Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, weise ich darauf hin, daß die heutige Fragestunde erst nach der Aktuellen Stunde gegen 14.30 Uhr durchgeführt wird.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 1. Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes; 2. Vierter Erfahrungsbericht über die beschleunigte Grundstücksverwertung.
Ich erteile für den einleitenden Bericht dem Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Theodor Waigel, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute den Erfahrungsbericht des Bundesministeriums der Finanzen über die beschleunigte Grundstücksverwertung in den jungen Bundesländern zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Kernaussagen dieses Berichts fasse ich wie folgt zusammen:Die Bundesregierung strebt eine breite und zügige Mobilisierung von Liegenschaften des Bundes, der Länder, der Kommunen und sonstiger öffentlicher Institutionen, z. B. der Kirchen, an. Mit der Baulandinitiative sollen Grundstücke vorrangig zum Verkauf gestellt werden, die für Investitionen im Wohnungsbau, aber auch für gewerbliche Zwecke benötigt werden. Durch die verbilligte Abgabe von Grundstükken soll vielen Investoren der Erwerb ermöglicht und damit zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen werden. Für Verwaltungszwecke benötigte Grundstücke und Gebäude werden z. B. zu 25 % des Verkehrswertes an Länder und Kommunen veräußert. Der Bund verzichtet somit über mehrere Jahre auf Einnahmen in Milliardenhöhe.Von Mitte Mai bis Mitte August 1993 konnte die Bundesvermögensverwaltung trotz der Schwierigkeiten auf dem Grundstücksmarkt die bisher größten Veräußerungserfolge erzielen. Es wurden Liegenschaften mit einer Gesamtfläche von 804 ha sowie 1 418 Wohnungen veräußert. Der Verkehrswert betrug 243 Millionen DM.Diese Ergebnisse dokumentieren die zwischenzeitlich eingetretene Konsolidierung der in den jungen Ländern neu errichteten Bundesvermögensverwaltung. Gleichzeitig wirkten sich die vom Bundesministerium der Finanzen eingeleiteten Beschleunigungsmaßnahmen verstärkt aus. Hierzu zählen insbesondere Vereinfachungen bei den Wertermittlungen und die Straffung der Entscheidungsabläufe.Um die Veräußerung von Bundesliegenschaften noch weiter zu beschleunigen, wird in den neuen Bundesländern die Verwertung künftig im Wege einer Arbeitsteilung zwischen der Bundesvermögensverwaltung und der Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt, TLG, vorgenommen werden. Die Bundesvermögensverwaltung klärt die rechtlichen und tatsächlichen Grundstücksangelegenheiten und übergibt der TLG die vollständig aufbereiteten Unterlagen. Die TLG kann dann sofort mit der Veräußerung beginnen. Der Abschluß eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit der TLG ist für morgen vorgesehen. Für den Bund wird Kollege Echternach den Vertrag unterzeichnen.Von diesem Vertrag erwartet die Bundesregierung die dringend erforderliche rasche Mobilisierung des Grundvermögens in den neuen Bundesländern. Durch die Nutzung des umfangreichen ImmobilienKnow-hows der TLG, verbunden mit einer Konzentration des Veräußerungsmanagements, ist mit zusätzlichen Verwertungserfolgen zu rechnen.Außerdem soll die Verwertbarkeit früher militärisch genutzter Grundstücke durch Sanierungsmaßnahmen gesteigert werden. Hierfür soll zusätzlich ein Teil der Erlöse aus der Grundstücksveräußerung eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat die bisher von den russischen Streitkräften genutzten Liegenschaften schon im Februar den Ländern zur unentgeltlichen Übernahme angeboten. Es handelt sich um 119 000 ha. Sachsen hat das Angebot bereits angenommen; Brandenburg und Thüringen haben ihre Zustimmung in Aussicht gestellt. Damit kommt ein erhebliches Potential auf die Länder zu, das sie im Sinne des Aufschwungs Ost nutzen werden.
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15362 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Bundesminister Dr. Theodor WaigelZu den sonstigen Immobilien kann ich noch erwähnen: Die TLG hat im ersten Halbjahr 1993 Verkaufserlöse in Höhe von ca. 4,3 Milliarden DM erzielt. Dabei handelt es sich überwiegend um gewerbliche Objekte, Gewerbe-, Industrie- und Bürogebäude, Hotels, Gaststätten und Ferieneinrichtungen.Zweitens. Die Sondervermögen Bahn und Post sowie die Treuhandanstalt haben ihre Anstrengungen verstärkt, um durch die Abgabe nicht betriebsnotwendiger Flächen zu einem verstärkten Grundstücksangebot in den jungen Bundesländern beizutragen.Die Bundesregierung hat damit in einem Kraftakt alle Anstrengungen unternommen, um das Grundstücksangebot in den jungen Bundesländern zu erhöhen. Dies wird — hiervon bin ich fest überzeugt — seine Wirkung für die wirtschaftliche Erholung in Ostdeutschland nicht verfehlen.Ich habe mir erlaubt, Ihnen eine detailliertere Unterlage zu diesem Komplex zur Verfügung zu stellen.
Danke schön, Herr Minister. Gibt es Fragen zu diesem Komplex? — Bitte schön, Herr Dr. Uelhoff.
Herr Minister, ich habe zwei Fragen zu diesem Komplex.
Die erste Frage. Die TLG ist eine Einrichtung der Treuhandanstalt. Bei der Treuhandanstalt haben wir nun die glückliche Regelung, daß sie nach der gesetzlichen Vorgabe bis zum Ende des Jahres 1994 ihre Aufgaben zu erledigen hat und damit aufgelöst ist. Wie verhält sich das mit der TLG? Mir geht es bei meiner Frage vor allen Dingen darum, daß gesichert bleibt, daß hier gearbeitet wird und daß das nicht zu einer Auffanggesellschaft wird, um nicht vermittelte Mitarbeiter der Treuhandanstalt zu bedienen.
Ich schließe die zweite Frage an. Es ist natürlich sehr erfreulich, was Sie auch im Bericht dargestellt haben, was bereits an Verkaufserlösen zu verzeichnen ist und was noch zu erwarten ist. Nun kann man allerdings bei der Vielzahl der Grundstücke in Ostdeutschland, aber auch in Westdeutschland, davon ausgehen, daß es sich nicht immer nur um die sogenannten Filetstücke handelt, sondern daß viele Grundstücke eine Belastung sind, auch eine Belastung für den jeweiligen, in diesem Fall den bundesdeutschen, Inhaber. Ich weiß aus meinem Wahlkreis — unter dem Stichwort Maßweiler —, daß dort seit drei Jahren ein Aufbau nicht verkauft werden kann, von den Amerikanern als Depot freigegeben, eine Stelle für Ratten und Fledermäuse.
Herr Uelhoff, kommen Sie zur Frage.
Die Frage geht dahin: Besteht das Bestreben der Bundesvermögensverwaltung, in diesem Fall der TLG, im Osten, aber auch im Westen solche Grundstücke nun loszuwerden, damit sie den Steuerzahler und den Bundeshaushalt nicht belasten, etwa durch die Verkehrssicherungspflicht?
Sie können versichert sein, daß die TLG für das, was normalerweise und aus gutem Grund von der Treuhandanstalt abgebaut werden muß, keine Auffanggesellschaft wird. Es bleibt dabei, daß sich die Treuhandanstalt möglichst bald, sobald das operative Geschäft zu Ende ist, selber auflösen wird. Sie muß natürlich bestimmte Dinge fortsetzen; diese müssen abgewikkelt werden. Insofern sind diese Auslagerungen sinnvoll und notwendig, damit nicht die große Institution Treuhandanstalt als Ganzes fortbesteht; aber nur, soweit die Aufgaben dies erforderlich machen, und dies mit einem möglichst privatwirtschaftlichem Konzept.
Zum zweiten. Natürlich gibt es Grundstücke, die auch eine Last darstellen, vor allem im ökologischen Bereich. Wir sind bei den jungen Bundesländern dabei, vernünftige Lösungen zu finden. Wir bieten auch den Ländern, die mit solchen Dingen überproportional belastet sind, an, daß wir ein oder zwei Objekte — das ist mit den Ministerpräsidenten erörtert — übernehmen und damit auch das Risiko der jungen Bundesländer etwas minimieren. Auf der anderen Seite muß natürlich das Paket als Ganzes akzeptiert werden. Ich glaube, daß die neuen Bundesländer hier einen großen Vorteil haben und deswegen auch das eine oder andere an Nachteil, an Altlast, in Kauf nehmen müssen. Wir haben diese auch im Westen. Wir haben aus dem Ersten Weltkrieg und aus dem Zweiten Weltkrieg noch solche Belastungen. Ich habe eine solche z. B. auch selber in meinem Wahlkreis. Dann werden wir zu einer stufenweisen Lösung der Dinge kommen müssen, auch in Stufenplänen, nicht auf einmal. Bei dem einen oder anderen Fall wird man auch einmal zur Gefahrenabwehr die Liegenschaften einzäunen müssen und warten müssen, bis man später zu einer Lösung kommt. Wir versuchen natürlich auch, manches im Paket zu verkaufen und abzugeben, so daß zu den Filetstücken auch die Dinge kommen, die als Belastung akzeptiert werden müssen.
Herr Abgeordneter Müller .
Herr Minister! Als derjenige, der sich im Haushaltsausschuß mit diesen Dingen zu beschäftigen hat, muß ich ausdrücklich sagen, daß dieser Bericht, den Sie eben vorgelegt haben, außerordentlich beeindruckend ist, ist er doch auch das Ergebnis einer jahrelangen Bewegung in diese Richtung. Bei allen Verantwortlichen aus Kommunen und sonstigen Bereichen des öffentlichen Dienstes, mit denen man spricht, spürt man eine große Zufriedenheit über die Rabatte und das schnelle Umsetzen.Meine Frage geht aber in folgende Richtung: Irgendwann muß diese Veranstaltung beendet sein. Irgendwann sind die Grundstücke, die verkauft werden können, an den Mann gebracht. Wie sehen Sie die Zeitachse dessen, was hier vor sich geht? Wann können wir damit rechnen, daß das einmal abgewikkelt sein wird?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15363
Herr Minister.
Das ist richtig. Aber wir brauchen nicht große Apparaturen dafür. Ich bin natürlich froh, daß die Bundesvermögensverwaltung, die auf so etwas überhaupt nicht vorbereitet war, nun in die Lage versetzt wurde, die Probleme anzupacken. Wir werden sie noch eine Zeitlang für die Verwertung brauchen, weil z. B. die Länder selber dazu keine diesbezügliche Verwaltung haben und auf die Bundesvermögensverwaltung auch künftig angewiesen sind. Das hat das Land Sachsen erbeten, und dazu sind wir bereit. Aber es wird sich in den nächsten Jahren natürlich wieder verringern. Ich kann im Moment keinen Zeitraum angeben, Herr Kollege Müller.
Ich möchte Ihre Frage nutzen, um einen Appell an die Länder und an die Kommunen zu richten. Der Bund ist im Moment fast die einzige Institution, die verbilligt abgibt. Auch die Länder sollten hier etwas tun. Die Länder, die verfassungsrechtliche Barrieren haben, könnten auch an Verfassungsänderungen in dem Zusammenhang gehen. Zu den Kommunen muß ich sagen: Der Bund darf in dem Zusammenhang nicht über den Tisch gezogen werden. Man muß wissen, was uns zumutbar ist und was nicht zumutbar ist. Normale Wertermittlungen müssen jedenfalls akzeptiert werden.
Ansonsten wollen wir das so schnell wie möglich tun, Herr Kollege Müller, damit uns das nicht als Daueraufgabe bleibt. Wir benötigen die beschleunigte Verwertung jetzt, um Land zu mobilisieren, um den Ländern und den Kommunen in den jungen Bundesländern entgegenzukommen und den Aufschwung damit zu unterstützen. Der Schwerpunkt der Aufgabe muß in diesem Jahr und in den nächsten zwei Jahren liegen.
Herr Abgeordneter Dr. Seifert.
Herr Minister, Sie haben hier verschiedene Zahlen genannt. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sind 804 ha verkauft, darunter 1 418 Wohneinheiten. Sie können mich korrigieren, wenn die Zahlen nicht genau stimmen. Des weiteren sind 119 000 ha den Ländern angeboten worden. Das klingt alles recht beeindruckend. Aber sagen Sie doch bitte, ob es irgendwelche verbindlichen Vereinbarungen gibt, die Sie mit den Käufern abgeschlossen haben, wozu sie diese Grundstücke verwenden. Ich möchte gerne wissen, wie viele Wohnungen z. B. auf diesen Grundstücken gebaut werden müssen, wie viele davon im sozialen Wohnungsbau, insbesondere natürlich in den innenstädtischen Bereichen. Ich vermute, daß von diesen relativ großen Flächen auch einige im innenstädtischen Bereich liegen. Vielleicht könnten Sie das detaillierter auflisten.
Herr Minister.
Ich kann dies jetzt nicht detailliert auflisten; aber ich
bin gern bereit, das jedem Kollegen zur Verfügung zu stellen.
In der Übersicht, die wir noch verteilen werden, ist auch enthalten, welche Preisabschläge für welche Zwecke gewährt werden. Größere Preisabschläge, und zwar in den neuen Bundesländern jedesmal höher als in den alten Bundesländern, finden statt: vor allen Dingen beim sozialen Wohnungsbau bis zu 80 %, im Westen bis zu 50 %, beim Studentenwohnraumbau bis zu 80 % im Osten, bis zu 50 % im Westen, bei sozialen Zwecken bis zu 80 %. Keinen Abschlag gibt es grundsätzlich für gewerbliche Zwecke; dafür kann kein Nachlaß gewährt werden. Dort muß die Rendite selber erlöst werden. Schlösser, Burgen, sakrale und kulturelle Bauten werden in den jungen Bundesländern unentgeltlich abgegeben, Heizwerke ebenfalls bis zu unentgeltlich. Bei Gewerbe- und Industrieflächen werden, wenn die Planung und Erschließung rechtsverbindlich gesichert sind, in den jungen Bundesländern bis zu 50 % Nachlaß gewährt.
Es ist ein differenziertes Verfahren, das auch im Einverständnis mit dem Parlament festgelegt wurde. Wir können gern noch detailliertere Auskünfte geben, für welche Zwecke es bisher zur Verfügung gestellt wurde, aber jedesmal nur so, wie es festgelegt wurde, nämlich für welche Zwecke die Preisabschläge stattfinden dürfen.
— Ich habe nur über den Berichtszeitraum eine Aussage. Veräußerungen haben natürlich schon in den letzten Jahren stattgefunden. Das kann ich jetzt nicht aus dem Handgelenk sagen.
Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Minister, nun wird es so sein, daß etliche Flächen nicht an den Mann zu bringen sind, aus welchen Gründen auch immer.
Sie sprachen von den kontaminierten Bereichen. Was bleibt denn übrig, wenn dieser Abschnitt dieses Jahr zu Ende geht? Mit welchen Kosten muß dies weiter verwaltet werden? Es muß ja eine Perspektive geben, möglichst davon herunterzukommen.
Herr Minister.
Was alle Flächen der Liegenschaften der früheren Sowjetunion anbelangt, gehen sie als Ganzes an die Länder über. Insofern gehen natürlich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die wir noch vereinbaren werden, auch die Lasten an sie über. Ich bin überzeugt: Die Vorteile überwiegen bei weitem.Das, was bei uns an anderen Grundstücken bleibt, ist natürlich zum Teil belastet. Der Umweltminister hat diese schon klassifiziert, und dafür bereits Schritte genannt. Das wird in Etappen vorzunehmen sein. Wir
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15364 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelhaben heute darüber gesprochen: Dort, wo z. B. Grundwasserbeeinflussung stattfindet, muß natürlich sofort etwas geschehen. Dort, wo hohe Kosten auftreten, aber keine unmittelbare Gefahr besteht, werden wir uns auch auf längerfristige Sicherungen — ich wiederhole — mit Umzäunungen und ähnlichem einrichten müssen, so daß die Kosten, die insgesamt sehr hoch wären, natürlich nicht in absehbarer Zeit auf uns zukommen, sondern auf einen langen Zeitraum verteilt werden müssen.Anders ist es bei der unmittelbaren Gefahrenabwehr — ich wiederhole —, bei Grundwasser und ähnlichem mehr. Dann muß natürlich sofort gehandelt werden.
Ich sehe keinen Wunsch mehr nach Fragen zu diesem Komplex.
Gibt es Fragen zu dem Thema der Förderung und Einstellung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes?
Frau Kolbe, bitte.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat in seiner Ausgabe der „Sozialpolitischen Umschau" vom 26. Juli 1993 veröffentlicht, daß im Kabinett am 20. Juli weitere ergänzende Maßnahmen zur Förderung der Einstellung Schwerbehinderter in den öffentlichen Dienst des Bundes beschlossen worden sind. Ich frage deshalb: Trifft es zu, daß in dieser Sitzung diese Maßnahmen nicht beschlossen wurden, da sie von der Tagesordnung abgesetzt wurden? Trifft es weiterhin zu, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung demnach eine falsche Erklärung veröffentlicht hat? Wurde diese Veröffentlichung im nachhinein korrigiert? Und wie begründet die Bundesregierung den Umstand, daß damit sozialpolitische Aktivitäten der Bundesregierung in der Öffentlichkeit verbreitet werden, die nicht annähernd der Realität entsprechen?
Wer antwortet für die Bundesregierung? — Herr Staatssekretär Kraus.
Frau Abgeordnete, ich weiß über diese Sitzung im einzelnen nicht Bescheid.
Ich kann Ihnen diese Frage deshalb nicht beantworten. Ich bin auf diese Frage in der Weise nicht vorbereitet, da ich nicht wußte, daß diese Sitzung hier angesprochen wird.
— Immer einen kleinen Scherz auf den Lippen, Herr Kollege.
Diese Sitzung war heute nicht Gegenstand der Kabinettsitzung. Ich habe hier Rede und Antwort zu stehen über das, was heute besprochen worden ist.
— Wenn ich es aber nicht weiß! Ich bin bereit, es nachzureichen.
Frau Abgeordnete Kolbe, die Antwort lautet: Es wird schriftlich beantwortet.
Frau Abgeordnete Kolbe, haben Sie eine weitere Frage? — Bitte.
Sie können also zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestätigen, daß am 26. Juli der Punkt von der Tagesordnung gestrichen wurde und daß die Veröffentlichung vom 26. Juli falsch war? Das müßten Sie doch wissen. Das war nicht heute, sondern liegt drei Monate zurück.
Genau deswegen weiß ich es ja nicht, weil es nicht heute besprochen wurde.
Frau Kollegin, Sie können mir jede Frage nach dem stellen, was in der heutigen Kabinettsitzung besprochen wurde.
— Natürlich, aber — —
Im Augenblick sind wir noch bei der Frage der Behinderten. Die Antwort lautet also: Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. — Danke.
Herr Abgeordneter Müller, eine Zusatzfrage zu diesem Komplex.
Herr Staatssekretär, von welchen Maßnahmen versprechen Sie sich denn jetzt eine Besserung in der Einstellungspraxis für Schwerbehinderte? Wir wissen ja, daß es eine merkwürdige Zurückhaltung gibt, wenn es darum geht, Schwerbehinderte zu beschäftigen. Meine
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Alfons Müller
Frage ist: Wie glaubt das Kabinett, bei diesen Dingen jetzt Abhilfe schaffen zu können?
Herr Kollege, erstens ist das Kabinett ja jedes halbe Jahr speziell mit dieser Frage beschäftigt. Die Ressorts sind heute wieder aufgerufen worden, alles in ihrem Bereich Mögliche zu tun, um Einstellungen in den Bereichen vorzunehmen, bei denen die vorgeschriebene Beschäftigungsquote noch nicht erreicht ist.
Zweitens gibt es eine Vorgriffsregelung, wonach Schwerbehinderte künftig schon bis zu zwölf Monate vor dem Freiwerden einer Stelle eingestellt werden können, und zwar als Angestellte und Beamte auf Probe.
Die weitere Regelung sieht vor, daß Stellen mit kw-Vermerken mit neueingestellten Schwerbehinderten besetzt werden können.
Wir versuchen also hier, alle uns sinnvoll erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen, um die vorgeschriebene Quote in absehbarer Zeit auch im Bereich des Bundes erreichen zu können.
Herr Abgeordneter Schemken.
Herr Staatssekretär Kraus, ich hätte gem einmal die Frage beantwortet: Gibt es, was die Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst angeht, Unterschiede zwischen den Ländern, und gibt es auch ein Gefälle zwischen den jungen und den alten Bundesländern?
Es gibt mannigfaltige Unterschiede in regionaler Hinsicht. Sie gehen vom Saarland, das bei der Erfüllung der Beschäftigungsquote an der Spitze liegt, bis zu Ländern, die nicht einmal die Hälfte der Quote erreichen. Das Saarland beschäftigt mehr Schwerbehinderte, als vorgeschrieben ist.
