für das Wohlergehen unserer kommunalen Selbstverwaltung.Deshalb ist es seit fast 20 Jahren nun eine gute Tradition, daß der Deutsche Bundestag mindestens
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19470 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. h. c. Adolf Herkenratheinmal pro Legislaturperiode in einer Debatte die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung diskutiert, eventuelle Fehlentwicklungen anspricht und über seine Mitverantwortung nachdenkt. Das soll heute hier geschehen.Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben damals in der Opposition mit Großen Anfragen und anschließenden Debatten begonnen und führen dies auch in der Regierungsverantwortung fort. Es liegt in der Natur der Sache und gehört zum Rollenspiel, daß die Sozialdemokraten als Opposition nun versuchen werden, Schwachstellen in dem zu finden, was wir hier als Rahmenbedingungen schaffen,
und wir werden widerlegen, daß es diese Schwachstellen gibt.Wenn ich das, was im Vorfeld dieser Debatte an mich herangedrungen ist, so richtig wäge und werte, sind wir uns in dem Punkt einig, daß wir unsere Bundesländer aus ihrer ersten und wichtigen Verantwortung bei der Lösung dieser Aufgabe nicht ausnehmen werden und uns sicherlich, beide gemeinsam, einige kritische Worte an die Länder in dieser Debatte erlauben dürfen.Das politische Handeln in der jetzigen Legislaturperiode wird wesentlich durch die Wiedervereinigung und ihre Folgen in Deutschland geprägt. Dies gilt auch für den Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung im östlichen Teil unseres Vaterlandes. In wenigen Tagen, am 6. Mai, ist es genau vier Jahre her, daß in der früheren DDR die ersten freien Kommunalwahlen stattfanden. Auch deshalb ist heute ein geeigneter Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen.Zu dieser Bilanz gehören in Stichworten: eigenständige Kommunalverfassungen in allen neuen Bundesländern, d. h. von der zentralen Kommandowirtschaft nun zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung; Gebietsreformen, die zu verwaltungsstarken Städten, Gemeinden und Kreisen führen; Sicherstellung des grundlegenden Finanzierungsbedarfs für die Kommunen, zunächst im Fonds Deutsche Einheit und ab 1995 durch das Föderale Konsolidierungsprogramm.Diese wenigen Stichworte sagen: Unter der Mehrheitsverantwortung der Union in den neuen Bundesländern und hier im Bundestag ist die kommunale Selbstverwaltung in den neuen Ländern zu einem gesicherten und tragfähigen Bestandteil eines in Stufen gegliederten föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland geworden.Wir werden in der Debatte deutlich machen, daß noch Wünsche offenbleiben; aber viel ist in diesen vier Jahren geschehen. Hier gilt der Dank auch den Kommunalpolitikern in den neuen Bundesländern, die ohne Erfahrung, ohne politisch-demokratische Kenntnisse in diesen letzten vier Jahren von heute auf morgen mit ihren Mandaten hervorragende Arbeit geleistet haben.
Die Kommunen im Westen tragen durch finanzielle Beiträge zum Fonds Deutsche Einheit und zum Föderalen Konsolidierungsprogramm den Aufholprozeß in den neuen Ländern mit. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß mir keine Stimme aus dem kommunalen Lager bekannt ist, die diese Beiträge in Frage stellt. Im Gegenteil, zahllose westdeutsche Städte, Gemeinden und Kreise haben auf freiwilliger Basis zusätzliche personelle, organisatorische und finanzielle Hilfe geleistet und tun es noch heute.
Die Kommunen sind heute — wie alle öffentlichen Haushalte — unbestritten in einer schwierigen Finanzlage. Der Deutsche Städtetag spricht in seinem Gemeindefinanzbericht 1994 von einem außergewöhnlichen Zusammentreffen gravierender Belastungen. Das ist richtig. Das heißt, daß die Ursachen für die Belastungen eben aus verschiedenen Quellen kommen.Bei einem Vergleich der Belastungen des Bundes und derjenigen der westdeutschen Länder durch die deutsche Einheit stelle ich fest, daß die Belastungen des Bundes bei etwa 10 % seines Haushaltsvolumens liegen, während es bei den Ländern lediglich 2,5 % sind. Und die Länder sind ab 1995 mit ungewöhnlich hohen 44 % am Aufkommen der Umsatzsteuer beteiligt. Die Länder hätten deshalb hinreichend Spielraum, finanziell bedrängten Kommunen zu helfen.
Wir müssen erwarten, daß dies geschieht; denn die Länder haben in der Verfassungsdebatte, die ja im Deutschen Bundestag im Gange ist, über Parteigrenzen hinweg unisono betont, daß sie staatsrechtlich die Kommunen mitvertreten. Sie haben damit, so finde ich, in der gemeinsamen Verfassungskommission zu meinem Bedauern eine stärkere Position der Kommunen im föderalen Staatsaufbau verhindert, zu der im Deutschen Bundestag — ebenfalls über Parteigrenzen hinweg — eine Mehrheit bereit gewesen wäre.Nach meinem Eindruck besteht die Sorge, daß die Länder mit ihren starken Armen die Kommunen so sehr umgreifen, daß den Kommunen in dieser Umarmung die Luft zum Atmen weniger wird.In diesem Zusammenhang — bei der Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit können wir nicht näher darauf eingehen — erinnere ich auch an das Gerangel auf der europäischen Ebene um eine angemessene Vertretung der Kommunen in dem neugeschaffenen wichtigen Ausschuß der Regionen. Es ist eigentlich nur dem Bundeskanzler Kohl zu verdanken, daß es noch möglich wurde, daß kommunale Vertreter auch aus der Bundesrepublik Deutschland als echte Mandatsträger — wenn auch nur mit 3 von 24 — in diesem Ausschuß vertreten sind.
Ob und wieweit wir vitale Städte, Gemeinden und Kreise haben, hängt also nicht nur vom Bund, sondern in erster Linie vom Verhalten der Länder ab. In den nachfolgenden Beiträgen werden meine Kollegen einige Themen ansprechen, die jetzt besonders aktuell anstehen. Ich nenne Stichworte.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19471
Dr. h. c. Adolf HerkenrathMit der Bahnreform hat der Bund den Ländern Instrumente gegeben, mit denen die Länder jetzt kommunalfreundliche und zukunftsweisende Nahverkehrsgesetze gestalten könnten. Ob dies gelingen wird, liegt in der Verantwortung der Länder.Ich nenne die Einführung der Pflegeversicherung, die zu einer beträchtlichen Entlastung bei der Sozialhilfe führen kann. Inwieweit sich das in den kommunalen Haushalt niederschlägt, hängt wieder vom Verhalten der Länder ab.Inwieweit der dringend notwendige Abbau von Standards gelingt und damit unsinnige Bürokratie abgebaut wird, hängt ebenfalls vorwiegend von den Ländern ab. Die Länder stehen also in der Verantwortung, für ihre Kommunen die möglichen Anträge zur Aufschiebung von Fristen, beispielsweise zur Durchsetzung der dritten Reinigungsstufe, zu stellen. Nach meinen Informationen hat dies noch kein Land getan. Für die Aufschiebung der Fristen können ja nicht nur technische, sondern auch die Kommunen bedrängende finanzielle Gründe angegeben werden.Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz: Die Frist 1. Januar 1996 geht auf die Verantwortung des Bundesrates — sprich: der, Länder — zurück. Einer stufenweisen Verwirklichung des Rechtsanspruches, für die die kommunalen Spitzenverbände einen beachtenswerten und realistischen Vorschlag entwikkelt haben, haben sich die Länder bisher entzogen.Ebenso haben sich die Länder bisher einer echten Mitwirkung in der Kommission des Bundesfinanzministers entzogen, in der ein Konzept für eine kommunale Finanzreform für die nächste Legislaturperiode erarbeitet werden soll. Wir sind uns ja einig, daß eine kommunale Finanzreform aus vielen Gründen dringend erforderlich ist. Aber ohne eine konstruktive Mitarbeit der Länder wird eine solche Reform nicht zustande kommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, wir werden im Laufe dieser Debatte noch nachweisen, daß durch bundesgesetzliche Maßnahmen günstigere Rahmenbedingungen für die Zukunft der Kommunen geschaffen worden sind. Durch bundesgesetzliche Maßnahmen wurde der Zuzug von Aussiedlern gegenüber dem Vorjahr mehr als halbiert. Nach langem parteipolitischem Streit konnte eine Asylrechtsregelung erreicht werden, durch die der offensichtliche Asylrechtsmißbrauch deutlich verringert wurde. So wurden auch Leistungen in ausgewogenem Maße reduziert, und auf der anderen Seite wurde im Föderalen Konsolidierungsprogramm wie im Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsgesetz die Höhe der laufenden Hilfen zum Lebensunterhalt vermindert — alles Entlastungen bei den Kommunen.So wird sich die Bedeutung der Entscheidungen dieser Legislaturperiode für die Konsolidierung der kommunalen Sozialausgaben zwar nicht plötzlich auswirken, aber Schritt für Schritt deutlich werden. Wenn die Entscheidungen dahin führen, daß die kommunalen Sozialausgaben nicht einen ständig höheren Anteil an den kommunalen Gesamtausgaben beanspruchen, dann haben sie für solide Kommunalfinanzen möglicherweise dieselbe Bedeutung wie die für die nächste Legislaturperiode angestrebte Gemeindefinanzreform.Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, ich glaube also, daß diese Debatte zum richtigen Zeitpunkt stattfindet. Wir können die Arbeit dieser Legislaturperiode überschauen. Auch in den kommunalrelevanten Bereichen der Gesetzgebung ist in den letzten Jahren viel Positives geleistet worden, in der Innenpolitik, der Umweltpolitik, der Verkehrspolitik und der Kulturpolitik. Wir werden das in dieser Debatte noch herausarbeiten. So ist es wichtig, daß der strikte Sparkurs, zu dem wir alle verpflichtet sind, noch einige Jahre durchgehalten wird und sich mit dem beginnenden Wirtschaftsaufschwung, über den wir heute morgen debattiert haben, ein Ende der finanziellen Talfahrt abzeichnen kann.Die Bundesregierung hat mit ihren umfangreichen Antworten eine realistische Darstellung zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise gegeben. Ich darf den vielen fleißigen Beamten auch dafür danken, daß sie die vielen Fragen, die wir gestellt haben, umfassend beantwortet haben. Damit wird den Kommunalpolitikern wertvolles Informationsmaterial vermittelt.Mit ihrem Entschließungsantrag hat die SPD ein Stimmungsbild gemalt, das, —
Herr Kollege, Sie sind schon ein Stück über die Zeit.
— wenn ich es richtig sehe, nicht einmal die SPD-Kommunalpolitiker alle so sehen, wie ich aus vielen Gesprächen weiß.
Die Kommunalpolitiker können dieser Debatte entnehmen, daß es sich lohnt, für die Menschen in den Städten, Gemeinden und Kreisen zu arbeiten. Ihnen, vor allem den Ehrenamtlichen, sei hier und heute an dieser Stelle auch einmal herzlich gedankt.
Danke schön.
Ich muß jetzt eine Bemerkung an die Adresse der Stenographen machen: Wenn Sie freundlicherweise an entsprechender Stelle einfügen würden, daß die Kollegin Dr. Barbara Höll zum Tagesordnungspunkt 18m eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung schriftlich abgegeben hat.*)
Ich erteile das Wort der Kollegin Brigitte Schulte.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Herkenrath hat recht: Eigentlich wäre es jetzt genau die Zeit, wo uns die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker zuhören könnten. Aber dann müßten Sie, Herr Präsident, durchsetzen, daß wir endlich einen bundeseigenen Fernsehkanal besäßen,
über den die Kommunalpolitiker unsere Debatte zu diesem Zeitpunkt verfolgen könnten. Ich unterstütze Sie ausdrücklich dabei.*) Anlage 2
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19472 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Frau Kollegin — ich halte die Uhr an —, ich muß Ihnen doch sagen: Hier handelt es sich im wesentlichen urn Staatsverträge über die Rundfunk- und Fernsehanstalten, die die Länder abgeschlossen haben. Das liegt weit außerhalb des Einflußbereichs des amtierenden Bundestagspräsidenten.
Herzlichen Dank, auf die Länder und auf die Verfassungswirklichkeit komme ich noch zu sprechen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen erreichte uns alle der offene Brief der Bürgermeister von Potsdam, Klein-Machnow, Falkensee, Neu-Fahrland und Zepernick. Sie hatten sich gleichzeitig an den Bundespräsidenten, an uns Abgeordnete, den Bundeskanzler, den Bundesratspräsidenten und alle Ministerpräsidenten gewandt. Dies geschah in tiefer Sorge um den sozialen Frieden in ihren Gemeinden. Deshalb schlossen sich 100 Bürgermeister-Kollegen aus verschiedenen neuen Bundesländern diesem Anliegen an.Die Gründe?Da ist zunächst die hohe Arbeitslosigkeit und mangelhafte berufliche Perspektive vieler Menschen in den neuen Bundesländern zu sehen. Da ist aber auch das vorhin diskutierte, von der CDU/CSU und F.D.P. durchgesetzte Prinzip Rückgabe vor Entschädigung, das 1995 für Hunderttausende von Mietern, Nutzern und Pächtern den Verlust oder die Unbezahlbarkeit ihrer Wohnung oder gar den Verlust ihrer beruflichen Basis bringen könnte, anzusprechen.Die Menschen reagieren auch aus diesem Grund schon heute mit Angst, mit Gewalt und mit der Wahl von Parteien, die ihnen einfache Lösungen auf solche Fragen versprechen. Da trifft es sich dann ganz gut, daß wir heute als Sozialdemokraten mit Ihnen von der rechten Seite und der linken Seite des Hauses Bilanz ziehen können über die Lage der Kommunen in Deutschland.
— Wir gehören in die Mitte, aber ausdrücklich! Hören Sie mal, sonst hätte ich doch keine Mehrheiten!Wo wird das Regierungshandeln und das Regierungsversagen deutlicher als in den Städten und Gemeinden vor Ort?
Ach, wie sagte doch der Bundeskanzler Dr. Kohl 1991? — Sie haben das in Ihrer Großen Anfrage fast ehrerbietig erwähnt, meine Herren von den Regierungsparteien; ich sage nur deshalb „meine Herren", weil in Ihrer Großen Anfrage nur Männer erwähnt sind —:
„Die Menschen suchen Geborgenheit in einer vertrauten Lebensumwelt."
Wie wahr! Oder: „Wo Bürger ihre Angelegenheiten ineigener Verantwortung vor Ort regeln, dort könnendie Städte und Gemeinden aufblühen und den Menschen eine lebenswerte Heimat bieten."Aber wollen Sie ernsthaft mit solchen Feststellungen, mit Allgemeinplätzen, die verängstigten Arbeitslosen und Mieter und kleinen Selbständigen und die besorgten Bürgermeister in den neuen Bundesländern trösten?Ihre Große Anfrage, Herr Kollege Herkenrath, und die Antworten der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Waffenschmidt, zeigen trotz aller beschönigenden Versuche, daß Ihre kommunale Bilanz in den 40 Monaten Regierungsverantwortung in dieser Legislaturperiode sehr kümmerlich ausfällt.
Ihnen ist es zwar gelungen, ein Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte und andere beratende Berufe in den neuen Bundesländern zu etablieren — vor allen Dingen für Leute aus dem Westen —,
Sie haben den Spekulanten geholfen, aber vielen anständigen Menschen haben Sie Angst vor dem demokratischen Rechtsstaat nach westlichem Muster gemacht.
Und Sie haben die kommunale Selbstverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt und in Thüringen wirklich nicht gefördert, sondern zusammen mit fragwürdigen Ministerpräsidenten und Landesministern sogar geschwächt. Sie haben bei den Menschen Ihre Glaubwürdigkeit verloren.
Ich hätte ja gern gesagt: Meine Damen und Herren, aber nach einem Blick nach links kann ich nur sagen: Sehr geehrter Herr Dr. Keller! Diese Situation, so glaubten die Damen und Herren von der PDS/Linke Liste, wäre ihre Stunde, nämlich die Stunde der Wölfe im Schafspelz.
Es ist schon ein tolles Ding, wie ausgerechnet Sie und Herr Modrow diese kommunale Selbstdarstellung in Deutschland besorgt aufzeigen.Wer hat denn, Herr Kollege Dr. Keller, für den schlechten baulichen Zustand der Schulen in der früheren DDR die Verantwortung getragen?
Wer hat denn die Altersheime und die Behinderteneinrichtungen in einem so unglaublichen Zustand in die deutsche Einheit hinübergebracht,
wenn nicht die ehemaligen Regierungsmitglieder Dr. Keller und Dr. Modrow?
Diese beiden Herren stehen als erste auf der Großen Anfrage der PDS/Linke Liste.Wer hat denn im Bezirk Dresden zwar einige Prestigebauten saniert, renoviert oder errichtet, aber
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19473
Brigitte Schulte
z. B. die Kostbarkeit der Meißener Altstadt durch Nichtstun zerstört?
Hieß der Bezirkssekretär Hans Modrow?
Wie sah das „selbstbestimmte Handeln der Städte, Gemeinden und Landkreise" in der früheren DDR eigentlich aus? Das ist ja ein wörtliches Zitat. Das gab es überhaupt nicht.
Ich frage daher ernsthaft: Wer gibt Ihnen das Recht, in einem Entschließungsantrag zu mutmaßen — und jetzt wörtlich —: „Der Fortbestand kommunaler Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland ist überhaupt gefährdet." Das ist Quatsch, Herr Kollege! Es disqualifiziert Sie als angesehenen Gesprächspartner.
— Er ist in den Bundestag gewählt.Die Allzuständigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften folgt aus der nur enumerativen Zuständigkeit von Bund und Ländern. Gleichwohl gebührt der Gemeinsamen Verfassungskommission Dank, daß unser Grundgesetz die kommunale Selbstverwaltung sichert und jetzt ausdrücklich durch kommunale Finanzautonomie gewährleistet.Hier sind vor allen Dingen die Länder gefragt — ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Herkenrath —, die ihren Kommunen Lebensraum lassen müssen und Entfaltungsspielräume über die Pflichtausgaben hinaus geben müssen.Wie aber sieht — und nun komme ich wieder zu Ihnen zurück — die Geborgenheit in vertrauter Umwelt der CDU/CSU und F.D.P. aus? Kennen Sie wirklich nur die schönen Wohngebiete in Ihren Wahlkreisen, meine Damen und Herren? Wissen Sie wirklich nicht, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen in den letzten zwölf Jahren immer größer geworden ist und daß heute mehr als eine halbe Million Menschen in der Bundesrepublik obdachlos sind? Mich bedrückt es sehr, wenn ich heute sehe, wie viele Menschen die Nacht auf den Straßen verbringen müssen und wie viele Kinder und Jugendliche darunter sind.Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugend- und Sozialämtern tragen die Hauptlast der verfehlten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung. Ich will die Gelegenheit nutzen, ihnen für ihr Engagement zu danken.Die Haushaltslage vieler Landkreise und großer Städte ist doch deshalb so schwierig geworden, weil die Sozialausgaben von Jahr zu Jahr weit überproportional gestiegen sind und noch kein Ende abzusehen ist.Nicht nur in den neuen Bundesländern müssen die Bürgermeister Sorgen um den sozialen Frieden in ihren Städten haben. Wenn wir uns nicht gemeinsam — und da wende ich mich an Sie alle, und zwar auf der rechten Seite —
durch eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen bemühen, neue Wohnungen und Arbeitsplätze zu schaffen, werden Kriminalität und Übergriffe auf ausländische Mitbürger und Behinderte noch zunehmen. Es reicht nicht, unsere Innenstädte zu Tempeln der Konsumgesellschaft und der Kultur zu machen und die Menschen in Not immer mehr an den Rand zu drängen.Nur wer nicht sorgfältig nach den Ursachen für die finanziellen Probleme unserer Kommunen forscht, kann die Lösung ihrer Probleme in der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen suchen. Ich warne Sie von der CDU/CSU vor einer Privatisierungseuphorie, in die Ihre Kommunalpolitiker sowieso nicht einstimmen. Man muß nicht alles hoheitlich machen, auch wenn beispielsweise bei Abwasserbeseitigung und Müllentsorgung der Anschluß- und Benutzungszwang hilfreich ist. Man kann das staatliche Monopol aber auch durchaus mit privatrechtlich organisierter Ausführung von Aufgaben verbinden. Da sind wir uns einig.Man sollte jedoch die Effizienz der öffentlichen Verwaltung, die Verantwortung der Kommunen als Gebietskörperschaften nicht durch eine Privatisierungsideologie gefährden; vielmehr muß die Bürokratie entschlackt werden.Leistungsfähige und leistungswillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Kommunalverwaltung sind das Rückgrat öffentlichen Handelns, und sie sind übrigens einer der großen Vorzüge unserer Demokratie. Man braucht sich ja nur in allen Staaten Ost- und Westeuropas umzusehen.Ein immer größeres Ärgernis für viele ehrenamtliche Kommunalpolitiker und Bürger ist aber eine sich verselbständigende Bürokratie. Voller Zorn berichtete mir gestern ein Fraktionsvorsitzender über die Auflagen der Straßenbauverwaltung bei der Erschließung eines Neubaugebietes. Statt — wie von der Gemeinde einmütig gewünscht — das Ortseingangsschild zu verlegen, verlangte der Vertreter des Straßenbauamts tatsächlich, daß die Gemeinde mit 11 000 Einwohnern für eine halbe Million ihren Parkplatz zu verlegen und eine neue Zuwegung zu schaffen habe.
Geschlossener Widerstand aller Ratsmitglieder brachte den Vertreter des Straßenbauamts zur Vernunft bzw. zur richtigen Ermessensausübung.Wer von uns Bundestagsabgeordneten hat sich nicht schon einmal über Bundes-, Landes- und Bezirksregierungsverteter geärgert — dies wird ja alles besser, wenn Sie, Frau Kollegin Hämmerle, das machen; ich hoffe ja auch, daß der Kollege Schroeder das schon heute in Freiburg besser macht —, weil sie sich mit Detailliebe in kommunale Angelegenheiten einmischten, ohne die örtlichen Gegebenheiten zu kennen?
Dasselbe gilt für die Normenflut von Bund und Ländern, die die kommunalen Räte und Verwaltungen in unnötiger, oft von Sachkenntnis nicht getrübter
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19474 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Brigitte Schulte
Liebe zum Detail drangsalieren. Ich höre den Kollegen Waffenschmidt hier noch als Oppositionsredner,
als er ausführte, was er alles besser machen werde, wenn er dafür in der Regierung einmal Verantwortung trägt. Ich habe Ihre CDU-Kollegen in den Kommunalparlamenten meines Wahlkreises gefragt. Sie haben gesagt: Nichts hat sich geändert, liebe Frau Schulte, es ist noch schlimmer geworden; sagen Sie das bitte dem Herrn Waffenschmidt!Zeiten knapper öffentlicher Kassen bieten die Chance, den Katalog öffentlicher Aufgaben von der kommunalen Ebene über die Landesebene, die Bundesebene bis zur internationalen Ebene zu durchforsten und mehr Verantwortung bei den örtlichen Stellen anzusiedeln. Dies sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, F.D.P. und GRÜNEN — vielleicht kommen auch sie ja wieder in den Bundestag —, anpacken und den Bürgern nicht immer nur vor den Wahlen versprechen.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Gerhard Schüßler, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß diese Debatte heute in einem angemessenen Zeitrahmen geführt werden kann. Ich sage das vor allem vor dem Hintergrund, daß der Stellenwert der Kommunalpolitik in Bonn nicht sehr hochrangig angesiedelt ist.
Ich sage das auch als langjähriger Kommunalpolitiker, der das sehr wohl zu beurteilen weiß.Zu oft sind in der Vergangenheit Gesetze zu Lasten Dritter beschlossen worden, ohne daß über die finanziellen Folgen für die entsprechende Gebietskörperschaft nachgedacht worden ist.
Das gilt für die Länder, aber in gleicher Weise für alle Bundesregierungen, die hier im Amt gewesen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gemeinden sind Bindeglied zwischen Staat und Bürgern. Hier wird der Kontakt des einzelnen mit den Gesetzen, den Vorzügen und den Nachteilen, hergestellt. Theoretisch sollte es in unser aller Interesse sein, den Gemeinden eine bürgernahe und bürokratiearme kommunale Selbstverwaltung zu ermöglichen.Das ist in der Praxis nicht immer der Fall. Gesetzes- und Verordnungsfluten von Bund und Ländern in einer einzigartigen Regelungsdichte belasten die Gemeinden. Bund und Länder präsentieren immer wieder neue Gesetze und Verordnungen, ohne den Gemeinden die entsprechenden Mittel zur Verfügungzu stellen, geschweige denn, sie an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Dem Stellenwert der Kommunalpolitik in unserem Gemeinwesen wird dies eben nicht gerecht.Die Bundesregierung erklärt in der Antwort auf die Anfrage, daß sie die Belange der Kommunen stets beachte. Ich nenne dazu nur zwei Punkte: erstens den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz — er ist in seiner Zielsetzung sicherlich richtig; aber über die Finanzierung hat sich wohl kein Mensch Gedanken gemacht — und zweitens die Einführung der dritten Reinigungsstufe bei Kläranlagen.Meine Damen und Herren, in Art. 28 des Grundgesetzes soll der Satz eingefügt werden:Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.Das ist ein hoher Anspruch. Ich sage deutlich: An den so apostrophierten Grundlagen fehlt es bis heute. Den Gemeinden sind von Bund und Ländern ständig neue Aufgaben zugewiesen worden, ohne daß eine zur Aufgabenerfüllung angemessene Finanzausstattung gefolgt wäre.Der Anspruch der F.D.P. geht weiter. Wir brauchen eine umfassende Neuordnung der Bund-LänderFinanzbeziehungen, die die Gemeindefinanzen mit einbezieht.
Die heutigen Bund-Länder-Finanzbeziehungen— ich habe mich ein halbes Jahr damit beschäftigt — sind so kompliziert, daß man bald ein finanzwissenschaftliches Studium braucht, um sie überhaupt zu verstehen. Darum beschäftigt sich damit auch keiner mehr.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die Gemeinsame Verfassungskommission die Chance der notwendigen Veränderung nicht genutzt hat. Damit werden Finanzstrukturen verfestigt, die verantwortungslosen und verschwenderischen Umgang mit den Steuergeldern fördern. Die F.D.P.fordert ein Ende des Kompetenzgerangels und Eigenverantwortung für das Ausgabegebaren jeder einzelnen staatlichen Ebene.
Die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen muß neugeordnet werden. Diejenige Körperschaft, die eine Aufgabe zu erfüllen hat, muß die daraus entstehenden Ausgaben tragen. Es gibt keinen Anreiz für eine wirtschaftliche Ausgestaltung und Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben, da die finanziellen Folgen von unterschiedlichen Gebietskörperschaften getragen werden. Es besteht ein hoher Informations- und Koordinationsbedarf zwischen den beteiligten Aufgabenträgern.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19475
Gerhard SchüßlerMit hohem Aufwand entsteht — wer wüßte das als Kommunalpolitiker nicht — insbesondere in den Kommunen eine ausufernde, nicht mehr zu vertretende Antragsbewilligungsdemokratie. Eine politische Verantwortung ist nicht auszumachen. Das Ziel einer sachgerechten Verteilung und Konzentration öffentlicher Mittel wird nicht erreicht.Wir brauchen daher die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben und ihrer Mischfinanzierung. Das erfordert eine Grundgesetzänderung. Denn die Mischfinanzierungstatbestände sind ein ganz entscheidendes Hindernis beim Abbau und bei der Deregulierung von ins Kraut gewachsenen Verwaltungsstrukturen. Alles Klagen und Jammern darüber hilft nicht weiter. Es ist dieses Parlament, das endlich die Initiative ergreifen und handeln muß.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zusammenhang mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm und der Beteiligung der neuen Bundesländer am bundesstaatlichen Finanzausgleich ist die Einnahmesituation der ostdeutschen Kommunen ab 1995 auf eine solide Grundlage gestellt. Wichtig ist, daß die enormen Mittel, die den neuen Ländern zur Verfügung gestellt werden, auch an die Kommunen weitergeleitet werden.In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß der Erblastentilgungsfonds ab Mitte 1995 den Großteil der Schulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft übernimmt. Mein Kollege Schmieder wird im Verlaufe der Debatte zu den neuen Bundesländern noch detaillierte Aussagen machen.Das strukturelle Problem habe ich genannt. Das ist wirklich nur im Rahmen einer von uns geforderten Gemeindefinanzreform zu lösen. Aber ganz generell ist von den Ländern zu erwarten, daß sie der Verantwortung gegenüber den Kommunen gerecht werden.
Die Mehreinnahmen der Länder ermöglichen nämlich eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen.
Die Bundesländer verteidigen, wie wir alle wissen, stets jeden Quadratmeter Föderalismus. Nur wenn es um Kosten und Geld geht, huldigen sie dem Zentralstaat; dann wird die Zuständigkeit des Bundes eingefordert.
Die stufenweise Einführung der Pflegeversicherung soll die Gemeinden bei der Sozialhilfe 1996 entlasten. Das ist sicher richtig. An der von der Bundesregierung genannten Zahl von 9 Milliarden DM möchte ich jedoch starke Zweifel anmelden. Angesichts von 45 Milliarden DM Gesamtausgaben für die Sozialhilfe sind 9 bis 11 Milliarden Entlastung allein durch die Einführung der Pflegeversicherung wohl unwahrscheinlich.Ich unterstelle einmal, daß hier ein Finanzbedarf hochgerechnet worden ist, daß also von Geld die Rede ist, das noch gar nicht ausgegeben worden ist. Das kann man beim besten Willen nicht als Einsparung betrachten. Ich wäre der Bundesregierung außerordentlich dankbar, wenn sie dazu ein Wort sagen würde.
Andererseits verursachen die 1992 beschlossenen gesetzlichen Vorhaben für die Bereitstellung von Kindergartenplätzen zusätzlichen umfangreichen Mittelbedarf für Investitionen in Höhe von 20 Milliarden DM, 4 Milliarden DM für laufende Betriebskosten. Eine Streckung der Verpflichtungen ändert nichts an dem grundsätzlichen Investitionsbedarf. Die Gemeinden können das aus eigener Kraft nicht bezahlen.
Völlig an der finanziellen Lage der Kommunen vorbei geht die geplante Einführung der dritten Reinigungsstufe bei Kläranlagen, die nach der EG-Richtlinie bis 1997 abgeschlossen sein soll. Modellrechnungen aus einzelnen Gemeinden zeigen, daß die Gebühren für Abwasserentsorgung dann erneut beträchtlich steigen müßten. Wer aber die Entwicklung gerade in den Gebührenhaushalten in den letzten Jahren betrachtet, muß einfach zu dem Schluß kommen, daß das Ende der Bürgerbelastung erreicht ist.
