Protokoll:
12169

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 169

  • date_rangeDatum: 2. Juli 1993

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:07 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/169 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 169. Sitzung Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 14557 A Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuelle Stunde sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 6. September 1993 . . . . . . . . . . . 14557 C Absetzung des Punktes 24 g (Zusatztagesordnungspunkt 3) von der Tagesordnung 14567 A Änderung der Benennung der Mitglieder für die Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" . . . . 14634A Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Gewinnaufspürungsgesetz) (Drucksachen 12/2704, 12/2747, 12/5298, 12/4796) Erwin Marschewski CDU/CSU 14558A Johannes Singer SPD 14559D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . 14560D, 14564 C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 14561 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 14562D Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14563 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 14564 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. 14565A Johannes Singer SPD . . . . . . . . . 14565 C Namentliche Abstimmungen 14566 A Ergebnisse . . . . . . . . . 14569A, 14571A Tagesordnungspunkt 24: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz) (Drucksache 12/4891) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes (Drucksache 12/5089) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Kastner, Klaus Lennartz, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Grundwasserverseuchung durch GUS-Standorte offenlegen und Standorte sanieren (Drucksache 12/4789) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Günther Toetemeyer, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Beendigung des Bürgerkrieges in Angola und Hilfe für die betroffenen Menschen (Drucksache 12/4920) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Kastner, Dr. Helga Otto, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sofortprogramm zum Schutz der Säuglinge in den neuen Bundesländern vor kupferhaltigem Trinkwasser (Drucksache 12/5164) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 der Gruppe der PDS/Linke Liste: Novellierung der 2. Grundmietenverordnung bezüglich der Beschaffenheitszuschläge für Wohnungen in den neuen Bundesländern (Drucksache 12/5264) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes (Drucksache 12/5317) (Zusatztagesordnungspunkt 3) 14566 B Tagesordnungspunkt 25: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen rechtswidrige Handlungen bei der Währungsumstellung von Mark der Deutschen Demokratischen Republik in Deutsche Mark (Drucksachen 12/4585, 12/5335, 12/5336) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992 zu dem Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 12/5195, 12/5337, 12/5344) c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz) (Drucksachen 12/3257, 12/4106) d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über besondere Maßgaben für die Anwendung des Parteiengesetzes (Drucksachen 12/5134, 12/5312, 12/5313) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichbehandlung von politischen Vereinigungen (Drucksachen 12/3267, 12/5312) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Annahme eines gemeinschaftlichen Aktionsprogramms zur beruflichen Aus- und Fortbildung der für indirekte Steuern zuständigen Beamten (Matthaeus-Tax) (Drucksachen 12/4555 Nr. 2.1, 12/4651, 12/5166) f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 109 zu Petitionen (Drucksache 12/5241) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 110 zu Petitionen (Drucksache 12/5329) h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 111 zu Petitionen (Drucksache 12/5330) i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 112 zu Petitionen (Drucksache 12/5331) (Buchstabe g bis i = Zusatztagesordnungspunkt 4) 14567 A Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (Drucksache 12/4993) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 14573 B Klaus-Heiner Lehne CDU/CSU 14574 A Margot von Renesse SPD 14575 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 14577B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 14578 A Horst Eylmann CDU/CSU 14578 D Dr. Hans de With SPD 14579A Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Hans de With, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Reform des Kindschaftsrechts (Drucksache 12/4024) 14579C Tagesordnungspunkt 20: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II (Drucksachen 12/5248, 12/5338) Michael Glos CDU/CSU 14579D Vizepräsident Hans Klein 14583 B Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 14583 B Hans-Ulrich Klose SPD . . . . . . . . 14583 C Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . 14587 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 III Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . . 14588 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 14589 D Markus Meckel SPD 14590A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 14590 D Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14592 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 14594 A Karl Lamers CDU/CSU 14596C Hans-Ulrich Klose SPD 14597 A Dr. Peter Glotz SPD 14598 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 14600 B Manfred Opel SPD 14601 C Paul Breuer CDU/CSU 14603 A Dr. Peter Glotz SPD 14604 B Günter Verheugen SPD 14604 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 14605 B Ortwin Lowack fraktionslos 14606 A Namentliche Abstimmung . . . . . . 14608 D Ergebnis 14608 C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . 14606D Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Viertes Mietrechtsänderungsgesetz) (Drucksachen 12/3254, 12/5110, 12/5224, 12/5342) . 14608A Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (Drucksachen 12/4518, 12/5011, 12/5223, 12/5237, 12/5343) 14608A Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz) (Drucksachen 12/4158, 12/4487, 12/5016, 12/5222, 12/5236, 12/5341) 14608B Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zukunftssicherung durch freien Welthandel (Drucksache 12/5326) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Wieczorek, Wolfgang Roth, Dr. Ingomar Hauchler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wirtschaftsgipfel 1993 — Die weltwirtschaftliche Strukturkrise gemeinsam überwinden (Drucksache 12/4630) Peter Kittelmann CDU/CSU 14610D Dr. Norbert Wieczorek SPD 14612 C Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 14614 C Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 14616B Friedhelm Ost CDU/CSU 14617 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 14618B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 14618D Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes (Drucksachen 12/5230, 12/5332) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts (Drucksachen 12/4985, 12/5304) c) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 38 des Grundgesetzes (Drucksache 12/5127) d) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 12/5128) e) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Anderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 12/5129) f) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 12/5130) g) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes (Drucksache 12/5131) h) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes (Drucksache 12/5132) Franz Heinrich Krey CDU/CSU 14620 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 14621A IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 14622A Dieter Schloten SPD 14624 B Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/Linke Liste: Entwurf eines Verfahrensgesetzes zu Artikel 44 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik fiber die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertrag — vom 31. August 1990 (Drucksache 12/4955) Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 14626 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Nutzung von Informationen der Staatssicherheit und anderer Geheimdienste fiber westdeutsche Politiker durch die Bundesregierung Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14627 C Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . 14628 C Dr. Peter Struck SPD 14629 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 14630B Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 14631B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 14632 B Dr. Willfried Penner SPD 14633 B Nächste Sitzung 14634 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14635* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 19 (Reform des Kindschaftsrechts) Margot von Renesse SPD . . . . . . . . 14635* D Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU . . . . 14637* C Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . 14639* C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . 14641* C Burkhard Zurheide F D P. 14642* B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRUNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 64 2 * D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 14644* A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger BMJ 14645* D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag: Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Hans de With SPD 14647* A Dr. Burkhard Hirsch F D P 14647* B Dr. Michaela Blunk (Lübeck) F.D.P. . . . 14648* A Wolfgang Lüder F.D.P. 14648* B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Standortsicherungsgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 7) Detlev von Larcher SPD 14648* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 21 (a —Antrag: Zukunftssicherung durch freien Welthandel, b — Antrag: Wirtschaftsgipfel 1993 — Die weltwirtschaftliche Strukturkrise gemeinsam überwinden) Dr. Uwe Jens SPD 14649* A Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . 14650* B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 22a bis h (Änderung des Europawahlgesetzes des Artikels 38 GG, des Bundeswahlgesetzes) Wolfgang Lüder F.D.P. 14651* C Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . 14652* B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 8 (Aktuelle Stunde: Nutzung von Informationen der Staatssicherheit und anderer Geheimdienste über westdeutsche Politiker durch die Bundesregierung) Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 14653* A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 23 (Entwurf eines Verfahrensgesetzes zu Artikel 44 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertrag — vom 31. August 1990) Monika Brudlewsky CDU/CSU 14654* A Hans-Joachim Hacker SPD 14654* C Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . 14655* B Anlage 9 Amtliche Mitteilungen 14655* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14557 169. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 2. 7. 93* Bindig, Rudolf SPD 2. 7. 93* Blunck (Uetersen), SPD 2. 7. 93 ' Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 2. 7. 93* Wilfried Büchler (Hof), Hans SPD 2. 7. 93* Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 2. 7. 93* Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 2. 7. 93 Peter Harry Conradi, Peter SPD 2. 7. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 2. 7. 93 Dr. Enkelmann, Dagmar PDS/LL 2. 7. 93 Dr. Feige, Klaus-Dieter BÜNDNIS 2. 7. 93 90/DIE GRÜNEN Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 2. 7. 93* Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 7. 93 * Fuchs (Verl), Katrin SPD 2. 7. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 2. 7. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 2. 7. 93 Dr. von Geldern, CDU/CSU 2. 7. 93 Wolfgang Gerster (Mainz), CDU/CSU 2. 7. 93 Johannes Grünbeck, Josef F.D.P. 2. 7. 93 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 2. 7. 93 Dr. Hellwig, Renate CDU/CSU 2. 7. 93 Henn, Bernd PDS/Linke 2. 7. 93 Liste Horn, Erwin SPD 2. 7. 93 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 2. 7. 93 Keller, Peter CDU/CSU 2. 7. 93 Kittelmann, Peter CDU/CSU 2. 7. 93* Köppe, Ingrid BÜNDNIS 2. 7. 93 90/DIE GRÜNEN Kretkowski, Volkmar SPD 2. 7. 93 Leidinger, Robert SPD 2. 7. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 2. 7. 93* Dr. Leonhard-Schmid, SPD 2. 7. 93 Elke Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 2. 7. 93 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 2. 7. 93* Erich Marten, Günter CDU/CSU 2. 7. 93* Dr. Matterne, Dietmar SPD 2. 7. 93 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 2. 7. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 2. 7. 93* Müller (Zittau), Christian SPD 2. 7. 93 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 2. 7. 93 Odendahl, Doris SPD 2. 7. 93 Oswald, Eduard CDU/CSU 2. 7. 93 Peters, Lisa F.D.P. 2. 7. 93 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 2. 7. 93 Pfuhl, Albert SPD 2. 7. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Poß, Joachim SPD 2. 7. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 2. 7. 93* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 2. 7. 93* Regenspurger, Otto CDU/CSU 2. 7. 93 Reimann, Manfred SPD 2. 7. 93* Reuschenbach, Peter W. SPD 2, 7. 93 Reuter, Bernd SPD 2. 7. 93 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 2. 7. 93 Hannelore Dr. Rose, Klaus CDU/CSU 2. 7. 93 Roth, Wolfgang SPD 2. 7. 93 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 2. 7. 93** Helmut Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 7. 93 von Schmude, Michael CDU/CSU 2. 7. 93 Schuster, Hans F.D.P. 2. 7. 93 Schwanhold, Ernst SPD 2. 7. 93 Schwanitz, Rolf SPD 2. 7. 93 Dr. Soell, Hartmut SPD 2. 7. 93 * Dr. Solms, Hermann Otto F.D.P. 2. 7. 93 Steiner, Heinz-Alfred SPD 2. 7. 93* Stiegler, Ludwig SPD 2. 7. 93 Strube, Hans-Gerd CDU/CSU 2. 7. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 2. 7. 93* Cornelia Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 2. 7. 93 Tietjen, Günther SPD 2. 7. 93 Vergin, Siegfried SPD 2. 7. 93 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 2. 7. 93 Vosen, Josef SPD 2. 7. 93 Walz, Ingrid F.D.P. 2. 7. 93 Dr. Wernitz, Axel SPD 2. 7. 93 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 2. 7. 93 Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 2, 7. 93 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 2. 7. 93 Zapf, Uta SPD 2. 7. 93 Zeitlmann, Wolfgang CDU/CSU 2. 7. 93 Zierer, Benno CDU/CSU 2. 7. 93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 19 (Antrag: Reform des Kindschaftsrechts) Margot von Renesse (SPD): Die Zeit für eine Gesamtreform des Kindschaftsrechts ist reif. Die Betonung liegt auf dem Wort „gesamt" - denn stückchenund scheibchenweise Reformen, wie die Justizmini- 14636* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 sterin ankündigt, können nur mißglücken. Das Kindschaftsrecht ist eine zusammenhängende Materie, aus einem Geist und Guß. Stimmen die Grundlagen nicht mehr, dann ist eine Teilreform sinnlos wie der Versuch, sich mit einer zu kurzen Decke zu wärmen: Zieht man sie sich über die Schulter, dann frieren die Füße. Die Regierung und Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, müßten das eigentlich wissen; denn genau daran ist vor Jahren Ihr Versuch gescheitert, das Umgangsrecht nichtehelicher Väter isoliert zu reformieren. Nun wird im Justizministerium wieder ein Reförmchen im Nichtehelichenrecht vorbereitet. Die Konturen dieses Projekts sind bekannt — alles durchaus nicht verkehrt, aber zu wenig, zu zaghaft. Jetzt ist die Zeit gekommen, endlich dem über 40jährigen Auftrag der Verfassung nachzukommen und die völlige rechtliche Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder zu bewirken. Die Wiedervereinigung macht's dringend. Selbst das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken spricht sich dafür aus. Damit dürfte wohl der Beweis erbracht sein, daß gleiches Recht für alle Kinder keine ernstzunehmenden Gegner mehr hat. Auch das Bundesverfassungsgericht sitzt Ihnen im Nacken. Seit Jahren sind seine Mahnungen an den Gesetzgeber unerledigt, herrscht Richterrecht, weil gesetzliche Vorschriften außer Kraft gesetzt wurden. Das betrifft die gemeinsame elterliche Sorge nach Scheidung der Eltern, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, das gemeinsame Sorgerecht nichtehelicher Eltern. In Sachen Familienpolitik, auch Familienrechtspolitik, ist Ihnen das Verfassungsgericht wie immer weit voraus. Die Fachwelt mahnt seit geraumer Zeit: die Juristen auf dem Juristentag 92, der Familiengerichtstag, der Juristinnenbund, der Kinderschutzbund, Väter- und Mütterverbände. Vor allem aber sollte uns alle das unendliche Leid der Betroffenen antreiben. Da sind Kinder, eheliche wie nichteheliche, denen das Recht nicht hilft, die Beziehung zu Eltern und anderen für sie wichtigen Menschen zu bewahren, wenn diese sich nicht mehr miteinander verstehen. Da sind Mütter, die unter Verlustängsten leiden und von erzwungenen Besuchsrechten gequält werden. Da sind aber auch Väter, die — vielleicht spät — die Wichtigkeit der Vaterrolle für ihr Kind und sich selbst spüren und denen mit der Verbindung zu ihren Kindern ein Stück ihres Lebensinhalts genommen wird. Solche Fälle häufen sich; aber wären es auch nur wenige — sie zeigen, daß unser geltendes Recht nicht mehr dazu taugt, die Probleme der Familie lösen zu helfen. Familienrecht ist seiner Bestimmung nach die Förderung der Familie mit den Mitteln des Rechts. Dazu muß es zunächst die Wirklichkeit von Familien in der Gegenwart wahrnehmen. Das geltende Recht aber „macht sich ein Bildnis", malt sich die „Norm-Familie" und mißt daran die real existierende, vor allem die Familie im Konflikt. Das ist für das heutige Recht immer eine mißlungene Familie, eine, deren Mitglieder man rechtlich voneinander trennen muß. Familie aber ist immer anders, als wir denken. Das gilt vor allem heute, da die Wirklichkeit der Familien so unterschiedlich ist wie kaum je zuvor. Unser Reformentwurf reagiert darauf in mehrfacher Weise: Zunächst versucht er, die Fähigkeit der Betroffenen zur eigenen Konfliktlösung zu stärken, indem er sie nicht ohne Not in gerichtsförmige Verfahren zwingt und ihnen wieder heraushilft, falls irgend möglich. Wir nehmen die fortwährende elterliche Verantwortung mit dem Vertrauensvorschuß, den sie nach Art. 6 GG haben, auch dann noch ernst, wenn eine elterliche Ehe gescheitert ist. Wir wollen niemandem eine richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge aufzwingen, wenn es — wie meist — auf diesem Gebiet keinen Streit gibt. Für das geltende Recht sind Eltern nur dann verläßliche Eltern, wenn sie miteinander verheiratet sind. Scheidungswillige nötigt es in ein obligatorisches Sorgerechtsverfahren — nichteheliche Mütter demütigt es mit der gesetzlichen Amtspflegschaft. In beiden Fällen mißtraut es der elterlichen Kompetenz zur verantwortlichen Entscheidung — wenn nötig, auch unter Inanspruchnahme von Hilfe. Dieses Mißtrauen ist grundgesetzwidrig und in der Sache vielfach widerlegt. Die weitaus meisten geschiedenen Eltern sind einig über Verbleib und Erziehung ihrer Kinder; nichteheliche Mütter sind heute keine „gefallenen Mädchen", sondern vielfach kompetente junge Frauen. Gute Hilfsangebote werden ein übriges tun, um Problemlagen zu entschärfen. Als letztes Mittel bleibt — für die Fälle von elterlicher Unfähigkeit oder Machtmißbrauch zum Schaden des Kindes — der kraft Wächteramt mögliche staatliche Eingriff. Entsprechend beseitigt unser Reformvorschlag die Amtspflegschaft für das nichteheliche Kind und bietet der Mutter statt dessen — wie allen Eltern — jugendamtliche Hilfe und Beistandschaft an. Er gibt das obligatorische Sorgerechtsverfahren im Fall der Scheidung von Eltern minderjähriger Kinder auf und beruft den Richter nur noch auf Antrag oder bei erkennbarem Mißbrauch der Elternstellung zur Entscheidung über die elterliche Verantwortung. Väter sind für uns wie für ihre Kinder Väter, in Recht und Pflicht. Wir nehmen die elterliche Verantwortung so ernst, wie es das Grundgesetz tut und wie es die allermeisten Eltern — in welchem familienrechtlichen Status sie auch leben — verdienen. Wenn das zur Folge hat, daß die elterliche Verantwortung auch unter geschiedenen oder unverheirateten Eltern häufiger als bisher gemeinsam ausgeübt wird, dann ist dies ganz in unserem Sinne, auch wenn wir das nicht erzwingen wollen. Kinder brauchen in aller Regel beide Eltern. Die von uns verabschiedete UNO-Kinderrechtskonvention erinnert nachdrücklich daran. Die SPD will ein Kindschaftsrecht, das dieses natürliche Recht der Kinder möglichst respektiert. Gleichzeitig wollen wir endgültig eine häßliche Tradition verabschieden, die Kinder „elterlicher" Gewalt ausliefert: das gewohnheitsrechtliche Züchtigungsrecht. Es ist eine schlechte, ja gefährliche Gewohnheit und muß unmißverständlich beseitigt werden. Dabei kommt es uns nicht darauf an, möglichst viele Eltern vor den Kadi zu bringen, die in der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14637 Nervosität des Augenblicks Fehler machen. Aber körperliche oder seelische Mißhandlungen dürfen kein den Eltern zustehendes Disziplinierungsmittel mehr sein. Elternrecht ist Pflichtrecht. Es gehört denen, die ihre Kinder in der Regel mehr lieben als noch so geschulte Außenstehende. Darum genießen Eltern den Vertrauensvorschuß des Art. 6 Abs. 2 GG. Das Wächteramt des Staates ist damit nicht außer Kraft gesetzt, vor allem nicht die Pflicht der Gesellschaft, auf die das Bundesverfassungsgericht am 28. Mai 1993 mit Nachdruck hingewiesen hat, elterlichen Dienst ernst zu nehmen und zu erleichtern. Es geht um die Kinder. Die SPD will ein Kindschaftsrecht, in dem Kinder, ihre Persönlichkeit und ihre Entwicklung, liebevoll in den Mittelpunkt gerückt werden. Jedes einzelne Kind in seiner konkreten Situation ist für Behörden und Gerichte, die mit ihm zu tun haben, das Wichtigste auf der Welt. Darum wollen wir ein Kindschaftsrecht, das flexibel genug ist, um für jeden Einzelfall eine genau passende Antwort zu ermöglichen. Härtefälle darf es hier nicht geben. Um der Kinder willen — so wollen wir es — muß der Gesetzgeber die Situation der Alleinerziehenden, der Pflege- und Stiefeltern rechtlich besser absichern als bisher. Die fehlende oder die mit einem anderen geteilte elterliche Verantwortung darf das Leben mit Kindern nicht erschweren. Hier schlagen wir Lösungen vor, die denjenigen den Alltag erleichtern, die sich tatsächlich um Kinder kümmern. Die Familien Alleinerziehender, der Pflege- und der Stiefeltern sind heute keine Ausnahmeerscheinungen mehr. Um der Kinder willen, die in ihnen aufwachsen, wollen wir die Rechtsmacht des Alltags für sie. Kinder sollen ihre Kontakte mit den für sie wichtigen Personen auch dann noch pflegen können, wenn die Erwachsenen ihre Bindungen abbrechen. Nicht nur der elterliche Kontaktwunsch verdient Respekt, auch der von Kindern mit Geschwistern, Großeltern, Stief- oder Pflegeeltern. Wieviel Zweifel muß ein Kind an der Echtheit erfahrener Liebe, an der eigenen Liebenswürdigkeit entwickeln, wenn eine wichtige Person plötzlich aus seinem Leben verschwindet? Für Kontaktwünsche der Kinder soll es ein eigenes Verfahren geben, in dem nach Lösungsmöglichkeiten für die zugrundeliegenden Konflikte gesucht werden kann. Niemals aber soll es die gewaltsame Durchsetzung von Kontaktrechten gegen Kinder geben. Dies führt nur zu neuen allseitigen Verletzungen, nicht aber zu einer dem Kindeswohl förderlichen Beziehung. Die verfahrensrechtliche Stellung des Kindes soll nach unserem Willen verbessert werden. Dazu greifen wir zum Teil auf den Kindesanwalt zurück, den es bei Bedarf geben muß. Aber nicht in jedem Fall ist eine eigene Parteirolle für das Kind ein Segen, nicht immer der Anwalt der bessere Sachwalter kindlicher Bedürfnisse. Auch hier wollen wir falladäquate Lösungen durch ein flexibles Recht, das Möglichkeiten vorsieht, aber keine Prinzipien reitet. Neue Gefahren für das Kindeswohl ergeben sich aus den Techniken der medizinisch unterstützten Fortpflanzung. Die klaren familienrechtlichen Zuordnungen, die jedes Kind benötigt, geraten ins Schwanken. Hier muß der Gesetzgeber dringend festlegen, wen ein Kind als seinen Vater, seine Mutter ansehen darf. Zugleich muß einem jungen Menschen, der sich nicht ohne Grund mit Zweifeln plagt, die Chance zur Klärung seiner Abstammung gegeben werden, ohne daß eine noch bestehende Ehe seiner Eltern ihn daran hindert oder daß er ohne seinen Willen familienrechtliche Sicherheiten verliert. Auch hier schlagen wir eine Lösung vor. Wir haben unseren Reformvorschlag in einem langen Diskussionsprozeß erarbeitet. Wir haben den Rat von Fachleuten eingeholt. Wir haben aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und Interessen auch heftig gestritten. Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, das wir — ebenso wie eine Vielzahl von Sachkennern — für überzeugend halten. Wollen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, in einer Sache, die viele Menschen im Innersten bewegt, nur auf die Vorlage eines Ministeriums warten, das seinerseits eine Kommission damit beschäftigt? Wir hoffen und erwarten, daß Sie unseren Vorschlag mit uns jetzt ernsthaft diskutieren, um der vom Parlament kontrollierten Regierung die Direktiven zu geben, wie wir uns ein Recht vorstellen, das Kindern dient. Herbert Werner (Ulm) (CDU/CSU): Seit mehreren Jahren wird der Ruf nach Reform des Kindschaftsrechts erhoben. Dies verwundert nicht, da die au gemeine gesellschaftliche Entwicklung und die Veränderungen innerhalb der Familie seit der Schaffung des Kindschaftsrechts nicht übersehen werden können. Als das heute noch überwiegend geltende Recht geschaffen wurde, war die sogenannte intakte Familie als ein auf einer festen ehelichen Bindung ruhender, in sich geschlossener Lebenskreis von Menschen zweier, ja dreier Generationen der ausschließliche Orientierungsfaktor. Seitdem hat die Bindungskraft der Ehe und der Familie dramatisch abgenommen. Dafür gibt es die verschiedensten Gründe. Seit der Jahrhundertwende hat die wirtschaftliche Entwicklung zu einer ständig wachsenden beruflichen Mobilität gezwungen; in zwei Kriegen haben die Frauen gelernt, daß sie in Beruf und Familie sehr wohl ihren Mann stehen können; die Emanzipation der Frau, die primär eine Frage der Bewußtseinsänderung und der Eigenverantwortlichkeit für die Lebensgestaltung ist; die Frauen sind heute langer vor der Ehe berufstätig als noch vor 25 Jahren; die Ehen werden später geschlossen als früher; die Mehrkinderfamilien werden immer weniger; jede dritte Ehe wird heute geschieden; immer mehr Kinder leben bei nur einem Elternteil; die Zahl der Kinder, die mit einem neuen Lebenspartner eines Elternteils aufwachsen, wächst ständig; neue Lebensgemeinschaften greifen neben der traditionellen Ehe um sich. Das Kind steht in allen diesen Veränderungen und Lebensgemeinschaften mitten drin. Es ist aber in der Regel Betroffener der Entscheidungen, Objekt der Beziehungen und Veränderungen. Als Rechtssubjekt, als Träger eigener Rechte, wird das Kind meist entweder gar nicht wahrgenommen oder erst viel zu spät in den Beziehungsgeflechten berücksichtigt. Dies ist eben leider gerade dort der Fall, wo Ehen und Familien auseinandergehen oder neue Lebensgemeinschaften gebildet werden. Die Neuregelung des 14638* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Kindschaftsrechts muß daher zu allererst gestaltet werden aus dem Blickwinkel des Kindes heraus, unter stärkerer Beachtung seiner eigenen Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten! Um es vorab zu unterstreichen: Diese Betrachtungsweise richtet sich nicht gegen die Ehe und die traditionelle Familie! Das Kind braucht Sicherheit, Geborgenheit, Zuwendung und Förderung für seine freie Entfaltung, Dinge, die es am ehesten in einer intakten Familie erhalten kann. Auch wenn immer mehr Familien auseinandergehen, sollten wir nicht nur die getrennten Familien und die sogenannten neuen Lebensgemeinschaften sehen. Vielmehr müssen wir die Familie und die Ehe wieder stärken. Wir müssen in der Öffentlichkeit, in den Medien, in unserem Auftreten und in den Gesetzen, die wir hier beschließen, deutlich machen, daß eine partnerschaftliche Ehe und Familie, in der die Rücksichtnahme und nicht der Befehl im Mittelpunkt der Lebensgestaltung steht, einen großen Zusammenhalt erzeugen kann und in besonderer Weise geeignet ist, dem einzelnen Familienmitglied bei Schwierigkeiten zu helfen. Partnerschaftliche Familie besagt — um einem Mißverständnis vorzubeugen — eben nicht, daß das Kind in jeder Situation innerhalb der Familie wie ein Erwachsener behandelt werden muß. Partnerschaftliche Familie meint, daß das Kind entsprechend seines Alters, seiner Entwicklung, seiner Mitwirkungsbereitschaft in den Willensbildungsprozeß der Familie einbezogen werden soll. Eine solche intakte Familie bietet auch die beste Sicherung der Rechte der Kinder. Dies den jungen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in der Schule, in der eigenen Familie und durch die Beratungseinrichtungen zu vermitteln, ist eine ungeheure Aufgabe, die bisher sträflich vernachlässigt wurde. Für das Kindschaftsrecht besteht ein akuter Regelungsbedarf. Das Nichtehelichenrecht in der ehemaligen DDR war z. B. anders als in der Bundesrepublik; daher verpflichtet uns der Einigungsvertrag zu entsprechender Novellierung. Aber auch mehrere Beschlüsse des Verfassungsgerichts und die UNOKinderkonvention 1989 zwingen zu einer umfassenden Neuregelung des Rechts der Elterlichen Sorge und des Kindschaftsrechts. Die Koalitionsvereinbarungen für diese Periode sehen daher vor, eine umfassende Neuregelung in Angriff zu nehmen. Das Bundesjustizministerium arbeitet in Zusammenarbeit mit den anderen relevanten Ministerien seit längerer Zeit intensiv an diesen beiden Komplexen. Die nun von der SPD angeregten Änderungen sind nicht neu. Das meiste davon wurde ja schon im Februar seitens der Vertreter des Justizministeriums vorgetragen. Wir stimmen in diesem Hause gewiß darin überein, daß das Ziel der Reform sein soll, das Kindeswohl auf bestmögliche Weise zu fördern, rechtliche Unterschiede zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Kindern soweit wie möglich abzubauen, die Rechtseinheit im Kindschafts- und Sorgerecht in Deutschland herzustellen und die Auflagen des Verfassungsgerichts zu verwirklichen. Das Kindschaftsrecht umfaßt mehrere Rechtsbereiche. Ein besonders wichtiger Bestandteil des Kindschaftsrechts ist das elterliche Sorgerecht. Das Kind braucht Sicherheit. Es braucht die Sorge der Eltern, die ihr Kind nicht einfach als einen Besitzgegenstand betrachten dürfen. Die Eltern sollen die Rechte des Kindes wahrnehmen; sie haben daher dem Kind gegenüber Rechte, aber auch Pflichten. Elternrechte und Elternpflichten gehören zusammen. Um die Begriffe Sorgerecht und Sorgepflicht zusammenzufassen, wählt die SPD den Begriff der Elterlichen Verantwortung. Dieser Begriff ist zwar umfassend, ist aber aussageschwächer als die Einzelbegriffe, die ich weiter verwenden möchte, da sie einander sehr gut ergänzen. Die in einer Ehe lebenden Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Bei getrennt lebenden und geschiedenen Eltern ist dies nicht so. Seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts von 1982 zur Frage der elterlichen Sorge hat sich der Gedanke weitgehend durchgesetzt, daß für gemeinsame Kinder die gemeinsame Sorge auch nach einer Scheidung fortgelten soll. Wenn beide Elternteile eine einvernehmliche Regelung für das Betreuungs-, Umgangs- und Sorgerecht treffen, ist dies übrigens heute schon möglich. Dies sollte in Zukunft die Regel werden. Die Kinder bleiben ja auch nach einer Trennung die gemeinsamen Kinder, die einen Anspruch auf beide Eltern haben! Ein umfassendes Beratungs- und Hilfsangebot könnte den Eltern dabei helfen, eine einvernehmliche Regelung vor einer gerichtlichen Entscheidung zu treffen. Ist eine einvernehmliche Regelung zwischen den Elternteilen nicht möglich — und die Familienrichter sollten zunächst immer eine solche anstreben — darf dies nicht zu Lasten des Kindes gehen. Das Kind wird in einem streitigen Verfahren leider häufig von einem Elternteil instrumentalisiert und als Droh- und Streitobjekt benutzt. In Zukunft muß in den Verfahren die Stellung des betroffenen Kindes verbessert werden. Das Kind sollte im Streitfall vor Gericht zwingend gehört werden, oder gar von Amts wegen einen Verfahrenspfleger oder Rechtsbeistand bekommen — nicht erst nur auf eigenen Antrag oder Antrag des Jugendamtes. Die Forderung der SPD, die Zwangsvollstreckung eines gerichtlich festgelegten Umgangsrechts nicht gegen den Willen des Kindes zu vollziehen, halte ich aufgrund der Kenntnis mehrerer tragischer Fälle für begründet. Kinder sollten — auch bei Einvernehmen der Eltern! — ihre eigenen Gefühle und Auffassungen in das Kindschaftsverfahren einbringen können. Sie könnten vor einer Gerichtsentscheidung im Kindschafts- oder Scheidungsverfahren vom Familienrichter gehört werden. Viel Unglück und Unheil könnte auf diese Weise verhindert werden! Ob auch die Eltern eines nichtehelichen Kindes unter bestimmten Umständen die gemeinsame Sorge erhalten sollen, wie dies das Verfassungsgericht 1991 entschieden hat, ist ein weiteres Problem. Der SPDAntrag sieht hier für das Familiengericht die Möglichkeit vor, auf übereinstimmenden Antrag der Mutter und des Vaters, dessen Vaterschaft anerkannt ist, ihnen die gemeinsame Verantwortung/Sorge zu übertragen, übrigens sogar dann, wenn das Kind nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit beiden Eltern lebt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14639' Hiermit wird von der SPD der Versuch unternommen, sogenannte sonstige Lebensgemeinschaften mit der Ehe, zumindest der geschiedenen Ehe, auf dem Wege über das Kindschaftsrecht gleichzusetzen. Dieser Versuch ist ein überaus gewagtes Unterfangen, dessen mögliche Konsequenzen reiflich überlegt werden müssen. In Verbindung mit dem Bemühen, die nichtehelichen Kinder mit den ehelichen gleichzustellen, würde die gemeinsame elterliche Verantwortung bei nichtverheirateten Eltern zu einem Betreuungsunterhaltsanspruch der Mutter führen, der jener einer verheirateten Mutter letztlich gleich wäre. Es stellt sich hier doch wohl die Frage, ob man tatsächlich angesichts des besonderen Schutzes von Ehe und Familie die Mutter eines nichtehelichen Kindes wie die eheliche Mutter behandeln kann. Ein entscheidender Punkt im Rahmen der Novellierung des Kindschaftsrechts wird die Gleichstellung des nichtehelichen Kindes mit dem ehelichen Kind sein. Die Gleichstellung hätte tiefgreifende Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht und das Erbrecht. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe im Bundesjustizministerium denkt in diese Richtung. Gleichwohl merke ich an, daß gerade hier das Recht des nichtehelichen Kindes in seiner Relation zu dem Recht der ehelichen Kinder sehr genau abgewogen werden muß. Es darf die Frage, ob ein nichteheliches Kind, das — aus welchen Gründen auch immer — nie im Umfeld der Familie seines Vaters sich befunden hat, automatisch wie ein Familienmitglied behandelt werden soll. Von daher hat der vorzeitige Erbausgleich oder der Erbersatzanspruch durchaus einen Sinn. Gewiß sind die Gründe für deren Beseitigung nicht weniger tragend. Ein Mensch hat ein Recht auf Kenntnis seiner Herkunft und Abstammung und gesicherte Elternschaft. Gerade angesichts der modernen Fortpflanzungsmedizin und einer teilweise ganze Kontinente überschreitenden Adoptionspraxis muß das zukünftige Kindschaftsrecht genauer gefaßt werden. Notwendig ist die genauere Feststellung der Elternschaft auch angesichts der Folgen, die sich aus den vorher angesprochenen Punkten der Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern, der u. U. veränderten Rechtsstellung der Mutter des nichtehelichen Kindes und den Überlegungen über das gemeinsame Sorgerecht nichtverheirateter Eltern ergeben können. Genau zu überlegen wird sein, in wieweit die rechtliche Stellung des Vaters eines nichtehelichen Kindes in bezug auf sein Kind verbessert werden kann. Er sollte ja nicht nur Zahlmeister bleiben, sondern den Lebensweg seines Kindes verantwortlich mitgestalten können. Dies könnte z. B. im Falle der Adoption zu Erschwernissen führen, da die Väter nichtehelicher Kinder ggfs. ihre Einwilligung dazu geben müßten. Sinnvoll scheint, nochmals in die Diskussion über das Kindschaftsrecht die Forderung hineinzubringen, daß die ledige Mutter für ihr Kind keiner obligatorischen Amtspflegschaft bedarf. Eine Gesamtnovellierung des Kindschaftsrechts muß die Stellung des Kindes in einer Vielzahl von Rechtsbereichen (Pflegschaftsrecht, Adoptionsrecht, Unterhaltsrecht, Scheidungsrecht, Vormundschaftsrecht, Züchtigungsrecht, Verfahrensrecht und anderes mehr) neu beschreiben. Für die nächste Legislaturperiode stellt sich damit eine ungeheure parlamentarische Aufgabe. Norbert Geis (CDU/CSU): Der Forderungskatalog der SPD enthält teilweise Vorschläge, mit denen wir übereinstimmen. Zum Teil allerdings enthält der Katalog auch Gemeinplätze und zum Teil überzogene und praxisferne Vorstellungen, die wir ablehnen. Einverstanden sind wir mit der Forderung, die Vaterschaftsvermutung im Falle der Scheidung einzuschränken. Bisher gilt ein Kind bis zum Beweis des Gegenteils auch dann noch als Kind des geschiedenen Ehegatten, wenn die Scheidung schon Monate zurückliegt. Dies deshalb, weil sich die Berechnung der Empfängniszeit (§ 1592) nach dem Zeitpunkt des Scheidungsurteils richtet. Dies ist jedoch lebensfremd. Einer Scheidung geht in der Regel eine einjährige Trennungszeit voraus. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß das nach der Scheidung geborene Kind vom geschiedenen Ehegatten stammt. Die gesetzliche Vermutung ist also falsch. Die Beteiligten sind aber gezwungen, ein umständliches Anfechtungsverfahren durchzuführen. Deshalb ist es richtig, das Gesetz zu ändern und bei Scheidungen die Vaterschaftsvermutungen entsprechend einzuschränken. Eine schwierige Frage ist die Forderung der SPD nach der gemeinsamen Sorge der Eltern bei nichtehelichen Kindern. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch steht die elterliche Sorge nur dann Mutter und Vater gemeinsam zu, wenn sie miteinander verheiratet sind. Bei nichtehelichen Kindern ist nach der derzeitigen Regelung nur ein Elternteil sorgeberechtigt. Dies hat seinen guten Grund: Der Gesetzgeber geht davon aus, daß bei einem unehelichen Kind eine eindeutige feste und dauernde Zuordnung zu einem Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Die Mutter hat, weil sie naturgemäß die engste Verbindung zu ihrem Kind hat, den Vorrang. Der Vater kann nur in seltenen Fällen die elterliche Sorge erlangen, so im Falle der Ehelicherklärung im Sinne der §§ 1723 ff. Wird aber das Kind auf diesem Wege das eheliche Kind des Vaters, verlor die Mutter gemäß § 1738 automatisch die elterliche Sorge. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung 1991 in den Fällen für verfassungswidrig erklärt, in denen Vater und Mutter, ohne eine Ehe einzugehen, mit dem außerehelichen Kind wie in einer Familie zusammenleben — und beide gemeinsam für das Kind sorgen wollen. Aus dieser Entscheidung kann aber gerade nicht gefolgert werden, daß jetzt in allen Fällen die Zuordnung der elterlichen Sorge für das nichteheliche Kind auf beide Elternteile zu erfolgen hat, wenn dies von den Partnern gewünscht wird. Dies kann auf jeden Fall dann nicht gelten, wenn die Eltern nicht in einer Hausgemeinschaft zusammenleben. Beschränken wir die gemeinsame elterliche Sorge nicht auf die Fälle, in denen die Eltern zusammenleben, kommt es sehr schnell zu Nebenfamilien. Ein Mann, der verheiratet ist, würde dann zugleich mit einer anderen Frau, welche die nichteheliche Mutter seines nichtehelichen Kindes ist, eine sogenannte „rechtliche Verantwortungsgemeinschaft" bilden. Es käme so zu einer 14640* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Verwischung des traditionellen Familienbegriffs. Konflikte in der intakten Ehe wären vorprogrammiert. Deshalb ist eine Ausweitung der gemeinsamen elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder auch auf Eltern, die nicht zusammenleben, abzulehnen. Konsequenterweise fordert die SPD auch bei Scheidung und Trennung die gemeinsame Sorge. Dies wäre eine Umkehr der jetzigen gesetzlichen Regelung. Natürlich ist die gemeinsame Sorge der Eltern trotz Trennung und Scheidung der Idealfall. Meistens aber können die Ehepartner ihre Partnerschaftskonflikte nicht im Interesse der Kinder zurückstellen. Es ist deshalb höchst zweifelhaft, die gemeinsame Sorge grundsätzlich als Regelfall nach der Scheidung vorzusehen. Denkbar wäre, daß die gemeinsame Sorge zunächst nach der Trennung oder Ehescheidung bestehen bleiben soll, bis ein Partner den Antrag auf Zuweisung der Alleinsorge stellt. Dann muß eine gerichtliche Entscheidung getroffen werden. Die SPD strebt die ersatzlose Streichung der Amtspflegschaft an. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Mutter selbst in der Lage ist, für die Interessen ihres Kindes zu kämpfen. Die automatische Einsetzung des Amtspflegers erscheint vielen als unnötige Bevormundung. Hinzu kommt, daß gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, weil die Amtspflegschaft nur noch in den alten Bundesländern gilt. Die Regierung der früheren DDR hat sich bei den Einigungsverhandlungen vehement gegen die Übernahme einer solchen Regelung gewehrt, weil sie angeblich emanzipationsfeindlich sei. Wir meinen, daß ein vernünftiger Mittelweg gefunden werden muß. Nach unserer Auffassung sollte das Jugendamt kraft Gesetzes dann zum Amtspfleger berufen werden, wenn die Vaterschaft nicht innerhalb eines Jahres anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist. Keinesfalls werden wir die gänzliche Abschaffung der Amtspflegschaft zulassen. Eine heftig umkämpfte Forderung dürfte der Betreungsunterhalt für nichteheliche Mütter werden. Bisher hat die nichteheliche Mutter gegen den Vater nur einen Unterhaltsanspruch für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes (§ 1615 BGB). Hingegen hat ein geschiedener Ehegatte gegen den anderen Anspruch auf Unterhalt solange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann (§ 1570 BGB). Das nichteheliche Kind ist also im Nachteil. Das Erziehungsgeld bringt zwar für die nichteheliche Mutter eine große Entlastung. Wenn der uneheliche Vater aber ein gutes Einkommen hat, kann von gleichen Lebensverhältnissen keine Rede sein. Deshalb ist in der Tat zu prüfen, ob nicht die Mutter einen originären Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater des unehelichen Kindes auf Unterhalt geltend machen kann. Der Deutsche Juristentag hat allerdings im Jahre 1992 mit einer relativ knappen Mehrheit den Betreuungsunterhaltsanspruch abgelehnt. Das wichtigste Argument gegen den Betreuungsunterhalt ist die Tatsache, daß bei einer knappen Verteilungsmasse die ehelichen Unterhaltsverpflichtungen des unehelichen Vaters stark in Mitleidenschaft gezogen werden können. Außerdem besteht die naheliegende Gefahr, daß der Druck auf nichteheliche Mütter hin zu einer Abtreibung stark zunehmen wird. Dennoch erscheint uns diese Frage des Betreuungsunterhaltes regelungsbedürftig. Die Forderung nach Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern ist berechtigt. Deshalb ist auch die Forderung nach einem Betreuungsunterhalt, in welcher Form auch immer, grundsätzlich richtig. Zur Reform des Kindschaftsrechtes gehören auch die Pläne des Justizministeriums, eine erbrechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder durchzusetzen. Gegenwärtig gilt bekanntlich die 1970, also in der Zeit der sozialliberalen Koalition, in Kraft getretene Regelung: Nichteheliche Kinder sind grundsätzlich nach ihrem Vater und nach väterlichen Verwandten erbberechtigt. Neben der Ehefrau oder Abkömmlingen des Erblassers haben sie aber nur einen Erbersatzanspruch, d. h. einen gegen die Erben gerichteten Anspruch auf einen Geldbetrag in Höhe des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils. Maßgebende Erwägung für diese Regelung war, daß nichteheliche Kinder zumeist wesentlich anders gerichtete Interessen haben, als die im Regelfall aus Mitgliedern der Familien des Erblassers bestehende Erbengemeinschaft. Dies wird deutlich, wenn es um die Fortführung eines Unternehmens, eines Handwerksbetriebes, eines landwirtschaftlichen Hofes oder einer sonstigen Vermögenseinheit geht. In solchen Fällen ist die gesetzliche Miterbenstellung des nichtehelichen Kindes mit Sicherheit problematisch. Wer anderes behauptet, denkt und redet am Leben vorbei. Der Gesetzgeber hat nach meiner Auffassung seinerzeit richtig entschieden, als er nichtehelichen Kindern nur einen Erbersatzanspruch eingeräumt hat. Hinzu kommt, daß die nichtehelichen Kinder die Möglichkeit haben, zwischen dem 21. und 27. Lebensjahr von ihrem Vater einen vorzeitigen Erbausgleich zu verlangen (§ 1934d BGB). Diese Regelung gilt häufig als ein wichtiges finanzielles Fundament für die Ausbildung oder den beruflichen Start des unehelichen Kindes und stellt einen gern genutzten Vorteil dar. Beide Regelungen, sowohl den Erbersatzanspruch als auch den vorzeitigen Erbausgleich, will das Bundesministerium der Justiz in dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf abschaffen. Dagegen haben wir erhebliche Bedenken. Verfassungsrechtlich ist eine vollständige Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder im Erbrecht nicht geboten. Das Bundesverfassungsgericht, das nach 1970 wiederholt mit dem Erbrecht nichtehelicher Kinder befaßt war, hat die jetzt bestehende Regelung noch nie beanstandet. Zur Abschaffung des Erbersatzanspruches führt das Bundesjustizministerium an, auch in anderen Erbengemeinschaften ohne Beteiligung nichtehelicher Kinder komme es zu schweren Konflikten. Dieses Argument war aber auch dem Gesetzgeber im Jahre 1969 bereits bekannt, und er hat dennoch aus wohlerwogenen Gründen sich für den Erbersatzanspruch und gegen die volle erbrechtliche Beteiligung des unehe- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14641* lichen Kindes entschieden. Nach meiner Auffassung bedenkt der Vorschlag des Justizministeriums zu wenig die wirtschaftlichen Auswirkungen der vollen Beteiligung nichtehelicher Kinder am Nachlaß. In vielen Fällen könnte es bei mittelständischen Unternehmen, bei landwirtschaftlichen oder bei Handwerksbetrieben zu existenzgefährdenden Auseinandersetzungen kommen. Freilich besteht die Möglichkeit, daß der Erblasser durch letztwillige Verfügungen solche Auseinandersetzungen von vornherein unterbindet. In vielen Fällen wird aber der Erblasser solche Auswirkungen kaum bedenken und wird sie deshalb unterlassen. Im übrigen muß man wohl mit Recht nach dem Sinn einer Gesetzgebungspolitik fragen, die einen Regelfall mit häufig entsetzlichen wirtschaftlichen Folgen vorsieht, aber insgeheim darauf hofft, daß der Erblasser diesen Regelfall durch Testament verhindert. Ich habe deshalb große Bedenken gegen die geplante Neuregelung. Bedenken melde ich auch gegen den Referentenentwurf zu einer Änderung des § 1631 BGB, der entwürdigende Erziehungsmaßnahmen der Eltern verbietet. Der Referentenentwurf sieht folgende Neuformulierung vor: „Körperliche und seelische Mißhandlungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Die Rechtsprechung versteht unter einer körperlichen Mißhandlung ein übles, unangemessenes Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt. Eine Ohrfeige kann danach rechtlich als körperliche Mißhandlung qualifiziert werden, wie der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 7. März 1990 ausdrücklich festgestellt hat. Für den Bereich körperlicher Züchtigungen durch die Eltern geht die höchstrichterliche Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, daß jede Züchtigung tatbestandsmäßig eine Körperverletzung in der Form des körperlichen Mißhandelns im Sinne des § 223 StGB bildet. Danach ist ein leichter Klaps, den der Vater dem Sohn verpaßt und in dem lediglich eine gewisse Mißbilligung symbolisiert wird, nicht tatbestandsmäBig. Die Züchtigung im vorgenannten Sinn ist nach der Rechtsprechung — wie ausgeführt — zwar tatbestandsmäßig, dann aber nicht rechtswidrig, wenn der Vater einen rechtfertigenden Grund für eine solche Züchtigung hat. Es muß also ein hinreichender Anlaß, d. h. ein konkretes Fehlverhalten des Kindes vorliegen. Die Ohrfeige oder eine sonstige Züchtigung muß dem Erziehungszweck dienen und darf nicht entwürdigend sein. Nach dem Entwurf des Bundesjustizministeriums wären körperliche und seelische Mißhandlungen gänzlich unzulässig. Dies führt mit Sicherheit zu einer Kriminalisierung der Eltern. Der Staat greift zu sehr in die Privatsphäre der Familie ein. Der Freiraum, der für eine vernünftige Erziehung notwendig ist, würde erheblich beeinträchtigt. Böse Nachbarn, aber auch mißgünstige Verwandte hätten viele Gelegenheiten, um die Kinder gegen die Eltern aufzuhetzen. Hinzu kommt, daß eine solche gesetzgeberische Maßnahme die grauenhaften Verletzungen von Kindern durch abartig veranlagte Eltern nicht verhindern kann. Weil aber eine solche Regelung leicht geeignet ist, ein intaktes Familienleben empfindlich zu stören, haben wir größte Bedenken gegen die vorgesehenen gesetzgeberischen Maßnahmen. Abschließend weise ich darauf hin, daß wir uns allen Bestrebungen widersetzen werden, die die Familien schwächen. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Obwohl dies kaum jemand lesen und zur Kenntnis nehmen wird, will ich vorab dennoch meinen Unmut darüber zum Ausdruck bringen, daß bei der Gestaltung der Bundestags-Tagesordnung wieder einmal ein wichtiges kinder- und jugendpolitisches Thema den aktuellen medienträchtigen Ereignissen zum Opfer fällt. Die SPD hat mit ihrem Antrag „Reform des Kindschaftsrechts" nach intensiver Vorarbeit eine konkrete Leitlinie in die politische Diskussion eingebracht, die von der Regierungsseite trotz mehrerer Ankündigungen seit Jahren nicht zustandegebracht worden ist. Auch die im Justizministerium eingesetzte Sonderkommission hat bisher nichts vorlegen können, vielmehr sind die in den Fachausschüssen vorgelegten Zwischenberichte diffus und ohne klare politische Linie gewesen. Sowohl die jetzige Justizministerin als auch ihr Amtsvorgänger haben es an den entsprechenden Vorgaben fehlen lassen, so daß sich niemand über den derzeitigen Zustand auf der Regierings- und Koalitionsseite wundern darf. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt mit den von ihr zusammengestellten Eckwerten für ein neues Kindschaftsrecht nicht nur eigene politische Erkenntnisse aus der Rechts- und Verwaltungspraxis sowie aus den gesellschaftspolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre um, sondern beachtet auch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts sowie die nach entsprechender Ratifizierung seit dem 5. April 1992 in Deutschland gültige UNO-Konvention über die Rechte des Kindes. Für die SPD gehört das Kind bzw. das Kindeswohl in den Mittelpunkt aller Überlegungen und Regelungen zum Kindschaftsrecht. Als Kinderbeauftragter unterstreiche ich diese Orientierung deshalb mit Nachdruck, weil in der Regierungskoalition hierfür eine viel zu geringe Neigung besteht. Das hat sich schon im Ratifizierungsverfahren zur UNO-Kinderrechte-Konvention gezeigt und setzt sich in diesen Tagen bedauerlicherweise mit der Ablehnung des von 105 Abgeordneten fraktionsübergreifend geforderten Kinderberichts der Bundesregierung fort. Der Höhepunkt der nicht kinderfreundlichen Haltung der CDU/CSU-F.D.P.-Mehrheit im Bundestag zeichnet sich in der laufenden Debatte um eine neue deutsche Verfassung ab: Die Verankerung von eigenständigen Kinderrechten (auf Entwicklung und Entfaltung, auf gewaltfreie Erziehung und auf gesunde Lebensbedingungen) findet — leider — keine Zustimmung im konservativ-liberalen Lager. Da muß man sich allmählich schon die Frage stellen, ob von dieser Seite des Parlaments auf Grund ideologisch-verbohrter, falsch verstandener familienorientierter Haltung die Arbeit einer Kinderkommission im Bundestag noch richtig ist oder lediglich noch Alibicharakter hat. 14642' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Trotz allem ist die UNO-Kinderrechte-Konvention gültig und sieht bezüglich des Sorge- und Umgangsrechts zum Beispiel in Art. 9 den Grundsatz eines ungeteilten, gemeinsamen Sorgerechts beider Eltern vor, das im Scheidungs- oder Trennungsfall nur ausnahmsweise im Einzelfall und zum Wohl des Kindes zu einem einseitigen Entscheid zugunsten eines Elternteils geführt werden kann. An diesem Prinzip sollte sich ein neues Kindschaftsrecht weitgehend orientieren. Es kann und darf somit zukünftig nicht mehr in erster Linie darauf ankommen, die vermeintlichen „Rechte einzelner Elternteile am gemeinsamen Kind" aufzuklären und zu regeln. Die angekündigte Vorwegregelung eines Teilbereichs aus dem Gesamtkomplex, nämlich des Züchtigungsrechts, ist zu begrüßen. Alle Fachleute sind sich einig darin, daß der jetzige § 1631 Abs. 2 BGB eine Präzisierung benötigt, die zugleich das Ziel verfolgt, das Recht der Eltern zur Züchtigung ihrer Kinder prinzipiell abzuschaffen. Die Kinderkommission des Bundestages hat hierfür in Abstimmung mit den Kinderfachverbänden schon vor mehr als zwei Jahren konkrete Vorschläge in die parlamentarische Arbeit eingebracht. Lange Ausführungen, kurzer Sinn: Die gesellschaftlichen Entwicklungen erfordern eine schnelle und wirksame Veränderung des geltenden Kindschaftsrechts in seiner ganzen Bandbreite. Es ist im Interesse vieler betroffener Kinder zu wünschen, daß die Regierung bald die Kraft findet, einen konkreten Gesetzesvorschlag vorzulegen. Burkhard Zurheide (F.D.P.): Eine Reform des Kindschaftsrechts ist schon deswegen notwendig, um die in Ost- und Westdeutschland geltenden unterschiedlichen rechtlichen Regelungen anzugleichen. Für die F.D.P. bleibt weiterhin im Mittelpunkt der Überlegungen die Eigenverantwortung der Eltern. Eine kinderfreundliche Gesellschaft kann sich nur dann ergeben, wenn diese nicht auf Mißtrauen und restriktiven Regelungen beruht. Die Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Kind und Eltern muß nicht zwangsläufig dem Kinde zugute kommen. Juristen neigen häufig dazu zu glauben, eine erwünschte bessere Lebenswirklichkeit könne sich durch die Schaffung rechtlicher Regelungen ergeben. Darin liegt aber häufig eine kontraproduktive Überschätzung und Überforderung rechtlicher Regelungsmechanismen. Im Zentrum einer wie auch immer gearteten Neuregelung muß das Wohl des Kindes stehen. Das Kind ist das schwächste Glied dieser Gesellschaft. Wir haben es — unstreitig — mit einer wachsenden Gewalt gegen Kinder, in welcher Form auch immer, zu tun. Jedermann, der sich bemüht, das Wohl des Kindes zu stärken, verdient zunächst einmal die volle Unterstützung. Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion kann in vielen Punkten von uns geteilt werden. Es gibt aber auch Punkte, die sehr zweifelhaft sind. Eine gewisse Ideologielastigkeit kann dem Antrag nicht abgesprochen werden. Dem SPD-Antrag merkt man noch viel zu deutlich den unausgesprochenen Grundsatz an, der da lautet: Der Staat wird es schon richten. Auch die recht apodiktischen Feststellungen „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat" und „Vater eines Kindes ist der Mann, von dem es abstammt" können nach meiner Aufassung kaum aufrecht erhalten bleiben. Man kann nicht mit einem Satz die Probleme der sogenannten Leihmutterschaft, der künstlichen Befruchtung oder anderer noch völlig ungeklärter Dinge lösen. Auch an anderer Stelle offenbart der SPD-Antrag, daß er zumindest nicht zu Ende gedacht ist. Ist es eigentlich ernst gemeint, wenn gefordert wird, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes seine Vaterschaft nur anerkennen kann, wenn die Mutter zustimmt? Und kann es richtig sein, in jedem Fall und ohne Ausnahme zu fordern, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes bei der von der Mutter gewünschten Adoption zustimmen muß? Der Antrag der SPD enthält durchaus wertvolle Anregungen, die genauer geprüft werden müssen. Die Rechtsverhältnisse nichtehelicher Kinder müssen zweifellos überdacht werden. Grundsätzlich muß gelten, daß nichteheliche Kinder unterhaltsrechtlich, erbrechtlich, umgangs- und sorgerechtlich behandelt werden wie eheliche Kinder. Hier mag es aber im Einzelfall zu unterschiedlichen Regelungen kommen müssen. Wichtig erscheint mir, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes die Möglichkeit hat, sich um sein Kind zu kümmern. In welcher Form gesetzlich vorgeschrieben werden soll, wie Angehörigen und Verwandten Umgangsrechte eingeräumt werden, bedarf der Überprüfung. Ob das gemeinsame Sorgerecht für geschiedene Eltern verpflichtend festgeschrieben werden soll, dürfte sehr zweifelhaft sein. Ein gemeinsames Sorgerecht hat Vorteile, aber zweifellos auch Nachteile. Hier muß auch in der Zukunft der Einzelfall entscheidend sein. Es darf am Ende nicht eine Regelung entstehen, nach der der weit entfernt lebende Elternteil, bei dem sich das Kind nicht aufhält, wegen jeder Kleinigkeit gefragt werden muß. Folgerungen werden auch zu ziehen sein aus der UNO-Kinderkonvention. Diese besagt zu Recht, daß die Kinder ein Recht auf Eltern haben. Das heißt, es muß noch mehr als bisher deutlich werden, daß Eltern nicht nur ein Recht auf Erziehung, sondern auch eine Verpflichtung dazu haben. Schließlich muß sichergestellt werden, daß jedermann ein einklagbares Recht darauf haben muß, zu erfahren, von wem er abstammt. Im Ergebnis ergibt sich, daß das Kindschaftsrecht auf den Prüfstand muß. Dies ist zwischen den Koalitionsparteien auch unstreitig. Die Liste, die in dem Antrag der SPD enthalten ist, ist aber unvollständig, da nur Teilbereiche angesprochen werden. Es fehlt auch noch etwas der Tiefgang, den die Koalition dem Antrag aber noch geben wird. Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Antrag der SPD umfaßt eine Reihe von Punkten, deren Intention und Wirkung man erst anhand ihrer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14643* konkreten Ausgestaltung wird beurteilen können. Ich möchte mich hier mit der Frage des Sorgerechts auseinandersetzen — in dieser heftig umstrittenen Frage ist schon heute klar, daß der Antrag der SPD Frauen und somit auch Kindern nichts Gutes verspricht. Um es kurz vorwegzunehmen: Ich bin der Meinung, daß es in bezug auf das elterliche Sorgerecht in der Bundesrepublik Deutschland bei den geltenden Regelungen bleiben soll, d. h. die Zuweisung der alleinigen elterlichen Sorge als Regel und in Ausnahmefällen, wenn die Eltern nach der Scheidung tatsächlich willens und in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, und auch bereit sind, nicht nur Rechte in bezug auf ihre Kinder wahrzunehmen, sondern auch die Pflichten, das gemeinsame elterliche Sorgerecht. Die Möglichkeit, das Sorgerecht gemeinsam zu bekommen, gibt es für geschiedene Eltern im Westteil der Republik seit 1982. In den darauffolgenden Jahren haben aber nur 1 bis 2 Prozent aller geschiedenen Eltern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ich halte es für lebensfremd, etwas zur Regel machen zu wollen, was die Betroffenen nicht selbst wählen, obwohl sie es wählen könnten, und frage mich, was Frau von Renesse und die SPD zu ihrer Initiative in diesem Punkt eigentlich bewegt. Bei Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, hat sich die geltende Regelung, derzufolge die Mutter das uneingeschränkte Sorgerecht hat, sowohl in der DDR als auch in der BRD durchaus bewährt. Das Sorgerecht der unverheirateten Mutter ist meines Wissens,der einzige Rechtsbereich, in dem Frauen mehr Rechte haben als Männer, und sie haben sie in diesem Bereich, wie ich meine, zu Recht. Verschließen wir unsere Augen doch nicht vor der gesellschaftlichen Realität: Wenn es um die Arbeit an Kindern geht — vom Windelnwechseln bis zur Schularbeitenbetreuung, um die täglich stundenlange Aufsicht, während derer andere Tätigkeiten ausgeschlossen sind —, sind Männer in der Regel abwesend. Ob freiwillig oder nicht, das ist eine andere Frage. Ob sie sich anders verhalten würden, wenn sie von der Erwerbsarbeit nicht total absorbiert würden, wenn sie kein Familieneinkommen bekämen und damit zugleich die Rolle des Ernährers oder wenn sie durch die Quotierung einen Teil ihrer Arbeitsplätze an Frauen abgeben müßten — das muß sich erst noch herausstellen. Im Moment jedenfalls leben wir in einer Gesellschaft, in der Kinder absolute Frauensache sind. Wer das ändern will, und zu diesen Leuten gehöre ich, der muß beispielsweise endlich an eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit herangehen, den bereits stattfindenden Wandel im Rollenverständnis stärker unterstützen und die übliche Sozialisation von Jungen in Frage stellen sowie dem Wunsch der Mehrheit der Frauen nach einer existenzsichernden Berufstätigkeit mit wirksamen Mitteln nachkommen. Seit einiger Zeit gibt es eine kleine, aber medienwirksame Gruppe von Vätern, die eine Änderung des geltenden Rechtes einfordern. Dies ist ein Reflex auf die zunehmende Unabhängigkeit von Frauen und darauf, daß viele von ihnen es vorziehen, eher ohne Mann zu leben als in einer schlechten Beziehung. Diesen Männern geht es in der Regel nicht um das Kindeswohl, denn dann würden sie allein aus der Tatsache, daß die Mutter sich nicht freiwillig auf die gemeinsame Sorge einlassen will, schließen, daß es keine Grundlage dafür gibt. Das Beharren auf dem gemeinsamen Sorgerecht rat in solchen Fällen nur den Schluß zu, daß es hier ausschließlich um die Sicherung männlicher Machtansprüche geht. Die bisherige Konstruktion der gemeinsamen Sorge gibt den Vätern mehr Rechte ohne ihnen gleichzeitig auch mehr Pflichten aufzuerlegen, zum Beispiel die Pflicht, die Hälfte des Erziehungsurlaubs selbst zu nehmen, oder die Pflicht, einen Kinderbetreuungsplatz nachzuweisen, bevor eine Stelle angenommen wird, oder auch die Pflicht, die Hälfte der tagtäglichen Betreuungsarbeit auch tatsächlich zu übernehmen. Solange das nicht Bestandteil der gemeinsamen Sorge ist, ist der Begriff „Gemeinsames Sorgerecht" oder gar „elterliche Verantwortung", wie die SPD es in ihrem Antrag so schön ausdrückt, ein reiner Etikettenschwindel, denn es geht hier gerade nicht um gemeinsame Sorge oder Verantwortung, sondern ausschließlich um einen Zuwachs an Rechten für diejenigen, die bislang nur einen ganz kleinen Teil der Sorge und der Verantwortung übernommen haben. Noch etwas muß hier klar gesagt werden: Niemand hindert Eltern — geschiedene oder unverheiratete — daran, ihre Sorge und Verantwortung gegenüber dem Kind gemeinsam auszuüben, wenn sie dies wollen. Wird das gemeinsame Sorgerecht hingegen zur Norm, besteht die Gefahr, daß der so entstehende moralische Druck einen eventuell entgegenstehenden Willen einer Seite — meist der Frau — nicht zum Ausdruck kommen läßt. Eine weitere Gefahr ist, daß Männer das gemeinsame elterliche Sorgerecht anstreben, um der Zahlung des Ehegattenunterhalts zu entgehen. In solchen Fällen ist das gemeinsame Sorgerecht absolut schädlich, nicht nur für das tatsächlich die Sorge tragende Elternteil, sondern auch für das Kind. Wenn jedoch andererseits beide Elternteile in der Lage sind, einvernehmlich über die Belange des Kindes zu kommunizieren, bedarf es keines Rechtsinstituts, das eine gemeinsame Wahrnahme von Rechten festschreibt. Das Argument, das gemeinsame Sorgerecht würde Väter dazu animieren, ihre Verantwortung wahrzunehmen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage, was schon daran erkennbar ist, wie wenig verheiratete Väter, die ja das uneingeschränkte Sorgerecht für ihre Kinder haben, für ihre Kinder tatsächlich tun. Fazit: das Rechtsinstitut der gemeinsamen elterlichen Sorge ist entweder im Grunde überflüssig oder aber schädlich. Auf keinen Fall sollte es zum Regelfall werden! In diesem Sinne empfehle ich der SPD, von ihrem Vorhaben, die Vaterrechte einfach nur zu erweitern, Abstand zu nehmen und statt dessen Projekte in Angriff zu nehmen, die geeignet sind, der Betreuung von Kindern in der Wertehierarchie von Männern einen vorrangigen Platz zu geben, und die gleichzeitig Väter die Übernahme von Verantwortung und Sorge für ihre Kinder auch tatsächlich ermöglichen. 14644* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 Es gibt eine sehr vernünftige Entscheidung vom Amtsgericht Bonn aus dem Jahre 1977, mit der ich meine Rede schließen will: „Eltern eines Kindes sind vornehmlich diejenigen, die sich der Mühe unterwerfen, es zu einem vollwertigen gemeinschaftsfähigen Menschen heranzubilden. Die biologische Elternschaft ist dafür weder erforderlich noch genügend. Erst durch die Übernahme von Elternaufgaben werden Erzeuger zu Eltern. " Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Die PDS begrüßt, daß die Reform des Kindschaftsrechts nunmehr endlich in einer absehbaren Zeit zu greifbaren Resultaten führen soll. Es besteht erheblicher Nachholbedarf des überalterten Rechts im Verhältnis zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Auf sozialem Gebiet, im Verhältnis der Geschlechter zueinander, der moralischen Einstellungen, der internationalen Rechtsentwicklung, selbst der Rechtsprechung des BGH zu einzelnen Fragen ist das geltende Recht keine Hilfe für die Gesellschaft mehr, sondern bremst deren Entwicklung. Insbesondere die UN-Kinderkonvention hat bislang keinen entsprechenden Niederschlag im Kindschaftsrecht gefunden. So stimmen wir dem Vorschlag der SPD zur Neuregelung des § 1631 BGB zu. Erziehung eines demokratischen Staatsbürgers ist unvereinbar mit der Anwendung von körperlicher und psychischer Gewalt in der Erziehung. Insgesamt ist das Problem weiter zu fassen. Wir sehen als gedankliche Ausgangspunkte für ein reformiertes Kindschaftsrecht folgende Schwerpunkte an, die die Gestaltung des Kindschaftsrechts insgesamt und jedes einzelnen Paragraphen bestimmen müssen: 1. Das Kind ist als Rechtssubjekt und nicht als Objekt, wie bisher, juristisch zu erfassen. 2. Die Unterschiede zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern sind konsequent zu beseitigen bis hin zur Eliminierung der Begriffe „ehelich" und „nichtehelich" im gesamten BGB. Das Familiengesetzbuch der DDR ist in dieser Hinsicht vorbildlich gewesen. 