Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 200. Sitzung des 12. Deutschen Bundestages.
An diesem Tag feiert Kollege Dr. Alfred Dregger seinen 73. Geburtstag. Ich spreche ihm die besten Glückwünsche des Hauses aus.
Sodann teile ich Ihnen mit, daß die frühere Kollegin Dr. Hedda Meseke am 6. Dezember 1993 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als ihre Nachfolgerin hat die Abgeordnete Maria Anna Hiebing am 8. Dezember 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die neue Kollegin — sie kommt aus der Landwirtschaft — ganz herzlich.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekampfungsund Steuerbereinigungsgesetz — StMBG) — Drucksachen 12/5630, 12/5764, 12/5940, 12/6078, 12/6123, 12/6267, 12/6358 —7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ersten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) — Drucksachen 12/5502, 12/5871, 12/5902, 12/5929, 12/6266, 12/6375 —7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG) — Drucksachen 12/5510, 12/5872, 12/5903, 12/5930, 12/6266, 12/6376 —
7. Vereinbarte Debatte zur Pflegeversicherung
8. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz — PflegeVG) — Drucksachen 12/5262, 12/5617, 12/5761, 12/5891, 12/5920, 12/5952, 12/6094, 12/6424 —
9. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Entgeltfortzahlungsgesetz — Drucksachen 12/5263, 12/5616, 12/5760, 12/5772, 12/5798, 12/5906, 12/6425 —
10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über das Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Baumaßnahmen im Bereich deutscher Schulen im Ausland — Drucksachen 12/4069, 12/6294 —
11. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Förderung der beruflichen Weiterbildung — Drucksache 12/6426 —
Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf:
ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz — StMBG)
— Drucksachen 12/5630, 12/5764, 12/5940,
12/6078, 12/6123, 12/6267, 12/6358 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Ersten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG)
— Drucksachen 12/5502, 12/5871, 12/5902,
12/5929, 12/6266, 12/6375 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
ZP8 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Kon-
17314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
solidierungs- und Wachstumsprogramms
— Drucksachen 12/5510, 12/5872, 12/5903,
12/5930, 12/6266, 12/6376 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist der Fall. Herr Dr. Blens!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hatte bei diesen Gesetzen, insbesondere bei den beiden Spargesetzen, eine Anzahl außergewöhnlich weitgehender Forderungen des Bundesrates auf dem Tisch liegen. Ich will Ihnen das einmal kurz vorlesen, damit Sie wissen, worum es ging. Der Bundesrat hatte unter Berufung auf seinen Finanzausschuß folgendes gefordert — ich zitiere aus dem Protokoll des Finanzausschusses —: Im wesentlichen sind folgende Maßnahmen der Spargesetze zurückzunehmen: die Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe und deren Befristung auf zwei Jahre, die Kürzung des Unterhaltsgeldes, die Kürzung des Übergangsgeldes, die Kürzung des Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeldes, die Nichterstattung der Mutterschaftspauschale an die gesetzlichen Krankenversicherungen, die Nichtanpassung des BAföG an die gestiegenen Lebenshaltungskosten und Anrechnung des Kindergeldes beim BAföG, die Nichtanpassung der Sozialhilfe im Zeitraum 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995, die höhere Kostenbeteiligung der Zivildienststellen, die generelle Verpflichtung der Kommunen, für alle Sozialhilfeempfänger Gelegenheiten zu gemeinnütziger Arbeit zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wenn der Vermittlungsausschuß dem gefolgt wäre, dann wäre von den Spargesetzen nichts mehr übriggeblieben, außer einem: der Erhöhung der Mineralölsteuer zum 1. Januar 1994. Ich denke, für einen Ausschuß, der Kompromisse zwischen den Beschlüssen des Bundestages und des Bundesrates zu suchen hat, wäre das völlig unakzeptabel gewesen.
—Kompromiß heißt immer gegenseitiges Nachgeben. Das ist das Wesen des Kompromisses, ob einem das nun gefällt oder nicht.
Wir haben deshalb einen Kompromiß gesucht und gefunden, wobei aus dem großen Katalog des Bundesrates drei Punkte herausgenommen und dazu Regelungen vorgeschlagen worden sind, die vom Bundestagsbeschluß abweichen.
Zum ersten Spargesetz haben wir folgendes gesagt. Der Bundestag hatte die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf die Dauer von zwei Jahren beschlossen. Das heißt, bei jüngeren Langzeitarbeitslosen sollte nach einem Jahr Arbeitslosengeld zwei Jahre Arbeitslosenhilfe von der Bundesanstalt gezahlt werden. Das heißt, insgesamt sollte drei Jahre lang bei jüngeren Langzeitarbeitslosen der Unterhalt von der Bundesanstalt finanziert werden.
Für ältere Langzeitarbeitslose sollte sich an den Bezug des Arbeitslosengeldes von rund drei Jahren ebenfalls zwei Jahre Arbeitslosenhilfe anschließen. Insgesamt sollte also bei älteren Langzeitarbeitslosen der Unterhalt etwa fünf Jahre lang von der Bundesanstalt finanziert werden. Nach Ablauf dieser Zeit sollte dann die Sozialhilfe, die von den Kommunen zu erbringen ist, die Unterhaltsleistungen übernehmen.
Der Vermittlungsausschuß schlägt nun vor, die Begrenzung der Zahlung von Arbeitslosenhilfe im Anschluß an das Arbeitslosengeld auf die Dauer von zwei Jahren aufzuheben. Das heißt, Arbeitslosenhilfe wird wie bisher weiter ohne zeitliche Begrenzung gezahlt,
so daß es insoweit keine neue Belastung der Kommunen dadurch gibt, daß sie wegfallende Arbeitslosenhilfe durch zusätzliche Sozialhilfeleistungen ersetzen müßten, wie es nach dem Bundestagsbeschluß der Fall gewesen wäre.
Die sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose, die vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden haben oder die nach sehr kurzer versicherungspflichtiger Tätigkeit noch keinen Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld haben, wird auf die Dauer eines Jahres beschränkt. Das ist eine Verschlechterung für die Arbeitslosen gegenüber dem Bundestagsbeschluß; denn nach dem Bundestagsbeschluß wäre auch die originäre Arbeitslosenhilfe für zwei Jahre zu zahlen gewesen.
Lassen Sie mich zur Bewertung etwas sagen. Tatsache ist: Für Langzeitarbeitslose hätte sich durch den Bundestagsbeschluß, was die Höhe der Leistungen angeht, im wesentlichen nichts geändert, und zwar deshalb nicht, weil Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe der Höhe nach in etwa gleich sind. In Ostdeutschland ist die Sozialhilfe sogar weitgehend höher als die Arbeitslosenhilfe, weil in ostdeutschen Ländern die Sozialhilfe den westdeutschen Standard fast erreicht hat, während die Löhne und Gehälter, an denen sich die Arbeitslosenhilfe orientiert, noch erheblich unter dem westdeutschen Niveau liegen.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem Bundestagsbeschluß und dem, was der Vermittlungsausschuß vorschlägt, liegt also nicht in der Höhe der Leistungen für die Leistungsbezieher, sondern der entscheidende Unterschied besteht darin, wer der Zahlungspflichtige ist. Bei der Arbeitslosenhilfe zahlt der Bund, bei der Sozialhilfe hätten die Gemeinden gezahlt. Wir schlagen jetzt vor, das wieder seitens des Bundes zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, im Kern geht es bei dieser Auseinandersetzung um einen Finanzstreit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Das hängt nun einfach damit zusammen, daß in der derzeitigen Situation die Finanzdecke für den Staat insgesamt, für Bund, Länder und Gemeinden, erstens immer dünner und zweitens immer kleiner wird.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17315
Dr. Heribert Blens
Unter dieser immer dünneren und immer kleineren Decke liegen der Bundesfinanzminister, Länderfinanzminister und Kämmerer. Wenn es dem Bundesfinanzminister gelingt, sich ein Stück der Decke herüberzuziehen, dann erfriert dem Kämmerer der Hintern, und das hat er nicht gerne. Das ist die Situation.
Meine Damen und Herren, wir haben im Vermittlungsausschuß die Decke mm wieder ein Stückchen in Richtung der Kämmerer gezogen, mit entsprechend negativen Folgen für den Bundesfinanzminister. — Das ist das, was wir zum ersten Spargesetz vorschlagen.
Beim zweiten Spargesetz geht es u. a. um den Anstieg der Regelsätze der Sozialhilfe. Nach dem Bundestagsbeschluß sollten die Regelsätze, beginnend mit dem 1. Juli 1993, im ersten Jahr nur um 2 %, im darauffolgenden Jahr, von Mitte 1994 bis Mitte 1995, um 0 % und im dritten Jahr uni bis zu 3 angepaßt werden. Wir haben das insofern geändert — und empfehlen Ihnen Zustimmung dazu —, als wir in allen drei Jahren eine Steigerung von 2 % zulassen wollen, allerdings mit einer Einschränkung: Wir haben dazugesagt — das ist im Gesetzentwurf so formuliert —, daß die Sozialhilfe auch innerhalb dieses Rahmens von 2 % auf keinen Fall stärker ansteigen darf als die Nettolöhne und -gehälter. Wenn Sie bedenken, daß wir nicht ausschließen können, daß Nettolöhne und -gehälter in den nächsten Jahren um 0 % steigen, dann heißt das, daß auch die Sozialhilfe nur um 0 % ansteigen kann. Es ergibt sich also gegenüber dem Bundestagsbeschluß möglicherweise überhaupt keine Veränderung. Das muß man der Ehrlichkeit halber natürlich dazusagen.
Es ging noch um einen weiteren Punkt, zu dem wir einen Vorschlag machen, nämlich um die Verpflichtung der Sozialhilfeempfänger zu gemeinnützigen Arbeiten. Diese Verpflichtung bleibt uneingeschränkt erhalten. Es ändert sich nur eines, nämlich die bedingungslose Verpflichtung der Kommunen, für Sozialhilfeempfänger auch Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Die Kommunen haben — ich meine: mit vernünftigen Argumenten —, unterstützt von den kommunalen Spitzenverbänden, darauf hingewiesen, daß es ihnen nicht ohne jede Bedingung möglich ist, diese Arbeitsplätze zu schaffen und zur Verfügung zu stellen. Ich denke, diesen vernünftigen Argumenten galt es Rechnung zu tragen. Deshalb haben wir aus der strikten Muß-Vorschrift des Gesetzes eine SollVorschrift gemacht. „Sollen" heißt nach der Rechtsprechung, daß man in der Regel so verfahren muß. Aber „in der Regel" bedeutet, daß es auch Ausnahmen gibt.
Meine Damen und Herren, insgesamt: Es ist ein Kompromiß. Ich sagte eben schon, daß ein Kompromiß durch gegenseitiges Nachgeben zustande kommt. Bei gegenseitigem Nachgeben ist niemand zu 100 % zufrieden.
Aber es ist auch niemand zu 100 % unzufrieden. Das ist der Vorteil der anderen Seite. Ich glaube, entscheidend ist, daß es gelungen ist, zu verhindern, daß das Sparpaket, von dem der Haushalt 1994 abhängt, an einer Zweidrittelmehrheit des Bundesrates am 17. Dezember scheitert. Das drohte, und das ist verhindert. Es ist durch den Kompromiß, wenn er heute angenommen wird, sichergestellt, daß Einsparungen in Höhe von 20,6 Milliarden DM sicher über die Bühne gehen und damit der Haushalt 1994 gefahren werden kann.
Nach der Geschäftsordnung ist jetzt eine Aussprache nicht zulässig. Vielmehr geben die Vertreter der einzelnen Fraktionen und Gruppen Erklärungen ab. Es beginnt die größte Fraktion.
Herr Dr. Rüttgers!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das größte Sparpaket, das in dieser Legislaturperiode geschnürt worden ist,
das heute hier abschließend behandelt wird. Ich will ganz zu Beginn sagen, daß ich froh darüber bin,
daß es möglich geworden ist, im Vermittlungsausschuß einen Kompromiß zu erzielen. Das heißt konkret, daß die Mehrheit der SPD-geführten Länder dem Kompromiß im Vermittlungsausschuß zugestimmt hat.
Es ist einfach bei denjenigen in der SPD, die in Regierungsverantwortung stehen, deutlich geworden, daß es nicht nur um Sparen und Konsolidierung geht, sondern vor allen Dingen um Wachstum und neue Arbeitsplätze durch Konsolidierung und durch Sparen.
Meine Damen und Herren, deshalb finde ich es unverständlich, daß die SPD-Fraktion gleich dem wichtigsten Spargesetz nicht zustimmen will.
Auf der einen Seite für Steuererhöhungen, aber auf der anderen Seite gegen Sparen zu sein mag zwar sozialdemokratischer Tradition entsprechen, aber es hilft nicht unserer Wirtschaft, es hilft nicht den Menschen, die heute nach Arbeit suchen.
— Sie können hier schreien, soviel Sie wollen: Zwischen Ihren Reden auf den Parteitagen und Ihrem
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Dr. Jürgen Rüttgers
Handeln gibt es eine Glaubwürdigkeitslücke, die von Tag zu Tag größer wird.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, und gerade diejenigen, die hier so laut rufen: Wie lange wollen Sie denn eigentlich noch mit gespaltener Zunge reden?
Ihre Sparbekenntnisse sind Lippenbekenntnisse. Jede Mark, die die Koalition einspart, muß gegen Ihren Widerstand durchgesetzt werden.
Sie beklagen, daß die Abgaben und die Arbeitskosten zu hoch seien, Sie sind aber nicht bereit, im Sozialbereich Einsparungen vorzunehmen. Das paßt einfach nicht zusammen.
Sie sagen, die Steuern seien zu hoch, und fordern tatsächlich nichts anderes, als jeden Tag eine neue Steuer zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit, das ist die Widersprüchlichkeit Ihres Handelns. Deshalb finde ich die Ablehnung des wichtigsten Spargesetzes durch die SPD-Opposition blamabel.
Die CDU/CSU-Fraktion ist nicht froh über diesen Kompromiß — wir hätten noch mehr sparen können —, wir werden ihm aber zustimmen, weil dies wichtig ist für die Konsolidierung, für Wachstum und für neue Arbeitsplätze.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Rüttgers sprach für sich.
Diese Art der Polemik ist mir völlig fremd. Ich werde nur sachlich argumentieren.
Ich weise darauf hin, daß das sogenannte erste Spargesetz kein Spargesetz ist, sondern ein Gesetz mit dem Abbau sämtlicher sozialer Rechte, die sich
Arbeitnehmer in den letzten Jahren erkämpft haben.
Herr Kollege Rüttgers, wenn Sie glauben, daß man mit diesem Sozialabbau unsere Wirtschaft sanieren könnte, zu Lasten der Bauarbeiter, denen das Schlechtwettergeld gestrichen wird, zu Lasten der Arbeitslosenhilfeempfänger, der Sozialhilfeempfänger, dann sage ich Ihnen: Dazu werden Sie nie auch nur eine einzige Stimme von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bekommen.
Meine Damen und Herren aus der Koalition, wir haben anstrengende Sitzungen im Vermittlungsausschuß gehabt. Die Art und Weise, wie Herr Rüttgers hier geredet hat, ist nicht unser Stil im Vermittlungsausschuß. Da geht es vornehmer zu.
In der Sache betone ich: Wir Sozialdemokraten haben gefordert — und im Gegensatz zu Ihren unwahren Behauptungen hier, Herr Kollege Rüttgers, auch Finanzierungsvorschläge für unsere Forderungen gemacht —,
daß weder das Arbeitslosengeld noch die Arbeitslosenhilfe gekürzt wird, daß das Schlechtwettergeld nicht gekürzt wird und nicht gestrichen wird. Wir haben erreicht — darauf sind wir stolz —, daß Arbeitslosenhilfeempfänger niemals in die Sozialhilfe fallen.
Das ist nur uns und unserem Einsatz zu verdanken.
Ich habe Ihnen in inoffiziellen und in offiziellen Gesprächen immer gesagt: Wenn es Finanznöte gibt, die niemand bestreitet, dann tragen aber nicht wir die Verantwortung dafür, sondern der Herr Grünewald oder sein Chef, der Herr Waigel. Das wollte ich hier noch einmal sagen. Wer macht denn die ganze Zeit all die Schulden?
Wir haben gesagt: Warum haben Sie nicht den Mut
— den auch, ja; warum haben Sie nicht den Mut zurückzutreten? —, den Solidarzuschlag, der ab 1. Januar 1995 die Steuerzahler wieder belasten soll, um ein Viertel- oder ein halbes Jahr vorzuziehen? Denn dann bräuchten Sie die gesamten sozialen Schweinereien, die Sie jetzt vorhaben, nicht zu machen.
Warum soll es nicht möglich sein, insbesondere diejenigen, die von ihrer finanziellen Situation her können, solidarisch zu beteiligen? Es geht um eine Verhinderung von Sozialabbau, und deshalb wird die
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Dr. Peter Struck
SPD-Bundestagsfraktion dem ersten Spargesetz nicht zustimmen.
Als nächster spricht der Kollege Hermann Rind.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was der Herr Struck hier gerade vorgeführt hat, ist wieder einmal das typische Verschleierungsmanöver der SPD.
Er sagt: Hättet ihr den Solidaritätszuschlag ein halbes Jahr früher eingeführt, dann hätten wir all diese Maßnahmen nicht gebraucht. Herr Struck, Sie glauben dieses Geschwätz doch selbst nicht.
Das wäre ein einmaliger Effekt mit Mehreinnahmen für ein halbes Jahr gewesen. Dagegen wären gestanden: dauerhafte Verpflichtungen beim Bund und eine Aufgabe des Sparprogramms.
Seien Sie in diesem Punkt doch wenigstens ehrlich.
Abgesehen davon, Herr Struck, haben Sie ja noch andere Vorschläge gemacht, nämlich die Mineralölsteuer noch über die 16 Pfennige hinaus zu erhöhen, die wir für die Bahnreform benötigen. Sie wollten noch mehr draufsatteln ohne Rücksicht auf die konjunkturelle Lage und die Wirtschaftslage im Jahr 1994; die scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren.
Meine Damen und Herren, ich finde, daß es hier auch zum ehrlichen Umgang gehört zu sagen, daß die Belastung der Arbeitslosenversicherung mit der Arbeitslosenhilfe praktisch auf Lebenszeit — wenn einer ein Leben lang nicht mehr ins Arbeitsleben zurückfindet — nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist, sondern des unteren Sozialsicherungssystems, der Sozialhilfe.
Wir wollen hier ganz ehrlich miteinander diskutieren. Die Arbeitslosenversicherung hat nicht die Aufgabe zu übernehmen, für den betroffenen Personenkreis praktisch lebenslänglich einzutreten.
Das sind Beiträge der Beitragszahler, die hier auf dem Spiel stehen.
Es geht hier um die Frage der Ebenenverschiebung, ob diese Belastungen vom Bund auf die Gemeinden verlagert werden können. Da sage ich Ihnen: Wenn Sie sich heute bei den Gemeinden hochfeiern lassen wollen, dann seien Sie bitte auch ganz ehrlich und geben Sie zu, daß der Bund den Ländern in den letzten Jahren mehrfach die Möglichkeit gegeben hat, den
Gemeinden das zu geben, was den Gemeinden zusteht.
Wir haben den Umsatzsteueranteil der Länder um sieben Punkte verbessert mit dem Ziel, daß sie ihre Kommunen ausstatten können.
Ich will es so sagen: Die Lander — und zwar die SPD-Länder in vorderster Front — haben hier keine Gelegenheit ausgelassen, ihre Mehrheit im Bundesrat auszunutzen, um den Bund auszuplündern. Die Beute haben die Länder allerdings selbst behalten und nicht mit den Kommunen geteilt.
Meine Damen und Herren, es wurde hier noch kein Wort zum Steuerbereinigungsgesetz gesagt. Deswegen will ich hier noch kurz anmerken, daß alle ideologisch verbrämten Vorhaben der SPD gescheitert sind.
— Wenn Sie so laut schreien, Herr Büttner, will ich Ihnen das an drei Beispielen deutlich machen.
Erstes Beispiel. Die 80 000-DM-Grenze für Pkw wirkt arbeitsplatzvernichtend bei Daimler-Benz und bei BMW. Wollen Sie das? Offensichtlich ja.
Zweites Beispiel. Streichung der Abzugsfähigkeit von Bewirtungskosten. Wir haben hier aufgenommen, wozu wir stehen: Mißbrauchsbekämpfung in wirksamer Weise. Ich will das nicht weiter ausführen.
Nur, das muß ich Ihnen schon sagen: Wenn Ihre Vorstellungen Platz gegriffen hätten, hätten Sie Zigtausende Arbeitsplätze in der Gastronomie vernichtet.
Drittes Beispiel. Ich sage Ihnen auch etwas zu dem Reizwort „hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse".
Mittlerweile gibt es einen breiten Konsens — nur nicht innerhalb der SPD —, daß mit der Abzugsfähigkeit für Familien mit Kleinkindern und für Familien mit Behinderten bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen reguläre Arbeitsverhältnisse gesichert werden. Sie wollten auch das abschaffen.
17318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Hermann Rind
Meine Damen und Herren, hier wird eine Debatte unter dem Vorzeichen des Sozialen geführt. In Wirklichkeit stecken Maßnahmen dahinter, die alles andere als sozial sind und Arbeitsplätze vernichten.
Zu den Spargesetzen. Wir haben eine neue Belastung des Bundes, mit der wir fertig werden müssen. Das ist eine schwere Aufgabe, eine schwere Hypothek für uns. Deswegen fällt es uns nicht leicht, unter diesem Aspekt den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Wir tun dies jedoch im Bewußtsein, daß wir insgesamt ein Sparvolumen von deutlich über 20 Milliarden DM, fast 23 Milliarden DM, erhalten haben. Deswegen wird die F.D.P.-Fraktion zustimmen.
Vielen Dank.
Als letzte spricht Frau Blass.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur die Gewerkschaften sind enttäuscht über den Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat zum Steuerbereinigungsgesetz und zum Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm. Auch wenn von einigen der geplanten einschneidenden Kürzungen wieder Abstand genommen wurde, gehen die Einschnitte nach wie vor eindeutig zu Lasten der sozial Schwachen in diesem Lande, der Empfängerinnen und Empfänger der Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsmarktpolitik. Wie man das, Herr Kollege Struck, als eine — ich zitiere Sie — „gute Nachricht für die Bedürftigen in der Bundesrepublik" bezeichnen kann, ist mir völlig unverständlich.
Von den geplanten Kürzungen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wurde nichts zurückgenommen. Nahezu alle Leistungen im beitragsfinanzierten System werden gekürzt. Dies reicht von der Absenkung des Arbeitslosengeldes, des Kurzarbeitergeldes, des Eingliederungsgeldes und der Eingliederungshilfe bis zu der Absenkung des Unterhaltsgeldes, der Verschärfung der Sperrzeitregelung und der Verschlechterung des Bemessungszeitraumes für die Ermittlung von Lohnersatzleistungen.
Mit dem Abbau des Schlechtwettergeldes und der Umwandlung des Rechtsanspruchs auf berufliche Weiterbildung in eine Kann-Leistung werden gleichfalls zentrale Elemente des Arbeitsförderungsgesetzes gefährdet. 20,6 Milliarden DM werden nach wie vor zu Lasten von Arbeitslosen, Kurzarbeitenden, Umschülerinnen und Umschülern, Bezieherinnen und Beziehern von Eingliederungshilfen und Zivildienstleistenden eingespart.
Herr Blens, ich bin entsetzt, daß in Ihrer Rede nicht ein einziges Mal das Wort „Betroffene", oder „Menschen" vorkam. Es geht in der Tat nicht nur um Zahlen bei diesen Gesetzen.
Zu Recht spricht der DGB davon, daß zudem die soziale Schieflage bei der Finanzierung der einheitsbedingten Lasten keinesfalls beseitigt, sondern mit der Rücknahme der ursprünglich geplanten Senkung des Beitrages für die Arbeitslosenversicherung noch verschärft wird. Durch die Beibehaltung des Beitragssatzes für die Bundesanstalt für Arbeit wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern allein im kommenden Jahr ein einseitiges Sonderopfer von 2,5 Milliarden DM aufgebürdet. Der Vermittlungsausschuß hat die Chance leider nicht genutzt, die Gerechtigkeitslücke bei der Finanzierung einheitsbedingter Lasten zu beseitigen.
Die für die Sozialhilfe vorgesehene Regelung wird zu einer realen Absenkung des Existenzminimums führen. Vom Bedarfsdeckungsprinzip als einem zentralen Element des Bundessozialhilfegesetzes wird damit Abstand genommen.
Die Einführung der ohnehin entwürdigenden Arbeitspflicht ins BSHG stellt eine weitere Verschärfung der Lage der Sozialhilfeberechtigten in diesem Lande dar. Davon, daß Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger — so Herr Kollege Dreßler — nun nicht hinten runterrutschen, kann also absolut keine Rede sein.
Mit der Entscheidung, die Arbeitslosenhilfe nicht auf zwei Jahre zu begrenzen und den Sozialhilfeberechtigten far 1995 keine Nullrunde zu verordnen, haben sich die Regierungsparteien im Vermittlungsausschuß offensichtlich dem Druck der Kommunen und ihrer vernichtenden Kritik an der Bonner Sparpolitik gebeugt; gewiß ein Erfolg für sie, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn trotz des Kompromisses im Vermittlungsausschuß bleibt beim Sparpaket nämlich das Grundproblem der zunehmenden Lastenverteilung vom Bund auf die Kommunen.
Vor allem durch die Kürzungen bei den Lohnersatzleistungen kommen durch das Sparpaket in seiner jetzigen Form nach Einschätzung des Deutschen Landkreistages ab 1994 finanzielle Lastenverlagerungen vom Bund auf die kommunalen Sozialhilfeetats in einem Umfang von jährlich ca. 2 Milliarden DM zustande. Damit werden die ohnehin gewaltigen Belastungen der Kommunen durch die Sozialhilfe vom Bund zusätzlich in die Höhe getrieben, und die Gefahr des sozialen und finanziellen Kollapses der Kommunen ist keineswegs gebannt.
Mit etwa 3 Milliarden DM Mehrausgaben soll das weitere Anwachsen der Armut in Deutschland zunächst abgemildert werden, für die SPD offenbar ein ausreichender Grund, den anderen massiven Sozialkürzungen zuzustimmen. Und auch wenn die SPD heute hier nein sagt, ist bereits signalisiert worden, daß es eine satte Mehrheit im Bundesrat für den faulen Kompromiß geben wird. Es bleibt zu hoffen, meine Damen und Herren, daß dieser parlamentarischen Kungelei wenigstens außerparlamentarisch ein entschiedener Widerstand entgegengesetzt wird.
Der DGB hat gestern an uns Abgeordnete appelliert, aus sozialstaatlicher und finanzpolitischer Verantwortung diesem die wirtschaftlichen und sozialen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17319
Petra Blass
Probleme verschärfenden Programm zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsgesetzes auch nach dem faulen Kompromiß des Vermittlungsausschusses nicht zuzustimmen. Die PDS/Linke Liste ist sich dieser Verantwortung bewußt und sagt nein zu ihm.
Frau Bläss, trotzdem muß ich noch einmal sagen: Der Vermittlungsausschuß ist nicht der Ort parlamentarischer Kungelei, sondern der Kompromißfindung.
Nach dieser Berichterstattung mit Erklärungen lebhaftesten Debattencharakters kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die in den drei Beschlußempfehlungen vorgeschlagenen Änderungen jeweils gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/6358, Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mehrheitlich angenommen bei Gegenstimmen der PDS/Linke Liste, einigen Gegenstimmen der SPD und zwei Enthaltungen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/6375, Erstes Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-
und Wachstumsprogramms? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und PDS/Linke Liste bei einer Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/6376, Zweites Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-
und Wachstumsprogramms? — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Die Beschlußempfehlung ist mehrheitlich angenommen bei Gegenstimmen aus der SPD, der PDS/Linke Liste und einer Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.
Ich gebe noch bekannt, daß Arne Fuhrmann eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat ). — Im Moment wird mir noch eine Erklärung des Kollegen Norbert Eimer vorgelegt, die ebenfalls zu Protokoll gegeben wird **).
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Vereinbarte Debatte zur Pflegeversicherung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch, und wir verfahren so.
*) Anlage 2
**) Anlage 3
Ich weise darauf hin, daß die Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses zum Pflege-Versicherungsgesetz und zum Entgeltfortzahlungsgesetz als nächste Tagesordnungspunkte aufgerufen werden. Die Abstimmung wird namentlich erfolgen.
Das Wort zur Berichterstattung hat zunächst Herr Vogt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat in allgemeiner Form am 15. Oktober 1993 — —
Darf ich kurz um Unterbrechung bitten? Diejenigen, die den Saal verlassen möchten, tun das bitte jetzt. Dann bitte ich, dem Redner zuzuhören.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat am 15. Oktober 1993 in allgemeiner Form zum Entgeltfortzahlungsgesetz und am 5. November 1993 zum Pflegeversicherungsgesetz den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Vermittlungsausschuß hat gestern abschließend beraten.
Ihm lag zunächst ein Beschlußentwurf der SPD und der A-Länder vor, der mit Stimmengleichheit abgelehnt wurde. Danach wurde über einen Beschlußentwurf der CDU/CSU, der F.D.P. und der B-Länder abgestimmt. Dieser Beschlußentwurf fand die Mehrheit im Vermittlungsausschuß.
Beiden Beschlußentwurfen waren viele Teile gemeinsam. Das war das Resultat der vielen Vorgespräche, die außerhalb des Vermittlungsausschusses und in ihm zum Entgeltfortzahlungsgesetz und zum Pflegeversicherungsgesetz geführt worden sind. Umstritten blieb vor allem eine Frage, nämlich: Wie kann verhindert werden, daß durch die Pflegeversicherung die Lohnzusatzkosten erhöht werden?
Dazu möchte ich hervorheben: Im Vermittlungsausschuß war nicht umstritten, daß kompensiert werden muß. Nicht das Ob, sondern nur das Wie war umstritten. Deshalb glaube ich, Frau Kollegin Fuchs, daß es auch für die weiteren Auseinandersetzungen keinen Spielraum mehr für Totschlagargumente wie „Lohnraub" und anderes gibt. Solche Argumente haben deshalb im Vermittlungsausschuß auch keine Rolle gespielt.
Ich fasse die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses zusammen:
Erstens. Der Vermittlungsausschuß schlägt Leistungsverbesserungen vor. Bei der stationären Pflege soll der Wert der Pflegeleistungen von durchschnittlich 2 100 auf 2 500 DM, maximal auf 2 800 DM angehoben werden. Es ist eine Härteklausel für ca. 5 % der Pflegebedürftigen vorgesehen. Sie können weitere Pflegeleistungen im Wert von 500 DM, also insgesamt monatlich 3 300 DM erhalten. Bei der
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Wolfgang Vogt
häuslichen Pflege wird der Wert der Pflegeleistungen in der Pflegestufe III von 2 100 auf 2 250 DM angehoben. Auch für die Stufe III wird eine Härteklausel eingeführt, wonach zwei weitere Pflegeeinsätze pro Tag möglich sind, maximaler Wert 3 750 DM.
Diese Leistungsverbesserungen erfordern 2,35 Milliarden DM. Sie sind wesentlich für die Pflegebedürftigen und die Schwerstpflegebedürftigen in unserer Gesellschaft vorgesehen. Die Mittel für diese Leistungsverbesserungen sind vorhanden, weil sich die Beitragseinnahmen gegenüber 1991 entsprechend erhöhen werden.
Zweitens. Der Vermittlungsausschuß trägt dem Begehren der Länder nach dualer Finanzierung Rechnung. Die Länder übernehmen die Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen; sie regeln die Einzelheiten in eigener Zuständigkeit.
Drittens. In den neuen Bundesländern besteht bei den Pflegeeinrichtungen ein ganz erheblicher Nachholbedarf. Deshalb werden aus der Pflegeversicherung jährlich für die Dauer von sieben Jahren 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt, um diesen Nachholbedarf auszugleichen; immerhin eine Summe von 5,6 Milliarden DM. Auch dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses kann sich, glaube ich, sehen lassen.
