Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 12/6584 —Als ersten rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs die Pläne der TELEKOM, sich an der Betreibergesellschaft der marktbeherrschenden ASTRA-Satelliten, der Société Européenne des Satellites , „repräsentativ" zu beteiligen sowie gemeinsam mit der Bertelsmann AG, der Kirch-Gruppe und dem ZDF ein Unternehmen für Pay-TV und interaktive Medien-Dienstleistungen zu gründen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen des Herrn Kollegen Otto wegen ihres Sachinhalts zusammenfassend beantworte, wenn der Herr Kollege damit einverstanden ist.
Das werden Sie nicht, wenn Sie davon ausgehen, daß die Fragen grundsätzlich unbefriedigend beantwortet werden und schon vier Zusatzfragen vorbereitet sind.
Ich rufe dann auch Frage 2 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto auf:
Welche Folgen erwartet die Bundesregierung von der geplanten Kapitalverflechtung zwischen TELEKOM und SES für die deutsche Satellitenpolitik, insbesondere für die bisherige Beteiligung der TELEKOM an EUTELSAT und an deren Projekt des „Hot-Bird-Plus-Satelliten "?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Otto, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß nicht nur für die Fernsehdienste, sondern auch für die dafür notwendige Infrastruktur das Prinzip Wettbewerb angewandt werden muß.
Nachdem es nicht mehr möglich erscheint, auf der Satellitenposition 19° West, also der Position von TV-SAT 2, ein Wettbewerbsangebot zu ASTRA bereitzustellen und auch der deutsche Fernmeldesatellit Kopernikus keine Marktalternative zu ASTRA ist, muß nach anderen Möglichkeiten gesucht werden, auch im Orbit Wettbewerb zu ermöglichen.
Die Bundesregierung sieht grundsätzlich zwei Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Zum einen kann durch eine Beteiligung an ASTRA deutschen Interessen Rechnung getragen und die Geschäftspolitik entsprechend mitgestaltet werden. Zum anderen kann durch zusätzliche Satellitenkapazität auf einer anderen Orbitposition, z. B. der von Hot-Bird-Plus auf 13° Ost, sowohl den Diensteanbietern als auch den Fernsehzuschauern eine Alternative geboten werden.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Situation im Orbit und bei den Empfangsanlagen am Boden sowie der zeitlichen Möglichkeiten für die Realisierung zusätzlicher Kapazitäten scheint im kurz- und mittelfristigen Bereich eine Beteiligung bei ASTRA schneller die gewünschte Wirkung zu zeigen. Die Bundesregierung sieht jedoch die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit von EUTELSAT langfristig zu sichern, und hält deshalb ein paralleles Vorgehen für angebracht. Hierzu bedarf es jedoch eines echten Marktinteresses der Programmanbieter.
Die Gründung eines Unternehmens zum Angebot von Pay-TV-Diensten gemeinsam mit bereits stark etablierten Gruppierungen erweitert die Angebotspalette der Deutschen Bundespost Telekom in einem expandierenden Markt und sichert die Nutzung der bestehenden Breitbandverteilnetze der Telekom.
Herr Kollege Otto, die erste Zusatzfrage, bitte.
Danke, Herr Präsident.Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß durch eine Beteiligung der Telekom an der Firma SES keinerlei Auswirkungen auf die Beteiligung der Telekom an EUTELSAT und an dessen Projekt des Hot-Bird-Plus-Satelliten zu erwarten sind?
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17630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Otto, ich sprach nicht davon, daß keinerlei Auswirkungen zu erwarten sind. Aber nach Einschätzung der Bundesregierung ist das geplante Hot-Bird-Plus-Projekt von EUTELSAT nicht von einer Kooperation zwischen der Deutschen Bundespost Telekom und ASTRA-SES, sondern viel mehr und ganz vorrangig von der Nachfrage der Programmanbieter nach HotBird-Plus-Transpondern abhängig.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es in der Wirtschaftspraxis unüblich ist, daß Mitgesellschafter im selben Markt zugleich Wettbewerber zu dem Unternehmen sind, an dem sie sich beteiligen, frage ich konkret, ob in dem geplanten Gesellschaftervertrag zwischen SES einerseits und Telekom andererseits irgendwelche Regelungen bezüglich des Wettbewerbes enthalten sind, insbesondere ein Wettbewerbsverbot für die Telekom.
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Otto, die geplante Maßnahme, die wir hier diskutieren, ist derzeit im Stadium der Sondierungen und der gemeinsamen Absichtserklärungen. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bundespost Telekom hat sich damit noch nicht befaßt und hat auch noch keine Entscheidungen getroffen. Die Texte, die Sie hier ansprechen, gibt es noch nicht.
Ich stimme mit Ihnen aber darin überein, daß im Bereich des Fernsehens und der neuen Dienste über Satelliten keine Monopole wünschenswert sind. Die Entwicklung dieses neuen Angebotsspektrums befindet sich noch in einem Anfangsstadium. Es ist daher nicht auszuschließen, daß sich ähnliche Kooperationen, wie zwischen der Deutschen Bundespost Telekom und ASTRA-SES in Zukunft in noch größerer Zahl entwickeln werden.
Dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, wann die gemeinsamen Gesellschaften zwischen Telekom und SES einerseits bzw. mit der Firma Bertelsmann AG andererseits gegründet werden und wie hoch sich der geplante Kapitalanteil der Telekom an diesen Gesellschaften jeweils belaufen soll?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Otto, diese Fragen werden im Augenblick sondiert. Ich kann Ihnen dazu jetzt keine konkrete Antwort geben.
Vierte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Einschätzung, daß angesichts der außerordentlich stark wachsenden Bedeutung und Verbreitung der direkt strahlenden Satellitentechnik das Fast-Monopol des einen Betreibers, SES, aus ordnungs-, medien- und wettbewerbspolitischen Gründen zunehmend problematisch ist?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, Herr Kollege, daß die 6,5 Millionen Direktempfangsanlagen, die es in Deutschland gibt, und die auf die OrbitPosition der ASTRA-Systemfamilie ausgerichtet sind, ein großes Marktfaktum darstellen. Ich habe Ihnen in meiner Antwort dargelegt, daß es deshalb ein Weg ist — zumindest kurz- und mittelfristig, bis Alternativen über EUTELSAT vorliegen —, daß die Deutsche Bundespost Telekom hier Wettbewerb dadurch ermöglicht, daß es eine Beteiligung und Kooperation mit ASTRA-SES gibt. Daß die Frage der Monopolisierung dieses Marktes natürlich von allergrößter Bedeutung ist und die Bundesregierung sehr darüber wachen wird, daß die Märkte wettbewerbsoffen bleiben, darin stimme ich mit Ihnen überein.
Herr Kollege Kubatschka, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Postreform II — sprich: die Privatisierung — ist ja noch nicht durchgezogen. Sind solche Kapitalverflechtungen nach dem jetzigen Recht überhaupt möglich?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Wir befinden uns hier, Herr Kollege, im Wettbewerbsbereich, in einem Randbereich der Monopole der Deutschen Bundespost Telekom. Hier sind solche Kooperationen durchaus möglich.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich herzlich für die Beantwortung der Fragen. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation erledigt.