3. Im Trennungsfall der Eltern muß der Anspruch des Kindes auf Erhaltung der Beziehung zu beiden Elternteilen und ihm besonders nahestehender Menschen verwirklicht werden, wie die UN-Kinderkonvention es verlangt und wie es in dem nur zwei Tage in Kraft gewesenen verbesserten Familiengesetzbuch der DDR bereits festgelegt war. 4. Die Diskriminierung der Mutter eines nichtehelichen Kindes muß restlos aus dem BGB beseitigt werden. Die Subjektrolle des Kindes zu verwirklichen verlangt, bei jeder einzelnen Regelung ebenso wie bei der Gesamtanlage des Kindschaftsrechts einschließlich seiner prozessualen Verwirklichung von den Interessen des Kindes auszugehen, d. h. von Interessen des Kindes, die heutigen Vorstellungen von der Persönlichkeitsentwicklung und von den Bedingungen dazu entsprechen. Abgesehen davon, daß die materiellen Voraussetzungen dafür im Kindschaftsrecht nur in einem sehr beschränkten Umfang über das Unterhaltsrecht zum Tragen kommen, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen für die Entwicklung des Kindes die juristische Gestaltung der personalen Beziehungen von entscheidender Bedeutung. Es ist wohl unbestritten, daß fast ausschließlich die Eltern und andere Menschen im familiären Umfeld dem Kind das Gefühl von Sicherheit, menschlicher Nähe, Akzeptanz und Glück vermitteln. Deshalb sind vom Standpunkt des Kindes solche Lösungen zu finden, die ein Maximum an Beziehungsreichtum sowie an Verantwortung für das Kind ermöglichen. Nach unseren Vorstellungen müßte die elterliche Sorge als gemeinsame elterliche Sorge konzipiert werden. Der § 1626 BGB müßte so gefaßt werden, daß von einem Recht des minderjährigen Kindes ausgegangen wird, von seinen Eltern betreut, versorgt und in seiner Entwicklung gefördert zu werden. Dieses Recht des Kindes sollte unabhängig davon existieren, ob die Eltern durch Trauschein miteinander verbunden sind oder die Vaterschaft durch eine Anerkennungsurkunde bzw. ein Urteil rechtskräftig feststeht. Hier ist in Erinnerung zu bringen, daß bei einer Beziehung, die auf Trauschein beruht, nicht von vornherein gewährleistet ist, daß persönliche Bindungen zwischen den Eltern und ihrem Kind entstehen. Für den Fall, daß die Eltern eines Kindes nicht bereit sind, gemeinsame Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen, kann das Familiengericht auf übereinstimmenden Antrag der Eltern das Sorgerecht nur einem Elternteil übertragen, sofern es dem Wohl des Kindes entspricht. Beide Elternteile sollen nach unserer Vorstellung kraft Gesetzes das gemeinsame Sorgerecht innehaben, egal ob das Kind in eine eheliche oder nichteheliche Beziehung hineingeboren wird. Nur im Ausnahmefall, wie dem erwähnten übereinstimmenden Antrag der Eltern und in den Fällen der Gefährdung des Kindeswohles (§§ 1666, 1666a) kann das Familiengericht vom gemeinsamen Sorgerecht abweichen. Für den Fall, daß die elterliche Sorge auf übereinstimmenden Antrag der Eltern nur einem Elternteil übertragen wird, behält das Kind das Recht zum Umgang mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil. Die Regelungen der §§ 1671, 1672, 1705 und 1711 BGB sind damit überflüssig geworden. Von spezifischer Bedeutung ist das gemeinsame Sorgerecht für das Kind im Falle der Trennung oder Scheidung seiner Eltern. Hier ist das existentielle Interesse des Kindes darauf gerichtet, die Beziehung zu beiden Elternteilen gesichert zu wissen. Niemand, weder die gesamte Gesellschaft noch einzelne Personen, ist in der Lage, die Rolle zu erfüllen, die in der Regel die Eltern für das Kind haben. Aus diesem Grund entfällt nach unserer Vorstellung eine zwangsläufige Regelung der elterlichen Sorge bei Trennung oder Scheidung der Eltern. Es bleibt das gemeinsame Sorgerecht der Etern auch nach der Scheidung oder Trennung bestehen. Die Trennung der Eltern steht primär in keinem Zusammenhang mit der Beziehung der Eltern zu ihrem Kind. Im Gegenteil, in der Regel möchten beide Elternteile und das Kind wechselseitig die gewachsenen Beziehungen aufrechterhalten, unabhängig von dem Schicksal der Beziehung der Eltern zueinander. In der geltenden Rechtsregelung und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14645* Rechtspraxis zeigt sich gerade in dieser Frage, daß das Kind Objekt seiner Eltern ist und häufig für die Machtinteressen der Eltern benutzt wird. Dies gilt es zu beseitigen. Auch im Falle der Scheidung oder Trennung der Eltern bleibt es dabei, daß eine Zuweisung eines alleinigen Sorgerechts nur dann in Frage kommt, wenn ein übereinstimmender Antrag hierzu vorliegt oder die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666 a vorliegen. Es liegt auf der Hand, daß das Verfahrensrecht vielfältige Modernisierungen braucht, um die Subjektrolle des Kindes zu verwirklichen. Es muß alles unternommen werden, zu verhindern, daß die Kinder in die Zwangslage geraten, sich für den einen oder anderen Elternteil entscheiden zu müssen. Die Erfahrungen bereits erprobter Meditationscenter sind hier nützlich. Gemeinsames Sorgerecht bedeutet nicht, daß die Eltern alle Streitfragen allein, ohne Hilfe des Gerichts, lösen müssen. Aber sie lassen sich anders lösen, wenn beide Eltern in der gleichen Rechtsposition sind und die Würde eines jeden gewahrt wird. Das letztere ist für die Beziehung der Kinder zu den Eltern besonders wichtig. Die gleichen Regelungen müssen auf nicht miteinander verheiratete Eltern angewendet werden. Zu einer konsequenten Verwirklichung der Subjektstellung des Kindes gehört es nach unserer Vorstellung auch, daß das Kind ab einem bestimmten Alter, soweit es die persönliche Reife dazu besitzt, zu dem übereinstimmenden Antrag der Eltern auf Übertragung der elterlichen Sorge anzuhören ist. Dabei entfällt die für das Kind bislang bestehende mißliche Situation, sich einem Elternteil zuneigen zu müssen, da es sich hierbei nicht um widerstreitende Interessen der Eltern, sondern um ein gemeinsames Intersse der Eltern, ausgedrückt in einem gemeisamen Antrag, handelt. Einige Bemerkungen zum Umgangsrecht. Wird die elterliche Sorge ausnahmsweise nur von einem Elternteil ausgeübt, behalten das Kind und der nichtsorgeberechtigte Elternteil das Recht zum persönlichen Umgang. Das Recht zum wechselseitigen persönlichen Umgang haben daneben auch das Kind und andere ihm nahestehende Bezugspersonen. Auch hier muß von einer Unterscheidung zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern abstrahiert werden, um eine völlige Gleichstellung zu erreichen, wie es nach Art. 6 Abs. 5 Grundgesetz verlangt wird. Bislang verhandelte der Sorgerechtsinhaber aus der Position der Stärke mit dem entrechteten Elternteil unter der Devise: so wenig Umgang wie möglich. Dieses Prinzip gilt es umzukehren. Ausgangspunkt für die Umgangsregelung müssen die Bedürfnisse des Kindes sein. Eine Verkürzung menschlicher Beziehungen durch eine Behörde oder mit Unterstützung einer Behörde darf nicht zugelassen werden. Schützenswert sind in gleicher Weise die persönlichen Beziehungen des Kindes zu weiteren Bezugspersonen, so z. B. Großeltern, Geschwister, Pflegeeltern. Die Umgangsbeziehungen sind neu als wechselseitige Rechte auszugestalten. Für dringend halten wir die Beseitigung der Diskriminierung nichtehelicher Kinder und deren Mütter. Für die Gleichstellung der nichtehelichen mit den ehelichen Kindern ist zu dem Vorangegangenen noch folgendes zu sagen: Die Bestimmungen über den Erbersatzanspruch, den vorzeitigen Erbausgleich, die Unterhaltsabfindung und die Ehelicherklärung müssen entfallen. Jegliche Unterschiede in den unterhaltsrechtlichen Regelungen müssen beseitigt werden, wobei wir für den Wegfall des Regelunterhaltes plädieren und diesen nicht für die ehelichen Kinder anwenden möchten. Der Unterhalt sollte einheitlich und generell von den Einkünften der Eltern abgeleitet und individuell bemessen werden. Besonders diskriminierend sind die §§ 1705 ff. BGB, für die der Normalfall die Mutter eines nichtehelichen Kindes ist, die unfähig ist, die Interessen ihres Kindes wahrzunehmen. Ihr wird derzeit eine Amtspflegschaft aufgezwungen. Dieses Relikt der Vergangenheit kannte das Familiengesetzbuch der DDR seit 1965 nicht mehr. Die Amtspflegschaft ist zu beseitigen. Statt dessen sollte für alleinstehende Sorgeberechtigte eine Beistandschaft durch das Jugendamt möglich sein. Auch die Begriffe „nichteheliche" und „eheliche" Kinder sollten eliminiert werden als konsequenter Ausdruck der Gleichstellung. So war es im Familiengesetzbuch der DDR 1965 geschehen. Im neuen Kindschaftsrecht sollten die letzten Reste einer juristischen Deklassierung einer großen gesellschaftlichen Gruppe beseitigt werden, die allein aus der Tatsache nichtehelicher Abstammung ausgegrenzt wurde und damit auch leichter ausbeutbar war, was nicht übersehen werden sollte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Ich freue mich über die Gelegenheit, heute zur Reform des Kindschaftsrechts sprechen zu können. Bei der Vielzahl schwierigster Aufgaben, denen sich der Gesetzgeber derzeit zu stellen hat, besteht allzuleicht die Gefahr, daß diejenigen vergessen werden, die unseren besonderen Schutz und unsere besondere Aufmerksamkeit brauchen, nämlich die Kinder. Man kann es deshalb gar nicht oft genug in Erinnerung rufen, daß eine umfassende Reform des Kindschaftsrechts nötig ist. Die Bundesregierung hat dies immer wieder betont und die Arbeiten energisch vorangetrieben. Dabei hat sich gezeigt, daß Teile des Vorhabens aus der Gesamtreform herausgelöst und damit vorzeitig verwirklicht werden können. In drei von vier Teilbereichen, in denen ich große Übereinstimmung mit dem vorliegenden Antrag sehe, liegen bereits Referentenentwürfe vor: Es geht zum einen um die gesetzliche Amtspflegschaft, die derzeit in den alten Bundesländern — anders als in den neuen — bei der Geburt eines nichtehelichen Kindes automatisch eintritt. Der Entwurf eines Beistandschaftsgesetzes schlägt vor, diese Amtspflegschaft abzuschaffen. An ihre Stelle soll eine freiwillige Beistandschaft durch das Jugendamt mit den Aufgabenkreisen der Vaterschaftsfeststellung und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen treten. Mit einer solchen Regelung wird nicht nur in den alten Bundesländern die Entrechtung der Mütter 14646' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 nichtehelicher Kinder aufgehoben, sondern auch die Verbesserung von Hilfsangeboten in den neuen Bundesländern erreicht, die bisher unzureichend sind, weil eine Beistandschaft mit Vertretungsmacht zur Vaterschaftsfeststellung dort nicht möglich ist. Der Entwurf schafft damit ein weiteres Stück deutscher Rechtseinheit. Auch der Referentenentwurf eines Erbrechtsgleichstellungsgesetzes zielt darauf ab, Unterschiede im Recht der alten und der neuen Bundesländer zu beseitigen. Er schlägt vor, die Sonderregelungen für nichteheliche Kinder, also den Erbersatzanspruch und den vorzeitigen Erbausgleich, zu beseitigen und die nichtehelichen Kinder erbrechtlich voll den ehelichen gleichzustellen. Der Entwurf eines Mißhandlungsverbotsgesetzes schlägt eine Konkretisierung des § 1631 Abs. 2 BGB vor. Nach dieser Vorschrift sind bisher „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen" unzulässig. Was dies konkret bedeutet, insbesondere welche Grenze den Sorgeberechtigten dadurch bei Bestrafungen von Kindern gezogen sind, ist leider vielen nicht bewußt. Zur Klarstellung sollen daher künftig körperliche und seelische Mißhandlungen ausdrücklich für unzulässig erklärt werden. Außerdem strebe ich an, noch in der laufenden Legislaturperiode einen Entwurf vorzulegen, der das Unterhaltsrecht zugunsten nichtehelicher Kinder neu regelt. Im geltenden Unterhaltsrecht gibt es noch immer Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern, insbesondere in der Ausgestaltung einer Mindestunterhaltssicherung und der Anpassung der Unterhaltsrenten an die Veränderung der Lebenshaltungskosten. Auf eine schnelle Vereinheitlichung des Unterhaltsrechtes mit einer vereinfachten Anpassung von Unterhaltstiteln ist dringend hinzuwirken. Eine Verabschiedung der Gesamtreform des Kindschaftsrechts, insbesondere des schwierigen Sorge-und Umgangsrechts sowie des Verfahrensrechts, kann ich redlicherweise nicht für die laufende Legislaturperiode in Aussicht stellen. Die Arbeiten, vor allem in der im Bundesjustizministerium eingerichtetetn interdisziplinären Arbeitsgruppe „Nichtehelichenrecht" , sind zwar gut vorangekommen, werden aber vor Ende der Legislaturperiode nicht abgeschlossen werden können. Ich habe deshalb auch Verständnis dafür, daß der vorliegende Antrag den langen und dornenvollen Weg von der These zur Gesetzesformulierung nicht gegangen ist und statt dessen die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs auffordert. Aus diesem Grund werbe ich aber auch um Verständnis dafür, daß eine Reform dieses Umfangs notwendigerweise eine erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Ich kann heute aber bereits sagen, daß wir bei einer Vielzahl weiterer Probleme im Grundsatz Einigkeit erzielen können. Auch ich will — die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung erleichtern, — eine gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ermöglichen, — das Umgangsrecht verbessern und auf weitere Bezugspersonen wie etwa Großeltern, Stiefeltern oder Pflegeeltern ausweiten, — den Betreuungsunterhalt der Mutter eines nichtehelichen Kindes ausbauen und — Unterschiede im Recht der ehelichen und nichtehelichen Kinder soweit wie möglich beseitigen. Vieles spricht auch für den Vorschlag, den sogenannten Zwangsverband bei der Scheidung abzuschaffen. Es ist nämlich schwer einzusehen, weshalb ein Sorgerechtsverfahren bei der Scheidung auch dann durchgeführt werden muß, wenn die Eltern die gemeinsame Sorge beibehalten und ein gerichtliches Verfahren hierüber nicht wollen. Schließlich wird es bei der Auflösung nichtehelicher Gemeinschaften mit gemeinsamer Sorge einen solchen Zwangsverbund nicht geben können, da hier kein wie auch immer gestaltetes staatliches „Scheidungsverfahren" durchgeführt wird. Würde man bei der Scheidung den Zwangsverbund aufrechterhalten, so würden die Eltern ehelicher Kinder, die die gemeinsame Sorge im Konfliktfall beibehalten wollen, stärker überwacht als die Eltern nichtehelicher Kinder. Das kann schlecht angehen. Nicht verstehen kann ich deshalb, daß der Antrag im Fall der einverständlichen Scheidung verlangt, daß die Eltern dem Gericht einen sogenannten Sorgeplan vorlegen müssen, der ihre Vorstellungen über den weiteren Aufenthalt, die Betreuung des Kindes sowie das Kontaktrecht des Elternteils enthält, der das Kind nicht betreut. Schließlich ist zu bedenken, daß unverheiratete Eltern, die ein gemeinsames Sorgerecht ausüben, im Falle einer Trennung einen solchen Sorgeplan nicht vorlegen müssen. Mit dem Ziel einer sorgerechtlichen Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder ist dieser Vorschlag schwerlich vereinbar. Noch halbherziger ist der Antrag, was die Erlangung der gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern betrifft. Sie wollen hier — anders als bei den Eltern ehelicher Kinder — eine gemeinsame Sorge nur nach vorheriger gerichtlicher Prüfung zulassen. Ich möchte es deutlich sagen: Aus diesem Antrag spricht deutlich ein aus meiner Sicht nicht gerechtfertigtes Mißtrauen gegen die Mütter nichtehelicher Kinder, die die elterliche Verantwortung mit dem Vater teilen wollen. Ich halte hier ein staatliches Prüfungsverfahren für entbehrlich, sogar für überflüssig, und setze mich deshalb dafür ein, die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern schon auf Grund einer übereinstimmenden Erklärung der Eltern eintreten zu lassen. Mit diesen kritischen Bemerkungen sollen die positiven Ansätze des vorliegenden Antrags nicht überdeckt werden. In weiten Bereichen können wir sicher zu übereinstimmenden Lösungen kommen. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, daß diese Chance genutzt wird. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14647* Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag: Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Hans de With (SPD): Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Antrag der SPDBundestagsfraktion auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung zum Verbot des Somalia-Einsatzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache Art. 87 a Abs. 1 des Grundgesetzes für nicht anwendbar erklärt und damit die Entscheidung für diesen Einsatz allein von einer konstitutiven Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages abhängig gemacht. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht dabei nicht unterschieden zwischen Blauhelm-Einsätzen, friedenserhaltenden und friedensschaffenden Einsätzen. Das heißt, der Bundestag kann frei allein nach Zweckmäßigkeitserwägungen seine Entscheidung treffen. Kaum ein Bundeswehreinsatz in diesem Bereich wird gefahrlos sein. Ein Risiko besteht immer. Das war beim Minenräumen im Golf genauso, wie es zur Zeit noch ist bei den Hilfsflügen nach Sarajevo. Die Beteiligung an Somalia-Einsätzen nach den Beschlüssen der Vereinten Nationen haben Zehntausende wenn nicht Hunderttausende vor dem Hungertod und vor dem Bürgerkrieg bewahrt. Ohne Anwesenheit fremder Truppen aufgrund der UNO-Anforderungen droht der Bevölkerung in Somalia erneut Bürgerkrieg und sehr wahrscheinlich Hunger. Deutsche Soldaten sind bereits in Somalia. Das Verfassungsgericht wußte, daß im Beschluß des Bundestages weitere deutsche Soldaten nach Somalia geschickt werden würden. Es hat zudem zu erkennen gegeben, daß es eher Sache der Politik sei, sich zu entscheiden. Unter diesen Umständen kann ich nicht für einen Abzug der deutschen Soldaten votieren. Ich enthalte mich deshalb der Stimme. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.) Ich stimme dem einstweiligen Verbleib von Einheiten der Bundeswehr in Somalia bis zu einer abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu, obwohl ich der Überzeugung bin, daß dieser Einsatz eine Änderung des Art. 87a GG voraussetzt. Der Einsatz der Bundeswehr in Somalia hat nicht nur humanitären, sondern auch militärischen Charakter. Ein humanitärer Einsatz der Bundeswehr in Somalia, wie er von der Bundesregierung ursprünglich den Vereinten Nationen angeboten wurde, ist sinnvoll. Angesichts des vollkommenen Zusammenbruchs der eigenstaatlichen Strukturen des Landes und der politischen Wirren sollte der Bevölkerung durch technische, medizinische und wirtschaftliche Hilfe ein Überleben ermöglicht werden. Der tatsächliche Einsatz der Bundeswehr geht aber über diese Hilfeleistung an die somalische Bevölkerung weit hinaus. Er besteht offenbar auch darin, die unmittelbar kämpfenden Truppen anderer Länder logistisch zu unterstützen und deren militärische Aktionen zu ermöglichen. Das wird besonders eindringlich durch die Erklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros Ghali bestätigt, daß die Gesamtaktion der Vereinten Nationen ohne die eingeplante Beteiligung der Bundeswehr ernsthaft gefährdet sei. Sie ist also ein wesentlichen Bestandteil dieser militärischen Aktion und kann darum nicht anders beurteilt werden als die Aktion selbst. Der Generalsekretär mag zwar seine Erklärung in der Absicht abgegeben haben, dazu beizutragen, daß eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes nicht ergeht. Tatsächlich hat er mit ihr aber bestätigt, daß der Einsatz der Bundeswehr über den Beschluß des Bundestages vom 21. April 1993 über eine humanitäre Hilfeleistung und über die traditionellen „Blauhelm-Einsätze" weit hinausgeht. Durch eine Verfassungsänderung sollte entschieden werden, daß, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen sich die Bundesrepublik Deutschland an militärischen Aktionen der Vereinten Nationen zukünftig beteiligen kann. In einer solchen Verfassungsänderung sollte eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages vor Beginn eines Einsatzes zwingend vorgeschrieben werden, damit Umfang und Dauer, vor allem aber das Ziel und der politische Sinn eines solchen Einsatzes vor der deutschen Öffentlichkeit definiert und begründet werden müssen. Nur so kann festgestellt werden, ob zu dieser Zielsetzung eine so breite politische Übereinstimmung gegeben ist, wie insbesondere eine Wehrpflichtarmee das erfordert. Es sollte bei dieser Gelegenheit auch verfassungsrechtlich klargestellt werden, daß es mindestens ebenso notwendig ist, die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, ein Katastrophenschutzkorps für humanitäre Hilfeleistungen den Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen. Diese Voraussetzungen sind zur Zeit nicht gegeben, weil es zu einer entsprechenden Verfassungsänderung bisher nicht gekommen ist. Das gilt unabhängig davon, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 23. Juni den Erlaß einer Einstweiligen Anordnung abgelehnt hat. Denn das Verfassungsgericht hat in dieser Entscheidung die Grundfrage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ausdrücklich offengelassen. Ich stimme dem einstweiligen Verbleiben der Bundeswehr in Somalia nur deswegen zu, weil die Bundesregierung durch das Angebot an die Vereinten Nationen vom 17. Dezember 1992, durch den Kabinettsbeschluß vom 21. April 1993 und durch die Entsendung eines sogenannten Vorkommandos einen internationalen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aus dem sich die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr ohne einen unstreitigen, international anerkannten und zwingenden Grund lösen kann. Eine zwingende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wäre ein solcher Grund gewesen. Eine streitige Entscheidung des Deutschen Bundestages wird aber schon deswegen international nicht anerkannt werden, weil Teile der Bundesregierung selbst die Auffassung vertreten, daß unsere Verfassung auch militärische Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes und ohne Beschränkung auf die Verteidigung zulasse. Angesichts dieser Sachlage ist der Deutsche Bundestag in seinen außenpolitischen Entscheidungen nicht 14648* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 mehr frei. Selbst wenn man die oben wiedergegebene Erklärung des Generalsekretärs Boutros-Ghali als gutgemeinte Gefälligkeit einordnet, so gibt sie j eden-falls die Erwartungen wieder, die in der Völkergemeinschaft entstanden sind, der die deutschen innenpolitischen Auseinandersetzungen über die Grenzen unserer Verfassung gleichgültig sind. Weder die Bundesregierung, noch die parlamentarische Mehrheit, hat einen Anspruch gegen die Minderheit auf Zustimmung zu einer Verfassungsänderung, mag sie noch so sinnvoll sein. Ich bin der Überzeugung, daß die politische Präjudizierung des Parlamentes in einer solchen Frage zu einer schweren politischen Krise führen wird, wenn sie fortgesetzt wird oder wenn sie das Leben deutscher Soldaten kostet. Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (F.D.P.): Ich stimme dem einstweiligen Verbleib von Einheiten der Bundeswehr in Somalia bis zu einer abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht zu, weil ich der Überzeugung bin, daß auch dieser Einsatz eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzt. Die Hauptaufgabe der deutschen Soldaten wird es sein, „bei Aufbau, Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation für Hilfs- und Logistikgüter" für kämpfende Truppen anderer Nationalitäten mitzuwirken. Erst an zweiter Stelle stehen humanitäre Maßnahmen für die somalische Bevölkerung. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, daß die Unterstützung von Kampfverbänden unter die Kategorie „Humanitäre Maßnahmen" eingestuft werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat den Einsatz deutscher Truppen als „humanitär" klassifiziert. Diese Klassifizierung war die Grundlage für seine Entscheidung. Die oben formulierte Aufgabenstellung und die Ereignisse der letzten Zeit in Somalia zeigen aber, daß eine klare Trennungslinie zwischen humanitären und Kampfeinsätzen nicht zu ziehen ist. Auch die Befürworter von Kampfeinsätzen bestätigen, daß diese Grenze fließend ist. Wenn zudem der Generalsekretär der Vereinten Nationen den Einsatz der Deutschen als unerläßlich für die gesamte Operation der UNO bezeichnet, macht auch er deutlich, daß es sich nicht um einen ausschließlich humanitären Einsatz handeln kann. Ich halte es auch für zumindest diskussionswürdig, ob nicht die „Feindstaatenklauseln" in der UNO-Charta gestrichen werden sollten, bevor deutsche Soldaten für die UNO eingesetzt werden können. Wolfgang Lader (F.D.P.): Ich sage zu diesem Somalia-Einsatz der Bundeswehr Ja. Die wesentlichen Gründe meiner Entscheidung sind: Nachdem das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich zugelassen hat, daß die Bundeswehr in Somalia auf Anforderung der UNO im Rahmen UNOSOM II verantwortliche Aufgaben wahrnimmt, hat der Generalsekretär meiner Partei, Dr. Werner Hoyer, in der Plenardebatte des Deutschen Bundestages am 24. Juni 1993 für die F.D.P. die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Grundsatzposition der Liberalen dargelegt und die Notwendigkeit einer Ergänzung des Grundgesetzes begründet. Mit den von Dr. Hoyer für die F.D.P. festgeschriebenen Grundsätzen und in dem von ihm gesetzten Rahmen ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages zum Kaolitionsantrag vertretbar. Ich hebe dazu insbesondere folgende Punkte hervor: 1. Eine Verfassungsänderung ist auch für die Wahrnehmung derartiger Aufgaben durch Bundeswehrsoldaten, wie sie jetzt in Somalia erfüllt werden müssen, notwendig. 2. Es ist verfassungsrechtlich nach unserem Verständnis festgestellt, daß es sich hierbei entsprechend der Anforderung des UN-Generalsekretärs nicht um einen Kampfeinsatz deutscher Soldaten handelt. 3. Es ist sichergestellt, daß es sich um die Wahrnehmung von Aufgaben handelt, um die die UNO Deutschland gebeten hat und die unter der Leitung und Kontrolle des UNO-Sicherheitsrates oder der von ihm Beauftragten erfüllt werden. Für militärische Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes werde ich keine Zustimmung geben, auch nicht einer entsprechenden Änderung unseres Grundgesetzes. Anlage 4 Erklärung nach j 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Standortsicherungsgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 7) Detlev von Larcher (SPD): Ich leime das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ab. Das sogenannte Standortsicherungsgesetz ist im Vermittlungsausschuß aus meiner Sicht nicht besser geworden. 1. Die Aufkommensneutralität ist allenfalls für das Entstehungsjahr, eine fiktive Größe, gesichert. Schon in 1994 ist eine Einnahmeminderung von ca. 3 Milliarden Mark zu erwarten. In den Jahren 1995 und 1996 wird sich das Einnahmedefizit auf jeweils 5 Milliarden vergrößern. 2. Das Gesetz bringt vor allem für Großunternehmen eine steuerliche Entlastung. Auf viele Klein- und Mittelbetriebe werden zusätzliche Belastungen zukommen. Entsprechende Schreiben von Unternehmen aus meinem Wahlkreis habe ich schon bekommen. Es ist ein mittelstandsfeindliches Gesetz. 3. Das Wichtigste: Ich kann den Menschen in meinem Wahlkreis nicht erklären, wieso in einer Zeit, in der Arbeitslose, Umschüler, Kurzarbeiter, Aussiedler, Schlechtwettergeldbezieher, ABM-Beschäftigte und Sozialhilfeempfänger zur Kasse gebeten werden, die Unternehmenssteuern gesenkt werden. „Dies Sparkonzept erzwingt fortwährend Wiederholungen, weil die Konjunktur weiter nach unten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14649* weggedrückt wird. Vom Arbeitsplatz zunächst in die Kurzarbeit, von dort zunächst in die normale Arbeitslosigkeit, dann in die Langzeitarbeitslosigkeit, bei erschwerten Umschulungs- und ABM-Bedingungen mit der Endstation Sozialhilfe. " So schrieb vorgestern ein bekannter Wirtschaftsredakteur. Recht hat er. Präsident Clinton will die Wirtschaft trotz der enormen Rekordverschuldung seines Staates mit Steuererhöhungen und Konjunkturprogrammen aus der Krise herausführen. Aber diese Bundesregierung betreibt soziale Demontage, obwohl sich das in Großbritannien und den USA als verhängnisvoller Fehler erwiesenhat. Und gleichzeitig werden die Steuern für Unternehmen gesenkt. Die Ärmsten sollen die ganze Last tragen, aber ich, wir alle, die wir hier sitzen, kommen ohne zusätzliche Belastung davon. Dies alles ist die Aufkündigung des sozialen Friedens. Da gibt es für mich nur ein klares Nein. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 21 (a — Antrag: Zukunftssicherung durch freien Welthandel, b — Antrag: Wirtschaftsgipfel 1993 — Die weltwirtschaftliche Strukturkrise gemeinsam überwinden) Dr. Uwe Jens (SPD): In Tokio treffen sich nächste Woche die Regierungschefs der größten Industrieländer der westlichen Welt zu einer der pompösesten Schauveranstaltungen. Seit nunmehr 18 Jahren laufen diese Veranstaltungen immer mit dem gleichen kaum noch zu überbietenden Ritual. Tausende von Journalisten, Tausende von Wirtschaftsexperten und ein Millionenaufwand geben der Veranstaltung einen Rahmen, in dem sich Regierungschefs und Präsidenten sonnen und darstellen können. In krassem Gegensatz zu dem rituellen Getue und Gehabe und der ja schon monarchischen Selbstpräsentation der hohen Herren stehen die Resultate dieser Gipfelveranstaltungen. Was ist bei den letzten Weltwirtschaftsgipfeln von Houston 1990, London 1991 und München in 1992 eigentlich herausgekommen? Schon 1992 herrschte in den meisten Gipfelländern tiefe Rezession. Die Überschrift der sogenannten Willenserklärung von München hieß vielversprechend „Mehr Zusammenarbeit für Wachstum und eine sichere Welt" und „Mehr Sicherheit von Kernkraftwerken in den neuen unabhängigen Staaten der früheren Sowjetunion wie in Mittel- und Osteuropa". Welche Initiativen und konkreten Maßnahmenbündel zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung in den Industrieländern sind denn seitdem getroffen worden? In der Erklärung von München vom vergangenen Jahr heißt es: „Zu viele Menschen sind ohne Arbeit. " Wie wahr! Es heißt weiter in der Erklärung: „Die Gipfelländer verpflichten sich zu einer Politik, die auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum abzielt. Es ist unser Ziel," — so der Wortlaut der Erklärung — „unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage in unseren Ländern die geeigneten Schritte zur Durchsetzung einer gesunden makroökonomischen Politik zu unternehmen, um ein stärkeres dauerhaftes Wachstum voranzubringen. " — Schöne und richtige Ankündigungen, aber nichts, gar nichts wurde erreicht. Es kommt noch besser. In München hat der Bundeskanzler gemeinsam mit seinen Kollegen folgende Leitlinien beschlossen. Wir — also die Regierungschefs — werden — eine solide Geld- und Finanzpolitik verfolgen, um den Aufschwung zu stützen; — den Spielraum für niedrigere Zinsen durch Verringerung öffentlicher Defizite schaffen; — unsere Umwelt- und wachstumspolitischen Ziele durch verstärkte Nutzung marktwirtschaftlicher Anreize und technologische Innovationen besser in Einklang bringen. Anstatt eine solide Finanzpolitik zu betreiben, haben sie die Neuverschuldung auf neue Rekordhöhen getrieben. Daran ändert auch nichts der geplante soziale Kahlschlag mit 20 Milliarden DM Einsparungen. Anstatt, wie noch auf dem Münchner Gipfel groß angekündigt, Spielräume für niedrigere Zinsen zu schaffen, haben sie der Bundesbank den Spielraum für deutliche Zinssenkungen verbaut. Anstatt umwelt- und wachstumspolitische Ziele zu vereinbaren und technologische Innovationen zu fördern — wie sie es auf dem Münchner Gipfel versprochen haben — haben sie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung gekürzt, in der Umweltpolitik versagt und unsere Vorschläge für eine ökologische Modernisierung unserer Volkswirtschaft stets vom Tisch gefegt. Während sich die Regierungschefs und Präsidenten zu einem weiteren pompösen Gipfel in Tokio treffen, hält die Wirtschaftskrise in den Industrieländern unvermindert an. In Europa sind 17 bis 18 Millionen Menschen ohne Arbeit. In Nordamerika sind 10,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Aus Japan wird gerade in den letzten Tagen ebenfalls eine Rekordarbeitslosigkeit (1,7 Millionen) gemeldet. Während sich Regierungschefs und Präsidenten bei Champagner zu Kamingesprächen in Tokio treffen, sind etwa 30 Millionen Menschen in ihren Industrieländern arbeitslos. Und das sind nur die offiziellen Arbeitslosenzahlen aus den Gipfelländern. Wie auch in Deutschland, dürften auch in den USA und Japan die tatsächlichen Zahlen noch viel dramatischer sein. In keinem der Gipfelländer ist ein nachhaltiger Wirtschaftsaufschwung in Sicht. In den USA mußten in den letzten Wochen die viel zu optimistischen Prognosen der Regierung deutlich nach unten korrigiert werden. Präsident Clinton kommt mit seinem Wirtschaftsprogramm nicht durch Kongreß und Senat. Auch in Japan ist ein Wiederaufschwung der Wirtschaft nicht in Sicht. Die Bundesrepublik Deutschland als drittgrößte Industrienation ist das Schlußlicht bei den wirtschaftlichen Grunddaten unter allen Gipfelländern. In den konkreten Handelsbeziehungen ist von der Eintracht der Gipfel-Schauveranstaltungen zwischen den Regierungschefs wenig zu spüren. Zwischen der 14650 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 EG und den USA, den USA und Japan und der EG und Japan wird nicht mehr Handelspolitik im Sinne von Sicherung und Ausbau des freien Welthandels betrieben, sondern es herrscht Handelskrieg. Anders kann man es wohl kaum bezeichnen, wenn wir die täglichen Meldungen über den Streit im Agrarbereich, im Telekommunikationsbereich und über Strafzölle bei Stahl in den Medien verfolgen. Seit nunmehr 8 Jahren wird in der Uruguay-Runde über eine Liberalisierung im Welthandel ohne Ergebnis verhandelt. Das nach dem bisherigen Generalsekretär des GATT benannte „Dunkel-Paket" ist heute nicht mehr das Papier wert, auf dem es geschrieben stand. Dem neuen Generalsekretär Suntherland kann man nur wünschen, daß er mehr Rückendeckung von den Regierungen der Gipfelländer erhält als sein Vorgänger. Der öffentliche Streit über kleinkarierte Handelsprobleme zwischen den großen Handelsblöcken erinnert an die Zeit Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre. Sind die Verantwortlichen nicht in der Lage, aus den Erfahrungen der damaligen Zeit zu lernen? Die „beggar my neighbour policy" scheint sich zu wiederholen. Das war ein wichtiger Grund für das Abrutschen der Weltwirtschaft ins Chaos. Auch sogenannte Intellektuelle tuten vor allem aus Frankreich schon wieder in das gleiche Horn. Ich kann nur warnen: Wer nicht bereit ist, aus der Vergangenheit zu lernen, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Das darf auf keinen Fall sein. Wir und mit uns 30 Millionen arbeitslose Menschen in den Gipfelländern erwarten vom Weltwirtschaftsgipfel: — ein konkretes, zwischen den Weltwirtschaftsnationen abgestimmtes wirtschaftspolitisches Maßnahmenbündel zur Überwindung der Rezession und Wiedergewinnung wirtschaftlichen Wachstums durch Beschleunigen von öffentlichen Investitionen, Förderung gewerblicher Investitionen und durch Initiativen zur ökologischen Modernisierung der Volkswirtschaften; — abgestimmte Zielvorgaben für die mittelfristige Konsolidierung der Haushalte in den führenden Weltwirtschaftsnationen, insbesondere den USA, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik Deutschland; — konkrete Beschlüsse über Eckpfeiler und einen konkreten Zeitplan für den Abschluß der GATT-Verhandlungen. Danach müssen Initiativen für die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialmindeststandards in die Verträge ergriffen werden. Wenn der Weltwirtschaftsgipfel in Tokio sich nicht in diesem Sinne für ein wirtschaftspolitisches Maßnahmenbündel zur Rezessionsbekämpfung bereit findet, hat er seine Existenzberechtigung verloren und sollte besser heute als morgen abgeschafft werden. Pompöse Schauveranstaltungen sind eine Verhöhnung der Millionen von Arbeitslosen, die noch zusätzlich von der Bundesregierung geschröpft werden sollen. Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Nachkriegsordnung hat sich nicht nur in politischer und militärischer Hinsicht fundamental verändert, auch die weltwirtschaftlichen Bedingungen und damit die Aufgaben für die internationale Zusammenarbeit haben sich gewandelt. Wir müssen über die Ordnungselemente der künftigen Weltwirtschaft neu nachdenken. Die Spielregeln des Zusammenlebens der Völker sind dort zu festigen, wo sie sich bewährt haben, dort zu ergänzen bzw. fortzuentwickeln, wo sich neue Felder für die internationale Zusammenarbeit aufdrängen. Der Gipfelprozeß kann hierzu im Zusammenwirken mit den Internationalen Organisationen der Weltwirtschaft einen Beitrag leisten. Der Wirtschaftsgipfel in Tokio vom 7. bis 9. Juli 1993 soll wie schon in München einen straffen Themenkatalog haben, der es den Staats- und Regierungschefs ermöglicht, ihre Zeit und Aufmerksamkeit auf wirklich wichtige und strategische Themen zu konzentrieren. Dazu gehören aus meiner Sicht die Lage der Weltwirtschaft und die Situation in Rußland. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die Unsicherheiten über die weitere wirtschaftliche Entwicklung zwingen zu einer sachlichen und nüchternen Analyse der Ursachen der Wachstumsschwäche. Es geht um eine gemeinsame Strategie für mittelfristiges inflationsfreies Wachstum. Deren Elemente müssen sein: — Ein zügiger Abschluß der Uruguay-Runde, — die mittelfristige Haushaltskonsolidierung in den G7-Ländern, — die notwendigen Strukturreformen. Grundlage der Diskussion dieser Thematik ist ein Bericht der Finanzminister, der vom Münchener Gipfel für Tokio erbeten wurde. Die Spannungen in der Weltwirtschaft sind nicht zuletzt durch wirtschaftliche Konflikte innerhalb der Gruppe der großen Industrieländer verursacht. Wir alle tragen politische Verantwortung, derartige Konflikte, insbesondere im handelspolitischen Bereich, zu begrenzen. Schon jetzt ist erkennbar, daß solche Konflikte unsere freundschaftlichen Beziehungen im transatlantischen Bereich, aber auch im Verhältnis zu Japan gefährden. Man gewinnt den Eindruck, daß mit dem Wegfall der disziplinierenden Wirkung der Ost-West-Konfrontation wirtschaftliche Konflikte die politischen Beziehungen insgesamt zu beeinträchtigen drohen. Die Bundesregierung ist entschlossen, in diesem Zusammenhang ihre Verantwortung wahrzunehmen. Dabei sind folgende Grundsätze maßgebend: 1. Die Bundesregierung wird innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit allem Nachdruck dafür eintreten, daß die europäische Integration nicht durch eine Abschottung der Gemeinschaft nach außen vorangetrieben wird. Die deutsche Wirtschaftspolitik muß deshalb die Anpassungs- und Reformfähigkeit der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weiter stärken, um unseren Wohlstand in einer offenen Weltwirtschaft behaupten zu können. 2. Die Bundesregierung erwartet von der Europäischen Gemeinschaft und von der Europäischen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14651* Kommission eine Außenwirtschaftspolitik, die den Grundsätzen eines offenen, multilateralen Welthandelssystems Rechnung trägt. Schließlich müssen wir auch im G7-Kreis dazu beitragen, dØ die Verfolgung handelspolitischer Interessen nicht bilateralen Arrangements anheim fällt. Die Bundesregierung wird sich nicht an handelspolitischen Konfrontationen gegen Dritte beteiligen. Der beste Weg zur Sicherung des mulitlateralen Systems ist der baldige Abschluß der GATT-Runde. Neben diesen großen weltwirtschaftlichen Orientierungen hat sich der Gipfel mit einer Stärkung von Wachstum und Beschäftigung sowie der weiteren Unterstützung der Reformen in Osteuropa, den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und nicht zuletzt den Entwicklungsländern auseinanderzusetzen. Das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit wird sich nicht lösen lassen über eine globale Steuerung der Nachfrage in den Industrieländern. Es scheint mittlerweile klar zu sein, daß hier nur strukturelle Reformen in vielen Bereichen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zur nachhaltigen Stärkung der weltwirtschaftlichen Wachstumskräfte führen werden. Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung zur dauerhaften Konsolidierung des Haushalts sind ein wichtiges Signal an unsere G7-Partner, daß die Bundesregierung die historische Herausforderung der deutschen Vereinigung nicht nur bewältigen wird, sondern mit einer Politik meistert, die zugleich zum weltwirtschaftlichen Wachstum beiträgt. Die Haushaltskonsolidierung verbessert den Handlungsspielraum der Bundesbank. Sie hat dies gestern genutzt und wird damit auch zum deutschen Beitrag für einen erfolgreichen Gipfel beitragen. Wie Sie wissen, ist Präsident Jelzin wie anläßlich des Gipfels in München auch nach Tokio eingeladen worden. Für die Gespräche mit Präsident Jelzin haben wir eine gute Ausgangsposition durch das multilaterale Unterstützungspaket des Finanz- und Außenministertreffens in Tokio von Mitte April und durch die erneute demokratische Legitimierung Präsident Jelzins durch das Referendum vom 25. April. Auf dieser Grundlage kann die partnerschaftliche Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden. Bei der Umsetzung des Tokio-Paketes steht die Zusammenarbeit Rußlands mit dem Internationalen Währungsfonds, der Aufbau eines Mittelstandes in Rußland und die Privatisierung großer Unternehmen im Mittelpunkt. Generell müssen wir uns um eine noch wirksamere Umsetzung westlicher Hilfen bemühen. Ein besonderes Anliegen deutscherseits ist es, den im letzten Jahr in München eingeleiteten Prozeß zur Erhöhung der Sicherheit der Kernkraftwerke sowjetischer Bauart weiter voranzubringen. Die eingeleiteten Verbesserungen im Bereich der Sofortmaßnahmen müssen jetzt effektiv genutzt werden. Parallel gilt es, den schwierigen Prozeß der längerfristigen Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke voranzubringen. Im Umweltbereich sollte der Gipfel in diesem Jahr die Entschlossenheit zur Umsetzung der Ergebnisse der Rio Konferenz zum Ausdruck bringen. Beim Thema Entwicklungsländer kann Tokio die Gedanken von München aufgreifen und weiterentwickeln. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 22 a bis h (Änderung des Europawahlgesetzes, des Artikels 38 GG, des Bundeswahlgesetzes) Wolfgang Lüder (F.D.P.): In weniger als einem Jahr wird das vierte Europäische Parlament der EG gewählt. Zum ersten Mal sind dann die Bürger in allen Bundesländern, nicht nur in den westlichen, sondern auch in den östlichen einschließlich der Bundeshauptstadt aktiv wahlberechtigt. Mit der gesetzlichen Regelung, die wir heute verabschieden, wird die Rechtsgrundlage dazu gelegt. Wir vollenden die Wiedervereinigung Deutschlands für die parlamentarische Vertretung unseres Landes in Europa. Dies allein ist schon ein wichtiger Schritt. Die Bürger in Berlin, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erhalten zum ersten Mal Gelegenheit, unmittelbar an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, unmittelbar Einfluß zu nehmen auf die parlamentarische Repräsentanz in Europa. Auch wenn es immer noch nicht gelungen ist, auch nicht in den Maastricht-Verträgen und in ihrem Gefolge, dem Europäischen Parlament die Kompetenz und Wirkungskraft einzuräumen, die dem Europa der Demokratien, die dem demokratischen Europa gebührt, ist dies ein Schritt, der zu begrüßen ist. Deutschland, bevölkerungs- und flächenmäßig größer geworden, erhält einen größeren Anteil an den Sitzen des Europäischen Parlaments. 99, nicht, wie bisher, 81 Europaabgeordnete werden unser Land repräsentieren. Wir hoffen und erwarten, daß im ganzen Europa der EG die Voraussetzungen dazu geschaffen werden, daß die dadurch verbundene Erweiterung des Europäischen Parlaments Wirklichkeit werden kann. Nur vorsorglich sage ich: Sollten wegen zeitlicher Verzögerung der Ratifizierung die Bestimmungen zum Direktwahlakt des Europäischen Parlaments nicht rechtzeitig in allen EG-Mitgliedstaaten ratifiziert sein, werden wir darauf hinwirken, daß dies dann alsbald geschieht. In einem solchen Fall, den wir weder wünschen noch erwarten, werden wir unser Recht dahin zu interpretieren haben, daß zunächst die ersten 81 Abgeordneten in das Europaparlament einziehen, dann, sobald die europarechtliche Grundlage geschaffen ist, die weiteren Kolleginnen und Kollegen aus den Plätzen 82 bis 99 zum Zuge kommen, sobald der letzte EG-Nachzüglerstaat die Bremse dazu gelockert hat. Das heute vorgelegte Gesetz gibt dazu die nötige Legitimation. Das heute vorgelegte Gesetz ist unvollkommen, weil es die Intentionen Europas noch nicht voll umsetzt, noch nicht voll umsetzen kann: es entspricht 14652* Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 dem Geist der Maastrichter Verträge, es entspricht den politischen Vereinbarungen in Europa, es entspricht den Ergebnissen des EG-Gipfels von Edinburgh, daß an den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im jeweiligen Mitgliedstaat auch diejenigen EG-Bürger teilnehmen können, deren Paß noch nicht die Nationalität ihres Wohnsitzes ausweist. 5 Millionen Europäer leben außerhalb der traditionellen Grenzen ihres staatlichen Gemeinwesens. 5 Millionen Europäer wären nach dem bisherigen traditionellen Recht von den Wahlen zum Europäischen Parlament ausgeschlossen. Dies zu andern war und ist Absicht aller europäisch motivierten Politiker. Ein entsprechender Richtlinienvorschlag ist in den Gremien der Gemeinschaft ausgearbeitet, wird dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament möglichst schnell, hoffentlich noch in diesem Monat, unterbreitet. Wir erwarten, daß die entsprechende Richtlinie, die allen Europäern in allen europäischen Ländern für das gemeinsame Europäische Parlament das eigene Wahlrecht gibt, rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr nächsten Jahres in Kraft tritt. Wir haben uns im Innenausschuß über die Parteigrenzen hinweg darauf verständigt, daß wir dies wollen und daß wir die Bundesregierung bitten, beschleunigt darauf hinzuwirken. Sobald das Europarecht die Voraussetzungen dazu schafft, werden wir daher in einem weiteren Änderungsgesetz zum Europawahlgesetz innerstaatliches Recht schaffen, um der Realisierung Europas näher zu kommen. 290 000 deutsche Mitbürger würden durch die Europäisierung des europäischen Wahlrechts wahlberechtigt. 290 000 Deutsche leben in EG-Staaten außerhalb unserer traditionellen Staatsgrenze. Ihnen das Mitbestimmungsrecht in europäischen Belangen in gleicher Weise zu geben, wie es die anderen Europäer haben, ist eine der wichtigen Aufgaben auf dem Weg zu einem vereinten Europa. In dem Bundesland, in dem ich die liberale Landesliste für die Bundestagswahlen angeführt habe, in der Bundeshauptstadt Berlin, würde es zu etwa 40 000 zusätzlichen Wahlberechtigten führen. 40 000 Berliner sind EG-Bürger, ohne den deutschen Paß zu besitzen. Auch um diese Landsleute geht es mir. Und dann wird es darauf ankommen, daß wir die Europäer mobilisieren, für Europa eine aktive Wahlbeteiligung zu bringen. Ich bin zuversichtlich, daß es der F.D.P. mit ihrer voraussichtlichen Spitzenkandidatin Uta Würfel gelingen wird, Europa zum gemeinsamen Erfolg zu bringen, die europäischen Wahlen mit hoher Wahlbeteiligung und guten Ergebnissen zu bestehen. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Von der Mehrzahl der Gesetzentwürfe, die Ihnen heute zur Beratung vorliegen, möchte ich an dieser Stelle zwei besonders hervorheben. Es handelt sich dabei zum einen um den Entwurf des Zustimmungsgesetzes zum EG-Direktwahlakt, zum andern um den Entwurf zur Änderung des Europawahlgesetzes, zwei Gesetzentwürfe, die erfreulicherweise wenig Kontroverse hervorrufen dürften. Alle Fraktionen des Hauses und die politischen Parteien haben ein großes Interesse daran, daß die zusätzlichen deutschen Sitze im Europaparlament so früh wie möglich vor den Europawahlen 1994 zur Verfügung stehen. Wie Sie wissen, hatte das Europäische Parlament im Gefolge der deutschen Einigung bereits im Oktober 1991 mit großer Mehrheit eine Erhöhung der deutschen Abgeordnetensitze im EP um 18 vorgeschlagen. Nach dem schließlich verbindlichen Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 1. Februar 1993 zur Anpassung der Anzahl der Mandate im Europäischen Parlament hat die Bundesregierung — wie Ihnen bekannt ist — schnell gehandelt. Bundesrat und Bundestag haben den Gesetzentwurf zur Änderung des Direktwahlaktes zügig beraten, so daß wir, wenn Sie heute diesem Gesetzentwurf zustimmen, das innerstaatliche Verfahren auf der Plenarsitzung des Bundesrates nächste Woche abschließen können. Damit wäre Deutschland nach Irland das zweite Land, das die Ratifikation vollzieht. Auch in den anderen Mitgliedstaaten sieht das Gesamtbild, was den Zeitplan der Ratifizierung angeht, nicht ungünstig aus. Fünf Länder — die Benelux-Staaten sowie Griechenland und Portugal — haben ebenfalls das Ratifikationsverfahren eingeleitet und werden dieses z. T. noch vor der Sommerpause abschließen. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch weiterhin bei den übrigen Mitgliedstaaten für eine zügige Umsetzung des Ratsbeschlusses einsetzen. Die Erhöhung der deutschen Abgeordnetenzahl durch den Direktwahlakt muß auch im Europawahlgesetz umgesetzt werden. Dazu dient die heute in zweiter und dritter Lesung beratene Novelle. Sie enthält darüber hinaus einige Anpassungen an das Bundeswahlgesetz und Übergangsregelungen für die neuen Länder, in denen bisher noch keine Europawahl stattgefunden hat. Das sogenannte Wohnsitzprinzip, das durch Art. 8 b des Vertrags über die Europäische Union eingeführt werden soll, konnte in dem Gesetz noch nicht berücksichtigt werden. Zwar hat die Kommission soeben einen ersten informellen Richtlinienentwurf vorgelegt, seine Verabschiedung durch den Rat nach vorangegangener Anhörung des Europäischen Parlaments wird aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Aus diesem Grunde sollte die Umsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts für Unionsbürger bei der Europawahl in einer eigenen weiteren Novelle erfolgen. Lassen Sie mich abschließend zu den Ihnen heute ebenfalls vorliegenden Gesetzentwürfen der Gruppe PDS/Linke Liste zur Änderung des Bundes- bzw. des Europawahlrechts nur kurz folgendes bemerken: Ein allgemeines Wahlrecht für Ausländer läßt sich mit den tragenden Grundsätzen unserer Verfassung, den Art. 20 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG, nicht vereinbaren. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht noch 1990 in seiner Entscheidung im 83. Band S. 37 ausdrücklich hingewiesen. Das bisherige Wahlsystem für die Wahlen zum Deutschen Bundestag sowie für die Wahlen zum Europäischen Parlament hat sich bewährt. Das Bundesverfassungsgericht hat Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14653* in ständiger Rechtsprechung die im Bundes- sowie im Europawahlgesetz vorhandene Sperrklausel von 5 v. H. für unbedenklich gehalten. Eine der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl vergleichbare Regionalisierung der Sperrklausel auf das Gebiet der alten Länder einerseits, der neuen Länder andererseits ist heute verfassungsrechtlich nicht mehr geboten. Aber auch verfassungspolitisch wäre eine derartige Regelung wenig wünschenswert, da sie zumindest wahlsystematisch die Trennung der Wahlgebiete fortschreiben würde. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 8 (Aktuelle Stunde: Nutzung von Informationen der Staatssicherheit und anderer Geheimdienste über westdeutsche Politiker durch die Bundesregierung) Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Eine gewisse Berechtigung liegt in der Politik der Großen Koalition der CSU bis SPD, die Aktuelle Stunde auf Freitagabend zu verlegen. Kein Mensch kann ernsthaft davon ausgehen, heute abend den von ihnen aufgeführten Schlamm von Gerüchten, gezielter Desinformation und parteipolitischen Zweckmäßigkeiten auch nur ansatzweise zu klären. Man muß heute abend feststellen, daß die Bundesregierung in den letzten Wochen alles unternommen hat, um Spuren zu verwischen und in den entscheidenden Fragen absolute Geheimhaltung aufrechtzuerhalten. Daran dürfte sich zukünftig auch wenig ändern. Selbst in der banalsten Frage des Falls Vöcking betreibt die Bundesregierung eine stoische Politik der Auskunftsverweigerung: nämlich in der Frage, ob die Bundesregierung Akten, Mikrofilme etc. vom KGB oder anderen Geheimdiensten erhalten hat, in denen MfS-Akten über westdeutsche Politiker ausgewertet worden sind. Während diese Auskunftsverweigerung selbst gegenüber parlamentarischen Kontrollgremien schon fast ins Komische gesteigert wird, kann mensch aus Medien mittlerweile relativ detaillierte Auskünfte über die Art der Sendung erhalten, wenn auch alles als Spekulation. Haben wir in den letzten Wochen beim politischen Schlachtfest des Grundgesetzes das fatale Mitmachen der größten Oppositionspartei, der SPD, erleben können, so ist dies auch bei der schleichenden politischmoralischen Hinrichtung dieser Republik das erste, was in die Augen springt: ein Geflecht von Parteicliquen und Geheimdienstexperten bestimmt darüber, was Bürger und Bürgerinnen erfahren können und was vor allem eben nicht. Denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Schon bei der Ausarbeitung und Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes haben wir darauf hingewiesen, daß wir durch die Aneignung entscheidender Aktenbestände durch die Geheimdienste, eine Aufarbeitung der Geschichte der DDR und der BRD von Gnaden der Geheimdienste haben. Die historische Aufarbeitung der Geschichte der beiden deutschen Staaten erfolgt durch die lancierte und gefilterte Herausgabe von Akten durch bundesdeutsche Geheimdienste und die Bundesregierung. Meine Damen und Herren, was kann man heute inhaltlich zum „Fali Vöcking" sagen? Wieso geht ein Abteilungsleiter im Kanzleramt, der zuständig für die Geheimdienste ist, los, um einer Journalistin einer Regionalzeitung illegal Akten zukommen zu lassen? Wieso geht er das hohe Risiko einer Enttarnung ein? Und war es beabsichtigt, daß diese Journalistin die Akten an die SPD, quasi als Warnschuß, weitergibt? Vielleicht war bei dieser Übergabeaktion, die jeder beliebige kleine Agent hätte durchführen können, gerade die Symbolik entscheidend. Hier wurde auf höchster Ebene entschieden und gehandelt. Vermutlich wollte man gar nicht eine relativ unbedeutende Landtagswahl manipulieren. Denkbar wäre eben durchaus, daß man durch zeitgleich öffentlich vorgetragene Anschuldigungen des ehemaligen VS-und BND-Chefs Hellenbroich aufgeschreckt worden war, nach denen ein ranghoher Politiker aus der Regierungskoalition für MfS gearbeitet haben soll. Logisch wäre, daß die SPD hiermit aufgefordert worden ist, das gegenseitige Stillhalteabkommen über eine Zusammenarbeit von einzelnen Politikern unbedingt einzuhalten. Denn zu der Zeit, als Vöcking die internen Akten in die Öffentlichkeit lancierte, da tauchten in anderen Presseorganen Akten über den IM „Tulpe" auf. Und es wurde innerhalb der Öffentlichkeit zum Sport, darauf zu warten, welcher Politiker oder gar Minister denn demnächst amtsmüde werden würde oder aus gesundheitlichen Gründen sein Amt rechtzeitig vor einer Enttarnung zur Verfügung stellt. Denkbar ist, daß der Fall Vöcking dazu beigetragen hat, daß man erst heute aus dem Prozeß gegen den HVA-Chef Wolf erfährt, daß der damalige Büroangestellte Kinkel des damaligen Außenministers Genscher schon ein Jahr vor der Aufdeckung über den „Fall Guillaume" informiert war. Wie in vielen anderen Fällen auch, wurden vernünftige Wege zum Umgang mit Akten und Geheimdienst ausgeschlagen. Weder über eine Amnestie wurde ernsthaft nachgedacht, noch wurde die Bedeutung der Geheimdienste massiv zurückgedrängt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 23 (Entwurf eines Verfahrensgesetzes zu Artikel 44 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertrag — vom 31. August 1990) Monika Brudlewsky (CDU/CSU): Zwar verwundert es, daß Herr Dr. Gysi durch seinen Antrag das Parlament zwingt, sich mit einer Angelegenheit zu befassen, die eigentlich durch die Antwort der Bundesre- 14654* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 gierung auf eine fast Bleichlautende Kleine Anfrage des Abgeordneten Gysi geklärt wurde. Dennoch halten wir uns natürlich an die demokratischen und parlamentarischen Spielregeln. Einer juristischen Bewertung des Antrags möchte ich mich heute enthalten und statt dessen auf Punkt 5 der Begründung Ihres Antrags eingehen. Schon der erste Satz dieses Abschnitts stößt bei mir auf Unverständnis: Ich frage mich, wie jemand aus einem zwischen zwei Parteien geschlossenen Vertrag Rechte politisch geltend machen will. Nach meinem Verständnis läßt sich über die Ergebnisse der Vertragsverhandlungen sicherlich politisch streiten; die Geltendmachung der im Vertrag festgelegten Rechte muß jedoch nach meinem laienhaften Verständnis wohl den dort genannten Rechtsträgern überlassen bleiben. Ich bin sicher, daß dies die neuen Bundesländer leisten können. Diese haben mittlerweile eine Struktur, die es ihnen erlaubt, ihre Interessen im eigenen Land, beim Bund und in Europa hervorragend zu vertreten. Ich stimme mit Ihnen, Herr Gysi, darin überein, daß die politische Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland derzeit und zukünftig durch die Unterschiede in Ost und West geprägt wird. Ich teile jedoch nicht Ihre Auffassung, daß die Bürger der neuen Länder zur Bewältigung der Ost-West-Probleme eines politischen „Konfliktregulierungsmechanismus" — was immer Sie sich auch darunter vorstellen mögen — bedürfen. Seit der Wende und der damit verbundenen Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens haben die Bürger erkannt, welche Möglichkeiten ihnen ein demokratischer Staat zur Durchsetzung und Wahrung ihrer Interessen bietet. Besonders in diesem Jahr, und dies wurde mir von Kollegen bestätigt, konnte ich feststellen, daß die ehemaligen DDR-Bürger vermehrt die ihnen zustehenden Rechte in Form von Widersprüchen oder Gerichtsverfahren wahrnehmen und sich darüber hinaus in Verbänden und Interessenvereinigungen zusammenschließen, um so ihre Probleme auch in Bonn vorzutragen. Längst ist die anfängliche Lethargie in den neuen Ländern überwunden, ohne daß damit alle Probleme gelöst wären. Die bisherigen Regulierungsversuche, auch die von Herrn Gysi mitgegründeten Komitees für Gerechtigkeit, haben ganz klar als Alternativen versagt. Für mich steht außer Frage, daß die Mitglieder dieses Hauses entscheidend dazu beitragen können, die Ost-West-Probleme weiterhin abzubauen. Hierzu ist es unbedingt notwendig, sich der Probleme der Leute vor Ort in den Wahlkreisen ehrlich anzunehmen und diese in die politische Diskussion in Bonn einzubringen. Dabei dürfen wir nicht davor zurückschrekken, den Bürgern die politischen, juristischen und monetären Grenzen aufzuzeigen. Das, Herr Gysi, ist der einzig gangbare Weg. Hans-Joachim Hacker (SPD): Der Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste geht von der Voraussetzung aus, daß die Frage der Aktivlegitimation bei der Wahrnehmung von Rechten aus Art. 44 des Einigungsvertrages unklar sei und es weiterhin einer Klärung der Gerichtszuständigkeit bedürfe. Bei allen Problemen, die uns die Bundesregierung Kohl mit falschen Weichenstellungen und Versprechungen im Zuge der Herbeiführung der Einheit und in der Zeit danach beschert hat, meine ich, diese Fragen bedürfen keiner gesetzlichen Klarstellung. Halten wir uns den Text des Art. 44 des Einigungsvertrages vor Augen. Er lautet: „Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Wirksamwerden des Beitritts von jedem dieser Länder geltend gemacht werden." In der Denkschrift zum Einigungsvertrag wird der Wortlaut des Art. 44 des Einigungsvertrages dahingehend interpretiert, daß in Anknüpfung an eine gemeindeutsche Rechtstradition klargestellt wird, daß solche Rechte künftig von den Selbstverwaltungskörperschaften prozessual geltend gemacht werden können, die als Repräsentanten der untergegangenen DDR angesehen werden können. Die Vorschrift regelt nicht und kann eine derartige Regelung auch nicht treffen, vor welchem Gericht derartige Rechte eingeklagt werden können. Die Gerichtszuständigkeit ist von den im Einzelfall geltend gemachten Ansprüchen abhängig. Soweit zur Gesetzeslage und deren verbindlicher Interpretation. Zu fragen bleibt allerdings, ob die Interessen der Bürgerinnen und Bürger der neuen Länder in ausreichendem Maße hier in Bonn vertreten werden. Eine sinngemäße Fragestellung wird in der Denkschrift der PDS/Linke Liste „Blickpunkt Einigungsvertrag", die von einem hochkarätigen Professorenkollektiv ausgearbeitet wurde, auch aufgeworfen. Auf Seite 17 der Denkschrift vom März 1993 heißt es: 3. Kann der Einigungsvertrag der Durchsetzung ostdeutscher Interessen dienen? Diese Frage stellt sich natürlich angesichts des tatsächlichen Charakters dieses ungleichen Vertrages, gleichwohl ist sie eindeutig mit „Ja" zu beantworten: Der Wortlaut des Vertrages enthält Zielstellungen, Regelungen und Bestimmungen, auf deren Einhaltung und objektiver Auslegung gedrungen werden muß, weil sie berechtigte Interessen der Bürger der neuen Bundesländer zum Ausdruck bringen. Als geltendes Bundesrecht enthält der Einigungsvertrag Handlungsaufträge für die politischen Entscheidungsträger in der Bundesrepublik, für Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sowie Ministerien und andere Einrichtungen öffentlichen Rechts zur Umsetzung der Zielstellungen, Regelungen und Bestimmungen des Vertrages. Aus der staatsrechtlichen und staatsvertragsrechtlichen Qualität des Einigungsvertrages ergibt sich ein Gebot der Bundestreue gegenüber den neuen Bundesländern zur Einhaltung des Vertrages. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14655* Ich meine auch, daß spezifische Interessen der neuen Länder und ihrer Bürgerinnen und Bürger von der Mehrheit dieses Hohen Hauses nicht ausreichend vertreten wurden. Zu nennen sind insbesondere die Bereiche — Treuhandpolitik, — eigentumsrechtliche Fragen, — 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, — Mieterschutz. Dieses sind allerdings keine Fragen der Einklagbarkeit von Rechten aus Art. 44 des Einigungsvertrages, sondern der politischen Willensbildung in Bundestag und Bundesrat. An dieser Stelle muß nachdrücklich unterstrichen werden, daß sich die CDU-regierten neuen Länder trotz anderslautender verbaler Erklärungen in nicht nur einem Fall den Vorgaben und Direktiven der Bundesregierung unterworfen haben. Es ist also keine Frage von Ost oder West, sondern eine Frage des politischen Standpunktes. Und auf den politischen Standpunkt kommt es doch an. Die Vertretungskörperschaften der neuen Länder sind und bleiben aufgefordert, als Interessenwahrer der Bürgerinnen und Bürger zu fungieren, d. h. die bestehenden Möglichkeiten der Rechtswege auszuschöpfen und, sofern notwendig, Gesetzesinitiativen zu ergreifen. Aus vorstehenden Darlegungen ergibt sich m. E. schlüssig, daß sich die SPD-Bundestagsfraktion dem vorliegenden Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste nicht anschließen kann. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Antrag der PDS/ Linke Liste greift einen Artikel des Einigungsvertrages heraus. Mit diesem Vertragswerk war die damalige DDR gemäß ihrem Beitritt in die Verfassungs- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland integriert worden. In den umfangreichen Anlagen war in einer Überleitungsgesetzgebung durch Vertrag der angemessen zielführende und zugleich schonende Übergang auf das neue Rechtssystem sichergestellt worden. Durch Art. 45 des Vertrags wird zudem gewährleistet, daß der Bundesgesetzgeber im Interesse rascher Herstellung der Rechtseinheit wie auch im Interesse sachgerechter Berücksichtigung besonderer Entwicklungsschwierigkeiten die Einzelnormierungen des Vertragswerks fortschreiben und ändern kann. Allerdings sind beim Beitritt eines Staats immer auch Regelungen denkbar, die längerfristige oder dauerhafte Reservatrechte für die Bevölkerung dieses Staatswesens festhalten sollen. Dies war auch bei der Herstellung der deutschen Einheit der Fall. Hierfür ist in Art. 44 des Einigungsvertrags eine Verfahrensvorschrift getroffen worden, nach der diese Reservatrechte durch jedes Bundesland im Beitrittsgebiet geltend gemacht werden können. Der Einigungsvertrag hat hierbei an eine gemeindeutsche Rechtstradition angeknüpft, die vom Bundesverfassungsgericht in Rechtsstreitigkeiten näher erläutert worden ist, die noch auf die Vereinigung Coburgs mit dem Freistaat Bayern im Jahre 1920 zurückgehen. Danach werden die Befugnisse des untergegangenen Staates von der verbleibenden jeweils nächsten Ebene — im Fall Coburgs durch die Stadt- und Landkreise, im Falle der DDR durch die Bundesländer — geltend gemacht. Dies hat Art. 44 im Einigungsvertrag verdeutlicht. Die Reservatrechte können und müssen innerhalb der jeweils einschlägigen Verfahren unmittelbar durchgesetzt werden, ohne daß es hierfür noch weiterer Ausführungsvorschriften in prozessualer oder materieller Hinsicht bedarf. Dies galt nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts im Falle Coburg; es gilt hier in gleicher Weise. Die Bundesregierung hat hierauf in ihrer Antwort auf eine Kleine Frage der Antragsteller in Bundestags-Drucksache 12/4980 schon eingehend hingewiesen. Meine Damen und Herren, es ist das stete Bemühen der Bundesregierung, nach der Herstellung der äußeren Einheit die innere Einheit herzustellen und gleichwertige Lebensbedingungen aller Teile Deutschlands zu schaffen. Es wird noch geraume Zeit besonderer Anstrengungen aller und auch besonderer gesetzgeberischer Aktivitäten bedürfen, um dieses Ziel so rasch wie möglich zu erreichen. Anlage 9 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Drucksachen 12/4183, 12/4501 Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/4141, Drucksachen 12/4237, 12/4375 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 12/4207 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/4006 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 12/4062 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/4508 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 12/4377 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Haushaltsausschuß Drucksachen 12/4797 Nm. 3.5, 3.6, 12/5190 Nrn. 2.2, 2.3, 2.4 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksachen 12/2774 Nr. 2.34, 12/3317 Nr. 2.5
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216900000
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst zum Amtlichen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Kürzungspläne der Bundesregierung im Sozialbereich im Hinblick auf die Empfehlungen des Europäischen Rates zum sozialen Schutz der Bürger (In der 167. Sitzung bereits erledigt.)

2. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Forderung nach Freigabe von Heroin (In der 168. Sitzung bereits erledigt.)

3. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 24)

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes — Drucksache 12/5317 —
4. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzungen zu TOP 25)

g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 110 zu Petitionen — Drucksache 12/5329 —
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 111 zu Petitionen — Drucksache 12/5330 —
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 112 zu Petitionen — Drucksache 12/5331 —
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Viertes Mietrechtsänderungsgesetz) — Drucksachen 12/3254, 12/5110, 12/5224, 12/5342 —
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Anderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes — Drucksachen 12/4518, 12/5011, 12/5223, 12/5237, 12/5343 —
7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz — StandOG) — Drucksachen 12/4158, 12/4487, 12/5016, 12/5222, 12/5236, 12/5341 —
8. Aktuelle Stunde: Nutzung von Informationen der Staatssicherheit und anderer Geheimdienste über westdeutsche Politiker durch die Bundesregierung
Außerdem ist vereinbart worden, daß zu Punkt 19, Reform des Kindschaftsrechts, die Reden zu Protokoll gegeben werden.*)
Darüber hinaus hat der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, daß in der Sitzungswoche vom 6. September 1993 mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden.
Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten

(Gewinnaufspürungsgesetz — GewAufspG) — Drucksachen 12/2704, 12/2747 —


(Erste Beratung 95. Sitzung)

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/5298 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Johannes Singer
Dr. Burkhard Hirsch
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/4796 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5328 vor, über die wir im Anschluß an die Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen.
*) Anlage 2



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. — Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1216900100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kriminalitätsbekämpfung hat für die Union längst höchste Priorität, denn die nackten Zahlen sprechen eine traurige Sprache. Mehr als 6 Millionen Straftaten wurden in der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr registriert. Alarmierend sind insbesondere die Ausbreitung des organisierten Verbrechens, die Rauschgiftkriminalität, also Kriminalitätsbereiche, bei denen die Gewinnerzielung im Vordergrund steht. Deswegen muß die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gerade bei der Gewinnerzielung ansetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben den ersten Schritt bereits im vergangenen Jahr getan. Wir haben das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität als Unions- und F.D.P.-Koalition hier im Bundestag gemeinsam beschlossen. Wir haben beschlossen, das Rechtsinstitut des erweiterten Verfalls einzuführen. Wir haben eine zusätzliche Vermögensstrafe eingeführt, die es ermöglicht, bei bestimmten schweren Fällen der organisierten Kriminalität die Täter zur Zahlung eines Geldbetrags bis zur Höhe ihres gesamten Vermögens zu verurteilen. Schließlich haben wir in das Strafgesetzbuch eine Vorschrift eingeführt, die das Waschen von Gewinnen unter Strafe stellt.
Dies haben die Koalitionsfraktionen gegen den Widerstand der Opposition durchgesetzt. Ich bin daher sehr enttäuscht, daß die Opposition ihre damalige Verweigerungshaltung nicht endgültig aufgibt, sondern daß sie diese Politik heute fortsetzt. Bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität stand fest, daß wir ergänzend ein Gesetz zum Aufspüren der durch Verbrechen erzielten Gewinne brauchen.
Mit dem heute vorliegenden Geldwäschegesetz werden die Banken und andere Kreditinstitute in die Pflicht genommen, indem sie durch Gesetz in den Kampf gegen Geldwäsche eingebunden werden. Ich meine, es ist richtig, daß wir die Banken einbinden, denn die Bekämpfung der Kriminalität ist eben nicht nur Aufgabe des Staates, sondern Aufgabe aller Bürger, Aufgabe der gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Banken werden verpflichtet, bei Geldgeschäften über dem Schwellenbetrag von 25 000 DM Kunden zu identifizieren, wenn diese dem Institut nicht persönlich bekannt sind. Sobald irgendein Verdacht auf Geldwäsche vorliegt, müssen die Banken — das regeln wir gesetzlich so — unmittelbar die Strafverfolgungsbehörden informieren. Damit wird es möglich, Spuren für den Nachweis von Geldwäschetransaktionen festzuhalten und Anhaltspunkte für die Verfolgung von Geldwäschestraftaten zu finden.
Der Bundesrat — das wissen wir — hat in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes viele Punkte behandelt. In den Gesprächen mit den Berichterstattern konnte in bezug auf diese Punkte weitestgehend Einigung erzielt werden. Lassen Sie mich die beiden wichtigsten Positionen
auf greif en.
Erstens. Der Schwellenwert wird für Finanztransaktionen einschließlich der Einzahlung auf Konten auf 25 000 DM festgelegt. Der ursprüngliche Schwellenbetrag war 50 000 DM und 30 000 DM. Es war gut, daß wir diesen Schwellenbetrag herabgesetzt haben. Aber man darf natürlich auch die Motivation der Bankangestellten nicht außer acht lassen. Ist der Betrag zu gering, so könnte es durchaus passieren, daß die Aufmerksamkeit der Bankangestellten nicht gerade größer wird. Das ist das Problem. Wir wollen die Bevölkerung motivieren. Wir wollen sie daran beteiligen, organisierte Kriminalität zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Deswegen meine ich: Was wir vorgeschlagen haben, ist ein akzeptabler Kompromiß zwischen kriminalpolitischen Erfordernissen auf der einen Seite und dem für die Banken Zumutbaren und realistisch Machbaren auf der anderen Seite.
Ein zweiter Komplex hat viel Diskussion verursacht. Ich meine das sogenannte Anwaltsprivileg. Wir haben es uns nicht leichtgemacht, als wir versuchten, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Der von der Bundesjustizministerin insbesondere geforderte
Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant kann — das ist richtig — keine Privilegierung rechtfertigen. Das mit dem Geldwäschegesetz verfolgte Ziel, die Bekämpfung des organisierten Verbrechens, läßt dies nicht zu. Es läßt nicht zu, daß bestimmte Gruppen von den Pflichten
des Gesetzes ausgenommen werden.
Auch hier konnten wir letztlich eine Regelung finden, mit der dem sicherheitspolitischen Anliegen Rechnung getragen wird, die aber zugleich das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten sichert. Denn erstens informiert der Anwalt seine Kammer über die Anlegung eines Anderkontos. Gleichzeitig werden auch die Banken verpflichtet, die Kammer entsprechend zu informieren. Zweitens. Sobald ein Verdacht auf Geldwäsche gegeben ist, sind die Kammern kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden sofort zu informieren. Drittens ist diese Kammerverpflichtung bußgeldbewehrt.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein sehr scharfes Instrument!)

Das heißt, wenn die Kammer dieser gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommt, ist ein Bußgeld in Höhe von 100 000 DM bzw. 200 000 DM fällig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Lächerlich ist das!)

— Ich finde nicht, daß das lächerlich ist.

(Johannes Singer [SPD]: Wir finden das aber doch!)




Erwin Marschewski
Das hat der Bundesrat auch nicht kritisiert. Wir haben gerade gegen den Bundesrat die Summe verdoppelt. Das war eine gute Leistung der Koalition

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein Meilenstein in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens!)

und, wie ich in diesem Punkt sagen muß, vielleicht von ein paar Kollegen Ihrer Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

— Nicht schreien, sondern etwas nachdenken, Frau Kollegin, am frühen Morgen!
Der besondere Charme dieser Regelung ist: Es erfolgen zwei Meldungen. Zum einen sagt der Anwalt der Kammer Bescheid, zum zweiten informiert die Bank die Kammer. Ich finde, daß dies eine gute Kontrolle ist. Diese Regelung hat ihren Sinn. Sie können sich darauf verlassen: Gerade die Kammern werden doch alles versuchen, schwarze Schafe in ihren Reihen aufzudecken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist der Sinn. Sie kennen die Leute doch viel besser als die oder der Bankangestellte. Die Kammern wollen dies gerade verhindern. Deswegen halte ich die jetzige Regelung des Anwaltsprivilegs für effizienter als die Regelung, die der Bundesrat vorgeschlagen hat. Wir werden darüber — ich sehe das schon kommen — selbstverständlich im Vermittlungsausschuß diskutieren. Ich halte diese Regelung für effizienter.
Nun zu Ihnen. Ich habe gelesen, lieber Kollege Johannes Singer, daß Sie gesagt haben, die Koalitionsfraktionen verhunzten das Geldwäschegesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf des Abg. Johannes Singer [SPD])

— Es ist eben nicht so. Sie wissen — und wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie das auch —,

(Johannes Singer [SPD]: Wir sind immer ehrlich!)

daß meine Fraktion in erheblicher Weise dazu beigetragen hat, Gesetzesverbesserungen zu erreichen;

(Johannes Singer [SPD]: Gesetzesverwässerungen!)

aber — und jetzt komm ich zu Ihnen, meine Damen und Herren — die SPD verweigert sich. Ja, Sie verweigern sich, und Sie tun es offensichtlich deswegen, weil Sie neuerdings beschlossen haben, in Opposition zu machen. Ich sage Ihnen aber: Es ist genau der falsche Platz, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität einen solchen Beschluß zu fassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Johannes Singer [SPD]: Unglaublich! Warten wir auf nächstes Jahr! Dann sind wir an der Regierung!)

— Ich glaube nicht. Wenn Sie so weitermachen, dann
sieht es im nächsten Jahr genauso aus; dann haben Sie
die Minderheit und wir natürlich nach diesem großar tigen Gesetz erneut die Mehrheit.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wir haben doch keinen Karneval!)

Deswegen wäre gemeinsames Handeln nötig gewesen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, mit der Einführung eines Straftatbestandes Geldwäsche in § 261 des Strafgesetzbuches und mit dem Geldwäschegesetz letzten Endes hat diese Koalition eine wesentliche Grundlage im Kampf gegen das organisierte Verbrechen geschaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der F.D.P.: Das ist wahr! — Hermann Bachmaier [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)

Ich meine, die Beschlußfassung — das wäre der vierte Punkt — über das Abhören von Verbrechern in deren Wohnungen muß noch folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden in Kürze eine parlamentarische Initiative hierzu starten. Wir werden sehen, wie Sie dann votieren werden.
Das Ziel ist: Wir wollen uns gegen die Bedrohung des inneren Friedens durch Kriminelle entschlossen zur Wehr setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen Gesetzesbrecher konsequent zur Verantwortung ziehen und wollen so den inneren Frieden und die Freiheit unserer Bürger sichern.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Marschewski, das war ganz, ganz schwach!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216900200
Als nächster spricht Herr Abgeordneter Johannes Singer.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist ein solider Mann!)


Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1216900300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition ist, wenn es um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität geht, immer für starke Sprüche gut.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Heiße Luft! — Zuruf von der CDU/CSU: Auch für Taten!)

— Taten haben wir bisher erfolglos angemahnt.
Sie haben mir das Stichwort gegeben, Herr Marschewski: Das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, das im vergangenen Jahr am 4. Juli verabschiedet wurde, stammte weder von der Bundesregierung noch aus den Reihen der Koalition;



Johannes Singer
es ist vom Bundesrat mit der dortigen SPD-Mehrheit vorgelegt und dann hier verabschiedet worden.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber wir haben es hier verabschiedet!)

Also schon da haben Sie keinerlei Initiativrechte oder Ideen zu reklamieren; da sind Sie genauso untätig geblieben wie mit diesem überbürokratisierten, umständlichen, kaum noch anwendbaren Gesetzentwurf, der heute zur zweiten und dritten Lesung ansteht.
Worum geht es? Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität führen zu ganz beträchtlichen Gewinnen. Diese Gewinne sind die ganz wesentliche Triebfeder. Deswegen ist es eigentlich folgerichtig und vernünftig, diese Straftäter am Portemonnaie zu fassen, also zu versuchen, die Gewinne abzuschöpfen, bevor sie in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden können. Experten schätzen die Gewinne aus dem Bereich Rauschgift- und Menschenhandel, Waffenhandel, Nuklear- und Müllexporte auf etwa 150 Milliarden DM jährlich. Das ist ein Betrag, mit dem wir sicherlich viele Ansprüche unserer Bürger befriedigen könnten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

wenn man mit mehr Engagement und mehr Entschlossenheit an die Lösung der Probleme heranginge.
Was ist uns jetzt vorgelegt worden? Ich fange mit der Überschrift an. Das Gesetz hieß ganz korrekt zunächst Gewinnaufspürungsgesetz. Aber da die Koalition anscheinend Angst hat, daß man das im Publikum draußen mißverstehen könnte — Gewinne sind ja für Sie grundsätzlich etwas Gutes; ob legal oder illegal, spielt gar keine Rolle —,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber, Herr Singer, das ist nicht fair!)

haben Sie einen neuen Namen gefunden: Geldwäschegesetz. Er ist völlig irreführend; denn die Geldwäsche haben wir im vergangenen Jahr strafbar gemacht: § 261 StGB. Um die Strafbarkeit der Geldwäsche geht es gar nicht, sondern um das Ausführungsgesetz dazu, um ein Gesetz, das den Strafverfolgungsbehörden erst die Anhaltspunkte liefern soll, um Geldwäschetransaktionen auf die Spur zu kommen. Es geht darum, die Anonymität von Bareinzahlungen bei Banken und Finanztransaktionen aufzuheben

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ist bestens gelöst!)

und die Strafverfolgungsbehörden in den Stand zu setzen, den Lauf einer Geldtransaktion — Urheber und Empfänger — festzustellen, zu dokumentieren, um beim Ermittlungsverfahren auf Unterlagen zurückgreifen zu können.
In drei Punkten haben wir Ihnen heftig widersprochen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das war schon falsch!)

Uns waren zum einen die Schwellenbeträge von 25 000 DM viel zu hoch, und sie sind es nach wie vor. Sie wissen, daß die Amerikaner seit Jahr und Tag mit einem Schwellenbetrag von 10 000 Dollar — das sind beim gegenwärtigen Umrechnungskurs ungefähr 17 000 DM — auskommen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Früher waren es einmal 40 000!)

Das klappt bei den Amerikanern. Ich würde mir die Beispiele, Herr von Stetten, dort nehmen, wo seit Jahren Erfahrungen gemacht werden, wo wirksam Geldwäsche bekämpft wird, anstatt auf Länder zu verweisen, wo diese Dinge nicht die große Rolle spielen.

(Beifall bei der SPD)

Die Schwellenbeträge sind nach wie vor zu hoch. Das Beispiel Amerikas zeigt das.
Der zweite Punkt, der uns ganz besonders geärgert hat und weshalb wir auch heute das Gesetz ablehnen werden, ist, daß Sie das Anwaltsprivileg entgegen Ihren Pressemitteilungen nach wie vor im Gesetz enthalten haben.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216900400
Herr Abgeordneter Singer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1216900500
Ich gehe davon aus, daß das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216900600
Richtig.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1216900700
Das ist Bestandteil der Geschäftsordnung, Herr Singer; das brauchen Sie nicht zu betonen. — Herr Singer, wenn Sie das amerikanische System so hervorragend finden, warum haben Sie dann nicht bei unseren langen Gesprächen beantragt, dieses System hier einzuführen, daß nicht nur bei Verdacht zu melden ist, sondern bei jeder Geldtransaktion? Das ist der Witz des amerikanischen Systems, daß jede Geldtransaktion oberhalb eines bestimmten Wertes gemeldet und in einen Zentralcomputer eingegeben wird. Warum haben Sie das denn nie beantragt, wenn es so toll ist?

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1216900800
Herr Dr. Hirsch, erstens liegt ein Änderungsantrag vor. Den haben wir im ersten Durchgang im Innenausschuß beraten, was die Schwellenbeträge angeht, und nur über die rede ich hier im Augenblick. Wir haben gesagt: Laßt uns auf einen Schwellenbetrag von 15 000 DM runtergehen! Das haben Sie im Innenausschuß im ersten Durchgang abgelehnt, im zweiten Durchgang abgelehnt und das werden Sie auch heute ablehnen. Wir aber sagen Ihnen: Der Schwellenbetrag von 15 000 DM ist erforderlich, wenn man ein wirksames Gesetz haben will.
Das zweite ist das Anwaltsprivileg. Nach wie vor gibt es eine Sonderregelung für Rechtsanwälte. Hier muß man klarmachen, daß das Gesetz zwei Bereiche regelt, zum einen die Identifizierungs- und Registrierungspflicht, die von den Kreditinstituten vorgenommen wird, wo die Unterlagen sechs Jahre aufbewahrt werden, und, völlig davon getrennt, die sogenannte Meldepflicht, die nicht an irgendwelche Schwellen-



Johannes Singer
beträge gebunden ist. Meldepflicht bedeutet: Kommt dem Angestellten eines Kreditinstituts der Verdacht einer Geldwäsche, dann hat er nach § 12 den Strafverfolgungsbehörden Meldung zu erstatten. Diese haben tätig zu werden. Sie müssen überlegen, ob sie den Geldbetrag durch den Amtsrichter beschlagnahmen lassen oder ob sie ein Ermittlungsverfahren einleiten wollen. Das sind die beiden Bereiche.
Anwälte müssen die Identifizierungs- und Registrierungspflicht nicht durch Kreditinstitute, sondern nach Ihrem Vorschlag durch ihre Kammern vornehmen lassen. Das halten Sie für das Ei des Columbus. Der Rechtsanwalt, der vor seiner eigenen Kammer, vor der Standesaufsicht seiner Rechtsanwaltskammer Angst haben müßte, der muß noch geboren werden. Wie werden denn die Kammervorstände gewählt? Doch von den Mitgliedern der Kammern. Was ist das für ein Verfahren, bei dem derjenige, der wiedergewählt werden will, Aufsicht und Kontrolle über seine Wähler ausüben soll! Wie soll der denn auf schwarze Schafe in der Anwaltschaft achten? Wir wissen doch, wie wirkungslos Standesaufsicht ist und wie wenig dabei herauskommt. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft mit den ehrengerichtlichen Verfahren nicht wäre, dann gäbe es da gar nicht viel.
Aber nach wie vor ist das Anwaltsprivileg erhalten. Deswegen ist das Gesetz unpraktikabel, unbrauchbar, überbürokratisiert, viel zu schwierig in der Anwendung und deshalb weitgehend wirkungslos.

(Beifall bei der SPD)

Heribert Prantl hat das in der „Süddeutschen Zeitung" so schön beschrieben:
Sie tun so, als ob jetzt das Gewinnaufspürungsgesetz wie ein Frettchen in den Kaninchenbau springt, und die gebunkerten Gelder springen voller Angst heraus, so daß der Staatsanwalt nur noch sich bücken und das Geld in den Sack stecken muß.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Marschewski als Kleintierzüchter!)

Das ist der Eindruck, den Sie hinterlassen wollen. Aber das breite Publikum hat längst gemerkt, daß Sie ihm nur Sand in die Augen streuen und daß mit dem Gesetz nichts zu bewirken ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es kommt hinzu, daß Sie bei Verdacht den Staatsanwaltschaften nur einen einzigen Werktag zur Prüfung lassen, ob ein Geldwäscheverdacht vorliegt, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist, ob beim Amtsrichter der Antrag auf Beschlagnahme gestellt werden soll. Das alles soll an einem Tag passieren! Der Fall der Südamerika-Bank in Hamburg zeigt deutlich, daß man mehr Zeit braucht, um so komplizierte Vorgänge auch nur einigermaßen in den Griff zu bekommen und die erforderlichen strafprozessualen Konsequenzen zu ziehen.
Dieses Gesetz wird uns nicht groß weiterbringen. Das ist der Grund, warum wir uns hier, wie Sie so schön sagen, verweigern. Wir wollen mehr. Wir wollen wirksame, effektive Gesetze. Wir wollen die
organisierte Kriminalität bekämpfen und nicht nur einfach so tun, als ob.

(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD] — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Elektronische Raumüberwachung, Herr Kollege!)

Zu einigen weiteren Aspekten, Herr Marschewski, wird Herr Professor Jürgen Meyer für uns Stellung nehmen. Deswegen bin ich nicht auf alle Ihre Punkte eingegangen. Das wird Herr Meyer tun.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216900900
Als nächster spricht der Abgeordnete Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1216901000
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Singer hat uns eine Pressekampagne angekündigt. Ich finde, das ist kein guter Auftakt für eine gemeinsame Bekämpfung der organisierten Kriminalität.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir betreten mit diesem Gesetz Neuland. Wir gehen erheblich über die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft hinaus.

(Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Wir sind nach Italien und Frankreich das dritte europäische Land, das mit einem Gesetz diese Richtlinie umsetzt, verehrte Frau Kollegin.
Die Behauptung, Deutschland sei ein Dorado für Geldwäscher ist falsch. Die Bundesrepublik hat die schärfsten Gesetze, um tatsächliche oder vermutete Gewinne aus strafbaren Handlungen einzuziehen. Ich nenne hierzu die Stichworte „Vermögensstrafe" und „ erweiterter Verfall".
Gegen den vorliegenden Gesetzentwurf ist eingewendet worden, der Schwellenwert, ab dem der Einzahler von Bargeld identifiziert und registriert werden muß, sei zu hoch. Dieser Schwellenwert ist mit 25 000 DM niedriger, als in der EG-Richtlinie vorgesehen. International wird er nur von den Vereinigten Staaten, Australien und Frankreich unterboten. In allen anderen Ländern gibt es entweder überhaupt keine gesetzlichen Regelungen, oder die beabsichtigten gesetzlichen Schwellenbeträge liegen zum Teil erheblich höher.
Außerdem spielt der Schwellenwert überhaupt keine Rolle in den Fällen, in denen ein Verdacht auf Geldwäsche vorliegt. Dann muß nämlich in jedem Fall angezeigt werden, unabhängig davon, ob es sich um 1 000, 10 000 oder wieviel DM handelt. Das sollte man bei dieser Diskussion nicht verschweigen.
Eine außerordentliche Rolle hat die Diskussion über das angebliche Anwaltsprivileg gespielt, das sich auf Anwälte, Notare, vereidigte Buchprüfer, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bezieht, also auf Berufe, die in öffentlich-rechtlichen Kammern zusammengefaßt sind und die eine besondere Verschwiegenheitspflicht im Verhältnis zu ihren Mandanten haben.



Dr. Burkhard Hirsch
Dazu muß man nun folgendes klarstellen: Ich verstehe nicht, wie man hier den Eindruck erwecken kann, das seien alles potentielle Verbrecher. Das finde ich unglaublich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Dr. Eckhart Pick [SPD]: Sind es denn alles Supermänner?)

— Hören Sie einen Augenblick zul
Die Angehörigen dieser Berufe haben dieselbe strafrechtliche Verantwortlichkeit wie jeder andere Bürger in diesem Land auch. Sie verlieren darüber hinaus in aller Regel bei einer Mitwirkung an Geldwäsche ihre Zulassung, also ihre berufliche Existenz; und das ist richtig. Sie haben dieselbe Verpflichtung wie jede Bank und jeder Gewerbetreibende, bei der Entgegennahme ab 25 000 DM den wirtschaftlich Berechtigten festzustellen, ihn über seinen Personalausweis oder Paß zu identifizieren und die sich daraus ergebenden Unterlagen für mindestens sechs Jahre aufzubewahren. Das gilt für jeden Beruf und für jeden, unabhängig davon, was immer er tut.
Sie haben bei der Eröffnung eines Kontos oder bei der Einzahlung eines Betrages ab 25 000 DM sich in genau derselben Weise identifizieren zu lassen wie jeder andere Bürger. Es gibt eine einzige Ausnahme.

(Johannes Singer [SPD]: Die ist entscheidend!)

— Halten Sie das Wasser eine Sekunde!

(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU —Johannes Singer [SPD]: Das ist kein parlamentarischer Ausdruck!)

Wenn Sie ein Anderkonto errichten, Herr Singer, dann müssen Sie zunächst eine Erklärung über Ihre beruflichen Pflichten abgeben, die Ihnen im Fall eines Strafverfahrens Verteidigungsmöglichkeiten weitgehend ausschließt. Sie müssen dann den Namen des wirtschaftlich Berechtigten zwar nicht der Bank, aber dem Vorstand der Kammer anzeigen. Die Banken ihrerseits müssen Einzahlungen auf Anderkonten ebenfalls dem Kammervorstand anzeigen, so daß dieser eine vollständige Gegenkontrolle vornehmen kann. Der Kammervorstand ist seinerseits in derselben Weise wie die Bank verpflichtet und berechtigt, im Verdachtsfall Anzeige zu erstatten.
Auch hier hilft ein internationaler Rechtsvergleich weiter: Lediglich Frankreich kennt eine Anzeigepflicht für Anwälte und Notare — übrigens auch für Antiquitätenhändler —, jedoch nur dann, wenn sie positiv wissen, daß ein Geldbetrag aus dem Drogenhandel stammt. Kein anderes Land — nicht ein einziges — hat in auch nur annähernd vergleichbarer Weise einem zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Beruf Verpflichtungen auferlegt, wie wir das neu mit diesem Gesetz tun.
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Der Gesetzentwurf hat eine ganz andere Lücke, nämlich die Tatsache, daß unter Geldwaschen nicht jedes Waschen kriminell erlangten Geldes verstanden wird, sondern nur dann, wenn es sich um Geld aus einem Verbrechen, aus Drogenhandel oder aus Taten einer kriminellen Vereinigung handelt. Darum muß man
die Frage stellen, warum wir nicht auch Gelder aus illegalen Kartellabsprachen, Betrug, Untreue und auch aus Steuerhinterziehung erfassen.

(Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Richtig!)

Jetzt kann die Bank im Zweifelsfall sagen: „Donnerwetter, ich dachte nicht, daß es Drogengeld ist, sondern nahm an, es war eine Steuerhinterziehung. "
Ich habe den Vorschlag gemacht, den Tatbestand zu erweitern, aber keine Zustimmung gefunden.
Ich appelliere an den Bundesrat, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form passieren zu lassen, damit wir anfangen können. Wenn wir sehen, daß die Erfahrungen unseren Erwartungen nicht entsprechen sollten, dann werden wir zu einer Novellierung bereit sein. Aber es kommt darauf an, daß wir nun endlich nach der Beratung — sie hat ein Jahr gedauert, und das war angemessen — mit dem Gesetz beginnen. Ich kann nur alle Seiten des Hauses dringend bitten, dem nicht entgegenzustehen.
Wir betreten gesetzgeberisches Neuland. Ich bin der Überzeugung, daß dieses Gesetz viele Pflichten neu auferlegt, den Banken, den Kreditinstituten und auch den hier apostrophierten und als potentielle Verbrecher behandelten freien Berufen. Auch sie bekommen durch das Gesetz nicht etwa ein Privileg, sondern erhebliche neue Verpflichtungen, die wir für angemessen halten.
Aber lassen Sie uns nun endlich diesen agitatorischen Streit beenden und mit der Kontrolle selber anfangen, damit wir sehen, ob es so funktioniert, wie wir es glauben und wünschen!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216901100
Als nächster spricht der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1216901200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist die Fortsetzung der Gesetzgebung zur Bekämpfung der sogenannten organisierten Kriminalität. Sie wird als notwendige Ergänzung zu dem neu eingeführten § 261 StGB des Strafgesetzbuchs zur Geldwäsche angesehen. Dabei ist schon die Überschrift irreführend. In § 261 geht es keineswegs nur um Geldwäsche bei schweren Straftaten, sondern auch um Geldwäsche bei bestimmten Vergehen.
In seiner Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuß am 22. Januar 1992 hatte der hessische Datenschutzbeauftragte, Prof. Dr. Winfried Hassemer, kritisch zum Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität angemerkt, daß dieses Gesetz über den bislang noch eingehaltenen Grundsatz des fragmentarischen Charakters des Strafrechts hinausgeht. Die Technik dieses Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist nach Hassemer nunmehr die einer flächendeckenden Regelung. Es soll jeder erdenkbare Fall erfaßt werden, und zwar selbst um den Preis einer Überkriminalisierung. Als Beispiel dafür hebt Hassemer den § 261 StGB hervor, auf den sich insbesondere § 12 des vorliegenden Gesetzentwurfs bezieht.



Dr. Uwe-Jens Heuer
Eine Anzeigepflicht von Privatpersonen, wie sie § 12 für bestimmte Finanztransaktionen aufstellt, war bisher ebenfalls nur fragmentarisch geregelt, d. h. nur in den engen Grenzen der Regelung des § 138 StGB. Eine Verdachtsanzeigepflicht gemäß § 12 des Gesetzentwurfs ist aber völlig neu.
Ich halte diese Planung, Privatpersonen in eine flächendeckende Strafverfolgung zu verstricken, auch deshalb für höchst fragwürdig, weil innerhalb der CDU und sogar bis in Kreise der SPD hinein geplant ist, die Strafgesetze hin auf eine umfassende, flächendeckende Strafverfolgung und Kriminalisierung auch harmlosen menschlichen Verhaltens zu verschärfen.
Da gleichzeitig der Begriff des organisierten Verbrechens nirgendwo im Gesetz restriktiv bestimmt wird — auch die Anhörung, die ich zitiert habe, hat nichts dazu ergeben, was organisierte Kriminalität eigentlich ist—, sehe ich die Gefahr, daß dieser Begriff im Rahmen der genannten Planungen zur umfassenden und verschärften Verfolgung sogar von Kleinkriminalität und zu einer insgesamt erweiterten Kriminalisierung gesellschaftlicher Lebensbereiche führt.
Dabei ist auch zu bedenken, daß bereits im Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität die Grenze zwischen einer dem Offizialprinzip unterliegenden gesetzlichen Strafverfolgung und der Inanspruchnahme polizeirechtlichen Ermessens bei der Prävention von Straftaten verwischt wird. Bei dieser Formulierung besteht die Gefahr, daß eine allgemeine Aushorchung des Bürgers im Rahmen einer polizeilichen Ermittlungsarbeit und erzwungener Mitarbeit der genannten Institutionen Realität wird. Vielleicht lassen sich die Worte, die darauf schließen lassen, so auslegen, daß schon der bloße vage Verdacht für eine Strafanzeige ausreicht.
Will man nämlich tatsächlich mit § 12 die gesamte Spannbreite organisierter Kriminalität erfassen, so muß man auch den seriösen Kunden in den Blick nehmen, und zwar aus folgenden Gründen: Weil Geld immer neutral ist und seine Herkunft nicht erkennen läßt, werden die in § 12 genannten Einrichtungen bzw. die für sie tätigen Personen dazu geneigt sein, Verdachtsmomente in erster Linie nicht an der Tat, sondern an potentiellen Tätern festzumachen.
Der entscheidende Bereich organisierter Kriminalität wird damit nicht erfaßt sein, nämlich der langjährige, gutsituierte Kunde der genananten Institute, der sein kriminell erwirtschaftetes Geld in eigenen, legal aufgebauten Unternehmen waschen kann und im übrigen über gute Beziehungen zu Wirtschaft und Politik verfügt. Verdächtigt werden muß dann dem Grunde nach jeder Kunde.
Ich möchte zum Schluß darauf hinweisen, daß auch dieses Gesetz in keiner Weise den Vormarsch organisierter Kriminalität, wenn es ihn denn überhaupt geben sollte, stoppen kann, weil nämlich die entscheidenden Organisationen der organisierten Kriminalität ihre kriminellen Geschäfte auf der Grundlage legaler Unternehmen im Rahmen des legalen Wirtschafts-und Finanzkreislaufs bei guten, seriös erscheinenden Kontakten zu Wirtschaft und Politik abwickeln können.
Obwohl ich es grundsätzlich für richtig halte, Wirtschaftskriminalität und andere Straftaten über eine bessere Kontrolle von Einkommen und Finanztransaktionen zu bekämpfen, werde ich dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich zweifle die Wirksamkeit des Entwurfs an und sehe auch keineswegs, wie mit ihm die Gefahr unkontrollierter polizeilicher Ermittlungen vermieden werden soll. Ich habe zu bedenken, daß es sich hier um polizeiliche Ermittlungen gegen Bürger und nicht nur um die steuerrechtlich geregelte Kontrolle von Einkommensverhältnissen geht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216901300
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die organisierte Kriminalität erfolgreich bekämpfen will, muß erstens die schwarzen Märkte liquidieren, auf denen die Hauptgewinne erzielt werden, und er muß zweitens die Finanztransfers unterbinden, mit deren Hilfe die kriminell erzielten Gewinne legalisiert werden. Der vorliegende Gesetzentwurf hat sich das letztere zum Ziel gesetzt. Er versucht, einer schon 1990 ergangenen Empfehlung des Weltwirtschaftsgipfels zu entsprechen, eine entsprechende EG-Richtlinie vom 10. Juni 1991 umzusetzen und damit einer von den USA schon 1986 mit dem Anti Drug Abuse Act eingeschlagenen Linie der Gesetzgebung zu folgen. Wie erfolgreich tut der Entwurf das? Beim Nachdenken über diese Frage werden nicht nur mir erhebliche und schwer zu beseitigende Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und in nicht geringerem Maße gegenüber der Effektivität des eingeschlagenen Lösungsweges aufsteigen. Die in § 11 ff. geregelten Anzeigepflichten laufen faktisch darauf hinaus, daß Private im Sinne von natürlichen Personen und juristische Personen durch ihre Mitarbeiter eine Art von Ermittlungsaufgaben übernehmen, die aus zwingenden rechtlichen Gründen den entsprechenden Behörden vorbehalten bleiben müssen. Die anhaltenden Meinungsverschiedenheiten über § 8 zeigen ja, welche Kollisionen und Konflikte hier verursacht sind. Andererseits kommt es durch die Orientierung an Schwellenbeträgen dazu, daß durch eine pauschale Kontrollund Identifikationspflicht eine unabsehbare Zahl von Unbeteiligten in den Verdachtsbereich einbezogen werden — eine um so bedenklichere Entwicklung, als uns dieselben Folgen wie in den USA drohen, wo wegen mangelnder Erfolge der Schwellenbetrag mittlerweile umstritten ist und teilweise auf 3 000 Dollar gesenkt wurde. Ich sehe darin, meine Damen und Herren, eine Folge des auch sonst beschrittenen falschen Weges — Herr Marschewski hat vorhin schon die schlechten Absichten durchblicken lassen —: statt Kriminalität und Kriminelle zu identifizieren, um sie aus Interesse an Waffengleichheit bei der KriminalitätsbekämpDr. Wolfgang Ullmann fung zu isolieren, die Rechte aller Bürger und Bürgerinnen einzuschränken. Die Bemerkung über nötig gewordene Senkungen von Schwellenbeträgen weist auch auf die offenkundigen Effektivitätsmängel der bisherigen Gewinnaufspürung hin. Die Debatten, die es in unseren Beratungen hierüber gegeben hat, zeigen, daß wir noch viel Erfahrungen werden auswerten und an wirksameren Lösungen werden weiterarbeiten müssen. Die Gefahr, meine Damen und Herren, daß der Namenswechsel von „Gewinnaufspürungsgesetz" zu „Geldwäschegesetz" eine unfreiwillige und noch dazu sich selbst erfüllende Prophezeiung sei und so aus diesem Gesetz ein Schlupflochgesetz werden könnte, ist wahrlich nicht gebannt. Als letzter in dieser Debatte spricht der Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Hause besteht Einigkeit darüber, daß Verbrechen sich nicht lohnen dürfen. Aus diesem Grunde haben wir mit dem Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität den gemeinsamen Versuch unternommen, der Wurzel der organisierten Kriminalität durch einen Straftatbetand der Geldwäsche zu Leibe zu rücken. Aber es war ein schwerer Fehler, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß Sie entgegen unserem Entwurf die fahrlässige Geldwäsche nicht unter Strafe gestellt haben. Es kann niemandem erklärt werden, daß fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung im Straßenverkehr strafbar sind, die Geldwäsche aber nicht. Wenn Ihr Sprecher, der Kollege Marschewski, vorhin sagte, man müßte bei den Schwellenwerten an die Motivation der Bankangestellten denken, dann kann ich nur fragen: Worum geht es hier denn eigentlich? Ist es für Bankangestellte so belastend, dann, wenn sie den Kunden nicht von Person kennen — und nur dann ist es doch erforderlich —, die Personalien festzustellen? Ich finde, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist zu wichtig, um die Motivation von Bankangestellten zum Ausgangspunkt von Überlegungen zu machen. Meine Damen und Herren, der Kollege Marschewski hat eben wieder die gebetsmühlenartige Forderung nach dem großen Lauschangriff erhoben. Ich will Ihnen dazu ganz klar sagen: Ich gehöre zu denen, die jedes rechtsstaatlich kontrollierbare Instrument zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sehr genau prüfen. Aber dieses, der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, ist das allerletzte Mittel. Das gilt auch für den Gesetzgeber. Ein Verfahren, bei dem der Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, das die schwarzen Schafe in der Kreditwirtschaft und in der Anwaltschaft schont und dann sagt, den Rest machen wir mit dem großen Lauschangriff, ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen. (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das werden wir noch sehen!)





(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216901400
Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216901500

(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)

Was die Anwälte und das Anwaltsprivileg angeht, hat der Kollege Hirsch auf Frankreich hingewiesen. Nun, ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Hirsch, das Berufsbild des Anwalts ist bei uns ein etwas anderes, so daß man die Gleichsetzung mit Antiquitätenhändlem mindestens hinterfragen sollte.
Nach meinem Verständnis ist der Anwalt Anwalt des Rechts, und derjenige Rechtsanwalt tut gut, der einem Mandanten, der ihm Geld geben will, damit er es transportiert oder anlegt, sagt: Ich bin nicht Ihr Geldbriefträger, ich bin auch kein Geldanleger. Dieses sollten wir gemeinsam in die Standesrichtlinien schreiben, statt hier ein kompliziertes Verfahren der Kontrolle anwaltlicher Finanztätigkeit vorzunehmen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216901600
Herr Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216901700
Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1216901800
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man bei einem internationalen Vergleich nicht an der Tatsache vorbeigehen kann, daß ausschließlich in Frankreich und dort auch nur dann eine Anzeigepflicht besteht, wenn der Anwalt positiv weiß, daß es sich um Drogengeld handelt? Wir in der Bundesrepublik haben j a nicht nur alle möglichen Standespflichten, sondern wir erlegen doch außerdem mit diesem Gesetz den freien Berufen weitere Verpflichtungen auf, die sie bisher nicht hatten: Registrierungspflichten, Identifizierungspflichten, Aufbewahrungspflichten und Anzeigepflichten. Können Sie daran denn vorbeigehen?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216901900
Herr Kollege Hirsch, ich bin der Auffassung, daß diese Pflichten — weil ihre Einhaltung durch die Rechtsanwaltskammer zu wahren ist — schwer durchzusetzen sein werden. Abgesehen davon — das sage ich, weil vorhin von der Motivation die Rede war —, daß die Anwaltskammern von dieser Regelung wenig halten und ihre Motivation gering sein wird, muß man noch zwei Punkte sehr genau überlegen. Der eine ist, daß schon die Einhaltung des Standesrechts durch die Anwaltskammern, wie wir alle wissen, seit Jahren nicht funktioniert. Wenn Sie mir dazu das Bild gestatten: Einem Gaul, der seine bisherige Last nur schwer trägt, noch einen weiteren Sack aufzuladen, ist nicht sehr aussichtsreich.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Argument, Herr Kollege Hirsch, bezieht sich auf die Tätigkeit von Anwälten in Strafsachen. Es ist nun einmal eine eingeübte Art der Berufsausübung, daß sich der Rechtsanwalt als Gegenspieler des Staatsanwalts empfindet, der zu streng einseitiger Interessenwahrnehmung verpflichtet ist. Auf Grund



Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

dieses eingeübten Verhaltens ist es etwas schwierig — das sage ich jetzt ganz vorsichtig —,

(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Er ist ein Organ der Rechtspflege!)

die Anwaltskammer zu einer Hilfseinrichtung der Staatsanwaltschaft zu machen. Das ist meine Überzeugung.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216902000
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Otto?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216902100
Bitte schön.

Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1216902200
Herr Kollege Professor Meyer, gestatten Sie mir beim Stichwort Motivation bitte die Frage, worauf Sie ihre große Erwartung in die Neutralität der Banken gründen, die nach Ihrer Meinung größer sein soll als die der Kammern. Wir wissen doch alle, daß die Banken Kunden gewinnen und nicht verlieren wollen. Das ist eine ganz andere Situation als bei den Kammern, die Sorge dafür tragen, daß keine schwarzen Schafe in ihrem Berufsstand sind, und deshalb auch Sorge dafür tragen, daß diese schwarzen Schafe entfernt werden.
Deshalb richte ich die klare Frage an Sie: Woher nehmen Sie denn die Hoffnung, daß der Bankangestellte objektiver ist als die Kammern?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216902300
Herr Kollege, zunächst einmal muß ich die Banken gegen Ihre Frage in Schutz nehmen. Ich habe beim Bankers'-Forum in Frankfurt mit sehr honorigen Bankern gesprochen, die mir gesagt haben, sie hätten jedes Interesse daran, gegen schwarze Schafe in ihren Reihen vorzugehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie logisch argumentierten, dann dürften Sie nicht einen Gesetzentwurf verteidigen, der gerade eine Meldepflicht von Banken bei Einzahlungen von Anwälten auf Anwalts-Anderkonten vorsieht. Das steht in Ihrem Entwurf. Das müßten Sie streichen, wenn Sie konsequent wären.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der mit Sicherheit im Bundesrat scheitern wird. Das wissen Sie auch.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Entwurf wird nicht etwa allein deshalb scheitern, weil die SPD mit der Abschöpfung von Verbrechensgewinnen und Gewinnen aus der Geldwäsche ernster machen möchte als Sie, sondern dieser Entwurf wird deshalb scheitern, weil auch der CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Herr Teufel — jetzt bitte ich die Abgeordnetenkollegen aus Baden-Württemberg, genau hinzuhören; Sie können ja Ihren Ministerpräsidenten nicht im Stich lassen —,

(Unruhe — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das tun wir auch nicht! — Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Nie!)

am Dienstag deutlich erklärt hat, was vorgestern in der „Südwest Presse" stand. Ich zitiere daraus. Da hat Herr Teufel erklärt, das Land Baden-Württemberg werde eine Bundesratsinitiative gegen diesen von Ihnen ausgehandelten Kompromißentwurf einbringen.

(Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da steckt die SPD dahinter!)

Dann heißt es: „Statt, wie vorgesehen, erst bei Beträgen ab 25 000 DM sollen Bankeinzahler schon bei Beträgen ab 15 000 DM ihre Identität preisgeben müssen." Das alles war von Herrn Teufel. Ich finde, das ist eine gute Adresse für Sie.
Weiter heißt es dort: „Auch will man den Ermittlungsbehörden im Verdachtsfall nicht nur einen, sondern zwei Tage Zeit geben, bevor die Banken das Geld verbuchen dürfen." Ein Anwaltsprivileg dürfe es nicht geben.

(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216902400
Herr Abgeordneter Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Singer?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216902500
Ja, jederzeit, gern.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1216902600
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß auch der Ministerpräsident von Bayern, Herr Stoiber, und der CDU-Innenminister Per-schau von Sachsen-Anhalt eine Ablehnung des von der Koalition verhunzten Gesetzentwurfs im Bundesrat angekündigt haben?

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1216902700
Ich bestätige das gerne. Ich habe Baden-Württemberg nur deshalb hervorgehoben, weil ich die Kolleginnen und Kollegen der CDU aus Baden-Württemberg für in besonderem Maße bekehrungsfähig halte.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU — Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Da steckt der Birzele dahinter!)

In einem Kommentar der „Südwest Presse" zu dieser Pressekonferenz des Herrn Ministerpräsidenten Teufel steht zutreffend, die CDU-Seite — gemeint ist die CDU in Stuttgart, verehrte Kolleginnen und Kollegen — scheine das — wie wichtig die Gewinnabschöpfung ist -- übrigens schon begriffen zu haben. Anders als die Bonner Koalition wolle sie, wie die SPD schon lange, daß Geldwäscher deutlich schärfer verfolgt werden als geplant.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie: Stimmen Sie unseren Anträgen, über die nachher namentlich abgestimmt wird, zu, damit wir gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, daß endlich die Großen im Bereich der organisierten Kriminalität gefangen werden und wir uns nicht mit den Kleinen begnügen müssen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216902800
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 12/2704, 12/2747 und 12/5298. Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5328 vor. Es ist getrennte Abstimmung verlangt.
Wir stimmen zuerst über die Nrn. 1, 2 und 5 des Antrags auf Drucksache 12/5328 ab. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Anschließend folgt eine weitere namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. * )
Wir stimmen jetzt über die Nm. 3 und 4 des Antrags auf Drucksache 12/5328 ab. Die Fraktion der SPD verlangt auch hier namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmen abgegeben? — Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. * *)
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. Erst danach können wir auch weiter über den Gesetzentwurf abstimmen.
Wir setzen die Beratungen fort. Ich möchte die Damen und Herren bitten, Platz zu nehmen, damit wir jetzt die Abstimmungen ohne Beratung vornehmen können.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf — Tagesordnungspunkt 24g ist durch Zusatzpunkt 3 eingefügt —:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes

(Sicherheitsüberprüfungsgesetz — SÜG) — Drucksache 12/4891 —Überweisungsvorschlag:

Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes
— Drucksache 12/5089 —Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
*) Ergebnis Seite 14569A * *) Ergebnis Seite 14571 A
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Kastner, Klaus Lennartz, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Grundwasserverseuchung durch GUS-Standorte offenlegen und Standorte sanieren
— Drucksache 12/4789 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansGünther Toetemeyer, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Beendigung des Bürgerkrieges in Angola und Hilfe für die betroffenen Menschen
- Drucksache 12/4920 —Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Kastner, Dr. Helga Otto, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sofortprogramm zum Schutz der Säuglinge in den neuen Bundesländern vor kupferhaltigem Trinkwasser
— Drucksache 12/5164 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Novellierung der 2. Grundmietenverordnung bezüglich der Beschaffenheitszuschläge für Wohnungen in den neuen Bundesländern
— Drucksache 12/5264 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Rechtsausschuß
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes
— Drucksache 12/5317 —(Zusatztagesordnungspunkt 3)

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Frauen und Jugend



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 24 a bis 24 f an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Tagesordnungspunkt 24 g — Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes auf Drucksache 12/5317 — soll wieder abgesetzt werden.
Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 24 a bis f und die Absetzung des Punktes 24 g — entsprechend Zusatzpunkt 3 — so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf — die Tagesordnungspunkte 25 g bis 25 i sind durch Zusatzpunkt 4 eingefügt —:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen rechtswidrige Handlungen bei der Währungsumstellung von Mark der Deutschen Demokratischen Republik in Deutsche Mark
— Drucksache 12/4585 —

(Erste Beratung 152. Sitzung)

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/5335 — Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt Gerhard Schüßler
Gunter Weißgerber
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/5336 — Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Hinrich Kuessner
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992 zu dem Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 12/5195 —

(Erste Beratung 165. Sitzung)

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/5337 — Berichterstattung:
Abgeordnete Claus Jäger Gunter Weißgerber
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/5344 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland

(Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz —RüstAltFG)

— Drucksache 12/3257 —

(Erste Beratung 117. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksache 12/4106 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über besondere Maßgaben für die Anwendung des Parteiengesetzes
— Drucksache 12/5134 — (Erste Beratung 163. Sitzung)

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/5312 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Rolf Schwanitz
Wolfgang Lüder
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/5313 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleichbehandlung von politischen Vereinigungen
— Drucksachen 12/3267, 12/5312 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Rolf Schwanitz
Wolfgang Lüder
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates
über die Annahme eines gemeinschaftlichen
Aktionsprogramms zur beruflichen Aus- und



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Fortbildung der für indirekte Steuern zuständigen Beamten (Matthaeus-Tax)

— Drucksachen 12/4555 Nr. 2.1, 12/4651, 12/5166 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 109 zu Petitionen — Drucksache 12/5241 —
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 110 zu Petitionen — Drucksache 12/5329 —
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 111 zu Petitionen — Drucksache 12/5330 —
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 112 zu Petitionen — Drucksache 12/5331 —
Tagesordnungspunkt 25a: Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes gegen rechtswidrige Handlungen bei der Währungsumstellung — Drucksachen 12/4585 und 12/5335 —.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25b: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Vertragsgesetzentwurf zum Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung — Drucksache 12/5195 —.
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5337, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 c: Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4106, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 12/3257 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, urn das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der SPD abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 25 d: Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P. sowie der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf über besondere Maßgaben für die Anwendung des Parteiengesetzes. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5312, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/5312 empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3267 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen. Die Position der GRÜNEN kenne ich nicht, weil ich kein Abstimmungsergebnis habe.
Tagesordnungspunkt 25 e: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu einem Vorschlag der EG über die Annahme eines Aktionsprogramms zur beruflichen Aus- und Fortbildung der für indirekte Steuern zuständigen Beamten, Drucksache 12/5166. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25f, g, h und i: Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/5241 und 12/5329 bis 12/5331. Das sind die Sammelübersichten 109 bis 112. Wer stimmt dafür?

(Gudrun Weyel [SPD]: Wir müssen getrennt abstimmen! Über Punkt 25i muß extra abgestimmt werden!)

— Dann stimmen wir jetzt zunächst über Punkt 25f, g und h ab. Wer stimmt dafür? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei drei Enthaltungen angenommen.
Jetzt stimmen wir über Punkt 25i ab. Wer stimmt dafür? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen der SPD und PDS angenommen.
Liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung schon vor? — Nein. Dann müssen wir damit noch warten. Ich unterbreche für einen Augenblick, bis wir die Abstimmungsergebnisse haben. Ohne die Abstimmungsergebnisse können wir in der Tagesordnung nicht weitermachen. Ein paar Minuten!

(Unterbrechung von 10.03 bis 10.04 Uhr)




Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir brauchen doch etwas länger für die Auszählung. Ich unterbreche die Sitzung für eine Viertelstunde.

(Unterbrechung von 10.05 bis 10.22 Uhr)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216902900
Meine Damen und Herren, wir setzen die Sitzung fort.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Nr. 1, 2 und 5 der Drucksache 12/5328 bekannt. Abgegebene Stimmen: 517. Mit Ja haben 180 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 317 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: 20.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 515; davon:
ja: 179
nein: 316
enthalten: 20
Ja
CDU/CSU
Koschyk, Hartmut
Scheu, Gerhard
Schulz (Leipzig), Gerhard
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Bachmaier, Hermann
Barbe, Angelika
Bartsch, Holger
Becker (Nienberge), Helmuth Eecker-Inglau, Ingrid
Berger, Hans
Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion
Dr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich (Berlin), Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Ebert, Eike
Dr. Ehmke (Bonn), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer (Gräfenhainichen), Evelin
Fischer (Homburg), Lothar Formanski, Norbert
Fuchs (Köln), Anke Fuhrmann, Arne
Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Dr. Glotz, Peter
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack (Extertal), Karl-Hermann
Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter Hiller (Lübeck), Reinhold Huonker, Gunter Ibrügger, Lothar
Iwersen, Gabriele Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe
Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus
Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klose, Hans-Ulrich
Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf
Kolbow, Walter
Koltzsch, Rolf
Koschnick, Hans Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
von Larcher, Detlev Lohmann (Witten), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß (Herne), Dieter Marx, Dorle
Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens (Bottrop), Franz-Josef
Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred
Dr. Otto, Helga Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter (Kassel), Horst Dr. Pfaff, Martin
Dr. Pick, Eckhart Purps, Rudolf
Rappe (Hildesheim), Hermann von Renesse, Margot Rennebach, Renate
Reschke, Otto
Rixe, Günter
Schanz, Dieter
Scheffler, Siegfried Schily, Otto
Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar
Schulte (Hameln), Brigitte
Dr. Schuster, R. Werner Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta
Urbaniak, Hans-Eberhard Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter (Cochem), Ralf
Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Westrich, Lydia
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter
Wimmer (Neuötting), Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold
Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
Dr. Zöpel, Christoph
BÜNDNIS 90/GRÜNE Schulz (Berlin), Werner
Nein
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günther
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Böhmer, Maria
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens (Emstek), Manfred Clemens, Joachim
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl
Fischer (Hamburg), Dirk Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus
Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim
Ganz (St. Wendel), Johannes Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert
Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang
Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther (Duisburg), Horst Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda
Haungs, Rainer
Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hintze, Peter
Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul
Hollerith, Josef
Hornung, Siegfried
Hüppe, Hubert
Jaffke, Susanne
Dr. Jahn (Münster),
Friedrich-Adolf
Janovsky, Georg
Jeltsch, Karin
Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon
Jung (Limburg), Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald
Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard
Kauder, Volker
Kiechle, Ignaz
Kittelmann, Peter
Klein (Bremen), Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg), Volkmar
Kolbe, Manfred
Kors, Eva-Maria
Kossendey, Thomas
Kraus, Rudolf
Dr. Krause (Börgerende), Günther
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner
Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Dr. Laufs, Paul
Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula-Maria Limbach, Editha
Link (Diepholz), Walter Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun
Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang
Louven, Julius
Lummer, Heinrich
Dr. Luther, Michael
Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire
Marschewski, Erwin Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf
Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz
Molnar, Thomas
Müller (Kirchheim), Elmar Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert
Neumann (Bremen), Bernd Niedenthal, Erhard
Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Dr. Olderog, Rolf
Ost, Friedhelm
Otto (Erfurt), Norbert Dr. Päselt, Gerhard
Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika
Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth (Gießen), Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schartz (Trier), Günther Schemken, Heinz Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian Dr. Schmidt (Halsbrücke),
Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert
Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Schulhoff, Wolfgang
Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dieter
Schwalbe, Clemens
Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich
Seibel, Wilfried
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel
Spilker, Karl-Heinz
Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita
Susset, Egon
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Vogel (Ennepetal), Friedrich Vogt (Duren), Wolfgang
Dr. Voigt (Northeim),
Hans-Peter
Dr. Waffenschmidt, Horst Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach),
Bertram
Dr. Wilms, Dorothee
Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann (Tännesberg),
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus
Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedrich, Horst Funke, Rainer
Gallus, Georg Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Grüner, Martin
Günther (Plauen), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard
Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert (Hannover), Detlef Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger,
Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang
Dr. Ortleb, Rainer Otto (Frankfurt),
Hans-Joachim Paintner, Johann Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus
Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, Jürgen Schüßler, Gerhard
Sehn, Marna
Dr. Semper, Sigrid Dr. Starnick, Jürgen Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgang
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Zurheide, Burkhard
PDS/Linke Liste Jelpke, Ulla
Fraktionslos
Lowak, Ortwin
Dr. Krause (Bonese), Rudolf Karl
Enthalten
F.D.P.
Friedhoff, Paul K.
Dr. Schnittler, Christoph
PDS/Linke Liste
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor
Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg
Dr. Schumann (Kroppenstedt),
Fritz
Dr. Seifert, Ilja Stachowa, Angela
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Poppe, Gerd
Schenk, Christina
Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), Konrad Wollenberger, Vera



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Damit ist der Änderungsantrag insoweit abgelehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die zweite namentliche Abstimmung betraf die Nr. 3 und 4 der genannten Drucksache. Abgegebene Stimmen: 527. Mit Ja haben 194 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 320 Abgeordnete. Enthaltungen: 13.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 522; davon:
ja: 189
nein: 320
enthalten: 13
Ja
CDU/CSU
Koschyk, Hartmut Scheu, Gerhard
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Bachmaier, Hermann
Barbe, Angelika
Bartsch, Holger
Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid
Berger, Hans
Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard
Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion
Dr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich (Berlin), Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Ebert, Eike
Dr. Ehmke (Bonn), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer (Gräfenhainichen), Evelin
Fischer (Homburg), Lothar Formanski, Norbert
Fuchs (Köln), Anke Fuhrmann, Arne
Ganseforth, Monika
Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Dr. Glotz, Peter
Graf, Günter
Großmann, Achim
Haack (Extertal),
Karl-Hermann Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter Hiller (Lübeck), Reinhold Huonker, Gunter Ibrügger, Lothar Iwersén, Gabriele
Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe
Jung (Düsseldorf), Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klose, Hans-Ulrich
Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf
Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf
Koschnick, Hans Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Lohmann (Witten), Klaus
Dr. Lucyga, Christine
Maaß (Herne), Dieter
Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta
Neumann (Bramsche), Volker
Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niese, Rolf
Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried
Peter (Kassel), Horst
Dr. Pfaff, Martin Dr. Pick, Eckhart Purps, Rudolf
Rappe (Hildesheim), Hermann von Renesse, Margot Rennebach, Renate
Reschke, Otto Rixe, Günter
Schanz, Dieter Scheffler, Siegfried Schily, Otto
Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen
Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar Schulte (Hameln), Brigitte
Dr. Schuster, R. Werner Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich
Steen, Antje-Marie Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald
Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wagner, Hans Georg
Wallow, Hans Waltemathe, Ernst Walter (Cochem), Ralf
Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang
Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Welt, Hans-Joachim
Wester, Hildegard Westrich, Lydia
Dr. Wetzel, Margrit
Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter
Wimmer (Neuötting), Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena
Wolf, Hanna
Dr. Zöpel, Christoph BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Poppe, Gerd
Schenk, Christina
Schulz (Berlin), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), Konrad Wollenberger, Vera
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Nein
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Bayha, Richard
Belle, Meinrad
Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Böhmer, Maria
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens (Emstek), Manfred Clemens, Joachim
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl
Fischer (Hamburg), Dirk Erik Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert
Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz (St. Wendel), Johannes
Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert
Gerster (Mainz), Johannes



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther (Duisburg), Horst Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hintze, Peter
Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef
Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Dr. Jahn (Münster),
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon
Jung (Limburg), Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Kiechle, Ignaz
Kittelmann, Peter Klein (Bremen), Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg), Volkmar
Kolbe, Manfred
Kors, Eva-Maria Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause (Börgerende), Günther
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut
Dr. Laufs, Paul
Laumann, Karl Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula
Limbach, Editha
Link (Diepholz), Walter Dr. Lippold (Offenbach),
Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun
Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang
Louven, Julius
Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Männle, Ursula
Magin, Theo
Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf
Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz
Molnar, Thomas
Müller (Kirchheim), Elmar Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Niedenthal, Erhard
Nitsch, Johannes Nolte, Claudia
Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm
Otto (Erfurt), Norbert Dr. Päselt, Gerhard
Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth (Gießen), Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schartz (Trier), Günther Schemken, Heinz Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian Dr. Schmidt (Halsbrücke),
Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas
Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler), Hans Peter
Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert
Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Schulhoff, Wolfgang
Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dieter
Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich
Seibel, Wilfried
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel
Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten,
Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Vogel (Ennepetal), Friedrich Vogt (Duren), Wolfgang
Dr. Voigt (Northeim),
Hans-Peter
Dr. Waffenschmidt, Horst Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach),
Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Wittmann (Tännesberg),
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus
Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedrich, Horst Funke, Rainer
Gallus, Georg Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard
Günther (Plauen), Joachim
Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter
Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut
Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard
Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert (Hannover), Detlef Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger,
Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang
Dr. Ortleb, Rainer Otto (Frankfurt),
Hans-Joachim Paintner, Johann Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus
Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, Jürgen
Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Sehn, Marita
Dr. Semper, Sigrid Dr. Starnick, Jürgen Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgang
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Zurheide, Burkhard
PDS/Linke Liste
Dr. Fischer, Ursula Jelpke, Ulla
Fraktionslos
Dr. Krause (Bonese), Rudolf Karl
Lowack, Ortwin
Enthalten
F.D.P.
Friedhoff, Paul K. PDS/Linke Liste
Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Dr. Heuer, Uwe-Jens
Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann (Kroppenstedt),
Fritz
Dr. Seifert, Ilja Stachowa, Angela
BÜNDNIS 90/GRÜNE Dr. Feige, Klaus-Dieter



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Damit ist der Änderungsantrag auch insoweit abgelehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich setze die Abstimmung fort und bitte diejenigen, die dem Gewinnaufspürungsgesetz in der Ausschuß-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der SPD und der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der SPD und PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte
— Drucksache 12/4993 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Als erste erhält die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1216903000
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte zieht die notwendigen Folgerungen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1987 und 1992 zu den anwaltlichen Standesrichtlinien, zum Werbeverbot und zum Zweitberuf neben der Anwaltstätigkeit.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 14. Juli 1987 festgestellt, daß die anwaltlichen Standesrichtlinien auf Dauer keine verfassungsrechtlich ausreichende Grundlage für Eingriffe in die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung bieten und nur noch für eine Übergangszeit herangezogen werden dürfen, soweit dies zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege unerläßlich ist.
Fast fünf Jahre nach dieser bahnbrechenden Entscheidung, die eine intensive und teilweise auch heftige Diskussion innerhalb der Anwaltschaft ausgelöst hat, kann der Deutsche Bundestag heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten, der den Übergangsstatus des anwaltlichen Berufsrechts nunmehr beenden soll.
Der Entwurf greift die verfassungsrechtliche Vorgabe auf, wonach die statusbildenden Normen vom Gesetzgeber selbst stammen müssen. Diese sollen jetzt im Gesetz verankert werden. Die sich aus den Rechten und Pflichten für die praktische Berufsausübung ergebenden wichtigen Einzelheiten soll die Rechtsanwaltschaft dagegen selbst in einer Berufssatzung bestimmen können.
Damit wird der Gedanke der Selbstverwaltung der Anwaltschaft und damit auch der freien Berufe insgesamt gestärkt. Erstmals in ihrer Geschichte wird die deutsche Anwaltschaft damit den gesetzlichen Rahmen für eine ausbaufähige Selbstverwaltung erhalten. Sie bekommt das Heft ihres Berufsrechts selbst in die Hand. Auf der Grundlage des Gesetzentwurfs wird --- davon bin ich überzeugt — ein effektives Berufsrecht entstehen, das die Institution des freien und unabhängigen Rechtsanwalts auch im Interesse des rechtsuchenden Bürgers stärken wird.
Der vorliegende Entwurf beschränkt sich aber nicht darauf, die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Er trägt zugleich dem gewandelten Berufsbild des Anwalts Rechnung und stellt die Weichen für ein modernes Berufsrecht, das es der Anwaltschaft ermöglicht, ihre Aufgaben wirksam und zukunftsorientiert zu erfüllen.
Hervorzuheben sind hier die vorgeschlagenen Bestimmungen über die berufliche Zusammenarbeit insbesondere in einer überörtlichen, interprofessionellen und grenzüberschreitenden Sozietät. Um das rechtsuchende Publikum wirksamer zu schützen, wird der Abschluß einer Berufshaftpflichtversicherung nunmehr gesetzlich vorgeschrieben. Der Anwaltschaft wird es ermöglicht, sich durch Vereinbarung mit den Mandanten vor unangemessenen Risiken zu schützen.
Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Neufassung des § 78 der Zivilprozeßordnung. Künftig darf danach der erstinstanzlich tätige Rechtsanwalt bei jedem erstinstanzlichen Gericht seine Mandanten vertreten. Die seit dem vorigen Jahrhundert umstrittene Beschränkung der Postulationsfähigkeit halte ich insbesondere auch im Interesse der Mandanten für nicht mehr zeitgemäß.
Nach einem ausgiebigen Gedankenaustausch besonders auch mit den Interessenvertretern der Anwaltschaft bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß die noch geltende Regelung einer beschränkten Zulassung wohl eher Nach- als Vorteile bietet. Dabei bin ich mir darüber im klaren, daß es gerade auch bei den Rechtsanwälten nicht wenige gibt, die das anders sehen und sich deshalb für den Fortbestand der alten Regelung aussprechen.
Trotzdem halte ich die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung für einen ganz wichtigen Baustein zur Schaffung eines anwaltlichen Berufsrechts, das den erheblichen Strukturveränderungen innerhalb der Rechtsanwaltschaft angemessen Rechnung trägt. Ich glaube, gerade im Hinblick auf die Überlegungen, die in Europa hinsichtlich der Niederlassungsmöglichkeiten von Anwälten in den Mitgliedstaaten angestellt werden, ist es ganz wichtig, jetzt auch in unserem Berufsrecht, dem Berufsrecht der Anwälte, diesen Entwicklungen auch durch die



Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Gesetzgebung Rechnung zu tragen und die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen und — wie ich glaube — hiermit auch die richtigen Weichen zu stellen.
Ich meine, es ist wichtig, daß dieser bedeutsame Gesetzentwurf nach der Sommerpause möglichst zügig behandelt wird. Denn es ist ein ganz wichtiges Anliegen, daß mit der Schaffung einer gemeinsamen Berufsordnung für Rechtsanwälte in Deutschland auch die Rechtseinheit weiter vorangebracht wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216903100
Als nächster spricht der Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne.