Bei der Europäischen Union muß eine Fristverlängerung durchgesetzt werden; Ausnahmeregelungen im Einzelfall reichen uns nicht.
Der Griff in das Portemonnaie der Bürger muß nun unverzüglich beendet werden, meine Damen und Herren.
Kritisch ist sicher anzumerken, daß sich das Ausgabeverhalten der Gemeinden viel zu spät verändert hat. Das gilt nicht für alle, aber auch für eine Anzahl von Bundesländern. Viel zu spät hat der erforderliche Konsolidierungsprozeß eingesetzt. Viele gegenwärtige Schwierigkeiten der Gemeinden sind auch hausgemacht, wegen falschen Finanzgebarens.Für die westdeutschen Gemeinden wird sich die Lage 1995 nicht verbessern. Es führt kein Weg daran vorbei: Erstens. Die Aufgaben müssen überprüft und neue Prioritäten festgelegt werden. Zweitens. Die Verwaltung muß rationalisiert werden. Drittens. Kommunale Dienstleistungen sind zu privatisieren, da sie von Privaten kostengünstiger erbracht werden.Daß Frau Schulte in diesem Zusammenhang, wie nicht anders zu erwarten war, von „Privatisierungsideologie" spricht, wundert mich nicht. Privatisierung im Sinne der F.D.P. muß auch die Öffnung der Märkte umfassen. Privatisierung und Liberalisierung gehören zusammen. Es geht dabei um bessere Leistungen für weniger Geld; das müßte eigentlich auch in Ihrem Sinne sein.
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19476 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Gerhard SchüßlerDann erwarte ich ebenfalls, daß sich die Gemeinden endlich von ihren Beteiligungen an Industrieunternehmen, Stromversorgern, Banken und Versicherungen trennen. Die Dominanz der Kommunen z. B. beim RWE ist im Zeichen der Liberalisierung der Strommärkte und der Klagen über finanzielle Engpässe nicht mehr akzeptabel.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wiederhole: Für die F.D.P. ist eine Reform der Finanzverfassung mit einer umfassenden Gemeindefinanzreform überfällig. Sie war bisher nicht erreichbar, nur: An uns lag das nicht.
Der nächste Deutsche Bundestag muß das Problem der Gemeindefinanzierung lösen. Das ist dann relativ einfach: Die Gewerbesteuer wird abgeschafft;
die Gemeinden erhalten einen Anteil an der Umsatz- und der Mineralölsteuer.
Dazu brauchen wir Öffnungsklauseln im Grundgesetz. Auch in dieser Frage ist der Wille und der Mut dieses Parlaments gefragt.Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Der Entschließungsantrag der SPD
ist völlig unbrauchbar, in großen Teilen ausschließlich polemisch, Frau Kollegin. Man muß sich wirklich wundern, daß ausgerechnet die SPD, die ja in vielen Gemeinden über eine absolute Mehrheit verfügt, hier einen Antrag vorlegt, der an den tatsächlichen Gegebenheiten völlig vorbeigeht.
Aber der Antrag basiert auf dem alten Strickmuster: Alles Positive machen wir; alles Böse kommt vom Bund. Sie sollten sich wenigstens die Mühe machen und sich einmal intensiv mit dem Verhalten der Länder und ihrem Umgang mit den Gemeinden beschäftigen. Dann wird es Ihnen schwerfallen, sich als Kommunalpartei darzustellen. Diesen Anspruch haben Sie längst verloren.
Gerade die SPD-regierten Bundesländer haben rücksichtslos eigene Haushaltssanierung auf Kosten der Kommunen betrieben, und sie tun es weiterhin. — Hier noch mehr zu sagen führt jetzt zu weit. Meine Redezeit läuft gleich ab.Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Worte zum Ausschuß der Regionen sagen. Nachdem der Kanzler eingreifen mußte, um den Appetit der Länder zu bändigen und die Länder zu einer Beteiligung der kommunalenSpitzenverbände zu bewegen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob dieses Gremium neue Impulse geben kann. Lassen Sie mich aber auch sagen: Das Besetzungsrecht für die 24 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in diesem Regionalausschuß hatte der Bund. Es ist im Rahmen des Finanzschachers an die Bundesländer wegverhandelt worden. Was dort jetzt an Vertretung der Kommunalinteressen mit drei Repräsentanten der Spitzenverbände übriggeblieben ist, entspricht auch dem Stellenwert der Kommunalpolitik in diesem Hause.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte darf, genau wie die Privatisierung, kein Selbstzweck sein. Sie muß Anstöße für eine gemeindefreundlichere Politik von Bund und Ländern geben. Stellung und Ansehen des Staates ergeben sich vor allem auf kommunaler Ebene. Das muß unser Handeln in Zukunft wesentlich stärker berücksichtigen, als das bisher der Fall gewesen ist.Vielen Dank.
Herr Kollege Dr. Dietmar Keller, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst daran erinnern, daß wir vor reichlich einem Monat, am 3. März, in diesem Hohen Haus schon einmal über eine Große Anfrage zur Kommunalpolitik diskutiert haben. Ich finde es sehr schade, daß die SPD keine Große Anfrage eingereicht hat. Ich verstehe, daß die Regierungskoalition, nachdem wir unsere Große Anfrage eingereicht hatten, eine eigene nachgeschoben hat.Ich bedaure sehr, daß wir die Diskussionen zur Kommunalpolitik nicht zusammen an einem Tag führen konnten. Wir hätten mehr Zeit dazu gehabt. Vielleicht wäre es sogar möglich gewesen, zu einer etwas freundlicheren Zeit darüber zu sprechen.Wenn Sie, Frau Schulte, fragen, woher ich das Recht nehme, mich zur Kommunalpolitik zu äußern,
dann sage ich Ihnen: Ich habe in meinem Leben schon so viel Schuld für Sachen tragen müssen, die ich nicht zu verantworten hatte, daß ich ohne Probleme Ihren Vorwurf annehme, daß ich auch in 40 Jahren DDR für alles Verantwortung trage. Ich kann damit leben; zwar bin ich erst 50, aber das macht nichts.Ich will Ihnen nur sagen: Ich verstehe, daß Sie gern in unserer Wählerschaft wildern wollen
und daß es Ihnen ganz schön weh tut, daß wir in der Kommunalpolitik so gute Ergebnisse erreicht haben. Sie werden das aber nicht schaffen, wenn Sie uns nur beschimpfen. Sie werden es nur schaffen, wenn Sie bessere Argumente haben und wenn die SPD-regier-
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Dr. Dietmar Kellerten Länder eine bessere Kommunalpolitik machen, als sie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt tun.Dann werden Sie uns überlegen sein. Aber solange Sie uns nur beschimpfen und uns irgend etwas vorwerfen, glaube ich, wird es nicht zu dem Ergebnis führen, das Sie hoffen und wünschen.
Herr Kollege Keller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brigitte Schulte?
Selbstverständlich.
Trifft es zu, daß der Zustand der Grundschulen, die ich im August 1989 bei einem privaten Besuch in Wittenberg und in Potsdam gesehen habe, nicht das Ergebnis kommunalpolitischer Arbeit der PDS war?
— Das ist ja nun das gleiche. Wir wollen ja keinen Etikettenschwindel vornehmen.
Trifft es zu, Herr Kollege Dr. Keller, daß diese furchtbaren Behinderteneinrichtungen, die ich mir z. B. in Sachsen-Anhalt angesehen habe, ein Erbe der PDS, also der SED, sind?
Sehr verehrte Kollegin, die Geschichte hat ein Urteil gesprochen. Der Sozialismus ist so, wie er in der DDR versucht wurde, unter der Verantwortung der SED zu Recht zugrunde gegangen. Darüber gibt es keine Diskussion.
Das kann uns aber nicht davon entbinden, daß wir uns heute, vier Jahre nach der Einheit, Gedanken darüber machen, in welcher kommunalpolitischen Situation die Kommunen jetzt sind.
Da wir Wähler haben, haben wir auch das Recht, in einem Parlament zu reden, aufzutreten und Interessen vorzutragen.Ich bekenne mich zu meiner Verantwortung als Mitglied der SED. Ich habe das hier in diesem Hause nicht zum ersten Mal gesagt. Ich schäme mich auch für vieles, was diese SED gemacht hat. Aber ich bin Mensch und kann mich nicht den Rest meines Lebens in eine Schamecke stellen. Ich möchte durch aktive, verantwortliche Arbeit mithelfen, daß ein Teil dessen repariert wird, was unter dem Namen der SED an Schaden angerichtet worden ist.Unter diesem Aspekt traue ich mich hier ans Pult. Ich nehme auch Ihre Kritik ernst, aber ich bitte Sie einfach: Es hilft uns nicht, wenn wir nur nach hinten schauen. Wir haben nach vorn zu schauen! Ich denke mir, daß die Antwort der Bundesregierung sowohl auf unsere Große Anfrage als auch auf die Anfrage der eigenen Koalition nicht auf den Kern der Sache eingeht.Ich meine, daß die gegenwärtige Bundesregierung keine kommunalfreundliche Politik betreibt. Wennder Deutsche Städtetag solche Appelle an die Bundesregierung richtet, unabhängig davon, welcher Partei die Oberbürgermeister angehören, dann kann ich mir das nicht anders erklären, als daß Fragen herangereift sind, die dringendst einer Beantwortung bedürfen.Tatsache ist doch, daß die gegenwärtige Bundesregierung Verantwortung für die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen trägt und daß sie Verantwortung dafür trägt, daß die kommunale Selbstverwaltung zum gegenwärtigen Zeitpunkt von vielen Kommunen nicht wahrgenommen werden kann.Es ist doch klar: Wenn wir im Bundestag weiter Gesetze beschließen, die zu 80 % die Kommunen betreffen und wir das Wort der Kommunen nicht hören und nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen, dann beschwören wir die Gefahr herauf, daß kommunale Selbstverwaltung und Verantwortung für kommunale Selbstverwaltung zwar im Grundgesetz stehen, aber die Kommunalpolitiker vor Ort, die jetzt irgendwo sitzen und Entscheidungen zu treffen haben, in ihren Entscheidungsmöglichkeiten so eingeengt sind, daß sie kaum verantwortungsbewußt für ihre Städte und Gemeinden entscheiden können.
Der Bund hat in unverantwortlicher Weise Leistungsgesetze mit erheblichen finanziellen Auswirkungen erlassen, ohne gleichzeitig eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen sicherzustellen. Mit Steuerrechtsänderungen seit 1982 hat sich der Bund Mehreinnahmen von über 46 Milliarden DM gesichert. Gleichzeitig wurden den Kommunen Einnahmemöglichkeiten in einem Umfang von rund 55 Milliarden DM entzogen. Die Gewerbesteuer wurde auf Geheiß der großen Wirtschaftsverbände von der Bundesregierung ausgehöhlt. Nun soll auch noch die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden. Die Praxis der Knebelung der Kommunen wird auch bei Verwirklichung des von der Bundesregierung initiierten Föderalen Konsolidierungsprogramms fortgesetzt.Die Bundesregierung hält vehement an ihrer Weigerung fest, sich an den dramatisch gestiegenen kommunalen Sozialhilfeetats zu beteiligen. Durch die zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Kürzungen des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe sowie der Eingliederungshilfe für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler müssen die Kommunen 1994 Mehrbelastungen von rund 3 Milliarden DM — in den Folgejahren wahrscheinlich mit steigender Tendenz — tragen.Besonders kritisch ist die Finanzausstattung der Kommunen in den ostdeutschen Ländern. Ich weise die Behauptung der Bundesregierung zurück, daß sich diese seit 1991 auf einer stabilen Grundlage befänden. Tatsache ist vielmehr, daß das mit dem Einigungsvertrag schlagartig übernommene bundesdeutsche System der Finanzierung der Kommunalhaushalte für die ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise eine Existenzbedrohung darstellt.Angesichts der Wirtschaftslage sind die Standbeine kommunaler Eigenfinanzierung — die Gewerbesteuer und der Gemeindeanteil an der Einkommen-
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19478 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Dr. Dietmar Kellersteuer — in Ostdeutschland nur kümmerlich. Während eine Gemeinde in den Altbundesländern im Jahr 1993 im Durchschnitt 38 % ihres Finanzbedarfs aus eigenen Steuereinnahmen decken konnte, betrug dieser Anteil für eine Gemeinde in Ostdeutschland durchschnittlich nur etwa 10 %.Im Jahr 1993 hatten die ostdeutschen Kommunen nur einen Anteil von lächerlichen 6 % an den Steuereinnahmen sämtlicher Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland.
Dagegen wird die Pro-Kopf-Neuverschuldung der Kommunen in den neuen Bundesländern 1994 fast viermal höher als die im Altbundesgebiet sein.
Die ostdeutschen Kommunen sind damit weiterhin extrem abhängig von ständig wechselnden Finanzzuweisungen seitens des Bundes und der Länder. Wenn Sie sagen, das stimmt nicht, dann gehen Sie zum Deutschen Städtetag und lassen sich die Zahl von ihm geben, wenn Sie es mir nicht glauben.
— Ja, auch die SED hat vieles geschrieben.
Die Frage ist doch, was in den Kommunen wirklich vorhanden ist. Die Tatsache ist, daß die westdeutschen Kommunen im Augenblick im Reichtum sparen müssen, während die ostdeutschen Kommunen in der Armut sparen müssen.Die Bundesregierung verschweigt, daß in Ostdeutschland 1994 im Vergleich zum Vorjahr sogar eine Verschlechterung der kommunalen Finanzausstattung eingetreten ist.
Bestimmte Probleme der Kommunalfinanzen konnten 1993 durch die Aufstockung des Fonds Deutsche Einheit sowie den Einsatz zwischenzeitlich verbrauchter Mittel aus dem Kommunalkreditprogramm in ihrer Wirkung teilweise noch begrenzt werden. Mit derartigen Finanzzuschüssen soll aber nach den Feststellungen der Bundesregierung im Jahr 1994 Schluß sein.Der bereits sehr geringe finanzielle Spielraum der ostdeutschen Städte und Gemeinden wird zusätzlich dadurch begrenzt, daß ihnen mit der Novellierung des Vermögenszuordnungsgesetzes vom 3. August 1992 in unvertretbarer Weise sogenannte Altschulden in Höhe von 6,3 Milliarden DM für Kindereinrichtungen, Altenheime, Schulen usw. übertragen wurden.In einzelnen Städten ergäbe sich allein aus der Anerkennung dieser Forderungen eine zusätzlicheVerschuldung von mehr als 1 000 DM pro Einwohnerin und Einwohner. Bei den strittigen Altschulden handelt es sich nicht um rechtsgültige Forderungen der Deutschen Kreditbank AG, weil keine Kreditverträge vorliegen, sondern um Zuweisungen aus dem Staatshaushalt der DDR für den Bau entsprechender gesellschaftlicher Einrichtungen. Dafür wiederum hat der Bund als Rechtsnachfolger einzustehen.Durch ihre Politik der rechtlichen und finanziellen Knebelung treibt die Bundesregierung insbesondere die ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise in den finanziellen Kollaps. Die Kreditmarktschulden der bundesdeutschen Kommunen werden Ende 1994 rund 165 Milliarden DM betragen. Sie sollen sich nach den eher optimistischen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums bis 1997 sogar auf mehr als 250 Milliarden DM erhöhen. Das sind fürwahr düstere Zukunftsaussichten.Die akute Finanznot führt dazu, daß die Kommunen ihrer Verantwortung als größter öffentlicher Auftraggeber und damit Konjunkturmotor immer weniger gerecht werden können. So sollen die kommunalen Investitionen im Altbundesgebiet nach Angaben des Deutschen Städtetages von insgesamt 44,8 Milliarden DM im Jahr 1993 auf voraussichtlich 41,2 Milliarden DM in diesem Jahr zurückgehen. Bereits 1993 waren sie im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 % gesunken.Wir wenden uns entschieden dagegen, die immer größer werdenden Löcher in den kommunalen Haushalten durch rigorose Privatisierung kommunaler Wohnungen, Unternehmen, Einrichtungen und Dienste schließen zu wollen, obwohl wir nicht gegen diese Privatisierung sind. Wer aber, wie die Bundesregierung es tut, die Kommunen durch die finanzielle Knebelung zum Verkauf ihres Tafelsilbers auffordert, hat nicht vorrangig die Lösung deren akuter Finanzprobleme im Kalkül, sondern betätigt sich als Totengräber kommunaler Selbstverwaltung. Die PDS/ Linke Liste sieht dabei in dem in der vergangenen Woche von den Regierungsfraktionen durchgepeitschten Privatisierungsgebot für kommunale Leistungen im Haushaltsgrundsätzegesetz sowie in der Bundeshaushaltsordnung in der Tat ein Folterinstrument gegen die Kommunen. Es ist kein Zufall, daß das Wort „Folterinstrument" hier nicht von uns formuliert worden ist, sondern von Wirtschaftsminister Rexrodt an diesem Pult.Auch die vielerorts vollzogene bzw. angekündigte teilweise gravierende Erhöhung kommunaler Gebühren für Wasser, Abwasser, Müll, die Straßenreinigung usw. stellen keine geeigneten Wege für die Sanierung der Kommunalfinanzen dar. Es sind vielmehr insgesamt untaugliche Versuche, die Folgen der finanziellen Knebelung der Kommunen auf dem Rücken der Einwohnerinnen und Einwohner auszutragen. In Ostdeutschland galoppieren im wahrsten Sinne des Wortes die Gebühren für den Anschluß von Grundstücken an die Kanalisation sowie die Abwasserbeseitigung. Das führt vielerorts zu großer Verärgerung und Protesten unter der Bevölkerung.Die Kommunen haben — vielfach unter dem Druck dubioser Geschäftemacher aus Westdeutschland — bei der Erneuerung ihrer Infrastruktur Zig-MillionenBeträge fehlinvestiert. So hat der Abwasserverband
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19479
Dr. Dietmar KellerRosseltal in Sachsen-Anhalt für 3 100 Einwohner vier Kläranlagen gebaut, darunter eine für 80 Einwohner. Abwassergebühren von bis zu 20 DM je Kubikmeter — der Durchschnitt im Alt-Bundesgebiet liegt etwa zwischen 4 bis 6 DM — stehen in Ostdeutschland mancherorts schon auf der Tagesordnung. Das ist auch in Anbetracht der realen Einkommenssituation der Menschen in den neuen Ländern ein Skandal.Die PDS/Linke Liste sieht insgesamt mit Sorge, daß das bestehende Kommunalfinanzsystem in der Bundesrepublik Deutschland keine solide Grundlage für die kontinuierliche Aufgabenerfüllung der Städte, Gemeinden und Landkreise darstellt. Die Einnahmen fließen äußerst unstetig und sind abhängig von der Konjunktur, von Besonderheiten der örtlichen und regionalen Wirtschaftsstruktur und vor allem von politischen Entscheidungen des Bundes und der Länder. Auch das gilt in besonders negativer Weise für die Kommunen in Ostdeutschland.Wir fordern daher, daß die Finanzausstattung der Städte, Gemeinden und Landkreise so geändert wird, daß tatsächlich kommunale Selbstverwaltung gewährleistet werden kann. Ich denke, in der Forderung nach einer veränderten kommunalen Finanzausstattung sind wir uns parteiübergreifend einig. Es geht hier nicht um Parteiinteressen. Es geht um die Existenz, um die Lebenschancen der Kommunen.Danke.
Herr Kollege Elmer, mir fällt nicht in jeder Sitzung eine „FAZ"-reife Formulierung gegen Ihren Wander- und Sammlertrieb ein.
Wenn Sie bitte ein bißchen Rücksicht darauf nehmen, daß hier vorn im Regelfall ein Redner steht, der es verdient hat, daß man ihm zuhört.
Ich erteile dem Kollegen Werner Schulz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Schöner unsere Städte und Gemeinden! " hieß der alte Slogan. Herr Keller, Sie haben ihn offenbar noch im Ohr und nicht vergessen, wer die Kommunen im Osten tatsächlich so hat herunterkommen lassen. Damit ist zumindest Ihr Bewußtseinsstand höher als der Ihrer Partei. Denn die SED hat, so wie ich es erlebt habe, die kollektive Verantwortungslosigkeit organisiert. Ihre Partei organisiert heute erfolgreich die kollektive Verdrängung. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie sich nur dem Neuaufbau widmen würden. Aber Sie instrumentalisieren den Protest, den Widerstand, die Abwehr gegen dieses System.
Sie stellen sich in den Kommunen dagegen. Das ist die Realität. Das ist nicht eine gute Kommunalpolitik, sondern das ist das Verweigern, das ist der Widerstand gegen dieses übergestülpte System. Das werfe ich Ihnen vor. Das ist der aktuelle Stand. Es geht nicht um die Kamellen von gestern.Meine Damen und Herren, viele Gemeinden in der Bundesrepublik haben in den letzten Monaten Entschließungen verabschiedet, in denen sie ihre große Besorgnis über die Entwicklung der kommunalen Finanzen zum Ausdruck bringen. Der Tenor der Resolutionen ist in allen Fällen der gleiche: Die Kommunen stellen fest, daß ihre Finanzgrundlagen durch die Finanzpolitik des Bundes zunehmend ausgehöhlt werden, und sie fordern die Regierung deshalb auf, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht länger auf dem Rücken der Kommunen auszutragen.Die Finanzentwicklung der Gemeinden ist besorgniserregend. Dies läßt sich schon daran erkennen, daß die Neuverschuldung der westdeutschen Gemeinden in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat. Während die Kommunen im Jahre 1989 noch mit einem Überschuß von etwa 2 Milliarden DM abgeschlossen hatten, ergab sich 1992 ein Defizit von über 9 Milliarden DM. Der Schuldenstand kletterte im gleichen Zeitraum von 112 Milliarden DM auf über 127 Milliarden DM. Fast alle großen Städte über 200 000 Einwohner haben heute weit über 150 Millionen DM Schulden.Gleichzeitig hat sich die soziale Situation in den Gemeinden dramatisch verschlechtert. Die Große Anfrage der Regierungsfraktionen wirft in diesem Zusammenhang ein Schlaglicht auf das Mitgefühl der Bundesregierung bei sozialen Belangen. So konnte die Regierung auf die Frage nach der Entwicklung der Zahl der Obdachlosen keinerlei Angaben machen. Kurz gesagt, diese Regierung hat keine Ahnung, wie schlimm es in den Städten und Gemeinden aussieht, und sie will es wohl auch gar nicht so genau wissen.Natürlich müssen die Lasten der deutschen Einheit in gerechter Weise von allen getragen werden. Auch die Kommunen in den westlichen Bundesländern müssen einen Anteil übernehmen. Dennoch muß ich betonen, daß die Mißwirtschaft der Bundesregierung in den vergangenen Jahren maßgeblich zu dem finanzpolitischen Desaster beigetragen hat. Die Lasten, die jetzt auf die Gemeinden zukommen, hat die Bundesregierung mitzuverantworten. Sie hat bei ihrer Einheitspolitik immer den Eindruck erweckt, als wäre das Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland kostenlos. Nun zeigt sich, daß infolge der verfehlten Vereinigungsstrategie Finanzbelastungen anfallen, die jährlich mindestens 150 Milliarden DM betragen.Es bleibt nicht aus, daß die Gemeinden in den alten Bundesländern sich daran beteiligen müssen. Was aber die Bundesregierung macht, geht so nicht. Sie hat bei den gesetzlichen Regelungen des letzten Jahres die Lasten vor allem auf die unteren Ebenen des Staates abgewälzt. Dies trifft die Gemeinden und die Städte besonders hart.Erstens. Durch die Einbeziehung der neuen Bundesländer in die Umsatzsteuerverteilung haben die alten Länder erhebliche Mindereinnahmen.Zweitens. Finanzmittel, die bisher den westdeutschen Ländern und Kommunen zustanden, wurden direkt nach Ostdeutschland umgelenkt. Dazu gehören Mittel aus der Städtebauförderung, der Gemein-
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19480 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Werner Schulz
deverkehrsfinanzierung, Subventionen und nicht zuletzt die Mindereinnahmen durch die Aufhebung der Strukturhilfe.
Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Weng?
Ja.
Herr Kollege Schulz, Sie haben gerade vorgetragen, der Bundestag mit seiner Mehrheit habe die Lasten, die durch die deutsche Einheit entstanden sind, im wesentlichen nach unten abgegeben. Erinnern Sie sich nicht daran, daß im Zusammenhang mit dem sogenannten Föderalen Konsolidierungsprogramm der Bund ganz wesentliche Lasten auf sich genommen hat und bei der Steuerverteilung zurückgegangen ist gegenüber dem, was er ursprünglich an Verteilungsmasse hatte, und daß er gerade damit in seine heutige finanziell schwierige Situation gekommen ist, weil er von den Lasten in der Konsequenz der deutschen Einheit den Löwenanteil übernommen hat?
Kollege Weng, ich erinnere mich vor allen Dingen daran, daß der Bund und diese Bundesregierung die Belastungen und die Schulden wie in einem Verschiebebahnhof hin- und herschieben. Im Grunde genommen ist diese Einheit von Anfang an nie solide finanziert worden. Das war eine Einheit auf Pump. Man hat einen Fonds eingerichtet. Ich weiß natürlich, daß mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm, von dem Sie sprechen, Entlastungen eingetreten sind. Auf der anderen Seite können Sie doch nicht leugnen, daß die Kommunen heute mit Soziallasten beauftragt werden, die enorm sind, die immens sind, die die Steuereinnahmen der Kommunen völlig auffressen. Hinzu kommt die Kaschierung, die dadurch entsteht, daß im Osten viele aus der Arbeitslosigkeit unmittelbar in die Sozialhilfe fallen. Sie wissen ganz genau, daß die Sozialhilfe ausschließlich von den Kommunen getragen wird. Das heißt, daß viele Kommunen eigentlich an den Rand ihrer finanziellen Belastung geraten sind.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Schulz, akzeptierend, daß ein Teil dessen, was Sie gesagt haben, inhaltlich richtig ist, muß ich Sie aber doch fragen, ob Sie bei kurzem Nachdenken nicht einsehen, daß Sie meine eigentliche Frage nicht beantwortet haben.
Sie holen sich den Teil heraus, der Ihnen gefällt, benoten ihn und sagen, dies sei richtig, und das andere reicht Ihnen offenbar nicht aus. Ich kann daran nichts ändern, Kollege Weng, daß Ihre Partei kein Konzept vorgelegt hat, um die Kommunen jetzt zu unterstützen. Ich meine, Ihre Nachfrage ist reine Polemik. Sie können das auch noch auf eine dritte oder vierte Frage bringen. Aber wir kommen da wahrscheinlich nicht von der Stelle.Drittens. Die westdeutschen Kommunen werden in den kommenden Jahren verstärkt zur Finanzierung der Transfermaßnahmen für die neuen Bundesländer herangezogen. Nach den Vereinbarungen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm, Herr Weng, werden im Rahmen der Neuordnung des Finanzausgleichs nach 1995 die Gemeindehaushalte einen Teil der neuen Lasten tragen.Die Finanzierung des Fonds Deutsche Einheit und der neue Finanzausgleich belasten die Kommunen mit mehr als 7 Milliarden DM jährlich. Gleichzeitig wälzen die Länder durch die bundesgesetzliche Erhöhung der Gewerbesteuerumlage und durch die Kürzungen im kommunalen Finanzausgleich weitere Lasten auf die Kommunen ab.Die Spargesetze des Jahres 1993 verschärfen diese Entwicklung. Nach dem Solidarpakt kommt nun die Rache Waigels. Die Regelungen der Spargesetze haben den Effekt, daß sie die Lasten unverhältnismäßig auf die Länder und Kommunen abwälzen. Die Sozialhilfe nimmt dabei einen entscheidenden Anteil ein.Mit mehr als 44 Milliarden DM ist die Sozialhilfeverpflichtung für die Kommunen mittlerweile höher als die gesamten Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Zwar wurde die zeitliche Befristung der Arbeitslosenhilfe zurückgenommen; dennoch steigen in Verbindung mit der Arbeitslosigkeit die Sozialhilfeausgaben. Auch die Arbeitspflicht für Sozialhilfeempfänger wird zu neuen Kosten bei Städten und Gemeinden führen. Die Entlastungen durch die Pflegeversicherung sind demgegenüber mehr als fraglich.Aber das ist längst nicht alles. Die gesetzlich vorgesehene Verpflichtung zur Einrichtung von Kindergärten wird die Kommunen zusätzlich mit 20 Milliarden DM an Investitionen und 4 Milliarden DM an Betriebskosten belasten.Was das für die Städte bedeutet, zeigt das Beispiel Frankfurt am Main. Sozialhilfekosten machten dort vor 1990 weniger als 30 % des Gewerbesteueraufkommens aus. Heute sind sie auf über 50 % angestiegen. Schon mehr als 60 000 Menschen, also fast 9 % der Bevölkerung, leben dort von der Sozialhilfe.Die ostdeutschen Kommunen sind doppelt belastet. Für sie ergibt sich zusätzlich das Problem, daß die Sozialhilfe infolge der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt übermäßig zunimmt. Bisher waren die meisten Arbeitslosen durch Maßnahmen der Arbeitsförderung abgesichert. Mit der Verringerung dieser Übergangshilfen werden die ostdeutschen Kommunen mit einem dramatischen Ausgabenanstieg konfrontiert. Die Bundesregierung hat dafür keinerlei Vorsorge getroffen. Dabei sind manche ostdeutschen Kommunen durch den enormen Nachholbedarf bereits heute auf einem Schuldenstand wie westdeutsche Kommunen nach Jahrzehnten. Auch hier zeigt sich das Fehlen eines fair geregelten Lastenausgleichs.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19481
Werner Schulz
Der Ausbau der Infrastruktur geschieht längst nicht mit der Schnelligkeit und der zukunftsweisenden Modernisierung, die nötig sind, um den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland für Investoren attraktiv zu machen. Den Aufbau einer weltweit beispielhaften Energieversorgung durch die Gründung von Stadtwerken, also die Anwendung von Kraft-WärmeKopplung und damit die Aufwertung eines Exportschlagers Blockheizkraftwerke, wurde durch einen verantwortungslosen und zukunftsvergessenden Stromvertrag verhindert. Unterstützung findet bei der Bonner Regierung nur das, was auch schon im Westen problematisch geworden ist. Sie ist schlichtweg konservativ, eben auf dem Alten beharrend.Der Erhalt und die Sanierung bauhistorischer Denkmäler bleiben mehr dem privaten Sponsoring überlassen, anstatt daß diese Aufgabe als eine nationale Herausforderung von der Bundesregierung aufgegriffen wird. Weniger nationale Reden und mehr praktisches Engagement für das bedrohte Kulturgut würde man Herrn Schäuble wünschen. Aber solange man sich mehr um die Reichstagskuppel kümmert als um den weiteren Verfall der Bausubstanz, scheint der Haussegen doch etwas schief zu hängen.
