Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Ich habe dem Hause zunächst einmal eine amtliche Mitteilung bekanntzugeben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden, und zwar um die Punkte, die Ihnen in der Zusatzpunktliste vorliegen:7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz —PIVereinfG) — Drucksachen 12/4328, 12/5284, 12/5763, 12/5983 —8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit
a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Else Ackermann, Ulrich Adam, Anneliese Augustin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Anke Eymer, Hans A. Engelhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: HIV-Infektionsgefährdung durch Blut und Blutprodukteb) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Kirschner, Karl Hermann Haack , Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksachen 12/6035, 12/5975, 12/6048 —9. a) Vereinbarte Debatte zur Energiepolitikb) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Haltung der BundesregIerung zu den „Energiekonsensgesprächen" — Drucksachen 12/5383, 12/5964 —Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit das überhaupt erforderlich ist, abgewichen werden. Für die vereinbarte Debatte zur Energiepolitik ist im Ältestenrat eine Redezeit von zwei Stunden vereinbart worden. Die Gesamtgeschäftslage erfordert es, daß sie möglichst strikt eingehalten wird. Ich gehe einmal davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen.Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß es der dringliche Wunsch aller Beteiligten ist und allgemein begrüßt würde, wenn die Reden zu den Tagesordnungspunkten 15 und 16 zu Protokoll gegeben würden. *) Ich wäre den Geschäftsführern in den Fraktionen außerordentlich verbunden, wenn sie einen sinnvollen Beitrag zur Verkürzung der heutigen Plenardebatte durch massiven Einfluß auf die Redner leisten würden.Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz — PlVereinfG)— Drucksachen 12/4328, 12/5284, 12/5763, 12/5983 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Jürgen WarnkeWird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist offensichtlich nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5983 zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90 ist das Vermittlungsergebnis mit großer Mehrheit angenommen worden.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit
a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Else Ackermann, Ulrich Adam, Anneliese Augustin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-*) Anlagen 3 und 4
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Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergneten Dr. Gisela Babel, Anke Eymer, Hans A. Engelhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: HIV-Infektionsgefährdung durch Blut und Blutprodukteb) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Kirschner, Karl Hermann Haack , Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEinsetzung eines Untersuchungsausschusses— Drucksachen 12/6035, 12/5975,12/6048 —Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Lohmann
Zu diesem Tagesordnungspunkt ist keine Aussprache vorgesehen. Sie erinnern sich, sie hat bereits gestern stattgefunden. Wir kommen also gleich zur Abstimmung.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 12/6048 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen! — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/ Linke Liste ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 a und 14c bis e auf:Vereinbarte Debatte zur Entwicklungspolitika) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Anneliese Augustin, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Vorrang für Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip in der Entwicklungspolitik durch Ausbau und Intensivierung der Gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit— Drucksache 12/5987 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußInnenausschußc) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Hans-Günther Toetemeyer, Brigitte Adler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache 12/5960 — Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuß gem. § 96 GOd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDauerhafte Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern— Drucksache 12/5563 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstene) Beratung des Antrags der Abgeordneten Konrad Weiß und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDie demokratische, ökologische und entwicklungspolitische Gestaltung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften— Drucksache 12/5949 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit HaushaltsausschußZu der vereinbarten Debatte liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. vor, außerdem, wie ich gerade höre, ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Auch dies scheint der Fall zu sein. Ich kann das als beschlossen feststellen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Abgeordneten Ulrich Schmalz das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten entwicklungspolitischen Debatte habe ich meine Genugtuung zum Ausdruck gebracht, daß das Thema nicht mehr in der Anonymität nächtlicher Debattenrunden zur Aussprache kommt. Daß wir heute sogar am Anfang des Tagwerks stehen, macht sicherlich den Bedeutungszuwachs des Themas Entwicklungszusammenarbeit noch einmal signifikant deutlich.Meine Damen und Herren, ich habe gewisse Zweifel, ob diese Feststellung mit der öffentlichen Akzeptanz korrespondiert. Ich glaube, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir Entwicklungspolitiker spüren, daß es vor allem in Zeiten, in denen die binnenwirtschaftliche Entwicklung nicht besonders positiv ist, Fragestellungen nach entwicklungspolitischen Leistungen gibt. Um so mehr müssen wir dieser Verständigungsschwierigkeit entgegenwirken, indem wir uns über prinzipielle Fragen austauschen, über Fragen der Philosophie, nach denen wir unsere Entwicklungszusammenarbeit aus-
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Ulrich Schmalzrichten. Ich glaube, daß der heutige Tag und die heutigen Entschließungsanträge dazu einen Beitrag leisten können.Meine Damen und Herren, die jüngste Vergangenheit hat uns vor allem zwei Erfahrungen gelehrt, die wir uns bei unseren entwicklungspolitischen Anstrengungen und Zielen immer wieder vor Augen halten müssen. Andererseits haben wir gesehen, daß das Zusammenwirken zwischen staatlichen Organisationen und der Einsatz planwirtschaftlicher Instrumente zumindest im Regelfall der schlechtest mögliche Weg entwicklungspolitischer Zusammenarbeit ist. In der Konsequenz dieser Einsicht unterstützt meine Fraktion die Politik der Bundesregierung, die Einführung und Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in unseren Partnerländern zu einem zentralen Element der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu machen und der Förderung und Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen einen zunehmend größeren Wirkungsrahmen zu geben.Zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen der F.D.P. haben wir Ende Juni dieses Jahres den Antrag über die Entfaltung der privaten unternehmerischen Initiative der Dritten Welt hier im Plenum eingebracht und beschlossen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Entwicklungsgeschwindigkeit und das Entwicklungsniveau unserer Partnerländer in immer stärkerem Maße unterschiedliche Anforderungen an die Zusammenarbeit stellen und regional differenzierte Strategien verlangt. Durch die Einführung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen allein wird in vielen Fällen die Situation vor Ort für die Menschen noch nicht in entscheidender Weise verändert.
Die Konsequenz aus dieser Einsicht haben wir in dem vorliegenden Antrag über den Ausbau und die Intensivierung der gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit formuliert. Ziel dieses Antrags ist eine Politik, die die Entwicklung von Zivilgesellschaften in unseren Partnerländern fördert. Das ist unerläßliche Voraussetzung für einen schnelleren und auch friedlichen und kulturell verträglichen Übergang von einer rückständigen und verarmten Gesellschaft in ein gedeihendes Gemeinwesen.Meine Damen und Herren, Voraussetzung und auch Kennzeichnen der Zivilgesellschaft ist der Vorrang von Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip verstehen wir dabei nicht nur in einem organisatorischen Sinne von Vorrang der kleineren vor der größeren Einheit. Materieller Maßstab ist für uns immer die Würde des hilfsbedürftigen Menschen, die Frage also, wie er bei seiner Entwicklung am wenigsten zum Objekt einer gesellschaftlichen, auch entwicklungspolitischen Instanz gemacht wird, wie er vielmehr aktiv an der Lösung seiner Not und Unterentwicklung mitwirken kann.Meine Damen und Herren, Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich meinen Respekt vor der Würde und dem Selbstverständnis der Menschen in denEntwicklungsländern bezeuge, gerade in den ärmsten Staaten Afrikas, die wir bei unseren Begegnungen erfahren konnten und können. Gleichzeitig halte ich die meisten Gesellschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas von ihrer Mentalität und ihrer Kultur her für außerordentlich geeignet, für die Entwicklung von dem, was wir eine Zivilgesellschaft nennen und was nach den Prinzipien von Eigenverantwortung und Selbsthilfe aufgebaut ist. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß diese Kulturen in ihrem Sinn von Gemeinschaft, von ihrer Mentalität her dafür wesentlich besser geeignet sind als wir, die wir ihnen diese Prinzipien empfehlen, uns aber selber in einem überzogenen Individualismus einerseits und in erstarrenden Strukturen andererseits eingerichtet haben.Insoweit ist eine Diskussion in dieser Richtung auch eine Reflexion unseres eigenen Verhaltens. Wir können dabei sicherlich einmal kritisch hinterfragen, ob wir selber diese Prinzipien in unserer Gesellschaft noch beachten.
Meine Damen und Herren, welchen konkreten entwicklungspolitischen Beitrag können wir im Blick auf diese Zielrichtung zusätzlich leisten? Ich halte den Aufbau und die Stärkung kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen für eines, vielleicht das bedeutenste Feld, auf dem unsere Politik der Förderung ziviler Strukturen etwas bewirken kann. Das Thema ist einerseits so politisch, daß wir es nicht besser gleich gesellschaftlichen Kräften der Entwicklungszusammenarbeit überlassen.Es ist andererseits zentraler Baustein der Förderung von Selbsthilfe vor Ort. Denn wenn die politische Gemeinde, von den Bürgern getragen, ihre Aufgaben erfüllen kann und gedeiht, dann wird sie auch alle Anstrengungen unternehmen, daß die Rahmenbedingungen im kleinen stimmen, damit sich die Initiativen ihrer Bürger entfalten können.Dezentrale Strukturen wie die einer starken kommunalen Selbstverwaltung versprechen aber nicht nur mehr Effizienz, sie sind zugleich der entscheidende Baustein für eine langfristige Sicherung der Demokratie durch die örtliche Beteiligung der Bürger am politischen Prozeß.Unseren Beitrag sehe ich hierbei in erster Linie in dem Transfer von kommunalem, verwaltungstechnischem Know-how. Dazu sollten vor allem auch die Bundesländer und die Kommunen ermuntert werden, Programme für die Förderung von Partnerschaften aufzulegen, die den Austausch von Verwaltungswissen zum Ziel haben. Gleichzeitig sollte Hospitation deutscher Verwaltungsfachleute im Ausland und von Ausländern in deutschen Kommunalverwaltungen gefördert werden.Derzeit sind von den etwas über 20 000 Kommunen in Deutschland nur 500 im Rahmen einer kommunalen Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Wir sollten gemeinsam dafür werben, daß sich diese Zahl erhöht. Das alles muß in Zeiten, in denen die Kommunen über Geldknappheit klagen, auch nicht nur Geld kosten. Das haben die Kommunen nicht in überreichem
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Ulrich SchmalzMaße, und das ist auch nicht nötig, wenn wir die Zusammenarbeit intelligent organisieren.Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden wäre z. B. zu prüfen, ob und in welcher Form eine Clearing- und Beratungsstelle für die kommunale Entwicklungszusammenarbeit eingerichtet werden kann.
Aufgaben dieser Stelle sollten insbesondere sein, bei der Aufnahme und Ausgestaltung kommunaler entwicklungspolitischer Partnerschaften zu beraten, die Informationen über Chancen und Möglichkeiten der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit in den Publikationen der kommunalen Selbstverwaltung zu verstärken, austauschwilliges kommunales Fachpersonal zu vermitteln, auf die Nutzung bestehender Fortbildungsinstitutionen hinzuwirken.Darüber hinaus sollten wir als Entwicklungspolitiker überlegen, wieweit ohne großen Aufwand die vorhandenen Möglichkeiten verbessert werden können. Ich kann mir z.B. durchaus vorstellen, daß der Seniorenexpertenservice der deutschen Wirtschaft seine Tätigkeit durch die Vermittlung erfahrener Kommunalfachleute und Politiker ausweiten könnte.Bei alledem, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich davon überzeugt, daß wir das, was wir durch unser Engagement in den Aufbau junger, dynamischer Gesellschaften investieren, durch Anschauungsunterricht für unsere etablierte Gesellschaft in vielfacher Weise zurückerhalten werden.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hauchler.
— Wenn ich das in der morgendlichen Stunde versäumt habe, will ich es gerne nachholen: Herr Professor Hauchler, bitte schön.
Schönen guten Morgen, meine Damen und Herren, Herr Präsident! Wir folgen weitgehend den Grundintentionen dessen, was Herr Schmalz hier vorgetragen hat. Wir denken, daß gerade die Stärkung kommunaler Selbstverwaltung ein ganz entscheidender Schritt zur Verbesserung der Verhältnisse in den Entwicklungsländern ist.Lassen Sie mich aber einen anderen Schwerpunkt hier setzen. Wir haben ja heute verschiedene Themen auf der Tagesordnung. Ich möchte Ihnen die Initiative der SPD zur Einbringung eines entwicklungspolitischen Gesetzes vorstellen.Sie wissen, daß anders als in anderen Ländern — etwa den USA, Schweiz, Schweden, Österreich und anderen Ländern — die Materie der Entwicklungspolitik in Deutschland gesetzlich nicht geregelt ist. Es ist also anders als beispielsweise im Bereich der Sozialpolitik und der Umweltpolitik, wo das Parlament Gesetze verabschiedet hat, um sich in ganz bestimmter Weise qualitativ oder quantitativ auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen.Die Tatsache, daß wir im entwicklungspolitischen Bereich keine gesetzliche Regelung haben, wirkt sich bisher in verschiedener Hinsicht negativ aus. Wir beklagen eine mangelnde Verbindlichkeit der Entwicklungspolitik, auch eine mangelnde Kontrolle des Handelns der Regierung im Parlament. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gesehen, daß wir ständig schwankende Konzepte der Entwicklungspolitik haben. Praktisch mit jedem Regierungsantritt oder gar Ministerantritt wechseln die politischen Schwerpunkte, die Instrumente, die Institutionen in der Entwicklungspolitik.Natürlich ist das keine Voraussetzung für eine Verbesserung des Erfolges, der Effizienz und der Stetigkeit in diesem Bereich, die wir dringend brauchen. Aber der Mangel an einer gesetzlichen Regelung macht die Entwicklungspolitik auch in besonderer Weise instrumentalisierbar für andere politische Interessen, die manchmal durchaus vernünftig sein können, die aber dazu führen, daß die Entwicklungspolitik durch die Einflußnahme von anderen Politikbereichen praktisch zum Instrument für andere Ziele gemacht wird, seien es außenpolitische Interessen, seien es wirtschaftspolitische Interessen oder sei es die Ambition derer, die missionarisch in die Welt hinausgehen, ihr Modell von Wirtschaft, von Menschenrechten, von Ratio in die Entwicklungsländer übertragen wollen und die Entwicklungspolitik als Sanktionsoder Anreizelement benutzen. Entwicklungspolitik ist also bisher weitgehend Instrument anderer Politikinteressen.Wir haben diesen Gesetzentwurf nicht eingebracht, um hier eine neue Ideologie vorzustellen oder um eine Kampfansage zu treffen. Im Gegenteil, wir möchten diesen Gesetzentwurf als ein Angebot an das gesamte Parlament verstanden wissen, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir der Entwicklungspolitik eine größere Bedeutung geben können.
Wir wollen dieses Angebot nicht nur den anderen Fraktionen, sondern auch der Gesellschaft unterbreiten. Viele gesellschaftliche Gruppen sorgen sich darüber, daß wir in drei Jahrzehnten bisher nicht in der Lage waren, die Ursachen für Flucht, Vertreibung, Armut, Bevölkerungsexplosion zu bekämpfen. Die Parteien stehen in einem Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen, mit Nichtregierungsorganisationen, mit Kirchen. Wir werden immer wieder gefragt: Was könnt ihr denn tun, um die Entwicklungspolitik im Sinne einer vorbeugenden Friedens- und Sicherheitspolitik zu stärken?Ich glaube, daß dieser Gesetzentwurf auch ganz gut in die internationale Landschaft paßt. Wir erleben eine dramatische Zuspitzung von Bürgerkriegen. Wir wissen, daß die Bevölkerung explodiert. Wir wissen, daß die Wälder kaputtgehen, die Wüsten sich ausbreiten. Wir wissen inzwischen auch, daß dies eines Tages alles auf uns zurückwirkt. Nur, wir haben noch nicht die Kraft, uns genügend auf Ursachenbekämpfung,
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Dr. Ingomar Hauchlerauf Politik über den Tag hinaus zu konzentrieren. Deshalb meinen wir, daß es falsch ist, wenn man im internationalen Bereich immer wieder versucht, an den Symptomen der Probleme anzusetzen. Das zeigt sich heute vor allem in dem Durchsetzen einer militärischen Lösung. Wir glauben, die militärische Lösung reicht nicht aus, um die Probleme wirklich zu bewältigen.
— Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind. Militärische Aktionen sind zum Teil ungeeignet für die Lösung der Probleme
— ja, auf Somalia trifft das zu —, zum Teil sind sie unzureichend,
und zum Teil sind sie unbezahlbar, um die Probleme zu lösen. Militärische Einsätze sind also zum Teil ungeeignet, zum Teil unzureichend und auf die Dauer in jedem Fall unbezahlbar. Das muß uns herausfordern, größere Anstrengungen zu unternehmen, um Entwicklungspolitik als vorbeugende und wiederaufbauende Friedenspolitik stärker ernst zu nehmen und besser zu konzipieren.Dem dient dieser Gesetzentwurf, den ich Ihnen jetzt in kurzen Zügen vorstellen möchte.Erstens. Das Gesetz soll eine größere Verbindlichkeit und Eigenständigkeit entwicklungspolitischer Ziele regeln. Ich denke, daß Entwicklung, wenn sie gelingen und von außen her in den Entwicklungsländern gefördert werden soll, als Investition betrachtet werden muß. Investitionen erfordern — das kennen wir aus dem privatwirtschaftlichen Bereich — eine Stetigkeit der Zielsetzung, eine verbindliche Festlegung von Zielen über einen größeren Zeitraum, klare Rahmenbedingungen, innerhalb deren sich die Akteure bewegen können, und eine Konzentration der Mittel auf ganz bestimmte Schwerpunkte.Deshalb glauben wir, daß es gerechtfertigt ist, zentrale Ziele und Grundsätze der Entwicklungspolitik, über die wir uns in diesem Hause ja weitgehend einig sind, festzuschreiben und damit der Regierung eine feste Basis zu geben, um auch im multilateralen Bereich, unterstützt vom Parlament, unsere deutschen zentralen entwicklungspolitischen Ziele vertreten, durchsetzen und durchhalten zu können.
Dem dient der Gesetzentwurf. Das ist in § 1 niedergelegt. Auch in der Präambel wird dazu etwas gesagt.Der zweite zentrale Zweck ist: Das Parlament soll größere Verantwortung übernehmen können und alle gesellschaftlichen Kräfte in die Diskussion um eine bessere Entwicklungspolitik einbeziehen. Bisher ist Entwicklungspolitik im wesentlichen Regierungshandeln, und das Parlament vollzieht das nach.Es gibt eine gesetzliche Grundlage. Sie wissen das, Herr Minister. Das ist das Gesetz zum Bundeshaushalt. Aber dieses reicht nicht aus, weil das Parlament letzten Endes im wesentlichen nur über eine Global-zahl beschließen kann, nicht aber wirklich über die Schwerpunkte: In welchen Ländern, in welchen Sektoren, für welche Projekte und mit welcher Orientierung soll die Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt werden?Wir glauben also, daß für Planung und Kontrolle das Parlament stärker als in der Vergangenheit gefordert ist.Wir sehen gerade jetzt leidvoll, daß das Parlament kaum eine Möglichkeit hat, beispielsweise darauf einzuwirken, wie deutsche Steuergelder bei der Weltbank oder bei der EG ausgegeben werden.
Wir wissen aus Berichten vom EG-Rechnungshof und aus internen Berichten der Weltbank — sogenannter Wapenhans-Bericht —, daß in den multilateralen Institutionen das Geld zum Teil ausgegeben wird, ohne daß wir wirklichen Einfluß auf Qualität, Quantität und Schwerpunkte der Projekte haben. Das muß sich ändern.
Wir geben drei Milliarden DM im Jahr für multilaterale Leistungen aus. Wir entdecken aber immer wieder, daß da eine Art schwarzes Loch gähnt. Wir als Parlamentarier haben kaum einen Einfluß, wirklich Licht in die Frage hineinzubringen, nach welchen Grundsätzen hier verfahren wird. Das ist schon ein Beispiel, das es rechtfertigt, zu sagen, das Parlament sollte eine größere Verantwortung hinsichtlich der Schwerpunkte, der Länder, der Sektoren usw. übernehmen. Wir schlagen dafür verschiedene Instrumente vor.Der dritte Gesichtspunkt, der uns in dem Gesetz wichtig ist: Entwicklungspolitik muß Querschnittsaufgabe werden. Meine Damen und Herren, wir sind es im Bereich von Umwelt- und Sozialpolitik gewohnt, daß wir das, was wir in der Wohnungsbaupolitik, in verschiedenen Bereichen der Innenpolitik, in der Finanzpolitik, in der Wirtschaftspolitik machen, immer unter das Kriterium stellen: Ist das, was wir dort machen, sozialverträglich? Seit einiger Zeit fragen wir auch: Ist es denn umweltverträglich? Wir unterwerfen praktisch die gesamte Politik diesen Kriterien von Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit. Das haben wir in einem langen geschichtlichen Prozeß gelernt: zuerst die Sozialverträglichkeit, und jetzt kommt allmählich die Bedeutung der Umweltverträglichkeit in unsere Köpfe.Nun ist der weitere Schritt zu tun und zu fragen: Ist denn unser Handeln in der Verkehrspolitik, in der Wohnungspolitik, in der Finanzpolitik, in der internationalen Politik, der Wirtschaftspolitik, der Landwirtschaftspolitik, der Handelspolitik entwicklungsverträglich? Verträgt sich das, was wir dort tun, wirklich mit unseren Zielen der Armutsbekämpfung, der Stabilisierung der Weltwirtschaft, der Menschenrechte usw.?Deshalb denke ich: Wir müssen lernen, auch Entwicklungspolitik zur Aufgabe von Gesamtpolitik zu
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Dr. Ingomar Hauchlermachen. Entwicklungspolitik darf nicht in das Ressort von Herrn Spranger eingesperrt werden.
Wir sperren die Entwicklungspolitik ein, bei Nr. 18 der Liste. Entwicklungspolitik kann aber nur erfolgreich sein, wenn es eine stärkere Abstimmung zwischen Wirtschafts-, Entwicklungs-, Außen-, Finanz- und Handelspolitik gibt. Das kann dann im Grunde auch nur Chefsache sein; denn wer soll diese Abstimmung zustande bringen, wenn nicht das Gesamtkabinett und — ich sage es an unsere Partei gerichtet — die Gesamtführung meiner Partei, ob es nun der Parteivorstand oder die Fraktionsführung ist. Wer anderes könnte diese Querschnittsaufgabe überblicken und Konsequenzen ziehen als die Führungen der Parteien und der Regierung?Vierter Gesichtspunkt: Entwicklungspolitik muß stärker Strukturpolitik werden. In 30 Jahren haben wir erfahren, daß eine Menge Projekte durchgeführt, eine Menge Geld ausgegeben worden ist und daß wir uns hauptsächlich auf den Gedanken des Transfers konzentriert haben: Welcher Art kann der Transfer sein? Welche Projekte? Wieviel Geld wohin? Wir haben immer den Transfer betrachtet, aber zu wenig überlegt, daß Entwicklung im Weltmaßstab unter heutigen und sich zuspitzend dramatischen ökologischen und sozialen Problemen überhaupt nur dann verbesserbar und entwicklungsfähig ist, wenn wir die Strukturen verbessern, und zwar in der Weltwirtschaft die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der einzelnen Länder, aber auch in den einzelnen Entwicklungsländern selbst.
— Zur Weltwirtschaft: Ich könnte mir vorstellen, daß wir große Probleme hätten vermeiden können, wenn wir im internationalen Finanzbereich eine Regelung gehabt hätten, die die Überschuldung begrenzt,
oder die eine überbordende, unkontrollierte Kreditvergabe an Länder oder an Investoren, die nicht glaubwürdig sind oder die nicht ökonomisch wirtschaften können, vermieden hätte.Es gäbe wirklich sehr viele Möglichkeiten, im Rahmen von Weltbank, IWF, UNO oder durch multilaterale vertragliche Abkommen die Rahmenbedingungen zu verbessern.Dies betrifft übrigens auch die Kontrolle von Monopolen in der Weltwirtschaft. Wir haben dort keinen wirklichen Wettbewerb, wir haben national eine Monopolkontrolle. Ein internationales Gesetz dazu gibt es nicht. Da läuft die Konzernbildung, die Monopolisierung auf allen Kanälen; strategische Allianzen nenne ich als Beispiel.Ich meine also schon, daß wir in der Weltwirtschaft dazu übergehen müßten, auch strukturelle Veränderungen zu konzipieren und durchzusetzen.Das gilt natürlich auch für die Entwicklungsländer selbst. Es hat keinen Sinn, in einem Land Projekte durchzuführen, das selbst keine entwicklungsorientierte Politik verfolgt, das das Geld verwirtschaftet, das aufrüstet und selber die Umwelt kaputtmacht. Es hat keinen Sinn, außer wenn — das sagen wir auch — Hilfsprogramme direkt und unmittelbar der armen und notleidenden Bevölkerung zugute kommen. Wir müssen aber in Zukunft vermeiden, Regierungen Geld zu geben, die diktatorisch regieren, die unvernünftig wirtschaften und die sich insgesamt nicht um das Schicksal ihres Volkes kümmern. Deshalb haben wir Kriterien verankert; über diese sind wir uns in diesem Hause einig.Was aber diesen Gesetzentwurf auszeichnet, ist eben nicht, daß wir alles neu erfinden. Gerade das wollen wir nicht, sondern wir wollen das, was wir gemeinsam im Ausschuß — oft sehr im Konsens und auch in gesellschaftlichem Dialog — erarbeitet haben, als Basis für die nächsten Jahre festschreiben, um darauf wirklich vernünftige, langfristige, stetige Politik betreiben zu können.
Das fünfte Ziel ist — obwohl ich gerade gesagt habe, daß in der Entwicklungspolitik von zuviel Geld gesprochen wird, geht es natürlich auch ohne Geld nicht —, eine Orientierungsgröße festzuschreiben; anders war dies in einem Gesetz nicht möglich. Seit Jahren kündigen wir, die Industrieländer, an und versprechen, wir würden eines Tages mindestens 0,7 % unseres Sozialprodukts für die Dritte Welt zur Verfügung stellen, jetzt auch für die ehemals Zweite Welt.Wir haben es nie erreicht; wir gehen sogar zurück. Die letzte Ankündigung erfolgte in Rio durch den Bundeskanzler persönlich. Ich denke, wir müssen Schritte zu diesem Ziel hin festschreiben. Das haben wir getan, und ich hoffe, daß Sie mitmachen. Dies schafft eine etwas größere Verbindlichkeit. Ich denke, wenn es richtig ist, 7 Milliarden DM pro Jahr für die Kohle auszugeben, für die Rettung von Arbeitsplätzen — ich unterstreiche das — —
—Ja, natürlich. Ich sage ja, daß es richtig ist. Hören Sie doch zu.
Ich habe gesagt, wenn es richtig ist, diesen Betrag für die Rettung einiger Zehntausender Arbeitsplätze auszugeben — ich betone es nochmal —, dann weiß ich doch aber gleichzeitig, daß der Kumpel, der davon profitiert, das nicht auf Kosten der Ärmsten der Welt haben will. Wir Politiker müssen doch dafür sorgen, daß die Dimensionen in bezug auf das, was wir für das Inland und was wir für das Ausland tun, noch stimmen.
Das ist der Punkt. Dann kann doch ein zusätzlicher Betrag von 7 Milliarden DM beispielsweise für die Entwicklungspolitik nicht zuviel sein. Man muß sich diese Dimensionen vor Augen halten, um zu entdekken, daß das, was wir in unserem Gesetzentwurf
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Dr. Ingomar Hauchlerfordern, nämlich die Orientierungsgröße in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialprodukts, nicht unvernünftig ist und daß es auch im Laufe der Zeit leistbar ist.Meine Damen und Herren, das sind wesentliche Orientierungsgrößen, die wir versucht haben in diesem Gesetzentwurf festzuschreiben.Es könnte natürlich ein Gegenargument gegen ein solches Gesetz kommen; es könnte heißen: Die Flexibilität der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Bereich geht verloren. Der Regierung werden zu sehr die Hände gebunden. Ich glaube nicht. Der Gesetzentwurf — so ist er aufgebaut — läßt genügend Flexibilität dort, wo es nötig ist, für die Regierung zu, Schwerpunkte da und dort zu verändern, zu manövrieren und auch noch außenpolitisch vernünftige Akzente zu setzen. Aber das Gesetz versucht, Festigkeit dort hineinzubringen, wo sie nötig ist. Das ist bei den Prinzipien der deutschen Entwicklungspolitik, bei den Fragen der Abstimmung mit anderen Politikbereichen, bei der Orientierung als Strukturpolitik und vor allem auch beim Grundsatz der parlamentarischen Kontrolle dieses Politikbereichs der Fall.Wenn ich Sie noch einmal an den Umweltbereich oder den Sozialbereich erinnern darf, dann werden Sie feststellen, daß es nichts Unnormales ist, wenn das Parlament die Regierung an gewisse Prinzipien und Verhaltensweisen im Grundsatz bindet. Wenn das im Sozialbereich und im Umweltbereich nötig ist, dann ist es auch im entwicklungspolitischen Bereich nötig und möglich.
Ich darf noch einmal an uns alle appellieren, den Gesetzentwurf als ein Angebot aufzufassen, mit dem dieses Parlament endlich nach 30 Jahren Entwicklungspolitik vielleicht eine festere und stetigere Grundlage für die Lösung der Armuts-, Bevölkerungs- und Entwicklungsprobleme bekommt. Ich appelliere auch an alle gesellschaftlichen Gruppen, die uns schon bei der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs geholfen haben, dabei mitzumachen, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Es handelt sich ja um einen Entwurf; er kann verbessert werden. Deshalb debattieren wir im Parlament,
auch um so etwas zu verbessern.Ich glaube, dieses Gesetz — ob wir es zustande bringen oder nicht — ist ein Test hinsichtlich der Weitsicht dieses Parlamentes, nämlich ob es uns angesichts der vielen Probleme, die wir zweifellos haben, noch gelingt, über die Tagestaktik und die kurzfristige Problemlösung hinauszugucken. Denn in der Entwicklungspolitik versammeln sich wie in einem Brennglas die verschiedenen Dimensionen der Politik überhaupt, ob es sich dabei um die Wirtschaft oder die Finanzen handelt oder ob es gesellschaftliche, kulturelle oder politische Probleme sind. Lassen Sie uns diese Weitsicht aufbringen. Es ist auch ein Test unserer Ernsthaftigkeit, nämlich, ob wir Entwicklungspolitik wirklich ernst nehmen oder sie immer nur am Schluß einer Diskussion in einem Nebensatz erwähnen, als eine Art Wort zum Sonntag. Das darf in Zukunft nicht mehr geschehen. Es ist ein Test auf unsere Moral, ob wir bereit sind, uns zu einer größeren internationalen Verantwortung zu verpflichten und nicht nur davon zu reden.
Herr Professor Hauchler, nachdem Sie meine optischen Signale nicht zur Kenntnis genommen haben, darf ich Sie jetzt wenigstens akustisch bitten, zum Schluß zu kommen.
Bei mir leuchtet die Schrift „Präsident" auf.
Das ist das zarte Signal, daß Sie Ihre Redezeit überschritten haben.
Ich weiche gleich Ihrer sanften Gewalt. Ich sage nur noch einen Satz.
Ich will noch ein Zitat von einem namhaften Philosophen bringen. Sie kennen Hans Jonas, er hat gesagt:
Wir werden diese Probleme der Zukunft nur noch lösen können, wenn es uns wirklich gelingt, eine größere zeitliche und räumliche Dimension der Moral in die Politik zu bringen. Wir müssen weiter springen.
Herzlichen Dank.
Das Wort erteile ich nunmehr der Abgeordneten Ingrid Walz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen auch in dieser Debatte von den weltweiten Veränderungen ausgehen. Wir müssen erkennen, daß Europa nicht mehr der Nabel der Welt ist und daß die Zukunft dieser Welt von anderen Regionen ganz entscheidend mitbestimmt wird.Der Fall der Mauer hat weltweite demokratische und marktwirtschaftliche Reformen ausgelöst — ich glaube, darüber sind wir uns einig — mit der Folge, daß es in der asiatisch-pazifischen Region heute zu Wachstumszentren gekommen ist, von denen wir vor 30 Jahren eigentlich nur geträumt haben. Heute hat die asiatisch-pazifische Wachstumsregion ein Bruttosozialprodukt aufzuweisen, das bereits in die Nähe von 15 % gerückt ist. China und die ASEAN-Staaten haben Wachstumsraten, die man sich in den traditionellen Industrieländern, also z. B. bei uns, kaum noch vorstellen kann; wir haben ja eine Minusrate.China ist auf dem Weg, zur bald größten Volkswirtschaft dieser Welt zu werden, aber auch — und dies ist das Erstaunliche — der lateinamerikanische Kontinent befindet sich in einem fundamentalen Wandel mit jährlichen Wachstumsraten von ca. 3 % und einer Importsteigerung von über 15 %.
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Ingrid WalzDagegen blieben die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen Afrikas vor allem im südlichen Afrika trotz erheblicher Entwicklungshilfeleistungen weit hinter den Fortschritten der anderen Entwicklungsregionen zurück. Ursachen dieser krisenhaften Entwicklung sind in erster Linie — das wissen wir — die unzureichenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, kriegerische Auseinandersetzungen sowie ein überproportionales Bevölkerungswachstum. Aber die Zukunft des Kontinents und seiner Menschen hängt davon ab, ob Afrika afrikanischer wird, ob Afrika einen eigenen Entwicklungsweg gehen will und gehen kann.Meine Damen und Herren, Strukturanpassung und Modernisierung beschreiben aber nicht nur den Fortschritt im Süden, sondern sind auch Thema des Nordens geworden, sind auch unser Thema.
Das gerade veröffentlichte Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute spricht von fortdauernden konjunkturellen Schwächen in den Industrieländern, also nicht nur von unserer Schwäche, sondern den Schwächen der Industrieländer. Dafür gibt es zum einen externe und zum anderen interne Gründe. Zu den externen Ursachen zählen weltweite industrielle Entwicklungen, wie ich sie gerade beschrieben habe, eine Verschärfung des internationalen Wettbewerbs sowie die Globalisierung der Märkte. Neue Anbieter aus dem Süden und aus den osteuropäischen Reformstaaten sind zu ernsthaften Konkurrenten der Industrieländer geworden.Zu den hausgemachten Ursachen unserer Strukturkrise zählen hohe Lohnkosten, hohe Lohnnebenkosten, zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Das Ergebnis unserer jahrelangen Introvertiertheit, die hier auch einmal angesprochen werden muß,
und der weltpolitischen Abstinenz holt uns jetzt ein. Die Vereinigung mit ihren Belastungen darf nicht als Ausrede für versäumte oder nicht rechtzeitige Strukturanpassung gebracht werden.
Jahrelang haben wir in der Entwicklungszusammenarbeit von unseren Partnern im Süden Reformbereitschaft und Strukturanpassung verlangt. Dieselben Forderungen müssen wir heute an uns selbst richten.
Hoffentlich führt diese Erkenntnis auch zu mehr Verständnis für den schwierigen Anpassungsprozeß unserer Partner im Süden. Die Veränderungen der internen Rahmenbedingungen verlangen von jedem Land schmerzhafte Eingriffe und Anpassungen. Aber, lieber Herr Professor Hauchler, die 7 Milliarden DM Kohlesubvention sind eigentlich zu einem Synonym einer verpaßten, verfehlten Strukturanpassung bei uns geworden.
Wir geben für die Entwicklungszusammenarbeit 8,4 Milliarden DM aus. Ich frage Sie: Wo bleibt hier die Solidarität mit den Ärmsten dieser Welt?
Die Regierungskoalition hat diese Lehren beherzigt und gesetzliche Initiativen zur Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ergriffen, gegen Ihren Widerstand.
Wo aber bleibt die SPD, wenn es darum geht, sich auch in der Entwicklungspolitik den neuen Gegebenheiten einer veränderten multipolaren Welt anzupassen? Uns liegt ein Gesetzentwurf der SPD vor, der sich erstens, meine Damen und Herren von der SPD, durch Altbekanntes und von der Regierung längst Praktiziertes ausweist.
Er ignoriert zweitens die weltpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen. Drittens begreift er nicht — und das ist der entscheidende Fehler Ihres Gesetzentwurfs —, daß sich Entwicklung fließend vollzieht und nicht in Paragraphen eines Gesetzgebers im Westen, eines Gesetzgebers eines Industrielandes.Starre reglementierende Vorstellungen von der Gestaltung unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit werden dem sich rapide vollziehenden Strukturwandel und den Modernisierungsprozessen im Süden nicht gerecht.
Auch vom Glauben — Sie haben ihn angesprochen —, daß sich mit dem Geldtransfer von Nord nach Süd oder neuerdings nach Ost die Entwicklungsprobleme unserer Partner lösen lassen, muß endlich Abschied genommen werden. Es ist sicherlich richtig, daß wir für die weitere quantitative Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit ein finanzielles Ziel brauchen.Aber, meine Damen und Herren, die Darlehensberge, z. B. der Weltbank von 14 Milliarden Dollar, der EG — ich kenne die Zahl nicht genau, es dürften aber auch Milliarden Dollar sein — und vermutlich des einen oder anderen bilateralen Gebers weisen deutlich auf institutionelle Mängel und Schwächen in unseren Partnerländern hin. Deshalb zählt es inzwischen — ich muß es sagen — zu den Binsenweisheiten der Entwicklungszusammenarbeit, daß Geld allein nicht automatisch Entwicklung bewirkt, ja geradezu kontraproduktiv ist.
Für eine kurzfristige Verdoppelung der Entwicklungshilfegelder müssen zuerst die Aufnahmestrukturen vorhanden sein. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Es ist jedoch sehr schwierig, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Sie sind das beste Beispiel dafür. Alles andere würde die Fehler der Vergangenheit wiederholen.Jetzt darf ich an die allseits bekannten Äußerungen unseres Kollegen Dr. Schuster — er hat sich gerade zu Wort gemeldet — erinnern: wasted money. Im Sozialdemokratischen Pressedienst vom 22. Oktober 1993
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16111
Ingrid Walzweist Dr. Schuster völlig zu Recht darauf hin, daß nachhaltige Projekte nicht Millionenbeträge verschlingen wie Großprojekte mit häufig zweifelhafter Wirkung.
Fazit: Diesen Erkenntnissen Rechnung tragend, haben die Koalitionsfraktionen wichtige parlamentarische Initiativen ergriffen, um die von der Bundesregierung eingeleitete Neuorientierung der deutschen Entwicklungspolitik zu unterstützen.
Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Professor Hauchler möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe ein Problem, ich habe nur wenige Minuten Redezeit und eine ziemlich lange Rede. Wir können im Ausschuß darüber reden, was wir ja immer tun.Ich erinnere an den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1993 zur Entfaltung der privaten, unternehmerischen Initiative, die damit zu einem Schwerpunkt künftiger Entwicklungszusammenarbeit gemacht wurde. Die SPD kommt jetzt mit einem ähnlichen Antrag, ich sage nur: reichlich spät.Gleichzeitig wurde von den Koalitionsfraktionen ein weiterer wichtiger Antrag eingebracht, der die Entwicklung und den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in den Entwicklungsländern zum Gegenstand hat. Dieser Antrag, der sich gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung befindet, gewinnt im Hinblick auf die sehr schwierigen Transformationsprozesse von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft größte Bedeutung. Wir erleben das in China, wir erleben das in den Ländern der ehemaligen UdSSR. Betriebe dort können nicht privatisiert werden, wenn nicht ein Sozialversicherungssystem aufgebaut wird, das die Betriebe von den Soziallasten befreit.Meine Damen und Herren, die negativen Erfahrungen der Vergangenheit haben allerdings auch deutlich gemacht: Nachhaltigkeit und Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Verwirklichung der Menschenrechte können nur dann erreicht werden, wenn es gelingt, die vorhandenen politischen Traditionen und Erfahrungen für die nationale und regionale Entwicklung zu nutzen.
Westliche Entwicklungskonzepte dürfen nicht länger kopiert werden. Das Desaster in Afrika ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß Afrikaner nicht afrikanisch gedacht, sondern europäisch gedacht und gehandelt haben.
— Gut, das ist eine andere Frage.
Stabile politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen für die nationale Entwicklung lassen sich nur durch den Aufbau ziviler pluralistischer Gesellschaften unter Beteiligung aller Bevölkerungsschichten erreichen. Wir erleben diese Notwendigkeit im Augenblick ganz konkret in den sich selbst zerstörenden Ländern Somalia und Burundi.
Um deutlich zu machen, um was es uns geht, legen die Koalitionsfraktionen heute dem Hohen Haus einen weiteren Antrag vor, der die Hilfen bei System-und Strukturveränderungen aufzeigt. Dieser Antrag bedeutet Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips, also endlich Hilfe beim Aufbau von unten nach oben, sowie Aufbau von Strukturen der Selbsthilfe und der Selbstverantwortung des einzelnen, der dörflichen und der regionalen Gemeinschaften.Der afrikanische Staat, meine Damen und Herren, ist nicht nur in seinem Tun für uns, sondern auch für den afrikanischen Menschen zum Teil unverständlich.
Meine Damen und Herren, um Entwicklungszusammenarbeit nachhaltiger und effizienter zu machen, ist aber auch eine Reform und Neuausrichtung auf internationaler und nationaler Ebene nötig. Die Entwicklungspolitik hat nämlich Speck angesetzt.Zuviel Geld geht bei uns in die Verwaltungs- und Personalkosten. Das Entwicklungshilfegeschäft ist zu einem Unternehmensbereich geworden, der nicht nur dem fremden, sondern in erster Linie dem eigenen Nutzen dient.
Es ist an der Zeit, sich dies vor Augen zu halten.
Kooperation und Koordination sind künftig ein absolutes Muß. Auch die interstellaren entwicklungspolitischen Raumschiffe der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft müssen ins Koordinatensystem der nationalen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit eingefügt werden.
Es kann nicht angehen, meine Damen und Herren — hier muß ich auch einmal mit einem Traum aufräumen —, wenn in vielen Ländern buchstäblich die eine Hand nicht weiß, was die andere tut,
wenn Wettlauf um die besten Projekte Realität ist und nicht Verleumdung, wenn zuviel Geld in den „pipelines" bleibt. Wir haben dies jetzt in Zentralasien erlebt. Dort ist Geld in den „pipelines" der Weltbank und der Europäischen Gemeinschaft. Die Menschen sehen nichts von dem Geld. Zumindest haben sie bisher noch nicht sehr viel davon gesehen.Koordination und Kooperation im Zeitalter des Computers sind kein Wunschtraum, sondern in den Wirtschaftsunternehmen und modernen Verwaltungen tägliche Praxis. Auch die Entwicklungszusammenarbeit muß daraus lernen, wenn sie nicht das Schicksal eines Dinosauriers erleiden will.
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16112 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Ingrid WalzDarüber hinaus gilt: Was Private können, sollte der Staat nicht tun. Die Förderung der Marktwirtschaft und der unternehmerischen Initiative, die nach allen Erkenntnissen Motor der Entwicklung ist, erhält in unseren Partnerländern nur dann Glaubwürdigkeit, wenn die Zusammenarbeit in erster Linie durch Private erfolgt, also Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen.Finanzielle Zusammenarbeit und technische Zusammenarbeit müssen sich ergänzen. Das aufwendige, ja kostspielige Nebeneinander muß beendet werden. Deshalb begrüßen wir alle Kooperationsverträge in diesem Bereich.
Entwicklungshilfe darf kein Selbstzweck sein. Länderquoten dürfen nicht automatisch als Besitzstand fortgeschrieben werden.
Schwellenländer sind aus der finanziellen Zusammenarbeit herauszunehmen, und das Burden-sharing ist für fortgeschrittene Entwicklungsländer eigentlich zur Selbstverständlichkeit zu machen.Zur Nachhaltigkeit gehören aber auch neueste Erkenntnisse. Wir müssen mehr den einheimischen Sachverstand nutzen und die Partnerländer stärker in die Projektverantwortung einbeziehen.Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Satz zu einem sehr aktuellen Thema: Somalia, aber nicht nur Somalia. Wir haben in Afrika 18 somaliaähnliche Krisen. Dies bedeutet, daß wir künftig von Anfang an eine engere Verzahnung zwischen friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen der Vereinten Nationen mit humanitärer Hilfe, Katastrophenhilfe und entwicklungspolitischen Maßnahmen erreichen müssen.Meine Damen und Herren, was wir brauchen, sind Realismus und realistische Konzepte. Ich fürchte, Sie von der SPD sind von diesem Ziel noch ein ganzes Stück weit entfernt.