Auch die Beschäftigung in den einzelnen Ressorts ist ganz unterschiedlich. Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist es beispielsweise so, daß annähernd doppelt so viele Schwerbehinderte beschäftigt sind wie im Durchschnitt auf Bundesebene, und es gibt Ressorts, bei denen die Beschäftigungsquote nicht erreicht wird.
Das hängt aber oft damit zusammen, daß die Voraussetzungen zur Beschäftigung von Schwerbehinderten in den einzelnen Ressorts sehr unterschiedlich sind. Logischerweise werden dort, wo Polizisten beschäftigt werden, weniger Schwerbehinderte unterzubringen sein als in Ressorts, in denen die verwaltungsmäßigen Tätigkeiten im Vordergrund stehen.
Herr Abgeordneter Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, bes te-hen Ihre Maßnahmen zur Verbesserung der Situation hauptsächlich in Appellen. Ich gehe davon aus, daß wir über das hinaus, was Sie gerade gesagt haben,
eine detaillierte Liste darüber schriftlich nachgereicht bekommen, wie die Situation in den Bundesländern und in den Ressorts ist.
Nun die Frage: Ist darüber beraten worden, ob die Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Pflichtstellen wesentlich erhöht wird, wie es von fast allen Behindertenverbänden seit Jahr und Tag gefordert wird? Wenn ja: In welcher Höhe?
Zweitens. Ist zumindest darüber nachgedacht worden, ob es nicht unter die Rubrik „Diskriminierung" fällt, daß es Menschen mit Behinderungen wesentlich schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben? Sollte man aus diesem Grund dem dringenden Wunsch praktisch aller Behindertenverbände nähertreten, das Diskriminierungsverbot für Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigung in das Grundgesetz aufzunehmen?
Schließlich nur als Bemerkung, als Tip für Sie: Natürlich klingt es sehr einleuchtend, wenn man sagt: In dem Bereich, wo Polizisten beschäftigt sind, kann man nicht so viele Schwerbehinderte beschäftigen. Zum Beispiel in der Dispatcher-Zentrale aber kann durchaus jemand sein, der nicht so gut zu Fuß oder blind ist.
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, natürlich ist es so, daß ich dies nur als Beispiel für die unterschiedlichen Schwierigkeiten und Möglichkeiten der einzelnen Ressorts, Schwerbehinderte zu beschäftigten, gebracht habe. Das schließt überhaupt nicht aus — selbstverständlich sind in jedem Ressort Schwerbehinderte beschäftigt —, daß in den Bereichen, wo es möglich ist, Beschäftigung für Schwerbehinderte angeboten wird.
Heute ist nicht über eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe gesprochen worden.
— Das ist nicht besprochen worden.
Wir sehen auch keinen großen Sinn darin — jedenfalls darf ich dies als Auffassung meines Ministeriums sagen —, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Der springende Punkt ist doch, daß wir dafür sorgen müssen, daß mehr Schwerbehinderte eingestellt werden. Hier laufen die Bemühungen wirklich auf Hochtouren.
Es geht ganz konkret darum, daß die Personalreferenten immer wieder darauf hingewiesen werden, daß von seiten der Leitung der Häuser Zwang ausgeübt wird, daß die Quote erreicht wird. In einzelnen Ressorts ist es offenbar bereits gelungen, wobei ich die unterschiedlichen Voraussetzungen nicht unter den Tisch kehren will. Dies deutet darauf hin, daß auch in anderen Bundesbehörden mit Sicherheit noch Möglichkeiten bestehen.
Ergänzend Herr Minister Waigel.
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Ich darf Ihnen ergänzend dazu sagen, daß ein Gebiet, wo die Behinderten besonders diskriminiert wurden, die frühere DDR war.
Von 6 000 Zöllnern, die das Bundesfinanzministerium übernommen hat, waren nur 1 % Behinderte. Deswegen ist es für uns im Moment schwierig, in der Gesamtverwaltung über die 6%-Marke hinauszukommen. Ich versuche dies baldmöglichst. Es ist aber eine schlimme Sache, daß von 6 000 übernommenen Zöllnern nur 1 % als Behinderte anerkannt waren. Das zeigt, wie sehr die Behinderten in der DDR diskriminiert wurden.
Als nächster Herr Abgeordneter Laumann.
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung. Wahrscheinlich wird sie vom Arbeitsministerium beantwortet werden müssen. Wie beurteilen Sie die Instrumente, die wir geschaffen haben, um die Einstellung von schwerbehinderten Menschen bei privaten Arbeitgebern zu verbessern?
Herr Staatssekretär.
Es ist interessant, daß im Bereich der privaten Arbeitgeber in einzelnen Wirtschaftszweigen natürlich ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden. Ich denke, daß unsere Instrumente hier gewisse Wirkungen entfalten können. Letztlich glauben wir, daß es auch in diesem Bereich — vor allem angesichts der hohen Arbeitslosigkeit insgesamt — darauf ankommt, immer wieder an den guten Willen der Firmen zu appellieren.
Frau Kolbe, haben Sie eine Frage zu diesem Komplex? — Bitte.
Da die Beschäftigungsquote auch im privaten Bereich gesunken ist, kann ich Ihrer Intention nicht folgen.
75 % der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber erfüllen diese Quote nicht. Daher frage ich: Welche neuen Ideen haben Sie, um die Pflichtquote endlich umzusetzen? Die alten Instrumente ziehen meines Erachtens nicht. Man sollte also in diesem Punkt neue Wege beschreiten.
Wir haben heute im Kabinett über die Möglichkeiten der Bundesregierung gesprochen, für ihren Bereich die Beschäftigung von Schwerbehinderten zu verbessern, d. h. mehr Schwerbehinderte einzustellen. Die neuen Maßnahmen, die dazu beschlossen worden sind, habe ich Ihnen bereits mitgeteilt. Das Thema Schwerbehinderte in der privaten Wirtschaft war heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung.
Ich persönlich darf noch hinzufügen, daß ich auch gar nicht sehr viele Möglichkeiten sehe — außer der theoretischen Möglichkeit, die hier vom Kollegen Seifert angesprochen wurde, die Ausgleichsabgabezahlung zu erhöhen, von der wir aber glauben, daß sie
nicht sehr viel bringen würde in der jetzigen Arbeitsmarktsituation. Es ist eben sehr schwierig, in der Zeit des Arbeitsplatzabbaus überhaupt Leute einzustellen. Ich sehe kaum Möglichkeiten, über das, was wir getan haben, hinaus Aktivitäten zu entwickeln, die dem Ziel dienen könnten.
Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, nach meinen Erfahrungen scheuen viele Arbeitgeber im privaten Bereich die Einstellung von Schwerbehinderten, weil sie die verschärften Kündigungsschutzvorschriften als ein Hemmnis ansehen. Wenn jemand nicht geeignet ist, ist es außerordentlich schwierig — so sagen mir das die Arbeitgeber —, sich dann von ihm wieder zu trennen.
Hat die Bundesregierung einmal darüber nachgedacht, wie man dieser Zurückhaltung begegnen kann? Ich meine, es ist keine Lösung, daß die Leute lieber eine Ausgleichsabgabe zahlen und die Behinderten nach wie vor arbeitslos bleiben. Wir müssen darüber nachdenken, was an Vorschriften geändert werden kann, um ihnen eine bessere Beschäftigung zu ermöglichen.
Es ist natürlich immer ein gewisser Zielkonflikt: Was auf der einen Seite zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer gedacht ist, schützt an erster Stelle natürlich die, die im Arbeitsprozeß sind, und wirkt sich per saldo zu Lasten derer aus, die in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert werden sollen. Dieser Zielkonflikt ist wohl kaum aufzulösen.
Möglichkeiten, hier zusätzlich tätig zu sein, haben wir auch über die Bundesanstalt für Arbeit eingeleitet: spezielle Qualifizierungskurse, spezielle Ausbildungslehrgänge und dergleichen, um die Schwerbehinderten eben für Tätigkeiten zu qualifizieren, bei denen noch eine gewisse Möglichkeit der Beschäftigung besteht. Ich glaube, daß über die Möglichkeiten der Bundesanstalt für Arbeit das Entscheidende getan werden kann.
Bitte, Herr Müller, eine weitere Frage.
Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob die bereitgestellten Mittel ausreichend sind, um all das in Gang zu bringen, was Sie gesagt haben?
Bisher sind keine Fälle bekanntgeworden, daß — in diesem speziellen Bereich — die Mittel nicht ausgereicht hätten, um das in Gang zu setzen, was hier als notwendig erschienen ist.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15367
Herr Abgeordneter Schemken.
Herr Staatssekretär, ich frage, ob Sie folgenden Zusammenhang auch so sehen: Ist die Tatsache, daß die öffentliche Hand schon im vorhinein in ihren Haushaltsplänen, in ihren Budgets die Haushaltspositionen einsetzt, die am Ende den Betrag decken, der für die Zahlung der Ausgleichsabgabe, wenn Behinderte nicht eingestellt werden, notwendig ist, nicht ein Signal dafür, daß da, wo politisch gehandelt werden kann, dies eigentlich geschehen könnte, d. h. es umgekehrt sein müßte, daß nämlich eine Nullposition geschrieben wird?
Kollege Schemken, es ist so, daß im Sinne der Haushaltsklarheit und -wahrheit vorhersehbare Belastungen natürlich von vornherein eingestellt werden müssen. Die Frage ist, ob das eine Auswirkung auf das Verhalten der Personalressorts hat, d. h. also, ob sie sich von vornherein darauf verlassen, daß diese Ausgleichsabgabe schon bezahlt wird.
Wir werben von seiten unseres Hauses mit Vehemenz dafür, daß genau dies eben nicht getan wird, sondern daß man sich ständig neu bemüht, Schwerbehinderte einzustellen.
Im Bundeskabinett ist heute sehr, sehr deutlich geworden, daß dies ein ganz besonderes Anliegen des Bundeskanzlers ist und er großEn Wert darauf legt, da bereits im Januar kommenden Jahres wiederum ein Bericht vorgelegt wird, in dem die weitere Entwicklung auf diesem Sektor dargelegt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Schemken.
Herr Staatssekretär, halten Sie es vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse für richtig, daß es keinen Sinn macht, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen, wenn der politische Wille nicht da ist, der dazu führen könnte, die betreffenden Leute einzustellen?
Wir denken nicht, daß es sinnvoll ist, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Das ist jedenfalls unsere Ansicht dazu.
Die nächste Frage stellt der Kollege Grünbeck.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung eigentlich Erkenntnisse vor — würden Sie das gegebenenfalls in Ihre künftige Berichterstattung einbeziehen —, daß die betriebliche Qualifikation der Schwerbehinderten wesentlich mehr Effekte gebracht hat als jede Qualifizierungsmaßnahme überbetrieblicher Art und daß die Unternehmen auf Grund ihrer Erfahrung zunehmend der Überzeugung sind, daß es nichts Schöneres gibt, als Schwerbehinderte in das Arbeitsleben einzugliedern
und mit ihnen eine erfolgreiche Partnerschaft zu haben?
Herr Grünbeck, das klingt wirklich ganz hervorragend. Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis. Auch ich bin der Überzeugung, daß es sicher eine ganze Reihe von Firmen gibt, die sich in dieser äußerst begrüßenswerten Weise verhalten. Auf der anderen Seite müssen wir halt zugeben, daß in weiten Bereichen diese Erkenntnis und diese Einstellung noch nicht Platz gegriffen haben.
Der letzte Fragesteller ist der Abgeordnete Seifert.
Herr Staatssekretär, da Sie davon sprachen, daß die Bundesregierung bemüht ist, sozusagen Zwang auszuüben, daß diese Quote erfüllt wird, würde ich gern einmal wissen, welcher Art dieser Zwang ist. Nur der Appell, daß man es tun müsse, reicht ja offensichtlich nicht.
Spielt in diesem Zusammenhang der Schutz von Angehörigen von Menschen mit Behinderung, die noch Arbeit haben bzw. Arbeit suchen, überhaupt eine Rolle, in dem Sinne, daß für sie eventuell ein erweiterter Kündigungsschutz gilt, wie es z. B. die letzte, die frei gewählte Volkskommer der DDR noch beschlossen hat?
Die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Kündigungsschutzes stehen völlig außer Frage. Es gibt niemanden, der daran auch nur im geringsten etwas ändern möchte.
Zu der Frage, mit welchem Nachdruck dieser Zwang versehen wird: Im Augenblick ist eben dadurch ein gewisser Nachdruck vorhanden, daß die Ressorts und die zuständigen Behörden in sehr kurzen Abständen immer wieder neu erklären müssen, warum denn ausgerechnet bei ihnen diese Einstellungsmöglichkeiten nicht bestehen, warum die Plätze nicht besetzt worden sind. Eine andere Art des Zwangs ist schlechterdings nicht vorstellbar.
Ich möchte noch Herrn Staatsminister Schmidbauer das Wort erteilen, weil er zur Frage der Frau Abgeordneten Kolbe Stellung nehmen will.
Frau Kollegin Kolbe, ich will Ihnen gern die Frage beantworten, weil wir inzwischen natürlich durch Anruf klären konnten, daß ihre Frage bezüglich des 26. Juli 1993 und der Absetzung von der Tagesordnung von dem Herrn Staatssekretär auf Anhieb nicht beantwortet werden konnte, weil es am 26. Juli weder eine Absetzung von der Tagesordnung gab noch eine Kabinettsitzung stattgefunden hatte und deshalb die Absetzung auch nicht möglich war.
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15368 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Staatsminister Bernd SchmidbauerIch lenke aber, damit die Antwort vollständig ist, Ihren Blick noch auf den 20. Juli 1993. Dort wurden aus Termingründen — es handelte sich um eine Verschiebung der Kabinettsitzung, die andere Ursachen hatte — in der Tat mehrere Punkte von der Tagesordnung abgesetzt, u. a. der von Ihnen erwähnte, unabhängig von der wichtigen Bedeutung des Tagesordnungspunktes. Ich kann Ihnen diesen Grund nachher auch noch persönlich mitteilen.
Eine Nachfrage der Kollegin Kolbe.
Warum wurde dann, wie gesagt, am 26. Juli eine Veröffentlichung in der „Sozialpolitischen Umschau" über die Beschlüsse herausgegeben? Denn dies widerspricht eigentlich dem, was Sie mir gerade als Tatsache bestätigt haben. Der Tagesordnungspunkt ist am 20. Juli abgesetzt worden, aber Sie haben trotzdem am 26. Juli dazu eine Veröffentlichung gemacht. Das nenne ich dann eine Lüge.
Das widerspricht sich ja nicht, Frau Kollegin, wenn Sie daran denken, daß dieses wichtige Thema innerhalb der Bundesregierung diskutiert wird, es Staatssekretärsausschüsse gibt und der Bundeskanzler es zu seinem eigenen Anliegen gemacht hat. Daß die Bundesregierung dies natürlich auch nach außen über eine Presseverlautbarung darlegt, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
Umgekehrt würde es sich verhalten, wenn wir das nicht gemacht hätten. Deshalb gab es auch bei der Bedeutung, die diesem Thema zusteht, heute diese Debatte. Das sehen Sie auch an der Ernsthaftigkeit, mit der heute Ihre Fragen beantwortet wurden. Wie gesagt, ich bin gern bereit, Ihnen noch die Ereignisse des 20. Juli zu erläutern, zu sagen, was insgesamt los war, daß die Absetzung keinen tieferen Sinn hatte und daß deshalb die Berichterstattung der Bundesregierung zu diesem wichtigen Thema natürlich nicht ausbleiben darf. Umgekehrt wäre ein Schuh daraus geworden.
Ich wollte noch zur Aufklärung beitragen, damit wir das nicht schriftlich nachholen müssen.
— Seien Sie doch froh, daß die Bundesregierung es veröffentlicht und daß damit die ganze Sache zur Debatte steht.
Herr Staatsminister, ich bedanke mich für die Beantwortung dieser letzten Frage.
Die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist mit ein paar Minuten Zugabe abgelaufen. Ich beende die Befragung.
Die Fragestunde wird nach der Aktuellen Stunde, etwa um 14.40 Uhr, stattfinden.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung bei den laufenden Stahlverhandlungen in Brüssel
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokraten haben uns schon im Februar dieses Jahres sehr darüber gewundert, daß Sie, Herr Wirtschaftsminister, das Ergebnis der Brüsseler Ministerratssitzung vom 25. Februar 1993 als sehr zufriedenstellend bezeichnet hatten. In Wirklichkeit ist damals und bis heute zur Überwindung der europäischen und der deutschen Stahlkrise nichts entschieden worden. Außer der Aufforderung, die europäische Stahlindustrie möge 25 Millionen Tonnen Rohstahl- und 20 Millionen Walzkapazität stillegen, gibt es bis heute keine Klarheit, wo, wer, zu welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen stillegt bzw. stillegen wird.Auch für die Bundesrepublik Deutschland — so haben Sie im Wirtschaftsausschuß schriftlich eingeräumt — hat die Bundesregierung darüber keine Übersicht. Das ist nach sieben Monaten Recherchen, Moderieren und Verhandeln — jeden Tag und jede Woche, wie Sie immer wieder in diesen Monaten betont haben — kein berauschendes Ergebnis. Mein Name ist Hase, ich wohne im Walde und weiß von nichts, darf man da wohl sarkastisch sagen.
War Anfang dieses Jahres noch von 50 000 bis 60 000 Arbeitsplätzen die Rede, die der Stahlstrukturkrise in Europa zum Opfer fallen würden, so wird heute in Brüssel — und schon nicht mehr hinter vorgehaltener Hand — mit 70 000 bis 90 000 gerechnet, zwei Drittel davon in Deutschland.Nimmt man hinzu, daß jeder Arbeitsplatz vor dem Hochofen und an der Walzstraße auch zugleich einen Arbeitsplatz in der Zuliefer- und Mantelindustrie mitreißt, dann hat man die dramatische Größenordnung, um die es geht. Jeder Monat, der weiter entscheidungslos ins Land geht, treibt diese Zahlen nach oben und die Unternehmen immer tiefer in die roten Zahlen.In diesem Zusammenhang und aus gegebenem Anlaß sage ich in aller Ruhe: Wer die Unternehmen weiter hängenläßt und damit klammheimlich die Spekulation verbindet, sie würden verzweifelt und nach schlechtem Vorbild — siehe gestern — zum
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Peter W. ReuschenbachMittel der Lohnkürzungen greifen, der spielt mit Dynamit im Feuer.
Es war nach unserer Überzeugung ein folgenschwerer Mißgriff — inzwischen ist diese Überzeugung nicht nur bei Gewerkschaften und bei Sozialdemokraten vorhanden —, daß am 25. Februar 1993 auf Freiwilligkeit gesetzt wurde, daß man sich der naiven Annahme hingab, die konkurrierenden Stahlunternehmen in Europa würden sich schon rechtzeitig darüber verständigen, wer ganz oder teilweise aufgibt und wer ganz oder teilweise im Markt bleibt. Dieser Mißgriff erfolgte auf einer Grundlage, die schwankender Boden ist.Welche Antworten auf die gestellten Fragen gibt es denn heute: Wie werden die mit der Erhöhung der Zahlen verknüpfen sozialen Kosten, zu denen meine Kollegen noch detailliert sprechen werden, finanziert? Wie hoch sind die industriellen Kosten? Welche Kapazitätsschnitte geben die staatlich subventionierten Stahlunternehmen in Europa vor, an denen sich, wie Sie wissen, die privaten, überwiegend in Deutschland angesiedelten Unternehmen orientieren können und wollen? Was soll alternativ an den betroffenen Stahlstandorten für die Zukunft geschehen? Es gibt keine Antworten.Wir haben von Anfang an in Übereinstimmung mit der Stahlwirtschaft verlangt, daß für die Umstrukturierungsphase ein angemessener Außenschutz praktiziert wird.
Sie, Herr Minister, haben das abgelehnt. Sie haben auf gewisse Mini-Lösungen verwiesen. Aber selbst diese sind teilweise durch Schlamperei verkorkst worden.
Wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Bundesregierung es schlicht vergessen hat, beschlossene Maßnahmen für Zollkontrollen gegenüber der Tschechischen und Slowakischen Republik im Bundesanzeiger rechtzeitig zu veröffentlichen,
so daß die Zollämter keine Rechtsgrundlage hatten, um Kontrollen vorzunehmen?Wir hatten Sie, Herr Minister, von Anfang an aufgefordert, die deutschen Stahlunternehmen, die Gewerkschaften und die beteiligten Bundesländer an einen Tisch zu holen, um den Versuch zu machen, ein abgestimmtes Vorgehen in Brüssel zu erreichen. Sie haben diese notwendige Aufforderung zu einer nationalen Stahlkonferenz immer mit dem Totschlagargument zurückgewiesen, eine Schauveranstaltung diene der Sache nicht.