Im Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird um schriftliche Beantwortung der Frage 3 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Martin Göttsching sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit auf. Hier werden die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Ernst Hinsken schriftlich beantwortet und die Antworten als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Fragen wird der Staatssekretär Clemens Stroetmann beantworten.
Die Frage 9 hat der Kollege Dr. Klaus Kübler gestellt:
Wie ist der Stand in der Frage der Genehmigung des Lufttransports von radioaktivem Plutonium vom Frankfurter Flughafen in die schottische Atomzentrale Dounreay, und hält die Bundesregierung an ihrer Absicht fest, den Abtransport radioaktiven Plutoniums aus dem Bundesbunker in Hanau nach England per Lufttransport durchzuführen?
Ich bitte um Beantwortung.
Herr Abgeordneter Kübler, die Schnell-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994 17631
Staatssekretär Clemens StroetmannBrüter-Kernkraftwerksgesellschaft mbH — SBK abgekürzt — hat beim Bundesamt für Strahlenschutz sowohl die Herausgabe der unbestrahlten SNR-300-Brennelemente als auch die Beförderungsgenehmigung beantragt. Sie wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz darüber unterrichtet, daß auf Grund noch nicht ausgeräumter Schwierigkeiten und noch zu klärender Rechtsfragen die Herausgabe der SNR300-Brennelemente aus der staatlichen Verwahrung zur Zeit nicht möglich ist.Die Bundesregierung hatte und hat nicht die Absicht, unbestrahlte SNR-300-Brennelemente aus der staatlichen Verwahrung von Kernbrennstoffen in Hanau nach Dounreay, Großbritannien, per Lufttransport zur befördern. Richtig ist allerdings, daß die SBK als Eigentümerin der Brennelemente beim Bundesamt für Strahlenschutz eine Beförderungsgenehmigung nach § 4 des Atomgesetzes für derartige Transporte beantragt hat.Bei den unbestrahlten SNR-300-Brennelementen liegt das Plutonium als Mischoxid-Pellets, d. h. als festes, bei sehr hoher Temperatur gesintertes Material vor. Die Pellets sind darüber hinaus in Brennstabhüllen aus Edelstahl eingeschweißt. Plutonium, welches in einer solchen physikalisch-chemischen Form vorliegt, kann auch bei einem eventuellen Flugzeugabsturz nicht oder nur in nicht relevanten Mengen freigesetzt werden. Die Bundesregierung sieht auf Grund dieser Sicherheitsüberlegungen die beantragten Lufttransporte von unbestrahlten SNR-300-Brennelementen grundsätzlich als verantwortbar an.
Herr Kollege Kübler, bevor ich Ihnen das Wort zur ersten Zusatzfrage gebe, würde ich gerne, sozusagen für das ganze Haus, die Bitte an die Bundesregierung richten: Bei solchen Spezialthemen, bei denen wir natürlich sachkundige Kollegen haben, die dann nachfragen, die vielleicht aber auch darüber hinaus Interesse finden, wäre es bei der Beantwortung der Fragen eigentlich ganz günstig, wenn zumindest einmal im Text gesagt würde, was die einzelnen Abkürzungen bedeuten. Denn ansonsten vollzieht sich dieser ganze Dialog in einer Geheimsprache. Aber, wie gesagt, das ist jetzt nicht für diese Fragestunde gemeint, sondern als generelle Bitte geäußert.
Bitte, Herr Kollege Kübler.
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu, daß die am Genehmigungsverfahren beteiligte zuständige Behörde ihrerseits erhebliche Bedenken gegen einen Lufttransport hätte und im Falle eines Falles eher den Land- und Wassertransport bevorzugen würde im Hinblick auf die größeren Möglichkeiten zur Eindämmung von Risiken?
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Mir, Herr Abgeordneter, sind derartige Bedenken nicht bekannt. Ich wiederhole mich, wenn ich darauf hinweise, daß ein Antrag, der nach § 4 des Atomgesetzes auf Transportgenehmigung gestellt ist, dann positiv beschieden werden muß, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bildet sich denn das Bundesumweltministerium in dieser Frage keine eigene Meinung? Ich frage, weil Sie vorhin selbst gesagt haben, Sie halten den Lufttransport für vertretbar. Läßt sich Ihrer zweiten Antwort entnehmen, daß Sie sich ohne Beeinflussung der genehmigungspflichtigen Behörde ausschließlich danach richten, wie die Entscheidung der zuständigen Behörde ausfällt?
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Bundesumweltministerium bildet sich natürlich zu jeder denkbaren Variante im Zweifelsfall eine eigene Meinung. Aber diese eigene Meinung beeinträchtigt nicht die Unabhängigkeit der Genehmigungsbehörde bei ihrer Entscheidungsfindung.
Eine Zusatzfrage vom Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie betonen die Festigkeit der Hüllen im Hinblick auf einen möglichen Absturz und daß diese ein entscheidendes Element seien, das Schutz geben würde. Haben Sie Forschungsergebnisse? Wie schauen diese Forschungsergebnisse bezüglich der Frage aus, ob das auch tatsächlich so der Fall ist? Welche Gutachten haben Sie dafür?
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Ich kann Ihnen, Herr Abgeordneter, jetzt natürlich nicht aus dem Stegreif die Vielzahl von Untersuchungen darstellen, die zur Sicherheit von Lufttransporten stattgefunden haben. Ich weise darauf hin, daß es nicht nur die Brennstabhüllen selbst sind, sondern daß es auch die Transportbehälter sind, an die hohe Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit gestellt werden, so daß hier ein Mehrfach-Barrieren-Konzept vorliegt.
Im übrigen bin ich gern bereit, Ihnen den umfänglichen Bericht zugänglich zu machen, den der Bundesumweltminister dem entsprechenden Ausschuß des Bundesrates bei einer entsprechenden Behandlung dieser Frage im Bundesrat verfügbar gemacht hat.