Frau Abgeordnete Fischer, Sie haben nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die heutige entwicklungspolitische Debatte ist durchaus zeitgemäß, und sie hätte vor allem dann Sinn, wenn die Bundesregierung, die Koalitionsparteien, signalisieren würden, daß sie endlich bereit sind, den vielbeschworenen globalen Herausforderungen gerecht zu werden. Bisher jedoch ist die Bundesregierung leider weit davon entfernt.Ich komme nicht umhin, an einen Vergleich zu erinnern, der wohl nicht ganz neu ist: daß die derzeitige Entwicklungspolitik noch immer an die Vorgehensweise eines nicht besonders versierten Arztes gegenüber seinen Patienten erinnert. Er ist bedacht, Einzelsymptome zu kurieren, und erreicht zuweilen auch gewisse Erleichterung. Die Umstände fordern ja geradezu ein solches Vorgehen. Sie verhindern aber die wissenschaftliche Therapie. Diese wiederum ist unabdingbar, wenn man die Ursachen der Krankheit aufdecken und die Voraussetzung schaffen will, um die eigentliche Krankheit und nicht nur die Einzelsymptome zu bekämpfen.Ich bin mit dieser Aussage leider nicht ganz einverstanden; denn man muß in Beziehung zur Entwicklungszusammenarbeit sagen: Die Krankheit ist bekannt und auch benannt, ihre Ursachen auch. Es ist fahrlässig oder in diesem Fall eben unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht mehr als Symptome behandelt werden. Die Patienten, in diesem Fall zighundert Millionen Menschen, werden nicht geheilt; die Armut und das Elend in den Entwicklungsländern breiten sich immer mehr aus. Das ist statistisch erwiesen; es ist eine Tatsache. Deshalb frage ich mich: Worauf basiert eigentlich der Optimismus der Bundesregierung? Es ist doch heute unverkennbar, daß die Nachteile aus der Einbindung der Entwicklungsländer in die ungleiche und undemokratische Weltwirtschaftsordnung wesentlich nachhaltigere Wirkung haben als die Entwicklungspolitik des Nordens.
Was veranlaßt die Bundesregierung, die derzeitige entwicklungspolitische Praxis fortzusetzen, obwohl offenkundig keines der globalen Probleme durch sie gelöst wird?Meine Damen und Herren, Armutsbekämpfung, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie Bildung sind die erklärten entwicklungspolitischen Absichten des Bundesministers Spranger, die er namens der Bundesregierung am 8. September 1993 hier im Deutschen Bundestag verkündet hat.
Die PDS/Linke Liste ist ebenfalls dafür, daß die Armut weltweit bekämpft, die Umwelt geschützt und mit den Ressourcen unseres Planeten pfleglich umgegangen wird. Auch Bildung darf nicht nur ein Privileg weniger bleiben, sondern muß allen Menschen zugänglich gemacht werden. Wir übersehen keineswegs, daß entwicklungspolitische Projekte punktuell in ländlichen Gebieten und in Städten Wirkungen erzielen. Dennoch lehnen wir die derzeitige Entwicklungspolitik als gescheitert ab.Diese Politik wird auch zukünftig scheitern müssen, wenn sie nicht als Bestandteil einer solidarischen Gesamtpolitik, insbesondere der Weltwirtschaftspolitik, gestaltet wird. Geschieht das nicht, wird sich die Weltarmut weiter ausbreiten, die Weltumwelt wird unaufhaltsam weiter zerstört, die Weltressourcen werden auch in Zukunft vergeudet, und Wissen wird ein Privileg einer Minderheit bleiben.
— Das ist keinerlei Unverfrorenheit, das muß icheinmal sagen. Ich habe in der Dritten Welt gearbeitet.
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Dr. Ursula FischerWenn Sie das auch getan haben, unter DDR-Bedingungen, dann bitte schön.
Daran ändern auch wohlklingende Reden Ihrerseits z. B. im Bundestag nichts. Die Schwerpunkte und Konditionen sind dann an dieser Stelle, so sinnvoll sie auch erscheinen, verfehlt. Diese Schlagworte offenbaren eher Ihren Zynismus der heutigen Politik auf diesem Gebiet.Der Entwicklungsminister erklärte in der gleichen Rede — ich zitiere —:Entwicklungspolitik allein vermag jedoch wenig, wenn sie nicht eng mit der Außen-, der Wirtschafts- und der Sicherheitspolitik verflochten ist.
— Natürlich ist das richtig.Daß die Entwicklungspolitik wenig vermag, und zwar dann, wenn sie wie bisher fortgesetzt wird, habe ich bereits gesagt. Es ist jedoch ein Trugschluß, anzunehmen, daß die Entwicklungspolitik etwa dann mehr bewirken kann, wenn sie lediglich eng mit den genannten Politikbereichen der Bundesregierung verflochten wird. Es kommt nicht auf eine Verflechtung an sich an, sondern vielmehr darauf, welche Inhalte diese Schlüsselbereiche bundesdeutscher Politik ausmachen. Solange die Außen-, Wirtschafts-und Sicherheitspolitik dem Gewinnstreben und den Großmachtambitionen der Elite dieses Landes untergeordnet werden und sie das Ziel verfolgen, die neue „Weltordnung" mitzuprägen, kann eine solche Verknüpfung nur eines bewirken, nämlich daß die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden. Eine Verknüpfung der genannten Politikbereiche mit der Entwicklungspolitik würde erst dann positive Wirkungen zeitigen können, wenn die Bundesregierung bereit wäre, die Außenpolitik zu entmilitarisieren, die Außenwirtschaft gerecht und solidarisch zu gestalten und die Sicherheitspolitik auf die Sicherheitsbedürfnisse aller Völker unserer Erde auszurichten.Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik darf nicht zu einer Katastrophenverhütungspolitik verkommen. Ihr Hauptanliegen sollte die Hilfe für Millionen Menschen sein, die tagtäglich um das Leben und das Überleben ringen. Die globale menschliche Sicherheit wäre zweifellos eine neue politische Vision für die Gestaltung der Nord-SüdBeziehungen. Indem wir die Idee von der globalen menschlichen Sicherheit — im Gegensatz zur globalen Sicherheit zwischen den Staaten — aufgreifen, die auch in UN-Gremien diskutiert wird, unterstützen wir die Forderung, mehr in die Entwicklung der Menschen des Südens zu investieren, d. h. vor allem in die Ausbildung.Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle vor einer illusorischen Vereinfachung warnen. Der Nord-SüdKonflikt ist ein komplexes Problem. Er läßt sich allein durch Bildung der Menschen, so wichtig sie auch ist, nicht lösen. Ein Problem allein, auch das der Bildung, kann die sehr komplexen und komplizierten Probleme in den Entwicklungsländern nicht überwinden. Grundvoraussetzung, um sich Wissen und Bildung überhaupt aneignen zu können, ist ein Leben in Würde und ohne Not. Satt zu sein ist ein Menschenrecht. Diese elementare Voraussetzung ist, wie wir wissen, für ein Viertel der Weltbevölkerung nicht gegeben.Kolleginnen und Kollegen, die Investition in den Menschen hat für ein Entwicklungsland nur dann Sinn, wenn wenigstens die elementaren Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Ausgebildeten und Qualifizierten in ihren eigenen Heimatländern dann auch tätig werden. Unterentwicklung und Überschuldung führen bekanntlich nicht selten als Ergebnis der Strukturanpassungsauflagen des IWF und der Weltbank zur Massenarbeitslosigkeit. Das wiederum hat die Abwanderung, den brain-drain, von ausgebildeten Menschen in die Industriestaaten zur Folge, die somit billig zu ausgebildeten Arbeitskräften kommen. Der so entstehende enorme menschliche Ressourcentransfer und die Verluste der Entwicklungsländer können durch Almosenvergabe auf bildungspolitischem Gebiet seitens der Industriestaaten in keiner Weise kompensiert werden. Das ist auch durch Zahlen zu belegen.Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Entwicklungspolitik gut bekommt, wenn ich hier unsere weitgehende Übereinstimmung kundtue.
Eine erste Durchsicht des erst vorgestern eingegangen Antrags läßt erkennen — Sie hören ja, was hier immer entgegengerufen wird —, daß darin ein Rahmen abgesteckt wird, in dem künftige Entwicklungspolitik gestaltet und von konjunkturellen parteipolitischen Überfrachtungen freigehalten werden soll. Eine Umsetzung dieses Gesetzes würde nicht zuletzt auch weitere sogenannte Nullrunden, wie das für entwicklungspolitische Vorhaben 1994 vorgesehen ist, ausschließen.
Solche Nullrunden kann sich Deutschland angesichts der weltweiten Herausforderungen und der Versprechungen des Bundeskanzlers nicht leisten.Die PDS/Linke Liste würde es begrüßen, wenn neben dem Gesetz zur Entwicklungspolitik die solidarische Entwicklungszusammenarbeit zum Verfassungsgrundsatz erklärt werden würde.Mit besonderem Nachdruck möchte ich die Aussage über die Entwicklungsverträglichkeit der Gesamtpolitik der Bundesregierung unterstützen. Das würde die Entwicklungspolitik aus ihrem engen Ressortdasein herausführen und ihre bisherige marginale Rolle überwinden helfen.Da ich mich zeitlich sehr beschränken muß, mache ich nur noch wenige Bemerkungen zu den HermesBürgschaften.Kolleginnen und Kollegen, Exportförderung bei ökologisch und entwicklungsspolitisch schädlichen Projekten und von militärisch nutzbaren Gütern sind gängige Praxis. Ohne Rücksicht auf die bekannten
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16114 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Dr. Ursula Fischerkatastrophalen Folgen in den Empfängerländern entscheiden Wirtschafts- und Außenministerium im Interesse der bundesdeutschen Wirtschaft. Das Anspruchs- und Mitspracherecht des Umwelt- und Entwicklungsressorts steht lediglich auf dem Papier bzw. ordnet sich in letzter Konsequenz den außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Belangen unter. In der gegenwärtigen Handhabung schaffen Hermes-Bürgschaften die Probleme wie Fluchtbewegungen, Verstädterung, Umweltzerstörung etc., die die Entwicklungspolitik später meist erfolglos zu lindern versucht.Aber wenn deutsche Entwicklungspolitik ihren Ansprüchen gerecht werden will, kann das für Hermes-Bürgschaften nur heißen: nicht Einvernehmen, sondern Zustimmung des BMZ als Voraussetzung für die Gewährung von Ausfuhrbürgschaften.Meine Damen und Herren, ich fordere uns alle und insbesondere die Bundesregierung an dieser Stelle auf: Lassen Sie uns endlich im Sinne der Präambel des sozialdemokratischen Gesetzentwurfes handeln, indem wir das Recht eines jeden Volkes anerkennen, seinen eigenen Entwicklungsweg zu bestimmen! Lassen Sie uns dazu beitragen — ich zitiere —, „zu einer gerechten und ökologisch verantwortlichen, zugleich leistungsfähigen Weltwirtschafts- und Sozialordnung" zu kommen. Dies wäre im Sinne von Demokratie und Menschenrechten. Eine solche Entwicklungspolitik wäre in der Tat ein unverzichtbarer Teil globaler Friedenspolitik.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Anträgen zur Entwicklungspolitik, die heute zur Diskussion stehen, ist bei durchaus unterschiedlichen Ansätzen das Bemühen gemeinsam, die Entwicklungszusammenarbeit effizienter zu gestalten und zu wirksamen Veränderungen in den Entwicklungsländern beizutragen.Zugleich werden in allen Anträgen — unser eigener eingeschlossen — aber auch die Grenzen sichtbar, an denen solche radikalen Veränderungen scheitern müssen. Es ist das egoistische, ungerechte System der Weltwirtschaft, das die reichen Länder immer reicher und die armen immer ärmer macht.Im SPD-Antrag „Dauerhafte Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern" wird das Dilemma der Entwicklungspolitiker besonders deutlich. Er betont die kulturelle Autonomie der Empfängerländer und ihren Anspruch auf eine eigenständige Entwicklung. Völlig zu Recht warnt er davor, das ausschließlich auf Wachstum orientierte Wirtschaftsmodell der Industrieländer zu übertragen. Doch die sich anschließenden Feststellungen und Forderungen bieten keinen Freiraum für eine derartige eigenständige Entwicklung, sondern setzen auf marktwirtschaftliche Modelle europäischer Prägung. Der Antrag ist darin durchaus symptomatisch. Einerseits warnen wir vor unserem eigenen praktizierten Wirtschaftsmodell, andererseits fehlt uns der Mut zur Alternative.Auch jenseits des gescheiterten sozialistischen Experiments gab und gibt es genügend Gegenentwürfe. Ich denke an die klugen Grundsätze der katholischen Soziallehre, an die kühne Vision des Zweiten Vatikanischen Konzils, an die Mahnung des Club of Rome und an die weitsichtigen Impulse des konziliaren Prozesses. Wir wissen doch nicht erst seit heute, daß unser Planet untergehen müßte, wenn unser Lebensstandard, unser Wohlstand, unser Verbrauch an Energie und Ressourcen überall auf der Erde Maßstab wäre. Aber natürlich haben wir nicht das Recht, anderen das, was wir haben, zu verweigern. Hier bleibt ein unauflösbarer Widerspruch. Der Anspruch, der im Gesetzentwurf der SPD formuliert ist, nämlich das Bevölkerungswachstum in Einklang mit den globalen Ressourcen zu bringen, ignoriert diesen Widerspruch.
Das ist ein zu simples und unbrauchbares Rezept. Damit leistet die SPD der zwar verbreiteten und populären, aber falschen Auffassung Vorschub, daß das Bevölkerungswachstum die Ursache von Armut und Hunger sei. Dieser Zusammenhang besteht in vielen Ländern so nicht. Vielmehr ist das Bevölkerungswachstum eine Konsequenz dieser Armut. Hier wird ein komplexer Zusammenhang unzulässig vereinfacht. Eine Landreform würde in vielen Ländern den notwendigen Beitrag zur effizienteren Nutzung der Ressourcen leisten.Es ist mittlerweile doch eine Binsenweisheit, daß nur 20 % der Erdbevölkerung, zu denen wir gehören, 80 % der Vorräte an Energie und Rohstoffen verbrauchen. Wir, die Industrieländer, sind am Zuge. Wir müssen den Verbrauch reduzieren, das Wachstum beschränken und auf Wohlstand dort, wo er zur Sünde wird, verzichten. Die Entwicklungsländer haben noch ein großes Aufholpotential, bevor wir uns über sie und ihren Ressourcenverbrauch echauffieren dürfen.Wenn wir wirklich einen sinnvollen Beitrag für eine Weltordnung leisten wollen, in der es sich nicht einige wenige auf dem Rücken vieler wohl sein lassen, müssen wir über strukturelle Änderungen der Weltwirtschaft und unseren eigenen Anteil daran nachdenken.Scheitert beispielsweise die Uruguay-Runde durch das Festhalten der Industrieländer am Agrarprotektionismus und an veralteten Industriezweigen, so müßten die ehemaligen Ostblockländer und viele Entwicklungsländer die größten Wohlfahrtsverluste hinnehmen.Die Studie der Weltbank und der OECD belegt, daß diese Länder bereit wären, ihre Schutzmauern weitgehend zu beseitigen, und daß sie während der vergangenen Jahre erhebliche Anstrengungen zur Öffnung ihrer Märkte unternommen haben. Ihre marktwirtschaftliche Entwicklung jedoch, die wir ja wünschen, wird durch die gegenwärtigen Bedingungen im Welthandel gefährdet und durch den erheblichen protektionistischen Druck gestört.
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Konrad WeiB
Sonderinteressen, die nur kurzfristig Arbeitsplätze sichern, langfristig aber zur Fehlallokation führen und den notwendigen Strukturwandel verhindern, sollten endlich zugunsten von Entscheidungen aufgegeben werden, die der Wohlfahrt aller dienen.In Zeiten der Rezession aber treten entwicklungsund umweltpolitische Interessen noch weiter in den Hintergrund. Daß dadurch letztlich auch die eigene Existenzgrundlage zerstört wird, wird verdrängt. Der Vorschlag im Gesetzentwurf der SPD zu einer Regelprüfung der Entwicklungsverträglichkeitist ein interessanter Ansatz für eine neue entwicklungspolitische Verantwortlichkeit.Der vorliegende Antrag unserer Gruppe zur Vergabe von Hermes-Bürgschaften greift ein schwieriges und brisantes Thema auf. Diese Bürgschaften standen in der Vergangenheit oftmals im Widerspruch zu entwicklungs- und umweltpolitischen Interessen.So wurden Hermes-Bürgschaften für Rüstungsgeschäfte mit der Türkei, mit Algerien, Rumänien, Mexiko und dem Iran gegeben. Noch weniger wurden Menschenrechtskriterien berücksichtigt. Selbst im Falle Südafrika haben Bundesregierungen in der Vergangenheit Entscheidungen ohne Rücksicht auf dessen Apartheidpolitik getroffen. Innerhalb der letzten zehn Jahre wurden Exporte nach Südafrika im Volumen von 15,7 Milliarden DM abgesichert.Ein anderes schlimmes Beispiel. Im Mai 1992 wurde vom Haushaltsausschuß die Verbürgung eines Kraftwerkes für den Iran — ausgerechnet für den Iran — in Höhe von 864 Millionen DM zustimmend zur Kenntnis genommen.Die Liste jener Projekte, die weder entwicklungspolitisch noch umweltpolitisch sinnvoll waren, ist erschreckend lang. Die gegenwärtige Praxis überfrachtet das Instrument der Hermes-Bürgschaften und belastet den Haushalt der Empfängerländer ebenso wie den Bundeshaushalt.Auf Grund der akuten Zahlungsprobleme vieler Länder haben sich die Hermes-Bürgschaften mehr und mehr zu einem Verschuldungsinstrument entwikkelt. Für zahlreiche Länder des Südens ist die Verschuldung aus Hermes-verbürgten Geschäften inzwischen beträchtlich höher als aus der Entwicklungszusammenarbeit.Andererseits hat die Bundesregierung Deckungen übernommen, die im Widerspruch zur Bundeshaushaltsordnung stehen, die vorschreibt, daß Bürgschaften nicht übernommen werden dürfen, wenn der Bundeshaushalt vorhersehbar belastet wird.Das kumulierte kassenmäßige Defizit der Exportkreditversicherung hatte im September 1993 nach Angaben der Bundesregierung 14 Milliarden DM erreicht.Das alles macht deutlich, daß bei der Vergabe der Hermes-Bürgschaften ausschließlich deutsche Exportinteressen berücksichtigt werden. Das Instrument wird zur Exportsubvention mißbraucht und dem eigentlichen Zweck entfremdet.Der damalige Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat dann auch am 23. September 1992 vor unserem Ausschuß, dem Ausschuß für wirtschaftlicheZusammenarbeit, folgerichtig erklärt, daß die Bundesregierung an einer entwicklungspolitischen Konditionierung nicht interessiert sei.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht das ganz und gar anders. Gerade weil wir in den Hermes-Bürgschaften ein brauchbares Instrument sehen, durch das der Handel mit den Entwicklungsländern erleichtert und gefördert werden könnte, halten wir eine Konditionierung für erforderlich. Dazu gehört die Beachtung der Menschenrechtssituation ebenso wie die Berücksichtigung von umweltpolitischen und entwicklungspolitischen Kriterien.Wir fordern ferner Transparenz im Vergabeprozeß. Die Vergabe von Hermes-Bürgschaften bedarf endlich einer gesetzlichen Grundlage. Bisher ist es Praxis, in den jährlichen Haushaltsgesetzen lediglich eine Obergrenze für das insgesamt ausstehende Bürgschaftsvolumen verbindlich festzulegen. Art, Umfang und Voraussetzungen für die Übernahme der Ausfuhrgewährleistung aber sind nicht gesetzlich geregelt.Die Kontrolle wird zwar durch den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages vorgenommen, aber eine regelmäßige Unterrichtung der Öffentlichkeit findet nicht statt.Nach unseren Vorstellungen soll künftig die Bundesregierung einmal jährlich dem Deutschen Bundestag ausführlich Rechenschaft geben. Am Entscheidungsprozeß im interministeriellen Vergabeausschuß sollen künftig das Bundesumweltministerium sowie relevante Nichtregierungsorganisationen beteiligt werden. Das entspräche unserer gemeinsamen Forderung, Entwicklungspolitik endlich als Querschnittsaufgabe zu begreifen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Carl-Dieter Spranger, das Wort. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklungspolitik befindet sich in einer neuen Epoche. Das Ende der militärischen Bedrohung und ideologischen Konfrontation durch den früheren Ostblock hat auch die Welt der Entwicklungsländer verändert. Freiheit und Demokratie und eine Wirtschaftsverfassung, die sich am Markt orientiert und die Privatinitiative in den Vordergrund stellt, haben sich als allen anderen Modellen und Alternativen überlegen erwiesen. Die sozialistischen Irrwege gingen allesamt ausschließlich zu Lasten der Menschen, indem sie ihnen die persönliche Freiheit nahmen.
Der politische Umbruch hat auch den Entwicklungsländern neue Impulse gegeben. Weltweit erkennen wir Reformbemühungen, die sich von zentralisti-
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Bundesminister Carl-Dieter Sprangerschen, planwirtschaftlichen Strukturen abwenden und nach tragfähigen neuen Wegen suchen.Es ist das Verdienst dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, darauf schnell und umfassend reagiert zu haben. Vordringlicher Ansatzpunkt ist die Umformung von politischen und gesellschaftlichen Systemen. Wir wollen erreichen, daß die Menschen selbst mitentscheiden, daß sie sich selbst helfen
und selbst Verantwortung mit übernehmen können. Staatliche Eliten, die nur ihre Machtabsicherung und Bereicherung im Auge haben und den Entfaltungswillen der Bevölkerung unterdrücken, sind nicht unsere Partner.
Entwicklungsprozesse sind nur dann nachhaltig, wenn sie von der Mehrheit getragen sind
und wenn sich die Bevölkerung, die wir mit unserer Zusammenarbeit erreichen wollen, mit den Maßnahmen identifiziert und selbst aktiv wird.Entwicklungspolitik umfaßt daher nicht mehr nur die wirtschaftliche und soziale Entwicklung; sie hat eine politische Dimension, die heute mehr denn je in den Vordergrund tritt. Niemand kann mehr die Augen davor verschließen, daß die politischen Rahmenbedingungen ausschlaggebend für den Erfolg von Entwicklungsvorhaben sind.Ich möchte noch einmal mit aller Deutlichkeit betonen: Entwicklungszusammenarbeit allein kann die Welt nicht verändern. Entwicklung kann nicht von außen gemacht werden.
Wir können nur unterstützend wirken. Entscheidend ist aber der politische Wille der Partnerregierungen.
Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, daß die Partnerregierungen ihre Eigenverantwortung erkennen und wahrnehmen. Entwicklungspartnerschaft kann nur mit Leben erfüllt werden, wenn beide Seiten ihren Beitrag leisten und über Mittel und Wege Übereinstimmung besteht.Die Bundesregierung hat mit ihrer entwicklungspolitischen Konzeption die notwendigen Konsequenzen frühzeitig gezogen. Gerade im Hinblick auf die politische Dimension von Entwicklung zeigt sich, daß die von unseren entwicklungspolitischen Kriterien umrissenen Bereiche an der richtigen Stelle ansetzen. Die Forderungen nach Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, nach marktwirtschaftlichen Reformen, nach einer verantwortlichen Regierungsführung beschreiben die unerläßlichen Voraussetzungen für Entwicklung.Auch den meisten Partnerländern ist ja in der Zwischenzeit klar: Der erfolgreichere Ansatz heißtEntwicklung statt Rüstung, Bildung statt Bevormundung, Beteiligung statt Unterdrückung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sehen, daß die Aussagen Ihres Antrages zu einer „dauerhaften Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern" bei der Regierung und den Koalitionsfraktionen schon längst Allgemeingut sind.
Zusammen mit unseren Partnerländern arbeiten wir daran, die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verbessern.
Diesen konstruktiven Ansatz in unserer Konzeption möchte ich noch einmal herausstellen. Es geht uns nicht darum, Hürden für die Partnerländer zu errichten. Wir wollen ihnen vielmehr durch unmittelbare Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und Reformen Anreize geben.Deswegen sind Vorhaben der Dezentralisierung, der kommunalen Selbstverwaltung, der Rechtsberatung, der Verwaltungsreform, des Menschenrechtsschutzes und der Demobilisierung inzwischen weltweit fester Bestandteil auch der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.
Dabei arbeiten wir Hand in Hand mit Nichtregierungsorganisationen, insbesondere den Kirchen und politischen Stiftungen, die sich schon lange erfolgreich auf dem Gebiet der Demokratisierung einsetzen.Auf der Herbsttagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds und bei meinen jüngsten Gesprächen auch mit Kollegen aus der Europäischen Gemeinschaft wurde mir erneut bestätigt, daß unsere entwicklungspolitische Konzeption auf breite Zustimmung stößt und der internationalen Diskussion neue Impulse vermittelt hat.
Der vorliegende Antrag zur Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip enthält Vorschläge, denen die Bundesregierung nicht nur überwiegend zustimmt, sondern die die Bundesregierung überwiegend bereits beherzigt und praktiziert.
Ich möchte jedoch deutlich machen, daß wir bei aller Unterstützung des Subsidiaritätsprinzips den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen dürfen.
Dies gilt zum einen für unsere Partnerregierungen. Die erforderlichen umfassenden Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nehmen in erster Linie die Regierungen in die Pflicht. Es gilt aber auch für uns. So wertvoll der Beitrag der Nichtregierungsorganisationen bei der Begleitung der gesellschaftlichen
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Bundesminister Carl-Dieter SprangerUmbruchprozesse ist, so wichtig ist es aber auch, daß sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit ihren spezifischen Einflußmöglichkeiten auf die Partnerregierungen verstärkt der politischen Entwicklung annimmt.
— So pauschal würde ich es nicht sagen, Herr Schuster. Aber wir brauchen einen Staat, der handlungsfähig ist und auf den wir Einfluß nehmen können und der im Hinblick auf die Einflüsse auch etwas umzusetzen in der Lage ist.
Wir tun das bereits in großem Maße. Ich möchte nur drei Beispiele aus etwa 50 Vorhaben dieser Art nennen. Mit der VN-Wirtschaftskommission für Afrika fördern wir die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen an umweltpolitischen Entscheidungen, in Niger wird mit Hilfe deutscher Berater das Verfassungs- und Verwaltungsrecht reformiert, und in Äthiopien unterstützen wir den Aufbau einer regionalen Verwaltung.
Das Anliegen der SPD, der Entwicklungspolitik zu größerer Bedeutung zu verhelfen, ist durchaus anerkennenswert. Herr Professor Hauchler, den Stellenwert der Entwicklungspolitik verbessern ist eine wichtige Aufgabe. Dem kann man nur zustimmen. Ich bin insofern für diese Unterstützung dankbar. Auch was den Inhalt, die Schwerpunkte und die Rahmenbedingungen anlangt, gibt es zweifelsohne viel Übereinstimmung. Diesen Stellenwert der Entwicklungspolitik aber mit Hilfe eines Gesetzes zu erreichen, halte ich für etwas illusorisch und auf jeden Fall für den falschen Weg.Um auf Frau Fischer zu kommen: Ich habe das Gefühl, daß die von Ihnen geforderte Zustimmung eine zusätzliche Belastung des Gesetzgebungsvorhabens ist. Wir wollen aber sicherlich in aller Offenheit diskutieren und beraten.
— Es beschwert mich nicht, Herr Professor Hauchler.In allen Industrieländern spricht man von Deregulierung, Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung. Die Bundesregierung führt ein umfangreiches Programm der Entrümpelung von Gesetzesvorschriften durch; wie schwer es ist, da Erfolge zu erzielen, wissen wir alle. Auch dies ist aber ein Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Jetzt will man neue, überflüssige und verbürokratisierende Gesetze. Das kann nicht der richtige Weg sein.
Auch die Begründungen können jemanden, der sich ernsthaft mit Entwicklungspolitik beschäftigt, nicht überzeugen. Die Entwicklungspolitik hat durch das Haushaltsgesetz und durch zahlreiche völkerrechtliche Vereinbarungen sehr wohl eine rechtliche Grundlage. Es macht keinen Sinn, das noch enger zu fassen. Die Flexibilität des Regierungshandelns ist ganz entscheidend; ich stimme Frau Walz ganz ausdrücklich zu. Daß wir diese Flexibilität auch sinnvoll nutzen, haben wir durch schnelle und sinnvolle Reaktionen in bezug auf Osteuropa gezeigt. Auch andere aktuelle Fälle, wie Burundi, Haiti, Togo, Zaire, Sambia oder Vietnam zeigen, daß wir schnell und wirksam mit den eingespielten Verfahren und Instrumenten reagieren können. Ich möchte hier Frau Kollegin Walz in ihrer Analyse ausdrücklich zustimmen.Außerdem würden wir einen künstlichen Gegensatz zwischen Regierungspolitik und Opposition konstruieren. Es war doch unser gemeinsames Anliegen — das war auch ein großer Vorteil —, daß deutsche Entwicklungspolitik in den Grundlinien immer auf einen breiten Konsens zwischen den Parteien fußte. Ich habe einen solchen breiten Konsens vielen Passagen der Rede vom Kollegen Hauchler entnehmen können.Im übrigen: Die Verankerung der Entwicklungspolitik in unserer Gesellschaft sollte etwas an den Umfrageergebnissen und auch an dem hohen Spendenaufkommen der deutschen Bevölkerung zugunsten der Entwicklungsländer gemessen werden.
Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Bitte sehr.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minister, wollten Sie eben mit Ihren Ausführungen zum Ausdruck bringen, daß Gesetze die Flexibilität einer Regierung einschränken?
Nein, ich habe gesagt, daß diese beiden Gesetze, die heute angeregt werden, die Handlungsspielräume und die flexible Entscheidungskompetenz der Regierung in unnötiger Weise beengen und daß sie deswegen überflüssig erscheinen.
Wir brauchen auch kein Hermes-Gesetz, wie es das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorschlägt. Der rechtliche Rahmen für die Ausfuhrgewährleistung des Bundes ist ausreichend. Hermes ist ein Instrument der Außenwirtschaftspolitik. Entwicklungspolitische Belange werden jedoch im interministeriellen Ausschuß, in dem das BMZ vertreten ist, berücksichtigt, und dies in zunehmendem Maße.Man sollte nicht übersehen, daß in vielen Fällen über Bundesbürgschaften ökologisch sinnvolle Pro-
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16118 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Bundesminister Carl-Dieter Sprangerjekte erst möglich werden. Denken Sie z. B. an große Abwasserreinigungsanlagen.Darüber hinaus vermisse ich in dem Antrag die positiven Wirkungen von Hermes-Bürgschaften für Investitionsgüterexporte. Daß nämlich Investitionen gerade hochverschuldeten Ländern die Möglichkeit eröffnen, ihre Schulden abzubauen, ist doch bekannt.Ich darf auch daran erinnern, daß in zunehmendem Maße in den internationalen Gremien die herausragende Bedeutung privater Investitionen in den Entwicklungsländern erkannt worden ist — anders als noch vor fünf oder zehn Jahren. Die Entwicklungsländer sagen in zunehmendem Maße: Konzessionäre Entwicklungshilfe ist zwar gut, aber ohne daß Privatinvestitionen vorgenommen werden, hat unser Land keine Perspektive.
Dies zu fördern ist Sinn dieser Hermes-Bürgschaften. Deswegen sollte man das nicht begrenzen und in dieser Form einengen.Vielleicht darf ich zum Abschluß zu beiden Gesetzesvorschlägen noch Montesquieu zitieren, der zu seiner Zeit schon wußte: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen." Dies sollte nicht nur für die Entwicklungspolitik gelten, sondern für uns Parlamentarier als allgemeine Richtlinie Anwendung finden.
Ich erteile dem Abgeordneten Professor Hauchler auf dessen Wunsch das Wort zu einer kurzen Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Herr Minister Spranger gesagt hat, fordert mich doch heraus, kurz zu intervenieren.
Herr Minister Spranger, ich bin enttäuscht, wie Sie auf unser Angebot reagieren, einen Grundbestand entwicklungspolitischer Erfahrung in Gesetzesform zu bringen. Wir anerkennen jede Bemühung, bestehende Gesetze zu entrümpeln. Das heißt aber nicht, eine Materie, deren Regelung wirklich überfällig ist, überhaupt nicht zu regeln.
Gerade als Entwicklungsminister, der es im Kabinett schwer hat, sollten Sie daran interessiert sein, eine verläßliche parlamentarische Grundlage auch für Ihre Ziele und Ideen zu haben. Es enttäuscht mich, daß Sie das nicht wollen.
Mich enttäuscht aber auch — das ist der zweite Punkt, ganz kurz —, daß Sie so selbstgerecht darüber sprechen, welche Leistungen die Deutschen im internationalen Bereich zur Durchsetzung von Menschenrechtskriterien, Abrüstung usw. in der Entwicklungspolitik erbracht haben.
Wir haben dazu einiges gesagt, auch Sie in internationalen Gremien. Aber Sie selbst waren nicht in der Lage, Ihre eigenen Ziele in der deutschen Entwicklungspolitik umzusetzen.
Es zeugt von einer großen Selbstgerechtigkeit und mangelnden Selbstkritik, die bedenklich stimmt, Herr Minister, wenn Sie das immer wieder so hochhängen. Wir müssen doch konstatieren, daß auch 1994 fünf der acht größten Empfängerländer der Bundesrepublik schwerste Probleme mit Menschenrechten, Demokratie, Rüstung und Entwicklungsorientierung haben. Sie finanzieren immer wieder diese Länder, die diese Probleme haben, die sich entgegen Ihren Prinzipien verhalten. Etwas weniger Selbstgerechtigkeit wäre Ihnen schon angemessen.
Herr Minister, wollen Sie von dem Recht der Erwiderung Gebrauch machen?
Lieber Herr Kollege Hauchler, ich möchte kurz darauf eingehen.
Ich bedanke mich für Ihre immerwährende Fürsorge, den Stellenwert des BMZ in der Bundesregierung hochzuhalten. Alle Kollegen, auch die der Koalitionsfraktion, teilen diese Fürsorge. Ich habe, auch wenn man die letzten Haushaltsberatungen betrachtet, das Gefühl, daß die Bundesregierung den Stellenwert der Entwicklungspolitik hoch ansetzt, daß wir im Vergleich zu anderen Staaten Mittel zur Verfügung haben, wie sie andere Staaten bei der wirtschaftlichen Entwicklung, die Sie gerade auch in Westeuropa feststellen müssen, nicht zur Verfügung haben. Ich begrüße es sehr, daß wir im Ministerium und auch der zuständige Minister in einem großen MaBe von Unabhängigkeit Schwerpunkte und Kriterien setzen konnten und das auch in praktische Politik umzusetzen vermögen.
Wenn Sie sagen, wir seien dazu nicht in der Lage, dann müssen Sie konkrete Fälle nennen. Wir können Ihnen an einer Fülle von Beziehungen zu Partnerländern nachweisen, daß wir entsprechend der jeweiligen Entwicklung in den Ländern zu reagieren vermochten. Ich habe einige Beispiele angeführt. Um ein Beispiel zu nennen: Würden die acht größten unter Schwierigkeiten bei der Anwendung unserer Kriterien leiden? Sie müssen auch einmal sehen, daß die Empfänger der meisten Entwicklungshilfe aus Deutschland auch die mit Abstand größten Länder sind. Wenn Sie das, was die jeweiligen Länder bekommen, pro Kopf der Bevölkerung umrechnen und es beispielsweise damit vergleichen, was wir den 1,4 Millionen Menschen in Namibia geben, dann verschiebt sich das Gewicht unserer Entwicklungszusammenarbeit beispielsweise in bezug auf das, was wir nach Indien oder China oder Indonesien geben, natürlich sehr. Diese Relativierung, bezogen auf die Hilfe pro Kopf der Bevölkerung, ist meines Erachtens ganz wichtig. Das haben Sie bei Ihren Vorwürfen und bei Ihrer Katalogisierung leider übersehen.
Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Anneliese Augustin das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als bisher muß Subsidiarität ein Schlüsselbegriff der Entwicklungspolitik werden, nicht nur der deutschen, sondern auch derer, die im Ausland im gleichen Sinne wirken. Darum ist der Vorrang für Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Prinzip der Subsidiarität auch der Leitsatz unseres Antrags, des Antrags der CDU/CSU-Fraktion. Wir wollen nämlich nicht, daß sich unsere Zusammenarbeit auf Staat und Verwaltung eines Entwicklungslandes konzentriert. Wir wollen nicht, daß von unserer Entwicklungszusammenarbeit die Falschen profitieren. Das heißt natürlich nicht, daß wir von nun an die Regierungen der Entwicklungsländer links liegenlassen wollen. Ganz im Gegenteil. Auf deren Mitwirkung sind wir natürlich extrem angewiesen.
Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit sind die sozial Schwachen. Ihre schöpferischen und produktiven Kräfte, die ja vorhanden sind, müssen oftmals erst geweckt werden. Sie brauchen einen Anstoß und eine Stärkung. Diese Kräfte wollen wir fördern.
Im Mittelpunkt darf somit auf keinen Fall die staatliche Bürokratie, sondern müssen die Menschen, die Selbsthilfegruppen und die Selbstverwaltungsorganisationen stehen. Sie müssen die Aktiven in unseren Projekten und unseren Programmen sein. Mit ihnen zusammen können wir Hilfe zur Selbsthilfe möglich machen.
Mit welchem Erfolg, zeigt ein Beispiel, ein Projekt der Hanns-Seidel-Stiftung in einer Stadt in Afrika. Ausgangspunkt die üblichen Probleme: Slums am Rande der Stadt infolge der Landflucht, unvorstellbare Armut; auf Grund der hygienischen Verhältnisse sind Krankheiten wie Cholera und Tuberkulose an der Tagesordnung.
Mit den Counterparts unserer Partnerländer zusammen wird ein Ausweg aus der Armut aufgezeigt. Unbebautes, fruchtbares Land in etwa 50 Kilometer Entfernung von dieser Stadt wird beschafft. Das Team zeigt den Interessierten, wie man Bausteine macht. Sie zeigen, wie man ein Haus baut, zeigen, wie man Maniok anpflanzt und Kleintiere züchtet. Sie zeigen, wie man eine Schule baut. Ja, sie zeigen sogar, wie man eine kleine Bibliothek einrichtet.
Wichtig ist dabei: immer nur zeigen, ja nicht selber tun. Und der Erfolg? Acht kleine Dörfer sind entstanden. Jeder Dorfbewohner hat seine Aufgabe in der Gemeinschaft gefunden. Er ist glücklich in dieser Rolle, die er auf Grund seiner Fähigkeiten, die oftmals dann erst entdeckt werden, ausfüllen kann. Armut, Cholera und Tuberkulose sind nur noch Erinnerungen.
Lassen Sie mich ein weiteres Projekt vorstellen. Hieran wird deutlich, daß unsere Entwicklungszusammenarbeit auch oft von den Menschen vor Ort ausgehen muß, von ihren Vorstellungen, von ihren Zielen, von ihren Problemen, die zu lösen sind. Kurz zur Situation: In Uganda hat Aids inzwischen unvorstellbare Ausmaße und Verbreitung gefunden. Es gibt Dörfer, in denen eine ganze Generation, nämlich die Elterngeneration, bereits an Aids gestorben ist. Übrig bleiben die Kinder und im besten Fall noch die Großeltern. Man schätzt die Aidswaisen in Uganda inzwischen auf 1,5 Millionen.
Gott sei Dank gibt es in Uganda starke Frauenorganisationen. Wir haben sie auf unserer Reise erlebt. Herr Dr. Schuster nickt mir zu; er war ganz begeistert. So richtige Powerfrauen. Diese Frauen sind an uns herangetreten, weil sie sich ein ganz besonderes Projekt ausgedacht haben.
Diese Frauen haben sich zum Ziel gesetzt, die Großmütter von Aidswaisen in die Lage zu versetzen, nicht nur ihre eigenen Enkelkinder unter die Fittiche zu nehmen, sondern für andere Kinder mit zu sorgen, vielleicht zehn oder zwölf Aidswaisen in ihre Familie aufzunehmen, für Nahrung, Kleidung, Schlafstellen und für die menschliche Zuwendung zu sorgen.
Diese Großmütter sollen in die Lage versetzt werden, Entwicklung und Ausbildung — und das bedeutet hier auch Schulbildung — für eine ganze Generation von Aidswaisen zu gewährleisten. Was dies für die innere Entwicklung und für die Zukunft Ugandas bedeutet, ist unschätzbar. Ich glaube, ich brauche es in diesem Kreise auch nicht weiter zu erläutern.
— Lieber Herr Schuster, jetzt kommt genau das, was Sie hören möchten. Ich freue mich daher und bin ausgesprochen dankbar, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Anfrage dieser engagierten Frauen aufgegriffen hat und nun dabei ist, dieses Projekt zu fördern.
Es erfüllt nämlich genau die Kriterien, die uns wichtig sind: Vor Ort wird ein Problem erkannt. Die Menschen vor Ort ergreifen die Initiative, dieses Problem zu lösen. Uns bitten sie nun um die notwendige Hilfe zur Selbsthilfe. Dies ist Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip, die wir verstärkt fördern wollen.
Aber auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist das Potential zur Förderung der Subsidiarität in der Hilfe für Partnerländer noch längst nicht ausgeschöpft. Bei Verbänden, Wirtschaftskammern sowie gesellschaftlichen Vereinigungen schlummert heute noch ein Potential, das es zu entdecken, zu wecken und zu mobilisieren gilt. Zu diesem fröhlichen Tun möchte ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, jeden in seinem Wahlkreis, ganz herzlich einladen.
Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Brigitte Adler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in der Entwicklungspolitik ernsthaft Armut, Gewalt und Völkerwanderung beheben will, muß bereit sein, Ursachen zu erkennen. Unser Gesetzentwurf zur Entwicklungspolitik zeigt auf, wo es
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Brigitte Adleranzusetzen gilt. Unser Antrag, der heute ebenfalls diskutiert wird, greift deshalb einen Gesichtspunkt auf, der mir wichtig erscheint, nämlich die wirtschaftliche Entwicklung.Wir stehen heute vor der Tatsache, daß das von den westlichen Industrienationen geprägte Weltwirtschaftssystem nicht in der Lage ist, Hunger und soziale Verelendung in vielen Ländern dieser Erde zu stoppen sowie die globale ökologische Bedrohung abzuwenden. Daneben wissen wir aber auch, daß sich autoritäre, planwirtschaftliche Systeme weder als produktiv noch als soziale Alternative bewährt haben.Die Auffassung, der Markt werde schon alles regeln, greift zu kurz. Innerhalb eines demokratisch gesetzten Rahmens sind Markt und Wettbewerb unentbehrlich. Wir brauchen unternehmerische Initiative und Leistung. Wir erkennen sie an und fördern sie. Sie muß sich aber auch in ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung bewähren. Der Markt alleine kann weder Vollbeschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit bewirken noch die Umwelt schützen oder regionale Strukturschwächen beseitigen.Eine neue wirtschaftspolitische Ausrichtung in der bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit ist deshalb gefordert. Dabei muß geklärt werden, mit welchen Maßnahmen der Aufbau einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft in den Ländern des Südens sowie in den Reformländern des Ostens unter Berücksichtigung landesspezifischer und kultureller Gegebenheiten unterstützt werden kann. Vor einer Übertragung ausschließlich wachstumsorientierter Wirtschaftsmodelle muß allerdings gewarnt werden.
Diese haben bereits in den Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank und des IWF versagt. Sie haben aber auch die Industrieländer an den Rand des ökologischen Kollapses geführt.