Weder wir Sozialdemokraten noch die Gewerkschaften haben eine Schauveranstaltung verlangt. Wir haben auch nicht um jeden Preis eine öffentliche Veranstaltung gefordert. Sie haben sich jedoch derMühe eines konzertierten Verständigungsversuches mit der Konsequenz entzogen, daß heute jedes Unternehmen in Deutschland auf den ersten Schritt des anderen wartet, West gegen Ost steht, die deutschen Unternehmen auf Entscheidungen der staatlich subventierten Unternehmen warten und die Wahrscheinlichkeit immer größer wird, daß jeder für sich dahinsiecht oder stirbt.Gemessen an dem Ergebnis, wie es sich heute darstellt, haben Sie auch in Brüssel mit den Mitgliedstaaten und der Kommission miserabel verhandelt.
Soll man es denn toll finden, daß Ihr Parteifreund Bangemann offen Front gegen die Sicherung des Stahlstandortes Eisenhüttenstadt macht und ankündigen kann, der Ministerrat werde dieses Begehren ablehnen? Wir hielten das für eine Katastrophe. Auch wir wollen eine langfristig haltbare Lösung für EKO.Aber jetzt stehen Sie voraussichtlich — ich hoffe, ich irre mich — vor der miserablen Wahl, trotz der Ablehnung von Eisenhüttenstadt die italienischen und spanischen Subventionsbegehren zu akzeptieren oder mit einem Veto einen Gesamtbeschluß am 18. November 1993 zu verhindern. Wenn es infolge Ihrer oberflächlichen Verhandlungsführung dazu käme, dann wäre das eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
Herr Kollege Reuschenbach, Sie sind schon ein gutes Stück über die Zeit.
Ich komme zu meinem Schlußsatz: Was sich schon bei seinem Eintritt in das Amt mit seiner These „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt" angekündigt hatte, hat sich nach neun Monaten leider erhärtet. Er ist ein Minister der unverbindlichen Reden und großen Worte, aber mit viel Leidenschaft bei sozialer Demontage. Die deutsche Wirtschaft und die Arbeitnehmer haben Besseres verdient.
In der Aktuellen Stunde macht eine Überschreitung der Redezeit um eineinhalb Minuten gut 25 % aus.
Das Wort hat der Kollege Friedhelm Ost.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! In der Tat hören wir ja seit längerem immer wieder neue Variationen über die sehr tiefe Stahlkrise. Es wird gefordert — wie der Kollege Reuschenbach das gemacht hat, aber auch von anderen Seiten —, politisch zu handeln. Da gibt es sehr verschiedene Vorschläge: Ausrufung der manifesten Krise, Stahlkonferenzen und ähnliche Dinge.Ich glaube, z. B. die Ausrufung der manifesten Krise — —
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15370 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Friedhelm Ost— Sie wissen ja noch gar nicht, was ich glaube, liebe Kollegin Frau Fuchs. Deswegen hören Sie bitte erst zu.Die Ausrufung der manifesten Krise würde nichts, aber auch gar nichts an den schwierigen Strukturen, an den Gegebenheiten der europäischen Stahlindustrie verändern.
— Vielleicht lesen Sie das einmal nach. Wir haben doch schon negative Erfahrungen in den 80er Jahren gehabt. Die muß man doch nicht immer wieder neu machen. Da laufen heute noch Prozesse, wie Sie wissen. Da verdienen die Rechtsanwälte. Aber an der Struktur der Stahlindustrie hat dies nichts geändert.Auch der Ruf nach einer nationalen Stahlkonferenz wird immer wieder laut. Kollege Reuschenbach hat sie auch gefordert. Ich glaube, eine solche Konferenz würde am Ende nur Enttäuschungen produzieren, sonst gar nichts.
Sie kann eben die Probleme im Stahlbereich selbst nicht lösen. Sie wollen — wenn Sie Ihren Zwischenruf wirklich ernst nehmen — natürlich nur eine Plattform finden, von der aus Sie politische Schuldzuweisungen vornehmen können.Es hat ja in Nordrhein-Westfalen eine Stahlkonferenz gegeben. Wirtschaftsminister Einert hat damals dazu eingeladen. Leider ist er heute nicht da, sonst hätte er uns vielleicht über die „großartigen Erfolge" ein bißchen berichten können. Lieber Herr Kollege Reuschenbach, wir beide kommen aus Nordrhein-Westfalen. Nichts ist dort entschieden bzw. verbessert worden. Die Struktur der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie hat sich danach nicht gebessert.
— Aber Sie haben doch gesehen, daß eine solche Konferenz nichts bringt. Die Stahlindustrie, die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen sowie regionale Strukturpolitik sind doch auch Ländersache. Nichts ist geschehen.
In den Zeitungen des Ruhrgebiets stand über diese Stahlkonferenz, zu der bombastisch eingeladen wurde und zu der viele Leute — ein großer Aufmarsch — kamen: außer Spesen nichts gewesen. Ich kann mir vorstellen, daß auch die Stahlarbeiter an Rhein und Ruhr darüber nicht gerade glücklich waren.
— Ich komme dazu, lieber Herr Kollege Schwanhold. Nur will ich Ihnen zunächst die Zähne ziehen, die faul sind. Damit meine ich die großen Konferenzen.Das Hauptproblem ist doch in der Tat die Wettbewerbsverzerrung in der europäischen Stahlindustrie,die gewaltige Subventionierung in anderen Ländern. Ich nenne einmal Italien und Spanien.
— Nein, es stimmt ja keiner zu. Wir machen doch Front dagegen.
Auch dieser Bundeswirtschaftsminister hat dagegen Front gemacht und immer wieder betont, daß wir diese Subventionitis in Italien, in Spanien und auch in anderen Ländern nicht hinnehmen. Wir sollten ihm dafür dankbar sein, daß er in der Position wirklich stahlhart operiert und arbeitet.
— Natürlich sehen wir das Problem, daß hier — ich nehme einmal den Ilva-Konzern — in den letzten 20 Jahren fast 30 Milliarden DM an Subventionen gezahlt worden sind.
Gegen Staatskassen von Italien und Spanien kann keine deutsche private Firma konkurrieren.Ich denke, lieber Herr Kollege Reuschenbach, der letzte Zwischenruf war wohl sehr polemisch; denn der Bundeswirtschaftsminister hat uns ja im Wirtschaftsausschuß einige Male — —
— Herr Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, damit Sie ganz genau wissen, welcher gemeint ist. Wer sollte es sonst sein?Er hat uns über die Februar-Konferenz berichtet, und er hat uns auch berichtet, daß es zwei konzeptionelle Elemente gibt, nämlich die eigenverantwortliche Anpassung der Kapazitäten durch die Industrie auf der einen Seite und die finanziellen und marktstabilisierenden Flankierungsmaßnahmen seitens der EG, die auch wir begrüßt haben. Dies sind die zwei wichtigsten Elemente eines Konzepts.Natürlich steckt der Teufel im Detail. Sie haben zweifellos recht: Die deutschen Stahlunternehmen, aber auch die europäischen Stahlunternehmen müssen eine Konzeption ausarbeiten, welche Kapazitäten in der Tat im einzelnen stillgelegt werden. Ich weiß nicht, ob Wirtschaftsminister, die sich bisweilen vielleicht für die besseren Stahlunternehmer halten, dies bewerkstelligen können.
Herr Kollege Ost, jetzt haben Sie die Zeit überschritten.
Ich komme zum Schluß.Ich sage Ihnen ganz offen: Beachtung des Subventionsverbots, des Montanvertrages, fairer Wettbewerb und solidarische Lastenteilung zwischen allen europäischen Ländern — diese Herausforderungen müssen gemeistert werden.
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Friedhelm OstHier sollten wir alle gemeinsam auch im Sinne der deutschen Stahlindustrie und der deutschen Stahlarbeiter an einem Strang ziehen.Vielen herzlichen Dank.
Kollege Klaus Beckmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Angriffe — übrigens nicht nur der Opposition — gegen die Bundesregierung und insbesondere gegen den Bundeswirtschaftsminister sind völlig ungerechtfertigt.
Was Sie hier und heute betreiben, reicht von fruchtloser Kaffeesatzleserei bis zu böswilliger Polemik.
Unterschiedliche Temperamente der Beteiligten, aber auch unterschiedliche Funktionen — hier in der Regierung, dort in der Kommission —, die die handelnden Personen wahrzunehmen haben, führen eben ab und an zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. Das geht uns persönlich nicht anders.
Wenn wir uns jetzt aber an die Fakten halten, ist das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können: Der Bundeswirtschaftsminister ist nicht zu beneiden. Er ist allerdings auch deswegen nicht zu beneiden, weil von der Opposition keine brauchbaren Vorschläge kommen.
All das, was wir gehört haben, ist einfach nicht brauchbar und nicht nutzbar. Zur Stahlkonferenz hat der Kollege Ost das Entsprechende und Richtige gesagt.
Es existiert auch noch ein Antrag der PDS auf Ausrufung der manifesten Krise und Verteilung von Quoten. Hiermit haben wir in den 80er Jahren Erfahrungen gemacht, die vom Allerfeinsten waren, mit dem Ergebnis, daß sich eines schönen Tages z. B. die Schweiz, die kein einziges Stahlwerk besitzt, als größtes Stahlexportland Europas darstellte und wir am Ende nur noch betrogene Betrüger vorfanden.
Es wäre sicherlich sehr passend gewesen — ich will dies in Richtung PDS sagen, da Sie diesen Antrag gestellt haben —, wenn der Abgeordnete von Eisenhüttenstadt, Herr Keller, der sich sonst angeblich für die Interessen der Stahlarbeiter einsetzt, an dieser Debatte teilgenommen hätte. Ich sehe ihn nicht.
Meine Damen und Herren, es geht jetzt vielmehr darum, auf europäischer Ebene deutsche Interessen zu wahren und gleichzeitig nicht als Verhinderer einer europäischen Stahlpolitik, die dringend notwendige Kapazitätsstillegungen verfolgt, dazustehen. Bei der Lösung dieses Problems ist keine Schwarzweißmalerei gefragt. Ein Ja zu Eisenhüttenstadt heißt auch ein Ja zum Stahlstandort Deutschland, aber es heißt kein Nein zu einem europäischen Stahlkonzept.
Es erscheint dem einen oder anderen aus heutiger Sicht natürlich möglich, daß die Bundesrepublik auf der nächsten Tagung des EG-Industrieministerrats mit entschiedenem Auftreten und dem Faustpfand spanischer und italienischer Begehrlichkeiten in der Hand Beihilfen z. B. für EKO-Stahl durchsetzt. Wer das möchte, der muß sich aber stets vor Augen halten, was langfristig auf dem Spiel steht. Unsere europäischen Nachbarn werden ein solches Verhalten nicht vergessen und vor allen Dingen nicht zögern, uns bei nächster Gelegenheit schmerzlich daran zu erinnern.
Es muß ferner bedacht werden, daß sich Deutschland nicht leichttun wird, die Vorgaben der Kommission zur weiteren Stillegung von Kapazitäten zu erfüllen. Auch — das ist das Thema des morgigen Nachmittags — soll die deutsche Steinkohle — das ist ja absehbar — mit zwar reduzierten, aber beträchtlichen Subventionen auf Jahre einen Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten. Ohne langwierige, auch vorn Wohlwollen der Kommission begleitete Verhandlungen in Brüssel wird das nicht zu machen sein.
Auf der einen Seite müssen wir uns deswegen heute überlegen, Frau Kollegin Fuchs, in welcher Verhandlungsposition und in welchem Klima wir uns zukünftig befinden werden. Auf der anderen Seite, denke ich, sollte die Kommission ihr Votum gegen die Hilfen für Eisenhüttenstadt überprüfen. Es gibt wirklich gute Gründe, die für das derzeitige Konzept für EKO-Stahl sprechen. Ohne die notifizierte neue Warmbreitbandstraße wird auch das bestehende Kaltwalzwerk nicht überlebensfähig sein.
Ich will noch einmal hervorheben: Im Gegensatz zu den jetzt diskutierten Beihilfen für spanische und italienische Werke, die in einer zweiten, dritten oder gar vierten Runde Subventionen beanspruchen, geht es bei EKO-Stahl um die erstmalige Förderung zur Schaffung einer überlebens- und konkurrenzfähigen Produktionsstruktur. Nicht zu vergessen ist auch der bereits vollzogene enorme Abbau an Beschäftigten und an Kapazitäten, die der Stahlstandort Ostdeutschland bereits bewältigt hat und der sich deutlich von anderen Stahlregionen Europas abhebt. All dies muß die Kommission sorgfältig bedenken, bevor sie endgültig über das Konzept für Eisenhüttenstadt entscheidet.
Meine Damen und Herren, in den anstehenden Gesprächen wird es darauf ankommen, die widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen, ohne daß einerseits Deutschland im europäischen Vergleich —
Herr Kollege Beckmann, Ihre Redezeit ist um.
— unakzeptable Einbußen hinnehmen muß und ohne daß andererseits ein geordneter Abbau von Stahlkapazitäten in ganz Europa gefährdet wird. Für diese schwierige Aufgabe hat der Bundeswirtschaftsminister die Rückendekkung meiner Fraktion.
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15372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Klaus BeckmannEs wäre auch — das darf ich abschließend sagen —eine große Hilfe für die deutsche Politik, Herr Kollege Vondran, wenn sie mit einer einheitlichen, den nationalen Stahlinteressen insgesamt gerecht werdenden Position der deutschen Stahlindustrie rechnen könnte.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir Deutschen tun uns mit „kurzfassen" schwerer als beispielsweise die Angelsachsen. Wenn wir fünf Minuten ausmachen, sind sechs Minuten eine sehr weite Überschreitung.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß im neuen Plenarsaal am neuen Rednerpult die Farben der Lichter die gleiche Funktion haben wie im alten Plenarsaal. Gelb heißt: noch eine Minute. Wenn es rot aufleuchtet, bedeutet das: nur noch einen Satz, aber keinen Schlangensatz.
— Sie haben es gerade nötig, Herr Reuschenbach.
Ich erteile als nächstem Herrn Kollegen Bernd Henn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute zum drittenmal in diesem Jahr über die Probleme der Stahlindustrie. Die Krise ist von Debatte zu Debatte dramatischer geworden. Statt ursprünglich 20 000 drohen heute 50 000 Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet zu werden. Die Stahlunternehmen machen täglich Verluste von 1 bis 2 Millionen DM. Der Substanzverzehr nimmt bereits solche Ausmaße an, daß die Mittel für Investitionen und Umstrukturierungen fehlen werden.Aus Osteuropa drückt hochsubventionierter Stahl — hochsubventioniert gemessen an den tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten — in die EG, weil die Länder dort auf Teufel komm raus Devisen erwirtschaften müssen. Die USA schotten sich ab, und in der EG selbst herrscht im Süden und im Westen das alte muntere Spiel der Verteidigung der nationalen Stahlbasis durch die jeweiligen Länderregierungen durch offene oder versteckte Subventionen.In dieser Lage tritt die Bundesregierung in Brüssel mit der Linie an, die wir gehört haben: Erstens Kampf den Subventionen in der EG und Stillegung von Kapazitäten sowie zweitens Erhalt des Stahlwerkes in Eisenhüttenstadt und Neubau einer Warmwalzanlage. Ich kann diesen Spagat nachvollziehen. Ich meine insbesondere, die Schließung der technologischen Lücke in Eisenhüttenstadt, die ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit ist, ist absolut gerechtfertigt.Nur sollte man sich, wenn man in Brüssel mit einer so schwierigen Turnübung wie diesem Spagat antritt, vergewissern, daß man zu Hause auf festem Boden steht, nicht auf schwankendem. Die Widersprüchlichkeit, mit der in den Stahlunternehmen und in den Regierungsfraktionen auf die Krise reagiert wird, ist eklatant.Wenn selbst der Herr Staatssekretär Kolb heute im Wirtschaftsausschuß einräumen mußte, daß man manchmal den Eindruck haben müsse, daß die deutschen Stahlindustriellen in Brüssel mehr gegen EKO intervenieren als gegen Subventionen in Italien und Spanien, dann wird die Sache deutlich. Es ist bekannt, daß die Herrn Kriwet von Thyssen und Pieper von Preussag auch öffentlich äußern, daß einige Stahlstandorte in Deutschland von der Landkarte zu verschwinden hätten.F.D.P.-Abgeordnete stellen trotz der Position des Wirtschaftsministers zu EKO ganz offen die Frage, ob es überhaupt noch notwendig sei, eine eigene Stahlbasis in Deutschland zu haben.
— Der Kollege Friedhoff heute morgen.
Den Bergbau kann man gedanklich gleich anhängen. Denn wenn die Stahlbasis weg ist, ist auch der Bergbau tot.Es wird also die Fahne des Wettbewerbs und der internationalen Arbeitsteilung hochgehalten, obwohl allen klar ist, daß wir es rings um die Bundesrepublik Deutschland herum mit regulierten Märkten zu tun haben: Protektionismus in den USA, Subventionitis in den südeuropäischen EG-Staaten und Dumpingpreise für osteuropäischen Stahl.So kann sich in der Politik nur jemand verhalten, der es seit Jahren abgehakt hat, im Bereich Stahl auch nur eine müde Wählerstimme zu mobilisieren. Das gilt selbst für die CDU, die in den Revieren wohl kaum noch mehr verlieren kann als die SPD, der eine scharfe Krise, Massenarbeitslosigkeit und soziale Verelendung in ihren Hochburgen noch mehr an die Hacken schlägt, weil die Menschen frustriert über rechtsaußen protestieren. Ich frage mich, ob das bei manchen Strategen in den Regierungsfraktionen nicht nüchtern kalkuliert ist.
Wahlstrategisch scheint Ihnen im Moment nur noch die Pflege der Bauern, der Beamten und der Selbständigen, allenfalls noch der Rentner und der Arbeitnehmer in mittelständischen Betrieben wichtig zu sein.Die derzeitige Politik der Bundesregierung wird also trotz der richtigen Haltung im Einzelfall EKO zu einem ökonomischen und sozialen Kollaps in vielen Stahl- und Bergbaurevieren führen. Es werden am Ende nur noch ein oder maximal zwei Stahlkonzerne übrigbleiben. Der Marktanteil der deutschen Stahlindustrie in der EG wird weiter abnehmen.Eine Stahlindustrie, die es denn anders wollte und an den nationalen Interessen ansetzte, müßte eine sofortige Kurskorrektur einleiten.
Sie müßte den Stahlstandorten durch die Anwendung von Art. 58 und Art. 61 des EGKS-Vertrages, also durch die Ausuferung der manifesten Krise eine Atempause verschaffen.
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Bernd HennIch muß hier fragen, Herr Kollege Ost: Was ist denn heute eigentlich so anders an der Aufforderung an die Stahlindustriellen, über Eurofer zu einem Krisenkartell und zu Absprachen auch über Preise und zu einem verordneten System zu kommen, als es in den 80er Jahren war, wenn die Stahlindustriellen eine Lösung nicht hinbekommen? Ich meine, der Unterschied in der Qualität ist da nur gering. Als Ultima ratio — ich glaube, der Fall ist jetzt eingetreten — muß die manifeste Krise ausgerufen werden. Das muß das Ziel der nationalen Wirtschaftspolitik sein.Ferner muß man, wenn man schon auf schwankendem Boden steht, weil sich die Stahlindustriellen hier nicht einig sind, zum Mittel der nationalen Stahlkonferenz greifen, um wenigstens den Versuch zu machen, zu einer einheitlichen deutschen Position zu kommen, die neben den ökonomischen Interessen natürlich auch die regionalpolitischen und sozialen Erfordernisse berücksichtigt.
Respekt für das Einhalten der Zeit!