Viertens zum Inkrafttreten des Gesetzes: Das Gesetz soll nach dem Beschluß des Vermittlungsausschusses am 1. April 1994 in Kraft treten, die Vorschriften über die ambulanten Leistungen am 1. Juli 1994, die über die stationären Leistungen am 1. Juli 1996. Ich habe dies an dieser Stelle dargestellt, damit klar wird, in welchen Stufenfolgen die Kompensation in Kraft treten soll.
Wir wollen, wie ich gesagt habe, keine Erhöhung der Lohnzusatzkosten wegen der Pflegeversicherung. Deshalb hat der Vermittlungsausschuß mit Mehrheit beschlossen, daß es am 1. April 1994 zunächst zur Absenkung des Feiertagslohns bei den zehn bundeseinheitlichen Feiertagen um 10 % kommt. Diese Absenkung kann durch den Arbeitnehmer mit einem Verzicht auf einen Urlaubstag vermieden werden. Auf beides kann verzichtet werden, wenn ein Land in eigener Zuständigkeit einen Wochenfeiertag streicht.
Am 1. Juli 1996, also an dem Datum, an dem die Vorschriften über die stationären Pflegeleistungen in Kraft treten, wird der Feiertagslohn um weitere 10 % gesenkt. Diese Senkung kann wiederum durch Verzicht auf einen weiteren Urlaubstag vermieden werden. Die Länder haben auch hier die Möglichkeit, durch Streichung eines Wochenfeiertags die Absenkung des Feiertagslohns oder den Verzicht auf einen Urlaubstag auszugleichen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten schien es oft so, als würden sich die politischen Kräfte in diesem Lande bei der gesetzlichen Pflegeversicherung gegenseitig blockieren. Ich möchte hervorheben, daß der Vermittlungsausschuß seiner Aufgabe gerecht geworden ist, zwischen Bundestag und Bundesrat einen tragfähigen Kompromiß zu erarbeiten.
Ich bedanke mich bei allen, die dabei mitgewirkt haben, auch bei denen, die sich mit ihren Vorstellungen nicht haben durchsetzen können.
Vielen Dank.
Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Als erster spricht der Kollege Julius Louven.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Wolfgang Vogt hat soeben das Ergebnis des Vermittlungsausschusses dargestellt. Ich will den einen oder anderen Punkt noch ein wenig bewerten.
Der Vermittlungsausschuß hat in dieser Woche in schwieriger Zeit und in großer Verantwortung, wie ich meine, hervorragende Arbeit geleistet. Über das Sparpaket haben wir vorhin abgestimmt; die Beschlüsse zur Pflegeversicherung sind heute ebenfalls zu fassen.
Der Bundesrat hat in sechs Punkten sein Vermittlungsbegehren begründet. Zu diesen Punkten möchte ich kurz Stellung nehmen. Wir haben uns nicht darauf verständigen können, die Vorschläge der SPD zum versicherten Personenkreis zu übernehmen. Unser Sozialversicherungssystem kennt keine Volksversicherung. Von daher meinen wir, daß mit unserem Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung" der richtige Weg beschritten wird, zumal bis auf ganz wenige Ausnahmen zukünftig alle pflegeversichert sein werden.
Wir konnten uns auch nicht dazu entschließen, einer Änderung der Beitragsbemessungsgrenze zuzustimmen.
Dies haben wir für nicht sinnvoll gehalten, insbesondere deshalb, weil es aus organisatorischen Gründen nicht klug wäre, in der Krankenversicherung, die die Pflegeversicherung ja organisiert,
eine andere Beitragsbemessungsgrenze zu haben.
— Wir haben uns, Herr Urbaniak, darauf verständigt — jetzt komme ich zu den Punkten, bei denen wir Einvernehmen hatten —, in der Definition der Pflegestufen den Vorschlägen der SPD zu folgen. Wir haben bei der Leistungshöhe — darauf hat Wolfgang Vogt schon hingewiesen — erhebliche Verbesserungen verabreden können, insbesondere für Schwerstpflegebedürftige. Die Härte-Klausel in der stationären Pflege, die für etwa 5 % der Pflegefälle in Frage kommt, sieht zukünftig Leistungen bis maximal 3 300 DM vor, und das auf der Basis der Zahlen von 1994.
Julius Louven
Auch in der häuslichen Pflege haben wir Verbesserungen für die Schwerstpflegefälle vorgenommen. Hier sind künftig für einen bestimmten Prozentsatz der Schwerstpflegefälle fünf Pflegeeinsätze am Tag möglich; es steht eine Summe von 3 750 DM zur Verfügung.
Wir haben uns darauf verständigen müssen, von der monistischen Finanzierung — obwohl sie die modernere gewesen wäre — auf Grund des Widerstandes aller Länder Abstand zu nehmen. Wir haben uns jetzt auf die duale Finanzierung verständigt, wobei sich die Länder verpflichten, einen entsprechenden Betrag der Ersparnis in der Sozialhilfe für Pflegeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Herr Louven, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seifert?
Bitte sehr, Herr Kollege Seifert.
Herr Kollege Louven, die Anhebung der Summen für die häusliche Pflege auf maximal 3 750 DM klingt ja sehr gut.
Meinen Sie auch — und sind Sie bereit, das in das Gesetz zu schreiben —, daß die Menschen, die sich ihre Pflege mit selbst ausgesuchten Menschen nach dem sogenannten Arbeitgebermodell, also dem Assistenzmodell, organisieren wollen, diese Sachleistungen in Anspruch nehmen können, oder sind sie auf die Geldleistungen angewiesen, die wesentlich geringer sind, nämlich 1 200 DM?
Herr Kollege Seifert, zunächst muß ich sagen: Sie sind ja derjenige gewesen, der immer gesagt hat, die Leistungen sind zu niedrig. Jetzt gehe ich doch davon aus, daß Sie darüber erfreut sind, daß die Leistungen wesentlich erhöht werden.
— Lieber Herr Dreßler, Sie haben doch der Leistungserhöhung zugestimmt. Wie können Sie jetzt davon reden, daß sei eine lächerliche Erhöhung.
Zu Ihrer Frage, Herr Seifert, habe ich ja darauf hingewiesen, was bei Sachleistungen möglich ist und was an Barleistungen geleistet werden kann.
Meine Damen und Herren, bezüglich des Nachholbedarfs in den neuen Ländern haben wir — ich denke, darauf können wir alle stolz sein — eine Regelung gefunden, die es den neuen Ländern ermöglicht, Pflegeeinrichtungen nun auch schnell schaffen zu können. Über sieben Jahre hinweg werden jeweils 800 Millionen DM für die Investitionsförderung zur Verfügung gestellt. Das ist eine Summe, die sich sehen lassen kann.
Keine Einigung hat es in der Frage der Kompensation gegeben. Ich bin darüber eigentlich sehr erstaunt und auch sehr traurig. Wenn ich, Herr Dreßler, Ihre markigen Worte von gestern höre, daß es im Bundesrat keine Zustimmung geben wird,
dann frage ich mich, ob Sie das wirklich vor der deutschen Öffentlichkeit und vor den 1,6 oder 1,7 Millionen Pflegebedürftigen verantworten wollen.
Mit uns können die Leistungen ab dem nächsten Jahr gezahlt werden. Ich denke, die Pflegebedürftigen haben lange genug warten müssen.
Wenn Sie nun nicht bereit sind, bei der Kompensation einen weiteren Schritt zu tun,
so kann ich eigentlich nur mein Erstaunen zum Ausdruck bringen.
— Ich habe schon bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs, Herr Kollege, darauf hingewiesen, daß wir in der Tat eine Überkompensation vorsehen.
— Ja, ich habe dies doch schon einmal von diesem Pult aus gesagt. — Aber dies sehen wir als Beitrag zum Standort Deutschland.
Meine Damen und Herren von der SPD, es kann Ihnen doch nun wirklich nicht verborgen geblieben sein
- Herr Büttner, nun bleiben Sie doch einmal ganz ruhig —, wie schwierig derzeit die Situation für die Wirtschaft ist.
Ich vertraue darauf, daß der Bundesrat hier einsichtig sein wird.
Frau Simonis, Ministerpräsidentin von SchleswigHolstein, hat ja schon im Sommer vorgeschlagen,
zur Finanzierung der Pflegeversicherung drei Feiertage zu streichen.
17322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Julius Louven
Und ihr Kollege Rappe hat noch in der vorigen Woche in einer Presseerklärung zum Ausdruck gebracht, man solle sich darauf verständigen, zwei Feiertage zu streichen.
Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der Opposition: Mit der Frage der Kompensation und hier insbesondere mit dem Vorschlag, Feiertage zu streichen, aber auch mit unseren Vorschlägen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz habe ich in Versammlungen die wenigsten Probleme.
Die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland — —
— Bitte sehr.
: Gehen Sie einmal
mit zu meinen Versammlungen!)
— Wissen Sie, in Ihren Versammlungen wird das so sein, daß Sie erst die Bürger aufhetzen und sich dann darüber wundern, daß sie für vernünftige Lösungen nicht aufgeschlossen sind.
Die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland sind nach meiner festen Überzeugung bereit,
für die Pflegeversicherung Opfer zu bringen.
Meine Damen und Herren, wenn ich auf den Bundesrat vertraue,
dann deshalb, weil er ja gefordert hat, daß auch hinsichtlich der notwendigen Entlastung der Träger der Sozialhilfe Verbesserungen vorgesehen werden müssen. Nun haben wir diese Verbesserungen erreicht, und es waren doch die Kommunalpolitiker, —
Herr Büttner, jetzt ist es gut!
— die uns immer wieder aufgefordert haben, die Pflegeversicherung nun endlich zu verwirklichen. Jetzt werden die Kommunen erhebliche Beträge einsparen, und dann wollen Sie zu dieser Pflegeversicherung nein sagen?
Sie, meine Damen und Herren, müssen dies verantworten.
Die taktischen Spielchen müssen ein Ende haben.
Wenn Sie heute die Kommentare seriöser Zeitungen lesen, Herr Dreßler, dann sollten Sie sich wirklich überlegen, was Sie tun und ob es der richtige Weg ist, wenn Sie jetzt einen derartigen Druck auf den Bundesrat ausüben. Die Bürger ertragen es nicht mehr.
Die Entscheidung zur Pflegeversicherung — ich sage dies auch im Hinblick auf möglicherweise weitergehende taktische Spielchen, auf die Sie hoffen könnten — fällt heute im Bundestag
und nächsten Freitag im Bundesrat. Wer nächsten Freitag im Bundesrat die Pflegeversicherung scheitern läßt,
hat dafür die Verantwortung zu tragen und muß dies den Bürgern in Deutschland deutlich machen.
Meine Damen und Herren, Ihre Sorge, daß zuviel gespart wird, teilen wir in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht.
Wir werden in Zukunft weiter sparen müssen. Das wissen Sie auch.
Ich appelliere an Sie, auf den Bundesrat Einfluß zu nehmen,
daß er in der nächsten Woche der Pflegeversicherung zustimmt.
Es ist schon schlimm genug,
daß wir, wenn die Pflegeversicherung in der nächsten Woche verabschiedet werden kann, eine Verschiebung um weitere drei Monate hinnehmen müssen.
Ich möchte noch ein paar Sätze zur Finanzierung sagen. Verschiedene haben erstaunt gefragt: Wie ist es möglich, daß zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen? Diese Mittel kommen nicht dadurch zustande,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17323
Julius Louven
daß wir die Beiträge erhöhen. Es bleibt bei 1 % und, wenn die zweite Stufe eingeführt wird, bei 1,7 %.
— Herr Schöler, wir haben uns im Wahlkreis darüber unterhalten. Ich habe Ihnen an vielen Stellen vortragen können, wie Sie falsch liegen. Wenn Sie schon Zwischenrufe machen, sollten Sie sich zuvor sachkundig machen.
Meine Damen und Herren, durch Mehreinnahmen und durch Umschichtungen stehen 2,35 Milliarden DM für die Leistungsausweitungen zur Verfügung. Wir greifen keinerlei Rücklagen an. Durch Verschiebung der Leistungen um drei Monate nach Inkrafttreten der Beitragspflicht wird eine Rücklage geschaffen, die als Sicherheitsrücklage bestehen bleibt.
Herr Louven, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schöler?
Bitte sehr.
Herr Kollege Louven, zu Ihrer Sachkunde wollte ich fragen: Wie sachkundig sind Sie bei der Bearbeitung dieses Gesetzentwurfs vorgegangen, daß Sie bereits nach wenigen Wochen darauf stolz sind — das haben Sie gerade erklärt —, all die Änderungen, zu denen Sie im Vermittlungsausschuß gebracht worden sind, hier vertreten zu dürfen? Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre doch überhaupt nichts passiert.
Herr Schöler, diese Sachkunde will ich Ihnen gerne erläutern. Wir haben — dafür sind wir dem Arbeitsminister dankbar — in allen Bereichen sehr vorsichtig gerechnet.
Denn wir führen einen völlig neuen Versicherungszweig ein. Wir haben immer erklärt: Es darf keinen höheren Beitragssatz als 1 % bzw. 1,7 % geben. Wenn nun aber festgestellt wird, daß wir auf Grund höherer Einnahmen und Umschichtungen 2,35 Milliarden DM mehr zur Verfügung haben, sollten wir darüber froh sein. Das hat nichts mit mangelnder Sachkunde zu tun, Herr Schöler.
Meine Damen und Herren, ich will es noch einmal sagen: Wir teilen nicht die Sorge, daß zuviel gespart wird. Für die Wirtschaft ist das ein richtiges Signal. Denn wir wissen, wie die Verbände der Wirtschaft in der jetzigen schwierigen Zeit zur Pflegeversicherung stehen.
Ich fordere Sie auf, alles zu tun, damit die Pflegeversicherung im nächsten Jahr in Kraft treten kann. Wenn Sie sich verweigern,
dann werden wir der deutschen Öffentlichkeit und den Pflegebedürftigen sagen, welche Leistungen ihnen durch die SPD vorenthalten werden.
Als nächster spricht Herr Kollege Rudolf Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst ganz persönlich sagen, daß wir heute zum wiederholten Male eines der wesentlichsten sozialen Probleme dieses Jahrzehnts, die Absicherung des Lebensrisikos der Pflegebedürftigkeit, diskutieren. Daß diese abermalige Debatte geführt wird, ohne daß eine Lösung für die Menschen, zumal für die Betroffenen, in Sicht ist,
ist das für mich eigentlich Bedrückende.
Eine gemeinsame Lösung, der eine große Mehrheit in diesem Hause zustimmen könnte, wäre möglich. Aber sie wird von einer Minderheit bewußt und gezielt verhindert.
Anders ausgedrückt, meine Damen und Herren: Eine Minderheit dieses Hauses kujoniert die Mehrheit des Parlaments mit ihren Gruppeninteressen und Egoismen.
Die Mehrheit der anderen Parteien dieser Koalition, bestehend aus CDU und CSU, ist auch in dieser Frage nicht mehr in der Lage, ihren Anspruch als Volkspartei einzulösen und die Interessen der großen Mehrheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu vertreten.
Die CDU/CSU verzichtet auf ihren Gestaltungsanspruch und opfert ihn auf dem Koalitionsaltar aus Gründen des bloßen Machterhalts, meine Damen und Herren.
Jeder in diesem Hause weiß, daß auf Grund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat nur eine parteiübergreifende gemeinsame Lösung möglich ist. Jeder weiß also auch, daß man sich von den jeweiligen eigenen Idealvorstellungen wegbewegen und auf einen gemeinsamen Kompromiß zusteuern muß. Wir alle kennen die Lösungsvorschläge der SPD-Fraktion zur Pflegeversicherung, die wir in einem Gesetzentwurf hier vorgelegt haben und welche die Mehrheit dieses Hauses vor wenigen Wochen niedergestimmt hat.
17324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Rudolf Dreßler
Meine Damen und Herren, wir wollen eine Pflegeversicherung, in der alle Bürgerinnen und Bürger, vom Sozialhilfeempfänger bis zum Bundeskanzler und vom Arbeiter bis zum Beamten, Mitglied sind.
Wir wollen eine Pflegeversicherung, in die alle einzahlen und alle im Fall der Fälle ihre Leistungen erhalten. Wir wollen ein Solidarmodell ohne Extratouren für bestimmte Gruppen; denn wir brauchen alle Bürgerinnen und Bürger als Beitragszahler.
Das hier vorgelegte Ergebnis des Vermittlungsausschusses, beschlossen von der Mehrheit aus CDU/ CSU und F.D.P., sieht völlig anders aus. Wir wollen, daß sich auch höhere Einkommen angemessen an der Finanzierung der Pflegeversicherung beteiligen.
Deshalb ging der SPD-Gesetzentwurf von einer Grenze des beitragspflichtigen Einkommens entsprechend der in der gesetzlichen Rentenversicherung — das sind 7 600 DM im Monat — ab Januar 1994 aus.
Auch dies sieht die Koalition anders. Sie wollte sich auf die Grenze in der Krankenversicherung beschränken.
Wir wollen die Leistungen der Pflege sowohl in der Haus- als auch in der Heimpflege so ausgestalten, daß möglichst niemand mehr aus Gründen der Pflege Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch nehmen muß.
Das, was hier heute zur Verabschiedung ansteht, wird diesem Anspruch noch nicht einmal in Ansätzen gerecht; denn das, was diese Koalition in ihren Berichten zu erklären vermeidet, ist, daß ein in der Unterkommission des Vermittlungsausschusses übereinstimmend festgeleger Betrag für die häusliche Pflege in der dritten Stufe in Höhe von 2 800 DM gestern im Vermittlungsausschuß um 550 DM reduziert worden ist.
Das, was hier verschwiegen wird, ist, daß eine übereinstimmende Festlegung für die Kurzzeitpflege gestern im Vermittlungsausschuß um 700 DM gekürzt worden ist.
Das, was diese Koalition hier heute verschweigt, ist, daß eine übereinstimmende Festlegung zur Urlaubspflege ebenfalls um 700 DM gekürzt worden ist. Reden Sie hier nicht so, Herr Blüm, als hätte es hier nur minimale Unterschiede gegeben. Sie haben gestern
die Unterschiede wieder meilenweit auseinanderdriften lassen.
Herr Blüm, weil Sie immer so getan haben, als verträten auch Sie diese Meinung, hätte ich von Ihnen wenigstens erwartet, daß Sie, wenn sich ein solcher Beschluß bemerkbar macht, zwar aus Gründen des Koalitionszwangs, aus Gründen der Disziplin im Kabinett mitmachen, aber wenigstens die Statur besitzen, hier zu erklären, was sich gestern gegenüber unserer Übereinkunft alles verschlechtert hat.
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blens?
Ja, natürlich.
Herr Dreßler, würden Sie mir als Mitglied der Unterkommission des Vermittlungsausschusses zur Pflegeversicherung bestätigen, daß es dort über die Höhe der Pflegeleistungen keine Einigkeit gegeben hat und daß der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Konzept darin besteht, daß Sie 800 Millionen DM in die zusätzliche Erhöhung der Pflegeleistungen stecken wollen, während wir 800 Millionen DM für sieben Jahre, also bis zum Jahre 2000, zur Sanierung und zum Ausbau der Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland einsetzen wollen?
Herr Kollege Blens, ich bestätige Ihnen erstens, daß das, was ich hier in Zahlen berichtet habe, nämlich diese Kürzungen, von Ihnen gestern durchgesetzt worden ist und daß Sie die Übereinkunft über die höheren Leistungen immer unter dem Vorbehalt zugestanden haben, daß die SPD einen Eingriff in die Tarifautonomie mitmacht. Aber das ändert nichts daran, daß wir uns hinsichtlich des Leistungsrahmens einig gewesen sind und daß Sie die von mir genannten Summen gestern gekürzt haben. Das ist Faktum, meine Damen und Herren.
Herr Blens, ich bestätige Ihnen zweitens, daß Sie gestern mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, daß Arbeiter und Angestellte in Deutschland mit Beiträgen zu einem Sozialversicherungssystem — wo ist eigentlich Herr Präsident Murmann von den Arbeitgeberverbänden? — ganz allein knapp 6 Milliarden DM für Investitionen im Osten bezahlen müssen und daß Sie, Herr Blens, Herr Kohl, Herr Blüm und ich, die Beamten, Selbständigen und Freiberufler an der Finanzierung dieser Maßnahme wiederum nicht beteiligt wurden. Das bestätige ich Ihnen!
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17325
Rudolf Dreßler
Ich frage von dieser Stelle noch einmal den Bundessozialminister: Sind das keine Riesenunterschiede in den ordnungspolitischen Wertvorstellungen über die Gestaltung unserer Sozialversicherungssysteme?
Es ist unseriös, wenn Sie in der Öffentlichkeit so tun, als ginge es hier nur um einen Feiertag. Nein, meine Damen und Herren, es geht hier um eine ordnungspolitische Weichenstellung gegen das Fortbestehen unserer gegenwärtigen Sozialversicherungssysteme — urn nichts anderes.
Trotz dieses Sachverhalts — um zu dokumentieren und zu unterstreichen, daß die SPD diese Pflegegesetzgebung will — haben wir auf zentrale Forderungen in unserem Gesetzentwurf verzichtet.
Sie können mir glauben, daß mir das schwergefallen ist, Herr Rüttgers. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie einmal die Fähigkeit besessen hätten, Kompromisse für die Pflegebedürftigen in dem Maße einzubringen, wie unsere Gruppe das in diesen Verhandlungen getan hat.
Meine Damen und Herren, wir haben auf unsere Vorstellungen zur Höhe des beitragspflichtigen Einkommens verzichtet. Wir haben auf unsere Vorstellungen über den Versichertenkreis verzichtet. Wir sind den Vorschlägen der Koalition zu dem finanziellen Rahmen und zur Höhe des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung gefolgt. Wir haben mögliche Leistungsverbesserungen innerhalb des Finanzrahmens festgelegt,
und es waren — ich wiederhole es — gemeinsam ausgehandelte Leistungsverbesserungen. Und wir haben für dieses Gesetz schweren Herzens das Prinzip der Kompensation von Arbeitgeberbeiträgen dem Grunde nach akzeptiert
und mit der Abschaffung eines Feiertages eine Regelung vorgeschlagen, die die Pflegeversicherung für die Unternehmen kostenneutral werden ließ.
In allen vier zentralen Punkten sind wir also der Koalition im Vermittlungsverfahren mit unserem Vorschlag entgegengekommen und haben sogar Ihre Position bei der Suche nach einem Kompromiß übernommen. Und das Ergebnis war: Die Koalition hat sich nicht bewegt.
Sie ist keinen Schritt auf die Position der SPD zugegangen.
Und weil sich die Koalition nicht bewegt hat, steht fest:
Sie nimmt das Scheitern der Pflegeversicherung
bewußt in Kauf oder führt es gar gezielt herbei, meine Damen und Herren.
Die Fakten sind völlig eindeutig: Vier große Schritte der SPD, Herr Zöller, aber keine Bewegung bei der Union! Das heißt für mich: Sie wollen die Pflege in Wahrheit gar nicht.
Nun, meine Damen und Herren, lacht die F.D.P. Ich könnte das auch anders formulieren: Vielleicht dürfen Sie es um des Erhalts der Koalition willen nicht wollen.
Herr Solms mag sich noch so sehr in 20 Debatten zu diesem Thema hier im Hause an das Pult stellen und mit treuherzigem Augenaufschlag beteuern: Die F.D.P. will die Pflege. Frau Babel, es stimmt mit Ihrer parteitaktischen und koalitionstaktischen Taktiererei nicht überein, was Sie hier förmlich zu Protokoll geben.
Gerade am Beispiel dieser Kompensation läßt sich das deutlich machen. Ich will die Zahlen noch einmal nennen. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums — übrigens unter Mitarbeit eines F.D.P.- Repräsentanten —
beträgt die Bruttobelastung der Arbeitgeberseite durch die Einführung der Pflegeversicherung etwas mehr als 13 Milliarden DM. Durch steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge, durch Verlagerung von Leistungen aus der Krankenversicherung in die Pflege und durch Mißbrauchsbekämpfung wurde aus dieser Bruttobelastung letztlich — diese Zahlen sind wiederum vom Arbeitsministerium, also der Bundesregierung, unter Beiziehung eines F.D.P.-Repräsentanten; wir wollen das immer bitte festhalten — eine Nettobelastung, die mit 7,9 Milliarden DM ausgewiesen wird. Die Abschaffung eines Feiertages bringt der Arbeitgeberseite — wieder nach Berechnungen des Bundessozialministeriums unter Hinzuziehung eines F.D.P.-Vertreters — eine Entlastung von über 9 Milliarden DM. Diese Entlastung haben wir mit der Abschaffung eines Feiertages vorgeschlagen.
Meine Damen und Herren, nun wollen wir uns einmal der Mengenlehre zuwenden:
7,9 Milliarden DM Belastung — —
— Zu mehr sind Sie ja augenscheinlich nicht mehr fähig; ich muß Ihnen hier ja wohl auf die Sprünge helfen — —
17326 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Sofort, Herr Solms, eine Sekunde! — Und damit es Ihnen hilft — wir sind im Augenblick immer noch beim kleinen Einmaleins —: 7,9 Milliarden DM Belastung, über 9 Milliarden Entlastung! Dies ist ein solides finanzielles Ergebnis, mit dem — Herr Solms, um Sie zu zitieren — wir auf der sicheren Seite sind.
Diese Zahlen machen aber auch deutlich, daß die Abschaffung eines Feiertags zur Kompensation der Lohnnebenkosten mehr als ausreicht, und, meine Damen und Herren, zwei Kabinettsmitglieder, nämlich der Bundessozialminister und der Bundesgesundheitsminister, haben in der Öffentlichkeit in Zeitungsinterviews dies ausdrücklich bestätigt. Ja, wenn sich die Opposition auf Regierungsmitglieder beruft und ihre Vorschläge macht, was soll Sie denn noch tun!
Es geht aber nicht nach der Methode, meine Damen und Herren: Sie sind mit Ihren eigenen Zahlen widerlegt, also funktioniert das nicht; wir müssen eine neue Position formulieren, damit wir die Kosten höhertreiben. — Das funktioniert weder hier im Deutschen Bundestag noch im Bundesrat, meine Damen und Herren.
Herr Dr. Solms.
Herr Kollege Dreßler, nachdem wir uns über diese Zahlenrechnereien ja schon öfter auseinandergesetzt haben und Sie anscheinend mir und meinen Berechnungen nicht glauben: Wären Sie bereit, zuzugestehen, daß die sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten — das hätten Sie ja nachlesen können, übrigens auch das von Ihnen zitierte DIW — zu dem gleichen Ergebnis der Berechnungen kommen, weil Sie die gleiche Methode anwenden, die wir angewendet haben? Und zwar bringt dann ein Feiertag etwa 6,8 Milliarden DM Entlastung. Wenn Sie sich noch besser informiert hätten, hätten Sie das schon am 7. Mai in der „Wirtschaftswoche" gelesen, die da mit Bezug auf das Ifo-Institut in München zu dem Ergebnis kommt, daß solch eine Berechnung zweifelsfrei 6,8 Milliarden DM erbringt. Also, wären Sie bereit, zuzugestehen, daß diese Wirtschaftsinstitute meine Berechnungen bestätigen?
Herr Sohns, ich bin dazu nicht nur nicht bereit, sondern erlaube mir jetzt in meiner Antwort — Frau Präsidentin, das mache ich wegen der Uhrzeit —, Sie nur auf ein paar wirtschaftliche Fakten hinzuweisen; denn das Kümmern ums Detail erhellt auch das Bewußtsein für ökonomische Zusammenhänge. Sie, Herr Solms, haben uns im Kanzleramt u. a. ein Papier zur Berechnung dieser Vorgänge übergeben und haben sich dabei auf das Ifo-Institut beruf en.
Gründlich wie ich bin, haben wir uns beim IfoInstitut erkundigt. Das Ifo-Institut hat dementiert, Ihnen diese Zahlen gegeben zu haben.
Daraufhin haben Sie, Herr Solms, erklärt, Sie hätten sich gar nicht beim Ifo-Institut erkundigt, sondern hätten nur die Zahlen des Ho-Instituts als Grundlage für Ihre Berechnung genommen. Nun gut, wenn Sie das innerhalb von 48 Stunden dann plötzlich so sehen, sei das dahingestellt.
Nun komme ich zu einem Faktum. Der Kernpunkt ist, daß Sie bei Ihren Zahlen 220 Arbeitstage im Jahr zugrunde legen und das Bundesarbeitsministerium 209 Tage, weil es die Fehltage in Deutschland, die jeder betriebswirtschaftlichen Berechnung als Grundlage dienen müssen, korrekt eingerechnet hat.
Herr Solms schlägt sie drauf, macht daraus eine Rechnung, die dann plötzlich aus einer sauberen Rechnung von 9 Milliarden bzw. 9,8 Milliarden DM 6,8 Milliarden DM macht. Herr Solms, so können Sie mit uns hier nicht umgehen.
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Sohns?
Gleich. — Sie können das in der Öffentlichkeit weiter behaupten, wie Sie wollen. Es geht nicht an, daß Zahlenwerke, die einer parlamentarischen Opposition, die einem Vermittlungsausschuß übereinstimmend von einer Bundesregierung vorgelegt werden, wenn sie plötzlich für die SPD sprechen, von der F.D.P., die nach einer Umfrage von heute morgen noch 5 % Wähleranteil in Deutschland besitzt,
plötzlich so degeneriert werden. Herr Solms, das Spiel läuft hier nicht, damit das klar ist.
Bitte schön.
Herr Dr. Solms.
Herr Dreßler, einmal alle Polemik beiseite!
— Ich rede hier über ganz nüchterne Zahlen. — Wären Sie bereit, zuzugeben, daß ich immer nur gesagt habe, daß wir die Berechnungsmethoden der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, hier insbesondere des Ifo-Instituts, herangezogen haben,
daß sich auf Basis dieser Berechnungsmethoden ein
Ergebnis von 6,8 Milliarden DM ergibt und daß ich
— zweitens — dies jetzt mit Hinweis auf das Herbst-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17327
Dr. Hermann Otto Solms
gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute ergänzt habe, die alle sechs einhellig zu dem Ergebnis kommen, daß dies die richtige Berechnungsmethode ist und dann auch die richtige Zahl ist?
Herr Kollege Solms, ich will ausdrücklich sagen: Ich habe Ihnen das eben schon bestätigt. Ich habe Ihnen doch erzählt, daß Sie das im Kanzleramt in der zweiten Runde ausdrücklich so erklärt haben, nachdem ich Sie daraufhin angesprochen habe. Ich habe nur gesagt, das war 48 Stunden später. Ist ja in Ordnung. Ich habe hier dann nur begründet, auf welcher Berechnungsgrundlage das passiert ist.
Nun kann doch kein Mitglied der CDU/CSU- oder F.D.P.-Fraktion, wenn es noch ernst genommen werden will, bestreiten, daß die Berechnungsgrundlage von Herrn Blüm und seines Ministeriums von 209 Arbeitstagen exakt dem Durchschnitt entspricht. Es ist doch keine Berechnungsgrundlage, von 220 Arbeitstagen auszugehen, die in Deutschland objektiv nie geleistet wurden. Das lerne ich doch im ersten Semester der Volks- und Betriebswirtschaftslehre.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Fuchtel?
Ja, selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Dreßler, wollen Sie behaupten, daß die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, Frau Simonis, die der SPD angehört, und Kollege Rappe, der ebenfalls ein sehr wichtiges Mitglied Ihrer Fraktion ist, das kleine Einmaleins verlernt haben? Die haben nämlich vorgeschlagen, daß man hier drei oder zwei Tage ansetzen sollte? Aber Sie wollen uns hier weismachen, daß man weniger als einen Tag benötigen würde?
Herr Kollege, was ich Ihnen ausdrücklich bestätigen kann, ist, daß ich, wie Sie sich unschwer vorstellen können, nach dieser Zeitungsberichterstattung mit meiner Freundin Heide Simonis mündlich diesen Vorgang zu eruieren versucht habe. Ich berichte hier — völlig wertfrei —: Frau Simonis hat mir erklärt, daß dies von ihr nicht gesagt worden sei.
— Nun seien Sie einmal ganz ruhig, keine Aufregung! — Sie habe zwei Feiertage vorgeschlagen.