Um die Entwicklungsdefizite zu beheben, reicht es bei weitem nicht aus, nur auf die freien Kräfte des Marktes zu setzen. Der freie Markt hat kein entwicklungspolitisches Interesse. Deshalb greifen pauschale Forderungen nach Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung, die den Entwicklungsländern empfohlen und über Strukturanpassungsprogramme auferlegt werden, zu kurz. Wirtschaftsstrategien, die nicht oder nur in ungenügender Weise für einen sozialen und ökologischen Ausgleich sorgen, sind angesichts der realen wirtschaftlichen und ökologischen Lage der Länder der sogenannten Dritten Welt unverantwortbar und werden zwangsläufig am Widerstand der betroffenen Menschen scheitern. Die Festigung und Schaffung nachhaltiger Politik-, Sozial-und Wirtschaftsstrukturen in den Ländern kann nicht von oben diktiert werden, sondern sich nur in einem breiten gesellschaftlichen Prozeß entwickeln. Dieser Prozeß kann nur gelingen, wenn er zusammen mit den betroffenen Menschen gestaltet wird und bereits vorhandene Strukturen hinterfragt und nutzt.Aus diesem Grund steht im Mittelpunkt unseres Antrages das Leitbild einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Den neoliberalen Vorstellungen, die vornehmlich von den Koalitionsfraktionen vertreten werden, setzen wir Überlegungen eines sozialen und ökologischen Ausgleiches entgegen. Forderungen nach Privatisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen erteilen wir deshalb eine Absage.Eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufbau ist die Schaffung von Spielräumen zur Entfaltung privatwirtschaftlicher Aktivitäten für eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe. Die Erfahrungen in den meisten Entwicklungsländern zeigen, daß der Staat nur selten in der Lage ist, den Anforderungen an eine wirtschaftlich effektive wie sozial und ökologisch ausgerichtete Politik gerecht zu werden. Weder der interventionistische Staat noch der in liberalistischen Konzepten vertretene Minimalstaat sind geeignet, die Effizienz und die Dynamik des Marktes mit sozialen und politischen Zielen in Einklang zu bringen.Eine erfolgversprechende marktwirtschaftliche Entwicklung setzt aber einen funktionsfähigen Staat ebenso voraus wie eine verläßliche Rechts- und Wirtschaftsordnung. Privatwirtschaftliche, gemeinwirtschaftliche und genossenschaftliche Initiativen und Ansätze sind auf diese Rahmensetzung angewiesen. Die Einführung und Umsetzung marktwirtschaftlicher Grundprinzipien wie dezentrale Planung, Wettbewerbsgleichheit, Anerkennung von Privateigentum, Preisbildung an Märkten usw. können nur schrittweise erfolgen. Dies setzt in vielen Fällen einen grundlegenden institutionellen Wandel voraus.Wirtschaftliche Reformen werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit politischen Reformen im Sinne einer Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung am politischen Willensbildungsprozeß einhergehen.
Dabei sind auch die Belange von unterrepräsentierten Gruppen zu berücksichtigen. So verlangt etwa die Diskriminierung von Frauen nach frauenspezifischen Ansätzen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Frauen, die immer noch überwiegend im informellen Sektor arbeiten, muß die Chance zur Sicherung des Lebensunterhalts gegeben werden. Sie müssen Zugang zu Krediten bekommen, um sich eine eigene Existenz aufbauen zu können.Wichtig ist uns in unserem Antrag, daß Selbsthilfeorganisationen auf nichtstaatlicher Ebene gefördert werden. Die Interessenvertretungen beider am Wirtschaftsprozeß Beteiligten und die Kontrollinstanzen staatlicher Institutionen ergänzen den Partizipationsprozeß. Gewerkschaften, Kleinunternehmer- bzw. Kleinbauernverbände, Handwerkskammern, Umweltverbände und Genossenschaften sollten gezielter unterstützt werden. Juristische und technische Beratung einschließlich Finanzierungshilfe in der Aufbauphase muß engagiert angepackt werden. Die Terminbank als angepaßte Bank und die Gemeinschaftsprojekte der Naam-Gruppe aus Burkina Faso sollten beispielhaft anderen vorgeschlagen werden.Brigitte AdlerBeim wirtschaftlichen Aufbau hat in vielen Ländern, vor allem in Afrika, die Landwirtschaft eine Schlüsselrolle. So macht die Landbevölkerung zwei Drittel der Weltbevölkerung aus, erhält aber weniger als ein Viertel der Erziehungs-, Gesundheits-, Wasser- und sanitären Einrichtungen.Das bestehende Spannungsverhältnis von privatwirtschaftlichem und staatlichem Handeln muß mit Augenmaß aufgelöst werden.Die Forderung der Weltbank und des IWF, bei den Strukturanpassungsprogrammen die öffentlichen Haushalte dadurch zu entlasten, daß der oft aufgeblähte Mitarbeiterstab abgespeckt werden soll, ist verständlich. Hier aber zeigt sich das Dilemma, in dem viele Staaten stecken; Entlassungen sind Entlassungen in die Arbeitslosigkeit. Soziale Sicherungssysteme sind eine Utopie. Dennoch muß überprüft werden, wie Hilfen einmal durch Selbsthilfemaßnahmen und zum anderen durch traditionelle Sicherungssysteme schrittweise ausgebaut werden können. Eigenverantwortung und die Privatinitiative sollen und müssen angeregt werden.Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, in Ihrem Antrag sind Elemente, denen auch wir zustimmen können. Ihre weltanschauliche Sicht mancher Aussagen muß jedoch kritisch hinterfragt werden. Ich denke, im Ausschuß werden wir dazu Gelegenheit haben.Gleiches gilt für den Antrag der Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Vergabe der Hermes-Bürgschaften.Isolierung und Benachteiligung des Südens im Weltwirtschaftssystem sind die zentralen externen Ursachen für die wirtschaftliche Unterentwicklung. Um den Ländern des Südens wirklich zu helfen, muß ein faires Welthandelssystem installiert werden.Der Antrag „Dauerhafte Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern" zeigt mit seinem Forderungskatalog Alternativen in der wirtschaftspolitischen Entwicklungszusammenarbeit auf. Er fordert von den Industrieländern eine neue Entwicklungspolitik, die sich nicht mehr an den bisherigen Vorstellungen orientiert. Soziale, ökologische und politische Unterentwicklung kann nicht länger mit den unwirksamen Rezepten von gestern behandelt werden, sondern bedarf eines neuen Ansatzes.
Die UNDP hat ihren Bericht in diesem Jahr unter das Motto gestellt: „Märkte existieren im Dienste des Menschen". Vergessen wir das bitte nicht.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Karin Jeltsch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zugegeben, Ihr Entwurf und Ihr Antrag lesen sich nicht schlecht. Man stellt bei der Lektüre nämlich sehr schnell fest: Es handelt sich bei allen wesentlichen Aussagen und Forderungen um nichts anderes als eine Bestätigung der entwicklungspolitischen Grundsätze der Bundesregierung.
Nehmen Sie Ihren Antrag zur „Dauerhaften Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern". Wir begrüßen es, daß sich auch in der SPD die Einsichten, die sich nach den Bankrotterklärungen der sozialistischen Planwirtschaften in der Welt immer mehr verbreitet haben, allmählich durchsetzen.
Auch Sie sind erfreulicherweise zu der Überzeugung gelangt, daß privatwirtschaftliches Handeln und Wettbewerb die treibenden Kräfte für den wirtschaftlichen Aufschwung auch in den Entwicklungsländern sind.Auch Sie haben die ökologisch orientierte Soziale Marktwirtschaft als d a s leistungsfähige Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell akzeptiert. Auch Sie haben die Entfaltung privater unternehmerischer Initiative als zentralen Motor wirtschaftlicher Entwicklung erkannt.Ihre sonstigen Forderungen — ich nenne als Beispiele nur strukturelle Reformen und Beteiligung von Selbsthilfeinitiativen der Betroffenen — erschöpfen sich in dem, was die Bundesregierung längst fordert.
Wir finden das natürlich sehr erfreulich, doch erhebt sich zwangsläufig die Frage: Wozu dieser Antrag, dessen Anregungen bereits im Koalitionsantrag zur „Entfaltung der privaten unternehmerischen Initiative in der Dritten Welt" nachzulesen sind. Erstaunlich ist nur, daß die SPD diesem Antrag im Januar im Ausschuß ihre Zustimmung verweigert hat.
Die Bundesregierung ist dennoch erfreut darüber, daß die SPD — zwar mit Verspätung, aber immerhin — bei unseren Forderungen angelangt ist.
Bei allen Streitigkeiten im Detail kann eine breitere gemeinsame Basis für die Entwicklungshilfe nur positiv sein.
Lassen Sie mich zu Ihrem „Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland" folgendes anmerken. Auch dieser Entwurf steht in völliger Übereinstimmung mit den Schwerpunkten der Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Die Zielformulierungen sind identisch mit unserer Forderung nach Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe. Ihre entwicklungspolitischen Maßstäbe stim-
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Karin Jeltschmen überein mit dem Kriterienkatalog des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Auch die vom Bundesminister Spranger gesetzten Schwerpunkte „Förderung der Aus- und Fortbildung" sowie „Schutz der Umwelt" finden sich im SPDEntwurf wieder.So weit, so gut.
Nur erhebt sich wieder eine Frage: War denn das schon alles? Für einen Gesetzentwurf, den Sie als wegweisend anpreisen, scheint dies doch ein wenig dürftig.Die SPD erhebt den Anspruch, Grundsätze und Ziele der deutschen Entwicklungspolitik zu verankern und Richtlinien für die Entwicklungszusammenarbeit aufzustellen.
— Das habe ich selbst getan, liebe Frau Kollegin Adler. — Sie bieten jedoch vage Floskeln anstelle von präzisen Vorgaben. Der Regierungskoalition hingegen ist es gelungen, durch Sektor- und Regionalkonzepte konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Durch zahlreiche Anträge haben wir neue Schwerpunkte gesetzt. Wir haben Konzeptionen erarbeitet, erweitert und umgesetzt.
Ich nenne beispielhaft nur den bereits erwähnten Antrag „Entfaltung der privaten unternehmerischen Initiative in der Dritten Welt" oder den Antrag „Die Schöpfung bewahren, privates Engagement fördern, die Umsetzung von Umweltmaßnahmen in Entwicklungsländern beschleunigen".
Dieser hat zum Ziel, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit im Umweltbereich durch privates Engagement und die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen zu ergänzen.
Oder ich nenne unsere Initiative „Entwicklungspolitische Maßnahmen zur Minderung der Asyl- und Flüchtlingsprobleme". Ihr Ansatz liegt in der Entwicklung von Lebensperspektiven in den Heimatländern der Flüchtlinge. Dies sind konkrete entwicklungspolitische Konzepte.In diesem Sinne wird die Union weiter initiativ. In diesen Tagen werden zwei weitere aktuelle Anträge in den Bundestag eingebracht: zur intensiveren gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit sowie zum Aufbau kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen in Entwicklungsländern.
— Es macht ein bißchen Mühe, das zu hören; aber es ist so.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, konkrete Vorschläge sind jetzt gefragt. Der SPD-Entwurf bleibt jedoch hinter den entwicklungspolitischen Leitlinien der neuen Entwicklungspolitik der Bundesregierung weit zurück. Er ist nicht geeignet, der Entwicklungspolitik neue Impulse zu geben. Der Entwurf erschöpft sich in Allgemeinplätzen. Seinem Anspruch, Erfolg und Nachhaltigkeit von Entwicklungspolitik sicherzustellen, wird er leider nicht gerecht.
Graf von Waldburg-Zeil hat nunmehr das Wort. Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der tödlichste Feind der Entwicklungspolitik ist der Bürgerkrieg. Mit tiefer Trauer und Verbitterung mußten wir gestern vor einer Woche mit ansehen, wie die Armee in Burundi die erst drei Monate alte Demokratie zu beendigen versucht hat. Die von den Hintermännern verbreitete Mär, nicht mehr kontrollierbare Mannschaften hätten das getan, wird widerlegt durch die genaue Kenntnis der Vorgänge, nach der der Präsident, der Präsident der Nationalversammlung, der Vizepräsident und sechs weitere Kabinettsmitglieder umgebracht wurden. Im ganzen Lande spricht man mittlerweile von etwa 30 000 Toten, von bewaffneten Hubschraubern, die auf Flüchtlinge schießen, und von Hunderttausenden von Flüchtlingen, die nach Ruanda gekommen sind. Alles wie schon gehabt.Seit der Unabhängigkeit Burundis hat die TutsiOberschicht, die auch die Führung des Militärs stellt, mehrfach durch Massaker die Mehrheit der Hutu-Bevölkerung eingeschüchtert, wobei auch systematisch jedesmal die Intelligenz des Mehrheitsstammes ausgelöscht worden ist.Vorbei ist die Hoffnung, die sich mit dem Namen des früheren Präsidenten Pierre Buyoya verbunden hatte. Ethnische Konflikte standen zwar auch am Beginn seiner Amtszeit, aber im Oktober 1988 hatte er seine ethnisch paritätisch besetzte Kommission zur Untersuchung der Frage der nationalen Einheit eingesetzt und anschließend eine nach gleichem Muster zusammengesetzte Regierung gebildet.1991 kam es durch ein Referendum der Bevölkerung zur Annahme der „Charta der Nationalen Einheit". Wiederum durch ein Referendum wurde 1992 mit 90,2 % Ja-Stimmen die Verfassung verabschiedet, in der Parteienvielfalt, freie Wahlen, Menschenrechte und demokratische Freiheiten verankert wurden.Allerdings, wer Demokratie wagt, gewinnt nicht immer. Am 1. Juni 1993 wurde nicht Präsident Buyoya, sondern der Führer der Oppositionspartei Frodebu, Melchior Ndadaye, gewählt. Am 29. Juni 1993 wurde
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Alois Graf von Waldburg-Zeildie Einheitspartei Uprona vernichtend geschlagen, und die Frodebu errang einen überwältigenden Sieg.Nun sind nicht nur die Hoffnungen auf ein künftiges friedliches Miteinander in Burundi erneut zerstört, getroffen sind eigentlich alle Demokratisierungsbewegungen in Afrika.Hinzu kommt: Nach den Erfahrungen im auseinandergebrochenen Jugoslawien oder in Somalia ist die Hoffnung auf die Konfliktlösungsfähigkeit der UNO gesunken. Depressive bis zynische Haltungen gewinnen in den Industriestaaten an Raum, indem man sagt: Laßt sie sich doch totschlagen; es läßt sich doch nichts daran ändern.Doch, wir können! Wir müssen beharrlich weiterhelfen. Das heißt zuallererst: nicht resignieren.
Burundi lebt zu einem Viertel von Entwicklungshilfe. Weder eine Putschregierung noch eine Marionettenregierung könnte ohne diese Hilfe leben. Ohne Anerkennung, zudem von harten Sanktionen betroffen, würde sie nicht weit kommen.
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Jeltsch beantworten?
Gerne.
Herr Kollege, können Sie mir die Frage beantworten, ob die legale Regierung in Burundi jetzt wieder an der Macht ist?
Das ist eine schwierige Frage. Nach Presseberichten haben die Putschisten aufgegeben bzw. hat das Militär die rechtmäßige Regierung wieder eingesetzt. Man hatte zunächst probiert, eine Regierung der nationalen Konzentration einzusetzen. Man hatte den Innenminister der vorherigen Regierung genommen und gesagt: Bedingung dafür ist Straffreiheit. Als das in der Weltöffentlichkeit nicht akzeptiert wurde, hat man den ganz schnell wieder verschwinden lassen. Es gibt sogar Berichte, daß man ihn in der Zwischenzeit umgebracht hat.
Jetzt ist man einen anderen Weg gegangen und sagt, die legale Regierung sei wieder eingesetzt. Die Ministerinnen und Minister sitzen allerdings mit Recht in den Botschaften, weil sie nicht wissen, ob sie bei ihrer Rückkehr nicht einfach umgebracht werden. In gewissem Sinne geht also der Putsch weiter. So hat es auch die Ministerpräsidentin in einer Meldung formuliert, die heute über „Reuter" gelaufen ist.
Wir können also Forderungen stellen: zunächst die dauernde Rückgabe der Macht an die legitime Regierung, dann die Bestrafung der Schuldigen; denn bisher ist das nie geschehen. Man hat immer gesagt: Nur nicht bestrafen, sonst wird es noch kritischer. Das hat die Mörder um so sicherer gemacht.
Wir wollen den Umbau der Armee zu einer nationalen Institution, in der, insbesondere im Offizier-korps, die Ethnien angemessen vertreten sind.
Bis zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse muß internationaler Druck ausgeübt werden, und es kann auch keine finanzielle entwicklungspolitische Zusammenarbeit mehr geben.
Ministerpräsidentin Kinigi hat die internationale Gemeinschaft um Truppen gebeten, um die legale Regierung und die Bevölkerung zu schützen. Ich glaube, daß es anders auch nicht geht. Denn wie soll eine Regierung regieren, wenn ständig über ihr das Schwert einer putschenden Armee schwebt? Die Bevölkerung muß ebenfalls dringend geschützt werden. Ich weiß, daß viele davor zurückschrecken und denken, schon wieder die Völkergemeinschaft, man könne doch nicht bei jedem Staatsstreich gegen die legitimen demokratischen Institutionen intervenieren. Aber es gäbe Möglichkeiten im Rahmen der Organisation der Afrikanischen Einheit oder einer regionalen Gruppierung. Schon eine internationale Beobachterkommission täte Wirkung. Ich glaube, das beste wäre, wenn Truppen aus dem frankophonen Raum diese Funktion übernehmen würden.
Das Wichtigste: Lassen wir die Barundi nicht fallen, bekennen wir uns zu den Menschenrechten, zur Demokratie und zur Freiheit. Ich freue mich darüber, daß wir eine gemeinsame Resolution in diesem Sinne zustande gebracht haben.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Helmut Schäfer das Wort.
— Herr Abgeordneter Struck, auch Kurzinterventionen können von der Regierungsbank aus erfolgen.
Sie werden doch nicht bürokratischer sein als die Regierung selbst. Ich hätte auch den kleinen Umweg gehen können.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der Fragen, die gerade an den Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil gestellt worden sind, möchte ich nur ganz kurz sagen, daß sich die Situation in Burundi derzeit so gestaltet, daß der UN-Emissär Jonah gestern eingetroffen ist, daß er sich bemüht, daß die Regierung wieder ihre Aufgaben ausüben kann, was natürlich auch den Schutz der Regierung voraussetzt.Wir sind bemüht, mit unseren Verbündeten den Druck auf die Militärs zu verstärken. Es kann mit Sicherheit keine Rede davon sein, daß die Entwicklungshilfe fortgesetzt wird, solange die Zustände in Burundi anhalten.Die UN hat erste Maßnahmen getroffen, um den Flüchtlingen in Ruanda, in Tansania zu helfen, auch nach Burundi hineinzukommen. Die Welt hat reagiert, es gibt keine Resignation.Ich darf zum Schluß sagen: Ich freue mich als Abgeordneter, daß die Bundesregierung den heute
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Helmut Schäfer
überfraktionell gestellten Antrag nachhaltig unterstützt.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Günther Toetemeyer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich heute morgen hierherfuhr, habe ich gedacht: Wir diskutieren wieder unter Gläubigen. Das ist Gott sei Dank nicht der Fall. Ich bedanke mich bei all den Kollegen, die nicht zum Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehören, für ihre Anwesenheit. Das ist ein gutes Zeichen für die Funktionsfähigkeit unseres Parlaments. Herzlichen Dank.
Die Besonderheit dieser Debatte in unserer Fraktion wird dadurch deutlich, daß unser Fraktionsvorsitzender an der Debatte teilnimmt. Das mag Ihnen den Stellenwert der Entwicklungspolitik in unserer Fraktion deutlich machen. Es ist übrigens ein gutes Zeichen, Herr Kollege Pinger, für die neue Bundesregierung im nächsten Jahr. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen.
Ich möchte, damit die Debatte auch für die Zuhörer hier lebendig bleibt, auf die Argumente eingehen, die die anderen Kollegen in die Debatte eingebracht haben. Herr Minister, wen wollen Sie noch überzeugen, wenn Sie den Begriff der sozialistischen Planwirtschaft wie eine Fahne vor sich hertragen? Wir sind uns doch alle einig, daß die Planwirtschaft kein Modell für die Ökonomie eines Landes ist. Warum tragen wir denn diese alte Fahne immer noch vor uns her?Wir sind uns auch alle einig — Sie tun immer so, als ob die Sozialdemokraten das von Ihnen erst noch vorgeführt bekommen müßten —: Das war keine Lösung und ist auch in Zukunft keine Lösung. Also: Tragen wir solche alten Kamellen hier nicht mehr vor. Das ist vorbei.
Die Kollegin Walz hat gesagt: Dieser Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion vorgelegt hat, reglementiert. Frau Kollegin Walz, ich nehme Sie als Kollegin und als Schwäbin mit einem besonderen Freiheitsdrang sehr ernst. Überdenken Sie das noch einmal. Das Liebesangebot der Kollegin Dr. Fischer macht es mir etwas schwer, Sie nun auch zu einem Liebesschwur zu gewinnen. Aber ich finde, sine ira et studio, ohne Zorn und Eifer, sollten wir miteinander überlegen, ob es nicht quer durch die Fraktionen im Interesse des Parlaments ist, die Dinge stärker in unsere Gewalt zu bekommen.
Das muß doch im Interesse des gesamten Parlaments sein. Insofern bin ich über Herrn Minister Spranger zutiefst enttäuscht.
Er kann doch selbst gar nicht glauben, was er gesagt hat. Er hat gesagt, ich zitiere ihn noch einmal: Was wollen Sie denn eigentlich? Das Haushaltsgesetz reicht aus. Sie werden mir nach zehnjähriger Erfahrung zugestehen, daß ich weiß, daß es nicht ausreicht. Denn wir haben zehn Jahre lang im Fachausschuß immer wieder versucht, aus unserer Fachkenntnis heraus Änderungen herbeizuführen, aber es ist auch in den Regierungsparteien nicht gelungen, Herr Kollege Pinger. Es ist uns nicht gelungen.Faktum ist doch — das hat mit dieser Bundesregierung gar nichts zu tun; das war bei der sozialliberalen Regierung genauso —: Wenn sich der Minister im Spitzengespräch mit dem Finanzminister geeinigt hat, ist der Haushalt fertig, und das Parlament kann daran nichts mehr ändern. Das ist Faktum. Wer als Parlamentarier kann denn — unabhängig von den Fraktionen — an diesem Verfahren interessiert sein?Der entscheidende Denkansatz unseres Gesetzentwurfs ist, das Parlament stärker in die Verantwortung einzubeziehen, damit wir stärker mitbestimmen können. Ich kann hier leider — die Kollegen im Ausschuß werden das noch erleben — nicht aus dem SollIst-Vergleich zitieren. Das würde ich sehr gerne tun; das kommt aber noch. Ich nehme nicht alles vorweg, Herr Kollege Schmalz.Im Soll-Ist-Vergleich steht ein sehr schöner Satz, den wir Sozialdemokraten seit Jahren predigen. Dort steht, bezogen auf ein ganz bestimmtes Projekt: Hier ist die finanzielle Zusammenarbeit schädlich gewesen. Es wäre sehr viel sinnvoller, statt der finanziellen Zusammenarbeit mit Mitteln der technischen Zusammenarbeit zu arbeiten.Wir haben zehn Jahre lang immer wieder den Antrag gestellt, die Mittel für die technische Zusammenarbeit zugunsten der Mittel für die finanzielle Zusammenarbeit aufzustocken. Die Anträge sind von den Regierungsparteien immer abgelehnt worden, in treuer Gefolgschaft ihrer Regierung, was ich übrigens für falsch halte. Der ehemalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, den viele von Ihnen kennen, hat, als er noch Oppositionsführer war, gesagt: Regierungsparteien dürfen nach demokratischem Verständnis niemals Schutztruppen der eigenen Regierung sein. Sie müssen ebenfalls Kontrollfunktion ausüben.
Ich will Ihnen offen sagen: Als er Ministerpräsident war, habe ich ihn oft an diesen Satz erinnert. Das Sein bestimmt eben das Bewußtsein; das ist ein Problem.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie sehr, daß wir uns darauf verständigen — wie auch immer der Gesetzentwurf im Wortlaut am Ende aussehen mag —: Das Gesetz des Handelns in der Entwicklungspolitik muß von der Exekutive weg ins Parlament hinein. Das ist der entscheidende Ansatz. Dar-
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Hans-Günther Toetemeyerüber sollten sich Demokraten doch verständigen können.Frau Kollegin Walz, Sie haben gesagt — das ist ein richtiger Satz, den ich unterstreiche —: Geld allein schafft es nicht.
— Darüber sind wir uns einig.Aber Ihren zweiten Satz verstehe ich überhaupt nicht. Sie haben dann gesagt: Geld wirkt kontraproduktiv.
— Dann frage ich Sie, warum wir seit drei Jahren einen Kapitaltransfer in die neuen Bundesländer vornehmen. Das verstehe ich dann überhaupt nicht mehr.
Frau Kollegin Walz, ich möchte Sie nur auf den Widerspruch hinweisen. Es ist ja der Sinn der Diskussion, daß wir die Argumente austauschen.
— Wenn Sie es so gesagt hätten, wären wir uns ja einig. Sie sehen, die Diskussion lohnt sich immer. Wir haben uns wieder verständigt.Sie haben dann von „wasted money"gesprochen, indem Sie den Kollegen Schuster — das ist ja eines seiner Lieblingsworte — zitiert haben. Sie wissen genausogut wie ich, daß es viele Beispiele dafür gibt.
— Überall, aber auch in der Entwicklungspolitik. Kollege Schmalz, in unseren Wahlkreisen ist es besonders schmerzlich, wenn wir zugestehen müssen: Da ist Geld umsonst ausgegeben worden.
Wir müßten doch gemeinsam überlegen, wie wir das verhindern können. Da fordere ich nach wie vor eine stärkere Beteiligung des Parlaments.Also: Ihr Argument wird von mir in einer Weise aufgenommen, von der ich hoffe, daß Sie das am Ende dann doch akzeptieren werden.
Der Minister hat gesagt, die Inhalte des Gesetzentwurfs seien längst verwirklicht.
— Ich komme darauf zurück, Herr Kollege Pinger. Ihnen werden die Augen beim Soll-Ist-Vergleich 1992 übergehen, und zwar dann, wenn wir feststellen: Wasist denn in die Bildung gegangen? Was ist denn in die ländliche Entwicklung gegangen? Wie viele der vom Parlament verabschiedeten Projekte der Rahmenplanung sind denn verwirklicht?Das sind immer die gleichen Fragen. Wir können uns doch bis heute nicht entscheiden. Deswegen möchte ich die Entscheidung bei uns; ich sage das immer wieder. Das muß im Interesse des Parlaments sein.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Sätze sagen; das ist auch wichtig für die Zuschauer auf der Tribüne, weil oft nach außen hin der Eindruck entsteht, im Parlament könne man nicht miteinander diskutieren und es gebe immer nur unterschiedliche Meinungen. Ich glaube, daß der Antrag zu Burundi, den wir heute als Entschließungsantrag gemeinsam verabschieden, ein guter Gegenbeweis ist.
Wir haben uns ganz schnell, innerhalb von vier Tagen, zwischen den Fraktionen verständigt, im Deutschen Bundestag endlich einmal, was weltpolitische Probleme, Probleme in Afrika angeht, aktuell zu sein.
Wir laufen ja sonst immer ein halbes Jahr hinterher. Wir haben uns aktuell zu Burundi verständigt.Ich will dazu nur einen Satz sagen. Herr Präsident, ich weiß, daß meine Redezeit abgelaufen ist, aber einen Satz erlauben Sie mir sicher noch; nicht als Guthaben für den Schriftführer, sondern weil dieser Satz wichtig ist.Ich bitte uns alle und insbesondere die Bundesregierung darum, mit der politischen Unterstützung der Regierung, die jetzt vielleicht wieder ins Amt kommt — ich bin da sehr skeptisch, genauso skeptisch wie Sie, Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil —, nicht eher zu beginnen, bis die Armee demokratisiert ist;
denn wenn wir das Problem nicht vorher lösen, dann stehen wir hier in einem Vierteljahr mit einem gleichen Antrag, und wir sind keinen Schritt vorwärtsgekommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte abschließend sehr darum, daß wir im Sinne dieses gemeinsamen Antrags auch am Ende zu einem gemeinsamen Gesetz kommen, das die Macht ins Parlament verlegt.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Ingeborg Philipp das Wort.
Ich möchte zu dem Burundi-Antrag noch einige Gedanken mitteilen, und zwar zu der Aussage: Wir müssen die
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Ingeborg PhilippGewalttäter strafen. Mir ist dabei eine Situation in Erinnerung gekommen, in der sich Tomás Borge befand, als er Innenminister in Nicaragua war. Er kam in die Situation, daß ihm der Mörder seiner Frau zugeführt wurde. Die Frau war vorher vergewaltigt und geschlagen worden, und ihr sind die Fingernägel ausgerissen worden. Es sind also ganz, ganz schlimme Gewalttaten verübt worden. Tomás Borge hatte vorher schon im Gefängnis gesessen und den Gefängniswärtern gesagt: Wir machen es anders.Auch in dieser Situation, als er Innenminister war, hat er gesagt: Nein, ich muß als Mensch handeln, als verantwortlicher Christ.
Er ist auf diesen Mörder zugegangen und hat ihn als Menschen behandelt. Ich glaube, dadurch hat er viel, viel mehr erreicht als durch in irgendeiner diffizilen Form zurückgezahlte Gewalttätigkeit.Ich denke, wir sollten und wir müssen uns zu Burundi äußern; aber wir dürfen niemals Gleiches mit Gleichem vergelten. Das darf nicht sein. Wir müssen auf ein ganz hohes moralisches Niveau kommen, und das schrittweise. Wir müssen uns klarmachen, wie die Dinge wirklich liegen.Das sind meine Bedenken, und deshalb werde ich mich der Stimme enthalten.
Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Michaela Blunk das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute lautet das Thema Burundi. Es hätte aber auch eines der anderen 18 afrikanischen Länder sein können,
in denen es ähnlich aussieht wie in Somalia. Die Skepsis hinsichtlich Burundi teile ich mit meinen beiden Vorrednern. Ich möchte auf Somalia zurückkommen und daran erinnern, daß Somalia deutlich gemacht hat, daß wir uns, bevor wir uns der Lösung eines Konflikts zuwenden, mit seiner Geschichte beschäftigen müssen. Das, was jetzt in Burundi geschieht, ist eine weitere Drehung der Gewaltspirale, wie wir es seit Jahrzehnten in diesem Land und in dem Nachbarstaat Ruanda beobachten müssen.Wie konnte es dazu kommen, daß eine Minderheit der Tutsi, in dem einen Land 14 % und in dem anderen 11 % der Bevölkerung, die jeweilige Hutu-Mehrheit derart dominieren konnte? Die Geschichte zeigt, daß die Tutsi bereits im 15. und 16. Jahrhundert in dem Land ein Lehenssystem errichtet haben, das demjenigen im mittelalterlichen Europa sehr ähnlich war. Außerdem haben sie sich bestimmte Posten in Heer und Verwaltung vorbehalten. Das erinnert uns sehr an das Preußen des vergangenen Jahrhunderts.
— So ist es.Im Unterschied zu uns fehlen aber den Hutu und den Tutsi die jahrzehntelangen und jahrhundertelangen Entwicklungen, die uns von diesen verkrusteten Strukturen befreit haben. Im Gegenteil: Wir haben seit 1884/85 das System der Tutsi noch verstärkt und für unsere Zwecke genutzt.
Die Belgier haben es uns nachgemacht.
Mit der von Ruanda getrennten Entlassung Burundis in die Unabhängigkeit sind die beiden Konflikte verschärft worden, die dieses Land bis heute zerreißen. Das ist zum einen der Streit zwischen den vier Königsfamilien und zum anderen der Streit zwischen den Tutsi und Hutu. Der König, der bis dahin eine integrierende Kraft gewesen war, hat versucht, sein Amt zu mißbrauchen. Er mußte gehen. Die UPRONA, die ebenfalls ein Bindeglied zwischen beiden Völkern sein konnte, ist zur Einheitspartei geworden und hat damit ebenfalls die einende Rolle verloren.1972 ist mit der Ausrottung der Hutu-Elite die Entwicklung so eskaliert, daß selbst in Burundi Gedanken in Richtung einer Änderung aufgekommen sind. 1988 endlich legte Präsident Buyoya ein Konzept zur Herstellung der nationalen Einheit vor und ernannte erstmalig einen Hutu-Premierminister.Selbst dieses vorsichtige Vorgehen hat die Armee gewaltsam beenden wollen. Der neugewählte demokratische Präsident Ndadaye wurde im wahrsten Sinne des Wortes in eine tragische Situation hineingewählt. Denn er hatte es mit einer illoyalen Armee zu tun, der er kein Gegengewicht entgegensetzen konnte. Eine sofortige Machtprobe hätte er nicht gewinnen können. So haben er, sein Volk und sein Land erneut einen schrecklichen Preis für die ungeklärten Machtverhältnisse zwischen den Ethnien in diesem Land bezahlt.Würdigen möchte ich an dieser Stelle die Rolle der Nachbarn, die ohne zu klagen die Last und die Sorge für etwa 400 000 Flüchtlinge tragen, ohne daß es zu Diskussionen über das Für und Wider dieses menschlichen Aktes kommt. Es ist selbstverständlich, daß die internationale Gemeinschaft die Not der Flüchtlinge verringern und eine möglichst schnelle Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen muß.Burundi macht jetzt dieselbe schmerzliche Erfahrung wie der Nachbarstaat Ruanda. Es genügt nicht, wenn die Macht von der Minderheit auf die Mehrheit übergeht. Denn die Tutsi werden nur in dem Maße Macht abtreten, wie ihnen Minderheitenschutz und Minderheitenrechte garantiert werden.Die aktuellen Ereignisse zeigen außerdem, daß es nicht genügt, wenn ein Versöhnungsprozeß ausschließlich von oben gelenkt wird. Es muß Gespräche geben, die den realen Ängsten beider Seiten Rechnung tragen.
Es genügt nicht, wenn den Tutsi eine 10 %-Quote inallen Bereichen angeboten wird. Das empfinden sie
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Dr. Michaela Blunk
angesichts ihrer Vormachtstellung in der Vergangenheit eher als Rückschritt.Nach mehr als dreißig Jahren Exil in Uganda haben es die damals vertriebenen und geflohenen Tutsi jetzt gewaltsam erreicht, daß ihnen eine erhebliche Teilhabe an der Macht zugestanden werden muß. Es erscheint realitätskonform, ihnen vier von 22 Kabinettsposten anzubieten. Es erscheint unumgänglich, die Umgestaltung der burundischen Armee in Angriff zu nehmen. Denn sie wird zu einem entscheidenden Prüfstein auf dem Weg zur weiteren Demokratisierung werden. Auch hier sollte nach Ruanda geschaut werden. Die personellen Anteile und die Befehlsgewalt in der Armee müssen so gestaltet werden, daß sie sich gegenseitig neutralisieren.
Frau Abgeordnete Blunk, ehe ich mir den Vorwurf der unzulässigen Privilegierung einhandele, bitte ich Sie lieber, langsam zum Schluß zu kommen.
Ich werde gehorchen, um Sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Danke schön.
Es ist unumgänglich, daß die Armee so umgestaltet wird, daß sich weder die Minderheit auf die Mehrheit stürzen kann noch umgekehrt.
Unsere Aufgabe wird es sein, ein deutliches Signal zu geben, indem wir zur Versöhnung zwischen beiden Völkern aufrufen und sie nach Kräften fördern.
Herr Professor Pinger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hauchler hat dem Minister Selbstgerechtigkeit vorgeworfen. Ich kann das nicht erkennen. Wohl kann ich feststellen, daß ein Entwicklungsminister, der die Schwerpunkte und Kriterien so richtig setzt und die Entwicklung so vorantreibt, durchaus sehr selbstbewußt sein kann.Ich stelle ferner am Ende dieser Debatte fest, daß es natürlich noch eine Reihe von kontroversen Punkten gibt, daß sich aber die Zahl jener Punkte erhöht hat, bei denen Gemeinsamkeit herrscht, und daß wir in wesentlichen Punkten übereinstimmen. Insbesondere können wir heute feststellen, daß zumindest die großen Fraktionen hier die soziale und ökologische Marktwirtschaft in den Entwicklungsländern übereinstimmend für die Grundlage halten, auf der eine Entwicklung erst möglich ist.So nehmen wir zur Kenntnis, daß Sie durchweg eine soziale und ökologische Marktwirtschaft wollen. Wir bitten Sie, den Vorwurf fallenzulassen, als wollten wir eine liberalistische Marktwirtschaft, die mit „sozial" und „ökologisch" nichts zu tun hat. Seit LudwigErhard ist es so, daß jedenfalls CDU und CSU diese Art der Marktwirtschaft für richtig halten.
Nun gibt es die Kontroverse darüber, ob ein Gesetz zur Entwicklungspolitik notwendig ist. Sie haben ein solches Gesetz vorgelegt. Wir werden darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist. Hierbei sind unterschiedliche Gesichtspunkte zu beachten, was auch aufgezeigt worden ist. Der Grundsatz ist: Wir wollen ein Gesetz nur dort, wo es notwendig ist. Wir sind für Deregulierung und werden keine Gesetze beschließen, die nicht weiterführen.
Dies gilt für ein Gesetz betreffend die HermesBürgschaften genauso wie für ein Entwicklungshilfegesetz. Ich gebe aber zu, daß es auch Gründe für ein solches Gesetz gibt. Wir werden das diskutieren müssen.Herr Kollege Hauchler, wenn Sie sagen, das Gesetz sei notwendig, um die Entwicklungshilfe zu verstetigen, um langfristige Perspektiven zu schaffen, so stelle ich fest, daß eine solche Stetigkeit der Entwicklungspolitik vorhanden ist. Da die Regierungskoalition sicher auch noch über das Jahr 1994 hinaus die Regierung stellen wird, können Sie sicher sein, daß die Schwerpunkte und Kriterien auch noch in der nächsten Zeit gültig sind. Da wir in wesentlichen Punkten übereinstimmen — ich halte das für erfreulich —, ist die Stetigkeit der Entwicklungszusammenarbeit jedenfalls so, wie man dies in einem Gesetz mit allgemeinen Formulierungen skizzieren kann, durchaus gegeben. Ich sehe also den eigentlichen Grund nicht in der Verstetigung.Nun sagen Sie — vor allen Dingen hat der Kollege Toetemeyer noch einmal darauf abgehoben —, daß dadurch das Parlament im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werde. Sie weisen auf den Soll-Ist-Vergleich hin. Hinsichtlich der 3 000 neuen Projekte, die die Regierung mit ihrem großen Apparat im einzelnen steuert
— ich beziehe mich auf die 3 000, nicht auf die 8 000 insgesamt —, die wir als Parlamentarier im einzelnen doch nicht beurteilen können, wäre es vermessen zu sagen, das Parlament solle insoweit eine stärkere Einflußmöglichkeit bekommen. Das ist nicht möglich. Darüber, ob die derzeitige Rahmenplanung das richtige Instrument ist, sollten wir weiter diskutieren. Dies ist aber im Gesetz nicht angesprochen. Insofern führt es nicht weiter.Es geht mir aber etwas anderes durch den Kopf, nämlich ob durch ein Gesetz — das werden wir diskutieren — vielleicht der Einfluß der Mitglieder im Fachausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Verhältnis zu den Haushältern stärker werden könnte. Dies halte ich allerdings für notwendig.
Wenn hier nicht nur der Minister an der Debatte teilnimmt, sondern auch der Fraktionsvorsitzende der
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Dr. Winfried PingerSPD und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU anwesend sind, ist das ein Zeichen für die Bedeutung einer solchen Debatte.
— Entschuldigung, es ist auch der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. anwesend.
Wenn aber Haushälter, die zuständig sind und durchaus im einzelnen Akzente setzen, an der entwicklungspolitischen Debatte grundsätzlich nicht teilnehmen, muß uns das sehr zu denken geben.
Ich wage aber zu bezweifeln, daß diese Situation durch ein Gesetz verändert werden kann. Mehr Einfluß auf EG und Weltbank nehmen wir durch ein solches Gesetz nicht. Was die notwendige Verzahnung z. B. von Entwicklungspolitik und Außenpolitik angeht, so findet sie statt, jetzt viel mehr als früher. Nicht nur die Konferenz der deutschen Botschafter in Afrika, sondern jetzt auch die Konferenz der deutschen Botschafter in Lateinamerika hat gezeigt, daß zwischen der Außenpolitik und der Entwicklungspolitik eine Verzahnung vorhanden ist, wie wir sie uns nur wünschen können.Ich möchte abschließend feststellen: Für uns ist wichtiger, die Erfolgsbedingungen für die Entwicklungszusammenarbeit noch weiter zu präzisieren. Deshalb meinen wir, daß der Antrag, den wir eingebracht haben — Vorrang für Eigeninitiative und Eigenverantwortung nach dem Subsidiaritätsprinzip in der Entwicklungszusammenarbeit —, roch stärker beachtet werden sollte.Wir sollten nicht weiter so sehr auf den Staat im Entwicklungsland setzen, sondern auf die private Initiative, auf die freien Kräfte. Unser Antrag möchte verdeutlichen, daß es zur Entfaltung der privaten Initiative auch der geeigneten staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen bedarf, eines nicht nur nationalstaatlichen Systems, sondern eines föderativen Systems einschließlich einer starken kommunalen Selbstverwaltung.Was die privaten Kräfte, Gruppen und Institutionen leisten können, soll nicht der Staat übernehmen. Darauf sollten wir noch stärker den Akzent setzen.Ich wünsche mir, daß auf Dauer 50 % der Mittel unmittelbar der Stärkung der privaten Initiative dienen, die anderen 50 % der Stärkung der staatlichen Struktur, die auch wichtig ist.
Herr Professor Pinger, mir geht es so wie Ihnen: Ich habe nicht aufgepaßt. Sie haben kräftig überzogen. Ich muß Sie jetzt darauf aufmerksam machen.
Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident.
Ich stelle abschließend fest: Wir sind auf einem guten Weg. Wir sollten die Ziele weiter präzisieren. Wir werden im Ausschuß über Ihren Gesetzentwurf weiter diskutieren.
Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiativen machen den heutigen Weltspartag zum Aktionstag der Arbeitslosen unter dem Motto „Statt sparen bei den Armen streichen bei den Reichen" .Und was macht diese Koalition an diesem Tag in dieser Debatte? Sie versucht beispielsweise, ausgerechnet die Arbeitsplatzsubventionen im Bergbau gegen die völlig unzureichenden staatlichen Entwicklungshilfeleistungen dieser Regierung, dieser Koalition auszuspielen. Als ob eine D-Mark weniger für Arbeitsplatzerhaltungssubventionen unter dieser Koalition auch nur einen Pfennig mehr für die staatliche Entwicklungshilfe bedeuten würde!
Eher würde doch z. B. der Spitzensteuersatz — ich glaube, das kann man mit Fug und Recht sagen — weiter gesenkt.Nicht wirksame Hilfe für die Dritte Welt ist das Ziel dieser Bundesregierung, dieser Koalition, sondern Bemäntelung und Rechtfertigung ihres unsozialen Sparkurses. Ich sage das als Mitglied des Haushaltsausschusses. Da geht einem in der Debatte ständig förmlich das Messer in der Tasche auf, gerade auch auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik.