Herr Staatssekretär, die Fragen 10 und 11 der Kollegin Ulrike Mehl sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 12, die der Kollege Kubatschka gestellt hat, auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Reaktor-Sicherheits-Kommission am 18. Januar 1994 zum Thema „Wasserstoff-Abbau im Sicherheitsbehälter von Druckwasserreaktoren" in einer nicht-fachöffentlichen Sitzung tagt, und hält die Bundesregierung das Spektrum des Sachverständigen für breit genug, um dem Thema angemessen und ausgewogen gerecht zu werden?Clemens Stroetmann, Staaatssekretär: Herr Abgeordneter, die Reaktorsicherheitskommission, die hier angesprochen ist, berät im Auftrag des Bundesumweltministers seit längerem mit großer Sorgfalt und Verantwortung u. a. auch Fragen, die mit der Bildung von Wasserstoff im Reaktorsicherheitsbehälter bei einem hypothetischen schweren Störfall sowie dessen Eliminierung in Verbindung stehen. Dazu wurden
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17632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994
Staaatssekretär Clemens Stroetmannweltweit Fachgutachten und Expertenmeinungen in erheblichem Umfang ausgewertet.Jetzt ist ein Stand erreicht worden, bei dem eine Reihe von sich herauskristallisierenden Spezialfragen einer verstärkten Diskussion unterzogen werden können und müssen. Die Reaktorsicherheitskommission hatte daher im September 1993 die Durchführung einer Tagung von Reaktorsicherheitsexperten zum Wasserstoffabbau beschlossen. Diese Tagung fand am 17. Januar 1994 in München statt.Auf einem Treffen von Mitgliedern der Reaktorsicherheitskommission Frankreichs, Japans, der Vereinigten Staaten und Deutschlands im Rahmen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Oktober des vergangenen Jahres wurden die Nützlichkeit und die Notwendigkeit einer solchen Tagung ausdrücklich bestätigt.Die Sitzungen der Reaktorsicherheitskommission sind — wie es die Satzung vorschreibt — nicht öffentlich. Die Heranziehung und Auswahl von Sachverständigen zur Beratung spezieller Fachthemen ist allein Sache der Reaktorsicherheitskommission. Die Bundesregierung nimmt auf deren Auswahl keinen Einfluß. Sie weiß aber aus den ihr vorliegenden Unterrichtungen, daß auf dem von mir zitierten Fachtreffen sowie bei den Diskussionen in der Fachwelt durchaus Vertreter verschiedener Richtungen — also verschiedener Anschauungen, wie man das Problem beherrschbar machen könnte — angemessen zu Wort kommen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, mich wundert die Feststellung, daß Sie von hypothetischen Fällen sprechen. Können Sie mir bestätigen, daß das Unglück in Harrisburg kein hypothetischer Fall war, sondern daß er tatsächlich stattgefunden hat, und daß vor allem die Bildung von Wasserstoff die große Problematik bei diesem Unfall war?
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir haben, wenn ich mich richtig erinnere, auch bei der Aufarbeitung des Unfalls von Harrisburg stets darauf hingewiesen, daß nach Konstruktion und Sicherheitsstandard ein vergleichbares Szenario bei deutschen Kernkraftwerken nicht gegeben ist.
Wir haben noch einmal darauf hinzuweisen, daß Kernschmelzunfälle wegen der bereits gegen Stör- und Unfälle durch Auslegung der Anlage getroffenen Vorsorge nach der deutschen Sicherheitstechnik hypothetische Ereignisse darstellen. Auf Grund der schon getroffenen Vorsorge und der praktischen Erfahrungen im Betrieb mit Kernkraftwerken in Deutschland kann davon ausgegangen werden, daß ein Kernschmelzunfall aus technischen Gründen in deutschen Kernkraftwerken nicht eintreten wird. Dennoch wird durch anlageninterne Notfallmaßnahmen gegen Kernschmelzunfälle Risikovorsorge getroffen. Es handelt sich aber nicht um einen Auslegungsstörfall.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kubatschka.
Herr Präsident, zunächst einmal muß ich mich dafür entschuldigen, daß ich mich jetzt auch ein bißchen des Fachchinesischen bedienen muß. Aber sonst würde die Frage zu lange dauern, wenn man das erörtern wollte. Sie entschuldigen das, aber die Sache erfordert es.
Ja oder Nein. Damit ist gemeint das kontrollierte Zünden eines Wasserstoffgemisches, das sich bildet. Es besteht die Gefahr der Zerstörung der Atomhülle, des Containments. Es gibt sehr wohl in den Fachwissenschaften Gegenäußerungen dazu. Ich frage: Wie werden sie in diese Diskussion einbezogen, wenn die Sitzung in München so einseitig mit Leuten besetzt ist, die für die Zünderlösung plädieren?
Entschuldigung, es ging leider nicht anders.
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, noch einmal: Es handelt sich um einen hypothetischen Störfall. Ich habe schon in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, daß nach unseren Kenntnissen durchaus die Vertreter verschiedener Richtungen, die an der Lösung dieses Problems arbeiten — also nicht nur die Vertreter der Zünderlösung —, dort zu Wort gekommen sind. Die Reaktorsicherheitskommission ist aus eigenem Interesse darum bemüht, die ganze wissenschaftliche Bandbreite der Diskussion ihren eigenen Überlegungen zugrunde zu legen.
Herr Kübler, wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, wollen Sie an Ihrer Antwort festhalten, nämlich daß Sie jetzt schon sagen, dies sei kein Risikofaktor? Ich mache Sie darauf aufmerksam — vielleicht ist Ihnen das auch nur einfach durchgegangen —, daß Sie sagten, es sei kein anlagebedingter möglicher Risikofall. Das ist ganz zweifellos in der Tat der Fall. Die entscheidende Frage ist aber, ob das nicht auch ein betriebsbedingter Risikofaktor sein kann und ob Sie unter diesem Aspekt nicht noch einmal Ihre Antwort, es sei kein Risikofaktor, überdenken mögen.
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß es sich um einen hypothetischen Risikofall handelt, d. h. einen Risikofall, der außerhalb der anlageninternen Auslegung liegt. Da das Problem der Sicherheit in diesen schwierigen Fragen von uns ohne jeden Abstrich verfolgt wird, beschäftigen wir uns mit Dingen, mit denen man sich normalerweise nicht beschäftigen würde, nämlich mit einer Hypothese, von der wir meinen, daß wir ihren Eintritt durch vorangegangene Sicherheitsbarrieren sicher ausgeschlossen haben.
Werden dazu weitere Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich die Frage 13, die ebenfalls der Kollege Horst Kubatschka gestellt hat, auf:Kann die Bundesregierung die Ergebnisse einer noch unveröffentlichten Studie von Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes in Berlin-Karlshorst bestätigen, nach der im Untersuchungszeitraum 1979 bis 1988 die Leukämiehäufigkeit bei
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Vizepräsident Hans KleinKindern, die im nahen Umkreis bestimmter ostdeutscher Atomanlagen wohnten, erhöht gewesen sein soll, und welche Konsequenzen zieht sie daraus insbesondere für die Menschen, die in der Nähe der noch nicht abgeschalteten bundesdeutschen Kernkraftwerke leben?Bitte, Herr Staatssekretär.Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, auf dem Symposium „Epidemiology of Childhood Leukemia" — es handelt sich hierbei also um die Leukämieerkrankungen bei Kindern und die Vermutungen über den Zusammenhang solcher Leukämieerkrankungen mit Strahlenbelastungen — in der Akademie der Wissenschaften in Mainz vom 16. und 17. Oktober 1992 berichtete Herr Dr. Möhner, damals beschäftigt beim ehemaligen Krebsregister der damaligen DDR und heute Mitarbeiter im Bundesgesundheitsamt, über eine Studie zur Häufigkeit kindlicher Leukämie im 15-km-Umkreis von drei Reaktoren in den neuen Bundesländern, nämlich der Kernkraftwerke in Greifswald, Rheinsberg und des Versuchsreaktors in Rossendorf.Die Datenbasis war das Krebsregister der damaligen DDR. Die Regionalisierung erfolgte auf der Ebene der Landkreise, wobei die Untergruppen von 0 bis 5 km, von 5 bis 10 km und von 10 bis 15 km gebildet wurden. Im übrigen ist dies Szenario vergleichbar mit dem, das der Studie für die alten Länder von Herrn Professor Michaelis aus Mainz zugrunde gelegt wurde.Vergleichsregion war die Umgebung des geplanten Kernkraftwerkes Stendal. Der Untersuchungszeitraum erfaßte die Jahre 1961 bis 1988. Neben den Vergleichen zwischen Umgebung und Kontrollregion konnte auch noch ein Vergleich durchgeführt werden zwischen den Zeiträumen vor und nach Inbetriebnahme der Reaktoren.Keiner der Vergleiche führte zu signifikanten Ergebnissen. Die Bundesregierung sieht sich daher zu keiner Konsequenz aus dieser Studie veranlaßt. Ich füge gern hinzu, daß auch insoweit das Ergebnis der ehemaligen DDR durchaus deckungsgleich ist mit den Ergebnissen der Studie, die wir in den alten Bundesländern mit Herrn Professor Michaelis durchgeführt und der Öffentlichkeit vorgestellt haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, damit würden seriöse Pressemeldungen von Wissenschaftsseite nicht zutreffen, daß Leukämie gehäuft um ostdeutsche Reaktoren aufgetreten ist?
Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen, Herr Abgeordneter, würde ich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten, d. h., diese Meldungen treffen nicht zu.
Keine weitere Zusatzfrage. — Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Die Fragen 20, 21, 22, 23 und 24 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 25 auf, die der Kollege Jürgen Koppelin gestellt hat:
Sind der Bundesregierung Informationen, Unterlagen, Aufzeichnungen oder Akten über den ehemaligen schleswigholsteinischen Oppositionsführer bzw. Ministerpräsidenten Björn Engholm bekannt, die durch nachrichtendienstliche Stellen geführt worden sind?
Ich bitte um die Beantwortung.
Herr Präsident, ich möchte Sie um die Erlaubnis bitten, die Fragen 25 und 26 — selbstverständlich im Einvernehmen mit dein Fragesteller — gemeinsam beantworten zu dürfen.
Herr Kollege, sind Sie einverstanden?
Nach schlechten Erfahrungen mit der letzten Fragestunde sage ich ausnahmsweise nein.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Da die Antwort aber in beiden Fällen gleich lautet, ergeben sich Wiederholungen.
Ich darf die Frage 25 wie folgt beantworten: Die Bundesregierung nimmt auf die Antwort zu Ihren schriftlichen Fragen vom 10. Dezember 1993 Bezug und sieht sich auch heute zu dem Hinweis veranlaßt, daß Auskünfte zu nachrichtendienstlichen Aspekten grundsätzlich nur in dem dafür vorgesehenen Gremium des Deutschen Bundestags, der Parlamentarischen Kontrollkommission, gegeben werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie, daß ich mit einer Vorbemerkung beginne. Ich kann diese Antwort in keiner Weise akzeptieren. Irgendwo gibt es auch noch Rechte eines Abgeordneten. Ich bin nicht Mitglied in der PKK. Die PKK ist vertraulich. Wie komme ich dann zu Antworten auf Fragen — ich bitte auch den Herrn Präsidenten, das einmal prüfen zu lassen —, wenn die Bundesregierung bei bestimmten Fragen immer wieder auf die PKK verweist? Es kommt immer darauf an, ob Geheimhaltung besteht und was man fragt. Ich bitte darum, Herr Präsident, daß das einmal geklärt wird.
Meine Frage lautet jetzt: Was sind das für Akten oder Unterlagen — oder wie immer man das bezeichnen will — über Björn Engholm gewesen, die der frühere Staatssekretär Vöcking einer Journalistin übergeben wollte oder übergeben hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Koppelin, ich kann Sie wiederum nur auf meine bereits eingangs in der Beantwortung gemachten Bemerkung verweisen, daß darüber der PKK berichtet wird. Wenn Sie mir erlauben, füge ich hinzu: Diese PKK ist von den Fraktionen des Deutschen Bundestages beschickt. Dort sind Vertrauensleute der jeweiligen Fraktionen Mitglieder, so daß es Ihnen natürlich unbenommen ist, sich an den Vertrauensmann aus
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Ihrer Fraktion mit der Bitte zu wenden, als Mitglied der PKK dort die entsprechenden Fragen zu stellen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich fürchte, daß die Mitglieder der Fraktionen, die der PKK angehören, den gleichen Geheimhaltungsvorschriften unterliegen wie die Mitglieder der Bundesregierung. Dieser Hinweis scheint mir daher nicht übermäßig hilfreich zu sein.
Herr Kollege Koppelin, wenn nun ein Fall in der PKK für geheimhaltungswürdig befunden worden ist, dann ist natürlich der Vertreter der Bundesregierung hier außerstande, Fragen zu beantworten.
Herr Präsident, die Bundesregierung kann auch mit Ja oder Nein antworten oder sich verweigern, aber nicht in der Form, daß sie auf die PKK verweist.
Das kann die Bundesregierung durchaus. Aber wir wollen hier in keiner Weise eine Diskussion beginnen.
Ich will aber meine zweite Zusatzfrage stellen, wenn Sie erlauben.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn ein Staatssekretär durch die Bundesregierung in den Ruhestand geschickt wird, weil er einer Journalistin Aufzeichnungen über einen bekannten Politiker — ich fasse das vorsichtig — übergeben wollte oder übergeben hat, dann müssen diese Unterlagen doch von Brisanz gewesen sein. Kann ich also davon ausgehen, daß die Akten oder die Unterlagen, die der Staatssekretär überreichen wollte, durchaus von Brisanz waren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ihrer Logik will ich nicht widersprechen.
Das war doch in Ihrem Sinne schon eine schicke Antwort, Herr Kollege.
Herr Kollege Lüder, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist bekannt, daß die PKK nach ihrem Einsetzungsbeschluß den Ausschüssen und dem Parlament keine Rechte nimmt, so daß wir nicht darauf verwiesen werden können, daß etwas an sie abgegeben ist. Darf ich Ihre Antwort auf die erste Frage des Kollegen Koppelin, darüber würde der PKK Auskunft gegeben, sicherheitshalber so verstehen, daß Sie mit Ja antworten, denn sonst könnten Sie ja keine Auskunft in der PKK geben?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lüder, die Antwort dürfen Sie so verstehen, daß der gesamte Sachverhalt im geheimdienstlichen Bereich angesiedelt ist. Für Erläuterungen in diesem Bereich ist seinerzeit aus guten Gründen die PKK eingerichtet worden. Im übrigen ist es so, daß im Einzelfall eigentlich nur die Mitglieder der PKK in der Lage sind, zu entscheiden, ob es sich im Detail um einen geheimzuhaltenden Sachverhalt handelt oder eben nicht. Ich bin auf Grund der globalen Information dazu nicht in der Lage. Deshalb — Herr Kollege Koppelin, ich darf Ihr Anliegen einbeziehen — gehe ich davon aus, daß Ihr PKK-Mitglied in der Lage ist, den geheimdienstlichen oder streng geheimen Bereich vom nicht geheimzuhaltenden Bereich zu unterscheiden und möglicherweise Wege findet, Sie zu unterrichten, ohne gegen die entsprechenden Geheimschutzvorschriften zu verstoßen.
Eine weitere Zusatzfrage will der Kollege Dr. Erich Riedl stellen.