Klaus-Heiner Lehne (CDU):
Rede ID: ID1216903200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über das neue anwaltliche Berufsrecht. Die Beratung eines solchen neuen Gesetzentwurfs ist vor allem auch deshalb notwendig geworden, weil durch das Bundesverfassungsgericht — die Entscheidung ist hier bereits angesprochen worden — im Jahre 1987 festgestellt worden ist, daß die bisherigen Standesrichtlinien im Rahmen der anwaltlichen Berufsordnungen einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrten und hier eine unzureichende demokratische Legitimation vorhanden gewesen ist. Dieses neue anwaltliche Berufsrecht erscheint auch dringend notwendig vor dem Hintergrund der Tatsache, daß wir im Grunde seit 1987, also praktisch seit sechs Jahren, eine Situation haben, die rechtlich nicht eindeutig bestimmt ist und die im Bereich der anwaltlichen Berufsausübung viele Probleme verursacht hat.
Ziel dieses Gesetzes ist es vor allem, die wesentlichen Grundlagen der anwaltlichen Berufsordnung und des anwaltlichen Berufsrechts festzulegen, darüber hinaus aber auch ein demokratisch legitimiertes Satzungsgremium auf der Ebene der Bundesrechtsanwaltskammer zu schaffen, das dann im einzelnen Berufsausübungsregeln festlegen kann.
Hinzu kommt, daß die alte Bundesrechtsanwaltsordnung, die immerhin aus dem Jahr 1959 stammt, sicherlich auch den Entwicklungen in der heutigen Situation, in unserer Industriegesellschaft, in unserer internationalen und europäischen Handelsstruktur und den miteinander verflochtenen Märkten nicht mehr angemessen ist und einige Veränderungen notwendig sind, um den deutschen Anwaltstand auch in Zukunft im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben zu lassen.
Ich darf vielleicht noch kurz auf die einzelnen Punkte eingehen, die in diesem Gesetzentwurf neu geregelt werden, und auf die Probleme, die meines Erachtens in diesem Zusammenhang bestehen und mit denen wir uns in den Beratungen im Rechtsausschuß noch auseinandersetzen werden müssen.
Ein Thema ist, daß erstmals eine Art von Informationswerbung für Rechtsanwälte durch dieses Gesetz zugelassen werden soll. Man wird sich bei den Beratungen im Ausschuß Gedanken machen müssen, inwieweit sich hier vielleicht noch eine klarere Formulierung des Gesetzes, die die Dinge etwas eindeutiger eingrenzt, finden läßt.
Ein weiteres Thema, daß die Frau Justizministerin hier schon angesprochen hat, ist die Frage der Haltungsbeschränkung. Sosehr diese im Grundsatz richtig ist, wird man sich auch noch einmal über den Haftungsmindestbetrag, über den hier gesprochen werden muß, Gedanken machen müssen.
Im Bereich der Sozietäten wird eine längst eingetretene Entwicklung hin zu überörtlichen Sozietäten durch diesen Gesetzentwurf aufgegriffen und ermöglicht. Auch dies ist etwas, wozu wir uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vielleicht noch einiges an klareren Formulierungen einfallen lassen können.
Letztlich müßte man auch noch darauf achten, daß die demokratische Legitimation des satzungsgebenden Gremiums bei der Bundesrechtsanwaltskammer auch tatsächlich deutlich wird und daß das Demokratieprinzip auch schlüssig und effektiv erfüllt wird. Ob die bisherige Delegiertenzahl, die dort festgesetzt worden ist, dafür ausreicht, darüber werden wir uns im Ausschuß auch noch Gedanken machen müssen.
Die Problematik der Vergütungsregelungen — ob möglicherweise auch ein Stundenhonorar als zulässig in der BRAGO geregelt werden muß — wird ein weiteres Thema sein, ferner die Erweiterung der Fachanwaltsbezeichnungen und natürlich im Detail auch die Konkretisierung der Grundpflichten des Rechtsanwalts.
Zwei streitige Themen scheint es zu geben, die in der Diskussion eine wesentliche Rolle gespielt haben. Das ist einmal die Frage der Singular- und Simultanzulassung bzw. der generellen Einführung einer Simultanzulassung auf Bundesebene. Der Gesetzentwurf will es in den Ländern, in denen die Simultanzulassung besteht, hierbei belassen und es in den Ländern, in denen bisher noch eine Singularzulassung besteht, wo also Rechtsanwälte nur beim Landgericht oder beim Oberlandesgericht auftreten können, den Ländern überlassen, eigene Regelungen zu finden. Wir haben die Beratungen hierzu im Rechtsausschuß noch nicht gehabt. Ich könnte mir vorstellen, daß es dazu unterschiedliche Auffassungen geben wird. Ich will aber meine Meinung schon an dieser Stelle deutlich machen.
Ich glaube, daß es vernünftig wäre, wenn wir hier zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen würden und das Prinzip der Simultananwälte bundesweit durchsetzen und einführen würden. Gerade die Situation in den Großstädten, wo es Doppelkanzleien mit beim Oberlandesgericht und beim Landgericht zugelassenen Anwälten gibt — ich nenne Frankfurt, Köln und Düsseldorf — und die Erfahrungen, die dort gesammelt wurden, sprechen eigentlich sehr dafür, eine bundeseinheitliche Regelung hin zur Simultanzulassung zu finden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Da gibt es allerdings auch Widerspruch, Herr Kollege!)

— Ich habe ja angekündigt, daß es darüber wahrscheinlich eine Diskussion geben wird.



Klaus-Heiner Lehne
Das zweite Thema, um das es sicherlich wesentlich gehen wird, ist die Frage der Lokalisation, der Postulationsfähigkeit nach § 78 ZPO. Dies ist hier angesprochen worden. Gegen die Abschaffung der Postulation, wie sie mit dem Gesetzentwurf gefordert wird, werden vor allen Dingen Argumente angeführt, die ich nicht für überzeugend halte. Einmal wird vom sogenannten Vertretungstourismus gesprochen, von steigenden Verfahrenskosten. In meinen Augen ist das Unfug, weil jede Anwaltskanzlei, die Mandate wahrnimmt, natürlich auch darauf achten wird, welche Kosten dadurch entstehen, und kein Anwalt Weltreisen antreten wird, wenn sich das nicht lohnt.
Es wird davon gesprochen, daß die Kommunikation mit den Gerichten erschwert würde. Auch das kann ich mir nicht vorstellen. Wir leben im Zeitalter der modernen Telekommunikation. Wir haben TelefaxGeräte, Telefon und viele andere Möglichkeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es hier zu großen Problemen kommen wird.
Das Argument, das für mich am wenigsten zählt, weil es auch am unglaubwürdigsten ist, ist die Frage der wirtschaftlichen Absicherung der Kanzleien im ländlichen Raum. Hier tritt ja oft die Befürchtung auf, daß diese Kanzleien im ländlichen Raum dann durch die großen Großstadtkanzleien in ihrer wirtschaftlichen Betätigung eingeschränkt würden. Ich behaupte einfach: Die Situation in den Großstädten beweist bereits das Gegenteil. Wir haben in den Großstädten Einzelanwälte, wir haben mittelgroße Kanzleien, und wir haben Großkanzleien, die alle nebeneinander existieren, ohne daß eine bestimmte Gruppe völlig verdrängt worden wäre. Vielmehr kann man sogar feststellen — jedenfalls ist das meine Erfahrung aus meiner beruflichen Tätigkeit —, daß sich mittelständische Klientel in viel stärkerem Maße bei mittelständischen Kanzleien besser aufgehoben fühlt als bei Großkanzleien.
Hinzu kommt — was man wohl sehen muß —, daß durch die Einführung der überörtlichen Sozietäten ohnehin bereits ein erheblicher Wettbewerbsvorteil zugunsten der Überörtlichen eingetreten ist, der eigentlich dadurch ausgeglichen werden muß, daß die Lokalisation endlich abgeschafft wird.
Ich hielte es im übrigen für einen Treppenwitz, wenn wir in Europa die weitestgehende Niederlassungs- und Auftretungsfreiheit für die Anwälte einführten und ausgerechnet unsere Anwälte weiter Beschränkungen im Rechtsverkehr und bei dem Auftreten vor Gericht ausgesetzt würden. Dies ist meines Erachtens nicht vernünftig, ganz zu schweigen davon, daß sich das Prinzip der sogenannten Stempelanwälte meines Erachtens praktisch, insbesondere vor dem Hintergrund der nach unserer ZPO bestehenden Notwendigkeit mündlicher Verhandlungen überhaupt nicht bewährt hat.
Um also meine eigene Meinung zur Lokalisation deutlich zu machen: Das Ganze ist für mich einem überholten und vom Charakter her mittelalterlichen Zunftsystem ähnlich. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns darauf verständigen könnten, in dieser Sache eine wesentliche Änderung zu erreichen.
Ich will gar nicht bestreiten, daß insbesondere im Bereich der singular zugelassenen Anwälte an bestimmten Gerichtsorten mit einer Abschaffung der Singularzulassung natürlich auch erhebliche wirtschaftliche Probleme verbunden wären und daß es bei einer Abschaffung der Lokalisation möglicherweise auch Probleme im Übergang gäbe. Ich stelle mir vor, daß wir uns im Rechtsausschuß vielleicht in die Richtung einer Übergangsfrist bewegen sollten, für einen bestimmten Zeitraum die bisherigen Verhältnisse noch beibehalten und dann — ich könnte mir einen Zeitraum von drei Jahren vorstellen; über den Zeitraum wird man sicherlich noch reden müssen — das neue Recht wirksam werden lassen.
Ich bin auch guten Mutes, daß sich in den Gesprächen, die wir sicherlich auch mit den Kollegen aus dem Bundesrat über diese Frage noch führen werden, trotz der entgegengesetzen Äußerungen in der ersten Stellungnahme des Bundesrates noch eine Einigung im Sinne dessen, was ich vorgetragen habe, erreichen lassen wird.
Ich würde es schon so sehen, daß wir bei sicherlich sorgfältigen Beratungen im Rechtsausschuß möglichst zügig, möglichst noch in diesem Jahre, zu einem vernünftigen Ergebnis im Interesse des rechtsuchenden Publikums, aber nicht zuletzt auch der Rechtsanwälte in diesem Lande kommen werden.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216903300
Als nächste spricht die Abgeordnete Margot von Renesse.

Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1216903400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welch eine Atempause stellt dieser Tagesordnungspunkt an einem Vormittag wie diesem dar! Keine namentliche Abstimmung erforderlich, keine Streitigkeiten, wie wir sie sonst miteinander austragen. Hier können wir einmal zeigen — ich denke, wir werden es auch in den Beratungen des Rechtsausschusses und in den Schlußabstimmungen tun —, daß Opposition, Regierung und Koalition im Interesse in diesem Fall der Rechtsuchenden zusammenzuarbeiten wissen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das tun wir immer!)

— Wir werden es zeigen können, auch nach außen.
Das Berufsrecht der Anwälte ist von uns jedenfalls unter dem Gesichtspunkt zu prüfen — Herr Lehne, auch Sie haben das schon gesagt; ich denke mich zu erinnern, daß das auch in Ihrem Vortrag, Frau Ministerin, erschien —, was den Rechtsuchenden dient.
Hier sehen wir Entwicklungen, sehen wir schon längst eingetretene Veränderungen im Bereich des Berufsbildes des Anwaltes, die meines Erachtens
— egal, ob man sie beklagt oder ob man sie rühmt — kaum mehr rückgängig zu machen sind und die endlich geregelt werden müssen, damit die Verantwortlichkeit des Anwalts gegenüber seinem Mandanten, damit auch das Einstehenmüssen für das, was man an Fehlern macht, in einer solchen Form umgesetzt wird, daß die Rechtsuchenden dabei nicht auf der Strecke bleiben.



Margot von Renesse
Herr Lehne, Sie sprachen vom „Stempelanwalt". Wer kennt das nicht? Ich bin zwar nicht Rechtsanwältin, sondern Richterin, aber wie häufig erlebt man in Prozessen, daß da jemand kommt, der von dem ganzen Prozeßstoff eigentlich keine Ahnung hat, der nicht einmal in der Lage ist, einen Vergleich auszuhandeln, und damit die Mandantschaft im Grunde Geld und Nerven kostet.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hängt aber nicht am System!)

— Das hängt ein wenig auch am System; denn wenn wir das Lokalisationsprinzip aufgeben würden, so würde jedenfalls nicht so einfach die Möglichkeit bestehen, einem Mandanten gebenüber zu sagen: Das hat der Anwalt X gemacht; da war ich nicht; damit habe ich leider nichts zu tun.
Ich denke, daß die Verantwortlichkeit der Anwälte durch die Aufgabe des Lokalisationsprinzips im Interesse der Mandanten gestärkt werden kann. Ich denke in meiner Eigenschaft als Richterin aber gleichzeitig natürlich auch daran, welchen Kummer ich haben werde, wenn das Biotop Gerichtskantine mit den bekannten Anwälten, mit denen man mitunter auch zugunsten der Mandanten Prozeßstoff beseitigen konnte, nicht mehr diese Funktion hat.
Im Ergebnis, so scheint es mir, wird die Lokalisation nicht zu halten sein. Die gewachsene Mobilität von Anwälten, die einfach eingetreten ist — übrigens auch für die Anwälte im ländlichen Raum, die ebenso über Autos,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nicht über so schnelle!)

Telefax usw. verfügen —, wird man berücksichtigen müssen.
Die Frage ist eigentlich, ob wir ein Recht schaffen können, schaffen wollen, daß die Entwicklung zu den „anwaltlichen Mayo-Kliniken" wirklich verhindert. Ich denke, das kann man nicht mehr.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist die Frage!)

Die Frage ist für mich nicht, ob man das verhindert, sondern ob man ein Anwaltsrecht schafft, daß die Chancen für die Einmannpraxis nach wie vor erhält — daneben, nicht statt dessen.
Nun gibt es bei der kleinen Praxis, die lokal verankert ist, Vorteile, die auch den Rechtsuchenden deutlich sind, so daß sie sich in der Konkurrenz meines Erachtens behaupten kann. Der Anwalt kennt die Richter, mit denen er zu tun hat. Die Mandanten werden sehr schnell erleben, daß das ein Vorteil ist.
Die Großpraxen, deren Vertreter irgendwo eingeflogen kommen, die die richterlichen Hinweise, die richterlichen Stilverschiedenheiten nicht kennen, werden im Ergebnis gegenüber der Praxis vor Ort nicht alle Vorteile in der Hand haben. Zumindest diejenigen, die öfter bei Gericht arbeiten lassen, werden wissen — übrigens auch die Großpraxen —, daß es sehr vernünftig ist, mit einem Anwalt vor Ort weiter zusammenzuarbeiten.
Was das Singularprinzip angeht, so frage ich: Warum machen wir halbe Sachen? Warum beziehen wir da den BGH nicht mit ein? Wenn schon, denn schon, könnte man sagen.
Ich denke, wir werden im Rechtsausschuß auch darüber zu beraten haben, ob es sich um einen Paradigmenwechsel handeln soll oder ob man nur ein bestehendes vernünftiges Prinzip vorsichtig aufweicht oder an einigen Stellen durchbricht. Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis wir da kommen.
Die Aufhebung des Werbeverbots allerdings trifft bei mir auf entschiedenen Widerspruch. Ich kann mir vorstellen, wie die Anwaltskammern in Zukunft den Unterschied zwischen Information und Werbung mühsam zu definieren versuchen. Das ist ein Beruf, der nicht mit Preisen werben kann. Womit soll er eigentlich werben? Wie soll er informieren in einer Weise, die nicht Werbung ist?
Ich habe mir schon überlegt, welche Werbesprüche man machen könnte: Kannst du deine Frau nicht leiden, komm zu Rechtsanwalt Meyer und laß dich scheiden! Oder: Haben sie dich wegen Trunkenheit am Steuer, Rechtsanwalt Müller macht es weniger teuer! — Mann kann sich einiges vorstellen, was deutlich macht, daß wir so etwas gerade nicht wollen.
Der Anwaltsberuf ist keine beliebige Wirtschaftsfirma; sonst könnten die Anwälte auch Gewerbesteuer zahlen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kommt noch! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die SPD will das!)

— Vielleicht kommt das ja noch. — Diesen Weg könnte man mit einer Werbungserlaubnis beschreiten. Man könnte das als einen werbenden Beruf konstruieren wie alle anderen auch. Ich sage ganz offen: Ich möchte das nicht; denn die anwaltliche Funktion, auch Anwalt des Rechts zu sein—vorhin hat das auch mein Kollege Professor Meyer sehr deutlich gesagt —, hebt ihn deutlich aus anderen Berufen heraus.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber sagen, daß das augenblickliche wirkliche Problem der Anwaltschaft in diesem Gesetz nicht angesprochen ist: Das ist die Gebührenordnung. Auch darüber sollten wir einmal reden. Denn wenn Anwälte sich überlegen müssen, Mandate nicht anzunehmen, insbesondere auch Strafverteidigung, weil sie sich das nicht leisten können, dann ist der Gesetzgeber, auch wenn es auf den ersten Blick teuer zu sein scheint, allmählich gehalten, über diesen Punkt sehr nachdrücklich nachzudenken.
Mich wundert, daß wir in diesem Gesetzentwurf bei den Patentanwälten eine Einschränkung machen, die die Patentanwälte, wenn sie Angestellte sind und einen Zweitberuf ausüben, verpflichtet, nicht Anwälte auf ihrem Fachgebiet zu sein. Hier habe ich den Verdacht, daß man nach dem Prinzip verfährt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
Wenn wir schon den Zweitberuf zulassen und mit dem Verfassungsgericht davon ausgehen, daß sich die anwaltliche Stellung durch Regelungen der Berufsausbildung genügend definieren läßt, dann, meine ich, müßten wir das auch den Patentanwälten zugute kommen lassen. Die vorweggenommene Interessen-



Margot von Renesse
kollision, die in der Vergangenheit das Argument gegen die Ausübung des Zweitberufs war, wird sich auch auf andere Weise einfangen und in Grenzen halten lassen als unbedingt durch ein Verbot. Wenn wir das so lassen, wie es ist, gibt es zwar die rechtliche Möglichkeit der Ausübung des Zweitberufs, aber es gibt sie nicht in der Realität. Ich denke, das geht so nicht.
Eine Sache liegt mir noch am Herzen, gerade weil ich den Beruf der Familienrichterin ausgeübt habe: Meines Erachtens sollte zu dem Berufsbild des Anwalts in Zukunft die Rolle des Schlichters, die Rolle des Vermittlers mit einbezogen werden. Ich denke nicht nur daran, daß der Anwalt natürlich auch Vergleiche mit dem jeweiligen Gegner schließen kann. Dabei bleibt er aber immer noch der Interessenvertreter und muß das auch zum Ausdruck bringen, gerade gegenüber Scheidungswilligen, die sich entschlossen haben, nur einen Anwalt zu nehmen. Dieses Mißverständnis muß bereits im ersten Gespräch ausgeräumt werden. Aber gibt es nicht allmählich auch die Rolle des Anwalts, der nicht Parteivertreter im strengen Sinne sein muß, sondern beiden Parteien seine gleichermaßen engagierte Zuwendung gewährt und ihnen dazu verhilft, ohne Inanspruchnahme des Gerichts — Klammer auf: auch das könnte zur Gerichtsentlastung beitragen — eine Regelung zu finden, die ihre eigene autonome Konfliktlösung enthält?
Ich habe solche Entwicklungen eines Berufsbildes mitunter schon im Familienrecht gesehen. Das anwaltliche Berufsbild enthält diese Funktion noch nicht — man nennt das Mediation —, das Gebührenrecht schon gar nicht. Aber ich denke, das betrifft ganz allgemein Konflikte, die prozeßträchtig werden. Darüber sollte man nachdenken.
Ich selber werde, wenn ich irgendwann einmal einen Anwalt brauche, was der Himmel verhüten möge, mich lieber an den Anwalt vor Ort wenden als an die „Mayo-Klinik"; denn ich denke, daß das mir auch nützt. Ich hoffe, daß wir im Interesse der Rechtsuchenden alle leben lassen: die Rechtsuchenden, die Anwälte und die Gerichte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216903500
Als nächster erhält das Wort unser Kollege Detlef Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1216903600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Gesprächsatmosphäre — sie ist von Frau von Renesse ja eben sehr schön beschrieben worden — berechtigt zu den schönsten Hoffnungen. Daß hier aber nun lauter Friede herrschen würde und daß hier nicht auch einige sehr streitige Punkte verborgen wären, wollen wir nicht behaupten. Das war auch in den letzten fünf Jahren unübersehbar; sonst hätte es nicht so lange gedauert.
Ganz am Anfang nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatten wir ja mal die Hoffnung, die Hauptbetroffenen in den Berufen würden sich untereinander auf eine allseits getragene Lösung verständigen, und wir könnten dann mehr notariell tätig werden. Diese Hoffnung hat offenkundig getrogen; denn gerade in den bereits angesprochenen Punkten — § 78 ZPO, § 25 dieses Berufsgesetzes — gehen die Wogen nach wie vor hoch. Das ist auch nur zu verständlich, wenn man berücksichtigt, wie Kollegen an einigen Oberlandesgerichten jedenfalls ihr Leben, das Leben ihrer Familien und ihrer Mitarbeiter auf eine bestimmte Regelung gestützt und aufgebaut haben und wie sehr man dort eingreifen und sicherlich Schaden stiften würde — mindestens zunächst —, wenn man hier zu einer grundsätzlichen Änderung käme.
Daß dennoch über solche Änderungen in unseren Beratungen gesprochen werden muß, ist ganz klar. Außerdem zeigt sich, daß die Dinge alle sehr stark zusammenhängen. Wer sich die Zusammenhänge nicht klarmacht, wird zu einem unorganischen Ergebnis kommen müssen. Es ist z. B. nicht einzusehen, daß wir hinsichtlich der Postulationsfähigkeit jetzt jeden Anwalt bei jedem Landgericht auftreten lassen wollen, dann aber einen Teil der Anwälte auf die Zulassung bei einem Landgericht oder bei den Landgerichten beschränken wollen, während andere gleichzeitig auch den Zugang zum Oberlandesgericht haben,

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

sei es auf Grund gesetzlicher Regelungen, sei es auf Grund der listenreichen Gestaltung der Sozietäten in den hier bereits genannten Oberlandesgerichtsstädten. Das kann natürlich nicht ohne Zusammenhang gesehen werden, genauso wie ja eine Reihe der hier — ich meine doch, sehr schmeichelhaft — mit der Mayo-Klinik verglichenen Praxen hergegangen ist und in großzügigster Weise und in Windeseile — einige, höre ich, bereuen es schon wieder ein wenig; leichte Schadenfreude muß gestattet sein — sich zu überörtlichen oder sogenannten überörtlichen Sozietäten zusammengeschlossen hat und damit jede Art von Postulationsregelung völlig unterläuft und deshalb einen nicht ordentlichen Wettbewerb führt. Diese Dinge müssen zusammen gesehen und zusammengeführt werden.
Dem Ergebnis mag ich für meine Person heute nicht vorgreifen. Wir werden Anhörungen durchzuführen haben. Es wäre auch unfair gegenüber denjenigen, die wir dazu einladen, wenn wir vorher hier schon sozusagen ex cathedra verkünden, welche Ansicht wir entwickelt haben. Das sollten wir offen der weiteren Diskussion überlassen.
Ganz wesentlich erscheint mir die Möglichkeit, nicht nur die Haftpflichtversicherung zu verlangen — das ist nichts Neues —, sondern im Zusammenhang damit auch die Haftpflicht vertraglich in Höhe eben dieser Versicherung zu begrenzen. Das gibt dem Anwalt ein Stück der Freiheit, der Freiheit seines Vermögens, und der Sicherheit für seine Familie, das er heute auch braucht.
In alles, was hier weiter vorgeschlagen ist, hat Eingang gefunden, was sich die Deregulierungskommission überlegt hat und in ihrem Bericht angeregt hat. Einiges ist nicht aufgenommen worden. Zum weiteren Kreis eines wirklich offenen Wettbewerbs und damit auch dienstleistungsfreundlichen anwaltlichen Berufsrechts würde dann auch gehören, diesen



Defief Kleinert (Hannover)

Beruf allgemein auf eine breitere Basis zu stellen, indem mindestens die Möglichkeit der Zulassung des Anwalts/Notars da, wo es ihn noch nicht gibt, eröffnet wird. Auch das gehört zur allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und zur Gleichbehandlung der Berufskollegen.
Abschließend möchte ich dem Bundesjustizministerium, der Frau Bundesjustizministerin, nicht nur für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs danken, sondern auch dafür, daß etwa zeitgleich der Entwurf eines Partnerschaftsgesetzes vorgelegt worden ist, den wir mitberaten sollten, weil auch dies zu dem Gesamtbild eines neuen, eines vernünftigeren, berufsgerechten, aber auch dienstleistungs- und damit publikumsfreundlichen Berufes gehört.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216903700
Als nächster spricht der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1216903800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 34 Jahre nach dem Inkrafttreten der Bundesrechtsanwaltsordnung und sechs Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des Standesrechts ist jetzt endlich eine Novelle zur Bundesrechtsanwaltsordnung vorgelegt worden, die ein zeitgemäßes Berufsrecht bringen soll.
Daß das Bild des Generalisten als Einzelanwalt bzw. der örtlichen Sozietät, das der gegenwärtigen BRAGO zugrunde liegt, von der Wirklichkeit überholt worden ist, liegt auf der Hand. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof die überörtliche Sozietät zugelassen. Das Werbeverbot ist vom Bundesverfassungsgericht stark relativiert worden. Den Trend bestimmen gegenwärtig überörtliche Sozietäten mit Dutzenden von Sozien, die in ihrem Erscheinungsbild und in ihrem Management keineswegs mehr dem Bild einer Personengesellschaft entsprechen. EG-weite Zusammenschlüsse haben mangels anderer Möglichkeiten die Form der „Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung" gewählt.
Dieser Prozeß ist vielleicht vergleichbar — die Sozialdemokraten werden das sicherlich verstehen — der Diskussion von Kautzky und Bernstein über die unabwendbare Tendenz zum Großbetrieb in der Landwirtschaft.
Dieser Prozeß ist nach meiner Ansicht zwiespältig zu bewerten. Der Trend zur Spezialisierung der Anwaltschaft ist einerseits sicherlich ein notwendiger und auch den Klienten zugute kommender Prozeß. Andererseits führt er nicht nur dazu, daß die Klienten in Abhängigkeit von der Gebührenträchtigkeit ihres Anliegens behandelt werden, sondern auch zu einer weitgehenden Knebelung derjenigen Anwälte, die entweder angestellt sind oder nicht zur Leitung dieser Großsozietäten gehören. Wir halten es deshalb für nicht so bedeutsam, ob die GmbH direkt für die anwaltliche Berufsausübung geöffnet wird oder ob sich der Trend zu großen Rechtsfirmen mehr auf Umwegen durchsetzt. Wir halten es für die Diskussion im Rechtsausschuß vielmehr für bedeutsam, daß angesichts dieser Entwicklung zum großen anwaltlichen Dienstleistungsbetrieb die Unabhängigkeit des einzelnen Anwalts — ob nun angestellt oder nicht — gesichert wird und daß auch seine soziale Absicherung besser und klarer geregelt wird, als das gegenwärtig in den Standesrichtlinien der Fall ist.
Etwas Neues, das über das Festschreiben des Status quo hinausgeht, ist der Vorschlag zur Abschaffung der Lokalisation. Wir sehen das sowohl aus der Sicht des rechtsuchenden Bürgers als auch aus der Sicht des größten Teils der Anwaltschaft in Ostdeutschland positiv. Es erleichtert den dort noch überwiegenden Einzelanwälten und örtlichen Sozietäten das überörtliche Auftreten. Es erleichtert auch dem rechtsuchenden Bürger in Ostdeutschland die Rechtsverfolgung bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten.
Nicht hinnehmbar scheint uns, daß bei der Berufsgerichtsbarkeit die Veränderungen lediglich auf sprachliche Kosmetik beschränkt wurden. Angesichts der Konkurrenzsituation nehmen wir nicht einfach an, daß Anwaltsgerichte unbefangen und unabhängig über die Berufsverfehlungen von Kollegen urteilen können.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Frau von Renesse hat hier die Frage der Gebühren aufgeworfen. Ich benutze die Gelegenheit, daran zu erinnern, daß die in Ostdeutschland niedergelassenen Rechtsanwälte nach wie vor nur gegenüber der BRAGO um 20 % gekürzte Gebühren liquidieren können, und zwar bei weitgehend vergleichbaren Kanzleikosten. Wir meinen, daß auch auf diesem Gebiet über eine Rechtsangleichung zu diskutieren ist.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1216903900
Als nächster spricht der Kollege Horst Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1216904000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige ergänzende Bemerkungen. In der Tat hat die bisherige Diskussion gezeigt, daß wir ein großes Maß an Gemeinsamkeit hier im Hause haben, was die Beurteilung der strittigen Fragen angeht. Dieses Maß der Gemeinsamkeit ist vielleicht größer als die Gemeinsamkeit in der Anwaltschaft selbst. Aber das wird uns eine Lösung der Probleme erleichtern.

(V o r s i t z: Vizepräsident Hans Klein)

Im Mittelpunkt der Diskussion steht — das habe ich auch so vorhergesehen — die Aufhebung der Beschränkung der Postulationsfähigkeit. Mich hat etwas überrascht, daß sich der Bundesrat mit einer deutlichen Mehrheit gegen diese Aufhebung ausgesprochen hat. Ich habe etwas den Verdacht — diesen will ich hier auch äußern —, daß die Stellungnahme mehr auf die Äußerungen der Gerichtspräsidenten zurückzuführen ist als auf die Interessen der Anwaltschaft in den betreffenden Ländern.
Ich darf daran erinnern, daß im Vordergrund die Frage stehen muß: Was ist für das rechtsuchende Publikum besser? Es kommt nicht entscheidend auf die Interessen der Anwaltschaft an, sondern darauf, welche Lösung für das rechtsuchende Publikum am



Horst Eylmann
besten ist. Es kann eigentlich keinem Zweifel unterliegen, daß der Bürger nicht recht einsieht, daß dei Anwalt, zu dem er Vertrauen hat, nicht überall in dei Bundesrepublik vor einem Gericht auftreten kann — Ausnahme die Obergerichte.
Ich hoffe, daß wir, wenn wir auf diese Interessen abstellen, hier zu einer schnellen Lösung kommen. Ich will aber gern, da die Kollegin von Renesse das getan hat, die Justizministerin noch einmal daran erinnern, die Interessen der Anwaltschaft auf einem anderen Gebiet nicht zu vergessen. Wir erwarten dringend die Novellierung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216904100
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1216904200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich den Worten des Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Herrn Kollegen Eylmann, an, der das Augenmerk darauf gelenkt hat, daß im Mittelpunkt das Interesse des rechtsuchenden Bürgers stehen muß. Natürlich dürfen wir nicht außer Betracht lassen, welche Auswirkungen das, was wir hier zu beschließen haben, auf das Einkommen des Anwalts hat. Ein Anwalt mit einem geringen Einkommen wird Schwierigkeiten haben — das könnte auch seine Fähigkeit beeinträchtigen —, immer und überall so präsent zu sein, wie es wünschenswert ist. Dennoch: Im Vordergrund muß stehen — das sage ich mit Nachdruck —, daß wir ein überall präsentes Angebot für den rechtsuchenden Bürger haben, damit dieser nicht Purzelbäume schlagen muß, wenn er seinen Fall an den Mann oder an die Frau bringen will.
Es geht auch noch um ein Zweites: Die deutsche Rechtsanwaltschaft war per Tradition im Kern auf den Landgerichtsbezirk beschränkt. Es gab hier und dort Abweichungen. Die Tradition der Rechtsanwaltschaft insbesondere in den angelsächsischen Staaten, nämlich in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, hatte von vornherein ein anderes Niveau. Zumindest gab es dort eine Tradition, die darauf gerichtet war, Rechtsrat — ich sage es so — weltweit anzubieten. Einige wenige Kanzleien in der Bundesrepublik haben sich dem auch bei bestehender Rechtslage angeschlossen.
Wir müssen darauf bedacht sein, daß wir in der internationalen Rechtsanwaltskonkurrenz nicht zu kurz kommen. Das gilt nicht nur mit Rücksicht auf den EG-Bereich; das gilt schlechthin mit Rücksicht darauf, daß die Weltwirtschaft international verflochten ist.
Wenn ein Großbetrieb aus der Bundesrepublik Deutschland eine Niederlassung in Taiwan, Süd-Korea oder Australien errichten will, dann wird sich diese Firma in der Bundesrepublik überlegen, ob sie Rechtsrat bei einer deutschen Kanzlei oder nicht doch bei einer Londoner oder New Yorker Kanzlei suchen wird. In der Regel geht sie nach London oder New York.
Deswegen, denke ich, sollten wir auch ein Augenmerk darauf haben, daß es unser Rechtsgefüge unseren Kanzleien in Zukunft erleichtert, im Wettbewerb mit den alteingesessenen großen ,,law firms" in London und New York zurechtzukommen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216904300
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/4993 an den Rechtsausschuß vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Hans de With, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reform des Kindschaftsrechts — Drucksache 12/4024 —Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
Die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt wurden zu Protokoll gegeben. *) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/4024 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Besteht darüber Einverständnis? — Dies ist ganz offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II — Drucksachen 12/5248, 12/5338 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Paul Breuer Walter Kolbow
Günther Friedrich Nolting
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über diese Beschlußempfehlung namentlich abstimmen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort unserem Kollegen Michael Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1216904400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat 1973 die Bundesregierung ermächtigt, einen Aufnahmeantrag an die Vereinten Nationen zu
* Anlage 2



Michael Glos
richten und der Charta der Vereinten Nationen beizutreten.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Gegen die CDU/CSU!)

Ich darf aus der Denkschrift zum damaligen Beitrittsgesetz zitieren:
Die Bundesrepublik Deutschland hat ein gewichtiges außenpolitisches Interesse, als Mitglied in der Weltorganisation der Vereinten Nationen mitzuwirken.
Nur so kann sie ihre eigenen Interessen im weltweiten Rahmen umfassend wahrnehmen und den Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit leisten, die ihrer Bedeutung und ihren Möglichkeiten entspricht.
Ich zitiere weiter aus der Denkschrift der Regierung Willy Brandt — daran sollten Sie sich gebunden fühlen —:
Als Mitglied der Vereinten Nationen unterliegt die Bundesrepublik Deutschland den in der Charta enthaltenen Verpflichtungen.
Der Sicherheitsrat kann im Rahmen seiner Zuständigkeit nach Kap. VII Beschlüsse zur Friedenswahrung fassen, an die die Mitglieder der Vereinten Nationen nach Art. 25 der Satzung gebunden sind.
Demnach, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die SPD damals ohne Wenn und Aber zu weitergehenden Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ja gesagt, auch wenn sie heute nicht mehr dazu stehen will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zugegeben, damals war es leichter. Es sah so aus, als ob wir die Verpflichtungen als geteiltes Land nie einlösen müßten. Aber „Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot" sagt ein altes Sprichwort. Jetzt sind wir gerufen, anderen zu helfen, so wie wir 20 Jahre lang, d. h. noch viel länger, unter dem Schutz der NATO, unter dem Schutz der Vereinten Nationen und unter dem Schutz des Rechts in der Welt gestanden haben.
Leider stehen die Nachfolger, die Enkel Willy Brandts nicht mehr zu seiner Entscheidung. Die SPD will durch das höchste deutsche Gericht verhindern, daß das vereinte Deutschland seine Verpflichtungen gegenüber der Völkergemeinschaft einlöst.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Die SPD will nicht mehr wahrhaben, daß sich Deutschland auch an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft auf Grund der UN-Charta beteiligen kann. Das verfassungsrechtliche Argument ist doch nur vorgeschoben, um eine tiefe ideologische Spaltung in der SPD zu überbrücken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

„Schröder kritisiert Klose" ist heute in führenden deutschen Tageszeitungen nachzulesen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist normal!)

Ich hätte mir gewünscht, daß heute Herr Scharping hier wäre

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

und als neugewählter SPD-Vorsitzender eine einheitliche Sprachregelung für diese Partei fände

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und seine Verantwortung als Vorsitzender einer großen und traditionsreichen Partei wahrnähme.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bündnisverpflichtungen und Mitgliedschaften in internationalen Organisationen sind keine Schönwetterverpflichtungen. Unsere Partner im Bündnis haben in guten und in schlechten Zeiten zu uns gestanden, und sie erwarten das heute auch von uns.
Bündnisfähigkeit und Verläßlichkeit müssen die Grundlagen der Außenpolitik unseres wiedervereinigten Landes sein. Sie sollten auch weiterhin durch Gemeinsamkeit und Übereinstimmung zwischen den großen Fraktionen des Bundestages möglich sein. Sie haben heute die Chance, dies zu dokumentieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wiegt schwer, daß Vertreter der SPD diese Gemeinsamkeit zwar immer wieder beschwören und einfordern, im konkreten Einzelfall aber ihre Zustimmung verweigern und sich damit der Verantwortung entziehen wollen. Sie können heute diese Chance nutzen. Sie können heute zeigen, daß Sie hinter unseren Soldaten in Somalia stehen. Sie können damit den Vorwurf vermeiden, das vereinte Deutschland aus dem gemeinsamen Handeln der Völkergemeinschaft entfernen zu wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Ausschuß, dessen Bericht wir heute beraten, haben Sie diese Gelegenheit bedauerlicherweise bereits versäumt, obwohl, wie ich höre, Ihre Arbeitsgruppe Verteidigung ursprünglich bei Ihnen gern einen anderen Beschluß durchgesetzt hätte.

(Manfred Opel [SPD]: Ist überhaupt nicht wahr!)

Es wäre fatal, wenn Verläßlichkeit und Bündnistreue unseres Vaterlandes und damit unsere Glaubwürdigkeit von der inneren Zerrissenheit und den überholten ideologischen Positionen der Weltmacht SPD abhängen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216904500
Herr Kollege Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolbow?

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1216904600
Nein.
Die Bundesrepublik Deutschland leistet durch die Soldaten der Bundeswehr in Somalia einen entscheidenden Beitrag für die Hilfsorganisation, für den Hilfsauftrag der Vereinten Nationen. In Somalia leidet ein ganzes Volk an einem entsetzlichen Bürgerkrieg, es leidet an Hunger und Verelendung und an den Plünderungen einer marodierenden Soldateska. Nach Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes starben im letzten Jahr in Somalia täglich mehr als 1 000 Menschen an den Folgen von



Michael Glos
Chaos und Gewalt. Den Menschen dort wieder eine Zukunftsperspektive zu geben, in einem funktionierenden Staat zu leben, dies ist das zutiefst humanitäre Ziel der Vereinten Nationen. Diesem großartigen Ziel dienen neben den Soldaten der Bundeswehr auch die Soldaten aus 29 anderen Nationen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wollen wir als feige Pfeffersäcke abseitsstehen?


(Zuruf von der SPD: Das ist doch unerträglich!)

Sind wir in der Welt irgendwo nur gerufen, wenn es Geld zu verdienen gibt? Oder sind wir Deutschen nur die Weltmeister in Urlaubsreisen und fühlen uns dabei mit der ganzen Welt verpflichtet und schauen weg, wenn woanders Not und Elend herrscht? Diese Fragen müssen Sie beantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

Gemäß unseren Verpflichtungen aus der UNCharta hat die Bundesregierung am 21. April 1993 beschlossen, die Operation der Vereinten Nationen in Somalia, UNOSOM II, zu unterstützen und ein verstärktes Nachschub- und Transportbataillon der Bundeswehr zu entsenden. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion danke ich der Bundesregierung für diese wohlerwogene Entscheidung und für die sorgfältige Vorbereitung des Somalia-Einsatzes. Die Menschen in Somalia, die UN-Helfer und Soldaten anderer Nationen und die deutschen Medien äußern sich anerkennend über die Arbeit unserer Soldaten im Raum Belet Uen. Der Deutsche Bundestag hat noch am gleichen Tag, als der Beschluß der Bundesregierung erging, also ebenfalls am 21. April, den Hilfseinsatz der Bundeswehr für humanitäre Maßnahmen begrüßt und die Beschlüsse der Bundesregierung unterstützt. Unser heutiger Antrag bekräftigt diesen Beschluß von damals. Wir folgen damit zugleich einer Vorgabe des höchsten deutschen Gerichts, das uns diesen Weg zusätzlich gewiesen hat.
Beeindruckend war allerdings die Reaktion unserer Bundeswehrsoldaten des Vorauskommandos auf die Ablehnung des SPD-Antrags durch das Verfassungsgericht.

(Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Unsere Soldaten haben sich gefreut, daß sie helfen können. Sie wollten in dieser schwierigen Situation nicht zurückgezogen werden. Sie wollen helfen, und sie wollen Leben retten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese jungen Staatsbürger in Uniform haben allen eine Lehre erteilt, die sagen, die Deutschen seien feige und nicht bereit, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Wir wissen, daß unsere Soldaten dem Frieden dienen. Wir sind stolz darauf. Deshalb haben sie ein Anrecht darauf, vom gesamten Deutschen Bundestag, von allen demokratischen Parteien unterstützt zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie nehmen diesen Dienst freiwillig auf sich. Sie haben sich dafür gemeldet. Sie wollen diesen Dienst leisten. Ich möchte deswegen diesen Soldaten meinen Respekt und meine Anerkennung und gleichzeitig den Respekt und die Anerkennung der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Gegensatz zur SPD stimmt die deutsche Bevölkerung, wie Umfragen zeigen, dem Somalia-Einsatz weitgehend zu. Ich glaube, unsere Bürgerinnen und Bürger haben ein sehr gutes Gespür dafür, wie wichtig es ist, hinter dem Einsatz der Bundeswehr und hinter den Soldaten zu stehen und ihnen bei dieser wichtigen Aufgabe den Rücken zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich — auch das muß an dieser Stelle gesagt werden — kann niemand die Augen davor verschließen, daß dieser Einsatz auch mit Gefahren verbunden ist, daß er sicher kein Spaziergang sein wird und daß wegen der Risiken und Gefahren auch Unglücke passieren können. Aber wir wissen auch: Gefährlich ist der Dienst der Bergwacht, gefährlich ist der Dienst der Feuerwehr, gefährlich ist der Dienst des Seenotrettungsdienstes, und gefährlich ist der Dienst der Polizei, wie wir erst wieder erlebt haben, als ein junger deutscher Polizeibeamter von Terroristen erschossen worden ist und in den Zeitungen nur der Name des Terroristen steht, ohne daß man den Namen des Polizeibeamten wahrnimmt.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Obwohl jeder weiß, daß die vorgenannten Dienste gefährlich sind, kommt niemand auf die Idee, die Polizei oder die Rettungsdienste grundsätzlich in Frage zu stellen, wie Sie oft die Bundeswehr grundsätzlich in Frage stellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/ Linke Liste])

Wir sollten gemeinsam — nicht gemeinsam mit Ihnen von der SED-Nachfolgeorganisation, sondern mit Ihnen von der SPD — zu mehr Sachlichkeit aufrufen und einer falschen Hysterie vorbeugen. Schon gar nicht sollten wir, wie Sie es tun, aus parteipolitischen Gründen Ängste schüren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Verheugen, den ich hier nicht sehe, hat in der Debatte am letzten Donnerstag den verantwortungslosen und falschen Vorwurf des Verfassungsbruchs ausdrücklich zurückgenommen. Ich begrüße, daß er ihn zurückgenommen hat. Er hat aber im Laufe seiner Rede weiterhin gesagt, daß die SPD das Handeln der Regierung als von der Verfassung nicht gedeckt sieht. Ich glaube, hier offenbart sich ein sehr eigenartiges Rechtsverständnis. Wenn Sie schon das Bundesverfassungsgericht anrufen, dann müssen Sie seine Entscheidungen auch akzeptieren, selbst wenn diese Entscheidungen nicht Ihren Erwartungen entsprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die SPD ist in dieser Frage sehr inkonsequent. Die
humanitären Hilfsflüge deutscher Transall-Besatzun-



Michael Glos
gen nach Bosnien sind nicht weniger risikoreich als der Somalia-Einsatz.
Die SPD ist auch widersprüchlich. Noch am 10. Februar 1993 haben Sie einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, in dem Sie die Bundesregierung auffordern,
im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Entsendung von Blauhelmen nach Togo zu beantragen. Sie sollen die Neutralität der togoischen Armee während der Übergangsphase überwachen;
Meine Damen und Herren von der SPD, einerseits halten Sie einen Einsatz bei jeder Gefahr für unzulässig, andererseits muten Sie deutschen Soldaten zu, in Togo eine ganze Armee im Zaum zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies ist ein sehr eigenartiges Verständnis. Ich kann mir nur vorstellen, daß es daraus resultiert, daß Teile von Ihnen die Kolonialzeit noch nicht voll überwunden haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Widerspruch bei der SPD — Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Volksverhetzer sind Sie!)

— Entschuldigung, der Antrag kam von Ihnen.
Noch widersprüchlicher und damit schäbig finde ich, daß Sie Ihre Somalia-Klage erst viele Wochen nach der Entscheidung der Bundesregierung eingereicht haben. Das führte zu einem Prozeß unerträglicher Verunsicherung der Soldaten und ihrer Angehörigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Geradezu absurd wäre es allerdings, dem Versuch der SPD zum Erfolg zu verhelfen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einen Erfolg umzudeuten. Dieser durchsichtige Versuch war von Anfang an lächerlich und hat auch mit zur Politikverdrossenheit beigetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Lachen bei der SPD)

Gerade haben unsere Kollegen vom Rechtsausschuß debattiert. Wenn eine Prozeßpartei das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen will, dann gehört entweder Dummheit oder Unverschämtheit oder beides dazu, hinterher von einem Erfolg zu sprechen, wenn man verloren hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Bundesverfassungsgericht hat aber noch eine andere deutliche Mahnung ausgesprochen: Politische Fragen müssen im Parlament und nicht vor Gericht entschieden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Zur Demokratie gehört untrennbar das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen. Diese Mehrheitsentscheidungen müssen dann auch akzeptiert werden. Die Wählerinnen und Wähler haben im Deutschen Bundestag für klare Mehrheiten gesorgt. Wer das nicht akzeptieren will, fördert Parteiverdrossenheit und nährt Zweifel an der Kraft unseres demokratischen Staatswesens, klare Entscheidungen treffen und dann auch durchsetzen zu können. Wer Mehrheitsentscheidungen ständig vor Gericht bekämpft, legt die Axt an die Wurzeln des Ansehens der Demokratie bei der Bevölkerung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

Wer ständig nach Zweidrittelmehrheiten ruft, übersieht, daß eine demokratische Gesellschaft keine Konsensgesellschaft in allen Fragen sein kann und auch nicht sein muß, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir können diesen Konsens von Fall zu Fall herstellen, wenn Sie zustimmen. Aber wir können uns doch nicht von einer so unzuverlässigen politischen Kraft, wie es die SPD im Jahre 1993 geworden ist, abhängig machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Detlev von Larcher [SPD]: Was ist das für ein Niveau!)

Das Grundgesetz ermöglicht in Art. 24 eine Teilnahme an allen Verpflichtungen auf Grund der UNCharta. Das beinhaltet in Ausübung des Rechts zu kollektiver Selbstverteidigung gemäß Art. 51 dieser Charta auch Hilfeleistungen für andere Staaten gemeinsam mit Partnern im Rahmen von Bündnissen oder regionalen Abmachungen, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört. Die Karlsruher Entscheidung hat deswegen auch Auswirkungen auf die Diskussion um eine Änderung oder ergänzende Klarstellung in der Verfassung.
Die Bundesrepublik Deutschland ist auf Grund dieser Entscheidung außenpolitisch rasch und damit voll handlungsfähig. Denn oft ist nur jemand handlungsfähig, der rasch handlungsfähig ist. Wenn in der Verfassung ein angemessener Handlungsspielraum für die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Parlament eingeräumt wird, dann können wir damit leben.
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. haben aber, um einen Konsens zu ermöglichen, bereits am 13. Januar einen gemeinsamen Antrag für eine klarstellende Ergänzung des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag eingebracht. Wenn Sie zugestimmt hätten, hätten wir uns diese Debatte ersparen können.
Eine Annahme dieses Antrags würde den Streit über die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr beenden. Das wären wir unseren Soldaten schuldig. Aber wir werden keinem Antrag zustimmen — das gilt für unsere ganze Fraktion —, der die bestehenden Einsatzmöglichkeiten, die das Grundgesetz jetzt schon bietet, wieder einengen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie sich schon zu einer Klarstellung in der Verfassung nicht durchringen können — dafür habe ich angesichts des Zustandes Ihrer Partei Verständ-



Michael Glos
nis —, dann stimmen Sie doch bitte wenigstens heute unserem Antrag zu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Abbau des Eisernen Vorhangs hat dazu geführt, daß das vereinte Deutschland politisch wieder in der Mitte Europas liegt. Diese Mittellage verleiht uns mehr Gewicht, erlegt uns aber auch größere Verantwortung auf, auch über das ehemalige Konfrontationsgebiet des kalten Krieges hinaus.
Dieser Situation wollen wir insgesamt gerecht werden. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts müssen wir uns den Veränderungen und Herausforderungen stellen und unsere deutschen Interessen sorgfältig definieren. Deutschland trägt in allererster Linie Verantwortung in Europa, wie ich meine, aber auch darüber hinaus. Das soll nicht heißen, daß wir Interventionsarmee für jeden Konflikt in der Welt werden wollen. Aber wir müssen uns beteiligen, wenn wir gerufen werden. Das Dokumentieren von Betroffenheit löst keine Probleme und rettet nirgends Leben und Frieden und Freiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zur Wiederherstellung und Sicherung des Friedens ist es wichtig, daß wir die internationale Autorität der UNO und auch der NATO unterstützen. Vor dieser Aufgabe kann und darf Deutschland sich nicht drükken; es muß vielmehr, wie England, Frankreich und andere Partner, seinen Beitrag gleichberechtigt leisten.
Franz-Josef Strauß hat gesagt:
Wir sind entweder Subjekt oder Objekt der internationalen Entwicklung. Entweder wir spielen mit, oder mit uns wird gespielt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich begrüße deshalb — damit komme ich zum Schluß —, daß die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt hat, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mitzuwirken. Das müssen wir dann jedoch ohne Wenn und Aber als gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie mit gleichen Rechten und Pflichten tun. Helfen Sie mit, daß wir diesen guten Weg in Zukunft gehen können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216904700
Herr Kollege Büttner, Sie haben einen Zwischenruf gemacht, der normalerweise einen Ordnungsruf nach sich zieht. Sie kennen meine Abneigung gegen die geschäftsordnungsmäßigen Ordnungsmaßnahmen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Es muß aber sein!)

Ich frage Sie: Wollen Sie das ganz rasch mit einer Bemerkung am Saalmikrofon in Ordnung bringen?

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Oder raus!)


Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1216904800
Herr Präsident, ich weiß nicht, welchen Zwischenruf Sie meinen. Aber wenn Sie die Tatsache, daß ich von meinem Recht nach Art. 5 des Grundgesetzes — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216904900
Nein, Sie haben den Zwischenruf „Volksverhetzer" gemacht.

(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)


Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1216905000
Gut, ich stehe dazu. Wenn ich von meinem Recht nach Art. 5 des Grundgesetzes auf publizistischen Gegenschlag hier in diesem Raum Gebrauch mache — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216905100
Gut, dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Dann nehme ich den gerne entgegen, danke schön! — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU] und Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Einen zweiten Ordnungsruf!)

Soweit kommt es noch, daß Sie hier mit „publizistischem Gegenschlag" operieren und eine wirklich menschenverletzende Sprache in dieses Haus einführen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich erteile unserem Kollegen Hans-Ulrich Klose das Wort.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1216905200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bis zum Ende der 80er Jahre gab es in der Bundesrepublik Deutschland einen Grundkonsens in der Frage, was die Aufgabe der Bundeswehr ist: die Verteidigung des eigenen Territoriums und des Territoriums der Bündnispartner im Verteidigungs- und Bündnisfall entsprechend der Regelung von Art. 87 a unseres Grundgesetzes — dies und nur dies.
Dieser Grundkonsens ist zerbrochen. Die Bundesregierung will, daß sich die Bundeswehr ab sofort auch an Aktionen „out of area" im Rahmen der UNO und der Bündnisse beteiligt.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie persönlich wollen es doch auch!)

Die bisher von allen Bundesregierungen übereinstimmend vertretene Auffassung, daß für eine solche Ausweitung des Auftrages der Bundeswehr eine Verfassungsänderung erforderlich sei, wird von dieser Bundesregierung nicht mehr akzeptiert. Es muß, meine Damen und Herren, ausdrücklich betont werden: Diese Bundesregierung hat den Grundkonsens aufgekündigt.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre ihre Aufgabe gewesen, sich um die Herstellung eines neuen Grundkonsenses zu bemühen. Sie hat es nicht getan; es ist ihr jedenfalls nicht gelungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das liegt nicht bei uns! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist klar, warum ihr dies mißlungen ist. Es gab und gibt unterschiedliche Auffassungen nicht nur im Verhältnis von Koalition zur Opposition, sondern, soweit es um die verfassungsrechtlichen Fragen geht, auch in der Koalition. Die F.D.P. will eine Ausweitung des Bundeswehrauf-



Hans-Ulrich Klose
tragen — wir wissen es —; aber sie teilt ganz überwiegend die Auffassung der SPD, daß dazu eine Verfassungsänderung nötig ist. Der neue Generalsekretär der F.D.P. hat sich erst kürzlich noch einmal in diesem Sinne geäußert. Ich bin gespannt auf die Äußerungen heute.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern führten, wie Sie sich erinnern werden, zu einer höchst merkwürdigen Koalitionsabsprache, die Überwachung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina betreffend.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Thema!)

Die Mehrheit des Kabinetts stimmte zu, die Minderheit bemühte das Bundesverfassungsgericht: Vizekanzler verklagt Kanzler. Eine wahrhaft lächerliche Situation!

(Beifall bei der SPD — Paul Breuer [CDU/ CSU]: Alles nur Ablenkungsmanöver! Das sind Nebensächlichkeiten!)

Bei dem konkreten Fall Somalia versuchte Kollege Kinkel, sich über die Runden zu retten mit dem untauglichen Argument, es handele sich gar nicht um einen Einsatz — und wenn schon, dann jedenfalls um einen ausschließlich humanitären. Sie sollten, wenn Sie ehrlich bleiben wollen, Herr Kollege Kinkel, so nicht argumentieren.
Bei dem Engagement der Bundeswehr handelt es sich zweifellos um einen militärischen Einsatz: logistische Unterstützung für einen etwa 4 000 Mann starken Kampfverband, der, ausgehend von Belet Uen, Befriedungsaufgaben zu lösen hat. Der Auftrag ist — eine Selbstverständlichkeit auch aus unserer Sicht — mit einer Selbstschutzkomponente versehen; hinzu kommt eine in den rules of engagement definierte Nothilfekomponente, die sich — das sage ich Ihnen voraus — in der Praxis schnell ausweiten wird. Der ursprüngliche, im Kabinettsbeschluß vom 21. April 1993 im Vordergrund stehende humanitäre Teil des Einsatzes ist durch die Konkretisierung des Auftrags am 3. Juni 1993 durch das Bundesverteidigungsministerium in den Hintergrund gerückt. Nur soweit noch Kapazitäten verfügbar sind — so steht dort zweimal in der Vorlage —, kann humanitäre Hilfe geleistet werden. Wenn dafür ein Drittel der verfügbaren Kapazitäten angesetzt wird — so die Schätzung von General Bernhardt —, wäre es viel. Dies, Herr Kollege Kinkel, ist die Wahrheit und sonst gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht interessiert es Sie, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang eine Äußerung aus der Truppe zu hören.

(Zuruf von der CDU/CSU: Karlsruhe!)

Ein Offizier des Pionierbataillons 4, der dem Vorkommando von General Bernhardt angehörte, erklärte bei der Berichterstattung vor einer Feldwebeltagung in Süddeutschland, er gebrauche den Begriff „humanitäre Hilfe" ungern, da es sich um einen reinen Einsatz der Streitkräfte handele. — Recht hat er.
Und Sie, Herr Außenminister, haben unrecht.

(Beifall bei der SPD) Sie reden an der Wahrheit vorbei, weil Sie sonst in extreme Argumentationsschwierigkeiten kommen. Wenn es richtig ist, was Sie bisher immer betont haben, daß sich die Bundeswehr in Somalia nur an humanitären Aktionen beteiligen dürfe, daß der Verband abgezogen werden müsse, wenn er in Kampfhandlungen verwickelt werde oder das Stationierungsgebiet zum Kampfgebiet würde, wenn das richtig ist und bleibt, dann müßten Sie bzw. Ihre Fraktion heute konsequenterweise gegen den Somalia-Einsatz stimmen.


(Beifall bei der SPD)

Aber Sie tun es natürlich nicht und behaupten statt dessen unverdrossen, es gehe um einen humanitären Einsatz.
Herr Kollege Kinkel, ich widerspreche nicht, wenn Sie erklären, daß UNOSOM II insgesamt einem humanitären Ziel dient. Daß aber bei diesem Einsatz auch gekämpft wird und daß die Bundeswehr jedenfalls mittelbar an diesen Kampfeinsätzen beteiligt ist, können Sie Ihrerseits auch nicht bestreiten. Und eben deshalb, weil das so ist und weil wir Sozialdemokraten unverändert daran festhalten, daß ein solcher Einsatz verfassungsrechtlich nicht gedeckt ist — auch die vorläufige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klärt diese der Hauptsache vorbehaltene Frage nicht —,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

können und werden wir der vorliegenden Beschlußlage nicht zustimmen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber mit der Zustimmung des Parlaments ist die Verfassungslage gegeben!)

Damit das klar ist: Wir verweigern die Zustimmung nicht, weil wir den Einsatz in Somalia für gefährlich halten. Er ist gefährlich, was das Bundesverteidigungsministerium auch zugibt, indem es die Bewaffnung des Verbandes laufend verstärkt, „auf Grund der Sicherheitslage", wie es in den entsprechenden Vermerken heißt, z. B. in dem Vermerk des Brigadegenerals Frühhaber vom 9. Juni 1993. Gefährlich — wahrscheinlich noch gefährlicher — sind die Flüge des Transportgeschwaders nach Sarajevo, denen wir zugestimmt haben. Wir haben zugestimmt, weil diese Aktion tatsächlich ausschließlich humanitären Zwekken dient, nämlich der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten.

(Beifall bei der SPD)

Das ist hier aber nicht der Fall. Logistik für Kampftruppen ist kein humanitärer Einsatz, und deshalb ist dieser Einsatz verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir hatten Ihnen in der Debatte am 22. April angeboten, durch eine schnell auf den Weg zu bringende Verfassungsänderung „die Beteiligung deutscher Streitkräfte an friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen (Blauhelm-Einsätze) auf klarer verfassungsrechtlicher Grundlage zu ermöglichen" , und zwar, wie wir hinzugefügt haben, „ungeachtet weiter bestehender Mei-



Hans-Ulrich Klose
nungsverschiedenheiten" . Sie haben das abgelehnt, weil — so Sie, Herr Kollege Schäuble, in der Debatte am 17. Juni 1993 — der Antrag der SPD dem Einsatz der Bundeswehr in Somalia den Boden entziehe. Dazu ist zweierlei anzumerken.
Erstens: Ja, das wäre so — womit Sie, Herr Kollege Schäuble, freilich zugleich eingeräumt haben, daß der Einsatz der Bundeswehr in Somalia über einen Blauhelm-Einsatz hinausgeht.