Die völlig unzureichend und zudem auch noch in wesentlichen Aspekten fehlangelegte Entwicklungspolitik dieser Regierung kann auch durch umfangreiche, aber zum Teil eben auch doch, Herr Pinger, etwas triviale Vorstellungen in den CDU-Anträgen, die großenteils ja auch nichts kosten, nicht auf den notwendigen Stand gehoben werden. So geht es doch nicht.Die Vorstellungen der SPD dagegen sind, denke ich, insgesamt geeignet, die Entwicklungspolitik des reichen und in Europa wirtschaftlich führenden Deutschlands an die zukünftigen Notwendigkeiten heranzuführen.Zu begrüßen ist insbesondere, daß endlich, endlich — das ist doch schon seit langem überfällig — die Entwicklungshilfezielmarke von 0,7 % des Bruttosozialprodukts erreicht werden soll. Zu begrüßen ist die Bindung der Entwicklungshilfe an ökologische und soziale Kriterien, an die Einhaltung der Menschenrechte. Zu begrüßen ist die Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen in verstärkter Form. Zu begrüßen ist auch die Forderung nach einer entwicklungspolitischen Jahresplanung und nach einem alle
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16129
Dr. Ulrich Briefszwei Jahre zu gebenden entwicklungspolitischen Bericht an den Bundestag.Zu begrüßen ist insbesondere auch die Konzipierung von Entwicklungspolitik als übergreifender Querschnittspolitik. Ich denke allerdings, hier liegen die Probleme eben auch im Detail.Es ist demgegenüber nach wie vor ein Skandal erster Ordnung, daß diese Bundesregierung an der Hochrüstung festhält, trotz Wegfalls der Systemkonfrontation, zugleich jedoch bei der staatlichen Entwicklungshilfe auch in diesem Jahr streicht und den Bruttosozialproduktanteil für die Entwicklungshilfe weiter sinken läßt, auf beschämende 0,35 %. Es ist ein Skandal, daß die Mittel für die militärische und elektronische Abschottung dieses Landes gegen Flüchtlingsströme aus dem Osten und Süden stark erhöht werden, die Entwicklungshilfe, die an den Ursachen für die Flüchtlingsströme zum Teil ansetzen kann und soll, dagegen real sogar erheblich gekürzt wird.Ein Fall, in dem menschenrechtsorientierte Grundsätze jetzt, heute konkretisiert und praktiziert werden können, ist Guatemala. Dort beherrschen nach wie vor das Militär und Militärpatrouillen die Szene. Die Zivilbevölkerung und insbesondere die indigenas werden nach wie vor durch ein allgegenwärtiges Militär bedroht — und nicht nur bedroht. Guatemala ist weit entfernt von der Gewährleistung der Menschenrechte. Das muß bei den Verhandlungen über weitere Entwicklungshilfeprojekte, die jetzt anstehen, berücksichtigt werden. Soweit ich das in Erfahrung bringen konnte, sind da derzeit etwa 20 Millionen DM im Gespräch.Es darf eben einfach nicht so sein, daß deutsche staatliche Entwicklungshilfe die militärischen Strukturen in diesem mittelamerikanischen Land bestärkt und verstärkt, wie das z. B. 1986 der Fall war. Sie war zwar gut gemeint, ging aber dann eben doch in die falsche Richtung. Sie muß vielmehr druckvoll darauf hinwirken, daß die Entmilitarisierung der guatemaltekischen Gesellschaft endlich beginnt und dann rasch fortschreitet.Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nun unternehme ich den zweiten Anlauf, über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD — er liegt Ihnen auf Drucksache 12/5986 vor — abstimmen zu lassen. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist der Entschließungsantrag angenommen.
Nunmehr komme ich zu den Überweisungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/5987, 12/5960, 12/5563 und 12/5949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/5987 — das ist der Tagesordnungspunkt 14 a — soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuß und an den Innenausschuß überwiesen werden.
Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD — er liegt Ihnen auf Drucksache 12/5960 vor; das ist der Tagesordnungspunkt 14c — soll außerdem an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/5949 — das ist der Tagesordnungspunkt 14 e — soll, abweichend vom Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung, zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Da ich sicher bin, daß Sie das alle richtig zur Kenntnis genommen haben, darf ich unterstellen, daß Sie damit einverstanden sind, und das Ganze als beschlossen feststellen.
Meine Damen und Herren, dann habe ich dem Hause bekanntzugeben, daß erfreulicherweise die Geschäftsführerin der Fraktion der SPD mir mitgeteilt hat, daß die Reden zu den Tagesordnungspunkten 15 und 16 zu Protokoll gegeben werden.*) Ich hoffe, daß das Haus mir nicht böse ist, wenn ich das als ein nachahmenswertes Beispiel hinstelle.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zum Zusatzpunkt 9 a und b:
a) Vereinbarte Debatte zur Energiepolitik
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Haltung der Bundesregierung zu den „Energiekonsensgesprächen"
— Drucksachen 12/5383, 12/5964 —
Heute morgen haben wir zu diesem Punkt eine Debattenzeit von zwei Stunden vereinbart. Dabei soll es auch bleiben.
Ich muß dem Haus mitteilen, daß zusätzlich ein Entschließungsantrag der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6051 behandelt wird.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister für Wirtschaft, Günter Rexrodt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist in die sogenannten Energiekonsensgespräche mit dem Ziel gegangen, einen sinnvollen Energiemix zu vereinbaren, der sichere, preiswerte, umweltschonende und vor allen Dingen auch technologisch fortschrittliche Energieversorgung in Deutschland möglich macht. Wir wollten den Mix so anlegen, daß darin Kohle, selbstverständlich Gas und Öl, erneuerbare Energien, aber auch Kernenergie Platz finden. In diesem Mix sollte auch die Energieeinsparung ein großes Gewicht haben. Wir haben Energiepolitik und das Finden dieses Mixes als ein Stück Standortpolitik verstanden, die darauf zielt, Arbeits-*) Anlagen 3 und 4
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtplätze zu erhalten, technisches Neuland zu erschließen und eingeleitete anspruchsvolle technologische Entwicklungen zu Ende zu bringen.Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß Ansatzpunkt für diese Gespräche die Frage der EVUs und auch der elektrotechnischen Industrie war, ob für die Entwicklung und die Installation einer neueren, einer sicheren Generation von Kernkraftwerken nicht ein Konsens möglich sei, der über die Koalition hinausreicht und wichtige gesellschaftliche Gruppen, auch die Opposition oder Teile der Opposition, einschließt. Dies geschieht vor dem nachvollziehbaren Hintergrund, daß in die Kerntechnologie erhebliche Mittel investiert werden, daß es offene Fragen bei der Wiederaufbereitung und bei der Lagerung gibt.Wir haben die Energiekonsensgespräche in einer, wie ich finde, konstruktiven Form und immer mit dem Ziel geführt, einen Kompromiß insbesondere mit der großen Oppositionspartei zu finden. Wir haben zwei Ebenen gehabt: Wir haben eine politische Gruppierung gehabt, und wir haben die gesellschaftlichen Gruppen — die Industrie, die Gewerkschaften, die Umweltverbände und andere mehr — einbezogen. Ich bin der Meinung, wir haben dort lange Zeit sehr sachgerecht, orientiert an einem möglichen Kompromiß, gearbeitet.Die Hauptfrage dabei war immer: Wie können wir eine Option für die spätere Nutzung der Kernenergie offenhalten, wie können wir verhindern, daß in dieser Technologie der Faden reißt? Wir waren uns im klaren darüber, daß die Frage, ob heute Kraftwerke installiert werden oder nicht, gar nicht ansteht und eine Frage des nächsten Jahrzehnts ist. Wir brauchen aber einen Musterreaktor, um aus dieser Technologie nicht ausscheiden zu müssen. Diesen zu installieren, darum ging es der Koalition in erster Linie. Wir haben versucht — ich sage es noch einmal —, sehr sachgerecht einen Kompromiß zu finden, damit dies möglich wird.Wir haben immer gesehen, daß es in diesen Gesprächen auch um Energieeinsparung und um die Förderung regenerativer Energien gehen muß. Wir haben immer gesagt, wir wollen ein Paket, d. h., wir sprechen jeden einzelnen Energieträger durch, diskutieren ihn, finden nach Möglichkeit Lösungen und haben am Ende ein Paket, und über dieses Paket werden wir dann befinden. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn in den letzten Tagen und Wochen von bestimmter Seite immer wieder gesagt worden ist, daß die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Kohle und Kernenergie, den wir aufrechterhalten wollen, eine Erpressung bedeute. Dies ist falsch.
Sie aus der SPD haben immer dieses Paket gewollt. Sie haben darauf bestanden, daß dieses Paket bis zum Ende durchgesprochen und verhandelt wird und daß über das Paket beschlossen wird.Meine Damen und Herren, wir sind in der wichtigen Frage der Kernenergie, des Offenhaltens der Option für die friedliche Nutzung der Kernenergie nun gescheitert. Wir haben auch nach den Konsensgesprächen einen Dissens. Das ist so. Nun müssen wir überlegen und feststellen, welche Konsequenzen es daraus zu ziehen gibt.Zunächst möchte ich feststellen, daß der von den Verhandlungsführern der SPD gesuchte Kompromiß für das Offenhalten der Option, also der Bau des Musterreaktors, am Präsidium der SPD gescheitert ist. Die Hardliner, diejenigen, die sich im Besitz der allgemeinen Erkenntnis wähnen, der ideologische Teil hat sich durchgesetzt.
Ich darf in diesem Zusammenhang den IG-ChemieVorsitzenden und SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Rappe zitieren, der gestern erklärt hat:Da haben sich leider einige linke Ideologen durchgesetzt. Das ist unerträglich.
Herr Rappe sagt weiter:
Auch das jüngste Votum des SPD-Präsidiums ist falsch, weil ein Industrieland wie die Bundesrepublik es sich gar nicht leisten kann, auszuscheren und sich von Forschung und Technologie zu verabschieden.Ich glaube, dem ist wenig hinzuzufügen.
Die Bundesregierung und die Koalition müssen jetzt eine Reihe von wichtigen Entscheidungen allein voranbringen.Aber zunächst zurück zu den Gefahren der Entscheidung des SPD-Präsidiums. Das ist, wie ich meine, eine Entscheidung gegen den Standort Deutschland, eine Entscheidung, die Arbeitsplätze gefährdet, die die Gefahr birgt, daß Deutschland aus einer weiteren Technologie aussteigen muß, in der wir führend sind und in der wir die Sicherheitsstandards bestimmen.Kein Mensch, der einigermaßen nüchtern an diese Dinge herangeht, kann glauben, daß die Länder dieser Welt aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie aussteigen werden. Das Gegenteil ist der Fall, schon deshalb, weil wir es uns nicht leisten können, durch die Verbrennung von fossilen Stoffen die Welt mit CO2 zu verpesten. Wie wollen wir eine wachsende Erdbevölkerung, die auf zehn Milliarden zugeht, menschenwürdig leben und mit Energie versorgen lassen, wenn wir primär auf die Verbrennung fossiler Energien setzen?Ich weiß sehr wohl, daß regenerative Energien, z. B. Photovoltaik, Wind und andere Energiegewinnungsmöglichkeiten, einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung leisten können, insbesondere in den südlichen Ländern, was die Photovoltaik angeht. Aber jeder, der etwas davon versteht, weiß, daß dies zwar ein immens wachsender Anteil sein kann, aber niemals ein Anteil, der ein menschenwürdiges Leben für die vielen Menschen auf dieser Erde sicherstellt.Wir brauchen die Kernenergie mehr und mehr. Das wird in anderen Ländern immer deutlicher gesehen. Die anderen Länder steigen nicht aus, und da entsteht dann das Problem. Ich will hier keine Kernenergiedebatte anfangen, sondern will nur sagen: Die Konse-
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtquenzen werden sein, daß die anderen in Zukunft die Reaktoren bauen und daß die anderen die Sicherheitsstandards setzen werden. Es sind dann vielleicht andere, als wir gesetzt hätten. Es werden die anderen sein, die in diesen Bereichen qualifizierte Arbeitsplätze schaffen.
Das Ganze ist auch ein technologiepolitisches Debakel, weil die Gefahr besteht — ich will nicht zu sehr schwarzmalen, aber ich muß das deutlich sagen —, daß wir, nachdem wir aus prinzipiell ähnlichen Überlegungen in die Gentechnologie erst gar nicht eingestiegen sind, nun aus einer weiteren Spitzentechnologie in diesem Lande aussteigen müssen — und das Ganze unter der von der SPD gehißten Fahne der technologieorientierten Industriepolitik.
Meine Damen und Herren, Sie können sich nicht — wie vorige Woche geschehen — hier hinstellen und die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen fordern und in dieser Woche eine Entscheidung dieser Art treffen. Das ist unmöglich!
Sie können nicht die technologischen Lücken und Schwierigkeiten in Deutschland beklagen und nächste Woche zum Gentechnologiegesetz den Vermittlungsausschuß anrufen. Das heißt, Sie können es schon, aber die Leute werden daraus ihre Schlüsse ziehen. Dessen bin ich ganz gewiß.
— Dessen bin ich auch sicher. Das werden sie; völlig richtig.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird nun die notwendigen Entscheidungen — leider — allein voranbringen müssen. Wir bleiben bei dem Ziel eines sinnvollen Energiemix, also Kohle, Öl, Gas, regenerative Energien und Kernenergie. Wir werden in diesem Zusammenhang die Verbindung zwischen Kohle und Kernenergie nicht auflösen. Beides gehört zusammen, wie wir das im übrigen auch beim Konsens erörtert und gesehen haben.Weil beides zusammengehört und so gesehen wurde, werden wir ein Artikelgesetz einbringen, in dem wir u. a. die Standards für die neue Generation von Kraftwerken festlegen werden. Wir werden in diesem Artikelgesetz die Kohlefinanzierung sicherstellen. Dies bleibt so, weil damit gewährleistet werden kann, daß Energiepolitik Standortpolitik ist und nicht, losgelöst vom Ganzen, auf Einzelentscheidungen konzentriert wird. Wir brauchen diesen Kontext, um eine Energiepolitik zu machen, die die Kostenkrise unserer Unternehmen entschärft.Wir wollen die Fehlentscheidungen des SPD-Präsidiums nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer und schon gar nicht auf dem Rücken der Bergarbeiter ausgetragen wissen.
Deshalb bleiben wir dabei, daß wir ab 1997 für die Kohle zunächst 7 Milliarden DM zur Verfügung stellen. Wir werden das Finanzierungssystem entwerfen und darüber in Kürze entscheiden; es wird Bestandteil des Artikelgesetzes sein.Meine Damen und Herren, wir brauchen weiterhin ein klares Bekenntnis zur Braunkohle. Braunkohle muß in diesem Energiemix eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere brauchen wir eine gesicherte Perspektive für die ostdeutsche Braunkohle.
Ich möchte daher die EVUs auffordern, aber auch die Länder und die Gemeinden, dafür Sorge zu tragen. Sie haben den Haupteinfluß, daß die Braunkohle, beispielsweise durch die Verstromung, eine gesicherte Perspektive haben kann. Ich fordere sie auf, sich kooperativ zu verhalten. Der Bund wird seinen Teil dazutun. Er wird bis 1997 — das ist bekannt —1,5 Milliarden DM zur Beseitigung von Altlasten zur Verfügung stellen. Es wird mit Sicherheit auch Regelungen geben, die über das Jahr 1997 hinausreichen.Meine Damen und Herren, wir werden auch bei der Förderung von Energieeinsparung und regenerativen Energien unsere Bemühungen verstärken, sicherlich nach Maßgabe der finanziellen Spielräume, weil wir in diesen Maßnahmen eine wichtige Ergänzung, einen wichtigen Bestandteil des gesamten Energiemixes sehen. Wir wollen alles tun, um Schaden von der Energiewirtschaft und Schaden von der Industrie zu wenden. Wir wollen alles tun, damit in wichtigen Bereichen unserer Wirtschaft sichere Arbeitsplätze erhalten bleiben und in technologisch anspruchsvollen Bereichen unserer Wirtschaft neue Arbeitsplätze entstehen.
Wir möchten auch die Gespräche nicht abbrechen. Die Energiekonsensgespräche in der bisherigen Form können wir zwar nicht weiterführen. Aber ich bin sicher, über kurz oder lang wird sich bei der großen Oppositionspartei etwas bewegen. Wenn sich etwas bewegt, dann sind Sie herzlich eingeladen, dann stehen wir zur Verfügung, diese Energiekonsensgespräche wieder aufzunehmen. Zwischenzeitlich wollen und müssen wir mit den Ländern, mit den gesellschaftlichen Gruppen, mit den Parteien, auch mit der SPD, sprechen. Ich sage noch einmal, ich würde mich freuen, wenn das Ganze wieder in ein Konsensgespräch einmünden könnte.Wir werden alles tun, um die Konsequenzen Ihrer Fehlentscheidung abzuwenden — im Interesse der Arbeitnehmer, im Interesse der Industrie und im Interesse des Technologiestandortes Deutschland. Bitte ändern Sie Ihre Meinung! Helfen Sie uns, daß wir zu diesem sinnvollen Energiemix im Interesse der Menschen dieses Landes so bald wie möglich kommen können.
Ich erteile nunmehr in der Debatte des Bundestages zur Energiepolitik dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Gerhard Schröder, das Wort.
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16132 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rexrodt, mein Eindruck ist, daß Sie den Sinn oder das, was Sie Hauptfrage der Energiegespräche nennen, entweder nicht gekannt oder nicht verstanden haben — oder beides. Ich weiß das nämlich deshalb ziemlich genau, weil ich diese Gespräche initiiert habe.
Deswegen ist es vielleicht ganz interessant, daß die Öffentlichkeit einmal erfährt, warum sie denn initiiert worden sind. Wir haben uns in Hannover, Vertreter der Energiewirtschaft, Vertreter der Gewerkschaften, aus einem ganz bestimmten Grund getroffen, der in der Tat mit dem Standort Deutschland zu tun hat.
Es war nämlich zu beklagen, daß am Standort Deutschland Investitionen in Energieproduktion nicht mehr stattfanden. Das hat etwas zu tun, Herr Rexrodt, mit Ihrer und Ihrer Regierung Unfähigkeit, die Bedingungen dafür herzustellen. Wenn es Energieproduktion gegeben und die Produktion von Energie in Deutschland Perspektiven gehabt hätte, dann hätte man die Gespräche doch gar nicht führen müssen. Aber dem war nicht so. Und warum war dem nicht so? — Weil Sie ausschließlich und allein auf die Kernenergie fixiert sind. Das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren.
Wer sich die Erklärungen derer, die für Energieproduktion zu sorgen haben, einmal sorgfältig anschaut — Veba, das RWE und andere —, der wird finden, daß die von Anfang an gesagt haben: Dies sind so gewaltige, so langfristig notwendige Investitionen, daß wir diese Investitionen in Kernenergie nicht machen werden, es sei denn, das gesellschaftliche und politische Bewußtsein, daß gegen die Kernenergie gerichtet ist, ändert sich.
Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, lassen Sie mich das im Zusammenhang ausführen.
Das ist Ihr gutes Recht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wollte ich auch in Anspruch nehmen. — Das heißt, die Industrie, um die es geht, die die Investitionen machen muß — diejenigen, die mit uns geredet haben, wissen das haargenau —, ist überhaupt nicht bereit, in Kernenergie zu investieren. Das war der Ausgangspunkt, meine Damen und Herren.
— Nun bleiben Sie doch mal ruhig! Das scheint hier unüblich zu sein.
Deswegen entstand die Frage, meine Damen und Herren — und die hat in der Tat mit Standort zu tun —: Wenn es so ist, daß in Kernenergie nicht investiert wird, warum ist dann — weder in Bayern noch sonstwo ist das geschehen — kein Antrag auf den Bau eines Kernkraftwerkes gestellt worden? Wenn das denn notwendig wäre, warum tun Sie es denn nicht? Auf dem Boden des Atomgesetzes ist es möglich. Das weiß doch jeder von Ihnen. Weil es aber so ist, daß keiner bauen will, weil das gesellschaftliche Bewußtsein so ist, wie dargestellt, entstand die Frage: Wenn nicht in dieser Energieform, in welcher wollen wir denn dann Energieproduktion am Standort Deutschland haben? Das heißt, in welche Form von Energie soll investiert werden?Das zweite in den Gesprächen war: Es ist in dem ersten Zusammentreffen gefragt worden: Gibt es eine Möglichkeit, Kernenergie wegen der damit verbundenen Gefahren zu überwinden? Und wenn ja, in welchen Zeiträumen und unter welchen Bedingungen? — Mir ist wichtig, meine Damen und Herren, daß diejenigen, die die Gespräche initiiert haben, von dieser Fragestellung und von keiner anderen ausgegangen sind. Das ist aufgeschrieben und beweisbar. —Die Hauptfrage war also, in welchen Zeiträumen und unter welchen Bedingungen man aus der Kernenergie aussteigen kann und in welche Form von Energieproduktion man dann hineingehen muß.
— Das hätte nicht nur uns so gepaßt, sondern meinen Gesprächspartnern auch. —
Es war also parallel das Ausstiegsziel auf der einen und die Entwicklung neuer, nicht auf Kernenergie gestützter Energieversorgungsstrukturen auf der anderen Seite zu diskutieren. Das war die Frage, die behandelt werden sollte. — Sie schütteln den Kopf. Sie waren doch gar nicht dabei, als diese Frage zwischen den Gesprächspartnern aufgetaucht ist.
— Sie können es mir schon glauben; denn die Gespräche haben in meinem Gästehaus in Hannover stattgefunden. Da waren Sie nicht zugegen, auch wenn Sie noch so laut schreien. — Es ging also um die Fragestellung: In welchen Zeiträumen kann man Kernenergie überwinden, und was muß an deren Stelle treten?Wir haben versucht, das zu klären, also festzulegen, auf welcher Basis Energieversorgung künftig gemacht werden soll. Wir haben z. B. zu klären versucht, was die Voraussetzung dafür ist, daß Energiesparen nicht nur ein Begriff bleibt, sondern zu gesellschaftlicher, politischer Wirklichkeit wird. Das geschah vor dem Hintergrund der Tatsache, daß der Bundeswirtschaftsminister zwar immer von Programmen, die er auflegen würde — vielleicht jedenfalls —, geredet hat, aber auf diesem Sektor nichts — jedenfalls nichts Nennenswertes — geschehen ist, solange Ihre Regie-
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Ministerpräsident Gerhard Schröder
rung existiert. Das ist doch Ihr Versäumnis, meine Damen und Herren, das hier zu beklagen ist.
Außer einer blumigen Ankündigung, daß man auch für Energiesparen sei, ist vom Bundeswirtschaftsminister und anderen nichts gesagt worden. Von den notwendigen Ressourcen, die aufgebracht werden müßten, wenn man wirklich in Energiesparen einsteigen will, war nicht die Rede. Das kostet nämlich Geld. Sie wissen das auch, sind aber nicht bereit, zu sagen, daß das so ist und wie und in welchem Zusammenhang Sie die Mittel aufbringen wollen.
Das ist Ihr Problem. Wenn das Ihr Problem bleibt, dann sollten Sie nicht über Standort reden. Natürlich ist es so, daß bei Investitionen in Energiesparen sehr viel für die Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland abfiele. Ihr Problem ist aber, daß Sie auf Kernenergietechnologie fixiert sind
und diese Fixierung als einen Beitrag zur Verbesserung des Standorts Deutschland ausgeben. Das ist ganz falsch, meine Damen und Herren.
Der zweite Punkt, der zu klären war, betraf die Frage: Wie finanzieren wir die Kohle, die Braunkohle auf der einen und die Steinkohle auf der anderen Seite? Darüber haben wir die ganze Zeit wenig gehört. Sie haben — im Gegenteil — versucht, den Beitrag, den deutsche Steinkohle zur Energieversorgung leisten könnte, insoweit immer kleiner zu machen, als Sie sich monatelang geweigert haben, vernünftige Finanzierungskonzepte für Steinkohle über 1996, für Braunkohle über 1997 hinaus auch nur in Umrissen vorzulegen.Auch jetzt habe ich dazu nichts gehört. Die Öffentlichkeit hat eine Energiedebatte wahrgenommen, und die einzige Information, die Sie geben, ist, zu sagen, Sie machten ein Artikelgesetz. Wir wären doch schon einmal sehr gespannt, was das für ein Gesetz ist. Es wäre auch vernünftig gewesen, in dieser großen Debatte darzulegen, wie Sie die Finanzierung regeln wollen? Wie stellen Sie sich die Anschlußlösung ab 1996 vor? Um welche Mengen soll es dabei gehen? Für welche Zeiträume wollen Sie die Mengen und die entsprechenden Finanzmittel garantieren? — Aber es gibt kein Wort des dafür an sich zuständigen Bundeswirtschaftsministers darüber. Energiepolitische Konzepte sind bei Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister — im übrigen war dies auch bei den Gesprächen so —, Fehlanzeige.
Der dritte Punkt, der zu klären war, behandelte die Frage: Welche Rolle sollen regenerierbare Energieträger in der Zukunft spielen? — Es ist ganz interessant, zu hören — ich entnehme das der Presse, ich kann ja nur gelegentlich hier sein —, daß Sie diskutieren, die Forschungsförderung für diesen Bereich zurückzunehmen.
— Dann hat die Presse das falsch berichtet; das kann ja sein, meine Damen und Herren. Aber es ist so berichtet worden. Wenn dem nicht so ist — um so besser. Dann erklären Sie doch bitte, was es zu bedeuten hat, daß Sie auf der einen Seite die Förderung der Forschung für diesen Bereich zurücknehmen wollen
und auf der anderen Seite hier Reden halten, daß man den Beitrag, den regenerierbare Energieträger leisten können, natürlich äußerst begrüße. Begrüßen mag ja sein. Nur: Sie müssen etwas dafür tun, meine Damen und Herren,
und da ist Fehlanzeige.
Das waren die Fragen, die zu klären waren. Also: Was sind die Bedingungen für einen Ausstieg, und wie sieht die neue Energieversorgungsstruktur aus?Meine Damen und Herren, das sind Fragen, die immer noch zu klären wären, deren Klärung Sie sich aber verweigert haben, weil Sie die Hauptfrage, um die es ging: „Wie sieht eine vernünftige Energieversorgungsstruktur der Zukunft ohne Kernenergie aus?", einfach in die angebliche Hauptfrage, um die es aber gar nicht ging, umdefiniert haben: „Wie schaffen wir der Kernenergie wieder eine Zukunft?"
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, auch bei Ihnen, in allem Respekt: Ich wollte es einmal im Zusammenhang darstellen, wenn Sie mir das gestatten.
— Galt dieses Buhen jetzt mir oder schon wieder Ihrer Präsidentin?
Ich wollte deutlich machen, daß Sie hier den Versuch unternehmen, die Frage, um die es in den Kernenergiekonsensgesprächen ging, einfach umzudefinieren.
Dieser Versuch wird aber mißlingen, weil Sie an derInitiierung dieser Gespräche überhaupt nicht beteiligt
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waren — andere schon — und weil wir deswegen die Historie kennen und Sie nicht. Das ist das Problem.
Dann war ein zweiter Bereich zu klären — und ist immer noch klärenswert —, der der Entsorgung nämlich. Wir leisten uns doch die Schwierigkeit — um es sehr zurückhaltend zu sagen, meine Damen und Herren —,
daß wir nach Ihrer Auffassung weiter in der Kernenergie bleiben, daß gleichzeitig aber das Problem der Entsorgung nach wie vor völlig ungelöst ist.
Deswegen wäre es doch höchst vernünftig gewesen, die Fragen der Entsorgung wirklich zu besprechen und einer Lösung zuzuführen.
— Nein, nein, das haben wir halt nicht gemacht. Sie waren in den Gesprächen ja auch nicht zugegen, Herr Schäuble, endlich einmal nicht.Ich will Ihnen gern sagen, wo der Zusammenhang war. Warum ist denn die Idee geboren worden zu sagen: In welchen Zeiträumen müssen wir aus der Kernenergie raus? Das hat etwas mit der spezifischen Gefährlichkeit dieser Form der Energieproduktion zu tun, das hat aber auch mit der nicht gelösten Entsorgungsfrage zu tun. Wer Entsorgung verantwortlich machen will, der muß wissen, um welche Mengen es dabei geht — und um welche Stoffe im einzelnen natürlich auch.
Hier beginnt der sachliche Zusammenhang zwischen geordnetem Auslaufen des Abenteuers Kernenergie auf der einen Seite und vernünftiger Bereitschaft, an der Entsorgung mitzuwirken, andererseits. Sie haben immer noch nicht realisiert, meine Damen und Herren von der Koalition, daß ein „Weiter so!" auch deshalb nicht geht, weil Sie immer mehr atomaren Müll produzieren, von dem Sie bis heute nicht wissen, wo er endgültig verbleibt.
Diese Frage zu diskutieren wäre sehr interessant gewesen. Sie haben sich ihr verweigert.
Dann gab es das dritte Problem. Herr Faltlhauser und andere haben gesagt: Wir wollen aber
eine Option für die Kernenergie behalten. Das ist in den Debatten so gewesen. Herr Faltlhauser und andere, die beteiligt waren, wissen, daß wir diese Option nicht wollten. Sonst wäre es ja gar nicht zu diesem Streit gekommen.
Dann haben wir folgendes miteinander beraten: ob es einen Weg geben könne, Forschung und Entwicklung für eine neue Generation von Reaktoren zuzulassen, darüber aber nicht heute zu entscheiden, weil sich ja die prinzipiellen Befürworter einerseits und die prinzipiellen Gegner andererseits gegenüberstanden. In der Tat habe ich — das habe ich einzuräumen, und das tue ich gar nicht ungern — gesagt: Dann laßt uns eine solche Option entwickeln, schauen, ob die Industrie — wofür zur Zeit nichts spricht — jenen abstrakt diskutierten Sicherheitskriterien je genügen kann, laßt uns dann aber, bevor ein solcher Reaktor in Serie geht, es also zu einem kommerziellen Wiedereinstieg in eine neue Generation kommt, ein politisches Quorum vereinbaren, das erfüllt sein muß, wenn es einen Wiedereinstieg geben soll.
Das war, meine Damen und Herren, jene Zweidrittelmehrheit in diesem Hohen Hause und im Bundesrat.Es wäre — für mich jedenfalls — sehr interessant gewesen, herauszubekommen — das kann man immer noch machen —, ob sich Ihre Seite auf ein solches Quorum eingelassen hätte. Sie könnten mir das ja einmal sagen.Ich verstehe indessen, daß Sie es nicht tun werden und nicht tun wollen, weil — was ich in der Tat für einen Fehler halte — das Präsidium meiner Partei gesagt hat: Mit dieser Option können und wollen wir nicht leben; es bleibt bei den drei anderen Themen.Das ist in der Tat so gewesen, das habe ich hinzunehmen, und damit habe ich politisch umzugehen; denn ich habe dort nicht als Individuum, sondern für meine Partei verhandelt.
— Für wen auch immer. Eine Partei besteht aus mehr als einer Person.
Ich glaube, daß man das hätte verantworten können und daß die Option dann bedeutet hätte, daß vor einer kommerziellen Nutzung weiterer Kernkraftwerke eine Zweidrittelentscheidung des Deutschen Bundes-
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voll realisiert worden wäre, daß aber der kommerzielle Neubau grundgesetzlich verboten gewesen wäre und diese Sperre nur mit Zweidrittelmehrheit in Parlament und Bundesrat hätte aufgehoben werden können.
Meine Damen und Herren, das waren die Elemente dessen, was wir erreichen wollten. Es scheint so, als sei dies nicht erreichbar. Ich bin natürlich kein Prophet, will aber darauf hinweisen, daß sich die Situation, was Energieinvestitionen in Deutschland angeht, durch die Nichteinigung keinen Deut verändert hat. Deshalb gehe ich davon aus, daß wir über kurz oder lang — weil es Kernenergieinvestionen nicht geben wird — vor der gleichen Ausgangsposition stehen. Dann reden wir über Energiepolitik in Deutschland, die Sie bisher nicht gemacht haben. Sie hätten in diesen Bereichen viel tun können, was Sie aber unterlassen haben.
Insofern, denke ich, wird es eine Situation geben, in der man über ein solch rationales Konzept erneut reden muß. Nach meiner Überzeugung wird diese Situation eintreten, wenn Sie — was viele wünschen, Sie natürlich nicht, was aber eintreffen wird — ab 1994 nicht mehr an der Regierung sind.
Als nächster spricht der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat seine Rede mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Energiekonsensgespräche begonnen.Es ist richtig: Da gab es also die Herrenrunde in Hannover;
daran waren die Vertreter der Industrie und der Gewerkschaften beteiligt. Am Ende stehen wir vor dem Scheitern der Energiegespräche, weil auch hier die SPD aussteigt. Exakt die beiden, Herr Kollege Schröder, die Sie in diese Situation gebracht haben, geben Ihnen das Zeugnis. Das, was der Kollege Rappe gesagt hat, hat Herr Rexrodt schon zitiert. Das, was die Industrie gesagt hat, hat Ihnen Herr Hartmann, jetzt Vorstandsvorsitzender von VEBA, geschrieben: Zu-viel Angst vor der Courage! Das ist das Ergebnis Ihrer Bemühungen.
Das, meine Damen und Herren, sind Ihre beiden Ausgangspunkte gewesen: Der eine sagt: Die Ideologen haben sich durchgesetzt! Der andere sagt: Zuviel Angst vor der Courage!
Dies, meine ich, ist etwas, über das man hinweggehen könnte, wenn es nicht für den Standort Deutschland unglaubliche Konsequenzen hätte. Deswegen muß dies hier in aller Deutlichkeit diskutiert und in den Konsequenzen verhindert werden. Das ist unsere Position.
— Darauf komme ich gleich zurück.Wenn wir uns ansehen, wie die Gespräche gelaufen sind, wird die Sache noch interessanter. Deswegen möchte ich das ganz gerne aufgreifen. Es sind viele in die Gespräche hineingegangen, die gesagt haben: Wir können sie ruhig beginnen; sie werden zu keinem Ergebnis führen können; die Positionen sind zu weit auseinander. Sie können sich die Diskussionen in den Medien noch gut in Erinnerung rufen. Dann ist etwas passiert, was der eine oder andere vielleicht gar nicht erwartet hatte: Es wurde auf einmal sachlich diskutiert.
Je tiefer man in die Sache einstieg, desto mehr merkte man: Es gibt ja wirklich Gemeinsamkeiten; da kann man ja etwas zusammen machen. Als das der Kollege Fischer merkte, ist er ausgestiegen.
Das war genau der Moment, in dem die GRÜNEN diese Gespräche verlassen haben.
Das war programmiert!
— Selbstverständlich. Herr Fischer sagt mir gerade, es sei ein anständiger Zug von ihm; insofern ist es auch anständig von ihm, daß er es hier noch einmal bestätigt.Er ist nämlich mit dem Hinweis herausgegangen, er wolle den Faden gerade reißen lassen. Richtigerweise ist die SPD drin geblieben, weil sie den Faden nicht reißen lassen wollte. Die Frage nach der Option ist also von uns in diesen Energiekonsensgesprächen nicht nachgeschoben worden, sondern von allem Anfang an Kern der Diskussion gewesen.
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Bundesminister Dr. Klaus TöpferHerr Kollege Schröder, wir sind uns doch auf so vielen Gebieten in der Kernenergiediskussion sehr viel näher gekommen, z. B. in der Frage der Entsorgung. Nebenbei möchte ich sagen: Es ist nicht immer überzeugend, wenn man als Begründung für die Nichtmöglichkeit der Kernenergie genau die Dinge anführt, die man durch eigenes Tun verhindert. Das ist natürlich auch ein Punkt.
Ich habe geglaubt, wir wären über dieses Problem ein Stück hinweggekommen. Es steht in dem Papier von Herrn Rappe, wir können Schacht Konrad streitfrei stellen. Wenn wir das erreichten, kämen wir in bezug auf sehr viele Fragen der Entsorgung ein ganz wesentliches Stück weiter. Das steht im Rappe-Papier. Das haben Sie aufgegriffen, und wir haben es mitgetragen. Wohlgemerkt, das Genehmigungsverfahren muß in aller Ordnung durchgeführt werden. Politische Entscheidungen ersetzen nicht die sachliche Überprüfung der Genehmigungsfähigkeit.
— Ich komme jetzt auf Gorleben.Hierbei haben wir uns ein gutes Stück aufeinander zubewegt. Sie haben die Position vertreten, Gorleben sei zu streichen. Wir haben gesagt: Gorleben muß weiter untersucht werden. Herausgekommen ist ein gutes Ergebnis. Wir haben gesagt, wir streichen Gorleben nicht. Wir haben durch die Einigung auf eine mögliche direkte Endlagerung mehr Zeit bekommen und können uns Gorleben offenhalten, so daß wir im Jahre 2005 zwischen Gorleben und anderen Standorten entscheiden können. Ich frage Sie: Warum gehen Sie denn von dieser Position weg?
Das ist doch eine vernünftige Verfahrensweise.Ich möchte es noch einmal sagen: Je näher wir an einen Konsens herankamen, um so mehr gab es diejenigen in der SPD, die nach einer Reißleine gesucht haben, mit deren Hilfe sie endlich aus diesen Energiekonsensgesprächen aussteigen konnten. Das ist doch der Punkt.
Herr Kollege Schröder, noch einmal: Das sage ich doch nicht mit Freude in der Stimme. Denn in dem Papier, das Sie beschlossen haben, gibt es sogar den Hinweis, unsere Industrie habe die Zusammenarbeit bei der Erhöhung der Reaktorsicherheit in Mittel-und Osteuropa bitte sofort zu beenden.
Das geht für mich schon in eine Kategorie hinein, bei der ich mich fragen muß: Kann uns so etwas denn wirklich trennen, wenn es darum geht, daß wir dort, wo wir gegenwärtig Änderungen in der grundsätzlichen Energieversorgung nicht erreichen können, wenigstens das Beste tun, um mit deutscher Sicherheitstechnik die Sicherheit zumindest relativ zu verbessern?
Dies ist doch unsere gemeinsame Position. Lassen Sie uns doch nicht in eine Situation hineinkommen, in der wir — das haben Sie ja mehrmals gesagt — wieder parteipolitische Auseinandersetzungen führen. Das wäre auch im Hinblick auf die Diskussion, die wir geführt haben, der völlig falsche Ansatzpunkt. So kommen wir doch nicht weiter.Herr Kollege Rexrodt hat doch zu Recht gesagt: Wir wollen uns das Instrument Kernenergie zumindest erhalten. Es war doch gar nicht so schlecht, mit Parteivertretern und danach mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zu sprechen, so daß es einen Rückkoppelungsprozeß gibt und man sich näherkommt.Als es dann sogar gelang, andere Probleme dieses Energiekonsenses erkennbar zu lösen, wurde die Situation für andere offenbar noch problematischer. Es ist ein hervorragender Beschluß dieser Koalition, sich in der Kohlefinanzierung auf einen Plafond von 7 Millarden DM zu einigen und damit nicht nur Kohleförderung, sondern auch Regionalpolitik und unternehmerische Konzeption in der Kohleindustrie zu ermöglichen. Das ist eine gute Sache.
Ich bin der festen Überzeugung, daß alle, die sich ernsthaft mit der Kohlefinanzierung beschäftigen, dies in Ordnung finden. Sie haben es doch auch so Ihrem Präsidium mit vorgelegt. Sie haben es sogar mit einer degressiven Komponente vorgelegt, über die wir an vielen Stellen geredet haben. Ich bin froh, daß wir eine Vorlage ohne die degressive Komponente beschlossen haben, damit in den Revieren Sicherheit besteht und auf Dauer, bis zum Jahr 2000, 7 Milliarden DM gezahlt werden können. Sie haben es doch vorgelegt; dann tun Sie hier doch bitte nicht so, als hätten wir über die ganzen Dinge nicht gesprochen.
Ich möchte schon ganz klar fixiert haben, daß wir eine solche Entwicklung bis knapp an eine Einigung heran geschafft haben.Bei der Reaktorsicherheit in Mittel- und Osteuropa müssen wir bedenken, daß wir dort zunehmend kritisch betrachtet werden, weil unsere Sicherheitsanforderungen ein Stück weiter reichen als die, die andere anbieten, und deswegen unsere Sicherheitstechnologie möglicherweise etwas teurer ist als andere. Wir wollen gerade die besten Sicherheitstechnologien bei unseren Nachbarn durchgesetzt sehen, weil deren Sicherheit auch unsere Sicherheit ist und weil wir das bei einer Technologie, die von anderen verantwortlich zu nutzen ist, nicht voneinander trennen können.
Nein, meine Damen und Herren, dies ist ein herber Rückschlag, der an vielen Stellen die Besorgnis mit sich bringt, daß damit doch sehr viel vordergründige Moral verbunden ist. Herr Kollege Schröder, Sie haben uns in der letzten Sitzung — Sie werden erwarten, daß ich darauf zurückkomme — einen guten Hinweis gegeben. Sie haben dem dort anwesenden Kollegen Schäfer aus Baden-Württemberg gesagt, er könne sich vielleicht daran erinnern, daß demnächst
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Bundesminister Dr. Klaus Töpferinsgesamt 900 Megawatt Kernenergiestrom aus der Schweiz und aus Frankreich, nämlich aus Fessenheim und Cattenom, nach Baden-Württemberg geliefert werden. Ich habe das nicht zu kritisieren; ich habe nur festzuhalten, daß Sie das dem Kollegen Schäfer deutlich gemacht haben, und zwar mit dem Hinweis:
Wie können wir es denn richtig machen, wenn wir bei uns aussteigen und gleichzeitig aus den Kernkraftwerken unserer Nachbarn Strom beziehen müssen? Dies ist eben die vordergründige Moralität.
Ich bin schon der Meinung: Wenn wir diese Technik brauchen, dann sollten wir sie auch bei uns verantworten, mit unseren Sicherheitsanforderungen und mit unserer öffentlichen Diskussion darüber, statt sie von den Nachbarn zu holen, wo wir uns bestenfalls Kritik einhandeln.
Das war doch wohl sicher der Grund, warum Sie das angeführt haben.Mir wäre es doch lieber, wir hätten in BadenWürttemberg ein Kernkraftwerk, das diese 900 Megawatt erzeugt, als wenn wir sie bei unseren Nachbarn kaufen, ohne daß ich damit eine Kritik an den franzöischen Kernkraftwerken verbinden möchte. Dann lieber besser bei uns!Das betrifft auch andere Fragen. Herr Kollege Fischer sitzt hier. Meine Damen und Herren, wir sind uns einig darüber, daß wir aus den Altverträgen der Wiederaufarbeitung auf jeden Fall noch 40 Tonnen Plutonium verarbeiten müssen. Wir sind uns einig darüber, daß wir das in MOX-Brennelementen tun sollten. Das ist nämlich die beste Art der Degenerierung und Denaturierung von Plutonium. Aber wenn wir uns darüber einig sind, sollten wir uns genauso darüber einig sein, daß wir diese MOX-Brennelemente in Deutschland fertigen, und sollten diese Verantwortung nicht wiederum auf andere abwälzen. Lassen Sie uns dies in der zu 90 % fertigen Anlage in Hanau tun und nicht irgendwo in Frankreich.
Ich freue mich schon auf die Antwort, die der Kollege Fischer dazu geben wird.
— Der Begriff der Freude ist breit, das ist wahr.
— Die Entsorgung hatte ich vorhin versucht anzusprechen, aber ich kann es Ihnen zuliebe gerne noch einmal wiederholen.
Ich habe Ihnen gesagt, daß unsere Positionen, die des Kollegen Schröder und unsere, ganz nah beieinanderliegen. Herr Kollege Schröder hat gesagt: Ja, auch wir stimmen dem Schacht Konrad zu. Das ist die Entsorgung von schwach- bis mittelradioaktiven Abfallstoffen — das will ich nur der Vollständigkeit halber ergänzen —, und das sind etwa 90 % der Menge aller Abfallstoffe, die wir haben.Schacht Konrad ist eine reale Einrichtung, bei der ein Genehmigungsverfahren vor dem Abschluß steht. Darin sind wir uns bei der Entsorgung einig. Wir haben gleichzeitig gesagt, daß wir die direkte Endlagerung zulassen wollen und deswegen mehr Zeit haben. Wir haben uns eigentlich auch darauf geeinigt, daß wir alternative Standorte erkunden und daß wir im Jahre 2005 einschließlich Gorleben entscheiden, wo wir es machen wollen. Das war die Antwort. Sie ist auch nachlesbar. Wir haben es gleichzeitig beim Plutonium gemacht, wie ich Ihnen dargestellt habe.Zusammengefaßt: Wir waren im gesamten Kernenergiebereich bis einschließlich der Option auf einen Reaktor, dessen Kriterien wir mit Fachleuten erörtert haben, entscheidungsfähig, und dann ist in letzter Minute die Reißleine des Ausstiegs aus diesen Gesprächen gesucht worden. Das ist das, was zu bedauern ist.
