Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.Ich verlese zunächst die amtlichen Mitteilungen.Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes scheidet der frühere Kollege Bernhard Jagoda als ordentliches Mitglied aus. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Heinz-Adolf Hörsken vor.Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Heinz-Adolf Hörsken als ordentliches Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 in Wien — Drucksache 12/5024 —2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dienstrechtliche Regelungen für besondere Verwendungen im Ausland — Drucksache 12/4989 —g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens — Drucksache 12/5014 —h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — Drucksache 12/5015 —i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln — Drucksache 12/5025 —3. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
k) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Änderung der Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß — Drucksache 12/4992 —Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist, abgewichen werden.Darüber hinaus ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 13 a abzusetzen.Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 150. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. März 1993 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich auch dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf der Abgeordneten Dirk Fischer , Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz — ENeuOG) — Drucksache 12/4609 (neu)Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOSind Sie auch damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.Schließlich teile ich Ihnen mit, daß der Abgeordnete Dr. Rudolf Karl Krause seit dem 25. Mai 1993 aus der Fraktion der CDU/CSU ausgeschlossen ist. Er gehört damit dem Deutschen Bundestag als fraktionsloses Mitglied an.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 bis 7 auf:5. a) — Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstel-
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13712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthlung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte
— Drucksachen 12/4401, 12/4748 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs— Drucksache 12/4750 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Fonds „Deutsche Einheit"— Drucksache 12/4751 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den neuen Ländern
— Drucksache 12/4752 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 12/4801 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke ListeEine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik — Alternativen zum „Solidarpakt" der Bundesregierung— Drucksachen 12/4671, 12/4801 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS/ Linke ListeHeranziehung der westdeutschen Unternehmen zur Finanzierung des Solidarpakts— Drucksache 12/4493, 12/4868 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)6. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1993
— Drucksachen 12/4400, 12/4744 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 12/4800 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmuth Wieczorek (Duisburg)7. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt
— Drucksachen 12/4158, 12/4487 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/5016 —Berichterstattung:Abgeordnete Detlev von Larcher Hermann RindGunnar Uldallb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/5037 —Berichterstattung:Abgeordnete Helmut Wieczorek
Dieter PützhofenDr. Wolfgang Weng
Zu den Gesetzentwürfen liegen mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache sechs Stunden vorgesehen.Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache sowohl über einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Föderalen Konsolidierungsprogramm als auch über das Nachtragshaushaltsgesetz namentlich abstimmen werden.Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mich gebeten, Ihnen folgende redaktionelle Berichtigungen zur Beschlußempfehlung zum Gesetz zur Umset-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13713
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms mitzuteilen.Erstens. Auf Seite 6 sind der Einleitungssatz und die Inhaltsübersicht zu ergänzen, und zwar so, wie im Gesetzentwurf auf Drucksache 12/4401 angegeben, jedoch mit den durch die Ausschußänderungen notwendigen Modifikationen.Zweitens. Auf Seite 55 ist in der rechten Spalte unter Buchstabe b das Wort „unverändert" durch „entfällt" zu ersetzen.Soweit die Berichtigungen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine bekannte Hamburger Illustrierte, für die ich aus verständlichen Gründen keine Reklame machen will,
schrieb: „Wir sind satt geworden. Die Deutschen leben über ihre Verhältnisse." Mit diesen einfachen Worten wird meines Erachtens der Kern unserer wirtschaftlichen Probleme treffend charakterisiert. Rund zehn Jahre wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland mit zwei Jahren WiedervereinigungsSonderboom haben bei manchen Unternehmen, aber auch bei der öffentlichen Hand zu Schlendrian, zu großzügigem Kostengebaren und zu laschem Controlling geführt.Bei vielen Mitbürgern, nicht nur bei Arbeitnehmern, sind dadurch Anspruchsdenken, Freizeitfetischismus und Vollkaskomentalität gefördert worden.
Die Schwierigkeiten, die der Bundesfinanzminister wie auch viele seiner Kolleginnen und Kollegen auf Länder- und Gemeindeebene bei der Durchsetzung selbst kleiner Einsparmöglichkeiten haben, zeigen, wie schwer es bei uns geworden ist, eingefahrene Gleise zu verlassen.
Wenn man nach hitzigen Debatten gestern noch nicht richtig ausgeschlafen hat und dann morgens im Deutschlandfunk schon wieder Frau Matthäus-Maier hören muß, immer mit den gleichen Ritualen, mit den gleichen falschen Rezepten und Forderungen, dann zeigt sich, wie sehr dies immer noch in der SPD drinsteckt.
Warnen möchte ich auch davor, die derzeitigen Probleme in Deutschland als vorübergehendes konjunkturelles Phänomen abzutun.
Es gilt vor allem, den bisher nicht bewältigten mittelfristigen, d. h. strukturellen Problemen Rechnung zu tragen.Dazu gehört in erster Linie, daß sich die Menschen, aber auch alle Politiker in unserem Lande darüber klar sind, welche Veränderungen sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Zusammenbruch des Sozialismus ergeben haben. Die Probleme der neuen Bundesländer sind bekanntermaßen viel gravierender als ursprünglich angenommen und fordern über einen längerfristigen Zeitraum erhebliche Finanztransfers in einer Größenordnung von 5 % des Bruttosozialproduktes. 3 Billionen DM in etwa beträgt unser Sozialprodukt, d. h. Jahr für Jahr 150 Milliarden DM Finanztransfer. Vor allem viele Fachleute haben sich in der Einschätzung dieser Größenordnung geirrt.Dieser Betrag ist nicht nur gleichbedeutend mit einer entsprechenden Belastung der öffentlichen Haushalte, sondern wir müssen dies als Güterstrom von West nach Ost sehen. Das, was nach Osten geht, steht im Westen für den Konsum nicht mehr zur Verfügung.
Mit den Gesprächen zwischen Bund und Ländern über ein Föderales Konsolidierungsprogramm wurde die Grundlage dafür geschaffen, den Finanzausgleich zwischen den öffentlichen Ebenen in Deutschland mittelfristig neu zu ordnen, die Finanzausstattung der neuen Länder auf eine längerfristig gesicherte Grundlage zu stellen.Ich erinnere dabei daran, daß sich Herr Ministerpräsident Biedenkopf ausdrücklich dafür bedankt und gesagt hat, damit seien die Forderungen der neuen Bundesländer auf viele Jahre hinaus abgedeckt. Es geht vor allem darum einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der finanziellen Folgen von 40 Jahren Sozialismus zu leisten.Ein deutliches Mehr an Einsparungen bei Staatsausgaben und Steuervergünstigungen wäre schon bei den Solidarpaktverhandlungen notwendig gewesen, um das Ausmaß der vereinbarten Steuererhöhungen und Neuverschuldungen geringer zu halten. Insofern habe ich auch von meiner persönlichen Sicht her etwas am Solidarpakt zu kritisieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, das war mit Ihnen und Ihren Verhandlungsführern aber nicht machbar. Ich bezweifele auch, ob es besser machbar gewesen wäre, wenn man dazu Frau Matthäus-Maier mitgenommen hätte. Ich glaube, man hat hier allein schon aus klimatischen Gründen gut daran getan, daß Herr Klose sich von Herrn Dreßler und von Herrn Thierse hat begleiten lassen.
Dadurch mußte der Bundesfinanzminister zumindest nicht ertragen, daß Leute, die ihn persönlich zu Unrecht angegriffen haben und immer wieder diffamieren, wie sie es beim sogenannten Moksel-Skandal getan haben, direkt mit am Tisch sitzen.
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13714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Michael GlosEine rasche Einigung zwischen Bund und Ländern beim Solidarpakt war konjunktur- und wachstumspolitisch vordringlich, um die schwelenden Unsicherheiten bei der Bevölkerung und bei den Unternehmungen zu beseitigen. Wie wichtig es war, die Gespräche zwischen Bund und Ländern zügig abzuschließen, wird deutlich, wenn man sich das derzeitige Führungschaos in der SPD nach dem Rücktritt von Björn Engholm verdeutlicht.
Er hat ja noch eine gute und beruhigende Rolle bei den Solidarpaktverhandlungen gespielt.
— Wir haben bei uns sehr schnell und sehr einvernehmlich die personellen Weichenstellungen vorgenommen. Da können Sie nur vor Neid erblassen.
Bei Ihnen heißt es doch: Wer hat noch nicht, wer will noch mal — Kanzlerkandidat werden? — Monatelang geht man hier hausieren, und dann leistet man es sich auch noch, in dieser Zeit, in der man eh führungslos ist, den Fraktionsvorsitzenden zu einem Mister 60 % abzuqualifizieren. Ohne Gegenkandidat hat er nämlich nur 60 % der Stimmen erhalten. Sie brauchen uns hier doch überhaupt nichts über politische Führung zu erzählen.
— Der Zwischenruf „CSU" ist so unsinnig wie Ihre ganze Argumentation.
Ich möchte zur Finanzpolitik zurückkommen.
Sie ist schwierig, zugegebenermaßen schwierig genug,
aber längst nicht so schwierig wie die Lösung der Führungsfrage in der SPD. Erschwert wird die finanzpolitische Aufgabe zur Zeit dadurch, daß die einigungsbedingten Belastungen mit einer unerwartet — —
— Melden Sie sich doch; dann kann ich es besser verstehen. Haben Sie Sorgen?
— Na gut!
Dann darf ich wieder zur Finanzpolitik zurückkommen.
Erschwert wird die finanzpolitische Aufgabe zur Zeitdadurch, daß die einigungsbedingten Belastungenmit einer unerwartet tiefen und anhaltenden Konjunkturschwäche im Westen der Bundesrepublik zusammenfallen. 1993 wird das Bruttosozialprodukt nach jüngsten Schätzungen der Wirtschaftssachverständigen um etwa 2 % zurückgehen. Entsprechend ist mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um etwa 500 000 gegenüber 1992 zu rechnen.Diese schwierigen Rahmenbedingungen zeigen sich sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts 1993. Steuerausfälle in Höhe von 6,5 Milliarden DM und Mehraufwendungen für den Arbeitsmarkt von 20 Milliarden DM sind Zahlen, die Sorgen machen.Im Vergleich zum letzten Jahr wird die Nettokreditaufnahme beträchtlich ansteigen. Bei der Beurteilung dieser Zahl sind sich die Experten allerdings weitgehend einig: Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme gegenüber den Planungen ist gerechtfertigt, und sie ist vorübergehend hinnehmbar. Die Wirtschaftsforschungsinstitute erkennen dies als Wirksamwerden automatischer Stabilisatoren an.Trotzdem will ich die Höhe der Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr nicht verharmlosen. Ein solcher Betrag läßt sich, wie gesagt, nur vorübergehend und vor allem nur vor dem Hintergrund der besonderen Probleme der deutschen Einheit rechtfertigen. Wer die Finanzpolitik des Bundes deshalb kritisiert, wie Sie es pausenlos tun, dem sei gesagt — —
— Hören Sie doch bitte mal zu!
Frau Präsidentin, können Sie mich nicht schützen?
Ich habe genausowenig ausgeschlafen wie Sie alle hier.
Ich stelle fest, daß trotzdem große Munterkeit herrscht.
Ich fange noch mal an. Wer die Finanzpolitik des Bundes deshalb kritisiert, dem sei gesagt, daß zur gleichen Zeit der neue französische Premierminister Balladur den Franzosen Opfer und Anstrengungen auferlegt, weil das Land in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt.
Trotz seines massiven Sanierungsprogramms wird die Neuverschuldung des französischen Staatshaushalts im laufenden Jahr umgerechnet 125 Milliarden DM betragen, also fast das Doppelte des deutschen Haushaltsdefizits, und das ohne Wiedervereinigung.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13715
Michael GlosGipfel der Hinterhältigkeit ist es schließlich, wenn sich die deutschen Sozialdemokraten im Vorfeld und während der Verhandlungen zum FKP auf Bundeswie auf Länderebene hartnäckig gegen einen höheren Finanzierungsbeitrag der Länder sperren, um es dann schließlich Theo Waigel anzulasten, daß das Ergebnis weitgehend zu Lasten der Bundeskasse geht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist genauso widersprüchlich und unlogisch wie das, was ich heute in der „FAZ" lesen konnte, nämlich daß sich ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank darüber beklagt, daß die Deutschen so wenig Aktien kaufen, ohne gleichzeitig alle Ursachen dafür zu nennen, z. B. daß Insiderregelungen schon lange fehlen
und daß man das Gefühl hat: Wenn man in Deutschland Aktien kauft, ist man möglicherweise der Spielball eines Insiderspekulanten.
Die Bundeshaushalte 1994 und 1995 werden trotz Föderalen Konsolidierungsprogramms ebenfalls vom Fortwirken der Konjunkturschwäche geprägt sein. Wir müssen deshalb damit rechnen, daß es ohne einschneidende Maßnahmen zu einem ähnlich hohen Defizit der Bundesanstalt für Arbeit kommt wie 1993. Ich bin der Meinung, hier muß zusätzlich angesetzt werden. Wir werden deshalb die notwendigen Weichenstellungen angehen, um das Defizit im Bundeshaushalt in den kommenden Jahren möglichst rasch wieder auf eine mittelfristig vertretbare Größenordnung zurückzuführen. Theo Waigel kann sich dabei auf die uneingeschränkte Unterstützung der gesamten CDU/CSU-Fraktion verlassen.
— Und auf die der F.D.P., das freut mich.
Herr Dr. Schäuble hat mich ausdrücklich beauftragt, da ich auch in seinem Namen hier spreche, dies für die CDU mit zu sagen. Graf Lambsdorff hat genickt. Dann bin ich überzeugt, daß das alles gut läuft.
Bereits im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms war es unumgänglich, Einsparungen im Sozialhaushalt vorzunehmen. Insbesondere sollen durch eine intensivere Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs und der Leistungsmitnahme ab 1995 rund 1,8 Milliarden DM jährlich eingespart werden. Die aktuellen Maßnahmen, die die Bundesanstalt für Arbeit eingeleitet hat, brachten, wie ich meine, erschreckende Ergebnisse und waren ergiebiger, als man gedacht hat: Über 10 % von rund einer Million vorgeladener Arbeitsloser verzichteten ganz spontan durch die Vorladung auf die bisherigen Leistungen,für über 15 % mußten Sperrzeiten verhängt werden. Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.Aber diese Maßnahmen allein reichen nicht aus. Zur notwendigen Beseitigung von Mißbräuchen gehört für mich auch, daß Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe so ausgestattet werden, daß der materielle Anreiz der Betroffenen groß genug ist, wieder einer regulären Arbeit nachzugehen.
Das Stichwort dafür heißt Lohnabstandsgebot, falls Sie es nicht wissen sollten.
Leider haben wir hierzu bei den Gesprächen im Kanzleramt nicht die Zustimmung der Sozialdemokraten bekommen. Vielleicht hat dies der frühere Wirtschaftsminister Karl Schiller gemeint, als er unlängst darauf hinwies, die SPD sei „kopflos" und habe „die Änderung unserer Gesamtsituation noch nicht aufgenommen und verarbeitet". Er sagt weiter über die SPD, ihre „Rezepte seien von gestern".Ich bin überzeugt davon: Wer sich wie die SPD nach den Verhandlungen zum Solidarpakt gerühmt hat, soziale Einsparungen verhindert zu haben, der wird in den nächsten Wochen und Monaten durch den Zwang der Fakten erleben müssen, daß diese Einsparungen letztlich nicht vermeidbar sind.Im Bundesrat wird dann letztendlich die Probe aufs Exempel stattfinden. Sie werden zeigen müssen, ob Sie sich den wirtschaftlichen Notwendigkeiten verweigern oder ob Sie mit uns stimmen werden.
Ich möchte hier zwar nicht in Ihre Kanzlerkandidatendiskussion eingreifen, darf aber trotzdem Ministerpräsident Scharping zitieren.
— Wenn Sie schon nicht hören wollen, was ich sage, dann lassen Sie sich doch wenigstens sagen, was Scharping sagt. Wenn er nicht selber hier sprechen kann, sage ich, was er gesagt hat. Scharping sagt:Es muß ein eherner sozialpolitischer Grundsatz gerade der Sozialdemokratie bleiben, daß sich das Arbeiten mehr lohnt als der Bezug eines Sozialtransfers.
Ich kann nur sagen: Folgen Sie ihm! Sie können sich jetzt ja auch mal wieder anderen Themen zuwenden, nachdem Sie in quälerischer Selbstzerfleischung sich über ein Jahr hinweg mit dem Asylthema abgemüht haben, das jetzt endlich vom Tisch ist. Ich hoffe, daß sich die Sozialdemokratie jetzt endlich auch wieder den Problemen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei uns im Land zuwendet.
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13716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Michael GlosWir können und dürfen die Steuerschraube in Deutschland nicht überdrehen. Schließlich werden Standortentscheidungen von Unternehmungen und damit Entscheidungen über Arbeitsplätze unter dem Gesichtspunkt getroffen, wie stark die aus einer Investition fließenden Unternehmensgewinne mit Steuern belastet werden.Hier sind wir allerdings leider dabei, alle bisherigen Rekorde zu brechen.
Die durchschnittliche Steuer- und Abgabenbelastung wird 1995 voraussichtlich 47,5 % erreichen. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer würde sich dann durch den Solidaritätszuschlag auf 58 % erhöhen. Das mag im privaten Bereich vertretbar sein; für gewerbliche Investitionen ist das zu hoch. Die gesamte Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Deutschland beläuft sich bereits heute auf etwa 66 %. Das hat eine nicht zu unterschätzende negative psychologische Wirkung auf Investoren aus dem In-und Ausland. Deshalb muß jeder Spielraum genutzt werden, um die Steuer- und Abgabenbelastungen der Bürger und Bürgerinnen und vor allem der Unternehmen in Deutschland mittel- und längerfristig wieder auf ein erträglicheres Maß zurückzuführen.
Dazu gehört es, den für 1995 vorgesehenen 7,5%igen Solidarzuschlag nicht zu einem Dauerfinanzierungselement des Staates zu machen.
Mittel- und längerfristig dürfen wir das Ziel einer umfassenden Nettosteuersenkung für die Unternehmen in Deutschland nicht aus den Augen verlieren, auch wenn sich auf Grund der derzeitigen Finanzsituation der öffentlichen Hände das heute zur Abstimmung stehende Standortsicherungsgesetz noch auf Verbesserungen in der Steuerstruktur beschränken muß, also aufkommensneutral ausgestaltet ist. Verständlich sind deshalb Klagen deutscher Unternehmen, die derzeit konjunkturbedingt mit Verlusten zu kämpfen haben, die also kurzfristig nicht von der vorgesehenen Senkung der Steuersätze bei der Körperschaftsteuer und bei der Einkommensteuer für gewerbliche Einkünfte profitieren können. Entscheidend ist, daß es hier zu dauerhaften Steuersenkungen kommt, weil Abschreibungsveränderungen nur vorübergehende Wirkung haben.Deutschland wird seine Wiedervereinigungsaufgaben nur dann wirklich meistern können, wenn das Finanzkonzept des Föderalen Konsolidierungsprogramms und des Standortsicherungsgesetzes in einen echten Solidarpakt aller gesellschaftlichen Gruppen einmündet. Nur so läßt sich eine tragfähige Brücke über die bisherigen Verteilungskämpfe und über die derzeitigen konjunkturellen Risiken in Deutschland schlagen.Vor allem aber muß sich die Einsicht durchsetzen, daß Arbeitsplätze Vorrang haben vor Einkommenssteigerungen und vor unfruchtbaren Verteilungskämpfen.
Dies fordert vor allem die Tarifparteien. Von der Lohnseite her muß nachhaltig ein Kurs der Mäßigung in West- wie in Ostdeutschland gefahren werden. Deswegen hat dieses Streikgetöse überhaupt nicht in die konjunkturpolitische Landschaft gepaßt.Wer sagt, jetzt sei nicht Zeit zum Reden, jetzt sei Zeit zum Zahlen, wie es Herr Steinkühler getan hat, während er die Zeit zum Kassieren genutzt hat, der verkennt die wirklichen Probleme bei uns im Lande.
Man darf in einer Rezessionszeit nicht die Löhne über die Kosten hinaus erhöhen.
— Soll ich, weil Sie ständig rufen, auch noch Bebel zitieren? Ich habe auch Bebel-Zitate dabei. August Bebel sagt über die Arbeiterführer: „Seht euren Führern auf die Hände und nicht auf den Mund."
Wir können die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten bei uns nicht auf den Kopf stellen. Lohngelder kommen nun einmal nicht aus der berühmten Lohntüte, sondern sie müssen erwirtschaftet werden. Sie haben ja auch die Vorstellung, der Strom komme aus der Steckdose. Der Lohn kommt nicht aus der Lohntüte, sondern er kann nur aus dem kommen, was erarbeitet wird.
Lassen Sie mich, auch wenn es Ihnen von der SPD Freude macht, zum Ende kommen.
Wenn es überhaupt eines Beweises bedurft hätte, so ist er aus der jüngsten Steuerschätzung sichtbar geworden: Die Steuer- und Abgabenzahler sind nicht mehr in der Lage und auch nicht mehr willens, alle den Deutschen liebgewordenen Annehmlichkeiten zu finanzieren. Versuche, den deutschen Steuerzahlern noch weitere Lasten aufzubürden, können dazu führen, daß die staatlichen Einnahmequellen ganz versiegen. Das ist wie bei einem Lastesel, dem man zu schwere Lasten aufbürdet. Das kann entweder dazu führen, daß der Esel störrisch wird, oder dazu, daß er zusammenbricht. Das müssen wir verhindern.Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Helmut Wieczorek.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich schwer, nach einer solchen kabarettreifen Rede
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13717
Helmut Wieczorek
wieder zu einem seriösen Beitrag zurückzufinden.
— Ich freue mich, daß es Ihnen Spaß macht, bitte Sie aber trotzdem, dem Ernst dieser Sache entsprechend, um ein wenig Geduld. Sie werden bei mir merken, meine Kolleginnen und Kollegen, daß es wenig zu lachen gibt. Es gibt in diesem Staat im Augenblick nur ganz wenig zu lachen.
Wenn wir uns vor Augen halten, daß dieses Land im dritten Jahr nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands von einem Zusammenprall krisenhafter Entwicklungen getroffen wird, die zunehmend alle Lebensbereiche erfassen, und wenn wir die andauernde Entindustrialisierung in den neuen Ländern sehen, wenn wir die stärkste wirtschaftliche Rezession der Nachkriegszeit im Westen erleben, wenn wir darüber nachdenken, daß wir eine Innovationskrise der Wirtschaft, eine strukturelle Krise des Arbeitsmarktes haben, wie Deutschland sie überhaupt noch nie erlebt hat — rund sechs Millionen Menschen in diesem Land sind ohne Arbeit oder werden durch arbeitsmarktpolitische Instrumente mühsam aufgefangen —, dann muß man feststellen: Die Politik steckt in einer Akzeptanzkrise und die Gesellschaft in einer Orientierungskrise.Meine Damen und Herren, jede dieser Entwicklungen verlangt eine eigenständige Analyse und eine eigenständige Antwort. Die Bundesregierung ist bisher weder zum einen noch zum anderen in der Lage. Statt dessen häufen sich falsche Analysen, falsche Prognosen, Schönredereien und Schönrechnereien oder schlichte Unwahrheiten.