— Entschuldigen Sie bitte, Herr Louven. Soll ich jetzt
vieles von dem neben Ihnen sitzenden, von mir sehr
geschätzten Herrn Geißler, was er als CDU-Mitglied
über — Plural — Sie in den letzten Tagen alles veröffentlicht hat, zum Maßstab für die Haltung Ihrer Fraktion nehmen?
— Aber ich bitte Sie! Das ist doch das Recht von Herrn Geißler, das Recht von Frau Simonis.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Ich bin ein Anhänger von Voltaire. Er hat einmal gesagt: Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich werde dafür kämpfen, daß Sie sie äußern dürfen.
Das sollten Sie sich in Ihrer Fraktion einmal vergegenwärtigen. Das ist doch völlig klar; das ist doch überhaupt kein Streitpunkt.
Verwechseln Sie doch bitte nicht die Meinungs- und die Redefreiheit mit einer dezidierten Position der deutschen Sozialdemokratie. Bei uns herrscht nun einmal Rede- und Meinungsfreiheit.
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel?
Aber natürlich.
Herr Kollege Dreßler, könnte es sein, daß Sie heute nacht noch etwas in dem Märchen Aschenputtel gelesen haben: Die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen? Das ist umgekehrt. Bringen Sie das jetzt nicht etwas durcheinander?
Ich will Ihnen auf diese mehr ironische Frage eine ganz ernste Antwort geben. Ausgerechnet mir den Vorwurf zu machen — ausgerechnet mir! —, ich sei kompromißunfähig oder -unwillig, das, muß ich Ihnen sagen, nehme ich nicht mehr auf die leichte Schulter. Ich habe mich in diesem Hause bei der Rentengesetzgebung, bei der RentenÜberleitungsgesetzgebung, bei der Korrektur des Renten- Überleitungsgesetzes und beim Gesundheitsstrukturgesetz persönlich dafür eingesetzt, einen parteiübergreifenden Konsens zu erzielen.
Ich darf Ihnen versichern, das ist mir in meiner Partei nicht leichtgefallen. Ich habe viele Argumente tage- und wochenlang benutzen müssen, um meine Überzeugung in meiner Fraktion mehrheitsfähig zu machen.
Ich habe mir manche Kritik anhören müssen; das ging bis unter die Gürtellinie.
17328 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Rudolf Dreßler
Ich habe mir gestern abend — um auf Ihre ironische Frage zurückzukommen — Gedanken darüber gemacht, ob ich in meiner Art, zu Kompromissen bereit zu sein, einen Fehler gemacht habe. Nach der Vergegenwärtigung dessen, was ich mit Herrn Scharping und Herrn Müntefering in diese Vermittlungsgespräche an Kompromißbereitschaft eingebracht habe, habe ich mir gestern gesagt, daß ich bis an die Grenze nicht nur dessen, was ich mir zumuten darf, sondern auch dessen, was ich meiner Partei und ihrem Selbstverständnis zumuten darf, gegangen bin. Deshalb habe ich mir nicht ironische Gedanken gemacht, Herr Fuchtel, sondern wegen der Sache, um die es hier geht, sehr ernste.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen mich sehr bewegenden Punkt ansprechen dürfen. Ich bestreite nicht, daß es einen Grundsatz zwischen den am Verhandlungstisch im Vermittlungsverfahren Beteiligten gab, der unstrittig schien. Das war der Grundsatz, daß die Modernisierung der Pflegeheime in einer Art Anschubfinanzierung Ost als eine Aufgabe zu verstehen ist, die aus der deutschen Einheit folgt, eine Aufgabe also, an deren Finanzierung sich alle zu beteiligen haben.
Nachdem ich gestern im Vermittlungsausschuß lernen mußte, daß die Koalition im Zusammenhang mit diesem Thema die Steuerfinanzierung als Konsequenz daraus aufgegeben hat und die Finanzierung wieder den Beitragszahlern, und zwar nur den Arbeitern und Angestellten, aufdrücken will, war für mich einer der entscheidenden ordnungspolitischen Gesichtspunkte in diesem Streit erneut auf der Tagesordnung.
Nun hat die Koalition das durchgesetzt. Ich will an dieser Stelle nur sagen: Sie müssen langsam erklären, ob mehr dahintersteckt als nur Finanznot. Denn wenn das so Gesetz würde — das will ich dem Hohen Hause sagen —, würden für die Kriegsopferversorgung 650 Millionen DM, die sowieso gezahlt werden müssen, von der Pflegekasse gezahlt. Das heißt, wenn diese 650 Millionen DM, die sowieso gezahlt werden müssen, jetzt von der Pflege übernommen werden, dann hielte ich es, weil es sich dabei um Steuergelder handelt, für angemessen, daß diese für den Anschub Ost zur Verfügung gestellt werden.
Bei den Ländern sind es 160 Millionen DM. Alle SPD-Länder haben diese 160 Millionen DM sofort zur Verfügung gestellt. Die B-Länder, die CDU/CSU- und F.D.P.-regierten Länder, haben darauf beharrt, daß diese Investitionsaufgabe des Staates nur Arbeiter und Angestellte mit ihren Beitragsgeldern übernehmen.
Das ist für mich ein schwerwiegender Vorgang in diesem Gesetzgebungsverfahren, auf den ich aufmerksam machen will.
Ich will also noch einmal sagen — in der Zusammenfassung —: Pflege zu mißbrauchen, um Arbeitgebern durch Lohn- und Gehaltskürzungen mehr als 10 Milliarden DM zusätzlich zu schenken,
ist gegenüber unserer Position ein Riesenunterschied. Arbeiter und Angestellte durch Sozialversicherungsbeiträge mit knapp 6 Milliarden DM für Investitionsmaßnahmen heranzuziehen und Abgeordnete, Minister, Staatssekretäre, Beamte und Selbständige nicht heranzuziehen, ist ein Riesenunterschied zu unserer Position.
Die häusliche Pflege als Vorrang aufzugeben, indem man ihr noch 2 250 DM und in der stationären Pflege 2 800 DM zugesteht, und damit den Druck auf die stationäre Pflege zu erhöhen, ist für die SPD ein riesengroßer Unterschied zu unserer Position.
Es ist ein riesengroßer Unterschied zu unserer Auffassung, die Kurzzeitpflege um 700 DM gegenüber den Möglichkeiten zu kürzen, die Urlaubspflege um 700 DM zu kürzen und in der häuslichen Pflege die Stufe II um 300 DM zu kürzen.
Die stationäre Pflege erst am 1. Juli 1996 einzuführen, also erst in zweieinhalb Jahren, ist zu der SPD-Position zur Entlastung der Kommunen und Gemeinden ein riesengroßer Unterschied. Die Verbindlichkeit der Reinvestition der freiwerdenden Mittel in die Institution Pflege, zu der die Koalition nicht bereit war — theoretisch könnten damit also demnächst B-7- Ausbauten stattfinden —, ist für die SPD ein substantielles Element, also ein riesengroßer Unterschied zu unserer Position.
Meine Damen und Herren, die SPD war bereit — sie hat dies im Vermittlungsverfahren durch ihren Vorschlag untermauert —, eine Reihe von ihr wichtigen Grundsätzen hintanzustellen, um zu einer Lösung in der Frage der Pflege zu kommen. Das haben wir nicht getan, um der Regierung zu gefallen, sondern wir haben das um der betroffenen Menschen willen getan.
CDU/CSU und F.D.P. haben dieses weitreichende Angebot in den Wind geschlagen. Sie sollten dabei bedenken, daß Angebote nicht unbegrenzt wiederholt werden.
Ich will von dieser Stelle aus den Städten und Gemeinden sagen, die unter den Millionenlasten, die ihnen die Regierung aufgebürdet hat, ihre Handlungsspielräume verloren haben: Diese Bundesregierung will ihnen, den Bürgermeistern, Gemeinderäten, Stadtverordneten, in zweieinhalb Jahren, ab dem 1. Juli 1996, Entlastung verschaffen und den Pflegebedürftigen in den Heimen helfen. Eine neue Bundesregierung ab Oktober 1994 wird ausreichend Zeit haben, den Pflegebedürftigen in den Heimen, den
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17329
Rudolf Dreßler
Städten und Gemeinden diese Hilfe durch sozialdemokratische Initiative früher zu besorgen.
Zum Schluß möchte ich an die Koalitionsabgeordneten appellieren: Streiten wir uns um die Inhalte, streiten wir uns um die Systematik! Aber hören Sie auf, der deutschen Sozialdemokratie, die seit Jahren für Pflege kämpft,
zu unterstellen, wir wollten dieses Institut nicht!
Wir werden uns das auch nicht weiter gefallen lassen, weil es schlicht und ergreifend infam wäre. Die SPD-Bundestagsfraktion steht für eine Pervertierung unserer Sozialversicherungssysteme nicht zur Verfügung
Wir werden, weil das ein Stück des Sozialstaates ist,
auch bereit sein, unseren Sozialstaat zu verteidigen.
Ich habe heute morgen gehört, daß die jüngste Situation der Koalition sehr bedenklich ist, was die Prozentzahlen des Meinungsbildes in der Bevölkerung angeht. Die CDU/CSU kam auf 31 %, die F.D.P. auf 5 %, meine Partei, die SPD, auf 43 %.
In der deutschen Bevölkerung hat sich wahrscheinlich das Signal, daß Sie mit einem wichtigen politischen Instrument auf dem Rücken von Betroffenen zu spielen beginnen, herumgesprochen.
Wir werden dafür sorgen, daß es sich weiter herumspricht, denn das lassen wir nicht mit uns machen:
zwei Jahre Verhandlungen mit der SPD verweigern, eine verabredete Verhandlung in Windhagen boykottieren und heute so tun, als hätten Sie ein weißes Hemd bei der Bewerkstelligung dieses Gesetzgebungsverfahrens. Das Gegenteil ist der Fall!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ist engagiert und sicherlich
auch hitzig. Ich möchte Sie noch einmal bitten, auch bei Zwischenrufen auf den Sprachgebrauch zu achten. Worte wie „aufhetzen", „Angeber" oder „Demagoge" gehören nicht hierher. Wir vermeiden sie auch in engagierten Debatten.
Das Wort hat Frau Dr. Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang an die Adresse der Sozialdemokraten ganz klar und deutlich sagen: Die F.D.P. will die Pflegeversicherung.
Wir stimmen heute über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ab.
Dieser Vorschlag verändert die Grundstruktur der Pflegeversicherung nicht. Er bringt durch Umschichtungen verbesserte Leistungen, aber für die F.D.P. war wichtig, daß die Koalition sich an vier Grundbedingungen gehalten hat: keine Veränderung des versicherten Personenkreises, keine Veränderung der Beitragsbemessungsgrenze, keine Ausdehnung des Kostenrahmens von 1,7 % Beitragssatz
und Festhalten an einer ausreichenden und vor allem an einer dauerhaften Kompensation.
Das ist gelungen,
und insofern beschließen wir heute in einer Art vierten Lesung über den Gesetzentwurf der Koalition. Die Koalition bot das Bild der Geschlossenheit,
der Unbeirrbarkeit und der Nervenstärke in den Verhandlungen mit der SPD und den Ländern. Das führte zu diesem überraschenden Erfolg — ich würde sagen, einem Etappensieg — einer knappen Mehrheit im Vermittlungsausschuß. Es war die Einsicht der Länder, daß der Vorschlag der Koalition, in vielen Punkten fast identisch mit dem Vorschlag der SPD, der tragfähigere war und daß ihn abzulehnen mehr Nachteile bringen würde, als wenn man ihn annimmt. Auf diese Einsicht bauen wir auch bei der Entscheidung des Bundesrates in der nächsten Woche.
Frau Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert? Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß wir bereits eine Verzögerung von einer halben Stunde haben. Ich mache den Vorschlag, jetzt erst mal fortzufahren.
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Ja, ich möchte fortfahren. Er hat ja gleich die Gelegenheit, selber zu sprechen.
Meine Damen und Herren, wir haben schon gehört wie der Vorschlag aussieht: Die durchschnittlichen Leistungen für den stationären Bereich bei Schwerstpflegebedürftigkeit heben wir von 2 100 auf 2 500 DM an; das sind 400 DM mehr. Im ambulanten Bereich heben wir die Sachleistungen von 2 100 auf 2 250 DM an. Wir haben für beide Bereiche ganz wichtige Härtefallregelungen getroffen, die es uns ermöglichen, in der stationären Pflege bei besonders Schwerstpflegebedürftigen, z. B. Krebskranken im Endstadium, 3 300 DM auszugeben. Wir wissen auch fünf Einsätze im ambulanten Bereich — —
— Herr Seifert, ich sage Ihnen das hier in allem Ernst: Wenn Sie noch immer sagen, das alles reiche nicht, dann frage ich Sie, wieviel Sie der heutigen Wirtschaft, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern noch zumuten wollen, mehr zu leisten. Das ist eine enorme Kostenverbesserung. Sie sollten sie in Ihrem Beitrag eigentlich auch anerkennen.
Die Leistungsverbesserungen sind enorm. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf Grund dieser beschlossenen Leistungen jetzt mit ihrem Einkommen aus der Sozialhilfe herauskommen werden, wird größer, als wir es angenommen hatten.
Die ambulanten Leistungen entsprechend anzuheben, um dem Grundsatz „ambulant vor stationär" zu genügen, ist in der jetzigen Lage nicht möglich gewesen. Die Kostensätze sind hier in Zukunft aber vorrangig anzupassen. Nur deswegen ist § 26 Satz 2 gestrichen worden.
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit in der ersten Stufe ist verändert worden, und zwar auch auf Wunsch der Sozialdemokraten, wonach zwei und nicht drei tägliche Verrichtungen, bei denen der Bedürftige Hilfe braucht, für die Leistungsberechtigung ausreichen sollen. Hoffentlich sind unsere Befürchtungen, daß es hier zu einer unerwartet hohen Inanspruchnahme kommen wird, unbegründet.
Die monistische Finanzierung, bei der die Länder Zuschüsse zur Investitionsförderung in die Pflegekasse hätten zahlen sollen, um eine einheitliche Finanzierung zu gewährleisten, ist zum Bedauern der F.D.P. nicht im Gesetz verankert. Es ist nunmehr an den Ländern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und von den ersparten Mitteln die Infrastruktur, d. h. ausreichende Plätze in Pflegeheimen, zur Verfügung zu stellen.
Ich appelliere an die Länder, die teilweise in einer merkwürdigen, widersprüchlichen Haltung sehr gern den Bundesgesetzgeber beauftragt hätten, sie mehr zu verpflichten — diese Verpflichtung gibt es jetzt nicht, dafür aber eine moralisch-politische —, daß sie dieser Verantwortung gerecht werden und nun auch die ersparten Mittel, die hier in der Größenordnung
von 6 Milliarden DM vorliegen, mindestens zur Hälfte zum Aufbau der Infrastruktur verwenden.
Ich komme jetzt zu dem für den Erfolg des Vermittlungsverfahrens vielleicht ausschlaggebenden Punkt, der Anschubfinanzierung im Osten: sieben Jahre lang 800 Millionen DM aus der Pflegeversicherung in den neuen Bundesländern für Investitionen.
Daß dieses Geld bitter nötig ist, wird jeder bestätigen, der sich dort umgesehen hat. Sicherlich ist es wiederum ein Systemfehler, daß Beitragszahler der Pflegeversicherung zur „Entwicklungshilfe" herangezogen werden; das will keiner beschönigen. Allerdings, meine Damen und Herren, gibt es zu diesem Vorschlag keine realistische Alternative.
Man kann hier nicht den Bundeshaushalt heranziehen; das wäre unrealistisch. Es ist unwahr, wenn Sie sagen, Herr Dreßler, daß alle Länder bereit gewesen wären, den ihnen zufließenden Teil von 120 Millionen DM beizutragen. Das, was wir im Vermittlungsverfahren gehört haben, war etwas anderes. Das heißt, es gab nur diese Möglichkeit, einer solche Anschubfinanzierung.
Das wurde durch eine veränderte Annahme der Inanspruchnahme der Pflegeversicherung bei Kurzzeitpflege und der Rentenversicherung finanziert. Ich darf verraten, daß in meiner Fraktion, die dem Vorschlag zustimmt, an dieser Stelle meines Berichtes fröhliches Lachen ausbrach: So finanzieren Sozialpolitiker. Uns eint aber die Hoffnung, daß der Kostenrahmen solide ist und hält.
Meine Damen und Herren, der Vorschlag des Vermittlungsausschusses enthält also handgreifliche Vorteile für die Lander, er enthält große Entlastungen für die Sozialhilfeträger, und vor allem enthält er große Hilfe für die Pflegebedürftigen und ihre Familien.
Kann die Opposition noch nein sagen? Kann sie, die maßgeblich durch Verhandlungen mitgewirkt hat, all das weiterhin aufrechterhalten, was sie damals sagte, weswegen sie die Pflegeversicherung ablehnte? Damals lauteten Ihre Punkte: Sie ist unsolidarisch, sie bringt zuwenig Leistungen. Heute stimmen Sie den Grundprinzipien zu. Die Leistungen sind verbessert. Alle diese Argumente sind weggefallen. Können Sie verantworten, daß am 1. Juli 1994 Leistungen nicht gezahlt werden? Können Sie verantworten, daß die Länder im Osten ihre Einrichtungen nicht fördern können?
Meine Damen und Herren, selbst die Kompensation, die Abschaffung eines Feiertages, hat die SPD dem Grunde nach doch anerkannt. Damit hat sie doch zu erkennen gegeben, daß sie es richtig findet, wenn wir die Wirtschaft nicht belasten. Es geht allein noch um die Frage, in welchem Ausmaß diese Kompensation erfolgen soll.
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Dr. Gisela Babel
Ich widerspreche den Aussagen, die meinen, wir hätten eine Überkompensation.
Bitte vergessen Sie nicht: Es war Absicht der Koalition, nicht eine Momentaufnahme bei der Frage der Kompensation zu machen. Nein, wir wollen eine langfristige und eine tragfähige Kompensation. Wir wollen sagen können: Dies rechtfertigt, daß wir heute, in diesen schwierigen Zeiten, eine umlagefinanzierte Pflegevericherung machen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind Opfer eines falschen Kurses, vielleicht einer fehlerhaften Politikberatung. Herr Dreßler, ich sage Ihnen: Fallende soll man nicht treten, aber dieser Tag ist für Sie eine Niederlage. Alles, was Sie über das Schicksal der Pflegeversicherung hier gesagt haben, ist falsch gewesen.
Ich habe hier gesagt: Die Länder werden nicht nach der Pfeife der Sozialdemokraten tanzen. Und ich prophezeie: Es gibt im Bundesrat zu dieser Pflegeversicherung eine Mehrheit.
Ich bedanke mich.
Als nächster spricht der Kollege Ilja Seifert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßler, es kämpft natürlich nicht nur die deutsche Sozialdemokratie um eine vernünftige Absicherung der Pflege, sondern in erster Linie kämpfen die Betroffenen. Das möchte ich von Ihnen — bei aller Anerkennung Ihrer Leistungen — doch gern auch einmal gehört haben.
Ich erinnere Sie an den 23. November dieses Jahres, den Tag, an dem der Vermittlungsausschuß das erste Mal zusammenkam. Da standen in bitterer Kälte vor dem Haus des Bundesrates 40 oder 50 Menschen mit schwersten Behinderungen, und sie kamen nicht hinein. Das gelang erst nach längerem Bemühen von Frau Däubler-Gmelin.
Herr Blüm, auch Sie werden sich sicher an dieses Gespräch erinnern; denn Sie kamen ja am nächsten Tag zu mir und sagten mir, wie peinlich es Ihnen war, daß diese Menschen die Mühsal auf sich genommen hatten, in dieser Kälte zu Ihnen zu kommen, urn mit Ihnen zu reden und Ihnen zu sagen: So bitte nicht! Das war die einzige Botschaft, die diese Menschen Ihnen, Herr Dreßler, Ihnen, Herr Blüm, Frau Däubler-Gmelin und auch Herrn Rau, dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, übermitteln wollten.
Jetzt, meine Damen und Herren, bieten Sie ein angebliches Kompromißpapier an. Das sieht im ersten Moment so aus, als ob sich für die Betroffenen irgend etwas verbessert hätte. Die Sachleistungen sind erheblich angehoben worden.
Aber, meine Damen und Herren, warum die Sachleistungen?
Es handelt sich hier, genau genommen, um ein unheimlich gutes Konjunkturprogramm für professionelle Pflegeanbieter und für private Versicherungen. Das sind nicht die, um die es mir geht. Mir geht es um diejenigen, die auf assistierende Hilfe angewiesen sind und die sich das selbst organisieren können und wollen. Darum geht es. Die anderen werden nicht schlechtergestellt, wenn diejenigen, die das sogenannte Arbeitgebermodell benutz en wollen, wenigstens die Chance haben, es zu tun.
Deswegen begrüße ich die Anhebung der Sätze, insbesondere mit den Härteklauseln, durch deren Anwendung bei häuslicher Pflege bis zu 3 750 DM erreicht werden sollen. Allerdings handelt es sich dabei um Sachleistungen. Deswegen stelle ich hier einen Antrag und bitte Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ihm zuzustimmen. Frau Babel, ich nehme an, Sie werden mir zustimmen können, denn ich verlange keine neue Leistung, sondern nur eine Modifizierung der Auszahlung der von Ihnen bereits beschlossenen. Ich beantrage also, in das Gesetz aufzunehmen, daß Sachleistungen — inklusive aller Sozialleistungen — in voller Höhe auch für solche Pflegebedürftigen zu zahlen sind, die sich ihre assistierende Pflege nach dem sogenannten Arbeitgebermodell selbst organisieren, Assistentinnen und Assistenten selbst aussuchen, sie anlernen und einsetzen.
Wie gesagt, ich verlange keine zusätzliche Leistung, sondern nur, daß das, was Sie als Sachleistung zahlen wollen, den Menschen zur Verfügung steht, die sich das selbst organisieren wollen.
— Das habe ich seit Jahr und Tag in die Diskussion eingebracht, Sie haben es nur leider nicht berücksichtigt. Es liegt ein ganzer Gesetzentwurf von uns vor, der wesentlich höhere Leistungen vorsieht. Aber wenigstens das könnten Sie machen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die SPD und insbesondere ihre Ministerpräsidentin und ihre Ministerpräsidenten standhaft bleiben und diesem Einstieg in den Ausstieg aus dem Sozialstaat nicht zustimmen werden. Aber insgesamt geht es darum, daß den Menschen, die auf assistierende und anleitende Pflege angewiesen sind, geholfen wird. Das ist mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht der Fall. Deswegen müssen wir ihn nach wie vor ablehnen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
17332 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Als nächster spricht der Kollege Konrad Weiß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bedingungen, unter denen die heutige Bundestagsdebatte stattfindet, haben mit parlamentarischer Kultur nun wirklich nichts mehr zu tun. Die Abgeordneten, die nicht zu den erlauchten Fraktionen gehören, durften am Ticker das unwürdige Gerangel zwischen der Noch-Regierung und der SPD verfolgen.
Buchstäblich in letzter Minute wurde eine Abstimmung auf die Tagesordnung gesetzt, die nur noch eine ritualisierte Farce ist. Die Drucksachen, die heute zur Beschlußfassung vorliegen, wurden uns heute morgen auf den Schreibtisch gelegt. Dabei hat die Regierungskoalition durch ihre überschlauen und unnötigen taktischen Manöver den Zeitdruck selber verschuldet, unter den die Diskussion über die Pfegeversicherung geraten ist.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat von Anfang an die absurde Trennung der Finanzierung von den Inhalten der Pflegeversicherung für töricht und unverantwortlich gehalten. Unsere schlimmsten Befürchtungen sind leider eingetroffen.
Ich verstehe die Bürgerinnen und Bürger nur allzu gut, die das Pflegespektakel fassungslos verfolgen und sich über die plumpe Hanswurstelei der agierenden Parteien erregen. Zwar hat die Mehrheit im Vermittlungsausschuß den Vorhang über den letzten Akt des unwürdigen Spiels fallen lassen, doch gleichzeitig steht schon fest, daß der Bundesrat in genau einer Woche das Stück erneut auf den Spielplan bringen wird. Eine Neuinszenierung der Groteske wird für die kommende Saison vorsorglich schon angekündigt. Es wäre zum Totlachen, wenn es nicht so ernst wäre. Haben Sie denn wirklich nach dem Wahlergebnis in Brandenburg noch nicht begriffen, wohin dieses Land geht, welche Folgen eine solche Politik im Land für die Bürgerinnen und Bürger hat?
Meine Damen und Herren, es muß in aller Deutlichkeit gesagt werden: Mit ihren taktischen Manövern hat die Koalition die Pflegeversicherung aufs fahrlässigste in Gefahr gebracht und sich selbst ein politisches Armutszeugnis sondergleichen ausgestellt. Am Ende einer 20jährigen Debatte über die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit steht das sture egoistische Nein einer F.D.P., die ihren senil werdenden Partner loszuwerden trachtet, ohne selbst dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Das unwürdige Gerangel um die Pflegeversicherung hat mit verantwortlicher Politik nichts mehr zu tun. Womit die Bundesregierung in Wahrheit spielt, sind die Nöte und Hoffnungen der pflegebedürftigen Menschen in diesem Land. Dies vor allem ist unentschuldbar. Der Bundeskanzler hat wiederholt die Beeendigung des Pflegenotstandes noch in dieser Legislaturperiode versprochen. Daß er wieder einmal ein Versprechen brechen wird, liegt auf der Hand. Die Enttäuschung der Betroffenen wird schlimm sein.
Die Ausflüchte der Bundesregierung, die zur eigenen Ehrenrettung gar der Opposition die Schuld an diesem Versagen zuschieben will, sind ebenso durchsichtig wie zwecklos.
Der Bundeskanzler ist geistig offensichtlich längst zurückgetreten und überläßt das Regieren denen, die gerade Lust und Laune dazu haben. Mit Richtlinienkompetenz jedenfalls hat der Streit um die Pflegeversicherung nichts mehr zu tun. Wie kann ein verantwortlicher Regierungschef nur so nachlässig sein und ausgerechnet der Partei die Entscheidung überlassen, die erklärtermaßen zu keinem Zeitpunkt eine soziale Absicherung des Pflegerisikos wollte?
Der Arbeitsminister wurde dabei ganz nebenbei aus dem Verkehr gezogen.
Die wirklichen Leidtragenden sitzen nicht hier in diesem Haus und nicht mit am Verhandlungstisch. Für die pflegebedürftigen Menschen und ihre Familien, aber auch für die ehrenamtlichen und professionellen Pflegekräfte hat sich die Hoffnung auf Besserung zerschlagen.
Auch für die Träger der Sozialhilfe ist das Fiasko komplett. Ohne finanzielle Entlastung durch die Pflegeversicherung wird der geringe Handlungsspielraum der Kommunen völlig abgeschnürt. Die Bundesregierung provoziert auf diese Weise verstärkte Unsicherheit in unsicheren Zeiten.
Hinzu kommt die große Verunsicherung über die angebliche Kompensation für die Arbeitgeber. Auch Regierungsvertreter haben mittlerweile öffentlich eingeräumt — und auch der Kollege Louven hat das heute hier wieder getan —, daß das Entgeltfortzahlungsgesetz mitnichten der Finanzierung der Pflegeversicherung dienen soll, sondern ein milliardenschweres Geschenk an die Wirtschaft darstellt.
Als ich vor Monaten in diesem Haus davor warnte, bin ich von Ihnen praktisch niedergeschrien worden. „Alles frei erfunden! ", hielten Sie mir vor. Ich frage Sie heute: Wer von jenen, die damals über mich in ungerechten Zorn gerieten, erhebt nun seine Stimme gegen Herrn Solms?
Sollte die Bundesregierung es wagen, das Entgeltfortzahlungsgesetz ohne Einführung einer sozialen Pflegeversicherung in Kraft zu setzen, so desavouiert sie auch den Bundespräsidenten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwartet vom Bundespräsidenten, daß er das Entgeltfortzahlungsgesetz nicht unterschreibt, bevor nicht die Einführung der Pflegeversicherung fest gesichert ist.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird es auch weiterhin ein erstrangiges Ziel bleiben, eine solidarische Absicherung des Pflegerisikos einzuführen. In der nächsten Legislaturperiode werden wir unter veränderten Machtverhältnissen das, was diese Koalition nicht zustande bringt, alsbald umsetzen. Diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist längst selbst zum Pflegefall geworden.
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Als letzter in dieser Debatte spricht der Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über das Pflegegesetz ist viel debattiert worden. Es hat einen langen Weg hinter sich. Wir haben den Weg begonnen in Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden — die Kommunalpolitiker sind nahe am Problem —, mit den Wohlfahrtsverbänden — das sind die, die eine der Hauptlasten bei der Bewältigung des Problems tragen —, mit Familienangehörigen. So ist dieses Gesetz gewachsen — mit großen Anstrengungen in meiner Partei, in der Koalition und mit dem Versuch, einen parteiübergreifenden Konsens zu finden. Das tut der Sache gut. Das gilt auch für die Mühe und die Anstrengungen, die wir in diesen Konsens gesteckt haben.
Wir waren an mancher Abzweigung, und mancher Weg hätte in die Sackgasse geführt. Jetzt gibt es noch zwei Stationen: heute der Bundestag und in einer Woche der Bundesrat.
Der langen Rede kurzer Sinn: Wir können die Debatte noch ein paar Stunden so weiterführen wie heute morgen, am Schluß zählt nur Ja oder Nein.
Ich habe heute morgen versucht, mir die ganze Debatte mit den Ohren eines Pflegebedürftigen anzuhören. Ich habe mir heute morgen auch die Direktübertragung in ein Pflegeheim vorgestellt. Ich habe mir heute morgen vorgestellt, alle Reden — meine eigene können Sie genauso kritisch betrachten — mit den Ohren einer Mutter zu hören, die ihr schwerstpflegebedürftiges Kind seit zehn Jahren pflegt.
Diese Frau fragt heute morgen nicht, ob Rudi Dreßler oder Norbert Blüm recht hat. Das ist für sie völlig uninteressant. Sie fragt nur: Kommt die Pflegeversicherung, oder kommt sie nicht? Das ist die einzige Frage!
Sie interessiert sich nicht dafür, welche Partei recht hat und welche Partei unrecht hat oder wer am Schluß den Schwarzen Peter hat. Das ist alles passé und uninteressant.
Lieber Kollege Dreßler, ich will Ihnen ausdrücklich bestätigen, daß Sie große Kraft in den Konsens gesteckt haben, ob es gern gehört wird oder nicht.
Aber am Schluß nutzt es Ihnen gar nichts, zu sagen: Das Haus ist abgebrannt, aber ich habe recht gehabt. Welche Politik ist denn das? Jetzt zählt: Kommt die Pflegeversicherung, oder kommt sie nicht?
Vor dieser Verantwortung stehen wir heute.
Ich mache jetzt noch eine fast taktische Bemerkung, obwohl ich mich heute morgen an Taktik gar nicht halten wollte: Wenn die Pflegeversicherung jetzt scheitert, dann wird dieses Thema zehn Jahre lang nicht mehr auf der Tagesordnung stehen. So nahe vor dem Ziel waren wir noch nie. Es handelt sich nur noch um zwei Zentimeter. Wer sie jetzt scheitern läßt, hat vielleicht recht gehabt und taktisch vielleicht klug gehandelt, er hat aber die Pflegebedürftigen im Stich gelassen. Darum geht es: ja oder nein.
Ich will mich wiederum an die SPD wenden. Ich bestreite doch gar nicht Ihr Verdienst, daß in den Gesprächen mit Ihnen unser Gesetz besser geworden ist. Ich mache es gar nicht kleinkariert; ich sage: Es ist besser geworden. Wir haben die Leistungen bei der stationären Pflege von 2 100 DM auf 2 800 DM angehoben, ähnliches gilt — Frau Babel und Herr Louven haben es ja heute morgen schon vorgetragen — für die ambulante Pflege. Es handelt sich um handfeste Verbesserungen in Höhe von 2,3 Milliarden DM. In den Gesprächen mit Ihnen ist das Gesetz verbessert worden. Stellen Sie Ihr Licht doch nicht unter den Scheffel. Daß Sie am Ende zwar recht gehabt haben, das Gesetz aber nicht zustande gekommen ist, das werden Sie doch als Sozialpolitiker nicht verantworten wollen.