Ein gesamter Energiekonsens ist also möglich. Er ist unter Einschluß der deutschen Steinkohle in einer Form möglich, die diesem Energieträger auch als Technologieträger eine gute Zukunft ermöglicht. Mir liegt sehr daran, daß wir darüber gesprochen haben, daß wir Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgraden bei uns zu entwickeln haben. Denn weltweit wird die Kohle einen bedeutsamen Beitrag zur Energieversorgung leisten, und deswegen muß sich der Technologiestandort Deutschland zwar nicht aus der Kernenergie verabschieden, aber auch einen Beitrag dazu leisten, daß die besten und modernsten Kohlekraftwerktechnologien bei uns entwickelt und exportiert werden können.
Das ist doch genauso wichtig. Deswegen haben wir über Wirkungsgrade diskutiert und uns gefragt, ob man das ordnungsrechtlich oder durch marktwirtschaftliche Anreize erreichen kann. Alles das sind doch sinnvolle Verfahrensweisen. Ja, ich will den Steinkohlestandort Deutschland erhalten. Ich möchte ihn als ein Rückgrat für die Energieversorgung, aber auch als einen technologischen Entwicklungsträger erhalten. Das ist doch richtig.Das gilt auch für die deutsche Braunkohle, besonders für die Braunkohle in Ostdeutschland. Ich möchte darauf hinweisen, daß das EVU, das sich in besonderer Weise mit der Kernenergie beschäftigt, nämlich das Bayernwerk, das Unternehmen ist, das ein Braunkohlekraftwerk in Lippendorf baut und damit auch Braunkohle in Ostdeutschland sichert. Wir brauchen die Braunkohlekraftwerke. Wir haben schon einmal darüber gesprochen. Auch das war Gegenstand dieser Erörterungen.
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16138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Bundesminister Dr. Klaus TöpferGleiches gilt für die erneuerbaren Energien und das Energiesparen. Auch da waren wir uns einig, daß gegenwärtig große Finanzmittel nicht vorhanden sind, um erneuerbare Energien zusätzlich zu fördern, daß dies aber nicht ausschließt, daß wir sobald wie möglich auch in diese Förderung hineinwachsen, um erneuerbare Energien zu bekommen.Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Selten waren wir in der Bundesrepublik Deutschland so weit, daß wir zu einer rationalen gemeinsamen Energiepolitik zurückfinden konnten. Es ist eine Energiepolitik, die für die Sicherheit in Deutschland und in Europa, die für die Wirtschaftlichkeit des Standorts Deutschland und die damit für viele soziale Fragen von außerordentlicher Bedeutung ist.Sie alle, die Sie an den Energiekonsensgesprächen mitgewirkt haben, haben das Schreiben des Betriebsrätekongresses 1986 bekommen. Die Betriebsräte, die alle Mitglieder von Gewerkschaften sind, sprechen für 350 000 Arbeitnehmer. Sie sagen: Bringt endlich den Energiekonsens mit Kohle und mit Kernenergie. Das ist das, was wir wollen. Warum können wir uns darauf nicht einigen?Ja, wir wollen weiterhin den Konsens. Die Tür bleibt offen. Aber wir gehen mit der gleichen Grundüberlegung an den Konsens heran, mit der wir das letzte Mal begonnen haben. Der Münchner Philosoph Spaemann hat einmal den schönen Satz gesagt: Wenn wir uns zu leichtfertig auf das Falsche einigen, so bleibt es doch das Falsche. Wir können uns mit Ihnen nicht auf das Falsche einigen, aber wir gehen davon aus, daß Sie auch das Richtige erkennen und diese Gespräche dann fortführen können.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Als nächster spricht der Abgeordnete Bernd Henn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die anfänglich fast euphorischen Erwartungen an die Initiative von VEBA, RWE und Gerhard Schröder für einen Energiekonsens gingen bis ins realo-grüne Lager. Ich erinnere mich an eine Schlagzeile der „taz" vom 5. Dezember 1992, in der es hieß: Atomkraft jetzt Übergangsenergie. Und weiter: Der Ausstieg in Wackersdorf war nichts dagegen.
Nun ist dieser Konsens geplatzt, und das ist aus unserer Sicht gut so, weil unsere Position von einem sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgeht. Wir freuen uns über die jüngste Entwicklung — nicht, weil wir nicht auch einen Konsens in der energiewirtschaftlichen Debatte wünschten; aber ein Konzept ohne klare Ausstiegsdaten aus der Kernenergie und ohne gesicherte Endlagerung der atomaren Abfallprodukte ist für uns nicht denkbar.Dennoch, meine ich, war der Versuch, den Gerhard Schröder unternommen hat, nicht unnütz. Ich denke, es ging um nicht mehr und nicht weniger, als auszuloten, ob die Energiewirtschaft als eine der mächtigsten Industriegruppen in unserer Gesellschaft bereit ist, eine Umsteuerung der Grundlagen der Energiewirtschaft mitzumachen, wenn ihr noch eine gewisse Amortisationszeit für ihre Kernkraftwerke zugestanden wird.Der Druck auf der Straße, die Nichtakzeptanz der Kernkraftwerke in der Gesellschaft, ermöglichte ja erst die Blockade des Zubaus von Atomkraftwerken, und eine Neuausrichtung der Energiepolitik schien unausweichlich.Nun haben aber offensichtlich jene Kräfte in der Industrie und bei der Atomlobby im parlamentarischen Raum die Oberhand gewonnen, die sich eine Aufhebung dieser Blockade durch Überwindung des Widerstands gegen Atomkraft vorstellen, wie auch immer sie das bewerkstelligen wollen, mit Argumenten oder — wahrscheinlicher — mit der geballten Staatsmacht.Das Problem von Gerhard Schröder in der gegenwärtigen Auseinandersetzung scheint mir gewesen zu sein, daß er geglaubt hat, besonders listig zu sein, wenn er scheinbar einen Versuchsreaktor akzeptiert, ihn aber für ökonomisch nicht realisierbar hält. Er ist damit auf die Nase gefallen, wiewohl das Ziel, die weitere Nutzung der Kernenergie an eine verfassungsgebende Mehrheit im Deutschen Bundestag zu knüpfen, also durchzusetzen, daß die Blockadepolitik, die sich auf der Straße entwickelt hat, mit Verfassungsrang ausgestattet wird, ein lohnendes Ziel war.Das gleiche gilt für die Ausverhandlung der Restlaufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke. Tatsache ist doch: Die Nutzung von Atomenergie treibt in der Bundesrepublik nicht auf natürliche Weise einem Ende zu. Die Optionen für einen Ausbau der Kernenergie stehen trotz der Akzeptanzprobleme in der Gesellschaft weiter offen. Deshalb wäre es gut gewesen, den Sack zuzubinden. Das geht nur mit Politik.Ich bin auch nicht so optimistisch, zu glauben, daß die nächste Bundestagswahl eine Konstellation bringt, die dieses Vorhaben unbedingt leichter macht.Wenn man nun etwas hämisch formuliert, daß sich der niedersächsische Ministerpräsident zu weit vorgewagt habe, dann muß man meines Erachtens aber auch sehen, daß die dargebotene Kompromißlinie nicht ein Problem des Ministerpräsidenten aus Niedersachsen allein ist, sondern ein Problem der SPD als solcher.Da steht ein großer Teil der nordrhein-westfälischen SPD weiter hinter der Kernkraft. Da fördert der baden-württembergische Umweltminister, wenn auch vielleicht gegen seinen Willen, die nukleare Zusammenarbeit zwischen Siemens und Framatom. Da hat die Atomlobby mit den mächtigen Chefs der IG Chemie und der IG Bergbau und Energie zwei wichtige Fürsprecher, die zugleich auch noch Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind. Mit diesem Orchester soll dann Gerhard Schröder einen Ausstiegsbeschluß des SPD-Parteitages durchsetzen.Ich begreife, daß das eine außerordentlich schwere Gefechtslage ist. Wenn das SPD-Präsidium Gerhard Schröder so im Regen stehen läßt und die reine Lehre
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Bernd Henneinfordert, was ich inhaltlich natürlich begrüße, dann wird das für mich aber erst dann glaubwürdig, wenn ich höre, daß Hermann Rappe, Hans Berger und Johannes Rau, die ja nicht irgendwer in der SPD sind, öffentlich erklärt haben, daß sie diesen Beschluß voll mittragen. Ich habe das noch nicht gehört — von Hermann Rappe jedoch das Gegenteil.
Hinzu kommt: Wir hatten in den letzten Jahren in der Bundesrepublik eine ziemliche Ruhe im außerparlamentarischen Raum, was den Widerstand gegen Kernkraft angeht. Ich bin zwar äußerst optimistisch, daß sich das bei Neubauplänen, wenn sie dann irgendwo konkret würden, ganz schnell auch wieder ändern würde; dennoch ist natürlich die augenblickliche relative Ruhe schädlich für die Durchsetzung einer klaren Ausstiegslinie bei Energiekonsensverhandlungen. Daher scheint mir das oberste Gebot für die Atomkraftgegner von SPD bis PDS zu sein: Die außerparlamentarische Streitaxt muß wieder ausgegraben werden. Gutgemeinte Konsensgespräche können die außerparlamentarischen Aktivitäten nicht ersetzen.
In dem außerparlamentarischen Ringen gegen Kernkraft muß man meines Erachtens als erstes den Versuch scheitern lassen, daß das Schicksal der Kohlekumpel an die Interessen der Strom- und Atomwirtschaft geheftet wird.Natürlich hat Bundeswirtschaftsminister Rexrodt recht: Es gibt einen Kontext zwischen Kohle und Kernenergie. Das ist unbestreitbar, denn Herr Rexrodt hat diesen Kontext ja selbst hergestellt nach dem Motto: Ich erpresse dich, SPD, mit deiner Wählerschaft, damit ich für meine Klientel, sprich: Siemens, Großunternehmen der Elektrizitätswirtschaft, neue Geschäfte anbahnen kann. Das ist der einzige wirkliche Kontext, den es gibt. Ich meine, es wäre für uns alle nützlicher, wenn der Bundeswirtschaftsminister diesen Versuch der politischen Erpressung aufgeben und sich mehr auf effizientere Nutzung der Energie und auf Energieeinsparung konzentrieren würde.Bis zu 44 % der Primärenergie und etwa 100 Milliarden DM Kosten ließen sich jährlich einsparen, wenn die Energieeinsparpotentiale, wenn die Verbesserung der Wirkungsgrade bei Energieumwandlung und wenn Kraft-Wärme-Kopplung optimal genutzt würden. So jedenfalls ist es aus den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" herauszulesen. Wenn Sie, Herr Rexrodt, darüber nicht nur nachdenken — was ich Ihnen ja unterstelle —, sondern wirklich handeln würden, dann würden Sie mehr für die Modernisierung der Energiewirtschaft tun und mehr für den Industriestandort Deutschland als durch Ihr Festhalten an der Dinosaurier-Technologie Atomkraft.Die PDS/Linke Liste fordert den Einsatz der heimischen Steinkohle und der Braunkohle als Übergangsenergie, bis sich in einer ferneren Zukunft die regenerativen Energieträger durchgesetzt haben. Wir fordern die Abkehr von der Verstromung in Großkraftwerken und die schrittweise Umstellung der Energiewirtschaft auf kleinere, dezentrale Kraftwerke, die gleichzeitig den Wärmemarkt versorgen.Wir fordern zwar nicht die unbegrenzte Subventionierung der Kohle; aber solange es keine soziale Lebensperspektive für die betroffenen Bergleute und für die Bergbauregionen gibt, muß die staatliche Unterstützung und müssen vor allem gesicherte Förderquoten bleiben. So lange müssen wir auch auf Importkohle verzichten. Kohle, die unter unerträglichen Arbeitsbedingungen, unter unwürdigen Arbeitsschutzbedingungen oder gar mit Kinderarbeit gefördert wurde, hat niemals etwas in unserem Lande zu suchen. Anstatt ständig den phantasielosen Ruf nach Abbau der Subventionen ertönen zu lassen, wäre es an der Zeit, den Revieren konkretere Umstrukturierungskonzepte zu offerieren, und wäre es notwendig, Umschulungs-, Qualifizierungs- und Traineeprogramme mit konkreten Zusagen über die Einrichtung von neuen Arbeitsplätzen zu verbinden. Nur so läßt sich zukünftig die Akzeptanz für Zechenschließungen noch herstellen. Die Sozialplanpolitik ist an ihr Ende gekommen.Ich bin im übrigen nicht der Meinung, daß eine solche Umstrukturierung ausschließlich aus öffentlichen Kassen zu finanzieren wäre. Gestern habe ich beispielsweise gelesen, daß RWE in der letzten Bilanz 17,1 Milliarden DM flüssige Mittel ausweist — 2,2 Milliarden DM mehr als vor einem Jahr — und daß es einen Zinsüberschuß von 1,2 Milliarden DM eingefahren hat. Das sagt mir, daß auch die Stromwirtschaft selbst für diese Umstrukturierung zur Kasse gebeten werden müßte. Es kann doch nicht sein, daß die Stromkunden einerseits die Subventionierung der Kohle ermöglichen und daß andererseits die Stromkonzerne das Geld auf die hohe Kante legen.Es ist an der Zeit, mit einem neuen Energiewirtschaftsgesetz die Weichen für eine neue Energiepolitik zu stellen. Es wird auch notwendig werden, daß im Rahmen einer Gesamtkonzeption des Bundes, durch die ordnende Hand des Bundes, solche Dummheiten wie in Potsdam unterbunden werden. Es kann doch nicht sein, daß eine große Koalition in einem Stadtparlament ein Kraftwerk auf Erdgasbasis errichten und dafür möglicherweise Investitionszulagen oder -zuschüsse in Anspruch nehmen will, während diese Fehlentscheidung die Kumpel in Lauchhammer und in Senftenberg arbeitslos macht, wofür dann wieder die Versichertengemeinschaft mit Arbeitslosengeld oder später die Steuerzahler mit Sozialhilfeaufwendungen aufkommen müssen.Zusammenfassend meine ich: Die Versuche, zu einem Energiekonsens zu kommen, sollten fortgeführt werden, allerdings mit einer deutlich anderen Stoßrichtung: raus aus der Kernenergie, den Bergleuten Sicherheit und Perspektive geben, Energieeinsparung vorantreiben, effizientere Energienutzung fördern. Das erfordert erstens klare Linien der parlamentarischen Linken — wer auch immer das für sich in Anspruch nimmt — und zweitens eine Revitalisierung der Anti-Atomkraftbewegung. Dann, denke ich, wird
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Bernd Henneine Energiewende in diesem unserem Land möglich sein.Danke fürs Zuhören.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Rüttgers hat eben gesagt: Jetzt werden Sie den linken Ideologen Klose erleben. Wir wollen mal sehen. Die Debatte ist nicht ganz einfach für mich,
nicht aus den Gründen, die Sie vermuten, sondern weil diese Debatte, wie mein Kollege Freimut Duve eben richtig bemerkte, für den einen oder anderen durchaus biographische Aspekte hat. Es kommen mancherlei Erinnerungen auf, von denen man sich allerdings nicht leiten lassen darf. Denn der Herr Minister Töpfer hat uns ja ermahnt, wir sollten eine rationale Debatte führen. Das wollen wir dann auch versuchen.Die Rationalität, Herr Kollege Töpfer, gebietet aber, von vornherein eines festzustellen: Es gibt, zumal in der Politik, nicht die eine richtige Lösung.
Ich finde schon, daß der immer wieder durchklingende Anspruch, mit dem die Regierung — und die Koalition insgesamt — operiert, sie sei gewissermaßen im Besitz der Wahrheit
und alle anderen seien nicht im Besitz derselben, nicht akzeptabel ist. Das hilft uns in der Debatte auch nicht weiter.
Ich habe im übrigen Ihre Rede durchaus so verstanden, daß Sie nicht wie der Kollege Rexrodt — ich habe da einen kleinen Unterschied herausgehört — davon ausgehen, daß die Gespräche gescheitert seien. Ich rate auch sehr dazu, davon nicht zu reden. Eines sage ich hier ganz klar für die SPD, was immer das Präsidium beschlossen und veröffentlicht hat: Wir brauchen einen Energiekonsens, weil es in der Energiepolitik völlig ausgeschlossen ist, im Abstand von vier Jahren zu entscheiden. Bei Investitionsentscheidungen im Energiebereich geht es um Zeithorizonte, die dreißig Jahre und mehr umfassen. Deshalb braucht man Verläßlichkeit. Deshalb braucht man eine weitgehende Übereinstimmung
der beiden großen Parteien, wenn es geht, auch mit der F.D.P. —nicht deshalb, weil sie groß wäre, aber sie ist immer dabei.
— Das ist eigentlich Ihre einzige Funktion.
Das ist meine Vorbemerkung: Verläßlichkeit in der Energiepolitik ist notwendig.Das zweite. Es muß, wenn man einen Konsens sucht, ein belastbarer Konsens sein, einer, mit dem man wirklich arbeiten kann.
Das heißt negativ: Es darf kein Formelkompromiß sein.
Es muß darüber hinaus klar sein, worüber man sich genau einigt, und es muß klar sein, daß man sich an Vereinbarungen hält.Damit bin ich bei einem Punkt — weil Sie immer mit dem Finger auf uns zeigen, Herr Kollege Rexrodt —, den ich Ihnen vor ein paar Wochen hier schon vorgehalten habe. Ich glaube, daß die Art und Weise, wie Sie in den letzten Monaten die Kohleproblematik behandelt haben, wesentlich dazu beigetragen hat, daß der Konsens jetzt nicht zustande gekommen ist.
Ich muß Ihnen das einfach sagen. Ich bitte das ernsthaft zu bedenken. Es hat 1991 eine Vereinbarung zur Kohlepolitik zwischen der Bundesregierung, den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland, den Bergbauunternehmen, den Stromerzeugern und den Gewerkschaften gegeben, eine richtige Vereinbarung. Es wurde über ein reduziertes Mengengerüst geredet. Der Bund hat sich verpflichtet, die Anschlußfinanzierung über 1995 hinaus sicherzustellen. Diese Vereinbarung wollen Sie heute auflösen, nein: Sie haben sie aufgekündigt, und zwar einseitig. Ich sage Ihnen: Das geht nicht. Denn Sie können nicht über Konsens reden, wenn Sie im gleichen Atemzug eine getroffene Vereinbarung brechen.
Wer soll Ihnen denn glauben, daß Sie sich an Vereinbarungen zu halten späterhin geneigt sind? Das paßt einfach nicht zusammen.Sie haben damals gesagt, Herr Kollege Rexrodt — ich habe Ihnen gut zugehört —, für Sie habe sich die Geschäftsgrundlage verändert, denn es gebe einen Kabinettsbeschluß zum Subventionsabbau. Das ist völlig in Ordnung. Aber seit wann ist es bei Verträgen so, daß sich durch Beschlußfassung auf einer Vertragsseite die Vertragsinhalte ändern? Das kann doch nicht wahr sein. Das kann nicht ernsthaft die Position dieser Bundesregierung sein.Im übrigen muß ich Sie einmal mehr darauf hinweisen, daß es in der Vereinbarung von 1991 keine
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Hans-Ulrich KloseKonditionierung gab. Damals ist im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung zur Kohle nicht von Kernenergie gesprochen worden. Es ist nicht darüber geredet worden.
Diese Konditionierung ist nachträglich hinzugefügt worden. Weil Sie das machen, kommen bei uns Zweifel darüber auf, ob man sich mit Ihnen einigen kann.
Deshalb haben wir in dem Zusammenhang von Erpressung gesprochen. Das haben Sie selbst provoziert, tut mir leid.
Ich neige bestimmt nicht zu polemischen Übertreibungen, aber dies müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen. Auch für die Bundesregierung gilt, daß Verträge zu halten sind. Dies ist ein alter Rechtsgrundsatz, und den müssen Sie einhalten.Zum Stichwort Kernenergie: Meine Damen und Herren, Sie kennen die Beschlußlage der SPD so, wie sie ist. Sie können sie für falsch halten, aber sich hier ins Parlament zu setzen oder zu stellen und zu sagen, für diese Beschlußlage gäbe es keine guten Argumente, ist nicht akzeptabel.
Wie immer Sie es im Einzelfall bewerten: daß mit Kernenergie immer auch ein Sicherheitsrisiko verbunden ist, ist unbestreitbar. Es hat doch Reaktorunfälle gegeben. Ich glaube auch, daß unsere Reaktoren besser sind als die in vielen anderen Teilen der Welt, aber gleichwohl gibt es ein nicht zu negierendes Risiko. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt: Es gibt nun einmal bis zum heutigen Tage die ungelöste Entsorgungsproblematik. Wer mit mir diskutiert hat, weiß eigentlich, daß dies der Punkt gewesen ist, der mich von einem Kernkraftbefürworter zu einem Kernkraftskeptiker gemacht hat.
Das Problem ist bis heute nicht gelöst. In Wahrheit ist es in keinem Land der Erde gelöst.Sie haben eine Möglichkeit angedeutet, was man jetzt tun könnte. Weil wir uns nicht in einem Zustand der atomaren Unschuld befinden und Kernkraftwerke haben, muß etwas passieren. Aber eines wissen Sie so gut wie ich: Selbst wenn Sie eine technisch gute oder vertretbare Lösung finden, ist das administrative Problem, das mit der Endlagerung und der Entsorgung verbunden ist, in Wahrheit nicht lösbar. Sie wissen so gut wie ich, daß Sie das Material auch nach einer Zwischenlagerung von 30 Jahren — wenn aus hochradioaktivem Material vielleicht mittelradioaktives geworden ist — gleichwohl über viele Jahre hinweg unter administrativer Kontrolle halten müssen, und zwar über mehr als 100 Jahre.Nun sehen Sie sich einmal die Situation an! Ich habe in Hamburg eine spezielle Erfahrung gesammelt, die ich hier nicht im einzelnen schildern will. Sie hängt zusammen mit dem damals viel diskutierten Stoltzenberg-Skandal. Ein solches Lager über mehrere hundert Jahre unter administrativer Kontrolle zu halten ist eine fast nicht lösbare Aufgabe. Ich halte es für falsch, diese Probleme einfach kleinzureden. Es sind Probleme, und sie müssen verdammt nochmal ernstgenommen werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben in der Tat Schwierigkeiten mit der von Ihnen gewünschten Option. Ihre Argumente lauten: Wir können auf Kernenergie nicht verzichten — das habe ich heute gehört —, und es geht auch um eine neue Technik, nämlich den inhärent sicheren Reaktor, und den braucht der Standort Deutschland.Herr Kollege Rexrodt und Herr Kollege Töpfer, ich halte beide Aussagen aus heutiger Sicht zwar nicht für — das möchte ich so nicht sagen — falsch, aber jedenfalls für reichlich kühn. Ich habe meine ganz großen Zweifel, ob es den inhärent sicheren Reaktor überhaupt gibt. Ich bin kein Techniker und verstehe davon nicht genug. Aber eines weiß ich: Diesen inhärent sicheren Reaktor gibt es heute noch nicht einmal auf dem Reißbrett. Er wird doch noch geplant. Wie können Sie denn behaupten, daß die Reaktorlinie, die vorbereitet wird, die inhärent sichere sei?
— Hören Sie einmal zu! Ich versuche, hier einigermaßen sachlich zu sein. Ich habe gesagt, daß es kühn ist, zu sagen, daß über diesen Referenzreaktor — wie es immer heißt —, diesen Optionsreaktor, der auf einer ganz anderen Technik beruhe, der inhärent sicher sei, heute schon entschieden werden kann. Dies ist deshalb kühn, weil dieser inhärent sichere Reaktor heute noch nicht einmal auf dem Reißbrett existiert. Wenn Sie heute darüber entscheiden, wissen Sie gar nicht, worüber Sie entscheiden.
Was mich darüber hinaus stutzig macht, ist folgender Punkt. Sie wissen genausogut wie ich, daß es heute keinen Verstromer in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der in den nächsten fünf, sechs oder acht Jahren die Absicht hätte, einen neuen Kernreaktor zu bauen. Es gibt keinen. Es gibt gar keinen Bedarf! Es gibt ausreichende installierte Kraftwerkskapazitäten. Niemand denkt daran, heute einen neuen Reaktor zu bauen.Es geht also in Wahrheit, wenn die Entscheidung heute gefordert wird, um nichts anderes als um Symbolik, und es geht möglicherweise um ein Genehmigungsverfahren im Trockenlauf. Dann aber geht es nicht um Energiepolitik, sondern in Wahrheit um
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Hans-Ulrich KloseExportförderung für deutsche Kerntechnologie. Das ist doch der eigentliche Punkt.
— Das kann ja ein Argument sein. Ich sage Ihnen nur: Wir diskutieren hier im Augenblick über Energiepolitik, und energiepolitisch brauchen Sie diese Entscheidung heute nicht, weil Sie keinen Bedarf haben, und Sie können sie in Wahrheit nicht treffen, weil Sie gar nicht wissen, was Sie heute entscheiden.Meine Schlußfolgerung: Ich bin überhaupt nicht dagegen, niemand bei uns, daß weiter geforscht und entwickelt wird. Ich glaube, wie gesagt, nicht an den inhärent sicheren Reaktor, aber bitte schön: Wenn die Ergebnisse vorliegen und Sie uns überzeugen, daß es diesen inhärent sicheren Reaktor gibt, und Sie das Entsorgungsproblem bis dahin gelöst haben, bin ich ohne weiteres bereit, darüber nachzudenken. Da habe ich keine Probleme. Aber es heute zu tun, ohne zu wissen, worüber ich entscheide, das halte ich schlicht für unvernünftig.
Und ich füge hinzu, auch an unsere Adresse: Ich würde es auch für unvernünftig halten, die Forderung zu erheben, jetzt sofort aus allen Kernkraftwerken auszusteigen, sie alle sofort abzuschalten. Das können wir nicht. Ich halte es auch nicht für vernünftig, einheitliche Restlaufzeiten festzulegen, weil es unterschiedliche Typen sind und der Sicherheitsstandard unterschiedlich ist. Warum untersuchen wir nicht von Reaktor zu Reaktor — es sind doch nicht soviel —
und prüfen dann, was vernünftig ist, weil es da eben auch noch Prüfungsbedarf gibt?Bei dieser Frage wie bei den anderen bin ich mit Entschiedenheit dagegen, daß wir die Tür zu den Gesprächen mit lautem Krach zuschlagen.
Herr Klose, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Hans-Ulrich Klose: : Ich mache das immer, bei Ihnen ganz besonders.
— Da können Sie mal sehen, wie schwer das mit der Technik ist.
Das ist der technische Fortschritt hier am Standort.
Herr Klose, Sie haben zuerst gesagt, Sie hätten nichts dagegen, daß geforscht wird — im Sinne des Standortes Bundesrepublik Deutschland, interpretiere ich mal. Wie kann man denn eigentlich einem derartig gewichtigen Forschungsbereich zumuten, daß er einfach so weiterforscht, wenn man erwarten kann, daß das Ergebnis der Forschungen in unserem Land keinesfalls irgendwie Anwendung und Umsetzung erfahren kann? Meinen Sie, daß das eine gute Grundlage für diesen Bereich ist, nach dem Prinzip unseres ehemaligen Bundestrainers Beckenbauer zu verfahren, der gesagt hat: „Schauen wir mal, dann sehen wir schon"? Halten Sie das für eine vernünftige Grundlage für eine derartige langfristige und ernsthafte Angelegenheit?
Herr Kollege, was Bekkenbauer angeht und die Fußballnationalmannschaft, halte ich das in der Tat für vernünftig. Und die andere Frage beantworte ich mit einer Gegenfrage: Halten Sie es für vernünftig, heute eine Entscheidung zu treffen, von der Sie noch gar nicht wissen, welchen Inhalt sie hat?
Meinen Sie nicht, Herr Klose, daß es gerade zum Charakter der Forschung und der Entwicklung der Technologie gehört, daß das Ergebnis offen und nicht ganz gewiß sein muß,
daß man aber bei der Umsetzung zumindest eine gewisse Grundlage, eine Basis haben muß, die ja genau durch den Energiekonsens hätte gelegt werden sollen?
Nun schauen Sie mal, ich bin doch dafür, daß die forschen. Aber Sie wissen genausowenig wie ich, was als Ergebnis des Forschens am Ende herauskommt. Es kann ja durchaus sein, daß die hohen Hoffnungen, die da lauten: wir schaffen den inhärent sicheren Reaktor, sich nicht erfüllen. Und für den Fall, daß die sich nicht erfüllen, möchte ich mich heute nicht entscheiden, daß ich das Ding dann gleichwohl baue. So einfach ist das. Deshalb laßt die doch forschen! Dann wird man sehen. Das ist der Punkt.Nun lassen Sie mich einen letzten Gedanken anfügen: Meine Damen und Herren, es gibt aus meiner Sicht noch einen weiteren Grund, warum wir uns heute für diese Option auf gar keinen Fall öffnen sollten. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir fortfahren, für unsere Energieversorgung immer nur auf Großkraftwerke zu setzen, nach der Devise: Es muß viel Energie möglichst billig geben, dann verstellen wir uns den einzigen Zukunftspfad, der wirklich Erfolg verspricht, und das ist immer noch der Energieeinsparungspfad. Ihn halte ich für den entscheidenden; ihn müssen wir einschlagen, aus ökologischen Gründen, aus ökonomischen Gründen. Wir haben heute mit einer entwicklungspolitischen Debatte angefangen. Und ich füge deshalb ausdrücklich hinzu: Auch aus entwicklungspolitischen Gründen ist das der Pfad, den wir beschreiten müssen.
Sagen Sie doch bitte nicht, da seien nicht enorme Potentiale vorhanden! Ich erinnere immer wieder daran, daß z. B. in Japan — wahrlich kein Entwick-
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Hans-Ulrich Kloselungsland — der Energieverbrauch pro Kopf der Bevölkerung um fast 50 % niedriger liegt als in der Bundesrepublik Deutschland. Selbst wenn ich unterstelle, daß die japanischen Wohnungen in der Regel kleiner sind als die deutschen, daß also der Aufwand für Wärme geringer ist, sind die Japaner einfach entschieden weiter auf diesem Feld, und sie haben sich auch damit Innovationsvorteile und Modernisierungsvorteile verschafft,
die wir dringend aufgreifen sollten. Daran müssen wir interessiert sein.Es geht — das Wort „Einsparpfad" ist ja manchmal mißverständlich — in Wahrheit darum, die Energieeffizienz zu steigern, so daß mit weniger Primärenergieverbrauch ein höherer Effekt erzielt wird.
In diese Richtung zu arbeiten und zu drängen, halte ich für ungeheuer wichtig. Ich verweise in dem Zusammenhang auf den Antrag, den die SPD-Bundestagsfraktion am 24. Juni dem Hause vorgelegt hat.Ich fasse das alles noch einmal zusammen: Ich halte es für falsch, die Bemühungen um einen Energiekonsens aufzugeben. Ich halte es für falsch, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Entscheidung zu fordern, die Sie in Wahrheit verantwortlich nicht treffen können. Ein Energiekonsens kann aus meiner Sicht zustande kommen, wenn dreierlei gesichert ist.Erstens. Es muß die Kohlevereinbarung erfüllt werden, denn wenn Sie dies nicht tun, sage ich Ihnen, habe auch ich kein Vertrauen in die Vertragsfähigkeit Ihrer Seite.
Das muß ich Ihnen sagen.Der zweite Punkt: Ein Energiekonsens kann zustande kommen, wenn über das Ziel der Energieeinsparung, der Effizienzsteigerung und deren Umsetzung Übereinstimmung erzielt worden ist, und zwar ganz konkret, nicht nur Reden, sondern ganz konkret darüber, was wir machen.Drittens, wenn verläßliche und überprüfbare Fakten auf dem Tisch liegen, so daß wir entscheiden können im Wissen, was diese Entscheidung bedeutet.Ich sage Ihnen jedenfalls heute: Das Risiko der Kernenergie, auch wenn wir es „Restrisiko" nennen, ist viel zu groß, um es gutgläubig zu verdrängen.Vielen Dank.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Klose hat wie der Bundesumweltminister gesagt, die Tür solle nicht — weder laut noch leise — zugeschlagen werden. Ich glaube, das ist auch richtig. Nur, Herr Klose, Sie haben, als der Zwischenruf mit den Arbeitsplätzen kam, gesagt, das könne ja ein Argument sein, aber heute würden wir über Energiepolitik reden. Das macht für mich keinen Sinn. Wir reden, wenn wir über Energiepolitik reden und wenn wir über Sozialpolitik reden und wenn wir über Wirtschaftspolitik reden, immer über e in e Politik, und da geht es eben auch um Arbeitsplätze.
Sehen Sie, wir können nicht in der einen Woche, vergangene Woche über den Standort Deutschland reden, und dann spricht Herr Scharping, Vorsitzender der SPD, oder Herr Lafontaine — da war es Herr Lafontaine —, stellvertretender Vorsitzender, wenn ich es richtig weiß, und sagt — —
— Nein, ich bin im Augenblick nicht genau informiert. Ich weiß nicht genau, wieviel Stellvertreter Sie derzeit haben.
— Wir sind da auch flexibel, da haben Sie recht.Aber lassen Sie uns zur Sache reden! Da wird darüber geredet, was für ernste Sorgen wir mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt haben; das ist für mich eines der zentralen Themen deutscher Politik. Dann sagen Sie: Aber heute führen wir eine Energiedebatte, da spielt das keine Rolle. Dabei geht es nicht nur um die 350 000 Beschäftigten in der Energiewirtschaft, von denen der Bundesumweltminister Klaus Töpfer gesprochen hat. Vielmehr muß da doch auch die Frage einbezogen werden, daß zu den Wettbewerbsnachteilen des Wirtschaftsstandorts Deutschland die in Deutschland wesentlich höheren Energiekosten als in den meisten vergleichbaren Wettbewerbsländern gehören. Das ist doch eine Frage, die man nicht beiseite schieben kann, sondern die in diese Debatte zentral hineingehört. Das hat etwas mit der Kohlepolitik zu tun.Herr Klose, bei aller Rabulistik bei der Interpretation der Vereinbarung von 1991: Der Energiemix aus Nutzung von teurer deutscher Steinkohle und Kernenergie war Grundlage aller Vereinbarungen. Geltende Gesetze sind wohl die Geschäftsgrundlage von Vereinbarungen, die zwischen Bund und Ländern abgeschlossen werden, und das Atomgesetz gilt. Deswegen: Wer aus der Kernenergie aussteigt, verletzt die Grundlage der Vereinbarungen, die zur weiteren Nutzung der deutschen Steinkohle notwendig sind. Deswegen verletzen wir diese Vereinbarungen nicht, sondern halten an ihnen fest.
— Sie müssen die Präsidentin fragen.
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16144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Herr Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klose?
Bitte, gern.
Herr Kollege Schäuble, Sie können doch nicht leugnen, daß Ihnen die Beschlußlage der SPD auch bei Abschluß der Vereinbarungen 1991 bekannt war. Gleichwohl ist diese Vereinbarung zustande gekommen. Ich finde, es wäre, einfach um eine Faktenlage zu schaffen, angemessen, daß Sie davon ausgehen, daß es diese Vereinbarung gibt und daß sie eingehalten wird. Wenn Sie das sagen, sind wir doch ein wesentliches Stück weiter.
Kollege Klose, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, die Koalition solle nicht so tun, als sei sie im Besitz der absoluten Wahrheit. Wir tun zwar nicht so, und niemand ist im Besitz der absoluten Wahrheit. Aber auch die Beschlußlagen der SPD sind nun nicht die absolute Wahrheit.
Sie rekurrieren zu sehr auf Ihre Beschlußlagen. Ich glaube, daß die allermeisten, die jenen Parteitagsbeschluß, jenen unseligen Parteitagsbeschluß gefaßt haben — Sie haben schon mehrere unseligegefaßt —,
wußten, daß er so nicht zu verwirklichen sein wird. Deswegen war er auch nicht sehr ehrlich gemeint.Ich sage noch einmal: Grundlage für Vereinbarungen sind für uns nicht Beschlußlagen Ihrer Parteitage, sondern die geltenden Gesetze. Mit denen müssen wir arbeiten. Die Ruhrkohle ist nicht zu finanzieren. Das ist — das wissen Sie so gut wie jedermann — wirtschaftlich nicht zu leisten, wenn wir aus der Kernenergie aussteigen. Deswegen hängt das eine mit dem anderen zusammen. Das ist keine Erpressung, sondern eine Notwendigkeit.
Im übrigen haben wir in der Koalition beschlossen — der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesumweltminister haben es in dieser Debatte gesagt —, bei der Anschlußfinanzierung der Steinkohlenförderung durch die Plafondierung auf 7 Milliarden DM — das ist doch ein Angebot — den Betrag, der sich aus der Vereinbarung von 1991 für 1997 ergibt, weiter zu finanzieren und fortzuschreiben. Insofern steigen wir aus dieser Vereinbarung auch nicht aus.Aber ich appelliere an Sie, daß auch Sie aus der Vereinbarung nicht aussteigen und daß wir bei der Geschäftsgrundlage bleiben.
Dazu brauchen wir auch in Zukunft den Mix aus Kohle und Kernenergie. Das eine ohne das andere ist nicht zu leisten.Noch einmal: Es geht nicht nur um die 350 000 Arbeitsplätze der Beschäftigten in den Kraftwerken, sondern es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und damit um das große Thema der Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts insgesamt.Dann haben Sie lange geredet, um uns zu erklären, es sei doch heute keine Entscheidung zur Kernenergie erforderlich. Das habe ich nun überhaupt nicht verstanden. Ich habe Sie in einer Reihe von Punkten nicht verstanden.Sie haben gesagt, forschen könne man doch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß wir in der Kernenergie ganz am Anfang stehen. Es sind einige Reaktoren in Betrieb.Das Problem der Entsorgung und der Endlagerung muß gelöst werden; dazu haben Sie auch Richtiges gesagt. Aber deswegen kann man doch nicht erklären: Das alles machen wir nicht jetzt, das schieben wir um zehn Jahre auf und entscheiden später.Bei der Art von Beschlußlagen Ihrer Partei und bei der jedenfalls sehr problematischen Art, wie sich deutsche Bundesländer an geltende Gesetze im Verwaltungsvollzug halten — was dazu führt, daß man ständig mit dem komplizierten und problematischen Instrument der Bundesaufsicht operieren muß —, kann man doch weder Forschungs- noch Investitionssicherheit haben, wenn man nicht zu einem gesetzestreueren Verhalten kommt. Dazu brauchen wir offenbar erst einen Konsens.
Man könnte darüber nachdenken, ob ein solcher Konsens, wenn er Ihrer Partei zur Zeit so schwerfällt, überhaupt notwendig ist. Aber dann würde ich erstens dafür werben, daß sich alle Bundesländer, unabhängig, welche Koalitionen sie gerade regieren, an geltende Gesetze halten — dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter; das wäre eigentlich Grundlage eines Konsenses —,
zweitens dafür, daß wir Mehrheitspositionen, die wir in den Bundesländern und im Bundesrat haben, nicht in einer Weise nutzen, wie sie weder vom Grundgesetz noch vom einfachen Gesetzgeber gemeint ist.Wir brauchen diesen Konsens erstens, weil es um langfristige Investitionen geht — politische Mehrheiten können ja wechseln —, aber zweitens offensichtlich auch deswegen, weil eine parteipolitisch — ich will jetzt nicht sagen: ideologisch — begründete Position von denjenigen, die bei Ihnen in den Ländern und im Bundesrat Verantwortung tragen, gegen geltende Gesetze durchgesetzt werden soll. Dies muß aufhören, weil wir auf diese Weise keine langfristige Planungs- und Investitionssicherheit haben und weil damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland und seinen Arbeitsplätzen Schaden zugefügt wird.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16145
Dr. Wolfgang SchäubleDeswegen bleibt bei uns die Tür zu Gesprächen offen. Wir werden unseren Teil zur Einhaltung geschlossener Vereinbarungen auch für die deutsche Steinkohle leisten. Aber auch Sie müssen Ihren Beitrag dazu leisten. Die Verantwortung tragen Sie.Nun will ich zum Thema Entsorgung und Endlagerung auch sagen: Man kann doch nicht so tun, als ob sich das Problem nicht stellt. Wir haben doch weltweit ungeheuer viele Reaktoren. Es macht sogar einen Sinn, daß wir diese Debatte jetzt im Anschluß an die entwicklungspolitische Debatte führen.Nur, Herr Kollege Klose, bei demnächst 10 Milliarden Menschen auf dieser Erde, von denen ein größerer Teil wohl zu Recht Anspruch darauf hat, daß sein Lebensstandard noch wächst — damit meine ich nicht uns, sondern die Länder in der südlichen Hemisphäre, in Asien, Afrika, Lateinamerika —, gibt es nach dem Stand heutiger Erkenntnis doch überhaupt keinen einigermaßen rational nachvollziehbaren Weg einer entwicklungspolitischen Chance für die große Mehrheit der Menschen, wenn wir aus der Kernenergie weltweit aussteigen. Es gibt sie nicht.
Mit Einsparung allein geht es nicht.
— Nein, ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich versuche, ein Argument von Ihnen nach dem anderen zu behandeln. Ich versuche jetzt auch, auf das einzugehen, was Herr Klose gesagt hat: Türen weder laut noch leise zuzuschlagen, sondern offenzuhalten. Aber dann muß man Argumente austauschen.Sie haben Japan als Beispiel für Einsparungen genannt. Ich muß zu Japan hinzufügen, weil Sie das nicht gesagt haben: Japan hat sehr viele Kernkraftwerke in Betrieb, und es sind sehr viele neue Kernkraftwerke dort in Bau.
Noch so viele Erfolge in der Energieeinsparung— wir sind da ja nicht auseinander; Klaus Töpfer und der Bundeswirtschaftsminister Rexrodt haben dargelegt, daß in den Energiegesprächen viel auf dem Weg zur Gemeinsamkeit erreicht worden ist, was Sie jetzt nicht einfach wegwerfen sollten — entheben gerade nicht der Notwendigkeit — das belegt Japan —, daß man aus der Kernenergie nicht aussteigen darf. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Wenn wir eine verantwortbare Energiepolitik betreiben wollen, dann können wir nicht aus der Kernenergie aussteigen. Die Entscheidung kann man nun wirklich heute nicht treffen. Daraus entsteht auch das Problem mit der Option, warum Sie sagen: Warum wollen Sie die Entscheidung heute? Gäbe es Ihre Beschlußlagen nicht und gäbe es auch nicht ein nicht sehr bundestreues Verhalten von Landesregierungen, in denen Ihre Partei die Ministerpräsidenten stellt, dann bräuchte man auf Grundlage geltender Gesetze darüber heute weniger zu reden. Aber weil es anders ist, muß doch in einem Energiekonsens klargestellt werden, daß es einen Ausstieg aus der Kernenergie nicht gibt. Die Entscheidung können wir heute nicht treffen, weil wir sie heute aus unserer Überzeugung nicht verantworten können. Deswegen muß das Gegenteil klargestellt werden.
Es geht nicht darum, irgend jemand vorzuführen, um irgend etwas schwerer zu machen, sondern darum, daß eine Entscheidung weder aus globalen Gesichtspunkten, insbesondere auch des Umweltschutzes, noch unter dem Gesichtspunkt unserer wirtschaftlichen Entwicklung, der Arbeitsplätze und der Energiesicherheit, heute nicht anders verantwortbar ist.Zum Thema Entsorgung und Endlagerung. Die Endlagerung ist noch nicht gelöst. Daran muß gearbeitet werden. Das Problem wird aber nicht dadurch gelöst werden können, daß wir aus der Kernenergie aussteigen — auch da ist der Ausstiegsbeschluß wieder der falsche —, sondern nur dadurch, daß wir uns stärker engagierenWozu Ihre Partei fähig ist, wird für mich am schlimmsten in der Forderung Ihres energiepolitischen Sprechers nach einem Verbot des Exports für Kerntechnik insgesamt sichtbar.
— Sie sollten vielleicht einmal die Gelegenheit nutzen, sich davon zu distanzieren und zu sagen, daß es nicht gilt. Daß heute, wo sich die Ukraine bisher nicht entscheiden konnte, den Tschernobyl-Reaktor abzuschalten, aus der deutschen Sozialdemokratie die Forderung erhoben wird, man dürfe generell Kerntechnik nicht exportieren, ist in einem derartigen Maße verantwortungslos, daß das wirklich nicht geht.