Wenn Fehler unter dem Druck der Tatsachen eingestanden werden müssen, bleiben sie ohne Folgerungen für das Handeln. Beispiellose Zerrüttung der Staatsfinanzen ist das Ergebnis einer Politik, die die wirtschaftliche Substanz und die soziale Stabilität dieses Staates aufzehrt. Die Krise der Staatsfinanzen ist die Krise der Politikfähigkeit der Regierung Kohl.
Herr Bundeskanzler, die Chance zur deutschen Einheit haben Sie konsequent genutzt. Diese Chance genutzt zu haben verblaßt aber vor Ihrem historischen Versagen bei dem Vollzug der wirtschaftlichen und sozialen Einheit.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Föderale Konsolidierungsprogramm ist kein Solidarpakt, auch wenn es bisher von Ihnen immer so verkauft wurde und Ihre semantische Abteilung es immer so bezeichnet hat.
So wichtig die mit der Verstetigung des Fonds Deutsche Einheit und der Neuregelung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen geschaffene Finanzierungsbasis für die neuen Länder und Gemeinden auch ist, es geht um mehr. Es geht um marktwirtschaftliche Industriepolitik, um Arbeitsplätze, um Wohnungen, um soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und um Umweltschutz in ganz Deutschland und vor allem in Ostdeutschland.
Meine Damen und Herren, das verstehen wir unter einem Solidarpakt. Auf unsere Initiative wurden Maßnahmen zur Gestaltung der wirtschaftlichen und inneren Einheit Deutschlands durchgesetzt, die seit zweieinhalb Jahren überfällig sind und die von der Bundesregierung in der Vergangenheit beständig abgelehnt wurden: Erhalt und Erneuerung der industriellen Kerne, Beseitigung ökologischer Altlasten, Einstieg in die Absatzförderung ostdeutscher Produkte, ein umfassendes Wohnungsbau- und Sanierungsprogramm Ost.Wir hatten und haben weitergehende Vorstellungen. Die Gerechtigkeitslücke bei der Verteilung der Lasten zwischen den Bürgern ist nicht geschlossen. Die Bundesregierung weigert sich, der dringend notwendigen aktiven Arbeitsmarktpolitik die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Sie verschließt sich vor der Gefährdung des sozialen Friedens, die von der wachsenden Wohnungsnot, von steigender Obdachlosigkeit, explodierenden Mieten und zunehmender Wohnungs- und Wohnspekulation ausgeht. Dafür, daß nicht entschlossener und wirksamer gehandelt wurde, trägt die Bundesregierung die alleinige Verantwortung.
Dennoch stimmen wir Sozialdemokraten dem Förderalen Konsolidierungsprogramm zu, weil dadurch die Zukunft für die Menschen im Osten ein Stück sicherer gemacht wird und die Finanzen der ostdeutschen Länder und Gemeinden auf eine tragfähige Grundlage gestellt werden.
Wir Sozialdemokraten haben verhindert, daß mit der beabsichtigten Kürzung sozialer Regelleistungen innerhalb des Föderalen Konsolidierungsprogramms die sozial Schwachen im Osten und im Westen in einem unerträglichen Maße zusätzlich belastet wurden.
Die Tinte unter den politischen Vereinbarungen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm ist noch nicht trocken, da plant die Bundesregierung in einem beispiellosen Akt sozialer Piraterie die Ausplünderung der kleinen Leute:
Kürzung des Arbeitslosengeldes, des Unterhaltsgeldes für Umschüler, Kürzungen bei AB-Maßnahmen,Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung,
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13718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Helmut Wieczorek
Kürzung des Kindergeldes, der Wohnungsbauprämie, Verzicht auf die BAföG-Anpassung. Selbst die Renten, meine Damen und Herren, sind bei Ihnen nicht mehr sicher.
Sie treten die soziale Gerechtigkeit mit Füßen. Sie erschüttern das Grundvertrauen der Menschen in den Sozialstaat, in die Tragfähigkeit sozialer Netze, Herr Kollege Glos.
Sie setzen die Glaubwürdigkeit der Politik herab, wenn Sie am Tag der parlamentarischen Verabschiedung des Föderalen Konsolidierungsprogramms klare politische Absprachen vom Tisch wischen. Sie zerschneiden damit das Tischtuch zwischen der Koalition und der Opposition.Soziale Gerechtigkeit, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hat bei Ihnen nur noch eine Chance, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben wird, und auch dann nur noch, wenn Sie keine Schlupflöcher mehr finden. Ich erinnere nur an den Grundfreibetrag für das Existenzminimum, an den Kinderfreibetrag oder an die Zinsbesteuerung.Graf Lambsdorff sagt, Heulen und Zähneklappern wird es geben. Was ist das eigentlich für ein unmoralisches Verständnis von Politik, dem Heulen und Zähneklappern der sozial Schwachen zuzusehen, während gleichzeitig für die Leistungsfähigsten in unserem Lande der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 44 % gesenkt wird?
Dazu paßt natürlich auch die jüngste Bankrotterklärung zu den sozialen Gelübden der Koalition. Sie sind dabei, sich von der solidarischen Pflegeversicherung zu verabschieden. Es ist unerträglich, wie diese Regierung das Elend und die tägliche Sorge pflegebedürftiger und kranker Menschen zum Gegenstand eines Finanzschachers macht.
Jetzt sollen die Kranken die Kosten für die Pflege bezahlen. Es ist doch purer Hohn, wenn der Kanzler dieser Regierung einmal die geistige und moralische Führung für dieses Land beanspruchte.Meine Damen und Herren von der Koalition, wir werden Sie in unserem Gesetz zur Pflegeversicherung zwingen, klar und deutlich Farbe zu bekennen, und es wird Ihnen nicht wieder gelingen, die Nebelwerferkompanie der Hardthöhe zu bewegen, um Ihre Absichten zu verschleiern.
Wir erleben in diesem Land eine ganz neue Art von Inflation. Das ist nämlich die grassierende inflatorische Entwertung von Prognosefähigkeit, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit der finanzpolitischen Aussagen dieser Regierung.
Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben das Angebot der Sozialdemokraten ausgeschlagen, die Beratungen zum Haushalt 1993 Ende letzten Jahres auszusetzen, um im Frühjahr dieses Jahres einen ehrlichen, vollständigen Bundeshaushalt vorzulegen. Sie haben die Chance verstreichen lassen, Mut zu beweisen und die wahre Finanzlage offenzulegen. Heute wissen wir: Sie keimen sie gar nicht. Deshalb wird die Verfallzeit Ihrer finanzpolitischen Aussagen immer kürzer.
Innerhalb von nur sechs Monaten kletterte die geplante Neuverschuldung — Herr Kollege Glos, hören Sie zu, denn Sie haben es nötig —
von 38 Milliarden DM auf 43 Milliarden DM, auf 51 Milliarden DM, auf 54 Milliarden DM und jetzt auf 68 Milliarden DM. In Wahrheit werden es jedoch 80 Milliarden DM sein.
Die Ausgabenrate — Sie wollen ja immer gerne Zahlen hören —
stieg von geplanten 2,5 % auf immerhin 7,3 %. Im vergangenen Jahr waren es 6,2 %.Die von Ihnen selbst, Herr Bundesfinanzminister, mitbeschlossene Ausgabenlinie des Finanzplanungsrates lag bei 3 %. Sie wird von Ihrer Finanzpolitik ständig ad absurdum geführt. Ihre finanzpolitischen Versprechungen sind in Wahrheit nichts anderes als armselige Versprecher.
Die Finanzplanung des Bundes sah bis 1996 einen Rückgang der Kreditaufnahme des Bundes von 38 Milliarden DM in diesem Jahr auf 26 Milliarden DM im Jahr 1995 vor. Heute, neun Monate später, versinkt der Bund innerhalb von nur drei Jahren in einem 280-Milliarden-DM-Schuldengrab.
— 280 Milliarden DM, Herr Kollege Glos! Nicht blödeln, sondern rechnen ist hier gefragt.
Ich will es Ihnen im einzelnen aufschlüsseln. In diesem Jahr werden wir eine Neuverschuldung von 80 Milliarden DM haben. Sie geben zu, daß es 70 Milliarden DM sein werden. Ich sage Ihnen, daß es 80 Milliarden DM sein werden, und Sie können mich darauf festnageln. Im nächsten Jahr werden Sie — trotz aller Peanuts, die Sie jetzt einsparen wollen — immer noch bei 100 Milliarden DM landen. Im JahreDeutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13719Helmut Wieczorek
1995 werden es noch einmal 100 Milliarden DM sein. Das ist die Folge Ihrer Regierung, Herr Kollege.
Ich fürchte sehr, daß diese neuen Horrorzahlen der Verschuldung des Bundes dazu führen werden, daß die Kapitalmärkte mit einem Zinssprung darauf reagieren müssen. Meine Damen und Herren, sehen Sie denn nicht, daß selbst die Chancen, die Sie mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm für die Entwicklung Ostdeutschlands gemeinsam mit uns geschaffen haben, durch den Finanznotstand des Staates zunichte gemacht werden? Meine Damen und Herren, dafür tragen Sie alle, dafür trägt im wesentlichen jedoch der Bundeskanzler die Verantwortung.
Für diese Entwicklung gibt es keine historische Parallele. Diese Republik verwandelt sich unter Ihrer Führung in ein finanzpolitisches Tollhaus. Das verschlägt einem regelrecht die Sprache. Ich habe es schon einmal gesagt: größter Schuldenmacher der Nation, finanzpolitischer Offenbarungseid. All das sind schon abgegriffene, fast verharmlosende Bezeichnungen.
Hier wird doch mit der wirtschaftlichen Substanz des Staates, mit der Zukunft unserer Kinder in unverantwortlicher Weise Roulette gespielt. Welche babylonische Sprachverwirrung hat die Regierung überhaupt erfaßt, das Wort Konsolidierung in den Mund zu nehmen?
Was hat das, was Sie hier tun, überhaupt mit Konsolidierung zu tun?Schon wieder, Herr Bundesfinanzminister, verstellen Sie sich den Blick auf die Wirklichkeit. In Ihren Rechnungen verweisen Sie auf einen Rückgang des Anteils der Neuverschuldung am Bruttosozialprodukt von über 7 % in diesem Jahr auf erhoffte 5 % im Jahre 1995. Übrigens erreichen Sie auch dann noch nicht die Werte, die Sie in Maastricht selbst vereinbart haben.Das wahre Problem, meine Damen und Herren, liegt in der Explosion der Zinslast. Betrugen die Zinsausgaben des Staates 1990 noch 80 Milliarden DM, werden sie 1995 bei 175 Milliarden DM liegen, d. h. doppelt so hoch. Wissen Sie, wie hoch die Erblast war, die Sie von der Regierung Schmidt übernommen haben?
Ich will Ihnen die einfache Rechnung einmal sagen: Die Zinslast für 1981 lag bei 17 Milliarden DM, und für das Jahr, in dem wir gemeinsam mit Graf Lambsdorff die Regierung verlassen haben, haben wir Ihnen eine Zinslast von immerhin 23 Milliarden hinterlassen. Ich wiederhole die Zahlen: 1982 23 Milliarden, 1990 80 Milliarden und 1995 175 Milliarden.
Diese Entwicklung zeigt doch den völligen Verlust der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung.
Geld, das Sie für die Gestaltung der Zukunft benötigen, müssen Sie in Zinszahlungen stecken. Damit setzen Sie eine gewaltige Vermögensumverteilung zwischen unten und oben in Gang.Für die neuen Schuldentürme der kommenden Jahre kann weder die Sondersituation der deutschen Einheit noch die wirtschaftliche Rezession haftbar gemacht werden.
Es ist die Quittung für Ihr Politikversagen in den vergangenen Jahren.
Sie haben die stabile Konjunkturlage nicht zur Haushaltskonsolidierung genutzt, sondern die Weichen für den Osten falsch gestellt. Es war doch Ihr Fehler, Herr Bundeskanzler, auf ein Treuhandverrnögen von 850 Milliarden DM zu setzen. Damit wollten Sie den Aufbau Ost bezahlen. Wären Sie unseren Vorschlägen gefolgt,
von den Bürgern ein Solidaropfer zu verlangen, als diese gern dazu bereit waren, dann hätten Sie heute die Mittel,
die Ihnen zur Ankurbelung der Wirtschaft fehlen. Fordern Sie jetzt nicht Solidarität der Opposition. Es sind Ihre Fehler, die Sie zu verantworten haben, und die baden Sie auch aus, Herr Bundeskanzler.
Herr Abgeordneter Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haschke?
Ausnahmsweise nein.
— Ich kenne doch den Charakter von Zwischenfragen: den Redner aus dem Fluß zu bringen, um von den eigenen Problemen abzulenken.
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13720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Helmut Wieczorek
Das Verstecken der wirklichen Staatsschulden in Sondertöpfe ist untrennbar mit der Zerrüttung der öffentlichen Finanzwirtschaft verbunden. Deshalb war es notwendig, im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms endlich diese Schattenhaushalte in die öffentliche Finanzwirtschaft einzubeziehen. Dabei haben Sie versucht, mit einer Orwellschen Sprachschöpfung, dem „Erblastenfonds" nämlich, die politische Verantwortung des Bundes zu verwischen. Mit dieser neuen Wortschöpfung versuchen Sie zu suggerieren, die Koalition wäre für die Entstehung dieser Erblasten in einer Größenordnung von 400 Milliarden DM in keiner Weise verantwortlich. Der Versuch der semantischen Verschleierung zeigt, daß Sie wissen, daß das nicht stimmt.Nehmen wir das Beispiel Wohnungsbau Ost. Sie haben das Verschuldungsproblem der ostdeutschen Wohnungswirtschaft durch das Zinsmoratorium drastisch verschärft. Nur durch Ihr Nichthandeln stieg die Schuldenlast von 36 Milliarden DM auf 51 Milliarden DM. Sie haben die Kreditfähigkeit der Wohnungsunternehmen blockiert, weil Sie sich zwei Jahre lang einer Entschuldung widersetzten.
Deshalb unterblieben natürlich dringend notwendige Maßnahmen der Sanierung und Modernisierung, die zur Belebung der ostdeutschen Wirtschaft hätten beitragen können.Das ist die Erblast der Regierung Kohl.
Herr Minister, ich habe den Entwurf Ihrer Pressemitteilung, die Sie für den Finanzplanungsrat vorbereitet haben, gelesen. Da geben Sie die haushaltspolitische Losung aus, jetzt komme es darauf an — ich zitiere, „die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen„ . Sie sollten die Grundsatzabteilung Ihres Hauses wirklich in „Abteilung für Semantik" umbenennen. Die Schuldentürme der nächsten Jahre werden umdefiniert zu antizyklischen Stabilisatoren im keynesianischen Sinn, als wenn sie nicht längst die strukturellen Verfestigungen der öffentlichen Verschuldung signalisierten.Dieser Sprachgebrauch ist das offizielle Eingeständnis, daß die Bundesregierung handlungsunfähig geworden ist, daß sie auf die automatische Stabilisierung der Konjunktur im Herbst dieses Jahres hoffen muß.
Wir sagen Ihnen: Der einzige Stabilisator, der notwendig ist und in diesem Lande hilft, ist ein Regierungswechsel!
— Es kommt ja darauf an, daß ich Sie fessele, denn Sie müssen handeln und sind verantwortlich. Sie müssen endlich zum Denken gebracht werden, meine Kollegen!
Der Bundeskanzler hat dieser Tage verkündet, daß er die Richtlinienkompetenz ausnutzt und Richtlinien für die Finanzpolitik gegeben hat. Er hat gesagt - ) habe ich es gelesen —, daß alles auf den Prüfstand kommt. Nur: Dahinter, Herr Bundeskanzler, verbirgt sich doch noch kein Konzept. Sie haben doch bereits die Katze aus dem Sack gelassen: Dahinter verbirgt sich nur die Neuauflage von Kürzungen sozialer Leistungen.Zu einem grundsätzlichen Kurswechsel, meine Damen und Herren, gehört die politische Entscheidung darüber, was für unser Land wichtig und vordringlich ist,
was zeitlich gestreckt werden kann und worauf in absehbarer Zeit ganz verzichtet werden muß.Die Menschen, Herr Bundeskanzler, wollen die Wahrheit wissen und können sie auch vertragen.
Lassen Sie nicht immer die Kritik auf Ihren Finanzminister los; der Finanzminister exekutiert Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, die Sie zu verantworten haben.
Meine Damen und Herren, wer Opfer fordert, darf Gutverdienende nicht schonen. Das ist das kleine Einmaleins sozialen Friedens.Herr Glos hat eben vom Mißbrauch sozialer Leistungen gesprochen.
Wir stehen zur Bekämpfung des Mißbrauchs sozialer Leistungen. Wir verlangen aber gleichzeitig eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Wirtschaftskriminalität.
Ich mache mir nicht die These zu eigen, daß damit dem Staat 150 Milliarden DM Mehreinnahmen verschafft werden können. Aber dieser Bundesregierung fehlt bisher jeder ernsthafte Wille, sich dieser Aufgabe überhaupt zu stellen.Wir fordern Sie auf, unverzüglich die von uns im Rahmen der Verhandlungen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm vorgelegten Vorschläge zum
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13721
Helmut Wieczorek
wirksamen Subventionsabbau im Volumen von 10 Milliarden DM aufzugreifen.
Auf keinen dieser Vorschläge ist bisher reagiert worden. Sie haben alle bei der Klausurtagung im Kanzleramt vorgelegen, Herr Kollege Glos. Fragen Sie nicht, wo; soweit müßte Ihr Gedächtnis doch noch reichen.
Meine Damen und Herren, wir stehen unverändert dazu, daß es eine richtige politische Entscheidung gewesen wäre, den Solidaritätszuschlag mit einer Einkommensgrenze bereits ab 1994 zu erheben. Wir alle wissen, daß man sich in einer wirtschaftlichen Rezession etwas Besseres wünschen könnte, aber angesichts der strukturellen Defizite des Staatshaushalts ist diese Maßnahme einem volkswirtschaftlich unverantwortlichen weiteren Anstieg der Staatsverschuldung vorzuziehen. Wir lassen uns darin auch nicht von den Einflüsterungen der betroffenen Klientel irritieren, die sich sehr medienwirksam zu artikulieren weiß.Wir stehen auch weiterhin zu einer Arbeitsmarktabgabe. Wir wissen, daß die Arbeitsmarktabgabe unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten kein einfaches Instrument ist. Aber es gibt zwei Gründe, die schwerer wiegen: Sie hilft, der Belastungsgerechtigkeit bei der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik ein Stück näherzukommen, und sie stellt die für eine aktive Arbeitsmarktpolitik dringend benötigten Mittel zur Verfügung.Massenarbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, in einer modernen Industriegesellschaft gefährdet den inneren Frieden. Deshalb wollen wir die Arbeitsmarktpolitik mit neuen Instrumenten auf eine neue, tragfähige Grundlage stellen. Die Arbeitsmarktpolitik muß doch mit der Wirtschafts-, der Bildungs- und der Strukturpolitik eng verzahnt werden.
Unser Vorschlag für ein Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, mit dem das Arbeitsförderungsgesetz abgelöst werden soll, liegt Ihnen vor.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms die Tür geöffnet für eine planvolle Strategie zum industriellen und infrastrukturellen Aufbau der neuen Länder. Wer den Menschen die Wahrheit sagen will, darf sie nicht in einer Sicherheit wiegen, die es nicht gibt. Wer neue Versprechungen macht, daß alles nur ein bißchen länger dauere als die vom Bundeskanzler angekündigten vier bis fünf Jahre bis zum Entstehen blühender Landschaften, verfällt der Selbsttäuschung. Diese neuen Versprechungen, Herr Bundeskanzler, taugen so wenig wie die alten; denn es geht nicht mehr um das Wann, sondern vordringlich um das Ob. Es gibt keine zwangsläufige Logik, wonach das marktwirtschaftliche System quasi automatisch für die Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse in Ost und West Sorge tragen wird. Um das zu erkennen, müßte eigentlich ein Blick über die Grenze genügen.In vielen europäischen Partnerländern gibt es strukturelle Gefälle, die sich historisch verfestigt haben. Das Aufbrechen ist selbst mit den modernen Instrumenten der Regional- und Strukturpolitik ungewiß; zumindest kann es Generationen dauern.Deshalb ist es eine Aufgabe von historischem Rang, die Gefahr der Verfestigung eines derartigen Strukturgefälles zwischen Ost und West zu erkennen, ernst zu nehmen und mit der Bündelung der nationalen Kräfte zu verhindern zu suchen.
Das verstehen wir Sozialdemokraten unter einem Solidarpakt. Ich bin zuversichtlich, daß wir diese Aufgabe lösen können. Voraussetzung ist aber, daß die richtige Diagnose dessen, was in Ostdeutschland nötig ist, getroffen wird.Sie haben sich in der Koalition in der Wirtschaftspolitik nach der Wiedervereinigung nicht vom Dogma der Angebotspolitik lösen können, das Sie im Westen zehn Jahre lang hochgehalten haben. Das „Handelsblatt" schrieb:Noch nie ist ein Angebotskonzept so total in die Wirklichkeit umgesetzt worden.Und ich füge hinzu: und noch nie so wirkungslos verpufft!Was nützt, meine Damen und Herren, eine angebotsorientierte Politik, wenn nicht produziert werden kann, weil die Nachfrage fehlt? Es wäre doch überhaupt kein Finanzproblem für die deutsche Wirtschaft, Hunderte von Milliarden Mark Investitionen in den neuen Ländern aufzubringen, wenn es den gewinnträchtigen Absatz gäbe. Investitionen müßten nicht subventioniert werden, wenn sie renditeträchtig wären. Die Wahrheit ist doch schlicht, daß es bisher keine überzeugenden Gründe dafür gibt, daß ein privater Investor den Standort Ostdeutschland wählt. Hören Sie sich doch nur die Stimmen der Wirtschaft an! Bei den wesentlichen Faktoren für die Standortentscheidungen schneiden wir in Ostdeutschland schlecht ab, und zwar nicht nur Westdeutschland gegenüber, sondern allen anderen außerdeutschen Standorten gegenüber.Deshalb erheben wir als Sozialdemokraten die zentrale Forderung, bei der Aufbaupolitik für den Osten das Schwergewicht auf die Nachfragestützung zu legen, Märkte zu öffnen. Sie schließen sich diesem politischen Kurs nur sehr mühsam an.Sie sagen in einer zitierten Presseerklärung, Herr Bundesfinanzminister, daß globale defizitfinanzierte Ausgabenprogramme zur Nachfragebelebung konjunkturpolitisch schädlich seien. Dabei haben Sie auf unsere Initiative die Aufstockung des KFW-Programms für Wohnungsmodernisierung auf 60 Milliarden beschlossen. Das ist doch ein klassisches kreditfinanziertes Konjunkturprogramm. Sie verkennen offensichtlich die ökonomische Wirkung Ihrer eigenen Beschlüsse. Der Überblick scheint Ihnen hier wirklich verlorengegangen zu sein.