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr!)

Zweitens: Wir hatten unseren Vorschlag sehr sorgfältig formuliert. Er lautete: „Grundgesetzänderung auf der Grundlage" unseres Antrages, womit angedeutet werden sollte, daß dieser Antrag durchaus verändert — im Klartext: erweitert — werden könnte. Denn auch wir wissen, daß die Grenze zwischen friedenserhaltenden und friedensschaffenden Einsätzen in der Praxis schwer zu ziehen ist.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So, jetzt haben Sie die Antwort gegeben!)

Was wir nicht wollen — da soll es keine Unklarheit geben —, sind Einsätze, deren erstens und zumeist ausschließliches Ziel darin besteht, einen Gegner zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Über robuste Blauhelm-Einsätze, wie die Experten heute formulieren, waren wir bereit zu reden, gerade auch im Falle Somalia, wo das Elend groß und Hilfe nötig ist.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch heute zu!)

Gegen einen sorgsam geplanten, in den Zielsetzungen klaren und, was den deutschen Beitrag angeht, unmißverständlichen Einsatz in Somalia wenden wir uns nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ach, jetzt ist die UNO schuld!)

Ein solcher Einsatz mit deutscher Beteiligung auf klarer verfassungsrechtlicher Grundlage wäre auch aus unserer Sicht vertretbar und angemessen. So war unsere Einlassung nach dem Beschluß des Kabinetts vom 21. April 1993, und an dieser Einlassung halten wir fest.
Wir fügen aber — hören Sie gut zu — hinzu: Leider ist der UNO-Einsatz bis heute in seinen Zielen unklar, und es gibt Mißverständnisse und offene Fragen bei dem deutschen Beitrag.
Am 22. April titelte zum Beispiel die „FAZ" — keine sozialdemokratische Zeitung —:

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Bedauerlich!)

„Was soll die Bundeswehr in Somalia eigentlich machen?" Untertitel: „Auftrag ungenau definiert". Am 2. Juni lautet die Überschrift in der FAZ: „Die Aufgaben sind so bunt wie die Zusammensetzung der Truppe". Untertitel: „Ganz klar ist der deutsche Auftrag in Somalia nicht".

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Und was sagt die UNO?)

In dem Artikel vom 22. April wird übrigens sehr anschaulich über Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium über den Somalia-Einsatz berichtet. Offenbar lag dem Verfasser schon damals der Vermerk des UNO-Referats des Auswärtigen Amtes vom 30. März vor. Dieser Vermerk ist für die Beurteilung der ganzen Operation so interessant, daß es sich lohnt, ihn in diese Debatte einzuführen. Auf Seite 2 dieses Vermerks heißt es — ich zitiere —:
Die Entsendung der Bundeswehr unter den vom Bundeskabinett festgelegten Voraussetzungen (humanitäre Aufgaben im sicheren Umfeld) und in dem vom BMVg bevorzugten geographischen Verwendungsraum (Nordosten Somalias, Raum Bosaso) stößt auf Schwierigkeiten. Eine Mission des AA unter Beteiligung des BMVg in den Nordosten Somalias hat festgestellt, daß für eine bloße Verteilung der Hilfsgüter durch den angebotenen verstärkten Verband (1 500 Mann) kein Bedarf mehr besteht und daß in dem als Rückfallposition vorgesehenen Bereich der Flüchtlingsrepatriierung der Bedarf nicht die Entsendung eines umfangreichen Kontingents der Bundeswehr rechtfertigt.
Weiter heißt es in dem Vermerk auf Seite 3 — hören Sie gut zu, das ist hochinteressant —:
Angesichts der bestehenden Schwierigkeiten, geeignete Aufgaben für das angebotene Bataillon zu finden, erscheint es notwendig, unser Angebot innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen an die gegebenen Umstände anzupassen.
Und gleich im Anschluß an diesen Satz heißt es:
Das VN-Sekretariat scheint ... aus politischen Gründen bereit zu sein, bei einer gewissen Anpassungsbereitschaft unsererseits unser Angebot trotz praktischer Schwierigkeiten zu berücksichtigen.

(Lachen und Zurufe von der SPD)

Geredet worden ist dann zwischen Auswärtigem Amt und Bundesverteidigungsministerium über eine Tätigkeit im Rahmen der Flüchtlingsrepatriierung im Nordosten Somalias, über Pionieraufgaben und über Logistikaufgaben. Zu diesen wird dann in dem zitierten Vermerk geschrieben — ich zitiere nochmals —:
Die vom VN-Sekretariat und von unseren in Somalia tätigen Partnern ... erwünschte Übernahme logistischer Tätigkeiten durch die Bundeswehr ist im Kabinettsbeschluß nicht ausdrücklich vorgesehen. Zudem ist aus rechtlicher Sicht zu beachten, daß derartige Aktivitäten unter Umständen zur Übernahme von Aufgaben führen können, die verfassungswidrig wären (Einsatz im Sinne des Art. 87a GG).

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Unter Punkt 5 des Vermerks auf Seite 4 heißt es dann:
Dem BMVg geht es ... nach Aussagen der
Arbeitsebene entweder um eine möglichst um-



Hans-Ulrich Klose
fangreiche, öffentlichkeitswirksame Beteiligung oder um eine völlige Abstinenz.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216905300
Herr Kollege Klose, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt (Fürth)?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1216905400
Ich schließe mich dem Beispiel des Kollegen Glos an: Nein.
Ich habe dies, meine Damen und Herren, so ausführlich zitiert, weil ich der Legende entgegenwirken möchte, es gehe der Bundesregierung in erster Linie um Hilfe für die Menschen in Somalia, wie der Kollege Rühe bei jeder Gelegenheit so wortreich darzulegen versucht. Es geht ihr auch darum; das unterstelle ich. Am Anfang aber stand der Wille, ein politisches Signal zu setzen. Zum Beleg für diese Feststellung erlaube ich mir, aus einem Brief vom 9. Dezember 1992 vom Führungsstab der Streitkräfte an den Bundesverteidigungsminister zu zitieren. Es heißt dort wörtlich:
Unsere Situation im Zusammenhang mit der Beteiligung im Rahmen des Golf-Krieges sollte sich nicht wiederholen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie reden schon eine Viertelstunde und haben immer noch kein Wort dazu gesagt, was die SPD will!)

Es kommt jetzt darauf an, durch die personelle Beteiligung Deutschlands an der Aktion der VN in Somalia ein deutliches Signal zu setzen und dabei verfassungspolitische Bedenken zurückzustellen.

(Zurufe von der SPD: Unglaublich! — Nicht zu fassen!)

Die Aussage in diesem Brief ist ziemlich klar, meine Damen und Herren: Die Bundesrepublik Deutschland muß sich aus dem Golf-Trauma lösen, und das geht nur durch Beteiligung eines Bundeswehrverbandes an den UN-Aktionen in Somalia. So sah es dann auch das Kabinett, das dem UN-Generalsekretär mit Beschluß vom 17. Dezember 1992 die Entsendung eines Bundeswehrverbandes nach Somalia anbot. Der Generalsekretär hatte darum nicht gebeten. Noch im Januar 1993, als er Bonn besuchte, redete er vor allem über Polizeihilfe. In einem Gespräch, das mein Kollege Verheugen und ich mit dem Generalsekretär Boutros-Ghali führten, war nur davon die Rede; er brauche nicht die Bundeswehr, sondern viele Polizisten, wie er immer wieder betonte.
Erst in der Folgezeit, meine Damen und Herren, hat dann die Bundesregierung den Generalsekretär davon überzeugen können, daß aus politischen Gründen ein Bundeswehreinsatz nötig sei, für den dann mühsam ein vernünftiger Auftrag definiert wurde. Dabei entstand die Unterscheidung zwischen „befriedeten und nichtbefriedeten Gebieten", die so weit von der Realität entfernt ist, daß die Amerikaner eine solche Entscheidung ausdrücklich ablehnen, wie uns aus dem Department of Defense mitgeteilt wurde.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Was will eigentlich die SPD?)

Angesichts dieses durch Dokumente zu belegenden Entscheidungsprozesses haben wir wenig Zweifel an dem eigentlichen Ziel Ihrer Somalia-Politik, meine Damen und Herren. Es geht um den Einstieg in eine neue Sicherheits- und Außenpolitik, deren zentrales Anliegen der Wiedereinstieg Deutschlands in die Weltpolitik, der ständige Sitz im Sicherheitsrat und — als angeblich notwendige Voraussetzung dafür — die militärische Normalisierung Deutschlands ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich werfe Ihnen das nicht vor, Herr Außenminister. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie dieses Ziel verdeckt verfolgen und humanitär verkleiden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns doch offen über Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt reden und streiten, konzeptionell und nicht in so schrecklicher Weise beschränkt auf Fragen militärischer Interventionen!

(Beifall bei der SPD — Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht das Problem! Was wollen Sie denn?)

Wir sind doch, denke ich — oder hoffe ich zumindest —, einig in dem Bestreben, die UNO zu stärken. Was wir dazu beitragen können, sollten wir tun.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch zustimmen!)

Die UNO ist doch aber nicht beschränkt auf die eine Aufgabe der militärischen Intervention.

(Anhaltender Beifall bei der SPD — Paul Breuer [CDU/CSU]: Wer behauptet das denn?)

Dies, meine Damen und Herren, spielt auch eine Rolle, aber, füge ich eher besorgt hinzu, eine derzeit ganz und gar überschätzte Rolle. Die UNO kann nicht bei allen internationalen Konflikten militärisch intervenieren, aus ganz praktischen und politischen Gründen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: Das sagt doch niemand!)

Wer wäre denn bereit, der UNO das Interventionsmonopol zu überlassen? Es muß daher dabei bleiben, daß die Aufgabe der UNO in erster Linie darin liegt, den vielfältig bedrohten Frieden in der Welt mit anderen als militärischen Mitteln sichern zu helfen.

(Beifall bei der SPD)

Die meisten Konflikte, meine Damen und Herren, die wir heute registrieren — und es sind sehr viele —, sind mit militärischen Mitteln ohnehin nicht zu lösen, der in Ex-Jugoslawien eingeschlossen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wäre deshalb gut, wenn die Bundesregierung eigene Vorschläge zur Stärkung der UNO, ihren ganzen Aufgabenkatalog betreffend, auf den Tisch legen würde.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Der Antrag liegt doch vor!)




Hans-Ulrich Klose
Warum, frage ich Sie, streben wir nicht eine führende Rolle in der Entwicklungspolitik und in der globalen Umweltpolitik an?

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Haben wir doch!)

Eine solche Rolle würde uns Deutschen gut anstehen. Wenn dazu eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik im Sicherheitsrat hilfreich ist, dann bitte sehr. Dies aber zum Ziel an sich zu erklären und allein deswegen alles mitmachen zu wollen oder zu müssen, was militärisch läuft, das kann nicht die primäre Aufgabe der deutschen Außenpolitik sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Natürlich muß, Herr Außenminister, auch über die europäische Sicherheitsarchitektur geredet werden. Die KSZE hat sich zur Regionalorganisation der UNO erklärt. Jedoch hat sich dadurch ihr friedensstiftender Einfluß auf die europäischen Konfliktregionen nicht vergrößert. Weder hat sie bisher geeignete Methoden entwickelt, Krisenvorbeugung und Konfliktverhütung praktisch zu verwirklichen, noch hat sie Einfluß auf die Beilegung und Beendigung militärischer Konflikte nehmen können. Die Instrumentarien sind unzureichend. Das muß geändert werden. Ich weiß, daß dies schwierig ist. Militärisches läßt sich eben leichter und schneller operationalisieren als Politisches; aber im Bereich des Politischen müssen wir unsere außenpolitische Schwerpunktaufgabe sehen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: Ein völlig neuer Gesichtspunkt!)

Uns ist klar, daß im Rahmen einer europäischen Sicherheitsarchitektur natürlich auch über militärische Aspekte und — in diesem Zusammenhang — über die künftigen Aufgaben von NATO und WEU zu reden ist. Wir sperren uns nicht dagegen, im Gegenteil! Wir wissen, daß die veränderten Aufgaben von NATO und WEU — und das Verhältnis der beiden Bündnisse zueinander — geklärt werden müssen, aber nicht mit Großmachtflausen im Kopf, sondern unter realistischer Einschätzung unserer tatsächlich und politisch begrenzten Möglichkeiten.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Abschlußbemerkung. Ich habe gestern die Infanterieschule der Bundeswehr — des Heeres — in Hammelburg besucht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie garantiert anders gesprochen!)

Ich wollte mit diesem Besuch deutlich machen, daß wir Sozialdemokraten, indem wir über Somalia streiten, uns nicht mit der Bundeswehr streiten. Es ist auch unsere Bundeswehr. Ich sage das mit großem Ernst, und Sie sollten es mit großem Ernst zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn die Bundeswehr, durch Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages legitimiert, nach
Somalia geht, kann sie sich auch auf unsere Unterstützung verlassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Den Streit mit der Bundesregierung werden wir fortsetzen; den deutschen Soldaten in Somalia aber wünschen wir Glück und Erfolg und daß sie gesund nach Deutschland zurückkommen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216905500
Herr Kollege Ulrich Irmer, Sie haben das Wort.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216905600
Herzlichen Dank, Herr Präsident! — Meine Damen und Herren! Es gehört auch zur härtesten politischen Auseinandersetzung, daß man ein Mindestmaß an Fairneß an den Tag legt. Herr Klose, wenn Sie die halbe Redezeit beansprucht haben, um aus einem Papier zu zitieren, das irgendwann vor Wochen einmal irgendein Hilfsreferent zusammengebosselt

(Widerspruch bei der SPD)

und dann dem Papierkorb anvertraut hat — wo es auch hingehört —, dann finde ich das etwas eigenar-fig. Wenn Sie über den Auftrag, den die Bundeswehr im Augenblick in Somalia erfüllt, sprechen, dann müssen Sie sich schon daran halten, wie die Bundesregierung, von diesem Parlament bekräftigt, den Auftrag formuliert hat und wie die Aufgabe unserer Soldaten in Somalia in der letzten Woche vor dem Bundesverfassungsgericht von dem stellvertretenden UN-Generalsekretär Petrowski geschildert worden ist.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist der Rahmen und der Umfang dieses Auftrages, nicht irgendwelche Überlegungen, die im Vorfeld einmal irgendwann von irgend jemandem angestellt worden sein mögen. Ich wundere mich allerdings kaum noch, wenn ich diese Methode studiere, warum man die SPD in letzter Zeit so oft auf dem falschen Fuß erwischt. Wenn das die Methode ist, wie Sie Ihre programmatischen Äußerungen zusammenstellen, dann ist das völlig offenkundig.
Meine Damen und Herren, der Beschluß, den wir heute hier im Hause zu fassen haben — und den wir fassen werden —, ist nicht neu. Er hat nur rechtlich eine andere Qualität als der im Prinzip gleiche Beschluß, den wir am 21. April hier bereits gefaßt haben. Von daher ist natürlich die Einlassung von Herrn Verheugen in der letzten Woche sehr, sehr eigenartig, daß Sie einen großen Sieg des Parlamentes erstritten hätten. Es ist doch hier so gewesen, daß sich der Deutsche Bundestag den Auftrag, den die Bundesregierung der Bundeswehr erteilt hat, von Anfang an zu eigen gemacht hat, daß wir das hier höchst ausführlich diskutiert haben, daß wir Unterrichtungen über alle Einzelheiten dessen, was sich dort abspielt, bekommen haben. Insofern ist es also nicht ein Sieg des Parlamentarismus gewesen, was Sie in Karlsruhe erzielt haben, sondern Sie haben sich eine Niederlage eingehandelt.



Ulrich Irmer
Es wäre auch gar nicht erforderlich gewesen, noch eigens darauf hinzuweisen, daß die Parlamentsbeteiligung von uns für drigend erforderlich gehalten wird. Sie kennen doch unseren Entwurf zur ändernden Klarstellung der Verfassung. Hier vielleicht noch ein Wort dazu: Da haben wir gar eine Parlamentsbeteiligung in abgestuften Formen hineingeschrieben, und es hätte an Ihnen gelegen, dies aufzugreifen, während Sie jetzt natürlich Gefahr laufen, daß in der Hauptsacheentscheidung das Bundesverfassungsgericht möglicherweise der Rechtsauffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion folgt und sagt: Das Ganze geht nach Artikel 24, durch schlichten Beschluß der Bundesregierung.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216905700
Herr Kollege Irmer —

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216905800
Ich möchte den Gedanken nur zu Ende bringen. — Damit keine Mißverständnisse auftreten: Die F.D.P.-Fraktion ist in der Tat, wie es Generalsekretär Werner Hoyer noch einmal bekräftigt hat, der Auffassung, daß wir eine Grundgesetzänderung benötigen. Die CDU/CSU ist dieser Auffassung nicht, war aber fair genug, in konstruktiver Zusammenarbeit in der Koalition mit uns einen Gesetzentwurf vorzulegen, und darauf kommt es doch an. Wir behalten uns jeweils vor, an der eigenen Rechtsauffassung festzuhalten, verhakeln uns aber nicht in einem sinnlosen rechtlichen Streit, sondern handeln politisch und legen einen Gesetzentwurf vor.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216905900
Der Kollege Klejdzinski würde Ihnen jetzt gern eine Zwischenfrage stellen.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216906000
Gern, wenn es nicht von meiner Zeit abgeht.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216906100
Selbstverständlich nicht.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1216906200
Herr Kollege Irmer, stimmen Sie mir zu bzw. ist Ihnen erinnerlich, daß in der besagten Ausschußsitzung der Außenminister ausweislich des Protokolls erklärt hat, der Somalia-Einsatz sei eine rein humanitäre Aufgabe und bleibe für die F.D.P. eine rein humanitäre Aufgabe, und daß in der gleichen Sitzung der Bundesminister der Verteidigung erklärt hatte, es sei eine logistische Unterstützungsaufgabe für einen Verband, der 800 Kilometer weiter vorrücken wird? Meinen Sie nicht auch, daß eine logistische Unterstützung eines Verbandes im Grunde genommen keine humanitäre Aufgabe ist, sondern, wenn man so will, eine militärische?

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das soll eine Frage sein, nicht eine Rede!)


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216906300
Vielen Dank, Herr Kollege Klejdzinski, für diese Vorlage, die ich gern entgegennehme. Es handelt sich bei dem, was die Bundeswehr in Somalia tut, um einen humanitären Einsatz, der sowohl unmittelbar humanitäre als auch logistische Komponenten hat. Diese logistischen Komponenten dienen aber dem humanitären Zweck der Aktion. —
Herr Klose, Sie machen jetzte eine erstaunte Miene; Sie haben das aber eben selber gesagt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben doch eben selber gesagt, der Zweck sei humanitär. Und ich frage Sie: Wenn versucht wird, mit logistischen Mitteln in einem Land einen elementaren Aufbau wieder in die Wege zu leiten, ist denn das nicht humanitär, wenn man nur auf diese Weise die Voraussetzungen dafür schaffen kann, daß das Verrecken und Sterben, das Elend da unten vielleicht einmal angegangen werden kann? Meine Damen und Herren, das ist die humanitäre Logik dieses Einsatzes.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir bleiben auch dabei: Es ist kein Einsatz im Sinne des Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes. Es ist in diesem Falle kein solcher Einsatz; denn was ein solcher Einsatz ist, entscheidet sich an der Frage, welcher Auftrag erteilt wird. Und hier ist kein Kampfauftrag erteilt worden, sondern die Bundeswehr hat den ganz klaren Auftrag, humanitär und logistisch helfend teilzunehmen.
Überhaupt, Herr Klose, ich verstehe das eine nicht. Sie behaupten hier nach wie vor, Sie lehnten den Antrag aus Rechtsgründen ab. Das ist in zweierlei Hinsicht unverständlich. Zum einen deshalb, weil es eben die Hürde des Art. 87a GG in diesem konkreten Fall gar nicht gibt. Sonst hätten wir auch als F.D.P., treu unserer Auffassung, das gar nicht mittragen können, wir hätten es jedenfalls nicht problemlos mittragen können.

(Zuruf von der SPD: Das ist das Problem!)

Das zweite Argument ist aber, daß das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, diese Aktion könne weitergeführt werden, vorausgesetzt, der Deutsche Bundestag stimmt ihr heute konstitutiv zu. Das werden wir mit dieser neuen rechtlichen Qualität dessen tun, was wir bereits getan haben. Wir verleihen dem heute eine zusätzliche rechtliche Qualität. Damit ist bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumindest diese Aktion auf einer verfassungsrechtlich völlig unzweideutigen Rechtsgrundlage.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das brauchen wir auch, und zwar einmal für uns und für unsere politische Entscheidung, wir brauchen es aber auch für die Gemütslage der Soldaten und ihrer Angehörigen, die nämlich durch Ihr Verhalten in Zweifel gestürzt worden sind.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese Zweifel hat Gott sei Dank das Bundesverfassungsgericht letzte Woche ein für allemal beseitigt.
Herr Klose, ich fand das geradezu rührend, wie Sie eben gesagt haben, Sie seien gestern in Hammelburg gewesen und hätten dort mit den Soldaten gesprochen.

(Zuruf von der SPD: Was soll das denn?)

Als am Freitag der letzten Woche im ersten Durchgang in der Debatte über diesen Antrag die Kollegen
Deutscher Bundestag --- 12. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1993 14589
Ulrich Irmer
aus der Koalition den Soldaten für das, was sie dort tun und tun müssen, gedankt haben, regte sich in Ihrer Fraktion keine Hand. Als der Kollege Glos vorhin den Dank wiederholt hat, habe ich beobachtet, daß keiner bei Ihnen dazu zu bewegen war, sich hier durch das Spenden von Beifall zu diesem Punkt dem Dank anzuschließen.

(Walter Kolbow [SPD]: Das machen wir selber, Herr Irmer!)

Ich wiederhole jetzt noch einmal und hoffe, daß ich das für das ganze Haus tun kann — daß wir, das Parlament, hinter unseren Soldaten stehen und würdigen, welche schwere Aufgabe sie zu bewältigen haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

— Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich sprach vorher von Redlichkeit. Meines Erachtens gehört dazu auch, daß die SPD nicht das fortsetzen sollte, was sie ja seit einigen Monaten betreibt. Sie bezichtigt nämlich, sehr wohl wissend, daß das nicht der Wahrheit entspricht, die Bundesregierung und damit die die Regierung tragenden Fraktionen dieses Hauses, eine neue Außen- und Sicherheitspolitik einführen zu wollen, die sich auf militärischen Interventionismus begrenze.

(Zuruf von der SPD: Die haben Sie schon eingeführt!)

— Durch die ständige Wiederholung eines so aberwitzigen Vorwurfs wird derselbe natürlich um keinen Deut richtiger.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich will einmal versuchen, Ihnen zu sagen, worauf es in diesem Zusammenhang eigentlich ankommt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kapieren Sie sowieso nicht!)

Nach dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation und nach der Auflösung der Blöcke ist unsere Welt nicht wesentlich sicherer und kein lauschiger Platz geworden.

(Zuruf von der SPD: Soweit Übereinstimmung!)

— Das freut mich. — Es sind völlig neue Risiken sichtbar geworden. Vielleicht waren Risiken schon vorhanden, aber sie waren durch den Ost-WestKonflikt überdeckt. Jetzt sind sie vor aller Augen sichtbar geworden.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Und welche davon lösen Sie mit militärischen Mitteln?)

Es ist wieder möglich, daß in Europa gekämpft wird. Außerdem gibt es weltweit Auseinandersetzungen, die neu aufgebrochen sind oder durch den Wegfall des Ost-West-Konfliktes verstärkt worden sind.
Was ist denn jetzt die Antwort einer deutschen Außenpolitik? Sie sagen, die Regierung und die Koalition hätten den Grundkonsens aufgekündigt.

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Das ist nicht wahr. Wissen Sie, wer den Grundkonsens aufgekündigt hat? Die Geschichte ist es gewesen, die hier ein Umdenken erforderlich gemacht hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Wir waren doch ein geteiltes Land, wir waren Frontlinienstaat. Es gab zwei deutsche Staaten in den Vereinten Nationen. Wir hatten unsere Souveränität nicht. Dies alles hat sich geändert. Jetzt sind wir ein Land in den Vereinten Nationen und — nun komme ich auf einen wichtigen Punkt — in unseren Bündnissen und in den internationalen Organisationen.
Was kann denn unsere Antwort auf diese neuen Unsicherheiten sein? Doch nur die, daß wir an dem festhalten und das stärken, was uns über 40 Jahre lang Sicherheit und Frieden gewährleistet hat, nämlich die Einbindung in die internationalen Organisationen wie EG, NATO und WEU.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Natürlich müssen einige Organisationen gestärkt werden, damit sie handlungsfähiger werden. Zu ihnen gehört die KSZE, da haben Sie recht. Wir haben nächste Woche hoffentlich in Helsinki bei der Parlamentarierkonferenz Gelegenheit, deutlich zu machen, wie wichtig auch dem Deutschen Bundestag die Stärkung der KSZE und die Übertragung dieser Rolle ist, Krisen nämlich nicht erst zu bewältigen, wenn sie entstanden sind, sondern vorbeugend zu erkennen und zu analysieren und dann nach Krisenlösungs-, Krisenschlichtungs- und Krisenvorbeugungsmaßnahmen zu suchen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Bei den Vereinten Nationen ist es doch auch so, daß wir gerne dieser Weltorganisation das Gewaltmonopol und die Rolle des Weltrichters und Weltpolizisten zuerkennen möchten. Wir wollen erreichen, daß die Vereinten Nationen diese Rolle kompetent und effizient spielen können. Das setzt aber doch voraus, nachdem die Vereinten Nationen über eigenes Organisationspotential und über entsprechende eigene Instrumente nicht verfügen, daß die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Aktionen ausführen, die vom Sicherheitsrat beschlossen werden. Um nichts anderes geht es doch hier.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216906400
Herr Kollege Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216906500
Ja, bitte.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1216906600
Herr Kollege Irmer, Sie haben gesagt, Sie seien gegen deutschen Interventionismus. Darf ich daraus schließen, daß Sie gegen die Solidarisierung des Bundeskanzlers Kohl mit dem amerikanischen Akt in bezug auf Bagdad sind? Der Bundeskanzler hat sich mit den USA solidarisiert. Er hat gesagt, es sei eine berechtigte Aktion, drei Monate nach einem versuchten Anschlag — möglicherweise stimmt das oder nicht — einen Agressionsakt gegen Bagdad vorzunehmen. Das war doch Interventionismus. Darf ich daraus schließen,



Dr. Uwe-Jens Heuer
daß Sie gegen die Solidarisierung der Bundesregierung mit diesem Interventionsakt sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1216906700
Herr Kollege Heuer, Sie sind einer der letzten, die mich dazu bringen würden, mich von meinem Bundeskanzler zu distanzieren.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich betone noch einmal, daß es das Ziel unserer Bemühungen zur Stärkung der Vereinten Nationen sein muß, dort ein Gewaltmonopol anzusiedeln und den Vereinten Nationen die Rolle des Weltpolizisten zuzuerkennen. Denn ich bin der Meinung, daß die Selbsternennung zum Weltpolizisten in aller Regel nicht zu positiven Ergebnissen führen kann.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216906800
Der Herr Kollege Meckel möchte auch gerne eine Frage stellen. — Bitte.

Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1216906900
Herr Kollege Irmer, die Tendenz Ihrer Aussagen kann ich tragen, wenn ich auch lieber vom Interventionsmonopol reden möchte. Würden Sie aber zugestehen, daß der von Ihnen mit der Koalition gemeinsam vorgebrachte Antrag weit über das hinausgeht, was Sie eben als Möglichkeit des Eingreifens in Konflikte in anderen Ländern beschrieben haben?

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216907000
Herr Kollege Meckel, Sie werden mir nicht übelnehmen, wenn ich das gänzlich anders sehe als Sie. Ich sehe hier eine absolute Übereinstimmung mit dem Auftrag, den wir der Bundeswehr erteilen, und mit dem, was der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen uns hier vorgegeben hat. Das hat der stellvertretende Generalsekretär letzte Woche in.Karlsruhe ja auch sehr deutlich gesagt, ebenso wie Herr Boutros-Ghali bei seinem Besuch in Bonn.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Markus Meckel [SPD]: Was ist mit Punkt 3 Ihres gemeinsam eingebrachten Antrages?)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216907100
Wenn Sie eine weitere Frage stellen wollen, dann muß das der Kollege Irmer ausdrücklich zulassen.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1216907200
Sie meinen den Antrag auf Grundgesetzänderung. Lieber Kollege Meckel, dazu will ich Ihnen folgendes sagen: In diesem gemeinsamen Antrag steht, im Rahmen von Bündnissen und nach der bisherigen Formulierung der Bündnisverträge, sowohl NATO als auch WEU, sind nach der Aufgabenstellung der Bündnisse selbst derartige Einsätze nicht vorgesehen, so daß erst eine Änderung der Bündnisverträge erfolgen müßte, damit dieser Fall überhaupt virulent würde. Es mag sein, daß ich mit einigen Kollegen oder der Mehrheit der CDU/CSUFraktion nicht übereinstimme, aber ich habe bereits gesagt, daß es uns darauf ankommt, nicht Rechtsfragen zu erörtern, sondern daß wir politische Handlungsfähigkeit an den Tag legen wollen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wissen Sie, Herr Klose, das, was ich jetzt sage, hat mir der Kollege Weng zugeflüstert. Ich halte etwas vom Urheberrecht, deshalb will ich hier seinen Namen auch nennen. Der Kollege Weng meint nämlich — ich schließe mich dem gerne an —, daß es, wenn es nach Ihnen ginge, bei internationalen Einsätzen immer erst so laufen müßte, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Vorauskommando aus 20 Kollegen der SPD-Fraktion vor Ort entsendet, die dann erst einmal für drei Wochen Trauerarbeit leisten. Und wenn das geschehen ist, dann kann man weitersehen, was passiert.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal zum Ernst der Sache zurückkommen. Es geht doch um folgendes. Herr Kollege Klose, Sie haben angemahnt — hier ist kein Widerspruch —: Warum betreiben wir denn nicht im Rahmen der Vereinten Nationen in erster Linie Entwicklungszusammenarbeit, Umweltpolitik? Das soll doch alles möglich sein. Das verlangen wir ja auch.

(Manfred Opel [SPD]: Warum macht ihr es nicht?)

Wir haben zur Reform der Vereinten Nationen ein Papier vorgelegt, in dem wir unsere Vorstellungen dargelegt haben. Da spielen diese Punkte die Hauptrolle. Die militärische Seite kommt ganz am Ende als Ultima ratio, wie immer wieder betont worden ist.
Aber ohne diese Komponente geht es ganz schlicht aus einem ganz einfachen Grunde nicht. Wenn wir unsere Zukunft, unsere sicherheitspolitische Zukunft im Rahmen der bewährten Organisationen gestalten wollen und wenn wir nicht im nationalen Alleingang, nicht in nationaler Überheblichkeit, sondern in ganz enger Einbindung in diese Strukturen unsere Zukunftschancen sehen, dann ist die Konsequenz — ob sie Ihnen schmeckt oder nicht —, daß wir auch bereit sein müssen, alle Verpflichtungen wahrzunehmen, die sich aus dieser Einbindung und aus diesem Maß an Sicherheit, das wir dadurch bekommen, ergeben.
Es wird die Aufgabe dieses Hauses sein, alsbald die entsprechenden grundgesetzlichen Klarstellungen vorzunehmen, damit Deutschland — nicht alleine, aber zusammen mit seinen Partnern — in der Welt ein verläßlicher Partner sein kann.
Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216907300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1216907400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll das Parlament nachträglich beschließen, was die Bundesregierung bereits vollzogen hat und weiter vollzieht: den Einsatz der deutschen Bundeswehr außerhalb des Verteidigungs- oder eines Bündnisfalles. Dieses Mal in Somalia.
Indem die Mehrheit des Parlaments den Beschluß der Bundesregierung wörtlich übernimmt und das parlamentarische Verfahren innerhalb einer guten Woche durchpeitscht, degradiert sie das Parlament zu



Dr. Gregor Gysi
einer Einrichtung der Bundesregierung, verleiht sie dem Parlament eine reine Alibifunktion

(Zuruf von der CDU/CSU)

und gestaltet die parlamentarische Debatte letztlich zur Farce.
Mit der heutigen Entscheidung fügt das Parlament dem Rechtsbewußtsein der Bevölkerung großen Schaden zu. Denn seit Jahrzehnten und noch zur Zeit des Golfkrieges haben Bundesregierung, Koalition, Opposition und die meisten Verfassungsrechtler und alle Grundgesetzkommentare einheitlich die Auffassung vertreten, daß das Grundgesetz den Einsatz der deutschen Bundeswehr nur im Verteidigungs- oder Bündnisfall zuläßt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Kommentare müßten Sie lesen, Herr Gysi!)

Ohne das Grundgesetz zu ändern, wird plötzlich ein allgemeiner internationaler Einsatz der Bundeswehr für zulässig erklärt. Das aber bedeutet, das Recht den eigenen politischen Zwecken vollständig unterzuordnen. Es bedeutet, das Recht zu prostituieren

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist ein unangenehmer Ausdruck, den Sie hier gebrauchen!)

und der Bevölkerung zu sagen: Bei Recht geht es nicht um das geschriebene Gesetz, zumindest die Mächtigen können damit machen, was sie wollen. Und ebendas erzieht zur Mißachtung des Rechts.
Die Haltung eines wachsenden Teils in der SPD beginnt sich, wie schon in der Asylfrage, der CDU/ CSU anzugleichen. Jemand, der — in der letzten Woche Herr Verheugen; Herr Klose heute anders, muß ich sagen — nicht klipp und klar sagt, daß er aus politischen, moralischen und historischen Gründen den internationalen interventionistischen Einsatz der Bundeswehr ablehnt, sondern daß ihm lediglich die Beschlußlage in der eigenen Partei eine Zustimmung verbietet, sagt damit, daß er gerne zustimmen würde, nur eben noch nicht darf. Das ist keine Oppositionshaltung, das ist keine alternative Politik, sondern indirekte Zustimmung und die Vorbereitung — wie bei der Asylfrage — zur Änderung der parteiinternen Beschlußlage.
In den letzten Wochen und Monaten — das muß man mit Respekt Herrn Schäuble lassen — hat er die SPD ziemlich am Nasenring durchs Land geführt. Nur glaube ich, daß das eine politische Katastrophe für die Bundesrepublik ist.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Für die SPD!)

Immer mehr prominente Mitglieder beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben frühere pazifistische Positionen auf und fordern zumindest die Einbeziehung der Bundeswehr bei Blauhelm-Einsätzen. Die Entwicklung ist leider auch hier noch nicht abgeschlossen.
Ich weiß, daß ich aus einer Partei komme, die das gesellschaftliche Leben äußerst unangenehm militant organisierte. Aber lieber bin ich doch in einer Partei, die sich eindeutig von militanten hin zu pazifistischen
Positionen entwickelt, als in einer, die den umgekehrten Weg geht

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das gerade aus Ihrem Munde!)

und damit beginnt, wie alle herrschenden Kräfte, Pazifismus geringzuschätzen oder sogar zu verhöhnen.
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich einer weiteren Entwicklung des internationalen Einsatzes der Bundeswehr? Die USA haben 23 Raketen gegen Bagdad abgeschossen und dabei auch mehrere Wohnblocks getroffen und Zivilisten getötet. Letzteres finden die USA — so wörtlich — bedauerlich. Ich finde es verbrecherisch.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Eine Zustimmung des Sicherheitsrates für diese militärische Aktion lag nicht vor. Dieser mörderische Aggressionsakt findet in der UN-Charta keine Rechtfertigung, will man nicht auch hier Recht prostituieren.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist wohl Ihr Lieblingswort!)

Seit wann, so frage ich, ist es Rechtens, völlig unbeteiligte Zivilisten zu töten wegen eines nicht bewiesenen, aber auf jeden Fall nicht ausgeführten Attentats? Was soll das für eine Art von Selbstverteidigung oder Notwehr sein? Welchem Bürger würde je zugebilligt werden, irgend jemanden zu töten, weil ein Dritter angeblich geplant habe, seinen Vorgänger zu töten? Welch verkommenes Rechtsbewußtsein, welch anmaßendes militärisches Führungsdenken steckt dahinter!
Aber der amerikanische Präsident hatte Mitwisser, u. a. den deutschen Bundeskanzler. Dieser fand diese militärische Tötungsaktion — wörtlich — „berechtigt" , ebenso der Außenminister.
Hier wird es nun ganz gefährlich; denn die USA meinten, zu diesem Aggressionsakt durch Art. 51 der UN-Charta befugt zu sein, der in Wirklichkeit nur die Selbstverteidigung bei einem Angriff rechtfertigt.
Die Koalition will nun eine Klarstellung des Grundgesetzes für internationale militärische Einsätze der Bundeswehr u. a. durch direkten Bezug eben auf diesen Art. 51 der UN-Charta. Da der Bundeskanzler der Interpretation des amerikanischen Präsidenten hinsichtlich dieses Artikels zustimmt und dessen Aggressionsakt für berechtigt hält, bedeutet dies, daß er auch solche militärischen Aktionen seitens der Bundesrepublik für berechtigt hielte. Das läßt für die Zukunft Schlimmes ahnen. AWACS und Somalia sollen offensichtlich erst der Anfang sein.
Wenn Sie wirklich etwas gegen Krieg tun wollen, warum verbieten Sie denn dann nicht endlich Waffenexporte? Hier nimmt die Bundesrepublik inzwischen weltweit die zweite Stelle ein.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ja, ich weiß, Rußland kämpft noch um Platz zwei,
aber die Bundesrepublik hat Rußland schon überflü-



Dr. Gregor Gysi
gelt. Ich hoffe, Sie fangen nun nicht auch noch an, um Platz eins gegen die USA zu kämpfen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Karl Stockhausen [CDU/CSU]: Fragen Sie mal in den Instituten nach!)

Wir stehen heute weltweit politisch und ökonomisch vor riesigen Herausforderungen, denen weder militärisch noch durch Abschottung mittels Abschaffung des Asylrechts zivilisatorisch und wirksam begegnet werden kann. Lassen Sie uns doch wirklich für eine neue Weltwirtschaftsordnung streiten. Begreifen wir doch endlich, daß wir dringend weltweit ökologische Mindeststandards benötigen, daß wir diese aber nicht bekommen werden, wenn wir nicht soziale Mindeststandards einführen und durchsetzen, und daß das voraussetzt, daß man auf solche gewaltige Herausforderungen nicht mittels des Einsatzes von Militär und eigener Abschottung reagieren kann. Das ist nicht nur inhuman, sondern es löst auch keine einzige dieser Fragen, vor denen wir stehen. Diese Art von Politik wird letztlich dazu führen, auch die eigene Bevölkerung ins Unglück zu stürzen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was Sie getan haben!)

Wir müssen auf den Einsatz von Politik durch den Einsatz der deutschen Bundeswehr verzichten. Dieser Weg ist gleichermaßen inhuman, falsch antiemanzipatorisch und antizivilisatorisch.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: und Antifeminin!)

Sie brechen hiermit ein Versprechen. Vor dem 3. Oktober 1990 hat der damalige Außenminister erklärt: „Deutschland wird nach der Einheit keine Großmachtrolle anstreben."

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wollen wir auch nicht! — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ach, Herr Gysi, das ist doch lächerlich!)

Heute betreiben Sie in politischer und militärischer Hinsicht genau diese Politik. Ich sage Ihnen: Das ist eine Katastrophe für die Nachbarn, aber auch für die Bundesrepublik Deutschland selbst.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Schrecklich! — Dr. Otto Sohns [F.D.P.]: Das ist doch Unsinn!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216907500
Herr Kollege Dr. Ullmann, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1216907600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag steht heute vor der Entscheidung darüber, wie er seine Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen wahrnimmt, was der Inhalt dieser Verpflichtungen sein soll, wie er sie konkret zu übernehmen gedenkt. Sie wissen alle: Diese Entscheidung mußte einmal kommen, daß wir ganz neu sagen, was wir tun wollen, seitdem es nur noch einen deutschen Staat in den Vereinten Nationen gibt.
Nun haben wir diese Entscheidung an Hand eines ganz konkreten Falles, des Falles UNOSOM II, zu vollziehen. Dieser Fall ist so entstanden, daß ein Kampfeinsatz unter der Autorität der Vereinten Nationen einen Blauhelm-Einsatz nach sich gezogen hat. Neu an dieser Situation, die uns mit den Soldaten der Bundeswehr gemeinsam ist, ist, daß wir uns nicht mehr — wie wir das üblicherweise getan haben — an der Unterscheidung zwischen friedenserhaltenden und friedenschaffenden Einsätzen orientieren können, daß wir nicht klar sagen können, ob es sich um einen Kampfeinsatz oder um eine friedenserhaltende Maßnahme handelt.
Wenn das so ist, dann frage ich: Woran, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir uns denn dann orientieren? Ich denke, es steht uns gut an, in einer solchen schwerwiegenden Situation daran zu erinnern — vor allem uns selbst daran zu erinnern —, daß die Vereinten Nationen einst gegründet worden sind, damit nach den Verbrechen gegen den Frieden und nach den unglaublichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von diesem Lande ausgegangen sind, militärische Gewalt nur noch als Intervention zum Schutz von Frieden und Menschenrechten oder, wie es die Präambel der UNO-Charta sagt, „im Interesse aller" , d. h. im Interesse aller Menschen und aller Nationen eingesetzt wird.
Unser Grundgesetz schreibt vor, daß sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen kann. Hier wird uns die Aufgabe der Wahrung des Friedens auferlegt. Das ist die Norm, an Hand der wir in Erinnerung an die Entstehungsgeschichte der Vereinten Nationen zu entscheiden haben. Aber auch hier stehen wir vor einer ganz neuen Lage, nachdem der Frieden so gebrochen worden ist, wie das in Somalia und in Jugoslawien geschehen ist. In beiden Fällen steht die Bundeswehr in einer Situation, in der wir ganz neu entscheiden müssen.
Nun ist zweierlei klar — ich beklage es, daß gerade die Redner von seiten der Koalition, alles tun, um diese Klarheit gar nicht erst aufkommen zu lassen —: Hier handelt es sich um eine Angelegenheit des Bundes, meine Damen und Herren. In Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes steht:
Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; . . .
— Der Bund, nicht die Bundesregierung! Das ist ein großer Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber er wird vertreten durch die Bundesregierung, Herr Kollege!)

Das hat auch das Urteil von Karlsruhe gezeigt. Wollen Sie denn unsere Bundeswehr zu einer Koalitionsarmee erniedrigen und sie degradieren,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nein, das wollen wir nicht, lieber Herr Kollege!)




Dr. Wolfgang Ullmann
daß mit ihr umgegangen werden kann, wie es vielleicht ein absolutistischer Souverän im 18. Jahrhundert tun konnte?

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie hier doch zu!)

— Ich sage gleich etwas dazu.
Zweitens. In diesem Artikel heißt es: „Der Bund kann sich ... einordnen". „Einordnen" heißt aber nicht, daß die Bundesregierung Marschbefehle erteilt.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber Herr Ullmann, das wollen wir doch nicht!)

Auch Karlsruhe hat vielmehr gesagt: Es handelt sich hier um einen konstitutiven Akt. Alles übrige ist unklar. Nun machen Sie mir einmal klar, daß ein Beschluß durch die Wiederholung dieses Beschlusses ein konstitutiver Akt wird. Diese Rechtsauffassung möchte ich erst einmal kennenlernen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im übrigen, meine Damen und Herren von der Koalition, ist in dieser Angelegenheit auch bei Ihnen alles unklar. Warum bringen Sie denn dann keinen Antrag in die Gemeinsame Verfassungskommission ein?

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Er liegt doch dem Parlament vor!)

Warum lassen Sie den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages warten und vertrösten ihn von einem zum anderen Mal, daß demnächst irgendwelche Änderungsvorschläge von Ihnen kommen? Das ist unerträglich. Das ist auch vor den Augen und vor den Herzen der Bundeswehr unerträglich, um die es hier schließlich geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Die Sache ist zu ernst, als daß sie Ihnen in die Hand geraten darf!)

Was kann man folgern? Solange es unter uns keine Einigung über das, was das Wort „einordnen" heißt, gibt — gerade in der jetzigen Situation gilt das —, gibt es keine klare Rechtsgrundlage für den Bundeswehreinsatz in Somalia. Das ist nach dem Urteil von Karlsruhe noch klarer, als es zuvor schon war. Wer das nicht klären will, der muß die Soldaten sofort zurückrufen, wenn er politisch verantwortlich handeln will;

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber Herr Ullmann!)

denn es ist kein politisch verantwortliches Handeln, Soldaten angesichts einer so unklaren Rechtsgrundlage in eine Situation der Gefahr für Leib und Leben zu schicken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Karl Stockhausen [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal der UNO!)

Freilich gibt es eine Klärungsmöglichkeit, meine Damen und Herren:

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wie denn?)

Ziehen Sie Ihren Antrag zurück,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Und dann?)

und lassen Sie uns hier mit mindestens Zweidrittelmehrheit eine Einigung erzielen. Denn ich kann es bald nicht mehr hören, daß die Mehrheit in diesem Parlament sagt: Die einzige Debatte, die es hier gibt, ist die Debatte darüber, ob wir uns mit Ihnen einigen. Herr Schäuble bringt es immer wieder fertig, Opposition hier zu einer geradezu antidemokratischen Haltung zu stempeln. Das kenne ich sehr gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS/Linke Liste)

Ziehen Sie Ihren Antrag zurück und legen Sie uns einen Antrag vor

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wir haben doch einen Antrag vorgelegt!)

— nein, Sie haben ihn nicht vorgelegt, Herr von Stetten —, der folgende Punkte enthält:
Erstens. Die Bundesregierung möge sofort einen Gesetzentwurf für einen Vertrag nach Art. 43 der UNO-Charta vorlegen.
Zweitens. Wir stellen in diesem Hause fest: Der feste Wille dieses Parlaments und dieses Bundes darüber, daß die Unteilbarkeit des Friedens gilt, muß Teil eines solchen Vertrags sein. Die Zerstörung der Souveränität eines Landes muß im Fall Bosnien genauso energisch gerügt und geahndet und ihr muß genauso energisch entgegengetreten werden wie im Fall Kuwait.
Drittens. Die Fortsetzung des Somalia-Einsatzes ist abhängig von einer Entschließung des Deutschen Bundestags

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ja, die machen wir heute! — Zuruf von der CDU/CSU: Mit Kanzlermehrheit!)

in dem Sinn, wie ich sie Ihnen vorgeschlagen habe. Das darf nicht durch die Wiederholung eines Regierungsbeschlusses geschehen. Ich würde mich vor den Soldaten der Bundeswehr schämen, dieses Schauspiel in diesem Hause abzuziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch der Hauptakteur!)

Viertens. Lassen Sie uns sofort mit der längst fälligen Arbeit an den Verfassungsänderungen beginnen. Sagen Sie nun endlich klar, was Sie wollen. Einmal philosophieren Sie über Klarstellungen, dann über Änderungen. Sie wissen in dieser Sache auch nicht, was Sie wollen.

(Karl Stockhausen [CDU/CSU]: Wir nehmen die UNO-Charta ernst!)




Dr. Wolfgang Ullmann
Hören Sie auf, diese Arbeit zu blockieren, indem Sie das ganze Haus auf Ihre Meinung festlegen wollen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ja, mit Mehrheit! Richtig!)

Damit erniedrigen Sie dieses Parlament zu einer Maschinerie der Abstimmungswiederholungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN , bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Was haben Sie denn für ein Demokratieverständnis, Herr Ullmann? Darüber sollten Sie einmal nachdenken und sich dann entschuldigen! — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist doch Parlamentsdemokratie!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216907700
Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1216907800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte heute eigentlich etwas Grundsätzliches sagen, aber Sie, Herr Kollege Klose, haben mich doch veranlaßt, auf das, was Sie gesagt haben, besonders einzugehen.
Zunächst möchte ich aber eines vorweg sagen: Ich bin froh, daß nach der heutigen Entscheidung des Parlaments die deutschen Soldaten in Somalia weiter für humanitäre Zwecke im Einsatz bleiben können.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Walter Kolbow [SPD]: Der gleiche Eiertanz wie vor dem Verfassungsgericht!)

Herr Kollege Klose, ich möchte Ihnen sagen — und nehmen Sie es bitte zur Kenntnis —: Es geht der Bundesregierung allein darum, in Somalia bedrängten Menschen zu helfen, um nichts sonst.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Manfred Opel [SPD]: Das hat aber Herr Rühe anders gesagt!)

Sie haben große Schwierigkeiten, heute vor dem Bundestag zu rechtfertigen, daß Sie dagegenstimmen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1216907900
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1216908000
Nein, ich möchte jetzt in meinem Duktus bleiben.
Ich verstehe auch, daß Sie diese Schwierigkeiten haben. Ich möchte in dieser Beziehung nicht in Ihrer Haut stecken. Das ist schwierig.

(Lachen bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Da hat er recht! — Walter Kolbow [SPD]: Sie AWACS-Kläger!)

Das ist schwierig zu erklären, denn bei der SPD macht sich ja — und das sage ich erfreut — ein nicht unerheblicher Umdenkungsprozeß breit, ein Umdenkungsprozeß, den ich begrüße

(Weitere Zurufe von der SPD: AWACSKläger!)

und der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eigentlich bedeuten müßte, daß Sie heute zustimmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Sie tun es nicht. Ich wiederhole, daß ich das bedaure, und ich füge hinzu, daß Sie damit — das habe ich in vielen Gesprächen mit Ihnen und anderen Kollegen aus der SPD gesagt — zeigen, daß Sie außenpolitisch nach wie vor nicht handlungsfähig sind.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wären Sie es, würden Sie heute zustimmen. Das liegt in der absoluten Konsequenz des Urteils von Karlsruhe. Und wären Sie außenpolitisch handlungsfähig, würden Sie auch der Grundgesetzänderung zustimmen oder mindestens ernsthaft darüber verhandeln.
Wir müssen aufeinander zugehen. Sie wissen, daß das meine Absicht ist. Sie wissen, daß ich das will, und ich habe auch die Hoffnung nicht aufgegeben, daß wir jetzt doch — gerade nach der Entscheidung von Karlsruhe — aufeinander zugehen können.

(Zuruf von der SPD: Dann machen Sie das doch!)

Aber, Herr Klose, in dem Bestreben, zu rechtfertigen, warum Sie heute nicht zustimmen können, vertuschen Sie.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Ich vertusche? Oder Sie?)

— Sie vertuschen, ja. Sie rechtfertigen Ihre Ablehnung in erster Linie damit, daß es sich in Somalia um keinen humanitären Einsatz handle, sondern um einen militärischen Einsatz, und das sei mit einer der Hauptgründe, daß Sie nicht zustimmen können.

(Vorsitz : Vizepräsidentin Renate Schmidt)

Ich bleibe dabei: Dies ist ein humanitärer Einsatz, und ich wiederhole auch: Es ist ein Einsatz unterhalb des Einsatzbegriffs des Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes; sonst hätte das Bundesverfassungsgericht nicht so entschieden, wie es entschieden hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Walter Kolbow [SPD]: Abenteuerlich!)

Sie sprachen vorher davon, es handele sich um einen Einsatz zum Bekämpfen. Es handelt sich um alles, nur nicht um einen Einsatz zum Bekämpfen. Von „Bekämpfen" kann überhaupt keine Rede sein!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Kollege Irmer hat darauf hingewiesen: Sie zitieren Vermerke, und mit diesen Vermerken versuchen Sie zu insinuieren, als habe sich die Bundesregierung den Vereinten Nationen und Boutros Ghali geradezu aufgedrängt, in Somalia tätig zu werden.

(Zustimmung bei der SPD — Manfred Opel [SPD]: So steht es im Gerichtsbeschluß!)




Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Das ist eine feine Art, eine sehr feine Art zu argumentieren.

(Zuruf von der SPD: Weil es die Wahrheit ist!)

Es haben sich über 30 andere Länder auch „aufgedrängt", wenn ich das richtig sehe. Und wer hat nun die entscheidenden Gespräche geführt, Sie oder ich? Ich habe sie geführt!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich kann es nur wiederholen: Boutros Ghali hat an uns die dringende Bitte gerichtet, und er war derjenige, der sich am dankbarsten dafür gezeigt hat, daß wir uns hier als handlungsfähig erwiesen haben und helfen wollten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie insinuieren, als wollten wir Interventionspolitik betreiben. In Somalia schon gleich gar nicht! Und wenn ich von der Notwendigkeit der Grundgesetzänderung rede, dann kann ich nur sagen: Sie ist dringend notwendig, damit deutsche Außenpolitik handlungsfähig wird. Und Sie wissen das ganz genau! Sie wissen es so gut wie wir! Das ist der Grund. Es geht nicht darum, daß deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in Militärpolitik umgewandelt werden soll.

(Zuruf von der SPD: Rauschender Beifall!)

— Sie rufen immer wieder dasselbe. Ich muß Ihnen sagen, daß mir diese Leier langsam ein klein bißchen auf den Wecker geht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Die Wahrheit tut weh! — Unglaublich, diese Äußerung!)

Es fällt Ihnen offensichtlich nicht sehr viel Neues ein.
Es wird mir immer wieder vorgehalten, ich solle Entwicklungspolitik machen und Umweltpolitik und Afrikapolitik und Asienpolitik — ja, Herrgott, was machen wir denn sonst?

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Es fällt Ihnen sichtlich schwer!)

Daß Sie von der Opposition anderer Meinung sind und unsere Außenpolitik rügen, verstehe ich, aber Sie müssen sich mal was Neues einfallen lassen, nicht immer die gleichen Vorwürfe.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie müssen nicht immer die gleichen Fehler machen!)

Sie werfen mir auch vor, ich würde hinter angeblichen militärischen Bestrebungen verstecken und verdecken, was ich außenpolitisch will. Das habe ich nun wahrhaftig nicht getan! Seit Monaten versuche ich deutlich und klar zu sagen, warum wir eine Grundgesetzänderung brauchen, warum wir außenpolitisch handlungsfähig werden müssen, und Sie verhindern das. Deshalb nochmals: Sie sind außenpolitisch nicht handlungsfähig!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Was sagt das Kabinett?)

Meine Damen und Herren, das Ende des Kalten Krieges hat ein neues Zeitalter der internationalen Beziehungen mit sich gebracht, auch einen Neuanfang in der Friedensarbeit der Vereinten Nationen.

(Zurufe von der SPD)

— Ich habe Sie offensichtlich sehr am Nerv getroffen, deshalb sind Sie so unruhig.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In der Zeit des Kalten Krieges legten die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates 279mal ihr Veto ein. Diese Zeit ist vorbei. Seit 1988 hat die UNO in vier Jahren so viele Friedenseinsätze beschlossen wie in den vorangegangenen vier Jahrzehnten zusammen.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das ist das Problem!)

Allein 1992 hat sich die Zahl der Blauhelme vervierfacht, allerdings auch die Kosten. Und heute sind über 50 000 Blauhelme aus über 60 Ländern in 13 Einsätzen weltweit tätig.
An dem neuen Kapitel der globalen Friedenssicherung unter dem Dach der Vereinten Nationen müssen wir mitschreiben, wenn wir uns außenpolitisch Mitsprache erhalten wollen, und das wollen wir ja hoffentlich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Wofür denn?)

Wer dies nicht sieht, verkennt, welche Bedeutung heute der vollen Handlungsfähigkeit bei allen multilateralen Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, von der EG und der NATO über die KSZE bis hin zu den Vereinten Nationen, zukommt. Dies gilt keineswegs nur für die Phase militärischer Entscheidungen. Wer nicht in der Lage ist, sich notfalls — ich sage ausdrücklich: notfalls — auch militärisch zu engagieren, hat schon im Vorfeld, bei der diplomatischen Konfliktvorbeugung und auch sonst, verminderten Einfluß. Das können wir uns als wiedervereinigtes Deutschland mit 80 Millionen Menschen, als größte und stärkste Wirtschaftskraft in Europa beim besten Willen nicht weiter leisten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und der PDS/Linke Liste)

Wer verantwortliche deutsche Außenpolitik betreiben, wer Deutschlands außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit erhalten will, muß gleichberechtigt mit allen Rechten und Pflichten vor allem in dem Gremium agieren können, wo heute global über Frieden und Sicherheit entschieden wird, im Weltsicherheitsrat. Immer mehr Entscheidungen — aus meiner Sicht zu Recht — wandern nach New York, wandern zu den Vereinten Nationen, wandern zum Sicherheitsrat.
Deshalb habe ich in der letzten Generalversammlung in New York unseren Anspruch auf einen ständigen Sitz in diesem Gremium für den Fall angemeldete, daß es zu einer Neuaufnahme von Mitgliedern kommt. Die Diskussion hierüber ist nun von Generalsekretär Boutros Ghali offiziell in Gang gesetzt worden. Wir bekräftigen unsere Antwort an ihn und unseren Wunsch nach einem ständigen Sitz. Wir



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
haben dafür weltweit Unterstützung bekommen, insbesondere von den Amerikanern, von den Russen, in den letzten Tagen auch von den Franzosen. Das ist ermutigend und muß gleichzeitig für uns Ansporn sein, intern die Voraussetzungen für die Übernahme aller Rechte und Pflichten eines UN-Mitgliedes zu schaffen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es waren im übrigen SPD-Abgeordnete, die in erster Linie und zunächst gefordert haben, wir müßten ständiges Mitglied im Sicherheitsrat werden. Ich habe das gern aufgegriffen, weil es meine volle Überzeugung ist, daß das richtig ist, habe aber hinzugefügt: Wenn Sie das denn fordern, dann müssen Sie auch die Voraussetzungen dafür schaffen, d. h. Sie müssen an der Grundgesetzänderung mitwirken, ohne die wir keine Chance haben, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD] — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Wie machen das denn die Japaner?)

Wenn wir erst einmal in der Lage sind, uns grundsätzlich ohne Einschränkung auch mit der Bundeswehr an UNO-Missionen zu beteiligen, dann werden wir, wie andere auch

(Zuruf von der SPD: Dann sind Sie glücklich! )

— nein, nein; hören Sie zu! —, keinesfalls immer ja sagen können. Außenminister Douglas Hurd hat hier in Bonn zu diesem Thema einmal gesagt: Wir werden öfters, oft sogar, nein sagen müssen. — Ich glaube, daß das realistisch ist. Es gibt auch im Bereich der humanitären Missionen für jeden Staat eine Grenze des Machbaren, die er verantwortlich für sich selber ziehen muß. Vor jedem Ja werden schwierige Fragen zu beantworten sein, und zwar hier im Bundestag. Das ist ja unser Vorschlag, daß nämlich, abweichend von der bisherigen Rechtslage, in Zukunft hier entschieden wird. Deshalb fordere ich Sie noch einmal dazu auf: Stimmen Sie dem zu! Das kommt dem, was Sie wollen, was wir gemeinsam wollen, entgegen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir werden fragen müssen: Ist unser Einsatz durch unser nationales Interesse oder durch andere zwingende Gründe zwingend geboten, oder schließt eventuell unser nationales Interesse einen solchen Einsatz aus? Wie groß ist die Erfolgschance? Wie hoch sind die Kosten? Sind wir bereit, uns auch längerfristig zu engagieren, auch wenn das eventuell Menschenopfer kostet?
Gerade wir Deutschen werden angesichts unserer Geschichte die Meßlatte für militärisches Engagement oft sehr hoch legen müssen; aber grundsätzlich die Mitwirkung bei Kampfeinsätzen zu verweigern, das können wir uns länger nicht mehr leisten, weder rechtlich noch politisch, noch moralisch. Die UNO-Charta ist der Konsens, auf den sich die Völkergemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in San Francisco verständigt hat.
Noch einmal: Als wiedervereinigtes und souveränes Land, als eine der führenden Wirtschafts- und Kulturnationen dürfen wir uns diesem Konsens nicht länger verschließen. Ich finde, das, was das heute ja unschwer vorherzusagende Ergebnis dieser Bundestagsabstimmung sein wird, ist ein guter und wichtiger Schritt in diese Richtung.

(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216908100
Nun hat der Kollege Karl Lamers das Wort.

Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1216908200
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon so, Kollege Klose, wie Kollege Schäuble Ihnen zugerufen hat: Sie werden um so kämpferischer und um so besser, je mehr Sie gegen Ihre eigene Überzeugung reden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insofern war das in der Tat gekonnt. Sie haben, wie üblich in solchen Situationen, einen Popanz aufgebaut mit dem Stichwort „neue interventionistische Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung", kräftig auf ihn eingedroschen und dahinter den in der Tat erbarmungswürdigen Zustand Ihrer Fraktion und Ihrer Partei zu verbergen gesucht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Manfred Opel [SPD]: Lamers, es ist des Jammers!)

Nun will ich aber dieses Wort aufnehmen, Kollege Klose, und hier wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Schon im vorhinein will ich darauf hinweisen, daß das, was ich hier sage, ziemlich genau mit dem übereinstimmt, was der Kollege Schmude in einem Presseartikel vom 2. April dieses Jahres von Ihrer Fraktion gesagt hat.
Was sind denn überhaupt die Voraussetzungen für solche Maßnahmen? — Es geht um die schwerste aller denkbaren Güterabwägungen, nämlich um die zwischen Leben und Leben:
Erstens. Eine Entscheidung, das Leben deutscher Soldaten in Gefahr zu bringen, ist nur gerechtfertigt bei einer ganz schweren Verletzung der Menschenrechte oder des Lebens anderer Menschen.
Zweitens. Alle anderen, nichtmilitärischen Mittel einschließlich Zwangsmaßnahmen wie Embargo müssen als offenkundig aussichtslos erscheinen oder sich bereits erwiesen haben.
Drittens. Die militärischen Maßnahmen müssen begründete Aussicht haben, militärische Gewaltanwendung entweder zu verhindern oder nach ihrem Ausbruch schnellstmöglich zu beenden, und die militärische Analyse muß den erforderlichen Mitteleinsatz natürlich einschließen.
Viertens. Ein militärischer Erfolg muß die Voraussetzungen für eine politische Lösung schaffen; denn er selber schafft sie nie. Da wir uns darüber im klaren sind, daß jede Intervention von außen natürlich auch neue und zusätzliche Probleme schafft, müssen wir uns auch darüber im klaren sein, daß mit der Intervention und einem möglichen militärischen Erfolg die



Karl Lamers
Verantwortung der Interventierenden nicht beendet ist.
Herr Kollege Klose, mein Gott noch mal, das sind doch Selbstverständlichkeiten, über die wir uns einigen könnten. Aber Sie haben mit Ihrer wirren, bizarren Verfassungsinterpretation doch bislang verhindert, daß wir überhaupt dazu kommen, über diese Fragen zu diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216908300
Herr Kollege Lamers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klose?

Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1216908400
Bitte.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1216908500
Könnten Sie mir aus den letzten fünf Jahren einen Fall einer UNO-Intervention nennen, der, an diesen Kriterien gemessen, erfolgreich gewesen ist?

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1216908600
Kollege Klose, das ist eine sehr schwierige Frage.

(Lachen bei der SPD)

— Entschuldigung, die Maßnahme in Kambodscha ist noch nicht abgeschlossen, die am Golf ist noch nicht abgeschlossen, die in Somalia ist noch nicht abgeschlossen, und die in Bosnien-Herzegowina ist erst recht noch nicht abgeschlossen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die in Somalia ist doch nicht erfolglos!)

Jetzt gebe ich Ihnen aber zu dem kritischsten Fall eine klare Antwort: Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß es im Golf-Konflikt nach wie vor eine Reihe von Problemen gibt; nichtsdestoweniger ist das Hauptziel dieser Maßnahme erreicht. Das Hauptziel war ohne jeden Zweifel erstens zu verhindern, daß Saddam Hussein ungestraft eine eindeutig völkerrechtswidrige Aggression gegen Kuwait würde vornehmen können, und zweitens zu verhindern, daß er im Besitz von Massenvernichtungswaffen, insbesondere von Nuklearwaffen, schon heute wahrscheinlich den zweiten Krieg führen würde, und zwar mit Nuklearwaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kollege Klose, insofern glaube ich, daß man sagen kann: Diese Maßnahme mit all ihren Problemen war erfolgreich.