Die starre Regelung der Eigentumsfrage Rückgabe vor Entschädigung ist die Investitionsbremse Nummer eins. Sie wird zudem von der Regierung sehr willkürlich angewendet. Trotz Kommunalvermögensgesetz kämpfen etliche Kommunen im Osten um die bestandsnotwendigen Immobilien. Andererseits werden die Mauergrundstücke von der Regierung rigoros für eigene Zwecke kassiert. So läuft hierzulande die doppelte Enteignung.Über Jahrzehnte wurde in den ostdeutschen Kommunen an den Gebäuden der Jugendhilfe und des Freizeitbereichs kaum etwas getan. Die nötigen Investitionsmittel übersteigen bei weitem die Möglichkeiten der Kommunen. Ein von den Jugendministern der Länder im Sommer 1992 geforderter Sonderplan „Neue Länder" konnte bis heute wegen mangelnder Unterstützung des Bundes nicht umgesetzt werden. Wer für die Jugend zuwenig übrig hat, braucht sich über den rechtsradikalen Zulauf nicht zu wundern. Auch Hausbesetzungen sind in vielen Städten alarmierende Zeichen für fehlenden Gestaltungsraum.Die Abwälzung der Lasten auf die unteren Ebenen des Staates offenbaren die Strukturschwäche der Gemeindefinanzierung. Das grundsätzliche Problem besteht darin, daß die Städte und Gemeinden durch das im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltungsrecht zwar eigene Steuereinnahmen erhalten, die aber bei weitem nicht zur Deckung des kommunalen Ausgabenbedarfs ausreichen.Notwendig ist deswegen eine grundsätzliche Neuordnung bei der Finanzierung von bundesgesetzlichen Leistungen, die durch die Kommunen getragen werden. Die Kommunen brauchen eine Finanzausstattung, die es ermöglicht, die im Grundgesetz verankerten Rechte der kommunalen Selbstverantwortung tatsächlich auszufüllen. Leistungsgesetzen des Bundes, die die Kommunalhaushalte belasten, sind deshalb Deckungsmöglichkeiten in gleicher Höhegegenüberzustellen. Gleichzeitig ist der Anspruch der kommunalen Gebietskörperschaften auf eigene konjunkturunabhängige Steuereinnahmen zu sichern.Das ist auch die Voraussetzung für weitreichende Reformen. Die Ausdünnung der kommunalen Ebene, der Weg in immer größere zentral verwaltete Lebensräume führt in die Irre. Die Zukunft liegt im Ausbau der dezentralen Strukturen und in der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Kommunale Selbstverwaltung muß die Entscheidungsbefugnis der Menschen für die Gestaltung ihrer Lebenszusammenhänge stärken. Die Gemeinden dürfen nicht länger das letzte und unbedeutendste Glied in der staatlichen Kette sein.Doch die Bundesregierung bleibt tatenlos. Sie hat sich auf eine Privatisierungskampagne verlegt. Die Kommunen sollen ihren Besitz verkaufen, aus der Substanz leben und sich ihrer Aufgaben, wenn sie sie nicht mehr erledigen können, per Privatisierung entledigen. Statt die öffentlichen Verwaltungen leistungsstark und konkurrenzfähig gegenüber privaten Anbietern zu machen, will sie mit Brachialgewalt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen durchsetzen.Die Konzeptionen und Pläne für eine Reform der öffentlichen Verwaltung haben auch ohne Zutun aus Bonn in den letzten Jahren zunehmend Gestalt angenommen. Viele Kommunen sind auf dem Weg, ihre Verwaltungen bürgernäher, effizienter und kostengünstiger zu machen. Dies bedarf jedoch der rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Bundesregierung hat sich dazu nicht allzuviel einfallen lassen.Meine Damen und Herren, wenn man sich vor Augen hält, wie diese Regierung in den vergangenen Jahren den Gemeinden in Ost und West zugesetzt hat, wie sie ihnen neue Belastungen aufgehalst und gleichzeitig den Finanzhahn zugedreht hat, dann muß man den Mut der Koalition, ihre Chuzpe, schon bewundern, hier eine Debatte zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise zu inszenieren.
Doch ich glaube, die Leute in den Kommunen, Bürger und Kommunalpolitiker, wissen sehr genau, wem sie die Misere zu verdanken haben. Wenn landauf, landab die Parteien allergrößte Schwierigkeiten haben, motivierte Menschen zu finden, die bereit sind, in den Kommunalparlamenten Verantwortung zu übernehmen, weil sie frustriert sind und wenig Hoffnung haben, dort wirklich etwas bewegen zu können, dann haben sie das nicht zuletzt dieser Koalition zu verdanken.
Herr Kollege Schulz, nur eine kleine Bemerkung: In diesem Haus werden Debatten beantragt und geführt, in der Tat nicht inszeniert.
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19482 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Vizepräsident Hans KleinIch erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern, Dr. Horst Waffenschmidt, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Keller von der PDS. Ich möchte mit großem Nachdruck zurückweisen, daß ich die wichtige Informationsarbeit des Deutschen Städtetages mit der Informationsarbeit der SED gleichsetze.
Das ist eine große Unverschämtheit; das haben die kommunalen Spitzenverbände nicht verdient.Meine Damen und Herren, zunächst ein paar Worte zu den neuen Bundesländern. Ich möchte ganz dezidiert auch für die Bundesregierung zunächst all denen danken, die sich in den Städten, Gemeinden und Kreisen in den neuen Bundesländern mit großer persönlicher Einsatzbereitschaft darangemacht haben, 40 Jahre kommunistischer Herrschaft zu überwinden und eine freiheitliche Selbstverwaltung aufzubauen.
Diesen Menschen schulden wir Dank und Anerkennung. Viele kamen aus ganz anderen Berufen und haben sich über Nacht durch die Mitbürgerinnen und Mitbürger in die kommunale Verantwortung rufen lassen. Was sie geleistet haben, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.Ich will an dieser Stelle sagen: Diese Bundesregierung hat mit persönlicher Unterstützung des Bundeskanzlers Helmut Kohl ganz neue Wege beschritten. Ich nenne als Beispiel die Investitionspauschalen. Wir haben das, was Länder bisher immer wieder abgelehnt haben, auch der Bund — das wollen wir für alle Regierungen sagen —, und was nicht gerade eine gepriesene Sache war, durchgesetzt und 6,5 Milliarden DM den Städten und Gemeinden unmittelbar zum eigenverantwortlichen Einsatz gegeben.
Meine Damen und Herren, das ist ein Beispiel, mit dem ich auffordere, nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Ländern einmal darüber nachzudenken, ob man die kommunale Selbstverwaltung nicht dadurch stärkt, daß man von den tausend Zuschußtöpfchen wegkommt und Investitionspauschalen an die Gemeinden gibt. Das sollten wir nachdrücklich unterstützen.
Ich möchte hier auch feststellen, Frau Kollegin Schulte, daß wir alle gemeinsam, die wir für die Pflegeversicherung gestimmt haben, für das wichtige Aufgabengebiet, endlich auch den alten Menschen in den neuen Ländern zu helfen, gute Pflege- und Seniorenheime zu bekommen, über acht Jahre jeweils 800 Millionen DM, insgesamt also 6,4 Milliarden DM, zur Verfügung stellen. Ich finde, das ist eineLeistung, die sich gerade auch bei den Menschen in den neuen Ländern sehen lassen kann.
Mein Kollege Grünewald wird noch zum Solidarpakt sprechen. Wenn hier aber gesagt wird, man habe die Anliegen der neuen Länder und ihrer Gemeinden nicht genügend im Blick, dann will ich hier sagen: Manche Länder haben sich nach der Solidarpaktverhandlung selbst gerühmt, wie gut sie abgeschnitten hätten. Nun sollen sie von dem, was sie vom Bund bekommen haben, auch den Städten und Gemeinden etwas geben. Das fordern wir mit großem Nachdruck.
Meine Damen und Herren, hier ist oft gesagt worden, man solle doch die Anliegen aus den Städten und Gemeinden aufnehmen. Ich will hier einmal ein Thema anschneiden: Es hat leider — das muß ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD sagen — lange gedauert, bis Sie die berechtigten Anliegen Ihrer Bürgermeister aufgenommen haben, endlich das Grundgesetz zu ändern, damit wir zu einer besseren Regelung beim Asylrecht kommen konnten.
Hätten Sie das eher getan, so hätten wir uns viel Verdrossenheit erspart. Hätten Sie mehr auf Ihre Bürgermeister gehört, so wären Sie eher zu der Entlastung gekommen, die das neue Asylrecht für die Städte und Gemeinden mit sich bringt.Ich freue mich, daß wir heute fraktionsübergreifend sagen können: Die Pflegeversicherung ist eine gute Sache. Das haben wir jetzt gemeinsam verabschiedet. Ich will an dieser Stelle Norbert Blüm danken, der unentwegt für diese Sache geworben hat. Sie wird zu einer großen Entlastung bei der Sozialhilfe führen. Dafür können wir alle dankbar sein, die wir das gemeinsam beschlossen haben.
Ich hoffe, daß das nicht zum Anlaß genommen wird, zu sagen: Jetzt werden die Gemeinden bei der Sozialhilfe entlastet; dann können wir ihnen neue Lasten auferlegen. Ich hoffe, daß das, was an Ersparnis möglich wird, den Kommunen verbleibt.Lassen Sie mich im Blick auf die längerfristigen Aufgabenstellungen noch zwei Punkte anschneiden.Meine Damen und Herren, wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, daß die Städte und Gemeinden unmittelbar an der Umsatzsteuer beteiligt werden. Ich halte das mittelfristig für eine ganz wichtige Sache. Wir müssen den geeigneten Schlüssel dafür finden, daß die Städte und Gemeinden mehr an unmittelbarer Steuerbeteiligung haben und weniger auf Zuschußprogramme angewiesen sind. Minister Waigel hat dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie wirkt mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Wirtschaft zusammen. Wir können nur hoffen, daß sie Erfolg hat. Dann sind nämlich die Städte und Gemeinden an der Grundsteuer, an der Lohn- und Einkommensteuer, an der Gewerbesteuer — auf die werden sie noch lange angewiesen sein — und dann auch an der Umsatz-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19483
Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidtsteuer beteiligt. Das wäre eine gute finanzielle Grundlage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär — —
Ja, ich komme zum Schluß, Herr Präsident, weil auch andere hier ihren Beitrag leisten wollen.
Ich unterstreiche mit Nachdruck, daß wir eine Ergänzung in Art. 28 des Grundgesetzes erreicht haben. Sie soll die Finanzautonomie der Städte und Gemeinden stärken. Ich sage hier ganz offen: Ich hätte mir an dieser Stelle noch mehr gewünscht. Aber wir mußten einen Kompromiß schließen, damit wir eine Zweidrittelmehrheit von Bund und Ländern finden. Möge es dazu dienen, daß wir künftig in den Städten und Gemeinden damit gut arbeiten können. Aber ich meine, viele Dinge lassen sich aufweisen — im Gegensatz zu mancher sehr pessimistischen Zustandsbeschreibung —, die beweisen, daß wir hier in der Bundespolitik die Anliegen der Städte, Gemeinden und Kreise und ihrer Bürger aufnehmen und anstreben, gute Lösungen zu finden.
Herzlichen Dank.
Es geht doch nichts über parlamentarische Erfahrung. Wenn man mit der Einleitung „damit die anderen reden können" noch anderthalb Minuten überzieht: Respekt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Ich erteile jetzt dem Kollegen Meinrad Belle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen suchen Geborgenheit in einer vertrauten Umwelt. Deshalb hat die kommunale Selbstverwaltung, die auf Eigenverantwortung und Bürgersinn beruht, wegen ihrer Geschichte und Tradition für unser Land eine so große Bedeutung. Was die kleinere Einheit in eigener Verantwortung wirksam entscheiden kann, soll der Staat nicht an sich ziehen. So die grundsätzliche Aussage unseres Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung.Diese großartige Idee von der kommunalen Selbstverwaltung ist nun bald 200 Jahre alt. Gesetz wurde sie mit der preußischen Städteordnung des Freiherrn vom Stein im Jahre 1808. Seit 1808 wird die örtliche Selbstverwaltung bis in die heutige Zeit und wahrscheinlich auch in Zukunft vom Mißtrauen staatlicher Instanzen begleitet. Dabei wollte der Freiherr vom Stein durch die städtische Selbstverwaltung keineswegs den Staat schwächen, sondern ihn stärken. Aber er wollte einen Staat, der vom Bürger getragen wird. Das erschien ihm nur erreichbar, wenn die Bürger an den öffentlichen Geschäften mitwirkten. Die verlorengegangene Teilnahme der Bürger am Gemeinwesen sollte wiederhergestellt werden.
— Richtig.Als überzeugter Anhänger dieser Idee stelle ich fest, daß es uns in den letzten Jahren gelungen ist, Kollege Lambinus, die kommunale Selbstverwaltung in Teilbereichen weiter zu stärken. Die beabsichtigte Ergänzung von Art. 28 des Grundgesetzes, die kommunale Investitionspauschale in den neuen Bundesländern und die Beteiligung der Kommunen am neu geschaffenen Ausschuß für Beziehungen zu den regionalen und lokalen Körperschaften des Maastrichter Vertrages sind einige Beispiele.Nicht verschwiegen werden sollen allerdings auch die Gefahren, die der kommunalen Selbstverwaltung dauernd drohen. Die kommunalen Spitzenverbände haben bei der Verfassungsdiskussion offen die Einführung einer Kommunalkammer auf Bundesebene zur Interessenwahrnehmung der Städte, Gemeinden und Kreise gegenüber dem Gesetzgeber gefordert. Da sollte in Bundes- und Landespolitik wahrlich das Warnsignal aufleuchten. Ganz offenbar fühlen sich die Kommunalvertreter durch das geltende Recht und die Praxis nicht ausreichend beteiligt.Dann soll es auch Bundespolitiker geben, die zusätzliche Aufgaben auf die Kommunen übertragen, ohne sie gleichzeitig mit den dafür notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten.
— Nein. — Das geschieht wohl im Hinblick auf die bei mancherlei Problemlösungen bewährte Findigkeit und Intelligenz der Kommunalpolitiker. Diese Politiker übersehen dabei, daß die Grundrechenarten nach Adam Riese auch für die Kommunen gelten. Auch die Städte und Gemeinden können nur das ausgeben, was vorher eingenommen wurde.Ich verstehe allerdings nicht ganz, daß der Kollege Schüßler vorhin die Bundesregierung wegen des Rechtes auf einen Kindergartenplatz beschimpfte. Ich möchte doch der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, daß das Recht auf einen Kindergartenplatz mit Wirkung vom 1. Januar 1996 auf Grund eines Gesetzentwurfes der SPD und der F.D.P. eingeführt worden ist und nicht von uns vorwärtsgebracht wurde.
Hilfreich, meine Damen und Herren, wäre es auch, wenn die Bundespolitiker den Kommunen wenigstens dann moralische Unterstützung geben, wenn sie, wie beim Asylbewerberleistungsgesetz, schwierige Aufgaben übertragen oder neu geregelt haben. Es sollte sich eigentlich auch bereits herumgesprochen haben, daß die Lebensverhältnisse für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht dadurch besser werden, daß fernab, weit vom Schuß, Rechtsansprüche normiert werden. Meine Damen und Herren, damit wird lediglich die Manie mancher Zeitgenossen unterstützt, die unseren Rechtsstaat zum Rechtsmittelstaat machen wollen. Die Bedingungen für das Leben in unseren Städten und Gemeinden müssen vor Ort verbessert werden.Wenn über eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung gesprochen wird, muß auch klargemacht werden, daß Schutz der Selbstverwaltung ausrei-
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19484 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Meinrad Bellechende Finanzausstattung heißt. So formuliert es der Hauptgeschäftsführer des Gemeindetages in BadenWürttemberg, Dr. Steger, treffend in einem Aufsatz.
Die kommunalen Finanzen werden — das wissen wir — weitgehend vom Bundes- und Landesgesetzgeber bestimmt. Erfreulich ist, daß immerhin seit der Ankündigung unseres Bundeskanzlers vom 20. Mai 1993 zum Solidarpakt erkennbar wird, daß die Politik auf Bundes- und Landesebene eher bereit wird, die notwendigen Aufgaben im eigenen Wirkungskreis zu erledigen und die Konsequenzen aus der absehbaren Finanzsituation der öffentlichen Hand insgesamt zu ziehen, d. h. vor allem zu sparen.Trotz dieser positiven Signale, meine Damen und Herren: Die Bundesländer dürfen sich ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe als Garanten der gemeindlichen Finanzen nicht verweigern.
Sie sollten der Versuchung nicht erliegen, ihre Liquiditätsprobleme zu Lasten der Kommunen zu lösen.
Sehr herzlich will ich daher die Bundesländer einladen, an der Arbeitsgruppe Unternehmensteuerreform und Gemeindefinanzen beim Bundesminister der Finanzen künftig mitzuarbeiten, auch und wenn und gerade weil die kommunalen Spitzenverbände bereits beteiligt sind. Das sollte sich nicht ausschließen. Allgemeingültige Erkenntnis muß werden, daß die Finanzausstattung der Kommunen auf Dauer den tatsächlichen Aufgaben gerecht bleiben muß. Nur so können die Städte und Gemeinden die ihnen 1989 vom Bundesverfassungsgericht gestellte Aufgabe kraftvoller Betätigung im Bereich der örtlichen Angelegenheiten erfüllen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Franz-Josef Mertens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Städte und Gemeinden sind die letzten in der Kette öffentlicher Haushalte, und den letzten beißen bekanntlich die Hunde. Die deutschen Städte hängen am Tropf
und suchen verzweifelt Wege aus der Schuldennot. Nun können die Kommunen, anders als ein privates Unternehmen, nicht Konkurs anmelden und ihren Laden einfach dichtmachen, denn sie erfüllen für ihre Bürger wichtige öffentliche Aufgaben.Die desolate Haushaltslage bringt die Kommunen jedoch an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit, und dadurch gerät das in der Verfassung verankerte Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung in Gefahr; denn die Kommunen sind gezwungen, Einsparungen in erster Linie bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben vorzunehmen. Kürzungen bei den staatlich übertragenen Pflichtaufgaben sind nicht möglich, im Gegenteil: Da der Bund, aber auch die Länder immer mehr Belastungen auf die Kommunen abwälzen, ohne dafür die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, steigen die Ausgaben in diesem Bereich bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen. Hierfür ist auch nicht, wie oft pauschal und fälschlich behauptet wird, zuletzt von der Deutschen Bundesbank, eine sorglose und verantwortungslose Ausgabenpolitik der Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich.Natürlich gibt es hausgemachte Ursachen für die Misere der kommunalen Finanzen. Hier ist sicherlich übertrieben worden, und es gibt sicher auch noch Rationalisierungsreserven bei den Kommunen. Aber eine pauschal verantwortungslose Ausgabenpolitik der Kommunen hat es jedenfalls im vergangenen Jahrzehnt in vielen Städten nicht gegeben. Im Gegenteil, viele Städte — dazu gehören auch die beiden Städte in meinem Wahlkreis, Bottrop und Gladbeck im Ruhrgebiet — können auf eine erfolgreiche Konsolidierung ihrer Haushalte in den achtziger Jahren zurückblicken.Nein, die Ursachen der desolaten Haushaltslage der Kommunen liegen im wesentlichen woanders. Es sind die Steuermindereinnahmen infolge der schlechten Konjunktur. Es sind die explosionsartig ansteigenden Sozialhilfeausgaben, die die kommunalen Haushalte in die Luft zu sprengen drohen, sowie die Beteiligung am Fonds Deutsche Einheit.
Wir erleben derzeit in den Städten infolge der Rezession besonders bei der Gewerbesteuer starke Einbrüche.
Dabei wirkt sich die große Abhängigkeit der Gewerbesteuer von der Gewinnentwicklung der Betriebe sehr negativ aus — eine Entwicklung, die im übrigen die Bundesregierung durch ihre zahlreichen Eingriffe in die Gewerbesteuer entscheidend mitverursacht hat.
Der Abbau von Arbeitsplätzen führt zudem zu geringeren Einnahmen beim kommunalen Anteil an der Einkommensteuer. In diesem Zusammenhang ist es geradezu ein Hohn, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort die Beteiligung der Kommunen an der Zinsabschlagsteuer als Entlastungsmaßnahme der Bundesregierung zugunsten der Kommunen darstellt.
Angesichts der Mindereinnahmen, die das Zinsabschlaggesetz bei der Einkommensteuer zur Folge hat, ist die zwölfprozentige Beteiligung der Gemeinden eine notwendige und logische Ausgleichsmaßnahme. Sich dies als Verdienst anzurechnen, wie das die Bundesregierung tut, ist um so abwegiger, als die ursprünglichen Aufkommenserwartungen des Bun-
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Dr. Franz-Josef Mertens
desfinanzministers sich als völlig unrealistisch erwiesen haben.Schließlich ist es die Verschiebebahnhofpolitik der Bundesregierung, die die kommunalen Haushalte in dramatische Schwierigkeiten bringt. Die Bundesregierung benimmt sich hier wie jemand, der sich neue Möbel kauft und die Rechnung dem Nachbarn schickt.Meine Damen und Herren, ich stehe gar nicht an einzuräumen, daß Verschiebebahnhofpolitik nicht das alleinige Privileg dieser Bundesregierung ist. Das haben andere Bundesregierungen ebenfalls getan, auch die sozialliberale. Aber was die Bundesregierung sich auf diesem Gebiet geleistet und was sie zusätzlich noch versucht hat, schlägt dem Faß den Boden aus. Ich meine den Versuch, die sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe abzuschaffen und die Arbeitslosenhilfe zeitlich zu begrenzen.
Diese Gesetzesvorschläge waren aus kommunalpolitischer, aber auch aus gesellschaftspolitischer Sicht skandalös. Das war ein ganz unfairer, um nicht zu sagen: unanständiger Versuch — mit Sparen hatte das nichts zu tun —, eine Vier-Milliarden-Belastung auf die schwächste, nämlich die kommunale Ebene weiterzuschieben.Gesellschaftspolitisch wäre die Folge gewesen, daß Hunderttausende von Arbeitslosen Sozialhilfeempfänger geworden wären. Kommunalpolitisch wäre die Konsequenz gewesen, daß wegen der wachsenden Arbeitsmarktprobleme die Städte in den neuen Bundesländern, aber auch die Städte in den Krisenregionen der alten Bundesländer, und hier vor allem die Ruhrgebietsstädte, ganz stark betroffen und belastet gewesen wären.
Bottrop als eine Stadt im Ruhrgebiet mit 120 000 Einwohnern hätte eine zusätzliche Belastung von 20 Millionen DM tragen müssen. Mit dieser Belastung wäre sie unmöglich — genausowenig wie die übrigen Ruhrgebietsstädte — fertig geworden.Meine Damen und Herren von der CDU, so wird der Sturm auf die roten Rathäuser, den Sie bei jeder Kommunalwahl ankündigen, leider auch am 16. Oktober ins Wasser fallen müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege, da Sie aus Nordrhein-Westfalen kommen, möchte ich Sie fragen, ob nicht gerade die Landesregierung von NordrheinWestfalen eine der kommunalunfreundlichsten Landesregierungen ist.
Ist es z. B. richtig, daß Pflichtaufgaben nach Weisung, die den Kommunen zugewiesen worden sind, finanziert worden sind — wie das auch richtig ist — und dann auf einmal nicht mehr bezahlt wurden, weil gesagt wurde: Das ist jetzt im Steuerverbund, im Länderfinanzausgleich enthalten? Das war die erste Frage.
Die zweite Frage: Sind Sie mit mir der Meinung, daß die Kommunalfreundlichkeit des Landes NordrheinWestfalen letztmalig bei den liberalen Innenministern Weyer und Hirsch gegeben war?
Und die Steuerverbundquote von 28,5 % haben Sie
inzwischen im Finanzausgleich auf 21,5 % heruntergewirtschaftet! Können Sie diese Fakten bestätigen?
Es trifft zu, daß das Land Nordrhein-Westfalen eine Verbundquote von 28 % gehabt hat und daß sie inzwischen auf 23,5 % — glaube ich — abgesenkt worden ist. Aber diese Quote ist immer noch eine Spitzenstellung unter den Bundesländern.
Sie liegt noch weit höher als in vielen CDU-geführten Bundesländern. Deshalb beantwortet sich die Frage, wie kommunalfreundlich die NRW-Landesregierung ist, wohl von selbst.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit diesen Gesetzesvorschlägen — ich meine die zeitliche Begrenzung der Arbeitslosenhilfe und die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe — in schwerwiegender Weise gegen die Grundsätze eines föderativen Staatsaufbaus verstoßen. Die Finanzierung der Arbeitslosigkeit muß wegen des verfassungsrechtlichen Postulats der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auf der Ebene des Bundes erfolgen und darf nicht auf die Ebene der Kommunen abgeschoben werden.
Daß es nicht dazu gekommen ist, ist weiß Gott nicht das Verdienst der Bundesregierung. Der Not gehorchend und nicht dem eigenen Triebe, meine Damen und Herren aus dem Regierungslager, haben Sie der SPD nachgegeben und sich einige der schlimmsten Giftzähne in Sachen Sozialkürzungsgesetze ziehen lassen. Der Bundeskanzler kann offensichtlich seinen politischen Laden nicht mehr zusammenhalten. Denn in diesem konkreten Fall haben auch die CDU-geführten Länder im Osten unseres Landes der Bundesregierung die Gefolgschaft aufgekündigt. Denn Ihre Kommunen hätten die Kosten für die aus der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe gestoßenen Dauerarbeitslosen nicht verkraften können. Gegen diese geschlossene Front aus West- und Ost-Ländern war die Bundesregierung im Bundesrat — ich sage: Gott sei Dank — machtlos.Meine Damen und Herren, kommen Sie nicht auf die Idee, Ihre Niederlage nachträglich noch als Sieg zugunsten der Ärmsten der Armen auszugeben und sich im Wahlkampf Ihrer Mildtätigkeit zu rühmen!
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19486 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Herr Kollege Mertens, das rote Licht leuchtet bereits.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Dabei hat nur die SPD Sie zu Ihrem Glück gezwungen, den Anspruch auf eine christliche Volkspartei nicht vollends aufgeben zu müssen.
Meine Damen und Herren, ich betone zum Schluß: Wir Sozialdemokraten werden jetzt und in Zukunft mit allen Kräften daran arbeiten, daß die dritte öffentliche Ebene, die kommunale, im voll entbrannten Verteilungskampf gerecht behandelt wird — nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Der amtierende Präsident hat ja nicht die Funktion des Zeitnehmers. Aber er sorgt immer dafür, daß die angemeldeten Redezeiten eingehalten werden, damit die Kollegen, die auch noch Redezeiten angemeldet haben, zu ihrer Redezeit kommen. Es ist halt tricky, wenn jemand sagt: „Ich komme zum Schluß" und dann doch noch eine dreiviertel Minute weiterredet.
— Verehrte Frau Kollegin Schulte, ich würde das ja jetzt gar nicht sagen, wenn ich nicht vorher den Herrn Parlamentarischen Staatsekretär in dieser Frage schon gepackt hätte.
Ich bitte Sie alle herzlich, nach der Geschäftsordnung zu verfahren: Wenn der Präsident auf den Schluß der Redezeit hinweist, sagen Sie wirklich nur noch einen Satz.
Jetzt hat der Kollege Dr. Jürgen Schmieder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir hier über die Lage in den Städten, Gemeinden und Kreisen in den Ländern Deutschlands debattieren, dann ist es natürlich sinnvoll, auch Erfahrungen und Sichtweisen der ostdeutschen Barger mit einzubeziehen. Das möchte ich hier tun.In meine Betrachtungen beziehe ich einen Rundbrief der Stadtkämmerer der sechs kreisfreien Städte des Freistaates Sachsen ein und verweise auf einen von mir organisierten regional- und parteiübergreifenden Gesprächskreis mit Bürgermeistern von kleineren und mittleren Kommunen bis hin zu Städten mit bis zu 30 000 Einwohnern. Die Erfahrungen und Sorgen sowie Forderungen und Empfehlungen wurden in einer sogenannten Oelsnitzer Erklärung als Gesprächsangebot zusammengefaßt.Während sich die Kämmerer der kreisfreien Städte zusammenfanden, um gemeinsam ein Klagelied anzustimmen, und mehr finanzielle Unterstützung forderten — zumindest geht das aus einer gemeinsamen Erklärung hervor —, waren die Bürgermeister der kleineren Städte wesentlich kreativer und arbeiteten auch mit Empfehlungen an ihre Amtsbrüder, um sie vor Fehlern zu warnen.In den Großstädten ist die Situation sicherlich — zugegeben — anders als in kleineren Kommunen. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Möglichkeiten, sich selbst zu helfen.Ich denke hier insbesondere an regionale Wirtschaftsförderungskonzepte unter Einbeziehung von Großstadt und Umland, vorrangige Klärung der Eigentumsfragen in den Ämtern für die Regelung von offenen Vermögensfragen, gezielte Gewerbeansiedlung mit Bevorzugung des produzierenden Gewerbes, um so neue Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsplätze zu schaffen, aber auch um über damit verbundene Einnahmen aus Steuereinkünften das Stadtsäckel zu füllen.Über Rückkopplungseffekte bestimmen natürlich auch die Banken und Sparkassen bei der Vergabe von Krediten und Bürgschaften gerade an Existenzgründer und unternehmensbereite Investoren ganz wesentlich die wirtschaftliche Struktur und damit auch die finanzielle Lage der Kommunen mit.Aber das Vorgehen der Banken und Sparkassen in Ostdeutschland, insbesondere die Verfahrensweise bei der Kreditvergabe an Ostdeutsche, empfinden wir schlichtweg als empörend und diskriminierend.
Da werden Schneiders Milliarden zugeschoben, und wenn Ostdeutsche einen Kredit beantragen, dann verlangt man vierfache Sicherheiten. Hier sollten sich Kommunen und Vertreter der einheimischen Wirtschaft zusammenfinden, um gemeinsame Strategien zu erarbeiten.
Gleichfalls darf ich auf Möglichkeiten eines sinnvoll organisierten Wohnungswesens verweisen. Neben der Schaffung eines mit sozialverträglichen Mieten verbundenen Wohnungsbestandes gilt es, Sanierung und Modernisierung genauso voranzutreiben wie Privatisierung und Neubau.Aus dem Verkauf von Wohnungen und Restflächen aus öffentlicher Hand sind natürlich auch finanzielle Lücken zu schließen.Ganz wichtig — deshalb betone ich dies besonders — ist die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen und kommunalen Aufgaben.