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13722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Helmut Wieczorek
Deshalb, meine Damen und Herren, ist der Kern unserer Strategie auf eine marktwirtschaftliche Industriepolitik gerichtet, die den Erhalt, die Modernisierung und die Neuschaffung von Industriestrukturen absichert, die Marktzugang schafft und Absatzförderung erschließt.Diese Maßnahmen müssen ergänzt werden durch eine gezielte Beseitigung der Infrastrukturnachteile und der Belastung mit ökologischen Altlasten in den industriellen Kernen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist nun am Zug, diese Grundsatzvereinbarungen umzusetzen. Wir haben begründete Zweifel, ob Ihnen das gelingt, und deshalb fürchten wir um die wirtschaftliche und soziale Stabilität in ganz Deutschland, eine soziale Stabilität, die auch die Grundlage einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft ist.Ich danke Ihnen.
Nun hat Graf Lambsdorff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Rede, die wir eben hörten, war das Musterbeispiel einer Rede, „warum ich nein sagen möchte und anschließend doch ja sage".
Meine Damen und Herren, wie hat Voltaire doch so schön formuliert: Es ist immer gefährlich, in Dingen recht zu behalten, in denen große Leute unrecht behalten haben.
Sie werden verstehen, Herr Bundesfinanzminister, daß ich diese Lebensweisheit zitiere, wenn ich an unsere zurückliegenden Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung der konjunkturellen Situation denke. Inzwischen sind wir aber einig, und ich denke, Sie werden zufrieden sein, daß ich Sie mit diesem Zitat zu den großen Leuten zähle.
Es wäre mir, meine Damen und Herren, sehr viel lieber gewesen, ich hätte unrecht behalten. Es ist nicht leicht, die konjunkturpolitische Debatte politisch und wirtschaftspolitisch verantwortlich zu führen. Realismus ist gefragt, nicht trostloser Pessimismus, aber auch nicht schönfärberischer Optimismus.
In der Politik, auch im Bundestag und in der Bundesregierung, hat die Schönfärberei bedenklich lange vorgeherrscht. Wir dürfen jetzt nicht von einem Extrem ins andere fallen. Die Rezession nährt den Pessimismus, und der Pessimismus nährt die Rezession. Und wer in dieser sensiblen Situation mit Horror- und Untergangsszenarien hausieren geht, der trägt dazu bei, daß sich die Spirale des Niedergangs fort-
setzt, daß sich die Stimmung noch weiter verschlechtert.
Die Rezession treibt die Defizite des Staates in die Höhe. Die jüngste Steuerschätzung ist uns wohl allen in die Knochen gefahren, vor allem hinsichtlich der mittelfristigen Perspektive.
Aber täuschen wir uns nicht: Es sind nicht nur konjunkturelle Faktoren, die die Defizite hochjagen, es sind auch strukturelle Faktoren. Es ist auch mangelnde Haushaltsdisziplin, vor allem auch auf seiten der alten Länder und Gemeinden,
und mit dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen sitzt ja ein Vertreter der laxen Haushaltspolitik der alten Länder heute hier auf der Regierungsbank.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung ist besonders fatal vor dem Hintergrund, daß die Staatsfinanzen schon jetzt unter einer bisher nicht gekannten Anspannung stehen. Wir verzeichnen die höchste Staatsquote seit Bestehen der Bundesrepublik und die höchste Kreditquote. Die Abgabenquote wird 1995 mit 47,5 % des Sozialprodukts schwindelnde Höhen erreichen.
Der Hinweis darauf, daß die finanziellen Anstrengungen zur Schaffung der wirtschaftlichen Einheit unseres Landes wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen haben, ist sicherlich richtig, aber ihre ökonomischen Wirkungen entfalten diese Daten unabhängig von ihrem Entstehungsgrund. Schulden sind eben Schulden, und Zinsen sind Zinsen.
Wir könnten all das, meine Damen und Herren, etwas gelassener betrachten, wenn es nur um einen, wenn auch tiefen, konjunkturellen Einbruch ginge. Es geht aber um mehr. Deutschland ist wirtschaftlich zu teuer, zu unbeweglich, zu statisch, zu wenig unternehmerisch, zu wenig dynamisch geworden.
In unserem Denken steht der Pfandbrief hoch über der Aktie, rangiert die Sicherheit vor dem Risiko, dominieren Urlaubswünsche, Freizeit und kürzere Arbeitszeiten.
Das Fazit: Die Deutschen leben über ihre Verhältnisse. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seifert?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13723
Nein.
— Ich habe vor Ihnen keine Angst. Aber ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen zu diskutieren. Aus jeder anderen Gruppe dieses Parlaments beantworte ich Zwischenfragen.
Umdenken, meine Damen und Herren, ist gefragt — nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft, in den Vorstandsetagen
ebenso wie in den Gewerkschaftsbüros.
Lassen Sie mich zum Stichwort „Gewerkschaftsbüros" eine Anmerkung machen.
Herr Steinkühle hat einen erheblichen Fehler gemacht. Er hat die Konsequenzen gezogen. Ich bin gegen Nachtreten.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. ist überzeugt davon: Die Mehrzahl unserer Mitbürger hat die Notwendigkeit zum Umdenken und zum Umschalten längst erkannt. Unsere Mitbürger ahnen — und viele wissen —, daß es so wie bisher nicht weitergeht. Sie wollen eine realistische Analyse, und — was viel wichtiger ist — sie wollen einsichtige Therapievorschläge.
Wo sind die positiven Ansätze, auf denen aufgebaut werden kann?
Positiv ist, daß der große Dienstleistungsbereich und der Bausektor wesentlich rezessionsrobuster als tie Industrie sind.
Positiv ist, daß im Westen unseres Landes in der Lohnentwicklung eine deutliche Mäßigung eingetreten ist — leider nicht im Osten. Das Ergebnis des Streiks wird den Aufbau in den fünf neuen Bundesländern weiter verzögern.
Positiv ist, daß vor allem die für die Investitionstätigkeit so wichtigen mittel- und langfristigen Zinsen deutlich gesunken sind. Jeder Kritiker der Politik der Deutschen Bundesbank sollte dies zur Kenntnis nehmen.
Positiv ist, daß sich die Weltkonjunktur allmählich zu beleben beginnt.
Positiv ist schließlich, daß sich in dem langanhaltenden Aufschwung der 80er Jahre, den diese Bundesregierung und ihre Politik zu vertreten und zu verantworten hat, keine wesentlichen inflationären Fehlsteuerungen und somit keine größeren strukturellen Verwerfungen ergeben haben, die in früheren Konjunkturzyklen oft die Abschwächung oder die Rezession einleiteten.
Damit aber, meine Damen und Herren, sind wichtige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Umschwung, für neue wirtschaftliche Dynamik geschaffen. Jetzt müssen wir diese nutzen.
Dazu kann die Finanz- und Haushaltspolitik, die wir heute hier beraten, einen erheblichen Teil beitragen.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Ich nehme an, daß das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Wenn das so ist, dann gerne, Frau Präsidentin.
Nein, das wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Lambsdorff, darf ich Sie fragen, ob Ihre Rede die Neuauflage eines Lambsdorff-Papiers ist.
Das ist keine Neuauflage eines Lambsdorff-Papiers — ich schreibe nicht jedes Jahr ein Papier, auch nicht alle zehn Jahre —, aber es ist der Versuch, von der Analyse der Situation zur Therapie zu kommen und einige Vorschläge zu machen, wie wir vielleicht mit der gegenwärtigen schwierigen Situation fertigwerden könnten. Ich lade jeden ein, das zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat schon in der Debatte zum Solidarpakt hier gesagt, daß sie ihm zustimmt, daß sie ihn allerdings nicht für ausreichend hält. Die Finanzierung der neuen Bundesländer und des Wohnungsbaus ist völlig in Ordnung. Der BundLänder-Finanzausgleich ist notwendig, für den Bund aber viel zu nachteilig und für die alten Bundesländer viel zu günstig.
Das hat ein Gutes: Oskar Lafontaine kann jetzt seine industriepolitischen Kunststücke in Sachen Saarstahl allein finanzieren.Wir haben erhebliche Bedenken, den Solidarzuschlag unbefristet zu lassen. Der Moloch Staat wird ihn dauerhaft vereinnahmen.
— Nein, in finanziellen Dingen lasse ich das gar nicht, Herr Duve. — Um so wichtiger ist es, daß ein Versäumnis der FKP-Runde nachgeholt wird, und das ist die Verabschiedung des Standortsicherungsgesetzes.
Unsere im internationalen Vergleich abschreckend hohen Spitzensätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer müssen herunter. Herr Wieczorek, Sie wissen ganz genau, es geht um die Einkünfte aus
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13724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Otto Graf Lambsdorffgewerblichem Betrieb und nicht um die Spitzeneinkünfte von Privatleuten.
Diese Spitzensätze sind Investitionshemmnisse erster Güte. Und wenn der Solidarzuschlag auf dieser Basis hinzukäme, dann geht es wahrlich nicht mehr um Besteuerung, sondern nahezu um staatlich verordnete Räuberei.Leider kann die Senkung der Steuersätze nur aufkommensneutral erfolgen. Es wäre uns lieber, wir könnten die Verschlechterung der degressiven Abschreibung vermeiden; aber wir wissen, es geht nicht.Die F.D.P. hat immer beanstandet, daß sich die Runde im NATO-Saal des Bundeskanzleramtes unsere Einsparvorschläge zwar angehört, aber nichts dergleichen beschlossen hat. Im Gegenteil: SPD. und CDU rühmten sich um die Wette, Einsparungen im sozialen Bereich verhindert zu haben. Jetzt packt der Finanzminister alles wieder auf den Tisch, wie von uns an dieser Stelle am 25. März vorausgesagt. Ganze zwei Monate hat die große Illusion der Zauberkünstler gehalten, und jetzt ist die Trickkiste leer.
Es wäre gut, meine Damen und Herren, wenn unser geschätzter Koalitionspartner daraus lernen würde: Es hat keinen Sinn, auf die sozialdemokratischen Leimruten zu gehen.
Die SPD hat in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik seit 1982 wenig bis nichts hinzugelernt. Nach zwölfjähriger Wanderung durch die Wüste sozialdemokratischer Konzeptionslosigkeit hat sie für 1994 ein wirtschaftspolitisches Programm angekündigt, 12 Jahre nach dem Machtverlust.Wie mag das wohl aussehen?
)
— Sie hätten übrigens im Deutschlandfunk vorher mir zuhören können, Herr Glos. Dann hätten Sie das leichter ertragen; aber da waren Sie wahrscheinlich noch nicht aufgestanden. — Etwa so, wie Frau Matthäus-Maier es heute morgen im Deutschlandfunk sagte? Immer das Falsche, nämlich Steuererhöhungen, aber das wenigstens konsequent; das muß ich zugeben.
Auch Herr Wieczorek will mit der Arbeitsmarktabgabe immer noch etwas drauf tun.Oder wollen Sie es wie Ihr neuer wirtschaftspolitischer Sprecher Uwe Jens machen: an einem Tage eine richtige Absage an staatliche Industriepolitik — Sie sollten das lesen, Herr Wieczorek, was er in der „FAZ" geschrieben hat. Dann würden Sie nicht von marktwirtschaftlicher Industriepolitik sprechen. Was ist denn das? Ein „schwarzer Schimmel"? Oder vielleicht besser ein „roter Schimmel" , den Sie aufgezäumt haben? — und am nächsten Tag die falsche Forderungnach einem milliardenschweren Investitionsprogramm, nach höheren Steuern und Druck auf die Bundesbank mit der Folge, die D-Mark international in Gefahr zu bringen? Was ist das eigentlich alles? Wie reimt sich das? Das Durcheinander bei der SPD ist total, nicht nur bei der Suche nach Vorsitzenden und/oder Kandidaten, nach Einzweck- oder Mehrzweckwaffe.Sie werden kein sozialdemokratisches Wirtschaftsprogramm zustande bringen, weil es so etwas nach dem kläglichen Ende der Planwirtschaft gar nicht gibt und gar nicht geben kann,
es sei denn, meine Damen und Herren, Sie machen es wie Ihre Genossen in Australien und Neuseeland und übernehmen lupenreine liberale Wirtschaftspolitik. Das schaffen Sie aber auch nicht.Wie Sie unter diesem Umständen, Herr Wieczorek, hier die Dreistigkeit aufbringen können, den Regierungswechsel zu verlangen, verstehe ich nicht. Zu wem denn? Zu Ihnen? Um Himmels willen!
— Herr Duve, setzen Sie doch besser Ihre Glasperlenspiele über die Neue Linke in Europa fort. Der Peter Glotz formuliert das so schön und so realitätsfern. Das beruhigt doch; das ist doch fein für Sie.
Meine Damen und Herren, die Koalition stellt sich den Problemen.
Die richtige Therapie muß an den Ursachen der Rezession ansetzen, und hier zeigt sich, daß sie zu einem erheblichen Teil hausgemacht ist. Die Kosten der Produktion sind zu hoch geworden: die Kosten der Arbeit, die Kosten des Kapitals, die Kosten, die der Staat der Wirtschaft auferlegt. Wir haben eine Kostenrezession, die wir uns in den letzten Jahren selber eingebrockt haben.
Aufgabe des Staates in dieser Situation ist es, die der Wirtschaft auferlegten Kosten zu reduzieren, und das heißt im Klartext: Sparen, sparen und noch mal sparen,
aber im konsumtiven Bereich und nicht im investiven Bereich.
Ihr neuester Vorschlag, Herr Bundesfinanzminister, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen, verschärft die Kostenrezession. Warum bemühen wir uns eigentlich monatelang, die Kosten der geplanten Pflegeversicherung zu kompensieren? Herr Wieczorek, Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13725
Dr. Otto Graf Lambsdorffdie Bemühungen der Koalition in dieser Frage, nämlich in der Frage der Arbeitskostenbelastung, einfach diskreditieren. Sie wollen die Einführung der Pflegeversicherung bei voller Belastung der Arbeitskosten. Das heißt, Sie spielen mit den Arbeitsplätzen der Menschen in Deutschland — verantwortlungslos!
Eine Durchforstung der Haushalte allein reicht nicht aus. Endlich macht sich der Bundesfinanzminister an ein Haushaltssicherungsgesetz. Da werden Sie schon verstehen, wenn ich frage: Warum so spät? Ich habe das im Sommer 1991 gefordert.
Wir brauchen Einsparungen in zweitstelliger Milliardenhöhe. Dies erreichen wir nur, wenn an die großen Posten herangegangen wird. Dabei bleibt der Subventionsabbau auf der Tagesordnung.
— Lieber Herr Wieczorek, ich erinnere mich an die Auseinandersetzungen mit Ihnen in der alten Koalition, als wir über den Subventionsabbau gesprochen haben und Sie am nächsten Tag die Subventionen für die Stahlindustrie gefordert haben.
Meine Damen und Herren, jeder sagt, wir sollen den Gürtel enger schnallen, und jeder fummelt am Gürtel des Nachbarn herum, aber nicht am eigenen.
Wir kommen aber auch um den Abbau von Sozialleistungen nicht herum. Umbau allein reicht nicht mehr; es ist traurig, das sagen zu müssen. Aber 460 Milliarden DM Haushaltsvolumen und davon120 Milliarden DM für den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sind nicht längerfinanzierbar.
Das ganze System ist zu teuer geworden, und es wirkt lähmend auf die wirtschaftliche Aktivität. Die Zinsbelastung des Haushalts wird 1995 100 Milliarden DM betragen. Dann landen wir in der Schulden- und Zinsenfalle. Wenn Sie, verehrter Herr Wieczorek, hier den Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt zitieren, dann tun Sie das freundlicherweise auch einmal bei den Ratschlägen, die er Ihnen für Ihre Politik heute gibt, und zitieren Sie ihn nicht nur aus der besonnten Vergangenheit, in der Sie ihn im Stich gelassen haben, in der Sie ihn haben sitzenlassen.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waltemathe?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, bitte.
Graf Lambsdorff, obwohl ich Ihre Ablenkungsmanöver natürlich verstehe, möchte ich Sie doch fragen, ob es zutrifft, daß — angefangen mit Herrn Friedrichs über Sie bis zu Herrn Rexrodt heute — in der vorigen Bundesregierung und in dieser Regierung für die Wirtschaftspolitik immer ein F.D.P.-Mitglied verantwortlich war, bei guter Konjunktur die F.D.P. die gute Konjunktur gemacht hat, Sie aber nichts mit der Wirtschaftspolitik zu tun haben, wenn es bergab geht.
Das letzte ist nicht ganz richtig, Herr Waltemathe, das ist Ihre Betrachtungsweise. Aber stellen Sie sich einmal vor, wie die Wirtschaftspolitik ausgesehen hätte, wenn es keine F.D.P.-Minister gegeben hätte! Das wäre ganz verheerend gewesen.
Meine Damen und Herren, Kollege Glotz hat die Einhaltung des Lohnabstandsgebotes und das Zitat von Herrn Scharping gebracht; ich kann darauf verzichten.Ich will an dieser Stelle noch ein Wort an unseren verehrten Koalitionspartner richten: Die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU hat einen neuen Vorsitzenden namens — Augenblick! — Bregger. Der hat zur Erhöhung seines nicht vorhandenen Bekanntheitsgrades als ersten den Bundeswirtschaftsminister Rexrodt öffentlich kritisiert.
— Ich weiß, mit so etwas kommt man in die Zeitung. Aber wie wäre es denn, wenn der fabelhafte Herr Bregger sich erst einmal der führenden Wirtschaftspolitiker seiner eigenen Partei annähme — oder findet er keine?
Der Herr Bundeskanzler hat einen gefunden, Herrn Ost — aber nun ja.Meine Damen und Herren, eigentlich wäre es angezeigt, mittels der Steuer- und Abgabenpolitik die Wirtschaft zu entlasten und Leistungsanreize zu setzen, aber die angespannte Finanzlage gibt das nicht her. Um so mehr ist Vertrauensbildung geboten. Gerade die jüngsten Ergebnisse der Steuerschätzungen unterstreichen das Gebot weiterer strikter Ausgabendisziplin. Es wäre gut, wenn von dieser Debatte in diesem Sinne ein klares Signal an die Wirtschaft ausgesendet würde.Nun wird immer wieder eingewandt — auch Herr Glos hat das gesagt —, in der aktuellen Konjunkturlage würde zusätzliches Sparen des Staates die Lage noch verschlimmern. Das ist im Prinzip richtig. Aber angesichts der Haushaltslage empfehle ich doch, Herr Glos, differenzierter zu sehen. Der „Weg der leichten Hand", alle zusätzlich entstehenden konjunkturbedingten Defizite bedenkenlos durch höhere Kredite zu finanzieren, muß überdacht werden. Höhere konjunk-
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Dr. Otto Graf Lambsdorffturbedingte Defizite sind nur dann zu vertreten, wenn sie verbunden sind mit klaren und deutlichen Sparanstrengungen, die unter Beweis stellen, daß das mittelfristige Ziel der Rückführung der Defizite ernsthaft angestrebt wird. Konjunkturbedingte Defizite können leicht in strukturelle Defizite umschlagen, nämlich dann, wenn sich die Arbeitslosigkeit verhärtet.Meine Damen und Herren, da sind wir uns doch wohl einig: Am meisten bedrückt uns alle diese viel zu hohe Arbeitslosigkeit.
Sie kostet viel Geld. Sie läßt menschliche Ressourcen brachliegen. Aber sie ist nicht nur ein ökonomisches Problem; Arbeitslosigkeit berührt das Selbstverständnis der Menschen. Sie zerstört Familien, sie macht Menschen oft nutzlos in deren eigenem Urteil.
2,2 Millionen Arbeitslose in Westdeutschland, 1,2 Millionen in Ostdeutschland, 15 Millionen in der EG und 35 Millionen in den Ländern der OECD, das sind besorgnis-, ich meine, furchterregende Zahlen. Bleibt das unser Schicksal? Geht der Industriegesellschaft die Arbeit aus? Kein Zweifel, kurzfristig wird überall nur über Personalabbau entschieden, nicht mehr über Frühpensionierung. Diese Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Jetzt geht es um Entlassungen in den Arbeitsmarkt. Lassen wir uns nicht vernebeln durch die Worte, die man gestern auch auf der Hauptversammlung von Daimler-Benz hören konnte: „betriebsbedingte Kündigungen" . Das sind Vernebelungsausdrücke für den harten Tatbestand, daß es um Entlassungen in den Arbeitsmarkt geht. Es trifft diesmal sowohl Arbeiter im Produktionsbereich wie Angestellte im Dienstleistungsbereich. Das ist eine Folge arbeitsplatzsparender, neuer Techniken.Muß das und wird das so bleiben? Ich persönlich glaube es nicht. Die Arbeitslosenzahl alleine ist irreführend. In der OECD ist die Zahl der Beschäftigten im Alter zwischen 16 und 64 Jahren von 1982 bis 1992 um eindrucksvolle 40 Millionen gestiegen. Die demographische Entwicklung wird in den 90er Jahren dazu führen, daß das Arbeitskräftpotential zahlenmäßig abnimmt. Vor allem aber lehrt uns die Entwicklung zur und der Industriegesellschaft, daß neue Techniken am Ende neue und mehr Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie waren seit der Erfindung der Dampfmaschine eben keine Jobkiller. Der verlorene Arbeitsplatz am Fließband allerdings wird so nicht wiederkommen. Deshalb ist Aus- und Weiterbildung so wichtig.Wir werden nach meinem Urteil keine Dauer- und Massenarbeitslosigkeit hinnehmen müssen, allerdings nur dann, wenn die staatliche Wirtschaftspolitik den schmerzhaften Prozeß zu neuer Produktivität durch neue Techniken nicht durch Erhaltungssubventionen und Protektionismus behindert.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?
Jetzt leuchtet schon die Lampe, Frau Präsidentin. Ich habe noch ein paar Sätze. Wenn ich diese noch sagen darf?
Ich habe die Lampe schon ausgemacht.
Vielen Dank. — Bitte, Frau Kollegin.
Graf Lambsdorff, mir kommen ja die Tränen, wenn Sie das Wort „Arbeitslosigkeit" in den Mund nehmen und beklagen, wie viele Arbeitslose wir haben.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß man dann überlegen muß, wie man Arbeitslosigkeit bekämpft, und daß eine der Maßnahmen ist, die Instrumente der Bundesanstalt für Arbeit einzusetzen, sie auch finanziell entsprechend auszustatten und diese Finanzausstattung nicht immer in einem Stop-and-Go zu kürzen?
Meine Damen und Herren, dies ist ein grundlegendes Mißverständnis bezüglich der Frage, mit welcher Politik man Beschäftigung schafft. Wir brauchen rentable Arbeitsplätze in Unternehmen und nicht solche in einem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, die künstlich finanziert werden.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage?
Sie wollen, Frau Fuchs, immer nur die Hilfswege gehen, Sie suchen die Surrogate, die Ersatzlösungen. Sie drücken sich um die Beantwortung der Fragen, die zur wahren Problemlösung notwendig ist.
Frau Fuchs möchte noch eine Zusatzfrage.
Die Finanz- und Haushaltspolitik — —
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie in Kauf nehmen, daß wir auf Dauer mehr als 3 Millionen Arbeitslose haben, und abwarten, bis sich auf Grund der technischen Entwicklung neue Arbeitsplätze ergeben?
Verehrte Frau Kollegin, wer nach den Ausführungen, die ich hier gemacht habe, diese Quintessenz, diese Schlußfolgerung zieht, der will mich nicht verstehen oder der kann mich nicht verstehen. Bei Ihnen nehme ich an, Sie wollen es nicht.