(Manfred Opel [SPD]: Aber wo sind die Kriterien? Kein einziges Kriterium!)

Nun aber weiter zur Sache: Kollege Klose, die SPD hat die Maßnahmen der Vereinten Nationen und eine deutsche Beteiligung an diesen Maßnahmen in Somalia begrüßt. Sie hat gesagt: Das ist eine gute Sache. Sie unterscheidet sich von dem Golfkrieg. Wir sind dafür. Wir sind auch für eine deutsche Beteiligung. — Darm haben Sie nach langer Zeit ein einstweiliges Anordnungsverfahren in Karlsruhe angestrengt, und zwar nicht deshalb, weil Sie politisch dagegen waren, sondern aus rechtlichen Gründen.
Jetzt hat das Verfassungsgericht entschieden,

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Nein, hat es nicht! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)

und Sie könnten heute zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Verfassungsgericht hat uns aufgegeben, heute noch einen konstitutiven Akt zu leisten. Dazu legen wir den Antrag vor, aber Sie stimmen nicht zu. Diesen Widerspruch müssen Sie mir ebenso erklären,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist der Knackpunkt!)

Kollege Klose, wie den Umstand, daß Ihre Fraktion in der gestrigen Sitzung der Verfassungskommission des Deutschen Bundestages einen Antrag eingebracht hat, von dem Sie exakt am Tag vorher gesagt haben, daß er nicht mehr der Diskussionslage in Ihrer Partei entspreche. Sie haben gesagt, das, was wir bislang vorgeschlagen hätten, reiche nicht, aber am nächsten Tag stellt Ihre Fraktion in der Verfassungskommission des Deutschen Bundestages genau diesen Antrag zur Abstimmung. Sie werden mir nicht erklären können, daß das eine in sich schlüssige und überzeugende Position ist.

(Manfred Opel [SPD]: Reden Sie doch einmal über Ihren eigenen Antrag!)

Es fällt mir wirklich schwer, das nachzuvollziehen.
Wir, die Koalition, haben unseren Antrag zurückgezogen, weil wir glauben, daß aus rechtlichen Gründen kein Eilbedarf besteht. Wie immer man das Urteil in Karlsruhe oder die beiden Urteile in Karlsruhe beurteilen mag: Es ist doch wohl nicht unzulässig, Kollege Klose, wenn ich sage, daß das doch eher eine Bestätigung unserer Position ist.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Ich sage Ihnen jetzt zu Ihren eigenen Überlegungen, Kollege Klose: Sie haben schon heute nichts mehr in der Hand, und bald wird es völlig offenkundig sein, daß Sie nichts mehr in der Hand haben.

(Zuruf von der SPD: Da werden Sie sich wundern!)

Dennoch bleiben wir bei dem, was wir immer gesagt haben: Wir sind an einem Konsens interessiert. Das ist doch der Punkt, auf den es ankommt. Der Konsens zwischen den großen demokratischen Kräften in diesem Hause, das ist der Punkt, auf den es ankommt. Deswegen sind wir auch nach wie vor bereit, mit Ihnen zu sprechen.
Nur: Es muß auch klar sein — nach den Urteilen ist das natürlich noch klarer als vorher —, daß es keine Lösung gibt, die hinter dem zurückbleibt, was nach unserer Überzeugung, der bekräftigten Überzeugung, schon heute die Verfassungslage erlaubt. Es kann auch keine Lösung geben, die uns schon sehr bald wieder in neue — nicht nur juristische, sondern auch politische — Schwierigkeiten bringen würde. Es kann keine Lösung geben, die uns hindert, die internationalen Verpflichtungen zu erfüllen, die wir eingegangen sind. Es kann auch keine Lösung geben — das ist, meine ich, auch nicht in Ihrem Interesse —, die die Verantwortlichkeitsgrenzen oder die unter-



Karl Lamers
schiedlichen Rollen von Opposition und Regierung verwischt. — Das alles kann doch nicht in unserem gemeinsamen Interesse sein.
Das, auf was wir uns einigen können und auf was sich Demokraten in solchen Fällen auch zu einigen pfiegen, ist ein Konsens im Verfahren, d. h. in der Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages, des Parlamentes. Dazu gibt es ja nicht nur Ihre Äußerungen, sondern auch etwa die Äußerung des Kollegen Gerster zu diesem Thema. Weshalb stellen Sie das nicht mehr in den Vordergrund? Weshalb — Kollege Klose, ich verstehe es ja, aber ich frage trotzdem — befestigen Sie diejenigen in Ihrer Partei in ihrer Meinung, die Ihnen die größten Schwierigkeiten machen, indem Sie hier eine Rede halten,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Genau das ist das eigentlich Tragische!)

von der jedermann weiß, daß sie doch gar nicht die Wirklichkeit und nicht einmal Ihre eigene Überzeugung trifft?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Kollege Hoyer hat hier vor einiger Zeit schon einmal gesagt: Sie klettern so hoch auf die Bäume, daß Sie nachher nicht mehr runterkommen. — Das ist Ihr Problem, aber leider ist es auch ein wenig das Problem unseres Landes. Deswegen bitte ich Sie wirklich herzlich:

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Kommen Sie runter von den Bäumen!)

Nutzen Sie die Sommerpause zum Nachdenken über die Frage, wie Sie Ihre eigene Partei zu dem Punkt bringen, von dem Sie längst wissen, daß Sie dort in Ihrem und in unserem gemeinsamen Interesse längst sein müßten!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Manfred Opel [SPD]: Sie sollten endlich den Schießstand verlassen! Das wäre viel besser!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216908700
Nun spricht unser Kollege Dr. Peter Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (SPD):
Rede ID: ID1216908800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist als Somalia-Debatte angekündigt worden. 80 % der Debatte haben wir bisher darauf verwandt, den innenpolitischen Hickhack zwischen den deutschen Parteien auszutragen. Das wird der Lage in Somalia nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Richtig! Also stimmen Sie zul — Zuruf von der CDU/CSU: Wegen dieser Äußerung ist Ihnen Herr Klose aber böse!)

Ich will dieser Tradition nicht folgen. Der Kollege Klose hat klipp und klar gesagt: Sozialdemokraten halten UN-Missionen für notwendig, Blauhelm-Missionen, auch robuste.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und stimmen dagegen!)

Aber man muß — wie Sie auch sagen — über jede einzelne Aktion reden, darüber, ob sie richtig oder falsch ist.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ja! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ CSU]: Wird Ihre Ablehnung Somalia gerecht?)

Damit bin ich beim Fall Somalia. Meine Damen und Herren, es besteht die Gefahr, daß in Somalia die Friedenstruppe zur Kriegspartei wird. Das liegt weder im Interesse der Vereinten Nationen noch im Interesse Deutschlands!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Erstens ist das Ziel dieser UN-Aktion nicht klar genug definiert. Die Somalis können auch nach einem halben Jahr nicht erkennen, was die UN zur Lösung des Bürgerkriegs beitragen wollen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Immerhin hungern die Leute nicht mehr!)

Die Vereinten Nationen haben zwar alle Macht an sich gezogen,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Weltmacht SPD!)

aber es bleibt unklar, welche politische Kraft eigentlich die „war lords" niederhalten soll, wenn die UNO Somalia wieder verläßt.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wir sind jetzt aber nicht in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, sondern im Deutschen Bundestag! — Michael Glos [CDU/ CSU]: Und nicht vor dem SPD-Parteitag!)

Zweitens gerät die Suche nach dem General Aidid immer mehr zu einer Aktion, die an die Ergreifung des Generals Noriega in Panama erinnert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Noriega wurde aber gefaßt!)

— Hören Sie doch einmal einen Moment zu! — Die auf die „prime time" abgestimmte Landung der Amerikaner war damals noch mit Aidid abgestimmt. Später jagte man Aidid mit massiven Bombenangriffen, bei denen viele Zivilisten umkamen.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns nur an UNO-Aktionen beteiligen, die nicht die Gefahr mit sich bringen, daß die Bevölkerung, der geholfen werden soll — partiell ist ihr am Anfang ja auch geholfen worden —, die Helfer am Schluß mit Besatzern verwechselt.

(Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/ CSU]: Wo ist denn Ihre Alternative?)

Genau da sind wir inzwischen. 23 pakistanische Blauhelme sind getötet worden. Danach richteten erbitterte Pakistani ein Blutbad unter demonstrierenden Frauen und Jugendlichen an, die „UN go home" riefen. Wir sollten die Vermittlungskompetenz der



Dr. Peter Glotz
Vereinten Nationen stärken und nicht dazu beitragen, daß sie als Kriegspartei abgewertet werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich schließe daraus: Die Bundesregierung hat bei dem gutgemeinten Versuch, weltpolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen, die Mitverantwortung für eine nicht ausreichend überlegte Aktion übernommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Da ist aber der Beifall mager! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das muß der SPD-Parteitag entscheiden!)

Hier sind wir beim zentralen Konflikt zwischen Regierung und Opposition. Sie, Herr Bundesaußenminister, wollen in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, indem Sie sich eilfertig an die Permanent Five, die Fünf im Sicherheitsrat, und deren Politik anpassen. Das Ziel, in den Sicherheitsrat zu wollen, ist richtig. Aber es ist schon ein bißchen tragikomisch, wie Sie es anpacken, Herr Kinkel.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die SPD gegen den Rest der Welt!)

Zumindest England und bis vor kurzem auch Frankreich waren die härtesten Gegner einer deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. So viele Soldaten können Sie gar nicht als Blauhelme in die Welt schicken, um diese Reserve aufzubrechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht nicht darum, daß wir uns gebärden wie Engländer und Franzosen, meine Damen und Herren.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das ist aber sein eigentliches Ziel! Das will er!)

Es geht darum, daß wir Vereinte Nationen bekommen und Vereinte Nationen stützen, die sich auf die Seite der Mehrheit und der schwachen Nationen in dieser Welt stellen. Wir brauchen die Zustimmung der Mehrheit der kleinen Nationen in der Generalversammlung für eine starke deutsche Stellung, nicht die Anpassung nur an die Permanent Five im Sicherheitsrat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Einer ausgleichenden, Konflikte dämpfenden UN sollten wir alle notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für die Beteiligung an Golfkriegen aber — da bin ich bei dem Beitrag von Herrn Lamers — werden Sie niemals die Unterstützung der deutschen Sozialdemokratie bekommen. Machen Sie sich das bitte klar!

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — Zuruf von der CDU/CSU: Wollten Sie nicht über Somalia reden?)

Obwohl heute auch schon falsche Töne gegenüber den Amerikanern deutlich geworden sind, möchte ich sagen: Ziehen Sie Deutschland bitte nicht in die Logik einer Militärpolitik, in der mißglückte Attentate verbrecherischer Geheimdienste mit Vergeltungsschlägen geahndet werden, die den Geheimdiensten wenig schaden, aber unschuldige Zivilisten treffen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mit einer solchen Politik würden Sie die Mehrheit der Staaten in der Generalversammlung nicht bekommen. Die aber brauchen wir gemeinsam, Herr Kinkel, für eine stärkere Stellung der Bundesrepublik.
Im Frühjahr 1992 hatte der Kollege Erler aus meiner Fraktion den Antrag gestellt, die humanitäre Hilfe für Somalia zu erhöhen. Die Bundesregierung hat das abgelehnt. Der Topf war leer. Im Dezember desselben Jahres boten Sie Soldaten an — selbstverständlich für ein Vielfaches der Mittel, die für die Verwirklichung des Antrags von Herrn Erler nötig gewesen wären.
Das zeigt: Sie waren nicht plötzlich vom Leid der Welt gepackt, das ja an allen Ecken und Enden da ist, sondern wollten etwas demonstrieren. Hier liegt der Widerspruch zwischen uns und Ihnen: Auch wir können nicht ausschließen, daß es Situationen geben kann, in denen man das Leben deutscher Soldaten risikieren muß, aber niemals, um etwas zu demonstrieren, meine Damen und Herren — niemals, um etwas zu demonstrieren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der frühere stellvertretende NATO-Kommandeur General Schmückle hat kürzlich gesagt — ich zitiere ihn wörtlich —: So leichtsinnig, wie manchmal dahergeredet wird, geht es nicht. Als wäre das Leben von jungen Menschen etwas, das man fast so hingibt wie einst der hessische Landgraf, als er sie nach Amerika verschiffte!

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Vergleich war makaber!)

Ich möchte wirklich wissen, warum ein so junger Mensch vielleicht zum Krüppel geschossen wird. Ich könnte nicht schlafen, wenn ich so argumentieren würde. Das wird dann noch im Fernsehen mit einem Pathos vorgetragen, als seien alle, die anderer Meinung sind, Feiglinge.
Gehen Sie davon aus, meine Damen und Herren, daß wir genauso empfinden wie der uns nicht nahestehende General Schmückle.
Ihre Argumentaion, Herr Kollege Glos, mit Feiglingen und Pfeffersäcken und Ihr Vergleich zwischen Krieg und Feuerwehr jagen jedem Deutschen mit Erinnerungsvermögen eine kalte Gänsehaut den Rükken hinunter.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen uns an Hilfsaktionen der Vereinten Nationen beteiligen. Das hätte Somalia sein können. Wir werden es bei anderen auch tun. Aber dieser



Dr. Peter Glotz
Aktion wird die deutsche Sozialdemokratie nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216908900
Nun spricht der Bundesminister der Verteidigung, Herr Volker Rühe.

Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1216909000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Klose, Herr Kollege Glotz, ich bekomme jeden Tag einen Situationsbericht über das, was die deutschen Soldaten in Somalia machen. Ich möchte Ihnen den von gestern im Original zitieren:
Humanitäre Hilfeleistung wurde erbracht durch Transport und Lieferung von 650 Litern Milch für die Organisation „Save the Children" und durch Bereitstellung von Lagerraum für Medikamente für die Organsation „International Medical Corps" . Es wurden zwei ambulante Behandlungen von Soldaten durchgeführt, zwei Operationen von Somali im Krankenhaus Belet Uen; zwei weitere Somali wurden im Medical Point unseres Lagers operiert. 47 Somali wurden im Rahmen der Sprechstunde ambulant behandelt. Im übrigen Fortsetzung der Vorbereitungen zur Aufnahme des Hauptkontingents.
Ich frage Sie: Ist das PR-Aktion?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ist das eine Demonstration, Herr Glotz? Ist das Weltmachtstreben?
Ich halte es mit dem Oberst Eigenbrod, der am Abend der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht wie Sie gesagt hat, das sei ein Sieg oder eine Niederlage, sondern der gesagt hat: Ich freue mich für das somalische Volk. Das war die richtige Sprache.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216909100
Herr Verteidigungsminister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bindig und eine des Kollegen Kolbow erlauben?

Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1216909200
Nein; wegen der vorgerückten Zeit nicht. Außerdem will ich weitersprechen.

(Unruhe bei der SPD)

Herr Glotz, Sie haben gesagt, wir hätten Anträge der SPD auf Verstärkung der humanitären Hilfe in Somalia abgelehnt. Wir sind seit August letzten Jahres — zum Teil sind unsere Flugzeuge beschossen worden — nach Somalia geflogen und haben dort sehr viele Lebensmittel eingeflogen. Tatsache war, daß 80 % der Lebensmittel die Bevölkerung nicht erreicht haben, weil die Banditen sich das unter den Nagel gerissen haben. Heute ist das Verhältnis genau umgekehrt: 80 % erreichen die Menschen. Und das ist durch den UNO-Einsatz erreicht worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ist das eine PR-Aktion? Ist das eine Demonstration? Ist das Weltmachtstreben?

(Brigitte Adler [SPD]: Ja!)

— Es gibt immer noch welche, die „Ja!" sagen. Aber die müssen das vor sich selbst verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sehe jetzt, wie einzelne Tote — und jeder Tod ist schrecklich — benutzt werden. Vor einem Jahr starben in Somalia tausend Menschen am Tag, in ganz kurzer Zeit allein 30 000 in Mogadischu. Das alles ist durch den Einsatz der UNO Gott sei Dank geändert worden.
Lieber Kollege Glotz, Sie sagen, die UNO habe nicht genug und nicht richtig überlegt. Wenn man verhindern will, daß tausend Menschen am Tag sterben, dann muß man schnell handeln, und dann ist das moralisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Peter Kittelmann [CDU/CSU], zur SPD gewandt: Schämen solltet ihr euch! — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Eine Nebenaufgabe wird zur Hauptaufgabe erklärt!)

Sie haben den Gang der UNO nach Somalia kritisiert. Nicht Deutschland hat beschlossen, daß die UNO nach Somalia geht, sondern die Weltgemeinschaft, 30 Nationen! Warum wollen Sie klüger sein als 30 Nationen? Das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich können Soldaten nur Zeit kaufen. Sie können keine politische Lösung herbeiführen. Und wir sind in der Pflicht, dort eine politische Lösung herbeizuführen. Aber nehmen Sie Kambodscha: Dort sind vor dem Eintreffen der UNO 1 Million Menschen massakriert worden. Jetzt sind Wahlen durchgeführt worden, und es gibt eine Chance für eine politische Zukunft.

(Dr. Peter Glotz [SPD]: Da sind wir ja dabei! Dem Einsatz in Kambodscha haben wir zugestimmt! )

Das kann die UNO erreichen, und das muß sie erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dieselbe Chance gibt es in Somalia. Dort gibt es keine staatlichen Strukturen. Die UNO ist die einzige Hilfe. Wie können Sie sich da überheben und sagen, das sei alles nicht richtig überlegt, wenn die Weltgemeinschaft gesagt hat, daß es leider keine andere Möglichkeit gibt, als diesen Einsatz durchzuführen?
Ich möchte mich vor die pakistanischen Soldaten stellen,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

die in viel schwierigerer Mission als die deutschen
Soldaten dort sind und die in eine Situation gebracht
wurden, wo Aidid Frauen und Kinder gegen sie



Bundesminister Volker Rühe
geschickt hat. Von hinten sind dann Handgranaten gegen diese Soldaten geschleudert worden. Sie sollten nicht von „Kriegspartei" sprechen! Das sind Soldaten, die sich im Sinne der Friedensziele der UNO dort einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Kollege Klose, Sie haben sich mit der Rolle der UNO auseinandergesetzt und auch wieder von Militarisierung und davon gesprochen, daß wir noch mehr globale Umweltpolitik machen sollten. Man kann eben nicht globale Umweltpolitik machen, wenn es in Somalia keine staatlichen Strukturen gibt. Entwicklungshilfe haben wir dort sehr viel geleistet. Deswegen stehen die Somalis uns sehr positiv gegenüber.
Ich möchte jetzt nur noch einen Gesichtspunkt ansprechen. Klaus Kinkel hat ja schon zu Recht gesagt, daß Sie in Schwierigkeiten sind. Auch ich bin schon in Schwierigkeiten gewesen, und deswegen verstehe ich manche Pirouette, die Sie gedreht haben.

(Brigitte Adler [SPD]: Ihre Schwierigkeiten werden noch größer!)

Sie haben immer gesagt, Sie könnten nicht Ihre Zustimmung für Somalia geben, weil das rechtlich nicht in Ordnung sei. Jetzt hat das Verfassungsgericht gesagt: Das ist rechtlich in Ordnung. Jetzt müssen Sie politisch entscheiden. Sie finden nicht die Kraft zum Ja. Das ist in Wirklichkeit Ihr Problem in der jetzigen Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jetzt möchte ich etwas aufnehmen — —(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Können Sie mir

sagen, wo in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts steht, daß das rechtlich in
Ordnung ist?)
— Entschuldigung; Kollege Verheugen hat doch in aller Form den Vorwurf des Verfassungsbruchs hier zurückgezogen.

(Zurufe von der SPD: Nein!)

Das ist jetzt rechtlich in Ordnung. Der Bundestag muß mit Mehrheit entscheiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Manfred Opel [SPD]: Muß? Kann!)

Ich möchte zum Schluß versuchen, eine Brücke zu bauen. Sie haben gesagt: „Das ist auch unsere Bundeswehr! " Das möchte ich ausdrücklich unterstützen. Das ist nicht die Bundeswehr einer Bundesregierung. Aber wer das sagt, übernimmt natürlich auch Verantwortung für die Bundeswehr. Die Soldaten hat es befremdet, daß sie mitten in einem Einsatz vor das Verfassungsgericht gezogen worden sind. Das war falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber Sie haben hinzugefügt — ich habe genau zugehört —, daß Sie hinter der Bundeswehr stehen. Das sollten wir ganz ernst nehmen. Dann haben Sie allerdings gesagt, daß Sie den Streit mit der Regierung fortsetzen wollen und daß Sie im übrigen den Soldaten alles Gute wünschen.
Ich glaube, ganz so geht es nicht. Natürlich können Sie den Streit mit der Regierung fortsetzen. Aber wie wäre es mit der Regelung, wie sie in allen großen, klassischen westlichen Demokratien greift? Auch dort gibt es schwierige Debatten, Mehrheitsentscheidungen über Einsätze der eigenen Soldaten;

(Manfred Opel [SPD]: Auf sicherer verfassungsrechtlicher Grundlage!)

aber wenn dann entschieden ist, dann sagen alle Abgeordneten der Opposition in den USA, in Großbritannien und in Frankreich: Jetzt stehen wir hinter diesem Einsatz; jetzt kritisieren wir diesen Einsatz nicht mehr!
Das ist es, worum ich Sie bitten möchte. Das wäre ein wirklicher Einsatz im Sinne der Soldaten.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216909300
Nun spricht der Kollege Manfred Opel.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1216909400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rühe, Sie haben hier eines nicht gesagt, nämlich warum Sie vor dem Verfassungsgericht nicht die Frage beantworten konnten, welcher Einsatz denn in Somalia stattfinde, ob das ein Einsatz nach Kapitel VI oder nach Kapitel VII der UN-Satzung sei. Genau darum geht es heute hier.
Die Bundesregierung hat im Lauf der Zeit ein verschleierndes Begründungsgeflecht um ihre tatsächlichen Absichten gesponnen. Der schöne Schein trügt. Der Kollege Kossendey hat ausweislich des offiziellen Organs des Deutschen Bundeswehrverbandes ausgeführt — ich zitiere —, daß der Begriff „humanitäre Einsätze " lediglich eine „legale Krücke" für das darstelle, was die Regierung erreichen wolle.
Herr Rühe hat im Mai in Berlin auch seine wahre Absicht deutlich gemacht. Er sagte dort wörtlich vor einem großen Gremium:
Es geht vor allem darum, den Umbau der Bundeswehr von einer auf Zentraleuropa ausgerichteten Verteidigungsarmee zu einem beweglichen, verfügbaren und leistungsfähigen Instrument des Krisenmanagements zu finanzieren.
Es geht eben nicht hauptsächlich um das humanitäre Engagement, das auch der Außenminister hier betont hat. Es geht darum, daß Sie Fakten schaffen wollen, um jenen Umbau der Bundeswehr — weg von einer vom Konsens der Demokraten getragenen Armee der Verteidigung und des Bündnisses — voranzutreiben. Sie instrumentalisieren damit die Bundeswehr. Das haben unsere Soldaten nicht verdient, Herr Minister Rühe.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Lassen Sie mich zu der tatsächlichen Verantwortung des Auftraggebers Deutscher Bundestag etwas sagen. Erstens. Im vorliegenden Antrag heißt es:



Manfred Opel
Der deutsche Verband wird nicht die Aufgabe haben, militärischen Zwang anzuwenden oder bei der Ausübung solchen Zwangs durch andere mitzuwirken.
Den deutschen Soldaten soll verboten werden, ihren Auftrag mit Waffengewalt durchzusetzen. Damit soll der deutschen Öffentlichkeit vermittelt werden, es sei möglich, sich von aktiven Kampfhandlungen fernzuhalten.
Diese Auftragseinschränkung ist völlig wirklichkeitsfremd. Wir wissen, daß die UNO in Somalia mindestens doppelt soviel Logistikpersonal, nämlich 8 000 Personen, bräuchte, als sie hat. Übrigens hat die UNO beim Logistikpersonal von Personen und nicht von Soldaten gesprochen.
Das bedeutet, daß die deutschen Soldaten von Anfang an militärisch überlastet sind. Glaubt denn jemand in der Koalition ernsthaft daran, daß der deutsche Logistikverband einfach stehenbleiben kann, wenn er von einigen bewaffneten Wegelagerem angehalten wird und gleichzeitig weiß, daß die zu versorgenden UN-Kräfte dringend auf Nachschub warten? Das erst würde die deutschen Truppen massiver internationaler Kritik aussetzen, wenn sie denn stehenblieben. Genau das ist es, was Sie den deutschen Truppen aufgeben.
Zweitens. Sie sagen, Deutschland könne keine nationale Sonderrolle mehr für sich reklamieren. Gleichzeitig versuchen Sie aber, unsere Soldaten in Somalia mit eben einer solchen Sonderrolle auszustatten. Da gibt es besondere deutsche Regeln für den Waffengebrauch, spezielle deutsche Unterstellungsverhältnisse, spezielle deutsche Beschränkungen auf sogenannte befriedete Regionen. Diese komplizierte Sonderrolle, die Sie unseren Soldaten und vor allen Dingen ihren Vorgesetzten zumuten, setzt diese ständigem Begründungszwang und gegebenenfalls auch vielen und weitreichenden rechtlichen Folgen aus.
Drittens. Zur Frage der Gefährdung unserer Soldaten lassen Sie über das angeblich so friedliche Belet Uen berichten. Sie haben hier auch zitiert, was Soldaten dort alles Gutes an Humanitärem tun. Dafür, Herr Minister Rühe, braucht man keine Soldaten. Das könnten andere Kräfte ganz genauso tun.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — Dr. Uwe Küster [SPD]: Und besser!)

Die wirkliche Gefährdung unserer Soldaten — hören Sie genau zu! — beginnt erst im nächsten Frühjahr nach der Regenzeit. Diese Gefährdung — darum geht es heute — wird sehr lange anhalten. Dann nämlich, wenn über Hunderte von Kilometern durch Steppe, Halbwüste, über baufällige Brücken, auf Staubpisten die sich nach Norden durchkämpfenden UN-Truppen versorgt werden müssen, wird das deutsche Kontingent verletzlich. Und vergessen wir nicht, daß die deutschen Soldaten genau die Güter transportieren sollen, die von den Rebellen am meisten begehrt werden!
Warum wohl gibt es in ganz Somalia — wie der verantwortliche Generalmajor Bernhardt im Verteidigungsausschuß einräumen mußte — mit neuen Waffen wiederaufgebaute Lager?

(Walter Kolbow [SPD]: So ist es!)

Diese Frage, meine Damen und Herren, müssen Sie sich heute stellen, wenn Sie diesem Antrag zustimmen wollen.
Was ist denn der Transport von Versorgungsgütern aller Art direkt zu UNOSOM-II-Truppen — so der Auftrag — anderes als die mittelbare Beteiligung an Kampfeinsätzen? Ohne diese direkte Unterstützung, den sogenannten Direct Support, wären diese Truppen doch weder kampf- noch lebensfähig.

(Brigitte Adler [SPD]: Sehr richtig!)

Viertens. Außenminister Kinkel hat mehrfach allen Ernstes behauptet, daß man dann, wenn sich die Einsatzbedingungen änderten, also z. B. nicht ausschließlich in befriedetem Gebiet operiert werden könne, sich neu überlegen müsse, was man mit den deutschen Truppen tue; gegebenenfalls müsse man sie zurückziehen. Diese Regierung hat einerseits in Karlsruhe vorgetragen, man könne noch nicht einmal das Vorkommando bis zur verfassungsrechtlichen Klärung zurückziehen; andererseits wollen uns der Außenminister und übrigens auch die Regierung glauben machen, daß man ausgerechnet dann, wenn die Lage schwieriger würde, das ganze deutsche Kontingent zurückholen könnte. Glauben Sie das, meine Damen und Herren?

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das ist grotesk, absolut grotesk!)

Dies ist eine völlig unmögliche und groteske Vorstellung, meine Damen und Herren, der Sie doch sicherlich nicht anhängen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Unsere Soldaten und ihre Familien, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch unsere Partner und Nachbarn in aller Welt haben einen Anspruch darauf, daß jeder Einsatz deutscher Soldaten auf einer soliden und über den Tag hinaus von allen rechtlichen Zweifeln befreiten Verfassungsgrundlage erfolgt.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Wer hindert euch daran?)

Wenn Sie heute den Antrag so beschließen, meine Damen und Herren, setzen Sie Deutschland und die UNO dem Risiko aus, daß später unsere Soldaten zurückgeholt werden müssen, und sei es durch Herrn Kinkel.
Ich darf abschließend feststellen: Weil wir eine klare und rechtlich zweifelsfreie Lösung im Interesse aller unserer Soldaten wollen, deswegen können wir diesem Antrag der Koalition nicht zustimmen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216909500
Nun spricht der Kollege Paul Breuer.




Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1216909600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen möchten wir die Voraussetzung dafür schaffen, daß der Deutsche Bundestag dem Beschluß der Bundesregierung vom 21. April dieses Jahres in vollem Umfang zustimmt und gleichzeitig die Möglichkeit schafft, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni dieses Jahres gerecht zu werden, um die deutsche Beteiligung an UNOSOM II in Somalia weiter zu gewährleisten.
Die heutige Debatte war ja auch durch die Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit gekennzeichnet. Wenn ich die Redner der SPD richtig verstanden habe,

(Dieter Heistermann [SPD]: Die waren gut!)

waren Sie zum Teil geneigt, die Entsprechung mit der tatsächlichen Lage in Somalia hintanzustellen und die rechtliche Frage in den Vordergrund zu stellen.
Ich denke, es ist völlig klar, daß der UNOSOMII-Einsatz, so wie er bisher abgelaufen ist, dafür gesorgt hat, daß das unendliche Leiden und Töten in Somalia — im letzten Jahr sind pro Tag tausend Menschen ums Leben gekommen, 340 000 insgesamt — beendet werden konnte.

(Michel Glos [CDU/CSU]: So ist es!) Das ist deutlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, der deutsche Beitrag bei UNOSOM II leistet dabei heute schon eine wesentliche Hilfe.

(Brigitte Adler [SPD]: Das THW hat viel besser geholfen!)

— Auch das THW.
Nun zur Frage der rechtlichen Bewertung. Ihre Sprecher, meine Damen und Herren Kollegen der SPD, haben in den letzten Wochen und Monaten zunächst gesagt: Wenn die rechtlichen Grundlagen gegeben wären, würden wir gerne helfen.
Ich zitiere eine Pressemitteilung des Kollegen Verheugen vom 14. April 1993 im SPD-Pressedienst. Die von Ihnen selbst gewählte Schlagzeile lautet: „Eine klare verfassungsrechtliche Regelung für Bundeswehreinsätze außerhalb des Bündnis- und Verteidigungsfalls ist dringend erforderlich. " Unter anderem schreibt dort Kollege Verheugen:
Im Falle Somalia ist eine deutsche Beteiligung am Wiederaufbau demokratischer, sozialer und ökonomischer Strukturen sowie ein Beitrag zur Friedenssicherung und Stabilisierung zwingend geboten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er schreibt weiter:
Dabei ist zu prüfen, ob dieser Beitrag nicht sogar wirkungsvoller mit nichtmilitärischen Mitteln erfolgen kann.
Wir haben festgestellt, daß die Hilfeleistung nur mit nichtmilitärischen Mitteln in Somalia nicht möglich ist. Sonst wären die Hilfsorganisationen, wie das THW und das Rote Kreuz, nicht zwischendurch ausgeflogen worden. Sie sind jetzt wieder da. Das ist geklärt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216909700
Kollege Breuer, darf ich Sie kurz unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Verheugen?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1216909800
Herr Kollege Verheugen, sogleich.
Jetzt zur verfassungsrechtlichen Frage. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht sagt in seinem Beschluß auf der Seite 11 im Absatz 5:
Die Überbrückung des Kompetenzstreites für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache hat zur Folge, daß eine Beschlußfassung des Bundestages über die Zustimmung zu der Entsendung deutscher Soldaten zu UNOSOM II nicht dem Einwand ausgesetzt ist, den die Antragstellerin aus Art. 87 a GG herleitet. Die umfassende Abwägung aller für und gegen diese Entsendung sprechenden Gründe bleibt dabei gewährleistet.

(Manfred Opel [SPD]: Wir waren selber da!)

Das heißt: Der Einsatz der Bundeswehr kann im Deutschen Bundestag entschieden werden. Er muß hier entschieden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie kommen hier nicht daran vorbei, meine Damen und Herren Kollegen der SPD, sich hier zu entscheiden.

(Walter Kolbow [SPD]: Wir entscheiden uns ja auch!)

Das Verfassungsgericht sagt Ihnen für den Fall, daß Sie das Bedenken hätten, Sie als Antragstellerin könnten sich in der Hauptsache schaden: Nein, das braucht ihr nicht zu befürchten, meine Damen und Herren Genossen;

(Walter Kolbow [SPD]: Lehrer, bleib bei deinen Leisten!)

ihr dürft zustimmen; die Entscheidung in der Hauptsache ist unabhängig davon. Also, kommen Sie doch heute bitte zur Entscheidung darüber!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216909900
Herr Breuer, ist das jetzt mit der Zwischenfrage okay?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1216910000
Sie dürfen heute mit entscheiden.

(Brigitte Adler [SPD]: Wie gnädig!)

Ein zweites. Wenn Sie heute dem Antrag der CDU/CSU und F.D.P. zustimmen, dann zeigen Sie, daß Sie für die Herstellung menschenwürdiger Lebensbedingungen für die Bürger Somalias sind

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und daß Sie das Verbleiben unserer Soldaten in Somalia bejahen und deren humanitäre Leistungen unterstützen.
Es hilft nichts, Herr Kollege Klose, hier zu sagen: Wir stehen hinter der Bundeswehr. Ich bin dankbar dafür, daß Sie es gesagt haben. Aber das allein reicht nicht aus. Sagen Sie doch hier: Wir stehen hinter dem



Paul Breuer
Einsatz der Bundeswehr zur Hilfeleistung für die Menschen in Somalia. Bekennen Sie sich heute dazu!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren Kollegen der SPD, ich möchte mich speziell noch an Herrn Glotz wenden. Herr Kollege Glotz, Sie haben vorhin gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, der UN-Einsatz in Somalia sei nicht richtig überlegt. Ich denke, wir müssen genau überlegen, was damit gesagt ist.
Stellen wir ihn zunächst in einen historischen Zusammenhang. Wir wissen genau: Das ist der größte Einsatz der Vereinten Nationen in ihrer Geschichte, ein Einsatz von 28 000 Soldaten aus 30 Nationen— wir sind eine dieser Nationen — in einer völlig neuen historischen Situation.
Jetzt sagen Sie hier: Der ist nicht richtig überlegt. Denken Sie doch bitte einmal nach, welche internationale Wirkung man damit erzeugt. Die Völker der Welt in einer völlig neuen historischen Situation sitzen zusammen und planen einen solchen Einsatz. Dann kommen Sie und sagen: Der ist nicht überlegt. Was heißt das? Die Deutschen sind neunmal klüger, die Deutschen gehen kein Risiko ein, und am Ende zücken sie den Scheck und meinen, sich damit freikaufen zu können. Das ist keine Lösung für den deutschen Beitrag in den Vereinten Nationen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216910100
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1216910200
Herr Kollege Glotz und Kolleginnen und Kollegen der SPD: Das kann im Zusammenhang mit der Würde unseres Volkes nicht der Beitrag in der Völkergemeinschaft sein. Das ist unwürdig.
Bitte sehr, Herr Kollege Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (SPD):
Rede ID: ID1216910300
Herr Kollege Breuer, können Sie akzeptieren, daß wir nicht die allererste Phase dieses Einsatzes kritisieren, aber daß wir die Befürchtung haben, daß jetzt durch die Auseinandersetzungen, die Herr Rühe erwähnt hat — beispielsweise im Zusammenhang mit den Pakistanis, die brutal angegriffen werden, die sich wehren, wobei viele Somalis getötet werden —, die Vermittlungskompetenz der Vereinten Nationen, die Chance, befriedend zu wirken, auf Dauer beschädigt werden könnte, und daß wir deshalb sagen: Wir müssen uns entscheiden, ob dieser Einsatz in der jetzigen Situation so weitergeführt werden kann oder nicht weitergeführt werden kann? Können Sie das akzeptieren?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1216910400
Herr Kollege Glotz, wenn man in einer neuen historischen Situation in einem solch geschundenen Land wie Somalia einen Einsatz beginnt, wie das die Vereinten Nationen tun, dann ist es völlig klar, daß dabei viele Unabwägbarkeiten in der Entwicklung der Situation mit in Kauf genommen werden müssen. Das wissen Sie, und das wissen wir alle.
Ich sehe zu dem, was die Vereinten Nationen heute in Somalia machen, obwohl ich mir theoretisch vieles vorstellen könnte, leider keine Alternative. Das ist ja der Punkt. Es hilft nichts, sich theoretisch eine wunderschöne Welt vorstellen zu können. Das hilft uns gar nichts. Dann verrecken die Menschen dort. Es hilft nur, wenn man auch unter Inkaufnahme von Risiken und Imponderabilien — natürlich sehr vorsichtig und sehr sensibel — bereit ist, den eigenen Beitrag zu leisten. Das müssen wir Deutsche tun.

(Beifall bei der CDU/CSU — Manfred Opel [SPD]: Das ist die Politik der Lemminge!)

Ich weiß, daß eine ganze Reihe von Kollegen in der SPD im Prinzip der gleichen Meinung sind wie wir in der CDU/CSU-Fraktion

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Sind wir nicht!)

— mit vielen feinen Unterschieden, Frau Kollegin Schulte; ich habe ja gesagt: im Prinzip der gleichen Meinung —, daß der deutsche Beitrag in der Völkergemeinschaft notwendig ist und daß er Risiken unterworfen sein wird.
Ich möchte mich zu dieser Frage der Risiken auch hier äußern. Durch die Selbstschutzkomponente und vieles andere bemüht sich die Bundeswehr, die Risiken für die deutschen Soldaten so gering wie möglich zu halten. Aber es wäre nicht verantwortungsvoll, es wäre unehrlich, wenn man sagen würde, die Sache sei risikolos.
Es ist leider nicht auszuschließen, daß dort deutsche Soldaten Schaden an Leib und Leben nehmen können. Aber wir müssen gleichwohl dazu bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen. Darum geht es heute in der Entscheidung.
Es geht um die Entscheidung: Wie helfen wir den Menschen in Somalia, und wie schaffen wir die Möglichkeit, daß dieses Volk in Frieden und Freiheit lebt? Und es geht um die Frage der Würde des deutschen Volkes im Hinblick auf das friedliche Zusammenleben der Völker.
Die einzige Organisation, die uns zur Verfügung steht, um dies zu koordinieren und zu regeln, sind die Vereinten Nationen. Wir sind Vollmitglied mit allen Rechten, aber, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, auch mit allen Pflichten. Ich appelliere an Sie: Nehmen wir und nehmen Sie die Pflichten ernst!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216910500
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Günter Verheugen das Wort.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1216910600
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesverteidigungsminister hat mich zwar richtig, aber unvollständig zitiert. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr in Somalia hier in der vergangenen Woche ausgeführt habe, daß das Verfassungsgericht für die Zeit von heute bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine verfassungsrechtliche Brücke gebaut hat, die benutzt werden kann, daß aber die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes als



Günter Verheugen
solchem erst im Hauptsacheverfahren entschieden wird und nur in der Zeit dazwischen, von heute bis zum Urteil, der Bundesregierung der Vorwurf des Verfassungsbruchs nicht gemacht werden soll. Dabei bleibe ich auch. Aber es wird sich erst am Ende herausstellen, ob Ihre Entscheidung, die Bundeswehr in einen solchen Einsatz zu schicken, verfassungsgemäß war oder nicht, und da sollte sich niemand zu früh freuen.
Der Kollege Breuer hat mich ebenfalls zitiert, auch richtig, aber er hat nicht hinzugefügt, daß ich diese Äußerung zu einem Zeitpunkt gemacht habe, als ein völlig anderes Einsatzbild der Bundeswehr in Somalia zur Diskussion stand, nämlich als Sie davon gesprochen haben, daß die Bundeswehr im Norden des Landes allein humanitäre Aktionen durchführen soll, und daß sich dieses in den darauffolgenden Monaten entscheidend verändert hat.
Sie haben auch heute wieder versucht, das zu vertuschen, was in Wahrheit geschehen ist. Der Verteidigungsminister hat wieder den Eindruck erweckt, als ginge es hier darum, Milchpulver zu verteilen und armen, kranken Somalis zu hellen. Was soll denn das Vorkommando im Augenblick anderes tun? Das Kontingent ist doch noch gar nicht da, das den Auftrag hat, eine andere Truppe logistisch zu versorgen. Dieses Bild wird sich vollständig ändern, wenn das Kontingent erst da ist. Darum ist die Beurteilung des Einsatzes in Somalia heute notwendigerweise eine völlig andere, als sie am 14. April sein konnte.
Eines, Herr Rühe, muß ich Ihnen auch noch sagen. Es ist damals z. B. vorgeschlagen worden, daß die Bundeswehr das so wichtige Management des Hafens von Mogadischu übernimmt. Das wäre humanitäre Hilfe gewesen, aber genau das war Ihnen nicht attraktiv genug.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216910700
Nun hat der Kollege Dr. Ulrich Briefs das Wort.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1216910800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Breuer, wenn Sie hier von der Würde Deutschlands sprechen, dann, so fürchte ich, ist es nicht mehr weit, bis wir eines Tages wieder von der deutschen Ehre und vom deutschen Stolz sprechen und auch entsprechend handeln werden.
Mit der Asyldebatte ist der Ungeist von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in der deutschen Bevölkerung geweckt, stimuliert, verbreitet und aktiviert worden. Mit der Somalia-Debatte wird, so fürchte ich, der Ungeist der Bereitschaft zu militärischen Einsätzen, zum Säbelrasseln in allen möglichen Formen in dieser Bevölkerung ebenso geweckt, stimuliert, verbreitet und aktiviert werden. Beides ist kein verantwortungsvoller Umgang mit politischen Gegebenheiten, die wir nun einmal in Rechnung stellen müssen.
Dieses Land ist anders. Diese Bevölkerung ist anders als die in vergleichbaren westeuropäischen Ländern. Die Entwicklung seit 1990 in Deutschland zeigt es. Ich erlaube mir, das in aller Härte zu sagen.
Das zivilisierte Westeuropa beginnt—und da habe ich sehr konkrete Erfahrungen — im Grunde erst an der Maas. Aber nicht nur wegen der unseligen deutschen Geschichte, sondern gerade auch wegen der Bereitschaft zur brutalen Gewalt — das gilt, das sage ich offen, auch für Teile der Linken in Deutschland —, wegen der Verehrung von militärischer Stärke und von militärischer Macht in weiten Bereichen der deutschen Bevölkerung ist der Beschluß, sich an der Somalia-Aktion der Vereinten Nationen militärisch zu beteiligen, falsch und womöglich verhängnisvoll. Er ist im Grunde Wasser auf die Mühlen derjenigen, die gegen eine offene westeuropäisch-liberale, zivile Gesellschaft auch in Deutschland arbeiten. Er ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine hochgerüstete wehrhafte Demokratie — was immer das ist — wollen. Er ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die einen starken Staat nach außen und auch nach innen wollen. Er ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die deutsche militärische Präsenz, die eine eskalierende Beteiligung Deutschlands an den Polizeikriegen der Zukunft wollen.
Eine konsequente deutsche Politik müßte dagegen lauten: keine Beteiligung an irgendwelchen militärischen Aktionen außerhalb der deutschen Grenzen, dafür aber Nutzung des finanziellen und organisatorischen Potentials des wiedervereinigten Deutschlands für umfassende humanitäre Hilfe, für Hilfe z. B. auf dem Wege zu einem sustainable development, zu einer nachhaltigen Entwicklung gerade auch in den Ländern, die Opfer von Aggressionen von außen oder von Bürgerkriegen geworden sind.
Vergessen wir nicht: Dieselbe Bundesregierung, die ganz schnell und möglichst umstandslos an den Aktionen des „Weltpolizisten" der Vereinten Nationen teilnehmen möchte, senkt zugleich die deutsche Entwicklungshilfe, die sowieso, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, viel geringer als in Frankreich oder den Niederlanden ist, weiter ab. Die Weltöffentlichkeit hätte einen solchen aufgeklärten Verzicht auf militärische Einsätze, verbunden mit der Bereitschaft zu wirklich massivem Einsatz bei humanitären Aktionen, insbesondere in dieser Zeit der wiedererwachenden Ausländerfeindlichkeit in Deutschland sehr wohl verstanden und gewürdigt. Eine solche grundlegende Entscheidung würde der Welt signalisieren, daß wir ein für allemal und endgültig mit der deutschen Neigung zu militärischer Stärke und militärischer Expansion — in welchem Zusammenhang auch immer — Schluß machen.
Die Erfahrung mit den Angriffen auf Ausländer und Ausländerinnen nach dem Lostreten der Asyldebatte zeigt, wie vorsichtig wir gerade auch in dieser Frage sein müssen. So, wie die Bundesregierung nunmehr hilflos ist gegenüber den Angriffen auf Ausländer, so wird sie ebenso hilflos sein, wenn mit dem Somalia-Einsatz eine schleichende Militarisierung der deutschen Öffentlichkeit und der deutschen Politik stattfindet.
Sie haben mit der Asyldebatte etwas losgetreten, was Sie nun nicht mehr einholen können. Ziehen Sie daraus die notwendigen Lehren auch hier, beim Einsatz deutscher Soldaten in einem fernen afrikanischen Landl



Dr. Ulrich Briefs
Der verantwortungsvolle Umgang mit den Gefahren dieses Einsatzes muß jedenfalls schwerer wiegen als die Befürchtungen deutscher Offiziere — das hört man nämlich inzwischen manchmal —, in internationalen Offizierskasinos als Feiglinge gehänselt zu werden.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216910900
Nun erhält der Kollege Ortwin Lowack das Wort.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1216911000
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne Michael Glos und im Endergebnis dem Vorschlag der Union zustimmen. Allerdings frage ich mich, warum wir die Sache erst heute entscheiden. Ich habe bis heute keine Antwort darauf bekommen, warum die Debatte im April 1991 abgesetzt wurde und warum sich das Parlament diese Entscheidung der Regierung damals einfach so hat aufdrängen lassen.
Der Kollege Klose hat natürlich recht: Es gab den Zickzackkurs der Entscheidungsträger innerhalb der Koalition, nicht zuletzt auch die Entscheidungsunfähigkeit des Bundeskanzlers, der ja selber die Philosophie vertreten hat: Wenn wir schon nicht entscheiden können, dann wollen wir auf alle Fälle eine Grundgesetzänderung beantragen. Er hat damit letztlich auch den Keim für diese Unsicherheit gelegt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der schlimmste Nationalismus — das müssen wir als Deutsche auch einmal klar ansprechen — ist, wenn man sagt: „Ohne mich soll die Weltpolitik über die Bühne gehen„ , wenn man helfen könnte, aber die Tatsache, daß man nicht helfen will, gerade damit begründet, daß man Deutscher ist. Damit verlieren wir entscheidend an Glaubwürdigkeit.
Ich frage Sie: Haben wir die Chance genutzt, die uns das Verfassungsgericht gegeben hat? Hier darf ich noch einmal Michael Glos zitieren. Zu sagen, hier sei heute durch die Opposition die Axt an Mehrheitsentscheidungen gelegt worden, ist natürlich falsch, denn wir wollen die Mehrheitsentscheidung ja heute erst herbeiführen. Eine Mehrheitsentscheidung im Kabinett ist noch keine Mehrheitsentscheidung des Parlaments. Die Fraktionen täten gut daran, wenn sie sich insoweit etwas vom Einfluß der Bundesregierung lösten. Wir brauchen mehr Selbst- und Verantwortungsbewußtsein im Parlament. Wir brauchen mehr Selbst- und Verantwortungsbewußtsein im Auswärtigen Ausschuß und im Verteidigungsausschuß. Wir brauchen mehr Bereitschaft, den eigenen Sachverstand einzubringen. Jener der Bundesregierung und der Koalitionsspitzen ist eben doch höchst begrenzt oder leider oft genug sehr beschränkt.
Ich möchte das Parlament an ein Gesetz erinnern, das vielen leider nicht mehr bekannt ist, das zum 1. Januar 1990 in Kraft getreten ist. Damals hat der Deutsche Bundestag unserem auswärtigen Dienst folgenden Auftrag erteilt — ich darf aus § 1 zitieren —:
Er
— der auswärtige Dienst —
dient einer dauerhaften, friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, der Wahrung der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Erde und dem Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit, der Achtung und Fortentwicklung des Völkerrechts ...
Wer als Gesetzgeber einen solchen Auftrag erteilt — damals haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zugestimmt —, muß sich selbst in die Pflicht nehmen lassen. Er muß selbst Sachkompetenz beweisen. Er muß selbst Verantwortung bewußt tragen. Für diese Erkenntnis sei dem Bundesverfassungsgericht herzlicher Dank ausgesprochen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216911100
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II auf den Drucksachen 12/5248 und 12/5338. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag unverändert anzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgeben konnte? — Würden mich die Schriftführer und auch die verehrten Geschäftsführer vielleicht einmal auf den Stand der Erkenntnis bringen, ob ich die Abstimmung schließen kann.
Darf ich fragen, ob jetzt alle Stimmen abgegeben sind? — Dann kann ich die Abstimmung schließen und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis später bekanntgeben.*)
Ich bitte Sie ganz herzlich darum, daß Sie wieder Platz nehmen, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. Darf ich Sie bitten, in dem üblichen Umfang Ruhe einkehren zu lassen.
Eine persönliche Erklärung zur Abstimmung haben die Kollegin Dr. Michaela Blunk sowie die Kollegen Dr. Hans de With, Wolfgang Lüder und Dr. Burkhard Hirsch zu Protokoll gegeben.**)
Jetzt hat das Wort zu einer persönlichen Erklärung der Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1216911200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nicht an der Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr in Somalia beteiligt. Ich halte das nachträgliche Abhaken einer längst beschlossenen und schon vollzogenen Entscheidung für eine Farce, die
*) Ergebnis Seite 14608 C **) Anlage 3



Konrad Weiß (Berlin)

unwürdig ist und dem Ansehen des Deutschen Bundestages schadet.
Den Einsatz deutscher Soldaten in Somalia lehne ich ab, und ich bedaure, daß die Bundesregierung diesen Einsatz befohlen hat. Dabei sind für mich nicht verfassungsrechtliche Vorbehalte ausschlaggebend, sondern ethische und politische Bedenken.
Die in den letzten Monaten geführte Verfassungsdiskussion lenkt vom eigentlichen politischen Skandal, den dieser Einsatz darstellt, ab. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß nicht das Bundesverfassungsgericht über die Politik in diesem Land zu entscheiden hat, sondern der Souverän, die Bürgerinnen und Bürger, die uns, ihre Abgeordneten, gewählt haben.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Deshalb haben Sie an der Abstimmung auch nicht teilgenommen!)

Die Vorstellung, man könne mit bewaffneten Soldaten, also mit Gewalt oder zumindest potentieller Gewalt, humanitäre Hilfe leisten oder gar Menschenrechte bewahren, ist naiv und pervers zugleich. Aber darum geht es in Somalia auch gar nicht. Ich bezweifle nicht den guten Willen der Soldaten, die dort ihren gefahrvollen Dienst tun. Aber ich bezweifle den guten Willen der politisch Verantwortlichen, die sie dazu verführt haben.
Vor anderthalb Jahren, als der Konflikt in Somalia aufflammte, war niemand von Ihnen zur Hilfe bereit. Ein entsprechender Antrag, der damals in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde, wurde über ein Jahr lang nicht in den Ausschüssen behandelt und schließlich abgelehnt.
Damals hätte eine großzügige Hilfsoffensive den Menschen in Somalia wirklich helfen können und vielleicht auch den Ausbruch der Gewalttätigkeiten verhindert. Statt dessen wurden die zivilen Hilfskräfte abgezogen und nun die Bundeswehr eingesetzt. Dieser Einsatz von Soldaten und Waffen in Somalia wird dem Land keinen Frieden bringen, es allenfalls befrieden. Denn Soldaten sind die letzten, die geeignet sind, die komplizierten ethnischen und sozialen Konflikte dort zu lösen. Die Probleme werden nur verlagert und verdrängt werden.
Noch nie hat ein Krieg Konflikte gelöst, immer nur unterdrückt und verdrängt und damit zugleich den Keim für neue Konflikte gelegt. Niemand zwingt die Bundesrepublik Deutschland, ihre Soldaten nach Somalia zu entsenden. Der eigentliche Anlaß für diesen Einsatz ist der Wunsch der Bundesregierung und der Bundeswehrführung, deutsche Soldaten darauf vorzubereiten, angebliche deutsche Interessen auch außerhalb der vom Grundgesetz vorgesehenen Fälle mit Waffengewalt zu vertreten.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist doch keine persönliche Erklärung!)

Als solche Interessenfelder werden von der Bundeswehr neuerdings Wanderungsbewegungen oder die Sicherung von Rohstoffquellen benannt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216911300
Herr Kollege Weiß, ich darf einmal ganz kurz unterbrechen. Sie sollten sich in einer persönlichen Erklärung zur
Abstimmung im wesentlichen auf den Verhandlungsgegenstand beziehen

(Beifall bei der CDU/CSU)

und nicht grundsätzliche Ausführungen zu allgemeinen politischen Themen machen. Der Sinn einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung ist, daß Sie sich darauf und auf nichts anderes beziehen. Sonst kann ich Sie nicht zu Ende reden lassen.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1216911400
Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf die Abstimmung über Somalia.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat ja gar nicht abgestimmt!)

Entschieden widerspreche ich auch der Behauptung der Bundesregierung, der Einsatz deutscher Soldaten in Somalia habe entwicklungspolitische Aspekte. Soldaten sind keine Entwicklungshelfer. Einige Äußerungen von beteiligten Soldaten waren von kolonialer Überheblichkeit. Die Befragung des kommandierenden Generals des deutschen UNOSOM-Kontingents vor dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat zudem erbracht, daß die entwicklungspolitischen Versuche der Bundeswehr dilettantisch, ineffizient und überaus kostspielig sind.

(Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: Eine vorgefertigte Rede ist das, keine persönliche Erklärung!)

Die bisherigen jährlichen Ausgaben für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Somalia machen einen Bruchteil dessen aus, was nun der Bundeswehreinsatz kostet. Bisher sind dafür — die Vorbereitungen nicht einbezogen — 185 Millionen DM ausgegeben worden. Ich bin sofort bereit, ein Vielfaches dieses Betrags für zivile humanitäre Hilfe bereitzustellen.
Ich unterstütze auch die Entsendung ziviler Hilfscorps oder ziviler Hilfsorganisationen. Aber ich kann ein militärisches Abenteuer, dessen Berechtigung und Sinn überaus zweifelhaft sind, nicht gutheißen, denn — auch das hat die Befragung des verantwortlichen Generals erbracht — ein Konzept oder auch nur Ansätze eines Konzepts für die zivile Befriedung Somalias hat die Bundeswehr nicht. Ich kann den Einsatz deutscher Soldaten in Somalia, ihre Gefährdung und möglicherweise ihren Tod nicht verantworten. Ich lehne das militärische Handeln der Bundesregierung entschieden ab und mißbillige es zutiefst.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zurufe von der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216911500
Weil ich hier eine gewisse Unruhe feststelle, möchte ich sagen, daß Kollege Konrad Weiß nicht zu vertreten hat, daß er nach der Abstimmung gesprochen hat, sondern daß dies eine Entscheidung meines Vorgängers auf diesem Stuhl gewesen ist. Herr Kollege Weiß sollte jetzt nicht ausbaden müssen, daß es einen Irrtum gegeben hat. Ich bitte Sie dafür um Verständnis. Ich habe kritisiert, daß er während einer gewissen Passage nicht zum Thema geredet hat. Ansonsten kritisieren Sie die Präsidentin bitte dort, wo es am Platz ist,



Vizepräsidentin Renate Schmidt
nämlich im Ältestenrat, wenn es notwendig sein sollte.
Wir fahren in der Tagesordnung fort.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Viertes Mietrechtsänderungsgesetz)
— Drucksachen 12/3254, 12/5110, 12/5224, 12/5342 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird zu Erklärungen das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5342? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit bei einigen Stimmenthaltungen und Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
— Drucksachen 12/4518, 12/5011, 12/5223, 12/5237, 12/5343 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5343? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz — StandOG)
— Drucksachen 12/4158, 12/4487, 12/5016, 12/5222, 12/5236, 12/5341 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Es gibt eine Erklärung des Kollegen Detlev von Larcher, die zu Protokoll gegeben werden soll.* )
*) Anlage 4
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5341? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen der SPDFraktion mit großer Mehrheit angenommen.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II auf Drucksache 12/5338 bekanntgeben. Es wurden insgesamt 535 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 337 Kollegen und Kolleginnen gestimmt, mit Nein 185, enthalten haben sich 13.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 534; davon:
ja: 336
nein: 184
enthalten: 14
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter
Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Bayha, Richard Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Böhmer, Maria
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens (Emstek), Manfred Clemens, Joachim
Dehnel, Wolfgang Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate
Dörflinger, Werner
Doss, Hansjürgen
Dr. Dregger, Alfred
Echternach, Jürgen
Ehlers, Wolfgang
Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt
Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl
Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz (St. Wendel), Johannes
Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert
Gerster (Mainz), Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin
Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang
Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang
Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther (Duisburg), Horst Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach),
Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert Jäger, Claus
Jaffke, Susanne Dr. Jahn (Münster),
Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr.-Ing. Jork, Rainer
Dr. Jüttner, Egon
Jung (Limburg), Michael Junghanns, Ulrich
Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard
Kauder, Volker Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter Klein (Bremen), Günter Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg),
Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas
Kraus, Rudolf
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner
Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Johannes
Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula Limbach, Editha Link (Diepholz), Walter
Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann (Lüdenscheid),
Wolfgang
Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Männle, Ursula Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn),
Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller (Kirchheim), Elmar Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert Niedenthal, Erhard Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Ost, Friedhelm
Otto (Erfurt), Norbert Dr. Päselt, Gerhard
Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika
Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Reichenbach, Klaus Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Romer, Franz
Rossmanith, Kurt J. Roth (Gießen), Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schartz (Trier), Günther Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian Dr. Schmidt (Halsbrücke),
Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Dr. Schneider (Nürnberg), Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert
Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Schulhoff, Wolfgang

(Schwäbisch Gmünd)

Schulz (Leipzig), Gerhard
Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling,
Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten,
Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon
Tillmann, Ferdinand Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel (Ennepetal), Friedrich Vogt (Düren), Wolfgang
Dr. Voigt (Northeim), Hans-Peter
Dr. Waffenschmidt, Horst
Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach),
Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy
Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias
Dr. Wittmann, Fritz Wittmann (Tännesberg),
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer
Dr. Funke-Schmitt-Rink,
Margret
Gallus, Georg Ganschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grüner, Martin
Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert (Hannover), Detlef Kohn, Roland
Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,
Sabine
Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, Rainer
Otto (Frankfurt),
Hans-Joachim Paintner, Johann Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann
Dr. Röhl, Klaus Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno
Dr. Schmieder, Jürgen Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita
Dr. Semper, Sigrid Dr. Starnick, Jürgen Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgang
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Zurheide, Burkhard Zywietz, Werner
Fraktionslos Lowack, Ortwin
Nein
SPD
Adler, Brigitte
Bachmaier, Hermann
Barbe, Angelika
Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid
Berger, Hans
Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, (Uetersen), Lieselott Bock, Thea
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich (Berlin), Nils Diller, Karl



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Ebert, Eike
Dr. Ehmke (Bonn), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot
Ferner, Elke
Fischer (Homburg), Lothar Formanski, Norbert Fuhrmann, Arne
Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gleicke, Iris
Dr. Glotz, Peter
Graf, Günter
Großmann, Achim Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter Hiller (Lübeck), Reinhold Huonker, Gunter
Ibrügger, Lothar
Iwersen, Gabriele Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich
Jung (Düsseldorf), Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus
Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbow, Walter
Koltzsch, Rolf
Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe
Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Lennartz, Klaus
Lohmann (Witten), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß (Herne), Dieter Marx, Dorle
Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens (Bottrop), Franz-Josef
Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Völklingen), Jutta Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Odendahl, Doris
Oesinghaus, Günter Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried Peter (Kassel), Horst Dr. Pick, Eckhart
Purps, Rudolf
von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto
Rixe, Günter
Schanz, Dieter
Scheffler, Siegfried Willy Schily, Otto
Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter
Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar
Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta
Urbaniak, Hans-Eberhard Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Walter (Cochem), Ralf Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Welt, Hans-Joachim
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek (Duisburg), Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wimmer (Neuötting),
Hermann
Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna
F.D.P.
Dr. Blunk (Lübeck), Michaela PDS/Linke Liste
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Dr. Hö11, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans
Philipp, Ingeborg
Dr. Schumann (Kroppenstedt), Fritz
Dr. Seifert, Ilja
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Poppe, Gerd
Schenk, Christina Schulz (Berlin), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Wollenberger, Vera
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Enthalten
SPD
Andres, Gerd
Bernrath, Hans Gottfried Ewen, Carl
Haack (Extertal), Karl-Hermann
Hampel, Manfred Eugen Meckel, Markus
Dr. Niese, Rolf
Niggemeier, Horst Oostergetelo, Jan
Rappe (Hildesheim), Hermann Schloten, Dieter
Schulte (Hameln), Brigitte Singer, Johannes
Dr. de With, Hans
Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Zukunftssicherung durch freien Welthandel — Drucksache 12/5326 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit EG-Ausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Wieczorek, Wolfgang Roth, Dr. Ingomar Hauchler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wirtschaftsgipfel 1993 — Die weltwirtschaftliche Strukturkrise gemeinsam überwinden
— Drucksache 12/4630 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? — Ich sehe keinen. Dann ist das so beschlossen.
Ich habe bereits jetzt einen Antrag vorliegen, einen Redebeitrag zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit grundsätzlich einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist der Redebeitrag des Kollegen Dr. Jens zu Protokoll gegeben.*)
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Peter Kittelmann das Wort.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID1216911600
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Ergebnis des letzten Weltwirtschaftsgipfels in München zeigten sich die Mitglieder entschlossen, die sich bietenden einzigartigen Chancen einer friedlichen und wirt-
*) Anlage 5



Peter Kittelmann
schaftlich prosperierenden Welt durch partnerschaftliches Handeln zu nutzen. Nur ein Jahr später zeigt sich, daß entgegen den Erwartungen eine weltweite wirtschaftliche Erholung im letzten Jahr nicht stattgefunden hat, sondern daß sich die schwierige wirtschaftliche Situation noch verschärft hat.
Die augenblickliche Wirtschaftslage ist nicht nur in Deutschland, sondern fast überall und woanders noch sehr viel schlimmer von hoher Arbeitslosigkeit, Stagnation, Staatsverschuldung, Inflation, Rückgang der Investitionen und Rückgang der Wachstumsraten geprägt. Allein in der EG sind inzwischen 17,4 Millionen Menschen arbeitslos; das sind 11,5 % der erwerbstätigen Bevölkerung.
Angesichts der immer geringer werdenden Handlungsspielräume wird statt des angekündigten Miteinander zur Lösung der Probleme in letzter Zeit das Heil in einem protektionistischen Gegeneinander gesucht. Einige machen glauben, daß dadurch Arbeitsplätze gesichert werden könnten. Dagegen gilt in wirtschaftlich schlechten Zeiten erst recht, was in guten gilt: Jeder Protektionismus verursacht mehr Schaden als Nutzen. Die bisherigen Erfahrungen der Politik der Schutzzäune zeigen dies deutlich: Die Abhängigkeit von Subventionen und die Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sind das Ergebnis des internationalen Schutz- und Subventionswettlaufs, bei dem am Ende keiner gewinnt. Unsere Reaktionen auf die Konkurrenz, der sich Europa gegenübersieht, dürfen nicht protektionistischer Art sein, indem wir Handelsbarrieren gegen Importe aufbauen.
Ebenso dürfen wir dem Druck nicht nachgeben, die Wettbewerbsregeln für Sektoren zu lockern, die mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Wir alle wissen auch aus unseren Wahlkreisen, wie schwer das auch in Deutschland ist. Schritte wie diese können nur kurzfristig den Anpassungsdruck verringern und würden die Uhr einfach zurückdrehen.
Es ist besonders wichtig, daß wir uns auch auf dem Gipfel mit den Problemen der mittel- und osteuropäischen Staaten beschäftigen. Der freie Marktzugang ist oft gerade solchen Branchen und Sektoren verwehrt, in denen diese Staaten noch wettbewerbsfähig sind. Aus diesem Grunde begrüßt die CDU/CSUBundestagsfraktion die auf dem EG-Gipfel in Kopenhagen beschlossenen besseren Marktzugangschancen für osteuropäische Produkte, die mit schnelleren Zollsenkungen auch in sensiblen Bereichen verbunden sind.
Meine Damen und Herren, die Koordinierung und Multilateralisierung der westlichen Hilfe war immer unser Hauptanliegen. Es war auf dem Weltwirtschaftsgipfel in München ein Hauptanliegen, und es soll auch in Tokio ein Hauptanliegen sein. Ich darf daran erinnern, daß in den mittel- und osteuropäischen Staaten und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion 24 Milliarden Dollar in München in Aussicht gestellt wurden. Auch auf den Gipfeltreffen in Vancouver und Tokio waren ermutigende Schritte im Sinne einer konzertierten Hilfe unternommen worden. Hier ist die Zusage der USA über 1,4 und 1,6 Milliarden Dollar und von Japan über 1,8 Milliarden Dollar gegeben worden. Trotzdem sind diese
Unterstützungsmaßnahmen angesichts des enormen Finanzbedarfs auch im Vergleich zu den deutschen Hilfeleistungen nicht ausreichend.
Hier möchte ich noch einmal die vorbildlichen Leistungen Deutschlands unterstreichen. Trotz aller Probleme, die wir darüber hinaus haben, sind wir mit fast 100 Milliarden DM anderen voraus und haben damit fast 60 % der Gesamthilfe des Westens geleistet. Jetzt sind endlich auch andere Länder gefordert, sich stärker zu beteiligen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt deshalb die Bundesregierung, auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Tokio für ein stärkeres finanzielles Engagement und eine bessere Verteilung der Lasten einzutreten.
Meine Damen und Herren, es ist auch zu hoffen, daß die längst überfällige Anpassung der COCOM-Regelungen an die neue weltpolitische Lage endlich vorgenommen wird. Ich erinnere daran, daß sich die Staats- und Regierungschefs auf dem Weltwirtschaftsgipfel in München auf eine stärkere Kooperation bei den Rüstungsexportkontrollen einigten. Die Zusammenarbeit im Bereich der Exportkontrollen für sensitive Güter muß vertieft werden. Ziel muß eine Verbesserung und Harmonisierung der Exportkontrollen sein. Dies setzt eine europäische und internationale Verständigung über ein gemeinsames Vorgehen voraus. Wir müssen leider feststellen, daß die vollständige Harmonisierung des Außenwirtschafts- und Rüstungskontrollrechts auf europäischer Ebene bisher nicht durchgesetzt worden ist. Wir werden in nächster Zeit miteinander darüber zu diskutieren haben, ob es auch für die deutsche Wirtschaft Voraussetzung ist, daß es eine internationale gleichrangige Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts auf europäischer Ebene geben muß.
Ein zentraler Punkt auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Tokio wird auch die Überwindung der weltwirtschaftlichen Rezession sein. Die dafür vorgegebenen Leitlinien wurden auf dem letzten Weltwirtschaftsgipfel genannt. Diese Themen werden auch in Tokio wieder im Vordergrund stehen. Es ist erfreulich, daß die Regierungskoalition mit den Beschlüssen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm, zum Standortsicherungsgesetz und dem in dieser Woche diskutierten umfassenden Sparpaket die Herausforderung angenommen hat. Die gestrige Zinssenkung war ebenfalls ein positives Beispiel.
Wir wissen, daß nationale Maßnahmen zur Überwindung der Rezession allein nicht ausreichen. Der Schlüssel liegt im gemeinsamen Handeln. Vor allen Dingen kommt hier den wirtschaftlichen Großmächten — EG, Japan und USA — eine wesentliche Bedeutung zu.
Heute wird in der Debatte ganz bestimmt von uns auch wieder die Forderung nach einem Abschluß der GATT-Runde erhoben werden. Wir müssen endlich daran denken, daß von den 111 GATT-Staaten viele auf unsere Hilfe angewiesen sind. Wir müssen langsam auch öffentlich darauf aufmerksam machen, daß es bei GATT nicht nur um die französischen Sonderwünsche und um die Sonderwünsche der Amerikaner geht, sondern daß diese Großmächte die Verantwortung für 111 Länder übernommen haben und daß wir



Peter Kittelmann
deshalb mehr zu tun haben, als nur an die eigenen Probleme zu denken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist ein riesiger weltwirtschaftlicher Problemstau, den wir vor uns haben. Wir müssen Kompromisse schließen. Das Wesentlichste ist, daß durch gemeinsames Handeln auf dem Gipfel in Tokio wieder die Handlungsfähigkeit der Großmächte, wie sie sich selbst nennen, erreicht wird. Wir haben doch Beispiele von völlig falschem Verhalten bis in die letzten Tage hinein. Die USA verhängen völlig grundlos und inakzeptabel Strafzölle auf Stahlimporte. Die Japaner haben einen noch immer steigenden enormen Handelsbilanzüberschuß.
Auch die Europäische Gemeinschaft ist kein Musterknabe. Die EG muß ihrerseits alles daransetzen, den Vorwurf abzuwehren, den gerade wir Deutschen international immer wieder zurückgewiesen haben, es könnte eine Festung Europa entstehen. Ein solcher Vorwurf besteht aber zu Recht, wenn die EG weiterhin solche unsinnigen und meines Erachtens marktwidrigen Regelungen trifft wie z. B. im Falle der Bananenmarktordnung.
Meine Damen und Herren, die Gemeinschaft muß einsehen, daß handelspolitisches „Hochrüsten" fehl am Platz ist. Es besteht keinerlei Notwendigkeit zu einer Reform des handelspolitischen Entscheidungsverfahrens, das sich bis heute bewährt hat.
Meine Damen und Herren, um die weltweite Rezession zu überwinden und die Weltwirtschaft aus der gegenwärtigen Krise zu führen, kommt gerade der Europäischen Gemeinschaft eine große Rolle zu. Auf dem Europäischen Gipfel von Edinburgh und auf dem letzten Gipfel in Kopenhagen haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs der Verantwortung gestellt und eine gemeinsame europäische Wachstumsinitiative gestartet. Jetzt müssen sie sie nur ausfüllen; denn Beschlüsse alleine reichen in der Regel nicht aus.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Diese nicht!)