Damit gehen ein Personalabbau und eine wesentliche Entlastung für den Stadtsäckel einher. All das muß man den Kämmerern der größeren Städte natürlich deutlich sagen. Ideen zu haben und sie zu verwirklichen ist besser, als wehzuklagen. Das sage ich gerade mit Blick auf Chemnitz.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19487
Dr. Jürgen Schmieder— Ich mache das am Beispiel Chemnitz deutlich. Ich will dort demnächst kandidieren; deshalb habe ich das so unmittelbar vor mir.Die Bürgermeister der kleineren Kommunen dagegen setzen eher auf gegenseitigen Erfahrungsaustausch und empfehlen z. B. die Rationalisierung der Verwaltungsstrukturen, hierbei insbesondere verstärkt interkommunale Zusammenarbeit bis hin zur Bildung von Verwaltungsgemeinschaften und größeren Einheitsgemeinden sowie Einbeziehung privatwirtschaftlicher Organisationsformen, eine Umschichtung von finanziellen Mitteln als Grundvoraussetzung für den weiteren Aufbau und Ausbau der kommunalen Infrastruktursysteme und der Straßen, eine stärkere Einbeziehung von einheimischen kompetenten Personen in die jeweilige Verwaltungsebene und Orientierung auf eine schlanke, arbeitsfähige und temporäre Zwischenverwaltungsebene. Sie orientieren weiterhin auf eine sachliche überparteiliche Zusammenarbeit.Ich denke, vor allen Dingen der letzte Punkt, die überparteiliche Zusammenarbeit, muß für alle demokratischen Parteien Verpflichtung sein. Ich empfehle daher allen, die in Ostdeutschland für die Kommunalparlamente kandidieren, diesen Aspekt nicht zu vergessen.
Denn einen gleichen Stellenwert wie der eigene Wahlkampf hat auch die überparteiliche Zusammenarbeit, zumindest für die demokratischen Parteien. Parteiengerangel sollte in den Kommunalparlamenten einer konsequenten Sacharbeit weichen.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Joachim Grünewald.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Daß ich als alter Kommunalmann diese Debatte über die Lage der Städte, der Kreise und der Gemeinden gerne zum Anlaß nehme, auch einmal einen Blick in die Zukunft der Kommunalfinanzen zu werfen, versteht sich wohl von selber.Aber gestatten Sie mir folgende Bemerkung vorab: Wenn ich den bisherigen Verlauf der Diskussion insbesondere von der von hier aus gesehen linken Seite und insbesondere von dem Kollegen Schulz — der schon nicht mehr hier ist — nachvollziehe, dann muß ich mir doch den Hinweis erlauben dürfen, daß nach der finanzverfassungsrechtlichen Situation in unserem Lande für die aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen die Länder zuständig sind, aber nicht der Bund zuständig ist.
Deswegen kann ich vieles von der Schelte, die Sie hier losgetreten haben, nicht verstehen.Dabei, Herr Kollege Mertens, bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung — das sage ich auch, wie Sie wissen, als langjähriger finanzpolitischer Sprecher der Kreise auf Bundes- und auf Landesebene, also in alter Funktion —, daß durch die bloße Umverteilung von Mangel keine Probleme gelöst werden.Aber ich muß Ihnen schon sagen: Sie haben überwiegend nur über Dinge gesprochen, die nach dem Vermittlungsergebnis nicht eingetreten sind. Wenn Sie gerade Nordrhein-Westfalen als ein kommunalfreundliches Land in Anspruch nehmen, dann darf ich Ihnen aus über zwölfjähriger Erfahrung sagen, daß man nach sorgfältigen Vergleichen zu dem Ergebnis kommen muß — und da spielt nicht nur der Steuerverbund eine Rolle, sondern auch die Befrachtung des kommunalen Finanzausgleichs mit staatlichen Aufgaben —, daß es kein weiteres so kommunalunfreundliches Land gibt wie das Land Nordrhein-Westfalen.
Nun aber zurück zur Bundespolitik. Auf der Basis der vor kurzem vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen, aber insbesondere auch auf der Basis der sich aufhellenden konjunkturellen Entwicklung, die wir heute hier im Hause miteinander besprechen konnten und durften, gibt es sehr positive Anzeichen.Im Finanzplanungsrat gingen wir — also Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände — noch im November vergangenen Jahres von Finanzierungsdefiziten bei den westdeutschen Kommunen in Höhe von 11 Milliarden DM, bei den ostdeutschen Kommunen in Höhe von 10,5 Milliarden DM aus. Ausweislich des Statistischen Bundesamtes lagen nun die Finanzierungsdefizite in den alten Ländern mit 9,3 Milliarden DM und in den neuen Ländern mit „nur" 4,7 Milliarden DM deutlich unter den noch im November erwarteten Werten.Die Bundesregierung wertet diese Zahlen als ein Anzeichen des endlich erfolgten Einschwenkens auch der Kommunen auf den Pfad der Konsolidierung. Kollege Schüßler hat recht — und das beklage ich auch aus meiner früheren Funktion —, daß die Kommunen 1991 und 1992 zu lange eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik betrieben haben. Herr Kollege Mertens, das, nur das hat die Bundesbank völlig richtig und zutreffend kritisiert.Wir sind uns mit den Spitzenverbänden, insbesondere mit dem Städtetag, einig, daß die Konsolidierungsbemühungen trotz dieser positiven Anzeichen ganz dringlich fortgesetzt werden müssen. Daß nun die Bundesregierung bei allen ihren steuerlichen und finanziellen Maßnahmen die Interessen der Kommunen im Auge gehabt hat, will doch wirklich keiner leugnen. Gerade die zweistelligen Zuwachsraten in den Sozialhaushalten der Kommunen im Jahre 1993 zeigen doch, wie dringend notwendig es war, in diesen Bereichen zu Einschränkungen zugunsten der Kommunen zu kommen. Gegen welchen Widerstand, gegen welche Polemik — „soziale Kälte", „sozialer Kahlschlag" — haben wir diese Dinge nur durchsetzen können!
Noch eine Bemerkung zum Fonds Deutsche Einheit. Ich fordere auch von dieser Stelle aus die neuen
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim GrünewaldLänder auf, ab 1. Januar ihrer Verantwortung für eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen Sorge zu tragen. Am Fonds Deutsche Einheit haben wir die Kommunen mit 40 % beteiligt. Ab 1. Januar 1995 werden die neuen Länder mit über 20 Milliarden DM mehr aus dem auf 35 Milliarden DM verstetigten Fonds Deutsche Einheit in großzügiger Form mit Geld ausgestattet. Ich hoffe sehr, daß die neuen Länder die Kommunen nun auch angemessen, d. h. aufgabengerecht, an diesen Segnungen beteiligen werden.Denn es ist ganz unleugbar, daß die Kommunen gerade in den neuen Ländern mit Blick auf die großen Anforderungen an ihre Verwaltungshaushalte, aber auch an ihre Vermögenshaushalte — hier ist noch viel an fehlender kommunaler Infrastruktur zu leisten — in großen Schwierigkeiten sind und sein werden. Wir werden diese Konsolidierungspolitik auch für die Kommunen weiter fortsetzen. Es wurde schon wiederholt darauf hingewiesen, wie sehr wir das im Auge haben.Wir freuen uns mit allen, daß die Pflegeversicherung nun Wirklichkeit geworden ist. Sie wird die Kommunen, wenn sie voll wirksam wird, mit rund 10 Milliarden DM entlasten. Das ist dann die größte Entlastung.
Herr Kollege, Sie sind weit über die Zeit.
— Danke. — Wir haben uns auch auf den Weg gemacht, eine seit über 20 Jahren diskutierte Gemeindefinanzreform in der nächsten Legislaturperiode auf den Weg zu bringen.
Schönen Dank.
Frau Kollegin Dr. Christine Lucyga, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich glaube, ich habe mich eben verhört, als Sie von Segnungen sprachen. Wenn das, was wir in den ostdeutschen Kommunen erleben, schon Ihre Segnungen sind, dann möchte ich nicht erleben, wie Ihre Strafaktionen aussehen;
denn mit denen kennen wir uns ja bestens aus.
„Kommunalpolitik in schwerer Zeit", so war vor wenigen Tagen eine Jahresversammlung kommunaler Spitzenverbände überschrieben, auf der wiederum erschreckend deutlich wurde, wie oft die Städte und Gemeinden mit ihren wachsenden Problemen allein gelassen werden und wie aus einer falschen politischen Weichenstellung resultierende strukturelle Fehlentwicklungen, insbesondere im Osten Deutschlands, die Kommunen in einen wahren Teufelskreis aus steigenden Belastungen einerseits und finanziell enger werdenden Handlungsspielräumen andererseits treiben, wobei den Kommunalpolitikern in der Regel die Rolle des Schwarzen Peters zufällt.
In Ostdeutschland ist die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden bereits verlorengegangen, bevor sie überhaupt erreicht wurde. Die Kommunen dort stecken seit Anfang ihrer Entwicklung durch spezifische Bedingungen, zu denen auch die Altschuldenproblematik gehört, permanent in Haushaltsnotlagen. Auf die Altschulden — eine unendliche Geschichte — werde ich noch zu sprechen kommen. Ich möchte aber etwas Grundsätzliches voranschikken.
Abgesehen davon, daß die Einnahmen der ostdeutschen Kommunen durch die auch politisch zu verantwortende Ertragsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft gering sind und sie noch lange Zeit hohe Finanzzuweisungen brauchen, dabei aber nur begrenzte Ausgabenspielräume haben, werden ihnen schon jetzt immer rascher steigende Ausgabenlasten bei ungleich schwierigeren Voraussetzungen auferlegt.
Verzeihung, Frau Kollegin. Ich möchte dem Herrn Parlamentarischen Geschäftsführer nur sagen, er möge seine Motivationsaktionen etwas unauffälliger machen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Aber hoffentlich leuchtet hier am Pult die rote Lampe nicht vorzeitig, wenn Sie mich ständig unterbrechen.
Ich habe während dieser Durchsage die Zeit angehalten.
Darf ich wieder zum Thema kommen? — Die Tatsache, daß die Hansestadt Rostock im Jahre 1992 ihren Verwaltungshaushalt mit Schulden in Höhe von 81 Millionen DM abschließen mußte, zeitweilig keine Gehälter zahlen konnte und ihre Kreditfähigkeit verloren hatte, mag die Dramatik der Situation verdeutlichen. Die Hansestadt hat sich mit dem Mut der Verzweiflung Sparzwängen unterworfen, die schon sehr tief ins Gesunde gehen.Dabei wissen wir, daß neue Probleme auf uns warten. Wir wissen, wie hart die Lage beispielsweise für den Bereich der Kultur wird, wenn der Bund aus der Kulturförderung nach dem Einigungsvertrag aussteigt, wie ungleich schwieriger sich Sport-, Jugend- und Sozialarbeit gestalten werden, wenn weitere Kürzungen bei AB-Maßnahmen anstehen. Hier werden Einsparungen des Bundes geradewegs an die Kommunen durchgereicht, ohne ihre Nöte ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen, und damit wird eine verhängnisvolle und inakzeptable Entwicklung fortgesetzt.
Solange der Bund seine Finanzprobleme auf Kosten der Kommunen löst, wird ein Teufelskreis mit einer besonderen Eigendynamik in Gang gesetzt. Dies erleben die Kommunen gegenwärtig mit voller Wucht
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Dr. Christine Lucygabei ihrem Ringen um eine gerechte Lösung des Altschuldenproblems. Mit der deutschen Einheit ist diese Frage auf die Tagesordnung gekommen, ohne im Einigungsvertrag gelöst zu werden. Sie bedarf einer verantwortungsvolleren Behandlung, als dies bis jetzt geschehen ist.Wir haben das lange, unsägliche Tauziehen um die Altschulden der Wohnungswirtschaft bis hin zu dem halbherzigen und schon jetzt dringend korrekturbedürftigen Kompromiß vom Vorjahr erlebt. Nach wie vor ungeklärt aber ist das Problem der sogenannten Altschulden auf gesellschaftlichen Einrichtungen der ostdeutschen Städte und Gemeinden. Der Druck, dem sich ostdeutsche Kommunen durch die Behandlung dieses strittigen Sachverhaltes ausgesetzt sehen, bringt sie in eine verzweifelte Lage. Denn die jetzt von Gläubigerbanken erhobenen Zins- und Tilgungsforderungen sind in der Regel nicht nur inakzeptabel, sondern auch unerfüllbar.
Da Herkunft und Charakter dieser Schulden bisher rechtlich nicht geklärt sind, wehren sich die Kommunen zu Recht gegen eine Zinsknechtschaft von enormem Ausmaß, an der die Gläubigerbanken Milliarden verdienen würden,
während die Rechtsträger der altschuldenbelasteten Einrichtungen finanziell ausbluten. Die Kommunen können diese Altschulden schon deshalb nicht anerkennen, weil ihnen dann nicht einmal mehr die notwendigen Mittel für Pflichtaufgaben übrigbleiben würden.
Schon seit mehr als drei Jahren tickt diese Zeitbombe. Forderungen auf Schulen, Kultur- und Jugendeinrichtungen, Verwaltungsgebäuden und Krankenhäusern gefährden die kommunalen Haushalte über die Schmerzgrenze hinaus. In drei Jahren politischer Untätigkeit angesichts dieses Problems sind die uns bekanntgewordenen Forderungen von ursprünglich 5 Milliarden DM mit Zins- und Zinseszins auf fast 7 Milliarden DM angewachsen. Für die Hansestadt Rostock bedeutet dies eine mit den Zinsforderungen der Gläubigerbanken auf 225,8 Millionen DM angewachsene Altschuldenbelastung; davon sind 161 Millionen DM ursprüngliche Forderungen. Darin sind noch nicht die Schulden der ebenfalls hoch kreditbelasteten Rostocker Häfen enthalten, die im Gegensatz zu den in private Hände gegebenen Unternehmen seinerzeit von der Treuhandanstalt nicht entschuldet wurden und mit einer Million DM an Zinsleistungen pro Jahr eben doch erhebliche Wettbewerbsnachteile haben — im Gegensatz zu dem, was Sie mir geschrieben haben, Herr Staatssekretär.Den schwerwiegenden finanzpolitischen Fehlern der DDR-Regierung, die das Entstehen der Schulden zu verantworten hat — wer wüßte das besser als Herr Dr. Keller, der leider den Raum verlassen hat; er stellt sich jetzt allerdings unwissend —, hat aber die Bundesregierung den nicht weniger schwerwiegenden Fehler draufgesetzt, diese DDR-Kredite nach westdeutschen Maßstäben zu behandeln, obwohl Hypotheken auf Rathäusern im Westen Deutschlands bisher unbekannt sind. Damit wird eine neue Zwangslage für ostdeutsche Städte und Gemeinden geschaffen. Offenbar ist die Bundesregierung aber auch gewillt, jetzt nach dem Prinzip „Friß Vogel oder stirb" zu verfahren, wenn ich die vom BMF veröffentlichten Ausführungen zur Altschuldenproblematik als Position auch der Bundesregierung bewerte.Die hier zum Sachverhalt angebotene Lesart ist nicht nur rechtlich anfechtbar, sondern stellenweise sogar naiv. Denn die Empfehlung an die Kommunen, sich altschuldenbelasteter Objekte teilweise durch Verkauf zu entledigen, scheitert gerade an der Altschuldenforderung, wie ich es z. B. in meinem Wahlkreis Rostock erlebt habe, als es um die Etablierung der Fraunhofer-Gesellschaft oder auch um die Arbeit sozialer Vereine ging.Wir können es uns nicht länger leisten und den Bürgern nicht zumuten, das Altschuldenproblem der Kommunen ungeregelt zu lassen, bis vielleicht am Ende ein langjähriger Rechtsstreit die Klärung bringt. Gefragt ist eine rasche, pragmatische und mit den kommunalen Spitzenverbänden verhandelbare Lösung, und zwar jetzt. Denn angesichts der unerträglichen Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Belastungen der Kommunen steht jetzt die Sicherung solider Grundlagen für funktions- und handlungsfähige Städte als Voraussetzung für eine geordnete Entwicklung des sozialen Lebens in der Gemeinschaft auf der Tagesordnung. Wer diese Funktionsfähigkeit unserer Kommunen durch politische Fehlentscheidungen weiterhin unbekümmert aufs Spiel setzt, gefährdet den sozialen Frieden.Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht unser Kollege Peter Götz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zu den kommunal bedeutsamen Aufgabenfeldern gehört auch die Schaffung von Wohnraum für die in den Städten und Gemeinden lebenden Menschen. Eine angemessene Wohnung in einem lebenswerten Umfeld ist eine Grundvoraussetzung für den sozialen Frieden. Viele Wohnungen im Westen und eine verfallende Bausubstanz im Osten waren und sind eine große Herausforderung für die Wohnungspolitik in Deutschland.Wie war die Ausgangssituation? Bis in die 80er Jahre haben wir über Wohnungsleerstände diskutiert. Eine nicht vorhersehbare Zuwanderung in die alten Länder von mehr als 4 Millionen Menschen in den Jahren 1988 bis 1992, die Tendenz zu mehr Single-haushalten, wachsende Einkommen, der Werteverfall und neue Bedürfnisstrukturen haben sich unmittelbar am Wohnungsmarkt niedergeschlagen.Allen Unkenrufen zum Trotz: Über 450 000 neue Wohnungen wurden im vergangenen Jahr fertiggestellt, soviel wie in den letzten 20 Jahren nicht mehr. In
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Peter Götzdiesem Jahr werden es über eine halbe Million Wohnungen sein
— auch wenn es Ihnen nicht gefällt. Das heißt, in einem Jahr können mehr als eine Million Menschen in eine neue Wohnung einziehen, also erheblich mehr als dreimal soviel Menschen, wie hier in Bonn leben — ein Erfolg der Bundesregierung, der sich sehen lassen kann.
Trotz dieser großen Erfolge sind neue Wege im Wohnungsbau zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben unumgänglich. Heute vormittag haben wir im Deutschen Bundestag das von uns eingebrachte Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 mit großer Mehrheit verabschiedet. Mit diesem Gesetz schaffen wir für die Länder und Gemeinden ab 1. Oktober wichtige neue Rahmenbedingungen und im Vorgriff auf ein drittes Wohnungsbaugesetz den Einstieg in die dringend notwendige Reform des sozialen Wohnungsbaus. Die Einführung der einkommensorientierten Förderung und der Erwerb von Belegungsrechten durch die Gemeinden ermöglichen es jetzt, mit dem gleichen Geld des Steuerzahlers mehr Sozialwohnungen zu bauen, sie sozial treffsicher zu vermieten und somit Fehlbelegungen zu verhindern.Seit diesem Jahr besteht ferner die Möglichkeit, daß Garnisonsstädte nicht nur Kasernen, sondern auch Militärwohnungen des Bundes zu Sozialwohnungskonditionen günstig erwerben können, wenn sie eint' Belegungsbindung von 20 Jahren eingehen. Hier wäre zu erwägen, daß die Kommunen nicht alle Wohnungen selbst, sondern primär Belegungsbindungen kaufen. Das hat sozial- und wohnungspolitisch die gleiche Wirkung und wäre für den Stadtkämmerer erheblich billiger.
Nach dem Altschuldenhilfegesetz, Frau Kollegin Lucyga, wird mit hohem finanziellen Einsitz des Bundes der kommunale Wohnungsbestand in den neuen Ländern privatisiert, so daß die Ostgemeinden für andere Aufgaben finanziellen Freiraum gewinnen.
Die öffentliche Hand kann und darf bei der nach vie vor vorhandenen großen Nachfrage nach Wohnungen nicht alles selbst bauen oder kaufen wollen. Der Ruf nach mehr Staat ist falsch. Wir müssen als Gesetzgeber und auch als Gemeinden die Voraussetzungen schaffen, daß verstärkt privates Kapital für den Wohnungsbau gewonnen wird. Aber die besten Wohnungsbauprogramme helfen und nützen nichts, wenn kein geeignetes Bauland zur Verfügung steht.Mit dem vor einem Jahr beschlossenen Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz wird erstens die beschleunigte Ausweisung dringend notwendigen Baulands ermöglicht, zweitens können Wohnbauvorhaben leichter und schneller genehmigt werden, und drittens wird der Abbau von Bürokratie im Baugechehen vorangebracht. Wir wollen so den Gestaltungsspielraum fördern und durch neue Instrumente, wie den städtebaulichen Vertrag oder die Vorhabens- und Erschließungspläne, die kommunale Selbstverwaltung stärken. Mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme als schärfstem Schwert wurde den Gemeinden eine Handhabe zur beschleunigten Schaffung von Wohnungen vor allem in Ballungszentren gegeben.Allerdings Voraussetzung für den schnellen Erwerb ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den Grundstückseigentümern. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme kann nicht zur Sanierung öffentlicher Kassen herangezogen werden. Auch eine Planwertabschöpfung, wie von vielen sozialdemokratischen und grünen Kommunalpolitikern erträumt, läßt dieses Gesetz nicht zu.
Wichtig ist, daß den berechtigten Interessen der Städte und der Grundstückseigentümer gleichermaßen Rechnung getragen wird. Ich appelliere an die Länder, zur Vermeidung weiterer Interpretationsschwierigkeiten den Gemeinden die von der ARGE Bau herausgegebenen Anwendungshilfen zum Wohnbaulandgesetz endlich nach nunmehr einem Jahr zur Verfügung zu stellen.
Lassen Sie mich abschließend noch einen dritten Schwerpunkt ansprechen, die Städtebauförderung. Sie hat sich als wirksames wirtschafts- und konjunkturpolitisches Instrument für die Verbesserung der Infrastruktur, zur Steuerung der Nachfrage in der Baubranche und zur Sicherung von Beschäftigung hervorragend bewährt.
Mit den Mitteln von 1 Milliarde DM für 1993 und 1994 werden in diesem Jahr 920 Millionen DM für die Stadterneuerung in den neuen Bundesländern eingesetzt.
Dies ist zur Beseitigung der Hinterlassenschaften von 40 Jahren Teilung und Sozialismus und zur Revitalisierung der Stadtkerne in den neuen Ländern dringend erforderlich und auch richtig.
1 DM öffentliche Mittel löst mindestens sechs- bis siebenmal soviel an privaten Investitionen aus — ein hervorragendes Konjunkturprogramm mit geringem Einsatz der Steuergelder.Wir sollten für die kommenden Jahre aber auch daran denken, daß wir die Städtebaufördermittel West wieder anheben. Auch sollten wir die Förderschwerpunkte neu definieren, d. h. uns auf innerstädtische Maßnahmen konzentrieren, die im Zusammenhang mit der Umwidmung von Industrie-, Bahn- und Kon-
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Peter Götzversionsbrachen stehen und der Wohnungsbeschaffung dienen.
Herr Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulte?
Gerne.
Herr Kollege Götz, ich wollte Sie nur fragen, wann und von welcher Regierung denn das Städtebauförderungsgesetz als Instrument eingeführt und auch fortgesetzt worden ist. Vielleicht sagen Sie das hier einmal.
Daß kann ich gern sagen. Das ist 1971 eingeführt worden. Wenn ich vom Einsatz der Mittel — davon habe ich gesprochen, nicht vom Städtebauförderungsgesetz — rede, dann wissen Sie so gut wie ich, daß der Einsatz der Mittel im Bereich der Städtebauförderung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mit jährlich einer Milliarde DM noch nie so hoch war wie in den letzten ein, zwei Jahren.
Bei all dem wird deutlich: Wohnungs- und Städtebau ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden.
Deshalb sind wir gut beraten, sie auch gemeinsam zu erfüllen. Wir sollten alle zum Wohle der in unserem Land lebenden Menschen gemeinsam daran weiterarbeiten.
Vielen Dank.
Nun spricht unser Kollege Dieter Maaß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Götz, ehe Sie sich wieder hinsetzen, möchte ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, daß bezahlbarer Wohnraum in den Ballungszentren noch weitgehend fehlt. Es ist nicht so euphorisch, wie Sie es hier dargestellt haben.
Meine Damen und Herren, wenn hier im Deutschen Bundestag Gesetze verabschiedet werden, tragen sie oft den Vermerk: Kosten: keine. Es gibt auch Gesetze, die dazu führen oder zum Ziel haben, die Ausgaben des Bundes zu senken. Immer dann klingeln in den Kämmereien der Kommunen die Alarmglocken.
Durch falsche Politik dieser Bundesregierung müssen die Städte und Gemeinden immer mehr Pflichtaufgaben übernehmen. Freiwillige Aufgaben im Sozial- und Jugendbereich, für den Wohnungsbau, die Kulturförderung und vieles mehr fallen der Haushaltskonsolidierung zum Opfer.
Vor einigen Wochen gingen acht Oberbürgermeister der größten und schönsten Städte unseres Landes mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, der fast einem Hilferuf gleichkam. „Rettet unsere Städte jetzt", so ihr dringender Appell.
Viele von den Problemen, die sie aufzeigen, sind in der Entschließung meiner Fraktion aufgegriffen. Wenn aber diese Oberbürgermeister schon solch große Sorgen haben, wie ist es denn dann in anderen Ballungsräumen, und hier meine ich insbesondere das Ruhrgebiet?Inmitten dieser Region, die einmal durch die Förderung von Steinkohle und das Gewinnen von Stahl geprägt war, liegt meine Heimatstadt Herne. Große Anstrengungen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen — ergänzt durch kommunale Infrastrukturmaßnahmen — haben in den späten 60er und in den 70er Jahren Erstaunliches an wirtschaftlicher Umstrukturierung geleistet.Diese erfolgreiche Politik war allerdings nur mit einer sozialdemokratischen Bundesregierung möglich. Sie war noch nicht abgeschlossen, Herr Staatssekretär.
Aber seit 1982, seitdem Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Verantwortung tragen, ist diese Entwicklung nicht nur gestoppt, sondern vielmehr rückläufig. Ihre verfehlte Wohnungspolitik trägt entscheidend dazu bei, daß wir wieder Wohnungsnot haben.
In meinem Wahlkreis Herne liegen die Einkommen der Bürger eher am unteren Ende der Einkommensentwicklung. Deshalb ist eine ausreichende Wohnungsversorgung nur durch Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau sicherzustellen. Jetzt rächen sich Ihre falschen wohnungspolitischen Entscheidungen der 80er Jahre.
Es fallen gegenwärtig weit mehr Sozialwohnungen aus der Bindung als neue hinzukommen.
Junge Menschen, die eine Familie gründen wollen, finden kaum noch Berücksichtigung. Wenn wir Sozialdemokraten in den Ländern, in denen wir regieren, und wenn die SPD-Bundestagsfraktion nicht beharrlich auf der Anhebung der Einkommensgrenzen bestanden hätten, wäre eine Erhöhung dieser Grenzen, wie sie heute morgen hier beschlossen worden ist, nicht möglich gewesen.
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Dieter Maaß
Daß Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, zugestimmt haben, war eine kluge Entscheidung, bedeutet sie doch, daß mehr Menschen in unserem Land Zugang zu Sozialwohnungen erhalten.Mit der Verabschiedung des Wohnungsbauförderungsgesetzes ist allerdings die Wohnungsnot noch nicht beseitigt. Deshalb bleibt die nachdrückliche Forderung der Sozialdemokraten: Verstärkung des sozialen Wohnungsbaus. Unsere Vorschläge liegen vor. Einer davon ist die Stärkung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.
Mit unserem Antrag „Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus" auf Drucksache 12/4301, den wir am 8. Februar 1993 stellten, zeigen wir einen Weg auf, der derzeitigen Wohnungsnot durch zusätzliche Mobilisierung privaten Kapitals zu begegnen.Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die Lage der Städte und Gemeinden sprechen, müssen wir das große Übel der hohen Arbeitslosigkeit nennen. Die Arbeit zu verlieren macht vielen Angst, bedeutet dies doch sozialen Abstieg und Identitätsverlust. Es verändert das Verhalten der Menschen. Sie bewerten politische Vorgänge anders. Sie stellen Fragen nach Verantwortlichkeiten und verlangen gerechte Behandlung.Über 16 % der Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises sind betroffen. Welchen Anteil an der Höhe der Arbeitslosigkeit die Bundesregierung wegen ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik zu verantworten hat,
möchte ich hier nicht untersuchen. Bei der sozialen Abfederung der Arbeitslosigkeit haben Sie jedoch völlig versagt.
Sie haben die Städte und Gemeinden nicht nur alleine gelassen mit den Problemen, sondern mit der Leistungskürzung im Arbeitsförderungsgesetz auch mit dazu beigetragen, daß notwendige Arbeitsförderungs- und Qualifikationsmaßnahmen erheblich eingeschränkt werden mußten.
Dafür, meine Damen und Herren von der Bundesregierung und den sie stützenden Fraktionen, tragen Sie die Verantwortung.
Wir Sozialdemokraten nehmen nicht hin, daß immer mehr Arbeitslose von existenzsichernder Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden und es auf Dauer bleiben. Wir sind auch nicht bereit hinzunehmen, daß Sozialhilfe immer stärker zum Grundsicherungssystem durch Fehlentscheidungen und Tatenlosigkeit der Bundesregierung gemacht wird.28 % des Verwaltungshaushalts der Stadt Herne macht bereits der Anteil an Sozialhilfe aus. Vor zehn Jahren waren es 17 %. Wenn die Entwicklung so weitergeht, ist die kommunale Selbstverwaltung aufs höchste gefährdet, und weil es so nicht weitergehen darf, wird es Zeit, daß wieder Sozialdemokraten die Bundesregierung stellen.
Nun spricht der Kollege Wolfgang Ehlers.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland debattieren, so ist es unerläßlich, die gewaltigen Anstrengungen beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern zu würdigen.
Mit massiver Unterstützung des Bundes — nochmals recht schönen Dank —, aber auch der Länder — insbesondere der alten Bundesländer — sowie dank engagierter Bürger aus den neuen und alten Ländern wurden innerhalb kürzester Zeit effiziente Verwaltungsstrukturen geschaffen. Damit entstand eine kommunale Selbstverwaltung, die untrennbar mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im jeweiligen Territorium verbunden ist. Da sicherlich im alten Bundesgebiet — ohne jemandem zu nahe zu treten — trotz jahrzehntelanger Erfahrungen in den kommunalen Behörden nicht alles richtig gemacht wird, ist es nur verständlich, daß es in den neuen Ländern zunächst auch zu Fehlern und Unsicherheiten bei der Bearbeitung von Vorgängen kam.Die einheimischen Mitarbeiter hatten keine Erfahrungen hinsichtlich der mit der kommunalen Selbstverwaltung gegebenen Eigenverantwortung sammeln können. Außerdem hatten sie es mit einem vollkommen neuen Recht zu tun. Auch mußten sie sich an neue Strukturen wie Ämter gewöhnen und — das sage ich auch ganz ehrlich — mit persönlichen Befürchtungen um den Arbeitsplatz der Kreisgebietsreform entgegensehen.Die vielen Helfer aus dem alten Bundesgebiet konnten für sich in Anspruch nehmen, mit vielfältigem Wissen bezüglich Strukturen und rechtlichen Kenntnissen ausgestattet zu sein. Ihnen fehlten jedoch häufig die praktischen Erfahrungen mit den speziellen Verhältnissen in der ehemaligen DDR. So war es meiner Meinung nach ein gegenseitiges fruchtbares Geben und Nehmen zwischen diesen Mitarbeitern.In diesem Zusammenhang möchte ich ganz klar der mitunter anzutreffenden Meinung widersprechen, daß nur die dritte oder vierte Reihe der Kommunalbeamten in die neuen Länder gekommen ist. Selbstverständlich ist nicht jeder Mitbürger für die Kommunalpolitik geboren. Doch das ist weder ein Problem der alten noch der neuen Länder. Auf alle Fälle bleibt
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Wolfgang Ehlersfestzuhalten, daß ohne die vom Bund organisierte personelle Verwaltungshilfe der Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung nicht so zügig hätte vollzogen werden können.