Ich erteile dem Bundesminister für Wirtschaft, Günter Rexrodt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle wissen, daß eine langfristige Sicherung der Stahlindustrie in Europa ohne den Abbau von Kapazitäten nicht möglich ist. Die Kommission und auch wir sprechen davon, daß das 30 Millionen Tonnen Rohstahlkapazität und bei den Warmwalzerzeugnissen mindestens 20 Millionen Tonnen sein können.Die Frage ist nun: Wie macht man das? Die Opposition setzt dabei auf die Ausrufung der manifesten Krise, auf Quotenregelungen, auf Vorgaben und eine nationale Stahlkonferenz. Wir haben gesagt: Das bringt nichts. Ich habe immer gesagt, schon vor Monaten: Wenn die Stahlkonferenz irgendwelche Aussichten böte, daß sie zum Erfolg führt, könnte sie durchgeführt werden. Aber wir haben ja Vorbilder und kennen alle die Abläufe aus der manifesten Krise, aus solchen Konferenzen, aus Quotenregelungen, die unterlaufen wurden, aus dem ganzen Hickhack, aus den Entwicklungen, die letztlich zum Nachteil der Arbeitnehmer in der Stahlindustrie waren.Deshalb wollen wir das anders machen. Aus diesem Grunde will im übrigen auch die Stahlindustrie das anders machen. Daher sucht man in der Europäischen Kommission auch einen anderen Weg als den über die Ausrufung der manifesten Krise. Wir sind sehr zuversichtlich, daß wir bis zur nächsten Stahlrunde in Brüssel diesen Kapazitätsabbau und auch den Anteil der deutschen Stahlindustrie in diesem europäischen Kontext strukturieren können. Die Vorbereitungen laufen.Ich sage Ihnen: Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß die deutsche Stahlindustrie geltend macht, daß sie ihren Beitrag strukturiert erst dann vorlegen will und vorlegen kann, wenn sie weiß, was bei den subventionierten Unternehmen geschieht, welcher Kapazitätsabbau dort erfolgt und wie die Subventionen beispielsweise in Italien und Spanien ausgelegt sind.Herr Kollege Vondran, dies entbindet die deutsche Stahlindustrie allerdings nicht davon, ihre Schularbeiten zu machen, intern diejenigen Abstimmungen herbeizuführen, die für die Vorlage dringend erforderlich und die auch Voraussetzung dafür sind, daß sich die Bundesregierung für die deutsche Position, die dann abgestimmt ist, verwendet.Ich habe fest vor — ich habe das immer gesagt: im Wirtschaftsausschuß, hier im Plenum, auch gegenüber der Stahlindustrie und den Gewerkschaften, mit denen ich spreche —, dies mit Nachdruck zu tun, wenn es ein sinnvolles Konzept gibt.Ich will Ihnen die Situation in Brüssel einmal schildern, meine Damen und Herren, insbesondere Herr Kollege Reuschenbach. In diesem Zusammenhang ist es nun einmal ein Faktum, daß ich die Subventionen und die Konzepte für ILVA und in Spanien für CSI mit großer Nachhaltigkeit hinterfragt und Zweifel angemeldet habe. Dabei kam es durchaus auch zu Situationen, die mit Spannungen mit unseren italienischen und spanischen Freunden und anderen mehr verbunden waren. Wir wollen und können nicht akzeptieren, daß mit Billigung der Europäischen Kommission und letztlich auch des Rates erhebliche Milliardenbeträge in diese Unternehmen gehen, ohne daß damit ein überzeugender Kapazitätsabbau verbunden ist. Das ist das Faktum Nr. 1.Das Faktum Nr. 2 ist — und das müßte man doch auch auf Seiten der Opposition einsehen; es ist hier auch angeklungen —, daß wir deshalb in einer schwierigen Situation sind, weil wir auf der anderen Seite die Zustimmung von Kommission und Rat für Beihilfen erbitten, um EKO zu sanieren, um bei EKO, damit es dort ein sinnvolles betriebswirtschaftliches Konzept gibt, gegebenenfalls eine Warmbreitbandkapazität von 0,9 Millionen Tonnen hinbauen zu können.
— Zu den bilaterialen Gesprächen, Herr Kollege Reuschenbach: Wenn Sie das beruhigen oder überzeugen sollte, schicke ich Ihnen eine Liste dessen, was es an bilateralen Gesprächen auf mittlerer, hoher, höchster Ebene mit der Europäischen Kommission und mit anderen gegeben hat. Sie wissen auch, daß dies stattgefunden hat. Es ist dringend erforderlich, dies weiterzuführen.Wir haben die Gefechtslage, daß wir dies erbitten, und wir haben gute Argumente — und die haben wir auch immer vorgetragen —, warum EKO eben anders ist als ILVA und CSI, weil man eben die Entwicklung in den neuen Bundesländern insgesamt mit einbeziehen muß, wo 85 % der Stahlarbeitsplätze verlorengegangen sind, wo schon 50 % der Stahlkapazität abgebaut worden sind, wo es noch keine Subventionsrunden gab, während es in Italien, Spanien und anderswo schon x Subventionsrunden und riesige Subventionen gegeben hat.
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15374 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Bundesminister Dr. Günter RexrodtDas haben wir vorgetragen. Deshalb, Herr Reuschenbach, weise ich Ihre Vorwürfe an die Bundesregierung und an mich persönlich mit allem Nachdruck zurück. Das ist entweder nicht verstanden worden, oder — und das vermute ich eher — Sie stellen das so dar, weil Ihnen das eine Plattform gibt, um gegen die Bundesregierung und mich anzugehen.Es gab eine Situation, in der wir über die Firma Sidenor und über Freital diskutierten und ein Papier zu beschließen hatten, das nicht unbedingt im Interesse der Deutschen war, das wir aber so verändern konnten, daß wir damit leben konnten. Zu einer Zeit, wo das überhaupt nicht zu erwarten und auch ganz unnötig war, ist spontan versucht worden, in dieses Papier einen Satz einzufügen, der bedeutet hätte, daß es von vornherein eine EKO-Lösung mit der Warmbreitbandanlage nicht gegeben hätte.Das kam spontan wie Zieten aus dem Busch, und ich war nicht in der Lage, einen solchen Satz hinzunehmen. Gegen eine solche Formulierung mußten wir mit allem Nachdruck angehen, und daß mußten wir auch unter Hinnahme von Spannungen und Komplikationen tun.Ich hätte einmal sehen wollen, meine Damen und Herren, wie Sie reagiert hätten, wenn ich aus Brüssel nach Hause gekommen wäre, Freital in der Tasche, aber gleichzeitig einen Satz in der Tasche, der bedeutet hätte, daß EKO ein für allemal in dem Privatisierungskonzept, wie es jetzt angegangen wird, tot gewesen wäre.
— Sie, Herr Reuschenbach, und andere haben kritisiert, und zwar nur, um uns abzustempeln, wir hätten ungeschickt verhandelt. Das trifft überhaupt nicht zu! Wenn ich oder meine Mitarbeiter ungeschickt verhandelt hätten, dann würde ich das auch sagen: Aber hier ist — wie gesagt, wie Zieten aus dem Busch — eine Situation entstanden, die unvorhersehbar war und die mit allem Nachdruck aus der Welt geschafft worden ist.Wir sind dabei, die Situation zu entdramatisieren. Wir wollen eine Lösung für EKO, und wir wollen eine Lösung für ILVA und CSI, mit der alle leben können. Wir können es aber nicht akzeptieren, daß eine Region wie Frankfurt an der Oder von vornherein keine Chance mehr hat.
Hier liegt eine Aufgabe der nächsten Tage und Wochen. Es ist keine leichte Aufgabe. Sie wissen das, Seien Sie doch einmal fair. Sie haben das ja mit der richtigen Formulierung zum Ausdruck gebracht: Es ist ein Spagat, den wir da zu machen haben. Und wenn es Ihnen und uns wirklich um die Arbeitsplätze an der Ruhr und an der Saar, bei EKO und anderswo geht, dann sollten Sie in einer solchen Situation ausnahmsweise auch einmal die Position der Bundesregierung unterstützen; denn es liegt — Sie brauchen das ja nicht der Bundesregierung wegen zu tun — im Interesse der Arbeitnehmer in diesen Industrien. Deshalb hätte ichhier Ihre Unterstützung erwartet. Das würde auch deutlich machen, daß Sie nicht primär daran interessiert sind, hier politische Plattformen und Vorteile zu suchen, sondern daß es Ihnen um die Menschen geht. Der Bundesregierung geht es allemal darum.
Wir werden also versuchen, diesen Spagat zu vollziehen, wie ich meine, mit guten Argumenten und auch wieder in einer entspannteren Atmosphäre mit der Europäischen Gemeinschaft. Ich hoffe und erwarte, daß die deutsche Stahlindustrie ihr Konzept erarbeitet und vorlegt. Es wird die Basis dafür sein, daß wir uns für die deutschen Interessen, die Interessen der Arbeitnehmer und der Unternehmen, in Brüssel verwenden können.Schönen Dank.
Der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister Rexrodt, wir haben Anfang des Jahres unseren Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der sich mit der Gesamtproblematik — national und europäisch — beschäftigt. Sie hatten über Monate Zeit, dieses Warnsignal politisch aufzugreifen und daraus Schlüsse zu ziehen. Sie haben lediglich gegen den ersten Punkt — manifeste Krise — polemisiert, aber Sie haben die Initiative der Opposition, den Arbeitnehmern, den Menschen in den Unternehmen zu helfen, in diesem Zeitraum nicht aufgegriffen, und das ist ein schweres Versäumnis.
Das habe ich hier ganz besonders zu kritisieren. Die Koalition hat auch keinen Antrag eingebracht. Sie hat sich für dieses Thema gar nicht interessiert; das muß ich doch daraus schließen.
Der zweite Punkt: Die damals von Davignon ausgerufene Krise hat uns über die Schwierigkeiten gebracht. Ob daraus immer die richtigen Schlüsse gezogen wurden, ist eine ganz andere Frage, aber wir sind weitergekommen.Es geht uns darum: Kapazitätseinschränkungen sind zu erwarten. Wir müssen uns darauf einstellen, wollen aber nicht, daß die betroffenen Arbeitnehmer hierbei betriebsbedingte Kündigungen hinnehmen müssen. Wir müssen daher den Art. 56 des EGKS-Vertrages völlig ausfahren. Wir haben gesagt, die 240 Millionen ECU reichen dazu überhaupt nicht aus, denn hier werden Zahlen genannt, die weit über diesen Finanzierungsaspekt hinausgehen.Es gab bisher einen Konsens darüber, diese soziale Flankierung durchzuhalten und durchzuführen. Wir können uns alle etwas darauf einbilden, in den kritischen Regionen dieses Mittel angewandt zu haben, denn die betroffenen Menschen, die freigesetzt werden, haben sowieso keine Perspektive, was Arbeitsplätze angeht. Das hängt im wesentlichen mit ihrem Alter einerseits und mit der inaktiven Politik der
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15375
Hans-Eberhard UrbaniakBundesregierung, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, andererseits zusammen.
Also sage ich: Herr Wirtschaftsminister, Sie haben Zeit vertrödelt. Der Koalition ist angeboten worden: Laßt uns gemeinsam, wie es damals mit Lambsdorff geschehen ist, eine Solidarität zur Stützung unserer Interessen in der Europäischen Gemeinschaft schmieden. Das ist doch selbstverständlich legal, und das ist vernünftig. Ich sage aber auch, der Sozialplan ist immer nur die zweitbeste Lösung. Wir wollen, daß nach Möglichkeit die Branche wirtschaftlich stabil, modern und innovativ bleibt. Das ist doch selbstverständlich. Davon gehen wir aus.Ich sage Ihnen am Schluß noch: Herr Rexrodt, wenn Sie die Einschränkung oder Befristung bei der Arbeitslosenhilfe durchsetzen, dann bricht die Sozialplanpolitik zusammen, nicht nur nach § 56 des EGKS-Vertrages, sondern für alle Branchen, weil die Differenzen, die auftreten, nicht mehr finanzierbar sein werden. Es gibt dann keine Pläne, sondern in allen Branchen wird in Massen von den Managern nur noch Freisetzung angemeldet, von Süd nach Nord und von West nach Ost. Das ist das Thema. Wer redet da noch über neue Arbeitsplätze?
Aber dann bricht auch dieses so wichtige soziale System zusammen, das wir im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes und speziell der entsprechenden Verträge geschaffen haben, die sich aus der Europäischen Gemeinschaft ergeben haben.Ich weiß, daß es die Bundesregierung bei der Reduzierung der Kapazitätseinschränkungen und der Reduzierung oder gar Beseitigung der Subventionen in anderen Bereichen Schwerhaben wird. Aber da haben wir Sie schon Anfang des Jahres eingeladen, dies mit uns gemeinsam zu machen.
Herr Kollege Urbaniak, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß. Der letzte Satz: Gefährden Sie nicht die Sozialplanpolitik. Wir könnten es an diesen Standorten nicht mehr durchhalten, und die betroffenen Menschen haben es auch nicht verdient.
Kollege Dr. Ruprecht Vondran, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Ein Waterloo der deutschen Diplomatie" — so harsch war die Kritik der „Süddeutschen Zeitung" an Ihnen, Herr Minister.
Ich sage in eigener Verantwortung: So schlim war es nicht.
Aber einen glücklichen Tag, eine Sternstunde oder einen Sonnentag kann man den Stahlministerrat am 21. September nun wahrlich auch nicht nennen. Alle Probleme blieben ungelöst.
Über EKO gab es offenen Streit, und über den italienischen und spanischen Subventionssümpfen hängt weiterhin dichter Dunst.Überraschen konnte der Gang der Ereignisse die Kenner der Szene nicht.
Die deutsche Position war schwach. Es ist richtig: Industrie und Politik brachten ihre Interessen nicht geschlossen ein. Ich denke, von meiner Seite jedenfalls hat es nicht an Bemühungen gefehlt, zu Gemeinsamkeit zu kommen. Die Delegation aus Bonn trug eine in sich gebrochene Argumentation vor: Subventionen für Eisenhüttenstadt — ja, Subventionen für Italien und Spanien — nein. Ganz gewiß, die Fälle sind nicht vergleichbar. Ich stimme, Herr Minister, mit jedem Wort, das Sie hier zur Differenzierung gesagt haben, ausdrücklich überein. Ich sehe diese Unterschiede, und ich habe mich auch dafür eingesetzt zu differenzieren. Aber die Interessenzegner der Deutschen geben sich blind, und damit mußte man rechnen.Der EKO-Vorschlag, für den sich die Bundesregierung einsetzte, steht auf schwachen Füßen, auf vier schwachen Füßen. Er dient den ausländischen Wettbewerbern, wie angedeutet, zur Rechtfertigung eigener Subventionswünsche. Und weiter: Ein Neubau in Eisenhüttenstadt behindert die Bemühungen der westdeutschen Stahlindustrie, die immer wieder angemahnt werden, an anderer Stelle eine Warmbreitbandstraße außer Betrieb zu nehmen. Ich frage mich, wie die Politik in Bremen, in Bochum, in Dortmund, in Duisburg oder in Salzgitter argumentieren will, wenn man mit öffentlichen Mitteln in Deutschland einerseits eine neue Anlage baut und ebenfalls mit Hilfe öffentlicher Mittel zur gleichen Zeit woanders eine Anlage stillegt.Zusätzlich stößt der EKO-Vorschlag auf ökonomische Einwände. Die Sache wird sich nicht rechnen, so sagen jedenfalls gewichtige Stimmen. Und schließlich: Die Stahlindustrie steht vor einer technischen Revolution, und das von EKO gewählte Verfahren wird schon in kürzester Zeit weitgehend entwertet sein.Was tun in einer solchen Situation? Wir müssen die Gesundung des Raumes Eisenhüttenstadt und eine Lösung für das Stahlunternehmen EKO als zwei getrennte Aufgaben sehen, und wir müssen die notwendigen Entscheidungen auf der Zeitachse richtig ordnen. Wie könnte das konkret aussehen? Es gibt eine Schrittfolge: Die Anstrengungen müßten sich zunächst auf Ersatzarbeitsplätze konzentrieren. Zwei westdeutsche Unternehmen sind bereit, etwa 1 000
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Dr. Ruprecht Vondranzukunftsfähige Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen. Die Politik sollte die Unternehmer in der Tat beim Wort nehmen.Ein Herzstück der heutigen Anlage in Eisenhüttenstadt, das Kaltwalzwerk, kann erhalten bleiben. Zug um Zug ist es in Privateigentum zu überführen; dafür gibt es Interessenten. So entlasten wir die Treuhand von ihren Risiken.Der Bau einer neuen Metallurgie- und Warmwalzkapazität sollte erfolgen; aber er sollte erst dann erfolgen, wenn die Stahlkrise überwunden ist und hoffentlich auch die osteuropäischen Stahlmärkte wieder aufnahmefähig sind.Das ist also ein Dreisprung, der aus meiner Sicht möglich ist. Mit einer solchen Lösung kann die Bundesregierung dann in Brüssel auftreten, kann „bella figura" machen und im Interesse der gesamten deutschen Stahlindustrie nachdrücklich Subventionsdisziplin in der EG anmahnen. So kann dann auch die deutsche Wirtschaftsdiplomatie erfolgreich sein.Ich bedanke mich.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Paul Friedhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier in den letzten Minuten gehört, daß die Probleme in den europäischen und damit auch in den deutschen Stahlregionen gewaltig sind; das kann niemand bestreiten.Hier ist allerdings nicht gesagt worden, daß die EG — innerhalb der EG, in anderen Ländern als in Deutschland, war sehr viel von Subventionen die Rede — dennoch ein Nettoexporteur von Stahl ist, nicht etwa ein Importeur. Es werden etwa 20 Millionen Tonnen pro Jahr aus der EG mehr exportiert, als importiert werden.Wir sind in eine Situation gekommen, in der wir offensichtlich nicht mehr zu den Kosten produzieren können, mit denen wir diese Mengen auf dem Weltmarkt absetzen können. Es kann uns daher nicht verwundern, daß sich das bereits 1992 reduzierte Produktionsniveau auch 1993 weiter verringern wird und daß wir keine nachhaltige Verbesserung erkennen können, weil in Westeuropa, in der EG mit höheren Kosten produziert wird, als das offensichtlich woanders der Fall ist.Hier ist darüber gesprochen worden, daß es Subventionen seien, mit denen die Lander z. B. in Mittel-und Osteuropa niedrigere Kosten erreichen würden. Ich kann nicht erkennen, wie die bankrotten Staatshaushalte dieser Länder offensichtlich die Milliarden, über die wir hier reden, in ihre Stahlindustrie stecken und diese subventionieren.
— Sie haben völlig recht damit, daß dort nicht unser Lohnniveau und unser soziales Gefüge herrscht. Ich bin aber ziemlich sicher, daß wir das nicht über die Stahlindustrie dorthin exportieren können. Da müssen andere Entwicklungen Platz greifen. Dem Stahl, der auf die Märkte drängt, sieht man nicht an, wie er produziert wird. So, wie wir andere Güter und andere Dienstleistungen für unsere Produkte nutzen, werden wir das offensichtlich auch beim Stahl tun.Während wir vor einigen Jahren noch in den südost- und osteuropäischen Ländern einen vom Weltmarkt abgeschotteten Markt hatten, kommen diese Länder jetzt immer stärker auf uns zu. Die Folge ist, daß sie an dieser Arbeitsteilung mitwirken. Dies gilt nicht nur für den Stahl, das gilt für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland und damit auch für den Stahl.Einfache Produkte, die in diesen Ländern zu niedrigeren Preisen hergestellt werden können, werden auf unseren Markt drängen. Dies gilt auch für einfache Stähle. Da nicht die Mehrzahl der Stähle so kompliziert ist, daß sie nur in Deutschland oder in Ländern mit einer vergleichbaren Technologie hergestellt werden können, sondern die Mehrzahl der Stähle Massenstähle sind, werden wir dieses Problem nicht wegdiskutieren können.Genau das, Herr Kollege Henn, habe ich heute morgen im Wirtschaftsausschuß gesagt. Ich habe das, was Sie mir hier unterstellen, überhaupt nicht gesagt, daß es nämlich für die deutsche Stahlindustrie insgesamt keine Chance gebe. Das gilt auch für den Teilbereich, der als Basis den Schrott zum Recyceln hat. Da muß man sehr stark differenzieren. Man braucht sich ja nur einmal in anderen Ländern anzusehen, wie dort die Standortvorteile sind. Wenn man nach Korea oder Japan geht, wird man leicht erkennen, daß von dort Gefahr droht und daß wir dies hier auf Dauer nicht auf diesem Niveau werden verteidigen können.Deshalb müßte eigentlich unsere Zielrichtung sein, uns nicht darüber zu unterhalten, wie wir das Sterben etwas verlangsamen können, wie wir diese Dinge, die nicht aufzuhalten sind, mit viel Geld aufhalten können, sondern — —
— Sie haben wohl gerade nicht zugehört. Ich habe gerade sehr ausführlich gesagt, was ich meine. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie das auch verstanden.Ich glaube also, daß wir den Strukturwandel, den wir offensichtlich brauchen, offensiver gestalten müßten. Ich würde mir wünschen, daß wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir Neues schaffen können, wie wir den Strukturwandel schaffen können, als darüber, was wir alles zur Erhaltung versuchen können.
— Hören Sie doch einmal zu. Ich will einmal versuchen, es auf den Punkt zu bringen.
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Paul K. FriedhoffDer Erhalt nicht mehr wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze bei Kohle und Stahl durch Subventionen und Protektionismus verhindert das Entstehen neuer, wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Wir stellen hier alle möglichen Überlegungen an, wir überlegen, ob wir nicht Quoten einführen, ob wir nicht Mindestpreise einführen, ob wir nicht noch einen Mechanismus erfinden können, wie wir unseren Markt z. B. bei Stahl abschotten können. Wenn wir nur einen Bruchteil des Gehirnschmalzes, das wir für diese Dinge aufwenden, dazu verwenden würden, wie wir dies überwinden, wären wir einer Lösung sehr viel näher.