Weil man wirklich nicht weiß, wozu die Sozialdemokraten, auch im Bündnis mit den GRÜNEN, immer noch fähig sein werden oder nicht, müssen wir, wenn wir einen Energiekonsens zustande bringen wollen, zu dem auch wir unsere Beiträge leisten müssen, bei diesen Fragen bleiben.
— Ich versuche, die Frage zu beantworten, Herr Duve. Die einen erklären immer, sie seien im Besitz der Wahrheit. Und wenn man versucht, auf Argumente einzugehen und sie zum Teil zu widerlegen, wird einem gesagt, man habe keine Ahnung. So geht es doch nicht.Im übrigen, Herr Klose hat gefragt, warum eine Entscheidung heute zu treffen sei. Ich gebe Ihnen darauf eine Antwort. Aus diesen Gründen ist eine Entscheidung für einen Energiekonsens heute notwendig. Wir werden einen Energiekonsens nicht mittragen und wir können ihn aus unserer Überzeugung nicht verantworten, wenn dies ein Ausstiegkonsens sein soll. Dies ist mit dieser Koalition, jedenfalls mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nicht zu machen. Das haben wir Ihnen immer gesagt.
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16146 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Dr. Wolfgang SchäubleDas war für uns Grundlage der Gespräche. Herr Schröder hat das ausführlich dargelegt. Dazu hat er länger gesprochen als zur Sache. Ich habe auch verstanden, warum. Es war im übrigen bemerkenswert, wie er erklärt hat, was sein Ziel bei den Gesprächen war. Da er der Erfinder war, können wir eigentlich mitreden. Er hat auch einen glänzenden Erfolg erzielt. Das einzige, was damit nicht zu vereinbaren ist, ist, warum alle Welt und er selbst gesagt hat, er sei im SPD-Präsidium am vergangenen Montag gescheitert. Das kann wiederum nicht an uns gelegen haben, sondern es muß zwischen ihm und dem Rest der SPD stattgefunden haben. Das wollte ich zu diesem Teil der Debatte noch anmerken.
Herr Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Herr Schäuble, Sie sagen, die SPD habe beschlossen und gefordert: kein Export von kerntechnischen Anlagen und kerntechnischen Sicherheitsmaterialien. Ich kenne die Beschlüsse der SPD in dieser Frage recht gut. Könnten Sie mir sagen, wo wir das beschlossen haben? Wir haben nur gesagt, der Export in Länder, die nicht der IAEO angehören, sollte unterlassen bleiben. Das war in diesem Lande bisher Konsens. Können Sie uns bitte sagen, wo wir darüber hinausgehen? Das ist mir nicht bekannt.
Ich bin mir ziemlich sicher — Sie können es im Protokoll nachlesen, notfalls korrigiere ich es, wenn es anders wäre —: Ich habe nicht gesagt, die SPD habe das gefordert, sondern ich habe gesagt, Ihr energiepolitischer Sprecher hat eine solche Forderung erhoben.
— Nein, ich habe gesagt, Ihr energiepolitischer Sprecher erhebt eine solche Forderung. Da gibt es mehrere, ich weiß nicht, welcher. Und ich habe gesagt, Herr Klose sollte die Gelegenheit nutzen, klarzustellen, daß dies nicht die Position Ihrer Partei ist. Genau dies habe ich gesagt, und ich habe nicht gesagt, daß Ihre Partei das beschlossen hat.
— Entschuldigung, ich weiß gar nicht, wie viele Sie im einzelnen haben. Herr Schröder hat dazu gesagt, daß es mit den Sprecherrollen in Ihrer Partei schwierig sei. Das ist für mich nicht so entscheidend. Wenn Sie klarstellen, daß dies nicht Ihre Position ist, sind wir wenigstens in dem Punkt einen Schritt weiter.
Herr Schäuble, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Bitte sehr.
Herr Schäuble, wären Sie einverstanden, daß ich diesen Weg der Information wähle, wenn ich der Frau Kollegin mitteile, daß eine Reihe von Kollegen aus dieser Fraktion der SPD tatsächlich ein relativ frisches, neues Papier gemacht haben, an dem alle an energiepolitischen
Fragen Interessierten beteiligt waren, u. a. ein Mitglied aus dem Energiekonsens, in dem genau das steht, was der Kollege Schäuble hier gerade mitgeteilt hat, und daß uns dieses Papier gerade in den letzten Tagen sehr besorgt gemacht hat?
Herr Schäuble.
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Faltlhauser, daß Sie aus Ihrer Sicht bestätigen, daß es richtig ist, was ich gesagt habe.
— Ich vermute, daß der Kollege jetzt aus seiner Sicht sagen will, daß das doch nicht ganz so richtig ist.
Herr Volker Jung.
Herr Schäuble, ich bin der gewählte energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo ich die Äußerung, die Sie hier zitiert haben, getan habe. Ich würde von Ihnen gerne auch wissen, wenn Sie das jetzt nicht belegen können, ob Sie Ihre Behauptung zurücknehmen wollen.
Ich kann die Äußerung beim besten Willen nicht zurücknehmen. Denn es ist so: Ich habe gesagt, energiepolitische Sprecher haben das gesagt. Der Kollege Faltlhauser hat das eben noch einmal bestätigt. Wir können Ihnen gerne die Papiere geben. Ich habe sie nicht alle am Rednerpult mit dabei.
— Ich glaube, das hat nun wirklich keinen Sinn. — Wenn Sie der gewählte energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sind — was ich gerne zur Kenntnis nehme --, dann wäre es einfacher, Sie würden erklären, das eine solche Position nicht die Position der SPD-Bundestagsfraktion ist. Dann wären wir schon einen Schritt weiter.
Würden Sie jetzt bitte zur Kenntnis nehmen, daß dies nicht die offizielle Position der SPD-Bundestagsfraktion ist?
Dafür bedanke ich mich, denn Sie haben damit meine Bitte erfüllt. Ich hatte, Herr Kollege — vielleicht haben Sie es überhört —, eine Bitte an den Vorsitzenden Ihrer Fraktion gerichtet. Wenn ich gewußt hätte, daß sogar der energiepolitische Sprecher anwesend ist, hätte ich die Bitte natürlich an Sie gerichtet. Ich hatte gebeten, genau dieses zu erklären. Ich bedanke mich, daß Sie meinem Wunsch Rechnung getragen haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16147
Dr. Wolfgang SchäubleJetzt wollen wir wieder zum Hauptgegenstand der Debatte kommen. Herr Kollege Klose hatte die Frage erhoben: Warum muß das jetzt sein?
— Lassen Sie mich doch die Frage, die Herr Klose gestellt hat, beantworten. Das muß doch möglich sein.Warum soll das heute entschieden werden? Ich sage, weil durch Ihre Partei und aus Ihrer Partei und aus Ihrer Fraktion, auch durch Ihre Beschlußlagen, nicht nur Verunsicherung, Unklarheit geschaffen wird, sondern weil Sie im Grunde es auch so sagen. Herr Schröder sagt, das Hauptziel der Konsensgespräche sei der Ausstieg aus der Kernenergie gewesen.Das ist aus unserer Sicht nicht Ziel der Konsensgespräche gewesen und wird es auch nicht sein. Ziel unserer Seite für einen Konsens ist, einen verantwortbaren Konsens in der Energiepolitik insgesamt zu erreichen, der energiepolitisch, umweltpolitisch langfristig verantwortbar ist, auch in den globalen Bezügen, der unserer Verantwortung für die Sicherheit der Kernkraftwerke auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt.Es macht doch keinen Sinn, die sicheren Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten und auszusteigen, den möglichen Beitrag der deutschen Forschung und Industrie für die Sicherheit der Kernkraftwerke weltweit zu verweigern, um dann noch stärker von den Risiken von weniger sicheren Kernreaktoren in Osteuropa bedroht zu sein. Das ist doch nicht verantwortbar.
Es macht auch keinen Sinn, in der Energiepolitik aus der Wirtschaftspolitik auszusteigen und den Zusammenhang dieser Fragen mit Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland zu leugnen.Aus all diesen Gründen brauchen wir eine langfristig berechenbare und verantwortbare Energiepolitik. Dazu brauchen wir den Beitrag der SPD. Wir werden unseren Beitrag auch in der Zukunft leisten. Klaus Töpfer und Günter Rexrodt haben dargelegt, wie sehr sich auch unsere Seite bei diesen Gesprächen in vielen Fragen auf einen gemeinsamen Konsens hin bewegt hat.Es ist wirklich ein Elend, daß die Chance zu einer Verständigung in Ihrem Parteipräsidium am Montag so beiseite geschoben worden ist. Vielleicht können Sie das nach Ihrem Parteitag korrigieren.Aber in diesen Fragen geht es doch — das ist mein letztes Wort — um Fragen von einer Bedeutung, die eigentlich weit über Parteitagstermine und Wahljahre hinausreichen. Es ist eigentlich nicht verantwortbar, daß das, was notwendig ist, jetzt mit den Sozialdemokraten nicht zu besprechen ist, weil sie gerade ihren Parteitag haben, und dies auch im Jahr 1994 nicht möglich ist, weil dann so viele Wahlen sind. Wie lange wollen wir mit der Lösung dieser dringend notwendigen Fragen eigentlich warten? Wir können doch angesichts der Entwicklung auf unserem Arbeitsmarkt nicht sagen: Darüber reden wir erst nach derBundestagswahl. Das kann man doch den Beschäftigten genauso wie den Arbeitslosen nicht zumuten.
Die Risiken in der Kernenergie sind nicht so, daß man den Beitrag jetzt verweigern könnte.Deswegen fordere ich Sie auf, Ihre Pflicht jetzt zu tun
und Ihrer Verantwortung jetzt nachzukommen. Wir sind dazu bereit.
Als nächster spricht der hessische Minister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten, Herr Joseph Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was den bedeutenden Staatsmann Faltlhauser anbetrifft, wage ich keine Konkurrenz, ob mit oder ohne Krawatte.
Meine Damen und Herren, wenn man bei der Debatte heute aufmerksam zugehört hat, dann kommen einem viele Fragen. Völlig zu kurz kommt die Tatsache, daß wir es bei der Stromerzeugung aus Atomenergie mit der gefährlichsten Form der Energieerzeugung zu tun haben, wie wir spätestens seit Tschernobyl wissen.Was wir in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht verdrängen dürfen, ist, daß gegenwärtig allenthalben die Standortdebatte geführt wird. Nur, es muß doch einmal ein Gedanke darauf verschwendet werden, was mit dem Standort Deutschland passieren würde, wenn es hier zu einem schweren Kernkraftunfall käme.
Daß diese Debatte nicht geführt wird und auch bei den Konsensgesprächen nicht geführt wurde — entgegen dem ursprünglichen Anlaß — ist zumindest für mich eine der großen Verdrängungen, die wir uns auf Dauer allerdings nicht werden erlauben können.Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit der Bewertung eines Fast-Ergebnisses zu tun. Fast getroffen ist daneben. In dem Fall kann man sagen: Es ist auch gut so. Das Fast-Ergebnis möchte ich einmal näher beleuchten. Doch bevor ich zu den einzelnen
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16148 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Staatsminister Joseph Fischer
Punkten komme, gestatten Sie mir noch eine allgemeine Vorbemerkung.Der Deutsche Bundestag sitzt hier in einem wunderbaren Gebäude, in dem wir als Ländervertreter ebenfalls reden dürfen. Ich kann mich daran erinnern, daß dieses Gebäude ein Jahr lang blockiert war. Ich frage mich, wie Sie in diesem Saale zu Ihrem Technikoptimismus kommen.
Herr Schäuble, es war doch der Kollege Bötsch, der dazu gefragt hat: Und so jemand will Atomkraftwerke verkaufen? — Der Anlagenhersteller, der für diese Geräuschkulisse verantwortlich ist, bietet ja auch Atomkraftwerke an.
— Meine Damen und Herren, ich finde das überhaupt nicht zum Lachen, auch wenn das sehr ironisch klingt.
— Nein, das hat mit Volksfest nichts zu tun. Das zeigt nur, daß wir es bei der Technik mit Tücken zu tun haben, die selbst bei relativ selbstverständlichen Dingen wie der Übertragungsanlage für den Bundestag offensichtlich zu einem schweren Versagen führen können.Ich möchte allerdings noch einmal auf die anderen Punkte zu sprechen kommen, Herr Kollege Töpfer. Um die Bundesregierung muß es schlecht bestellt sein. Denn Sie tun gerade so, als wenn sie ohne die Opposition hier im Haus, ohne die SPD, Ihren originären Pflichten nicht mehr nachkommen könnten. Es freut mich ja für Sie, daß Sie heute wieder einmal als Standortminister — es war ein echter Genuß — so viel Beifall von Ihrer Fraktion bekommen haben. Das geschieht ja bei dem, was Sie hier vortragen, nicht allzuoft, daß Sie von der Koalition noch Beifall bekommen.
— Das hat mit billig gar nichts zu tun. Ich bitte Sie: Wir erleben doch gemeinsam, wie der arme Kollege Töpfer in wichtigen umweltpolitischen Fragen von Ihnen permanent im Regen stehengelassen wird. Das erleben wir doch gemeinsam.
— Verehrter Herr, zur Sache komme ich schon noch. Das gehört aber mit zur Sache.
Es gehört genauso zur Sache, wenn Sie sich hier als Arbeitnehmerfreunde hinstellen, wenn der Kollege Töpfer hier Betriebsräte rauf und runter zitiert. Gestern hätten Sie die Gelegenheit gehabt, eine arbeitnehmerfreundliche Bundesregierung darzustellen, wo das Schlechtwettergeld abgeschafft wird und ähnliches.
— Daß Sie das nicht hören wollen, ist mir völlig klar.
Diese Bundesregierung tut ja gerade so, Kollege Schäuble, als wenn sie zum Export von Atomtechnologien auf die Zustimmung der SPD angewiesen wäre. Diese Bundesregierung tut so, als wenn das völlige Versagen in der Energiepolitik zu überwinden eines Konsenses mit der Opposition bedürfte.
Diese Bundesregierung tut so, als wenn sie zur Fortführung der bisherigen Politik, die Sie gerade eindrucksvoll als nichtverhandelbar unterstrichen haben, die Zustimmung der Opposition bräuchte, um ihre Pro-Atompolitik weiterfahren zu können. Meine Damen und Herren, das können Sie, dafür haben Sie ein Mandat
in freien und geheimen Wahlen bekommen. Dafür braucht man keinen Konsens.Wenn man einen Konsens will, was sinnvoll wäre, wenn man eine breitere Grundlage mit der atomkraftkritischen Opposition erreichen will, dann geht das auf der Position Schäuble selbstverständlich nicht. Denn das hieße, daß man die Position der Bejahung der Atomenergie als Bestandteil der Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland übernimmt. Das haben Sie hier in dankenswerter Klarheit unterstrichen. Das heißt aber auch, daß ein Konsens nicht möglich ist.Unumstritten war der Einsatz der fossilen Energieträger, unumstritten war das Energiesparen, unumstritten war die rationelle Energienutzung, unumstritten war — zumindest theoretisch — die Entwicklung der regenerativen Energieträger. Hoch umstritten hingegen ist die Komponente Atomenergie. Das darf man bei alldem nicht vergessen.Herr Kollege Töpfer hat hierzu ja einen erhellenden Brief an den Bundeskanzler geschrieben. Daran kann man natürlich sehen, was Sie unter Konsens verstehen, nämlich: Wie ziehe ich die Opposition auf die Grundlage der Position der Bundesregierung? Sie schreiben dort:Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Insgesamt ließen sich möglicherweise in den Konsensgesprächen ein politisch abgesicherter Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke, der Bau eines neuen Reaktors noch in diesem Jahrzehnt sowie eine Streitlosstellung der Entsorgung erreichen.Damit hätten Sie in der Tat die heutige Energiepolitikder Bundesregierung streitlos gestellt, ohne jedenZweifel. Nur: Was daran Energiekonsens in dem
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16149
Staatsminister Joseph Fischer
Sinne sein soll, zwei Positionen, die bisher zu einem Moratorium, zu einer Blockade geführt haben, einander anzunähern, eine gemeinsame Grundlage unter Verzicht von beiden Seiten zu erhalten, das ist mir auf dieser Grundlage, ehrlich gesagt, völlig rätselhaft.Das Fast-Ergebnis beinhaltet: Laufzeit x. x ist offen. Aber es soll streitfrei sein, daß es zu einer Laufzeit x kommt. Das heißt: Die heutige Generation von Atomreaktoren bleibt streitfrei.Zweitens. Die Entsorgung soll garantiert werden. Dem entnehme ich, daß Sie gegenwärtig nicht garantiert ist, was ich hochinteressant finde, Herr Kollege Schäuble. Apropos: nichtgesetzeskonformes Verhalten, nicht wahr? Die Entsorgung soll garantiert werden.
Drittens. Konrad soll streitfrei gestellt werden.Viertens. Gorleben: Ein Moratorium bis zum Jahre 2005, was immer das auch heißen mag. Jeder weiß, daß sich dort der Bohrer nur noch aus Rechtsgründen dreht und nicht weil irgend jemand in der Stromwirtschaft oder in der Bundesregierung glaubt, daß der Salzstock tatsächlich endlagertauglich wäre.Darüber hinaus — und das setzt dem ganzen die Krone auf —: Bau eines Prototyps einer neuen Reaktorlinie noch in diesem Jahrzehnt.Hinzu kommt Hanau.
— Das will ich Ihnen gerne beantworten; und zwar heißt es auf Seite 7 in der Anlage Ihres Schreibens an den Bundeskanzler — die Frage, die Sie vorhin rhetorisch gestellt haben, hätten Sie in Ihrem Schreiben selbst finden können —:Für die Verarbeitung des Plutoniums aus den sog. Alt-Wiederaufarbeitungsverträgen hätte möglicherweise eine Einigung auf deren Verarbeitung in der neuen Mischoxyd-Brennelemente-Fabrik in Hanau erreicht werden können. Nach der insoweit negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel . . .— Herr Kollege Schäuble, bevor Sie hier Vorwürfe gegen Landesregierungen mangels Rechtstreue erheben, sollten Sie sich sachkundig machen, denn diese Genehmigungen wurden nicht von uns, von der jetzigen Landesregierung und der Vorgängerregierung gemacht; wir haben denen damals prophezeit, daß diese Form von betreiberfreundlichen Genehmigungen nicht bestandskräftig sein wird; und der unabhängige höchste Verwaltungsgerichtshof bei uns in Hessen, in Kassel, hat entsprechend negativ entschieden —.. zieht die Stromwirtschaft wohl eine Fertigung der sog. Mischoxid-Brennelemente im Ausland — insbesondere in Frankreich — vor. Damit ist unsere— spricht Töpfer —Verhandlungsposition insoweit geschwächt. So steht es in der Anlage zu dem Schreiben an den Bundeskanzler.Herr Kollege Töpfer — das habe ich Ihnen vorher immer gesagt —: In dem Moment, wo ein unabhängiges Gericht entscheidet, steht dies nicht mehr zur politischen Disposition. Wenn Sie jetzt sagten, es liege an der Prozeßführung, dann sagte ich Ihnen: Das ist völlig daneben, weil der VGH in einer vorhergehenden Entscheidung vor etwa anderthalb oder zwei Jahren auf derselben Linie entschieden hat.Die Frage, die Sie gestellt haben: wie das mit Hanau war, ist eine Frage, die heute bei unabhängigen Gerichten, nicht mehr bei der Landesregierung, sondern die allein in der Verantwortung des Anlagenbetreibers liegt. Ich muß aber hinzufügen, daß Sie diese betreiberfreundliche Form von Genehmigungen, die jetzt gescheitert sind, voll politisch mitzuverantworten haben, verehrter Herr Kollege Töpfer.
— Wieso „ach, du lieber Gott"? Man kann es nicht so wie Herr Schäuble machen, der den Landesregierungen — den Rot-Grünen oder wen Sie auch immer gemeint haben — vor dem Mikrophon vorwirft, daß sie fast an den Rand des Verfassungsbruches gehen, sich aber gleichzeitig sagen lassen muß, daß schwarzgelbe Landesregierungen betreiberfreundliche Genehmigungen produziert haben, die vor Verwaltungsgerichten gescheitert sind, verehrter Herr Schäuble.
Hinzu kommt die Kohlefinanzierung. Der Fraktionsvorsitzende Klose hat klargemacht: Dazu sind Sie verpflichtet. Ich sehe das Erpressungspotential dort als sehr gering an; das werden wir noch erleben.Hinzu kommt noch die Finanzierung des Energiesparens. Da stellt sich der Kollege Töpfer heute hier hin — ich weiß nicht, wer zugehört hat — und erklärt, man sei sich einig gewesen, daß dafür kein Geld da sei.
So können Sie das dem Protokoll von heute entnehmen.Meine Damen und Herren, was ist daran Konsens? Was ist daran ein Fortschritt gegenüber dem, was wir heute haben und was eh eintreten wird? Ich sehe da keinen Fortschritt. Ich sehe vielmehr den Versuch— man kann das hier ganz offen sagen —, die Sozialdemokraten auf die energiepolitische Position der Regierungskoalition und der Bundesregierung rüberzuhieven. Das ist der einzige Zweck, den Sie hier verfolgt haben. Mit dieser Fast-Einigung — deswegen sage ich: Gott sei Dank kam es nicht zu dieser Einigung — hätten Sie Ihr Ziel erreicht.
— Nein, eine Einigung hätte mir überhaupt nicht wehgetan.
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16150 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Staatsminister Joseph Fischer
— Also, Herr Faltlhauser, wir werden ja sehen, wie die nächsten Wahlen ausgehen. Vor dem Hintergrund gerade der hessischen Wahlergebnisse habe ich aus mancher großen Koalition eine kleine oder eine Nichtmehr-Koalition werden sehen. Insofern ist es keine Frage des Wehtuns. Die Antiatom-Opposition gibt es seit Mitte der 70er Jahre. Mit langem Atem und mit sehr guten Sachargumenten halten wir seitdem durch. Ich kann nicht sehen, daß wir uns in einer Rückwärtsentwicklung befinden.
— Die Lichter sind nicht ausgegangen. Wir haben die Stromwirtschaft vor Überkapazitäten bewahrt, die sie in den Ruin treiben.
— Hören Sie doch mit „Cattenomläuft" auf! Cattenom ist doch nach Ihrer Meinung genauso sicher wie jedes deutsche Atomkraftwerk, nicht wahr? Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Wir exportieren mehr Strom, als wir importieren.
Es gibt eine negative Bilanz, was den Import betrifft; das können Sie dem wunderbaren Buch „Die öffentliche Elektrizitätsversorgung 1992", herausgegeben vom VDEW, einem, einmal unter Ihren politischen Gesichtspunkten gesehen, völlig „neutralen" Zeugen, entnehmen. Wir importieren weniger Strom, als wir exportieren.
Herr Schäuble, ich bitte Sie, an dem Punkt noch einmal aufzumerken. Wenn Sie den Untergang des Standortes Deutschland an die Wand malen, nämlich auf Grund der höheren Preise, die dann kommen würden, möchte ich fragen: Wie ist denn die gegenwärtige Lage? Gegenwärtig, so schreibt die Industrie, sind ihre Strompreise real gesunken. Die Strompreise der Haushalte sind real gesunken. Bei den Industriestrompreisen nimmt Deutschland in der EG eine Position im Mittelfeld ein. Bei Haushaltsstrompreisen nimmt Deutschland in der EG ebenfalls eine Position im Mittelfeld ein.Soll ich Ihnen einmal sagen, welches Land mit am günstigsten liegt? Es ist das völlig atomstromfreie Dänemark. Dänemark liegt, was die Preise anlangt, mit am günstigsten.
— Durch Importkohle; nicht nur durch südafrikanische, verehrter Herr, sondern auch durch polnische und andere.
Was ich Ihnen damit nur sagen will, ist das Folgende: Sie könnten sich sehr wohl einen von Ihnen so genannten Kohlemix vorstellen, mit heimischer Kohle in einer bestimmten Größenordnung und mit Importkohle.
— Teilweise ist das ja schon Realität.Nur, wenn Sie, Herr Schäuble, behaupten, daß wir volkswirtschaftlich zwingend auf die gefährlichste Art der Energieversorgung, nämlich die, die auf Kernenergie basiert, angewiesen wären, ansonsten würden bei uns die Strompreise nach oben explodieren, sage ich: Verehrter Herr Schäuble, das ist eine schlichte Falschinformation, die Sie dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben. Die Zahlen zeigen etwas völlig anderes.
Herr Minister Fischer, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit schon beträchtlich überzogen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Ende.Wenn man alle Argumente bedenkt, wenn man sieht, daß die ökonomische Situation, wie sie die CDU/CSU und die F.D.P. bei den Energiepreisen für den Fall an die Wand gemalt haben, daß es zu einer Beendigung der Atomenergienutzung in diesem Lande käme, alles andere als standortgefährdend ist, wenn man sieht, daß die Entsorgungsfrage nach wie vor völlig ungelöst ist, und wenn man die Risiken der Nutzung der Atomenergie in diesem Lande in Rechnung stellt, dann wäre ein Energiekonsens denkbar gewesen, der allerdings auf das geregelte Auslaufen der heute am Netz befindlichen Atomreaktoren hinausgelaufen wäre. Dann wäre es möglich gewesen, Verantwortung für die Schlußabwicklung bei der Entsorgung zu übernehmen.Das haben alle angeboten, auch die Umweltverbände. Das war, Herr Kollege Töpfer, sehr viel. Das wurde abgelehnt. Dann hätte die Möglichkeit bestanden, zu einem tragfähigen Konsens jenseits der weiteren Nutzung der Atomenergie zu gelangen. Dann hätte man in der Tat die Möglichkeit eines verstärkten Einsatzes von Energiealternativen anpacken können.Im übrigen kann das die Bundesregierung heute schon tun. Ich frage Sie: Warum gibt es denn keinen entsprechenden Etatansatz? Hessen setzt 100 Millionen DM pro Jahr für die Förderung regenerativer und rationeller Energieerzeugung ein, der Bund 300 Millionen DM. Nun vergleichen Sie einmal den Bundeshaushalt, in dem nur 300 Millionen DM dafür bereitgestellt werden, mit dem Haushalt eines Landes wie Hessen, das 100 Millionen DM bereitstellt, und dann wissen Sie, was diese 300 Millionen DM tatsächlich wert sind.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16151
Staatsminister Joseph Fischer
Das alles kann die Bundesregierung heute machen. Sie tut es nicht. Sie will einen Fortführungskonsens bei der Atomenergie. Dafür werden Sie auf Dauer in diesem Lande keine Mehrheit bekommen. Die Konsequenzen daraus werden sein, daß ein Umstieg wesentlich teurer und wesentlich schwieriger werden wird. Sie haben eine große Chance vertan, einen atomenergiefreien Energiekonsens auf der Grundlage eines geregelten Auslaufens herbeizuführen. Wir brauchen einen Energiekonsens, aber unter Ausschluß der Atomenergie, und nicht einen, mit einer Fortführung einer neuen Reaktorgeneration.
Als nächster spricht der Kollege Klaus Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die SPD-Ministerpräsidenten sich gegenseitig vorgeworfen haben, sie hätten entweder Gummi im Kreuz oder Stroh im Kopf, hat sich die Symbiose aus beiden Positionen in dem SPD-Präsidiumsbeschluß vom vergangenen Montag niedergeschlagen. Die Aufkündigung der Energiekonsensgespräche durch die SPD ist aber nicht nur für viele Sozialdemokraten ein trauriges Kapitel. Allerdings werden wir uns im Gegensatz zu anderen nicht zurücklehnen und der Dinge harren, die da kommen werden. Wir werden nicht, wie die SPD, energie- und gesamtwirtschaftliche Ziele aufkündigen. Es geht hier um essentielle Weichenstellungen in der Energiepolitik, und dazu kann man nicht schweigen. Hier muß gehandelt werden. Dazu sind wir, die Koalitionsfraktionen, bereit.Erstens. Wir erklären uns bereit zur Weiterführung der Gespräche. Grundlage hierfür sind die Verabredungen, die wir mit den Sozialdemokraten einvernehmlich getroffen haben. Wir wollen zu den Themenblöcken Kohlepolitik, Energiesparen, Energieeffizienz, regenerative Energien und Kernenergie unsere Beratungen fortsetzen. Dies haben wir aus gutem Grund so beschlossen, denn der inhaltliche Zusammenhang der drei Themenblöcke liegt auf der Hand und ist bisher von der SPD auch nicht bestritten worden. Um so unverständlicher ist deshalb die Aufkündigung der Energiekonsensgespräche durch die SPD.Viele sachliche Annäherungen sind in den Konsensgesprächen der letzten Monate erfolgt, und es wäre aus meiner Sicht dumm, wenn wir auf diese Zwischenergebnisse nicht zu einem späteren Zeitpunkt zurückgriffen.Zweitens. Auf die Kernenergie können wir nicht verzichten. Verzicht heißt aus der Sicht meiner Fraktion auch Verweigerung der Übernahme internationaler Verantwortung und mangelnde Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit.Meine Damen und Herren, ohne die Hilfe Europas und der Länder, die profunde Kenntnisse und Erfahrungen in der Kernenergietechnologie haben, sind die osteuropäischen Staaten nicht in der Lage, ihre Dinosaurierreaktoren dem internationalen Sicherheitsstandard anzupassen.
Hier muß ohne Zeitverzug gehandelt werden. Wir sind uns unserer besonderen Verantwortung gegenüber Osteuropa und den ehemaligen sowjetischen Republiken bewußt, und wir sind zu Kooperationen bereit.
Da ist es schon zynisch, wenn Wolfgang Clement in einem gestrigen Interview sagt, daß die SPD bei der Atomenergie nicht mit anderen Staaten konkurrieren wolle, sondern auf dem Feld der Umwelttechnologie, beim Energiesparen und bei der Entwicklung neuer Energiequellen. Das zweite wollen wir auch, aber das erste können und dürfen wir aus Verantwortungsgründen nicht lassen.
Meine Damen und Herren, wer die westdeutsche Kernenergietechnik zum Erliegen bringt, bringt auch — das will ich noch einmal feststellen — die Weiterentwicklung der Sicherheit osteuropäischer Anlagen zum Stillstand.Verzicht auf den weiteren Einsatz der Kernenergie heißt aber auch bei uns zu Hause die Preisgabe von mehr als 130 000 Arbeitsplätzen in einem wichtigen Hochtechnologiebereich. In einer Zeit, in der der Strukturwandel alle Wirtschaftssektoren berührt und verändert und die Rationalisierung der Arbeit oft der einzige Ausweg für Unternehmen ist, sich auch weiterhin am Markt behaupten zu können, will die SPD auf einen Wirtschaftsbereich verzichten, der leistungsstark ist, innovativ wirkt, internationale Kooperationen ermöglicht und so dauerhaft sichere Arbeitsplätze bietet.Ich frage die SPD: Wie werden Sie Ihrer Genossin Wulf-Mathies begegnen, Herr Kollege Jung — Sie haben gleich noch die Möglichkeit, darauf zu antworten —, die den Erhalt der Arbeitsplätze z. B. in Mülheim-Kärlich oder in Hanau für die Menschen gefordert hat, die dort gute Arbeit leisten? Werden Sie ihr sagen, daß Sie nicht länger bereit waren, die Basis für den Arbeitsplatzerhalt zu stellen? Ich bin gespannt auf die Gespräche, die wir am 9. November mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen führen werden.
Auch ihnen muß die SPD erklären, welche verheerenden Folgen diese Ausstiegsideologie für den Arbeitsmarkt hat.Meine Damen und Herren, hochsubventionierte Arbeitsplätze im Steinkohlebergbau, AB-Maßnahmen im ostdeutschen Braunkohletagebau mögen sinnvoll sein und den Menschen in den Revieren eine Perspektive geben. Aber schon heute verkraftet unsere Volkswirtschaft derlei Ausgaben nur schwer. Wie erst kann sie dieses leisten, wenn die Opposition Hochtechnologiebereiche kappen und ideologiebefrachtetes dirigistisches Denken zur Ausgangsbasis ökonomischen Handelns machen will? Die Bundesre-
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16152 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Klaus Beckmannpublik als Industriestandort braucht weiterhin eine leistungsfähige Energiewirtschaft.Die F.D.P. plädiert für einen Fadenrißverhinderungsreaktor. Wir wollen, daß die Industrie die Gelegenheit erhält, einen Erprobungsreaktor in Deutschland zu bauen. Ob sie dies tut und ob dieser dann unseren Kriterien für einen katastrophenfreien Reaktor entspricht, wird sich zeigen. Erst wenn diese Kriterien realisiert werden können, kann über den kommerziellen Bau weiterer Kraftwerke in unternehmerischer Freiheit bei den EVU entschieden werden.Verzicht auf Kernenergie bedeutet auch, Klimaschutzerfordernisse außer acht zu lassen. Mit dem in der Koalition verabredeten CO2-Minderungsziel von 25 % bis 30 % haben wir uns ein wahrhaftig ehrgeiziges Ziel gesteckt. Mit ihrem Ausstieg aus den Energiekonsensgesprächen torpediert die SPD unstrittige umwelt- und energiepolitische Ziele. Ihre Politik ist doppelbödig und zerrissen, kein Wunder bei der Gummi-im-Kreuz-und-Stroh-im-Kopf-Gefechtslage innerhalb dieser Partei.
Drittens. Wir sind bereit, die noch anstehenden energiepolitischen Entscheidungen in der Koalition zu fällen. Mit der Koalitionsvereinbarung zur Kohlepolitik haben wir auf diesem Feld die ersten Pfosten eingerammt. Über das Kohlefinanzierungsinstrument muß noch gesprochen werden.Ich werde mich mit meiner Fraktion für eine zügige Beratung einsetzen, denn die Bergleute an Rhein, Ruhr und Saar sind keine Verfügungsmasse, sondern brauchen Sicherheit. Die Unternehmen brauchen den Rahmen für die anstehenden betriebswirtschaftlichen Entscheidungen.
Inwieweit eine Novellierung des Atomgesetzes auch Bestandteil eines möglichen Artikelgesetzes wird, werden die anstehenden Beratungen zeigen. Mit Sicherheit brauchen wir eine Lösung der anstehenden Probleme bei der Entsorgung. Das ist soeben lang und breit ausgeführt worden. Für die F.D.P. gibt es in diesem Bereich kein Dogma. Aus guten Gründen muß die Entsorgung jedoch in nationaler Verantwortung bleiben, auch wenn wir dabei internationale Kooperationen eingehen.
Auch einer direkten Endlagerung stehen wir als mögliche Alternative eines Entsorgungsweges offen gegenüber.Nur in einem parteiübergreifenden Dialog können wir Lösungen finden und eine Neuakzentuierung unserer Energiepolitik festlegen. Ich betone daher noch einmal unsere Bereitschaft zu weiteren Gesprächen. Zu gegebener Zeit, wenn auch in den obersten Parteigremien der SPD die Vernunft wieder walten darf, werden wir wieder zusammen das steinige Feld der Energiepolitik bearbeiten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Abgeordnete Volker Jung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Umweltminister Töpfer hat am Ende der letzten Verhandlungsrunde festgestellt, daß wir uns in einem Punkt — bei der Option einer zukünftigen Nutzung der Kernenergie — nicht näher gekommen sind. Das ist eine unvollständige Wahrheit. Die großen Strukturfragen in der Energiepolitik, die zukünftige Nutzung der Steinkohle und auch der Einstieg in die Energiesparstrategie sind im wesentlichen ungelöst geblieben. Sie sind das bis auf den heutigen Tag.Als Umkehrschluß kann man doch sagen: Wir sind uns in einer Reihe von Punkten durchaus nähergekommen. Das verdient festgehalten zu werden. Ich denke, daß wir darauf aufbauen können.
Ich möchte diese Feststellungen so ausdrücklich treffen, obwohl es einem von Diskussionsrednern wie Herrn Schäuble schwer gemacht wird,
wenn er hier falsche Behauptungen aufstellt, darauf hingewiesen wird, sich selbst überzeugen kann, daran festhält und nicht einmal die Form findet, dies wieder richtigzustellen.
Meine Damen und Herren, beide Seiten haben erklärt, daß jede Einigung in Detailfragen unter dem Vorbehalt einer Gesamteinigung steht. Daraus könnte man den Schluß ziehen, daß alles Gesagte für die Katz ist; man könnte aber auch den umgekehrten Schluß ziehen, daß vieles Gesagte wert ist, weiter verfolgt zu werden, auch wenn eine Gesamteinigung nicht in Sicht ist, weil die Ausgangspositionen zu unterschiedlich waren und sind.Immerhin geht es um die nicht unbedeutende Frage, daß die eine Seite aus der Kernenergie aussteigen will und die andere Seite sie weiter nutzen bzw. ausbauen will. Daß dieser Konflikt nicht einfach zu lösen ist, das lag auf der Hand. Daß dieser Konflikt auch nicht dadurch gelöst werden kann, daß die eine Seite die andere über den Tisch zieht, das dürfte eigentlich auch einleuchten.
Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung jetzt eine Neuauflage von dem veranstaltet, was wir als Erpressungsversuch zurückgewiesen haben, nämlich in einem Artikelgesetz die Finanzierung der heimischen Steinkohle mit der Kernenergieoption zu verbinden, dann wird dieser zweite Versuch ebenfalls scheitern.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16153
Volker Jung
Da werden Sie sich schon entscheiden müssen: Entweder Sie versuchen mit uns, Konsenspunkte zu definieren, oder Sie glauben, uns Ihre Auffassungen aufpressen zu können. Zum ersten sagen wir ja, zum zweiten sagen wir nein. Auf jeden Fall: Beides auf einmal geht nicht.
Ich weiß nicht, welche Strategen sich das bei Ihnen ausgedacht haben. Diese Strategie wird nicht aufgehen. Sie stellen sich doch offenbar vor, daß Sie dieses Gesetz mit Ihrer Mehrheit im Bundestag durchsetzen und uns dann im Bundesrat spalten können — vielleicht noch im Vermittlungsausschuß einen schlechten Kompromiß hinkriegen. Aber ich frage: Was hätten Sie damit gewonnen? Glauben Sie vielleicht, daß Sie damit Planungs- und Investitionssicherheit für die Elektrizitätswirtschaft schaffen können?Die Elektrizitätswirtschaft könnte nach dem geltenden Atomgesetz — das ist schon gesagt worden — Kernkraftwerke bauen. Die Herstellerindustrie könnte neue Reaktoren entwickeln und hätte einen Anspruch auf Betriebsgenehmigung.Warum machen sie das denn nicht, wenn sie das können? Warum haben sie denn erklärt, daß sie das in Zukunft nicht mehr machen werden? Weil sie rechnen können. Weil wir keinen Atomkonsens haben. Weil sie keine Investitionen mehr in den Sand setzen wollen.Sie meinen, meine Damen und Herren, Sie könnten dann mit einem so zustande gekommenen Gesetz Investitionssicherheit schaffen. Da kann ich nur sagen: Das ist Phantasterei! Diese Strategie wird nicht aufgehen!
Ich empfehle Ihnen daher: Lassen Sie diese taktischen Spielereien sein! Führen Sie sie vor allem nicht auf dem Rücken der Bergleute aus, sondern bemühen Sie sich, mit uns Ansätze zu suchen, wo wir einen Konsens finden können.
Meine Damen und Herren, wir waren ja schon einmal ein Stück weiter. Im Frühjahr hatten alle an den Konsensgesprächen Beteiligten einschließlich der GRÜNEN erklärt, daß für sie die Ergebnisse der Kohlerunde vom November 1991 gelten, was ja eigentlich selbstverständlich ist. Pacta sunt ser-vanda.Es müssen offenbar dieselben Strategen gewesen sein, denen dann im Sommer eingefallen ist, die von der Bundesregierung eingegangene Verpflichtung für nichtig zu erklären und einen Finanzierungsvorschlag für die heimische Steinkohle von unserer Zustimmung zur dauerhaften Nutzung der Kernenergie abhängig zu machen.Ich will allerdings nicht verkennen, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung — das ist mit ein Erfolg der Bergleute — mit ihrem Vorschlag, 7 Milliarden DM pro Jahr zur Unterstützung für die heimische Steinkohle einzusetzen, ein Stück bewegt hat. Dieser Vorschlag ist zwar immer noch unzureichend, er ist aber wenigstens eine Verhandlungsgrundlage. Wir werden nicht nachlassen, Sie an diese Verpflichtung zu erinnern.
Die Unruhe der Bergleute in Nordrhein-Westfalen und im Saarland wächst. Dafür tragen Sie die Verantwortung, und Sie tragen sie auch, wenn sich diese Unruhe zu einem Flächenbrand ausweitet, weil Sie Ihr Wort nicht einhalten.Wir kommen aber nicht umhin, Sie immer wieder daran zu erinnern, daß Sie verbindlich zugesagt haben, 50 Millionen Jahrestonnen Steinkohle, davon 35 Millionen Tonnen Verstromung, bis zum Jahr 2005 politisch zu stützen, d. h. mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Dies ist die Vereinbarung gewesen. Daran müssen Sie sich halten.Meine Damen und Herren, Sie haben sich bei den Konsensgesprächen über das Energiesparen so gut wie nicht bewegt.
Von der Arbeitsgruppe, die dazu eingesetzt wurde, haben wir jetzt zum x-tenmal einen Bericht darüber erhalten, welche Maßnahmen alle notwendig wären, um dieses Thema voranzubringen. Aber außer unverbindlichen Absichtserklärungen der Energiewirtschaft und der Bundesregierung haben wir dabei nichts Greifbares vereinbaren können.Nachdem das Instrumentarium der Fördermittel für die Energieeinsparung, rationelle Energieverwendung und Förderung erneuerbarer Energiequellen von Ihnen in den letzten Jahren rigoros zusammengestrichen worden ist, haben Sie keine Bereitschaft gezeigt, auch nur eine müde Mark lockerzumachen, um eine ökologische Modernisierung unserer Energieversorgung wenigstens in Angriff zu nehmen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, worum es in dieser Auseinandersetzung im Kern geht: Sie wollen die Option für die Kernenergie offenhalten, und wir wollen die Option für eine Energiezukunft ohne Kernenergie überhaupt erst öffnen. Darum geht es bei der Energiesparstrategie. Da tun Sie nichts, und ich bin der Auffassung, dies hat Methode.Meine Damen und Herren, wir haben angeboten, über die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke zu verhandeln. Dieses Angebot steht nach wie vor. Das Präsidium der SPD hat dieses Angebot ausdrücklich bestätigt. Wir haben einmal zehn Jahre für realistisch gehalten. Sie gehen von einer technischen Laufzeit von 40 Jahren aus. Die Elektrizitätswirtschaft meint sogar, daß die laufenden Kernkraftwerke 60 bis 70 Jahre sicher zu betreiben sind. Aber darüber haben wir ja noch gar nicht konkret diskutiert. Wenn wir uns an dem Energiekonsens in Schweden orientieren würden, dann müßten wir von einer Regellaufzeit von 25 Jahren ausgehen, und dann wäre — das ist ein außerordentlich wichtiger Aspekt — die Entschädigungsfrage im wesentlichen entschärft.
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16154 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Volker Jung
Ich bin nach wie vor gespannt, wie die Elektrizitätswirtschaft darauf reagieren würde. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie nach dem Motto der Bundesregierung verfährt: Alles oder nichts —
Herr Jung, Ihre Redezeit ist beendet.
—ich komme gleich zum Schluß, Frau Präsidentin —, insbesondere deswegen, weil davon die Entsorgungsfrage abhängt. Wir haben in den Verhandlungen erklärt — die GRÜNEN waren noch dabei —, daß wir bei der Entsorgung konstruktiv mitwirken werden, wenn absehbar ist, um welche Mengen von atomarem Abfall es geht. Sie sind erst zu ermitteln, wenn feststeht, wie lange die Kernkraftwerke am Netz bleiben.
Wir bestehen allerdings darauf, daß der Weg der direkten Endlagerung geöffnet wird. Aber wir vertrauen auch darauf, daß sich diese Entsorgungslösung durchsetzen wird,
weil sie unbestritten wirtschaftlicher ist als die Wiederaufarbeitung und die Wiederverwertung abgebrannter Brennelemente. Das hat die Elektrizitätswirtschaft zum Entsetzen der Herstellerindustrie ganz offen in den Verhandlungen erklärt. Dies eröffnet die Perspektive, in absehbarer Zeit, nämlich nach Abarbeitung der Altverträge mit Frankreich und Großbritannien, auch international aus der Plutoniumwirtschaft auszusteigen, nachdem das national — mit der Aufgabe der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf — bereits geschehen ist.