Deshalb gilt mein Dank allen Mitarbeitern, die sich in den Dienst der Städte, Gemeinden und Kreise gestellt haben.Für die Zukunft ist es aus meiner Sicht wichtig, daß vor allem die Niveauunterschiede zwischen den einzelnen kommunalen Verwaltungen, die ich auch in meinem Wahlkreis in Südwestmecklenburg feststellen kann, abgebaut werden. Das gilt insbesondere für den Umgang mit potentiellen Investoren, die größtenteils wirklich an die Hand genommen werden, um ihnen bei der Lösung aller Probleme zu helfen. Mitunter werden sie aber auf Grund von zu hohen Grundstückspreisen und bürokratischem Verhalten nach wie vor abgeschreckt. Das beweist aber auch, daß mit den bereits jetzt bestehenden gesetzlichen Regelungen die meisten erforderlichen Entscheidungen vor Ort getroffen werden können. Mit dem heute vor wenigen Stunden verabschiedeten Sachenrechtsänderungsgesetz und weiteren Gesetzen, wie dem Schuldrechtsänderungsgesetz sowie dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, werden die letzten noch offenen Fragen endgültig geklärt sein.Zusammenfassend möchte ich zu diesem Teil sagen, daß die kommunalen Verwaltungen der neuen Länder viel geleistet haben. Wenn ich Städte und Gemeinden meines Wahlkreises wie Boizenburg, Wittenburg und Pampow betrachte, so sind in nicht allzu weiter Entfernung wirklich blühende Landschaften sichtbar. Die heute teilweise betriebene Schwarzmalerei kann ich jedenfalls für meinen Wahlkreis absolut nicht teilen.
— Noch haben wir in Schwerin einen Oberbürgermeister von der SPD. Ich hoffe, daß auch die Hansestadt Rostock aufblühen wird, wenn wir am 12. Juni auch dort die Wahlen gewinnen werden.
Meine Damen und Herren, wieder zurück zur Thematik. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, daß vielfältige Aktivitäten unternommen wurden, um die Umweltsituation in Deutschland und speziell in den neuen Ländern zu verbessern. Erwähnen möchte ich das von der Bundesregierung geförderte Projekt zur Entwicklung eines Informations- und Beratungsangebots für den kommunalen Umweltschutz. Dieses Projekt bietet den Kommunen eine wesentliche Hilfe beim Aufbau der Umweltverwaltungen sowie bei der Bewältigung der Fachprobleme und -aufgaben.Mit vielfältigen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Länder auch bei der Bewältigung der Altlastenproblematik, so im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, durch Demonstrationsprojekte, Studien und Orientierungshilfen.Für den gesamten Bereich der Altlastenbearbeitung hat die Bundesregierung bisher 100 Vorhaben mit ca. 200 Millionen DM gefördert. In einem Sonderprogramm zur modellhaften Sanierung von Altlasten wird gegenwärtig an Hand von zehn exemplarischen Altstandorten und Altablagerungen in den alten und neuen Ländern die Leistungsfähigkeit von Sanierungstechniken demonstriert.Auf dem Gebiet der Abfallentsorgung ist nach wie vor eine angespannte Situation zu verzeichnen. Sagen muß man aber auch, daß die Möglichkeiten des Bundes im wesentlichen auf die Rechtsetzung beschränkt sind. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, seit dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung der Verpackungsverbrauch im Zeitraum von 1991 bis 1993 um eine Million Tonnen zurückgegangen. Auch hat sich — trotz aller Kritik muß man dies sagen — durch die Sammlung gebrauchter Verpackungen im Rahmen des Dualen Systems die Hausmüllmenge erheblich verringert. Man könnte ähnliche Beispiele — aber meine Redezeit geht langsam dem Ende entgegen — auf den Gebieten der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung nennen, wo der Bund massiv eingegriffen hat und in Gesamtdeutschland und insbesondere in den neuen Ländern in kürzester Zeit positive Ergebnisse erreicht hat.Ich möchte noch auf zwei Probleme kurz zu sprechen kommen, die heute schon eine Rolle spielten. Viel diskutiert wird die entsprechend einer damals EG-, heute sage ich: EU-Richtlinie geforderte dritte Reinigungsstufe bei Kläranlagen. Da ich mich sowohl der Kommunal- als auch der Umweltpolitik verpflichtet fühle, bin ich dafür, dieses Thema mit viel Sachlichkeit und Augenmaß zu besprechen.
Man muß hier wirklich sagen: Lieber eine neue Kläranlage in den neuen Ländern errichten, als einer bestehenden Kläranlage im alten Bundesgebiet die dritte Reinigungsstufe hinzufügen.
Aber man muß fairerweise sagen, daß — was heute auch schon angesprochen worden ist — die EU-Richtlinie die Möglichkeit bietet, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, den Ländern und den Kommunen hierbei zu helfen. Das sollte meines Erachtens vorrangig genutzt werden. Man sollte die Bundesregierung nicht unbedingt auffordern, für uns als führendes Umweltschutzland in der EU in Brüssel generell Ausnahmeregelungen und damit eine Beendigung der Einführung der dritten Reinigungsstufe zu erreichen.Wichtig ist aus meiner Sicht auch — und das ist hier ebenfalls schon angesprochen worden — die Privatisierung von Leistungen der Kommunen, die nicht unbedingt in die Hand der Kommunen gehören. Ich denke hier insbesondere an die Wasserwirtschaft. Hier wünsche ich mir trotz erster positiver Beispiele mehr Mut in den Kommunen. Wir haben in den neuen Ländern nicht die Zeit von 40 Jahren, um wirklich blühende Kommunen aufzubauen. Deswegen brauchen wir neue Ideen, neuen Mut und auch neue Wege, um auch in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpom-
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Wolfgang Ehlersmern und in den anderen neuen Ländern das zu erreichen, was die alten Bundesländer bereits erreicht haben. Dann sind wir, glaube ich, alle zufrieden und können diesen erfolgreichen Weg weiter beschreiten.Danke schön.
Nun spricht unser Kollege Dr. Joseph-Theodor Blank.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung: Ich finde es schon sehr beachtlich, um nicht zu sagen: unverschämt, daß, wenn im Deutschen Bundestag eine Debatte über die Situation der Städte, Gemeinden und Kreise stattfindet, die Bundesratsbank völlig leer ist,
kein Land hier vertreten ist, das sich ansonsten gerne als Gouvernante der Kommunen aufspielt.Meine Damen und Herren, ich spreche zu Kapitel VII, zum Kapitel Kultur, Sport und Freizeit.Kulturpolitik ist Kommunalpolitik. Sie ist es ungeachtet der Kulturhoheit der Länder und unbeschadet wichtiger kulturpolitischer Initiativen des Bundes. Es sind nämlich die Städte und Gemeinden, die auf Grund ihrer kulturellen Tradition Träger einer Vielfalt von Theatern, Museen, Bibliotheken, Volkshochschulen, Orchestern und Archiven sind. Es sind die Städte und Gemeinden, die die Erhaltung zahlreicher historischer Bauten sichern, und es sind schließlich die Städte und Gemeinden, die die unterschiedlichen kulturellen und künstlerischen Traditionen fördern und neue Wege beschreiten, um Kultur einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Kommunale Kultur- und Freizeitpolitik sieht sich in Richtung Jahrtausendwende mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Ich will nur sechs nennen.Erstens. In den Jahren der Teilung war die Kultur eine der wenigen Bindungen, die zwischen den Menschen in beiden Teilen Deutschlands aufrechterhalten blieben. Auch in Zukunft wird es eine wichtige Aufgabe von Kulturpolitik sein, einen Beitrag zur Überwindung der immer noch anhaltenden Folgen der Teilung Deutschlands zu leisten.Zweitens. Die Menschen verfügen über immer mehr arbeitsfreie Zeit, die sie eigenverantwortlich gestalten können und auch wollen. Neue technische Entwicklungen schaffen Voraussetzungen für größere Informationsvielfalt und Kommunikationsmöglichkeiten. Neben konsumorientierten und fest organisierten Freizeitangeboten suchen die Bürger zunehmend nach neuen Möglichkeiten, ihre Freizeit selbst zu gestalten. Auch hier liegen große neue Aufgaben für kulturelles Engagement.Drittens. In einer Lebensumwelt, die immer komplizierter wird und sich schnell verändert, suchen die meisten Menschen nach Geborgenheit, Identität undOrientierung in überschaubaren kleinen Lebenskreisen. Das heißt, das Interesse an lokaler Geschichte steigt; Denkmalpflege und museale Einrichtungen sowie das Vereinsleben sind hier von großer Bedeutung.Viertens. Auf Grund längerer Lebenserwartung und medizinischer Fortschritte können heute mehr ältere Menschen aktiv an der Gestaltung ihres Lebensumfelds mitwirken. Dem muß in Form seniorenspezifischer Kultur- und Freizeitarbeit, die die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse älterer Menschen anspricht und nutzbar macht, Rechnung getragen werden.Fünftens. Die kulturelle Infrastruktur sowie die Freizeitangebote in einer Gemeinde gewinnen zunehmend auch an Bedeutung für Wirtschaft und Tourismus. Der Kulturtourismus füllt die Kassen von Hotels, Restaurants und Geschäften. Wirtschaftsunternehmen beurteilen die Frage von Standortqualitäten mehr und mehr auch im Hinblick auf kulturelle und freizeitliche Attraktivität.Schließlich letztens. Kultur spielt eine bedeutsame Rolle bei der Integration von Aussiedlern und ausländischen Mitbürgern. Sie ist eine wertvolle Hilfe beim Abbau von Berührungsängsten und Fremdenfeindlichkeit.Ich weiß, meine Kolleginnen und Kollegen, Kultur- und Freizeitangebote kosten Geld. Sie kosten Geld vor allem deshalb, weil der Zugang zu ihnen nicht in erster Linie durch einen privat gefüllten Geldbeutel bestimmt sein darf. Aus diesem Grunde gibt es keine ernsthafte Alternative zur überwiegenden Förderung von Kultur mit öffentlichen Mitteln und durch staatliche und gemeindliche Initiative. Diese Förderung darf nicht nach dem „stop and go"-Prinzip erfolgen, vielmehr bedarf sie der Kontinuität und im Falle notwendiger Sparmaßnahmen der langsamen Anpassung an die veränderten Bedingungen.Ich denke, daß die Bundesregierung der Notwendigkeit bundesweiter Kulturförderung Rechnung getragen hat. Ich nenne nur die Stichworte Übergangsfinanzierung Kultur in den Jahren 1991 bis 1993 mit 2,6 Milliarden DM. Ich nenne die kommunalen kulturellen Infrastrukturprogramme. Ich nenne das Vereinsförderungsgesetz, und ich nenne das Engagement der Bundesregierung im Hinblick auf kulturelle Einrichtungen und Projekte von gesamtstaatlicher Bedeutung. Das versteht sich für einen Kulturstaat eigentlich von selbst.Aber, meine Damen und Herren, Kultur ist keine Staatsveranstaltung. Es gibt kein staatliches Kulturförderungsmonopol. Deswegen müssen wir auch zukünftig verstärkt versuchen, privates Kapital, Mäzenatentum und Stiftungen zu fördern. Ich denke, wir sollten diese Debatte auch zum Anlaß nehmen, u. a. noch einmal darüber nachzudenken, ob unser Stiftungsrecht nicht noch weiter zugunsten von privaten Stiftungen, Mäzenen und Kultursponsoren verändert werden kann.Fur die Kulturpolitik des Bundes wie die der Kommunen muß gerade auch in finanziell angespannten Zeiten das Motto des Kommunalkongresses der KPV
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Dr. Joseph-Theodor Blankvor wenigen Wochen in Dresden gelten: Trotz allem — Kultur.
Nun spricht der Kollege Wieland Sorge.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
— Der Zuruf ist berechtigt. Ich will mit dem Positiven beginnen.Wer in der ehemaligen DDR großgeworden ist, der müßte schon blind sein, wenn er nicht sehen würde, was sich in den letzten vier Jahren in den Kommunen alles entwickelt hat.
Ich muß sagen: Das, was an Sanierungen von Wohnungen — von den Dächern angefangen über die Dachrinnen bis zu den Innensanierungen —, von Häuserfassaden, Straßen, Beleuchtungen und vielen anderen Dingen erfolgt ist, ist sehr positiv zu bewerten. Aber ich möchte nicht verschweigen, daß es noch sehr viele unterschiedliche Probleme gibt. Wir müßten hier den Mut haben, diese unterschiedlichen Probleme zwischen den Kommunen in Ost und West zu benennen. Nur so haben wir die Gelegenheit, sowohl in den Kommunen der alten Bundesländer als auch der neuen Bundesländer Möglichkeiten zu finden, diese Probleme zu lösen.Ich möchte mich heute auf einige Beispiele aus kleinen Gemeinden und aus kleinen Städten bis zu 30 000 Einwohnern konzentrieren. Es geht darum, daß wir die Gleichheit der Kommunen in Ost und West so bald wie möglich erreichen. Die Entscheidungen, die wir hier fällen, werden darüber richten, ob das in 10, 20 oder in 50 Jahren der Fall ist.Zunächst ein paar Bemerkungen zur Verwaltung. Es wird immer wieder behauptet, daß die Verwaltung in den ostdeutschen Städten zu aufgebläht ist und zu viel Kosten verursacht. In den letzten zwei Jahren ist in den Städten, die ich kenne und mit deren Bürgermeistern ich in Verbindung stehe, im Durchschnitt die Hälfte aller Stellen abgebaut worden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Aufgaben von Kommunen in Ost und West möchte ich auf einige Aufgaben aufmerksam machen.Wenn man in einer Stadt von 25 000 Einwohnern 42 Mitarbeiter in der Kernverwaltung hat, wird deutlich, was sie alles zu leisten haben: beispielsweise 30 Bebauungspläne bearbeiten, 85 ha Gewerbegebiet direkt betreuen und Liegenschaftsverhältnisse klären. Dafür müssen allein sechs Leute abgestellt werden. Die Eigentumssicherung und die Restitutionsansprüche für die Kommune geltend zu machen erfordert — das können die bestätigen, die damit zu tun haben — endlose Verhandlungen mit den Ämtern— mit der Treuhand, mit dem Amt für offene Vermögensfragen und mit der Oberfinanzdirektion — undzum Teil auch mit den Gerichten. Das erfordert oft tage-, wochen- und monatelange Arbeit.
Ferner wird von der Verwaltung eine Vermittlerrolle bei der Rückführung von Liegenschaften bzw. Zuführung an Investoren geleistet, wenn die Eigentümer nicht selber bauen wollen. In Meiningen beispielsweise hat man für zwei kleine Liegenschaften in der Stadt ein Jahr verhandeln müssen, ehe man beide Seiten unter einen Hut gebracht hat und die Bebauung fortsetzen konnte.Unbebaute Flächen müssen die Verwaltungsleute für spätere Bauten vorhalten. Hier ergibt sich die Aufgabe, sowohl zu planen als auch gleichzeitig zu kaufen. Das ist sehr schwierig. Deshalb bitte ich, liebe Kollegen, diese Leistung, die in der Verwaltung erbracht wird, zu respektieren, den Menschen ein Lob dafür auszusprechen
und nicht immer wieder darauf hinzuweisen, daß sie nichts leisten.Zu den Fördermöglichkeiten: Ich bin dafür, daß die Fördermöglichkeiten, die gegeben sind und in der Regel 60 % bis 80 % betragen, beibehalten werden. Was aber nützt eine Fördermöglichkeit, wenn die Städte nicht in die Lage versetzt werden, die Komplementärmittel, nämlich diese 20 % bis 40 %, aufzubringen? Das resultiert daraus, daß die Verwaltungshaushalte nicht positiv, sondern negativ sind, so daß keine Möglichkeit der Investition gegeben ist.
— Das außerdem.Zum zweiten ist bezüglich der Investitionen, die man auf Kredit getätigt hat, jetzt bereits das erreicht, was vorher meine Kollegen aus dem Osten gesagt haben, daß nämlich jetzt eine Pro-Kopf-Verschuldung von rund 1 000 DM bei den dortigen Kommunen eingetreten ist und die kommunale Aufsichtsbehörde damit ein Nein für die Aufnahme neuer Kredite verhängt hat.
— Ja, ich will aber fortsetzen, Herr Kollege; ich bin noch nicht fertig. — Deshalb haben die Kommunen bisher folgendes gemacht: Sie haben Grund und Boden und Immobilien verkauft und ihre Investitionen aus diesem Erlös getätigt.
— Ja, sehr vernünftig. Das sehe ich ein. — Jetzt aber sind diese Möglichkeiten ausgeschöpft. Jetzt haben die Kommunen überhaupt keine Chance mehr. Jetzt besteht, wenn sich nichts tut, für die Bürgermeister in
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19496 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Wieland Sorgeden nächsten Jahren absolut keine Möglichkeit, neue Investitionen zu tätigen.
— Ja gut, aber wir haben sehr wenig Zeit.Zum Abwasserproblem: Das ist eine sehr komplizierte Sache. Hier ist gerade in den Gemeinden der soziale Friede sehr angespannt. Die Gemeinden haben z. B. die Entscheidung zu treffen, Investoren anzusiedeln, die sehr viel Wasser verbrauchen. Es gibt eine strenge Auflage, daß diese Unternehmen ihr Abwasserproblem so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen haben. Das nimmt die Gemeinden in die Pflicht, mit ihnen in Verhandlungen einzutreten und dieses Problem zu regeln.Wenn die Möglichkeit bestünde, zwischen den Unternehmen und den Gemeinden einen Konsens zu finden, dies gemeinsam zu tun, könnte man die Fördermittel und auch die Ausgaben teilen — oder zumindest anteilmäßig verteilen. Das ist aber nicht möglich, weil die Gemeinden kein Geld haben. Deshalb gibt es die Möglichkeit, daß die Unternehmen dies allein tun. Dann aber würden sie eine Abwasseranlage nur für sich selber bauen. Das wäre für die Gemeinden auch keine Lösung. Wenn sie aber die Unternehmen beeinflussen, indem sie sagen: Na gut, wir treffen jetzt die Entscheidung, daß ihr nicht alleine baut, gehen die Unternehmen weg. Damit verlieren wir Arbeitsplätze. In der Situation, diese Entscheidung zu treffen, stehen heute die Gemeinden.
— Das sehe ich nicht.Zum Wohnen — auch hier nur zu einem kleinen Problem, da meine Zeit schon abgelaufen ist; ich hätte noch so viele Probleme ansprechen können —: Der Wohnungsbau — zu den Sanierungsaufgaben hatte ich schon etwas gesagt — ist in den meisten ostdeutschen Städten in den letzten Jahren nicht vorangekommen; die Anzahl der Neubauten war sehr gering.Hier haben wir in dem ehemaligen grenznahen Raum ein Problem: In den einzelnen Landkreisen gibt es etwa 8 000 bis 15 000 Pendler, die täglich oder einmal in der Woche hin und her pendeln, weil sie in den neuen Bundesländern keine Arbeit haben.
— Ja, aber es kommt noch etwas hinzu, Herr Kollege: Die Leute sind sehr bodenständig und wollen natürlich versuchen, zu Hause zu bleiben, finden aber keine Wohnungsmöglichkeit. Daraus resultiert, daß sie sagen: Na gut, dann bleibe ich gleich im Westen. Jetzt haben wir die Situation, daß in unseren Betrieben bereits Fachkräfte gesucht werden, die nicht mehr vorhanden sind, weil die jungen Leute in die alten Bundesländer weggegangen sind. Mit diesem Problem haben wir es zu tun.Eine letzte Bemerkung — meine Redezeit ist um — zu den Sportstätten. Den Optimismus, den meine Kollegen vorhin gezeigt haben, kann ich nicht teilen.Die Sportstätten sind nach wie vor in einem desolaten Zustand. Die Gemeinden können gegenwärtig einfach nichts tun. Aus diesem Grunde schlägt die SPD vor, die kommunale Investitionspauschale, die von allen Bürgermeistern in ostdeutschen Städten begrüßt wurde, beizubehalten, wenn auch befristet. Aber das hilft den Kommunen am meisten. Gehen Sie diesen Weg mit uns gemeinsam!
Nun hat der Kollege Theo Magin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur vollständigen Beurteilung der Lage der Kommunen gehört auch der verkehrspolitische Aspekt. Mobilität ist ein Stück Lebensqualität, auf das die Bürger nicht verzichten wollen. So ist in den letzten Jahren der Verkehr urgebremst gewachsen. Die Städte und Gemeinden, die sowohl Ausgangspunkt wie auch Zielpunkt des Verkehrs sind, werden dadurch immer stärker belastet. Die Auswirkung dieser Situation — wir kennen sie alle; manche sprechen schon vom Infarkt — ist eine sich besonders zur Rush-hour mühsam durch viele Städte quälende, Lärm und Abgas verbreitende Verkehrsschlange, die nicht nur die Lebensqualität in unseren Städten beeinträchtigt, sondern auch Quelle vieler gesundheitlicher Gefährdungen und Beeinträchtigungen ist.Was muß nun geschehen, meine Damen und Herren? — Die Erfahrung lehrt, daß bei der Lösung der Probleme, die sich aus dieser Situation ergeben, nicht Reglementierung und Belastung, sondern Eigenverantwortung und Gemeinsinn der Bürger im Verkehr hierbei im Vordergrund stehen müssen. Es stellt sich immer mehr heraus, daß es ein falscher Schluß wäre, anzunehmen, daß sich die Verkehrspolitik gegen die Bedürfnisse der Menschen an Mobilität — seien sie individuell, seien sie wirtschaftsbedingt — wenden müsse. Im Gegenteil: Verkehrspolitisches Ziel muß es sein, einen Weg zu gehen, der sowohl die Umwelt schützt als auch die Interessen von Mensch und Wirtschaft wahrt. Dieser Weg ist nur möglich, wenn sich die Diskussion um die Verkehrspolitik nicht in Pro und Kontra, für und gegen Verkehr erschöpft. Es geht nicht um den Ausstieg, sondern um das Umsteigen innerhalb eines integrierten Verkehrsverbundes.
Die gewaltigen Aufgaben, die sich gerade daraus für die Kommunen ergeben, können nur mit dem Bürger durch vernünftige verkehrspolitische Konzepte, zu denen Bund, Länder und Gemeinden ihren gemeinsamen Beitrag zu leisten haben, angegangen werden. Es ist eine politische Binsenweisheit, sogar eine Binsenweisheit an sich, daß man mit Angeboten stets weiter kommt als mit Verboten. So muß nach unserer Meinung das Angebot des ÖPNV sowohl in den Ballungsräumen als auch in den ländlichen Räumen weiter verbessert werden.
Die Kommunen werden eine Verbesserung des ÖPNV nur mit wirksamer Unterstützung des Bundes
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Theo Maginund der Länder leisten können. Wir können seit Jahren feststellen: Der Bund tut dies; er hat die Mittel, die nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz über die Länder den Kommunen zugute kommen, in den letzten Jahren fast verdoppelt. So stehen im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes den Kommunen bis 1996 jährlich 6,28 Milliarden DM zur Verfügung.
Die Struktur der Mittelvergabe nach dem GVFG wurde ebenfalls geändert. Danach haben nunmehr die Länder die Möglichkeit, innerhalb ihrer Länderprogramme die Bundesfinanzhilfen flexibler und treffsicherer nach den jeweiligen regionalen Bedürfnissen einzusetzen. Sie können z. B. entscheiden, ob es wichtiger ist, für den kommunalen Straßenbau oder für den ÖPNV Mittel einzusetzen.
— Ja, auch in Schifferstadt.Meine Damen und Herren, einen weiteren Schub zugunsten des ÖPNV erwarten wir von der Regionalisierung des SPNV. Denn mit Beginn der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs 1996 im Rahmen der Bahnreform werden Länder und Kommunen in die Lage versetzt, durch Planung, Organisation und Finanzierung der öffentlichen Nahverkehrsverbindungen aus einer Hand vor Ort den ÖPNV insgesamt flexibler, wirtschaftlicher, kundennäher und somit auch attraktiver zu gestalten.Der Bund stellt den Ländern ausreichende Finanzmittel zur Verfügung, von denen die Kommunen und somit auch die Bürger profitieren. Sie erhalten aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes einen jährlichen finanziellen Ausgleich, der es ihnen ermöglicht, ihre zukünftige Verantwortung als Besteller von Nahverkehrsleistungen auf der Schiene auch nachzukommen. Wir erwarten davon eine Steigerung der Attraktivität des ÖPNV, die viele hoffentlich veranlaßt, vom Auto auf den ÖPNV umzusteigen.Meine Damen und Herren, ein Ärgernis ist bei vielen Gemeinden und Städten noch der Durchgangsverkehr. Unsere Gemeinden und Städte als Lebensraum für unsere Bürger müssen von dem sie belastenden Durchgangsverkehr, wenn möglich, befreit werden. Konkret bedeutet das: Der Bau von Ortsumgehungen muß verstärkt fortgeführt werden.
Der Bund hat bisher schon im Rahmen der Bundesverkehrswegepläne die Städte und Gemeinden von Verkehrsbelastungen im innerörtlichen Verkehr durch Ortsumgehungen entlastet. Diese Politik wird mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan verstärkt fortgesetzt. Damit verbessern sich die Lebensverhältnisse in den Ortslagen durch Reduzierung von Lärm und Abgasen und durch Verminderung der Unfallgefahr, der insbesondere Fußgänger, Radfahrer und gerade auch Kinder ausgesetzt sind.Meine Damen und Herren, wichtig ist, daß dafür die Mittel erhalten bleiben. Wir alle sollten dabei mithelfen, daß die Investitionsmittel im Verkehrshaushalt nicht weiter gekürzt werden.
In der Kürze der Zeit konnte ich nur einige Beispiele anführen, meine Damen und Herren. Aber all dies zeigt: Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben auf diesem Feld gemacht, und die Leistungen kommen der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung — ich spreche hier nur einmal die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs an —, aber auch der Verbesserung der kommunalen Verkehrsstruktur zugute. Ich meine, meine Damen und Herren, wir dürfen feststellen — und nicht so pessimistisch, wie das die Opposition tut —, daß sich die deutschen Kommunen auf diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition verlassen können.
Nun spricht der Kollege Dr. Werner Schuster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte hier eigentlich nicht primär als Vertreter einer bestimmten Fraktion reden, sondern als jemand, der über 20 Jahre aktiv Kommunalpolitik macht, zur Zeit verantwortlich ist für eine Große Koalition auf Kreisebene, aus einem Land kommt — Hessen —, in dem eine rotgrüne Koalition regiert, und jetzt noch die Chance hat, als Bundestagsabgeordneter die dritte Ebene zu erleben. Ich habe heute eigentlich erwartet, daß der Spannungsbogen zwischen diesen drei Ebenen stärker herausgearbeitet wird. Aber, Herr Kollege Grünewald, Ihre NRW-Schelte habe ich nicht ganz verstanden. Wenn ich richtig informiert worden bin, hat gerade Ihr Landkreis an der Fürsorge durch NRW hervorragend partizipiert. Manchmal ist „Danke schön" auch ein gutes Wort.
Sie, meine Damen und Herren, werden sicher Verständnis haben, wenn ich Sie einmal in ein rhetorisches Denkmodell einbeziehe. Ich unterstelle, daß die meisten von Ihnen eine normale Familie haben und es dort, wie bei mir zu Hause, einen Familienrat gibt. Stellen Sie sich einmal vor, in diesem Familienrat wird diskutiert, wie Sie Ihr Eigenheim ökologisch nachbessern sollen. Da kommen die Vorschläge, meistens von den Herren technikbesessenen Söhnen, die der Meinung sind, man müsse einen neuen Heizkessel haben oder eine Wärmepumpe einbauen oder die Heizung auf Solarenergie umstellen; oder man könnte Wärmedämmung machen, eine Regenwasserzisterne bauen oder einen zweiten Wasserkreislauf installieren. Das sind, meine Damen und Herren, doch auch Ihrer Meinung nach alles ökologisch sinnvolle und praktikable Maßnahmen. Nur ein Problem besteht dabei: Dieser Familienrat tagt ohne Sie, und Sie erfahren auch nichts davon. Nur, vier Wochen später kriegen Sie einen rechtsverbindlichen Kostenvoranschlag und dürfen bezahlen. Was würden Sie denn da machen? — Also ich sage Ihnen: Ich wäre an der Decke, und der Familienkrach wäre vorprogrammiert.
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Dr. R. Werner SchusterMeine Damen und Herren, genau das tun wir als Bundestagsabgeordnete seit Jahrzehnten mit unseren Kommunen. Wir beschließen, was gemacht werden muß. Häufig wissen wir gar nicht, was es kostet, aber bezahlen müssen es die Kommunen. Beispiele haben Sie in Ihren eigenen Anfragen eruiert. Ich darf nur an das KJHG oder an die Frage der Kindergärten erinnern, aber auch an solche Rechtsverordnungen wie die TA Siedlungsabfall, die uns als Kommunen plötzlich in Zugzwang bringen.Dann wundern wir uns, wenn die Kommunen sich wehren. Ich habe die Bürgermeister aus meinem Wahlkreis ermuntert, doch, bitte schön, nach Bonn zu marschieren.
Zum Entsetzen meiner eigenen Landesregierung sind sie bloß nach Wiesbaden gekommen. Mein eigener Ministerpräsident war etwas entsetzt. Aber, meine Damen und Herren, sie sind nicht nach Bonn gegangen, weil es zu weit war — noch! Irgendwann ist es für alle Bürgermeister und Landräte jeglicher Farbe nicht mehr zu weit nach Bonn.
Wollen wir das eigentlich?