Es ist richtig, wir haben über weitere Leistungsverbesserungen gesprochen. Sie haben einen Umfang von 800 Millionen DM. Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: Wir sind uns über Verbesserungen in Höhe von 2,3 Milliarden DM einig, über solche in Höhe von 800 Millionen DM nicht. Aber diese 800 Millionen DM verschenken wir nicht. Wir nehmen sie und geben sie für die Pflegeheime in den neuen Ländern aus. Auch das ist doch wohl eine soziale Tat.
Ich lade jeden zum Besuch solcher Pflegeheime ein. Was in manchen dieser Pflegeheime gemacht wird und wie es dort aussieht, steht in Konflikt mit der Menschenwürde. Deshalb haben diese Pflegeheime erste Priorität.
Richtig ist es, wenn der Kollege Dreßler gesagt hat: Warum soll das eigentlich die Pflegekasse bezahlen? Diese Frage stelle auch ich. Aber, lieber Kollege Dreßler, hätten Sie dem Bund bei der Abstimmung heute morgen 2,5 Milliarden DM mehr gelassen, hätte er diese 800 Millionen DM aus der Bundeskasse bezahlen können. Das ist ganz einfach.
Ich bin wie Sie ordnungspolitisch der Meinung: Eigentlich müßten alle diese Leistung bezahlen. Nur, wenn der Bund kein Geld hat und Sie es ihm nicht geben, sage ich Ihnen: Sie können dem Bund doch nicht erst das Geld aus der Tasche nehmen und sich dann anschließend beschweren, daß er seine ordnungspolitischen Leistungen nicht erbringt.
17334 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Bitte.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß diese 800 Millionen DM, aufgeteilt in 640 Millionen DM Bundesleistung für die Kriegsopferversorgung und 160 Millionen Leistungen der Länder für die Kriegsopferversorgung — das macht 800 Millionen DM —, heute aus der Bundeskasse bezahlt werden müßten, wenn die Pflegegesetzgebung nicht käme, und daß diese Mittel, da sie von der Pflege, wenn sie kommt, übernommen werden, nicht zusätzlich aufgebracht werden müssen, sondern zur Verfügung stehen? Halten Sie es nicht unter dem Gesichtspunkt der für die Anschubfinanzierung Ost zur Verfügung stehenden Mittel für ordnungspolitisch und auch sozialpolitisch gerechter, wenn diese Mittel der Steuerzahler dann für die Investitionen im Osten Deutschlands verwandt werden?
Ich stimme Ihnen ordnungspolitisch ausdrücklich zu, wenn Sie mir darin zustimmen: Hätten Sie dem Bund 2,5 Milliarden DM mehr gelassen, hätten wir die 800 Millionen DM dreimal zahlen können. Wenn der Bund nichts hat, frage ich: Sollen wir in die Mehrverschuldung, sollen wir in die Höherverschuldung gehen?
Das treibt die Preise hoch und gefährdet die Arbeitsplätze. Das kann doch nicht normal sein.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Ordnungspolitisch bewerte ich das so wie Sie. Aber ich bin ein Pragmatiker. Bevor die Ordnungspolitik in den Himmel entschwindet, helfe ich den Menschen hier auf Erden und gebe Ihnen die 800 Millionen DM aus der Kasse.
Ich bin ein großer Ordnungspolitiker, aber noch ein viel größerer Pragmatiker. Wo nichts ist, kann ich nichts verlangen. Wenn Sie dem Finanzminister Mittel aus der Hand genommen haben, können Sie sich anschließend nicht beschweren, daß er zuwenig hat.
Ich komme jetzt zur Entlastung und zur Kompensation des Arbeitgeberbeitrags. Ich möchte noch einmal klarstellen: Es handelt sich um eine Entlastung der Arbeitskosten. Es handelt sich nicht um ein Geschenk an die Arbeitgeber.
An der Entlastung der Arbeitskosten sind die Arbeitnehmer mindestens so interessiert wie die Arbeitgeber. Das hat etwas mit Arbeitsplätzen zu tim.
— Keine Angst. Ich habe die Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums überhaupt nicht zurückzunehmen, damit Sie nicht meinen, ich rede mit zwei Zungen. Nein, ich bleibe dabei.
Bevor wir aber diese Frage geklärt haben, bevor sich die Rechner geeinigt haben, brauchten wir mindestens 20 Jahre. Wenn ich manchen Ihrer Theoretiker beim Wort nehme, dann bringt eine Arbeitszeitverlängerung gar nichts. Damit ist überhaupt keine Entlastung verbunden. Dann muß man mit Null rechnen. Sie sehen, wir können diese scholastische Debatte noch zehn Jahre führen, und dann warten die Pflegebedürftigen noch zehn Jahre auf eine Antwort.
Ich sage Ihnen: Die Entlastung der Arbeitskosten wäre auch ohne die Pflegeversicherung ein Gebot der Stunde. Es stellt sich durchaus die Frage, ob wir, das Land mit den meisten Urlaubstagen, mit den meisten Feiertagen und mit den meisten Fehlzeiten, auf diesem Platz stehen bleiben und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit beseitigen können. Da habe ich meine Zweifel.
Ich bin kein Sozialpolitiker, der auf der einen Seite für den sozialen Fortschritt ist und auf der anderen Seite Arbeitsplätze gefährdet. Das kann nicht der Sinn der Sozialpolitik sein.
Meine Damen und Herren, wir sind — man begreift es ja gar nicht, daß es in Sachen Kompensation an Zentimetern scheitert — aufeinander zugegangen. Sagen Sie nicht, Sie hätten sich allein bewegt. Wir haben in Sachen Kompensation zuerst zwei Karenztage vorgeschlagen, dann haben wir sie um des lieben Friedens, der Einheit und des Konsenses willen aufgegeben.
Wir sind zum zweiten Schritt gegangen, zur Einschränkung der Lohnfortzahlung an Feiertagen oder wahlweise zum Verzicht auf zwei Urlaubstage. Dann sind wir wieder einen Schritt weitergegangen, weil das auch noch nicht konsensfähig war. Wir haben die Alternative geboten, daß man durch zwei Feiertage das Ganze beseitigen könnte.
Ich komme jetzt zum vierten Schritt. Im vierten Schritt haben wir gesagt, jetzt stufen wir die Feiertagsregelung. Es ging dabei im ersten Schritt genauso wie bei der SPD um einen Feiertag und im zweiten Schritt, in zweieinhalb Jahren, um zwei Feiertage.
Ich sage, wer das zum Opfer erklärt, wer diesen kleinen Unterschied angesichts derer, um die es geht, nämlich um die Pflegebedürftigen, zum Opfer erklärt, der hat die Proportionen nicht erkannt, der macht kleinkarierte parteitaktische Spiele. Wenn es darum geht, nun endlich — —
Erklären Sie bitte die zwei Feiertage nicht zum Teufelszeug, denn es gibt mehr als einen Sozialdemokraten, der sie auch vorgeschlagen hat. Insofern können Sie das jetzt nicht zum Tabu erklären.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17335
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich sage, und zwar auch in Richtung auf die Entscheidung hier — vorletzte Station, dann Bundesrat —: Wer mit Nein stimmt, wortreich oder nicht wortreich, erklärt, er habe recht gehabt oder nicht, wer wegen Rechnungen mit Nein stimmt, wer immer Ideologie oder Ordnungspolitik wortreich macht, der stimmt gegen 1,2 Millionen Pflebedürftige zu Hause und gegen Millionen von Familienangehörigen, der stimmt gegen 450 000 Menschen in den Heimen.
Ich frage die Länder und die Kommunen, die doch mit guten Gründen sagen, das Wasser steht uns bis zum Hals, ob sie nur aus ideologischen oder parteitaktischen Gründen auf 8 Milliarden DM Entlastung ihrer Sozialhilfe durch das Pflegegesetz verzichten wollen.
Nur mit Ja oder Nein antworten, nicht mehr viele Worte. Ich frage die fünf neuen Bundesländer, ob sie in sieben Jahren jeweils auf 800 Millionen Investitionsmittel für ihre Pflegeheime verzichten wollen — 7 mal 800 Millionen DM, nur um anschließend zu sagen, sie hätten recht gehabt, sie hätten besser gerechnet. 7 mal auf 800 Millionen DM zu verzichten, heißt 7 mal 800 Millionen DM an den neuen Ländern vorbeigehen zu lassen, obwohl das auch eine Beschäftigungswirkung hätte, was ja nicht nur für die Heime gut ist.
Ich frage die, die mit Nein stimmen, ob sie auf die Beschäftigungschance für über 150 000 Menschen, die nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit durch die Pflegeversicherung eine neue Beschäftigung bekommen werden — mehr als in manchem Beschäftigungsprogramm —, verzichten wollen.
Meine Damen und Herren, einschließlich der Öffentlichkeit: Der Worte sind genug gewechselt. Jetzt geht es nur um Ja oder Nein. Wer nein sagt, läßt die Pflegebedürftigen im Stich. Da kann er noch so recht haben, er läßt sie im Stich.
Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention gemäß § 27 der Geschäftsordnung hat unser Kollege Dr. Walter Hitschler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich für mich und für meine Kollegen gegen die Vorwürfe, die der Kollege Dreßler, aber insbesondere der Kollege Weiß gegen mich und meine Partei erhoben hat, wir wären gegen die Pflegeversicherung, in aller Form verwahren.
Ich weise diese Vorwürfe zurück und sage, daß insbesondere der Kollege Weiß dazu kein Recht hat,
der selbst an keiner einzigen Sitzung des Ausschusses, in der die Pflegeversicherung behandelt wurde, teilgenommen hat und der sich hier sozusagen als Verteidiger der Pflegebedürftigen aufgespielt hat. So können Sie mit uns nicht umgehen, die wir von Anfang an alle für eine Pflegeversicherung eingetreten sind.
— Jawohl, wir haben nur eine andere Pflegeversicherung gewollt,
nämlich eine Pflegeversicherung im Kapitaldekkungsverfahren.
— Jawohl. Dazu stehe ich auch heute noch. — Da können Sie nicht hingehen und hier den Vorwurf erheben, wir seien gegen eine Pflegeversicherung und wollten sie verhindern. Wir lassen uns dieses Etikett der sozialen Kälte aus wahltaktischen Gründen nicht anhängen.
Ich darf Ihnen sagen, daß ohne das hartnäckige Verhandeln der F.D.P.-Vertreter
eine solide Finanzierung dieser Pflegeversicherung in dieser jetzt vorliegenden Form nicht zustande gekommen wäre.
Meine Damen und Herren, nach unserer Geschäftsordnung hat der Kollege Konrad Weiß das Recht zu antworten. Bitte sehr.
Herr Kollege, Ihre Argumentation ist erbärmlich.
Ich habe an jeder Diskussion teilgenommen, die hier im Hohen Hause, im Plenum, zur Pflegeversicherung stattgefunden hat.
Sie wissen selbst, daß unsere Fraktion über acht Abgeordnete verfügt und wir alle Mitglieder in mehreren Ausschüssen sind. Ich habe als Mitglied des Innenausschusses mehrfach und intensiv mitberaten über die Pflegeversicherung. Ich bin nämlich Mitglied des Innenausschusses und nicht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, wie Sie mir hier unterstellen.
Wenn ich nicht in Ihren Ausschuß komme, dann hat das überhaupt nichts zu sagen, weil ich mich natürlich mit den Protokollen befasse und weil ich natürlich etwas von der Sache verstehe.
17336 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Konrad Weiß(Berlin)
Ich weise mit Entschiedenheit zurück, in welcher unfairen Art und Weise
von den großen Parteien mit unserer kleinen Fraktion umgegangen wird. Ich bin nicht in den Bundestag gekommen, um mir das von Ihnen sagen zu lassen.
Vor der Abstimmung hat gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollege Dr. Wolfgang Weng das Wort. — Er verzichtet.
Dann schließe ich die Aussprache.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:
ZP10 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz — PflegeVG)
— Drucksachen 12/5262, 12/5617, 12/5761, 12/5891, 12/5920, 12/5952, 12/6094, 12/6424 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Vogt
ZP11 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Entgeltfortzahlungsgesetz
— Drucksachen 12/5263, 12/5616, 12/5760, 12/5772, 12/5798, 12/5906, 12/6425 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Vogt
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Da auch sonst keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über Änderungen zu beiden Gesetzen gemeinsam abzustimmen ist. Wir stimmen also in einer einzigen Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschußes auf den Drucksachen 12/6424 und 12/6425, Pflege-Versicherungsgesetz und Entgeltfortzahlungsgesetz ab. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Ich frage: Ist ein Mitglied hier im Saal oder draußen in der Wandelhalle, das noch nicht abgestimmt hat? — Wir stellen fest, daß alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abgegeben haben. Ich schließe deshalb die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen *).
Meine Damen und Herren, ich hoffe auf Ihr Einverständnis, daß wir das Ergebnis der Abstimmung später
*) Ergebnis Seite 17337D
bekanntgeben können und jetzt in der Sitzung fortfahren. — Dann bitte ich Sie aber, Platz zu nehmen, weil wir jetzt zu einer Reihe von Abstimmungen über Tagesordnungspunkte kommen, bei denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Zusatzpunkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung fiber das Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Baumaßnahmen im Bereich deutscher Schulen im Ausland
— Drucksachen 12/4069, 12/6294 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dorothee Wilms Hans-Günther Toetemeyer
Ulrich Irmer
Eine Aussprache ist, wie angekündigt, nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 12/6294? — Die Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? —Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Förderung der beruflichen Weiterbildung — Drucksache 12/6426 —
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Das Wort nach § 31 unserer Geschäftsordnung wünscht unser Kollege Dr. Wolfgang Weng. — Bitte, Kollege Weng.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will dem Ziel dieses Antrags nicht widersprechen und werde ihm deshalb zustimmen. Ich stelle aber fest: Dieser Antrag verändert die Zweckbindung eines Haushaltsansatzes und ist ohne jede Beratung im zuständigen Haushaltsausschuß zustande gekommen. Es sprechen gute Gründe gegen die Art der Finanzierung des definierten Ziels. Da dieser unser Beschluß keine rechtliche Bindewirkung für die Bundesregierung hat, fordere ich die Bundesregierung auf, vor der Umsetzung dieses Antrags den zuständigen Fachausschuß, also den Haushaltsausschuß, damit zu befassen.
Gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung hat nun unser Kollege Dr. Jürgen Rüttgers das Wort.
Mit Schrecken und Bedauern nehme ich von dieser unglaublichen Tatsache Kenntnis, daß der Haushaltsausschuß vorher nicht befaßt worden ist. Ich bitte tausendmal urn Entschuldigung; es soll nicht wieder vorkommen. Aber wir sollten es beschließen, denn wir helfen den Menschen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17337
Eine weitere Wortmeldung gemäß §31 unserer Geschäftsordnung von unserem Kollegen Dr. Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Argumentation des Kollegen Wolfgang Weng überzeugt mich vollständig. Man kann eine solche Maßnahme nicht durchführen, ohne den Haushaltsausschuß einzuschalten. Den Menschen wird auch noch geholfen, wenn sich der Haushaltsausschuß im Januar mit dieser Frage beschäftigt. Das Inkrafttreten kann man verschieben. Deshalb unterstütze ich den Antrag des Kollegen Weng.
Ein schriftlicher Antrag liegt uns nicht vor.
Jetzt noch einmal der Kollege Dr. Rüttgers.
Ich will kurz versuchen, Klarheit zu schaffen. Es handelt sich um einen Antrag, der zu einem Tagesordnungspunkt eingebracht wurde, der von allen Fraktionen seit Wochen diskutiert wird. Es geht konkret darum, daß wir versuchen, bei Meisterprüfungen dadurch eine Hilfestellung zu geben, daß dafür ein Kreditprogramm im Bereich der KfW aufgelegt wird. Dazu gibt es eine Vorlage der Bundesregierung, die bei den Fraktionen — zugegebenermaßen kurzfristig — eingegangen ist. Insofern — ich glaube darauf etwas humorvoll eingehen zu können — ist die Bemerkung des Kollegen Weng in der Sache natürlich richtig. Das hätte normalerweise in den Haushaltsausschuß gehört.
Es geht darum, daß diese Maßnahme zum 1. Januar 1994 in Kraft treten und der jetzt offene Rechtszustand im Hinblick auf die Ermächtigung der Kreditanstalt für Wiederaufbau durch unseren Beschluß hier beseitigt werden soll. Anderenfalls würde diese Maßnahme, auf die viele Handwerker warten, zum 1. Januar 1994 nicht in Kraft treten können.
Vor diesem Hintergrund sollten wir, meine ich, jetzt nicht formalistisch sein. Es handelt sich um einen Beschluß zu diesem Verfahren, der dann in der Verantwortung der Bundesregierung und der Kreditanstalt für Wiederaufbau durchgeführt wird. Es besteht immer noch, Kollege Peter Struck, die Möglichkeit — falls wir hier der Meinung sind, daß wir nach dem Start dieses Programms im Januar daran noch Änderungen vornehmen, daß wir das Mittelvolumen im Haushaltsausschuß noch aufstocken sollten oder dergleichen —, alles das noch im Januar im Haushaltsausschuß und in den anderen Fachausschüssen zu beraten.
Ich finde, wir sollten das, nachdem wir es übrigens vorher auch so besprochen haben, hier jetzt nicht an
dieser Formalie scheitern lassen, dies um so weniger, als der Kollege Weng als haushaltspolitischer Sprecher der F.D.P.-Fraktion von sich aus gesagt hat, daß er diese Sache formal zwar moniere, aber im Inhaltlichen zustimmen wolle.
Jetzt hat sich der Kollege Dr. Weng noch einmal gemeldet. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zu Beginn meiner Ausführungen wahrscheinlich nicht von allen akustisch genau verstanden worden. Deshalb sage ich: Wir können hier keine detallierte inhaltliche Diskussion führen; das sehe ich auch. Ich kann zwar nicht jedem Argument, das der Kollege Rüttgers gerade vorgetragen hat, in der Sache folgen. Aber ich glaube, das ist hier auch nicht Gegenstand der Verhandlung.
Ich habe ausdrücklich erklärt, daß ich dem Ziel des Antrags nicht widerspreche und ihm in der Konsequenz zustimme. Deshalb habe ich auch keinen förmlichen Überweisungsantrag gestellt; ich würde einen solchen auch nicht unterstützen wollen.
Ich meine trotzdem, daß die Bundesregierung gut beraten ist, meiner Empfehlung, meiner Bitte, meiner Aufforderung zu folgen, die ich im Rahmen meiner Ausführungen gemacht habe.
Herr Kollege Dr. Struck, bleibt Ihr Antrag aufrechterhalten?
— Dann stimmen wir über den Antrag des Kollegen Dr. Struck ab, den hier vorliegenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Die Gegenprobe! — Das letztere war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung über den vorliegenden Antrag: Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/6426? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses zum PflegeVersicherungs- und Entgeltfortzahlungsgesetz auf den Drucksachen 12/6424 und 12/6425 mitteilen. Abgegebene Stimmen: 516. Mit Ja haben 292, mit Nein 217 gestimmt; Enthaltungen: 7.
17338 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Vizepräsident Helmuth Becker
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 515; davon:
ja: 292
nein: 216
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria
Börnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Buwitt, Dankward Carstensen (Nordstrand),
Peter Harry
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer
Erler , Wolfgang Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer , Dirk Fockenberg, Winfried Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz , Johannes
Dr. Geiger , Sissy Geiger, Michaela
Geis, Norbert
Dr. Geißler, Heiner Gibtner, Horst
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Gres, Joachim
Dr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, Klaus
Haschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Heise, Manfred
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Herr, Norbert
Hiebing, Maria Anna Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon
Jung , Michael Junghanns, Ulrich
Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Klein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler ,
Hans-Ulrich
Dr. Köhler , Volkmar
Kolbe, Manfred
Kors, Eva-Maria
Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Krause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kronberg, Heinz-Jürgen Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut
Dr. Laufs, Paul
Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Lenzer, Christian
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold , Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun
Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Dr. Luther, Michael
Maaß , Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,
Martin
Meckelburg, Wolfgang Dr. Merkel, Angela Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz
Molnar, Thomas
Müller , Elmar Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert
Neumann , Bernd Niedenthal, Erhard
Nitsch, Johannes Nolte, Claudia
Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard
Otto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeifer, Anton
Dr. Pflüger, Friedbert Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Riegert, Klaus
Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Dr. Rose, Klaus
Rossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schell, Manfred
Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard
Schulhoff, Wolfgang
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon
Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogt , Wolfgang Dr. Waffenschmidt, Horst
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek , Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer , Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias
Dr. Wittmann, Fritz
Wittmann , Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela
Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus
Bredehorn, Günther Engelhard, Hans A.
van Essen, Jörg
Funke, Rainer
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Gallus, Georg
Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard
Günther , Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hansen, Dirk
Dr. Hirsch, Burkhard
Dr. Hitschler, Walter
Dr. Hoyer, Werner
Kleinert , Detlef Dr. Kolb, Heinrich L.
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine
Lüder, Wolfgang
Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno
Nolting, Günther Friedrich Paintner, Johann
Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter , Manfred
Rind, Hermann
Dr. Röhl, Klaus
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Seiler-Albring, Ursula
Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen
Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Dr. Weng , Wolfgang
Würfel, Uta
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17339
Vizepräsident Helmuth Becker Fraktionslos
Dr. Krause , Rudolf Karl
Nein
CDU/CSU
Dr. Vondran, Ruprecht
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Antretter, Robert
Bachmaier, Hermann
Bartsch, Holger
Becker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid
Berger, Hans
Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck , Lieselott Bock, Thea
Dr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Büchler , Hans
Büchner , Peter Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Bulmahn, Edelgard
Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich , Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Ebert, Eike
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke , Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer , Evelin
Fischer , Lothar Formanski, Norbert
Fuchs , Anke
Fuchs , Katrin Fuhrmann, Arne
Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Dr. Glotz, Peter
Graf, Günter
Haack ,
Karl Hermann
Habermann, Michael
Hacker, Hans-Joachim Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Dr. Holtz, Uwe
Huonker, Gunter Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Jaunich, Horst
Dr. Jens, Uwe
Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Kolbow, Walter
Koltzsch, Rolf
Koschnick, Hans Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Lörcher, Christa
Lohmann , Klaus
Dr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meißner, Herbert
Dr. Mertens ,
Franz-Josef
Dr. Meyer , Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Palis, Kurt
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert
Poß, Joachim
Purps, Rudolf
Reimann, Manfred Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter
Scheffler, Siegfried Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,
Horst
Schmidt , Ursula Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schöfberger, Rudolf
Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schütz, Dietmar
Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich
Steen, Antje-Marie
Steiner, Heinz-Alfred
Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald
Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt , Karsten D. Wallow, Hans
Walter , Ralf
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Westrich, Lydia
Dr. Wetzel, Margrit
Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena
Wolf, Hanna
F.D.P.
Eimer , Norbert Grüner, Martin
Heinrich, Ulrich
Homburger, Birgit Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen Zywietz, Werner
PDS/Linke Liste
Bläss, Petra
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Heuer, Uwe-Jens Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann ,
Fritz
Dr. Seifert, Ilja
Stachowa, Angela
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Köppe, Ingrid
Poppe, Gerd
Schenk, Christina
Schulz , Werner Weiß (Berlin), Konrad
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Enthalten
CDU/CSU
Büttner , Hartmut
Doss, Hansjürgen Grochtmann, Elisabeth Rauen, Peter Harald
Schulz , Gerhard Seibel, Wilfried
F.D.P.
Schüßler, Gerhard
Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Freimut Duve, Evelin Fischer , Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lage der Kultur in den neuen Ländern — Drucksache 12/4399 —Ich weise darauf hin, daß die Antwort der Bundesregierung zu dieser Großen Anfrage zwischenzeitlich eingegangen ist. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/6385 vor. Es liegt außerdem ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Zeit von zwei Stunden vorgesehen.
17340 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Vizepräsident Helmuth Becker
— Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geld wird in Raten gezahlt, Abschiede auch. Heute begehen wir den Abschied dieser Bundesregierung aus einer übernommenen Verantwortung, einer übernommenen Verpflichtung, einer gemeinsam mit uns eingeschlagenen Politik. Aus dem Abschied auf Raten scheint ein dramatischer Absturz zu werden.
Die peinliche Bemühung der Unionsfraktion, diese Debatte heute morgen nicht zu führen, entspricht der unwürdigen Form, in der dieser Abschied von der Politik des Bundeskanzlers durch den Finanzminister eingeläutet worden war. Es gibt Trauerfeiern mit Würde, es gibt das peinliche Verscharren irgendwo in der Ecke des Friedhofs, und selbst wer gestern noch trauerte, drückt sich jetzt vor dem offenen Wort. Ich habe von einigen Ihrer Kollegen aus den neuen Ländern gehört, daß sie deshalb, weil Sie zu dem nicht Stellung nehmen wollen, was hier jetzt passiert, ungern hier heute dazu reden würden.
Der Bund legt seine Finanzhilfe für Ostdeutschland endgültig still. Es trifft die am härtesten, die für das soziale und kulturelle Gewebe unseres Landes die größte, unmittelbare Verantwortung tragen: die Städte und Gemeinden. Nicht mit meinen, sondern mit den Worten des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt an der Oder will ich das Drama schildern. Er hat gestern an den Bundeskanzler geschrieben — ich zitiere —:
Sie haben seinerzeit kulturpolitische Weitsicht bewiesen,
— wir teilen dieses Lob —
als Sie sich auf der Grundlage des Einigungsvertrages dazu verstanden, die Kultur Ostdeutschlands durch ein Strukturförderungsprogramm zu stützen. Diese Förderung hat den Erhalt unverzichtbarer Bestandteile des deutschen Geistes- und Kulturlebens in Ostdeutschland ermöglicht. Sie wurde von den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern zugleich als eine Aufforderung verstanden, vertrauensvoll nach vorn zu blicken und den Kulturstandort Deutschland engagiert und unbeirrt zu sichern und das kulturelle Ansehen unserer wiedergewonnenen Nation in und vor aller Welt stärken zu helfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist ... vorauszusehen, daß die kulturelle Substanz
— und darum ging es ja —
im ehemaligen Beitrittsgebiet und damit in
Deutschland großen Schaden nehmen wird und
daß die Förderbemühungen der letzten drei Jahre dadurch nachträglich ad absurdum geführt würden. Es bleibt zu bezweifeln, daß es dann schneller gelingen wird, die von uns allen herbeigewünschte innere Einheit aller Deutschen zu vollenden.
Der Brief schließt:
Es muß deshalb — und dies kann gar nicht beschwörend genug betont werden — Aufgabe und Programm Ihrer Regierung sein, die Kulturförderung der letzten drei Jahre mit ausreichenden Mitteln fortzuführen.
Das ist, glaube ich, die Stimme nicht nur dieses einen Bürgermeisters, sondern aller Bürgermeister und aller Landräte in den neuen Bundesländern, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Ich habe darum bewußt einen überparteilichen, nicht parteigebundenen Oberbürgermeister zitiert. Er ist ebenso verzweifelt wie seine Kollegen.
Kultur ist Ländersache — das sagt sich so schön —, aber die Zukunft der sozialen Kultur unseres Landes liegt in den Städten und Gemeinden. Wenn in ihnen die Zivilität zusammenbricht, dann würde auch unser Land zusammenbrechen.
Zu dieser Zivilität, von der wir nach dem Zusammenfall der kommunistischen Staaten und auch nach dem Zusammenbruch der DDR immer wieder gesprochen hatten, gehört die Kultur, gehören die traditionellen Theater ebenso wie die neuen künstlerischen Initiativen, das soziokulturelle Zentrum ebenso wie die Nachbarschafts-Begegnungsstätte.
Die Christliche und Demokratische Union Deutschlands hat das private Gewaltfernsehen in unserem Lande durchgesetzt, jetzt trägt sie die Hauptverantwortung für den Rückzug des Staates aus dieser zivilisatorischen Verantwortung für die Kulturpolitik in den neuen Bundesländern.
Ich persönlich empfinde daher diese Debatte wirklich als Verabschiedung. Wir mußten die Bundesregierung und die Mehrheit des Hauses zu dieser Debatte erst zwingen; das wissen Sie. Zweimal ist um Verschiebung der Antwort auf unsere Große Anfrage gebeten worden. Noch gestern abend wurde ich aufgefordert, auf die Debatte zu verzichten. Es ist auch eine Verabschiedung aus einer gemeinsamen Anstrengung, an der wir Sozialdemokraten von Anfang an ganz entscheidend mitgewirkt hatten.
— Na, gut, wir werden auch Ihr „Na" nachher hören. — Diese Kulturkoalition aller Parteien stimmt nicht mehr.
In der großen Kulturdebatte vom November 1984, als Herr Dr. Dregger damals die Debatte eröffnete, habe ich hier Günter Grass zitiert:
Bevor es überhaupt eine deutsche Nation gab,
gab es Klopstock und Lessing, eine deutsche
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17341
Freimut Duve
Literatur. Deutschland ist 100 Jahre vor Bismarck durch deutsche Schriftsteller und Philosophen, die den Geist der Aufklärung durch dieses Land wehen ließen, kraft der Sprache geeint worden.
Aus diesem Geist hat meine Fraktion bereits im Dezember 1989, wenige Wochen nach dem Fall der Mauer, einen Antrag vorbereitet und im Januar 1990 eingebracht, in dem wir die Grundlage für die spätere Bundesverantwortung im Einigungsvertrag sehen.
Es ist übrigens schändlich, über diesen ersten von Sozialdemokraten lange vor der staatlichen Vereinigung gemachten Schritt zur Schaffung einer gemeinsamen kulturpolitischen Institution aller Deutschen hinwegzugehen, ihn gar nicht wahrzunehmen und immer wieder mit wüsten Angriffen auf Persönlichkeiten aus unserer Partei zu antworten, z. B. auf unseren Präsidentschaftskandidaten Johannes Rau. Ich finde das schändlich, wenn Sie nicht genau wissen, wie die Entwicklung und die Diskussion in diesem Hause, zu einer Gemeinsamkeit zu kommen, gewesen sind.
Die erste Initiative zu einer gemeinsamen Institution — lange vor der Diskussion um Art. 23 des Grundgesetzes — ist von meiner Fraktion ergriffen und bereits im Januar 1990 eingebracht worden.
Mitte März 1990 habe ich in einem längeren Appell in der „Zeit" gefragt:
Wie sieht künftig staatsferne, freie und individuelle Kultur aus? Wie die Kultur des Zusammenlebens in einer Welt zunehmender innerer Gewaltbereitschaft?
— Das war im März 1990. Wir haben die Gewalt dann bekommen.
Wo bleibt das in der DDR so mißbrauchte Erbe des Humanismus, aus dem unsere Verfassungskultur stammt? Wer wird auf Dauer bei uns jenes knappe Gut „kulturelle Öffentlichkeit" garantieren und finanzieren, nachdem sich die so schändlich bevormundeten Bürger der DDR gesehnt hatten?
Die Antwort auf solche Vorstöße — ich erinnere an die vorzüglichen Analysen der kulturellen Lage Ostdeutschlands z. B. von Dieter Zimmer in der „Zeit", der darauf immer wieder hingewiesen hat — war Art. 35 des Einigungsvertrages. Damals haben alle Fraktionen an einem Strang gezogen und die Kulturglocke in Schwingung gebracht. Sie hat geläutet. Sie hat vielleicht manche in Ostdeutschland auch geläutert: Insgesamt über 3 Milliarden DM hat der Bund den fünf Ländern und Berlin gezahlt.
„Zeit kaufen" hatte ich diese Verpflichtung damals genannt. Uns war klar: Das muß degressiv geschehen und kann in dieser Form nicht für ewig gelten. Aber allen war auch klar: Wenn der Bund über Jahrzehnte die Benachteiligung des sogenannten Zonenrandgebiets mit Hunderten von Millionen finanziert hatte, von Kassel bis Hof — noch in diesem Jahr sollen dafür fast 50 Millionen DM gezahlt worden sein —, dann müssen die Kosten für die kulturelle Vereinigung der
Deutschen auch über eine längere Zeit von allen getragen werden können.