Ich darf noch einmal wiederholen: Es ist Ende der Redezeit.
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. Mir ist von den GRÜNEN ja offensichtlich auch Zeit weggenommen worden,
was ich nicht ganz verständlich finde, was aber sicherlich mit der Geschäftsordnung zusammenhängt. Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin.
Dies alles in den Wind zu schreiben, meine Damen und Herren, nur weil Sie Ihre Maximalpositionen nicht durchsetzen können, ist nach meiner Auffassung in höchstem Maße irrational und auch wirtschaftlich unvernünftig. Wenn Sie ständig vom Wirtschaftsstandort Deutschland sprechen, der durch den fehlenden energiepolitischen Konsens gefährdet ist, dann machen Sie doch endlich ernst damit, einen Teilkonsens dort zu suchen, wo er erreichbar ist, und pressen Sie uns nicht dort, wo wir prinzipiell nicht zustimmen können. Sonst entlarven Sie doch all Ihre Argumente als Scheinargumente.
Schönen Dank.
Daß Ihnen die GRÜNEN Redezeit weggenommen haben, stimmt nicht; das ist der Verrechnungsmodus.
Herr Seesing, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe große Hoffnungen auf den Energiekonsens gesetzt, und das nicht nur wegen der Möglichkeit, den grundlegenden Konsens über Kohle und Kernenergie wiederherzustellen, einen Konsens, der bis 1986 Bestand hatte und der von der SPD einseitig aufgekündigt wurde, als der Bundesparteitag dieser Partei beschloß, innerhalb von zehn Jahren aus dieser zukunftsträchtigen Hochtechnologie, der Kernenergie, auszusteigen. Dabei haben wir der SPD für alle laufenden und nicht laufenden Kernkraftwerke zu danken.Nein, ich hatte durchaus die Hoffnung, nun auch zu neuen Überlegungen über die zukünftige Gestaltung unserer Energieversorgung zu kommen. Der sich jetzt abzeichnende europäische Energiebinnenmarkt stellt uns vor neue Aufgaben. Die Strukturen unserer bisherigen Energieversorgung geraten möglicherweise in Gefahr. Vielleicht müssen wir uns sogar eine neue Struktur erarbeiten. Einige Elemente möchte ich ansprechen und dabei nicht alles wiederholen, was Vertreter der Koalition schon gesagt haben.Ich war einige Jahre Mitglied der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" und war damit an der Erstellung der ersten Berichte beteiligt. Dabei habe ich gelernt, daß der Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre der Erde, den Menschen, ja, der ganzen Schöpfung schadet, wenn ein bestimmtes Maß überschritten wird. Deswegen hat der Deutsche Bundestag eine drastische Verringerung der CO2-Emissionen gefordert. Unter dem Beifall des ganzen Hauses hat sich die Bundesregierung für eine Absenkung um 25 % bis 30 % bis zum Jahre 2005 ausgesprochen. Gleichzeitig fordern wir alle aber auch neue Arbeit für neue Arbeitskräfte. Mehr oder weniger laut wird behauptet, der Standort Deutschland sei in Gefahr. Ich behaupte: Er ist in Gefahr. Die Politik trägt ihr entscheidendes Stück dazu bei, wenn sie es noch nicht einmal schafft, ein langfristig geltendes Konzept für die Energieversorgung zu sichern.
Da stellt sich ein SPD-Kollege aus dem Stein- und Braunkohleland Nordrhein-Westfalen — der von allen Rundfunk- und Fernsehsendern und in dpa-Meldungen als Energiepolitischer Sprecher der SPD vorgestellt wurde und der nicht der Kollege Volker Jung war — in dieser Woche vor die Fernsehkameras und behauptet, das Energieproblem sei durch Einsparungen und durch Sonnenenergie zu lösen.
Nun glaube ich zu wissen, daß dieser Kollege tatsächlich tief und fest davon überzeugt ist. Aber andere in der SPD hätten ihm erklären müssen, daß das Modell nicht funktionieren kann, weil die in unseren Breitengraden einfallende Sonnenenergie recht gering ist, auf jeden Fall zu gering, um die Versorgung einer
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16155
Heinrich SeesingIndustrielandschaft aufrechtzuerhalten. Ich stelle mir schon vor, wie Fördertürme und Bergwerksgebäude, Steinkohlekraftwerke und Abraumhalden mit Photovoltaiktechnik besetzt sind, um etwas Wärme und Licht in die Häuser derjenigen zu bringen, die sich das teure Spiel noch leisten können. Wo bleibt da die Perspektive für die deutsche Steinkohle?
Im übrigen — das geht in eine andere Richtung —, wer es noch nicht wissen wollte: Die CO2-Belastung ändert sich nicht dadurch, daß ich deutsche Steinkohle durch Importkohle ersetze. Gelegentlich sind hier abenteuerliche Äußerungen zu vernehmen.Die Frage ist vielmehr, ob wir uns deutsche Steinkohle noch leisten können. Sie ist — für sich betrachtet — zu teuer. Wenn wir sie dennoch fördern und verbrennen wollen, um Strom und Wärme zu erzeugen, so hat das verschiedene Gründe: Europa behält einen weiteren Energieträger. Die Welt braucht Steinkohletechnik; wir können sie liefern. Aber wer nimmt etwas von Aussteigern? Nordrhein-Westfalen und das Saarland geraten in gewaltige Struktur- und Sozialprobleme, wenn ein schneller Ausstieg aus der Steinkohle erfolgen sollte.Einen Ausgleich zur teuren deutschen Steinkohle wird man letztlich nur mit einem besonders preiswerten Strom aus Kernkraftwerken finden können. Aber wir alle haben gesagt, daß wir uns die deutsche Steinkohle etwas kosten lassen wollen. Über die Regelung ab 1996 müssen wir bald entscheiden, und zwar nicht deshalb, weil uns irgend etwas jetzt besonders drängt, festzulegen, wie wir einen bestimmten Betrag finanzieren wollen. Aber für einen Punkt brauchen wir die Entscheidung wirklich: Welche Menge deutscher Steinkohle kann ab 1996 zu Weltmarktpreisen gekauft werden, und wieviel Geld garantiert der Gesetzgeber dafür? Die Koalition hat ein Angebot gemacht: 7 Milliarden DM für die Jahre 1997 bis 2000, 1996 sogar noch etwas mehr, weil dann nach der Vereinbarung vom 11. November 1991 mehr Kohle gefördert werden soll als ab 1997. Für die späteren fünf Jahre soll der Betrag rechtzeitig festgelegt werden.Nun hat Herr Ministerpräsident Schröder einen ganz interessanten Vorschlag für die Finanzierung aller Maßnahmen im Energiebereich gemacht. Danach sollen u. a. die Unternehmen des westdeutschen Steinkohlebergbaus im wesentlichen zur Subventionierung ihres Verkaufspreises eine möglicherweise nicht zweckgebundene allgemeine „Kraftwerkskohlebeihilfe" von im ersten Jahr, 1996, 6,5 Milliarden DM erhalten.Diese Summe soll sich jährlich um 250 Millionen DM verringern, so daß sich diese Hilfe im Jahre 2005 auf 4,25 Milliarden DM beläuft.
Mit solchen Vorschlägen kann Herr Schröder sicher zum Ehrenmitglied des Wirtschaftsrates der CDU e. V. ernannt werden. Es zeigt sich auf jeden Fall, daß es auch in der SPD neue Denkansätze gibt. Nur haben das Sagen eben diejenigen, für die der Strom aus derSteckdose kommt. Für die spielt es eigentlich keine Rolle mehr, woher der Strom da aus der Steckdose kommt.Wir wollen allerdings wissen, woher der Strom kommt. Ein Teil soll nach wie vor aus Steinkohlekraftwerken kommen. Dies wollen wir mitsamt der Finanzierung per Gesetz sichern. Nun kann man, mit Ausnahme von Teilen der SPD, der GRÜNEN und der PDS/Linke Liste, keinem Menschen mehr klarmachen, daß wir mit dem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie eine gewaltige Kapitalvernichtung betreiben sollen, um gleichzeitig viele Milliarden DM in einen Energieträger zu stecken, der in dieser Woche von vielen als Auslaufmodell bezeichnet wurde. Das Wort „Auslaufmodell" geht mir hier zu weit.Erst recht falsch ist aber die Behauptung, daß wir wegen Tschernobyl aus der Kernenergie aussteigen müssen. Die verlotterten Uraltatommeiler in Rußland und der Ukraine haben mit unseren modernen Kernkraftwerken in Westeuropa nicht das geringste gemein. Dazu hat Bundesminister Töpfer das Notwendige gesagt.Ich halte es für einen Skandal, daß das modernste Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich nicht in Betrieb sein darf, während gleichzeitig Strom aus Nachbarstaaten, nämlich der Schweiz und Frankreich, importiert wird.
Was geschieht eigentlich in Norddeutschland, wenn es auch in dem letzten Kernkraftwerk, das in Schleswig-Holstein noch in Betrieb ist, zu einem Störfall kommt, z. B. zum Verlust einer Schraube, die dann auf Weisung eines Ministerialbeamten monatelang gesucht wird und dann, wenn sie gefunden worden ist, von mindestens drei Gutachtern geprüft werden muß? Ich bin mir bewußt, daß ich hier polemisiere. Die Dinge sind tatsächlich sehr viel ernster.Was ich damit sagen möchte, ist folgendes: Wir können uns den Ausstieg aus der Kernenergie aus vielerlei Gründen gar nicht leisten. Der Stillstand von Kraftwerken, allerdings nicht nur der von Kernkraftwerken, bedeutet einen Verlust an Volksvermögen, bedeutet eine große Gefahr für den Standort Deutschland. Deswegen müssen Regelungen getroffen werden, die solche Schädigungen unserer Volkswirtschaft verhindern.Ich schlage vor, im Atomgesetz einige Änderungen vorzunehmen. Danach müßte es möglich sein, Kernkraftwerke für die Dauer ihrer Laufzeit rechtlich zu sichern. Wir benötigen Terminvorgaben an Behörden und einen Rechtsanspruch auf die genaue Darlegung der Voraussetzungen für die Erteilung erforderlicher Genehmigungen. Es darf kein ständiges Nachschieben von Fragen, Auflagen und Anforderungen mehr geben. Das Bundesrecht darf nicht durch Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden verletzt werden. Dann kann man sich auch auf Betriebslaufzeiten für Kernkraftwerke einigen, obwohl dies volkswirtschaftlich wie auch gesellschaftspolitisch in höchstem Grade bedenklich ist. Die Situation in Schweden sollte eigentlich eine Warnung für uns sein.
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16156 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Heinrich SeesingNun möchte ich noch auf ein völlig anderes Problem bei unseren Energieträgern hinweisen. Dies sind die Gebiete mit Grundwasserdefiziten durch den Braunkohletagebau in den jungen Bundesländern. Grundwasserdefizite entstehen durch die Übernutzung der Grundwasserressourcen oder durch die bergbaulich notwendige Grundwasserhaltung, wie sie der Braunkohlebergbau erfordert. Der Braunkohlebergbau pumpt zur Aufrechterhaltung der geotechnischen Sicherheit die Grundwassemeubildung, aber auch den statischen Grundwasservorrat ab. Der z. B. in der Lausitz betriebene großflächige Braunkohlenabbau hat Natur und Landschaft bis ins Mark getroffen und zu einem enormen Grundwasserdefizit geführt.Seit 1989 hat sich die Braunkohlenförderung drastisch verringert. Dadurch verringert sich auch die bergbauliche Grundwasserförderung und somit die in die Oberflächengewässer eingebrachte Wassermenge. Selbst bei einer Braunkohlenförderung von rund 90 Millionen t Rohbraunkohle im Jahr — die werden wir kaum noch erreichen können — werden in den kommenden Jahren im Spreewald und im Großraum Berlin Wasserbilanzdefizite auftreten.Jede Tonne Braunkohle, die weniger gefördert wird, führt zu weiteren Belastungen. Allein deswegen sind Beschlüsse von Stadträten, aus der Braunkohlenutzung auszusteigen, von überregionaler Bedeutung. Kostspielige und technisch aufwendige Sanierungsmaßnahmen stehen an. Auf Bund-LänderEbene abgestimmte Pläne sind erforderlich. Jedoch bedarf es dazu umweltpolitischer Vorgaben und eines gesellschaftlichen Konsenses über die Nutzung unserer Energieträger.Im politischen und gesellschaftlichen Konsens sollten eigentlich auch noch andere Fragen angegangen werden. Es ist sicher an der Zeit, sich über neue Strukturen einer dezentralen Wärme- und damit auch Stromerzeugung zu unterhalten. Dabei würden dann auch Biomasse und andere erneuerbare Energien ihren Platz erhalten. Wie wäre es, wenn wir mit Hilfe von Kugelbettöfen in die Methanolerzeugung z. B. aus Braunkohle einsteigen würden? All diese Möglichkeiten lassen wir außen vor, weil sich einige nicht von Ideologien lösen können.Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten versuchen, hier im Parlament das Ziel zu erreichen, das die Konsensgespräche anstrebten: eine langfristig gesicherte Energieversorgung auf dem Strom- und Wärmemarkt unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Energieträger. Kapitalvernichtung wird nicht mehr betrieben. Denn bedenken wir: Es geht auch um die Zukunft unserer Kinder.Ich danke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe die Aussprache.Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6051 zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden?
— Wir müssen zunächst darüber abstimmen. Da kein Einverständnis besteht, bitte ich, daß wir in der Sache abstimmen.
— Es ist niemand von der PDS/Linke Liste da. Trotzdem muß ich abstimmen lassen.Der Antrag auf Ausschußüberweisung hat keine Zustimmung gefunden. Ich lasse deshalb in der Sache abstimmen.Wer für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6051 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Der Antragsteller, die PDS/Linke Liste, ist nicht anwesend; also gibt es keine Zustimmung. Ich frage: Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag ohne die Stimmen der PDS/Linke Liste und bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung der Rundfunkanstalten des Bundesrechts und des RIAS Berlin— Rundfunkneuordnungsgesetz —— Drucksache 12/5825 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GONach einer Vereinbarung im Ältestenrat war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.Die Fraktionen und Gruppen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Redebeiträge insgesamt zu Protokoll zu geben.*) Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/5825 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 25. November 1992 in Kopenhagen beschlossenen Änderung und den am 25. November 1992 beschlossenen Anpassungen zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen— Drucksache 12/5977 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Gesundheit*) Anlage 3
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Präsidentin Dr. Rita SüssmuthAuch hier war nach einer Vereinbarung im Ältestenrat für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.Die Fraktionen und Gruppen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, auch zu diesem Tagesordnungspunkt die Redebeiträge insgesamt zu Protokoll zu geben.' ) Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? — Das ist der Fall. Es ist so beschlossen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/5977 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle StundeVerhältnis der Bundesregierung zur iranischen Regierung angesichts deren behaupteter Verantwortung für den Anschlag auf vier Iraner in BerlinDie Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat diese Aktuelle Stunde verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir halten es für skandalös, wie sich die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit bezüglich ihrer Kontakte zum iranischen Regime verhält oder eben nicht verhält.Eine große deutsche Zeitung hat von der Gemeinschaft der Nichtwissenden gesprochen, wohl die zutreffendste Umschreibung für das, was uns seit zwei Wochen seitens der Bundesregierung zugemutet wird.Fragestunden verläßt man mit dem Gefühl, daß eher verschleiert wird als informiert. Angebote an einzelne Abgeordnete, so auch an mich, im persönlichen Gespräch weitere Informationen zu geben, können nützlich sein — und ich nehme das auch gerne an —, aber sie helfen allein nicht weiter. Was jetzt nötig ist, ist die vorbehaltlose Information des Bundestages.Durch die Geheimgespräche von Staatsminister Schmidbauer mit dem iranischen Staatssicherheitsminister Fallahian ist der Beschluß des Europäischen Rats von Edinburgh, keine engeren Beziehungen zum Iran aufzunehmen, solange es keine Anzeichen für die Abkehr vom Staatsterrorismus gibt, grob mißachtet worden. Wir haben die herbe Kritik der USA, Israels und weiterer Verbündeter gehört und täten gut daran, sie mit der gebotenen Sensibilität zu berücksichtigen.Überhaupt wäre zu fragen, wer denn hierzulande für die Außenpolitik zuständig ist.
s) Anlage 4Herr Kinkel hat diese Frage neulich leicht pikiert bei anderer Gelegenheit gestellt. Um so verwunderlicher ist es, wenn das Auswärtige Amt bis heute keinerlei Probleme zu haben scheint, wenn Staatsminister Schmidbauer jede Menge außenpolitischen Porzellans zerschlägt.
In Berlin hat gestern der sogenannte Mykonos-Prozeß begonnen. Nach allen bisherigen Erkenntnissen der Ermittler haben die Mörder von vier iranischkurdischen Oppositionellen im September 1992 im direkten Auftrag des iranischen Geheimdienstes gehandelt. Über den als Organisator des Anschlags angeklagten Darabi hielt das Auswärtige Amt schon vor elf Jahren seine schützende Hand. Auf Grund des Drängens der iranischen Botschaft wurde er trotz seiner Beteiligung an einem Überfall aus der Abschiebehaft entlassen. Nach seiner Verurteilung auf Bewährung wurde ihm — wiederum mit Unterstützung des Auswärtigen Amts — zu einer Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik verholfen.Zehn Jahre hatte Darabi die Möglichkeit, sich an extremistischen Aktionen oder deren Vorbereitung bis hin zum Mykonos-Mord zu beteiligen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, der BND, das BKA, der Innensenator von Berlin — alle wußten über Darabis Gefährlichkeit Bescheid; teilweise wurden sie auch direkt von ausländischen Diensten informiert. Dennoch geschah nichts. — Nun erklären Sie das mal beispielsweise einem Asylbewerber, der wegen eines kleinen Ladendiebstahls abgeschoben wird.
Die Aufklärung dieser unglaublichen Vorgänge kann nicht nur dem Landgericht Berlin überlassen werden, sondern die Bundesregierung muß sich ernsthaft mit den eigenen Fehlern befassen. Sie hat ihren Anteil daran, daß das Attentat nicht vereitelt wurde.Nun hat Herr Schmidbauer die Beteiligung des iranischen Geheimdienstes an diesem Anschlag öffentlich in Zweifel gezogen und dann auf Drängen der Berliner Justiz halbherzig dementiert. Inzwischen ist öffentlich der von der Bundesregierung bisher nicht dementierte Verdacht geäußert worden, Gesprächsgegenstand zwischen ihm und Fallahian sei auch ein möglicher Deal gewesen: vier deutsche Gefangene im Iran gegen die Verschiebung des Mykonos-Prozesses.Schon haben iranische Oppositionelle auf eine gewisse Tradition in deutsch-iranischen Deals hingewiesen. Genannt wurde der damalige ChomeiniVertraute Tabatabai, der trotz seiner erheblichen Rauschgiftvorräte 1987 mit Hilfestellung des damaligen Bundesaußenministers unbehelligt die Bundesrepublik verlassen konnte. Aus der Affäre Darabi könnte nun zusätzlich noch eine Affäre Schmidbauer werden.Aber selbst wenn der Verdacht eines solchen Deals entkräftet werden kann: Wieso führt die Bundesregie-
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Gerd Popperung mit Geheimdienstchefs totalitärer Staaten, die im Verdacht stehen, Auftraggeber terroristischer Anschläge zu sein, überhaupt vertrauliche Gespräche?
Ich versuche, mir die Protestwelle vorzustellen, die es zu Recht gegeben hätte, wenn Bundes- oder Staatsminister zu DDR-Zeiten Gespräche über humanitäre Fragen ausgerechnet mit Stasiminister Mielke geführt hätten.
Für mich sind die Gespräche mit Fallahian eine Beleidigung der iranischen demokratischen Opposition und eine Verhöhnung der Opfer. Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, ob nun ein weiteres Mal der Anspruch einer menschenrechtsorientierten Politik zugunsten einiger Handels- und Wirtschaftsprivilegien — inklusive der Wiederaufnahme der atomtechnischen Zusammenarbeit, wie von israelischer Seite befürchtet wurde — aufgegeben werden soll.Die Bundesregierung sollte, sofern sie es kann, den fatalen Eindruck revidieren, daß sie sich in einer obskuren Winkeldiplomatie gegenüber einem Regime verirrt hat, das sich in seinem blinden Verfolgungswahn gegenüber Oppositionellen überhaupt nicht um die Weltmeinung schert, das stur am Mordaufruf gegen Salman Rushdie festhält und mittlerweile zum Mord an Rushdie-Verlegern übergegangen ist.
Die Redezeit ist beendet.
Die Bundesregierung sollte uns dankbar sein, daß wir ihr mit dieser Aktuellen Stunde die Gelegenheit verschaffen, das verheerende Erscheinungsbild zu korrigieren, das sie in den letzten Wochen in dieser Angelegenheit geboten hat.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Rolf Olderog.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zum eigentlichen Anlaß dieser Aktuellen Stunde, zu den Gesprächen von Staatsminister Schmidbauer mit dem auch für Nachrichtendienste zuständigen iranischen Informationsminister. Die Parlamentarische Kontrollkommission für die Nachrichtendienste hat dazu Berichte des Koordinators der Nachrichtendienste und des BND-Chefs entgegengenommen. Die PKK hat sich anschließend zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlaßt gesehen. Sie hat eine Erklärung veröffentlicht. Darin heißt es:Die Parlamentarische Kontrollkommission stellt einstimmig fest, daß beide Berichte keine Veranlassung zu Beanstandungen gegeben haben.Ich denke, das ist eindeutig. Ich sage noch einmal: Das ist einstimmig beschlossen worden.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die Pflicht, den Dialog mit dem Iran zu suchen und zu nutzen, um Deutschen oder ausländischen Personen zu helfen, die im Iran oder in der Region in Haft sind, sei es als Gefangene oder als Geiseln. Es wäre aus humanitären Gründen nicht zu verantworten, wenn wir hier die Hände in den Schoß legten und darauf verwiesen, daß wir andere Werte haben als das Regime dort. Wer die Gefängnisse in dieser Region kennt, der muß Verständnis für die Personen und ihre Familien haben, die die Bundesregierung dringend immer wieder um Hilfe bitten. Die Bemühungen der Bundesregierung auf diesem Feld sind durchaus vorzeigbar.
Wir dürfen dabei nicht erpreßbar werden; wir sind es auch nie geworden.Was den Mykonos-Prozeß angeht, so ist es absurd, dem Staatsminister Schmidbauer zu unterstellen, er wolle in ein gerichtliches Verfahren eingreifen. Ebenso ist es abwegig, zu glauben, es habe einen Deal gegeben.Für unser Verhältnis zum Iran stellen wir eindeutig klar: Wir verurteilen jede Form der Ausübung von Gewalt als Mittel der Politik. Wir verurteilen aufs schärfste jede Spielart des Terrorismus. Deutschland darf nicht Spielwiese oder Ruheraum für ausländische Gruppierungen werden, die ihre politische Überzeugung mit Gewalt auf unserem Boden durchsetzen wollen. Dies gilt für den Iran und iranische Gruppen wie für alle anderen Gruppierungen. Wenn es zu Gewaltakten und zu Morden kommt, dann müssen die Täter ohne Vorbehalt im Rahmen unserer rechtsstaatlichen Ordnung abgeurteilt werden, so wie in diesen Tagen im Fall Mykonos geschieht.Meine Damen und Herren, es kann heute nicht mehr zweifelhaft sein, daß unser Land auch zu Regierungen Beziehungen unterhalten muß, die unsere Wertvorstellungen nicht oder nur begrenzt teilen.
Gerade einige derjenigen, die früher am nachdrücklichsten dafür plädiert haben, mit Repräsentanten sozialistischer Unrechtsregime, die die Menschenrechte mit Füßen getreten haben, an deren Händen Blut herabtropfte, zu sprechen und deren Repräsentanten in Bonn mit allen Ehren zu empfangen, geben sich heute ausgesprochen sensibel. Bei klarer Kenntnis der Unterschiede der Wertvorstellungen bietet der Dialog mit diesen Staaten die beste Chance, einen Beitrag zum Wandel und zu einer Normalisierung zu leisten, bessere Chancen jedenfalls als eine Politik strikter Isolation.Selbstverständlich hat sich dieser Dialog in jenem Rahmen zu halten, der unserem Wertverständnis entspricht. Unsere eigenen moralischen Positionen müssen deutlich zum Ausdruck kommen. So verurteilen wir mit aller Entschiedenheit die Verfolgung von Salman Rushdie und die Verletzung von Menschenrechten. Wir haben ein großes Interesse, gegenüber dem Iran für die Nichtverbreitung von Massenvernichtungsmitteln einzutreten. Wir drängen darauf, daß der Iran den jetzt in Gang gebrachten Friedens-
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Dr. Rolf Olderogprozeß im Nahen Osten zumindest nicht stört und behindert.
Unsere Position in dieser Frage findet durchaus auch außenpolitisch gewichtige Unterstützung. So hat sogar der Europäische Rat im Dezember 1992 dazu aufgefordert, mit dem Iran wegen seiner Bedeutung in der Region einen Dialog zu führen. Es soll natürlich ein kritischer Dialog sein, der unsere Sorgen und Positionen deutlich zum Ausdruck bringt. Der Europäische Rat lehnt ausdrücklich Isolation gegenüber dem Iran als Mittel unserer Politik ab.Die Leitlinie der Iranpolitik der Bundesregierung entspricht in vollem Umfang den Grundsätzen, auf die sich alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft in aller Form geeinigt haben. Deshalb sind auch einzelne amtliche Vorwürfe von seiten befreundeter Staaten unberechtigt.Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung.
Es folgt jetzt der Abgeordnete Freimut Duve.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Herr Kollege Olderog, die Erklärung unseres Kollegen Penner zu der Sitzung gestern muß man Wort für Wort und sehr genau lesen.Es wird gesagt: Es gab die Berichte, die keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben haben. Wir werden über einige der Tatbestände wahrscheinlich im Laufe der nächsten Wochen noch diskutieren.Dies ist keine Debatte über Grundsätze unserer Iranpolitik. Ich bin mit Ihnen der Meinung, wir sollten sie einmal führen. Auch ich bin dafür, daß wir rational über unsere Beziehungen zum Iran nachdenken. Dies ist auch keine Debatte über Grundsätze unserer Menschenrechtspolitik.Dies ist eine Debatte über den grundsätzlichen Primat der Politik und der Außenpolitik über den gefährlichen Dilettantismus des Bundeskanzleramtes in Sachen Außenbeziehungen.
Die Regierung Kohl betreibt Außenpolitik mit vielen Zungen und vielen Kassen. Der Innenminister — jedenfalls sein Staatssekretär Waffenschmidt — ist in vielen ehemaligen GUS-Staaten tätig. Der Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer ist tätig im Nahen Osten, immer wieder, nicht nur in dieser Sache.Sein Gast, der Geheimdienstchef Fallahian, hat nach dem Gespräch das iranische Interesse an uns auf den Punkt gebracht. Ich zitiere ihn: Der Iran halte Deutschland für geeignet, der Weltöffentlichkeit die von Friedenswillen geprägte Haltung der islamischen Republik zu erläutern. Zynischer und herablassender ist Deutschland wohl selten zur Public-RelationsAgentur heruntergelobt worden
wie durch dieses Resumee von dem Chef eines Geheimdienstes nach seinem Gespräch mit Schmidbauer.Die meisten meiner in der vorvorigen Woche an die Bundesregierung gestellten Fragen hat die öffentliche Diskussion in den letzten Tagen beantwortet:Erstens. Wußte der Minister, daß Fallahian im Verdacht steht, mitverantwortlich zu sein für den staatsterroristischen Mordanschlag auf vier Gäste Willy Brandts in Berlin? — Ich will noch einmal sagen: Die größte Tradition des Islam ist die Gastfreundschaft. Hier hat vermutlich ein islamischer Staat unsere Gäste umgebracht. Auch das hätte einen gewissen Respekt gegenüber dem, was dort passierte, weit über die Opfer hinaus vom Staatsminister abverlangt. — Auf diese Frage kann man inzwischen ganz klar mit Ja antworten: Er wußte es.Zweitens. Wollte der Iraner Einfluß nehmen auf den Prozeß? Antwort: Ja, er wollte. Er hat es nicht vermocht — da gebe ich Ihnen sicher recht —; ich hoffe es jedenfalls.Drittens. Gab es Überlegungen, den Mann festzunehmen? Antwort: Ja, solche Überlegungen gab es, und sie waren dem Amt bekannt.Viertens. Gibt es eine Form der Kooperation mit dem iranischen Geheimdienst, die auch Ausbildungshilfe umfaßt? Antwort: Ja. Es sind Sachleistungen im Wert von über 100 000 DM nach Teheran gegeben worden.Wir werden dieser Frage noch nachgehen, ob zu dieser neuen rationalen Haltung gegenüber dem Iran auch gehören muß, daß Geheimdienste bei uns Geheimdienste dort mit ausbilden,
die keinerlei parlamentarischer Kontrolle und keinerlei öffentlicher Einsichtnahme unterliegen. Nein! Ich halte das für verfassungswidrig.
Sechste Frage: Ist die britische Regierung, deren Bürger Salman Rushdie einem vom iranischen Parlament wieder und wieder bestätigten Mordbefehl ausgesetzt ist, vor dem Gespräch informiert worden? Antwort: Nein; man hielt dies nicht für nötig.Siebte Frage: War es zwingend erforderlich, die wichtige humanitäre Hilfe für Israel, einen abgeschossenen Soldaten mit Hilfe des Iran zurückzuführen — wogegen niemand etwas hat; im Gegenteil, das sind wichtige Aktivitäten —, durch das Kanzleramt im Kanzleramt selber und im Rahmen eines solch spektakulären Besuches zu leisten? Antwort: Nein.Achte Frage: War es wirklich der richtige Moment, daß sich der Mitchef des Kanzleramtes in dieser Lage so spektakulär mit einem solchen Gesprächspartner verabredet, der zur Zeit für eine massive Propaganda gegen die PLO-Spitze und gegen Israel in Sachen Frieden mitverantwortlich ist? Es geschehen derzeit Morde. Es werden PLO-Leute umgebracht, und der Iran hört nicht mit seiner Propaganda auf, die PLO als
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16160 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Freimut DuveVerräter an der gemeinsamen Sache zu bezichtigen. Dieser Besuch war deplaziert.
Alle Fragen sind also weitgehend beantwortet. Eine Frage bleibt das Geheimnis des deutschen Bundeskanzlers: Warm gesteht er das permanente Fiasko bei der Kontrolle der Geheimdienste — wir haben schon manche Dinge gehabt — endlich ein? Und wann hört der außenpolitische Dilettantismus dieser Regierung auf?
Wir werden in der nächsten Zeit Gelegenheit nehmen, die Fragen zu stellen, wie das Innenministerium in wichtigen Staaten, die sich selber in einer sehr schwierigen Lage befinden, auftritt, warum das nicht mit dem Außenministerium in einer gebotenen Weise verabredet wird, und warum hier soviel nebeneinanderherläuft.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster hat der Kollege Ulrich Irmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe durchaus die Aufregung des Kollegen Duve, denn wir stellen hier fest: Eine Seifenblase ist geplatzt. Viel Lärm um nichts! Sie hatten sich Anfang der Woche ausersehen, einen Skandal — so wurde auch eben dazwischengerufen — aufzudecken, und hatten sich gefreut, hier die Bundesregierung einmal vorführen zu können.Inzwischen ist der Parlamentarischen Kontrollkommission, die dafür zuständig ist, Aufklärung erteilt worden. Wenn Sie jetzt sagen, alles, was dort berichtet wurde, sei zwar in Ordnung, aber es sei etwas ganz anderes als das passiert, was dort berichtet wurde, dann kann ich das nur als eine ausgesprochene Unverschämtheit zurückweisen.
Ich frage mich, wie Sie dazukommen, dem Herrn Schmidbauer hier zu unterstellen, er habe die Parlamentarische Kontrollkommission angelogen. Denn nichts anderes tun Sie hier. Dafür haben Sie keinerlei Beweis. Dafür haben Sie nicht einmal Anhaltspunkte. Wenn Sie diese Tatsache, daß Ihre schöne Seifenblase geplatzt ist, jetzt dazu benützen, einen Rundumschlag gegen die Politik der Bundesregierung insgesamt zu unternehmen, dann steht Ihnen das sicher zu; aber ich würde Ihnen doch empfehlen, sich dies für Gelegenheiten aufzusparen, bei denen vielleicht etwas mehr Substanz dahintersteht.Über die Tatsachen, wie die innenpolitische Seite diese Angelegenheit und die Geheimdienstsache angehen wird, wird mein Kollege Lüder nachher sprechen.Ich möchte nur noch einmal gerne aufgreifen, was von Ihnen hier eigentlich insgesamt beanstandet wird. Da bemüht sich die Bundesregierung, Gefangene aus unerträglichen Haftbedingungen im Iran freizubekommen. Da stellen sich der Sprecher vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der in Menschenrechtsfragen immer sehr engagierte Kollege Duve hin und sagen, dies hätte nicht geschehen sollen.
: Das habe ich nicht
gesagt!)Na gut, wenn man mit dem Außenminister des Iran über solche Fragen reden könnte, wäre das vielleicht vorzuziehen. Aber wir können uns die Gesprächspartner leider nicht aussuchen. Wenn der Iran sagt, wir schicken Ihnen diesen Vogel, und wir reden mit ihm über diese Frage, dann interessiert es mich gar nicht, was er für Vorstellungen hat und was er nachher der Presse erklärt, sondern dann interessiert mich, was dabei in dieser Menschenrechtsfrage unter dem Strich herauskommt. Das ist für mich das Kriterium.
Ich halte es für eine ganz schlimme Heuchelei, wenn Sie hier sagen, es ist schlimmer, daß Herr Schmidbauer mit diesen Menschen geredet hat, als wenn diese Gefangenen nicht freigekommen wären.
Hier hat die Bundesregierung sogar auch anderen Ländern gute Dienste geleistet.Meine Damen und Herren, was heißt denn hier Nebenaußenminister?
— Es will hier doch niemand den Charakter dieses Emissärs beschönigen. Es will doch niemand sagen, daß der etwa nicht all das auf dem Kerbholz hätte, was Sie hier sagen. Darum geht es doch wirklich nicht.
Ich sage Ihnen, wenn es möglich ist, Gefangene zu befreien und damit etwas zur Verbesserung der Menschenrechtssituation beizutragen, wenn ich dieses erreichen kann, dann rede ich mit dem Teufel in der Hölle.
Kollege Olderog hat es schon gesagt: Sie waren doch früher nicht so wählerisch, und man sollte es auch nicht sein. Man darf es in solchen Fragen gar nicht sein.Ich kann doch nicht die Hände in den Schoß legen und zusehen, wie Leute verrotten und vor die Hunde gehen, bloß weil mir der Gesprächspartner, mit dem ich diese Situation vielleicht bereinigen kann, nicht paßt, aus was für Gründen auch immer,
wie schlimm dieser Mensch auch sein mag.Jetzt muß ich noch ein Wort sagen, Herr Duve: Nebenaußenpolitik. Das ist nun geradezu lachhaft. Es ist doch nicht so, daß das Außenministerium nun für alle Bereiche und für alle Verästelungen ein absolutes Monopol hätte. Es gibt doch in jedem Ressort — das
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Ulrich Irmerwissen Sie doch ganz genau — vielfältigste Verknüpfungen mit dem Ausland. Das machen wir als Parlament doch auch so. Es sind doch nicht nur die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, die mit Kollegen im Ausland oder mit ausländischen Besuchern hier reden, sondern das macht der Innenausschuß in seinem Bereich, das macht der Verkehrsauschuß, der Umweltausschuß, jeder in seinem Bereich.So ist es doch ganz selbstverständlich, daß auch die Bundesregierung in ihren unterschiedlichen Ressorts Kontakte zu allen möglichen ausländischen Institutionen auf der jeweiligen Ebene hat. Nichts anderes ist hier geschehen.Wissen Sie, ich gehöre der Partei des Bundesaußenministers an. Ich würde wirklich empfindlich reagieren, wenn unser verehrlicher Koalitionspartner den Versuch unternehmen würde, Nebenaußenpolitik zu betreiben. Es hat hin und wieder sogar diesen Verdacht in früheren Zeiten gegeben, und dann haben wir gewußt, wie wir uns damit auseinanderzusetzen hatten. Herr Lamers weiß, wovon ich rede; der grinst deshalb.Aber in diesem Falle, meine Damen und Herren, ist der Vorwurf geradezu lächerlich. Wir als F.D.P. fühlen uns in keiner Weise durch angebliche Nebenaußenpolitik des Koalitionspartners beeinträchtigt, sondern wir wissen: Die Außenpolitik liegt in den bewährten Händen des Bundesaußenministers, und dabei wird es auch bleiben.Vielen Dank.
Herr Staatsminister Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich nicht, Herr Kollege Duve, mit Ihnen auseinandersetzen. Aber ich finde, einiges geht wesentlich zu weit, was Sie hier bieten. Ich will Ihnen das im einzelnen auch noch einmal sagen.Es darf keine Doppelstrategie bei Ihnen geben. Einerseits berichte ich dem zuständigen Gremium, der Parlamentarischen Kontrollkommission in mehreren Sitzungen, lasse ein Protokoll der Gespräche verlesen mit allen Details. Die Erklärung der Parlamentarischen Kontrollkommission lautet dann, daß sie einmal den Bericht entgegengenommen hat, und dann — ich zitiere —: „Die PKK hat sich davon überzeugen können, daß diese Gespräche humanitären Zwecken dienten. Die PKK unterstützt die Bundesregierung bei diesen Bemühungen, Menschenleben zu schützen, die gefährdet sind. " Ich habe dem an sich überhaupt nichts hinzuzufügen.Wer weiß, wie hart die SPD mit mir in diesem Gremium umspringt — und es ist gut so; ich selber bin ja derjenige, der informiert; ich könnte auch sagen, über das eine oder andere gibt es nicht diese Detailinformation —, der weiß auch, was diese Erklärung bedeutet.Dann stellen Sie sich hierher und tun so, als ob dies für Sie überhaupt nicht bindend wäre, als ob das, was dort berichtet wurde, falsch wäre, und kommen mit ihren alten Verdächtigungen, mit Ihrer Doppelmoral in den Bundestag und stellen hier Thesen auf, die durch nichts haltbar sind.
Wenn Ihnen dann nichts mehr einfällt, dann versuchen Sie, das Außenministerium und das Bundeskanzleramt auseinanderzudividieren.
Woher haben Sie eigentlich Ihre Informationen? Wie kommen Sie dazu, dreist zu behaupten, daß es hier nicht eine enge Abstimmung gegeben hat? Ich sage Ihnen: Bei all diesen Dingen, die wir gemacht haben, gab es die engste Abstimmung. Ich wurde zum Teil vom Auswärtigen Amt gebeten, die Möglichkeiten zu nutzen, die zu nutzen waren. Ich sage nachher, auch in der Abwägung, noch einiges zu Ihren Bemerkungen.Wenn ich auch keine Einzelheiten über die Verhandlungen unterbreiten kann, so möchte ich doch einige Punkte nennen, die den Besuch unter dem Licht erscheinen lassen, unter dem man diesen Besuch sehen muß. Ein erstes Treffen mit dem Informationsminister hat es bereits im Sommer 1992 gegeben. Es gab dort gleichfalls Gespräche mit dem Präsidenten des Irans, Herrn Rafsandschani. Gegenstand der damaligen Gespräche war die Freilassung von Strübig und Kemptner, die zu dieser Zeit seit drei Jahren im Libanon als Geiseln festgehalten wurden. Andere Verhandlungswege waren erschöpft und die Gesundheit der Geiseln stark gefährdet. Und dann wird von „Dilettantismus" gesprochen, wenn es in drei Wochen über kritische Gespräche möglich war, die Geiseln in die Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Unsere Gespräche waren erfolgreich. Teheran hat seine Möglichkeiten genutzt. Kurze Zeit darauf haben diese Gespräche zu dem bekannten Ergebnis geführt.In der Zwischenzeit, vom Sommer letzten Jahres bis heute, gab es viele solcher Gespräche. Viele deutsche Staatsbürger sind wieder zurückgefahren, ohne daß darüber bis heute zu irgendeinem Zeitpunkt etwas in der Öffentlichkeit bekanntgeworden wäre. Auch ein anderer europäischer Staatsangehöriger, der im Iran größte Probleme hatte, konnte ausreisen.Ich will auf die jüngsten Fälle eingehen. Im September 1993 kam der schwer herzkranke deutsche Staatsangehörige F., der wegen mehrerer angeblicher Vergehen angeklagt wurde, frei, nachdem ich entsprechende Gespräche mit iranischen Stellen — ohne den Minister, auf anderen Ebenen — geführt hatte. Herr F. wird zur Zeit medizinisch behandelt; es besteht die Notwendigkeit, sich unmittelbar in den nächsten Wochen einer Herzoperation zu unterziehen.
— Ich weiß dies. Sie waren, wenn ich das feststellen darf, auch nicht derjenige, der dies kritisiert hat.
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16162 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993
Staatsminister Bernd SchmidbauerSie haben von diesem Pult aus nicht mit solchen Argumenten operiert, und Sie wurden von mir, wenn Sie es wollten, informiert. Viele Fraktionen haben im Iran mit hochgestellten Persönlichkeiten gesprochen, wenn auch nicht immer mit Herrn Rafsandschani. Ich kenne auch Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion, die im Iran zum Thema Menschenrechte — genauso wie ich — eindeutige Positionen bezogen haben. Ich halte das alles für sehr hilfreich und unterstützend.Im September 1993 wurde der deutsche Staatsangehörige S. nach Gesprächen, die ich geführt habe, freigelassen. S. war in Teheran wegen angeblichen Betrugs verhaftet worden, anschließend aber in die deutsche Botschaft geflüchtet. Der Fall S. drohte zu einer ernsthaften Belastung der Beziehungen zu werden, da sich S. in der Residenz des deutschen Botschafters aufhielt.Diese Fälle wurden geklärt. Als der Letztgenannte deutschen Boden betreten hat, habe ich dem Minister eine Einladung übergeben. Dies war Gegenstand und Inhalt der Gespräche. Das war eine Notwendigkeit, auch wenn mir andere jetzt Ratschläge geben, solche Leute bei McDonalds oder anderswo zu treffen. Ich glaube, man sollte dies überlegen, ehe man solche Ratschläge erteilt.Diese Gespräche und dieses Paket waren mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Auch hier haben Sie keine Chance, einen Keil zwischen uns zu treiben. Der Kollege Kinkel hat des öfteren genau in dieser Frage unterstützend in allen internationalen Gremien auf diese Praxis hingewiesen.Ich darf daran erinnern, daß wir in Teheran einen deutschen Staatsbürger, der zum Tode verurteilt ist, einsitzen haben — und dies nun schon über viele Jahre. Es ist immerhin gelungen, daß dieses Urteil nicht vollstreckt wurde. Durch Hypnose und Negieren der Verhandlungspartner kommt es nicht zu solchen Ergebnissen. Aber alle anderen wissen das alles wesentlich besser. Ich vermisse zu diesem Zeitpunkt immer den entsprechenden Mut, sich dafür einzusetzen, daß diese Menschen freigelassen werden. Auch in diesem Punkt registriere ich bei den Gesprächen Unterstützung aus allen Fraktionen.Die Gespräche mit Herrn Fallahian in Deutschland dienen in erster Linie humanitären Zwecken, auch mit dem Blick auf ausländische Staatsbürger. Wer sich hier hinstellt und etwas anderes behauptet, der sollte auch Belege dafür auf den Tisch legen.