Wer wie Sie formulieren läßt, die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasse auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung — dem kann man ja zustimmen —, der muß doch wenigstens vorher wissen, bevor er etwas beschließt, was das für einen Dritten kostet. Nicht einmal das machen wir in der Regel, und schon gar nicht fragen wir, wie es finanziert wird, wenn es die Kommunen betrifft. Dabei weiß doch jeder, daß 80 % aller Gesetzesvorlagen, die wir machen, die Kommunen betreffen.Deswegen fordern wir erneut, meine Damen und Herren, heute zum zweiten Mal in unserem Entschließungsantrag, daß in den Gesetzesvorblättern in Zukunft ausgewiesen wird, was ein Beschluß des Bundestages die Kommunen voraussichtlich kosten wird.Wenn ich das Trauerspiel im Ausschuß für Geschäftsordnung im Protokoll nachlese, daß also gesagt wurde, das gehe mangels anerkannter Berechnungsgrundlagen nicht, kann ich nur sagen: Bei den Kindergärten hat man es gekonnt. Wenn man will, kann man der Größenordnung nach abschätzen, was ein Beschluß kostet.Wir haben also heute zum zweiten Mal die Gelegenheit, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Und wir werden noch einen dritten Versuch starten. Ich habe versucht, das Land Hessen zu animieren, eine Bundesratsinitiative zu starten, damit endlich klar wird, was es kostet, wenn wir im Bundestag Beschlüsse fassen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß das Bohren dicker Bretter sehr schwierig ist. Ich bitte herzlich um fraktionsübergreifende kommunalpolitische Solidarität.Ein zweites Beispiel will ich nennen, an dem deutlich wird, was gemeint ist, wenn man sagt: Den letztenbeißen die Hunde. Es ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, nämlich die Fluchtursachenbekämpfung. Lieber Wolfgang Zeitlmann, ich will jetzt keine Asyldebatte führen, aber ein paar Fakten sind erlaubt.Es gibt weltweit 100 Millionen Flüchtlinge. Die können nicht alle bei uns wohnen; das geht sicher nicht.
Vier Millionen sind in den letzten sechs Jahren als Spätaussiedler, Übersiedler oder Emigranten zu uns gekommen. Die Probleme vor Ort kennen Sie als Kommunalpolitiker alle so gut wie ich. Es gibt Mangel an Wohnungen, Mangel an Arbeit und soziale Spannungen. Die Kommunen und alle Lander warten z. B. immer noch auf gesetzliche Regelungen für die Bürgerkriegsflüchtlinge oder auf ein Einwanderungsgesetz. Darüber ist noch nicht entschieden.Wenn man die Zahlen ansieht, fällt einem ein Mißverhältnis auf. Herr Spranger gab im BMZ für flüchtlingsbezogene Maßnahmen im Jahr 1993 490 Millionen DM aus. Das Land Hessen gab im gleichen Jahr allein an Erstattung für Asylunterkünfte an die Kommunen das Doppelte aus. Dann kommt noch die nicht quantifizierbare Beteiligung der Kommunen hinzu. Ich kann allein für das Land Hessen ausrechnen, daß Herr Spranger nicht einmal ein Viertel von dem ausgibt, was das Land Hessen mit seinen Kommunen dafür bezahlt.Da stimmt doch das Verhältnis nicht. Dabei hätten wir gute, positive Beispiele, wie man Fluchtursachen bekämpfen kann. Ich sage nach wie vor: Es ist sinnvoller, die Leute dort zu finanzieren, wo sie herkommen, damit sie dort bleiben, als sie zu uns einzuladen. Aber wir machen als Politiker alle immer das berühmte „end of the pipe"; wir lösen das Problem immer dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist — wie in der Medizin, wenn es heißt: Kuration ist wichtiger als Prävention. Wir vergessen eines: Wenn ich in der Therapie sparen will, muß ich zuerst in die Vorsorge investieren. Das wäre doch ein Gesichtspunkt, den man heute nicht zu kurz kommen lassen sollte.Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren. Ich bin engagierter Entwicklungspolitiker, und ich habe draußen erfahren, daß uns die Entwicklungsländer um zwei typische bundesrepublikanische Eigenschaften beneiden: um unsere föderale Struktur und um unsere kommunale Selbstverwaltung.
Deswegen versuchen wir, dafür zu werben. Die Kommunen sind bei uns in Deutschland die Basis unseres demokratischen Staatswesens. Das Schwarze-PeterSpiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen muß endlich aufhören. Und wir als Bundestagsabgeordnete, meine Damen und Herren, sollten uns in Zukunft stärker unserer kommunalpolitischen Wurzeln bewußt sein und praktische Taten daraus ableiten.Ich bedanke mich.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19499
Als letzter hat zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! . Ein paar Punkte will ich noch aufgreifen, aber vorab ein paar Bemerkungen zur Diskussion.
Herr Kollege Schüßler, ich halte es nicht für ganz fair, daß Sie hier anmahnen, die Finanzausstattung der Kommunen müsse auf neue Beine gestellt werden, daß aber gleichzeitig aus Ihrer Ecke, nämlich der F.D.P., immer der Anstoß kommt, bei der Gewerbesteuer neu einzuschneiden und neu zu reduzieren oder diese Steuer überhaupt in Frage zu stellen.
Zweitens gefällt mir nicht — und ich war während der ganzen Diskussion dabei —, daß Kollegen hier einen Redebeitrag liefern und anschließend verschwinden, so daß man sie nicht mehr ansprechen kann.
Ein Drittes, Kollege Schuster: Alle diejenigen, die heute die hohen Ausgaben bei der Sozialhilfe hier mit Recht kritisieren, müssen sich aber auch vorhalten lassen, daß sie selber vor noch nicht einmal einem Jahr zum Thema Asyl ganz schreckliche Dinge geäußert haben. Da nehme ich dich, lieber Kollege Schuster, gleich beim Wort.
— Ja, das ist doch Thema. — Wir sind ja seinerzeit in diesem Hause beschimpft worden, daß es nach Verabschiedung der Asylkompromisse, die ja von Ihnen mehrheitlich mitgetragen wurden, kein Asyl mehr gebe und daß wir eine ganz herzlose Gesellschaft würden. Wenn Sie die Zahlen betrachten, werden Sie feststellen, daß es ganz anders aussieht. Ich finde das nur nicht fair. Sie sollten dann auch klipp und klar sagen, daß die erfolgreiche gemeinsame Regelung des Asyls eine deutliche Entlastung bei der Sozialhilfe zur Folge hat.
Es ist heute schon gesagt worden: Die Pflegeversicherung, die zum Glück ja nun auch gemeinsam auf den Weg gebracht wurde, wird hoffentlich ebenfalls eine deutliche Entlastung der Gemeinden bringen.
Dem Kollegen Schulz vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich doch sagen: Ich habe noch die Anträge seiner Gruppe in Erinnerung, in denen für eine weite Öffnung unserer Grenzen für alle Flüchtlinge und Schutzsuchenden dieser Erde plädiert wurde. Die Öffnung sollte denkbar weitgehend sein. Auch dies möge man in einer solchen Kommunaldebatte in Rechnung stellen.
Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen, daß es im Rahmen der Diskussion um die Asylproblematik gerade die in den Gemeinden, Städten und Kreisen Verantwortlichen waren, die von uns damals ein Handeln und das Ende der Diskussionen eingefordert haben. Wir alle kennen die Entwicklung im Bereich der Asylbewerberzahlen. Allzuoft wird, bewußt oder unbewußt, diese Entwicklung in der öffentlichen Diskussion außer acht gelassen. Deshalb sei nochmals darauf hingewiesen, daß wir noch 1992 im Bundesgebiet einen Zugang von 440 000 Asylbewerbern hatten. Im Jahr 1993 betrug dieser Zugang 322 000 Personen. Dies stellt einen Rückgang um rund 115 000 Personen oder 26 % gegenüber dem Vorjahr dar.
Wenn Sie nun in Rechnung stellen, daß die Neuregelung erst mit Wirkung vom 1. Juli 1993 in Kraft getreten ist, wird dieser Rückgang noch deutlicher, wenn man nur die Zahlen seit der Umsetzung des Asylkompromisses — 1. Juli 1993 — vergleicht. Hier betrug der Rückgang 56 % oder — in absoluten Zahlen — 125 599 Asylbewerber weniger als im Vergleichszeitraum. Dieser Trend hat auch in den ersten Monaten des Jahres 1994 — Januar, Februar und auch März — angehalten.
Seit Juli 1993 konnten ca. 375 Unterkünfte der Landratsämter und der kreisfreien Städte infolge des Rückgangs der Asylbewerberzahlen geschlossen werden. Betroffen waren hiervon rund 8 300 Bewerber, die zumeist in staatliche Gemeinschaftsunterkünfte verlegt wurden.
Es wird sicherlich nicht möglich sein, die Kosten für die betroffenen Körperschaften exakt im einzelnen zu beziffern. Nach unterschiedlichen Schätzungen gehen Bund und Länder davon aus, daß die Kosten für Unterbringung und Versorgung einschließlich der Kosten der behördlichen Infrastruktur 17 000 bis 19 000 DM pro Jahr und Asylbewerber betragen. Bezogen auf das Jahr 1992 bedeutet das Aufwendungen von insgesamt 8,3 Milliarden DM. Wenn ich davon ausgehe, daß wir im Jahresdurchschnitt 1994 gegenüber dem Zeitraum 1992 ebenfalls einen Rückgang um 56 % haben werden, ist mit einem Rückgang der Aufwendungen um ca. 4,7 Milliarden DM zu rechnen.
Zwar haben die Kommunen die finanziellen Belastungen für Unterkunft und Verpflegung der Asylbewerber nicht selbst zu tragen. Bei ihnen verbleiben jedoch die sächlichen und persönlichen Verwaltungskosten. Auch wenn diese Entlastungen kostenmäßig im einzelnen bundesweit nicht ohne weiteres bezifferbar sind, wird jedoch schon anhand der zuvor dargestellten Rechnung deutlich, daß auch die Kommunen mittelbar entscheidende Entlastungen erfahren haben.
Herr Kollege Zeitlmann, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Schulte gestatten?
Bitte schön.
Frau Kollegin, bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie den Kollegen im Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit einmal sagen, wieviel Prozent des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland die Ausgaben für die Asylhilfe im Jahre 1992 ausgemacht haben?
— Natürlich sind das keine Prozente. Deshalb frage ich ja.
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19500 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Brigitte Schulte
Können Sie einmal sagen, welcher Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt es war? Das Bruttosozialprodukt hat — da will ich Ihnen helfen — über 3 Billionen DM betragen.
Ich habe zuerst im „Kürschner" nachgeschaut, weil ich mich gefragt habe, welche Ausbildung Sie wohl haben. Auf Grund Ihrer Frage merke ich: Es kann nur Lehrerin sein. Denn Sie stellen eine Frage, auf die Sie die Antwort selber wissen und bei der Sie davon ausgehen können, daß ich nicht präsent habe, welchen Prozentsatz des Bruttosozialprodukts die Aufwendungen für Asylbewerber ausmachen.
— Es ist durchaus ehrenwert, auch einmal zu sagen, daß man etwas nicht weiß. Das geht zwar einem Lehrer nicht ein, aber das ist trotzdem noch Faktum.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß — ich habe noch eine Minute Zeit — einen Punkt noch aussprechen. Schauen Sie bitte in den Protokollen der letzten Asyldebatte nach. Da hat Ihr innenpolitischer Sprecher, Gerd Wartenberg, hier im Hause zum Thema Bürgerkriegsflüchtlinge klipp und klar in Richtung Bundesratsbank gesagt: Die Bundesländer sind am Zuge, nach dem Asylkompromiß nun auch den Bürgerkriegsflüchtlingsstatus endlich zu formulieren, endlich eine Regelung zu treffen.
— Ich unterstreiche und habe es damals unterstrichen, daß er recht hat.
— Auch Bayern; da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Vogel, einverstanden.
Nur, eins möge man dann nicht tun — das ist von Ihrer Seite hier geschehen —, nämlich daß man in Richtung Bund Schuld verteilt und sagt, der Bund sei am Zug. Eines ist doch klar: Die Länder haben bei der Verteilung der Steuerquoten kräftig hingelangt — um es nicht deutlicher auszudrücken. Dann mögen sie jetzt auch bei dem, was wir damals beim Asyl vereinbart haben, ihrer Verpflichtung nachkommen.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Gruppe PDS/Linke Liste auf den Drucksachen 12/7411, 12/7436 und 12/7415 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Finanzausschuß, den
Haushaltsausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den EG-Ausschuß — es muß jetzt doch EU-Ausschuß heißen —, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hanna Wolf, Dr. Hans de With, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen
— Drucksache 12/2975 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen
— Drucksache 12/3825 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/6980 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg van Essen Dr. Jürgen Meyer
Heinrich Seesing
Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten Ursula Männle, Claudia Nolte, Dr. Else Ackermann und weiterer Abgeordneter vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht damit Einverständnis? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Professor Dr. Jürgen Meyer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch unseren vor fast zwei Jahren eingebrachten Gesetzentwurf haben wir das Ziel verfolgt, die Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen neu zu regeln. Diese Taten werden häufig erst nach vielen Jahren bekannt. Das kann auf eine jahrelange Verdrängung von Mißbrauchserlebnissen zurückzuführen sein, aber auch darauf, daß die mißbrauchten Kinder und Jugendlichen unter dem Druck von nahen Verwandten stehen, von denen sie emotional und wirtschaftlich abhängig sind. Wird die Tat endlich angezeigt, ist sie häufig verjährt. Wir wollten und wollen die Verjährung deshalb bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruhen lassen.Die von der Mehrheit des Rechtsausschusses abgegebene Empfehlung, statt dessen das Ruhen der
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19501
Dr. Jürgen Meyer
Verjährung nur bis zum vollendeten 14. Lebensjahr vorzusehen, ist durch ein ungewöhnliches Verfahren zustande gekommen. Sie ist in ihrer Begründung auch widersprüchlich und rechtssystematisch fehlerhaft.Ich freue mich, daß sich heute mit der Unterstützung vieler Kolleginnen aus der Regierungskoalition die Vernunft doch noch durchsetzen könnte.Das Verfahren im Rechtsausschuß muß als ungewöhnlich, ja fast trickreich bezeichnet werden. Der Ausschuß hatte nämlich im Anschluß an eine eindrucksvolle Sachverständigenanhörung dem SPD-Entwurf in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Frauen und Jugend im Oktober 1993 mehrheitlich zugestimmt. Der Bericht des Rechtsausschusses wurde von zwei Berichterstattern, dem Kollegen Seesing, CDU, und mir unterzeichnet. Die Unterschrift des Berichterstatters von der F.D.P., des von mir sonst geschätzten Kollegen van Essen, ließ jedoch auf sich warten, obwohl der Bericht zutreffend und in keinem Punkt zu beanstanden war.
Nach etlichen Wochen erfuhren wir dann, daß durch die Ablehnung der Unterzeichnung des Berichtes eine erneute Beratung und Abstimmung im Rechtsausschuß erzwungen werden sollte. So geschah es dann auch. Und am 12. Januar dieses Jahres votierten einige Kollegen der CDU anders als knapp drei Monate vorher. So kam die heute abschließend zu beratende Empfehlung zustande.Das Verfahren mag zwar noch der Geschäftsordnung entsprechen,
legitim ist es jedenfalls nicht. Denn sonst könnte jeder Berichterstatter eines federführenden Ausschusses seine Unterschrift unter einen völlig einwandfreien Bericht so lange verweigern, bis sich die Mehrheit in seinem Sinne gedreht hat.
Die zunächst unterlegenen Kollegen des Rechtsausschusses hätten besser daran getan, in offener Auseinandersetzung im Plenum des Bundestages für ihre Auffassung zu streiten. Das tun wir nun heute.
Die wesentlichen Gründe für unseren Antrag werden gleich von meiner Kollegin Anni Brandt-Elsweier vorgetragen werden. Ich möchte mit einigen Hinweisen deutlich machen, daß die Argumentation der Ausschußmehrheit für ihren Antrag ähnlich formalistisch und schwach ist wie das gewählte Verfahren.Die Mehrheit des Rechtsausschusses beruft sich insbesondere auf das Argument, daß sich die Beweislage mit der zeitlichen Entfernung von der Tat verschlechtere. Dieses Argument ist erstens systemwidrig, weil die angenommene Beweisverschlechterung auch bei den schwersten Verbrechen Mord und Völkermord anzunehmen wäre und zwingend auch zu deren Verjährung führen müßte. Die Unverjährbarkeit dieser Verbrechen belegt aber, daß der Beweismittelschwund für die Verjährungsfrage keine Rolle spielen darf.Etwas anderes wurde nur früher einmal von der rein prozessualen Verjährungstheorie vertreten, die sich bekanntlich nicht durchgesetzt hat. Sie wird jetzt von der Ausschußmehrheit aus der Mottenkiste hervorgeholt. Wie schwach müssen Ihre Argumente sein!
Zweitens unterscheiden Sie nicht klar genug zwischen der Verjährung einerseits und ihrem Ruhen andererseits, worum es in unserer Diskussion heute aber allein geht. Die Begründung für das Ruhen der Verjährung ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz. Nach § 78b StGB ruht die Verjährung, solange die Verfolgung nicht beginnen oder nicht fortgesetzt werden kann.Genau darum geht es hier: Das kindliche oder jugendliche Opfer einer Sexualstraftat ist tatsächlich nicht in der Lage, ein Strafverfahren gegen den meist aus der nächsten Umgebung kommenden Täter in Gang zu setzen. Sinn der gesetzlichen Regelung ist es, daß tatsächliche Verfolgungshindernisse dem Täter nicht zugute kommen dürfen.Drittens hat der Deutsche Bundestag genau diesen Rechtsgedanken noch vor wenigen Monaten in großer Einmütigkeit anerkannt, als er die Verfolgungsverjährung von vergleichsweise weniger gewichtigen Straftaten, nämlich solchen, die vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR begangen wurden, großzügig um drei Jahre verlängert hat. Die Justiz befinde sich in Ostdeutschland noch im Aufbau, haben wir festgestellt, und der Strafverfolgung stünden deshalb institutionelle Schwierigkeiten gegenüber.Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute sollten wir statt auf noch unfertige Institutionen auf die kindlichen Opfer von schwersten Straftaten schauen. Die tatsächliche Schutzlosigkeit und Handlungsunfähigkeit dieser Opfer von Sexualstraftaten müssen dazu führen, die Verjährung erst dann beginnen zu lassen, wenn die Opfer volljährig, also nach Erreichen der in vielen Regelungen unserer Rechtsordnung geltenden Altersgrenze selbständig handlungsfähig sind.
Nur so geben wir auch ein unmißverständliches Signal an die möglichen Täter von morgen. Sie sollen sich nicht mehr auf die Verjährung ihrer schlimmen Taten verlassen können.Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht Frau Kollegin Ilse Falk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende einer langwierigen und intensiven Diskussion haben wir heute abend zu später Stunde über ein wirklich wichtiges Thema abzustimmen:
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Ilse FalkVerjährung von Sexualstrafen an Kindern und Jugendlichen. Dies beinhaltet, wie erwähnt, sexuellen Mißbrauch von Kindern, sexuelle Nötigung, sexuellen Mißbrauch Widerstandsunfähiger bis hin zur Vergewaltigung.Solche Taten an Kindern und Jugendlichen sind erst in den letzten Jahren ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Erzieher, Lehrer, Ärzte und Psychologen haben auf sexuell mißbrauchte Kinder aufmerksam gemacht. Zunehmend sind Erwachsene bereit, über sexuelle Mißhandlungen in ihrer Jugend zu berichten und die Öffentlichkeit wachzurütteln. Damit tragen sie dazu bei, daß endlich Licht auf ein bedrückendes Thema fällt, das viel zu lange im Dunkel der Tabuisierung verborgen blieb.So erleben wir einerseits, daß Mißbrauchsfälle früher offensichtlich werden und damit Täter angezeigt und bestraft werden können. Das ist gut so und wichtig. Wir erleben aber auch, daß — und das unter Umständen erst viele Jahre später — Opfer solcher Handlungen ermutigt werden, über das zu reden, was zum Teil tief verschüttet oder verdrängt ihre Seelen belastet.
Deshalb setzt denn auch der vorliegende Gesetzentwurf mit der Konsequenz des sehr späten Erkennens an, und er plädiert für ein Ruhen der Verjährung, die üblicherweise zehn Jahre beträgt, bis zum 18. Lebensjahr. Daß diese Forderung des Ruhens der Verjährung begründet ist, wird von niemandem angezweifelt. Aber über die Dauer des Ruhens hat es intensive Auseinandersetzungen gegeben, die bis zum Schluß nicht zu einer Einigung geführt haben, so daß wir heute die Empfehlung des federführenden Ausschusses auf Ruhen des Verjährungsbeginns bis zum 14. Lebensjahr des Opfers vorliegen haben und einen hier von mir zu vertretenden Änderungsantrag, mit dem die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Fraktion das ursprüngliche Anliegen des Gesetzentwurfes aufgreift und der inzwischen viel Unterstützung gefunden hat,
— Auch bei den Männern. —
Es geht also nicht um die grundsätzliche Entscheidung, die Verjährung ruhen zu lassen — darin sind sich wohl alle einig —, sondern nur um den Zeitpunkt, der sich um vier Jahre unterscheidet.Was hat eine Einigung so schwergemacht? Warum machen uns diese vier Jahre Differenz solche Probleme? Die Diskussion wird meiner Ansicht nach auf zwei Ebenen geführt, die sich scheinbar nicht miteinander vereinbaren lassen: Die Theorie der Rechtsmöglichkeit prallt auf die Praxis der Lebenswirklichkeit.Ich will diese beiden Ebenen durch zwei einfache Beispiele verdeutlichen, zunächst in der Sprache einer Staatsanwältin, die aus ihrer Erfahrung mit tatsächlich zur Anzeige gebrachten Fällen gegen dieVerlängerung anführt, daß bisher nur sehr wenigeFälle wegen Verjährung eingestellt werden mußten.Sie sagt: Derzeit werden die Taten überwiegend tatzeitnah zur Anzeige gebracht, d. h. bis spätestens ein halbes Jahr nach der letzten Tathandlung. Der Anzeige geht jeweils voraus, daß sich das Opfer einer Vertrauensperson offenbart hat, die den Weg zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft nicht scheut. Es handelt sich hierbei entweder um einmalige Vorfälle, die von Fremden oder flüchtig Bekannten begangen worden sind, oder um sehr tragische, länger andauernde Fälle von sexuellem Mißbrauch durch den eigenen Vater oder den nichtehelichen Lebensgefährten der Mutter. Obwohl der Beginn der länger andauernden Fälle oft schon Jahre zurückliegt, stellt sich das Problem der Verjährung nicht, da die Tat bis kurz vor der Anzeigeerstattung andauert. So die Staatsanwältin. So einfach ist das wohl leider nur manchmal.Das zweite Beispiel zeigt die Lebenswirklichkeit aus der Praxis einer Psychotherapeutin. Sie berichtet über eine Patientin, die im Alter von 23 Jahren zu ihr in die Therapie kam. Nach sexuellem Mißbrauch befragt, antwortete sie damals zunächst, daß sie mit 15 Jahren von ihrem Gitarrenlehrer vergewaltigt wurde. Das Anliegen der Patientin zu Beginn der Therapie war, diese Vergewaltigung zu verarbeiten, da sie scheinbar nicht damit fertig wurde.Erst im Laufe der Behandlung wurde dann deutlich, daß sie bereits seit dem Säuglingsalter von ihrem Vater mißbraucht worden war, später auch durch ihre Onkel und ihren Cousin. Um seine Tochter einzuschüchtern, den Mißbrauch nicht zu verraten, nahm er sie z. B. mit in die Schlachterei, in der er als Aushilfe arbeitete, zeigte ihr eine geschlachtete und zum Ausbluten aufgehängte Kuh und drohte, dieses mit ihr zu machen, wenn sie ihrer Mutter oder jemand anderem davon erzählen würde. Ein anderes Mal zerrte er das Kind auf einer unbelebten Straße vor sein Auto und blendete es mit Licht. Er drohte seiner Tochter, sie zu überfahren, wenn sie etwas sagen würde.Bei diesen massiven Drohungen kann man sich vorstellen, daß die Tochter schwerste Traumata erfahren hat. Diese Klientin ist nun seit einigen Jahren in Behandlung; seit einem Jahr ist bekannt, daß sie eine multiple Persönlichkeitsstörung entwickelt hat. Dies ist ihr Überlebenssystem gewesen. Diese Frau hat seit zwei Jahren einen Freund. Eine sexuelle Beziehung zwischen den beiden ist auf Grund ihres Mißbrauchs nicht möglich.Dieses Beispiel spricht meines Erachtens für eine starke Verlängerung des Verjährungsbeginns. Der Mißbrauch der Patientin im Säuglingsalter, der erst im Laufe der langwierigen Therapie nach Überschreiten des 24. Lebensjahres aufgedeckt wurde, wäre bei einer mit 14 Jahren beginnenden Verjährungsfrist von zehn Jahren bereits nicht mehr verfolgbar gewesen.Dieser krasse Fall stellt hoffentlich einen Extremfall und keinen Regelfall dar. Aber gerade die Vielschichtigkeit und Dramatik, die hier zum Ausdruck kommen, zeigen, worauf eine Antwort von uns erwartet wird. Das Beispiel zeigt auch, wie schwer es solche mißhandelten Kinder und Jugendlichen haben werden, sich als Erwachsene von dem massiven Druck
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Ilse Falkund der Angst zu befreien, sich im gesellschaftlichen Leben zurechtzufinden und nach normalen Maßstäben zu leben. Wenn sie sich dann, oft erst nach längeren Therapien, endlich dazu entschließen, den bzw. die Täter anzuzeigen, müssen sie häufig erfahren, daß die Taten bereits verjährt sind. Die Opfer können dann noch nicht einmal Genugtuung erhalten.Das bedeutet doch, daß wir nicht zuallererst Hilfe für die Opfer finden müssen, die sich bewußt und relativ zeitnah mit einer ihnen widerfahrenden Mißhandlung auseinandersetzen und dabei im Idealfall von erfahrenen Pädagogen, Psychologen, Juristen usw. unterstützt werden, sondern für diejenigen, die aus vielerlei Gründen erst viel später mühsam herausfinden, was ihnen vor langen Jahren angetan wurde. Es ist doch unsere klassische Aufgabe als Gesetzgeber, nicht für Funktionierendes Gesetze zu schaffen, sondern für Konfliktsituationen, die Menschen nicht allein bewältigen können.Natürlich bin auch ich für ein so zeitnahes Strafverfahren wie irgend möglich. Aber typisch für unser heutiges Thema ist doch gerade, daß es vielen Opfern erst mit Erreichen der Volljährigkeit möglich ist, sich rechtlich und tatsächlich aus dem Elternhaus zu lösen, daß die Verdrängung schlimmster Erlebnisse zwar ein Überlebensmechanismus ist, aber zu vielfältigen Fehlentwicklungen führen kann, die zunächst noch gar nicht die eigentlichen Ursachen vermuten lassen, daß erst die Erfahrung mißglückter Beziehungen, d. h. der Unfähigkeit zu Partnerschaft und Liebe, nach verborgenen Ursachen forschen läßt. Das braucht viel Zeit, unter Umständen auch über das 24. Lebensjahr hinaus.Daß bei so lange nach der Tat durchgeführten Strafverfahren die Beweisführung nicht einfach ist und ein Freispruch des Täters aus Mangel an Beweisen häufiger vorkommen kann, wird das Opfer vor Anklageerhebung abzuwägen haben. Allerdings will ich hier in aller Deutlichkeit noch einmal sagen, daß alle, die sich mit dem Straftatbestand sexueller Mißbrauch befassen, übereinstimmend bestätigen, daß sich die Taten bei den Opfern so intensiv einbrennen, daß ihre Glaubwürdigkeit auch nach Jahren nicht angezweifelt werden muß. Auf jeden Fall sind wir der Meinung, daß vier weitere Jahre Abstand zur Tat hier keine entscheidende Rolle spielen.
Lassen Sie mich einen letzten Grund nennen, der uns für 18 Jahre eintreten läßt. Ich meine die abschreckende Wirkung, die in der längeren Strafverfolgungsmöglichkeit liegt. Die ungeheure Hilflosigkeit und Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen führt doch dazu, daß die Täter mit Recht davon ausgehen können, daß ihre Opfer nicht reden können und sie selber wegen der laufenden Verjährung straflos ausgehen werden.Die geplante Verlängerung der Verjährung würde also die Generalprävention erhöhen. Denn, so das Bundesverfassungsgericht:Der generalpräventive Zweck der Strafe entfälltnicht durch ... Zeitablauf. Denn eine spätereBestrafung wirkt in jedem Fall abschreckender als die Freistellung von Strafe durch Verjährung.Zusammenfassend und abschließend bitte ich daher alle Kolleginnen und Kollegen, diesen Änderungsantrag zu unterstützen und dafür zu stimmen, die Verjährungsfrist von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr des Opfers ruhen zu lassen.
Nun spricht der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem sind sich heute alle einig: Der Schutz von Opfern sexueller Gewalt im Kindesalter muß verbessert werden. Gerade von den Tätern im engsten Familienkreis, insbesondere vom Vater, wird bewußt die Angst vor den Folgen einer Strafanzeige — Wegfall des Familieneinkommens, Verlust der Wohnung, Abschiebung des Kindes in ein Heim — geschürt, um die kindlichen Opfer zum Schweigen zu bringen. Erst die Loslösung aus der Familie bringt die Freiheit der Entscheidung. Bei sexuellem Mißbrauch im frühen Kindesalter kann deshalb bisher eine Verfolgungsverjährung eintreten.Die Praxis zeigt — Herr Professor Meyer, Sie haben das Gegenteil behauptet, aber Sie sind halt Professor und kein Praktiker —,
daß dies erfreulicherweise nur selten geschieht; denn die Taten werden in aller Regel nicht nur einmal begangen, sondern fortlaufend bis in das 15. oder 16. Lebensjahr des Opfers hinein, bis nämlich dann der erste Freund da ist. Bei einer fortgesetzten Handlung beginnt die Verjährung erst mit dem letzten Teilakt.Ich habe mich gerade als strafrechtlicher Praktiker für das Ruhen der Verjährung bis zum 14. Lebensjahr eingesetzt. Die Tat geschieht in aller Regel ohne direkte Zeugen. Da der Täter eine hohe Strafe zu erwarten hat — bis zu fünf Jahren bei dem sexuellen Mißbrauch, bis zu 15 Jahren bei der Vergewaltigung —, kämpft er besonders hart. Er weiß, daß seine Chance auf einen Freispruch mit jedem Tag, mit jedem Monat, mit jedem Jahr wächst.Familienangehörige, die häufig etwas ahnen, haben ihre Erinnerung verdrängt, weil sie damit auch ihr schlechtes Gewissen verdrängen können. Die Erinnerung von anderen Zeugen, die Verhaltensauffälligkeiten als Signal des Opfers schildern könnten, ist zunehmend verblaßt. Das Opfer selbst ist in der Gefahr, im Ablauf der Zeit Dinge zu verwechseln. Das ist die Erfahrung aus der Praxis, meine persönliche Erfahrung.Je mehr Zeit verstrichen ist, desto mehr wird die Verhandlung zum Heimspiel des Verteidigers und des Angeklagten. Das in die Zange genommene Opfer wird zum zweiten Mal zum Opfer. Es ist noch ein
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Jörg van Essendrittes Mal ein Opfer, wenn der Täter durch einen Freispruch von Staats wegen als unschuldig dasteht und das Opfer als Lügnerin. Frau Kollegin Falk, in Ihrem Beispielfall wäre mit Sicherheit ein solcher Freispruch erfolgt.In der Schweiz — auch das ist interessant — hat gerade die Sorge um die Opfer zu einem genau umgekehrten Ergebnis geführt.