Meine Damen und Herren, die Finanz- und Haushaltspolitik kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, aus der Rezession wieder herauszukommen. Es geht darum, die langfristigen Wachstumsbedingungen zu verbessern und den Standort Deutschland attraktiv zu gestalten. Es ist sicherlich nicht erbaulich, erkennen zu müssen, daß wir die Rezession zu einem
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Dr. Otto Graf Lambsdorff
guten Teil selbst verschuldet haben. Aber das gibt auch Hoffnung, weil wir selbst es in der Hand haben, die notwendigen Korrekturen herbeizuführen.
Gewiß steht unsere Wirtschaft am Scheideweg. Es liegt in unserer Hand, wohin wir gehen. Wenn wir den Weg der Vernunft gehen, müssen wir damit rechnen, daß er Einschnitte erfordert, Einschnitte, die auch schmerzhaft sein können. Aber wir gewinnen die Perspektive, an die Wachstumserfolge der 80er Jahre anknüpfen zu können.
Die Freien Demokraten meinen, daß diese Perspektive den Einsatz lohnt.
Ich bedanke mich.
Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, möchte ich auf der Tribüne den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Herrn Miguel Angel Martinez, ganz herzlich begrüßen und willkommen heißen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich den großen Beitrag hervorheben, den der Europarat für Menschenrechte und Minderheitenrechte in den jungen Demokratien geleistet hat. Hier gehen inzwischen mehrere Länder beispielhaft voran. Vielen Dank für die Integration der neuen Demokratien in den Europarat!
Als nächster spricht der Abgeordnete Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Glos, eigentlich wird mir ja nachgesagt, daß ich gelegentlich — —
Darf ich Sie bitten, einen Augenblick zu warten, bis die Abgeordneten, die das wünschen, den Saal verlassen haben und wir fortfahren können.
Es gibt Zuhörerinnen und Zuhörer, auf die ich verzichten kann.
Herr Glos, Sie haben hier zum Teil richtige Klassenkampfparolen ausgestoßen. Das würde mich alles gar nicht so stören. Was mich wirklich stört, ist, daß ich in der gestrigen Diskussion gespürt habe, daß zum Teil deutlich zur Entsolidarisierung mit Flüchtlingen, mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufgerufen wird, und heute unterscheiden Sie immer wieder zwischen jenen, die noch Arbeit haben, und jenen, die keine haben. Sie weisen darauf hin, daß letztere angeblich sozialen Mißbrauch betreiben, zuviel Geld bekommen etc., was auch zur Entsolidarisierung in der Gesellschaft beiträgt. Das ist eindeutig der falsche Weg.Es kann schon im Einzelfall Mißbrauch von Sozialleistungen geben, aber das ist ja nichts im Vergleich damit, wie Steuern in diesem Land hinterzogen werden. Ich frage mich, warum Sie eigentlich nicht energische Maßnahmen treffen, um genau das zu verhindern. Ich will Ihnen einmal etwas aus der „Woche" vom 7. April 1993 zitieren. Da heißt es:Das hat Deutschland noch nicht erlebt: Die ersten Adressen der Industrie zahlen kaum noch Steuern. Von Daimler-Benz bis BMW, von Hoechst bis BASF sind sie fast alle Champions, wenn es darum geht, dem Finanzamt eine lange Nase zu drehen. Arbeiter und Angestellte, Freiberufler und Selbständige bittet Finanzminister Theo Waigel kräftig zur Kasse, um die gewaltigen Kosten der deutschen EInheit zu finanzieren. Doch die Konzerne verweigern sich dem Solidarpakt. Den Vogel schießt Daimler-Benz ab. Noch vor wenigen Jahren führte Deutschlands größtes Industrie-Unternehmen zwei Milliarden Mark Steuern auf seine Gewinne ab. 1992 ging der Fiskus leer aus: Daimler-Benz zahlte keinen Pfennig. Und das nicht allein, weil die Stuttgarter weniger Geld verdienten mit ihren Edelkarossen, Waschmaschinen und Flugzeugen. Geschickt verlegt der schwäbische Konzern mit allerlei Bilanztricks seine Profite ins Ausland, wo die Steuersätze niedriger sind als in der Bundesrepublik. Genauso machen es die Großchemie, die Großbanken und Daimlers Konkurrent BMW.
Für den Münchner Autobauer ist die Rechnung klar: Er sparte durch Steuerflucht in den letzten vier Jahren schätzungsweise 800 Millionen Mark. Die Bundesrepublik aber mußte auf Einnahmen von weit mehr als zwei Milliarden Mark verzichten.Dazu ist eine hochinteressante graphische Darstellung abgedruckt, aus der zu ersehen ist: Daimler hat 1989 noch 2 Milliarden DM Steuern bezahlt, 1992 null Mark; VW hat 1989 noch 1,2 Milliarden DM Steuern bezahlt, im Jahre 1992 null Mark; Hoechst hat im Jahre 1989 noch 1 Milliarde DM Steuern bezahlt, 1992 null Mark; BMW hat 1989 etwa 500 Millionen DM Steuern gezahlt, 1992 null Mark.Dagegen unternimmt diese Bundesregierung nichts. Das ist das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik. Statt dessen kürzen Sie tatsächlich bei Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern, bei Wehrdienstpflichtigen der Bundeswehr, d. h. im alleruntersten sozialen Bereich. Das ist wirklich nicht nur Sozialdemontage, sondern zeigt auch, für wen diese Bundesregierung da ist.Dieser Staat lebt von den Steuern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und des Mittelstandes, aber nicht von den Steuern der Konzerne. Die haben sich aus der Finanzierung der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Das ist eine Tatsache. Und dagegen könnte man eine Menge machen.Es kommt noch eines hinzu: Die amerikanische Börse verweigert all den von mir genannten Betrieben den Handel mit Aktien mit der Begründung, daß diese ihre Gewinne nicht ausreichend angeben. Auch das ist das Ergebnis Ihrer Steuergesetzgebung.
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Dr. Gregor GysiUnd dagegen unternehmen Sie nichts.Das weitere, womit ich mich gerne auseinandersetzen will, ist die Art und Weise, wie sie Transferleistungen in den Osten hier immer wieder beschreiben. Zunächst einmal behaupte ich, daß auch hier eine Entsolidarisierungspolitik stattfindet. Sie erwähnen z. B. immer die 108 Milliarden brutto, die in diesem Jahr in die östlichen Bundesländer fließen werden. Aber Sie erwähnen nie, daß Sie 78 Milliarden aus diesen Bundesländern bekommen. Warum operieren Sie mit einem Brutto- und nicht mit einem Nettobetrag, wenn Sie wissen, daß Sie mit dem Bruttobetrag nur Verwirrung in der Bevölkerung stiften und bei den Menschen im Westen erreichen, daß sie denken, täglich wird ihnen zur Finanzierung des Ostens in die Tasche gegriffen? Auch das entsolidiarisiert und spaltet.Sie machen noch etwas anderes. Sie rechnen nämlich in die Zahlungen für die neuen Bundesländer auch die Zahlungen auf Grund ganz normaler Rechtsansprüche ein, z. B. für Kindergeld, für Erziehungsgeld. Darauf hat aber jede Bürgerin bzw. jeder Bürger unter entsprechenden Umständen Anspruch, ob er nun in Bayern oder in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Da frage ich Sie: Warum rechnen Sie das nie bei Bayern und bei Baden-Württemberg, sondern immer nur bei Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen etc. ein, d. h. zu Lasten der neuen Bundesländer? Auch das nenne ich Spaltungspolitik, obwohl das Gegenteil von Ihnen immer deklariert wird.
— Wissen Sie, zu der maroden Wirtschaft im Osten, muß ich Ihnen auch mal was sagen.
— Doch, die war marode. Ich will Ihnen nur zwei Dinge dazu sagen: Erstens. Stellen Sie sich mal vor, sie wäre nicht marode gewesen: Dann wäre die ganze Einheit nicht gekommen.
Zweitens. Stellen Sie sich doch einen Moment lang vor
— nein, machen wir es doch ernsthaft —, es wäre eine bestens funktionierende, höchst effektive Wirtschaft gewesen, die tollste Qualitätsprodukte hergestellt hätte, und dann wäre die deutsche Einheit gekommen! Dann wäre alles, was im Westen nicht niet- und nagelfest ist, niederkonkurriert worden. Na, was meinen Sie, was das für eine Wirtschaftskatastrophe für die Bundesrepublik Deutschland geworden wäre!Im übrigen, der Aufbau im Osten nutzt doch der Wirtschaft im Westen. Sie hat damit doch Milliardengewinne gemacht. Aber Sie haben sie nicht zur Kasse gebeten, sondern die Sozialschwachen bitten sie zur Kasse und nicht die, die an der deutschen Einheit verdient haben. Das ist der Vorwurf, den wir gemacht haben.Im übrigen sage ich Ihnen noch eines — das ist mir ebenfalls wichtig —: Als wir hier das erste Mal überdiesen sogenannten Solidarpakt im März diskutiert haben, da haben Sie behauptet, daß die Neuverschuldung zum Jahresende auf bis zu 55 Milliarden DM ansteigen wird. Und wir haben gesagt, daß wir das nicht glauben, daß wir davon ausgehen, daß es mindestens 70 Milliarden DM sein werden. Jetzt sage ich Ihnen mal ehrlich was — das ist sogar ein bißchen selbstkritisch —: Wenn inzwischen schon die PDS besser rechnet als die Bundesregierung, dann ist es um diese Bundesregierung wirklich schlimm bestellt.
Das will ich Ihnen versichern. Denn offensichtlich haben wir recht, und Sie hatten unrecht.
Dann komme ich noch auf etwas anderes zurück. Sie haben in dem Konsolidierungsprogramm und dem entsprechenden Umsetzungsgesetz auf Druck der SPD viele schon geplante Sozialkürzungen nicht mit aufgenommen — von einer Schlechterstellung der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, von einer Streichung des Mehrbedarfs für TbcKranke und andere Dinge mal abgesehen, was alles schon schlimm genug ist.Aber eines muß ich nun auch mal die SPD fragen: Sagen Sie, wie schließen Sie eigentlich Verträge? Was hat das denn für einen Wert, wenn Sie mit der Bundesregierung tagelang verhandeln, als Ergebnis erreichen, daß Sozialkürzungen nicht kommen, und nach vier Wochen veralbert diese Bundesregierung Sie, indem sie dieselben Sozialkürzungen wieder auf die Tagesordnung setzt und nun mit einem anderen Gesetz durchsetzen will? Verträge, denke ich, sind irgendwie einzuhalten. Bauen Sie denn da gar keine Sicherungen ein, so daß das der Bundesregierung ohne weiteres möglich ist? Was nutzt es uns denn, wenn es in diesem Gesetz nicht steht, aber vom Bundesfinanzminister gestern schon für ein neues Gesetz angekündigt worden ist, die gesamten Sozialstreichungen vorzunehmen, wahrscheinlich noch schlimmer, als sie damals geplant waren, und das vor allem in Bereichen wie Umschulung und Weiterbildung bei der Bundesanstalt für Arbeit? Graf Lambsdorff sagt doch: Gerade das ist zur Schaffung von Arbeitsplätzen wichtig. — Und dann werden die Mittel für diese Bereiche gekürzt! Das ist doch eine Katastrophe und bedeutet, daß die Massenarbeitslosigkeit immer weiter zunehmen wird.Im übrigen finde ich, daß für irgendwelche höhnischen Bemerkungen zum Stahlstandort Saarland kein Grund besteht; denn es geht dort immerhin um 7 000 Beschäftigte. Die haben aus dem Bundestag nicht unseren Spott, sondern — das wäre unsere Aufgabe — unsere Solidarität und unsere Hilfe zu erwarten.
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Dr. Gregor GysiNun ist natürlich immer die Frage: Wie soll man denn alles das bezahlen, was zu bezahlen ist? Ich will Ihnen ein paar Vorschläge dazu unterbreiten.
— Das haben wir schon mehrfach vorgeschlagen. Es wird ja nicht verwendet. Es liegt brach, weil diese unabhängige Kommission nicht zum Zuge kommt, weil sich da einige eine goldene Nase damit verdienen, daß sie 15 Jahre darauf sitzen. Darüber können wir gern diskutieren. Damit habe ich wirklich keine Schwierigkeiten.Wir schlagen vor, die Absetzbarkeit von Bewirtungsspesen zu reduzieren oder gar ganz zu streichen. Es kann nicht hingenommen werden, daß Unternehmer ihre Geschäftsessen zu 80 % steuerlich absetzen können.
Auch die übrigen 20 % der Bewirtungskosten unterliegen als Eigenverbrauch nicht der Umsatzsteuer. Zum anderen betrifft der sogenannte Vorsteuerabzug bei der Umsatzsteuer den vollen Rechnungsbetrag, also 100 %. Allein diese Streichung würde für den Staat bis zu 800 Millionen DM jährlich mehr einbringen.Die Abschaffung der Steuerbefreiung für Flugbenzin würde die Privatflieger zwar mit knapp 40 Millionen DM zusätzlich belasten. Aber nicht nur wir fragen uns, womit die Bundesregierung diesen Subventionstatbestand überhaupt noch rechtfertigt.
Wir halten auch die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von 12 000 DM im Jahr für untragbar. Durchschnittsverdiener, die eine solche Hilfe benötigen, können sie sich ohnehin nicht leisten, während die Topverdiener diese Steuerentlastung locker mitnehmen. Man muß nicht so weit gehen, meine ich, daß man sie sich ganz vom Staat bezahlen läßt; aber daß man die Kosten, die man möglicherweise dafür hat, auch noch absetzen kann, finden wir schon ziemlich unverschämt.
Mehreinnahmen von mindestens 500 Millionen DM wären die Folge für den Staat.Wir schlagen ferner vor, Unternehmern die steuerliche Absetzbarkeit eines auch betrieblich genutzten Pkw zu nehmen. Gegenwärtig werden nämlich nicht nur der Kauf eines teuren Porsche steuerlich geltend gemacht, sondern auch die tagtägliche Nutzung. Mehreinnahmen für den Bund: 1 Milliarde DM.
Noch ein Hinweis. Obwohl bisher bei Großbetrieben nur alle 4,4 Jahre und bei Mittelbetrieben nur alle 9,5 Jahre Betriebsprüfungen der Finanzämter stattfinden, konnten dabei jährlich 11 Milliarden DM bis12 Milliarden DM hinterzogene Steuern aufgespürt werden. Ist es nicht vielleicht richtig, zu fordern, daß solche Betriebsprüfungen öfter stattfinden, wenn die öffentlichen Kassen damit derart aufgestockt werden können?
Die mit dem Standortsicherungsgesetz beabsichtigte Senkung der Körperschaftsteuer wird Unternehmer und Anteilseigner um rund 4,8 Milliarden DM entlasten. Die Senkung der Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte wird den Großverdienern weitere 3 Milliarden DM in die Tasche spülen.Der Abbau von Abschreibungsmöglichkeiten, mit dem diese Steuererleichterungen angeblich aufkommensneutral gegenfinanziert werden können, sofern Sie das überhaupt durchsetzen können, was ich noch bezweifle, ändert nichts daran, daß diese Steuererleichterungen nur den Großverdienern zugute kommen, während erschwerte Abschreibungsmöglichkeiten in erster Linie kleinere Betriebe und den Mittelstand treffen werden.Während die Bundesregierung Spitzenverdienern Steuererleichterungen beschert, müssen Bürgerinnen und Bürger mit Einkommen, die unterhalb der vom Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum festgelegten jährlich 12 000 DM bis 14 000 DM —je nach Berechnungsmethode — liegen, weiterhin auf eine verfassungskonforme Regelung der Freibeträge warten. Alleinstehende mit Einkommen ab 10 500 DM jährlich, Verheiratete ab 21 000 DM jährlich werden 1993 steuerpflichtig. Ich weiß nicht, ob eine oder einer von Ihnen schon mal versucht hat, mit solchen Beträgen zu leben.
Die für die Jahre 1994 und 1995 festgelegten Beträge ändern nichts daran, daß diese Regelung verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung hält an ihrer Absicht fest, das Existenzminimum, das immerhin selbst das Justizministerium mit etwas mehr als 15 000 DM jährlich angegeben hat, verfassungswidrig zu besteuern.Beim Solidaritätszuschlag wollen Sie eine soziale Komponente einbauen. Dann müssen Sie mir folgenden Rechentrick erklären: Der Drucksache 12/4801 entnehme ich, daß erwartet wird, daß dem Bund über den Solidaritätszuschlag 1996 31,6 Milliarden DM in die Kasse fließen. Ich frage mich, ob in dieser Rechnung wirklich die sogenannten Kleinbeträge abgezogen worden sind. Aus meiner Sicht gibt es einen Widerspruch zwischen den 28 Milliarden DM, die den bisher bekannten Beschlüssen aus Kanzler- und sonstigen Runden als jährliche Einnahmeschätzungen zugrunde lagen, und den jetzt berechneten 31,6 Milliarden DM. Das, meine ich, spricht dafür, daß eine Sozialkomponente bei dieser Rechnungsgrundlage nicht möglich ist.Es gäbe noch viel zu den hier vorliegenden Gesetzen zu sagen. Lassen Sie mich als letztes noch ein Wort zu der geplanten Entlastung, also zu den Altschulden
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13730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Gregor Gysider Wohnungswirtschaft, sagen. Was dort in den neuen Bundesländern angerichtet wird, ist wirklich eine ziemliche Katastrophe.Im übrigen unternehmen Sie etwas, was ich ungeheuer finde, nämlich eine Zwangsenteignung.
— Deshalb müssen Sie das jetzt ja nicht fortsetzen. — Sie machen Abschreibungsregelungen und anderes davon abhängig, daß vorher privatisiert wird. Das heißt, es muß verkauft werden. Sie stürzen damit auch die Wohnungsbaugenossenschaften, die jetzigen Eigentümer, in eine schwierige Situation. Wenn sie jetzt nicht verkaufen, bekommen sie diese oder jene Teilentschuldung nicht. Das ist für mich eine Zwangsenteignung, denn Sie zwingen diese Genossenschaften und die Inhaber von Wohnungen zum Verkauf. Und das Ganze geschieht zugunsten der Immobilienmakler im Westen. Das ist das Gegenteil von Einheitspolitik; es ist auch das Gegenteil von Sozialpolitik.
Herr Gysi, Ihre Redezeit ist beendet.
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin.
Wenn Sie nicht lernen, besser zu rechnen, solider mit dem Haushalt umzugehen und endlich bei denen abzukassieren, die in diesem Lande zuviel Geld haben, dann wird dieser Sozialkahlschlag weitergehen. Sie wissen es: Wir haben in der Bundesrepublik nicht zuwenig Geld; es wird nur ungerecht verteilt.
Als nächster spricht der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf die hier zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe eingehe, einige Worte zu den neuen Koalitionsvereinbarungen zur Pflegeversicherungsfinanzierung. Jetzt sollen also die Kranken für die Pflegebedürftigen zahlen.
— Nein, das ist nicht primitiv, sondern das ist ungeheuerlich.
Es verdeutlicht viel mehr den Solidaritätsbegriff, den diese Regierung vor Augen hat, als die naßforschen Sprüche von Herrn Lambsdorff hier kaschieren können. Völlig außerhalb des geltenden Tarif- und Verfassungsrechts soll mit der Einführung von zwei Karenztagen die Pflegeversicherung finanziert werden.
Die Schwachen sollen für die Schwächsten zahlen. Das ist die Logik dieser Politik. Das Parlament sollte sich gegen die Zumutung sträuben, das überhaupt zu beraten.
Allerdings habe ich in dieser Woche der großen Koalition Zweifel an der Kritik- und Urteilsfähigkeit dieses Hohen Hauses, denn wir erleben gerade in einer solchen Krise eine schlechte Regierungspolitik und — ich sage das auch auf uns bezogen — eine desolate Opposition. Aber ich hoffe, da wird sich schnell etwas ändern. Das haben wir ja wohl auch gemeinsam vor.Ich frage mich, welche Begriffe wir eigentlich benutzen können, um die Unsäglichkeiten zu benennen, die diese Regierung am laufenden Band fabriziert — unter tätiger Mitwirkung der Partei allerdings, die im nächsten Jahr mit dem Slogan „ Zeit für den Wechsel" in den Wahlkampf ziehen möchte. Die Worte, mit denen die Bundesregierung ihre Produkte an die Bürgerinnen und Bürger bringen möchte, sind faul, sind oberfaul.Da haben wir einen Solidarpakt, der alles andere als solidarisch ist und eben nicht die große gesellschaftliche Anstrengung bringt, die wir so nötig haben. Da haben wir als nächstes ein Föderales Konsolidierungsprogramm, das weder föderal ausgewogen ist noch die Konsolidierung der Staatsfinanzen sicherstellt.Folgerichtig läuft parallel zum heutigen letzten Akt dieses parlamentarischen Trauerspiels schon der Auftakt zum nächsten, das vermutlich unter dem Namen „Solidarpakt II" zur Aufführung kommen wird.Schließlich haben wir ein sogenanntes Standortsicherungsgesetz, das — wen wundert es — keineswegs geeignet ist, den Standort Deutschland und die Investitionsfähigkeit an diesem Standort zu sichern.Man muß feststellen — auch Theo Waigel hat es wohl gemerkt —, daß der Finanzminister nie auf der Höhe der Zeit ist, und dies trotz oder vielleicht wegen der Eile, in der die Bundesregierung das Gesetzespaket durchzupeitschen versuchte. Die Verfallszeit der Waigelschen Zahlen ist inzwischen so kurz geworden, daß der Horizont der mittelfristigen Finanzplanung Lichtjahre entfernt zu sein scheint, und auch die jährliche Haushaltsrechnung überfordert diese Regierung.Der Finanzminister rechnet offenbar nur noch in Tagen. Die Zahlen sind verwirrend, auch für ihn. Bei der letzten Steuerschätzung ist ihm nur noch eingefallen: Nun haben die Experten ihre Prognosen nach unten revidiert, und wir haben daraufhin unseren Haushalt entsprechend angepaßt.Das ist schon ein ganz normaler Vorgang in dieser Regierung. Wie viele solcher normalen Vorgänge wollen Sie uns noch zumuten? Wie oft wollen Sie in diesem Jahr die Prognosen denn noch revidieren?Im vorliegenden Nachtragshaushalt wird die Neuverschuldung des Bundes jetzt mit knapp über 70 Milliarden DM ausgewiesen, nachdem im Haushaltsent-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13731
Werner Schulz
warf zunächst nur 38 Milliarden DM vorgesehen waren. Dort hieß es unter anderem — ich zitiere —: „Der Entwurf des Bundeshaushalts 1993 und der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 werden den großen internationalen Anforderungen unserer Zeit gerecht." — Nichts davon traf zu. Das war auch damals schon absehbar.Schon im Juli 1992 haben alle Wirtschaftsexperten darauf hingewiesen, daß diese Finanzplanung unrealistisch ist. Dennoch hat die Bundesregierung bis zum Jahresende an ihrem Phantasiegebilde festgehalten und auch die Planungen zum Solidarpakt auf dieser unrealistischen Grundlage aufgebaut.Was den Menschen in diesem Lande wirklich zugemutet wird, dringt nicht ins Kanzleramt und auch nicht ins Finanzministerium durch. Statt in blühenden Phantasielandschaften zu schwelgen, sollte sich diese Regierung besser den Tatsachen der Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit stellen. Die Armut in Deutschland nimmt dramatische Formen an. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den alten Bundesländern hat sich im vergangenen Jahrzehnt von 2,3 Millionen auf 4,2 Millionen fast verdoppelt. In ganz Deutschland leben heute mindestens 6 Millionen Menschen in Armut.Der Bundeskanzler hat noch vor zwei Monaten wider besseres Wissen betont: Mit dem Ergebnis des Bonner Solidarpakts haben wir die Finanzgrundlagen für die vor uns liegenden Jahre bis 1995 und darüber hinaus gesichert. — Jetzt hat ihn die Wahrheit wieder einmal eingeholt. Wenn der Kanzler so offenkundig die Finanzlage der Nation schönredet, dann darf er sich über Politikverdrossenheit wahrlich nicht wundern. Dann müssen sich die Leute verschaukelt vorkommen.Tatsächlich hat der Solidarpakt keines der wesentlichen Probleme gelöst. Er hat sich als ein reiner Verschiebebahnhof für die Einheitslasten entpuppt. Statt Solidarpakt gab es einen Pakt mit den Schulden und einen Pakt gegen die Schwächsten dieser Gesellschaft.Die Bundesregierung hat mit den Ministerpräsidenten einen Handel abgeschlossen, der die künftigen Generationen belastet. Der Schuldenberg wird weiterhin dramatisch steigen. Dies ist nicht nur das Ergebnis der konjunkturellen Entwicklung. Fakt ist vielmehr, daß diese Regierung noch nie in der Lage war, die Staatsfinanzen ordentlich zu verwalten. Seit zehn Jahren steigen die Schulden kontinuierlich an. Die Sparappelle blieben bloße Rhetorik, während tatsächlich eine klientelorientierte Politik der Subventionen und Finanzhilfen betrieben wurde. Auch der Solidarpakt ist durch die schuldenfinanzierten Zugeständnisse an die westlichen Bundesländer erkauft worden.Die Schuldenentwicklung der regulären Haushalte ist dabei jedoch nur die halbe Wahrheit. Die Nebenhaushalte, Treuhandanstalt, Ostdeutsche Wohnungswirtschaft, Kreditabwicklungsfonds, Fonds „Deutsche Einheit" bilden inzwischen einen ganz wesentlichen Bestandteil der öffentlichen Verschuldung. Die Bundesbank hat das zu Recht kritisiert. Der für die Zeit nach 1995 einzurichtende Erblastfonds wird deutlichhöhere Schulden umfassen als die jetzt veranschlagten 400 Milliarden DM.Der Solidarpakt bringt also — das ist mein Kritikpunkt Nummer eins — keine Konsolidierung der Finanzen, sondern sorgt für eine weitere Schuldenexplosion im öffentlichen Sektor.Mit dem Pakt zwischen SPD und Bundesregierung — Kritikpunkt Nummer zwei — werden die alten sozialen Ungerechtigkeiten fortgeschrieben. Die Beitragszahler der Sozialversicherung müssen weiter einen großen Teil der Transfers in die neuen Bundesländer allein finanzieren. Selbst der Sachverständigenrat hat diese Ungerechtigkeit scharf kritisiert. Der Finanzminister ignoriert diese Kritik.Gleichzeitig werden Sozialhilfeempfängern neue Lasten auferlegt. Mit den Änderungen der Sozialhilferegelungen werden gerade jene getroffen, die der Hilfe der Gemeinschaft am meisten bedürfen. Mit den vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Leistungsmißbrauch in der Sozialhilfe werden die hilfsbedürftigen Menschen pauschal diffamiert, während die Bundesregierung gleichzeitig den Mißbrauch des Steuerrechts durch absolut nicht Hilfsbedürftige augenzwinkernd toleriert. Steuerhinterziehung wird immer noch als ein Kavaliersdelikt angesehen. Das stört den Finanzminister offenbar wenig.