Hier ist ein Wort zu den großen Leistungen der kleinen Kulturabteilung des Innenministeriums angebracht. Ich nenne Herrn von Köckritz und Herrn Hieronymus, die beide aus dem Dienst ausgeschieden sind, Herrn Ackermann und ihre Mitarbeiter.
In ganz kurzer Zeit haben sie ein Konzept erarbeitet und eine Form der Hilfe gefunden, die den Auftrag des Einigungsvertrags erfüllte. Mit Kreativität und Geschwindigkeit — Geschwindigkeit, die bei einer Administration selten ist — ist der Zusammenbruch vieler Kultureinrichtungen der ehemaligen DDR verhindert worden.
Bonn hat keine Kultur betrieben, aber die Basis dafür geschaffen, daß sich Kunst und Kultur aus der staatlichen Verklammerung der alten Zeit lösen und neue Formen suchen konnten. Es ist in diesem Gebiet nicht wie in vielen anderen Bereichen einfach „abgewikkelt" worden.
1990, 1991 und 1992 hat also die von vielen befürchtete Kulturtragödie nicht stattgefunden, jedenfalls nicht die materielle und institutionelle. Dazu haben wir alle hier im Bund unseren Beitrag geleistet, übrigens weit mehr als die westlichen Bundesländer, die oft so kritisch mit den kulturellen Miniaktivitäten des Bundes umgehen. Herr Kollege Baum, Sie weisen darauf immer besonders gerne hin.
Die Tragödie könnte aber jetzt eintreten, wenn sich die Befürchtungen des Frankfurter Bürgermeisters bewahrheiten sollten. An Warnungen davor hat es nicht gefehlt: Im April 1993 haben die Grenzlandräte Sachsens eine gemeinsame Resolution verfaßt, aus der ich zitiere:
Die Landräte nehmen mit großer Besorgnis von dem von der Bundesregierung Ende 1994 geplanten Auslaufen der Übergangsfinanzierungskultur nach Artikel 35 Einigungsvertrag Kenntnis.
Die Landräte verwiesen in diesem Zusammenhang auf die in ihrem Bereich weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Abwanderung in Ballungsgebiete sowie das Ansteigen von Kriminalität und Rechtsradikalismus.
Dann stimmen 18 Landräte ausdrücklich den Plänen des Innenministeriums zu, die Bundesverantwortung über 1994 hinaus zu sichern. Denn das war das Signal, das die Bundesregierung damals noch an alle Leute in den neuen Ländern gegeben hat. Heinz Eggert, der sächsische Innenminister und stellvertretende CDU-Vorsitzende, stimmt dieser Beurteilung seinerseits am 16. Juli ohne jede Einschränkung zu.
Dann, wenige Monate später, kommt der Hammer — ich darf ja nicht sagen: die Sichel; meine Mitarbeiterin hat mir gesagt, das solle ich lieber nicht sagen; ich sage es aber doch, weil es ein hübsches Bild ist —:
17342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Freimut Duve
Der selbsternannte Kulturminister des Bundes, Herr Waigel, begründet in der FAZ vom 26. August die neue Kulturenthaltung des Bundes. Er desavouiert seinen Kollegen Kanther, der gerade erst ins Amt gekommen war. Er bespricht sich nicht mit ihm, sondern meint, nun könne er die Kulturpolitik übernehmen.
Ich weiß aus dem Haus, daß das auch ein Bruch einer bestimmten Kabinettsdisziplin gewesen ist. Er geht über die Vorschläge des Fachressorts hinweg und verkündet dies nicht im Kabinett, nicht in einer gemeinsamen Besprechung und auch nicht in einer Vorbesprechung mit Parlamentariern, sondern in der FAZ. Das ist vielleicht der öffentliche Ort, an dem man sozusagen Ressortpolitik betreibt.
Niemand hatte ihn dazu autorisiert. Uns Oppositionsfraktion hatte man am 18. August gebeten, der Verschiebung der Beantwortung unserer Großen Anfrage zuzustimmen.
Waigel begründet den Rückzug nicht mit der Kassenlage, sondern vor allem mit der Verfassungslage, nicht ohne seine bayerischen Schäfchen in Bamberg und Bayreuth ins Trockene zu bringen. Ich habe gar nichts gegen die beiden wichtigen Kultureinrichtungen. Man hat mir vorgeworfen, weil ich das woanders auch schon einmal gesagt habe, ich hätte etwas gegen Wagner.
Ein Sozialdemokrat würde nie wagen, irgend etwas gegen Wagner zu haben.
Der Artikel Waigels erschien wenige Tage, nachdem sein Kollege Kanther dem sächsischen Kulturminister geschrieben hatte, er hoffe mit Hilfe des Kanzlers auf eine Fortführung der Zahlungen, und wenige Wochen nach einem dringenden Appell des Kanzlerfreundes Biedenkopf, um Schaden von der kulturellen Substanz abzuwenden.
— Ist er denn nicht sein Freund?
Seit dieser Regierungserklärung des Finanzministers kann sich die Opposition an die Gemeinsamkeit der Kulturpolitik für die neuen Länder, die wir so lange geübt hatten, nicht mehr gebunden fühlen, vor allem deswegen nicht, weil uns Stellungnahmen aus den Kulturministerien der neuen Länder vorliegen. Sie weisen sehr präzise darauf hin, wie stark gerade die Entwicklung eigener Förderungsstrukturen, also das Aufbauen des Eigenen, bestimmt ist von der Zusicherung, auch über 1994 hinaus Bundesmittel zu bekommen. Auch wenn man etwas Eigenes aufbauen will, braucht man eine Überbrückungshilfe.
Der Bund zieht sich zurück und läßt die glühenden Landschaften allein.
Aus dem Standort Deutschland könnte der Brandort Deutschland werden, wenn in Städten und Gemeinden die kulturellen Netze für die Menschen, für die Alten wie für die Jungen, für die Arbeitslosen, zerreißen.
Die Zahlen der Besucher von Kulturveranstaltungen haben — nach dem Abfall der ersten Jahre — schon wieder drastisch zugenommen. Wenn jetzt Einrichtungen schließen müßten, dann würde auch die bisherige Leistung gefährdet.
Ich will noch einmal an die Zonenrandförderung erinnern. Vier Bundesländer — Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern — haben vom Bund von 1982 bis 1989, also bis zum Fall der Mauer, jährlich insgesamt weit über 110 Millionen DM, zwischen 111 Millionen DM und 131 Millionen DM, bekommen.
Wir wußten, warum, und warum wir dem immer zugestimmt haben. Niemand hat das damals Übergangsfinanzierung genannt. Das war auf Dauer angelegt und wäre weiter gezahlt worden, wenn die Einheit nicht gekommen wäre. Für die Narben der Trennung insgesamt über 30 Milliarden DM für kulturelle und soziale Aufgaben in den vier genannten Ländern über viele Jahrzehnte — für die Heilung der Einheit knapp 3 Milliarden DM für vier Jahre!
Nun ist ein Trick gefunden worden; Sie wissen es. Wir sollen ihn nicht kritisieren, damit er nicht noch gefährdet werde, hat man mir gesagt. Also, so kann ich die Aufgabe der Opposition nicht verstehen: 250 Millionen DM aus einem Fonds, der dem Bund gar nicht gehört, sondern dessen Mittel längst den Ländern zugestanden worden waren. Wir werden sehen, ob dieses Bezahlen aus fremder Tasche funktioniert. Aber es ist zuwenig, es sind keine Bundesmittel, und es schmälert die Mittel der neuen Länder für andere Aufgaben.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage ist daher unbefriedigend. Sie stellt den Zustand bis 1993 richtig dar, geht aber nicht auf die entstandene bedrohliche Lage bei Wegfall des Bonner Geldes ein.
Ich finde, der Bundeskanzler hat sein Vertrauen verspielt. Er wollte die geistig-moralische Wende. Jetzt kämpft er mit dem geistig-moralischen Ende der Bundesregierung Kohl.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Rainer Jork.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Übereinstimmung und Ausfüllung des Art. 35 des Einigungs-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17343
Dr.-Ing. Rainer Jork
vertrages, ist durch die Bundesregierung die Übergangsfinanzierung der Kultur in den neuen Bundesländern mit ca. 3,3 Milliarden DM gesichert worden. Das betraf z. B. die Teilprogramme zur Substanzerhaltung, für die Infrastruktur und den Denkmalschutz. So konnte in der ersten Übergangszeit, in der die neuen Bundesländer noch nicht über ein ausreichendes eigenes Steuer- und Finanzeinkommen verfügten, die kulturelle Substanz erhalten und gefördert werden. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, der Bundesregierung dafür sehr herzlich zu danken.
Ich freue mich auch über die zunehmende Achtung und Akzeptanz ostdeutschen Kulturgutes durch Gäste aus den alten Bundesländern und dem Ausland. Am vergangenen Wochenende erlebte ich rund um den Dresdener Striezelmarkt, in der Kreuzkirche, an der Semperoper und am Sitz der Dresdener Philharmonie, was vielfältige, lebende Kultur bedeutet.
In den letzten Wochen haben wir in diesem Hohen Haus um Lösungen und Akzeptanz für den Bundeshaushalt gestritten. Kürzungen und Einschränkungen erzeugten, je nach eigener Befassung und Interessenlage, Befangenheit oder Sensibilität, mehr oder weniger kritische Reaktionen. Natürlich bleibt die Arbeitslosigkeit, die unzureichende Arbeitsorganisation für die Wirtschaft das Hauptproblem in Gesamtdeutschland, aber zunehmend auch die entsprechende Voraussetzung im kulturellen Bereich.
Für überaus schmerzlich, ja gefährlich halte ich die Streichung der Übergangsfinanzierung Kultur für die neuen Bundesländer.
Natürlich kündigte sich das bereits mit dem kwVermerk im Haushalt 1993 an.
— „kw", das sei gesagt, heißt „kann wegfallen"; vielleicht ist das nicht jedem, der hier zuhört, bekannt.
— Dieser Vermerk stand aus meiner Sicht und der Sicht der sächsischen Staatsregierung bereits im Widerspruch sowohl zum Einigungsvertrag, in dem diese Hilfe bis zum Wirksamwerden des BundLänder-Finanzausgleichs, also 1995, zugesagt wurde, als auch zu der realen Finanzkraft, dem Steueraufkommen der neuen Bundesländer.
Es entspricht nicht den Tatsachen, wenn behauptet wird, die Beendigung der Übergangsfinanzierung im Haushalt 1993 sei angesichts des Föderalen Konsolidierungsprogramms auf ausdrücklichen Wunsch des Deutschen Bundestages erfolgt. Ich kann mich daran nicht erinnern.
In der Haushaltsdebatte am 9. September 1992 sagte der Bundeskanzler eine insgesamt befriedigende Lösung zu. Das sind für die Betroffenen im Jahre 1993 ca. 650 Millionen DM und 1994 ca. 500 Millionen DM. Mit der Zuordnung von 250 Millionen DM für 1994 aus dem ehemaligen DDR- Parteivermögen mit Sicherheitsgarantien durch die
Bundesregierung wird nun ein Ausweg aufgezeigt. Ich sehe dabei jedoch eine Menge Fragezeichen:
zur Höhe, Verfügbarkeit, Zuordnung und Glaubwürdigkeit.
Herr Kollege Dr. Jork, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Baum?
Ich würde gerne erst zum Ende kommen; vielleicht erübrigt sich dann die Frage. Ich sehe, daß ich ohnehin möglicherweise Zeitprobleme habe. Können wir das dann im Anschluß klären?
Es geht insgesamt um die weitere Beseitigung der Folgen der deutschen Teilung.
Mit dem Blick nach Osteuropa spielen dabei auch auswärtige Gesichtspunkte eine Rolle.
— Wir sind immer selbstkritisch. Aber wir wollen natürlich abwägen, was wir können und was wir wollen. Da sind wir in einem stärkeren Konflikt als Sie, Herr Duve. Das macht es uns ein bißchen schwerer. Deshalb habe ich mir sehr wohl überlegt, was ich sage.
Herr Kollege Dr. Jork, der Kollege Lüder hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Gut, Herr Lüder. Da ich ohnehin unterbrochen habe, ist das nur recht und billig.
Herr Kollege, da Sie das Wort „Zuordnung" hinsichtlich der 250 Millionen DM verwendet haben, frage ich, ob Ihnen der Passus in Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III des
17344 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993
Wolfgang Lüder
Einigungsvertrags bekannt ist, wonach die unabhängige Kommission, die erst entscheiden kann, wenn sie Geld hat, Parteivermögen, das sie den Berechtigten nicht zuordnen kann, nur „zugunsten gemeinnütziger Zwecke, insbesondere der wirtschaftlichen Umstrukturierung, in dem in Artikel 3 des Vertrages "— also den neuen Bundesländern, „genannten Gebiet" verwenden darf?
Herr Kollege, ich sehe das direkt im Zusammenhang mit meinem Satz, daß ich eine Menge Fragezeichen sehe.
Wahrscheinlich hat sich das gerade überdeckt. Ich kann nur bestätigen, daß ich Probleme sehe. Deshalb möchte ich auch gerne an dieser Stelle weiterreden. Ich sehe mindestens Nachdenk-, aber auch Handlungsbedarf.
Wenn es um die Frage geht, was die neuen Bundesländer in das gemeinsame Deutschland einbringen, dann ist das für mich neben dem Willen zum Aufbau vor allem ein wesentlicher Bestandteil gesamtdeutscher nationaler Kultur.
Im Rahmen der europäischen Staaten ist Deutschland eben nicht nur geprägt durch Wirtschaft und Wissenschaft, sondern vor allem durch gelebte und erlebbare Kultur. Eine sichtbare Gefährdung gesamtdeutscher kultureller Substanz durch Vernachlässigung in einer Übergangszeit bedeutet Verzicht auf identitätsstiftende Wirkung.
Natürlich waren und sind auch die neuen Bundesländer selber in der Pflicht, durch Strukturreformen und Veränderungen Überangebote wirksam zu reduzieren. In Sachsen wurden und werden Kostenreduzierungen u. a. durch Zusammenlegung, Schließungen und Personalabbau erreicht. Die Staatsoper Dresden reduzierte beispielsweise bis 1992 ihren Personalbestand auf 85 %, die Landesbühnen Sachsen auf 83 %. Durch Fusion wurde die Vogtlandphilharmonie auf 57 % der Musiker verringert. Das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen setzte durch Fusion mit der Lausitzer Philharmonie bis zum 1. August 1992 145 Beschäftigte frei. Das nur als Beispiele aus Sachsen.
Es entstehen Programme zur langfristigen Kulturförderung mit nationaler Bedeutung. Der Bund hat auch hierfür Hilfe angekündigt, die angesichts der realen Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern, also des nur langsam steigenden eigenen Steueraufkommens, und der Personalkostensteigerungen erforderlich ist. Diese Vereinbarungen zur längerfristigen Stützung der deutschen Kulturlandschaft in den neuen Bundesländern können eine wirksame Hilfe sein.
Die nationale Verantwortung für Kultur als lebensnotwendiges Element jeder Gemeinschaft, die unbeschadet der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes auch der Bund mitträgt, geht nicht 1994 zu Ende. Es ist dringend notwendig, daß Aufgaben und Einrichtungen von gesamtdeutschem und europäischem Rang ab 1995 auch in den neuen Bundesländern vom Bund gefördert und unterstützt werden.
Dabei kann das Ziel nicht in einer Umverteilung von West nach Ost bestehen.
Die Kultusministerkonferenz hat Kriterien für die Förderung von kulturellen Aufgaben und Einrichtungen erarbeitet, die von gesamtdeutscher und europäischer Bedeutung sind. Auf dieser Grundlage gilt es jetzt rasch zu konstruktiven Entscheidungen und Vereinbarungen zu kommen. Die sächsische Staatsregierung ist beispielsweise sehr an weiteren konkreten Absprachen und Vereinbarungen zur sogenannten Leuchtturmförderung interessiert.
Bezogen auf die aktuelle Situation kann ein Aussetzen der bisher so wesentlichen Hilfe zu einer extremen Gefährdung des Erreichten führen. Erfolgreiche Maßnahmen sollten nicht abgebrochen werden,
sonst besteht die Gefahr, daß Kirchen und historische Gebäude zerfallen.
Kulturelle Güter kann ich nicht fiskalisch mit Maschinen und Betrieben gleichsetzen. Ein Orchester kann man eben nicht wie eine Maschine in Ölpapier packen und nach zwei Jahren Lagerzeit wieder in Betrieb setzen.
Das hervorragende Angebot deutscher Kultur betrifft in einer Zeit zunehmenden Egoismus und wachsenden Extremismus ein besonderes kostbares zu hütendes Erbe und Gut. Nehmen wir es an!
Wir dürfen uns nicht über einen Orientierungsdrang und eine eventuell fragwürdige Auswegsuche durch Menschen in den neuen Bundesländern wundern, wenn ihnen nach den Betrieben bzw. Arbeitsplätzen — in die sie bekanntermaßen viel mehr eingebunden waren, als man hier im allgemeinen weiß — auch die für sie wesentliche kulturelle Identität in Frage gestellt wird.
Herr Kollege Dr. Jork, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?
Bitte.
Bitte, Kollege Weng.
Herr Kollege, es ist unverhältnismäßig problemlos, hier Dinge
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Dr. Wolfgang Weng
darzustellen, die wünschenswert sind, und dafür auch Applaus zu erhalten. Darf ich Sie in Kenntnis der Verantwortung Ihrer Fraktion fragen: Haben Sie, wenn Sie sich für den SPD-Antrag aussprechen und dieses für Ihre Fraktion tun, berücksichtigt, daß über die Finanzierung von einer halben Milliarde DM an Ausgaben zusätzlich im nächsten Jahr hier nicht das geringste gesagt wird? Glauben Sie tatsächlich, daß Ihre Fraktion, für die Sie meines Erachtens sprechen — deswegen frage ich —, hier einer unfinanzierten Ausgabe von einer halben Milliarde DM nachher in dieser Rumpfbesetzung vielleicht mit 20: 15 Stimmen locker zwischen Tür und Angel Zustimmung erteilen würde?
Herr Kollege, ich muß Ihre Frage in zwei Teile gliedern. Als erstes geht es um die Frage der Finanzierung. Die empfinde ich genauso wie Sie. Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß ich darum gebeten habe, zu prüfen, ob man den Betrag von 250 Millionen DM, die aus dem Parteivermögen zur Diskussion stehen, aus dem Topf erhöhen kann, weil ich die Haushaltszwänge, die Sie formuliert haben, ebenso empfinde wie Sie.
Wir können nicht wie in der vorhergehenden Diskussion erörtern, wie wir die Sozialausgaben erhöhen und jetzt über Kulturausgaben debattieren und am Schluß eine zunehmende Neuverschuldung in Kauf nehmen. Das ist der Konflikt, den ich empfinde wie Sie.
Zu der zweiten Frage. Für mich steht jetzt nicht die Bestätigung des Antrages der SPD zur Diskussion; der ist aus meiner Sicht gar nicht aufgerufen. Wenn Sie aber fragen, möchte ich dazu erklären, daß ich diesem Antrag nicht zustimmen und mein Abstimmungsverhalten schriftlich begründen werde, weil darin Passagen sind, die erstens eine Erhöhung über das ohnehin Geforderte enthalten und zweitens sagen, daß sich die Bundesregierung nicht im klaren sei, was die Förderung der Arbeitsmaßnahmen für die Kultur bedeutet. Die zweite Aussage halte ich für falsch und die erste für unzumutbar. Das sind die Probleme, die ich aber nicht im Zusammenhang mit dem Gesagten sehe.
Ich möchte mit Ihnen gemeinsam und auch im Sinne des Zusammenwirkens in unserer Fraktion dazu beitragen, daß wir die Lücke, die ich als schmerzlich empfinde — ich möchte das, was ich eben gesagt habe, wiederholen —, schließen.
Ich habe auch gesagt — das sehe ich in dem Zusammenhang mit den Fragezeichen usw. —: Ich kann nicht laufend fordern, ohne mir Gedanken zu machen, wo ich seriös die Finanzierung sichere. Das ist der Konflikt — ich habe es schon angedeutet —, in dem wir hier stehen, wenn wir meinen, Verantwortung wahrnehmen zu müssen.
Ich darf fortfahren. Vor allem ein eigenes stabiles kulturelles Selbstverständnis und Bewußtsein liefert
die erforderliche Reife, auch andere Kulturen und Ausländer im eigenen Land zu verstehen. Im kulturellen Umfeld entfaltet sich die Seele des Individuums. Kunst und Kultur waren in der DDR auch Fluchtstellen für seelisch Bedrängte. Tun wir mehr gegen ein seelenloses Umfeld!
Ich sage hier jenen, die meinen, ostdeutsche Kulturförderung käme allein den neuen Bundesländern zugute: Ostdeutsche Kulturförderung ist für uns alle, für eine gesamtdeutsche Identität.
Ostdeutsche Kulturförderung ist für ein Deutschland in Europa. Ostdeutsche Kulturförderung ist für die Zukunft, für die Jugend in einem Umfeld zunehmenden Werteverfalls.
Ostdeutsche Kulturförderung heißt erhalten, behüten, weitergeben. Ostdeutsche Kulturförderung ist Symbol für Gemeinsinn und deutsche Mitmenschlichkeit. Kultur in den neuen Bundesländern ist ererbt von unseren Vätern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deutsche Kultur erhalten und hüten! Bekennen wir uns zu unserer Kultur als nationalem Identitätsträger!
Ich danke.
Meine Damen und Herren! Ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Ina Albowitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Duve, ich bin ein bißchen verwundert, daß die SPD-Fraktion auf der Aufsetzung der Aussprache über die Große Anfrage für die heutige Sitzung bestanden hat.
Ich bin in mehrfacher Hinsicht verwundert. Erstens bin ich verwundert, weil wir im letzten Vierteljahr schon mehrfach Gelegenheit hatten, bei der Lesung des Bundeshaushalts über die Kultur zu reden. Wir haben uns dabei ja untereinander ausgetauscht.
Zum anderen bin natürlich auch ich verwundert — das geht an die Adresse der Bundesregierung —, daß eine Große Anfrage vom 17. Februar erst kurz vor Aufsetzen beantwortet wird.
Ich sage das durchaus selbstkritisch, auch mit dem Appell an die Bundesregierung: So sollte man nicht mit dem Parlament umgehen.
Ich hätte trotzdem gewünscht, Herr Kollege Duve, daß wir den Punkt heute abgesetzt hätten; nicht, weil mir die Kultur nicht besonders wichtig wäre — darüber sind wir uns wohl einig —, sondern in Anbetracht dessen, was wir vorher auf der Tagesordnung hatten,
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Ina Albowitz
und des mäßigen Interesses an diesem zweiten Tagesordnungspunkt.
— Sie haben völlig recht. Wir sind ja in der Sache gar nicht auseinander. Ich hätte mir nur ein größeres Forum und mehr Aufmerksamkeit gewünscht. Das war in dem Petitum.
Manchmal sollten Sie die Leute ausreden lassen. Das gilt auch für die Kollegen.
Es ist dem überragenden Stellenwert der deutschen Kultur angemessen, daß wir in einem Rückblick nach fast drei Jahren Bundesförderung Zwischenbilanz ziehen; denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur von jeher ein Rechts- und Sozialstaat, sondern auch ein Kulturstaat.
Das bedeutet, daß die Förderung von Kunst und Kultur nicht im freien Ermessen des Staates liegt, sondern zu seinen Pflichten gehört. Deshalb bin ich auch der Meinung, daß sich Kulturpolitik und die damit verbundenen Aufgaben nicht auf die hinlänglich bekannten und immer wieder auch in diesem Hause diskutierten Verfassungsfragen bzw. auf die jeweils passende Interpretation des Einigungsvertrages reduzieren lassen.
Kultur hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, weil sie von besonderer Bedeutung für das Selbstverständnis und die Identität der Menschen in unserem Land ist. Darüber hinaus ist das deutsche Kulturgut aber — das sollten wir in Anbetracht der Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, bedenken — für das Ansehen der Deutschen auch außerhalb unserer Landesgrenzen von außergewöhnlicher Bedeutung.
Willkommen ist mir die Debatte auch, weil wir bei dieser Gelegenheit bestehende falsche Vorstellungen ausräumen können und die Fakten im Bereich der Kulturförderung in den neuen Bundesländern noch einmal diskutieren können.
Vorab noch eine Bemerkung, Herr Kollege Duve — es wäre schön, wenn Sie zuhören würden —: Die Große Anfrage und der heute vorgelegte Entschließungsantrag sollen — ich hoffe, es ist nicht so, denn Ihre Eingangsbemerkungen haben mich eines anderen belehrt — doch wohl die Vermutung aufkommen lassen, als stelle sich allein die SPD der Verantwortung für den Erhalt der kulturellen Substanz in den neuen Bundesländern.
Im juristischen Sprachgebrauch nennt man das einen untauglichen Versuch.
Ich möchte hier für meine Fraktion und auch für mich ganz persönlich klarstellen, daß die F.D.P. in dem Erhalt der kulturellen Substanz in den neuen
Bundesländern eine der wichtigsten Aufgaben gesamtstaatlicher Verantwortung sieht.
Denn Kunst und Kultur waren gerade zu Zeiten der staatlichen Teilung Deutschlands eine wesentliche Grundlage der fortbestehenden inneren Einheit der Nation.
Es geht also in der Sache nicht um eine Angelegenheit, die sich hier im Hause eine Fraktion allein auf die Fahnen schreiben kann, sondern um einen weiteren Schritt zur Herstellung der Einheit Deutschlands, und die geht uns alle an. Dabei sollten wir nicht vergessen, daß der Bestand gerade der kulturellen Infrastruktur in den neuen Bundesländern von wesentlicher Bedeutung für die Menschen vor Ort ist.
Die Bestandsaufnahme der Bundesregierung zur Lage der Kultur in den neuen Ländern zeigt, daß es trotz der erheblichen wirtschaftlichen Probleme und Engpässe in den öffentlichen Haushalten bisher weitgehend gelungen ist, die Gefahr für die ostdeutsche Kultur abzuwenden. Allerdings, ohne das große finanzielle Engagement des Bundes — das kann ich als Berichterstatterin meiner Fraktion beurteilen — läge heute verbrannte Erde vor uns. Die neuen Länder und Kommunen waren nach Herstellung der deutschen Einheit zur Finanzierung ihrer kulturellen Einrichtungen nicht mehr in der Lage.
An dieser Stelle muß man sich, glaube ich, noch einmal — um der Problematik gerecht zu werden — den Status quo im Jahre 1990 vor Augen führen. Zahlreiche Theater, Spielstätten, Orchester, Museen und viele andere kulturelle Einrichtungen standen vor der Frage: Wie soll es weitergehen?
Für die wertvolle Bausubstanz fehlte vielfach schon seit dem Ersten Weltkrieg das Geld für die notwendige und kontinuierliche Pflege. Historisch und kulturell bedeutenden Einrichtungen drohte unwiederbringlich der Verfall bzw. die sofortige Schließung. Der Bund hat reagiert, er hat angemessen reagiert, und er hat durch sein Engagement Einbrüche in der ostdeutschen Kulturlandschaft verhindert.
Zu diesem Zweck haben wir ein Programm — und ich beziehe uns alle ein, Herr Kollege Duve —, ein Programm Übergangsfinanzierung Kultur als freiwillige Bundesaufgabe in Gang gesetzt. Im Rahmen des Substanzerhaltungsprogramms, das nicht der pauschalen Verstärkung der Kulturhaushalte der Lander diente, sondern der Existenzsicherung einzelner Einrichtungen und Veranstaltungen gewidmet war und ist, wurden auf Vorschlag der Länder in Abstimmung mit einem Fachgremium, das vom Innenminister berufen wurde, einzelne Vorhaben ausgewählt, die der Bund in seine finanzielle Förderung einbezogen hat.
Das Infrastrukturprogramm als ein weiterer Teil der kulturellen Übergangsfinanzierung in den neuen Ländern diente und dient dazu, die Kulturbereiche in den Gebietskörperschaften strukturell zu erneuern und regionale Benachteiligungen auszugleichen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17347
Ina Albowitz
Es werden kulturelle Aktivitäten im Bereich der darstellenden Kunst, Musik, Literatur, Film, Medien und andere Dinge gefördert.
Ein dritter Komplex der Übergangsfinanzierung betrifft den Denkmalschutz. Dieses Programm dient der Sicherung, Erhaltung und Restaurierung von unbeweglichen Kulturdenkmälern und wertvollen historischen Bauten, wie z. B. der Frauenkirche in Dresden, um ein Beispiel zu nennen.
Ihre Vorhaltungen, meine Damen und Herren von der SPD, kann ich nicht nachvollziehen — und ich sage das auch mit Ernst, Herr Duve —, wenn Sie sagen, daß der Bund Kunst und Kultur in den vergangenen zwei Jahren nicht ausreichend unterstützt hat. Natürlich ist das immer eine Frage, wie man die Prioritäten setzt.
— Dann hoffe ich, ich habe Sie da nicht mißverstanden. Dann nehme ich das auch so zurück.
— Herr Kollege Jork, ich möchte gern im Zusammenhang weiterreden, wir sind eh schon arg spät in der Zeit, aber vielleicht hören Sie bis zu Ende zu.
Immerhin haben der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung zur Ausstattung der Übergangsfinanzierung im Haushalt des Bundesministeriums des Innern 1991 950 Millionen DM, 1992 830 Millionen DM und für das laufende Jahr 650 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Damit liegt das Engagement des Bundes im Bereich der Kulturförderung in Ostdeutschland bereits bei 2,5 Milliarden DM, meine Damen und Herren — 2 500 Millionen DM! Ich betone das. Das hört sich viel deutlicher an, als wenn man nur „2,5 Milliarden" sagt.
Nimmt man die Förderung von Kultureinrichtungen von besonderer Bedeutung noch hinzu, sind es sogar 3,3 Milliarden DM. Vorwürfe unzureichender Bundesunterstützung sind also völlig unangemessen.
— Ja, das weiß ich nicht. Ich habe auch schon andere Töne hier im Haus gehört.
Vor dem Hintergrund, daß in den neuen Bundesländern eine wesentlich höhere Dichte an Kultureinrichtungen als im Westen herrscht, können aber — ich denke, so ehrlich müssen wir sein — nicht alle Kinos, Theater, Museen erhalten bleiben. Das Überangebot muß zu Schließungen führen, und hier fordern die Gesetze auch des kulturellen Wettbewerbs ihren Tribut, so schmerzlich die Schließung von einzelnen Einrichtungen für die betroffenen Menschen auch ist. Das kulturelle Netz ist jedoch nicht zerrissen, wer immer auch dies behaupten möchte, und die für das kulturelle Leben essentielle Kontinuität wurde und wird fortgesetzt.
Obwohl die Kulturförderung in diesem Sonderprogramm zeitlich begrenzt war und bereits für 1993 noch einmal verlängert wurde, wissen wir heute, daß die Bundesländer auch 1994 noch nicht in der Lage sind, ihre eigene Verantwortung zum Erhalt ihrer kulturellen Substanz wahrzunehmen.
— Sehr verehrte Frau Kollegin, ich möchte Sie ja nicht maßregeln, aber wenn Sie öfter im Plenum gewesen wären und auch die Haushaltsreden gehört oder nachgelesen hätten, hätten Sie gewußt, daß ich das alles schon mal bei der ersten Lesung des Haushaltes 06, bei der Verabschiedung des Haushaltes 06 gesagt und Presseerklärungen dazu gemacht habe. Wir sind da überhaupt nicht auseinander. Manchmal ist es wichtig, sich auch mit dem Counterpart auf den anderen Seiten zu beschäftigen.
Dafür gibt es meines Erachtens auch mehrere Gründe.
— Vielen Dank.
Zum einen ist dies auch maßgeblich darauf zurückzuführen, daß es in den Ländern an eigenen Kulturkonzepten fehlt. Es ist längst an der Zeit, daß die neuen Länder und Berlin diese Konzeptionen erarbeiten. Auch diese Forderung stelle ich hier nicht zum erstenmal. Hier kann Beispiel sein — und das muß man ganz deutlich sagen —, was das Land Sachsen gemacht hat. Dort hat man nämlich ein Kulturraumgesetz verabschiedet, demzufolge Zweckverbände gebildet werden und Kreise und kreisfreie Gemeinden sich zu Kulturräumen zusammenschließen, deren Aufgabe die finanzielle Förderung der regional bedeutsamen Kultureinrichtungen durch eine Umlage ist. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung zur Stabilisierung der eigenen Kultur.