Dort hat man die Verjährung auf fünf Jahre begrenzt, um so die Chancen für das Opfer, eine Verurteilung des Täters zu erreichen, zu erhöhen.Wir haben in der F.D.P.-Fraktion von einem medizinischen Sachverständigen gehört, daß Opfer von sexueller Gewalt im Kindesalter sehr schnell aus der Familie herausdrängen, im Schnitt etwa mit dem 17. Lebensjahr. Ich denke, das ist eine natürliche Reaktion. Bei einem Ruhen der Verjährung bis zum 14. Lebensjahr besteht damit eine siebenjährige Entscheidungsfrist, bei der Vergewaltigung sogar eine 17jährige Entscheidungsfrist. Auch bei Opfern, die eine längere schulische Ausbildung haben, erfolgt in der Regel mit dem Beginn des Studiums ein Ortswechsel. Damit steht auch eine ausreichende Zeit für eine freie Entscheidung zur Verfügung.Der Schaden der Opfer durch einen Freispruch ist zu groß und damit auch ihr Schutz zu notwendig, als daß man diese Frage als Reckstange benützen könnte, urn politische Klimmzüge zu üben.Die Verjährung ist außerdem keine juristische Spielkiste zur freien Bedienung für jedermann. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert zu Recht, daß die Strafe der Tat in angemessener Zeit zu folgen hat. Dies ist ein Menschenrecht.Der Bundestag hat eine seiner Sternstunden in der Debatte über die Verjährungsverlängerung für die Massenmorde der Nazis erlebt. Trotz der Ungeheuerlichkeiten der Taten hat es bemerkenswerte Debattenbeiträge für den Eintritt der Verjährung gegeben. Ich empfehle jedem, diese Debatte noch einmal nachzulesen.
Unser Land hat bereits jetzt im europäischen Vergleich die längsten Verjährungsfristen. Leider haben wir die Sensibilität unserer Kollegen in dieser Frage nicht mehr, wie die Debatte im vergangenen Jahr über die Verjährungsverlängerung bei Bagatellstraftaten von Tätern in der ehemaligen DDR gezeigt hat.Der Schutz der Opfer und die rechtspolitische Vernunft gebieten die Lösung, die der Rechtsausschuß mit seiner Mehrheit beschlossen hat.Ich darf Sie herzlich um Zustimmung bitten.
Und nun hat als nächstes Frau Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Er ist weit verbreitetund wird immer noch weitgehend verschwiegen — der sexuelle Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen. Nach Schätzungen des Bundeskriminalamtes fallen jährlich jedes vierte Mädchen und eine wachsende Anzahl von Jungen sexueller Gewalt zum Opfer.Die Täter sind zu 96 % Männer, und zwar vor allem Männer aus dem sozialen Nahbereich der Kinder und Jugendlichen — der Familie und dem Kreis enger Freunde der Familie. Der sexuelle Mißbrauch ist trotz aller Beschwörungen einer Heile-Welt-Familienidylle ein deutlicher Hinweis auf den Gewaltcharakter und die patriarchalen Machtstrukturen familiärer Beziehungen sowie auf die allgemeine Krise, in der die Familie gegenwärtig steckt.Sexueller Mißbrauch ist keine Zufallsentwicklung, sondern Ergebnis eines oft jahrelangen Konfliktes in der Familie, der von allen Beteiligten geleugnet wird.Dieser Umstand, daß sich die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen nicht von der Diskussion über den Charakter der Institution Familie trennen läßt, hat entscheidenden Anteil daran, daß es um die Frage der Verlängerung von Verjährungsregelungen für diese Straftaten so heftige Diskussionen in allen Ausschüssen gab.Mit rechtsdogmatischen und rechtssystematischen Begründungen wurden dabei alle Versuche abgeschmettert, die Verjährung so lange ruhen zu lassen, wie eine tatsächliche Verfolgung aus den unterschiedlichsten Gründen, wie z. B. der Isolation der Opfer in den Familien und der damit verbundenen Vorstellung eigenen Versagens, wegen eines mißbrauchten Verantwortungsgefühls für den Fortbestand der Familie, wegen materieller und finanzieller Abhängigkeiten und nicht zuletzt wegen der altersmäßig bedingten Unreife der Persönlichkeit der minderjährigen Opfer aus tatsächlichen Gründen gar nicht möglich ist.Obwohl doch unstrittig ist, daß der Gesetzgeber bei der ursprünglichen Festlegung der Verjährung von Sexualstraftaten die Problematik nicht in vollem Umfang berücksichtigt hat, gibt es in allen Fraktionen, ich denke doch, in erster Linie Männer, die trotz der ziemlich eindeutigen Ergebnisse der Anhörung des Rechtsausschusses das abstrakte Prinzip des allgemeinen Rechtsfriedens höher stellen als den erforderlichen Opferschutz.Sie können diesen Worten entnehmen, daß ich ebenso wie die Mehrheit meiner Gruppe diese Ansichten nicht teile und deshalb heute dafür eintrete, zumindest die Verjährungsfrist bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Opfer zu verlängern.Für geboten hielten wir in diesem Zusammenhang auch die Schaffung von unterstützenden Möglichkeiten sowie psychologischem Beistand zur Betreuung Betroffener gegen sexuellen Mißbrauch, und zwar für Täter und Opfer.Andererseits ist diese Haltung der Regierungskoalition meiner Meinung nach nur konsequent. Solange Vergewaltiger in der Ehe noch straffrei ausgehen, solange immer wieder versucht wird, in Vergewalti-
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Dr. Barbara Höllgungsprozessen Frauen als die eigentlich schuldigen Verführerinnen hinzustellen, solange laut Gleichberechtigungsgesetz die sexuelle Belästigung durch Frauen erkennbar abgelehnt werden muß, um Sanktionen herbeizuführen, so lange ist gar nicht beabsichtigt, den Mißbrauch von Macht im sexuellem Bereich wirklich zu bekämpfen.Die Botschaft, die von solchen Gesetzentwürfen wie dem heutigen, der die Verjährungsfrist nur bis zum 14. Lebensjahr festlegt, an die Täter geht, halte ich für verheerend. Der Rat an potentielle Opfer kann doch dann fast nur noch lauten: Nehmt nichts Süßes von Fremden! Und traut ja nicht euren Vätern, Brüdern und Großvätern!Wenn das Realität würde, dann, muß ich sagen, wären wir doch wohl hier in diesem Staate nicht sehr weit mit der Zukunft, wenn wir so mit der Zukunft unserer Kinder umgehen.Ich danke Ihnen.
Nun hat die Kollegin Frau Christina Schenk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die einmalige Chance, mit Hilfe einer fraktionsübergreifenden Mehrheit ein Gesetz zu verabschieden, das dazu geeignet ist, Kindern, vor allem Mädchen, einen etwas besseren Schutz vor sexuellen Übergriffen zu gewähren.
Der jetzt vorliegende, veränderte SPD-Entwurf, dem zufolge das Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr nur für die §§ 176 bis 179 und nicht mehr für den § 174 gelten soll, ist zwar aus unserer Sicht nur die drittbeste Lösung, aber wenn sie hier im Haus eine Chance auf Erfolg hat, werden wir ihr selbstverständlich nicht im Wege stehen.
Der ursprüngliche SPD-Entwurf, nach dem die Verjährungsfrist auch die Straftaten nach § 174 einschloß, war die zweitbeste Lösung. Ich glaube, niemand hier im Hause wird es mir verdenken, wenn ich nach wie vor meinen eigenen Vorschlag für die tatsächlich angemessene Regelung halte.
Zur Erinnerung: Ich habe hier einen Antrag auf Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 21. Lebensjahr und auf eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre gestellt. Nach meinem Modell hätte eine Frau wesentlich länger — genau bis zum Ende ihres 51. Lebensjahres Zeit —, um sich über das, was ihr in ihrer Kindheit angetan wurde, klar zu werden und Anklage zu erheben.
Meine Damen und Herren, daß jetzt eine grundsätzliche Verbesserung der Rechtslage für die Opfer sexueller Gewalt in greifbarer Nähe ist, ist — und ich glaube, es gibt allen Grund, das hier auch klar zu sagen — vor allem den CDU-Frauen zu verdanken, die im Ausschuß Frauen und Jugend geschlossen für den Antrag der SPD gestimmt haben.
Im Rechtsausschuß, der sich dieses Themas ein Jahr später annahm, stimmte immer noch eine Mehrheit, bestehend aus Abgeordneten der SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und den Frauen der CDU/CSU für den Antrag der SPD. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Bis sich dann, aus mir völlig unerfindlichen Gründen, Mitglieder der F.D.P., vor allem Herr van Essen, vehement dafür eingesetzt haben, daß der Gesetzentwurf der SPD nicht verabschiedet wird und die Verjährungsfristen nur noch bis zum 14. Lebensjahr ruhen sollen.
Ich frage wirklich, was treibt die F.D.P. dazu, sich so vehement für einen verbesserten Täterschutz einzusetzen? Die Argumentation, Herr van Essen, die Sie hier gebracht haben, hat mich in keiner Weise überzeugt und ist auch durch die Darlegungen in der Anhörung widerlegt worden. Einen rationalen Grund gibt es also nicht. Wie ich schon sagte, hat die Anhörung dazu kein einziges triftiges Argument gebracht, daß die Verjährungsfrist nicht bis zum 18. Lebensjahr ruhen soll.
Wer schon die Rechtssystematik ins Feld führt, gibt damit meines Erachtens zu, daß er im Grunde genommen keine Argumente hat. Die Behauptung, daß nach langen Zeiten Beweisschwierigkeiten in den Prozessen auftauchen könnten, ist ebenso wenig stichhaltig: Schließlich beträgt die Verjährungsfrist bei Vergewaltigungen 20 Jahre, und die Beweisprobleme sind dort nicht weniger gravierend.
Ganz schlimm finde ich es, wenn gesagt wird, ein Ruhen der Verjährung bis zum 18. oder bis zum 21. Lebensjahr sei dem Rechtsfrieden nicht dienlich. An wessen Frieden denken denn diejenigen, die dieser Auffassung sind: an den Frieden der Opfer oder an den der Täter? Das ist doch hier die Frage.
Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Unsere Solidarität gehört den Opfern solcher Verbrechen. Wir werden hier einer entsprechend positiven Regelung die Zustimmung geben.
Nun hat die Kollegin Frau Anni Brandt-Elsweier das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor etwa 10 Jahren entdeckte die deutsche Öffentlichkeit endlich den sexuellen Mißbrauch des Kindes. Seitdem gab es zahlreiche Publikationen zu diesem so lange tabuisierten Thema, das Staatsanwaltschaften, Psychologen und Frauenberatungsstellen gleichermaßen beschäftigt.Den einen wird Hysterie vorgeworfen, den anderen Verharmlosung des Problems, Nur: Den in ihrer Jugend mißbrauchten Frauen und Männern ist der Streit darum, ob es jetzt Hysterie oder Verharmlosung ist, völlig gleichgültig. Sie wollen Gerechtigkeit.
Tatsache ist, daß Befragungen von Erwachsenen über ihre eigene Kindheit befürchten lassen, daß jedes vierte Mädchen und jeder zwölfte Junge sexuell mißbraucht wurde. Das Bundeskriminalamt geht von etwa 60 000 Opfern im Jahr aus, mit steigender
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Anni Brandt-ElsweierTendenz. Angezeigt wurden 1992 lediglich 16 442 Vergehen. Daß also nicht einmal ein Drittel der Verbrechen aktenkundig wurde, macht deutlich, wie hoch die Schamgrenze der Mißbrauchten immer noch ist.Es ist darüber hinaus aber auch ein Hinweis darauf, wie gering die Hoffnung der jungen Frauen und Männer ist, in einem Gerichtsverfahren Gerechtigkeit zu erfahren. Dies habe ich in vielen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstelle in meinem Wohnort in Neuss erfahren müssen. Diese Gespräche und die Anhörung vom Januar 1993 haben mich überzeugt, daß es in der Praxis von großer Bedeutung ist, ob nun die Verjährung bis zum 14. oder bis zum 18. Lebensjahr ruht.Die Bundesregierung geht davon aus, daß aus Gründen der Rechtssicherheit, der zunehmenden Schwierigkeiten in der Beweisführung und dem Schutz der Familie hier ein früherer Beginn der Verjährungsfrist geboten ist. Außerdem bezweifelt sie, daß es einer Frau wirklich hilft, wenn sie etwa 20 Jahre nach der Straftat noch die Verurteilung eines engsten Verwandten erreicht.Hier müssen sich die Damen und Herren, die dies vertreten, die Frage gefallen lassen, ob die Begriffe Rechtssicherheit, Beweisführung und Schutz der Familie nicht in erster Linie einen Täterschutz bedeuten;
denn Probleme der Rechtssicherheit und der Beweisführung dürfen nicht dazu führen, daß den Opfern die Möglichkeit genommen wird, Gerechtigkeit einzufordern.Die dramatischen Langzeitfolgen des Mißbrauchs in der Kindheit sprechen eindeutig gegen einen Beginn der Verjährung ab dem 14. Lebensjahr. Die Mehrheit der Hilfesuchenden in den Beratungsstellen braucht eine lange Zeit, um zu erkennen, daß ihr Partnerschafts- oder Suchtproblem auf einen in der Kindheit erlittenen sexuellen Mißbrauch zurückzuführen ist. Schnelle Strafanzeigen sind nach Erfahrungen der Expertinnen unrealistisch, vor allem im jugendlichen Alter. Zunächst ist die Verdrängung für die mißbrauchten Jungen und Mädchen die einzige Chance, in ihrer ganzen Wehr- und Hilflosigkeit zu überleben, denn immer sind sie vom familiären Täterkreis abhängig.Solange diese Abhängigkeit besteht, sind sie in den seltensten Fällen, meist nur mit Hilfe von Erwachsenen, in der Lage, überhaupt etwas gegen die Täter zu unternehmen. Die Lösung aus dieser familiären Abhängigkeit ist aber frühestens mit 18 Jahren möglich, während die Folgen des sexuellen Mißbrauchs, z. B. Medikamentenabhängigkeit, Eßstörungen, Alkoholismus und auch Depressionen, oft erst viel später auftreten. Dies, meine Damen und Herren, macht deutlich, daß die selbstzerstörerische Wirkung der in der Kindheit erlittenen Gewalt eben nicht mit dem 24. Lebensjahr endet.Die Opfer sexueller Gewalt in der Kindheit brauchen Zeit, um sich klar darüber zu werden, ob sie denTäter anzeigen wollen oder nicht. Aber diese Entscheidung müssen wir ihnen ermöglichen, indem wir für ein Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr stimmen; denn angesichts der Schwere der Tat eines sexuellen Mißbrauchs in der Kindheit, der das gesamte Leben eines Menschen prägt und zerstören kann, der Seelenmord ist, müssen die Opfer selbst entscheiden können, ob sie ein Gerichtsverfahren wünschen oder nicht.
Das Strafrecht würde diese Möglichkeit geben, wenn die Verjährung erst mit dem 18. Lebensjahr beginnt. Nur so haben die Opfer die Chance, daß ihnen Genugtuung widerfährt, und nur so besteht auch die Chance, die Generalprävention zu erhöhen.Die Frauen und Männer, die sich als Erwachsene einem Dritten offenbaren, würden die Tatsache der Verjährung des an ihnen begangenen Verbrechens als ein neues erschreckendes Unrecht erfahren — ein Unrecht, das sie wie in ihrer Kindheit wiederum wehrlos und hilflos macht. Wenn sich aber das Opfer zur Anzeige entschließt, kann die Verfolgung des Unrechts mit Hilfe eines Strafverfahrens oft eine heilsame Wirkung haben, weil dadurch das Tabu endgültig durchbrochen wird.Wir sollten den Opfern diese Chance geben.
Nun spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt, daß wir alle den Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch auf jeden Fall sichern wollen. Die Folgen dieses Mißbrauchs bei den Kindern sind lebenslange Angst, Bindungsunfähigkeit und sexuelle Probleme im Erwachsenenalter. All das ist in der vorangegangenen Debatte deutlich geworden. Man kann von dem, was eben gesagt worden ist, nicht unbeeindruckt sein.In einer Rechtsordnung muß aber auch gleichzeitig berücksichtigt werden, ob die Regelung, die mit dem Änderungsantrag gewünscht wird, dem Rechtsstaatsprinzip entspricht. Die Regelung, die der Rechtsausschuß gefunden hat, wird von der Bundesregierung geteilt, denn das Rechtsstaatsprinzip unseres Grundgesetzes erfordert, daß eine Aburteilung des Täters auch in angemessener Zeit erfolgt.
— Nein, das ist keine Frage des Täterschutzes, sondern das ist eine Frage unseres Rechtsstaatsprinzips.
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Parl. Staatssekretär Rainer FunkeWenn Sie „Täterschutz" sagen, so würde das auch für alle anderen Straftaten gelten.
Sie ist im Grunde genommen auch im Interesse der Opfer selbst geboten, denn den Interessen der Betroffenen ist nicht schon damit Genüge getan, daß ihnen realistische Möglichkeiten zur Anzeigeerstattung eingeräumt werden. Erforderlich ist vielmehr auch, daß diese Anzeigen im größtmöglichen Umfang zu Verurteilungen führen, Frau Kollegin,
die dem begangenen Unrecht auch angemessen sind. Für äußerst fatal hielte ich es, wenn den Betroffenen zwar ein erheblicher Zeitraum zur Anzeigenerstattung zur Verfügung gestellt würde, es in einem nachfolgenden Strafverfahren jedoch zu Freisprüchen oder zur Verhängung von aus Opferperspektive unverständlich milden Strafen käme.
Solche Erlebnisse könnten für die Opfer erneut traumatisierend sein.
Eine derartige Gefahr ist jedoch bei zu weit gehendem Hinausschieben des Verjährungseintritts nicht von der Hand zu weisen; darauf hat Kollege van Essen, wie ich meine, zu Recht hingewiesen.
— Herr Kollege Meyer, wir wollen uns nicht streiten, wer mehr wiederholt hat.Lassen Sie mich aber eines sagen. Die Beweismittel werden mit Hinausziehen des Verjährungseintritts nicht verbessert. Sie wissen als erfahrener Strafprozessualist, Herr Professor Meyer, daß es mit jedem Jahr schwieriger wird, hier zu einer angemessenen Verurteilung zu kommen. Vor diesem Hintergrund meine ich, daß ein Ruhen der Verjährung bis zum 14. Lebensjahr des Opfers angemessen wäre. Beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt zu laufen, so hat das Opfer in jedem Fall die Gelegenheit, nach Erreichen der Volljährigkeit Anzeige zu erstatten, also zu einem Zeitpunkt, in dem es regelmäßig zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung in der Lage sein dürfte.Lassen Sie mich abschließend eine Bemerkung fernab von den strafrechtlichen Fragen machen. Bei allem Bemühen urn eine effektive strafrechtliche Aufarbeitung dürfen wir eines nicht aus dem Auge verlieren. Im Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern kann das Strafrecht nicht das Allheilmittel sein. Wenn es zum Strafverfahren kommt, ist es für das Opfer in der Regel schon langst zu spät. Die Tat mit ihren verheerenden Folgen läßt sich nicht mehr ungeschehen machen. Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um noch einmal zu betonen: Prävention ist die beste Kriminalpolitik. Gesellschaft und Familie sind hier gefordert. Gerade auch in diesem Bereich gilt esanzusetzen, wenn man verhindern will, daß Kinder überhaupt erst zu Opfern werden.Vielen Dank, soweit Sie Ihre Aufmerksamkeit mir geschenkt haben.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erhält Uta Würfel.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe meine Fraktion davon unterrichtet, daß ich dem Beschluß des Rechtsausschusses nicht folgen kann und daß ich dafür votiere, daß ein mißbrauchtes Kind bis zum Alter von 28 Jahren den Peiniger anzeigen kann. Ich begründe das wie folgt:Fristen für die Verjährung von Verbrechen richten sich nach dem Straftatbestand und dem Strafmaß, mit dem eine Straftat bedroht ist. Vergewaltigt ein erwachsener Mann eine erwachsene Frau, verjährt die Tat nach 20 Jahren. Fügt ein erwachsener Mann, meist der Vater, einem kleinen Mädchen im Alter von vier, fünf, sechs Jahren ein jahrelanges Martyrium zu und begeht er dabei hundertmal im Jahr einen Mord auf Raten an der Seele des kleinen Mädchens oder des kleinen Jungen, wie heute in Hannover verhandelt worden ist, dann verjährt dieses Verbrechen bereits nach zehn Jahren.Es gibt genügend Juristen, die heute noch aus durchaus auch nachvollziehbaren Gründen, aus rechtsdogmatischen Gründen, der Meinung sind, diese Verjährungsfrist sei immer noch ausreichend. Wir müssen uns hier heute natürlich davor hüten, diejenigen, die der Meinung sind, das Einsetzen der Verjährung ab dem 14. Lebensjahr sei sachgerecht, zu Freunden von Kinderschändern zu stempeln, genauso wie wir für uns in Anspruch nehmen, wenn wir darüber so sprechen, nicht unbedingt sexuell mißbrauchte Jugendliche oder Frauen gewesen zu sein.Ich habe mich aber bei all den Diskussionen, die wir in der Vergangenheit hatten, immer gefragt, ob die Verfasser unseres Strafrechts wirklich bedacht haben, was es für die Seele und den Körper eines kleinen Kindes bedeutet, schmerzende, wiederholte, ja jahrelang vorgenommene sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen zu müssen. Hatten die Juristen, die aus rechtsdogmatischen Gründen mit der Verjährung nach zehn Jahren nach Tatende einverstanden waren und heute noch sind, einen Begriff von der Personalität der Täter, die das Kind wie der Kindergärtner aus Coesfeld — der Prozeß läuft auch seit einigen Tagen —mit massiven Drohungen zum Schweigen gebracht haben wie: Große schwarze Spinnen kommen über dich! Deine Eltern werden erschossen, wenn du etwas sagst! Du bist schuld, wenn jetzt euer Haus abbrennt! Du kommst in ein Heim! oder: Deine Mutter wird krank oder stirbt!?Wir wissen durch die Anhörung im Rechtsausschuß, daß die Täter — in der Regel also Großvater, Vater, Onkel oder Bruder —, die über Jahre so verbrecherisch an Kinderkörpern und -seelen handeln, nach sexuellen Handlungen an Kindern süchtig sind. Das
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19508 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Uta Würfelheißt also, Herr van Essen, daß viele Täter auf ein bestimmtes Alter der Kinder fixiert sind und ihre Opfer nur deshalb aufgeben, um sich ein anderes, jüngeres Opfer zu suchen. Das ist das Ergebnis der Anhörung, das ich hier vortrage.
Ist ihnen die Tochter zu alt geworden, vergehen sie sich an den Nachbarskindern oder befriedigen sich an der jüngeren Schwester.
In der Anhörung wurde weiterhin geäußert: Die schweren Folgen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen rechtfertigen eine Strafverfolgung auch noch nach vielen Jahren. Die Tatsache des Verjährtseins der Straftat erleben die Opfer als Erwachsene als erneutes Unrecht. Sie wollen durch eine öffentliche Erörterung in einer Gerichtsverhandlung die Schuld des Täters festgestellt wissen.Zum Abschluß: — —
Frau Kollegin, das geht nicht um diese Zeit.
Ich begründe mein Votum.
Ja, und da sollten Sie vielleicht hin und wieder darauf hinweisen, warum Sie das tun.
Aha. — Ich begründe noch einmal, warum ich dafür plädiere, daß diese Peiniger, diese Täter bis zum 28. Lebensjahr des Opfers angezeigt werden können.
Das Bundesverfassungsgericht sagt, daß der generalpräventive Zweck der Strafe nicht durch Zeitablauf entfällt und daß eine spätere Bestrafung in jedem Fall abschreckender wirkt als die Freistellung der Strafe durch Verjährung. Ich bin der Meinung, daß diese Verbrecher in Zukunft wissen müssen, daß sie wesentlich länger als bisher von einem Ermittlungsverfahren und von Strafe bedroht sind, wenn das Kind erwachsen geworden ist. Da zählt jeder Monat, da zählt jede Woche, und da zählt jedes Jahr. Deshalb ist die Verlängerung bis auf das 28. Lebensjahr das mindeste, was wir in diesem Fall als Frauen fordern.
Es liegt noch eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung vom Kollegen Eylmann vor. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zu den Verjährungsfristen bei Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen auf den Drucksachen 12/2975 und 12/6980 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7414 und ein Änderungsantrag der Abgeordneten Ursula Männle, Claudia Nolte, Dr. ElseAckermann und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 12/7438 vor. Mit beiden Anträgen soll das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers hinausgeschoben werden. Da die beiden Änderungsanträge inhaltsgleich sind, lasse ich über sie gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für diese Änderungsanträge? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit sind diese Änderungsanträge mit großer Mehrheit angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Interfraktionell ist vereinbart, trotz der angenommenen Änderungsanträge unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6980 empfiehlt der Rechtsausschuß, den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3825 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 9:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt— Drucksache 12/6910 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Treuhandanstalt
— Drucksache 12/7429 —Berichterstattung:Abgeordnete Wilhelm Rawe Manfred Hampelb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7431 —Berichterstattung:Abgeordnete Arnulf Kriedner Helmut EstersDr. Wolfgang Weng
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Vizepräsidentin Renate SchmidtDazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Die Kollegen, die zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen wollten, bitten, ihre Redebeiträge zu Protokoll geben zu dürfen. Besteht Zustimmung dazu? — Dies ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Wir müssen dennoch die notwendigen Abstimmungen darüber durchführen und kommen jetzt deshalb zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt auf den Drucksachen 12/6910 und 12/7429. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7439 und ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/7432 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag ebenfalls abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung so angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Beratung mit deutlicher Mehrheit angenommen.Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Wallow, Hans-Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEinflußnahme der Bundesregierung auf Rundfunksendungen— Drucksache 12/7418 —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht dazu irgendeine Art von Widerspruch? — Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hans Wallow das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Einstimmung auf das Thema einige Kostproben von der finanzierten amtlichen Öffentlichkeitsarbeit. Es handelt sich hierbei um Rundfunkkommentare dieser Regierung.Ich zitiere: „Mit neuem Elan" steigt Helmut Kohl „in den Ring", „duldet keine Extratouren" und ist „entschlossen, das Klassenziel 1994 zu erreichen". Rudolf Scharping dagegen ist „zu einem Eiertanz gezwungen", steuert „ein Schiff, das Schlagseite hat, undkann kaum die Regierungsfähigkeit seiner Partei nachweisen".
Aber damit nicht genug! Über zwei von insgesamt acht Pressediensten finanziert die Bundesregierung mit Staatsgeldern in sechsstelliger Höhe die werktägliche Herausgabe von Kommentaren für ca. 120 kleine und mittlere Tageszeitungen. Auch hier erleben wir das gleiche Schwarz-Weiß-Muster. Ich zitiere:
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Hans WallowEinige Male hat Kohl recht behalten und ist aus seinem demoskopischen Tief wie Phönix aus der Asche emporgestiegen. Er selbst glaubt ganz offensichtlich wieder daran. Es kann sich nicht nur um Zweckoptimismus handeln.So der Jubelkommentator.Dem Bundeskanzler werden in diesen Kommentaren seherische Fähigkeiten angedichtet.
— Außer ihm sieht keiner die blühenden Landschaften, vielleicht noch Herr Ferenczy. Bloß kriegt der 300 000 DM im Jahr dafür, daß er sie auch sieht.
— Seien Sie vorsichtig, Herr Kollege.Der Kanzlerkandidat der SPD, Rudolf Scharping, wird nach diesem Muster wieder abwertend behandelt.
Ich zitiere:Parteichef Scharping agierte in seiner unnachahmlichen Art, gemach, gemach. Er erinnert eher an einen bedächtigen Geistlichen als einen dynamischen Politiker, der Deutschland zu neuen Ufern führen und Kanzler Kohl als Rentner nach Oggersheim schicken will.
Das wird er tun; verlassen Sie sich darauf.Wie ist die amtliche Reaktion auf die Kritik an derart mit Steuergeldern finanzierten Kommentaren? Erst haben Sie gesagt: Wir finanzieren keine Kommentare. Dann waren es zwei: nur ein Ausrutscher. Mittlerweile etwas leiser: zwölf.
Jetzt sind es zwanzig.
— Stellvertreter sicher nicht.
Nun sagt die Regierung, die privaten Agenturen trügen die redaktionelle Verantwortung. — Seien Sie doch nicht so nervös! — Das soll heißen, sie seien unabhängig. Das ist wieder nur die halbe Wahrheit. Denn viele Beiträge basieren auf dem Informationsmaterial der Regierung und werden thematisch vorher abgesprochen. Außerdem wird jede private Agentur, die sich in wirtschaftlicher Abhängigkeit von Staatsaufträgen befindet, schon auf Grund dieses Interesses an weiteren Aufträgen bestrebt sein und damit die Informationsziele der Regierung berücksichtigen.
Auch hier gilt wie so oft bei Ihnen: Der „Zwick" heiligt die Mittel.
Nun hat aber der Regierungssprecher, der Staatssekretär Vogel, der gleich nach mir reden wird, am 20. März zugegeben, daß die Agenturprodukte „danach" kontrolliert werden. Also: Wenn der Agenturjournalist weiß, daß er danach von seinem Auftraggeber, vom Ministerialrat Weißmacher
oder Frau Regierungsdirektorin Dr. Isolde Schönfärber, kontrolliert wird, dann ist die journalistische Unabhängigkeit ein absolutes Hirngespinst.
Es ist nicht falsch, wenn die Bundesregierung behauptet,
die Redaktionen könnten die mit Steuergeldern gesponserten Beiträge ablehnen oder verändern. Aber wer will es den finanzschwachen regionalen Rundfunkveranstaltern und kleinen Tageszeitungen übelnehmen, wenn sie darin eine Chance sehen, erhebliche Mittel einzusparen und an Stelle selbsterarbeiteter Beiträge die kostenlosen, fertigen, vom Staat gesponserten Kommentare verwenden?