— Die zweite Linie betrifft all die Punkte, auf die ich gleich noch zurückkomme. — Dies hat auch der israelische Ministerpräsident Rabin deutlich gemacht, als er öffentlich erklärte — ich zitiere —:Man soll sich durch die Veröffentlichungen in den Medien nicht beeindrucken lassen. Deutschland gehört zu den europäischen Staaten, die humanitären Bitten Israels im Zusammenhang mit Iran entsprochen haben.Dies war das Zitat. Wenn Sie sich hier hinstellen und das Gegenteil behaupten, dann muß ich Sie fragen, wie seriös Ihre Berichte sind, die Sie hier abgeben.Aber damit die Spitze überhaupt erkannt wird, will ich Ihnen sagen, was hier über den stellvertretenden Außenminister Israels verbreitet wurde. Ich zitiere:Durch die Zusammenarbeit mit Iran zeige Deutschland seinen hinterlistigen und heuchlerischen Charakter.So lautet eine Presseerklärung in Deutschland, auch in die Reihe passend, die Sie hier aufzeigen! Ich darf Ihnen das richtige Zitat bringen. Der Vizeaußenminister Israels erklärte — ich zitiere wörtlich aus dem Protokoll des Parlaments —:Deutschland ist einer der freundlicheren und hilfreicheren Staaten gegenüber Israel in Europa.Und das im Zusammenhang mit diesen Fragen und Gesprächsthemen!
Damit wären wir gleich beim zweiten Punkt. Lassen Sie mich ein Wort zu den Berichterstattungen aus dem Ausland sagen, insbesondere zu Washington. Nach jüngsten Gesprächen ist klargestellt, daß es hier im Grundsatz keine Differenzen gibt. Wir sind mit Washington einig, daß die Frage der Nonproliferation — und das sind die anderen Themen — von Massenvernichtungsmitteln, die Abwehr von jeglichem Terrorismus, die Einhaltung der Menschenrechte und die Förderung des Friedensprozesses im Nahen Osten gemeinsames Ziel sein muß. Auch die Vereinigten Staaten wollen nicht etwa ein totales Embargo des Iran. Im Grundsatz ist Washington auch nicht gegen einen Dialog mit dem Iran.Was die europäischen Partner angeht, so gibt es den festen Rahmen — auch hier will ich gleich das Märchen von Ihnen, Herr Poppe, entkräften —, den der Europäische Rat im Dezember 1992 festgelegt hat. Dort wird nicht etwa von einem Dialog mit Teheran abgeraten, sondern es wird ausdrücklich zum Dialog aufgerufen. Mit einer Kurzformel läßt sich dieses Dokument durchaus dahin gehend zusammenfassen: Wir wollen mit dem Iran sprechen, aber dabei unsere Position ganz deutlich machen. Wenn Sie so wollen: Dialog und Druck. Wir, die Bundesregierung, halten uns ebenso an diese Leitlinie wie unsere europäischen Partner.Damit Sie sehen, wie der Wortlaut ist, will ich Ihnen diesen sagen. Denn Sie haben ja behauptet, wir hätten uns nicht daran gehalten, und auch Partner haben dies in einer Zeitung festgestellt. Ich zitiere aus dem „Bulletin" vom 28. Dezember 1992:Angesichts der Bedetung Irans in der Region bekräftigt der Europäische Rat seinen Standpunkt, daß ein Dialog mit der iranischen Regierung geführt werden sollte. Dabei sollte es sich um einen kritischen Dialog handeln, in dem die Besorgnis über das Verhalten Irans zum Aus-
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Staatsminister Bernd Schmidbauerdruck gebracht wird und in dem Verbesserungen auf verschiedenen Gebieten gefordert werden, insbesondere in bezug auf die Menschenrechte, das Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, das in Verletzung des Völkerrechts durch eine Fetwa des Ayatollah Khomeini verhängt wurde, und in bezug auf den Terrorismus. Verbesserungen auf diesen Gebieten werden entscheidend dafür sein, inwieweit es möglich sein wird, engere Beziehungen herzustellen und ein Vertrauensverhältnis zu schaffen.Ich frage mich eigentlich, was den Inhalt des Protokolls, das ich gestern der PKK mitgeteilt habe, besser dokumentiert als diese Feststellung des Europäischen Rates.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Nach meiner Uhr habe ich noch eine Minute.
Nein.
Frau Präsidentin, es tut mir leid.
Zu Medienberichten über meine Gespräche, die ihnen widersprechen, will ich folgendes sagen.
Kommen Sie bitte rasch zum Schluß.
Jetzt sehe ich „0".
Es tut mir leid, Frau Präsidentin. Ich möchte trotzdem zu den Punkten Stellung nehmen, weil ich denke, daß diese Vorwürfe im Parlament nicht so stehenbleiben dürfen.
Das verstehe ich einerseits, aber ich muß andererseits darauf aufmerksam machen, daß wir dann eine neue Runde eröffnen.
Dann muß ich zu meiner Fraktion schauen, ob sie nichts dagegen hat.
— Ich möchte in diesem Fall die Zeit nutzen. Die Vorwürfe waren sicher so, daß ich für die Antwort etwas mehr Zeit brauche.Schließlich bildete auch das Verfahren — und das ist jetzt wohl entscheidend — im Fall „Mykonos" keinen Gegenstand dieser Gespräche. Es trifft übrigens auch nicht zu, was einem Staatssekretär eines anderen Ressorts unterstellt wurde. Dieser wird sich deshalb zu der Meldung einer Münchener Zeitung entsprechend zur Wehr setzen.Was meine Gespräche mit Fallahian betrifft, möchte ich darauf hinweisen, daß es nicht nur ein Protokoll gibt, sondern auch darauf, daß dieses Protokoll vollständig der PKK zur Kenntnis gebracht wurde.Abschließend möchte ich noch etwas zu dem Vorwurf sagen, der im Fall „Mykonos" gegen mich gerichtet wurde: daß ich in diesem Fall dem Gericht Informationen vorenthalte. Dieser Vorwurf ist falsch und absurd. Das habe ich auch dem entsprechenden Richter mitgeteilt.Absolut falsch interpretiert wurde — Herr Kollege Duve, da komme ich auf Sie zurück — meine Aussage — ich darf diese noch einmal zitieren —: „Wer die Details kennt, kommt zu anderen Ergebnissen. " Diese Erklärung bezog sich auf die Frage, ob ich Informationen zurückhalte, nicht auf den Tathergang oder dessen Bewertung. Ich habe dies bereits in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag klar gesagt. Aber einige wollen dies nicht zur Kenntnis nehmen.Deshalb sage ich mit Nachdruck noch einmal sehr deutlich, auch wenn ich Gefahr laufe, daß die Aufgabe des Quellenschutzes dazu führt, daß Menschen in Gefahr geraten — ich sage das zum erstenmal öffentlich —: Es war der Bundesnachrichtendienst mit seiner Tätigkeit, der die Exekutive in den Stand versetzt hat, daß es heute Angeklagte in Berlin gibt. Dies meinte ich mit „Wer Details kennt, kommt zu anderen Ergebnissen".Wer unterstellt, wir hätten Details zurückgehalten, dem will ich sehr deutlich sagen: Mit meiner eigenen Mitwirkung haben wir an einem späten Nachmittag eines Freitags über eine Quellenmeldung und über Kontakt mit Quellen dafür gesorgt, daß Täter festgenommen werden konnten; daher kann uns doch in der Tat nicht unterstellt werden, wir wollten, daß Terroristen auf unserem Boden straflos davonkommen.
Das krasse Gegenteil ist der Fall: Die Sicherheitsbehörden tun alles, damit es nicht zu solchen Vorkommnissen kommt und damit auch klar signalisiert wird, daß wir keinen Deal machen mit Verbrechern und Terroristen. Wer hat in bezug auf Hamadi eigentlich Härte gezeigt und wer nicht?Eine letzte Bemerkung: Wenn es darum geht, Leib und Leben deutscher Staatsbürger oder auch Ausländer im Ausland zu schützen, sind oft schwierige Abwägungen zu treffen. Wer ein solches Geschäft mit Erfolg abschließen will, der kann sich den Gesprächspartner und die Umstände des Gesprächs nicht immer frei aussuchen. Dabei kann sich im Einzelfall ergeben, daß Entscheidungen getroffen werden müssen, die man nicht unterstützen könnte, wenn es nicht um diese Abwägung ginge. Für mich geht dann in der Regel der Schutz von Leib und Leben vor. Ich würde diese Position übrigens auch dann vertreten, wenn es dabei um meine Kritiker und ihre Familienangehörigen ginge.Ich habe erlebt, was es bedeutet, jede Woche sehr viele dieser Familienangehörigen zu sprechen. Für mich gibt es da nur die Abwägung, daß es um Menschen geht. Ob sich der entsprechende theoretische Kritiker dann anders entscheidet oder nicht, würde für mich keine Bedeutung haben. Das müßte jeder mit sich selbst ausmachen.
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Staatsminister Bernd SchmidbauerHerr Duve, Sie mögen dann zu einer anderen Abwägung kommen; das gestehe ich Ihnen zu. Das ist eine Kritik, die ich verstehe. Dann bitte ich aber auch zu verstehen, daß in dem einen oder anderen Fall meine Abwägung im Hinblick auf die konkreten Fälle anders ausgesehen hat.Ich habe noch gestern mit einer der Personen gesprochen, die in den vergangenen Wochen freigelassen wurden. Ich fühle mich in dieser Abwägung auch durch dieses Gespräch hinsichtlich des Besuchs dieses Ministers in Bonn bestärkt.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich gäbe es seitens der Opposition gegenüber Staatsminister Schmidbauer etwas klarzustellen. Ich hoffe, daß das noch geschieht, damit dieser Nachmittag wenigstens einen gewissen Sinn erhält. Er ist mit Sicherheit, Herr Minister, nicht so sinnvoll wie der späte Freitag nachmittag, den Sie soeben angesprochen haben, den Sie für humanitäre Zwecke verwendet haben.
— Hören Sie doch bitte zu, wir haben doch jetzt von der hohen, lauten Tonlage Gott sei Dank den Weg zu einer sachlichen, ruhigen Tonlage, die genau solchen Problemen angemessen ist, gefunden.Weil es hieß, wie das Bundeskanzleramt dazu komme, Außenpolitik zu machen: Ich wollte gerade ein Gedankenexperiment mit Somalia machen. Wenn ich mich recht entsinne, gab es da einen sehr aktiven Staatsminister des Kanzleramtes unter einer anderen Regierung, der in wichtigen, prekären Situationen vermittelnd und verhandelnd tätig gewesen ist. Oder würden Sie das, was Herr Wischnewski gemacht hat, anders qualifizieren? Nein.Was wäre denn heute, wenn vier Helfer des Technischen Hilfswerks oder einer anderen deutschen Hilfsorganisation von Aidid gefangengenommen würden? Sollten wir sie verrotten lassen, oder wäre das nicht auch eine sehr, sehr schwierige, delikate Situation, bei der wir nicht umhinkämen, auch mit denen, die uns überhaupt nicht passen, die wir wie man sagt — mit der Beißzange anfassen müssen, im Sinne der Humanität doch zu reden?Ich meine, daß die Abwägungen, die wir gehört haben, die richtigen sind. Unter diese Kategorie gehört für mich auch der Flug von Willy Brandt, um Deutsche aus den Klauen von Saddam Hussein — vor dem Beginn des heißen Golfkrieges — zu holen. Diese Dinge sind schwierig und verlangen dem, der sie leisten muß, viel ab, sie dienen aber letztendlich der Sache und müssen mit einer gewissen Lautlosigkeit erledigt werden.Ich danke dem Kollegen Olderog dafür, daß er als ein Vertreter der Parlamentarischen Kontrollkommission, als einer jener Kollegen, die wir beauftragt haben, für uns die parlamentarische Kontrolle auszuüben, unisono mit allen Kollegen aller Fraktionen, die in diesem Gremium sitzen, versichert, daß die Erklärungen und die Darlegungen überhaupt keinen Anlaß zur Beanstandung geben.Mir ist immer noch nicht ganz klar, Herr Kollege Duve, wie Sie versuchen können, das eindeutige Zitat von Herrn Penner in ein anderes Licht zu rücken. Der Ausbruch auf die Nebenaußenpolitik wird Ihnen dabei nicht gelingen.Soweit Sie den Kollegen Staatssekretär Waffenschmidt damit gemeint haben sollten,
wäre doch darauf hinzuweisen, daß innerhalb der Bundesregierung in dieser Frage ein Konsens besteht. Kollege Irmer hat es bereits genannt. Auch sein Parteivorsitzender und Bundesaußenminister, der von ihm zitiert wurde, hat ja die Arbeit von Staatssekretär Waffenschmidt ausdrücklich gelobt und bestätigt, daß es eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Häusern gegeben hat.
Ich denke, daß das auch für die Zusammensetzung von Delegationen gilt, die sich in die Länder begeben, in denen eine große Anzahl von Deutschen auf die Hilfe der Bundesregierung hofft.Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie sagen, ist der Bundesregierung, sowohl dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskanzleramt als auch dem Innenministerium, zu danken für ihre effektive Arbeit im Sinne einer gemeinsamen Vertretung deutscher Interessen im Ausland.Ich möchte jetzt zu dem Reaktionsklima in den anderen Ländern und in der Presse kommen. Ich weiß nicht, welche Überlegungen hinter manchen Äußerungen aus dem europäischen Ausland stecken. Allerdings drängt sich bei mir der Eindruck auf, daß sich die Kritik der letzten Tage an den deutschiranischen Beziehungen in Wirklichkeit vielleicht auch gegen Deutschland als einen Konkurrenten gerichtet hat und daß ganz andere, ganz profane Überlegungen dahinter gestanden haben.Bei der Frage, wie wir uns gegenüber dem Iran bei der sehr heiklen Problematik des Friedens im Nahen Osten verhalten sollen, kann ich nur im Sinne der Entschließung des Europäischen Rates und im Sinne von Bitten auch gerade der Palästinenser — wie ich aus erster Hand weiß — dazu auffordern, den Dialog mit dem Iran zu suchen
— man muß mit denen reden, die im Iran Einflußhaben —, um zu verhindern, daß ein Prozeß, derendlich in Gang gekommen ist, durch Terrorismus
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Christian Schmidt
torpediert wird, daß sich radikale Kräfte seiner bemächtigen.
Das ist ein lobenswertes Unterfangen, das eigentlich das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen braucht, aber das außerhalb des Lichtes der Öffentlichkeit, in vertraulichen Gesprächen, vielleicht zu mehr Ergebnissen führen kann, als wenn wir das hier im Parlament, coram publico, diskutieren. Ich bin nicht gegen Diskussionen im Parlament — weiß Gott nicht —, aber jedes an seinem Platz.Entscheidend bleibt, daß sich Herr Olderog und seine Kollegen für uns mit dieser Frage sehr intensiv auseinandergesetzt haben.Es bleibt ein Dank an Bernd Schmidbauer, daß er sich dieser schwierigen Aufgabe für die Bundesregierung unterzieht.
Als nächste spricht die Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Staatsminister Schmidbauer kann sicherlich für diese Aktuelle Stunde dankbar sein. Denn es ist wichtig, daß hier in aller Offenheit bestimmte, bisher nicht zur Sprache gekommene Hintergründe der Einladung an den Geheimdienstminister des Iran genannt worden sind.Sicher können wir uns auch darüber unterhalten, wo die Grenze solcher Verhandlungspakete liegt; denn, Herr Staatsminister Schmidbauer, Sie haben ja deutlich gesagt, daß die Einladung an den Minister Gegenstand der vorhergehenden Verhandlungen gewesen sei, die zur Freilassung der Deutschen und auch anderer Inhaftierter im Iran geführt haben. Ich denke, man wird in der Zukunft noch sehr sorgfältig darüber diskutieren müssen, wo die Grenzen sind.
Sie selber haben wohl etwas Ähnliches gemeint wie das, was Herr Irmer in seiner etwas drastischeren Art vorgetragen hat: daß man in einem solchen Falle auch mit dem Teufel reden müsse. Ich möchte ganz gerne noch ein bißchen darüber streiten, ob man in einem solchen Falle mit dem Teufel reden muß.Ich stimme Ihnen dahin gehend zu, daß wir den Dialog führen müssen. Selbstverständlich müssen wir den Dialog führen.
Die Frage ist aber: Welche Konzessionen machen wir?
Die Bundesregierung hat immer gesagt, sie sei in Fällen von Entführungen und ähnlichem nicht erpreßbar. Wenn Sie jetzt unter großer Geheimhaltung sozusagen doch ein Stück weit erpreßbar sind — —
— Ich komme gleich darauf. Ich habe noch drei Minuten.
Wir müssen darüber diskutieren, wo die Grenzen sind. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. Allmählich habe ich das Gefühl, daß ein gewisser Mißbrauch mit dem Wort „humanitär" getrieben wird.
— Ich begründe dies auch, meine Damen und Herren.
Erstens. Seit wann sind humanitäre Fragen so geheim, daß Sie darüber keinerlei Auskunft geben, bzw. erst dann, wenn es zu einer so dramatischen Diskussion kommt?
Zweitens. Warum haben die Regierungen in London und Washington gegen diese Verhandlungen protestiert? Sie haben wohl eine etwas andere Auffassung von den Grenzen. Insbesondere Washington hat Ihnen nachrichtendienstliches Material über die Rolle Irans im internationalen Terrorismus zukommen lassen.Hat bei diesen Gesprächen außer der Freilassung der Inhaftierten und der daran geknüpften Bedingungen die Einhaltung der Menschenrechte eine Rolle gespielt? Haben Sie über die Todesdrohung gegen Rushdie noch einmal gesprochen?Herr Schmidbauer, Sie haben gesagt, das Verfahren „Mykonos" sei kein Gegenstand gewesen. Was heißt das? Haben Sie kein Paket geschnürt, das so aussieht, daß Sie gewisse Zugeständnisse in diesem Prozeß gemacht haben? Oder ist dieses Ansinnen überhaupt nicht an Sie herangetragen worden?Ich habe noch eine letzte Frage, nämlich ob in diesem Zusammenhang z. B. auch der Bericht des BKA über das Gefährdungslagebild Irans zur Sprache gekommen ist, in dem der Bundesregierung sehr deutlich mitgeteilt wird, wie der Iran bei der Verfolgung seiner Gegner auch vor Straftaten nicht zurückschreckt und diese ohne Rücksicht auf die Beziehungen zu anderen Staaten im Ausland begeht.Dann kann man doch auch nicht so ohne weiteres, wie Sie zumindest in der Öffentlichkeit den Anschein erweckt haben, über die Anklageschrift des Bundesanwaltes hinweggehen. Sie haben das heute zurückgenommen, aber in der Öffentlichkeit ist dieser Anschein erweckt worden. Dies war absolut fatal.
Meine Damen und Herren, es bleiben auch nach einiger Klarstellung in dieser Aktuellen Stunde noch ganz empfindliche, ganz wichtige Fragen in der Diskussion, Fragen der Grenzziehung bei dem Dialog mit dem „Teufel". Es bleibt eine Frage weiterhin offen— ich denke, auch die muß noch einmal geklärt werden —: Wie weit geht in der Folge der gemeinsa-
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Uta Zapfmen Gespräche in der Tat geheimdienstliche Zusammenarbeit? Dies ist ein ganz empfindlicher Punkt.Ich weise darauf hin, daß wir auch in der Vergangenheit Fälle gehabt haben, die hinterher verschleiert wurden, die aber höchst bedauerlich waren. Ich weise auf die Zusammenarbeit mit dem Irak bei der Ausbildung von Soldaten hin. Damals hat die Bundesregierung behauptet, sie habe nicht stattgefunden. Dann waren es drei, dann waren es fünf, im Endeffekt waren es 25.Ich glaube, in solchen Fragen ist mehr Ehrlichkeit und Offenheit besser als Verschleierungsversuche. Wir sollten die Frage gemeinsam klären, wieweit eine solche Zusammenarbeit gehen sollte. Ich sage: Eine geheimdienstliche Zusammenarbeit in dem Maße, wie dies hier offensichtlich geschieht, kann man mit einem solchen Staat nicht betreiben.
— Ich erkläre es Ihnen anschließend, Herr Irmer.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Lüder.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, daß ich für mich in Anspruch nehme — manche Vertreter der Bundesregierung werden dies bestätigen —, daß ich zu denen gehöre, die auch nicht davor zurückschrekken, der Bundesregierung Kritisches zu sagen und auch zu fragen.
Ich habe aber nie zu denen gehört — ich habe die Bitte, daß wir uns auch heute daran halten , die der Bundesregierung erst einmal unterstellen, daß sie Mist macht. Da heute von Herrn Schmidbauer hier etwas gesagt worden ist, was mit dem in Übereinstimmung steht, was er vor der PKK gesagt hat, was der PKK-Vorsitzende Penner heute in der Presse noch einmal ausdrücklich gesagt hat — Sie können alle Pressemitteilungen dazu nachlesen —, sollten wir hier nicht Kohle nachlegen und sagen: Vielleicht hat er uns doch nicht so ganz mit der Wahrheit bedient. So sollten wir nicht miteinander umgehen.
Ich komme nun zu dem Begriff der Erpreßbarkeit, Frau Kollegin. Ich halte das zu diesem Zeitpunkt der Debatte für ein ganz falsches Wort. Die Frage „Habt ihr euch möglicherweise erpressen lassen?" hätte zu Anfang, bevor Herr Schmidbauer gesagt hat, was da war, gestellt werden müssen. Aber nach dieser Antwort, die wir bekommen haben, ist die Gefahr der Erpreßbarkeit — und ich hätte sie nur in einem Punkt gesehen, nämlich bei der Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz — nicht gegeben.Es war wichtig, es war verdammt wichtig, daß es auch in der PKK so dargelegt und an Hand der Protokollverlesung bestätigt worden ist, daß mit keinem Wort und auch mit keiner Andeutung gegenüber der persischen Seite der Eindruck erweckt wurde, daß wir irgendwo in die Unabhängigkeit der Justiz, des Kammergerichts in Berlin, eingreifen lassen. Dieser Prozeß muß laufen.Vielleicht ist ein bißchen untergegangen, was Herr Schmidbauer heute hier gesagt hat: daß es auch wesentlich auf seine Initiative zurückgeht, daß die Täter überhaupt gefaßt werden konnten.
Was nützt uns der beste Prozeß, wenn wir die Täter nicht haben?Von daher bin ich Ihnen, Herr Schmidbauer, dankbar, daß Sie — ich sage es ganz freimütig — an die Grenzen dessen gegangen sind, was einem Bundesminister zugemutet werden kann und was er uns zumuten kann. Sie haben so gehandelt, daß auch der Rechtsstaat handeln kann. Das ist für uns das Wichtige.
Wir sollten auch nicht mit Unterstellungen arbeiten, die heute noch nicht einmal die Zeitungen aufnehmen, die in die Richtung gehen, hier hätten die USA oder andere Regierungen protestiert. Wir sollten uns an die Fakten halten, wie sie im wesentlichen von den Zeitungen kolportiert werden.
— Ja, eben. Aber heute wagt es keiner mehr, nachdem die Informationen nach und nach herauskommen. Wir sollten nicht mit Gerüchten von vorgestern arbeiten, wenn wir heute mit den Fakten arbeiten können.
Wir sollten dankbar dafür sein, daß es jemanden gibt, der bereit ist, sich auch die Hände schmutzig zu machen, wenn es urn die Wahrung humanitärer Interessen geht. Die Welt ist nun einmal nicht nur aus Demokraten und Freunden der. Menschenrechte zusammengesetzt.Früher gab es ähnliche Situationen, ohne daß ich die Vergleichbarkeit behaupten will. Es fing schon mit dem Justizminister Thomas Dehler an, der damals in die Tschechoslowakische Republik gefahren ist, die zu dieser Zeit noch nicht sozialistisch hieß, aber schon sozialistisch war. Es ging mit vielen anderen Ministern weiter. Immer ging es darum, im Interesse der Menschen tätig zu werden. Sie haben dabei auch ein paar Schrammen im Gesicht bekommen und sich ein bißchen die Hände schmutzig gemacht. Aber man kann die Hände schließlich wieder waschen, wenn man selbstbewußt ist. Man darf sich nur nicht in Bindungen hineinziehen lassen, aus denen man nicht mehr herauskommt.Nach der heutigen Debatte haben wir keinerlei Veranlassung, zu vermuten oder zu glauben, daß es hier zu Fehlhandlungen seitens der Regierung gekommen ist. Herr Staatsminister Schmidbauer, Sie haben hier eine sehr deutliche, weit über die Vertrau-
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Wolfgang Lüderlichkeit, hinter die Sie sich hätten zurückziehen können, hinausgehende Erklärung abgegeben.
An dieser Erklärung werden Sie sich messen lassen, werden wir uns messen lassen. Wir sollten nicht darüber hinausgehen und davon abweichen. Wir sollten nicht versuchen, jetzt noch Dreck in den Brunnen zu werfen, nachdem Klarheit geschaffen worden ist.
Als nächster der Abgeordnete Heinrich Lummer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich denke, wir werden im Parlament immer einen Streit darüber haben, welcher denn der richtige Weg sei. Wenn man es mit einem politischen Gegner oder einem geradezu verhaßten Regime zu tun hat, stellt sich die Frage: Ist es besser, mit denen zu reden, sie zu umarmen, den Versuch zu machen, sie zu bessern, oder ist es richtig, sie zu isolieren? Das wird man dann und wann je nach Lage der Dinge zu entscheiden haben. Aber den Streit darüber haben wir immer.Die Opposition ist regelmäßig der Meinung, man müsse die Grundsätze sauberhalten und alles prinzipientreu machen. Es heißt: Mit diesen Menschen redet man nicht. Die Regierung muß es aber doch tun und sich die Hände schmutzig machen.Wir haben damals als Opposition — ich weiß das noch sehr genau — manchen kritisiert, der mit dem Osten diese Umarmungstaktik praktiziert hat.
Ich sage das ja auch. Das entspicht einem Rollenverständnis, und man muß es mit einer gewissen Gelassenheit sehen.Aber Sie haben es in einem Maße überzogen, das für mich wirklich ein bißchen erschreckend ist. Ich habe bei Ihnen den Eindruck, daß die eine Hand überhaupt nicht mehr weiß, was die andere tut. Die Opposition in diesem Hause bietet derzeit ein desolates Erscheinungsbild; es ist wirklich ein Jammer.Meine Damen und Herren, natürlich gibt es im konkreten Einzelfall schwierige Fragen. Geheimhaltung jedenfalls — Frau Kollegin, das sollten Sie wissen —, wenn sie von demjenigen, von dem man etwas will, erwartet wird — sonst leistet er nicht —, hat man immer praktiziert, auch bei den Verhandlungen mit der DDR über Freikäufe. Auch Regierungen, die sozialdemokratisch geführt waren, haben das getan.Es ist wohl ein Stück Selbstverständlichkeit, daß hier nur Vertraulichkeit zu dem gewünschten Ziel führen kann. Wenn Sie das nicht glauben, lassen Sie sich ein Privatissimum von Herrn Wischnewski geben. Der kann Ihnen einiges dazu erzählen. Ich jedenfalls habe ihm mit viel Intensität zugehört, als er das eine oder andere erzählt hat.
— Herr Duve, ich wollte gerade etwas zu Ihnen sagen,
mit welchem Pathos Sie hier geredet haben. Es hieß: Dieses Regime, das greift die PLO und Herrn Arafat an; schrecklich muß dieses Regime sein! — Es ist schrecklich. Aber noch vorgestern haben wir alle gesagt, mit diesem Mordbrenner Arafat dürfe niemand reden. Man meinte, das seien die Schlimmsten unter Gottes Sonne.
— Entschuldigen Sie, ich will ja nur die Relativität mancher Aussagen hier deutlich machen, die an diesem Tage zu dieser Stunde getroffen werden.
Wir, meine ich, haben das getan, was richtig und möglich ist, nämlich im Einzelfall zu entscheiden, mit wem man worüber zu reden in der Lage ist.Eines ist jedenfalls klar: Jener Grundsatz „Der Feind meines Feindes ist mein Freund" ist im Laufe der Jahre sehr brüchig geworden. Manche sitzen im Glashaus; denn alle möglichen haben damals den Irak gegen den Iran kräftig gefördert. Heute sieht die Welt wieder ganz anders aus. Wir müssen also mit denjenigen, die da sind, umzugehen in der Lage sein.Über die Qualität des Regimes in Teheran sollte es keinerlei Zweifel geben. Ich kenne kaum ein Regime, das ein negativeres Urteil verdient als eben dieses. Die Stichworte sind alle genannt worden. Das fängt an mit der amerikanischen Botschaft und geht bis zu Salman Rushdie.Wir sollten niemals zu reden aufhören, auch nicht in Gesprächen, die Herr Schmidbauer oder andere führen, mit diesem ewigen Ceterum censeo, was das für Lumpen sind und was sie zu leisten verpflichtet sind, wenn sie denn Völkerrecht und Menschenrechte respektieren und ernsthaft in einen Dialog einzutreten gewillt sind.
Aber nichtsdestoweniger: Die Bundesregierung ist weiterhin im Gespräch. Sie wissen, es sitzt immer noch jemand im Gefängnis. Der Konsul hat am 25. ein Gespräch mit Herrn Bachmann geführt. Die Gespräche werden weitergehen.
Möglicherweise kommt es auch hier zu einem positiven Ende, was eben deutlich macht: Wir kommen nicht daran vorbei, zu bestimmten Zeitpunkten mit Menschen zu reden, die keineswegs unsere Hochachtung verdienen — ganz im Gegenteil.
—Letzten Endes zählt der Erfolg, der Erfolg im Sinne einer humanitären Lösung. Das ist die Wahrheit, die wir sehen müssen.Ich betrachte die Situation jetzt einmal aus der Sicht des Herrn Bachmann — für die Politik gilt ähnliches —: Der will Geschäfte im Iran machen. Er weiß
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Heinrich Lummergenau — jedermann weiß das —: Du kannst Geschäfte nur machen, wenn du schmierst. Aber Schmieren ist auch nach unseren Moralvorstellungen verboten. Ergo: Er macht keine Geschäfte oder er schmiert. Wenn die Bundesregierung in humanitären Fragen Erfolg haben will, muß sie mit den Leuten reden, oder sie wird keinen Erfolg haben.Wir haben in der Deutschlandpolitik oft genug die Situation gehabt, daß man sich die Hände schmutzig machen muß. Ich bedaure jeden, der sich die Hände schmutzig machen muß. Aber ich bin dankbar, wenn er sie sich schmutzig gemacht hat. Dieser Dank gilt dem Minister. In der Wirklichkeit, in der wir leben, ist das unvermeidbar. „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen", sagt Max Piccolomini im „Wallenstein". Das ist die gleiche Situation. Manchmal geht es gar nicht anders.Insofern muß man um der Menschlichkeit willen — ich wiederhole das, was der Kollege Irmer gesagt hat; das hat ja hundertjährige Tradition — mit dem Teufel reden; möglichst nicht in der Hölle, sondern an einem neutralen Ort. Aber reden muß man mit ihm um der guten Sache willen.
Als nächster der Kollege Markus Meckel.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist sehr interessant für mich als jemanden, der gerade aus der Anhörung der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte kommt, in der heute über die Ostpolitik und die Entspannungspolitik miteinander geredet und gestritten worden ist. Es stellt sich durchaus die Frage, welche Lehren man daraus ziehen kann. Wenn ich manche Vertreter der Koalition hier reden höre, habe ich den Eindruck: Die eine Hand hier weiß wirklich nicht, was die andere in der Kommission an Vorwürfen gegenüber der SPD in bezug auf die Ost- und Deutschlandpolitik formuliert.
Es gibt ein paar Fragen, die wir uns stellen müssen: Wie hat man sich in der Politik mit einer Diktatur abzufinden, und in welcher Weise müssen wir mit ihr kooperieren? Wie müssen wir handeln, wenn wir fragen: Wird dadurch ihre Existenz gestärkt oder nicht? Was hat man getan — das war eine Frage, die uns in der Anhörung beschäftigt hat und die hier durchaus aktuell ist — und was tut man, um die Kräfte gegen eine solche Diktatur zu stärken? Wir haben dazu manche Gelegenheit; denn nicht wenige der Vertreter solcher Kräfte leben in Deutschland. Was hat man getan, um die Einhaltung der Menschenrechte zu stärken und in humanitären Fällen zu helfen? Letzteres ist ganz wichtig.Ich denke, es ist überhaupt nicht zu bestreiten — darüber herrscht in diesem Hause Einigkeit; das sollte klar anerkannt werden —, daß man in humanitären Fällen miteinander reden muß, daß man kooperiert und versucht, miteinander zu verhandeln — und das auch zwischen solchen Staaten, wie es nun einmal Deutschland und Iran sind oder wie es früher die Staaten des Ostblocks waren. Das alles, denke ich, ist nicht strittig.Es stellt sich die Frage, mit wem und worüber man redet. Zunächst zu dem Aspekt, mit wem man redet. Mein Kollege Poppe hat schon gesagt: Wir hätten durchaus ein merkwürdiges Gefühl und man müßte die öffentliche Debatte heutiger Tage miterleben, wenn Herr Mielke im Kanzleramt empfangen würde, um humanitäre Fälle zu besprechen. Dies hätte jedenfalls im nachhinein — ich behaupte: auch damals schon — so manchen Beigeschmack gehabt, den wir nicht akzeptieren könnten.
Herr Fallahian ist in bezug auf sein Handeln ganz gewiß nicht weniger schrecklich als Herr Mielke. Ich denke, da ist manches durchaus vergleichbar.Was haben Sie nach dem Ende der Diktaturen im Umgang mit diesen gelernt? Ich denke, das ist die zentrale Frage. Meines Erachtens geht es nicht nur um Gespräche. Gespräche in humanitären Fällen sind das eine. In diesem Fall ist es aber so — das ist eine politische Dummheit; ich kann mir nicht vorstellen, daß dies nicht gesehen worden ist —, daß diese Gespräche „zufällig" vor dem Mykonos-Prozeß und zudem auf Spitzenebene stattgefunden haben. Ich muß gestehen: Dazu habe ich einige Fragen, die mir bisher nicht einleuchtend beantwortet worden sind.Man kann, wenn man an den Prozeß denkt, durchaus in bezug auf Gerüchte nachfragen, die besagen: So einfach war es für den Generalbundesanwalt von Stahl nicht, die Anklage so zu erheben, wie er sie erhoben hat.
Da hat es offensichtlich manche Widerstände und manche Hindernisse gegeben. Jedenfalls kann ich soviel sagen: Es wurde ihm verweigert, im Zusammenhang mit der Fertigstellung der Anklageschrift mit Kollegen der SPD-Fraktion zu sprechen. Man muß die Frage stellen: weshalb? Die Justizministerin hat das damals verweigert.Der eigentliche Skandal liegt für mich nicht bei den Gesprächen, sondern bei der Zusammenarbeit von Geheimdiensten. Hier, so denke ich, ist noch sehr viel mehr nachzufragen. Wenn es so ist — ich meine, das ist schon deutlich geworden —, daß zwischen dem deutschen Geheimdienst und dem des Iran eine Zusammenarbeit stattfindet, die gleichzeitig Ausbildungshilfe ist, eine Zusammenarbeit mit einem Staat, der vom Terrorismus nach innen und nach außen lebt, ist das ein Skandal, den man nicht auf sich beruhen lassen kann. Ich jedenfalls denke: Das muß Folgen haben.Unsere Fraktion wird das nicht einfach hinnehmen. Man wird hier weiter fragen müssen, obwohl natürlich
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Markus Meckelklar ist, daß Geheimdienstfragen in dieser Weise von Ihnen hier nicht beantwortet werden.Vielen Dank.
Herr Kollege Lamers.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte war bereits überflüssig nach der Presseerklärung des Kollegen Penner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir verzichten auf weitere Beiträge.
Ich verstehe wirklich nicht, daß Sie nicht soviel Flexibilität haben.
Zumindest das sollte man Ihnen in Ihrem eigenen Interesse noch zutrauen. Aber das haben Sie auch nicht.Was ist denn gewesen? Es gab erstens eine Unterredung mit einem zugegebenermaßen problematischen Gesprächspartner zu eindeutig humanitären Zwecken. Das bestreitet niemand mehr; das kann wohl auch niemand mehr bestreiten.
Zweitens wird auch nicht mehr bestritten, daß man sich mit dem unterhalten muß, der die Möglichkeit hat, das zu erzielen, was man erzielen will: den humanitären Zweck.
— Ja, es ist ein Preis, den man bezahlt, wenn man mit einem solchen Menschen spricht. Das ist wahr. Aber wenn man das Ziel anders nicht erreichen kann, dann muß man es nach dem Motto tun, das der Kollege Irmer hier drastisch anschaulich, aber richtig wiedergegeben hat.
— Kollege Meckel, wollen Sie das laut wiederholen? Ich rate Ihnen, es nicht zu tun.
Drittens. Es war nicht nur ein humanitärer Zweck für Deutsche, sondern offensichtlich für auch andere. Das Lob aus Jerusalem ist wohl nicht zufällig. Ich finde, das sollte bei unseren Überlegungen auch eine gewisse Rolle spielen, sogar eine bedeutende.Wenn das so ist, gehe ich davon aus, Herr Staatsminister Schmidbauer, daß andere Partnerländer und Dienste unterrichtet waren.
Deswegen sind die Anflüge von Kritik, die es da gegeben hat, offen gestanden ein wenig merkwürdig — um das zurückhaltend zu formulieren —, wenn nicht zum Teil heuchlerisch.Das Problematische ist für mich eigentlich die Tatsache, daß Ihr Gesprächspartner, Herr Schmidbauer, nichts Eiligeres zu tun hatte, als anschließend sofort eine Mitteilung über dieses Gespräch von sich zu geben.
— Er wird schon gewußt haben, warum. Natürlich hat er das gewußt.
Das zeigt aber, wie problematisch dieses Land ist. Der Grund, weshalb er das getan hat, ist ja ganz offenkundig. Aber leider konnten wir das nicht verhindern.
— Natürlich sieht man daran, Kollege Duve, daß es ein problematisches Land ist. Aber darüber sind wir uns alle einig. Wenn es nicht so problematisch wäre, bräuchten wir eine solche Art von Dialog mit diesem Land überhaupt nicht zu führen. Das ist doch der Punkt.
Mein Gott noch mal, das dreht sich immer im Kreise. Ich verstehe nicht, wieso Sie nicht zumindest nach der ersten Runde eingesehen haben, daß es nicht weiterführt. Die Regierung hat ein schwieriges Geschäft zu einem eindeutig humanitären Zweck unternommen, nicht nur für Deutsche, sondern auch für andere.Sie ist dabei erfolgreich gewesen. Sie hat keinen Preis bezahlt, der unbezahlbar ist. Herr Kollege Lüder, das wäre in der Tat unerträglich. Das geht nicht. Darin sind wir uns völlig einig. Herr Staatsminister Schmidbauer hat dies hier noch einmal eindeutig festgestellt. Gegenüber der PKK sind von ihm offensichtlich allseits zufriedenstellende und noch detailliertere Erklärungen abgegeben worden,
sonst würde sich hier doch nicht der Kollege Penner öffentlich hingestellt und die Bundesregierung und den Staatsminister in Schutz genommen haben. Dennoch führen Sie hier eine solche Debatte. Ich frage Sie wirklich, wieso.Es wäre in der Tat interessant, einmal über die Rolle des Iran in der Region und im Friedensprozeß zu reden. Ich habe an diesem Pult gesagt: Der Iran oder diejenigen, die gegen diesen Friedensprozeß agieren, können nicht unsere Partner sein. Dies wiederhole ich. Aber es ist wohl ein gewisser Dialog notwendig, damit
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Karl Lamersman den Iran dazu bringt, zumindest nicht gegen diesen Prozeß zu agieren oder sich vielleicht sogar eines Tages daran zu beteiligen.
— Lieber Karsten Voigt, es muß aber leider auch über andere Fragen gesprochen werden. Darin sind wir uns doch einig.
Deswegen — ich wiederhole es — verstehe ich nicht, daß Sie, Herr Kollege Meckel, jetzt wieder zweimal von „Skandal" gesprochen haben. Überlegen Sie doch, welche Worte Sie wählen! Nach dem Verlauf dieser Debatte hätten Sie sagen müssen: Dies war eine interessante Debatte, die einige Aufschlüsse gegeben hat; wir wissen alle, wie problematisch und heikel das ist, aber ich gratuliere der Regierung, daß sie erfolgreich gewesen ist. Jedenfalls möchte ich das für meinen Teil zum Abschluß dieser Debatte machen.
Herr Kollege Christoph Matschie.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es doch ganz gut, daß die Regierungsfraktionen in dieser Debatte nicht das letzte Wort haben.
Der letzte Tenor lautete, diese Debatte sei im Grunde überflüssig. Auch der Kollege Irmer hat gesagt, es sei viel Lärm um nichts. Ich glaube, daß das nicht der Fall ist.
Es geht hier um einen problematischen Sachverhalt. Ein Geheimdienstminister eines Landes ist hier in Deutschland, und die Bundesanwaltschaft fragt nach, ob sie ihn verhaften könne, eben weil international bekannt ist, daß dieser Geheimdienst Drahtzieher vielfältiger Morde und Anschläge ist. Dies ist ein problematisches Geschehen, auch wenn hier von verschiedenen Seiten anerkannt worden ist, daß Gespräche mit dem Iran geführt werden müssen. Aber es gab keine — jedenfalls nicht bei allen hier im Raum — Übereinstimmung darüber, daß es notwendig ist, Gespräche gerade mit diesem Mann zu führen. Ich glaube auch, daß es sehr problematisch ist, dann Gespräche mit solchen Menschen zu führen.
— Man kann sich die nicht immer aussuchen, aber man muß einen solchen Geheimdienstminister auch nicht hierher einladen. Das ist gleichwohl problematisch und bleibt es auch trotz aller Beschönigungsversuche.Gerade auch im Vorfeld des Mykonos-Prozesses ist es für die Opfer dieses Anschlages vom vergangenen Jahr sicher schwer zu verstehen, daß der Drahtzieher dieses Anschlags hier offiziell als Staatsgast weilt.
Ich möchte aber noch auf einen anderen Punkt kommen. Es ist in dieser Debatte etwas offen geblieben — mein Kollege Meckel hat vorhin auch darauf hingewiesen —: Wir haben hier keine Aussagen darüber gehört, wie denn die offenkundig gewordene Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit dem Geheimdienst des Iran aussieht.
Es ist anläßlich dieses Besuches offenkundig geworden, daß es hier seit längerem eine Zusammenarbeit gibt. Dies halte ich für einen Skandal. Es läßt sich nicht mit humanitären Argumenten rechtfertigen, mit einem Geheimdienst zusammenzuarbeiten, der viele Menschen auf seinem Gewissen hat.
Ich denke, daß diese Debatte noch wegen eines weiteren Punktes nicht überflüssig und nicht viel Lärm um nichts ist. Es ist im Verlauf dieser Runde deutlich geworden, daß wir eine Debatte über die Grundsätze einer Iran-Politik brauchen, und es ist nicht das erste Mal, daß wir die Politik der Bundesregierung gegenüber dem Iran problematisieren müssen. Vor etwa einem Jahr hatten wir hier anläßlich des Besuchs von Salman Rushdie in der Bundesrepublik eine Debatte, und auch da sind sehr kritische Töne zur Politik der Bundesregierung gegenüber dem Iran laut geworden.
Die Frage ist doch weiter offen: Ist es denn notwendig, daß der Iran zu den Ländern gehört, die einen großen Anteil von Kredithilfen, von Hermes-Kredithilfen gewährt bekommen? Ist es notwendig, ein Land wie den Iran von seiten der Bundesrepublik in dieser Weise zu unterstützen?All diese Fragen sind weiter offen, über diese Fragen werden wir weiter zu reden haben. Das ist auch ein Ergebnis dieser Debatte. Ich finde sie deshalb nicht überflüssig. Ich glaube auch nicht, daß sie viel Lärm um nichts war, sondern eine wichtige Gesprächsrunde, die wir fortsetzen sollten,
um Mißverständnisse auszuräumen und zu einer konstruktiven Auseinandersetzung zu kommen, in der die Regierung nicht versucht, das, was geschehen ist, nur zu verteidigen, sondern auch kritisch zu hinterfragen, wie in Zukunft eine Iran-Politik aussehen muß.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Damit ist die Aktuelle Stunde beendet, und wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. November 1993, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen, obwohl Sie alle Arbeit haben, am Wochenende ein paar Stunden, in denen Sie auch etwas anderes tun können, als zu arbeiten.