Meine Damen und Herren, leider geht es eben nicht in allen Bundesländern so. Deshalb können wir, glaube ich, immer nur appellieren und hoffen, daß das in den nächsten Wochen und Monaten weiter fortschreitet.
Vor dem Hintergrund, meine Damen und Herren, daß der Bund im Jahre 1994 allerdings den Fonds Deutsche Einheit auf 10,5 Milliarden DM aufgestockt hat, ist es zwingend erforderlich, daß in den Länderkabinetten die Mittel für die Kulturbelange eingestellt werden, damit auch dort die Kultur den nötigen Stellenwert erhält.
Ja, Frau Kollegin, so ist das. Wir können nicht immer nur in Bonn das Geld bereitstellen und dann sagen, wir nehmen es für alles andere. Wenn der Kollege Jork eben sagte, daß Kultur auch ein Wirtschaftsfaktor sei
— völlig unbestritten! —, dann, denke ich, muß man auch an die Länderkabinette den Appell richten, dafür etwas zu tun, weil Kultur und der ganze Bereich darum herum auch eine wirkliche Stärkung der Wirt-
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Ina Albowitz
schaftskraft in den neuen Ländern bedeuten können. Die dafür erforderliche Überzeugungsarbeit können wir vielleicht alle gemeinsam leisten.
Meine Damen und Herren, ich lasse den Passus über das Vermögen der Unabhängigen Kommission jetzt aus, weil ich dazu mehrfach geredet habe. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, daß hier ein Weg gefunden werden könnte, wenn die Unabhängige Kommission, die Treuhand, der Bundestag, die Bundesregierung gemeinsam zu der Überzeugung kämen, daß es hier einen Weg gibt. Ich bin kein Jurist, muß aber sagen, daß ich Kultureinrichtungen immer auch als gemeinnützig empfunden habe.
Wenn das so ist, dann, denke ich, ist der Gesetzestext, der sich mit der Unabhängigen Kommission und ihrer Handlungsmaxime beschäftigt, in diesem Bereich durchaus auch interpretationsfähig. Darüber möchte ich mir allerdings nicht den Kopf zerbrechen. Das muß die Unabhängige Kommission tun, das muß die Treuhand tun. Dafür ist auch die Bundesregierung da. Das müssen diese Gremien gemeinsam tun.
Herr Kollege Duve, ich habe schon vor gut 14 Tagen hier in diesem Haus gesagt, daß wir gemeinsam einen Weg suchen und das auch in der Sache völlig unpolemisch debattieren sollten. Wenn auch die neuen Länder damit einverstanden sind — und die Signale, die ich habe, deuten das an —, dann ist das ein gangbarer Weg, wie wir den neuen Ländern in diesem Bereich noch einmal helfen können, unabhängig von dem Thema Spitzenkulturförderung, das ab 1995 sowieso neu debattiert werden muß. Darüber hätten wir übrigens schon 1993 debattieren müssen, weil wir da auch neue Grundlagen schaffen müssen. Im übrigen wird das ein schwieriger Weg. Ich denke, daß mein Kollege Baum gleich noch etwas dazu sagen wird.
Lassen Sie mich zum Abschluß doch noch einen Satz zum Entschließungsantrag sagen, Herr Kollege Duve: Wir wundern uns ja eigentlich immer über die Politikverdrossenheit der Menschen draußen und darüber, daß sie mit uns nicht zufrieden sind. Das hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, daß wir immer doppelzüngig reden.
— Bitte, lassen Sie mich das ausführen! Ich meine das sehr ernst.
Wir können uns doch nicht 14 Tage nach Verabschiedung des Bundeshaushalts, der im Bundesrat noch Zustimmung finden muß, hinstellen und eine weitere halbe Milliarde ungedeckt fordern,
obwohl wir wissen, daß es ein Scheck auf die Zukunft ist, der nicht eingelöst werden kann, weil das nicht realisierbar ist.
Mit Ihrem Antrag bin ich inhaltlich in vielen Punkten einverstanden. Was den 249er Teil angeht, müssen wir, glaube ich, darüber reden. Was die Finanzierung angeht bin ich mit Ihnen nicht einverstanden,
weil das auch nicht zur Glaubwürdigkeit dieses Hauses beiträgt. Es trägt deshalb nicht zur Glaubwürdigkeit bei, weil wir den Leuten sagen müssen: Es geht nicht! Wir müssen einen Weg in anderer Richtung finden, und ab 1995 ist die Länderhoheit in der deutschen Kultur eh gefordert. — Vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren! Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe natürlich große Schwierigkeiten, wenn wir in diesem Haus völlig zu Recht über die Notwendigkeit, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, sprechen und zur gleichen Zeit die Rotstifte bei Wissenschaft, Forschung, Technologie und Kultur ansetzen. Jeder weiß, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur von Investitionen und neuer Technik, sondem auch sehr stark von der Kreativität und den Innovationen von Menschen geprägt wird. Jeder weiß, daß ein Buch, ein Theaterbesuch, ein Konzertbesuch, kulturelle Selbstbetätigung wesentlich dazu beitragen, daß die Menschen produktiver und schöpferischer ihre Arbeit erfüllen.
Ich sage das auch deshalb, weil ich Sorge habe, daß vergessen worden ist, daß Art. 35 des Einigungsvertrages eigentlich ein ungeliebtes Kind gewesen ist. Ich darf daran erinnern, daß in den ersten beiden Entwürfen des Einigungsvertrages dieser Artikel nicht enthalten gewesen ist und daß es einer Erklärung des Kulturausschusses der frei gewählten Volkskammer und des Bundes der Freien Künstler der DDR bedurft hatte, damit die Verhandlungsdelegationen beider Seiten sich mit dieser Frage überhaupt beschäftigten.
Wenn wir heute, nach drei Jahren, feststellen, daß dieses Kind ungeliebt geboren ist und sich auch sehr schwer entwickelt, dann weiß ich um das Für und Wider. Ich weiß, daß die Bundesregierung und der Bund große Anstrengungen unternommen haben, um traditionelle Einrichtungen, wie Theater, Museen, Orchester, weitgehend zu erhalten. Ich möchte das ausdrücklich würdigen und sagen: Ich halte es für eine große Leistung des Bundes, daß die Grundstruktur kultureller Tätigkeit und kultureller Betätigung erhalten bleiben konnte. Es wird sich langfristig auszahlen.
Ich weiß aber ebenfalls, daß es zu einem Niedergang im Bereich der Breitenkultur gekommen ist und daß die Anzahl der Kinos, der Jugendclubs, der Kulturhäuser, der Bibliotheken, die geschlossen worden sind, ein Maß erreicht hat, wo man eigentlich sagen muß, daß jedes weitere Institut oder jede weitere Bibliothek, die jetzt geschlossen werden müssen, zu viel ist.
Ich weiß, daß nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gerechnet werden muß. Ich weiß, daß in der DDR im Bereich der Kultur manches finanziert wurde, wo nicht nach dem Nutzen und der Effizienz gefragt
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17349
Dr. Dietmar Keller
worden ist. Aber ich weiß ebenfalls, daß jeder Strich im Bereich der Kultur bestehen bleibt und daß jedes geschlossene Kino für Jahrzehnte wenn nicht für immer geschlossen bleibt. Denn überall dort, wo der Strich im Bereich der Kultur angesetzt worden ist, ist es unerhört schwierig, das irgendwann einmal zurückzunehmen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD formuliert:
Kulturelle Substanz in den neuen Ländern blieb erhalten, und die kulturelle Grundversorgung wurde im wesentlichen der in den alten Ländern entsprechend gestaltet.
Ich möchte in bezug auf diesen Satz, dem man so im Prinzip zwar zustimmen kann, acht Einwände geltend machen.
Erstens. Trotz der in den vergangenen drei Jahren gewährten finanziellen Unterstützung haben eine Reihe wichtiger kultureller Institutionen geschlossen werden müssen, bzw. es sind Reduzierungen vorgenommen worden, die zu einer Senkung des kulturellen Leistungsvermögens geführt haben, und Umstrukturierung und Modernisierung sind nicht in dem Tempo angestrebt worden, wie es notwendig gewesen wäre.
Zweitens. Nach wie vor — darüber besteht ja hier im Hohen Haus Übereinstimmung — sind die Länder und Kommunen der neuen Bundesländer noch nicht in der Lage — sie werden für einen längeren Zeitraum nicht in der Lage sein —, ein angemessenes Verhältnis zwischen kostenintensiven etablierten Institutionen und neuen Kulturaktivitäten herzustellen und gleichzeitig die bauliche Erhaltung bzw. die notwendigen Maßnahmen für die Weiterarbeit dieser Institutionen zu sichern.
Drittens. Mit großer Sorge — auch darüber besteht Übereinstimmung in diesem Hause — müssen wir sagen, daß die Kürzungsstriche offensichtlich junge Menschen am meisten betroffen haben. Wenn der Rotstift bei den Möglichkeiten für eine kulturelle Freizeitbeschäftigung jüngerer Menschen ansetzt, wissen wir, wohin das führen kann. Jugend auf der Straße ist nicht nur für die geistige Einheit Deutschlands eine Gefahr, sondern vor allem eine Gefahr für das Leben, die Lebenserwartung und Lebenshaltung dieser Menschen.
Viertens. Ende 1992 waren 28 % der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im kulturellen Bereich in ABM-Stellen tätig. Wir wissen, daß hier ein großer Strich gemacht worden ist und daß die Anzahl derer, die im kulturellen Bereich auf ABM-Stellen gearbeitet haben um mindestens die Hälfte reduziert worden ist. Es betrifft vor allem ABM-Stellen, die im Bereich der kulturellen Freizeit und des kulturellen Alltags angesiedelt sind, so daß sich der Trend, Striche in der Freizeitkultur zu machen, bei der Entscheidung, ABM-Stellen zu streichen, fortsetzen wird.
Fünftens. Wir wissen heute auch schon, daß nach 1995 der neue Bund-Länder-Finanzausgleich nicht alle Probleme lösen wird und daß die neuen Lander auch weiterhin der Hilfe des Bundes bedürfen.
Sechstens. Wir dürfen nicht vergessen — und auch das gehört zum kulturellen Alltag in den neuen Bundesländern —, daß es kaum noch sozialverträgliche Preise, insbesondere im Theater- und Konzertbereich gibt und daß die Veränderung der Preisstrukturen naturgemäß auch zu einer sozialen Veränderung der Besucherstruktur geführt hat.
Siebtens. Viele Künstler und im Bereich der Kultur Tätige sind nicht mehr in ihrem Beruf tätig. Es sind Menschen, die sich irgendwann einmal für eine künstlerische Tätigkeit entschieden haben, die etwas in die geistige Landschaft in Deutschland einzubringen haben, die aber nicht mehr gebraucht werden. Nicht gebraucht wird geistiges Potential. Das ist ein Verlust und schafft individuelle Spannungen, die nicht dazu beitragen werden, daß die komplizierten Bedingungen des Zusammenwachsens beider deutscher Staaten ausreichend und schnell erfüllt werden können.
Achtens. Ich möchte darauf verweisen, daß wir uns darüber im klaren sein müssen, daß, wenn wir jetzt den Stift für 1994 ansetzen, wir auch vieles in Frage stellen, was völlig zu Recht 1991 bis 1993 geschaffen worden ist. Vieles, was sozusagen mühsam am Leben erhalten worden ist, wird mit den Streichungen für das Jahr 1994 gefährdet.
Ich halte es für einen Roßtäuschertrick, wenn wir jetzt über die 250 Millionen DM sprechen. Mir wäre es sympathisch gewesen, die Bundesregierung hätte gesagt, sie hat alle gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen und mit der Parteienkommission darüber gesprochen und Festlegungen getroffen, daß diese 250 Millionen DM garantiert sind. Ich weiß, daß diese 250 Millionen DM natürlich nicht das Problem lösen werden. Es wäre aber zumindest ein Ansatz gewesen.
Ich möchte noch einmal wiederholen, was die PDS hier schon mehrfach gesagt hat. Die Treuhand und die Unabhängige Parteienkommission sitzen auf einem Vermögen von 500 Millionen DM der PDS. Wir haben darauf verzichtet. Wenn dieses Vermögen schnell umgesetzt werden könnte, wenn es für die Kultur zur Verfügung gestellt werden könnte, würden wir zumindest für das Jahr 1994 eine Lösung haben, die größere Einbrüche verhindert.
Wenn ich über die neuen Bundesländer spreche, sage ich aber auch: Ich fühle mich auch für die Erhaltung der kulturellen Leistungen in den Altländern verantwortlich. Das, was mit dem Haushaltsplan 1994 an Streichungen bei kulturellen Projekten, Institutionen und Kulturverbänden, die in 40 Jahren mit Bedacht, Verantwortungsbewußtsein und Behutsamkeit entwickelt worden sind und die in sehr starkem Maße das geistig-kulturelle Leben in den alten Bundesländern geprägt haben, vorgenommen wurde, bringt einen Verlust in Gang, der Deutschland nicht gut zu Gesicht steht. Ich glaube, es ist noch Zeit für die Bundesregierung vorhanden, Änderungen vorzuschlagen.
Ich sehe das alles nicht nur im Bereich der Kultur, sondern ich sehe diese Striche auch auf Gebieten, auf denen ich es nicht für möglich gehalten hätte, daß dort Striche vorgenommen werden. So hat z. B. das Bundesbauministerium vor, die RBBau K VII im Zuge der Sparmaßnahmen des Bundes zur Disposition zu stel-
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Dr. Dietmar Keller
len. Damit wird die Kunst am Bau in Frage gestellt. Jeder weiß, was Kunst am Bau, eine moderne Architektur, für die visuelle, ästhetische und kulturelle Bildung der Menschen bedeutet.
— Wenn es diese Woche verhindert worden ist, nehme ich das dankbar zur Kenntnis.
Ich bitte also — ich sage: ich bitte — die Bundesregierung, und ich bitte dieses Hohe Haus, zu überlegen, was getan werden kann, damit es zu keinem größeren kulturellen Einbruch im Osten Deutschlands kommt.
Ein kultureller Einbruch wird verhindern, daß der schwierige Weg des Zusammenwachsens von uns gemeistert wird. Er wird vor allem dazu führen, daß junge Menschen keine Chance mehr haben, durch kulturelle Selbstbetätigung und durch sozialerträgliche Beteiligung an Kunst, Literatur, Musik und Theater eine Lebenshoffnung zu haben, eine Lebenserwartung zu finden und sich in dieser Gesellschaft als vollwertige Bürger zurechtzufinden.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich will nur eine Bemerkung machen: Ich hoffe, daß niemand in diesem Hause versucht, Roßtäuschertricks anzuwenden.
Das Wort hat jetzt unser Kollege Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der Wiedervereinigung war uns die Aufgabe zugefallen, zwei deutsche Kulturen, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell gänzlich verschieden entwickelt hatten, zusammenzuführen. So hilfreich die These von der deutschen Kulturnation vor der Wiedervereinigung war, so sehr war sie einem gleichberechtigten Integrationsprozeß danach hinderlich; denn nicht anders als in allen anderen Bereichen hieß das Übernahme der westdeutschen Strukturen in Ostdeutschland.
Es war sehr bald klar, daß dies einen erheblichen Kulturverlust in Ostdeutschland zur Folge haben würde. Deswegen war es das Bemühen der DDR- Unterhändler und der DDR-Volkskammer, im Einigungsvertrag eine Bestandsgarantie für die ostdeutsche Kultur zu verankern.
So heißt es im Art. 35 Abs. 2: Die kulturelle Substanz in dem in Art. 3 genannten Gebiet — damit ist die DDR gemeint — darf keinen Schaden nehmen. — Gegen Buchstaben und Geist dieses Art. 35 des Einigungsvertrages hat die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung folgenschwer verstoßen. Sie ist ihrer eingegangenen Verpflichtung vor allem dadurch nicht gerecht geworden, daß sich der Bund nun seiner Verpflichtung aus Art. 35 Abs. 7, nämlich — ich zitiere — zur Förderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen mitzufinanzieren, zu früh entzogen hat.
Zwar wurden in dem Haushaltsjahr 1991 bis 1993 hierfür insgesamt 2,6 Milliarden DM aufgewendet — ein respektabler Betrag, und ich weiß das durchaus zu schätzen und zu würdigen —, aber dennoch war eben dieser Betrag nicht ausreichend, um die eingegangene Bestandsgarantie zu erfüllen.
Mit dem Haushaltsjahr 1994 will der Bund sich nun gänzlich aus seiner Verantwortung stehlen. Statt ordentlicher Haushaltsmittel will er 250 Millionen DM aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen abzweigen, also Geld, das den Ostdeutschen ohnehin gehört. Im Klartext bedeutet dies: 1994 beteiligt sich der Bund nicht mehr an der Förderung der kulturellen Infrastruktur in den ostdeutschen Ländern und nimmt entgegen seiner Verpflichtungen aus dem Einigungsvertrag in Kauf, daß die Kultur dort Schaden nimmt.
Zweifellos war es die Unerfahrenheit der DDR-Unterhändler, vielleicht auch ihre Gutgläubigkeit, daß sie den Zusagen der Bundesrepublik Deutschland bedingungslos Glauben geschenkt und Zeiträume nicht genau festgelegt haben. Ein Blick in die ostdeutsche Kulturlandschaft genügt, um zu wissen, daß der Zeitpunkt längst noch nicht gekommen ist, wo die Länder zwischen Ostsee und Thüringer Wald aus eigener Kraft Kultur und Kunst finanzieren könnten.
Mit einem wirtschaftlichen Desaster in dem Ausmaße, wie wir es zu beklagen haben, hatten die Parteien, die dem Einigungsvertrag zugestimmt haben, offenbar nicht gerechnet. Um so wichtiger wäre es nun, die Realität in Ostdeutschland zur Kenntnis zu nehmen und die notwendige Übergangsfinanzierung weiterhin zu leisten.
Zu Recht fordern die ostdeutschen Länder und Kommunen mindestens bis 1994 noch die Übergangsfinanzierung in Höhe von 500 Millionen DM. Ich kann nicht einsehen, daß einerseits 700 Millionen DM quasi über Nacht als Gastgeschenk für die chinesischen Kommunisten dem Bundeskanzler zur Verfügung gestellt werden, aber andererseits nicht 500 Millionen DM für Kultur und Kunst in den ostdeutschen Bundesländern aufzubringen sein sollen.
Die Gesamtausgaben des Bundes für Kunst und Kultur machen 1994, aus den verschiedenen Einzelplänen extrahiert, etwa 1,1 Milliarden DM aus. Von den 16 % Einsparungen, die das Bundesministerium des Innern zu erbringen hatte, wurde 28 % dem Kulturhaushalt entnommen; das sind 150 Millionen DM. 1992 haben Bund, Länder und Kommunen insgesamt 14 Milliarden DM für Kultur aufgewendet, rund 1 % ihrer Haushalte. 1994 hingegen werden diese Aufwendungen nur noch 0,5 % ausmachen. Laut Protokoll der Arbeitsgruppe „Zur Erhaltung der Kulturlandschaft" beim BMI vom 15. Oktober 1992 hatte Bundeskanzler Kohl jedoch für die Übergangsfinan-
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Konrad Weiß
ziereng im Jahre 1994 noch einmal 500 Millionen DM zugesagt. Dort steht ganz eindeutig und unzweifelhaft: Kanzlerzusage über 500 Millionen DM für 1994. Ich frage mich ebenso wie die zahllosen Bürgerinnen und Bürger im Osten: Was sind die Versprechen dieser Bundesregierung wert?
Das Wahldesaster in Brandenburg, liebe Kollegen, mit den Stimmengewinnen für die SED-Nachfahren ist auch die Quittung für die gebrochenen Versprechungen des Kanzlers und für den rücksichtslosen Kulturabbau im Osten. Dabei sind gerade Kunst und Kultur unerläßlich für den Aufbau einer zivilen Bürgergesellschaft in den ostdeutschen Ländern, die noch immer unter den Folgen der realsozialistischen Entmündigung und Gleichmacherei zu leiden hat.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält es für einen gravierenden Fehler, wenn sich der Bund angesichts der zivilisatorischen Krise in Deutschland seiner kulturpolitischen Verantwortung mehr und mehr entzieht. Wir brauchen nicht weniger Bundeskulturpolitik, sondern mehr. Bei allem Respekt vor der in den alten Bundesländern gewachsenen und weithin bewährten kulturellen Autonomie der Länder müssen wir angesichts der gegenwärtigen Kulturkrise über eine Aufgabenverlagerung nachdenken. Ich hielte es für angemessen, wenn der Deutsche Bundestag durch die Einrichtung eines Hauptausschusses für Kultur damit beginnen würde.
— Wunderbar, wenn wir uns da einig sind.
Eine neue Bundesregierung wird versuchen müssen, durch ein Bundeskulturministerium, mindestens aber durch einen Kulturbeauftragten dem im Spannungsfeld zwischen Europa und den Regionen stehenden Kulturauftrag des Bundes besser gerecht zu werden. Deutschland braucht einen kooperativen Kulturföderalismus, der über die Länderzäune hinweg eine europäische Kulturpolitik möglich macht.
Das beste Beispiel, das die engen Grenzen der bisherigen Länderautonomie belegt, ist die deutsche Praxis der Filmförderung. Während Frankreichs national geförderte Filmproduktion einen Marktanteil von 35 % hält, sind es in Deutschland knapp 10 %. Angesichts der enormen wirtschaftlichen Potenzen der audiovisuellen Medien ist das eine beklagenswerte Schwäche. Dabei schätzen Fachleute, daß in diesem Bereich in Europa 1,5 bis 2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Das setzt natürlich eine supranationale Strukturpolitik voraus, mindestens aber eine nationale. Die Länder allein sind mit entsprechenden Strukturprogrammen überfordert. Die Treuhand, das Land Brandenburg und Berlin konnten und wollten das enorme Potential der Babelsberger Studios nicht nutzen. Dabei boten die vorzüglich ausgebildeten Filmarbeiter und die ausbaufähigen Produktionskapazitäten einzigartige Standortvorteile, die Babelsberg zum europäischen Hollywood hätten machen können. Infolge des Kompetenzgerangels zwischen Bund, Berlin und Brandenburg bzw. des Desinteresses der alten Länder ist diese Chance mittlerweile endgültig vertan.
Die rigorose Sparpolitik des Bundes und die Finanzschwäche der ostdeutschen Länder und Kommunen haben zu unwiederbringlichen Verlusten und irreparablen Schäden in der ostdeutschen Kulturlandschaft geführt. Nicht nur die überdimensionierten SED- Kultursaurier haben nicht überlebt, sondern auch zahlreiche kleine Kunst- und Kulturinitiativen, die entweder aus der Opposition zur DDR entstanden waren oder aber die neue Freiheit nach der Wende genutzt hatten. Die Vernachlässigung der Soziokultur, die in Ostdeutschland als Reaktion auf Zensur und Staatskultur entstanden war, ist geradezu sträflich. Das ist tief zu bedauern.
Das Verlustregister in Ostdeutschland ist lang: Die Kinolandschaft ist verödet. Jedes zweite Filmtheater im Osten ist geschlossen. Namhafte Orchester wurden aufgelöst, so das Leipziger Rundfunkblasorchester oder das Defa-Sinfonieorchester. Einige Theater haben ihren Spielbetrieb eingestellt. 40 % aller Jugendzentren und 15 % der Kulturhäuser bleiben zu. In den ländlichen Regionen wurden Bibliotheken und Musikschulen geschlossen. Eine Reihe wichtiger Kunst- und Kulturverbände ist gefährdet.
In Frankfurt an der Oder — ich will dieses Beispiel nennen, Kollege Duve, weil Sie das vorhin schon angesprochen haben — mußten in den letzten drei Jahren 150 Mitarbeiter aus dem städtischen Kulturbereich freigesetzt werden. Die Streichung von Bundesmitteln hätte neue Entlassungen zur Folge, und das in einer Situation, da die Schmerzgrenze beim Personalabbau ohnehin schon erreicht ist.
Wenn z. B. das Frankfurter Theater geschlossen werden muß, heißt das, daß 100 Mitarbeiter und Künstler, die keine Chance haben, wieder eine Arbeit zu bekommen, auf der Straße liegen.
Ein weiteres Beispiel: Die Städtische Musikschule mit 1 500 Schülern wird bislang mit 15 % aus Bundesmitteln unterstützt. Deren Streichung hat zwangsläufig die Reduzierung der Schülerzahl und die Entlassung von Lehrern zur Folge. Zukünftig muß die Stadt Frankfurt zwei Drittel ihres Kulturetats selbst aufbringen, hat aber bereits heute ein Haushaltsdefizit von 38 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag. In Frankfurt an der Oder wurde die PDS mit fast 34 % stärkste Partei im Rathaus. Man muß schon blind und taub sein, wenn man die Zusammenhänge nicht erkennt.
Aber auch Einrichtungen von nationaler oder europäischer Bedeutung erhalten unzureichende Mittel und sind dadurch in ihrer Arbeitsmöglichkeit beschränkt oder gar gefährdet. Als Beispiel seien das Bauhaus Dessau, die Stiftung Weimarer Klassik, das Ernst-Busch-Haus in Berlin oder das Hans-FalladaHaus genannt.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt den vorliegenden Entschließungsantrag der SPD voll und ganz und fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf, ihren Verpflichtungen aus dem Eini-
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Konrad Weiß
gungsvertrag nachzukommen und keine Tricks anzuwenden, um mit der Finanzierung zurechtzukommen, sondern ihren Verpflichtungen so, wie es im Einigungsvertrag formuliert ist, gerecht zu werden, damit — das wollen wir doch alle — die kulturelle Substanz in den ostdeutschen Ländern nicht weiterhin Schaden nimmt.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, jetzt erhält das Wort zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 27 unserer Geschäftsordnung der Kollege Dr. Rainer Jork.
Ich möchte ganz kurz folgendes sagen, um Mißverständnissen vorzubeugen. Erstens. Der Wiederaufbau der Frauenkirche erfolgt zu einem ganz wesentlichen Anteil durch Spenden, Benefizkonzerte usw.
Zweitens. Herr Keller, die Bundesregierung hat für die 250 Millionen DM eine Sicherheitsgarantie gegeben. Ich habe vorhin gesagt, daß ich dafür sehr dankbar bin.
Danke.
Meine Damen und Herren, jetzt erhält das Wort der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unser Kollege Eduard Lintner.
Herr Kollege Duve, die Geschäftsordnung der Bundesregierung ist nicht geändert worden. Wir sind innerhalb der Bundesregierung nach wie vor für den Kulturbereich zuständig.
Die Problematik, daß natürlich der Finanzminister involviert ist, wenn Haushaltspläne erstellt werden und Geld benötigt wird, und zwar nicht nur im Innenbereich, ist nicht neu. Daß es Schwierigkeiten gibt, bestimmte Beträge aufzubringen, ist auch nicht neu. So gesehen sind wir hier in einer wohlvertrauten Situation.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zunächst eine Bemerkung zum Ablauf und zum Stand des Verfahrens. Wie Sie wissen, war die Bundesregierung bis zum Schluß bemüht, trotz der bekannten Finanzsituation des Bundes nach Wegen zu suchen, die Übergangsfinanzierung im Jahre 1994 sicherzustellen, um so den neuen Ländern zu helfen, kulturelle Substanz zu erhalten, bis sie dann ab dem Jahre 1995, d. h. mit dem Wirksamwerden der neuen, zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Aufteilung der Anteile am Steueraufkommen, dafür selbständig Sorge tragen können. Für das Übergangsjahr 1994 wurde die Abstimmung zwischen dem Bund und den neuen Ländern erst in dieser Woche — genauer gesagt: am Montag — mit dem Ergebnis abgeschlossen, für die Kulturförderung im nächsten Jahr aus dem
sogenannten Parteivermögen 250 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Diese Empfehlung liegt jetzt der zuständigen Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR zur Beschlußfassung vor. Wenn dem zugestimmt wird, kann ab Anfang 1994, d. h. rechtzeitig, mit der Auszahlung dieser Mittel begonnen werden.
Herr Kollege Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve? — Bitte, Kollege Duve.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, was diese Kommission, sozusagen qua Institution, also mit ihren Mitarbeitern und durch die von diesen zu erbringende Arbeit, kostet? Könnte die Bundesregierung mir darüber Auskunft geben? Wie viele Mitarbeiter hat diese Kommission?
Herr Kollege Duve, ich kann Ihnen sagen, daß der Betrag von 250 Millionen DM davon jedenfalls nicht tangiert wird.
Ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang das Entscheidende.
Herr Kollege Lintner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Herr Kollege Weiß, bitte schön.
Ich würde Sie gern fragen, Herr Staatssekretär, was die Bundesregierung zu tun beabsichtigt, wenn die Unabhängige Kommission der Freigabe der 250 Millionen DM nicht zustimmen sollte.
Herr Kollege Weiß, Sie wissen vielleicht — jedenfalls haben Sie das in der Zeitung lesen können —, daß die Bundesregierung für den Fall, daß diese Summe entgegen dem Zweck, dem dieses Vermögen zugeführt werden soll, nicht freigegeben würde, das damit zusammenhängende Risiko zu übernehmen gedenkt.
Die beabsichtigte Zurverfügungstellung von 250 Millionen DM ist also keine leere Versprechung, wie Sie unterstellen.
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Man muß sich bei der Bewertung dieses Ergebnisses bewußt sein, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung — entgegen ihrer ursprünglichen, von den neuen Ländern seinerzeit mitgetragenen Absicht — die Förderung über das Jahr 1992 hinaus um jetzt zwei Jahre bis Ende 1994 verlängert hat — und dies trotz der bekannten Enge der Bundesfinanzen. Mehr zu fordern mag denen, die für die Finanzen des Jahres 1994 und später letztlich nicht einzustehen haben,
als probates Mittel erscheinen. Mit Seriosität, meine Damen und Herren von der SPD, hat aber die Forderung, nun eben mal schnell 500 Millionen DM herbeizuschaffen, nichts zu tun.
Hier handelt es sich um eine Schaufensteraktion,
die leicht zu durchschauen ist.
In der Großen Anfrage der Fraktion der SPD werden neben dem Aspekt der Finanzierung für 1994 vor allem zwei Probleme thematisiert: Verlauf und Ergebnis der kulturellen Übergangsfinanzierung von 1991 bis 1993 sowie Pläne des Bundes zur Kulturförderung nach Beendigung der Übergangsfinanzierung.
Zunächst, meine Damen und Herren von der Opposition, sind wir Ihnen dankbar, daß es damit eine Möglichkeit gibt, einer breiteren Öffentlichkeit über die Kulturförderung des Bundes in den neuen Ländern zusammenfassend und mit genauen Zahlen belegt zu berichten.
Wenn ich die bekannten Standpunkte vergleiche, dann ist es wohl berechtigt, festzustellen, daß die Übergangsfinanzierung der Jahre 1991 bis 1993 eigentlich von allen als ein äußerst erfolgreiches Unternehmen im Rahmen des Bemühens um die Herstellung der inneren Einheit der Deutschen gewertet wird.
Der Bund hat sein im Einigungsvertrag — der schon mehrfach zitierte Art. 35 ist hier einschlägig — gegebenes Wort gehalten, und zwar in einem Maße, wie es von vielen gar nicht erwartet wurde. In einer für unsere Verfassung und in unserer Geschichte einmaligen Weise hat er mitgeholfen, daß die neuen Länder in einem Kernbereich ihrer Zuständigkeit trotz schwierigster Wirtschafts- und Finanzprobleme uneingeschränkt handlungsfähig geblieben sind. Dieses überaus positive Beispiel einer unkomplizierten, freiwilligen Hilfsaktion des Bundes sollte nicht in Vergessenheit geraten und auch nicht zerredet werden.