Man gewinnt den Eindruck, daß es sich dabei um eine ganz spezielle Form der Subventionspolitik handelt.Im Gegensatz zur laxen Haltung bei den Steuersündern steht das rabiate Vorgehen gegen die Ärmsten in dieser Gesellschaft. Dabei sind die Einschnitte, die das Föderale Konsolidierungsprogramm bringen wird, erst der Auftakt zu weitaus größeren Einschnitten in das soziale Netz. Es ist noch nicht einmal verabschiedet, und schon plant die Bundesregierung ein Spar-und Konsolidierungsgesetz mit einem Streichvolumen von etwa 20 Milliarden DM. Einen besseren Beweis für die Untauglichkeit des jetzt vorliegenden Pakets kann man sich kaum vorstellen.Ungerecht ist auch — Kritikpunkt Nummer drei — die Verteilung der Finanzlasten zwischen Bund und Ländern. Die alten Bundesländer leisten keinen ausreichenden Beitrag zu einer fairen Lastenteilung. Es ist kein Wunder, daß die Regierungschefs der westlichen Bundesländer, gleich welcher Partei, den Solidarpakt als eine besondere Leistung gewürdigt haben; denn sie haben ihre Verhandlungsmacht wirkungsvoll ausgespielt und werden von den künftigen Lasten nur einen kleinen Teil zu tragen haben. Die föderale Schieflage der Finanzierung der deutschen Einheit wird so zementiert.Finanzpolitisch fatal ist dabei besonders, daß die Bundesländer des Zwangs zu eigenem Sparen enthoben werden. Die Ländervertreter können nun genüßlich zusehen, wie sich der Bund mit den Schuldenbergen herumschlagen muß. Es ist einigermaßen kokett, wenn jetzt Vertreter der SPD dem Bundesfinanzmini-
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13732 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Werner Schulz
ster mit großer Geste die Schulden vorhalten, die sie selber mit verursachen.
Es darf auch nicht übersehen werden, daß die neuen Regelungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs, ein wesentliches Element des Föderalen Konsolidierungsprogramms, zu keiner grundlegenden Reform für die Jahre nach 1995 geführt haben. Die alten Probleme der vertikalen und horizontalen Verteilung, wie fehlender Anreiz zur Stärkung der eigenen Steuerkraft, Übernivellierung und Undurchschaubarkeit, werden weiterhin existieren. Deshalb wird auch für die kommenden Jahre Reformbedarf bei der Verteilung der föderalen Finanzen bleiben.Dazu kommt, daß die Gespräche und Verhandlungen über den Solidarpakt am Parlament vorbei geführt wurden. Die Beratungsmöglichkeiten des Parlaments wurden auf das Minimum beschränkt. In den Fachausschüssen gab es kaum die Möglichkeit zu einer sinnvollen Beratung des umfangreichen Gesetzeswerkes. Ebenso sind die Entwürfe zur Neuordnung des Finanzausgleichs ohne jegliche öffentliche Anhörung im Bundestag beraten worden. Dieses Hauruckverfahren ist schon deshalb unakzeptabel, weil gerade zur Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen seit langem dringender Reformbedarf bestand und in den letzten Jahren eine Reihe von Reformvorschlägen unterbreitet worden ist.Die Bundesregierung und ebenso die beteiligten Vertreter der Bundesländer haben aus gutem — oder soll ich eher sagen: schlechtem? — Grund die offene Debatte gescheut. Die Neustrukturierung der öffentlichen Finanzen nach 1995 wurde weitgehend hinter verschlossenen Türen vereinbart. Anders wäre ein derart konzeptionsloses Stückwerk wohl kaum durchzusetzen gewesen.Für eines aber muß man die Bundesregierung loben: Sie hat ein taktisches Meisterwerk vollbracht. Sie hat sich erneut über die Zeit gerettet und darüber hinaus die SPD-Opposition an ihre Seite gezwungen. Die Sozialdemokraten haben sich längst aus der Oppositionsrolle in diesem Parlament verabschiedet. Das ist wohl allen aufgefallen.
Worin die sozialdemokratische Alternative zum Kurs der Bundesregierung bestehen soll, weiß die SPD selber längst nicht mehr. Die SPD-Fraktion in diesem Haus hat sich von der schmucken Riege aus den Ländern über den Tisch ziehen lassen und muß jetzt gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Bundesländer haben ihre finanziellen Interessen gegen die Interessen des Bundes weitgehend durchgesetzt. Dem hätte eine selbstbewußte SPD-Bundestagsfraktion nie zustimmen dürfen.Die Bundesregierung hat den Solidarpakt vermasselt. Sie war der Aufgabe nicht gewachsen, die unterschiedlichen Interessen von Bund und Gebietskörperschaften und Sozialpartnern durch eine verantwortungsvolle Moderation des Verhandlungsprozesses auszugleichen. Sie hat vielmehr die parteitaktischen Belange in den Vordergrund gestellt. Ein Konzept zur einer solidarischen Lastenteilung konnte dabei nicht herauskommen.Die Bundesregierung bleibt sich treu. Sie plant die Senkung der Spitzensteuersätze für Großverdiener, hält ökologische Blindheit für eine läßliche Sünde und zerrüttet unverdrossen die Staatsfinanzen.Das Programm der Bundesregierung garantiert keine dauerhafte Finanzierung des Aufbauprozesses in Ostdeutschland. Ebenso verfehlt es eine gerechte Verteilung der Finanzierungslasten.Die Bundesregierung setzt die Demontage des Wohlfahrtsstaates fort, zu einem Zeitpunkt, wo er dringender denn je gebraucht wird, und wälzt die von ihr verursachten Finanzprobleme auf die Schwächsten in dieser Gesellschaft ab.Zu lange sind die Menschen in unserer Gesellschaft getäuscht worden. Notwendig ist jetzt eine sozial gerechte Finanzierung der deutschen Einheit. Mehr Gerechtigkeit bedeutet beispielsweise, daß endlich eine Arbeitsmarktabgabe eingeführt wird. Das Defizit in Nürnberg macht das anschaulich. Die Beitragszahler der Sozialversicherungen würden dadurch deutlich entlastet werden. Ebenso könnte die Kostenbelastung der Unternehmen verringert werden.Statt den Schwächsten unserer Gesellschaft die Sozialleistungen zu beschneiden, sind an anderer Stelle die staatlichen Einnahmen zu verbessern. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, etwa bei der Eintreibung der hohen Steuerrückstände und bei der energischen Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Nach Berechnungen der Deutschen Steuer- Gewerkschaft werden jährlich Steuern im Umfang von etwa 150 Milliarden DM hinterzogen.Ebenso wichtig ist eine rasche Revision der Zinsbesteuerung. Hohe Zinseinkünfte dürfen nicht länger vor den Finanzbehörden verschwiegen werden. Hier sollten Sie einmal gegen die Schlepperbanden vorgehen. Das wäre lukrativ und lohnenswert.Aber zu grundlegenden Formen in der Finanzpolitik ist diese Regierung offensichtlich nicht mehr fähig. Ein schwacher Hoffnungsschimmer bleibt: Jetzt, da Theo Waigel der Ausweg an die Isar versperrt ist, bleibt ihm nur noch die Chance, sein Amt in Bonn zu meistern. Bloß, es sieht leider nicht danach aus, daß er diese Chance nutzt — es sei denn, Sie überzeugen mich jetzt vom Gegenteil.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich benutze die Chance, Herr Kollege Schulz, Sie zu überzeugen.Ich habe viele Differenzen mit dem Kollegen Wieczorek, aber in einem bin ich wahrscheinlich mit ihm einig, nämlich in der gemeinsamen Meinung über seine Kollegin Frau Matthäus-Maier.
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Bundesminister Dr. Theodor WaigelEs ist schon ein Stück Lustverlust, das man heute hinnehmen mußte, daß Frau Matthäus-Maier nur im Fernsehen und nicht auch hier auftrat.Aber nach dem leidenschaftlichen Appell von Helmut Wieczorek für eine Machtübernahme habe ich mich gefragt: Mit wem? Immerhin hätte der Helmut Wieczorek wenigstens den Vornamen mitgebracht; aber sonst kann er von der SPD niemanden anbieten.Die Rede von Graf Lambsdorff war j a ganz flott. Nur, wenn Sie immer alles und früher und rechtzeitig gewußt haben, Graf Lambsdorff, hätte ich als F.D.P.-Mann anders entschieden. Aber das nur am Rande.
Aber bei Graf Lambsdorff ist heute die Lust nicht sehr groß gewesen, mit einem solchen Koalitionspartner das zu vollenden, was er selber angedeutet hat.Herr Kollege Wieczorek, es ist richtig, daß das föderale Konsolidierungspaket nicht der Solidarpakt ist, sondern nur ein Teil davon. Sie wissen sehr wohl, wie viele Gespräche mit den Gewerkschaften im kleineren und größeren Kreis, wie viele Gespräche mit der Wirtschaft geführt wurden, und auch, wie viele Vereinbarungen mit der Wirtschaft standen und stehen.Sie haben an einer Stelle nur angedeutet: Ein ganz wichtiger Bereich dieses Solidarpakts war — das ist in unserem föderalen Konsolidierungspaket enthalten —, daß der Bund die Altschulden im Wohnungsbau übernommen hat — was er nicht hätte tun müssen — und damit ein wichtiges Investitionshindernis im Osten endgültig beiseite geräumt hat.
Sie werfen uns vor, daß wir heute schon darüber reden müssen, daß noch mehr gespart und konsolidiert werden muß. Meine Damen und Herren, wann denn sonst, wenn nicht jetzt, zu diesem Zeitpunkt, wo wir über wichtige Gesetze reden, sollen wir sagen: Es ist Zeit, noch mehr zu tun?
Ich halte es für ehrlich und notwendig, zu sagen: Das Wahljahr kann kein Hindernis sein.
Das Wahljahr 1994 mit 15 oder 20 Wahlen ist kein Gabenverteilungsjahr, es ist vielmehr ein Jahr der Konsolidierung, weil die langfristige Stabilität, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft wichtiger ist, als auf Wählerstimmen zu schielen. Letztlich bin ich davon überzeugt, daß die große Mehrheit der Deutschen für Stabilität und für eine langfristige Ausrichtung ihres Vaterlandes plädiert.
Ich muß Ihnen auch noch einmal sagen — Graf Lambsdorff hat es Ihnen bereits gesagt —: Es ist doch schlichtweg Demagogie, permanent zu behaupten, wir würden den Spitzensteuersatz für die großen Verdiener senken. Sie wissen genau: Wir senken den Spitzensteuersatz nur für die Bezieher gewerblicher Einkünfte, und zwar nur deswegen, damit Kapital inDeutschland bleibt, damit ausländisches Kapital nach Deutschland kommt und deutsches Kapital nicht woanders hinfließt.
Wir wollen nicht, daß sich etwas fortsetzt, was der scheidende Vorstandsvorsitzende von BMW neulich gesagt hat: Wir müssen unsere betriebsinternen Probleme zu Lasten der deutschen Volkswirtschaft lösen. — Wenn sich fortsetzen sollte, daß die Betriebe ihre Konsolidierung und ihre Wettbewerbsfähigkeit nur dadurch gewährleisten, daß sie einen Teil ihrer Produktion in anderen Teilen Europas oder der Welt durchführen, dann wäre unser Spitzensteuersatz ein Investitionshindernis; und das ist er zum Teil auch. Darum muß er auch abgebaut werden.
Sie haben sodann etwas zur Zinsquote gesagt. Natürlich ist sie hoch. Natürlich macht sie auch uns Sorgen. Ich wünschte mir eine niedrigere. Sie sollten Ihr Gedächtnis aber nicht unterdrücken. Von 1969 bis 1982 — —
— Entschuldigung! Es muß doch möglich sein, diese Zahlen zu nennen. Sie waren damals doch schon auf der Welt. Sie sahen — wie ich — vielleicht noch etwas jünger aus.Von 1969 bis 1982 entwickelte sich die Zinsquote von 2,7 % auf 9 %. Von 1982 bis 1992 entwickelte sich die Zinsquote von 9 auf 10,2 %. Weil die ganze Erblast und auch die Reform von Bundesbahn und Reichsbahn hinzukommen, entwickelt sich die Zinslast von 1992 bis 1995 unter Einbeziehung dieser von mir genannten Größen auf 19,5 %, im traditionellen Haushalt auf 12,3 %. Das heißt: In dem von uns bestimmten Zeitraum hat sich die Zinsquote — ich bedaure das — verdoppelt. In dem von Ihnen bestimmten Zeitraum hat sich die Zinsquote verdreifacht.
Meine Damen und Herren. Das sollten Sie einmal ganz real bedenken, wenn Sie finanzielle Kennziffern sauber darstellen und sauber analysieren.
— Herr Duve, Sie halten sich für einen großen Mann der Literatur, und ein großer Mann der Literatur wie Sie bedarf der mittleren Reife nicht.
Auch Böll hat nie darunter gelitten, daß er das Abitur nicht bestanden hat. Insofern brauchen Sie sich diese Qualifikationen nicht zu leisten. Die können Sie sich sparen.Noch ein Wort zu den Stabilisatoren. Als ich im Haushaltsausschuß darlegte, es führe kein Weg daran vorbei, daß konjunkturbedingte Mehrausgaben und konjunkturbedingte Mindereinnahmen — jedenfalls in einem kurzfristigen Zeitraum — durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme ausgeglichen werden
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13734 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelmüssen, haben Sie mir zugenickt. Jetzt tun Sie es wieder. Warum kritisieren Sie es dann?
Was wir mit Hilfe eines Spar- und Konsolidierungsgesetzes tun müssen, ist, zu verhindern, daß sich diese Defizite verfestigen. Sie dürfen nicht zu strukturellen Defiziten werden. Das ist der Grund für diese notwendigen und harten Einschnitte in allen Bereichen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Natürlich.
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihre Haltung dahin gehend akzeptiere, daß Sie das, was die Regierung falsch gemacht hat, notariell beglaubigen müssen, und daß ich Ihnen nur hinsichtlich der notariellen Beglaubigung zugestimmt habe?
Ich würde das nicht notariell beglaubigen, weil damit Gebühren anfallen würden.
Vielmehr vollziehen wir das, was sich in der internationalen Konjunktur schon vor zwei Jahren und bei uns durch die deutsche Binnenwirkung der Wiedervereinigung zwei Jahre später ergeben hat. Insofern vollziehen — leider — auch wir, was in allen Ländern um uns herum geschieht. Wir bilden hier jedoch keine Ausnahme.Der eine Unterschied zwischen unserer Regierungszeit und der Ihren besteht darin, daß es zu Ihrer Zeit nicht zehn Jahre ununterbrochenen Aufschwung gegeben hat, während wir jetzt nach zehn Jahren ununterbrochenem Aufschwung mit einem Konjunkturzyklus des Rückschlags rechnen und fertigwerden müssen.
Was übrigens den Mißbrauch anbelangt, so muß seine Bekämpfung in allen Bereichen stattfinden. Was die Steuerhinterziehung anbelangt, bitte ich Sie wirklich, sich in erster Linie an die Adresse der Länder zu wenden. Der Bund kümmert sich darum. Wir haben die entsprechenden Arbeitsgruppen mit den Ländern. Nur ist es Sache der Länder. Ich bitte Sie nun wirklich, mit Ihren zahlreichen Finanzministerkollegen in den Ländern darüber zu sprechen. Sie könnten da ja ganz beispielhaft vorangehen. Reden Sie doch einmal mit Herrn Schleußer! Der Mann versteht doch etwas davon. Warum hat er noch nicht mehr getan, obwohl er es immer wieder von Ihnen hört?
Übrigens, die 100 bis 150 Milliarden DM sind doch Illusion. Hier geistert permanent eine Zahl durch die Welt, die nicht realistisch ist.
Immerhin sind 12 000 Betriebsprüfer unterwegs und versuchen, regelmäßig unter hohem Einsatz und mit ausgezeichneter, hoher Qualifikation das Bestmögliche zu erreichen. Zu einer Zeit, wo wir eine Vielzahl von Steuerbeamten auch zum Aufbau einer Steuerverwaltung in den jungen Bundesländern benötigen, müssen wir uns in erster Linie anstrengen, die Steuerverwaltung überall passabel zu machen.Eines will ich allerdings auch sagen: Ich bin nicht zufrieden und nicht damit einverstanden, was ein Teil der deutschen Banken und Geldinstitute beim Kapitalexport nach Luxemburg getan hat.
Die Herrschaften erweisen sich damit keinen guten Dienst.
Ich bin sehr für das wichtige Vertrauensverhältnis, das wir in Deutschland haben. Es darf jedoch nicht dazu führen, daß man Kunden nicht nur gewähren läßt, sondern ihnen mitunter zurät. Manche Anzeige war hier nicht in Ordnung.
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, daß wir Schulden machen. Ich stehe für jede Mark ein, die wir seit 1989 für die deutsche Einheit ausgegeben haben. Ich schäme mich nicht, für den Abzug sowjetischer Truppen aus Deutschland bezahlt zu haben. Ich schäme mich vor allem nicht, alles, was nötig und möglich war, für die deutsche Einheit auszugeben.
60 000 DM bis 80 000 DM haben wir in DDR-Zeiten für die Freiheit jedes einzelnen Häftlings in Bautzen oder in anderen Gefängnissen ausgegeben. Für diesen Preis konnten die Verfolgten des Kommunismus unter Zurücklassung ihrer Freunde, Verwandten und ihrer Habe nur ihr nacktes Leben retten.Dem stehen durchschnittlich 35 000 DM Schulden für jeden Deutschen in den jungen Bundesländern gegenüber. Wer dieses Opfer ablehnt und mit billigen Schlagworten belegt, hat keine Ahnung von den wirklichen deutschen Aufgaben und von einer Politik, die den Menschen dient.
17 Millionen Menschen die Freiheit geben zu können ist den Preis wert, den wir im Augenblick in Deutschland bezahlen.
Nun mußte natürlich der Vorwurf kommen wegen der Zahlen, wegen der Prognosen, wegen der Revi-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13735
Bundesminister Dr. Theodor Waigelsionen. Meine Damen und Herren. Wir haben uns zu jedem Zeitpunkt an das gehalten, was der Internationale Währungsfonds, die OECD, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Wirtschaftsforschungsinstitute, der Sachverständigenrat und die Bundesbank gesagt haben. Wir haben nie etwas geschönt, wir haben nie positivere Zahlen angenommen. Ich muß mich doch an diesen Sachverstand halten.
Wenn dieser sich korrigiert, weil die internationale Konjunktur in ihrer Binnenwirkung auf uns zukommt, tun auch wir dies. Ich mußte doch zunächst die Steuerschätzung vom November letzten Jahres und muß jetzt die Steuerschätzung vom Mai zur Kenntnis nehmen und daraus die Konsequenzen ziehen. Wenn wir kritisieren, dann müssen wir alle kritisieren, auch die Institute, die Bundesbank und alle, die uns mit ihren volkswirtschaftlichen Abteilungen die Zahlen geliefert haben.Wir haben nie geschönt, wir haben nie jemanden angelogen,
sondern wir haben diese Zahlen dem entnommen, was jedem in Deutschland an Material zur Verfügung steht.