Im Ergebnis heißt das — hören Sie gut zu —:
Die Bundesregierung verstößt gegen das Verfassungsgerichtsurteil von 1966 über die Funktion der Presse. Danach ist es eine unanfechtbare Tatsache, daß die öffentliche Aufgabe der Presse nicht vom Staat erfüllt werden darf.
Die Bundesregierung verstößt gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977. Danach ist es verboten, „offen oder versteckt Werbung für die Regierungsparteien zu betreiben oder sich mit negativem Akzent oder sogar herabsetzend über die Oppositionsparteien und deren Wahlbewerber zu äußern. "Die Bundesregierung verstößt gegen den Rundfunkstaatsvertrag von 1991: Nach Art. 6 Abs. 7 ist Werbung politischer Art unzulässig. Darüber hinaus untersagt der § 7 Abs. 5 den politisch Werbenden auch das Sponsoring. Nach § 7 Abs. 6 dürfen Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen generell nicht gesponsert werden.
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Hans WallowDie Bundesregierung verstößt außerdem gegen die Bundeshaushaltsordnung. Denn alle mit Steuergeldern erkauften journalistischen Leistungen müssen im Sinne der vom Parlament bewilligten Zweckbestimmung quantitativ und qualitativ geprüft werden.Aber es geht nicht nur um die Rechtswidrigkeit. Bestürzender ist die raffinierte Tarnung, mit der das heimliche Treiben verborgen werden soll. Den Hörern und Lesern soll freie Meinungsäußerung vorgespielt werden, die Rundfunkanstalten und Zeitungsredaktionen sollen nicht wissen, daß ihnen gutbezahlte Lohnschreiber zuarbeiten, sollen glauben, daß es sich zwar um bezahlten, doch um unabhängigen Journalismus handelt. Diese Täuschung wiegt in den Augen der Bevölkerung schwerer als manche Ihrer Fehlentscheidungen. So produziert man Staatsverdrossenheit.Wir befinden uns seit dem 16. Februar 1994 in der Vorwahlzeit. Ich fordere Sie auf, alle Berichte für Rundfunk und Zeitungsredaktionen zu kennzeichnen, von mir aus etwa mit „Gesponsert by Helmut Kohl",
und vor allem die Finanzierung auch teilweise von Kommentaren für Rundfunk und Privatmedien sofort einzustellen.
Bei der Produktion von Kommentaren hat der Staat nichts zu suchen.
Wir wollen keinen Streit vor Gericht austragen. Zwingen Sie uns nicht dazu!
Nun spricht Herr Staatssekretär Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sie werden verstehen, Herr Abgeordneter Wallow, daß wir im Presseamt die Arbeit dieser Behörde ein wenig anders sehen, als Sie sie eben geschildert haben.
Jedermann, der sich dafür interessiert, weiß, daß dieses Amt seit Adenauers Zeiten auch mit literarischen Agenturen zusammenarbeitet. Diese Agenturen beliefern Zeitschriften und Zeitungen mit Kommentaren, mit Nachrichten, mit Reportagen, und solche Materialien werden seit den 70er Jahren — ich betone: seit den 70er Jahren — auch den Rundfunkanstalten angeboten — ich betone auch: angeboten —, nicht mehr.
Seit Ende der 80er Jahre, nach der sprunghaften Vermehrung von privaten Rundfunkanstalten, ist das auch in einer speziell für Rundfunk aufgearbeiteten Form geschehen. Das alles ist nichts grundsätzlich
Neues, jede Regierung hat es für richtig gehalten — und daran wird sich vermutlich nichts ändern —, Argumente zu fördern, die ihr, der Regierung, überwiegend richtig erscheinen. Auch für den Hörfunk haben die Agenturen in eigener redaktioneller Verantwortung Beiträge auf der Basis von Veröffentlichungen hergestellt, die jedermann zugänglich sind, Veröffentlichungen der Bundesregierung.
Die Bundesregierung — das ist völlig richtig, wird gar nicht bestritten — trägt zur Finanzierung derartiger Produktionen bei.
Das Bundesinnenministerium hat in einer Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wallow bestätigt, daß diese Praxis verfassungsrechtlich erlaubt und unproblematisch ist, auch in einem Wahljahr, auch in Vorwahlzeiten. Diese Praxis ist auch überhaupt nicht geheimnisumwittert oder konspirativ. Es gibt keine Geheimfonds im BPA; unsere Konten liegen für jeden Abgeordneten offen, der sie sehen will. Die Journalisten wissen ganz selbstverständlich, Herr Abgeordneter, daß eine Sendung, ein Beitrag, der ihnen gratis angeboten wird, sich mit der Meinung eines Interessenten deckt oder decken kann. Das soll übrigens manchmal auch für bezahlte Beiträge gelten.
Das Interesse aller Bundesregierungen — ich betone: aller Bundesregierungen — an einer solchen Produktion ist schon im Jahre 1978 sehr trefflich von dem damaligen Abteilungsleiter Inland des Bundespresseamtes beschrieben worden. Er hat damals gesagt:
Ein großer Teil derer, die sich solcher Kommentardienste bedienen, hat sonst keinen kommentierenden Berichterstatter in Bonn und wäre ohne Artikeldienst ausschließlich auf Agenturen angewiesen. Die politische Relevanz für die Bundesregierung
— so im Jahre 1978 —
besteht darin, daß sie durch politische Artikeldienste in gewissem Umfang in der Tagespresse präsent ist.
Herr Staatssekretär, würden Sie mal einen Luftschnaufer tun? Dann könnte ich Sie fragen, ob Herr Conradi eine Zwischenfrage stellen darf.
Dieter Vogel, Staatssekretär: Gern. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte.
Herr Staatssekretär, ist an diesen Aufträgen der Regierung auch der ehemals von der Firma Daimler-Benz bezahlte Journalist Boenisch beteiligt, der für seine Tätigkeit Geld auf Schweizer Konten bekam, d. h., haben Sie auch mit dieser Art von Journalisten zu tun?Dieter Vogel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ob Sie es glauben oder nicht, ich kenne die Journalisten nicht, die für solche Agenturen arbeiten. Wenn ich
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Staatssekretär Dieter VogelHerrn Boenisch richtig beurteile, wird er nicht dazu gehören.
— Ich habe nur eine Annahme ausgesprochen. Ich möchte hier wirklich nicht den Eindruck erwecken, daß ich eine Praxis schon deshalb für richtig hielte, weil sie auch frühere Regierungen angewandt haben.
— Das kann ich nicht völlig ausschließen, Herr Abgeordneter.Man muß sich doch wirklich fragen, warum heute auf einmal völlig andere Maßstäbe angewandt werden sollen als vor zwölf Jahren.Um es ganz klar zu sagen: Wir bezahlen seitens des Presseamts keine Meinungen, sondern finanzieren ein Vehikel, mit dessen Hilfe Meinungen öffentlich werden. Das sind nicht Meinungen der Regierung. Aber es gibt eben Journalisten — auch wenn es der eine oder andere nicht glauben mag —, die nicht nur mit der Regierungspolitik grundsätzlich einverstanden sind, sondern das auch sagen und schreiben. Das ist ihr Recht, und deswegen sind sie keine Lohnschreiber.Es ist unser Recht, zur Verbreitung solcher Ansichten beizutragen. Es ist sicher das Recht der Opposition, ähnliches in ihrem Sinne auch zu tun oder zu unterlassen.Das Presseamt hat im übrigen die Agenturen nicht erst jetzt dazu angehalten, ihre Beiträge sachlich zu fassen. Wir überprüfen das jetzt Beitrag für Beitrag. Außerdem — damit es nun auch wirklich der allerletzte merkt, Herr Abgeordneter Wallow — teilen wir seit dem 23. März — vorher habe ich es auch nicht gewußt — auf meine Weisung bei jedem einzelnen Beitrag, wenn es sich um Agenturbeiträge dieser Art handelt, mit, daß es sich dabei um eine redaktionell eigenständige, selbständige Arbeit handelt, die aber vom Bundespresseamt unterstützt wird.Ich möchte klarstellen, daß das keine rechtlich relevante Korrektur ist; denn man hat uns bestätigt, daß wir nicht unrechtmäßig gehandelt haben. Aber es ist eine Frage — wie ich sofort einräume — eines besseren Stils, wenn man finanzielle Beziehungen ganz klarstellt.Sie können auch sicher sein: Wir werden im Jahr 1994 alle die Rücksichten nehmen, die das Verfassungsgericht von jeder Regierung in Vorwahlzeiten verlangt hat und ihr auferlegt hat.Ich muß schließlich einigen Kritikern sagen: Der Leiter eines Presseamts kann nicht ganz in dieser edlen publizistischen Einfalt schalten und walten, die man sich in manchen Redaktionsstuben vorstellt. Die Journalisten wissen das. Aber sie wissen auch, daß Angebote — ich betone noch einmal: Angebote —, die wir machen oder die wir unterstützen, nicht geschriebenes Recht und auch nicht den ungeschriebenenKodex verletzen, der zwischen einer Regierung und der Öffentlichkeit besteht. Ich glaube, das haben meine Vorgänger genauso gehalten.Recht schönen Dank.
Nun spricht der Kollege Eduard Oswald.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Vogel, Sie haben in Ihrer Antwort die von der SPD erhobenen Vorwürfe gegen die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Koalition glaubwürdig, überzeugend und objektiv, so möchte ich sagen, widerlegt.
Wie unglaubwürdig der unterstellte Vorwurf einer verfassungswidrigen Öffentlichkeitsarbeit und damit des regelwidrigen Verkaufs der Regierungsarbeit ist, unterstreichen einige, ich will einmal sagen: nach dem Zufallsprinzip herausgesuchte Beispiele.
— Jetzt hören Sie zu!
Glauben Sie wirklich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß ein den Hörfunksendern angebotener Beitrag des Bundesministeriums für Gesundheit zu den Themen Krebsfrüherkennung oder Blut- und Organspenden darauf angelegt ist, parteipolitischen Vorteil für die Koalitionspartner herauszuschlagen? Glauben Sie wirklich, daß 104 den Hörfunksendern angebotene Umwelttips in einer Länge von jeweils ein bis eineinhalb Minuten zu den Themen umweltfreundliches Verhalten im Alltag, Abwasserreinhaltung, Energiesparen usw. dazu angetan sind, die Opposition in unzulässiger Art und Weise ins politische Hintertreffen zu bringen?
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie etwas zu befürchten haben, dann ist es der objektive Vergleich zwischen dem, was Ihre Politik ausmacht, und dem, was CDU/CSU und F.D.P. inhaltlich umgesetzt haben.
Sie haben demgegenüber keine überzeugenden Alternativen aufbieten können, sondern haben sich vornehmlich in einer Blockade- und Verweigerungshaltung ergangen. Das ist doch der Punkt.
Weil Sie nichts vorzuweisen haben, müssen Sie Nebenkriegsschauplätze eröffnen und dann auch noch persönliche Konflikte, die Sie anscheinend haben, austragen und uns hier um 23.20 Uhr noch aufhalten!
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19513
Eduard OswaldIch vermag in keinem der von Ihnen in der Kleinen Anfrage nachgefragten und in dem heute vorliegenden Antrag erwähnten Punkte einen Verstoß der Bundesregierung oder des Presse- und Informationsamtes zu erkennen.
— Wir haben ja schon einmal Probleme mit der Lautsprecheranlage gehabt. Ich traue ihr immer noch nicht, Herr Kollege Struck.
Einen Moment, Herr Kollege. — Wir machen irgendwann einmal einen Sängerwettstreit zwischen dem Kollegen Ottmar Schreiner und Ihnen. Dann erkennen wir, ob wir die Mikrofone vielleicht gar nicht mehr brauchen.
Frau Präsidentin, ich könnte mir vorstellen, daß wir bei diesen Personen durchaus auf die Mikrofonanlage verzichten können.
— Jetzt hat die Technik tatsächlich versucht, ob es ohne Mikrofon geht. — Also noch einmal: Ich vermag in keinem der von Ihnen in der Kleinen Anfrage nachgefragten und in dem heute vorliegenden Antrag erwähnten Punkten einen Verstoß der Bundesregierung oder des Presse- und Informationsamtes gegen Recht und Gesetz sowie gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erkennen.
Schalten Sie bitte wieder ein!
In keinem Fall haben die Bundesregierung, einzelne Ministerien oder das Presse- und Informationsamt versucht,
in die redaktionelle Hoheit der Medien — —
Es liegt nicht an mir! Was ist denn da los? Hier geht überhaupt nichts mehr!
Also: In keinem Fall haben die Bundesregierung, einzelne Ministerien oder das Presse- und Informationsamt versucht, in die redaktionelle Hoheit der Medien, welcher Art auch immer — einzugreifen und damit das Sendegeschehen oder die Berichterstattung direkt oder indirekt mitbestimmen zu wollen.
Programmfreiheit von Rundfunk und Fernsehen, Freiheit der Berichterstattung der Printmedien waren, sind und bleiben auch künftig in jedem einzelnen Fall unberührt. Das kostenlose Angebot an Informationsmaterial für die Sender und Medien ist ein Angebot — nicht mehr und nicht weniger. Selbstveständlich bleibt es jedem einzelnen Medium vorbehalten, selbst zu entscheiden, wer im einzelnen davon Gebrauch macht oder meint, nicht davon Gebrauch machen zu können oder zu sollen.Daß Sie Zweifel daran äußern, daß diese für Demokraten eigentlich selbstverständlichen Grundsätze auch für die Koalitionsparteien uneingeschränkte Gültigkeit haben, entspricht nicht Ihrer Verantwortung oder Sorge um eine freie Berichterstattung, sondern ist nach meiner Auffassung Polemik mitten in diesem Superwahlkampfjahr.
Auf der anderen Seite gilt es aber auch, einem möglichen Druck auf die Medien dadurch zu begegnen, daß Material des Bundespresseamtes keinesfalls aufgegriffen wird.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung weiß und verfährt entsprechend, wie wir heute sehr deutlich gehört haben und wie es auch am Anfang Ihres Antrags zu Recht heißt. Dort wird gesagt, „ daß die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nicht nur zulässig, sondern auch notwendig ist, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten".
— Der Beifall — das sage ich fürs Protokoll — gilt der wieder funktionierenden Mikrofonanlage. — Die Darstellung, Offenlegung und Erläuterung muß auch bei solchen Punkten möglich sein, die parteipolitisch sehr umstritten waren oder sind oder aber für viele unpopulär erscheinen.
Akzeptanz des demokratischen Mehrheitsentscheids ist von nicht minderem Gewicht als der Respekt vor einem unterlegenen Minderheitsvotum.Die Bundesregierung hat heute und in ihrer Antwort auf die diesem Antrag zugrunde liegende Kleine Anfrage — frei von jedem Zweifel — die von Ihnen in den Raum gestellten Vorwürfe zurückweisen können bzw. klargestellt, daß gegen mögliche regelwidrige Beiträge Vorkehrungen getroffen sind. Herr Staatssekretär Vogel hat dies heute gesagt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat recht, wenn sie formuliert:Es ist Aufgabe und Zielsetzung der Öffentlichkeitsarbeit einer Bundesregierung, ihre Politik darzulegen und zu erläutern, nicht aber die Auffassung der Opposition darzustellen.Das Geschäft der Opposition zu besorgen ist in der Tat nicht Aufgabe einer Bundesregierung.Meine Damen und Herren, ich glaube, die Interpretation der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe durch die Bundesregierung ist einleuchtend und steht in vollem Einklang mit den Urteilssprüchen. Zu Recht hat die Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht, daß sie bei allen Beiträgen keine
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19514 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Eduard OswaldBedenken oder Einwände hatte, die von Regierungsseite als Informationsmaterial den Medien angeboten werden und deutlich den Namen des Auftraggebers nennt. Der Vorwurf, die Regierung verstoße gegen den Grundsatz, daß diese Funktionen der Presse nicht vom Staat wahrgenommen werden dürfen, und die Bereitstellung von Informationsmaterial erfolge nicht als Werbung, entbehrt damit jeder Grundlage.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Angebot also, das das Bundespresse- und Informationsamt macht, ist kein Eingriff oder eine Einflußnahme auf den Kernbereich des Journalismus. Den Medien- und Programmachern — das zeigt die heutige Medienlandschaft unübersehbar — mangelt es nicht an Selbstbewußtsein im Hinblick auf die kritische Betrachtung der Regierungsarbeit in Bonn.Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, leimen wir als Koalition Ihren Antrag heute abend ab.
Herr Kollege, ich möchte mich jetzt ausdrücklich entschuldigen. Es lag nicht an uns. Entweder hat ein Schalter einen Wakkelkontakt, oder es ist sonst irgend etwas kaputt, was nicht durch uns veranlaßt worden ist. Wir hätten uns niemals erlaubt, mit Ihnen solche Späße zu treiben.
— Vielleicht haben Sie durch Ihre Lautstärke vorhin auch die Endstufe herausgeschmissen oder irgend so etwas gemacht; ich weiß nicht, was da passiert ist.
— Auch ich bin dieser Meinung.
— Nein, der Kollege Schriftführer muß dann die ganze Zeit seinen Finger auf diesen Knopf halten, weil er nämlich nach wie vor nicht geht; denn es funktioniert immer noch nicht. Man kann ja auch nichts mehr ausschalten.
Dennoch erteile ich jetzt dem Kollegen HansJoachim Otto das Wort und betone noch einmal: Es liegt nicht an uns, wenn hier Schwankungen auftreten.
Frau Präsidentin, ich biete an, daß ich vom Platz spreche.
Ja, vielleicht geht das. Machen wir das doch einmal.
— Erst drücken, dann warten, dann reden. — Versuchen Sie es doch einmal.
Es geht nicht. Dann gehe ich doch nach vom.
Wir müssen hier jetzt die ganze Zeit auf das Knöpfchen drücken; dann geht es nämlich.
Ich spreche jetzt vom Rednerpult aus.
Frau Präsidentin! Verehrtes leeres Haus! Der Herr Kollege Wallow vermutet offenbar, einen besonders dicken Fisch an der Angel zu haben, daß er uns heute abend um halb zwölf mit diesem Thema traktiert. Sie sprechen von Verfassungsbruch, von Machtmißbrauch, von verdeckten Informationsmitteln. Man könnte fast meinen, die Beseitigung unseres demokratischen Rechtsstaates und der Pressefreiheit stünde unmittelbar vor der Tür.
Herr Kollege Wallow, haben Sie es nicht ein bißchen kleiner? Tatsächlich macht das Bundespresseamt nichts anderes, als es immer gemacht hat, übrigens auch zu Zeiten von SPD-Kanzlern, nämlich die Politik der Bundesregierung darzustellen und zu erläutern. Damals wie heute werden zu diesem Zweck Beiträge angeboten, deren Übernahme in das freie Ermessen der Redaktionen gestellt ist, also business as usual.
Herr Kollege Otto, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wallow gestatten?
Aber gerne doch, wenn das nicht zum Ausfall der Anlage führt.
Ich drücke auch die ganze Zeit drauf, und wen ich drücke, der funktioniert.
Ist gut.
Herr Kollege, können Sie mir bitte erklären, wie frühere sozialliberale Regierungen Rundfunksendungen, im Durchschnitt 480 im Jahr, an kleine und mittlere Rundfunkveranstalter — private! — zu einem Zeitpunkt kostenlos haben versenden können, wo es diese Rundfunkveranstalter noch gar nicht gab?
Ich komme dazu. — Es bleibt Ihr, Herr Kollege Wallow, ureigenes Geheimnis, weshalb Meinungsbeiträge für Printmedien erlaubt und üblich sein sollen, solche für Radiosender aber des Teufels sein sollen.Wenn in einem Land wie dem unseren — und nicht nur in unserem — die elektronischen Medien immer größere Bedeutung haben, weshalb soll sich das Bundespresseamt nicht auch an die elektronischen Medien wenden dürfen? Das leuchtet mir überhaupt nicht ein.
— Herr Kollege Wallow, ich gehe einmal davon aus — Sie kennen das Geschäft des Bundespresseamtes wesentlich länger als ich —, daß auch zu Ihrer Zeit, da man die Trennung zwischen reiner Information und Kommentar nicht immer hundertprozentig hinbekommt, segensreich kommentierend die Politik der jeweiligen Bundesregierung begleitet worden ist.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19515
Hans-Joachim Otto
Daß sich die Bundesregierung, das Bundespresseamt bei Produktion und Vertrieb privater Agenturen bedient, ist ebenfalls nichts prinzipiell Neues. Kein Sender ist im übrigen so naiv, zu glauben, hinter einem ihm gratis angebotenen Beitrag stünde kein Auftraggeber. Es bleibt die freie journalistische Entscheidung jedes Senders, ob er diesen Beitrag ganz oder teilweise übernimmt.
— Nein, das ist nicht verboten, Herr Kollege Wallow. Vielleicht sollten Sie sich freundlicherweise in aller Ruhe, sine ira et studio, dieses Urteils noch einmal annehmen. Ich habe es in Vorbereitung dieser Sitzung getan.Das Bundespresseamt würde seine Aufgabe regelrecht verfehlen, wenn es in den Beiträgen nicht die Auffassung der Bundesregierung, sondern diejenige der Opposition darstellen ließe.Selbstverständlich, Herr Kollege Wallow, sind hierbei die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten inhaltlichen Grenzen zu beachten. Das heißt, verboten sind willkürliche, ungerecht herabsetzende und polemische Äußerungen über andere Parteien.
Der Kollege Oswald hat mit Recht darauf hingewiesen: Wenn das in Hunderten von Beiträgen eingehalten ist, dann können Sie mir, wenn es ein oder zwei Ausrutscher gibt, nicht vormachen, daß das der ganz große Skandal ist und daß damit wirklich die Gefährdung der Pressefreiheit zu befürchten sei.Wir Freien Demokraten begrüßen es aber, daß das Bundespresseamt jetzt — der Herr Staatssekretär hat gerade darauf hingewiesen — einige Präzisierungen für seine Zusammenarbeit mit den Hörfunkagenturen vorgenommen hat, insbesondere auch die Prüfung der Texte vor ihrer Ausstrahlung und den ausdrücklichen Hinweis, daß der jeweilige Beitrag vom Bundespresseamt unterstützt worden ist.Wir haben das Vertrauen, daß sich das Bundespresseamt stets seiner besonderen Verantwortung bewußt ist und konsequent die verfassungsrechtlichen Vorgaben einhält.Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht das Bundespresseamt und nicht die Bundesregierung gefährden die Pressefreiheit. Es gibt aber durchaus momentan solche Gefährdungen. Die Pressefreiheit ist in der Tat tangiert, wenn beispielsweise der saarländische Ministerpräsident seine Rachegefühle gegen den sogenannten Schweinejournalismus in Form einer geplanten Presserechtsverschärfung auszutoben versucht.
Aber auch in die andere Richtung gesprochen: Die Pressefreiheit gerät auch in Gefahr, wenn die Pläne Ihres CDU-Bundesparteitages Wirklichkeit würden, wonach die Pressearchive allen betroffenen Bürgern offen und zugänglich gemacht werden müßten.Es gibt tatsächlich, Herr Kollege Wallow, den von Ihnen beklagten wachsenden Zugriff der Parteipolitik auf die Medien. Er fand z. B. vor wenigen Wochen beim Deutschlandradio statt, wo sämtliche Personalentscheidungen von einer großen Koalition knallhart nach dem Motto „eins rechts, eins links, eins fallenlassen" durchgedrückt wurden. Bewährte und anerkannte Fachkräfte wurden nur deshalb auf der Strecke gelassen, weil sie über kein Parteibuch verfügten.
— Ich bedanke mich für den Beifall von einer ebenfalls betroffenen politischen Gruppierung.Die Sicherung der Pressefreiheit ist durchaus ein aktuelles Thema, das dringend auf die Tagesordnung dieses Hauses gehört, aber bitte schön an tauglichen Objekten und nicht an einem Popanz. Gerade die Presse- und Rundfunkfreiheit darf nicht zu einem Wahlkampfthema degradiert werden.Wir müssen uns endlich, Herr Kollege Wallow, meine Damen und Herren von der SPD, über die Parteigrenzen hinweg der gemeinsamen Verantwortung zur Wahrung der Rundfunk- und Pressefreiheit bewußt werden und hiernach handeln.Mit der heutigen Gespensterdiskussion — auch noch zur Geisterstunde — haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eine große Chance vertan. Ich bedauere das.
Und nun hat als nächster der Kollege Konrad Weiß das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Hans Wallow und der Fraktion der SPD außerordentlich dankbar, daß sie durch ihre Kleine Anfrage und den vorliegenden Antrag eine Praxis der Bundesregierung aufgedeckt haben, die mich fatal an die unselige Abteilung Agitation und Propaganda der SED erinnert.
Der Vorgang ist unglaublich:
Die Bundesregierung bietet Zeitungen die kostenlose Kommentierung ihrer Politik an und läßt durch elektronische Medien Informationen und Kommentare verbreiten, ohne daß diese als Werbeblöcke der Bundesregierung gekennzeichnet werden.Man muß sich das einmal bildlich vorstellen: Der ahnungslose Leser schlägt also seine überparteiliche, unabhängige Morgenzeitung auf und bekommt eine unkritische Lobhudelei auf den Bundeskanzler und seine Politik vorgesetzt. Keine Fußnote verrät ihm, daß der Kanzler den Kanzler lobt. Oder er schaltet das Radio ein, und ein vermeintlich unabhängiger Journalist lobpreist die jüngsten Heldentaten eines Ministers, auch wenn der den größten Unsinn verzapft hat.
Man stelle sich das Geschrei der Bundesregierung vor, wenn die Opposition gleichermaßen verführe,
Metadaten/Kopzeile:
19516 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994
Konrad Weiß
wenn Herr Scharping also, weil ihn keiner lobt, selber seine Meriten in alle Welt ausposaunen und dafür bezahlen würde.
Oder wenn die PDS/Linke Liste nicht nur in ihrem „Neuen Deutschland" ihr Agitprop betriebe, sondern unerkennbar für den Leser auch in seriösen Zeitungen. Oder wenn das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so eben mal 1,5 Millionen verlangen würde, um seine vernünftige Politik nicht nur in die „taz", sondern unter die Leute zu bringen.
Selbstverständlich hat die Bundesregierung das Recht, sich und ihre Politik darzustellen und meinetwegen auch schönzureden. Aber das muß immer und in jedem Satz als Verlautbarung der Bundesregierung erkennbar sein.
Und es dürfen Steuergelder nicht dazu mißbraucht werden, den Regierungsparteien einen zusätzlichen Bonus zu verschaffen. Viele Journalisten befleißigen sich ohnehin schon einer viel zu sahnigen Hofberichterstattung.Im übrigen ist die Antwort 9 auf die Kleine Anfrage der SPD auch falsch; demi der Kollege Wallow hat eben eine ganze Reihe von Beispielen genannt, wo die Bundesregierung eben doch die Opposition und deren Politik dargestellt und bewertet hat.Vielleicht sollte man ja die Bundesregierung verpflichten, ähnlich wie bei der Zigarettenwerbung auf ihre Mogelpackung zu schreiben: „Der Bundeskanzler: Blinder Glauben an die Regierung verdirbt die eigene Meinung."
Oder sie müßte bei allen Propagandasendungen den Satz anfügen: „Über Risiken und Nebenwirkungen der Regierungspolitik befragen Sie SPD oder BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. " Am besten aber wäre wohl, wenn die Bundesregierung ganz schnell Schluß machen würde mit ihrem verfassungswidrigen Treiben, so wie es der SPD-Antrag fordert.Ich danke Ihnen.
Nun hat der Kollege Dr. Ulrich Briefs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht ohne Grund nach den Erfahrungen der NS-Zeit ist seit den Anfängen der BRD der Grundsatz im wesentlichen eingehalten worden, daß der Staat sich aus der Tätigkeit der Medien herauszuhalten hat. Das ist nicht ohne Grund so.
Der Staat darf sich in amtlicher Funktion vor allem vor Wahlen nicht mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel unterstützen oder bekämpfen.
Genau das jedoch ist diese Bundesregierung im Begriff in diesem Superwahljahr 1994 zu praktizieren, und sie verstößt damit gegen diese Prinzipien, gegen diesen Grundsatz. Für dieses Jahr sind die Produktion und der Vertrieb von 384 Kommentaren für Rundfunksender und 480 Kommentardiensten für Zeitungsredaktionen, finanziert vom Bundespresseamt, vorgesehen. Diese Kommentare sind nachweislich — wir haben ja hier ein paar Beispiele geliefert bekommen — regierungsfreundlich und kritisch gegenüber der Opposition.
Durch die Finanzierung dieser Kommentare aus Regierungsmitteln entsteht möglicherweise ein gefährliches Maß an Abhängigkeit mit weitergehenden Konsequenzen. Das jedoch muß die Funktion der Medien, verstärkt durch die breite Streuung dieser inhaltlich mindestens einseitig vorgeprägten Beiträge, in der pluralistischen Demokratie erheblich beeinträchtigen.
Die Medien sind ein wichtiger, ein entscheidender Faktor im komplizierten Spiel der „checks and balances" dieser Gesellschaft. Daran darf nicht gerührt werden. Wehren wir daher den Anfängen! Wehren wir der Korrumpierung von Medienorganen! Wir brauchen kein virtuelles Zentralorgan. Wir brauchen keinen Verlautbarungsjournalismus. Kurz und knapp: Die Forderungen des SPD-Antrags sind berechtigt; sie sind zu unterstützen.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Einflußnahme der Bundesregierung auf Rundfunksendungen, Drucksache 12/7418. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist damit abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lieselott Blunck , Dr. Ulrich Böhme (Unna), Edelgard Bulmahn, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD Verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung— Drucksachen 12/4575, 12/6072 —Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Ich bitte um Ihr Einverständnis, daß die Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden können. Besteht dieses Einverständnis? — Dann ist das so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. April 1994 19517
Vizepräsidentin Renate SchmidtEs ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7413 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Ausschuß für Wirtschaft. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michael Müller , Hermann Bachmaier, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRadioaktive Verseuchung der Meere durch die Ablagerung von Atommüll— Drucksachen 12/5494, 12/6506 —Es ist gebeten worden, auch hier die Redebeiträge zu Protokoll geben zu dürfen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des AbgeordnetenDr. Fritz Schumann und der Gruppe der PDS/Linke ListeArbeit in Deutschland— Drucksachen 12/5901, 12/6870 —Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Uwe JensHier ist ebenfalls gebeten worden, die Wortbeiträge zu Protokoll geben zu dürfen. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen nun noch zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu diesem Antrag. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5901 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. April 1994, 9 Uhr ein und bitte die Technik, sich noch einmal dieser Lautsprecheranlage anzunehmen. — Ich wünsche eine gute Nacht.Die Sitzung ist geschlossen.