Es ist und bleibt eine große Leistung dieser Regierung, meine Damen und Herren, daß sie neben anderen Kulturprogrammen in den drei Jahren nach
Herstellung der deutschen Einheit insgesamt 2,6 Milliarden DM für die Übergangsfinanzierung Kultur aufgebracht hat. Davon haben sowohl national bedeutsame Kultureinrichtungen als auch die sogenannte kleine Kultur in den Kommunen profitiert. Dabei ist das Bundesinnenministerium — im übrigen anerkanntermaßen — flexibel und unbürokratisch bis an die Grenze dessen gegangen, was nach Haushaltsrecht und Verfassung möglich ist.
Man kann dies mit einer Zahl verdeutlichen: Im ersten Jahr 1991 sind rund 4 000 kulturelle Institutionen in den neuen Ländern mit einem Bundeszuschuß bedacht worden. Dies geschah zu einer Zeit, in der die kommunalen Verwaltungen umstrukturiert und die Landesverwaltungen neu eingerichtet wurden.
Meine Damen und Herren, diese Leistung zur Erhaltung der kulturellen Substanz in den neuen Ländern wird leider nicht von allen, die hier mitdiskutieren, genügend gewürdigt. Denn es ging ja nicht .nur darum — und dazu jetzt zwei Beispiele —, etwa Bibliotheken offenzuhalten, sondern es mußte auch das Angebot an Büchern — um bei diesem Beispiel zu bleiben — grundlegend erneuert werden. Es ging eben nicht nur um die Finanzierung einer bestimmten Kultureinrichtung, sondern es mußte auch bei der Trägerschaft dezentralisiert und die Verantwortung der Kommunen erst neu begründet werden.
Meine Damen und Herren, die Kultur ist auch heute — natürlich besonders in den neuen Ländern — ein Anker, der den Menschen Halt und Sicherheit, der ihnen Vertrautheit ermöglicht, auch dort, wo die radikalen Veränderungen in den äußeren Lebensumständen dies nicht gestatten. Dazu kam die Rückbesinnung auf Traditionen, die den Menschen eigentlich immer am Herzen gelegen haben. Das im Kulturleben so unschätzbare freiwillige und persönliche Engagement vor Ort wurde nicht mehr reglementiert, und flugs kam es zu einer Explosion von privaten Initiativen im Kulturbereich. Ich glaube, es sind in Deutschland in so kurzer Zeit noch nie so viele Vereine und Vereinigungen gegründet worden wie seit 1991 in den fünf neuen Ländern.
Soweit es ging, haben die Städte und Gemeinden sich mit Bundesunterstützung bemüht, hier rettender Engel zu spielen. Statt Kleinstbibliotheken gibt es nun Fahrbibliotheken. Statt staatlich geführter Jugendclubs gibt es private Jugendzentren. Dennoch will ich natürlich nicht verschweigen, daß für strukturschwache Gebiete und beispielsweise im Bereich der Jugendkultur mehr getan werden müßte. Nach Lage der Verfassung und auch nach Sachlage ist das aber nicht Aufgabe des Bundes.
Meine Damen und Herren, das Fazit der Kulturförderung des Bundes nach der deutschen Einigung bleibt dennoch positiv. Die Leistung des Bundes war beachtlich, und sie war entsprechend unserer Verfassungslage nicht zwangsläufig.
Ich danke in diesem Zusammenhang für die Mitwirkung und Unterstützung den Vertretern aller Fraktionen in diesem Hohen Hause.
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Die Lösung, meine Damen und Herren, die jetzt für das Übergangsjahr 1994 gefunden wurde, soll die Zeit bis zum 1. Januar 1995 überbrücken; denn danach ist es allerdings unabweisbar, daß die Lander und Kommunen den Bund endgültig ablösen, um ihre Verantwortung genauso wie die alten Bundesländer zu übernehmen. Der Bund-Länder-Finanzausgleich schafft dazu die finanziellen Voraussetzungen, daß die Lander auch im Kulturbereich ohne eine flächendeckende Bundesförderung das kulturelle Leben in wünschenswertem Umfang aufrechterhalten können. Ab 1995 stellt sich dann vor allem die Frage, auf welchen Gebieten der Bund dann schwerpunktmäßig tätig sein soll.
In den unmittelbar vor uns liegenden Monaten werden sich Bundesregierung und auch die Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Meinung bilden müssen über die Konstruktion und die Höhe der Kulturförderung ab 1995. Die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage enthält hierzu Vorschläge. Die Vorschläge basieren im wesentlichen auf dem Bericht der Arbeitsgruppe „Erhaltung der Kulturlandschaft" aus dem Jahre 1992. Ich will mit meinem Beitrag heute einer Diskussion nicht vorgreifen, sondern nur einige Aspekte des Vorschlages akzentuieren.
Seit 40 Jahren engagiert sich der Bund nunmehr bei national bedeutsamen Kultureinrichtungen in den alten Ländern. Für 1995 und danach muß jetzt entschieden werden, bei welchen kulturellen Einrichtungen von nationaler Bedeutung in Übereinstimmung mit den betroffenen Ländern ein weiteres Engagement des Bundes begründbar und auch wünschenswert ist. Hier wird es einen Abgleich zwischen den alten und den neuen Bundesländern geben müssen. Dabei ist Sorge dafür zu tragen, daß der Nachholbedarf der neuen Länder nicht gänzlich geleugnet wird.
Ein großes Problem, meine Damen und Herren, in den neuen Ländern ist der infrastrukturelle Nachholbedarf; wir wissen das. Selbst wenn es in der bevorstehenden Zeit im großen und ganzen gelingen sollte, viele kulturelle Einrichtungen am Leben zu erhalten, so ist doch die Kraft der Kommunen nicht ausreichend, sie auch noch zu modernisieren.
Dreierlei Wege sind zur Lösung vorgeschlagen worden.
Erstens. Der Bund sollte in ausgesuchten Sonderfällen bei Baumaßnahmen im Kulturbereich in den neuen Ländern einen Zuschuß geben.
Zweitens. Der Bund sollte in den besonders strukturschwachen Gebieten — etwa an der Ostgrenze — bei der Entwicklung der kulturellen Infrastruktur helfen.
Drittens. Es sollte geprüft werden, ob der Bund über die Denkmalpflege für national bedeutsame Kultureinrichtungen hinaus in den neuen Bundesländern in bestimmten Fällen zusätzlich bei der Pflege der einzelnen Denkmale hilft.
Ich fürchte, meine Damen und Herren, man wird bis auf weiteres davon ausgehen müssen, daß sich solche Pläne beim Bund finanziell nicht verwirklichen lassen, denn die Kassenlage ist bekanntermaßen alles andere
als günstig. Dennoch bitte ich, wenn sich Spielräume auftun sollten, uns wieder gemeinsam in dem Bemühen zu unterstützen, das Mögliche für diesen Bereich der Kultur zu tun.
Dabei kann man getrost davon ausgehen, daß im Kulturbereich mit relativ wenig Mitteln eine große Wirkung entfaltet werden kann. Das gilt nicht nur für die Kultureinrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung und internationaler Ausstrahlung, das gilt auch für die kleinen, regional bedeutsamen Projekte und Objekte, sind sie doch häufig Zeichen für Hoffnung und Aufschwung.
Kultur stiftet Zusammengehörigkeitsgefühl, auch über geistige, politische und geographische Grenzen hinweg. Heute kann Kultur deshalb dabei helfen, immer noch vorhandene Gräben zwischen Ost und West in Deutschland abzubauen. Viele Westdeutsche haben im übrigen inzwischen erfahren, daß in der Kultur in den neuen Ländern bewundernswerte Leistungen vollbracht worden sind. Sie haben Städte besucht und gerade kulturelle Einrichtungen dort besonders attraktiv gefunden. Ostdeutsche können wiederum mit Stolz und Selbstbewußtsein auf diese Beispiele verweisen. Stichworte wären Weimar, Dresden, Schwerin. Auch daran gilt es bei diesen Bemühungen anzuknüpfen, zugegeben mit bescheideneren Mitteln, aber unbeirrt und im Bewußtsein des langen Atems von Geschichte und Kultur.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, jetzt hat unsere Frau Kollegin Christine Lucyga das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ganz so begeistert wie Sie bin ich von der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nun nicht und noch weniger davon, daß Sie von Februar bis jetzt gebraucht haben, um unsere Anfrage zu beantworten. Darüber hinaus wurde mir beim Lesen aber auch klar, daß man eine Aussprache zur Lage der Kultur in den neuen Ländern nicht an der Grundsatzfrage vorbei führen kann, was Kultur in unserer Gesellschaft bedeutet. Da liest sich die Antwort streckenweise wie ein Erfolgsdokument der Bundesregierung und zeichnet ein Bild, wie der Bundeskanzler immer so sagt, blühender Kulturlandschaften, kommt zu dem Ergebnis, daß der Erhalt der kulturellen Substanz weitestgehend gelungen sei, was wohl indirekt nahelegt, daß der Bund seine Hausaufgaben als erledigt betrachten kann.
Entsprechend oft sehe ich die primäre kulturpolitische Verantwortung der Lander und Kommunen betont. Genau hier müssen wir doch in die Problematik hineingehen, denn die Haltung der Bundesregierung, sich selbst zu bescheinigen, daß die Verpflichtungen des Einigungsvertrags nun erfüllt und damit auch der Ausstieg aus der kulturpolitischen Mitverantwortung gekommen sei, gefährdet nachhaltig alles, was mit erheblichen Mühen und unter bisher
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17355
Dr. Christine Lucyga
angemessener Beteiligung des Bundes in den neuen Ländern aufgebaut wurde.
Es kann nicht in unserem Sinne sein, daß das erhebliche finanzielle Engagement von Bund, Ländern und Kommunen durch Wegfall von weiterhin dringend erforderlichen Mitteln so gut wie umsonst gewesen sein soll, denn wer jetzt auf halbem Wege umkehrt, muß damit rechnen, daß die bisher geleistete Kulturförderung schlichtweg in den Sand gesetzt wurde.
Tabellen und Statistiken im Antworttext sprechen dazu eine eigene Sprache. Durch eine Vielzahl von Aktivitäten und Transfers wurde vor allen Dingen in den Jahren 1991 und 1992 entsprechend der Regelung des Einigungsvertrags, daß die kulturelle Substanz nicht zu Schaden kommen dürfe, die kulturelle Infrastruktur aus- und umgebaut. Aber die Zahlenangaben belegen auch den immer noch bestehenden Mitfinanzierungsbedarf für die Kultur in den neuen Ländern, und der Prozeß der infrastrukturellen Umschichtung ist noch längst nicht abgeschlossen.
Ich möchte an dieser Stelle im übrigen nachdrücklich daran erinnern, daß die Vereinbarungen des Art. 35 des Einigungsvertrags im Konsens aller demokratischen Kräfte zustande gekommen sind und Verfassungsrang haben müssen. Diesen Konsens kann die Bundesregierung jetzt nicht einseitig durch Ausstieg aus der Kulturförderung aufkündigen.
Im übrigen können sich auch die von Zweckoptimismus geprägten Antworten auf unsere Anfrage nicht an der Feststellung vorbeimogeln, daß trotz der in den vergangenen Jahren gewährten finanziellen Unterstützung der Verlust zahlreicher Kulturinstitutionen eben nicht verhindert, die Umstrukturierung und Sanierung wichtiger Kultureinrichtungen nicht erreicht werden konnte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, wie Länder und Kommunen angesichts der von der Bundesregierung immer wieder demonstrativ betonten kulturellen Eigenverantwortung mit den ungelösten Problemen der Kulturlandschaft im Osten Deutschlands fertig werden sollen.
Abzusehen ist schon jetzt, daß ein K. w.-Vermerk für die Kulturförderung der neuen Bundesländer zwangsläufig zu weiterem exzessiven Gebrauch des Rotstifts in den regionalen Kulturetats führen muß.
Das von der Bundesregierung gebrauchte Argument einer für kulturelle Investitionen zu nutzenden verbesserten finanziellen Leistungskraft der Lander ist schlichtweg Wunschdenken; denn wer so argumentiert, muß die vergangenen zwei Jahre verschlafen haben.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Schon jetzt hat die Verschuldung der ostdeutschen Lander ein Niveau analog den in den alten Bundesländern erreicht, aber in wesentlich kürzerer Zeit und bei erheblichen Mehrbelastungen.
Die Kommunen sind noch ärger dran.
— Das ist nicht wahr; ich nenne Ihnen dazu gleich ein Beispiel.
Im Durchschnitt haben die ostdeutschen Kommunen nur 20 % bis ein Drittel der Einnahmen vergleichbarer westdeutscher Städte und Gemeinden zur Verfügung. Es kommt aber der Löwenanteil an Kulturausgaben auf sie zu.
Angesichts ihrer geradezu dramatischen Finanznot ist es ohnehin dringend angeraten, über die von ostdeutschen Kulturpolitikern geforderte Neuordnung der öffentlichen Kulturfinanzierung ernsthaft nachzudenken, um zu verhindern, daß hier finanzielle Lasten einseitig auf die Kommunen abgewälzt werden.
Die Einsparungen des Bundes haben immer einen Lawineneffekt gehabt. Sie werden von den Ländern größtenteils an die Kommunen weitergereicht, und diese haben keine andere Wahl, als sich ihrerseits auf ganz erbitterte Verteilungskämpfe einzulassen.
Die vorgesehenen Einsparungen der Bundesregierung im Kulturbereich werden also ganz unmittelbare Auswirkungen in Richtung massiven Kulturabbaus haben.
— Reden Sie oder rede ich jetzt? Sie kommen noch dran, Herr Baum. Jetzt rede ich!
— Herr Baum, Sie kommen noch dran, habe ich gesagt.
Die Gefahr liegt nahe, daß den Kommunen ständig die Rolle des Schwarzen Peters zugedacht ist. Auch die für 1994 noch einmal in Aussicht gestellte Finanzhilfe von 250 Millionen DM aus dem Vermögen der Altparteien der DDR kann daran nichts ändern, zumal es sich um Mittel handelt, die ohnehin mit wirtschaftlich-sozialer Zweckbindung den neuen Bundeslän-
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Dr. Christine Lucyga
dern zustehen. Dazu kann man wirklich nicht nur vor Weihnachten „schöne Bescherung" sagen.
Ein weiterer Aspekt kultureller Arbeit im kommunalen Bereich muß hier noch angesprochen werden. Durch den absehbaren Wegfall von AB-Maßnahmen sind vor allem die gerade erst entstandenen soziokulturellen Zentren in ihrem Bestand ernsthaft gefährdet.
Den Stellenwert, aber auch die Gefährdungen dieses Bereichs hat die Bundesregierung in ihrem Antworttext definiert. Ihren Aussagen über eine gezielt bedarfsorientierte Jugendkulturarbeit ist insofern nur zuzustimmen.
Aber als widersprüchlich ist doch zu kommentieren, wenn ungeachtet der Tatsache, daß noch ca. 40 % der Jugendsozialarbeit und der kulturellen Jugendarbeit nur über AB-Maßnahmen durchgeführt werden können, die Bundesregierung davon spricht, daß AB- Maßnahmen die Verantwortlichkeit der Länder und Kommunen nicht ersetzen können. Die vielgepriesenen Regelungen des § 249 h AFG scheitern aber nach einschlägiger Erfahrung vor Ort zumeist schon am Aufbringen der notwendigen Komplementärmittel.
Es kann doch einfach nicht so hingenommen werden, wenn z. B. in meiner Heimatstadt Rostock die inzwischen weit über die Region hinaus bekannte Jugendkunstschule Arthus aus finanziellen Gründen das Aus erleben müßte. Arthus macht Jugendkulturarbeit im besten Sinne. Mehr als 600 Kinder haben hier jede Woche die Gelegenheit, auf unterschiedlichsten Feldern selber künstlerisch tätig zu sein. Die regelmäßig in den Wohngebieten durchgeführten Veranstaltungen zeigen, wieviel Kreativität schon in Kindern steckt, wenn man sie richtig entwickelt.
Den engagierten Erziehern, Eltern und Kommunalpolitikern, die der Stadt Rostock bisher mit viel persönlichem Ehrgeiz diese Möglichkeit erhalten haben, kann man gar nicht genug danken.
Was aber geschieht, wenn diese Maßnahme ausläuft und mit kommunalen Mitteln der Fortbestand nicht gesichert werden kann? Denn in den Etat der Kommune reißen schon jetzt die Pflichtausgaben im Kulturbereich — Theater, Museen, Bibliotheken, Jugendzentren — wesentlich tiefere Löcher, als überhaupt zu stopfen sind. Die im Februar dieses Jahres über die Kommune verhängte Haushaltssperre hat diese Dramatik deutlich gemacht.
Oder was geschieht mit der „Compagnie de Comedie", die zwei Jahre ABM-gefördert wurde? Im Jahre 1994 läuft die ABM aus. Stadt und Kommune allein wären nicht in der Lage, das Ende dieser hervorragenden freien Truppe, die übrigens auch schon in Bonn zu erleben war und manchem in guter Erinnerung ist, zu verhindern.
Institutionelle Förderung oder Projektförderung für städtische Museen, Konservatorium bzw. Musikschule müßten gekürzt werden oder ganz entfallen. Dazu würde auch das soziokulturelle Zentrum
„Pumpe" gehören, das mit Fördermitteln aus dem Infrastrukturprogramm begonnen wurde und für 1994 nochmals auf Finanzhilfe angewiesen ist. Für viele Jugendliche würden damit Kulturangebote ausfallen, durch die sich auch Kulturgewohnheiten herausgebildet haben, was gerade in Zeiten von Krise und Orientierungslosigkeit wichtiger denn je ist.
Herr Präsident, Sie melden sich bereits. Aber Herr Baum hat mich ständig gestört. Kann ich noch eine halbe Minute länger reden?
Wer wie die Bundesregierung ständig vom Werteverfall unserer Gesellschaft redet, muß auch bereit sein, diesem Werteverfall etwas Substantielles entgegenzusetzen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ständig den Bundespräsidenten zitieren. Aber seine Mahnung, daß Kultur eine wesentliche Substanz ist, um die es in der Politik gehen sollte, darf hier nicht ungehört bleiben.
Der Umgang mit Kultur sagt viel über die jeweilige politische Kultur eines Landes. Kultur ist nicht lebensnotwendig für jeden, aber überlebensnotwendig für uns alle. Die Bundesregierung ist aufgerufen, in diesem Sinne zu handeln.
Meine Damen und Herren, eine kurze Bemerkung zur Geschäftslage. Wir haben nach den hier vorliegenden Wortmeldungen mit dieser Debatte etwa noch eine Stunde zu tun. Zu den dann folgenden Tagesordnungspunkten ist beantragt worden, daß die Redner ihre Reden zu Protokoll geben — darüber muß beim Aufruf des jeweiligen Punktes abgestimmt werden —, so daß die Sitzung kurz nach 14 Uhr beendet sein könnte.
Nun erteile ich unserem Kollegen Dr. Dietrich Mahlo das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich zurechtgelegt, etwas aus speziell Berliner Sicht zu der Situation zu sagen. Aber erlauben Sie mir vorab noch eine Bemerkung.
Wenn ich das, was namentlich Sie, Herr Duve, gesagt haben, Revue passieren lasse, dann muß ich feststellen, daß Ihre eigene Große Anfrage und die wegen Verspätung so vehement kritisierte Antwort der Bundesregierung offensichtlich nicht Ihr Interesse finden. Denn wir reden ja hier ausschließlich über Geld, so wichtig das ist.
Ich fühle mich in diesem Sinne hier eigentlich fehl am Platze, im Gegensatz zu Frau Albowitz; denn dann wären in der Tat die Haushälter gefragt. Sie sind die Richtigen, wenn es darum geht, die Abwägung zwischen Bedürfnissen auf der einen und Bedürfnissen auf der anderen Seite vorzunehmen.
Als Kulturpolitiker habe natürlich auch ich zwei Seelen in meiner Brust und kann vieles, was hier
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Dr. Dietrich Mahlo
gesagt worden ist — auch das Kritische —, mittragen. Aber es ist ein bißchen wenig, wenn die Opposition immer nur sagt: mehr, mehr, mehr! Das ist Ihre einzige Botschaft. Daß wir unter dem Diktat leerer Kassen stehen, wissen Sie. Aus Ihrem leidenschaftlichen Beitrag zum letzten Tagesordnungspunkt werden Sie, Herr Weiß, ja noch in Erinnerung haben, wie die Situation in Deutschland ist. Selbst wenn man in der Opposition ist und das Geld, das man fordert, nicht zu erwirtschaften braucht, sollte man das vielleicht doch in einem gewissen Umfang berücksichtigen.
Herr Duve, daß Sie unter den ersten waren, die einen Antrag gestellt haben, daß Geld ausgegeben werden soll, ehrt Sie natürlich.
Aber Anträge stellen können wir alle; die Frage ist, woher das Geld kommt.
— Okay, das sei Ihnen unbenommen.
Apropos Bundeskanzler. Eines kann ich Ihnen aus eigenem Wissen sagen: Wenn es einem Menschen zu verdanken ist, daß die Übergangsfinanzierung so gelaufen ist, wie sie bisher gelaufen ist, nämlich mit der Förderung von 4 000 Objekten, dann diesem Mann. Das muß ich nebenbei dankbar anmerken.
Berlin steht in der Reihe der Bundesländer, aber in mancher Hinsicht ist seine Position natürlich besonders exponiert: 40 Jahre lang totes Ende zweier Weltsysteme, hat Berlin durch die partielle Zugehörigkeit zur westlichen Welt einerseits gewisse Vorteile. Andererseits sind hier wie unter einem Brennglas die Probleme besonders stark: mehr Arbeitslose in Berlin, als in der Stadt Bonn überhaupt Menschen wohnen. Deutschland befindet sich eben in einer krassen Anpassungskrise. Nirgends sind die Widersprüche, die Brüche, die abrupten Veränderungen und der Kontrast zwischen den Hoffnungen und den Realitäten schärfer als in dieser Stadt.
Das gilt eben auch für den kulturellen Bereich. In der Zeit, in der die Stadt bereits einen Hauptstadtanspruch einlösen soll, ohne aber schon den Vorteil eines funktionierenden Regierungssitzes zu haben, droht sie in kultureller Hinsicht finanziell in ein Loch zu fallen.
Art. 35 des Einigungsvertrages — er ist schon genannt worden — gilt auch für Berlin. Berlin hat bisher in der Zeit zwischen 1991 und 1993 für seine gewissermaßen nationalrepräsentativen Einrichtungen im Ostteil bedeutende Mittel erhalten, was ich hier dankbar erwähnen möchte. Aber für 1994 ist eben nur ein verschwindend kleiner Betrag vorgesehen. Er droht essentielle Kultureinrichtungen, die für die
geistige Wahrnehmung von Hauptstadtfunktionen unverzichtbar sind, zu vernichten.
Zwar gibt es zwischen der Stadt und der Bundesregierung in bezug auf die Hauptstadt einen Kooperationsvertrag, dieser ist aber noch nicht konkretisiert. Es ist auch heute kritikwürdigerweise nicht einmal klar, wann und wie diese Vertragsausfüllung vorgenommen wird. Es muß daher für die vorhandenen kulturellen Einrichtungen nach dem Auslaufen der Übergangsfinanzierung ab 1995 bis zu dem Zeitpunkt, zu dem dann endlich der Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin zu realisieren ist, also mindestens bis 1998, eine finanzielle Überleitungsregelung gefunden werden, damit die kulturellen Einrichtungen zumindest in ihrer Substanz vorhanden sind, wenn die Hauptstadt anfängt zu funktionieren.
Das Berlin des ersten Drittels dieses Jahrhunderts, von seinen preußischen Ursprüngen, die ich nicht geringschätze, emanzipiert, war ein Weltereignis oder, um mit Benn zu sprechen, „ein Stück des großen Abendlandes". Vieles davon ist verschwunden, aber vieles ist noch da, trotz aller Katastrophen noch immer eine bauhistorisch bedeutende Gestalt, Architekturreste einer einstmaligen Weltstadt, die darauf warten, in ein neu zu entstehendes Ganzes einbezogen zu werden.
In Berlin steht heute ein deutscher Louvre, Kunst der Welt in einzigartiger Konstellation und Qualität, der neu geordnet, neu präsentiert, neu behaust sein will. In Berlin ist neuere Geschichte in ihren deprimierenden, aber auch in ihren glänzenden Momenten, auch in ihren kulturellen Hochleistungen präsent. Die Stadt besitzt vielleicht als einzige in Deutschland auch eine alternative Kunstszene, die insgesamt darauf wartet, wieder stärker in unser nationales politisches Leben einbezogen zu werden.
Die Kultur — das gilt vor allem für die großen verwöhnten Einrichtungen — muß allerdings freiwillig oder gezwungenermaßen Abschied nehmen von verkalkten Strukturen, Überbürokratisierungen, Materialverschwendung, Phantasiegagen. Die Kultur muß sich die Sonderrolle, die wir ihr wünschen, durch eine Art Selbstreinigung verdienen. Aber ebenso wenig wie sich der Staat aus dem Umweltschutz, der Volksbildung, dem Naturschutz zurückziehen darf, darf er das aus der Kultur tun. Jeder Rückzug führt zu amerikanischen Verhältnissen: eine Handvoll Spitzenorchester, im übrigen Kulturwüste. Unterwerfen wir die Kultur nicht automatisch allen Sparquoten. Sie spielt uns mehr ein, als ihre bescheidene Dotierung ahnen läßt. Was wir hier sparen, müssen wir bei den Etats für Werbung, Wirtschaft, Soziales, Inneres;, Schule doppelt draufpacken.
Die Stadt Berlin hat historisch nicht zum ersten Mal vor existentiellen Fragen wie jetzt gestanden. Denken wir an die Errichtung ihrer Universität durch Hardenberg und Humboldt und andere im Moment ihres größten Elends und ihrer tiefsten Demütigung. Wir vertrauen darauf, daß auch die Bewältigung unserer heutigen Aufgabe nicht über unsere Macht und über unsere Kräfte geht.
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Dr. Dietrich Mahlo
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Gerhart Baum, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns einig, daß Kunst und Kultur ein Auftrag des Gesamtstaates, des Kulturstaates Bundesrepublik Deutschland sind — das haben wir hier oft diskutiert —, nicht nur als Abwehrrecht, sondern auch als Aufforderung zum Tun. Wir müssen die Rahmenbedingungen setzen. Das hat der Bund in den letzten Jahren auch im Hinblick auf die Übergangsfinanzierung in einer Weise getan, die ich nicht für möglich gehalten hätte,
wenn ich mich daran erinnere, wie mühsam es im Laufe der Jahre war, in den Bundesetat kulturelle Mittel für gesamtstaatliche Aufgaben einzustellen.
Das war ein Erfolg, auf den wir stolz sein können.
Jetzt reden wir über die Situation, die sich im Jahre 1994 stellt. Ich rede nicht mehr über die Situation im Jahre 1995. Die Situation in 1994 habe auch ich mir anders vorgestellt. Wir brauchen uns hier wirklich nicht gegenseitig zu überzeugen, wie wichtig die Substanzerhaltung ist; sie wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Es wird nur gefragt: Wie ist das zu finanzieren, und wer finanziert das?
Da, Herr Duve, hat mich Ihre Haltung etwas gestört, der Bundesregierung ein bißchen in Nebentönen zu unterstellen, das Motiv sei ein kulturfeindliches, die Kultur solle hier getroffen werden. Das Motiv ist bestimmt von Haushaltszwängen, an denen die Länder mitgewirkt haben, auch die SPD-regierten Länder. Ich frage mich: Wo waren die Länder bei der Übergangsfinanzierung?
Die Kulturförderung ist eine Uraufgabe der Länder. Die alten Länder hätten dazu beitragen können.
Eine zweite Bemerkung: Es war ein Komplott der alten Bundesländer, den Finanzausgleich erst 1995 in Kraft treten zu lassen. Hätte man das früher getan, hätten die neuen Bundesländer einen größeren Bewegungsspielraum gehabt.
Eine dritte Bemerkung: Es kann doch nicht sein, daß nach jedem Ergebnis einer Sitzung des Vermittlungsausschusses die Länder mehr Geld vom Bund abziehen und Sie, die Sie Mehrheit im Bundesrat haben, von uns dann immer neue Leistungen fordern, die wir nicht mehr erbringen können.
Ich möchte sagen, daß mir die 250 Millionen DM — ich
hoffe, sie sind tragbar — sehr schwerfallen. Aber es ist
ganz unmöglich, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, daß wir 750 Millionen DM bekommen hätten. Das hätten auch Sie als Regierungspartei aus keinem Bundeshaushalt herausschneiden können.
Der Fehler war im übrigen, daß nicht von Anfang an etwas im Bundeshaushalt stand. Herr Seiters hätte kämpfen müssen, etwas in diesen Haushalt hineinzubekommen.
Denn so war für den Haushaltsausschuß ungeheuer schwierig, aus diesem engen Ressort noch etwas herauszuholen; das war im Grunde unmöglich. Nur so ist dieser Weg zu verstehen, der merkwürdig ist.
Wir werden sehr darauf achten, daß die Verwaltungsvereinbarung zustande kommt, daß sie realisiert wird, daß die Mittel zweckgebunden verwendet werden. Wir haben keinen unmittelbaren Zugriff auf die Treuhand. Wir werden auf dem Wege über die Kontrolle des Finanzministeriums wachen, daß die Mittel zweckgebunden zur Verfügung stehen. Das ist wichtig.
Ich weiß als Sachse das, was Sie hier gesagt haben, genau einzuschätzen. Ich kenne die kulturellen Einrichtungen noch aus meiner Jugend. Ich habe als kleiner Junge noch in der Frauenkirche gesessen. Ich habe noch Erinnerungen, ich weiß, was der Striezelmarkt ist, ich kenne die Oper, das weiß ich alles. Ich brauche nicht überzeugt zu werden. Ich weiß, was es in einer Situation, wo es in einer schwierigen materiellen Lage um die kulturelle Identität geht, gerade für die Kulturförderung bedeutet, übrigens nicht nur in den neuen Bundesländern.
Herr Kollege Mahlo, Sie kommen aus einer glücklichen Stadt. Ich habe in den Zeitungen gelesen: Über 5 % Steigerung des Kulturhaushaltes in Berlin. Das sei der Stadt gegönnt. Jede Mark für die Kultur sei ihr gegönnt. In Köln haben wir drastische Reduzierungen des Kulturhaushalts: im Jahre 1993 eine 30%ige Kürzung des Zuschußbedarfs, bei den freien Trägern 40 % Kürzung.
Ich will das jetzt nicht aufrechnen. Ich will nur sagen: Gekürzt werden muß überall. Auch in den alten Bundesländern werden Theater geschlossen werden, auch andere Einrichtungen werden nicht mehr so finanziert werden können wie bisher.
Übrigens muß man sich auch vor Augen halten, daß sich der Bund in Weimar, in Potsdam, in Berlin bei der Preussischen Stiftung erheblich engagiert. Hier nimmt er seine Aufgaben wahr. Wir haben allen Anlaß, dafür zu danken, daß dies so reibungslos läuft.
Neben der Übergangsfinanzierung möchte ich noch auf einen zweiten Punkt eingehen. Das ist die Ankündigung des Bundesfinanzministers am 26. August 1993 in der „FAZ", die Sie, Herr Duve, erwähnt haben. Dort stellt er die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes ab 1995 in Frage. Ich widerspreche ihm hier.
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Gerhart Rudolf Baum
Ich möchte sagen, daß dies so, wie es angekündigt ist, zur Beendigung der Dauerförderung von kulturellen Institutionen wie Schillergesellschaft, Freies Deutsches Hochstift, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Städel, Kinemathek-Stiftung usw. führen würde. Es würde die Projektförderung des Bundes in den Fonds, die wir gemeinsam für Kunst, Literatur, Soziokultur geschaffen haben, gefährden. Die Förderung der überregional tätigen Verbände wäre gefährdet, wenn man das so machen würde. Ich hoffe, daß es nicht dazu kommt.
Es gibt eine Gesamtverantwortung des Bundes für bundesstaatliche kulturelle Einrichtungen und Projekte, die sich bewährt hat. In diese Rolle können die Länder gar nicht eintreten, weil es über ihre eigene Zuständigkeit und auch über ihr eigenes Interesse hinausgeht.
Ich möchte an dieser Stelle dem langjährigen Leiter der Kulturabteilung im Bundesinnenministerium, Dr. von Köckritz, danken, der am Aufbau dieser neuen Identität des Bundes wesentlich beteiligt war.