Meine Damen und Herren, das Föderale Konsolidierungsprogramm, der Nachtragshaushalt 1993 und das Standortsicherungsgesetz werden heute im Bundestag und morgen im Bundesrat beraten. Wir haben bei den Finanzausgleichs- und Konsolidierungsvereinbarungen mit den Ländern alles unternommen, um Zeit zu gewinnen und eine rasche Lösung zu erreichen.Herr Kollege Schulz, auch ich hätte lieber von den Westländern mehr bekommen; das dürfen Sie mir glauben. Nur, vor die Frage gestellt, ob wir einen endlosen Verteilungskampf über Monate hinweg führen und ihn vielleicht nicht einmal vor der Sommerpause beenden, mit der ganzen Unsicherheit für die östlichen Länder, mit der Unsicherheit für die Investoren, mit der Unsicherheit in der Welt, ob wir das Problem lösen, haben wir uns dafür entschieden, den Preis zu zahlen, der für den Bund sehr hoch ist. Ich hätte mir gewünscht, die westlichen Lander hätten sich stärker daran beteiligt. Aber es wäre nicht mehr vertretbar gewesen, dies Monate oder gar Jahre zu verzögern.Wir mußten es jetzt tun, Herr Schulz, denn im nächsten Jahr, einem Jahr mit vielen Wahlen, wäre das nicht mehr möglich gewesen. Es auf den 1. Januar 1995 oder auf die Zeit nach den Wahlen zu verschieben, wäre ein Armutszeugnis deutscher Politik gewesen.
Aber wir sollten nicht mehr über die Vergangenheit sprechen, sondern wir müssen über die Zukunft reden. Das hat ja auch Graf Lambsdorff in seiner Redegetan. Das Föderale Konsolidierungsprogramm ist ein Teil der Zukunft. Es ist immerhin gelungen — ich erinnere mich noch an die langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern in den 50er und 60er Jahren —, in wenigen Monaten ein völlig neues Finanzausgleichssystem für eine neue Gemeinschaft von 16 Ländern mit drastisch abweichender Wirtschaftskraft zu vereinbaren, Erblastschulden in Höhe von rund 400 Milliarden DM in einem Paket zu regulieren, das die vollständige Tilgung innerhalb einer Generation vorsieht, und Länder sowie Gemeinden auf eine gemeinsame Konsolidierungslinie zu bringen, die trotz unterschiedlichster Interessen und ideologischer Positionen für 1995 immerhin ein zweistelliges Einsparergebnis erbringt. Das, meine Damen und Herren, mußte bewältigt werden.Nun erleben wir zur Zeit die schärfste Konjunkturkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Ob das reale Bruttosozialprodukt um 1,5 % oder um 2 % abnimmt, ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr: Alle Planungen und Erwartungen auf der Basis eines ständig steigenden Wohlstands müssen revidiert werden. Wir müssen in dem Zweijahreszeitraum 1993/94 fast 1 Million zusätzliche Arbeitslose sozial und finanziell verkraften. Wir müssen den Aufbau Ost auch bei wesentlich schwächerer Wirtschaftsbasis im Westen vorantreiben.Diese Konjunkturschwäche hat die Voraussetzungen für die Haushaltsplanung entgegen der Erwartung aller Experten im letzten Jahr völlig verändert. Jetzt sind bei scharfer Rezession hohe Steuerausfälle — 1993 allein für den Bund 6,5 Milliarden DM — und ein Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit von fast 20 Millionen DM zu verkraften.Rund 25 Milliarden DM beträgt der negative Konjunktureffekt im Bundeshaushalt allein in diesem ' Jahr. Auch für 1994 ist selbst bei verbesserten Wirtschaftsdaten keine automatische Entlastung zu erwarten. Im Gegenteil: Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sich die Finanzsituation eher noch verschlechtern.Die dritte entscheidende Realität lautet: Deutschlands internationales Stabilitätsansehen darf nicht in Gefahr geraten.
Wenn wir auf einer von der Weltwirtschaft abgeschirmten Insel lebten, könnten die überhöhten Lohnabschlüsse und die mangelnde Verzichtsbereitschaft der letzten Jahre zu jedem späteren Zeitpunkt noch korrigiert werden. Aber wenn Deutschland seinen Ausnahmestatus als Stabilitätsland verliert, sind negative gesamtwirtschaftliche und monetäre Konsequenzen fast zwangsläufig.Vielleicht ist es eine unausweichliche Pflichtübung der Opposition, in einer solchen ernsten Lage alle Probleme und angeblichen Versäumnisse der Regierung zuzuschieben und zu versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Aber ich halte es für beschämend, wenn Sie bei Kenntnis der Entwicklung seit 1989, der internationalen Konjunkturzusammenhänge und des mühsamen Anpassungsprozesses in allen Teilen unserer Gesellschaft Ihre Kritik auf billige
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13736 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Bundesminister Dr. Theodor WaigelSchlagworte vom angeblich größten Schuldenmachen und ähnliche Kategorien reduzieren.
Meine Damen und Herren, Sie reden von drastischen Einsparungen und umfassenden Ausgabenkürzungen in allen Bereichen, und gleichzeitig schwärmen Ihre Parteifreunde durchs Land und stellen eine Forderung neben die andere.
Kein Geringerer als der frühere und vielleicht künftige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine füllt fast täglich die Schlagzeilen mit zusätzlichen Ausgabenforderungen. „Lafontaine fordert von Bonn weitere Bundeshilfen für Saarstahl" lautet z. B. eine Schlagzeile im „Handelsblatt" vom 21. Mai 1993. Die „Frankfurter Rundschau" überschrieb am 15. Mai 1993 ein Interview mit Oskar Lafontaine wie folgt: „Mit dem Bundeskanzler muß über Geld geredet werden." Gemeint war hier der Bildungsgipfel, der sich nach Auffassung Lafontaines hauptsächlich mit der Bereitstellung von Bundesmitteln befassen soll.Herr Ministerpräsident Eichel, ich will Ihnen in aller Klarheit sagen: Wir haben jetzt mit dem Finanzausgleich die Finanzausstattung in Ost und West so dargestellt, daß weitere Schattennebenhaushalte bei Bildung oder bei Verkehr mit uns nicht mehr stattfinden werden.
Dabei gibt es durchaus in der SPD einige, die zur Finanzpolitik etwas zu sagen hätten. Ich meine z. B. den Kollegen Walther, der vor wenigen Wochen völlig zutreffend festgestellt hat:Die Neuverschuldung ist unvermeidbar. Es gibt keinen Spielraum mehr im Haushalt 1993. Der größte Teil des Etats ist durch Leistungsgesetze und Personalkosten festgelegt.So in einem Gespräch mit der „Augsburger Allgemeinen", abgedruckt am 6. Mai 1993.
— Graf Lambsdorff, Sie sollten wissen, daß die „Augsburger Allgemeine" schon bei Mark Twain ihre Erwähnung gefunden hat, und Sie sollten wissen, daß auch die Provinz ihre Wichtigkeit hat. Sie haben sich in Ihrem Leben auch nicht nur in Metropolen aufgehalten.
Ich lade Sie einmal nach Oberrohr ein. Aber da müssen Sie ein paar Aufsichtsratssitze abgeben, sonst schaffen Sie das zeitlich nicht.
— Meine Damen und Herren, wir müssen zum Ernst zurückkommen, sonst kommt noch jemand nach Oberrohr.Wir haben nur drei Möglichkeiten: jenseits der Konjunktureffekte noch mehr Schulden aufzunehmen, die Steuer- und Abgabenlast noch weiter über das bereits erreichte Nachkriegsrekordniveau anzuheben oder drastisch in staatliche Leistungen hineinzuschneiden, noch weit drastischer, als das bisher einvernehmlich im Konsolidierungsprogramm vereinbart wurde.Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben keinen Grund, das zu kritisieren; denn genau das hat Ihnen ohne Wiedervereinigung Ihr damaliger Kanzler Helmut Schmidt 1982 ins Stammbuch geschrieben. Damals haben Sie sich daran nicht gehalten. Darum war es notwendig, eine völlige Wende der Finanzpolitik herbeizuführen.
Heute stehen wir vor der Situation, daß wir — was damals nicht notwendig war — 5 % des Bruttosozialprodukts für den Aufbau im Osten verwenden müssen. Das fordert nun die Konsequenzen in der Finanzwirtschaft und damit noch mehr Einsparungen und Konsolidierungen.
Mit der ersten Möglichkeit — mehr Schulden — würden wir die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Stabilitätsland in Frage stellen. Die Steuerschraube wird schon sehr bald nichts mehr bringen; denn wenn das Wachstum im Ergebnis ausbleibt, gewinnen wir keine einzige Mark für die öffentlichen Kassen.Gerade die letzte Steuerschätzung zeigt, wie schnell bei schwacher Wirtschaftsentwicklung vorherige Steuererhöhungen wieder verloren sind. So entspricht 1995 der geschätzte Steuerausfall von 56 Milliarden DM dem Doppelten des Gesamtbetrages, der für 1995 aus dem Solidarbeitrag erwartet wird. Wenn wir uns jetzt nicht auf die Ausgabenseite konzentrieren, werden wir zu kurz springen.
Wir haben im Bundeshaushalt seit 1990 schon ein Entlastungsvolumen von über 60 Milliarden DM veranschlagt. Das FKP-Gesetz bringt für den Bund, bezogen auf 1995, weitere Verbesserungen von fast 10 Milliarden DM.Auch im Nachtragshaushalt 1993, über den wir heute ebenfalls beraten, sind Einsparungen von 5,5 Milliarden enthalten. Damit wird im wesentlichen ausgeglichen, was der Nachtragshaushalt an zusätzlichen Mitteln für die neuen Bundesländer enthält.Aber all das reicht an Einsparungen angesichts des aktuellen Konjunktureinbruchs bei weitem noch nicht aus. Alle Kürzungsvorschläge, die ich bei der Vorbereitung des Föderalen Konsolidierungsprogramms bereits gemacht hatte, liegen jetzt wieder auf dem Tisch. Ich warne jeden, diese Sparvorschläge von vornherein zu verteufeln. Ich sehe jetzt schon die Überschriften und lese sie: „Sozialer Kahlschlag", „Es trifft uns alle", „Axt an den Sozialstaat" und wie dieDeutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. BonnDonnerstag, den 27. Mai 1993 13737Bundesminister Dr. Theodor WaigelVokabeln alle heißen. Nur, von sozialem Kahlschlag kann angesichts des im internationalen Vergleich unverändert vorbildlichen deutschen Sozialsystems keine Rede sein.
Jeder abgewehrte Sparvorschlag — ob von der Opposition, von den Ländern oder in den eigenen Reihen —, jeder angebliche Sieg über den Finanzminister wäre ein Pyrrhussieg, der für den scheinbaren Gewinner, aber leider auch für uns alle zur bitteren Niederlage würde.
Meine Damen und Herren, das Spektrum der Maßnahmen ist schnell umrissen. Wir brauchen nur zu registrieren, was fast alle Industrieländer um uns herum, unabhängig von der politischen Richtung der Regierungsparteien, bereits in den letzten Jahren an drastischen Einsparungsmaßnahmen in Angriff genommen haben oder jetzt konkret planen. Die USA, Frankreich, Kanada und die Niederlande haben Nullrunden für den öffentlichen Dienst beschlossen, Kanada sogar für zwei Jahre. In Italien, Frankreich und den USA soll die Krankenversicherung vor allem durch eine umfassende Selbstbeteiligung der Patienten saniert werden.
In Kanada wird die Arbeitslosenunterstützung von 60 auf 57 % des zuletzt gezahlten Gehalts abgesenkt. In Holland soll der Sozialhilfesatz für Jugendliche unter 27 Jahren um 20 % gesenkt werden.
— Übrigens ein fabelhafter Finanzminister, Wim Kok. Ich nehme an, Sie kennen ihn: Sozialdemokrat und früherer Gewerkschaftsführer. Ich wollte, Frau Fuchs, Sie hätten in den letzten Jahren so viel dazugelernt wie der Kollege Wim Kok.
Auch unser Nachbar Frankreich macht uns vor, was zu tun ist. Dort wurden am 10. Mai ein drastisches Sparprogramm und zugleich ein Maßnahmepaket zur Wiederbelebung der Wirtschaft vorgelegt. Insgesamt steht ein Entlastungsvolumen von rund 25 Milliarden DM zur Diskussion.Auch bei uns wird jetzt jeder gezwungen, Farbe zu bekennen. Jeder, der die notwendigen Kürzungen verweigert, wird sich klar zu den negativen Folgen für Staat und Wirtschaft bekennen müssen, die sich aus der Ablehnung zwangsläufig ergeben.
Konsolidierung ist das zur Zeit einzig mögliche Konjunkturprogramm. Wir werden das Wachstum nicht durch falsch terminierte Sparaktionen in Frage stellen. Damit geht auch die Totsparargumentation ins Leere.Aber weitaus wichtiger als irgendwelche mechanischen Konjunkturimpulse ist der erwiesene und bewiesene Wille, die Staatsausgaben zurückzuführen, die Abgabenlast zu begrenzen und die Inanspruchnahme der Kapitalmärkte wieder abzubauen. Darüber hinaus müssen wir alle strukturellen Wachstumshemmnisse beseitigen. Standortsicherungsgesetz, Börsenreform, Privatisierung in Ost und West und die ersten Elemente der Tarifflexibilisierung bei den jüngsten ostdeutschen Metallabschlüssen sind erste Schritte, um jenseits der klassischen, in weiten Teilen auch überholten Fiskalsteuerung Wachstumsreserven zu mobilisieren.Mit dieser wirtschafts- und finanzpolitischen Strategie entsprechen wir genau den internationalen Empfehlungen und Verabredungen. Beim G-7-Treffen in Tokio, bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington und bei den Beratungen über die europäischen Wachstumsinitiativen im Ecofin-Rat waren sich alle Beteiligten über die zentralen Aufgabenstellungen einig. Wir müssen trotz oder gerade wegen der Wirtschaftsschwäche die staatlichen Defizite mittelfristig senken und über niedrigere Zinsen das knappe Sparkapital in die weltweit zu niedrigen Investitionen lenken. Nur so und durch die Bewältigung international fast identischer Strukturprobleme — wie verkrustete Arbeitsmärkte, ausufernde Gesundheitskosten und Überalterung — kann eine langanhaltende Wachstumskrise vermieden werden.Für die Entscheidungen zum Bundeshaushalt 1994 gelten die folgenden Voraussetzungen und Maßgaben. Neue Leistungstatbestände kommen grundsätzlich überhaupt nicht mehr in Betracht. Wo unabdingbarer Handlungsbedarf besteht, muß ein Ausgleich durch gleich hohe Ausgabenkürzungen erfolgen. Diese Moratoriumsregelung gilt unbefristet.Wir werden gesetzliche Leistungen im Rahmen eines Spar- und Konsolidierungsgesetzes kürzen. Das gilt auch für Bereiche, die bisher als Tabu angesehen wurden. Das Einsparvolumen muß ausreichen, um einen Anstieg der Neuverschuldung für 1994 gegenüber 1993 zu verhindern. Grob gerechnet sind das allein beim Bund etwa 20 Milliarden DM.Das Ausgabenwachstum im staatlichen Bereich — also nicht nur beim Bund, sondern auch bei Ländern und Gemeinden — darf allenfalls halb so hoch sein wie die verringerte mittelfristige Wachstumsrate von nominal rund 5,5 %. Nur so kann in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Steuer- und Abgabenquote wieder auf einen international durchschnittlichen Wert gesenkt werden.Verteilungsgerechtigkeit darf bei den Sparentscheidungen nicht länger allein an der Einkommenshöhe der Beschäftigten anknüpfen. Es geht vor allem auch um die Gerechtigkeit zwischen den Beschäftigten und den Nichtbeschäftigten. Wir werden massiv an alle Bereiche des Bundeshaushalts herangehen.Grundsätzliches Ziel für den Personalhaushalt ist Nullwachstum. Unser Ziel ist es, alle sachlichen Verwaltungsausgaben und -zuschüsse gegenüber 1993 zurückzufahren.Vor dem Hintergrund der Sparzwänge ist darüber hinaus auch der zeitliche Ablauf des Berlin-Umzugs — der Kollege Schäuble hat darauf vor einiger Zeit zu Recht verwiesen — zu diskutieren. Und — meine Damen und Herren, ich sage das nur für mich,
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13738 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelunabgestimmt mit dem Kabinett — auch Ministergehälter dürfen kein Tabu sein.
— Zum Teil ist das Lachen auf der Regierungsbank, das etwas gefroren war, schon wieder aufgelockert. Wir müssen jedenfalls mit gutem Beispiel vorangehen. Wer sonst?Der Abbau der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen muß trotz der immer wieder enttäuschend verlaufenden Diskussionen unbedingt weitergehen. Ich erwarte jetzt endlich auch einen konstruktiven Beitrag der Opposition zu diesem Thema. Außer pauschalen Vorwürfen zum angeblich mangelnden Subventionsabbau habe ich von Ihnen dazu nichts Konkretes gehört.
Die großen Subventionsbereiche — Kohle, Landwirtschaft und Werften — müssen erneut einen Beitrag leisten. Neue Subventionstatbestände darf es nicht geben, auch nicht in Ostdeutschland. Mitnahmeeffekte sind zu vermeiden. Die Prinzipien der Degressivität und Befristung sind strikt anzuwenden.Wir müssen den Sozialstaat an die neuen Verteilungsstrukturen zwischen Ost und West und das geringere Durchschnittseinkommen in Deutschland anpassen. Im Vergleich zur Situation vor der Wiedervereinigung liegt das Volkseinkommen pro Kopf heute um 15 % niedriger als 1990. Daran muß sich auch die staatliche Vorsorge in Struktur und Umfang anpassen.Staatliche Transfers sind deshalb entweder zu streichen oder strikt an Einkommensgrenzen zu binden. Das gilt bis hinein in den Familienlastenausgleich. Die wirtschaftlich leistungsfähigeren Bevölkerungsgruppen müssen darüber hinaus zur Mitfinanzierung des von ihnen genutzten staatlichen Leistungsangebots herangezogen werden.
Mittelfristig gelten für die Anpassung unserer sozialen Sicherungssysteme darüber hinaus die folgenden Grundsätze. Der Mißbrauch der staatlichen Leistungen muß verhindert werden, wo immer das mit vertretbarem Aufwand möglich ist.
Ich bin sehr froh, daß sich Norbert Blüm dieser Aufgabe jetzt so intensiv annimmt.
Die Kumulation von Leistungen ist zu vermeiden, und die Zielgenauigkeit von Leistungen muß, z. B. durch einen Umbau von der Objekt- zur Subjektförderung, deutlich erhöht werden.Ich weiß, unsere Vorschläge werden nirgendwo Begeisterung auslösen. Unser größter Erfolg wäre es, wenn endlich überall der Ernst der Lage wahrhaftig begriffen wird.
Im Herbst 1982, also vor gut zehn Jahren, hat die damals neue Bundesregierung ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept unter die Überschrift gestellt: „Jäten und säen". Diese Überschrift gilt heute unverändert. Wir müssen nicht nur Wachstumsbarrieren von gestern wegräumen, die Staatsfinanzen auf Dauer sichern und Stabilität schützen, wir müssen zugleich den Keim für das Wachstum von morgen legen, ohne das alle unsere Anstrengungen vergeblich wären.
Föderales Konsolidierungsprogramm, Nachtragshaushalt 1993 und Solidarpakt stehen deshalb heute zu Recht gemeinsam zur Diskussion und Entscheidung. Für mich gehört die Verabschiedung des Standortsicherungsgesetzes zur Geschäftsgrundlage des FKP-Kompromisses. Die von den Ländern geforderte hohe Steuerkomponente in den Vereinbarungen ist überhaupt nur unter der Voraussetzung auch einer parallelen Steuerentlastung für betriebliche Investoren zustande gekommen.Meine Damen und Herren, ich habe vorher schon gesagt, was der Vorstandsvorsitzende eines bedeutenden deutschen Werkes zum Ausdruck gebracht hat: „Wir sind gezwungen, unsere betriebswirtschaftlichen Probleme zu Lasten der deutschen Volkswirtschaft zu lösen." Im Klartext heißt das: Deutsche Betriebe müssen zumindest Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern, um trotz der hohen Kosten und Steuerbelastungen bei uns überhaupt noch wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei der internationalen Verteilung von Auslandsinvestitionen geht Deutschland ohnehin schon fast leer aus.Unser entgegen anderslautenden Behauptungen aufkommensneutrales steuerliches Standortsicherungsgesetz ist angesichts der finanziellen Engpässe die einzige Möglichkeit, überhaupt noch im internationalen Standortwettbewerb mitzuhalten. Wir haben deshalb alles unternommen, um auch der Bundesratsmehrheit die Zustimmung zu erleichtern.Durch die Absenkung der Spitzensteuersätze und die Mittelstandskomponente werden alle Betriebe gleichmäßig an der steuerlichen Entlastung beteiligt. Mit der eigenkapitalschonenden Ansparabschreibung und den Erleichterungen bei der Erbschaftsteuer unterstreichen wir die Bedeutung gerade der kleinen und mittleren Handwerks-, Handels- und Industrieunternehmen für den Wiederaufschwung unserer Volkswirtschaft.
Für die ostdeutschen Bundesländer ergeben sich durch die Verlängerung der Sonderabschreibungen und die Aussetzung der Gewerbekapital- und Vermögensteuer auch in Zukunft besondere Vorteile.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13739
Bundesminister Dr. Theodor WaigelIch bin den Spitzenverbänden der gewerblichen Wirtschaft für die Unterstützung unseres steuerpolitischen Konzepts dankbar.Diejenigen, die aus dem Unternehmensbereich Einzelkritik, z. B. an den Gegenfinanzierungsmaßahmen, üben, möchte ich eindringlich warnen. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der zur Zeit einzig gangbare, um den Standort Deutschland von der steuerlichen Seite her zu entlasten. Wenn dieser Anlauf gestoppt wird, ist auf absehbare Zeit kein Alternativkonzept mehr vorstellbar.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom sicheren Redaktionsschreibtisch und aus ruhigen Oppositionsstuben hat man uns immer wieder aufgefordert, endlich wie Winston Churchill am Anfang des Zweiten Weltkrieges über „Blut, Schweiß und Tränen" zu reden. Ich habe bewußt diese Formulierung nicht benutzt und das auch wiederholt begründet; denn die Wiedervereinigung hat mit Krieg nichts gemeinsam. Auch müssen wir unser Blut und unser Leben nicht opfern, Gott sei Dank. Im Gegenteil, im November 1989 konnten sich Verwandte und Freunde wieder in den Arm nehmen, und ganz Deutschland ist durch die Wiedervereinigung zu neuem Leben erwacht. Aber wir werden unseren Preis für die Einheit zahlen müssen. Ohne Schweiß wird es nicht abgehen.
— Das haben wir auch früher gesagt.
Daran habe ich seit 1990 trotz aller wahrheitswidrigen Propaganda und falschen Behauptungen, die auch heute wieder aufgestellt wurden und die auch in Ihren Zwischenrufen zum Ausdruck kommen, nachweislich keinerlei Zweifel gelassen.
Meine Damen und Herren, nach dem jüngsten OECD-Vergleich der großn Industrieländer liegen wir beim Wachstum am schlechtesten und bei der Stabilität im Schlußbereich. Nur die Arbeitslosigkeit ist bei uns geringer als im Durchschnitt der G-7-Länder. Unsere innere Reformkraft läßt zu wünschen übrig. Erst allmählich begreifen die gesellschaftlichen Gruppen und Interessenverbände den Ernst der Lage. Aus internationaler Sicht erscheint Deutschland, um es mit aller Härte zu sagen, als übersättigt. Das ehemalige Wirtschaftswunderland, der Klassenprimus und das auch selbsternannte Vorbild muß sich anstrengen. Denn von unserem Ansehen hängt unsere Rolle in Europa und in der Weltwirtschaft und damit unser Wohlstand entscheidend ab. Die Koordinaten von Staat und Wirtschaft, unser soziales Sicherungssystem, die Strukturen am Arbeitsmarkt und die Priorität der gesellschaftlichen Aufgaben entsprechen nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart. Zuviel ist bei uns noch von gestern, zuwenig ist auf die Zukunft gerichtet.