Hier ist eben fälschlicherweise gesagt worden: z. B. die Zuliefererindustrie. Mein Betrieb ist ein Zulieferbetrieb, unter anderem auch zur Stahlindustrie, und in meinem Betrieb kommen Leute z. B. aus den osteuropäischen Staaten, die sagen: Wir würden gern eure Produkte kaufen, wir würden diese Dinge gern auch bei uns haben, damit wir qualitativ hochwertigen Stahl machen können. Allerdings müßten sie das bezahlen. Da bieten sie uns an, von ihnen Stahl abzunehmen. Wir würden also zum Tauschhandel zurückgehen. Dies ist aber nicht möglich, weil wir hier entsprechende Schutzvorrichtungen eingeführt haben.
Herr Abgeordneter Friedhoff, ehe ich mir den Vorwurf einhandele — —
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Danke schön.
Ich habe nunmehr das Vergnügen, die Aktuelle Stunde kurz zu unterbrechen. Denn auf der Ehrentribüne hat das gesamte Präsidium des Österreichischen Nationalrates Platz genommen. Das Präsidium hält sich zu einem offiziellen Besuch in Deutschland auf. Es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen, den Präsidenten Dr. Fischer, Vizepräsidenten Dr. Lichai und natürlich mit ganz besonderem Vergnügen Frau Vizepräsidentin Dr. Heide Schmidt zu begrüßen.
Wir — der Deutsche Bundestag — fühlen uns als enge Freunde und beste Nachbarn des Österreichischen Nationalrats. Der rege Besucheraustausch, der auf vielen Ebenen kontinuierlich stattfindet, beweist das auch. Der Besuch unseres Präsidiums, an dem ich persönlich leider nicht teilnehmen konnte, im vorigen Jahr in Wien, war ja auch ein Beweis dieser guten und freundschaftlichen Beziehungen.
Wir hoffen, daß Ihr Aufenthalt bei uns in Bonn sowie in Bremen zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen ist und daß die Beziehungen so eng und vertrauensvoll bleiben, wie sie sind, und wir bitten Sie, den ganzen Nationalrat von uns hier aus dem neuen Plenarsaal herzlich zu grüßen.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Weiermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle gleich ganz deutlich machen: Wir reden nicht über eine Situation, die im Jahr 1993 entstanden ist, sondern wir reden zumindest seit 1987, seit ich in diesem Hause bin, ständig darüber, daß in Europa mit Zustimmung des deutschen Bundeswirtschaftsministers eine Subventionspolitik gemacht wird, die uns schadet.
Deshalb führen wir heute diese Debatte. Und ich füge hinzu, daß Sie mit der über Jahre hinweg erfolgten Zustimmung zu einer unausgewogenen Subventionspolitik in verschiedenen Ländern der Europäischen Gemeinschaft auch die volle Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand der Stahlindustrie zu übernehmen haben, meine Damen und Herren.
Es sind die inzwischen 130 Milliarden DM, die immer unter Zustimmung des deutschen Bundeswirtschaftsministers gewährt worden sind — an Italien, an England, an Frankreich, an Belgien —, die nicht unerheblich dazu beigetragen haben — Sie geben es in dem Bericht, der heute morgen im Wirtschaftsausschuß vorgelegt wurde, zu —, daß der deutsche Stahl an den Rand des Marktes torpediert wurde. Das ist die schwierige Lage, in der wir uns gegenwärtig befinden.Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, haben diesen Scherbenhaufen zu verantworten. Das an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit.
Ich sage nicht — das kann man auch gar nicht sagen —, daß es in den vergangenen zehn Jahren keine Möglichkeit gegeben hat, die Belange der deutschen Interessen zu vertreten. Ich klage aber an, daß es Ihnen an dem politischen Willen gefehlt hat, die Interessen der deutschen Stahlindustrie in Brüssel entsprechend zu vertreten.Wir haben eben einige Worte zum Substanzverlust der deutschen Stahlindustrie gehört. Es ist leider wahr, daß kalendertägliche Verluste in Höhe von 1 bis 2 Millionen DM gemacht werden. Dann sage mir mal jemand, wie bei dieser mangelnden, immer schwächer werdenden Substanz die Zukunftsaufgaben, die in neuer Technik, neuer Technologie und Metallurgie liegen, bewältigt werden sollen!Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Ich will das, was sich uns heute real darstellt, nicht schlechtreden, ich glaube aber, daß eine Wirtschafts- und Strukturpolitik mehr sein muß als nur darauf zu warten, daß irgendein Unternehmen ins Gras beißt und damit Kapazitäten frei werden. Das kann doch keine Wirtschafts- und Strukturpolitik sein.
Ich glaube, inzwischen stehen wir vor dieser Situation.Wir haben als Sozialdemokraten, als sozialdemokratische Bundestagsfraktion des häufigeren darauf
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Wolfgang Weiermannverwiesen, daß die Bundesregierung einen industriepolitischen Rahmen schaffen muß, Industriepolitik betreiben muß. Wir haben gesagt, daß das dann in den Gremien einer nationalen Stahlkonferenz zur Strukturbewältigung zu bereden ist.Meine Damen und Herren, wie soll man es den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland erklären, daß — unter Zustimmung des deutschen Wirtschaftsministers — allein an das italienische Staatsunternehmen ILVA über die Jahre hinweg inzwischen eine Summe von rund 40 Milliarden DM geflossen ist? Das, was die deutsche Stahlindustrie bekommen hat, waren finanzielle Hilfen, die aber größtenteils der Rückzahlungspflicht unterlegen waren und die in erheblichem Umfang zurückgezahlt worden sind.Jetzt steht die Frage an: Was läuft eigentlich mit diesem freiwilligen Kapazitätsabbau zur Behebung der Strukturkrise? Wir müssen feststellen, Herr Dr. Vondran, daß die unterstellte Freiwilligkeit seitens der Unternehmen hinsichtlich der Definition ,,stillzulegender Kapazitäten" schon jetzt Mängel und Grenzen aufweist. Wir haben am 21. September noch keinerlei Beschlüsse auf dem Tisch gehabt.Es kann doch nicht wahr sein, daß alle Umstrukturierungsprozesse — jetzt hören Sie schön zu — ohne die Vertreter der entsprechenden Landesregierungen, der betroffenen Kommunen oder der Gewerkschaften stattfinden. Strukturbrüche, die auftreten, werden also nicht durch entsprechende politische, durch finanzielle Maßnahmen gezielt begleitet. Es ist geradezu abenteuerlich, wenn man den Unternehmen und der Bundespolitik, die nicht tätig wird, eine solche Verfahrensweise überläßt. Das werden Sozialdemokraten nicht mitmachen.
Herr Urbaniak hat gesagt, daß man mit einer Summe von 240 Millionen ECU nicht zu Rande kommt, die sozialen Begleitmaßnahmen nicht finanzieren kann, weil die Anzahl derer, die letzten Endes als Betroffene schon heute vorzufinden sind, vermutlich weitaus höher ist — mehr als doppelt so hoch —, als zunächst geplant.Ich fasse noch einmal zusammen: Regionalpolitische Ansätze des EG-Ministerrates bei einem entsprechenden Wegfall von Stahlarbeitsplätzen fehlen in der Tat gänzlich. Im Ministerratspapier vom Februar 1993 wird des weiteren zu einer noch härteren Methode aufgefordert, sich nämlich zusätzlich zur Stillegung von bedeutenden Standorten zu verpflichten.Meine Damen und Herren, wenn es hier keine regionalpolitische begleitende Politik gibt, wie soll es dann funktionieren? Sollen denn ganze Regionen vor die Hunde gehen, ehe die verantwortliche Regierung in Bonn aufwacht und endlich eine knallharte Stahlpolitik im Interesse der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Stahlunternehmen selbst macht?Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Hans-Werner Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Weiermann, mit diesen gegenseitigen Schuldzuweisungen kommen wir nicht weiter. Ich habe bisher Ihrerseits nur Diagnose gehört, keinen Satz der Therapie. Bei einem so sensiblen Gebilde wie der EG, den Industrieministerräten und ähnlichem etwas mit Gewalt durchsetzen zu wollen, ist jenseits jeder Realität.Wenn Sie hier schon Regionalpolitik ansprechen und dort die großen Versäumnisse sehen, darf ich Sie doch daran erinnern, daß nach unserer Verfassung Regionalpolitik Ländersache ist. So möchte ich aus einer ganz bestimmten eigenen Betroffenheit als saarländischer Abgeordneter, auch aus einem gewissen Gefühl der Ohnmacht, ein paar Bemerkungen machen.Was früher einmal Reichtum einer Region war, Stahl und Kohle, ist heute ständiger Anlaß zur Sorge. Aber wie war es denn vor vier Jahren? Da wurde die saarländische Stahlindustrie z. B. fast komplett von der öffentlichen Hand entschuldet, mit erheblichen Bundesmitteln. Man hat eine große saarländische Stahl-Holding gegründet. Ich werde dies noch kurz ansprechen. Lafontaine ließ sich feiern. Und wie! Und jetzt?
— Kollege Dr. Struck, ich nehme diesen Zwischenruf dankbar auf und werde persönlich berichten, daß der verehrte Herr Ministerpräsident sich ständig feiern läßt. Aber damals hat er sich ganz besonders feiern lassen.Nun meldet dieses Stahlwerk Konkurs an. Tausende von Arbeitsplätzen sind auf immer weg. Da hilft auch Art. 56 EGKS nicht, Herr Kollege Urbaniak, und da hätte auch der Graf Davignon nicht weiterhelfen können.Was war an diesem Konkurs hausgemacht? Da gibt es einiges, wie man hört, an Vorwürfen seitens der französischen Anteilseigner Sacilor-Usinor, die nicht mit dem Tempo der Abbauschritte zufrieden gewesen sind. Ich kann das nicht nachvollziehen. Aber es regt schon zu einer gewissen Nachfrage an, wenn jetzt dort dieselbe Produktion gefahren wird, aber mit 2 000 Mann weniger als vorher.Hätte man das in diesem montanmitbestirnmten Unternehmen nicht früher machen können — bei guter Konjunktur, sozialverträglich? Das ist die Frage, die ich mir schon stelle.Wie steht es denn überhaupt mit der IG Metall an der Saar? Sie ist doch der saarländischen Landesregierung mehr als ergeben. Ich drücke das sehr vorsichtig aus. Nicht auszudenken, was bei uns los wäre, wenn die Union noch in Saarbrücken an der Regierung wäre. Jeden Tag würden bei einem derartigen Arbeitsplatzabbau die Glocken aus Protest läuten. Aber jetzt ist Ruhe erste Bürgerpflicht. Wie ist seiner-
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Hans-Werner Müller
zeit Ministerpräsident Werner Zeyer durch den Kakao gezogen worden.Dabei ist doch bei den Kundigen völlig unbestritten, daß die SPD-Landesregierung bei der Vertragsgestaltung vor vier Jahren Fehler gemacht hat. Jetzt müssen Gelder aus der hochverschuldeten Landeskasse fließen, die bei richtiger Vertragsgestaltung der Pensionssicherungsverein hätte tragen müssen. Und der könnte das auch. Es geht um 60 Millionen DM. Der saarländische Steuerzahler zahlt das jetzt.Da entschuldet der Bund das Saarland großzügig mit Milliardenbeträgen, und durch krasse Fehler wird das Geld hier wieder ausgegeben. Das führt mich dazu, zu sagen, daß die saarländische Regierung um Gottes willen die Finger davon lassen soll, etwa Unternehmertätigkeit in der Stahlindustrie auszuüben. Davon versteht sie wahrlich überhaupt nichts, was mehr als bewiesen ist.
Ich glaube auch, an dieser Stelle meiner Genugtuung darüber Ausdruck verleihen zu können, daß der französische Anteilseigner Sacilor-Usinor seine Verpflichtungen bei der Dillinger Hütte voll wahrnimmt, einem Betrieb, der damit mit über 5 000 Arbeitsplätzen seine solide Arbeit fortsetzen kann. Sie werden ja demnächst in Herrn Blessing einen guten Bekannten haben, wo Sie sich dann vor Ort erkundigen können.Ich will grundsätzlich noch ein paar Sätze sagen. Der EG-Außenschutz ist angesprochen worden. Was wichtig ist, ist natürlich — das an die Adresse des Wirtschaftsministers —, nach wie vor für die Einhaltung der Subventionspolitik einzutreten. Die Stichworte ILVA, CSI sind angesprochen worden. Ob dort die Kapazitätsschnitte auch wirklich marktwirksam werden, ist ja nicht ausgemacht. Und es ist auch ein Grund für die Europaverdrossenheit vieler Bürger auch im Stahlbereich, daß hier keine klare Transparenz vorhanden ist. Deswegen muß darauf wirklich Augenmerk gelegt werden.Aber wie steht es denn bei uns mit der Solidarität, wenn es um Kapazitätsschnitte geht? Es gibt die SPD-geführten Bundesländer Bremen und Niedersachsen. Ich spreche nur das Problem Georgsmarienhütte an. Da muß man sich schon verständigen, was man will. Oder will man hier einen neuen Subventionswettlauf zwischen den einzelnen Bundesländern eröffnen? Wäre dies so, verehrte Kolleginnen und Kollegen, würden wir in Brüssel in sehr arge Argumentationsschwierigkeiten kommen.
Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen. Es ist eine freundliche Bitte an die Bundesregierung. Deutschland hat ein Drittel der EG-Stahlindustrie. Meines Wissens ist aber kein hochrangig Verantwortlicher aus Deutschland in der Brüsseler Bürokratie in diesem Bereich tätig. Es muß — ich sage dies ganz generell — mehr Augenmerk darauf gerichtet werden, daß die Personalpolitik in Brüssel aus deutscher Sicht richtig begleitet wird.
Wenn dies geschieht, werden wir in dieser Frage sicherlich ein Stück weiterkommen.Ich bedanke mich sehr herzlich, daß Sie mir zugehört haben.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Ernst Hinsken das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gleicht es nicht einer Heuchelei, wenn die Kollegen von der SPD eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Haltung der Bundesregierung zu den laufenden Stahlverhandlungen in Brüssel" beantragen, und dann die Länder, die unmittelbar am stärksten betroffen sind, durch Abwesenheit glänzen?
Wo ist denn — ich möchte nicht sagen: der Ministerpräsident — der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen?
Wo ist der Wirtschaftsminister des Saarlandes? Wo sind die anderen Wirtschaftsminister der betroffenen Länder?Ich möchte sagen: Bayern ist durch einen tüchtigen Beamten vertreten; das Land Brandenburg ist vertreten und das Land Niedersachsen auch. Aber die größten und am meisten betroffenen Länder, Nordrhein-Westfalen und Saarland, glänzen wieder einmal durch Abwesenheit. So sieht es in der Realität aus.
Welches gute Beispiel gibt hier die Bundesregierung? Hier sitzen zwei Bundesminister, davon einer, der aus dem Saarland kommt.
— Ja, Sie müssen schauen. Es sind Herr Professor Töpfer und der zuständige Bundeswirtschaftsminister. Zudem sind noch fünf Staatssekretäre da.
Sie unterstreichen vor allen Dingen durch Ihre Anwesenheit die Wichtigkeit des Themas.
Ich meine, gerade jetzt, bei dieser Debatte, ist es wichtig, auf verschiedene Gegebenheiten hinzuweisen und auf sie einzugehen. Wer in wirtschaftlich guten Zeiten, weil man aus dem vollen schöpfen kann, den notwendigen Strukturwandel und die Umstrukturierungsdynamik der Wirtschaft bremst, bewirkt damit zweierlei: Erstens bindet er erhebliche öffentliche Mittel für unproduktive Subventionen, und zweitens verhindert er durch Aufrechterhaltung von
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Ernst Hinskenunwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichen die Innovationsbereitschaft und den Zwang der Wirtschaft zur Neuorientierung. Die Stahlproblematik zeigt, daß diese Behinderung der Marktwirtschaft nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem ist. Das ist zum Teil eine Erklärung für die konjunkturelle Schwäche in Europa.Wenn man Fehler und deren Ursachen erkennt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kehrt man um — was sicher schmerzhaft ist —, oder man versucht, einen Fehler durch einen weiteren Fehler auszubügeln. Dieses Verfahren hat aber noch nie funktioniert. Für die Stahlkrise bedeutet das: Wer heute nach einem Produktionsquotensystem durch Ausrufung einer „manifesten Krise" ruft, macht die Stahlindustrie endgültig zu einer sterbenden Industrie in Europa.Ihre Ratschläge, Herr Henn von der PDS, sind die konsequente Fortsetzung der Politik, mit der Sie die DDR in der Weltwirtschaft isoliert und das Chaos angerichtet haben, mit dem wir jetzt fertig werden müssen.
Es kann deshalb, meine Damen und Herren, nur einen einzigen Weg geben, den die EG-Kommission jetzt mit ihrem Rahmenkonzept geht — nämlich unproduktive Überkapazitäten stillzulegen.Da wird nun das deutlich, was ich eingangs über die Subventionen gesagt habe. Dort, wo die meisten Subventionen geflossen sind, nämlich in Italien und Spanien, befinden sich heute die meisten unproduktiven und stillzulegenden Kapazitäten. Wir sollten alles daran setzen, dafür zu sorgen, daß es genau diese Kapazitäten sind, die jetzt stillgelegt werden — im Interesse der Wirtschaft in ganz Europa.Des weiteren — und da pflichte ich den Kollegen der SPD bei —
kann es doch nicht angehen, daß stillgelegte Kapazitäten wie in Italien gegebenenfalls reaktiviert werden, um eine bessere Ausgangsbasis zu haben. Hier, Herr Minister, meine ich, müssen Sie strikt dagegenhalten.Ich denke, es ist unser aller Aufgabe, der Bundesregierung für diese ihre Verhandlungen in Brüssel den Rücken zu stärken, um den Subventionswettlauf zu beenden. Da hat es wenig Sinn, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen von der SPD,
in Deutschland nach nationalen Stahlkonferenzen zu rufen und die Bundesregierung auf die Anklagebank zu setzen. Mit dieser Politik, meine Damen und Herren, lösen wir die Probleme in der Stahlpolitik nicht! Mit dem Ruf nach Außenschutz und Protektionismus stärken wir vielmehr die Subventions- und Protektionsargumente der Italiener und Spanier.Wir müssen alle eingestehen, daß ein weiterer Beschäftigungsrückgang in der Stahlindustrie unabweislich ist. Lügen wir uns doch nicht in die eigene Tasche: Was wir brauchen, ist der Konsens aller politischen und gesellschaftlichen Gruppen, die Herausforderungen einer schmerzhaften Umstrukturierung anzunehmen.
Dies gilt im übrigen nicht nur für die Stahlindustrie, sondern auch und in ganz besonderer Weise für den Steinkohlebergbau. Diesen Konsens herbeizuführen und die Herausforderungen anzunehmen bedeutet jedoch auch, daß sich die betroffenen Bundesländer ihrer regionalpolitischen Verantwortung bei der Flankierung dieser Umstrukturierungsprozesse bewußt werden
und dann eine aktive Rolle übernehmen, wie wir das heute mehrmals im Wirtschaftsausschuß angesprochen haben.Hier rächen sich die Versäumnisse und Unterlassungen der Vergangenheit. Herr Kollege Urbaniak, ich pflichte Ihnen bei, und Herr Kollege Weiermann hat das auch gesagt. Diese Regionen — —
Herr Abgeordneter, dieses optische Signal ist, wie Sie sehen, das gleiche wie im Wasserwerk. Es hat auch die gleiche Bedeutung. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Der letzte Satz, Herr Präsident.
Wenn die SPD, statt Schuldzuweisungen an die Bundesregierung vorzunehmen, dazu überginge, ihre regionalpolitischen Hausaufgaben in den von ihr geführten Bundesländern zu machen, würde die deutsche Position auch in Brüssel an Überzeugungskraft gewinnen. Das wollte ich zum Abschluß gesagt haben. Ich bedanke mich, daß ich es noch sagen durfte.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Herbert Meißner das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kapazitätsabbau von 30 Millionen Jahrestonnen Rohstahl und 26 Millionen Jahrestonnen Warmwalzerzeugnissen mit dem Verlust von über 50 000 Arbeitsplätzen ist die Ausgangslage der heutigen Debatte. Dies bedeutet — so eine Bewertung des Brüsseler Ministerrats vom Februar—, daß weitere 85 000 Arbeitsplätze verlorengehen. Da die für Hilfsmaßnahmen in Aussicht gestellten 240 Millionen ECU mehr als unzureichend sind, wird die erhoffte Freiwilligkeit für stillzulegende Kapazitäten kaum eintreten.Der geschätzte Bedarf von 2,5 Milliarden ECU für einen Vollstreckungszeitraum von bis zu zwei Jahren beinhaltet noch nicht die zusätzlichen industriellen Kosten — die Kosten für den Preisverfall und vor allen Dingen die Kosten für die Schaffung von Dauerar-
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Herbert Meißnerbeitsplätzen in den betroffenen Regionen. Hinzu kommen die Probleme des Außenschutzes; Billigimporte machen den europäischen Stahlerzeugern das Leben schwer.Die Einschätzung der bereits zitierten Ministerratssitzung weist erhebliche Mängel auf. Es ist eine mehr als dramatische Entwicklung auf dem Stahlmarkt entstanden. Ich glaube, wir werden uns hier bald zu diesem Thema zu einer Generaldebatte wiederfinden.Gleiches trifft mit noch größerer Dramatik auf die Stahlsituation im Osten Deutschlands zu. Da ich aus dem Osten komme, möchte ich dies mit besonderem Nachdruck unterstreichen. Von Anfang an unterlagen die Bundesregierung und die Treuhandanstalt einer gravierenden Fehleinschätzung der Situation. Die Standorte Risa, Gröditz, Freital, Brandenburg, Oranienburg, Hennigsdorf sind teilweise heruntergefahren worden; sie sind geopfert worden.