Ich möchte seinem Nachfolger, Professor Bergsdorf, wünschen, daß er diese Aufgabe erfolgreich fortführen kann — er hat dazu in unserem Unterausschuß einige Vorstellungen entwickelt — und eben nicht zum Nachlaßverwalter der kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes wird.
Wir müssen überprüfen, das ist richtig; aber in diesem Geist und nicht mit dem Ziel, diese Verantwortung im Kern in Frage zu stellen.
Sehr interessant ist, daß sich die Kultusministerkonferenz jetzt gemeldet hat und von ihrem Beschluß von 1987 endgültig Abstand nimmt. Dort hat sie dem Bund ja weitere Zuständigkeiten verweigert. Jetzt bittet sie um die Fortführung der Zuständigkeiten des Bundes und stellt ihre Kompetenzüberlegungen ganz hintan. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Unter dem Druck der finanziellen Verhältnisse wird plötzlich dem Bund die Kompetenz nicht mehr bestritten — immerhin ein Schritt vorwärts.
Meine Damen und Herren, ich erwarte, daß die Bundesregierung Anfang des nächsten Jahres zu einer abgestimmten Meinung kommt. Ich setze meine Hoffnung auch auf den Bundesinnenminister. Er ist, wenn Sie so wollen, der Kulturminister des Bundes. Hier kann es nicht Entscheidungen geben, die irgendwo auf Beamtenebene getroffen werden. Hier muß sich die Bundesregierung zu einer politischen Entscheidung durchringen, welcher Stellenwert zukünftig der Gesamtverantwortung des Bundes für die Kultur zukommt.
Dieser Streit, diese Unsicherheit, die jetzt bestehen — was will der Bund, was wollen die Länder, wie geht das schließlich aus? —, dürfen nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. Es muß bald eine verläßliche Perspektive für die Kulturpolitik des Bundes erkennbar sein. Ich meine, daß wir, gerade
wenn überall gekürzt wird, die Pflicht haben, den Menschen, die hier tätig sind, eine Perspektive zu geben, die dann auch trägt, und sie nicht in Unsicherheit zu lassen.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Das ist eine Aufgabe auch des Bundesparlaments. Es wäre traurig, wenn sich dieses Gesamtparlament nicht regelmäßig mit Kulturpolitik befassen würde. Wir werden das auch im nächsten Jahr tun. Meine Fraktion wird darauf drängen. Ich nehme an, wir sind uns einig, daß wir diese Verantwortung des Bundes für kulturelle Aufgaben, auch für die Rahmenbedingungen im Steuerrecht, im Stiftungsrecht, im Urheberrecht, überfraktionell wahrnehmen. In diesem Sinne sollten wir unsere Anstrengungen im nächsten Jahr fortsetzen und verstärken.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Janzen.
Herr Präsident! Liebe wenige Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über Kultur. Ich möchte meine kurzen Ausführungen mit der Erinnerung an die vorgestern dort oben erfolgte Auszeichnung des Architekten Behrisch mit dem Deutschen Architekturpreis 1993 für dieses Haus und diesen Saal beginnen.
Die aus diesem Anlaß gehaltenen Reden — u. a. von unserer Präsidentin, Frau Professor Süssmuth — waren im Grunde keine Auseinandersetzung mit Architektur — natürlich auch darüber —, sie waren im wesentlichen Kulturbeiträge, die ich lieber hier im Saal gehört hätte als dort oben neben der Treppe.
Ich bin mir nicht sicher, ob hier falsche organisatorische Entscheidungen getroffen wurden oder — was schlimmer wäre — ob es gar keinem bewußt geworden ist, daß bei einer solchen Platzentscheidung bereits die Kultur beginnt.
Bevor ich nun versuchen möchte, die Kultursituation in den neuen Ländern zu umschreiben, noch ein Satz gewissermaßen als Leitfaden der Betrachtung aus der Laudatio von Professor Ostertag während der erwähnten Preisverleihung. Er lautete: „Nur die Darstellung des Außergewöhnlichen geht an der Realität vorbei." Dieser Satz erscheint mir natürlich auf die Tendenz der gegenwärtigen Kulturförderung anwendbar zu sein.
In unserer Großen Anfrage haben wir allgemeine Fragen gestellt, sind teilweise sehr konkret geworden, haben auch Zahlen genannt und solche ebenso gefordert. Die nun vorliegende Antwort ist trotz der langen Bearbeitungszeit und trotz der teilweisen Ausführlichkeit nichts weiter als die Ansammlung von Rechtfertigungen. Was fehlt, das sind die konkreten Zukunftsaussichten, die zu Hoffnungen Anlaß geben. Kompe-
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Dr. Ulrich Janzen
tenzgerangel zwischen Bund und Ländern ist zwischen den Zeilen zum Nachteil der Betroffenen eindeutig ablesbar.
Fest steht — und das ist auch der Antwort zu entnehmen —, daß in den neuen Ländern die eigentliche Kulturkrise erst nach der Einführung des Länderfinanzausgleichs im Jahre 1995 beginnt. Es ist unschwer zu erkennen, daß bei den großen Haushaltsproblemen in den Kommunen und Ländern die Wichtung der Verteilung des wenigen Geldes kaum zugunsten der Kultur ausfallen wird, denn die Innovations-kraft, die von der Kultur ausgeht, wird in den Rathäusern und Amtsstuben nach wie vor nicht erkannt.
Wie ist das möglich? Ich erinnere mich sehr gut an die Jahre 1945 bis 1955. Es waren wohl die schwersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als wir trotz der Stromsperren, trotz der Lebensmittelkarten und der Wohnungsnot in vollen Sälen auf den Bühnen von Gaststätten Theateraufführungen erleben konnten, die uns froh gestimmt haben, als wir nächtelang nach Opernkarten anstanden, weil wir Erich Kleiber in Dresden in der tausendsten Freischütz-Aufführung hören wollten, und zwar nicht im schwarzen Anzug — nicht weil es, wie heute teilweise, so Mode war, sondern weil es keinen gab. In Polen wurden zu der Zeit Danzig und Warschau im historischen Stil ebenso wiederaufgebaut wie die zahlreichen zerstörten Kirchen im Lande.
Und heute? Trotz hoher Arbeitslosigkeit — mit ABM, Vorruhestand und ähnlichem sind das in meinem Wahlkreis fast 50 % — haben wir wieder steigende Besucherzahlen im Theater, zunehmende Buchausleihen in den Bibliotheken, großen Besuch im Tierpark, also steigendes Kulturbedürfnis. Und wie reagiert die Politik? Einsparen, umstrukturieren, erneuern — das sind die Schlagwörter, hinter denen sich heute jeder versteckt und diese dann immer weiter nach unten durchreicht. Da ganz unten keine Antworten mehr gefunden werden, beginnt dann dort das Sterben.
So drohte die Schweriner Kultusministerin Schnoor z. B. den Theatern Stralsund und Greifswald im Falle der Verweigerung einer Fusion die gänzliche Streichung der Fördermittel an — sie bezog sich dabei übrigens auf Bonn —, und die braven Abgeordneten der Bürgerschaften glaubten es auch und beschlossen es.
Natürlich wagt man sich nicht an die „Großen" der Kultur, an das Außergewöhnliche direkt, wie Staatsoper Berlin und Dresden, aber der Versuch, die Staatskapelle Dresden und die Dresdner Philharmonie zu vereinigen, wurde schon unternommen. Und wenn es nicht den Kurt Masur aus der Wende 1989 geben würde, sähe es um das Gewandhausorchester Leipzig sicher auch schlechter aus, als dies ohnehin schon ist. Das eigentliche Problem liegt wohl in der geistig-moralischen Wende, weniger an der des Herbstes 1989. Oder besteht da vielleicht sogar ein Zusammenhang?
Der Begriff „Kultur als Bedürfnis " verliert mehr und mehr an Bedeutung. Ist es nicht erschütternd, daß kein Mensch mehr Anstoß an der Häßlichkeit der wie Pilze
aus dem Boden wachsenden Supermärkte in den Speckgürteln der ostdeutschen Gemeinden nimmt?
Nein, Dinosaurier, das sind die Bestseller der Gegenwart!
Auch das Kompetenzgerangel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, wer in der Kultur nun eigentlich nichts darf oder wer was nicht zu machen braucht, erschwert die gesamtpolitische Situation in dieser nicht nur finanziell schwierigen Phase natürlich zusätzlich.
Auch das zunehmend erkennbare Bestreben der Gemeinden, sich durch Privatisierungen nun auch in der Kultur der Verantwortung zu entziehen, widerspricht voll den gewollten Errungenschaften des sich befreienden Bürgertums im vorigen Jahrhundert, nämlich Kunst und Kultur der Macht einzelner zu entziehen. Es ist nun auch im Osten verbreitete Gewohnheit geworden, sich bei Sponsoren — z. B. bei Sparkassen, die die Zinsen ihrer Sparkunden niedrig halten — zu bedanken, weil sie ein Kulturerlebnis ermöglichten. Kultur in Abhängigkeit und am Bettelstab!
Ich sage dies alles, weil ich glaube, daß die Kultursituation in Ostdeutschland nur die Spitze des Eisberges ist, dessen Unterwasserausdehnung weit über die Grenzen dieses Territoriums hinausgeht.
Man sollte sich hüten, alles nur dem mangelnden Geld zuzuschreiben. Die Ursachen liegen nach meiner Ansicht mehr auf der Seite der politischen Verantwortlichkeit, und die beginnt hier im Parlament.
Ich möchte mich zu dessen Befindlichkeit zur Kultur hier nicht weiter verbreiten. Das bedürfte wirklich einer grundsätzlichen Debatte.
Gestatten Sie mir noch eine einzige spezifische Bemerkung zur Antwort auf unsere Anfrage. Da spielt der sogenannte Kulturgroschen, ein Relikt der ehemaligen DDR-Kulturpolitik, eine Rolle. Die Antwort ist wieder einmal — ich möchte fast sagen: wie immer — eine rechtspolitische Verstrickung, die eine Unlösbarkeit vorprogrammiert. Schwerfälliger geht es wirklich nicht mehr.
Dabei ist es doch sehr einfach, für jede Eintrittskarte je Kultureinrichtung zusätzlich zehn Pfennig zu kassieren, wie bei den Aufschlägen für Sonderbriefmarken. Dieses Geld kann dann direkt in einen großen Kulturtopf fließen. Ob das nun Steuer genannt werden muß, wage ich zu bezweifeln. Fest steht dann wenigstens, daß sich nur die an der zusätzlichen Finanzierung der Kultur beteiligen, die diese auch wollen. Oft heißt es ja, der Kulturetat komme nur einer kleinen Lobby zugute.
Schließen wir uns doch zusammen, formulieren wir einen Antrag als Beschlußvorlage und füllen damit unsere Kulturkassen. Dann wäre aus der heutigen Debatte wenigstens etwas Konkretes herausgekommen.
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Dr. Ulrich Janzen
Ich habe auf weitere Details der Kulturszene Ost verzichtet, weil man all diese den Medien entnehmen kann. Ich wollte versuchen, die Argumente über die Problematik Ost auf einen grundsätzlichen Pfad zu lenken: Wenn sich der Stellenwert Kultur in dieser vorwiegend durch ein Besitzstandsdenken geprägten Gesellschaft nicht verändert, ist die fast unlösbare Aufgabe „Kultur Ost" nicht zu vermitteln.
In diesem Saal gibt es unendlich viele Debatten. Zu den Fragen der Kultur sind es auf jeden Fall zuwenig. Und das ist auch schon eine der Ursachen unserer Misere, über die wir heute hier sprechen.
Frau Kollegin Professor Wisniewski, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD- Fraktion zur Lage der Kultur in den neuen Ländern läßt erkennen, mit welcher Sorgfalt und mit welch beträchtlichen Finanzmitteln die Bundesregierung die ihr mit Art. 35 des Einigungsvertrages übertragene Aufgabe, die kulturelle Substanz in den neuen Ländern zu erhalten, bis in das laufende Haushaltsjahr hinein wahrgenommen hat.
1993 erfolgt — es ist mehrfach gesagt worden — die Neuordnung des gesamtstaatlichen Finanzausgleichs. Danach werden die neuen Länder ab 1995 voll in den Finanzausgleich einbezogen. Für 1993 und 1994 wurde der Fonds Deutsche Einheit zugunsten der neuen Bundesländer um insgesamt 10 Millarden DM aufgestockt. Es wurde natürlich erwartet, daß diese Umschichtungen den kulturellen Belangen in den neuen Bundesländern zugute kommen würden. Herr Kollege Baum hat schon auf die Verantwortung der alten Bundesländer dabei hingewiesen.
Deshalb sah sich der Bund berechtigt, im Haushalt 1993 letztmalig 600 Millionen DM zur Substanzerhaltung und Förderung der kulturellen Infrastruktur und 50 Millionen DM zur Sicherung und Erhaltung unbeweglicher Kulturdenkmäler und wertvoller historischer Bauten einzustellen. Natürlich haben wir Kulturpolitiker vehement — wenn auch leider vergeblich — versucht, die Übergangsfinanzierung für 1994 „zu retten".
Man muß aber auch sehen, daß gleichzeitig mit den schon erwähnten Umschichtungen der finanzpolitische Handlungsspielraum der Länder durch die Abgabe von sieben Umsatzsteuerpunkten vom Bund an die Länder deutlich verbessert wurde. Dies hätte eigentlich dazu führen müssen, daß sich — ich sagte es schon — die alten Bundesländer entsprechend ihrer föderalen Verantwortung und im Rahmen ihrer Möglichkeiten an den kulturellen Hilfen für die neuen Länder beteiligten. Das geschah nicht.
Vor diesem Hintergrund ist die Notlösung zu sehen, die für 1994 für die Fortsetzung der „Übergangsfinanzierung Kultur" gefunden werden konnte. Es ist dem Einsatz vieler, insbesondere aber dem Einsatz des
Bundeskanzlers zu danken, daß, vorfinanziert vom Bund, 250 Millionen DM des von der Unabhängigen Kommission Parteivermögen verwalteten Geldes zweckgebunden für kulturelle Einrichtungen und Aufgaben in den neuen Bundesländern den Finanzministern der neuen Bundesländer zur Verfügung gestellt werden. Es ist also nicht so, wie Herr Duve eingangs sagte, nämlich daß uns ein Abschied der Kulturförderung des Bundes bevorsteht.
Insgesamt kann für die zukünftige Kulturpolitik des Bundes vielmehr festgestellt werden, daß sie seit dem 2. Dezember 1993 in eine neue Phase eingetreten ist. Herr Baum wies darauf hin, daß durch den an jenem Tag einstimmig gefaßten Beschluß der Kultusministerkonferenz die Kulturförderung des Bundes eine neue Grundlage erhalten hat, die es verbietet, länger davon zu sprechen — wie es leider manchmal auch im Deutschen Bundestag geschah —, daß Kulturpolitik allein Sache der Länder und Kommunen sei und daß somit auch nur ein sehr begrenzter Anspruch auf Finanzmittel des Bundes für die Kulturförderung bestehe.
Im März 1987 hatten die Länder anläßlich der Errichtung der Kulturstiftung der Länder noch erklärt, daß der Bund außerhalb der Tätigkeit dieser Stiftung keine neuen Aktivitäten im innerstaatlichen Kulturbereich ergreifen dürfe. Diese Haltung wurde jetzt revidiert. Es wurde anerkannt, daß im Zug der deutschen Einheit Bundesregierung und neue Länder gemeinsam kulturelle Einrichtungen über die bestehenden Absprachen hinaus fördern mußten und gefördert haben. Daraus ergab sich eine prinzipielle Neuordnung.
So ist also letztlich, wenn man so will, die deutsche Einheit mit ihren neuen kulturellen Gegebenheiten Ursache dafür, daß ein langersehnter Wunsch der Kulturpolitiker Erfüllung findet. Denn Gegenstand der Kulturförderung des Bundes sollen nach diesen Abmachungen entsprechend der bisherigen Praxis Kunst- und Kulturvorhaben oder Einrichtungen von überregionaler Bedeutung sein. Hinzu kommen als bundespolitische Kulturaufgaben die Beseitigung der deutschen Teilung und die auswärtige Kulturpolitik.
Die Länder haben Kriterien für kulturelle Förderungsmaßnahmen des Bundes festgelegt, die einleuchtend sind und sich von selbst verstehen: künstlerische und kulturelle Qualität, innovative kulturelle Bedeutung, Einzigartigkeit bzw. herausragende Stellung, europäische und internationale Ausstrahlung.
Diese einstimmig getroffenen Feststellungen der Länder bilden, so meine ich, eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung der Kulturpolitik des Bundes und für die begonnenen Gespräche zwischen Bundesregierung und Landesregierungen über die Auswahl kultureller Einrichtungen und Projekte, an deren Finanzierung sich der Bund ab 1995 beteiligen soll. Der Bund sollte — das ist sicher übereinstimmende Meinung dieses Parlaments — diese Gestaltungsmöglichkeiten in Übereinstimmung mit den Ländern intensiv nutzen.
Die gegenwärtigen beängstigenden Erscheinungen einer Brutalisierung und Entkultivierung der Gesell-
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Dr. Roswitha Wisniewski
schalt lassen Befürchtungen wachsen, daß die Grundlagen eines geregelten menschlichen Zusammenlebens zumindest in einigen der Industrienationen stark gefährdet sind. Zu den Kräften, die dringend der Aktivierung bedürften, um diese Gefahren zu bannen, gehört die Kulturpolitik, gehört insbesondere auch die überregionale, gesamtstaatliche Kulturpolitik des Bundes, um die Bedeutung des Staates und der vielen Institutionen, die einen Staat tragen, für den einzelnen Menschen begreiflich zu machen.
Dies kann, so lehrte es jüngst eine Anhörung zum Thema Gewalt, nicht allein durch Information, sondern nur durch organisatorische Einbindung in Erfahrungsmodelle geschehen. Wo dies durch Familie und eine intakte gesellschaftliche Umwelt mit Vereinen, Kirchen, auch Parteien nicht mehr gewährleistet ist, sind unterstützende Einrichtungen dringend notwendig.
Im Bereich der neuen Länder ist deshalb die Unterstützung von Jugendkultureinrichtungen und -veranstaltungen von höchster Bedeutung. Man kann die Bundesregierung nur ermutigen, wie bisher und womöglich noch stärker und wo immer möglich in geeigneter Weise — etwa im Rahmen der politischen Bildungsarbeit, hier gibt es ja eine Bundeszuständigkeit — bei dieser Aufgabe mitzuwirken.
Es geht längerfristig gesehen um die Sicherung unserer freiheitlichen Demokratie. Deshalb bedarf es der besseren Koordinierung und Verzahnung von Kulturvermittlung und politischer Bildung, ein Aufgabenfeld, das Bundestag und Bundesregierung zu ihrem besonderen Anliegen machen sollten.
Der vorgelegte Entschließungsantrag der SPD- Fraktion enthält vieles, was gewiß auch von den anderen Fraktionen des Bundestages bejaht und unterstützt wird. Er enthält aber auch manches, was angesichts der angespannten Finanzlage von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus Verantwortung für das Ganze nicht mitgetragen werden kann.
Wir wären gern bereit, darüber im einzelnen in den Ausschüssen zu diskutieren, um zu gemeinsamen Vorschlägen zu kommen. Bei sofortiger Entscheidung sind wir leider zur Ablehnung gezwungen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Dr. Otto gibt Ihren Redebeitrag zu Protokoll,*) wenn das Haus damit einverstanden ist. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Ich erteile als nächstem dem Kollegen Dr. Rudolf Krause das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ehemaliger Thomaner in Leipzig und natürlich auch als Tierarzt auf dem Lande möchte ich schon zur Kultur in den neuen Ländern sprechen.
Wenn man in den ländlichen Gegenden sagt: es ist nichts mehr los, dann meint man, daß der kulturelle
*) Anlage 4
Mittelbau weitgehend zusammengebrochen ist. Er ist parallel mit vielen anderen Strukturen zusammengebrochen.
In der DDR hatte das nationale deutsche Kulturerbe in der Tat einen hohen Stellenwert. In allen Völkern des früheren Ostblocks gab es eine Förderung der jeweiligen nationalen Kulturen. An diesem Maßstab wird auch heutige Kultur gemessen. Wir hatten Musikolympiaden. Es gab Wettbewerbe für Poesie und Malen. Es gab eine kulturelle Breite, die auch weitgehend zusammengebrochen ist.
Gesellschaftliche Tätigkeit, die jeder DDR-Bürger irgendwie ausüben mußte, konnte auch in Form von Kultur abgeleistet werden. Das ersparte vielen Lehrern, Kindern und vielen weiteren Menschen eine andere gesellschaftspolitische Mitarbeit. Es gab einen Kultur- und Sozialfonds.
In den Betrieben, auf den Dörfern war auch die LPG Träger der Kultur. Auch das ist zusammengebrochen. Daran müssen wir zukünftige deutsche Kulturpolitik messen. Es ist ja nicht gleichmäßig die Hälfte zusammengebrochen, sondern in vielen Gebieten ist fast alles zusammengebrochen. Die Kulturhäuser auf den Dörfern sind dicht.
Nur in zwei Punkten ist etwas in der Breite erhalten worden oder wieder neu hinzugekommen. Die Kirchengemeinden haben weitgehend unbeeinflußt von ihrem zusammenbrechenden kulturellen Umfeld die Pflege christlicher deutscher Nationalkultur erhalten. Die Chöre sind, genauso wie vorher, da.
Eines ist hinzugekommen. Ostdeutsche und sudetendeutsche Kultur können jetzt auch in Mitteldeutschland wieder offen gepflegt werden. Das wird auch getan. Es ist nur schade, daß in den Heimatvertriebenenverbänden meist nur alte Menschen noch da sind, die ihre Tradition pflegen können.
Ich komme nun zu den Zielen der zukünftigen deutschen Kulturpolitik:
Erstens. Auf allen Ebenen muß das nationale Kulturerbe erhalten werden, solange die Träger dieses Erbes noch da sind.
Zweitens. Wir müssen ehrenamtliche Kulturarbeit fördern, nicht nur materiell, sondern auch öffentlich.
Drittens. Wir brauchen eine Umstellung der Fernsehprogramme; kurz gesagt: Weg von Sex und Gewalt, hin zu einer positiven Darstellung auch der Volkskunst und der breiten Kultur. Hier müssen wesentlich andere Sendezeiten eingeführt werden.
— Das auch.
Viertens. Kulturelle Selbstbetätigung an allen Schulen — nicht nur an Gymnasien —, also auch an Hauptschulen und an Berufsschulen.
Fünftens. Wir brauchen eine aktive Einbeziehung der Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Vorruheständler in eine aktive Kultur. Hier ist noch sehr vieles im argen und sehr vieles zu tun.
Sechstens. Es muß in allen Veranstaltungen auch wieder gesungen werden, und Kindern und Jugend-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17363
Dr. Rudolf Karl Krause
lichen muß Gelegenheit gegeben werden, ihre Kunst darzustellen, wie es in der DDR üblich war; denn der Fonds hieß Kultur- und Sozialfonds. Es mußte ein bestimmter Teil für Kultur ausgegeben werden. In meinen Veranstaltungen, und das sind ja mehrere pro Woche, dränge ich darauf, daß wieder gesungen und Kultur angehört wird.
Siebentens. Man muß natürlich auch, das wurde heute schon gesagt, Ausgaben des Staates vergleichen. Wenn steigende Ausgaben für Europa, für andere Länder — ich denke nur an die zig Milliarden für Rußland —, wenn für den Nahen Osten, wenn auch für Hunderttausende zu uns kommende Immigranten aus aller Welt Milliarden ausgegeben werden und immer neue Milliarden hinzukommen, darf das nicht zu Lasten der Finanzierung der deutschen Nationalkultur gehen. Wir müssen unsere kulturelle Identität bewahren.
Achtens. Kultur muß eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben und jetzt auch wieder werden. Auch da muß man sich in Mitteldeutschland an dem hohen kulturellen Anspruch der DDR messen. Es darf dort auf Dauer keinen Abstieg geben.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Es geht bei der Kulturförderung nicht um Geld. Es geht um die Setzung gesellschaftlicher Normen. Es geht um die Ausgestaltung eines nationalen Grundrechts eines jeden Volkes, und das heißt natürlich für unser deutsches Volk auch: Bewahrung und Wiederaufleben einer deutschen Nationalkultur, nicht nur in Mitteldeutschland, sondern überall da,
wo Deutsche auf dieser Erde sind.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche schöne Feiertage.
Herr Kollege Dr. Ulrich Briefs, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige werden gleich in der Tat ein bißchen zu leiden haben. Nach inzwischen sieben Jahren parlamentarischer Erfahrung in diesem Haus: Es gibt nichts, was in diesem Haus einen so geringen Stellenwert hat wie Kultur und Kulturpolitik.
Das ist nicht nur ein Ergebnis des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik. Es ist irgendwie auch Bestandteil deutscher Tradition und deutschen Selbstverständnisses. Der kulturabgewandte Industrie-, Junker- und Soldatenstaat Preußen lebt insofern durchaus weiter.
Unser französisches Nachbarland ist da ganz anders. Da ist es gerade auch der Staat, der das Land und insbesondere Paris zu einer Kulturmetropole gemacht hat, an die Deutschland und deutsche Städte heute nicht und wohl niemals heranreichen werden.
Um nur ein Beispiel dieser anderen Kulturpolitik aus Frankreich zu nennen: Das Land hat einen eigenen Beauftragten mit umfangreichem Apparat
— beim Präsidenten der Republik angesiedelt — für die Fragen der Frankophonie.
Doch was jetzt hier in Deutschland im Zusammenhang mit dem, was wir hier heute debattieren, geschieht, stellt selbst vor dem Hintergrund der etwas kulturabgewandten preußisch-deutschen Traditionen alles in den Schatten. Die Kulturpolitik wird gerupft wie kein anderer Politikbereich.
— Das stimmt sehr wohl, Herr Baum. Das wissen Sie.
Der Kulturetat des Bundes ist fast halbiert worden
— von 1 420 Millionen DM auf 816 Millionen DM. Dabei war der Kulturetat schon 1993 rigoros gekürzt worden.
— Ich weiß, das paßt Ihnen nicht. Aber es ist so.
Ich kenne nur eine Position im Haushalt, die ähnlich gerupft wurde, nämlich die Friedens- und Konfliktforschung, und auch das ist symptomatisch.
Auf der anderen Seite — man kann es nur immer wieder ansprechen —: Der Rüstungshaushalt bleibt trotz ersatzlosen Wegfalls des traditionellen Feindes im Osten fast unverändert auf der Höhe von etwas unter 50 Milliarden DM. 2,5 Milliarden DM werden zur Versorgung von Berufssoldaten der früheren Wehrmacht und von Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes ausgegeben. Und bei all diesen Prozessen sind besonders die neuen Länder negativ betroffen.
Mit dem ersatzlosen Auslaufen der Übergangsfinanzierung von 1993 auf 1994 wird im übrigen meines Erachtens der Einigungsvertrag gebrochen. Der hatte nämlich dem Bund diese Aufgabe unbefristet übertragen.
Der Kulturbereich, der Bereich künstlerischer Projekte und Initiativen, ist, wie ich z. B. von guten Freunden und Freundinnen aus dem Bereich freier Theater und aus dem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen in Berlin-Kreuzberg erfahren habe,
auch noch zusätzlich stark betroffen vom Wegfall von ABM-Stellen. Auch das wiederum betrifft besonders stark den Osten.
Da kann man nur sagen: Die Katastrophe ist komplett. Es werden mit der Fast-Halbierung der Kulturausgaben des Bundes und mit anderen Sparmaßnahmen wesentliche Existenzgrundlagen von Kultur und Kunst im gesamten Land angegriffen. Dabei geht es um weniger als 2 Promille des Bundeshaushalts. So gering ist der Mittelaufwand.
Daß diese Politik nicht nur staatspolitisch verfehlt ist, sondern auch zur gesellschaftlichen Verwahrlosung von integrationsbedürftigen Menschen insbe-
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Dr. Ulrich Briefs
sondere im Osten beiträgt, sei nur angemerkt. Treiben Sie mit dieser Politik nicht noch mehr arbeitslose Jugendliche vor allen Dingen in die Videotheken und vor die Bildschirme des Porno-, Brutalo- und Sensationsfernsehens, jenes Porno-, Brutalo- und Sensationsfernsehens, das erst durch Ihre falsche Weichenstellung Anfang der 80er Jahre in der Medienpolitik — die auflagenlose und unkontrollierte Zulassung von Privatsendern — möglich geworden ist? Treiben Sie damit nicht vor allem Jugendliche in den reizlosen grauen Plattenbaughettos des Ostens in die Arme der rechtsradikalen Rattenfänger?
Deutschland ist wegen der Angriffe auf Ausländer so schlecht angesehen wie lange nicht mehr. Ein Mittel, um dem etwas entgegenzusetzen, ist die Arbeit der Goethe-Institute. Aus eigener Erfahrung weiß ich, welch wichtige positiv vermittelnde Funktion etwa das Goethe-Institut in Paris hat. Statt den Goethe-Instituten aber die benötigten zusätzlichen 70 Stellen — z. B. für Neueröffnungen in Kiew und Alma-Ata — zu geben, sollen in den Goethe-Instituten 110 Stellen eingespart werden.
Wir werden mit dieser Debatte, die zudem ziemlich am Ende der Tagesordnung für dieses Jahr überhaupt und vor selbst für dieses Haus besonders dünn besetzten Rängen stattfindet, die Bedeutungslosigkeit der Kulturpolitik nicht ändern. Dazu bedarf es sehr viel gründlicherer und umfassenderer Prozesse der Neuorientierung der Politik auf Bundesebene insgesamt. Das Entscheidende können die Bürger und Bürgerinnen und gerade auch die künstlerisch Tätigen des Landes allerdings selbst tun, nämlich Druck auf die gelegentlich etwas schwerfälligen Kolosse, die Parteien, ausüben und bei der Wahl im nächsten Jahr dafür sorgen, daß kulturbewußte und nicht kulturindifferente Kräfte wie die derzeitigen Koalitionsparteien in der Zukunft auf Bundesebene das Sagen haben werden.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6416, zu dem die Kollegen Jork, Wisniewski, Junghanns, Mahlo und Michalk Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben haben' ). Wer stimmt für den Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Hanna Wolf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
*) Anlage 5
Lage der Frauen- und Mädchenhäuser und gesetzgeberischer Handlungsbedarf
— Drucksachen 12/2243, 12/3909, 12/4623, 12/5347 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Ilse Falk Dr. Sigrid Semper
Hanna Wolf
Sämtliche Debattenteilnehmer haben ihre Beiträge zu Protokoll gegeben *). Habe ich dafür das Einverständnis des Hauses? — Das ist der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Lage der Frauen- und Mädchenhäuser, Drucksache 12/5347. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/4623 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Die Antragsteller selbst sind nicht im Saal. Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kübler, Friedhelm Julius Beucher, Siegrun Klemmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Hilfen zur Stillegung der RBMK-Reaktoren in Rußland, der Ukraine und Litauen
— Drucksachen 12/4783, 12/6356 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Harald Kahl Dr. Klaus Kübler
Gerhart Rudolf Baum
Auch hier sind wir in derselben Geschäftsordnungssituation: Sämtliche Rednerinnen und Redner haben ihre Beiträge zu Protokoll gegeben.* *) Ist das Haus damit einverstanden? — Dies ist der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Hilfen für die Stillegung der RBMK-Reaktoren in Rußland, der Ukraine und Litauen auf Drucksache 12/6356. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4783 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6356 empfiehlt der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
*) Anlage 6 **) Anlage 7
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 200. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1993 17365
Vizepräsident Hans Klein
Wir sind damit am Schluß der Tagesordnung der vermutlich letzten Sitzung des Deutschen Bundestages in diesem Jahr.
Ich wünsche Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, gesegnete Weihnachten und ein glückliches neues Jahr. Nehmen Sie die Festtagsstimmung
und die Freude am Schenken mit in das für uns alle sicher nicht leicht werdende Jahr 1994.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Januar 1994, 13 Uhr ein, falls nicht vorher eine Sondersitzung verlangt wird.
Die Sitzung ist geschlossen.