Über das Schicksal der Völker entscheiden die historischen Bedingungen, aber auch die Völkerselbst. Der Bedrohung durch übermächtige Nachbarn, der Erschöpfung von Rohstoffvorkommen, der Verlagerung der Weltwirtschaftsströme oder dem Schicksal von Naturkatastrophen kann sich niemand entziehen. Aber die Aufhebung der über 40 Jahre dauernden Teilung Deutschlands ist kein Ereignis dieser Kategorie.Noch ist es nicht fünf nach zwölf. Es geht um die Finanz- und Steuerpolitik, aber es geht darüber hinaus um ein völlig neues Denken und Handeln aller Deutschen. Diese Neuorientierung wird sich nicht am heutigen Tag und auch nicht in den kommenden Monaten abschließend vollziehen, aber sie muß vorankommen. Sie muß vorankommen in der öffentlichen Diskussion und in den konkreten Entscheidungen, die wir jetzt und bald in der Wirtschafts- und Finanzpolitik vollziehen.Meine Damen und Herren, ich bin darauf eingestellt, für diese Neuorientierung zu kämpfen. Ich baue dabei auf die Unterstützung der Bundesregierung, der Koalition und auch der demokratischen Opposition. Wir werden politische Führung durch Taten und Entscheidungen unter Beweis stellen.
Nur so können die Bürger von der Gestaltbarkeit der Zukunft überzeugt werden. Glaubwürdigkeit beginnt mit dem Aussprechen dessen, was notwendig und unvermeidbar ist. Deshalb wird es im Wahljahr 1994 keinen Haushalt der Versprechen geben, es sei denn des einen Versprechens: Es gibt nichts zu verteilen. Nur indem wir jetzt verzichten, handeln wir für die Zukunft, die uns anvertraut ist. Das ist das ungeschriebene Gesetz der Gegenwart, dem wir uns uneingeschränkt unterwerfen.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Haschke das Wort.
Herr Präsident! Ich war wirklich irritiert, daß Kollege Wieczorek Sorgen hatte, daß er als langgedienter Parlamentarier mit vier Sternchen im „Kürschner" von mir als Seiteneinsteiger aus dem Redefluß gebracht werden könnte. Als ich dann versuchte, diesem Fluß zu folgen, merkte ich natürlich auch, was der Grund war: Da war nicht viel Fluß, da war mehr stehendes, abgestandenes Gewässer.
Eigentlich wollte ich Sie fragen, was ein so kleines Land wie mein Bundesland Thüringen machen könnte, um zu vermeiden, daß es in eine ähnliche Situation wie das Saarland kommt. Das steht ja heute auch irgendwo im FKP mit zur Debatte. Aber es ist gut, daß ich diese Frage nicht an Sie gerichtet habe; denn der Bundesfinanzminister, Sie, lieber Kollege Theo Waigel, haben das für mich exzellent mit dem Hinweis
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13740 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Udo Haschke
auf den dort lebenden gescheiterten Kanzlerkandidaten beantwortet. Ich danke Ihnen für diese Antwort.
Herr Abgeordneter Wieczorek, wollen Sie antworten? — Nein. Dann erteile ich dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestatte mir, bevor ich mich mit dem Gesetzentwurf auseinandersetze, vier Vorbemerkungen.
Zunächst will ich mich dabei mit dem Abgeordneten Graf Lambsdorff beschäftigen.
Graf Lambsdorff, nicht nur ich, sondern sicherlich viele Mitglieder dieses Hauses verfolgen Ihre Reden partiell mit Genuß, denn das, was man in der Rhetorik „Eloquenz" nennt, ist Ihnen in jedem Fall zuzugestehen.Nun hat Graf Lambsdorff — um nicht mehr auf seine Eloquenz, sondern auf die Inhalte seiner Rede einzugehen — hier heute morgen zwei bemerkenswerte Feststellungen gemacht. Die erste Feststellung war, daß die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung katastrophale Ergebnisse zeitige.
Ich finde, das sollten wir festhalten; denn schließlich trägt Graf Lambsdorff diese Koalition. Im weiteren Verlauf seiner Rede wurde er dann gefragt, ob er sich erinnere, daß über weit mehr als ein Jahrzehnt seine Partei, die F.D.P., den Wirtschaftsminister stelle.
Er hat darauf geantwortet, wenn das nicht der Fall wäre, müßte man sich einmal vorstellen, was dann mit der Wirtschaftspolitik passierte.Graf Lambsdorff, es ist wohl so — das sollten Sie dann auch einmal zugestehen —, daß das Versagen der Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik nicht zuletzt Ihre Partei, die F.D.P., nach einer über zehnjährigen Verantwortung voll in Haftung nimmt.
Zweitens. Bemerkenswert, meine Damen und Herren, fand ich auch die zweite, mehr oder weniger direkte Feststellung, die Graf Lambsdorff zugegebenermaßen in eine Fragestellung kleidete, als er nämlich die CDU/CSU fragte, ob sie denn überhaupt Wirtschaftspolitiker habe. Ich nehme an, Graf Lambsdorff, daß Sie wie ich der Meinung sind, die CDU/CSU hat sie nicht. Damit bin ich wieder bei Ihrer Feststellung — mit der ich übereinstimme —, nämlich daß dieWirtschaftspolitik der Bundesregierung katastrophale Ergebnisse zeitige.
Die dritte Bemerkung, die ich machen will, gilt dem Bundesfinanzminister. Herr Waigel, ich muß Ihnen sagen, es ist von Ihrer Seite schon eine gehörige Portion Mut aufzubringen, wenn Sie vor dem Deutschen Bundestag den in der CSU gerade noch rechtzeitig vor dieser Debatte beendeten Führungsstreit, der, wie Sie wissen, gegen Sie ausgegangen ist, verschweigen und gegen die SPD zu Felde ziehen.Ich räume ein, daß die deutsche Sozialdemokratie zur Zeit nicht in bester Kondition ist.
Das ist wohl wahr. Ich bin der letzte, der sich hier hinstellen und das ignorieren würde. Aber ein CSU- Vorsitzender, der durch die CSU in Bayern so abgemeiert worden ist,
der sich hier hinstellt und ausgerechnet auf die deutsche Sozialdemokratie herabblickt,
der sollte sich an und für sich schämen.
Ich hätte das, Herr Waigel, jedenfalls nicht gesagt. Aber da Sie damit angefangen haben, habe auch ich natürlich zur Kenntnis genommen, daß die CSU in Bayern meint, Sie dürften Bundesfinanzminister bleiben, weil die CSU in Bayern mit Ihrer finanzpolitischen Erblast wohl nichts zu tun haben möchte.
Herr Waigel, Sie sind — wie wir erlebt haben — kein Finanzkünstler, aber Sie haben sich wieder einmal als Verdrängungskünstler erwiesen. Deshalb will ich Sie noch einmal daran erinnern: Kein Sozialdemokrat, auch keine Sozialdemokratin hat im Bundestagswahlkampf 1990 der westdeutschen und der ostdeutschen Bevölkerung erzählt, daß das, was vor diesem Staat steht, gewissermaßen aus der Portokasse zu finanzieren sei.
Kein Sozialdemokrat, keine Sozialdemokratin hat den Menschen suggeriert oder wörtlich gesagt: Wenn ihr uns wählt, wird es keinem schlechter gehen, aber vielen wird es besser gehen;
sondern die deutsche Sozialdemokratie hat den Mut aufgebracht, der deutschen Bevölkerung zu sagen: Es geht nicht ohne Mehreinnahmen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13741
Rudolf DreßlerDie vierte Vorbemerkung ist: Herr Waigel, es war, glaube ich, unter Ihrem sonstigen Niveau, der SPD hier vorzuwerfen, sie habe keine Vorschläge zum Subventionsabbau gemacht.
Herr Waigel, ist es denn mittlerweile so schlimm mit Ihrer Verdrängungskunst, daß Sie sich noch nicht einmal daran erinnern, daß während einer dreitägigen Beratung im Bundeskanzleramt in Ihrer Gegenwart die Ministerpräsidenten der SPD-geführten Länder und die SPD-Bundestagsfraktion Ihnen ein Subventionsabbaupaket in Höhe von 10,8 Milliarden DM vorgeschlagen haben, von dem Sie aber nicht einen Punkt übernommen haben, weil die Inhalte unseres Abbaukonzepts soziale Symmetrie bedeutet hätten?
Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz, folgt man seinem Titel, hat vier Aufgaben zu erfüllen: erstens die Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zweitens die langfristige Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, drittens die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und viertens die Entlastung der öffentlichen Haushalte — ein, wie ich zugebe, ambitioniertes Programm, gleichwohl unabweisbar notwendig in allen seinen vier Zielen.
Sind Sie, bevor Sie darauf eingehen, bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos zu beantworten?
Bitte schön.
Kollege Dreßler, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, dieses 10,8-MilliardenProgramm hier vorzutragen und Ihre Forderungen hier im Bundestag, wo sie hingehören, öffentlich zu erheben,
damit die Kolleginnen und Kollegen überprüfen können, ob das Ganze realisierbar ist oder ob es sich um eine Ihrer üblichen Luftnummern handelt?
Herr Präsident, ich muß jetzt Sie und meine Fraktion fragen, ob die Antwort innerhalb der Redezeit läuft, weil ich gern den Wunsch von Herrn Glos erfüllen möchte.
Herr Abgeordneter, selbstverständlich ist die Beantwortung nicht auf Ihre Redezeit anzurechnen. Da ich aber befürchte, daß sich die Antwort über eine halbe Stunde hinziehen wird, muß ich gewisse Grenzen ziehen.
Wenn Sie mit der Antwort im Rahmen bleiben, signalisiere ich Ihnen, wann die Redezeit wieder zu laufen beginnt.
Es geht um ein Subventionsabbauprogramm von 10,8 Milliarden DM, das wir eingebracht haben. Herr Glos möchte es gerne wissen. Ich will nur bemerken, daß auch Herr Glos im NATO-Saal des Bundeskanzleramtes gesessen hat.
Er hat alles miterlebt; aber auch sein Verdrängungsmechanismus ist wirklich total.
Ich zitiere aus dem Programm: Die Sozialdemokraten haben im Bereich des steuerlichen Subventionsabbaus folgende Maßnahmen vorgeschlagen:Erstens. Rückgängigmachung der Steuerbilanzwerte bei der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer, d. h. Abbau einer Unternehmensvergünstigung in Höhe von 1,82 Milliarden DM.
Zweitens. Reduzierung des Freibetrages bei der Vermögensteuer von 500 000 DM auf 120 000 DM, d. h. Abbau einer Unternehmensbegünstigung, Volumen: 265 Millionen DM.
Drittens. Abschaffung des Bewertungsabschlags beim Betriebsvermögen von 25 %, auch Abbau einer Unternehmensbegünstigung, Volumen: 1,42 Milliarden DM.
Viertens. Einschränkung der steuerlichen Berücksichtigung von betrieblichen Personenwagen, vor allem Luxus-Pkw, Volumen: 300 Millionen DM. Wir halten das für eine unangemessene Aufwendung, weil das Steuerrecht sie an und für sich nicht zu berücksichtigen braucht.
Fünftens. Abschaffung des Sonderausgabenabzugs von Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse, Volumen: 250 Millionen DM. Das ist die Beseitigung eines bloßen Mitnahmeeffekts für Besserverdienende, man könnte auch sagen: durch diese Koalition ins Gesetz geschriebenen Mißbrauchs, meine Damen und Herren.
Sechstens. Die vollständige Befreiung vom Flugbenzinskandal, Volumen: 35 Millionen DM.
Siebtens. Beendigung der bisherigen Vermögensteuerbefreiung in den neuen Ländern, Volumen 500 Millionen DM. Es handelte sich um eine Gleichbehandlung mit dem übrigen Bundesgebiet. Die
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13742 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Rudolf DreßlerAnhebung trifft überwiegend Besserverdienende. Ich sage das nur als Anmerkung.
Nächster Punkt: Ausschluß des Vorsteuerabzugs für Betriebs-Pkw, Volumen 2,3 Milliarden DM. Eine entsprechende EG-Richtlinie — Herr Glos, falls Sie das als Finanzpolitiker auch nicht wissen — liegt vor.
Nächster Punkt: Ausdehnung der steuerlichen Erfassung von Spekulationsgeschäften, Volumen 750 Millionen DM, d. h. die Berücksichtigung erhöhter steuerlicher Leistungsfähigkeit.
Herr Glos, nun hören Sie genau zu: Maßnahmen gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung. Ich wiederhole das nur noch einmal. — Möchten Sie noch mehr aus unserem Subventionsabbaukatalog in Erinnerung gerufen haben, oder reicht Ihnen das jetzt endlich?
Herr Abgeordneter Dreßler, bevor ich die Redezeit wieder beginnen lasse, will der Abgeordnete Glos noch eine Frage stellen.
Bitte sehr.
Ich hätte gerne erstens gewußt, wie hoch die Zwischensumme bis jetzt war, ob sie bei 10,5 Milliarden gelegen hat,
und zweitens, warum die SPD-Bundesländer bei diesen Gesetzen, die Sie rückgängig machen wollen — das ist ja alles erst vor kurzer Zeit beschlossen worden und hat seinen Sinn —, bei den Abstimmungen nicht so votiert haben, wie Sie es offensichtlich wollen?
Herr Glos, zwei Fragen, zwei präzise Antworten: Das Gesamtvolumen dessen, was wir Ihnen schriftlich gegeben haben, ist 11,8 Milliarden. Zweiter Punkt: Wenn A-Länder, also SPD-beteiligte oder -geführte Bundesländer, und die Bundestagsfraktion diesen Maßnahmenkatalog in das Verhandlungspaket einbringen, um dem unteren Drittel der Einkommensmilieus die weitere Streichung von lebensnotwendigen Geldern zu ersparen, dann muß doch verdammt noch mal von Ihnen zugestanden werden, daß wir Vorschläge gemacht haben, aber daß Ihre innere Kraft nicht ausreichte,
diese Vorschläge endlich zu akzeptieren, meine Damen und Herren.
Geht man also, meine Damen und Herren, von dem aus, was die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. als ihren Entwurf zum sogenannten Föderalen Konsolidierungsprogramm vor wenigen Wochen eingebracht haben, so ist die Feststellung nicht übertrieben, daß mit den dazu vorgelegten Vorstellungen von CDU/CSU und F.D.P. keines der Ziele erreicht worden wäre. Dieser Entwurf war mangelhaft und blieb weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Er war das Dokument einer in sich zerstrittenen, auf diesen Feldern gestaltungsunfähigen Regierung.Das, was wir heute beraten, unterscheidet sich von den ursprünglichen Plänen der Koalition in zwei Themenbereichen grundlegend. Zwei Ziele werden mit dem jetzigen Entwurf nicht mehr nur deklamatorisch genannt, sondern wirklich angestrebt. Erstens: Der Aufbau in den neuen Ländern erhält eine tragfähige Grundlage durch einen Finanztransfer von West nach Ost, durch die Sicherung der industriellen Kerne und durch ein Wohnungsbauprogramm in Ostdeutschland. Zweitens: Der bundesstaatliche Finanzausgleich wird tatsächlich neu geordnet, und zwar im Sinne eines Interessenausgleiches und nicht, wie ursprünglich geplant, einseitig zu Lasten von Ländern und Kommunen.Ohne die Sozialdemokratische Partei hätte es beides nicht gegeben,
wäre es bei den unzureichenden Vorschlägen der Regierung geblieben.
Meine Damen und Herren, wir reklamieren diesen Erfolg nicht nur für uns; wir sind auch stolz darauf, daß wir für die Menschen, vor allem für die in Ostdeutschland, einen wichtigen Fortschritt haben erreichen können.Denjenigen in der Koalition, die so gerne über die aktuellen Schwierigkeiten herziehen, die Sozialdemokraten sich derzeit selbst bereiten, sage ich mit großer Gelassenheit folgendes. Unser Verhandlungserfolg beweist: Um dieser ausgelaugten Koalition in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen inhaltlich Paroli zu bieten, reicht es für uns allemal.
Der Verhandlungserfolg der SPD in zwei zentralen Fragen des Föderalen Konsolidierungsprogramms kann jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Der vom Bundeskanzler erhobene Anspruch, mit diesem Gesetz werde ein Solidarpakt verabschiedet, wird nicht erfüllt. Das ist kein Solidarpakt. Zwischen dem Föderalen Konsolidierungsprogramm und einem wirklichen Solidarpakt liegen Welten. Hier wird keine Solidarität zwischen den Menschen erzeugt. Hier wird nicht die Einsicht in die Notwendigkeit geweckt, füreinander einzustehen,
um große Schwierigkeiten gemeinsam zu bestehen.
Hier wird bestenfalls, meine Damen und Herren, einGefühl der Erleichterung darüber erzeugt, von einer
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13743
Rudolf Dreßlererneuten ungerechten Schröpfaktion, wie diese Bundesregierung sie den Menschen schon mehrfach zugemutet hat, diesmal verschont geblieben zu sein.Die Menschen in unserem Land spüren die großen Probleme in Deutschland. Sie können mit den Händen greifen, daß die schwere wirtschaftliche Rezession, die außer Kontrolle geratenen Staatsfinanzen und die bisher weitgehend mißlungene Vereinigung Deutschlands eine grundlegende Neuorientierung der deutschen Politik erfordern, einen neuen Anfang, der ihnen noch einiges abverlangen wird. Aus der Vergangenheit bringen sie schmerzliche Erfahrungen mit, daß dem Gerechtigkeitssinn dieser Regierung nicht zu trauen ist. Die Menschen ahnen, daß diese Regierung etwa im Schilde führt, und sie ahnen nichts Gutes.Das ist kein Klima, meine Damen und Herren, in dem Gemeinsinn wächst oder die Bereitschaft zur Solidarität entsteht;
im Gegenteil: Es entstehen Mißtrauen und Egoismus. Diese gesellschaftlich verhängnisvolle Wendung geht auf das Konto der Regierung Kohl.
Sagen, was zu tun ist, und tun, was gesagt ist — das ist die Essenz der wichtigsten politischen Tugend, der Glaubwürdigkeit. Ohne den Mut zur Wahrheit und den Sinn für Gerechtigkeit kann kein Gemeinsinn entstehen, sondern wird die Bereitschaft der Menschen zerstört, um des gemeinsamen Ganzen willen auch Opfer auf sich zu nehmen.
Dieser Bundesregierung ist der Mut zur Wahrheit schon lange abhanden gekommen. Den Sinn für soziale Gerechtigkeit, hat es den in den vergangenen elf Jahren je wirklich gegeben?
Ihre politischen Taten jedenfall beweisen das Gegenteil.Es führt kein Weg daran vorbei: Diese Regierung muß endlich die Wahrheit sagen, die Wahrheit über die wirtschaftliche, die finanzielle und die soziale Lage in Deutschland.
Wir brauchen also einen finanzpolitischen Kassensturz, eine wirtschaftspolitische und sozialpolitische Bestandsaufnahme.
Wir brauchen alsdann eine Beschreibung dessen, was wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch notwendig ist, um Deutschland aus seiner Krise herauszuführen und mit der Einheit endlich Ernst zu machen.Wir brauchen schließlich eine Strategie, das als notwendig Erkannte auch um- und durchzusetzen —mit den Bürgerinnen und Bürgern, nicht gegen sie; denn Solidarität lebt vom Mittun der Menschen, nicht von Gesetzen, die beschreiben, wie sie aussehen sollte.
Bestandsaufnahme, Beschreibung und dann Verwirklichung des Notwendigen — das wäre Aufgabe eines wirklichen Solidarpakts gewesen. Nichts davon wird mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm geleistet. Die Wirklichkeit entlarvt es vielmehr als weiteres Bruchstück in der langen Reihe wenig zusammenhängender Einzelmaßnahmen dieser Regierung. Wo der Mut zur Wahrheit fehlt, verkommt Politik zur Beliebigkeit; da wird die Feststellung, daß Politik ein Ergebnis hat, wichtiger als die Bewertung, welches Ergebnis sie hat.Seit wann eigentlich ist die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland kein Thema für. einen Solidarpakt, erst recht in schwierigen Zeiten? Das Föderale Konsolidierungsprogramm läßt keinen Beitrag dazu erkennen. Wachstum und Beschäftigung sind heute in Deutschland auf außerordentliche Weise bedroht. Es sind nicht nur die aktuellen Zahlen über unzureichende Auftragseingänge, sinkende Investitionen oder dramatisch steigende Arbeitslosigkeit, die bedrücken; auch die längerfristigen Annahmen sind wenig ermutigend.In den Jahren bis 1997 muß Deutschland mit einem Arbeitsplatzabbau von bis zu 3 Millionen rechnen, vor allem deshalb, weil sich der Export abschwächt. Das einstmals fast magische Wort „Made in Germany" verliert an Glanz.Wesentliche Kennziffern zur Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland lassen Beunruhigung aufkommen. Ich will mir nicht alle pessimistischen Aussagen oder Prognosen zu eigen machen, aber eines machen sie doch deutlich: Die soziale und ökonomische Potenz Deutschlands ist bedroht, meine Damen und Herren, und dafür trägt die Bundesregierung in hohem Maße Verantwortung; denn sie hat dem Land gleich in mehrfacher Hinsicht Zwangslagen beschert.
Die Regierung hat die Zeit von 1982 bis heute verschenkt, weil sie aus ideologischer Verbohrtheit auf eine Wachstumsvorsorge- und Modernisierungspolitik verzichtet hat.
Noch heute hält sie Industriepolitik für den Vorhof der ökonomischen Hölle. In derselben Zeitspanne haben sich Länder wie Japan administrativ wie technologisch weiterentwickelt und sich sichere, ausbaufähige Positionen auf neuen Märkten verschafft.
Die Regierung hat finanzpolitisch ein strategisches Dilemma heraufbeschworen.
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13744 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Rudolf DreßlerSie kann heute nur zwischen rigoroser Sparpolitik wählen, die die Rezession weiter verschärft, oder aber einer noch größeren Schuldenexpansion, die die Finanzkrise ausweitet und das Realzinsniveau erhöht. Das eine ist so schädlich wie das andere. Den an der Wirtschaft Beteiligten fehlen für ihre Planungen sichere und verläßliche Rahmenbedingungen sozialpolitischer, ökologischer wie wirtschaftspolitischer Art. Sie erleben statt dessen eine Wirtschaftspolitik, die, wenn sie überhaupt stattfindet, kurzfristig taktiert, ohne dahinterliegende ernst zu nehmende Konzepte zu verfolgen.
Die Wirtschaft blickt mit offenkundiger Fassungslosigkeit oder ungläubigem Stauen auf ein sogenanntes Standortsicherungsgesetz, das ausgerechnet jetzt Abschreibungsmöglichkeiten verschlechtert. Die wirtschaftspolitische Orientierungslosigkeit im Lager der Koalition treibt immer bizarrere Blüten. Da hat der Bundesvorsitzende des neu formierten Wirtschaftsflügels der Union, ein Herr Klaus Bregger, nach einem Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 25. Mai 1993 doch allen Ernstes festgestellt:Warum sollten nicht wieder mehr Schuhputzer, Milchmänner und „fahrende Brötchenhändler" ihre Dienste anbieten?Nichts dagegen, meine Damen und Herren, aber mal Hand aufs Herz: Soll das ein konzeptioneller Beitrag zur Notwendigkeit einer ökonomischen Neuorientierung sein?