Ich bin eigentlich nicht wegen dieser Problematik im Saal, möchte dem Kollegen Koppelin aber indirekt zur Seite springen und die Bundesregierung einmal fragen: Was ist an der Sache Engholm eigentlich nachrichtendienstlich geheimzuhalten? Wäre es nicht besser, wenn bei diesem Thema, das die Öffentlichkeit sehr breit interessiert, die Karten auf den Tisch gelegt würden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, es sind nachrichtendienstliche Quellen erwähnt worden, und für die Aufklärung des damit zusammenhängenden Sachverhalts ist die PKK zuständig. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.
Weitere Zusatzfragen zur Frage 25 werden nicht gestellt.
Ich rufe Frage 26 auf, die ebenfalls der Kollege Jürgen Koppelin gestellt hat:
Wurden durch die Bundesregierung Mitglieder der Fraktion der SPD von nachrichtendienstlichen Aufzeichnungen über Björn Engholm informiert?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich möchte die Antwort nicht einfach wiederholen, aber auch hier muß auf die Zuständigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission verwiesen werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe danach gefragt, ob Mitglieder der Bundesregierung Mitglieder der SPD-Fraktion über Aufzeichnungen über Björn Engholm informiert haben. Sie müssen mir schon etwas ausführlicher erläutern, was dabei Gegenstand für die PKK sein soll und welche Brisanz das haben soll. Ich habe eigentlich nur nach ja oder nein gefragt.Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Sie haben danach gefragt, ob nachrichtendienstliche Aufzeichnungen über Björn Engholm Mitgliedern der Fraktion der SPD durch die Bundesregierung erläutert worden sind. Da kann ich Ihnen nur sagen: Dieser gesamte Vorgang spielt im nachrichtendienstlichen Bereich. Deshalb steht die Bundesregierung auf dem Stand-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994 17635
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerpunkt, daß Auskünfte hierüber nur gegenüber der PKK erteilt werden können.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie sehen Sie den Vorgang, daß vor der Sommerpause des letzten Jahres der Kollege Struck von der SPD-Fraktion erklärte, in der Sache Vöcking — damit hat diese Angelegenheit zu tun — würde die SPD einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß fordern, und wir in der Zeit nach der Sommerpause davon überhaupt nichts mehr gehört haben? Könnte es also doch sein, daß die SPD über diese Akten informiert wurde?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Möglicherweise hat bei der SPD eine neue Bewertung mit dem Ergebnis stattgefunden, daß ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß nicht erforderlich ist.
— Das müssen Sie jetzt wieder die SPD fragen. Das kann ich nicht an Stelle von Herrn Struck beantworten.
Ich rufe Frage 27 des eben in den Saal geeilten Kollegen Gernot Erler auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, daß Neonazi-Gruppen weiter offen persönliche Daten über politisch Andersdenkende sammeln, wozu u. a. ein „Nationales InfoTelefon" und Postfachadressen eingesetzt werden und wobei der Verdacht besteht, daß damit nach dem bekannten Muster der zum Terror auffordernden Broschüre „Der Einblick" weiter Vorbereitungen für gegen Personen gerichtete Angriffe durch Rechtsextremisten getroffen werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Sehr geehrter Herr Kollege Erler, die Antwort lautet wie folgt: Dem Bundeskriminalamt ist im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion bekannt, daß Rechtsextremisten weiterhin sogenannte „Nationale Info-Telefone" betreiben. Die bekannten Telefonanschlüsse werden von den jeweils örtlich zuständigen Polizeidienststellen überwacht und die Ansagetexte auf ihre strafrechtliche Relevanz hin überprüft.
Darüber, daß im Anschluß an die Veröffentlichung des „Einblick" derzeit weiterhin kontinuierlich Informationen über politisch Andersdenkende gesammelt werden, liegen keine Erkenntnisse vor.
Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung nicht bekannt, was in der „Süddeutschen Zeitung" vom 12. Januar berichtet wurde? Dort wurde mitgeteilt, daß der Sinn dieses „Nationalen Info-Telefons" und auch der bekanntgewordenen Postadressen ist, die Tätigkeit, die von der Broschüre „Der Einblick" begonnen wurde, nämlich Informationen über politisch Andersdenkende zu sammeln, fortzusetzen.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, jetzt interpretieren Sie diese Meldung meines Erachtens in einer Art und Weise, wie es nicht zwingend ist. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Bundesregierung keine im Zusammenhang mit der Beobachtung relevanten neuen eigenen Erkenntnise vorliegen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, nachdem sie die Tätigkeit der Leute um diese Broschüre „Der Einblick" kennt, besorgt darüber, daß ähnlich gerichtete Aktivitäten trotz der Maßnahmen, die ergriffen worden sind, fortgesetzt werden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Sie sagen, sie würden fortgesetzt. Ich habe Ihnen gerade geantwortet, daß darüber keine Erkenntnisse vorliegen. Daß wir über diese Aktivitäten besorgt waren, haben wir mehrfach zum Ausdruck gebracht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, hat sich denn die Bundesregierung um solche Erkenntnisse bemüht?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung bemüht sich mit den dafür zuständigen Organen eigentlich ständig um derartige Erkenntnisse.
Werden weitere Zusatzfragen dazu gestellt? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich die Frage 28 auf, ebenfalls gestellt vom Kollegen Gernot Erler:Welche juristischen und politischen Mittel wird die Bundesregierung anwenden, um solche bedrohlichen Aktivitäten der rechtsextremen Szene zu unterbinden und damit Bürger vor Übergriffen zu schützen, die mit solchen Datensammlungen vorbereitet werden könnten?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat im Frühjahr 1993 in ihrem Bericht „Offensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit" ein umfassendes Abwehrkonzept gegen die Bedrohung unseres Gemeinwesens durch den Rechtsextremismus dargestellt. Sie hat diesen Bericht in ihrer Sitzung am 13. Januar 1994 fortgeschrieben. Hierauf wird Bezug genommen.Darüber hinaus wurde im Bereich des Rechtsextremismus Anfang 1992 zwischen Bund und Ländern ein Maßnahmenkatalog erarbeitet, dessen Empfehlungen in den Ländern der Lage angepaßt umgesetzt werden, da dort die Zuständigkeit für präventive Maßnahmen liegt.Im übrigen wurde im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der rechtsextremistischen Druckschrift „Der Einblick" durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ein Ermittlungsverfahren gegen die Verfasser, Herausgeber und Verbreiter der Schrift wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Ver-
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17636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnereinigung nach § 129 StGB eingeleitet. Die Ermittlungen des vom GBA beauftragten BKA in dieser Sache dauern an.Mögliche juristische Instrumentarien werden zur Zeit in den zuständigen Ministerien geprüft; hierzu wird nachberichtet.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eventuell einen gesetzgeberischen Nachholbedarf, wenn die Staatsanwaltschaft von Koblenz feststellen muß, daß offenbar das Sammeln von Daten über politische Gegner von Neonazis alleine keinen Straftatbestand darstellt, sondern daß da schon die Absicht, terroristische Aktionen durchzuführen, hinzukommen müßte?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, ich fürchte, daß die Abgrenzung hier außerordentlich schwierig wird. Das Sammeln von Grunddaten, etwa Namen, Anschriften und dergleichen, werden wir in der Tat, wenn irgendwelche strafrechtlich relevanten Absichten damit nicht nachgewiesen und nicht offenbar verbunden sind, nur schwer generell verbieten können.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie sagen, daß über das hinaus, was bisher passiert, nichts weiter zu tun möglich ist, um politisch andersdenkende Bürger, solche, die dem Rechtsextremismus nicht zustimmen und sich entsprechend verhalten, vor solchen Vorbereitungen zu schützen, die mit einer Datensammlung anfangen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, zunächst darf ich Sie auf meine Antwort verweisen. Dort habe ich darauf hingewiesen, daß Ermittlungen des Generalbundesanwalts über das beauftragte Bundeskriminalamt noch im Gange sind. Es hat dann geheißen:
Mögliche juristische Instrumentarien werden zur Zeit in den zuständigen Ministerien geprüft; hierzu wird nachberichtet.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß diese Praktiken aus dem linksradikalen Bereich schon seit Jahren bekannt sind.