— Ich bin immer schon dankbar, wenn wenigstens etwas geschieht, Herr Lambsdorff. Wir erleben es ja gemeinsam — Sie beklagen es auch immer —, daß Beschlüsse gefaßt werden — meines Erachtens ab und zu auch falsche —, aber dann so und so nichts geschieht.
Lassen Sie mich abschließend noch folgendes sagen. Die Effizienz des Gipfeltreffens von Tokio ist deshalb wichtig, weil die Kritik entkräftet werden muß, die häufig bei dieser Art von Treffen geäußert wird und die da lautet: Treffen dieser Art sind nicht effizient. Was soll das Ganze? — Der ständige Informations- und Meinungsaustausch, die regelmäßigen Treffen und das Ringen um Lösungen auf internationaler Ebene sind ein wichtiges Vorfeld für die Lösung von Problemen. Daher bedauern wir ganz außerordentlich, daß der französische Premierminister Balladur an dem bevorstehenden Gipfel in Tokio nicht teilnehmen wird.
Konflikte zwischen Handelspartnern wird es immer geben. Allein entscheidend ist jedoch der gemeinsame Wille, eine einvernehmliche Lösung der Konflikte zu finden. In diesem Sinne wünscht die CDU/ CSU der Bundesregierung auf dem kommenden Weltwirtschaftsgipfel sehr viel Erfolg.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216911700
Nun spricht der Kollege Dr. Norbert Wieczorek.

Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1216911800
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich der Deutsche Bundestag heute gerade noch eine Stunde Zeit und noch dazu eine Stunde zu dieser Zeit für die Debatte zum G-7-Gipfel in Tokio nimmt, finde ich das schon bemerkenswert. Es ist die Frage: Ist das nun ein Zeichen realistischer Einschätzung des Tokioter Gipfels, oder verkennen wir die wirkliche Bedeutung dieses Treffens? Sind wir inzwischen so binnenorientiert, daß wir uns nicht mehr in der Lage sehen, die aktuelle Dimension unserer politischen und wirtschaftlichen Probleme einzuordnen? Ich muß hierzu feststellen, daß wir dies kritisch hinterfragen müssen. Es ist doch unbestritten, daß der Hauptanteil unserer aktuellen ökonomischen und ökologischen Probleme weltweite Ursachen hat. Ich denke, es wäre wirklich angebracht gewesen, hier und heute mehr als eine Stunde über Lösungsansätze zur Überwindung der weltweiten Wirtschafts- und Umweltkrise zu sprechen.

(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] — Zuruf von der F.D.P.: Dann müßten wir bis 20 Uhr debattieren!)

— Frau Kollegin, wir hätten dies gerne gemacht; und wenn wir den Antrag nicht gestellt hätten, hätten wir wahrscheinlich noch nicht einmal diese Debatte gehabt. Ich finde es trotzdem bedauernswert — ich glaube, darin müssen Sie mit mir übereinstimmen —, daß wir erst jetzt dazu kommen.
Wiederum wird auch dieses Mal auf dem Gipfel viel und Unterschiedliches zur Krise der Weltwirtschaft gesagt und beschlossen werden. Es ist auch überfällig, daß die Regierungschefs der Industriestaaten über die aktuellen, strukturellen und konjunkturellen Ursachen der weltweiten Flaute beraten; denn es wird immer deutlicher, daß es die Industrienationen sind, die bisher ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, daß sie die Wende hin zur Erholung einleiten müssen. Es ist kennzeichnend, wenn vor kurzem die Weltbank in einer Studie feststellte, daß der einzige Hoffnungsschimmer für die Weltkonjunktur derzeit aus den neuen Industriestaaten der Entwicklungsländer, den sogenannten NICs, und den Schwellenländern kommt. Die Industriestaaten haben weder die einheimischen Probleme in den Griff bekommen — denken wir nur an die Haushaltsdefizite in den USA oder hier bei uns —, noch haben die Industriestaaten es geschafft, international bindende Vereinbarungen zu erreichen, die für die gesamte Weltwirtschaft neue Impulse geben könnten und der drohenden ökologischen Gefahr Einhalt gebieten können. Dies wird besonders an zwei Beispielen deutlich. Ich nenne als erstes die Uruguay-Runde des GATT und als zweites die Umweltkonferenz von Rio.



Dr. Norbert Wieczorek
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in den letzten Tagen einmal vom Gipfel, der ein neues „Momentum" für die GATT-Runde bringen soll, gesprochen; ein anderes Mal gibt er sich außerordentlich optimistisch und erwartet, daß die wesentlichen Streitpunkte bereits vor dem Gipfel ausgeräumt sein werden. Das stimmt leider nicht. Ich kann nur hoffen, daß der Bundeswirtschaftminister, statt solche Erklärungen abzugeben, künftig mit etwas mehr Energie die Positionen, die in diesem Zusammenhang notwendig sind, klarmacht, wobei es, was den Handel angeht, nur sehr geringe Unterschiede zwischen uns gibt.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Bei Energie könnte die SPD ja helfen!)

— Herr Lambsdorff, auch bei Energie könnten wir uns einigen, aber so, wie es jetzt gelaufen ist, offensichtlich nicht.
Nun ist die Uruguay-Runde bereits im siebten Jahr. In Houston, London und voriges Jahr in München wurden heilige Eide geschworen und für GATT höchste Prioritäten ausgegeben. Es ist nichts passiert, und das hat natürlich diese Gipfel auch entwertet. Das Resultat hier und heute ist, daß die Gefahr des internationalen Protektionismus größer ist als je zuvor. Jeder sorgt für seine eigenen kurzfristigen Interessen. Die Amerikaner segeln unter der Flagge des fairen Handels und sind dabei, im internationalen Handel das Faustrecht wieder einzuführen. Ich hoffe, daß die Änderung, die sich bei Herrn Kantor ein bißchen andeutet, tatsächlich auch realisiert wird. Die neue Regierung in Paris, aber auch die alte schon, hat die Interessen der Bauernlobby zum Maßstab für den Welthandel gemacht.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

Jetzt wird sogar das Sozialdumping zum Anlaß für den Protektionismus genommen, statt diese unerwünschte Erscheinung im Rahmen internationaler Vereinbarungen auf dem nächsten Gipfel in vertretbarem Rahmen zu halten.
An dieser Stelle eine Anmerkung: Angesichts dessen, wie sich Frankreich, unser Partnerland, zur Zeit in Handelsfragen verhält — ich erinnere nur an Balladurs Aussagen und seine signifikante Absage der Teilnahme in Tokio —, glaube ich nicht, daß in der Frage des EG-Protektionismus ein offener Konflikt vermieden werden kann. Es steht auch unsere Glaubwürdigkeit als liberales Handelsland auf dem Spiel. Diplomatie ist gut, aber klare Aussagen und klares Handeln sind durch sie nicht ersetzbar. Das gilt z.B. auch für den notwendigen Brief an den Handelsbeauftragten der USA in der Frage der Nichtanwendung der Gegenmaßnahmen im Telekom-Bereich. Es ist nicht akzeptabel, daß sich zwischen Wirtschaftsministerium einerseits und Außenministerium andererseits eine Blockade andeutet.

(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Lassen Sie mich aber jetzt zu unserem allgemeinen Thema zurückkommen. Nochmals zu GATT: Tokio ist die letzte Chance. Die Fast-track-Verlängerung durch den amerikanischen Kongreß ist positiv und zu begrüßen, aber meine Gespräche mit den Kollegen im Kongreß haben in den letzten Tagen klar ergeben: Gelingt es nicht, bis zum Dezember zu einer Einigung zu kommen, ist die Uruguay-Runde die erste GATTRunde, die endgültig scheitert, mit all den Folgen, wie regionaler Protektionismus, Bilateralismus und Einzelmaßnahmen, die wir kennen.
Der neue Generalsekretär des GATT sollte deshalb unverzüglich dafür Sorge tragen und auch einen solchen Auftrag erhalten, die einzelnen Pakete abschlußreif zu machen, damit am Ende gerettet werden kann, was zu retten ist. Ich fürchte, es werden nur einige Teile zu retten sein.
Aber es gilt auf dem Weltwirtschaftsgipfel nicht nur GATT voranzubringen und zu einem positiven Ende zu bringen. Es gilt auch in den Grundproblemen der Wirtschaftspolitik endlich zur Sache zu kommen. Es gilt, daß jedes der Partnerländer der G 7 das Seinige dazu tut, die krisenhafte Entwicklung der Weltwirtschaft wieder positiv zu wenden.
Der Antrag der SPD-Fraktion zum Weltwirtschaftsgipfel, auf dem diese Debatte heute beruht, hat Wege aufgezeigt. Ich hätte gerne gesehen, wenn die Bundesregierung Vorschläge unseres Antrags in die Vorbereitung mit eingebracht hätte, statt sich allein auf nicht mehr zureichende Berichte der OECD über Strukturveränderungen zu stützen.
Lassen Sie mich deshalb die wesentlichen Punkte hier zitieren:
Wir fordern einen international abgestimmten Abbau der Haushaltsdefizite bzw. Konsolidierung der Staatsfinanzen, freilich nicht so, wie es Herr Waigel jetzt macht. Dabei sind insbesondere diejenigen Staaten zu konjunkturstützenden Maßnahmen aufgefordert, die bereits jetzt auf Grund ihrer Haushaltssituation hierzu in der Lage sind. Ich darf nur an Japan erinnern. Eine kleine Randbemerkung: Daß bei diesem Gipfel der Vertreter der zweitgrößten Industrienation nur noch ein amtierender Ministerpräsident ist, ist nicht gerade ein Zeichen von Hoffnungsfreudigkeit für den Gipfel.
Unsere weiteren Forderungen sind: Intensivierung der Kooperation in geldpolitischen Fragen, insbesondere bei der Zinspolitik, allerdings ohne das so zu machen, wie es der französische Finanzminister am vergangenen Wochenende einmal vorhatte. Wir brauchen gemeinsame Verabredungen zur Bekämpfung der Inflation, denn die Bekämpfung von Inflation ist notwendig. Wir müssen aber achtgeben, daß wir nicht in einer Deflationsspirale enden. Das könnte sehr gefährlich werden. Wir haben eine hohe Inflation, aber unsere Nachbarstaaten haben sie eben nicht. Deswegen muß es hier zu einer Lösung kommen, bei der wir unsere Inflation bekämpfen, die anderen aber ihrerseits die notwendigen Maßnahmen treffen können. Das ist die Gefahr, in der wir im Moment sind.
Stabilisierung der internationalen Währungsrelationen. Da geht es nicht nur um das EWS. Wenn ich mir ansehe, was die USA in bezug auf den Yen-Kurs gemacht haben, halte ich das für ziemlich unverantwortlich, auch wenn diese Politik jetzt wieder beendet ist. Aber dies war eine sehr gefährliche Angelegenheit.



Dr. Norbert Wieczorek
Institutionalisierung der zur Zeit aperiodisch tagenden G-7-Finanzministertreffen und Einführung eines Monitoring-Systems zur Überwachung der Einhaltung der Absprachen. Hätten wir das, hätten wir nicht dreimal auf Gipfeln über GATT beschließen müssen. Es wäre vielleicht wirklich einmal etwas passiert.
Setzen von Normstandards für die Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten zur Vermeidung der stark abweichenden Steuerbelastungen für unternehmerische Tätigkeiten an den verschiedenen internationalen Standorten. In der Praxis gibt es jetzt eine gewisse Annäherung, indem die Amerikaner ihre Steuern wieder erhöhen und auch die Briten offen darüber reden.
Erarbeitung von Grundsätzen und Mechanismen zur Abwehr internationalen Sozialdumpings, insbesondere zur Einhaltung der entsprechenden ILOEntschließungen sowie zur Überwachung durch internationale Institutionen, wie z. B. UN oder GATT.
Schließlich, aber sehr wichtig, Erarbeitung von internationalen ökologischen Mindeststandards und Kriterien zur Verhinderung eines öko-Dumpings zu Lasten der ärmeren Bevölkerungsschichten und der natürlichen Lebensgrundlagen. Insbesondere bei der Förderung von Projekten der internationalen Institutionen und bei internationalen Programmen ist eine stärkere Einbeziehung ökologischer Anforderungen erforderlich.
Im Anschluß an diese Aufzählung möchte ich noch einen weiteren Hinweis geben. Es sollte bereits bei dieser Runde in Tokio verabredet werden, daß es für die Nach-Uruguay-Verhandlungen dringend notwendig ist, in einer nächsten Runde, die aber nicht mehr den Charakter einer allumfassenden Handelsrunde haben sollte, die Umweltfragen und die Sozialfragen zu behandeln. Ohne verbindliche internationale Absprachen zur Abwendung der drohenden Klimakrise werden die Beschlüsse von Rio das Papier nicht wert sein, auf dem sie geschrieben sind.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt ebenso für die Münchener Beschlüsse zur Reaktorsicherheit in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in den osteuropäischen Ländern. Ohne die Bedeutung eines Fonds zur Privatisierung russischer Betriebe gering zu schätzen, will ich doch sehr deutlich machen, daß das Hauptaugenmerk des Gipfels auf einem Programm zur Stillegung der gefährlichen Schrottreaktoren in den osteuropäischen Staaten und dem Aufbau einer nichtnuklearen Energieversorgung in Osteuropa liegen sollte.
Nun noch etwas zum Charakter des Gipfels selbst. Der Chefkorrespondent der Londoner „Times", Mr. Peel, fordert die Abschaffung der Gipfelveranstaltungen. Der italienische Außenminister fordert den Ausschluß von Journalisten von diesen Veranstaltungen. Viele wenden sich gegen den unerträglichen Medienzirkus. Der beste Beschluß wäre wirklich, daß der Gipfel von Tokio der letzte seiner Art wäre. In Zukunft sollte man immer nur dann in vertraulicher Runde zusammenkommen, wenn anderweitig ein Problem nicht mehr lösbar erscheint.
Graf Lambsdorff, Sie haben sich in ähnlicher Weise geäußert. Das ist ein Punkt, wo es zwischen uns große Übereinstimmung gibt. Allerdings sollte man dieses auch dem Finanzminister, der die Vorbereitung zu diesem Treffen macht, mit in sein Lastenbuch schreiben. Aber außer einigen kernigen Worthülsen ist offensichtlich nichts passiert. Ich meine, dieser Prozeß muß reformiert werden. In aller Ernsthaftigkeit: Die Bereitschaft der amerikanischen Regierung, aus diesem Medienrummel wieder ein ernsthaftes Arbeitstreffen zu machen, sollte für uns Ansporn sein, mit den Amerikanern die notwendigen Reformen anzustreben.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216911900
Ich möchte darauf hinweisen, daß auch der Kollege Dr. Reinhard Göhner seine Rede zu Protokoll gegeben hat. * )
Als nächster erhält Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1216912000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Koalitionsfraktionen haben einen sehr schönen freihändlerischen Entschließungsentwurf vorgelegt. Dem stimmt die F.D.P. selbstverständlich zu. Persönlich hätte ich eine kleine Änderung vorgezogen. Es heißt im letzten Absatz:
Er fordert den Gipfel auf,
— nämlich der Deutsche Bundestag —
auch in Zukunft seine Verantwortung wahrzunehmen .. .
Ich hätte es besser gefunden, wir hätten geschrieben: Er fordert den Gipfel auf, endlich seine Verantwortung wahrzunehmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Meine Damen und Herren, von Herrn Kittelmann ist die Absage des französischen Premierministers Balladur erwähnt worden. Das ist ein kluger Mann. Man fragt sich: Warum die Absage? In Paris hat man mir gestern gesagt: Sicher nicht wegen der „samtenen Kohabitation", wie man das jetzt nennt. Vielleicht deshalb, weil er sich handelspolitischen Abreden entziehen möchte. Am wahrscheinlichsten aber ist, daß er die Reise nach Tokio für Zeitverschwendung hält. Damit liegt er richtig.
Nach meiner Überzeugung ist dieser Gipfel zum Mißerfolg verurteilt. Einer der wichtigsten Partner — Herr Wieczorek hat es erwähnt —, der Gastgeber Japan, ist mitten im Wahlkampf und nicht handlungsfähig. Der japanische Ministerpräsident kann in dieser Lage sein Land zu nichts verpflichten. Ich hatte einmal angeregt, Japan die Verschiebung des Gipfels anzubieten. Erwartungsgemäß ist dieser Vorschlag ohne Reaktion geblieben, obwohl ich weiß, daß einige Regierungen in ähnlicher Richtung gedacht haben. Aber es erweist sich wohl als praktisch unmöglich, die einmal angelaufene Vorbereitung zu stoppen, und das zeigt: Wir sind nicht mehr die Herren, wir sind die
*) Anlage 5



Dr. Otto Graf Lambsdorff
Gefangenen der Institutionen, die wir selber geschaffen haben.
Selbstverständlich werden die Gipfelteilnehmer die Welt mit einem wohlpolierten Kommuniqué beglükken. Es ist am Mittwoch schon in der „Herald Tribune" kommentiert worden. Wenn da wirklich Forderungen nach Festschreibung quantitativer Wachstumsraten vorgesehen sein sollten, dann gute Nacht!
Die Meinungsverschiedenheiten werden in solchen Kommuniqués verschleiert, und die Zusagen werden anschließend nicht eingehalten— wie nach München. Ich nenne drei Punkte.
Verbesserung der Sicherheitsstandards der ehemaligen sowjetischen Kernkraftwerke — Sie haben das erwähnt —: Geschehen ist so gut wie nichts. Ein paar Millionen sind gesammelt worden.
Abschluß der Uruguay-Runde: Sie kennen den erbärmlichen Stand der Verhandlungen.
Zahlungen an Rußland — G-7-Außenministerkonferenz: Sieht jemand die 43 Milliarden Dollar kommen?
Meine Damen und Herren, wohl kaum waren in den letzten Jahrzehnten die internationalen Herausforderungen so groß wie jetzt zu Beginn der neunziger Jahre. Das weltwirtschaftliche Wachstum ist schwach. Die Länder Mittel- und Osteuropas und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion stecken in einer tiefen Anpassungskrise. Die GATT-Runde habe ich schon erwähnt. Die Kette der internationalen Gefährdungen ließe sich ohne Schwierigkeiten fortsetzen.
Notwendig wäre ein verläßlicher politischer Koordinierungsmechanismus. Der G-7-Prozeß, dessen Kernstück die jährlichen Weltwirtschaftsgipfel sind, könnte ein solches geeignetes Gremium sein. Aber der Prozeß ist degeneriert. Er hat sich in eine Sackgasse manövriert. Aus den Kamingesprächen der Anfangszeit sind Kolossalkonferenzen und Medienspektakel geworden. Der Konferenzgegenstand ist ständig ausgeweitet worden; die Konferenzzeit ist seither nicht um eine halbe Stunde verlängert worden.
In der langen Vorlaufzeit wird jedes Thema monatelang besprochen, diskutiert und textlich aufgearbeitet. Die Arbeit der Sherpas für das Kommuniqué 1994 beginnt etwa acht Wochen nach dem Gipfel 1993. Diese Vorarbeit führt zu Festlegungen, die es den Regierungschefs gar nicht mehr erlauben, einen freizügigen, einen kreativen Dialog zu führen.
Nach außen müssen die Gipfeltreffen in jedem Falle einen Erfolg darstellen. Meinungsunterschiede werden deshalb unter den Teppich gekehrt. Die Ergebnisse stellen in der Regel nur den kleinsten gemeinsamen Nenner dar.
Die Glaubwürdigkeit hat darunter gelitten, daß das Forum immer wieder dazu benutzt wurde, von eigenen Versäumnissen durch Druck auf die Partnerstaaten abzulenken. Weniger deutlich für die Öffentlichkeit hat zum Verlust der Glaubwürdigkeit beigetragen, daß inhaltliche und konzeptionelle Unterschiede in oft widersprüchlichen Kommuniqués übertüncht wurden. Das gilt ganz besonders für die währungspolitische Koordinierung, wo die einen glaubten, das
Wechselkursgefüge mit Interventionen bzw. Zielzonen stabilisieren zu können, während die anderen der Meinung waren, daß es vor allem darauf ankommt, eine vernünftige, stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben. In diesen Prozeß hinein gehören die Plaza-Konferenzen und die Louvre-Konferenzen, die der „Economist" einmal so glossiert hat: Erst haben sie sich in einem Hotel in New York getroffen, dann haben sie sich in einem Museum in Paris getroffen, das nächste Mal sollten sie sich in einer Kathedrale in Rom treffen. Helfen wird auch das nichts. — In der Konsequenz all dessen sind die Gipfeltreffen zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.
Meine Damen und Herren, die Lage ist verfahren, aber sie ist dennoch nicht hoffnungslos. Man muß nur bereit sein, das eigentlich Undenkbare doch zu denken.

(Beifall der Abg. Uta Würfel [F.D.P.])

Die G-7-Zusammenarbeit bleibt notwendig. Ihr Kern ist die trilaterale Kooperation zwischen USA, EG und Japan. Die Gipfelteilnehmer sollten das Beste aus einer schlechten Situation machen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen zu einem kühnen Sprung zu einem neuen oder, wenn Sie so wollen, alten Format.
Die Treffen müssen wieder informellen Charakter bekommen; sie müssen einen größeren Grad der Vertraulichkeit haben. Die Medienpräsentation muß deutlich zurückgeführt werden. Die Regierungschefs müssen wieder in die Lage versetzt werden, einen vertraulichen Dialog führen zu können.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wie wir das mal hatten!)

— Ja, natürlich, in Rambouillet war das so.
Der ganze Vorbereitungsprozeß muß erheblich gekürzt werden. Der Gipfel sollte sich auf wenige, sorgfältig ausgewählte und wichtige Themen beschränken. Die Kommuniqués müssen wesentlich kürzer und vor allem aussagefähiger und verläßlicher werden.
Inhaltlich und konzeptionell kommt es darauf an, die Kooperation auf das zu beschränken, was sie leisten kann. Nach den schlechten Erfahrungen mit der wechselkurs- und währungspolitischen Koordinierung sollte auf diese Themen verzichtet werden. Sie sollten den möglichst unabhängigen Notenbankgouverneuren überlassen bleiben.
Auch die Erfahrungen mit der makroökonomischen Koordinierung geben Anlaß zu dem Rat, nicht auf dem alten Wege fortzufahren. Es kommt darauf an, wirtschaftspolitische Themen dann aufzugreifen, wenn es erforderlich ist.
Frühzeitige Information über geplante wirtschaftspolitische Strategien und Maßnahmen ist die Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog. Und dieser Dialog wird um so freier sein, das Verständnis füreinander wird um so stärker gefördert, je weniger in den vorgeformten Kommuniqués festgehalten wird.
Ich will das auch sehr persönlich sagen — Herr Wieczorek, wir beiden wissen, worüber wir sprechen —: Wer seit vielen Jahren für die trilaterale



Dr. Otto Graf Lambsdorff
Kooperation eingetreten ist und auch gearbeitet hat — und der Weltwirtschaftsgipfel ist ein Spitzenpunkt dieser trilateralen Kooperation —, der sieht mit Bedauern, was sich ereignet hat, und der wünscht sich eine Reformfähigkeit und Reformbereitschaft, damit eine im Grunde nützliche und wertvolle Institution auch nütztliche und wertvolle Arbeit leisten kann. Das ist momentan leider nicht der Fall.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Norbert Wieczorek [SPD])

Gerade angesichts der enormen Herausforderungen darf der Gipfel in Tokio nicht wieder zu einer Veranstaltung der Belanglosigkeiten und der unverbindlichen Formeln werden. Ein vernünftigerer Termin, ein neues Format können dazu beitragen, den Gipfelgesprächen wieder Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Wenn das nicht geschieht, dann werden wir uns wieder einmal die berühmte Frage des schwedischen Kanzlers Axel Oxenstjerna anhören müssen: Weißt du denn nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird? — Ich wünsche dem Bundeskanzler und seiner Delegation eine fröhliche Reise nach Tokio.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wie war das zu verstehen? — Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr mißverständlich!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1216912100
Nun hat der Kollege Dr. Fritz Schumann das Wort.

Dr. Fritz Schumann (PDS/LL):
Rede ID: ID1216912200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Notlage auf der Erde, der Hunger und das Elend in den Entwicklungsländern und die globalen Gefahren für das Klima gebieten, den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel nicht in Fortsetzung bisheriger Praxis mit viel Aufwand zur Eigendarstellung der Politiker zu mißbrauchen. Otto Graf Lambsdorff hat das in seinem Schlußsatz sehr treffend zum Ausdruck gebracht. Vielmehr ist es überfällig, ernsthaft an die Lösung der herrschenden aktuellen Probleme heranzugehen und eine Lösung zumindest einzuleiten.
Die Leidtragenden der bisherigen Weltwirtschaftspolitik, die die Bundesregierung, vereint mit den sogenannten großen Industrienationen, betreibt, sind in erster Linie die Menschen in den Entwicklungsländern des Südens und zunehmend auch im Osten. Die größten Hungerregionen in der Welt in Lateinamerika, Afrika und Westasien verzeichnen eine Stagnation oder einen Rückgang der Pro-Kopf-Produktion. Die Länder des Südens werden immer abhängiger von den Märkten des entwickelten Nordens, können im Welthandel immer weniger mithalten.
Nach einer Berechnung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen — UNDP — gehen den Ländern des Südens jährlich etwa 500 Milliarden US-Dollar verloren, weil sie den reichen Ländern auf den Handels- und Finanzmärkten vollkommen unterlegen sind. Dies ist zehnmal mehr als die gesamte jährliche Entwicklungshilfe von rund 55 Milliarden US-Dollar.
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds mußten die afrikanischen Länder 1992 durchschnittlich 60 % der öffentlichen Ausgaben allein für die Bedienung der Auslandsschulden einsetzen. Insgesamt schätzt der IWF, daß die Länder des Südens 1992 170 Milliarden US-Dollar für Zinsen und Tilgungen an das Ausland überwiesen haben.
Es erhöht auch die weltwirtschaftlichen Gefahren — und nicht nur die wirtschaftlichen —, wenn von den Ländern Osteuropas immer nur noch weitergehende Reformen gefordert werden, ohne daß man ihnen wirklich wirksam helfen will. Es reicht für eine wirtschaftliche Hilfe nicht aus, von den osteuropäischen Ländern einfach nur zu verlangen, alle Voraussetzungen für eine Marktwirtschaft zu schaffen, insbesondere dann nicht, wenn diese Forderungen durch eine Abschottungspolitik der reichen westeuropäischen Länder gegenüber Importen aus diesen Ländern ergänzt werden. Hier befinde ich mich schon in ernsthaftem Widerspruch zu dem, was Herr Kittelmann dazu ausgesagt hat.
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl hat z. B. vorgeschlagen, daß die Arbeitsplätze im Stahlbereich in Osteuropa mit Steuergeldern der EG stillgelegt werden sollten. Aber welche Alternativen soll es denn geben? Im agrarischen Bereich ist vielleicht die Eigenversorgung zu nennen — aber darüber hinaus? Wovon sollen die Menschen dort leben? Sicher nicht immer nur von Almosen.
Meine Damen und Herren, der wirtschaftliche Druck auf die Länder des Südens verschärft die ungehemmte Ausnutzung natürlicher Ressourcen und führt zur Vernachlässigung des Umweltschutzes. Über die Verschärfung der globalen Umweltgefahren, wie für das Klima, wirkt das direkt existenzbedrohend auch für die Industrienationen.
Die Verelendung im Süden und in Teilen Osteuropas schafft die Gefahr gewaltsamer Austragungen von Konflikten, erzeugt Flüchtlinge und ist die Ursache für massive Wanderungsbestrebungen zu den reichen Ländern. Die bisherige Art der Weltwirtschaftspolitik verschärft die Probleme in der Welt und gefährdet somit über kurz oder lang die Entwicklungen in Deutschland selbst.

(Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Ich begrüße ausdrücklich das Memorandum von Nichtregierungsorganisationen zur deutschen Entschuldungspolitik gegenüber dem Süden und die darin enthaltenen Forderungen an die Bundesregierung und an den Bundestag. Wenn der Weltwirtschaftsgipfel seiner Verantwortung gerecht werden will, müßte er erstens den Beginn für eine umfassende Neuordnung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzen. Zweitens müßte der Weltwirtschaftsgipfel den Lebensinteressen der Menschen auf der ganzen Erde den Vorrang geben und die Ausplünderung von Mensch und Natur im Süden endlich beenden. Drittens müßte der Weltwirtschaftsgipfel auch für die Produktions- und Lebensweise im Norden Anstöße für eine sozial gerechtere ökologisch vor



Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt)

künftigen Generationen auch wirklich verantwortbare Entwicklung geben.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216912300
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Friedhelm Ost das Wort.

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1216912400
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich selber hatte das zweifelhafte Vergnügen, 12 Weltwirtschaftsgipfel miterleben zu können, als Journalist und später als Regierungssprecher. Ich habe mir in der Tat die Mühe gemacht, einige sehr griffige Formeln der verschiedenen Weltwirtschaftsgipfel, vom ersten 1975 in Rambouillet bis jetzt zum jüngsten, zu notieren. Es sind fast immer die gleichen Formulierungen, die auftauchen: „Notwendigkeit einer engeren internationalen Zusammenarbeit", Hinweise auf größere globale Interdependenzen, auf die Stärkung des freien Welthandels — das fehlt natürlich nie —, auf Verbesserung der Wachstumsbedingungen und der Beschäftigungsmöglichkeiten. Ich denke, auch das Kommuniqué des Tokio-Gipfels — hier ist zu Recht darauf hingewiesen worden — wird weitgehend ähnliche Forderungen enthalten, gewiß erweitert um konzertierte Aktionen für die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa und um die Herausforderung nach mehr globalem Umweltschutz. Auf Grund der praktischen Erfahrung bin ich der Meinung, daß man diese Gipfelveranstaltungen reformieren sollte. Ich kann nur unterstützen, was dazu hier gesagt wurde.
Wenn wir uns die aktuelle Lage anschauen, sehen wir, daß alle Gipfelstaaten aktuell vor nahezu ähnlichen Problemen stehen: Sie suchen einen Weg zurück zu wirklich solidem, dauerhaftem Wirtschaftswachstum. Viele kämpfen mit einer viel zu hohen Inflation und einer enorm angestiegenen Arbeitslosigkeit, mit zu hohen Staatsdefiziten, aber vor allem mit sehr großen Strukturproblemen. Daraus ergeben sich die großen nationalen und internationalen Herausforderungen. Die alte Weisheit „stability begins at home" ist nach wie vor richtig. Darauf müssen wir uns überall, in jedem Land besinnen. Zugleich kann und darf kein Staat eine rein nationale Politik betreiben — etwa im Sinne eines „benign neglect", einer Abschottung seiner Märkte oder, was jetzt ganz in Mode kommt, mit „managed trade", also eine Abkehr vom internationalen Freihandel hin zum Bilateralismus. Das wird ja auch sehr stark versucht.
Auch währungspolitische Alleingänge — es ist bisweilen versucht worden, mit Abwertungswettläufen Vorteile zu erringen — sind kein dauerhaftes Rezept. All diese Maßnahmen würden die Weltwirtschaft in eine neue Phase einer „beggar my neighbour policy" zurückwerfen, in der am Ende alle in einer tiefen Weltwirtschaftskrise landeten.
Wir sind uns wohl alle einig, daß die weltwirtschaftlichen Probleme und damit auch unsere nationalen Schwierigkeiten nur dann zu lösen sind, wenn wir die internationale Arbeitsteilung, den freien und wirklich fairen Außenhandel nicht nur beschwören, sondern wirklich realisieren und ausbauen. Insofern bedauere ich es auch sehr, wenn der französische Regierungschef nicht zu dieser Veranstaltung kommt. Ich weiß nicht, ob nur der Vorwand „Zeitverschwendung" der richtige ist oder ob es nicht so ist, daß man befürchtet, bei einer Zwischenbilanz der Uruguay-Runde in Verdrückung zu kommen.
Das wichtigste ist deshalb für den Weltwirtschaftsgipfel in Tokio, bei all den Unzulänglichkeiten, auf die auch Graf Lambsdorff hingewiesen hat — so steht die Regierung in Tokio vor einer Wahl —, die Uruguay-Runde einen Schritt nach vorn zu bringen, nicht nur darüber zu reden und Beschwörungsformeln zu produzieren, sondern diese Uruguay-Runde mit einem konkreten Zeitplan zu versehen und sie möglichst noch in diesem Jahr zu beenden. Das wäre das wichtigste Signal an die gesamte Weltwirtschaft. Wir müssen hier vorankommen, denn wir sehen jetzt schon sehr deutlich, daß der Bazillus des Protektionismus überall gewaltig grassiert, in Europa, in den USA, in Japan und auch in anderen Ländern.
Es ist völlig zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die jüngsten Strafzölle auf Stahl nur eines von den vielen negativen Beispielen sind. Es ist schon darauf hingewiesen worden, und ich kann das unterstreichen: Auch die neue EG-Bananen-Regelung ist ein abschreckendes Beispiel gegen offene Märkte, gegen Freihandel und gegen aktive Entwicklungshilfe.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Bei allen multilateralen Organisationen gab es immer in den Kommuniqués die wichtige Aussage „trade is better than aid". Freier Handel ist wirklich besser als jede andere Hilfe. Das ist auch wichtig im Verhältnis des Nordens zum Süden.
Natürlich müssen in der nächsten GATT-Runde stärker als bisher die Themen Umweltschutz und Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen. Öko- und Sozialdumping machen niemanden auf dieser Welt reicher, sondern alle ärmer. Stabilität beginnt aber im eigenen Haus, und das gilt vor allem auch für uns in Deutschland.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es wurde auch Zeit!)

— Liebe Frau Kollegin, wir sind pausenlos dabei, das alles zu bewältigen. Ihre Obstruktion hindert uns manchmal daran, über die Hürden zu kommen, vor allem im Bundestag.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es war doch immer ganz freundlich!)

— Nein, das kann man nicht sagen. Das glauben Sie selber immer.
Wir sind in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eben nicht mehr an der Spitze; das müssen Sie auch immer wieder zur Kenntnis nehmen und offen sagen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alles unter der CDU-Regierung!)




Friedhelm Ost
Sie hätten sich natürlich die Teilung Deutschlands lieber weiter gewünscht. Das ist klar, das können Sie nachlesen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Alte Hüte!)

— Nein, nicht alte Hüte. Aber wenn darüber gesprochen wird, müssen Sie dann wirklich auch die Konsequenzen ziehen. Sie wollten vielleicht die mächtige Sowjetunion beibehalten.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie treffen voll daneben! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ein Unsinn, das hier zu sagen! Da muß man es nicht ganz am Kopf haben!)

— Sie können ja in den Annalen Ihrer Partei nachlesen. Ein bißchen Geschichte der SPD tut Ihnen nach so langer Zugehörigkeit vielleicht auch ganz gut.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216912500
Meine Damen und Herren, kurz vor der Sommerpause bitte etwas friedlicher!

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1216912600
Ich bin der Meinung, daß hier auch Weichenstellungen erfolgt sind. Sie haben die beste Gelegenheit, das zu unterstützen. Wir haben in dieser Woche ein gutes Konsolidierungspaket verabschiedet. Das ist nicht, wie Sie es immer sagen, unsoziale Kahlschlagpolitik, sondern eine überfällige Operation

(Beifall bei der CDU/CSU)

mit der Schaffung von Vertrauen bei Arbeitnehmern und Unternehmern, Vertrauen im Inland und Ausland.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216912700
Herr Abgeordneter Ost, das veranlaßt die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier, Sie zu bitten, eine Frage zu beantworten.

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1216912800
Ja bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1216912900
Herr Kollege Ost, nachdem ich das Gefühl hatte, es ging hier ganz freundlich zu, möchte ich Sie aber nach Ihrer Behauptung, Ihr Sparpaket sei nicht unsozial, fragen: Kann ein Sparpaket eigentlich sozial ausgewogen sein, in dem Arbeitslosengeldempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger, Familien mit Kindern, Sozialhilfeempfänger und andere zur Kasse gebeten werden, und Leute wie Sie und ich, jedenfalls ich, nicht mit einer einzigen Mark Einbuße zur Kasse gebeten werden?

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1216913000
Liebe Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben vorhin gesagt, es wird höchste Zeit. Sie müssen sehen, daß wir nicht nur dieses Paket auf den Weg gebracht haben, sondern in der Tat seit 1991, bezogen auf 1995, Abgaben und Steuern einschließlich Solidaritätsbeitrag um 115 Milliarden DM erhöht haben. Sie dürfen jetzt nicht aus 49 Punkten fünf herausnehmen und fragen: Ist das sozial oder unsozial? Das Unsozialste, sage ich Ihnen, ist, Arbeitslosigkeit zu produzieren.

(Widerspruch bei der SPD)

Mit Ihren Rezepten kommen wir weiter in die Strukturkrise, in die Konjukturkrise und auch in die Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen lesen Sie das Programm in Ruhe durch! Sie haben jetzt Ferien und können sich damit beschäftigen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihre Wirtschaftspolitik hat uns unheimlich weit geführt!)

Sie haben auch gesehen: In dieser Woche hatten wir weitere wichtige Entscheidungen. Heute ist das Standortsicherungsgesetz endgültig verabschiedet worden. Dieses ist auch ein wichtiges Signal. Außerdem hat gestern die Bundesbank die Zinsen weiter gesenkt. Wir haben auch mit diesem Sparpaket weiteren Spielraum eröffnet.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das war auch überfällig!)

Das war nicht überfällig. Das war eine schwierige Gratwanderung. Bei 4 % Inflation war es ein Problem im Außenverhältnis. Dies ist gar nicht so einfach. Sie können die Währungs- und Geldpolitik nicht so betreiben, wie Sie sich das vielleicht ausdenken.
Ich bin der Meinung, jedes Gipfel-Land muß seine Hausaufgaben machen. Dies heißt vor allem, wir müssen auch die wirtschafts-, finanz-, steuer-, sozial- und umweltschutzpolitischen Rahmenbedingungen hierzulande so schnell wie möglich verbessern. Damit leisten wir den größten Beitrag auch für die Weltwirtschaft.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216913100
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs das Wort.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1216913200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Weltkonjunktur hinkt nachhaltig. Die deutsche Wirtschaft ist in einer tiefen Krise, und die jetzige Krise ist schwerer als die von 1967, als die von 1975 und die von 1982/83.
Die konjunkturelle Krise wiederum wird verstärkt durch strukturelle Anpassungsprobleme führender deutscher Wirtschaftszweige, durch das Ost-West-Gefälle bzw. genauer: das West-Ost-Gefälle in Deutschland und durch die Verschuldungsorgie dieser Bundesregierung.
Weder für die konjunkturelle Krise noch für die durchgreifenden Strukturprobleme sind wesentliche Ursachen im Bereich der Auslandsbeziehungen der deutschen Wirtschaft erkennbar. Insofern schon ist die Hoffnung, der Tokioter Weltwirtschaftsgipfel würde nachhaltige Hilfe bringen, verfehlt. Allenfalls im Bereich der Zins- und Geldpolitik könnte eine konzertierte G-7-Aktion hilfreich sein. Doch wird es dazu auf dem Gipfel kommen? Und wenn, wird sich die Bundesbank, die auf ihre Unabhängigkeit trotzig stolze Zentralbank der führenden Wirtschaftsmacht in Europa, dem fügen? Wohl kaum!
Die GATT-Verhandlungen werden dominiert vom heiligen Egoismus der Triadenländer, den hochent-



Dr. Ulrich Briefs
wickelten Industrieländern, zu Lasten der Dritten Welt.
Die Hilfe für Osteuropa soll auf Druck Japans eher abgebaut werden. Eine klare Linie, an den wirklichen Ursachen der weltweiten Krise anzusetzen, zeichnet sich nicht ab. Die Ursachen liegen nämlich im wesentlichen in der nationalen Wirtschaftsentwicklung und in der Wirtschaftspolitik vor allem der hochentwickelten Industrieländer, die mit ihrer Orientierung auf weiteres, High-tech-gestütztes Wirtschaftswachstum, das nur schwach ökologisch verbrämt ist, die Probierre zudem nicht lösen, sondern verschärfen.
Wegen moderner Techniken immer teurer werdende Überkapazitäten und die damit verbundenen Fixkosten, Überproduktion, staatlicher Überkonsum, Vernachlässigung ökologischer und sozialer Bedürfnisse, fehlende Industrie- und Regionalstrukturpolitik, gerade in den modernen Industrieländern, an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten hin und her vagabundierende riesige Kapitalien, die ständig auf der Suche nach profitabler Anlage sind, eine unzureichende Arbeitsmarktpolitik — das sind die wesentlichen Ursachen der weltweiten Krise.
Weltweit ist sie, weil alle hochentwickelten Länder dem gleichen marktwirtschaftlich expansionistischen Modell folgen und in ihrem Expansionsegoismus sich zudem gegenseitig Krisenentwicklungen aufdrücken. Deutschland ist übrigens hieran führend beteiligt. Deutschland ist nach Japan nach wie vor der größte Exporteur von Arbeitslosigkeit.
Angesichts dieser Verhältnisse wird der Tokioter G-7-Gipfel nicht mehr erbringen als die früheren auch. Das ist von den Kollegen schon angesprochen worden. Er wird nicht mehr erbringen als Fototermine und ähnliches. Man wird sich hinterher einfach sagen müssen: Außer sehr beträchtlichen Spesen nichts gewesen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216913300
Meine Damen und Herren, interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/5326 und 12/4630 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. — Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann darf ich das als beschlossen feststellen.
Ich darf jetzt den Tagesordnungspunkt 22 aufrufen:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
— Drucksache 12/5230 — (Erste Beratung 165. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/5332 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Wartenberg (Berlin) Franz Heinrich Krey
Wolfgang Lüder b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts
— Drucksache 12/4985 — (Erste Beratung 161. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/5304 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Wartenberg (Berlin) Franz Heinrich Krey
Wolfgang Lüder
c) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 38 des Grundgesetzes
— Drucksache 12/5127 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
— Drucksache 12/5128 —
Ørweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
— Drucksache 12/5129 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
f) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
— Drucksache 12/5130 —
Überweisung svorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
g) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
— Drucksache 12/5131 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
h) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
— Drucksache 12/5132 —Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. i 96 GO
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Dabei ist sichergestellt, daß die Gruppe PDS/Linke Liste eine Redezeit von zehn Minuten erhält. Ich nehme an, das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden. — Das ist der Fall. Wir können die Debatte eröffnen.
Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Heinrich Krey das Wort.

Franz Heinrich Krey (CDU):
Rede ID: ID1216913400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe mal davon aus, daß ich dazu beitragen kann, daß wir die Stunde nicht in Anspruch nehmen.
Wenn man sich umschaut, ist das Thema, gemessen an den großen, gewaltigen Aufgaben, die in Europa zu leisten sind, vielleicht für viele klein und bescheiden. Ich gehe mal davon aus, daß sich das im Laufe der nächsten Zeit, wenn wir diese Gesetze, die heute hier zur endgültigen Verabschiedung anstehen, beschlossen haben, ändern wird. In den Parteien wird dann sicher sehr viel mehr Interesse an dem Thema zu beobachten sein und hoffentlich auch in der Bevölkerung.
Aber für uns Deutsche — das möchte ich kurz hervorheben — ist doch das, was wir hier heute zu beraten und zu beschließen haben, von großer Bedeutung, denn es ist ein wichtiger Schritt zur Vollendung der deutschen Einheit.

(Beifall bei der F.D.P.)

16 Millionen neue deutsche Bürgerin Europa, in der Europäischen Gemeinschaft, mit vollen Rechten, das ist keine Belastung, sondern ein Gewinn für das freie Europa. Die Erhöhung der Zahl der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments von 81 auf 99 Mitglieder trägt dieser Tatsache Rechnung, wenn auch im Verbund mit den schwierigen Prozessen einer europäischen Einigung auf diesem Gebiet.
Nach der Herstellung der deutschen Einheit waren zwar die neuen Länder in den politischen Meinungsbildungsprozeß des Europäischen Parlaments einbezogen, ihre Vertreter haben aber bis heute doch nur den Status von Beobachtern. Dies wird mit der Europawahl im nächsten Jahr der Vergangenheit angehören, wenn das Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedsstaaten rechtzeitig abgeschlossen sein wird. Weil nämlich die Zuständigkeit für diese wichtige Entscheidung noch immer nicht beim Europäischen Parlament, sondern nach wie vor bei den nationalen Parlamenten liegt, bestimmt weiterhin das langsamste Schiff das Tempo des Geleitzuges. Noch immer gibt es kein einheitliches Europäisches Wahlgesetz.
Folgende Aufgaben sind vor allem noch zu bewältigen: Der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Stimmen muß noch durchgesetzt werden. Das wird sicher noch lange dauern, denn bisher hat eine Stimme in kleinen Ländern mehr Gewicht als in größeren.
Ist die Tatsache, daß die Öffnungsdauer der Wahllokale in jedem Land unterschiedlich ist, auch von eher marginaler Bedeutung, so ist doch die Frage, nach welchem Wahlrecht denn eine solche gemeinsame europäische Wahl einmal durchgeführt wird, schon fundamental. Es geht ja darum, ob wir uns auf Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht in Europa einigen.
Auch regelt das heute zur Verabschiedung stehende Gesetz nicht das Wohnortsprinzip bei aktivem und passivem Wahlrecht. Ein europäischer Bürger soll doch nach unseren Vorstellungen in Zukunft an seinem Wohnort wählen und auch gewählt werden können. Hier danke ich der Bundesregierung, daß sie zugesagt hat, uns bis zum September über den Fortgang der Bemühungen in diesem Punkt zu berichten.
Ich appelliere an die Bundesregierung, aber auch an die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Druck zu machen, damit die Ratifizierung mit dem notwendigen Tempo vonstatten geht.

(Beifall bei der F.D.P.)

Denn wenn die Ratifizierung nicht rechtzeitig erfolgt, hat dies auch auf unser Wahlgesetz fatale Rückwirkungen.
Allerdings sind auch die deutschen Parteien gefordert, bei ihren Partnerparteien für einen erfolgreichen und baldigen Abschluß des Zustimmungsverfahrens einzutreten. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Lüder, daß Sie hier sind. Ich bin der Meinung, daß insbesondere die Deutsch-Spanische Parlamentariergruppe hier eine besondere Aufgabe wahrzunehmen hat, da nach unseren Informationen auf Grund der jüngsten Wahlen in Spanien das Ratifizierungsdatum in Spanien relativ spät angesetzt ist. Vielleicht können wir gemeinsam — ich würde Sie dabei unterstützen — hier hilfreich tätig sein.

(Wolfgang Lüder [F.D.P.]: Sobald die Cortes handlungsfähig sind, werden wir auf sie einwirken!)

— Sehr gut, vielen Dank!
Bereits bei der Beratung des Gesetzes zur ersten direkten Wahl der Mitglieder des Europaparlaments habe ich am 16. März 1978 zu diesem Thema die Hoffnung ausgedrückt, daß in Zukunft das Europäische Parlament als Gesetzgeber das Europawahlrecht und das europäische Abgeordnetenrecht in die eigenen Hände nehmen könne. 15 Jahre sind seitdem vergangen. Wir brauchen also noch viel Geduld. Hier



Franz Heinrich Krey
liegt eine wichtige Aufgabe, für die wir uns alle gemeinsam einsetzen sollten.
Doch heute wollen wir dazu beitragen, daß im nächsten Jahr eine gute Europawahl stattfinden kann. Wir stimmen daher dem Europawahlgesetz in der neuen Fassung und als Voraussetzung zu seiner Umsetzung dem neuen Direktwahlakt zu.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wir verbinden damit die Hoffnung auf weitere Fortschritte der Europäischen Gemeinschaft. Sie ist unverzichtbar für die Sicherung des Friedens und für die Stärkung der Wohlfahrt aller Völker und Menschen unseres Kontinents.
Gegen die Überweisung der übrigen, hier vorliegenden Gesetzentwürfe haben wir nichts einzuwenden. Ich brauche dazu heute nichts zu sagen. Ich gehe davon aus, daß wir in den Ausschüssen genügend Zeit haben werden, um darüber zu beraten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216913500
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1216913600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu vorgerückter Stunde und angesichts der anbrechenden Ferien debattieren wir über die Europawahl. Immerhin: Sie ist Bestandteil einer parlamentarischen Erörterung. Das allein ist schon wichtig, haben wir damit doch eine Gelegenheit, diesem Thema nach den zugegebenerweise dramatischeren Auseinandersetzungen der letzten Wochen über andere Probleme vor Beginn der Sommerpause wenigstens ein Stück der Aufmerksamkeit zu verschaffen, die dieses Thema tatsächlich verdient.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten, in denen manche meinten, sie könnten die Europawahl als Spielwiese zum Abreagieren politischen Frustes oder auch als Test oder als Drohgebärde gegen die bestehenden demokratischen Parteien benutzen, sind, so hoffe ich wenigstens, endgültig vorbei, und sie müssen auch vorbei sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Wer sich mit dem Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Politischen Union nicht ernsthaft auseinandersetzt, der läuft Gefahr, den großen Vereinfachern aus dem ganz rechten Lager das Feld zu überlassen — Leuten, die mit antieuropäischen Parolen, mit Panikmache und grober Verdummung der Wähler auf Stimmenfang gehen.
Was kann man dem entgegensetzen? Es hat sicherlich wenig Zweck, die tatsächlich vorhandene Angst vor einem zentralistischen Machtapparat Brüssel zu ignorieren. Es macht ebensowenig Sinn, unkritisch ein Loblied auf das einige Europa anzustimmen; das glauben uns die meisten Leute nämlich auch nicht. Jedoch lohnt es sich, die Forderung nach einem gestärkten Europäischen Parlament zu stellen und zu untermauern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo immer das möglich ist. Den Bürgerinnen und Bürgern endlich das Gefühl zu vermitteln, daß ihre Stimme für die Europawahl nicht einem anonymen, bürokratischen Gebilde gilt, sondern lebendigen, kompetenten, engagierten und einflußreichen Mandatsträgern — das ist ein Mittel gegen die Europaverdrossenheit, und das müssen wir nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb muß diese Wahl so einsichtig und bürgernah wie nur irgendwie möglich ablaufen.
Ich sage das auch lin Hinblick auf die Tatsache, daß sich die Wählerinnen und Wähler in den neuen Ländern zum erstenmal an der Europawahl beteiligen können. Gerade für sie, aber nicht weniger für die Bürgerinnen und Bürger in den alten Ländern, wird es ein erheblich größerer Anreiz zum Wählen sein, wenn sie sich mit ihrer Vertretung im Europäische Parlament leichter identifizieren können.
Es hat lange Auseinandersetzungen gegeben bis zum Beschluß des Rates der EG, die Zahl der bundesdeutschen Abgeordneten von 81 auf 99 zu erhöhen, so wie es uns nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten als logisch erschien.
Die Europaabgeordneten der SPD — wir schließen uns dem an — verlangen die Umsetzung des Art. 8 b Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union, möglichst schon zur Direktwahl 1994. Nach dieser Vorschrift — Herr Krey hat es erwähnt — wird das sogenannte Wohnsitzprinzip eingeführt. Alle EG-Bürgerinnen und -Bürger sollen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht zu denselben Bedingungen haben wie Angehörige des Mitgliedstaates — ein Ziel, das wir möglichst schnell erreichen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Außerdem schlagen wir vor, daß auf den Stimmzetteln mehr Bewerber genannt werden als bislang. Kandidaten aus allen Bundesländern sollen sich auf diesem Formular wiederfinden. Denkbar sind 20 oder 30 Namen.
Ich will auf ein Anliegen eingehen, das auf den ersten Blick wie eine Bagatelle wirkt, jedoch durchaus Beachtung verdient. Es geht um die leidige Frage der Harmonisierung der Wahlzeiten. Um einheitliche Bedingungen zu schaffen, müssen nach bisherigen Regularien die Wahllokale bis 21 Uhr geöffnet bleiben, weil z. B. Italien erst zu dieser Zeit schließt. Dies wird aber nicht überall eingehalten.
Unser Vorschlag geht dahin, die Lokale statt um 8 Uhr erst um 9 Uhr morgens zu öffnen, was sowohl für Frühaufsteher als auch für Kirchgänger erträglich zu sein scheint, und um 19.30 Uhr oder 20 Uhr zu schließen. Damit erreichen wir zweierlei: erstens eine Entlastung der ehrenamtlichen Wahlhelfer und zweitens ein Verfahren, das ausschließt, daß die schon ausgezählten Wahlergebnisse in einem Mitgliedstaat das Wahlverfahren und das Wahlverhalten in einem anderen Mitgliedstaat mit längeren Öffnungszeiten eventuell noch beeinflussen können. Außerdem läßt



Dr. Comelie Sonntag-Wolgast
sich insbesondere dort Wirrwarr vermeiden, wo Europa- und Kommunalwahlen zusammenfallen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, sorgen wir alle dafür, daß die Europawahlen auch für Euroskeptiker und Euroängstliche, für potentielle Denkzettelwähler und potentielle Nichtwähler so bürgerfreundlich und verständlich gestaltet werden, wie es nur irgendwie möglich erscheint!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Machen wir diese politische Auseinandersetzung zu einer Auseinandersetzung um echte politische Alternativen und um Kandidaten aus Fleisch und Blut, die später auch etwas zu sagen und zu entscheiden haben! Stärken wir die parlamentarische Demokratie im zusammenwachsenden Europa!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216913700
Da der Abgeordnete Lüder seine Rede zu Protokoll gegeben hat, kann ich nun dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi das Wort erteilen.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1216913800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem gemeinsamen Fraktionsentwurf — das sage ich so, weil alle Fraktionen daran beteiligt sind — nur soviel: Daß wir der Erhöhung der Zahl der Abgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament auf 99 zustimmen, ist klar.
Ich sehe diesbezüglich zwei Probleme auf uns zukommen. Das eine Problem, das auftreten könnte, ist, daß geplant ist, daß EG-Bürgerinnen und -Bürger auch in anderen Ländern das passive Wahlrecht bekommen. Wenn das aber zu spät ratifiziert wird, dann kann es passieren, daß ihnen dieses Recht z. B. im Mai eingeräumt wird, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem bei uns alle Listen abgeschlossen sind. Und nach unserem bis dahin geltenden Recht niemand auf der Liste steht. Dann ist es ein Recht, das sozusagen verpufft.
Die Frage ist: Kann man EG-Bürgerinnen und -Bürger auf die Listen setzen, obwohl es noch gar nicht geltendes Recht ist? Ich bitte darum, das im Ausschuß tatsächlich zu beraten, weil dann an die Parteien entsprechende Empfehlungen gegeben werden sollten. Was passiert, wenn das Gesetz nicht ratifiziert wird und die bereits Eingetragenen von den Listen entfernt werden müßten? Das ist ein beachtliches Problem; ich will nur darauf hinweisen.
Das zweite, was ich hierzu sagen möchte, hängt natürlich damit zusammen, daß es ganz schwierig ist, gerade den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern, die sich erstmalig an dieser Wahl beteiligen, zu erklären, wieso sie das überhaupt tun sollten, nachdem sie vom Europäischen Parlament in den letzten drei Jahren fast nichts gespürt haben. Es hat keine Öffentlichkeit, es spielt in den Medien so gut wie keine Rolle, und die Unkenntnis ist gewaltig, zumal auch keine verbindlichen Entscheidungen getroffen werden.
Ich stelle bei meinen Veranstaltungen — durchaus auch bei Sympathisanten — fest, daß es ganz schwierig ist, sie überhaupt davon zu überzeugen, sich an dieser Wahl zu beteiligen, weil sie einfach keinen Sinn darin sehen. Das ist, glaube ich, ein großes Problem. Hier müssen wir unsere Arbeit verändern.
Nun möchte ich natürlich — ich bedaure, daß die bisherigen Rednerinnen und Redner überhaupt nicht darauf eingegangen sind — auf unsere Gesetzentwürfe zu sprechen kommen, weil sie eine gravierende Änderung des Wahlrechts sowohl bei der Bundestagswahl als auch bei der Europawahl nach sich ziehen würden und, wie ich meine, künftig auch bei Landtagswahlen.
Lassen Sie mich in folgender Reihenfolge vorgehen. Ich möchte mich zunächst mit dem aktiven und passiven Wahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger beschäftigen. Wir alle wollen entweder wirklich oder vorgegebenermaßen einen ernsthaften Beitrag gegen Rechtsextremismus und dem, was diesbezüglich in unserem Lande geschieht, leisten. Wir wissen, daß die Ungleichbehandlung von Bürgerinnen und Bürgern auch dazu führt, daß Vorbehalte gegen Menschen angestaut werden und sich verfestigen.
Ich glaube, daß eine politisch gleichberechtigte Behandlung von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern eine wesentliche Voraussetzung ist, um mittel- und langfristige Klischees, Vorurteile und ähnliches abzubauen. Die Menschen nehmen sich untereinander ernster, wenn sie über gleiche Rechte und gleiche Pflichten verfügen. Und da die Regelungen zum Staatsbürgerschaftsrecht und erst recht zur doppelten Staatsbürgerschaft unheimlich kompliziert sind und sehr viel Zeit in Anspruch nehmen werden, könnten wir über eine Öffnung des Wahlrechts für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn sie, wie wir vorschlagen, seit fünf Jahren oder länger ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, eine politische Einbeziehung dieser Menschen organisieren.
Das hätte zumindest zwei weitere große Vorteile: Wir würden uns endlich bei diesen politischen Rechten an eine republikanische Vorstellung halten, d. h. akzeptieren, daß Menschen dort politische Rechte haben, wo sie leben, wo sie wohnen, wo sie arbeiten, und daß solche Rechte nicht gebunden sind an irgendeine Nationalität, obwohl möglicherweise zu dem ursprünglichen Heimatland gar keine Beziehungen mehr bestehen, also auch Wahlrecht dort letztlich gar keinen Sinn mehr macht.
Zweitens würden wir uns selber zwingen, sie als Klientel zu achten. Ich glaube, das ist unheimlich wichtig in der Politik. Wenn plötzlich sehr viele Menschen zusätzlich wahlberechtigt wären, würden sich auch die politischen Parteien mit ihren Problemen anders auseinandersetzen und müßten auf sie zugehen. Auch das könnte einen wesentlichen Beitrag zum Abbau von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit leisten.
Und unter den Bürgern selbst würde anerkannt werden, daß Ausländerinnen und Ausländer nicht nur Steuer- und andere Pflichten haben, sondern daß sie auch Rechte haben, die sie wahrnehmen können, und



Dr. Gregor Gysi
daß sie auch sagen können, politisch wenigstens mitentscheiden können, wer in dem Land, in dem sie leben und arbeiten, regiert, wer im Parlament vertreten ist. Dazu brauchen sie aktives und passives Wahlrecht, nicht nur auf der kommunalen Ebene, sondern auf allen Ebenen. — Das ist Gegenstand unseres Antrages, und ich bitte Sie sehr herzlich, darüber eingehend nachzudenken, damit wir hier als Parlament auch mal sagen können: Jetzt sind wir wirklich einen mutigen Schritt nach vorn gegangen, um unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger einzubeziehen und damit gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ein ganz deutliches politisches Signal zu setzen. — Wir alle wissen, es kommt sowieso irgendwann. Warum soll die Bundesrepublik Deutschland nicht die erste sein, die diesen Schritt geht?
Ferner schlagen wir vor, das Wahlrecht für Jugendliche einzuführen, hier allerdings zunächst nur das aktive Wahlrecht für Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Hier stützen wir uns auf ein Gutachten der Universität Bielefeld, das ich hier habe, auf ein Gutachten, von Professor Hurrelmann und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeitet. Ich will Ihnen nur die These zehn vorlesen und bitte Sie, wirklich darüber nachzudenken, welchen Sinn das machen kann:
Wir sollten
— so schreiben die Gutachter —
neue Wege der politischen Partizipation gehen. Die Frage der Glaubwürdigkeit von Staat und Politik und insbesondere der handelnden Politikerinnen und Politiker ist für Jugendliche von großer Bedeutung. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind für Jugendliche auch eine Frage des Stils und der Methoden von Politik. Da Jugendliche ein moralisch-idealistisches Politikverständnis besitzen und sehr emotional mit politischen Fragen umgehen, treffen sie auf dieser Ebene auf große Defizite. Unehrlichkeit und Opportunismus der Politiker werden heftig kritisiert.
Und so wird weiter die politische Einstellung von Jugendlichen beschrieben. Dann heißt es:
Jugendliche benötigen realistische Möglichkeiten der Beteiligung an politischen Prozessen, die auf allen Ebenen der Politik ansetzen, aber auch eine gute Basis in Schule und Gemeinde haben. Die Regeln und Kriterien für politische Partizipation müssen dafür ständig weiterentwickelt werden. Dazu gehört auf allen Politikebenen auch die Frage nach dem aktiven und passiven Wahlrecht für Jugendliche. Es gibt nach den referierten Befunden nicht den geringsten Zweifel, daß Jugendliche früher als mit 18 Jahren politisch entscheidungsfähig sind. Deswegen ist eine Diskussion darüber sinnvoll, ob die Berechtigung zur Beteiligung an öffentlichen Wahlen ausschließlich an das heutige „Volljährigkeitsalter" von 18 Jahren gebunden werden soll. Es wäre denkbar, es mit dem Abschluß der Pflichtschulzeit zu gewähren, also 15- oder 16jährigen zumindest aktive Wahlberechtigung an Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europawahlen einzuräumen. Es besteht kein Zweifel, daß die Bereitschaft und
die politische Kompetenz hierfür in diesem Alter vorhanden sind.
Ein früheres Wahlalter wäre ein klares Signal unserer Gesellschaft an die junge Generation, daß sie von den für sie lebenswichtigen politischen Zukunftsentscheidungen nicht ausgeschlossen wird. Vielleicht ist auch die Hoffnung berechtigt, daß sich durch diese politische Beteiligung die Gefühle von Ohnmacht und Angst abbauen lassen. In einer Gesellschaft, deren Bevölkerung immer älter wird, hätte unsere Gesellschaft mit dem Wahlrecht für die Jugendlichen auch eine Chance, den Interessenausgleich zwischen den Generationen deutlicher als bisher zum Ausdruck zu bringen.
Ich finde, daß man das nicht auf die leichte Schulter nehmen kann, daß wir hier wirklich eine vertiefte Diskussion brauchen, was es bedeutet, Jugendliche viel rechtzeitiger in politische Entscheidungen mit einzubeziehen. Wir dürfen sie nicht draußen stehen lassen und ihnen damit eine bestimmte Mündigkeit absprechen, die sie in Wirklichkeit längst besitzen, was dann auch zu Politikabstinenz und Politikverdrossenheit führen muß.
Lassen Sie mich noch kurz auf zwei weitere Punkte eingehen. Das eine betrifft Präferenzstimmen, die wir vorgeschlagen haben. Ich habe gestern eine Presseerklärung des Abgeordneten Vogel von der SPD gelesen, der eigentlich etwas Ähnliches vorgeschlagen hat. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß es dieses Wahlrecht in Bayern schon gibt. Nun bin ich ja der letzte, der behauptet „Von der CSU lernen heißt siegen lernen", aber in diesem Falle scheint sich diese Bestimmung in Bayern doch einigermaßen bewährt zu haben.
Letztlich steckt folgendes dahinter: Noch geben die Parteien mit Listen vor, welche Personen die Menschen zu wählen haben. Wenn ich eine Partei ankreuze, entscheide ich mich für eine Liste, auf die ich keinerlei Einfluß habe.
Mit der Einführung der Präferenzstimmen würden wir erreichen, daß die Menschen, nachdem sie sich für eine Partei entschieden haben, zusätzlich Einfluß auf die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten bekommen. Das heißt, sie könnten sagen: Jener von der CDU — wenn sich wirklich jemand entscheiden sollte, diese Partei zu wählen; ich nehme mal dieses Beispiel — gefällt mir eben besser als der, der auf Platz 1 ist, deshalb stimme ich für ihn. Das gleiche gilt für die SPD und für andere Parteien.
Ich finde, dieses Auswahlrecht unter Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien, das es, wie gesagt, in Bayern gibt, ist ein ganz wichtiges Demokratieelement. Es wäre auch ein Element zur Beseitigung von Politikverdrossenheit.
Unser letzter Vorschlag läuft, wie Sie wissen, auf die Abschaffung der Sperrklausel hinaus — oder, wenn Sie damit nicht einverstanden sind, wenigstens auf die Reduzierung dieser Klausel auf 3 %, das entspricht einem Vorschlag des Europäischen Parlaments — und auf die Regionalisierung zwischen Ost und West.