Von den einst 151 000 Arbeitsplätzen in der Stahlbranche sind zur Zeit noch — — Ja, und hier kommt eine ganz besondere Situation. Vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden ist mir heute nicht genannt worden, wie der jetzige Stand der Arbeitnehmer in dieser Branche aussieht. Er ist nämlich geheim.Im Stahlbereich waren 1990 in Oranienburg — das möchte ich an diesem Beispiel klarmachen — 1 200 Arbeitnehmer beschäftigt. In diesem Jahr übernahm Krupp auch dieses Werk mit der Zusage, 600 Dauerarbeitsplätze zu erhalten. Bereits am 1. Juli 1993 wurde dieses Werk ohne jegliche Alternative geschlossen. Keiner — weder die Treuhandanstalt noch die Manager von Krupp — fühlen sich an die einst gegebene Zusage gebunden. Die Matrosen werden über Bord geworfen, die Kapitäne, die Wirtschaftsmanager, ziehen weiter.
— Genau, gnadenlos.
Bisweilen erhalten Politiker vernichtende Kritiken zu ihren Tätigkeiten; ich frage mich: Werden eigentlich die Manager auch einmal nach ihren Verantwortlichkeiten beurteilt?In Hennigsdorf, ebenfalls Kreis Oranienburg, waren 1990 8 800 Arbeitnehmer beschäftigt. Zur Zeit betreibt RIVA dieses Werk mit 900 Beschäftigten. Das ist ein Rückgang von 8 800 auf 900! Die übrigen 7 900 Arbeitnehmer befinden sich im Vorruhestand oder in der gegründeten ABS. Die ABS hat die Aufgabe, die 50 ha der übriggebliebenen Betriebsfläche zu sanieren in der Hoffnung, daß sich zukunftssichere Arbeitsplätze gewinnen lassen.Meinen Sie, daß ein Stahlwerker mit 40 Jahren bei den zu erwartenden neuen Arbeitsplätzen eine Chance hat? Da Strukturveränderungen bekanntlich sehr lange dauern, ist die Chance gleich Null. Ähnlich ist es an den anderen Standorten.Wenn Sie sich also den dramatischen Arbeitsplatzverlust der Stahlwerker Ostdeutschlands in Erinnerung rufen, kann jeder nachvollziehen, daß das Maß gestrichen voll ist und bald überläuft. Normalerweisemüßten vor den ehemaligen Werkstoren die Fackeln permanent brennen.
— Aber Herr Ganschow, da müssen Sie mir doch zustimmen.
— Aber Herr Ganschow!Ich denke, es ist für Ostdeutschland wichtig, daß EKO erhalten bleibt. Ich bedanke mich bei Bundesminister Rexrodt, daß die Bemühungen um EKO erheblich sind. Das werden sicherlich auch die Bürger aus den neuen Bundesländern sehr gut heißen, Herr Minister.
Aber es muß wahrgenommen werden: Von den ehemals über 12 000 Beschäftigten und über 800 Auszubildenden bei EKO sind nur noch 4 698 übrig geblieben. Die Problematik im Osten ist zur Zeit so schlimm, daß wir von der Bundesregierung und auch von Ihnen, den Abgeordneten aus den alten Bundesländern, eine Unterstützung bei dem Versuch, den Stahlstandort in Ostdeutschland so zu sichern wie in Westdeutschland, erwarten.Danke schön.
Ich erteile als letztem Redner in der Aktuellen Stunde dem Abgeordneten Erich G. Fritz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat die Aktuelle Stunde beantragt. Sie ist jede Antwort auf Konzepte schuldig geblieben. Sie hat nur eins getan, was sie auch bei früheren Stahldebatten getan hat: Sie hat mit dem Finger auf die Bundesregierung gezeigt und dabei vergessen, daß sie dabei immer mit drei Fingern auf sich selbst zeigt.Meine Damen und Herren, ich bin schon über den Ablauf dieser Debatte verwundert. Heute morgen im Wirtschaftsausschuß habe ich gedacht: Sieh an, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt. Ich dachte, Sie würden jetzt eine Debatte führen, die zielgerichtet ist und die dazu beiträgt, daß der Wirtschaftsminister den nötigen Rückhalt erhält, den er in dieser schwierigen Phase jetzt braucht.
Und dann stellen Sie sich aber ein paar Stunden später hier hin und ziehen das gleiche Theater ab wie immer,
mit Reden, die Sie auf Betriebsversammlungen haltenkönnen und die Sie auf Parteitagen halten, die aber
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Erich G. Fritzüberhaupt nichts dazu beitragen, die eigentlichen Probleme, die wir haben, zu lösen.
Damit werden Sie Ihrer Verantwortung als Opposition, und damit werden Sie auch Ihrer Verantwortung als Vertreter der betroffenen Regionen nicht gerecht, meine Damen und Herren.
Die regionale Verantwortung ist gefragt. — Keine Antwort. Die Frage, wie wir jetzt gemeinsam dazu beitragen, daß die Position Deutschlands in Europa gestärkt wird, daß der Bundeswirtschaftsminister bei seinen unendlichen Bemühungen das ganze Parlament im Rücken hat und nicht den Streit von zu Hause vorgehalten bekommt, muß gelöst werden. — Keine Spur einer Reaktion bei Ihnen!
— Wenn Sie sich hier als Vertreter der Stahlkocher gerieren, dann müsen Sie doch jetzt eines tun, nämlich dem Kumpel Kollegen Rexrodt
jede Unterstützung geben;
denn wir wissen doch alle, in welcher Art und Weise in Europa die Karten gemischt sind und mit welchen Schwierigkeiten er da zu kämpfen hat.
Die Subventionstäter kämpfen weiter an der gleichen Front, es wird weiter subventioniert, aber der Täter schämt sich schon etwas. Das kann uns natürlich nicht zufriedenstellen. Man muß schon einmal fragen, ob wir, bedingt durch die Art und Weise, in der da mit Kapazitäten, die abgebaut werden, obwohl sie gar nicht mehr existent sind, manipuliert wird — Herr Vondran hat das hier noch einmal deutlich gemacht — bzw. auf Grund der verschiedenen Rechenmodelle nicht einmal deutlich machen müssen, daß damit eine Geschäftsgrundlage — —
— Herr Weiermann, Sie kennen doch die europäische Situation. Sie wissen, daß nur hinhaltende Bemühungen zum Ziel führen, aber keine Aufgeregtheiten. Das einzig Richtige ist das, was der Bundeswirtschaftsminister jetzt tut, indem er mit den Betroffenen ständig im Gespräch ist.
Das ist viel sinnvoller als eine große Schaukonferenz.
Das haben wir num oft genug gesagt. Diese Geschichten tragen dazu bei, ihm den Rücken zu stärken. Den
Spagat hat er selber dargestellt. Ich bin sehr dankbar, daß Kollege Meißner das gerade in dieser Weise noch einmal gesagt hat.
Deshalb sind auch Reden, wie Herr Urbaniak sie gerade gehalten hat, überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Die waren Anfang der 80er Jahre richtig. Sie vergessen ganz, Herr Kollege, daß sich die Verhältnisse auch in Deutschland doch völlig geändert haben. Wenn wir beides tun wollen, auf der einen Seite die Struktur im Westen vernünftig in einen neuen, angepaßten Zustand zu überführen und auf der anderen Seite gleichzeitig den Stahlstandort im Osten aufrechtzuerhalten, dann ist das mit alten Methoden überhaupt nicht zu machen, ganz abgesehen davon, daß wir die finanzielle Basis für alte Methoden in der Weise nicht mehr zur Verfügung haben.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend muß man sagen, daß diese Aktuelle Stunde keine neuen Aspekte von seiten der Opposition gebracht hat.
Deshalb können wir als Regierungskoalition nur sagen: Die Richtung des Bundeswirtschaftsministers, der Koalition und der Regierung insgesamt ist deutlich geworden und wird durch den Verlauf dieser Debatte gestärkt.
Das ist der einzige Weg, aus dem Dilemma herauszukommen und neue Ziele anzupeilen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 12/5754 --
Wir beginnen mit den Dringlichen Fragen. Ich rufe zunächst die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Simon Wittmann auf:
Treffen Berichte der Deutschen Presseagentur vom 27. September 1993 zu, daß bei den Umzugskosten von Parlament und Regierung nach Berlin von mehr als 20 Milliarden DM auszugehen ist, und aus welchen Gründen will dies die Bundesregierung nicht der Öffentlichkeit bekanntgeben?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Wittmann, die Antwort lautet wie folgt: Die Bundesregierung hat sich mit der vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Dr. Schäuble erbetenen Kostenberechnung für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin noch nicht befaßt. Die Kostenberechnung wird derzeit vom Bundesminister der Finanzen mit den betroffenen Ressorts noch im einzelnen erarbeitet. Vor deren Abschluß sind alle derzeit im öffentlichen Umlauf befindlichen Zahlen spekulativ. Die Bundesregierung
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15383
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerwird die Kostenberechnung nach Beschlußfassung im Kabinett an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion übermitteln. Vermutungen, die Bundesregierung wolle derartige Berechnungen dem Deutschen Bundestag vorenthalten, sind nicht berechtigt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wittmann.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Äußerungen des Abgeordneten Kansy, der laut dpa-Mitteilung von heute morgen die Kostenschätzungen aus dem Finanzministerium als „totalen Unsinn" kritisiert und u. a. bemerkt hat, daß Finanzminister Theo Waigel diese Zahlen als Kampfmittel benutzt, um Berlin zu verhindern?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, es ist nicht üblich, daß die Bundesregierung die Äußerungen einzelner Abgeordneter kommentiert, wiewohl ich natürlich der Meinung bin, daß der Redestil fair und angemessen sein sollte.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Kann die Bundesregierung bestätigen, Herr Staatssekretär, daß der Umzugszeitpunkt erst dann festgelegt werden kann, wenn baureife Planungen und eine realistische Kostenschätzung vorliegen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Es liegt auf der Hand, daß das Bundeskabinett erst entscheiden kann, wenn die dafür notwendigen Grundlagen vorliegen. Diese lagen offenbar nicht vor. Deshalb ist die Entscheidung des Kabinetts auf den 12. Oktober vertagt worden. Ob sie bis dahin vorliegen, kann ich jetzt vorausschauend nicht beurteilen. Deshalb kann ich Ihre Frage so präzise, wie Sie es sich wahrscheinlich vorstellen, nicht beantworten.
Zur Klärung der Geschäftslage: Ich habe jetzt folgende Wortmeldungen vorliegen: Abgeordneter Kansy, Abgeordnete Frau Limbach, Abgeordneter Feilcke, Abgeordneter Schily, Abgeordneter Bury — nur damit wir die Reihenfolge einigermaßen ordentlich hinbekommen.
Wir fangen mit dem Abgeordneten Kansy an.
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht für sinnvoll halten, abgesehen von den dauernden Indiskretionen aus dem BMF, die die Sache wirklich nicht bereichern — nur dazu habe ich mich geäußert, nicht zum Minister —, wenn man endlich, um Klarheit zu schaffen, eindeutig trennen würde: Welche Ausgaben sind zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit, sprich: zum Umzug, nötig, und wie hoch sind die sonstigen Kosten, die zur Herstellung der vollen Funktionsfähigkeit anfallen? Das sind auch Kosten, die in Bonn und Berlin in Milliardenhöhe anfallen, unabhängig davon, wo sich Parlament und Regierung in Zukunft befinden.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, Sie greifen einem Bericht vor, der noch gar nicht existiert, wenn Sie so wollen. Warten Sie es doch bitte ab, ob der Bericht nicht den von Ihnen jetzt geforderten Kriterien entspricht!
Ich möchte mich noch einmal vergewissern: Ich habe jetzt zusätzlich Frau Eichhorn, Abgeordneten Scholz, Abgeordneten Möller und Abgeordneten Deß notiert.
Jetzt hat Frau Limbach die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, treffen Berichte, die auch in der Presse zu lesen waren, zu, daß am Montag in der Staatssekretärsrunde ein Bericht des Finanzministeriums mit der Zahl 29,2 Milliarden DM bei Umzug 1998 und der Zahl 25,5 Milliarden DM bei Umzug 2002 vorlag, der als zu hoch zurückgewiesen wurde?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Limbach, alle Zahlen, die zur Zeit in der Öffentlichkeit herumgeistern, sind rein spekulativ.
Nächster ist der Abgeordnete Feilcke.
Herr Staatssekretär, können Sie damit also sagen, daß die in der Öffentlichkeit zur Verunsicherung der Bonner und Berliner herumgeisternden Zahlen alle spekulativ sind, nicht aus dem Finanzministerium stammen und jeder Seriosität entbehren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Feilcke, bis jetzt gibt es keine offiziellen Zahlen, jedenfalls keine Zahlen, die das Bundeskabinett autorisiert hat.
Insofern ist jede Zahl zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ.
Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, wie ist es um die Arbeitsfähigkeit des Bundesfinanzministeriums bestellt, wenn nach zwei Jahren der Öffentlichkeit noch keine verläßlichen Zahlen zu der wichtigen Frage des Umzugs nach Berlin präsentiert werden können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch Ihre Frage beinhaltet eine Spekulation, die ich nicht bestätigen kann. Das Bundesfinanzministerium ist, wie alle sehen können, bestens arbeitsfähig.
Herr Abgeordneter Bury.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Bundesfinanzministerium intern zu dem Ergebnis gekommen ist, daß ein überstürzter Umzug 1998 wegen der damit verbundenen Provisorien zu
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15384 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Hans Martin BuryMehrkosten in der Größenordnung von 4 Milliarden DM führen würde?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß sich der Ausdruck „überstürzt" in dem Bericht nicht wiederfinden wird. Ansonsten sind alles, wie gesagt, spekulative Vermutungen und teilweise auch Unterstellungen. Sie müssen sich schon gedulden, bis der Bericht vorliegt. Dann kann eine Bewertung auf der Basis Ihrer Frage erfolgen.
Abgeordnete Frau Eichhorn.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Zahlen und Berechnungen mehrfach als Spekulationen bezeichnet. Können Sie eine Auskunft darüber geben, auf welcher Basis die veröffentlichten Zahlen zustande gekommen sind und ob die Zahlen, die im ersten Zwischenbericht genannt worden sind, auch Spekulationen sind?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe schon darauf hingewiesen: Es sind alles Spekulationen, weil die Zahlen erst mit der Beschlußfassung durch das Kabinett gewürdigt werden. Erst dann können sie offiziell und nichtspekulativ werden. Im übrigen wäre auch ich daran interessiert, zu erfahren, wer irgendwelche Angaben, ob sie stimmen oder nicht, in die Öffentlichkeit gebracht hat.
Abgeordneter Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, sind auch die vom Bundesbauministerium ermittelten reinen Baukosten für den Bundestag und die Bundesregierung in Berlin, wie sie in dem Bericht des Bundesinnenministeriums als Anlage beigefügt sind, Spekulationen, und wann wird die Bundesregierung die Fragen beantworten, die ich im Rahmen der von unserer Fraktion veranlaßten Datenermittlung gestellt habe, damit solche Spekulationen nicht als „totaler Unsinn" bezeichnet werden können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Möller, ich habe schon mehrfach betont: Im Moment sind alle Zahlen Spekulationen. Denn um einer Zahl offizielle Aussagekraft zu verleihen, bedarf es der Beratung und Beschlußfassung durch das Kabinett. Das wird am 12. Oktober erfolgen. Dann wird der Bericht sicher die von Ihnen so drängend gestellten Fragen beantworten.
Herr Abgeordneter Deß.
Herr Staatssekretär, wie erklärt die Bundesregierung den Bürgern die Tatsache, daß auf Grund der aktuellen Haushaltslage selbst im Sozialbereich Kürzungen vorgenommen werden müssen, für einen zur Zeit aber nicht notwendigen Berlin-Umzug Milliardenbeträge eingeplant werden müssen?
Herr Abgeordneter, erstens bitte ich die Antwort stehend entgegenzunehmen. Zweitens möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich bemühen sollten, einen direkten Zusammenhang zu der Ursprungsfrage herzustellen. Es gehört schon ein Stückchen Phantasie dazu, das in diesem Fall zu tun. Ich stelle es dem Staatssekretär frei zu antworten.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte dazu zwei Feststellungen treffen.
Erstens. Herr Kollege Deß, daß umgezogen werden muß, steht außer Frage. Denn der Beschluß ist insoweit gefaßt.
Zweitens. Daß das etwas kosten wird, steht auch außer Frage, glaube ich. Die Kosten können im Moment nicht genau beziffert werden. Dazu bedarf es des Berichts, über den wir jetzt dauernd sprechen. Außerdem sprechen wir in jedem Fall über Kosten, die sich auf Jahre verteilen, egal, wie hoch sie sind, so daß die Belastung pro Haushalt nicht so dramatisch ist, wie es gelegentlich erscheint.
Der Abgeordnete Frankenhauser.
Herr Staatssekretär, können Sie zusichern, daß die Kostenberechnung, wie sie vom Kabinett beschlossen werden wird, im Gegensatz zu den bisherigen Berechnungen des Bundesbauministeriums auch die Aufwendungen für die Baunebenkosten, für den Grunderwerb, die Erschließung, die Entsorgung, die Beseitigung der Altlasten, die Anlage von Plätzen und Grünflächen, Entschädigungsleistungen
— darauf komme ich noch —, Verlagerungskosten und Infrastrukturkosten enthalten wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich betrachte diese Aufzählung als einen wertvollen Hinweis und als Anregung. Ich gebe das deshalb ans Kabinett weiter.
Nun habe ich noch die Wortmeldung des Abgeordneten Herrn Singer.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antworten so verstehen, daß jede Verlautbarung eines Bundesministers, der keine Kabinettsentscheidung zugrunde liegt, als Spekulation bezeichnet werden muß?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Singer, nur gelegentlich.
Abgeordneter Professor Scholz.
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Herr Präsident, ich bedanke mich, daß Sie mir trotz meines ursprünglichen Verzichts Gelegenheit geben, eine Frage zu stellen. Dazu veranlaßt mich die Frage von Herrn Frankenhauser.
Herr Staatssekretär, wird in den dann endgültigen, überhaupt nicht mehr spekulativen Zahlenwerken, die die Bundesregierung hoffentlich bis zum 12. Oktober erarbeitet, alles das eingerechnet werden, was an Mieten und ähnlichem hier in Bonn zu sparen sein wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Auch diese Anregung, Herr Kollege Scholz, gebe ich selbstverständlich als wertvoll an das Kabinett weiter.
Professor Scholz, der Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage ist nur sehr schwer herstellbar.
Jetzt bitte der Abgeordnete Harries.
Herr Staatssekretär, was gibt Ihnen denn die Hoffnung, daß die Bundesregierung am 12. Oktober aus den zahlreichen Zahlenreihen die richtige greift?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Sachkompetenz der beteiligten Fachressorts und ihrer Beamten sowie die guten Anregungen hier in der Fragestunde.
Meine Damen und Herren, ich rufe die zweite Dringliche Frage des Abgeordneten Simon Wittmann auf:
Wie widerlegt die Bundesregierung die Vermutung, daß mit der Herausnahme der Gesamtzahlen von mehr als 20 Milliarden DM aus dem Bericht an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Zeitpunkt des Umzuges beeinflußt werden soll, und wann kann mit der Vorlage der endgültigen Zahlen gerechnet werden?
Vor der Beantwortung möchte ich Sie herzlich bitten, nicht die gleichen Fragen noch einmal zu stellen.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, auch in dieser Frage sprechen Sie Zahlen an. Insoweit darf ich Sie darauf verweisen, daß über offizielle Zahlen und fundierte Angaben in dieser Hinsicht erst nach der Befassung durch das Kabinett und nach dem Vorliegen des Berichts gesprochen werden kann.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wittmann.
Herr Staatssekretär, wird in dem Bericht, wenn er vorliegen sollte, auch das von Herrn Abgeordneten Kansy inzwischen in die Diskussion gebrachte Leasingverfahren mit entsprechenden Zahlen enthalten sein? Zu welchem Zeitpunkt können wir damit rechnen, daß der Bericht vorliegt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ob die Leasingvariante enthalten sein wird, vermag ich nicht vorauszusagen; ich bin da eher skeptisch. Ich glaube, daß der Bericht mit den erbetenen Zahlen nach der Kabinettsitzung am 12. Oktober vorliegen wird.