Werden noch weitere Zusatzfragen gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 29 auf, die der Kollege Jürgen Augustinowitz gestellt hat:
Was haben die vom Bundesministerium des Innern erlassenen Verbote gegen rechtsextremistische Vereinigungen bewirkt, und welche Auswirkungen auf die Organisationsstrukturen derartiger Vereinigungen können festgestellt werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Augustinowitz, die Antwort lautet wie folgt: Die Verbote der „Nationalistischen Front" — abgekürzt: NF —, der „Deutschen Alternative" — DA — und der „Nationalen Offensive" — NO — hatten die unmittelbare Folge, daß die betreffenden Vereinigungen ihre
Aktivitäten, insbesondere ihre rechtsextremistische Agitation, die eine ausländerfeindliche Stimmung erzeugte und so zu Gewalttaten beitrug, nicht fortsetzen konnten und das Vereinsvermögen dieser Organisationen beschlagnahmt wurde. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden haben die Verbote zu einer erheblichen Verunsicherung in rechtsextremistischen Kreisen geführt.
Erkenntnisse über die Gründung von Ersatzorganisationen oder den Wechsel von Mitgliedern der verbotenen Organisationen in andere Gruppierungen liegen bisher nicht vor. Vereinzelt verfügen die Sicherheitsbehörden über Erkenntnisse, nach denen Mitglieder der verbotenen Organisationen erwägen, neue Gruppierungen zu bilden oder anderen Organisationen beizutreten. Über eine Verwirklichung dieser Planungen bestehen keine Erkenntnisse. Dabei ist zu bedenken, daß alle drei Vereinigungen Rechtsmittel gegen die Verbotsverfügungen beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt und demzufolge die Hoffnung haben, zu obsiegen und die jeweilige Vereinigung aufrechterhalten zu können.
Mit Beschlüssen vom 25. und 31. März 1993 hat das Bundesverwaltungsgericht die Anträge aller drei Vereinigungen, den sofortigen Vollzug der Verbotsverfügungen aufzuheben, abgelehnt und das damit begründet, daß ein voraussichtlicher Erfolg der Klagen der Vereinigungen nach summarischer Prüfung nicht gegeben ist. Ob die Mitglieder der betroffenen Organisationen daraufhin noch mit einer Aufhebung der Verbote in der Hauptsache rechnen oder ihre Aktivitäten neu gliedern, ist derzeit noch nicht absehbar.
Zusatzfrage, Herr Kollege Augustinowitz.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die umfangreiche Beantwortung. Einen Punkt möchte ich noch hinterfragen: Hat sich der Stand der Ermittlungen gegen diese Organisationen verändert, unter Umständen verschlechtert, gab es Abwanderungen in den Untergrund?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Zum Ermittlungsstand kann ich Ihnen keine detaillierte Auskunft geben. Meines Wissens haben sich die Gründe, die die Verbotsverfügung getragen haben, durch die Beschlagnahmungen und ähnliches, was anschließend erfolgt ist, bestätigt. Tendenzen, die Aktivitäten in den Untergrund zu verlagern, sind meines Wissens derzeit noch nicht erkennbar.
Ich darf die Mini-Landesgruppensitzung, die im Hintergrund stattfindet,' um gedämpfteren Ton bitten.Haben Sie, Herr Kollege Augustinowitz, eine zweite Zusatzfrage? — Nein.Dann rufe ich die Frage 30 auf, ebenfalls gestellt vom Kollegen Jürgen Augustinowitz:Wann wird die Bundesregierung die Reaktivierung der Grenzschutzdienstpflicht nach § 49 Bundesgrenzschutzgesetz beschließen, um die notwendigen Maßnahmen zur Grenzsicherung — insbesondere mit Blick auf die große Anzahl illegaler Einreisen — erheblich intensivieren zu können?Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994 17637
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Antwort: Die Bundesregierung hat bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um die polizeiliche Grenzsicherung zu verbessern und die illegalen Einreisen einzudämmen. So wurden der Polizeivollzugsdienst des Bundesgrenzschutzes an den Ostgrenzen um rund 3 000 Bedienstete auf nunmehr 4 400 Beamte und grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte verstärkt und seine technische Ausstattung wesentlich verbessert. Ob eine weitere personelle Verstärkung des Bundesgrenzschutzes erforderlich ist, ist derzeit Gegenstand einer umfassenden Prüfung im Bundesministerium des Innern. Dabei wird auch die Frage einer Reaktivierung der Grenzschutzdienstpflicht einbezogen.
Zusatzfrage.
Können Sie bestätigen, daß zur Reaktivierung der Grenzschutzdienstplicht nach § 49 des Bundesgrenzschutzgesetzes ein Beschluß der Bundesregierung ausreicht?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal kann ich Ihnen bestätigen, daß die gesetzliche Grundlage zur Inanspruchnahme dieser Dienstpflicht weiterhin existiert. Ob dazu rechtlich noch einmal ausdrücklich ein Beschluß der Bundesregierung erforderlich wäre, entzieht sich im Moment meiner Kenntnis. Politisch wäre meines Erachtens die Bundesregierung natürlich davon zu unterrichten, daß beabsichtigt ist, diese Dienstpflicht erneut in Anspruch zu nehmen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es immer noch aus der Zeit zu Beginn der 70er Jahre zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverteidigungsministerium fest ausgehandelte Quoten gibt, wie viele Wehrpflichtige pro Jahr zum Bundesgrenzschutz eingezogen werden können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das mag sein, Herr Kollege Augustinowitz, wiewohl mir der Vorgang jetzt konkret nicht bekannt ist. In jedem Fall aber wäre über Quoten neu nachzudenken, weil der eventuelle jetzige Bedarf möglicherweise mit dem damaligen Bedarf nicht vergleichbar ist.
Werden dazu weitere Zusatzfragen gestellt? — Bitte sehr.
In der Frage des Kollegen Augustinowitz ist eine Feststellung enthalten, nämlich daß es eine große Anzahl illegaler Einreisen gibt. Bestätigen Sie das? Wie hoch sind Ihre diesbezüglichen Schätzungen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen bestätigen, daß illegale Einreisen in erheblichem Umfang stattfinden. Ob Sie dabei die Vokabel „groß" verwenden, ist im Grunde genommen eine persönliche Entscheidung. In jedem Fall meinen wir, daß es noch zu viele sind.
Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, können Sie den Ausdsruck „erheblich" etwas konkretisieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich würde sagen: Jährlich finden Tausende von illegalen Einreisen statt.
Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wie definieren Sie in diesem Fall den Begriff „illegal"? Sind das Grenzgänger, die über die offene Grenze kommen? Oder sind es Personen, die mit einem Visum einreisen und sich nach Ablauf der genehmigten Aufenthaltszeit hier illegal aufhalten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Wenn sie hier mit einem Visum einreisen und erst während ihres Aufenthalts sozusagen subjektiv ihren Aufenthaltszweck verändern, tritt die Illegalität erst später ein. Die Einreise selbst war dann legal. Hier geht es im wesentlichen um jene Einreisen, die ohne Visum erfolgen, sei es nun versuchsweise über kontrollierte Grenzübergänge oder — das ist der Regelfall — über die sogenannte grüne Grenze.
Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall. Die Fragen 31, 32 und 33 sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, damit ist Ihr Geschäftsbereich abgeschlossen. Ich bedanke mich für die Beantwortung.
Meine Mahnung von vorhin, Herr Kollege Riedl, entsprang nur der Fürsorgepflicht, weil Sie als nächster Fragesteller an der Reihe sind, damit Sie sich schon konzentrieren können. Wir kommen jetzt nämlich zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 auf, die der Kollege Dr. Erich Riedl gestellt hat:
Haben die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, oder deren Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vor der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten der Fraktion der SPD, Dr. Hans-Jochen Vogel, Renate Schmidt u. a. (Drucksache 12/6360), Gespräche mit der bayerischen F.D.P.-Landtagsabgeordneten Frau Hiersemenzel und/oder deren Ehemann über den in dieser Anfrage abgefragten Sachverhalt geführt, und gab/gibt es sonstige Kontakte in diesem Zusammenhang zwischen dem Bundesministerium der Justiz und den genannten Personen?
Herr Kollege Dr. Riedl, weder die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, noch Angehörige des Bundesministeriums der
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17638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994
Parl. Staatssekretär Rainer FunkeJustiz haben mit Frau oder Herrn Hiersemenzel zu den Gegenständen der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel, Renate Schmidt u. a. vom 3. Dezember 1993 Gespräche geführt oder andere Kontakte unterhalten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Riedl.
Herr Präsident, für Ihre Fürsorgepflicht bedanke ich mich ausdrücklich. Es tut richtig gut.
Herr Staatssekretär, mit wem, außer den Bediensteten im Bundesjustizministerium, haben die Frau Bundesminister bzw. deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem besagten Gauweiler-Vertrag Gespräche geführt?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihre ursprüngliche Frage soeben beantwortet. Danach wurden über Fragen, die mit der Kleinen Anfrage der Abgeordneten vom 3. Dezember 1993 zusammenhängen - und das gilt ja für den besagten Vertrag —, keine Gespräche geführt oder andere Kontakte unterhalten.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es in diesem Zusammenhang ein an das Bundesjustizministerium gerichtetes Schreiben des früheren Bundesjustizministers und jetzigen SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel, der seinem Schreiben als Anlage einen Pachtvertrag beifügte mit der Bitte, diesen Pachtvertrag durch Ihr Haus prüfen zu lassen und dazu Stellung zu nehmen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Dieses Schreiben gibt es.
Das waren die beiden Zusatzfragen. — Wünscht sonst jemand, dazu eine Zusatzfrage zu stellen? — Herr Kollege Schily.
Ist dieses Schreiben beantwortet worden?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Dieses Schreiben ist, wie es sich gehört, beantwortet worden. Die Prüfungsbitte allerdings ist zurückgewiesen worden.
Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, ist durch das Vorgehen der Justiz nicht die Immunität der Abgeordneten gefährdet?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, entschuldigen Sie, diese Frage habe ich — wie andere Kollegen — nicht verstanden.
Entschuldigung, dann eine kurze Einführung: Bei der Frau Kollegin Landtagsabgeordneten kam es zur Hausdurchsuchung. Es wurde Material beschlagnahmt, von dem sie sagt, das sei Material, das ihr vom Ausschuß zugestanden worden sei. Sehen Sie da nicht eine Gefährdung der oder Eingriffe in die Immunität der Abgeordneten?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier um Einzelmaßnahmen der Landesjustizverwaltung bzw. der Staatsanwaltschaft. Daher steht es mir als Vertreter des Bundesjustizministeriums nicht zu, dazu Stellung zu beziehen. Das ist außerhalb unserer Zuständigkeit, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage stellt der Herr Kollege Frankenhauser.
Herr Staatssekretär, könnten Sie die Gründe für die Ablehnung des Begehrens des Kollegen Dr. Vogel mitteilen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich habe den Brief jetzt natürlich nicht hier, und er ist mir jetzt auch nicht vollinhaltlich geläufig. Aber es könnte dafür zwei Gründe geben: Zum einen ist im Lande — durch den Landesrechnungshof oder welche Behörde auch immer — eine Prüfung erfolgt, zum anderen sind wir im Justizministerium nicht aufgefordert, Vorgänge abstrakt zu prüfen. Bei dem übersandten Vertrag war kein konkreter Vorgang erkennbar; denn die Namen waren geschwärzt. Insoweit bestand gar kein Bedarf, hier seitens des Justizministeriums Rechtsvorgänge für Abgeordnete abstrakt zu prüfen.
Sie haben nur eine Zusatzfrage, Herr Kollege Frankenhauser.
Bitte sehr, Herr Kollege de With.
Herr Staatssekretär, war es so, daß jenem Brief von Herrn Dr. Vogel die erwähnte Kleine Anfrage folgte mit der möglichen Intention, auf diese Art und Weise eine Antwort zu bekommen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Die Intentionen von Herrn Dr. Vogel kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber die zeitliche Abfolge ist so gewesen, wie Sie sie geschildert haben.
Werden weitere Zusatzfragen dazu gestellt? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich die Frage 35, die ebenfalls der Herr Kollege Dr. Erich Riedl gestellt hat, auf:Warum hat das Bundesministerium der Justiz, obwohl es sich in der Beantwortung der Kleinen Anfrage für unzuständig erklärt hat, nicht mit der zuständigen Landesjustizverwaltung Kontakt aufgenommen?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: In der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel, Renate Schmidt u. a. vom 3. Dezember 1993 ist darauf hingewiesen worden, daß
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Parl. Staatssekretär Rainer Funkeeine Beurteilung konkreter Lebenssachverhalte anderen Stellen vorbehalten ist.Die Kontaktaufnahme mit einer Landesjustizverwaltung war schon deshalb nicht veranlaßt, weil der Kleinen Anfrage kein Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wurde, der dem Geschäftsbereich einer bestimmten Landesjustizverwaltung zugeordnet werden könnte.
Zusatzfrage.
Indem ich Ihnen, Herr Staatssekretär, ausdrücklich für diese Antwort danken darf, möchte ich Sie fragen, ob meine Feststellung richtig ist, daß damit Pressemitteilungen falsch sind, wonach das Bundesjustizministerium den Pachtvertrag Gauweiler/Anwaltskanzlei für rechtswidrig gehalten und so bezeichnet hat?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Wer die Antwort richtig liest, wird feststellen, daß wir eine solche Beurteilung nicht vorgenommen haben.