Dr. Gregor Gysi
In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Sperrklauseln führen zu Politikverdrossenheit, Sperrklauseln machen aus Wählerinnen und Wählern Wahltaktikerinnen und Wahltaktiker, weil sich der Wähler hundertmal überlegen muß, ob es sinnvoll ist, eine Partei zu wählen, die möglicherweise nicht in den Bundestag kommt, und dann etwas wählt, was er eigentlich nicht wählen will. Ich finde, wir müssen den Menschen ermöglichen, das zu wählen, was sie wollen, und sollten ihnen nicht Hunderte andere Denksportaufgaben vor einer Wahlentscheidung mit auf den Weg geben.
Außerdem glaube ich, daß auch kleinere Gruppen im Parlament für eine Belebung der Demokratie wichtig sind. An Weimar oder ähnliches ist überhaupt nicht zu denken. CDU/CSU und SPD haben zusammen immer 70 %, also von einer Handlungsunfähigkeit des Parlaments kann hier überhaupt nicht die Rede sein.
Denken Sie bitte an die letzte — die demokratisch gewählte — Volkskammer, in der es auch kleine Fraktionen gab. Das hat dort durchaus zu einer Belebung der Demokratie beigetragen. Diese Volkskammer war spannender als der Bundestag. Das werden Sie nicht bestreiten können. — Ich meine die letzte, nicht die davor; die können Sie natürlich vergessen.
Lassen Sie mich ein Letztes in diesem Zusammenhang sagen: Eine Regionalisierung, wenn Sie der Abschaffung der Sperrklausel nicht zustimmen würden, wäre ganz wichtig, weil Sie damit akzeptieren, daß es uns noch nicht gelungen ist, die innere Einheit in Deutschland herzustellen. Damit grenzen Sie die Ostdeutschen nicht durch eine riesige Hürde aus, sondern sagen: Ja, wenn ihr einer Partei oder einer Listenvereinigung mehr als 3 % der Stimmen gebt, dann soll diese Partei auch vertreten sein. Das heißt, auch originäre westdeutsche oder originäre ostdeutsche Parteien müßten eine Chance bekommen, im Bundestag oder im Europäischen Parlament vertreten zu sein, wenn Sie denn der Abschaffung der Sperrklausel — die ich insgesamt für undemokratisch und für eine Klausel halte, die die Politikverdrossenheit erhöht — aus Gründen der Abschottung gegenüber neuen Parteien, die Sie hier nicht zulassen wollen, nicht zustimmen können.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216913900
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dieter Schloten das Wort.

Dieter Schloten (SPD):
Rede ID: ID1216914000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier zunächst meine Freude und Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß es gelungen ist, gleichsam in letzter Minute vor der Sommerpause einen interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Europawahlgesetzes einzubringen. Diese Vorlage beinhaltet die Aufstokkung der Zahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments von 81 auf 99. Das heißt konkret, die bisherigen Beobachter aus den neuen Ländern können demnächst rede- und stimmberechtigt an den Sitzungen des Europäischen Parlaments teilnehmen. Diese Abgeordneten werden ihre Erfahrungen mit der vergangenen kommunistischen Diktatur sowie ihre Kenntnisse von den Lebensverhältnissen im östlichen Mitteleuropa in die Debatten und die Entscheidungen des Europäischen Parlaments einbringen können.
Zugleich aber beinhaltet diese Gesetzesvorlage eine Reihe offener Probleme, die hier im Plenum angesprochen werden müssen.
Das erste Problem ist folgendes: Mit der Erhöhung der Zahl der deutschen Abgeordneten von 81 auf 99 ist eine Erhöhung der Zahl der Abgeordneten aus acht weiteren EG-Staaten verbunden. Insgesamt steigt die Anzahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament damit von 518 auf 567. Führt man sich in diesem Zusammenhang vor Augen, daß die Europäische Gemeinschaft in den nächsten Jahren möglicherweise erweitert wird, dann sieht man, daß bald die Zahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag überschritten sein wird.
Es scheint dringend geboten, daß die Bundesregierung in den nächsten Gesprächen im Europäischen Rat und in den Verhandlungen mit der Europäischen Kommission darauf hinwirkt, daß eine Höchstzahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments für die Zukunft festgelegt wird, damit dieses Parlament arbeitsfähig bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Dies entspricht auch dem Wunsch des Europäischen Parlaments.
Das zweite Problem, das weitergehend und schwerwiegender als das erste ist, ist die bisher ausgebliebene Verabschiedung eines vergleichbaren Gesetzes in den anderen acht EG-Staaten. Ich sage „acht"; denn die drei kleineren bzw. kleinsten EG-Staaten sind nicht betroffen. Luxemburg, Dänemark und Irland erhalten keine weiteren Abgeordneten.
Ich frage, ob dieser Punkt Gegenstand von Gesprächen der Bundesregierung mit ihren Partnerregierungen ist. Bis wann wird dort ein entsprechendes Gesetz verabschiedet sein? Denn 99 deutsche Abgeordnete können ja nur dann ihr Mandat im Europäischen Parlament erhalten, wenn die übrigen acht EG-Staaten ebenfalls entsprechende Gesetze verabschiedet haben, was in einigen dieser Staaten, z. B. in Großbritannien, möglicherweise demnächst auch in Frankreich, mit Wahlkreisänderungen verbunden sein wird.
Mir ist bekannt, daß die entsprechenden Gesetzesänderungen in den anderen EG-Staaten spätestens bis zum Wahltag, also bis zum Juni des kommenden Jahres, vorgenommen sein müssen, so daß wir unsere Liste dann möglicherweise von 81 auf 99 aufstocken können. Aber das wäre eine Notlösung. Selbst diese müßte gesichert werden. Ich bitte hier dringend um eine klare Auskunft der Bundesregierung.
Meine Vorredner haben schon die Frage gestellt: Wo bleibt das Gesetz gemäß Art. 8 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union, das soge-



Dieter Schloten
nannte Wohnsitzprinzip, wonach EG-Bürger für die Europawahl an ihrem Wohnort wählen dürfen?

(Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Listel: Und gewählt werden dürfen!)

— Dazu komme ich gleich, Herr Gysi. — Dieses Gesetz ist — im Unterschied zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zur Aufstockung der Zahl der Europaabgeordneten — abhängig von der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages, mit der wohl kaum vor Ende dieses Jahres zu rechnen sein wird. Das bedeutet zunächst einmal, daß das passive Wahlrecht für EG-Bürger in unserem Lande für die nächste Wahl faktisch nicht gegeben ist, weil die Kandidatenaufstellung für das Europäische Parlament dann bereits im Gange sein wird und es kaum möglich sein dürfte, nach dem 1. Januar 1994 noch Kandidaten aus anderen EG-Ländern, also Unionsbürger, auf unsere Listen zu nehmen.
Eine Anfechtung der Europawahl sollte auf jeden Fall vermieden werden. Einen zweiten Fall Hamburg können wir uns nicht leisten.

(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Meier [SPD])

Dennoch bitten wir dringend um Vorschläge der Bundesregierung dazu, wie zumindest das aktive Wahlrecht für die Wahl im Juni 1994 gewährleistet werden kann. Wir sehen hier keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, daß EG-Bürger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland dieses Wahlrecht wahrnehmen können.
Außerdem bitten wir in diesem Zusammenhang, zu prüfen, ob die Luxemburger Verfassung hier ein unüberwindliches Hindernis darstellt. Sie hat nämlich die Besonderheit, daß mit der Wahlteilnahme von Unionsbürgern in Luxemburg eine Verfassungsänderung verbunden ist, wobei eine Verfassungsänderung in Luxemburg zugleich die Auflösung des Parlaments bedeutet. Wir können ja wohl nicht damit rechnen, daß Luxemburg vor der nächsten Europawahl wegen dieses Punktes sein Parlament auflöst. — Es ist bisher ungeklärt, ob das Rückwirkungen auf unser Wahlrecht für Unionsbürger hat. Auch hier erwarten wir rasch eine Antwort der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich möchte ich erneut auf ein Problem hinweisen, daß selbst mit der Gewährung des Wahlrechts für Unionsbürger bei uns ungelöst bleibt. Mit der entsprechenden Anpassung des Art. 28 unseres Grundgesetzes, der den Unionsbürgern das Wahlrecht gewährt, ist versäumt worden, Bürgerinnen und Bürgern, gleich welcher Staatsangehörigkeit, die dauerhaft in Deutschland leben, das Kommunalwahlrecht einzuräumen. Es ist schwer zu verstehen, daß z. B. in meiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr demnächst knapp 3 000 Unionsbürger die Bezirksvertretungen und den Rat der Stadt mitwählen können, während mehr als der doppelten Anzahl türkischer Einwohner, die zum großen Teil schon viel länger dort wohnen und von denen viele dort geboren sind, die Mitwirkung in kommunalen Angelegenheiten verwehrt bleibt.
Ich möchte die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien noch einmal dringend darum bitten, diesen Mangel zu beheben und unseren ausländischen Mitbürgern die aktive Teilnahme am politischen Leben zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Dies wäre auch ein wichtiges Signal gegen die Ausländerfeindlichkeit in unserer Zeit.
Ich habe eingangs gesagt, daß die SPD diesem Gesetzentwurf zustimmen wird. Er ist zwar unvollkommen und ergänzungsbedürftig, aber er ist ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Wir hoffen auf die Einsicht der Koalitionsfraktionen, daß weitere Schritte im Hinblick auf ein vereintes Europa und auf gute Nachbarschaft im Inneren und nach außen hin zu tun sind.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216914100
Meine Damen und Herren, wir, die Verwaltung und ich, waren uns nicht ganz einig, ob wir heute beschlossen haben, daß Reden generell oder nur für einen Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben werden können. In dieser Formalie möchte ich Klarheit schaffen. — Die Reden des Abgeordneten Lüder und des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Waffenschmidt sind zu Protokoll gegeben,') und das Haus ist damit einverstanden. — So. Damit ist dieser Formalie Genüge getan.
Wir kommen zunächst — Tagesordnungspunkt 22 a — zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Europawahlgesetzes, Drucksache 12/5230. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5332, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Die Frage nach den Gegenstimmen und den Enthaltungen erübrigt sich, weil alle dem zugestimmt haben.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Auch das ist einstimmig.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22b: Einzelberatung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlaktes, Drucksache 12/4985. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5304, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 22 c bis 22h. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/5127 bis 12/5132 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ich nehme an, daß das Haus damit
') Anlage 6



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
einverstanden ist. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind diese Überweisungen beschlossen.

(Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Listel)

— Es gibt ein Problem. Herr Dr. Gregor Gysi ruft mir gerade zu, daß nach dem Wunsch der PDS/Linke Liste die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/5127 bis 12/5132 zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Frauen und Jugend überwiesen werden sollen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es besteht offensichtlich Einverständnis. Damit sind die Gesetzentwürfe zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Frauen und Jugend überwiesen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Gruppe PDS/Linke Liste
Entwurf eines Verfahrensgesetzes zu Artikel 44 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertrag — vom 31. August 1990
— Drucksache 12/4955 —Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist so beschlossen.
Auch die Reden hierzu werden zu Protokoll gegeben, wenn das Haus damit einverstanden ist.*) — Das ist der Fall.
Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Ich erteile das Wort Herrn Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1216914200
Redet da außer mir kein Mensch?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216914300
Das wird sich herausstellen. Ich habe noch nicht alle Reden zu Protokoll. Da müssen wir abwarten, was Sie sagen. — Bitte sehr.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1216914400
Es wäre ja ein bißchen doof, wenn ich zu diesem Punkt ganz allein sprechen würde. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich ganz kurz fassen.
Sie kennen Art. 44 des Einigungsvertrages. Er ist ein ganz kompliziertes Konstrukt und deshalb entstanden, weil der Einigungsvertrag zunächst auch ein völkerrechtlicher Vertrag war. Aber alle wußten, daß eine Seite, ein Vertragspartner, mit der Erlangung der Rechtskraft dieses Vertrages untergehen wird. Die Frage war immer: Wie kann man dafür sorgen, daß der Vertrag dennoch eingehalten wird, wenn ein Partner einfach abhanden gekommen ist?
So ist man auf die Idee des Art. 44 gekommen und hat sich gesagt: Die neuen Bundesländer einschließlich Berlin müßten in der Lage sein, Rechte aus dem
*) Anlage 7 Einigungsvertrag geltend zu machen. Das ist dort geregelt.
Unser Problem besteht darin, daß der Einigungsvertrag ja leider kaum noch das Papier wert ist, auf dem er steht. Deshalb kümmert sich auch niemand um diesen Art. 44. Damit hängt nun wiederum zusammen, daß es kein Verfahrensgesetz gibt. Sie können nicht regeln, daß Lander ein Recht auf Durchsetzung des Einigungsvertrages haben und dies auch gerichtlich geltend machen können, ohne dafür auch Verfahrensvorschriften zu erlassen.
Ich nenne nur einmal ein paar Fragen:
Erstens. Materiellrechtlich geht es in dem Einigungsvertrag um Verfassungsrecht, um Verwaltungsrecht, um Zivilrecht, um Familienrecht, um Strafrecht. Es kommen noch Arbeitsrecht und Sozialrecht dazu und vieles andere mehr. Das heißt: Es sind die verschiedensten Rechtsgebiete berührt, für die in unserem Gerichtswesen völlig unterschiedliche Gerichte zuständig sind.
Zweitens haben wir gar nicht geregelt: Wer kann eigentlich im Land klagen? Kann die Landesregierung klagen? Braucht die dafür die Zustimmung des Landesparlaments? Wollen wir vielleicht, daß auch eine Minderheit eines Landesparlaments Klagerecht hat, um die Rechte eines Bundeslandes wahrzunehmen oder um wenigstens vor einem Gericht prüfen lassen zu können, ob der Einigungsvertrag durch eine Regelung verletzt worden ist oder nicht?
Ich meine, daß wir die Bundesregierung auffordern sollten, diese offensichtliche Gesetzeslücke zu schließen, daß sie einen Entwurf dazu vorlegen sollte, wie sie sich das Verfahren zur Durchsetzung des Art. 44 vorstellt: wer antragsberechtigt sein soll, wo die Anträge gestellt werden können, auf welchen Gebieten sie gestellt werden können, welche Anträge man als zulässig betrachten würde, welche als unzulässig. Zu klären wären auch die Frage „Wie ist es mit den Kosten der entsprechenden Gerichtsverfahren?" und anderes mehr. Das muß kein umfassendes Gesetz sein, aber es muß die wesentlichsten Punkte regeln, damit die neuen Bundesländer von diesem ihrem Recht letztlich überhaupt Gebrauch machen können.
Den einzigen Vorwurf, den ich sowohl den neuen Ländern als auch uns — das sage ich ganz ehrlich hier selbstkritisch — mache, ist, daß wir es bisher noch nicht beantragt haben. Seit dem 3. Oktober 1990 ist das also völlig offengeblieben, ohne daß sich wirklich einer darum gekümmert hätte. Ich sage extra: uns einbezogen.
Nun wird es höchste Zeit, daß wir diesen Mangel beseitigen, damit daraus ein aktives Recht für die neuen Bundesländer wird. Wenn dann ein solcher Entwurf vorliegt, können wir uns in den Fraktionen und Gruppen damit auseinandersetzen und sagen, welche Änderungen wir uns vorstellen. Wir brauchen hier aber zunächst einmal ein Angebot. Ich fände es nicht gut, wenn wir als Gruppe jetzt einen solchen Gesetzentwurf einbrächten, weil ich meine: Das muß zunächst einmal Aufgabe der Bundesregierung sein. — Dazu sollten wir sie auffordern, und dann sollten wir



Dr. Gregor Gysi
inhaltlich dazu Stellung nehmen und diese Rechtslücke beseitigen.
Es ist scheinbar nur ein rechtliches Problem, aber glauben Sie mir: Es ist für die Menschen in den neuen Bundesländern auch ganz wichtig, zu wissen, daß sie ihre eigenen Landesparlamente, gegebenenfalls auch Minderheiten in einem Landesparlament, ihre eigenen Landesregierungen unter Druck setzen können und sagen können: Jetzt gibt es doch ein Gesetz des Bundestages auf diese Art und Weise könntet ihr dieses oder jenes Recht aus dem Einigungsvertrag wenigstens gerichtlich durchzusetzen versuchen. Nun werdet also auch aktiv!
Vor einer allgemeinen Interpretation, wie das möglicherweise theoretisch gehen könnte, daß man sich nämlich je nach Rechtsgebiet an irgendein Gericht wendet, kann ich nur warnen, weil das nämlich bedeutet, daß wir einen Weg gehen, bei dem die Gerichte zunächst einmal über Jahre über Zuständigkeitsfragen entscheiden, anstatt gleich zur Sache zu kommen. Auf einen solchen Weg sollten wir uns nicht einlassen.
Deshalb brauchen wir ein Verfahrensgesetz. Wir brauchen es, damit wir nicht zunächst einmal über viele gerichtliche Instanzen klären: Wer darf eigentlich wo und unter welchen Bedingungen klagen? — Das wäre meines Erachtens eine Verlagerung einer politischen, gesetzgeberischen Aufgabe auf die Judikatur. Das sollte sich diese auch nicht bieten lassen.
Letzter Hinweis in diesem Zusammenhang: Wenn wir eine solche Regelung haben, dann werden die Landesparlamente und die Landesregierungen — davon bin ich überzeugt — davon auch Gebrauch machen, und dann werden bestimmte Fragen auch schneller geklärt werden.
Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel, nämlich die Verpflichtung des Bundes zur Erhaltung und zum Ausbau der in der DDR vorhandenen Kultursubstanz.
— Wo fängt das an? Wo hört das auf? Wer muß es im Streitfall entscheiden? — Das spielt z. B. für Ost-Berlin eine gravierende Rolle. Es ist im Augenblick keine Zuständigkeit für die Frage geregelt, wie man den Einigungsvertrag in dieser Hinsicht wirklich durchsetzen kann.
Deshalb meine große Bitte: Stimmen Sie dem zu! Wir kommen sicherlich einen Schritt weiter, wenn
— falls Sie zustimmen — der Entwurf der Bundesregierung dann vorliegt.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216914500
Meine Damen und Herren, die Abgeordnete Frau Monika Brudlewsky und der Abgeordnete Hans-Joachim Hacker haben ihre Reden zu Protokoll gegeben* ), der Abgeordnete Detlef Kleinert wird seine Rede zu Protokoll geben, und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt hat seine Rede zu Protokoll gegeben*).
*) Anlage 8
Ich kann nunmehr den interfraktionellen Wunsch erfüllen, die Vorlage auf — Drucksache 12/4955 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
Nutzung von Informationen der Staatssicherheil und anderer Geheimdienste über westdeutsche Politiker durch die Bundesregierung.
Diese Aktuelle Stunde wurde von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlangt.
Zunächst erteile ich der Abgeordneten Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1216914600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema der heutigen Aktuellen Stunde, dessen Umfang mit den Stichworten „Vöcking" und „Moskauer Stasi Akten" offenbar noch nicht ausreichend beschrieben ist, handelt es sich allem Anschein nach — wie es in der „Zeit" heißt — um einen der schlimmsten Fälle von Regierungskriminalität, die die Republik bisher erlebt hat.
In der Tat: Wie unangenehm das Thema offensichtlich nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der SPD ist, wird schon beim Blick auf die Tagesordnung bzw. auf die Armbanduhr deutlich. Mit vereinten Kräften — das muß ich hier ganz deutlich sagen — haben Union und SPD die von meiner Gruppe als erste beantragte Aktuelle Stunde ganz an das Ende der Sitzungswoche, also fast schon ins Sommerloch, abgedrängt. Nur zu diesem Zweck — so scheint es uns zu sein — hat die Union quasi aus der Hüfte heraus selbst noch eine Aktuelle Stunde beantragt. Auch der SPD waren andere Themen wichtiger. Keine Aktuelle Stunde, keine mündlichen, schriftlichen oder dringlichen Fragen zu diesem Fall, keine umfassende Berichtsanträge im Innenausschuß, keine sonstigen Initiativen, sondern Stillschweigen und Abwiegeln seitens der Sozialdemokraten! — Dahinter, so meinen wir, steckt offenbar ein Kalkül.
Mit der gleichen Konsequenz wehrten die Fraktionen Seit' an Seit' in den vergangenen Wochen unsere Aufklärungsversuche ab. Dringliche Fragen nach HVA-Akten und Absprachen zwischen Union und SPD: abgelehnt; Berichtsanträge im Innenausschuß zu den Verfassungsschutzaktivitäten gegen Herrn Engholm: abgeblockt; Berichtsantrag im Innenausschuß zu den Moskauer HVA-Akten: abgewimmelt.
Selbst in der PKK, in der die Altparteien bekanntlich unter sich sind, bestand am vergangenen Donnerstag offenbar keine Neigung — wenn man Herrn Hirschs Bericht über die Sitzung folgt —, Herrn Schmidbauer über diese Akten berichten zu lassen. Statt dessen ist Herr Klose nach eigenem Bekunden über den Inhalt informiert worden, und der gibt daraufhin beschwichtigende Erklärungen heraus, die niemand überprüfen kann. Auf Grund welcher Zuständigkeit eigentlich Herr Klose? Warum wird nicht der Bundestag über einen solchen Vorgang informiert, wie es sich gehört



Christina Schenk
hätte, warum nicht dessen Innenausschuß oder die unselige PKK? Warum erhält die Gauck-Behörde diese Akten nicht — das Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht das ja anders vor —, ja noch nicht einmal eine Information über deren Existenz, wie uns die Behörde letzten Dienstag bestätigte? Warum wird die Behörde sogar auf Nachfrage im Ministerium mit spitzfindigen Nichterklärungen abgewimmelt? — Das, meinen wir, ist ein Unding!
Aber diese Methode ist bereits von den Akten bekannt, die Herr Diestel seinerzeit an die Geheimdienste verschob. Die Strafbarkeit dieses Vorgangs hat die Berliner Staatsanwaltschaft kürzlich verneint, und zwar mit einer Begründung, die wir nur als skandalös bezeichnen können.
Diese Methode ist auch von den etwa 50 m HVAAkten bekannt, die bei den Diensten ausgewertet worden sind, über deren Existenz die Gauck-Behörde im vergangenen Herbst erst aus dem „Spiegel" erfuhr, während die Regierung auf unsere mehrfachen Nachfragen weiter leugnete. — Ich meine: So kann man weder mit dem Parlament noch mit Herrn Gauck umgehen!
Diese Zurückhaltung im Umgang mit HVA-Akten, die möglicherweise erstmals mehr Informationen auch über westdeutsche Politiker und Prominente enthalten, erscheint noch in einem besonderen Licht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß keine — ich betone: keine — der ehemals westdeutschen Parteien bisher offensiv ihre möglichen Berührungspunkte mit der Staatssicherheit offengelegt hat. Statt dessen sind gerade in diesen Tagen schon wieder Forderungen nach Amnestie und der Satz zu hören, man solle einen Schlußstrich unter die Aufarbeitung ziehen. Das muß gerade aus dem Munde von Herrn Hirsch sehr erstaunen. Wir lehnen das entschieden ab.
Ein Ende haben muß die Heimlichtuerei um die Hintermänner, Mitwisser und Mittäter des „VöckingCoups". Mit der Theorie vom Alleingang eines ansonsten pflichtgetreuen Staatssekretärs und von dessen angeblichem Motiv, steckengebliebene Recherchen nach einem Spion zu beschleunigen, können Sie wirklich niemanden überzeugen.
Zu durchsichtig ist auch der offensichtliche Versuch, fünf Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein über den dortigen CDU-Chef Klaus Kribben, über das dort besonders häufig gelesene „Hamburger Abendblatt" und direkt über weitere Kieler Journalisten Schlagzeilen gegen den Kandidaten Engholm zu produzieren. — Ich zitiere:
Hier sollte der Versuch gemacht werden, Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz für die tagespolitische Auseinandersetzung zu nutzen.
Diese Bewertung ist nicht von mir formuliert worden, sondern vor acht Jahren von Stefan Pelny, jenem Pelny, den Herr Schmidbauer heute als Chef der Staatskanzlei Kiel mit einem Ermittlungsverfahren überziehen lassen wollte und der damals noch Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war. In dieser Funktion war er an einem Parallelfall von gezielter Aktendurchsteckerei beteiligt und hatte dar-
über vor dem Untersuchungsausschuß Tiedge auszusagen.
Der damalige Fall macht deutlich, daß die schwarzgelbe Bundesregierung noch nie davor zurückgeschreckt ist, den Verfassungsschutz gegen politische Gegner zu nutzen. Damals ließ der heutige Minister Spranger drei Dossiers über grüne Politikerinnen und Politiker anfertigen und lancierte diese über den Kollegen Todenhöfer u. a. in die „Bild"-Zeitung. Auch damals wurde — wie heute im Fall Vöcking — mit der Verschlußsachenklassifizierung getrickst. Und ähnliches zu Lasten der Grünen leisteten sich 1987 auch die christdemokratischen Parteifreunde in Kiel mit dem Verfassungsschutz.
Auch deswegen, weil sich die Union nicht das erntemal ertappen ließ, muß nun endlich Schluß sein mit den Vertuschungsversuchen, muß die ganze Wahrheit auch über die Rolle der SPD auf den Tisch.
Vielen Dank.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ja, wer klatscht nun?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216914700
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Joseph-Theodor Blank.

Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID1216914800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei mancher Aktuellen Stunde habe ich mich schon nach ihrem Sinn gefragt. Meistens habe ich nach längerem Nachdenken auch einen gefunden. Heute fällt es mir ausgesprochen schwer;

(Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Thema „Heroin" fällt es nicht schwer, ja?)

denn das, was hier heute diskutiert werden soll, gehört jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht in das Plenum des Bundestages, sondern in die Parlamentarische Kontrollkommission. Deshalb kann auch heute hier zu den entscheidenden Fragen gar nichts gesagt werden, und deshalb möchte ich nur einige Anmerkungen machen.
Meine Fraktion ist erleichtert, daß es der Bundesregierung gelungen ist, nachrichtendienstliches Material zu gewinnen, das zur Enttarnung einer großen Zahl, möglicherweise aller noch unentdeckten MISSpione auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik Deutschland führen dürfte. Wir hoffen, daß es rasch gelingt, alle Agenten zu identifizieren und einem rechtsstaatlichen Verfahren zu überantworten.
Von 1 000 Agenten und 2 000 Spuren ist die Rede. Damit deutet sich eine Zahl von Spionen an, die alle bisherigen Vorstellungen weit übersteigt und die erschreckend deutlich macht, mit welch rattenhafter Verbissenheit das SED-Regime Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland betrieben hat. Es zeigt aber auch zugleich, wie doch ziemlich hilflos unsere Spionageabwehr diesem Angriff gegenübergestanden hat, und es wirft die Frage auf, wo die Gründe für die unzureichende Effizienz unserer Spionageabwehr zu suchen sind. Wir wünschen, daß auch dieser Frage nachgegangen wird. Geheimdienste gehören zur



Dr. Joseph-Theodor Blank
Realität dieser Welt und sind auch für Deutschland unverzichtbar, aber sie müssen effizient organisiert und leistungsfähig sein, damit der schwierige und risikovolle Einsatz der Mitarbeiter und der große finanzielle Aufwand zu verantworten sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Es heißt, die jetzt entdeckten Spione seien in allen Parteien, in allen wichtigen Bereichen von Staat, Politik, Presse und Wirtschaft tätig gewesen. Auch aus diesem Grunde schon sollten die Verantwortlichen der Versuchung widerstehen, diese Vorgänge parteipolitisch auszuschlachten.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Bundesregierung, insbesondere der Koordinator für die Geheimdienste, wie auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sind zur korrekten und parteipolitisch neutralen rechtsstaatlichen Erledigung dieser Vorgänge verpflichtet. In Zusammenarbeit mit dem Generalbundesanwalt sollte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Verfahren festlegen, dem auch die Opposition vertrauen darf. Wir würden es begrüBen, wenn ein Weg gefunden würde, das Verfahren so früh wie möglich in die Hände oder in die Mitverantwortung des Generalbundesanwalts zu legen.
Es wird Aufgabe der PKK sein, sich laufend informieren zu lassen und insbesondere auf die Einhaltung eines korrekten Verfahrens zu achten. Wir können nur hoffen, daß diese Vorgänge im Wahljahr 1994 nicht als Material einer parteipolitischen Schlammschlacht dienen.
Des weiteren möchte ich auch von dieser Stelle aus alle früheren oder gar jetzt noch aktiv tätigen Spione, die in einer Phase schwieriger deutscher Geschichte gefehlt haben, dringend auffordern, sich den Behörden zu stellen und damit die Chance einer Strafmilderung oder sogar eines Strafverzichts zu nutzen.
Ich richte auch ein Wort an die ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS in der früheren DDR, zur zügigen und vollständigen Aufarbeitung und zum raschen Abschluß eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte beizutragen. Ich warne diese ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter ausdrücklich davor, etwa in konspirativen Kreisen aktiv zu bleiben und sich gegen Geist und Vorschriften unserer Rechtsordnung zu stellen.
Zum Schluß: Ich habe bei dieser Materie das Vertrauen, daß die PKK ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung gerecht werden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216914900
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Peter Struck das Wort.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1216915000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr, es ist heute ein sehr ungeeigneter Zeitpunkt für eine Aktuelle Stunde: am Freitagnachmittag, am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause. Ich bedaure das sehr. Dieser Termin ist gegen unseren Willen festgesetzt worden. Wir hatten vorgeschlagen, dieses Thema spätestens heute morgen zu diskutieren, um das auch der Öffentlichkeit vermitteln zu können. Aber die Entscheidung ist gegen unseren Willen gefallen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vernünftigerweise!)

Ich möchte zweitens erklären, daß es zur deutschdeutschen Geschichte gehört — und niemand soll sich Illusionen darüber machen —, daß im Laufe der Zeit eine Reihe von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland mit einem Strafverfahren überzogen werden, weil sie gegen unsere Strafgesetze verstoßen haben, indem sie für die damalige DDR agentenmäßig tätig geworden sind. Das gehört zur deutsch-deutschen Geschichte, und es ist gut, daß wir diese deutschdeutsche Geschichte aufarbeiten.
Es gibt gar keinen Zweifel daran, daß jede gesellschaftliche Gruppierung in der Bundesrepublik Deutschland betroffen sein wird. Es wäre ein bißchen aberwitzig, anzunehmen, es gäbe einen Bereich, der auszunehmen ist. Jedermann weiß — zumal wir auch schon bekannte Fälle haben —, daß sich das auch auf alle politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland bezieht. Es wäre auch gegen jede Lebenswahrscheinlichkeit, wenn das nicht so wäre. Was für den Handel, die Wirtschaft und die Technik gilt, das gilt natürlich auch für politische Parteien.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich öffentlich feststellen: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat keinerlei Grund, Angst vor den Namen zu haben, die nachher vom Generalbundesanwalt mit einem Ermittlungsverfahren überzogen werden, weil die Strafgesetze es verlangen. Ich widerspreche deshalb ganz entschieden allen Thesen, die in der letzten Zeit von einer interessierten Öffentlichkeit verbreitet worden sind, man habe hier, auf welchem Wege auch immer, eine Vereinbarung mit der Regierung getroffen und sich von der Regierung unter Druck setzen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bedaure außerordentlich, daß diese Diskussion dadurch entstanden ist, daß ein ehemaliger Abteilungsleiter im Kanzleramt und jetziger Staatssekretär im Innenministerium sich beamtenrechtswidrig verhalten hat. Es gibt gar keinen Zweifel daran, daß das, was Herr Vöcking getan hat, nämlich dienstliches Material an eine Journalistin zu geben, dringender Anlaß war, diesen Mann in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Daran gibt es gar keinen Zweifel!

(Beifall bei der SPD)

Für mich gibt es auch keinen Zweifel, daß das Verhalten dieses Mannes, das ja auch Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ist, unabhängig vom Ergebnis dieser staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen für uns Sozialdemokraten so gravierend ist, daß er nicht mehr in die Bundesregierung zurückkehren darf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es ist in diesem Zusammenhang — und das ist für uns Sozialdemokraten besonders erschreckend — sehr wohl darauf hinzuweisen, in welchem zeitlichen Kontext das Verhalten von Herrn Vöcking gestanden



Dr. Peter Struck
hat. In der Tat ist es so, daß dieses Papier, das einen angeblichen Spion in der näheren Umgebung von Engholm entlarven helfen sollte, just in der Woche vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im April letzten Jahres zugespielt worden ist.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Hört! Hört!)

Da stellt sich dann schon die Frage, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und von der Bundesregierung: Was steht denn wohl dahinter, warum denn gerade zu diesem Zeitpunkt?
Ich möchte hier für meine Fraktion sagen, daß für uns die Angelegenheit Vöcking nicht erledigt ist, daß wir entschieden den Vorwürfen nachgehen werden und daß wir entgegen den öffentlichen Erklärungen, die auch der Chef des Bundeskanzleramtes abgegeben hat, das sei eine Einzelaktion von Herrn Vöcking, mehr und mehr den Verdacht haben, daß es sich nicht um die Einzelaktion eines Menschen handelte, der Agenten jagen wollte.
Wir haben vielmehr den Eindruck: Wenn es auch nur in der Form geschehen ist, daß allgemein im Bundeskanzleramt darüber geredet wurde, ob man nicht irgend etwas gegen Herrn Engholm machen könne, weil er ja Kanzlerkandidat der SPD und ein bedeutender Spitzenpolitiker der SPD sei, muß das wohl doch auch ein Motiv für die Handlungsweise von Herrn Vöcking gewesen sein.
Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, diesem Verdacht nachzugehen. Ich erkläre abschließend für meine Fraktion: Wir behalten uns ausdrücklich vor, in dieser Angelegenheit einen Untersuchungsausschuß einzurichten, der dann sehr genau die Rolle sämtlicher Beteiligten im Kanzleramt zu prüfen haben wird.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216915100
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1216915200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann den Ärger der Frau Kollegin Schenk darüber verstehen, daß die Aktuelle Stunde auf diesen Zeitpunkt anberaumt worden ist, zu dem gleichzeitig eine gemeinsame Sitzung von Innenausschuß und Rechtsausschuß läuft, in der wir uns über die Vorgänge in Bad Kleinen informieren lassen wollen. Ich bitte wirklich die Geschäftsführer und das Präsidium, das solche Terminvereinbarungen trifft, sich zu überlegen, was es damit uns als Abgeordneten zumutet. Das geht so nicht, und das kann auf Dauer so nicht hingenommen werden.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Ich habe Ihnen, Frau Kollegin Schenk, gestern aber schon gesagt, daß ich es für unparlamentarisch und unzumutbar halte, wenn Sie hier Verdächte, die Sie haben oder haben mögen, flugs als Tatsachenbehauptungen in die Welt streuen. Sie haben zwei Komplexe angesprochen. Einer ist der Vorgang um den beurlaubten Staatssekretär Vöcking.
Der Innenausschuß hat sich mit dem Fall Vöcking mehrfach und eingehend beschäftigt. Es ist nicht meine Sache, hier in dem Augenblick ein Urteil zu fällen, in dem ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren läuft. Das Verfahren läuft, der Beamte ist beurlaubt worden. Wir werden abwarten, zu welchem Ergebnis das Verfahren führt. Ob hier ein Fall von Geheimnisverrat vorliegt oder nicht, werden die Ermittlungen ergeben. Dann ist es Zeit, Konsequenzen zu ziehen, nicht vorher. Wenn Sie parlamentarische Konsequenzen ziehen wollen, steht Ihnen das frei. Sie haben das Recht dazu. Wir werden dem nicht entgegentreten, wenn Sie das für notwendig halten. Wir glauben aber, daß die Reihenfolge eingehalten werden muß.
Herr Kollege Penner, wir haben uns mit dem Fall Vöcking einmal auch in der Parlamentarischen Kontrollkommission befaßt. Darum möchte ich Ihnen, Frau Schenk, sagen: Sie haben hier so leicht dahingesagt: die Kontrollkommission, in der die Altparteien zusammenhocken. — Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben uns nach dieser Aufgabe nicht gedrängt. Jeder von uns ist von der Mehrheit dieses Hauses in diese Funktion gewählt worden, und wir haben alle einen Namen zu verlieren. Wir werden peinlich darauf achten, daß weder durch unsere Tätigkeit noch durch üble Nachrede unser Name in Gefahr gerät. Das kann ich Ihnen versprechen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Gehen Sie mit der Ehre und dem Ansehen anderer Leute ebenso sorgfältig urn, wie Sie wollen, daß mit Ihnen umgegangen wird.

(Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir mit anderen so umgehen würden, wie mit uns umgegangen wird!)

Nun möchte ich noch etwas zu der Erklärung sagen, daß Akten, woher auch immer — über Moskau oder sonstwie —, in die Hände der Nachrichtendienste gekommen seien, aus denen nun Kenntnisse hergeleitet werden. Ich habe dazu erklärt, daß wir uns in der Parlamentarischen Kontrollkommission natürlich im einzelnen damit befaßt haben, daß wir aber keine Erkenntnisse über die Quelle der Informationen — wo sie herkommen — haben und haben wollen. Das ist nicht unseres Amtes. Wir wollen nicht eine Quelle in Gefahr bringen.
Es kommt vielmehr auf etwas ganz anderes an, nämlich darauf, was mit Erkenntnissen darüber geschieht, daß eine Vielzahl von Personen, weit mehr, als ich vermutet hatte, Abgeordnete, Beamte, Journalisten, in der Vergangenheit hier in der Bundesrepublik offenbar für das MfS tätig war. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß mit diesen Kenntnissen, wenn sie belegt sind, weder parteipolitisch Beute gemacht wird — darüber sind wir uns alle einig — noch ein einziger Fall, aus welchem Grund auch immer, unter den Teppich gekehrt wird. Die ganze Tätigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission in dieser Frage richtet sich darauf, sicherzustellen, daß dieses Ziel erreicht wird.
Hier kann ich nun wirklich für die Kommission sagen, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses und die beteiligten Ressorts der Bundesregierung in dieser Frage absolut einig • sind: Es wird nichts unter den



Dr. Burkhard Hirsch
Teppich gekehrt werden, es wird alles an den Generalbundesanwalt gehen, und wir wollen, daß das so schnell wie möglich geschieht, damit nicht irgendwelche wahlpolitische Beute damit gemacht wird.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Das ist das Entscheidende, und Sie sollten dazu beitragen, daß nicht in der deutschen Öffentlichkeit Mißtrauen gesät wird.
Sie haben eine Bemerkung zur Frage der Amnestie gemacht. Ich habe gesagt, und das habe ich auch schon vor Jahren getan: Wir werden uns gemeinsam entschließen müssen, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen und wie wir sie aufarbeiten. Eine Amnestie kommt nicht in Frage, wenn die Vermutung entstehen müßte, daß die Parteien sich selbst amnestieren. Eine Amnestie kommt nur in Frage, wenn sie dazu beiträgt, zu Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft zu führen, nicht zu Haß und zu Unzufriedenheit, sondern zu Rechtsfrieden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) Dazu gehört ein breiter öffentlicher Konsens.

Nur: Ich kann mir nicht vorstellen, daß die deutsche Vergangenheit durch das Landgericht Bonn oder das Amtsgericht Berlin-Mitte aufgearbeitet wird. Das kann nicht funktionieren. Wir haben ja in diesem Hause eine Enquete-Kommission eingerichtet, um mehr Klarheit zu gewinnen, was geschehen ist und was geschehen muß. Aber irgendwann wird auch für uns der Zeitpunkt kommen, zu sagen, welche Schlüsse wir daraus ziehen, nicht da, wo es individuelle Opfer gibt, aber da, wo es um die Frage geht: Wie gehen wir eigentlich mit Verstrickungen um, denen Menschen unterworfen sind?

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216915300
Da die Abgeordnete Ulla Jelpke ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, kann ich Herrn Staatsminister Schmidbauer das Wort erteilen.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1216915400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu dem Problem der Aufarbeitung der Altlast der ehemaligen MIS-Agenten in Westdeutschland einige Vorbemerkungen machen.
Erstens. Frau Kollegin Schenk, es wird nicht richtiger, wenn Sie Pressemitteilungen zitieren und gleichzeitig das tun, was Sie für sich selber ausgeschlossen sehen wollen: andere diskriminieren. Es gibt bei uns eine feste Regel, daß das, was zu diesen Problemen zu sagen ist, in der PKK offen diskutiert wird, heftig, offen und fair. Dies ist bis heute morgen der Fall gewesen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Gesetze verletzt werden, auch nicht das Stasi-UnterlagenGesetz.
Zweitens. Es ist auch nicht richtig — ich habe das noch nicht öffentlich ausgesprochen, will es aber tun —, daß von meiner Seite zu irgendeinem Zeitpunkt versucht wurde, gegen irgend jemanden in
Schleswig-Holstein, auch nicht gegen Herrn Pelny, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das ist blanker Unsinn. Das sage ich ein für allemal. Wer das Gegenteil behauptet, soll die Beweise auf den Tisch legen.
Eine letzte Bemerkung zu Urteilen über das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich darf Ihnen sagen: Dies ist keine Behörde, die im Wildwuchs, im Gestrüpp arbeitet. Es ist eine kontrollierte Behörde, die diesem Land nutzt und die ihre Aufgabe ernst nimmt.
Herr Kollege Struck, ich bin Ihnen sehr dankbar, auch wenn Sie einige Fragen angezogen haben, die ich nicht so sehe. Die eine ist, daß die Situation, was diese Aufarbeitung anbelangt, durch diese Aktion des Staatssekretärs entstanden ist. Wir hätten dieses Problem mit und ohne diesen Vorgang gehabt. Wir hätten es vielleicht in einem anderen Klima gehabt, und wir hätten uns vielleicht ohne die Hektik der vergangenen Tage etwas leichter getan. Aber das hat mit der Problematik, über die wir reden, nichts zu tun.
Ich gebe Ihnen auch recht, daß wir, wenn offene Fragen bleiben, diese offenen Fragen beantworten müssen, egal wo und egal mit welcher Methode. Hier stehen wir überhaupt nicht im Wege.
Nun zu den eigentlichen Punkten, die ich hier ansprechen will.
Erstens. In der kommenden Woche wird durch den Generalbundesanwalt ein Sammelverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Spionage eröffnet. Damit sind alle Informationen unter der Sachherrschaft des Generalbundesanwalts und damit dem Legalitätsprinzip unterworfen. Damit ist auch die Garantie rechtsstaatlicher Verfahren gegeben.
Bereits in der kommenden Woche wird es zu einer Abgabe einer großen Zahl Fälle vom Bundesamt für Verfassungsschutz an den Generalbundesanwalt kommen. Die Unterrichtung der Fraktionen bzw. Parteien wird entsprechend dem Informationserlaß erfolgen oder ist bereits erfolgt.
Zum Verfahren: Ich bin sehr dankbar, daß durch die Parlamentarische Kontrollkommission Verantwortung mit übernommen wurde. Es ist nicht leicht, auch nicht für den Koordinator, im Wissen um diese Angelegenheiten alleine zu stehen, ohne daß ihn ein Gremium dabei unterstützt und mit dafür sorgt, daß das Verfahren rechtsstaatlichen Gepflogenheiten entspricht. Dies ist geschehen. Dafür bin ich — wie auch die anderen Mitglieder der Bundesregierung in der PKK — sehr dankbar.
Ich will auch wiederholen, um einem weiteren Unsinn entgegenzutreten, was ich bereits in der Parlamentarischen Kontrollkommission gesagt habe

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Vorsicht!)

— das ist nicht das Zitat, Herr Penner —: Alle gesellschaftlichen Gruppierungen sind betroffen. — Herr Penner hat recht; er macht den Hinweis: Nichts aus der PKK! Da es hier aber gesagt wurde, will ich es wiederholen, und ich sage es gern aus einem ganz bestimmten Grund: Die Parlamentarische Kontrollkommission ist mit uns im Verfahren, in dem Weg, in der Geschwindigkeit und in den anderen Fragen einig.



Staatsminister Bernd Schmidbauer
Ich will auch, Herr Kollege Struck, einmal darauf hinweisen, daß es nach diesen Vorgängen und nach dem, was jetzt alle Fraktionen hier berichtet haben, absurd ist, der SPD zu unterstellen, sie sei handsam gemacht, sie sei rücksichtsvoll im Verfahren. Im Gegenteil, ich kann das, was meine Person betrifft, überhaupt nicht feststellen. Wer dies in der Presse auch noch bestätigt haben will, dem kann ich nur sagen, daß ich mich von der SPD im Moment sehr ungerecht behandelt fühle, das aber aushalten will, weil es zum Geschäft gehört. Aber in der Presse setzt sich ein solcher Unsinn offensichtlich durch, damit suggeriert wird, da wäre irgend etwas.
Dazu möchte ich noch sagen, daß die SPD bei den Kenntnissen, die sie inzwischen hat, nicht in Panik versetzt sein muß. Ein Mitglied der SPD-Fraktion als Agent ist nicht der SPD-Fraktion anzulasten, und ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion als Agent ist nicht der CDU/CSU anzulasten. Dies können Sie nun auf alle anderen Fraktionen, Parteien, Gruppierungen, Gewerkschaften, Pressevertreter ausdehnen. Darüber wird natürlich nicht geredet.
Es entsteht so der Eindruck, als ob unter den 2 000 angenommenen Fällen eine Menge Abgeordnete des Deutschen Bundestages wären. Ich fürchte, daß sich manche am Ende die Augen reiben. Es wären maximal etwas über 600 möglich; auch das will ich dazu sagen.
Ein Letztes, weil es gestern wieder in der Presse war, zum Fall Juras: Es gab und gibt nur den Fall Juras. Es gab nie den Fall Engholm. Es gibt deshalb auch keine entsprechenden Aktivitäten.
Ich will die Begründungen, die in der Presse gegeben wurden, nicht wiederholen, um sie nicht zu verstärken. Ich darf nur sagen, daß mir sehr daran liegt, daß wir diesen Verratskomplex sehr schnell zu Ende bringen.
Eine letzte Bemerkung: Man sollte nicht über Amnestie reden, sondern wieder darüber, daß es Menschen in den neuen Bundesländern gibt, die für diese Behörden gearbeitet haben und die eine Chance brauchen, in die Gesamtbevölkerung wieder integriert zu werden, und die auch eine Chance für die Zukunft brauchen. Darüber müssen wir nachdenken. Aber dazu gehört zuerst die Aufarbeitung aller Vorgänge in dieser Behörde. Dafür wollen wir in den nächsten Wochen und Monaten weiterarbeiten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216915500
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1216915600
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Kunde vom drohenden Aufmarsch vieler hundert Agenten, von Namen, wohlverwahrt in Akten finsterer Bedeutung, ist eben doch nicht zu trennen von jener peinlichen Szene, die uns der mittlerweile in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretär Johannes Vöcking jüngst im Innenausschuß bot. Auf unser Drängen übrigens, Frau Schenk, ist er geladen worden. Ich weise hier überhaupt den Vorwurf, die SPD hätte sich im Innenausschuß hinhaltend vorsichtig oder sogar abwiegelnd verhalten, mit allem Nachdruck zurück.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Auftritt war ein schon bemitleidenswertes Bild eines bis dahin hochgeschätzten Beamten, der seine Darstellung mit so geringer Überzeugungskraft lieferte, daß man ihm auf Schritt und Tritt anmerkte, daß er selbst nicht recht glauben mochte, was er uns da erzählte.
Beides, die Geschichte von den vielen hundert Akten und jene Darbietung der Hintergründe vom Staatssekretär, steht deshalb im Zusammenhang, weil manche uns Sozialdemokraten unterstellen — wir haben heute noch einmal eine Kostprobe davon bekommen —, wir behandelten einen Skandal hasenfüßig, nämlich aus Angst vor unangenehmen Enthüllungen, die aufkämen, wenn wir mit dem Kanzleramt zu hart ins Gericht gingen. Wir haben eben von Herrn Schmidbauer gehört: Dieser Vorwurf ist uns wahrhaftig nicht zu machen.
Ich halte deshalb, wie schon mein Kollege Peter Struck, fest: Wir haben keinen Anlaß zu Furcht und übertriebener Vorsicht. Wir verlangen vielmehr lükkenlose und schnelle Aufklärung, eine umfassende Klärung.
Wir werden uns auch auf Ablenkungsmanöver nicht einlassen.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Da muß man festhalten: Allein schon die Übergabe von geheimem Material durch einen hochkarätigen Mitarbeiter des Kanzleramtes an eine Journalistin ist ein ungeheuerlicher Vorgang.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Es ist, belegt und eingestanden, der Versuch, aus dem Machtzentrum dieser Regierung heraus durch Lancieren von Mitteilungen die Presse dazu zu bringen, aktiv Politik zu betreiben. Daß es nicht funktionierte, ist dieser angepeilten Journalistin hoch anzurechnen. Sie nämlich fügte sich nicht in das Bonner Wechselspiel zwischen Trägern von Macht und Meinung ein.
Aber ich halte auch fest: Das ist nicht allein ein Fall Vöcking, der mit dem einstweiligen Ruhestand des Betroffenen abzuhaken ist. Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, daß schleswig-holsteinische Journalisten mit Bleichgelagerten Informationen über einen Spion im Umfeld Björn Engholms versorgt wurden. Adressaten solch brisanter Neuigkeiten waren off enbar allesamt norddeutsche Medien. Warum wohl?
Kann es Zufall sein, daß sich dies alles Ende März und Anfang April 1992 kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein zutrug und daß in enger zeitlicher Nähe mit der Weitergabe des Sachkriterienkataloges zur Person Juras andere, mittlerweile längst wieder-legte Theorien über mögliche andere Spitzeltätigkeiten in der Umgebung Björn Engholms gestreut wurden?



Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Es tut mir leid, so viele zeitliche Parallelen unter der Rubrik Zufall abzuhaken, das fällt mir einfach zu schwer.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wage ich die These: Vieles spricht dafür, daß es sich um eine abgekartete, um eine gesteuerte Aktion zur Destabilisierung und Verunglimpfung eines Politikers handelte, der sich wenige Wochen zuvor zur Kanzlerkandidatur entschlossen hatte und kurz vor einer Landtagswahl stand.
Deshalb sind unsere Fragen legitim: Was tat Herr Vöcking auf wessen Geheiß, und wann, Herr Schmidbauer, wußten Sie von der Weitergabe dieses Materials? Konnte all dies dem Kanzler selbst verborgen bleiben?

(Staatsminister Bernd Schmidbauer: Haben wir alles beantwortet!)

Wie oft wurde der schleswig-holsteinische Oppositionsführer vor der Wahl im Kanzleramt vorstellig, um sich etwaigen Rat und etwaige Munition im Kampf gegen den politischen Gegner zu holen? Für all dies fordern wir Klärung. Sie ist bisher nicht da. Weil die ganze Angelegenheit stinkt —um es umgangssprachlich auszudrücken —, wollen wir Antwort.
Die Bundesregierung hat sich vom Kommentar einer seriösen Wochenzeitung mit dem schlimmen Vorwurf der Regierungskriminalität nicht distanziert. Wo bleibt denn die empörte Zurückweisung, wenn es denn nicht so ist? Statt dessen erleben wir neue intensive Aktivitäten der Gegenwehr, seit die Affäre in der Öffentlichkeit ist.
Ich wiederhole: Wir fürchten keine Enthüllungen als Retourkutsche für Unbotmäßigkeit. Wir wollen vielmehr die volle Wahrheit. Wir haben keinen Grund zu warten, bis die Bundesregierung irgendein Herrschaftswissen gezielt preisgeben sollte und könnte, um dem politischen Gegner zu schaden. Wir wollen Aufklärung über den Skandal der Weitergabe geheimer Materialien an die Presse.
Deshalb behalten wir uns die Einberufung eines Untersuchungsausschusses vor. Oder aber die Bundesregierung legt sofort alle Fakten auf den Tisch und spricht eine offizielle Entschuldigung aus. Sie haben die Wahl.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216915700
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Willfried Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1216915800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Nutzung von Informationen der Staatssicherheit und anderer Geheimdienste über westdeutsche Politiker ... " — so das Thema unserer Aktuellen Stunde — richtet sich allein und ausschließlich nach den Regeln des Rechts, etwa nach den Rechtsfolgen des Einigungsvertrages ebenso wie nach den Vorschriften des Stasi-Unterlagengesetzes, nach den Vorschriften des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst und des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Datenschutzregeln sind zu beachten. Die Geheimschutzordnung ist zu respektieren. Die Akten sind nach der Aktenordnung in Ordnung zu halten.
Und die Vorschriften des Strafrechts sind nicht zu brechen.
Die Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht leitet sich aus dem Grundgesetz ab, und zwar aus der Ewigkeitsbestimmung des Art. 20. Dieses dichte Netz von Rechtsvorschriften und Gesetzen braucht die Bundesregierung beim Umgang mit diesem unappetitlichen Material nur zu beachten, und sie befindet sich auf sicherem Boden. Sie muß es aber auch tun. Wenn die Bundesregierung nämlich dagegen verstößt, bricht sie das Recht, im Falle eines Ministers oder gar des Bundeskanzlers sogar den Amtseid,

(Beifall bei der SPD)

mit dem er die Einhaltung von Gesetz und Recht geschworen hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Zusammenbruch der osteuropäischen Staatsordnungen und der damit verbundenen Öffnung von Archiven der dortigen Geheimdienste sind deren Erkenntnisse ins politische Vagabundieren geraten. Sie werden privat gehandelt, teuer gekauft und verkauft. Alle Dienste der maßgebenden Staaten dieser Welt interessieren sich dafür. Es ist der Stoff, mit dem Politik von ihrer garstigen Seite her gestaltet werden kann, politische Karrieren gefördert oder auch beendet werden können, mit dem politische Konkurrenz in Schach gehalten werden kann. Dies geschieht mit den gängigen Methoden der Indiskretion, die dann durch Berufung auf „seriöse Quellen" abgestützt wird.
Der Bundeskanzler hat wiederholt und öffentlich beteuert, er würde sich solche geheimdienstlichen Erkenntnisse nicht parteipolitisch zunutze machen. Wohlan! Dies ist eigentlich selbstverständlich und schon gar keine Großzügigkeit. Es ist doch ganz einfach zu behalten und darf nicht vergessen werden: Auch der Bundeskanzler ist an Gesetz und Recht gebunden. Das gilt auch für den Umgang mit Geheimdienstunterlagen. Wer das nicht akzeptieren will — mein Gott, kein Mensch ist gezwungen, Bundeskanzler zu werden oder zu bleiben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten möchten den Worten des Herrn Bundeskanzlers gerne Glauben schenken. Aber es gibt da ein objektives Problem. Ich meine den zeitgleich geschehenen Fall Vöcking und dessen Jagdeifer, obwohl er eigentlich gar nicht für Agentenjagd zuständig war und schon gar nicht für das Streuen von Dossiers zu Lasten von Engholm, der sich ja auch noch im Wahlkampf befand. Ist es plausibel, ist es wirklich einleuchtend, daß ein Karrierebeamter vom besonderen Zuschnitt des Herrn Vöcking so ganz auf eigene Faust gehandelt hat?

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Nein, mit der Zurruhesetzung Vöckings und dem Hinweis auf ein Ermittlungsverfahren ist es nicht getan. Das Strafrecht ist das ethische Minimum und nicht etwa das politische Maximum.

(Beifall bei der SPD)




Dr. Willfried Penner
Die Schweinerei der Machenschaften gegen Engholm hat im Bundeskanzleramt ihren Sitz.

(Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Na, na, Herr Staatsanwalt!)

Vöcking ist ein Mann der Wahl des Bundeskanzlers. Das Bundeskanzleramt ist das Haus des Bundeskanzlers, und dafür trägt der Bundeskanzler in jeder Hinsicht, auch in organisatorischer Hinsicht, die volle und direkte Verantwortung.

(Beifall bei der SPD — Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist eine unsubstantiierte Vorverurteilung!)

Wann endlich, Herr Bundeskanzler, wird es das Volk erleben, daß der Bundeskanzler zu seiner direkten Verantwortung steht, sie nicht auf Dritte abwälzt und endlich auch einmal selber Konsequenzen zieht?
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das war aber schwach!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1216915900
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Sommerpause eintreten, muß ich Sie darauf hinweisen, daß uns bei der Benennung der Mitglieder für die Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR", die das Plenum am 29. April 1993 vorgenommen hat, ein Fehler unterlaufen ist, was beweist, daß der Deutsche Bundestag nicht unfehlbar ist. Es muß also eine Richtigstellung vorgenommen werden, und dazu muß ich Ihre Zustimmung einholen. Es geht um folgende Richtigstellung: Die Fraktion der SPD benennt als ordentliche Mitglieder den Abgeordneten Gerd Wartenberg (Berlin) und Professor Dr. Hermann Weber, als stellvertretende Mitglieder den Abgeordneten Markus Meckel und Dr. Bernhard Faulenbach. Diese Richtigstellung findet hoffentlich Ihre Zustimmung; denn sonst gibt es große Komplikationen. — Die Zustimmung ist offensichtlich. Es ist so beschlossen.
An sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wollte der Kollege Becker Sie in die Sommerferien entlassen.

(Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Wir nehmen das auch von Ihnen entgegen!)

Da aber das Ganze schneller gegangen ist, sitze ich noch hier, wie Sie sehen.
Zur sogenannten Sommerpause möchte ich zum Schluß der Sitzung folgendes sagen: Mir ist kaum ein Abgeordneter bekannt, der mehr als den durchschnittlichen Urlaub von 30 Tagen in Anspruch nimmt.

(Dr. Comelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Großzügig! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es wäre schön, wenn wir das hätten!)

Im allgemeinen sind es sehr viel weniger; denn die Arbeit in Bonn und im Wahlkreis geht halt weiter. Davon können sich die Leute auch überzeugen.
Ich möchte nicht versäumen, denjenigen, die bis zum Schluß hiergeblieben sind, herzlich zu danken. Ich danke auch der Verwaltung und dem Stenographischen Dienst, der in dieser Woche wieder besonders viel zu leisten hatte.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich wünsche Ihnen und, ehrlich gesagt, auch mir, keine Sondersitzung während der Sommerpause und gute Erholung. Ich wünsche allen nur Sommertheater, die Ihnen Freude und Spaß bereiten und nicht das Gegenteil.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Dienstag, den 7. September 1993, urn 14 Uhr, möglicherweise, vielleicht — wer mag es sagen? —, wieder im neuen Plenarsaal, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.