Sie haben eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wird in dem Bericht auch eine konkrete Aufstellung derjenigen Gebäude enthalten sein, die bereits definitiv und unwiderruflich für eine Nutzung durch den Deutschen Bundestag oder durch ein Bundesministerium ausersehen sind? Werden auch konkrete Baupläne enthalten sein, die bereits genehmigt sind, damit man einen Überblick über das hat, was in der Planung für Berlin schon vorangegangen ist?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Davon gehe ich aus.
Nunmehr ist der Abgeordnete Feilcke berechtigt, eine Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, ist damit zu rechnen, daß die Kosten für den Umzug des Parlaments und die Kosten für den Umzug der Regierung getrennt ausgewiesen werden, so daß abgelesen werden kann, welche Kosten allein durch den Umzug des Parlaments verursacht werden? Und was spricht Ihrer Meinung und Kenntnis nach dagegen, daß der Termin, der in dem ursprünglichen Beschluß steht, eingehalten wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Feilcke, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich nicht einen Bericht vorwegnehmen kann, der noch gar nicht existiert und dessen Endfassung auch noch nicht bekannt ist. Deshalb kann ich zu den von Ihnen jetzt konkret gestellten Fragen keine seriöse Antwort geben. Sie müssen sich notgedrungen bis zum 12. Oktober gedulden.
Ich darf in Erinnerung rufen, daß die Frage lautete, wie die Bundesregierung eine ganz bestimmte Vermutung widerlegt.
Jetzt hat der Abgeordnete Kansy das Wort.
Herr Präsident! Ich werde mich in vorbildlicher Weise eng an die Fragestellung anlehnen.Könnte es, Herr Staatssekretär, nicht umgekehrt so sein, daß, wenn der Kollege Wittmann fragt, wie die Bundesregierung die Vermutung widerlegt, daß mit den genannten Angaben der Bundestag beeinflußt werden soll, für Berlin zu entscheiden, die vom Bereich des BMF genannten falschen, aufgeblähten Kosten vielmehr Öffentlichkeit und Bundestag beeinflussen sollen, hinsichtlich des Umzugs nach Berlin ängstlich zu sein?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kansy, die Wertung, die in Ihrer Frage enthalten war,
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15386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnermacht es mir sehr schwer, darauf zu antworten. Ich möchte diese Kommentierungen den Kollegen Abgeordneten überlassen und mich als Regierung nicht daran beteiligen.
Der Abgeordnete Schily hat nummehr die Möglichkeit zu fragen.
Herr Staatssekretär, was hat es denn mit diesem Bericht, den der Kollege Wittmann in seiner Frage erwähnt, auf sich, und wie kam es denn zu diesen Zahlen, die zunächst in dem Bericht gestanden haben und nachher herausgenommen wurden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege Schily, ich kann nur sagen: Der Bericht existiert in einer offiziellen Form noch nicht. Am 12. Oktober wird er, wie mehrfach betont, vom Bundeskabinett beschlossen, und dann steht er Ihnen zur kritischen Überprüfung zur Verfügung. Das heißt also, ich kann die von Ihnen gestellte Frage, die die Existenz des Berichtes unterstellt, im Moment nicht beantworten.
— Der Bericht kommt erst noch, auch wenn in der Frage der Eindruck erweckt wird, als gäbe es ihn schon.
Ja, also, ich will jetzt erst einmal Herrn Dr. Möller die Möglichkeit geben zu fragen, um darüber noch einmal nachzudenken. Frau Limbach hat sich inzwischen auch gemeldet.
Herr Staatssekretär, da meine Fragen insbesondere zu Detailüberlegungen der Kostenermittlung nun auch schon seit Wochen vorliegen: Ist es in der Bundesregierung üblich, daß Antworten auf Fragen im Kabinett beraten werden, bevor sie den Abgeordneten zugeleitet werden? Konkret: Wann kann ich mit Beantwortung meiner Fragen vor dem 12. Oktober rechnen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Möller, Sie wissen, daß ich jetzt mit der Beantwortung überfordert bin, weil mir der konkrete Vorgang nicht vorliegt und nicht bekannt ist. Aber ich kann Ihnen zumindest zusichern, daß mit Erstellung des Berichts — so nehme ich an — dann auch Ihre Fragen, jedenfalls incidenter, beantwortet werden.
Frau Eichhorn, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß bei einem Kostenvergleich alle Kosten einschließlich der Leasingkosten bekannt sein müssen, um eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen zu können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Eichhorn, ich kann Ihnen zustimmen, wenn Sie feststellen, daß alle für die Beurteilung der Frage maßgeblichen Kosten berücksichtigt werden müssen.
Der Abgeordnete Kastning möchte nunmehr eine Frage stellen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, allmählich macht mir die Sache hier Spaß. Deswegen habe ich mich noch einmal gemeldet. Vermutlich werden Sie auch jetzt nicht befriedigend antworten, aber ich frage zu der zweiten Frage des Kollegen Wittmann: Wie widerlegt die Bundesregierung die Vermutung, daß mit der Herausnahme der Zahlenentwürfe aus den Berichtsentwürfen oder -vorentwürfen an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Entscheidung des Deutschen Bundestages zum Zeitpunkt des Umzuges beeinflußt werden soll?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Da es den Bericht noch nicht gibt
und hier davon gesprochen wird, daß aus einem Bericht Zahlen herausgenommen worden sind, kann ich die Frage also nicht beantworten. Die zugrunde liegende Annahme, daß der Bericht existiere, trifft nicht zu.
— Es gibt für den Bericht auch noch keinen fertigen Entwurf. Es gibt in den einzelnen Häusern Überlegungen, die erst noch zusammengeführt werden müssen, und dann wird daraus ein Bericht. Dann kann unter Berufung auf den Bericht die Bundesregierung nach den Fakten, die dort enthalten sind, gefragt werden.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es wird gebeten, etwas zu widerlegen, und zwar eine Vermutung und die Frage, ob sich die Bundesregierung dazu überhaupt in der Lage sieht. Das soll auf Grund eines bestimmten Sachverhaltes erfolgen. Ich will mich nicht in die Diskussion einmischen, aber es wäre mir schon lieb, wenn wir uns auf diesen Punkt nun wirklich konzentrierten und weder bei den Fragestellern noch bei den Antwortenden noch nicht einmal haarscharf an der Sache vorbei, sondern weit vorbeigingen. — Man möge mir diese Bemerkung verzeihen!
Nun Frau Abgeordnete Limbach.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung auch die Vermutung widerlegen, daß es in der Staatssekretärsrunde über die Vorberichte und die darin enthaltenen Zahlen, die möglicherweise diesen Vermutungen zugrunde lie-
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Editha Limbachgen, Auseinandersetzungen und Streit gegeben hat?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Limbach, auch dazu kann ich keine Stellung nehmen. Es gibt sicherlich in diversen Häusern der Bundesregierung Überlegungen, die mir im Detail gar nicht bekannt sind, weil wir erst dann die Aufgabe haben, die Dinge zusammenzuführen und zu einem Bericht zu formen. Das heißt also: Was Sie hier von mir bestätigt wissen wollen, kann ich Ihnen nicht bestätigen, weil es mir nicht bekannt ist.
— Das ist zutreffend.
Nun hat der Abgeordnete Bury die Möglichkeit, eine weitere Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, gibt es im BMF oder im Bundeskabinett einen Berichtsentwurf oder Teilentwürfe mit den genannten diskutierten Zahlen? Können Sie ausdrücklich dementieren, daß die in der Öffentlichkeit diskutierten Zahlen auch in Berichten, in Vorberichten, Berichtsentwürfen oder Teilentwürfen im BMF oder im Kabinett genannt worden sind?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen weder bestätigen noch dementieren, weil ich die Materialsammlungen im Detail einfach nicht kenne, die angefertigt werden, um diesen Bericht zu erstellen. Ich kann Ihnen nur sagen — und das ist das Maßgebliche —: Es gibt noch keine für die Bundesregierung verbindlichen Zahlen. Deshalb sind alle Zahlen, die irgendwo herumgeistern, spekulativ.
Frau Iwersen.
Herr Staatssekretär, ist die Vermutung richtig, daß entweder die Abhörtechnik oder der Schallschutz in den entsprechenden Ministerien oder anderen Räumlichkeiten, die mit der Erstellung des Berichts befaßt sind, mangelhaft ist?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Jetzt muß ich doch einmal die Hilfe des Präsidenten in Anspruch nehmen. Ich sehe hier keinen Sachzusammenhang mehr, Herr Präsident. Deshalb, glaube ich, brauche ich die Frage nicht zu beantworten.
Herr Frankenhauser hat die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wer veranlaßt hat, aus dem nicht existierenden, mir gleichwohl vorliegenden Bericht irgendwelche Kostenschätzungen nicht aufzuführen?
Herr Frankenhauser, auch diese Frage bedarf einer formvollendeten Antwort. Das heißt, ich bitte Sie stehenzubleiben.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Leider ist es mir weder positiv noch negativ bekannt.
Herr Abgeordneter Scholz.
Herr Staatssekretär, wir haben jetzt viel über Spekulationen, wenig Autorisiertes und wenig Offizielles gehört, aber es sind nun solche Dinge in der Welt. Ich möchte an die Frage von Herrn Wittmann anknüpfen. Kann die Bundesregierung ausschließen, gegebenenfalls wie, kann sie möglicherweise eine Vermutung widerlegen dahin gehend, daß es sich bei den völlig spekulativ durch die Lande wandernden Zahlen um gezielte Indiskretionen aus dem Bereich der Bundesregierung, namentlich aus dem Bundesfinanzministerium, handelt, gegebenenfalls deshalb gezielte Indiskretionen, um den Umzug nach Berlin zu konterkarieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Prof. Scholz, das ist in der Tat die höchste Form der Spekulation, die in Ihrer Frage enthalten ist.
Der Bundesregierung sind jedenfalls Anhaltspunkte für die Berechtigung einer solchen Vermutung nicht bekannt.
Zur völligen Überraschung liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesen beiden Fragen mehr vor. Alle Dinge, auf denen „geheim" steht und die vertraulich behandelt werden, erfreuen sich meistens größerer Aufmerksamkeit als das, was im Plenum des Deutschen Bundestages gesagt wird. Vielleicht legen Sie demnächst die Dinge hier aus, dann haben Sie weniger Probleme.Jetzt rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner steht auch hier zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Wir kommen zur Frage 1 der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink.Liegt der Bundesregierung inzwischen der Bericht des Bundesministers des Innern vor, in dem dieser durch Kabinettsbeschluß vom 7. Oktober 1992 aufgefordert worden war, aufgrund der hochschul- und arbeitsmarktpolitisch beabsichtigten Stärkung des Fachhochschulbereiches Möglichkeiten zur Verbesserung der Eingangsbesoldung von Fachhochschulabsolventen zu suchen sowie auf die Frage einzugehen, welchen Einfluß die Einstufung von Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst habe, und wie der Bedarf für die deutsche und europäische Reputation der Fachhochschulausbildung sei?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Antwort lautet: Der Bundesminister des Innern bereitet zur Zeit auf Grund der Entschließungen des Bundestagsinnenausschusses vom 31. Oktober 1991
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15388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerund vom 10. Februar 1993 sowie unter Berücksichtigung des Kabinettsbeschlusses vom 7. Oktober 1992 den Bericht über die dienst- und besoldungsrechtlichen Perspektiven des öffentlichen Dienstes vor, der bis Ende Herbst vorgelegt werden soll.Im Mittelpunkt des Berichts wird den Prüfaufträgen entsprechend die Sicherung der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes stehen. In diesem Zusammenhang werden auch die Eingangsbesoldung für Fachhochschulabsolventen und die Perspektiven der beruflichen Entwicklung von Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst, zugleich mit Blick auf die europäische Integration, behandelt werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß es lange gedauert hat — ein Jahr —, bis der Bericht fertig ist?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das ist eine subjektive Bewertung, Frau Kollegin. Er mußte mit der notwendigen Sorgfalt erstellt werden, und es mußten weitere Ressorts und Zuständigkeiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland beachtet werden, so daß die Dauer eigentlich nicht als überlang bezeichnet werden kann.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 2 der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink.
Ist — angesichts der auch vom Wissenschaftsrat bekräftigten Bedeutung der Fachhochschulausbildung für die angestrebte Studienstrukturreform, für eine Reduzierung der Studienlasten und für eine insgesamt effizientere und bedarfsgerechtere Hochschulausbildung — beabsichtigt, dem Deutschen Bundestag Gelegenheit zu geben, die im Bericht enthaltenen Lösungsvorschläge vor dem bildungspolitischen Spitzengespräch der Regierungschefs von Bund und Ländern zu beraten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Hier kann ich folgendermaßen antworten: Der Bericht wird dem Deutschen Bundestag natürlich zugeleitet werden. Die weitere Terminierung im Deutschen Bundestag bleibt abzuwarten, liegt also in seiner Zuständigkeit.
Frau Kollegin, eine Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Damit, Herr Staatssekretär, sind Sie für heute fertig. Ich bedanke mich bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation auf. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Laufs zur Verfügung.
Die Frage 37 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard-Schmid wird auf deren Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 38 des Abgeordneten Ernst Kastning.
Wie beurteilt die Bundesregierung das von der Deutschen Bundespost/POSTDIENST häufig angewandte Schnellverfahren zur Schließung von Postschaltern sowie zur Reduzierung/ Umstrukturierung von POSTDIENST-Leistungen in der Fläche, das Amtsvorstehern keine Chance läßt, sich mit den Gemeinden ausreichend ins Benehmen zu setzen und die Postkunden rechtzeitig zu unterrichten und schon allein deshalb zu großem Unmut bei den Betroffenen führt?
Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen des Herrn Kollegen wegen des Sachinhalts zusammenfassend beantworte, wenn der Kollege damit einverstanden ist.
Er ist einverstanden.
Dann rufe ich noch die Frage 39 des Abgeordneten Ernst Kastning auf.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Nummern 11.1 und 11.2 (Unterrichtung der Gemeinden) im „Konzept des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen für die künftige Postversorgung auf dem Lande" in der Praxis des Unternehmens POSTDIENST Geltung zu verschaffen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Danke schön.
Herr Kollege Kastning! Die Maßnahmen der Deutschen Bundespost/Postdienst zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ihres Filialnetzes sind entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung zur kostendekkenden Wirtschaftsführung notwendig geworden, weil die Kundennachfrage nach Postdienstleistungen in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist.
Die Deutsche Bundespost/Postdienst muß sicherstellen, daß in jedem Einzelfall, in dem ein Standort durch den Abbau der Überversorgung entbehrlich ist, eine intensive Prüfung vor Ort erfolgt. Dabei werden auch die Argumente der Kommunen, vor allem das häufig vorgebrachte Argument der Bevölkerungsstruktur, in die Abwägung einbezogen. Jeder Kunde wird auch in Zukunft eine Filiale in zumutbarer Entfernung vorfinden.
Das zitierte Konzept, das in Bundestagsdrucksache 9/408 aus dem Jahr 1981 veröffentlicht ist, bildet die Grundlage für die Überprüfung des Filialnetzes der Post und dessen Anpassung an die Nachfrage. An der möglichst ausführlichen Unterrichtung der Postkunden und Gemeinden besteht ein großes Interesse von seiten des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation, das sich deshalb auch um einen Informationsaustausch zwischen der Deutschen Bundespost/ Postdienst und den Kommunen im Rahmen seiner politischen Einflußmöglichkeiten bemüht.
Die Schließungsentscheidung im Einzelfall fällt jedoch allein in die betriebliche Verantwortung des Unternehmens Deutsche Bundespost/Postdienst.
Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.
Vielen Dank für den Hinweis, Herr Präsident.Ich danke für diese Aufklärung zum Inhalt, Herr Staatssekretär, obwohl ich danach gar nicht gefragt
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15389
Ernst Kastninghatte und mir bewußt ist, warum solche Schließungen stattfinden.Meine Frage richtete sich nach dem Verfahren. Ich frage Sie, ob beispielsweise folgender Vorgang ein Verfahren im Sinne der Bundestagsdrucksache aus dem Jahre 1981 ist: Vormittags ruft jemand von der OPD — oder wer sonst dafür zuständig ist — beim Amtsvorsteher an, sagt, er komme vorbei, um mitzuteilen, was an Schließungen geschehen solle; für den Nachmittag solle er bitte die Presse einberufen. Mir geht es um das Verfahren, nicht darum, ob jede Poststelle richtig und zu Recht geschlossen worden ist. Das ist eine andere Frage.Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kastning, die Überprüfung des Filialnetzes ist Aufgabe der Postämter mit Verwaltung vor Ort. Die Festlegung der im Rahmen der gegenwärtigen Filialnetzanpassung zu schließenden Amtsstellen ist das Ergebnis eines längeren Abstimmungsprozesses zwischen diesen Postämtern vor Ort, den regionalen Direktionen und der Generaldirektion in Bonn.Die Vorstellungen, in welchem Umfang und in welcher Form diese Anpassung im einzelnen notwendig ist, sind während dieses postinternen Verfahrens ständigen Änderungen unterworfen, so daß ich Ihren Fall, den Sie gerade dargestellt haben, so nicht bestätigen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß, wenn innerhalb von 24 Stunden — ich müßte eigentlich sagen: 12 — von der Mittelinstanz bei mir aus Hannover die Mitteilung an den Amtsleiter im Kreisbereich erfolgt, bis zum nachmittag werde bekanntgegeben, daß ein Schalter geschlossen werde, das eine frühzeitige Unterrichtung der Gemeinden im Sinne von Benehmensherstellung möglich macht?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kastning, es gibt — das ist einzuräumen — offenbar Fälle, in denen die erforderliche Unterrichtung der Kommunalverwaltungen erst zeitnah zu den geplanten Schließungsterminen erfolgt ist. Das hat in der Tat Anlaß zu Kritik gegeben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Frage, Herr Präsident. Ich möchte hier — das schicke ich voraus — nicht die Frage beantwortet haben, ob ein Schalter geschlossen werden kann, darf oder nicht; das ist regional unterschiedlich zu beurteilen.
Herr Staatssekretär, da es sich bei der Bundestagsdrucksache 9/408 vom Mai 1981 um das Konzept des Bundesministers — egal, wer Minister war — für das Post- und Fernmeldewesen für die künftige Postversorgung auf dem Lande handelt: Würden Sie meiner Bitte folgen und dem Unternehmen Postdienst noch einmal eindringlich klarmachen, daß künftig in jedem
Falle gewisse Fristen im Sinne dieses Konzepts gewahrt werden?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen zusagen. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß sich der Infrastrukturrat derzeit mit der Festlegung von Zielvorgaben an die Deutsche Bundespost/ Postdienst befaßt. Dabei besteht die Absicht, die Post für künftige Fälle generell — also nicht nur für die Postversorgung auf dem Lande — zu verpflichten, die Gemeinden möglichst frühzeitig zu unterrichten, sich mit ihnen ins Benehmen zu setzen.
Eine Zusatzfrage. Bitte sehr, Frau Wetzel.
Direkt im Anschluß daran noch eine Zusatzfrage. Sie haben eben in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Kastning ausdrücklich mißbilligt, daß in vielen zurückliegenden Fällen die Kommunen nicht rechtzeitig informiert wurden. Haben Sie vor, in diesen Fällen jetzt einzugreifen, um zumindest bei den derzeit anstehenden Schließungen, die in den Kommunen zu großer Betroffenheit geführt haben, eine Korrektur herbeizuführen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Wetzel, ein in einem Einzelfall kritikwürdiges Vorgehen bei der Unterrichtung der Kommunalverwaltungen kann eine Wiederholung des gesamten Verfahrens nicht rechtfertigen, wenn die Entscheidung in der Sache gemäß den Vorgaben des Bundestagsbeschlusses von 1981 nicht zu beanstanden ist.
Danke schön, Herr Staatssekretär Dr. Laufs.Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft braucht nicht aufgerufen zu werden, weil der Abgeordnete Dr. Klaus Kübler um schriftliche Beantwortung seiner Frage 3 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ebenfalls um schriftliche Beantwortung der Fragen 4 und 5 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung haben der Abgeordnete Horst Kubatschka und die Abgeordnete Dr. Elke Leonhard-Schmid gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Auch der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit braucht nicht aufgerufen zu werden, weil der Abgeordnete Dr. Egon Jüttner gebeten hat, seine Fragen 8 und 9 schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Dasselbe trifft für die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen zu. Die Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Lydia Westrich werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo sind zurückgezogen worden.Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Frauen und Jugend auf. Hier steht uns zur Beantwortung die Parlamentarische Staatssekretärin Cornelia Yzer zur Verfügung.