Zweite Zusatzfrage.
Danke schön. — Ich bedanke mich ausdrücklich.
Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, hat es denn wegen der Beantwortung der Kleinen Anfrage im Bundeskabinett Meinungsverschiedenheiten gegeben?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich an dieser Kabinettssitzung nicht teilgenommen habe,
wo dies allein von der zeitlichen Abfolge möglich sein könnte.
Aber selbst wenn es nicht im Kabinett behandelt worden sein sollte — was ich, wie gesagt, nicht weiß —, dann kann ich mir vorstellen, daß es Meinungsäußerungen in den Koalitionsfraktionen oder vielleicht auch einzelner Regierungsmitglieder dazu gegeben hat, ja.
Kollege Kubatschka.
— Es werden die Antworten in der Fragestunde nicht kommentiert, Herr Kollege Schily.
— Bitte lesen Sie das Regelwerk des Deutschen Bundestages. Sie sind Jurist. Kein Disput mit dem Präsidenten!
Bitte, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wenn Sie anscheinend in Ihrer Antwort keinen Zusammenhang zur Affäre Gauweiler gesehen haben, können Sie sich dann die Aufgeregtheit von Bundesministern der CSU und Angehörigen der CSU überhaupt erklären?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, was diese rein im Subjektiven liegende Fragestellung soll. Ich habe da keine Erklärungen zu geben. Ich habe hier schlicht zu beurteilen, wie die Vorgänge im Justizministerium ablaufen und wie die Antworten auf die Fragen formuliert werden. Aber wie Dritte dann darauf reagieren, dazu habe ich mir wirklich keine Gedanken zu machen, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Kollegen de With.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die abstrakten Antworten der Bundesregierung auf jene Kleine Anfrage, auf die dort abstrakt gestellten Fragen zur Rechtswirksamkeit und zur Gültigkeit gewisser Pachtverträge, nach wie vor absolut richtig sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Entschuldigen Sie, jetzt haben Sie eine girlandenmäßige Frage gestellt, nachdem ich gerade kritisiert worden bin, ich hätte girlandenmäßig geantwortet. Sind Sie so freundlich und stellen Ihre Frage noch einmal, so daß ich sie verstehen kann.
Gerne. Ich werde langsamer sprechen: Können Sie bestätigen, daß die abstrakten Antworten der Bundesregierung auf die abstrakt gestellten Fragen in jener Kleinen Anfrage in bezug auf die Rechtsgültigkeit von gewissen Pachtverhältnissen nach wie vor absolut zutreffend und richtig sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Die Antworten der Bundesregierung sind richtig gewesen.
Herr Kollege Stiegler.
Haben Sie schon nachgeprüft, ob der abstrakte Sachverhalt, den Sie abstrakt richtig beurteilt haben, eine gewisse Ähnlichkeit mit Sachverhalten hat, über die sich der Kollege Riedl so aufgeregt hat?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, dazu brauche ich keine große Nachprüfung. Schon das
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17640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1994
Parl. Staatssekretär Rainer Funkeschlichte Zeitungsstudium läßt Vermutungen aufkommen.
Herr Kollege Riedl, es tut mir leid, unser Regelwerk läßt keine dritte Zusatzfrage für den Fragesteller zu. Wenn Sie es doch wenigstens Ihrem Nachbarn souffliert hätten.
— Entschuldigung, ich werde eben auf einen Fehler aufmerksam gemacht, den ich begangen habe. Sie hatten nur eine Zusatzfrage; dann bitte die zweite. Ich bitte um Verzeihung. Aber auch auf diesem Stuhl kann man irren.
Herr Präsident, es sei Ihnen verziehen.
Das, Herr Kollege Riedl, ist unzulässig. Weder Lob noch Tadel ist zulässig.
Man darf sich hier auch nicht eine Sekunde freuen. Ich weiß es, Herr Präsident.
Aber ich bedanke mich für die Möglichkeit, noch eine weitere Frage stellen zu können.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, den Kollegen von der SPD einmal den Unterschied zwischen Aufgeregtheit und Temperament zu erläutern? Denn ich bin mitnichten aufgeregt, allerdings manchmal sehr temperamentvoll.
Verzeihung, Herr Staatssekretär, die Frage ist nicht zulässig. Sie muß in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Text der gestellten Frage stehen und darf nicht kommentieren, was andere Kollegen gefragt haben.
Ich rufe die Frage 36 auf, die der Kollege Herbert Frankenhauser gestellt hat:
Trifft es zu, daß die früheren Bundesminister Dr. Hans-Jochen Vogel und Hans Engelhard während ihrer Tätigkeit in der Bundesregierung als Rechtsanwälte zugelassen und somit in dieser Zeit Rechtsanwalts-Sozietäten angehörten, und wenn ja, sind der Bundesregierung die Vertragsgestaltungen dieser Fälle bekannt?
Ich bitte den Herrn Staatssekretär urn Beantwortung.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung trifft es zu, daß die früheren Bundesminister Dr. Hans-Jochen Vogel und Hans Engelhard während ihrer Tätigkeit als Bundesminister zur Rechtsanwaltschaft zugelassen waren. In Beachtung von § 5 Abs. 1 Satz 1 Bundesministergesetz haben sie den Anwaltsberuf in dieser Zeit nicht ausgeübt.
Ob die früheren Bundesminister Dr. Hans-Jochen Vogel und Hans Engelhard Sozietäten angehörten, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Es liegen keine Erkenntnisse über die Inhalte etwaiger Sozietätsverträge vor.
Zusatzfrage, Herr Kollege Frankenhauser?
Weitere Zusatzfragen? — Herr Kollege de With.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Herr Dr. Vogel in dieser Zeit bis heute keinen Anwaltsbriefkopf verwendet hat, daß er auch kein Anwaltsschild angebracht hat und daß ihm darüber hinaus keinerlei Einnahmen während der Zeit seiner fortbestehenden, aber wie Sie selbst sagen, nicht ausgeübten Anwaltstätigkeit zugeflossen sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Vogel hat das gestern mitgeteilt, bestätigen kann ich das lediglich, soweit er mir dieses mitgeteilt hat. Aber die Bundesregierung prüft natürlich so etwas nicht nach. Ich unterstelle, daß solche Aussagen von Herrn Dr. Vogel selbstverständlich richtig sind.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Ihnen Herr Kollege Dr. Vogel mit Schreiben vom 18. Januar 1994 unter anderem folgendes mitgeteilt hat:
Dazu teile ich mit, daß ich als Bundesminister keiner Sozietät angehört, keinen Anwaltsbriefkopf verwendet und auch kein Anwaltsschild angebracht habe. Mir sind während dieser Zeit meiner fortbestehenden, aber nicht ausgeübten Anwaltseigenschaft keinerlei Einnahmen zugeflossen.
Haben Sie irgendeinen Zweifel daran, daß diese Mitteilung des Kollegen Dr. Vogel richtig ist?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich meine, daß ich das eben beantwortet habe. Ich kann diesen Brief vom 18. Januar 1994, dem ein Telefongespräch voranging, bestätigen. Ich habe eben zu Herrn Dr. de With gesagt, daß ich keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage von Herrn Dr. Vogel habe.
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 20. Januar 1994, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.