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Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergWir kommen zunächst zur Frage 16 des Abgeordneten Claus Jäger:Hat die Bundesministerin für Frauen und Jugend den Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis , dessen Aufnahme in die demnächst zu erwartende Broschüre über gefährliche Jugendsekten sie erwägt, zu den konkreten Vorwürfen und Anschuldigungen angehört, die Grundlage dieser Erwägungen sind, und wenn nicht, wann soll das geschehen?Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Jäger, bei der Herausgabe der geplanten Broschüre über „Sogenannte Jugendsekten und Psychogruppen in der Bundesrepublik Deutschland" handelt es sich nicht um den Erlaß eines Verwaltungsaktes. Dies bedeutet, daß auch § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht zur Anwendung gelangt, der nur bei Erlaß eines Verwaltungsaktes eine vorherige Anhörung vorschreibt.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß mehrere Gruppen des VPM beim Verwaltungsgericht Köln einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel eingereicht haben, die Erwähnung des VPM in der Broschüre zu unterbinden. Im Zuge dieses Verfahrens hat der VPM einen Text vorgelegt, der dem damaligen Entwurf der Broschüre entsprach, und auch zu diesen Punkten Stellung genommen.
Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatssekretärin, weshalb weicht die Bundesregierung angesichts der schweren Diskriminierung, die es für einen frei und legal arbeitenden Verein darstellen muß, in ein Verzeichnis gefährlicher Jugendsekten aufgenommen zu werden, von der in einem Rechtsstaat doch wohl selbstverständlichen Übung ab, den Betreffenden zu den ganz konkreten Vorwürfen anzuhören, die eine Aufnahme in ein solches Verzeichnis begründen?
Herr Kollege Jäger, wie Sie wissen, gibt es einen Bund-LänderGesprächskreis „Jugendsekten und Psychogruppen”. In diesem Bund-Länder-Gesprächskreis ist über alle in Betracht kommenden Gruppen sehr sorgfältig gesprochen und das notwendige Material herangezogen worden. Eine Anhörung dieser Gruppen im Einzelfall haben wir nicht vorgenommen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Claus Jäger.
Frau Staatssekretärin, da es mir nicht gelungen ist — weder auf schriftlichem noch auf mündlichem Wege — von Ihrem Hause zu erfahren, was denn nun einem solchen Verein und speziell dem von mir genannten Verein konkret und im Einzelfall vorgeworfen wird: Wie kann denn Ihr Ministerium das Risiko eingehen, den von Ihnen eben erwähnten Prozeß gegebenenfalls zu verlieren, und dann die Blamage riskieren, eine solche Schrift wieder zurückziehen und einstampfen zu müssen?
Herr Kollege Jäger, ich hatte Ihnen bereits in der vergangenen Woche schriftlich mitgeteilt, daß sich der BundLänder-Gesprächskreis für „Sogenannte Jugendsekten und Psychogruppen" sowohl in seiner Aprilsitzung als auch in seiner Septembersitzung einstimmig für die Aufnahme des VPM in die Broschüre ausgesprochen hat.
Der Entscheidung liegt eine breite, fachlich konsensuale Verständigung zugrunde; wir haben uns unterschiedlicher Materialien bedient. Insofern sehen wir auch dem jetzt angestrebten Verwaltungsgerichtsverfahren, in unserer Verantwortung als Bundesregierung eine Wamfunktion wahrzunehmen, gelassen entgegen.
Danke schön, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Matthias Weisheit sollen auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen jetzt zu Frage 19 der Abgeordneten Gabriele Iwersen:
Ist es mit den Vorstellungen der Bundesregierung vereinbar, wenn der Zugang weiblicher Beschäftigter bei Bundesdienststellen zu der Frauenbeauftragten in ihrer Dienststelle von einer Genehmigung durch den Dienstherrn abhängig gemacht wird?
Frau Staatsekretärin, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Iwersen, die Frauenbeauftragte kann Ihre Aufgaben gegenüber Ihrer Dienststellenleitung und den weiblichen Beschäftigten selbstverständlich nur erfüllen, wenn sie — insoweit ist sie mit Mitgliedern des Personalrates durchaus zu vergleichen — eine eigenständige Rechtsposition hat. Dazu gehört selbstverständlich auch der direkte Kontakt zu den Frauen in den Dienststellen ohne Genehmigung durch den Dienstherren.
Das entspricht bereits heute der herrschenden Auffassung über die Funktion der Frauenbeauftragten. Wir sehen eine entsprechende Regelung im Entwurf des Gleichberechtigungsgesetzes vor.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? — Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort war so umfassend und in dem Sinne, wie ich sie erhofft habe, daß es mir sozusagen die Sprache verschlägt und ich keine weiteren Fragen mehr habe. Schönen Dank.
Frau Staatssekretärin, die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Fragen werden als Anlage abgedruckt.Ich kann Ihnen somit einen netten Nachmittag wünschen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, wo uns zur Beantwortung der Staatssekretär Dr. Wilhelm Knittel zur Verfügung steht, auf.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993 15391
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergIch rufe die Frage 22 der Abgeordneten Frau Dr. Margrit Wetzel auf:Muß ein Schlepperführer im Nebel die internationalen Kollisionsverhütungsregeln , insbesondere Regel 19 KVR, Regel 7 KVR und Regel 5 KVR auch dann einhalten, wenn der Schlepper am Seeschiff festgemacht hat, oder steht es noch in Einklang mit Regel 7 KVR, wenn der Schlepperführer seiner dauernden Radarbeobachtungspflicht nicht mehr nachkommen kann, weil er das geschleppte Seeschiff und die Schleppleine ständig im Auge behalten muß?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, der Schlepperführer ist nicht für die Beachtung der Regel 19 der Kollisionsverhütung über das Verkehrsverhalten des Schleppzuges bei verminderter Sicht verantwortlich.
Die Kommandogewalt über einen Schleppzug liegt stets bei dem zu bugsierenden bzw. zu assistierenden Seeschiff. Die Schiffsführung des Seeschiffes ist deshalb auch für das Seeschiff und die angespannten Schlepper insgesamt verantwortlich.
Der Schlepperführer ist jedoch verpflichtet, aus eigener Initiative und auf Grund der besseren Erkenntnisse der Sachlage im unmittelbaren Umfeld des Schleppers Regel 7 der Kollisionsverhütung über die Prüfung der Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes zu beachten. Dazu gehört, daß auf dem Schlepper das Umfeld optisch oder, soweit dies wegen der verminderten Sicht nicht möglich ist, mittels Radar im Sinne von Regel 5 der Kollisionsverhütung beobachtet wird. Diese Ausgucktätigkeit kann von einem Besatzungsmitglied ohne nautische Befähigung wahrgenommen werden, wenn es in der Radarbeobachtung geübt ist.
Dem Kapitän des bugsierten Seeschiffes als Führer des Schleppzuges obliegt es dagegen, nach Regel 7 der Kollisionsverhütung mit Hilfe des Radars festzustellen, ob die Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes des gesamten Schleppzuges mit anderen Fahrzeugen besteht. Gleichwohl ist der Schlepperführer verpflichtet, den Schiffsführer des Seeschiffes auf alle von ihm optisch oder mittels Radar erkannten Kollisionsgefahren mit anderen Schiffen unverzüglich hinzuweisen und das geschleppte Seeschiff und die Schleppleine ständig im Auge zu behalten.
Insofern steht es nicht im Einklang mit Regel 7 der Kollisionsverhütung, wenn der Schlepperführer dieser Verpflichtung nicht nachkommt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Wetzel.
Ich bedanke mich zunächst für die ausführliche Antwort, mit der Sie mir sehr weitergeholfen haben.
Ich möchte trotzdem zum besseren Verständnis noch einmal nachfragen: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie bzw. die Bundesregierung in diesem Fall eine permanente Radarbeobachtung für notwendig halten, insbesondere weil wir wissen, daß bei der Radarbeobachtung des Seeschiffes ein toter Winkel von ungefähr 500 Metern besteht, der über das Seeschiffradar also nicht einzusehen und deshalb durch das Schlepperradar und die schleppernahe Beobachtung ausgeglichen werden muß?
Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: In dem Umfang, wie ich das geschildert habe, ja. Im übrigen kann das Radargerät die allernächste Umgebung bisher nach der technischen Entwicklung noch nicht so erfassen.
Weitere Zusatzfrage zu Frage 22?
Die zweite Zusatzfrage: Sie haben eben auch gesagt, ein Besatzungsmitglied, das nicht nautisch ausgebildet ist, könne die Beobachtung im Nahbereich vornehmen. Das bedeutet aber doch — ich vergewissere mich, ob ich Sie richtig verstanden habe —, daß neben dem Schlepperführer dieses weitere Mitglied auch auf der Brücke sein muß.
Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Ja, das eine Mitglied, das eine gewisse Erfahrung in der Radarbeobachtung haben soll.
Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 23 der Abgeordneten Dr. Wetzel:
Wäre der Schlepperführer, wenn er von der Pflicht zur Einhaltung der Regel 7 KVR mit dem Festmachen am Seeschiff befreit wäre, zugleich auch von jeder Mitschuld im Kollisionsfalle frei, weil er keine ausreichenden Möglichkeiten hat, das Verhalten des geschleppten Schiffes, der anderen Schlepper und des umgebenden sonstigen Verkehrs zu beobachten und selbst vorsorglich zu bewerten?
Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, da der Schlepperführer im Hinblick auf die Verpflichtung zur Beobachtung seines Umfeldes nicht von der Pflicht zur Einhaltung der Regel 7 der Kollisionsverhütung befreit ist und deshalb den Ausguck nach Regel 5 der Kollisionsverhütung durch ein geübtes Besatzungsmitglied sicherstellen muß, erübrigt sich die Beantwortung dieser hypothetischen Frage. Es sind also, wenn ich es richtig sehe, zwei Voraussetzungen, die nicht zutreffen, an die Sie Ihre Frage geknüpft haben.
Zusatzfrage?
Ja, hervorragend. Ich bedanke mich auch hier für die Antwort. Trotzdem auch hierzu noch eine vorsorgliche Zusatzfrage:Hielten Sie es im Falle von Schleppzügen im Nebel in dem von mir beschriebenen Umfeld für sinnvoll, bestimmte Vorfahrtsregeln durch schiffahrtspolizeiliche Maßnahmen zu sichern? Oder wären diese viel aufwendiger — auch deshalb, weil sie wahrscheinlich nur im Einzelfall greifen müßten — als die von Ihnen eben bestätigten Formen des Umgehens in so einem Fall?Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Also, ich habe Ihnen die allgemeine Regelung geschildert. Letztlich wird es natürlich eine Frage der konkreten Situation sein. Ich möchte im übrigen auch noch zwischen den einlaufenden und den ausfahrenden Schiffen unterscheiden.Wenn so dichter Nebel ist, dann kann man die ausfahrenden Schiffe anhalten, sie brauchen nicht unbedingt gerade in diesem dichten Nebel auszulau-
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Staatssekretär Dr. Wilhelm Knittelfen. Bei den einfahrenden Schiffen ist die Situation etwas anders, weil diese möglicherweise den Flußlauf räumen müssen.Weiter will ich darauf hinweisen, daß natürlich auch bei bestimmten Situationen der übrige Schiffsverkehr durch schiffahrtspolizeiliche Regelungen gestoppt werden kann, um das Schleppmanöver an den bestimmten Stellen ungestört ablaufen zu lassen.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich bei Ihnen; denn die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Ulrike Mehl werden auf deren Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche trifft für die Fragen 26 des Abgeordneten Ortwin Lowack und 27 des Abgeordneten Horst Kubatschka zu.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek zur Verfügung. Die Fragen 28 und 29 können nicht beantwortet werden, weil der Abgeordnete Dietmar Schütz nicht im Saal ist.
Aber die Abgeordnete Frau Monika Ganseforth hat uns gerade noch rechtzeitig erreicht, so daß Sie, Herr Staatssekretär, ihre Fragen 30 und 31 beantworten können. Zuerst rufe ich ihre Frage 30 auf:
hält die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß es noch in keinem Land der Erde ein sicheres funktionstüchtiges Endlager für hochradioaktiven Müll gibt, einen internationalen Erfahrungsaustausch über Anforderungen, Kriterien und Defizite bezüglich Endlagertechniken sowie deren Weiterentwicklung unter der Beteiligung von Politik, Wissenschaft, Industrie und Umweltverbänden für notwendig, und hält sie beispielsweise das von der niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn durchgeführte Hearing sowie die international besetzten vorbereitenden Arbeitsgruppen zu den Themen Schutzziele, Barrieren, Standortvorauswahl und Eignungsnachweis für ein geeignetes Instrument?
Frau Kollegin Ganseforth, die Bundesregierung hält den internationalen Erfahrungsaustausch über Fragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle für notwendig. Das Bundesumweltministerium und seine Beratungsgremien, z. B. die Reaktorsicherheitskommission, sowie die mit der Endlagerung befaßten Bundesbehörden kooperieren eng mit den entsprechenden Behörden anderer Länder und den international anerkannten wissenschaftlichen Institutionen und sind von daher mit dem neuesten Stand der Endlagerdiskussion vertraut.
Das von der niedersächsischen Umweltministerin durchgeführte Endlager-Hearing diente nach Einschätzung der Bundesregierung in erster Linie den politischen Zielsetzungen der niedersächsischen Landesregierung und bot keine Gewähr für einen ausgewogenen internationalen Erfahrungsaustausch.
Zusatzfrage? — Bitte schön, Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Ich frage Sie, Herr Staatssekretär — ich habe an dem Hearing teilgenommen,
ich habe einen anderen Eindruck von den Inhalten des Hearings —: Woraus hat denn die Bundesregierung geschlossen, daß auf diesem Hearing, wie Sie jetzt gesagt haben, diese Probleme nicht ernsthaft behandelt wurden?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Ganseforth, es ist Ihnen natürlich unbenommen und freigestellt, Ihren eigenen Eindruck hier kurz zu schildern. Aus den uns jetzt vorliegenden Informationen über die Ergebnisse dieses Hearings geht eindeutig hervor, daß keine neuen Erkenntnisse in bezug auf die weitere Verfolgung durch die nach § 9a Atomgesetz zur Endlagerung verpflichteten Bundesbehörden vorliegen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Ich habe den Eindruck, daß Sie von einem anderen Hearing als von dem, das dort abgehalten wurde, sprechen. Es ging ja darum, den internationalen Wissensstand, etwa von Schweden, den USA, Japan und von vielen anderen Ländern, in bezug auf die Fragen der Barrieren, der Sicherheitsstandards, der Endlagermöglichkeiten, also der verschiedenen Gesteine, abzuwägen und von den verschiedensten Seiten zu prüfen. Es ging nicht darum, ein spezielles Verfahren für Deutschland oder für Niedersachsen in Erfahrung zu bringen.
Ich frage Sie: Haben Sie sich im Vorfeld wirklich genügend darum gekümmert, wer an diesem Hearing teilnimmt, wie die Arbeitsgruppen aussehen und wie der Stellenwert ist? Ich verstehe nicht, wie Sie zu einem solchen Ergebnis kommen, das Sie hier überhaupt nicht überzeugend darlegen können.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, Frau Kollegin Ganseforth, gab es vor diesem Hearing einen sehr intensiven Briefwechsel und auch Meinungsaustausch zwischen dem Bundesumweltminister und der Umweltministerin von Niedersachsen. Das ändert aber nichts an meiner Antwort, die ich Ihnen zu Ihrer ersten Zusatzfrage gegeben habe.
Wir kommen zur Frage 31 der Abgeordneten Monika Ganseforth:
Warum nehmen keine Vertreter des Umweltministeriums und der nachgeordneten Behörden am Internationalen Endlager-Hearing der niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn und an den vorbereitenden Arbeitsgruppen teil, und aus welchen Gründen wurde ihnen die Teilnahme untersagt?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Frau Kollegin Ganseforth! Die Bundesregierung hielt eine Teilnahme von Vertretern des Bundes an dem Endlager-Hearing nicht für sinnvoll. Zu den Gründen verweise ich auf die diesbezügliche Presseerklärung des Bundesumweltministers vom 6. September 1993. Die bisherigen Äußerungen der niedersächsischen Umweltministerin belegen die Richtigkeit der Erwartungen, wie sie in der Presseerklärung geäußert worden sind.
Zusatzfrage? — Bitte.
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Ich kann nur fragen, ob Sie wirklich glauben, mit solchen Positionen, wie Sie sie vom Bundesministerium vertreten, den Interessen der Bevölkerung, aber auch dem Interesse der Politiker und Politikerinnen bei einem so schwierigen Thema wie der Nutzung der Kernenergie und einer sicheren Endlagerung gerecht zu werden.
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Ganseforth, wir beziehen ja eine richtige Position. Ich habe bei der Beantwortung der Frage 30 bereits ausgeführt, daß das Bundesumweltministerium seit vielen Jahren in einem sehr intensiven internationalen Erfahrungsaustausch, vor allen Dingen auch zur Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle, steht, weil wir eben eine ganz besondere Verantwortung auf Grund des Atomgesetzes und auf Grund der Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Sie werden also die Ergebnisse der Diskussionen, die in Braunschweig auf dem Endlager-Hearing geführt worden sind — wenn ich richtig schließe —, nicht in die Arbeit der Bundesregierung und das Meinungsbild des Bundesministeriums einfließen lassen?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Ganseforth, wenn uns alle Ergebnisse dieses Hearings, das ja, wie Sie wissen, erst vor kurzem zu Ende gegangen ist, vorliegen, werden wir uns damit intensiv beschäftigen. Sollten sich entgegen dem, was uns bis jetzt aus teilweise vorliegenden Veröffentlichungen bekannt geworden ist, neue Erkenntnisse ergeben, werden wir sie selbstverständlich berücksichtigen.
Die Frage Nummer 32 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler kann nicht beantwortet werden, weil der Abgeordnete nicht im Saale ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Joachim Gres werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 35 des Abgeordneten Klaus Harries auf:
Sieht die Bundesregierung noch Chancen, daß eine internationale Reaktorsicherheitskonvention vereinbart werden kann?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich wegen des inhaltlichen Zusammenhangs gern beide Frage des Abgeordneten Harries zusammen beantworten.
Ist der Fragesteller einverstanden? — Das ist der Fall.
Ich rufe auch die Frage 36 des Abgeordneten Klaus Harries auf:
Wo liegen gegebenenfalls Hinderungsgründe?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Auf Initiative des Bundesumweltministers hat eine Sonderkonferenz der internationalen Atomenergieorganisation in Wien im September 1991 die Erarbeitung einer internationalen nuklearen Sicherheitskonvention beschlossen. Bisher haben 4 Sitzungen auf Expertenebene stattgefunden, in denen die fachlichen Fragen umfassend behandelt wurden. Die Bundesrepublik Deutschland hat zusammen mit anderen westlichen Staaten eine Entschließung eingebracht, daß die Expertengruppe sich nunmehr abschließend auf den Text eines Konventionsentwurfs verständigt, damit im kommenden Jahr zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Konvention auf einer diplomatischen Konferenz behandelt und gegebenenfalls abgeschlossen werden kann.
Auf Grund dieser erreichten Fortschritte schätzt die Bundesregierung die Chancen für einen erfolgreichen Abschluß der nuklearen Sicherheitskonvention positiv ein.
Wir haben an sich noch vier Zusatzfragen. Aber die Zeit ist abgelaufen. Herr Kollege Harries, wenn Sie komprimiert fragen würden, wäre ich Ihnen dankbar.
Gern, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, treffen Berichte zu, daß von anderen Ländern, die die Kernenergie friedlich nutzen, erhebliche Widerstände gegen den Abschluß einer internationalen Konvention, wie Sie sie hier geschildert haben, bestehen?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Bei den westlichen Staaten nicht, Herr Kollege Harries. Es gibt aber ein sehr differenziertes Meinungsbild bei den GUS-/MOE-Staaten.
Vielen Dank. — Könnten Sie einen Zeitpunkt angeben, wann diese Widerstände bei den GUS-Staaten, die ja in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind, überwunden sein werden und eine Konvention abgeschlossen werden könnte?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Wir erwarten, daß wir auf der Expertenebene bis zum Frühjahr nächsten Jahres, wie ich schon andeutete, zu einer Einigung kommen. Es ist beabsichtigt, dann eine diplomatische Konferenz durchzuführen.
Ich möchte allerdings noch einmal betonen, daß es sich bei dieser Konvention um eine zu paraphierende Übereinkunft handelt, die dann in nationales Recht umgesetzt werden muß. Das zeigt noch einmal die Schwierigkeiten auf.
Gehen auch Sie davon aus, Herr Staatssekretär, daß nach dem Vorliegen einer derartigen Konvention damit gerechnet werden kann, daß auch in unserem Land die Debatte über die Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke objektiviert und verbessert wird?
Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Harries, davon kann man theoretisch ausgehen. Ich habe allerdings meine Zweifel.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
15394 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. September 1993
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergDie Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie sind entweder zurückgezogen oder werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet.Wir sind am Ende der Fragestunde.Meine Damen und Herren, es bleibt mir nur übrig, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages aufDonnerstag, den 30. September 1993, 9 Uhr einzuberufen.Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Arbeitstag.Die Sitzung ist geschlossen.