Auch eine hochentwickelte Volkswirtschaft lebt von Gütern, die produziert werden, und von ökonomischer Folklore — bei allem Respekt vor den genannten Berufsgruppen.Die Bundesregierung legt es mit ihrer Politik darauf an, einen entscheidenden Standortfaktor, den der sozialen Stabilität und Sicherheit, systematisch zu zerstören.
In Ballungsräumen wird die Wohnungsnot für Unternehmen zum gravierenden Hindernis, da die Beschäftigten die Miete nicht mehr zahlen können. Ständige Attacken von Regierungsvertretern gegen die Tarifautonomie zerstören das Vertrauen in diesen Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Die auffallende Nachsicht gegenüber Steuer- und Subventionsbetrügern im Vergleich zu denen, die sich bei Lohnersatzleistungen betrügerisch bedienen, ist beredtes Beispiel für die Mißachtung der sozialen Proportionen. Das alles belegt, daß die Bundesregierung das Gebot der sozialen Stabilität nicht ernst nimmt.
Den nachhaltigsten Schlag gegen den sozialen Frieden führt die Regierung jetzt mit ihrer Pflegekonzeption. Es ist ein tiefer Bruch mit der über 100jährigen sozialstaatlichen Tradition in Deutschland, die Kosten für die Pflegeversicherung nicht zu gleichen Teilen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verteilen, sondern sie zu 100 % der Arbeitnehmerschaftaufzuladen. Es kommt einer sozialen Perversion gleich, wenn Kranken die Kosten für die Pflegebedürftigen aufgeladen werden sollen.
Nun komme mir keiner mit dem Argument, die deutsche Wirtschaft sei nicht in der Lage, die Mehrbelastung durch eine Pflegeversicherung zu tragen. Es handelt sich um 7 Pfennige pro verdientem 10-DM-Schein, um nur einmal die Dimension anzugeben, um die es hier geht.
In Wahrheit ist auch nicht die Vermeidung dieser zusätzlichen Belastung das Ziel der Proteste und der Agitation der Wirtschaftsverbände. Es geht um etwas ganz anderes. Das eigentliche Anliegen ist die grundlegende Verschiebung der Finanzierungssystematik der sozialen Sicherung.
Die Arbeitgeber sollen entlastet, und die Arbeitnehmer sollen zusätzlich belastet werden. Die Pflegeversicherung ist dazu nur der Probelauf.
Wer das nicht erkennt und wer das nicht verhindert, der wird binnen kurzem unser Land nicht mehr wiedererkennen.Ich sage Ihnen: Der Versuch, Karenztage zur Finanzierung des Arbeitgeberanteils in der Pflegeversicherung einzusetzen, wird unserem Land eine gesellschaftspolitische Belastungsprobe bescheren, die es in sich hat. Ich warne die Bundesregierung, diesen Weg weiter zu beschreiten. Sie sollte sich zudem keinem Zweifel darüber hingeben, wo bei einem solchen Versuch der Platz der Sozialdemokratie sein wird, nämlich an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen dieser Tarifvertrag gehört.
Der Bundessozialminister renommiert gerne mit seiner politischen Arbeitnehmerherkunft. In seiner Haltung zu diesem Pflegeprojekt verleugnet er sie. Wer mit dem Plan, Karenztage einzuführen, die Interessen der Arbeitnehmerschaft gegen die Interessen der Schwächsten in Deutschland, der Pflegebedürftigen, ausspielt, begibt sich auf einen schändlichen Weg.
Meine Damen und Herren, in früherer Sprache, zu den aktiven Arbeiterzeiten des Norbert Blüm, hätte man gesagt: Wer so etwas tut, hat kein Klassenbewußtsein. — Heute heißt das anders: Er spielt die Rolle des Trojanischen Pferdes der Unternehmer in den Reihen der Arbeitnehmer.
Damit kein Zweifel bleibt: Mögen Sie von der CDU/ CSU und von der F.D.P. auch Gesetzgebungstricks anwenden, wie Sie wollen, Sie werden erleben, daß sich die deutsche Sozialdemokratie zu wehren weiß,
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Rudolf Dreßlerwenn diese Regierung ihre Irrfahrt gegen die Tariffreiheit nicht endlich beendet.
Unser Sozialsystem wird von manchen Konservativen auf besonders niederträchtige Weise diffamiert. Stellvertretend für andere möchte ich noch einmal den neuen Vorsitzenden des Wirtschaftsflügels der CDU zitieren. Er sagte nach Angaben der „Frankfurter Rundschau": „Die Sozialmatratze hängt durch. Sie lädt zum Nichtstun ein und hat die gängigen sozialen Sicherungssysteme zum Bankrott gebracht. " Glauben Sie wirklich, mit solchen gemeingefährlichen Reden schaffe man Gemeinsinn, ebne den Weg und schaffe die Bereitschaft der Menschen, füreinander einzustehen?Die Wahrheit ist: Solche Reden machen die, die den Schutz der sozialen Sicherungssysteme benötigen, verächtlich, und zudem entbehren sie jeder sachlichen Grundlage. Sie sind also nicht nur bösartig, sie sind auch falsch.
Die Krankenversicherung ist keine Sozialmatratze. In Wirklichkeit litt sie nämlich in hohem Maße an Systemfehlern, die allesamt politisch zu verantworten waren. Diese Systemfehler sind in einer Gemeinschaftsaktion von Regierung und Opposition mit dem Gesundheitsstrukturgesetz bereinigt worden.In Wirklichkeit leidet die Rentenversicherung nicht an denen, die sie als soziale Hängematte durchliegen, wie man im konservativen Lager meint, sondern daran, daß sie vom Bundesfinanzminister und vom Sozialminister als Reservekasse zur Finanzierung von Problemen der deutschen Einheit mißbraucht wurde.
Die Rentenfinanzen waren nämlich zuvor erst, ebenfalls in einer Gemeinschaftsaktion von Regierung und Opposition, stabilisiert worden.In Wirklichkeit leidet die Arbeitslosenversicherung nicht an überhöhten Ansprüchen, sondern sie leidet daran, daß die Regierung Kohl auch ihr gesamtgesellschaftliche Kosten der Einheit aufgeladen hat.In Wirklichkeit leiden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht daran, daß sich Millionen von Menschen auf Kosten der Steuerzahler einen guten Tag machen, sondern daran, daß die Regierung nicht in der Lage ist, Arbeitsplätze zu schaffen und Not zu lindern.
Von einem Solidarpakt trennen das Föderale Konsolidierungsprogramm weniger seine Inhalte, sondern vielmehr das, was es nicht enthält, und das ist, wie gezeigt, eine ganze Menge.Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich ihre Abstimmungsentscheidung nicht leicht. Wenn wir ihm trotz aller schwerwiegenden Mängel zustimmen, so hat dies zwei Gründe:Für die Menschen in Ostdeutschland ist der mit diesem Programm sichergestellte Milliardentransferbittere Notwendigkeit und auch ein Stück Hoffnung. Sicherung industrieller Kerne, Sanierung ökologischer Altlasten, Wohnungsbauprogramm — das sind Eckpunkte des föderalen Programms, die die SPD erst hineinverhandelt hat, die es ohne die SPD also gar nicht gegeben hätte.
Wir wollen unseren Verhandlungserfolg in diesen elementaren Fragen auch umsetzen und für alle erfahrbar machen. Das sind wir den Menschen in Ostdeutschland schuldig.Der zweite Grund liegt in der gelungenen Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Auch er ist bittere Notwendigkeit. Wir brauchen handlungsfähige Länder und leistungsstarke Kommunen in Ostwie in Westdeutschland. Ohne eine vernünftige Finanzausstattung geht das eben nicht.Die SPD hat mit diesem Förderalen Konsolidierungsprogramm aber noch ein Ziel erreicht. Die geplante Kürzung sozialer Regelleistungen wurde abgewehrt, zumindest in diesem Gesetz. Was im Zusammenhang mit dem Haushalt 1994 an Plänen aus Kreisen der Regierung bekanntgeworden ist, läßt allerdings ahnen, daß diese Kürzungsversuche nicht nur in einem Haushaltssicherungsgesetz 1994 wiederholt werden, sondern in einer Art Kahlschlagorgie auch einen traurigen Höhepunkt finden werden.Niemand sollte meinen, er könne die SPD für eine solche Kahlschlagorgie gewinnen. Wir haben die Kürzung sozialer Regelleistungen nicht aus dem FKP herausoperiert, um noch Schlimmeres in einem Haushaltssicherungsgesetz zu akzeptieren.
Da Herr Waigel soeben an die demokratische Opposition appelliert hat, ihm dabei zu helfen, sage ich ihm, nachdem wir ihn seit zweieinhalb Jahren vor diesem Irrweg gewarnt haben: Herr Waigel, wer freiwillig in ein Jauchefaß springt, der darf sich nicht wundern, wenn die SPD verweigert, ihn anschließend abzuspritzen;
denn die gewaltigen Finanzierungsprobleme, vor denen wir stehen, sind unbestritten. Die Erkenntnis, daß es mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik so nicht weitergehen kann, sondern daß ein Neuanfang erforderlich ist, ist wohlfeil. Aber die Finanzprobleme sind ursächliches Ergebnis der unsoliden Politik der Regierung.
Auch das „weiter so! " gehört zur Politik der Regierung wie Castor zu Pollux. Stehlen Sie sich also nicht aus der Verantwortung. Es sind doch nicht die einzelnen Arbeitslosen, die die finanzielle Stabilität der Arbeitslosenversicherung bedrohen. Es war und ist die verfehlte Politik der Regierung, die ein ständig wachsendes Arbeitslosenheer erst produziert hat. Diese Politik bedroht die Stabilität der Arbeitslosenversicherung.
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13746 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Rudolf DreßlerWarum also wollen Sie den Arbeitslosen dann Ihre Unterstützung kürzen? Betreiben Sie endlich eine vernünftige Wirtschaftspolitik, Herr Rexrodt, Herr Waigel, in der eine vorausschauende Arbeitsmarktpolitik eine herausragende Rolle spielt. Die SPD ist sofort dabei.
Ich wiederhole: Die Rentenfinanzen waren bis weit in das nächste Jahrtausend stabil. Es war die Politik dieser Regierung, die die Rentenfinanzen destabilisiert hat.
Warum also wollen Sie die Folgen den Rentnerinnen und Rentnern aufbürden, indem Sie ihnen durch eine halbjährige Verschiebung des Anpassungstermins in Wahrheit die Renten kürzen? Was ist das eigentlich für eine Regierung, der beim Stichwort Konsolidierung immer zuerst die Sozialleistungen einfallen? So reagiert und regiert eine Regierung der gesellschaftlichen Einseitigkeit, eine Regierung, deren politisches Streben nicht auf die Wohlfahrt aller Menschen, sondern nur auf die eines Teils der Menschen gerichtet ist.
Oder anders ausgedrückt: So regiert eine Regierung der sozialen Destabilisierung. Die SPD verschließt sich nicht der Erkenntnis, daß die schwerwiegenden Finanzprobleme an der Sozialpolitik nicht vorbeigehen können. Wir brauchen in sich konsistente Lösungen und keine widersprüchlichen. Wer das Arbeitslosengeld kürzt, verhält sich nicht nur unsozial, sondern er verhält sich auch widersinnig. Die Behauptung, er spare durch diese Kürzungen, ist doch unwahr. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wird zwar eingespart, aber die Haushalte der Sozialhilfeträger, die Sozialhilfeausgaben werden steigen. Das ist doch absehbar.
Diese Art von Sparen ist doch in Wirklichkeit nur ein Umfinanzieren, Entlastung des Bundeshaushalts, Belastung der Kommunalhaushalte, und das war's denn. Was wir brauchen, sind nicht solche Umbuchungstricks mit allen für die Betroffenen negativen Folgen. Wir brauchen einen sozialpolitischen Umbau. Das ist nicht einfach, aber es ist machbar. Das Gesundheitsstrukturgesetz, das SPD und Koalitionsfraktionen gemeinsam durchgesetzt haben, ist dafür ein klassisches Beispiel, und es ist ein erfolgreiches dazu, wie jedermann feststellen kann. Da wurden nicht nur nicht die sozialen Proportionen verletzt, da wurde das System umgebaut, der Versicherte in den Mittelpunkt gestellt, soziale Gerechtigkeit mit Wettbewerb in Einklang gebracht. Sozialer Umbau, meine Damen und Herren, ist keine Worthülse. Er funktioniert. Man muß ihn nur wollen und der Versuchung widerstehen, Abbau als Umbau zu tarnen.
Mein Fazit nach den vielen Gesprächsrunden zum Föderalen Konsolidierungsprogramm im Kanzleramt und anderswo ist eindeutig: CDU/CSU und F.D.P. reden zwar ständig vom Solidarpakt. In Wahrheit aberwollen sie einen solchen nicht; denn sie wollen seine elementaren politischen Voraussetzungen nicht, weil sie dazu ihre Politik ändern müßten. Soziale Gerechtigkeit statt Einseitigkeit, Wahrheit statt Vertuschung und Gemeinsinn statt Egoismus.Meine Erfahrungen haben sich in diesen Wochen wieder bestätigt. Mit dieser Regierung ist kein Staat zu machen und ein Sozialstaat schon gar nicht.
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Adolf Roth das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Krise", so hat Max Frisch einmal gesagt, „ist ein ungeheuer produktiver Zustand, wenn man ihr den Beigeschmack der Katastrophe nimmt."Wer der Debatte bis jetzt aufmerksam zugehört hat, wird mit mir sicher darin einig sein, daß es dem Bundesfinanzminister Theo Waigel und auch den Rednern der Koalition mehr gelungen ist, auf den Ernst der zugespitzten Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzlage in Deutschland konstruktiv einzugehen, als den bisher hier am Mikrophon aufgetretenen Rednern der sozialdemokratischen Opposition.
Ich habe jedes Verständnis dafür, Herr Kollege Dreßler, daß die Sozialdemokratie bei ihrer bisher vergeblichen Suche nach einer politischen Alternative und nach einer glaubwürdigen politischen Führung in ihrer Partei nicht vorangekommen ist.Das muß sich aber nicht darin niederschlagen, daß man auf der einen Seite einen Pakt zwischen dem Bund und den Bundesländern mit unterschreibt und ausverhandelt, auf der anderen Seite aber hier vor dem deutschen Parlament in aggressiver, klassenkämpferischer Attitüde gleichsam alles niedermacht, was in diesem Gesetz über das Föderale Konsolidierungsprogramm niedergelegt ist. Das ist nicht der konstruktive Beitrag, um den Sie der Bundesfinanzminister Theo Waigel vorhin gebeten hat.
Die Zahlen des Nachtragshaushalts 1993 und des Gesetzes über das Föderale Konsolidierungsprogramm vermitteln ein deutliches Bild. Dreieinhalb Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit befinden wir uns in einer äußerst kritischen Phase der öffentlichen Haushaltsentwicklung.Dies ist zurückzuführen auf die rezessionsbedingten Milliardenlöcher auf der Einnahmenseite, die historisch höchsten Beistandsleistungen für die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit und die Bedienung der kommunistischen Erblast, das alles gepaart mit einem realen Transfer West-Ost in Deutschland in einer Größenordnung von 5 % des jährlichen Bruttosozialprodukts.Dies alles zusammengerechnet ist natürlich weit mehr, als daß es sich im Zahlenbild eines 460- Milliarden-DM-Bundeshaushalts unauffällig beiseite
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13747
Adolf Roth
drücken ließe. Die Nettokreditaufnahme des Bundes steigt auf 67,6 Milliarden DM in diesem Jahr an. Das sind 2,2 % des Bruttosozialprodukts, eine gewaltige Dimension, fast soviel wie seinerzeit in den SPD- Krisenjahren 1981/82, als diese Größenordnung — allerdings meilenweit entfernt von dem Prozeß der deutschen Einheit — überschritten worden ist.Das Föderale Konsolidierungsprogramm ist ein Durchbruch der Vernunft. Aber es muß hier offen eingeräumt werden, daß seine Elemente auf der Basis einer Wirtschaftsentwicklung gerechnet worden sind, deren Realisierung im einzelnen in den kommenden Jahren erst noch erarbeitet werden muß. Das heißt, wir brauchen entschlossene Kraftanstrengungen auf allen Ebenen, um die Elemente dieses Konsolidierungsprogramms und des angestrebten Solidarpakts in Deutschland auch wirklich zu erreichen.Das heißt, die neue Architektur der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen ab 1995 muß ihre statische Festigkeit erst noch unter Beweis stellen. Eine Volkswirtschaft, die bei Steuern und Abgaben international gesehen unter Höchstlast gefahren werden muß, bei einer absehbaren Abgabenquote von 44 %, eine solche Volkswirtschaft kann die Quellen für langjährige Supertransfers nach Ostdeutschland nicht verläßlich zum Sprudeln bringen. Deshalb müssen wir noch andere Konsolidierungsbeiträge leisten, wenn wir das Fahren mit angezogener Handbremse überwinden wollen.Deshalb bestehen jetzt Einigungszwang und Entscheidungszwang für Regierung und Parlament.Bundesfinanzminister Theo Waigel hat im April — er hat darauf hingewiesen —, am Tag seines vierjährigen Amtsjubiläums als Bundesfinanzminister, dem Haushaltsausschuß ein offenes und schonungsloses Bild der gesamtwirtschaftlichen Lage gezeichnet. Er hat auch offen die Herausforderungen benannt, vor denen wir in der kritischen Übergangsphase der Jahre 1993 bis 1995 finanzwirtschaftlich stehen werden.Die sozialdemokratischen Kollegen im Ausschuß haben damals mit durchaus respektablen Kommentierungen auf diesen Sachvortrag reagiert. Ich habe vermißt, daß sich der Kollege Wieczorek heute in seiner Eingangsrede wenigstens diesen eigenen Bewertungen und Urteilen im zuständigen Fachausschuß angeschlossen hat. Wir haben damals einvernehmlich geglaubt, daß die realistische Erfassung und Etatisierung aller erkennbaren Risiken, wie es seither geschehen ist, auch in Zukunft erfolgen muß und daß wir die erhöhten Haushaltsdefizite angesichts der Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts jetzt vorübergehend akzeptieren müssen, und zwar auch wegen der offenkundigen Arbeitsmarkthypotheken.Wir haben gemeinsam festgestellt, daß zur Abwehr zusätzlicher Gefahren für die Haushaltsstabilität 1994 und in den Folgejahren eine konsequente Spar- und Eindämmungspolitik auf der Ausgabenseite betrieben werden muß. Der Ausschußvorsitzende, der sozialdemokratische Kollege Rudi Walther, hat selbst kürzlich gesagt: „Wenn das Bruttosozialprodukt sinkt, dann stehen natürlich alle staatlichen Leistungen aufdem Prüfstand." Natürlich ist das so. Dazu paßt dann aber nicht, daß die sozialdemokratische Opposition im ersten Abschnitt ihres Entschließungsantrages die nahezu vollständige Tabuisierung von Eingriffen in Leistungsgesetze einfordert. Dies paßt nicht zu der Bereitschaft, alle Leistungen wirklich auf den Prüfstand zu stellen.
Das Urteil der Haushaltspolitiker auf Regierungswie auf Oppositionsseite muß von Realitätssinn geprägt sein — trotz aller Unterschiedlichkeit der Positionen, die niemand verwischen will. Unser Auftrag ist es, den Rang der Wirtschaftsnation Deutschland in schwieriger Gesamtlage stabilitätspolitisch abzusichern. Ich jedenfalls empfand es ermutigend, daß die Kollegen der SPD dem Artikelgesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms geschlossen zugestimmt und auch seine zügige Verabschiedung gefördert haben. Dies ist nun einmal Teil des sachorientierten Arbeitsstils, dessen sich der Haushaltsausschuß in einer langen Tradition immer wieder befleißigt hat.Ich darf an dieser Stelle einmal erwähnen: Rudi Walther, der sozialdemokratische Ausschußvorsitzende, konnte dieser Tage sein zehnjähriges Jubiläum als Vorsitzender dieses Ausschusses begehen. Wir haben ihm für seine Leistung Anerkennung und Dank gezollt. Ich möchte das auch hier tun, allerdings verbunden mit dem ausdrücklichen Wunsch, er möge sich doch bitte beizeiten in den Reihen der SPD- Fraktion um einen ebenso qualifizierten Nachfolger bemühen, denn es bleibt ja das Vorrecht der Opposition, diese wichtige parlamentarische Position auch in Zukunft zu besetzen.
Zurück zur Haushaltssituation. Sie spitzt sich weiter zu, weil sich die strukturellen Auswirkungen der Rezession über die wirtschaftlichen Anpassungsprozesse in den nächsten Jahren in zusätzlichen Haushaltsdefiziten niederschlagen werden, und zwar auch dann, wenn deren Nachhaltigkeit in die Phase der gesamtwirtschaftlichen Wiederbelebung, auf die wir im kommenden Jahr gemeinsam hoffen, deutlich hineinreichen wird.Wir kennen diese Situation ja aus der ersten Hälfte der 80er Jahre. Auch damals haben wir diesen Verzögerungseffekt bei der Wiederbelebung gespürt. Die jüngste Steuer- und Arbeitsmarktschätzung weist ja auch aus, daß für den Zeitraum von 1994 bis 1996 eine ganz erhebliche Milliardenlücke in dreistelliger Höhe in der Finanzplanung besteht, obwohl von einer solchen konjunkturellen Normalisierung ausgegangen wird.Daß 1993/94 ein Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts von 160 Milliarden DM oder von 5 % des Bruttosozialprodukts als nicht vermeidbar hingenommen werden muß, ist für die Folgejahre praktisch nicht akzeptabel und verlangt ein politisches Gegensteuern. Gemäß der Vorschrift des Art. 115 unseres Grundgesetzes, aber auch in Erfüllung der Ziele von Maastricht sind wir gezwungen, die Höhe des Staatsdefizits
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13748 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Adolf Roth
sowie der Gesamtschulden zu begrenzen und die Preisstabilität zu wahren. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, daß der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister nun ein Konzept der öffentlichen Einsparstrategie verkündet haben. Wir sagen der Bundesregierung eine konstruktive Begleitung und Unterstützung durch die Mehrheit des Parlaments in der Koalition zu.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, daß fairerweise niemand bestreiten kann, daß wir in den vergangenen Jahren einen rigorosen Sparwillen praktiziert haben. Schon die Beschlüsse zum vorliegenden Nachtragshaushalt 1993 mit zusätzlichen Einsparungen von 5,8 Milliarden DM weisen in diese Richtung. Wenn man die zusätzlichen Abführungen an die Bundesanstalt für Arbeit, also die Arbeitsmarkthypotheken, und die steuerlichen Mindereinnahmen aus der jüngsten Steuerprognose herausrechnet, kommt man auf einen konjunkturbereinigten Ausgabenzuwachs von gerade 2 %. Das, meine Damen und Herren, deutet darauf hin, daß wir das beschlossene und praktizierte Ausgabenmoratorium strikt beachten und daß seine Befristung endgültig aufgehoben ist.Wir haben in diesem Jahr eine Ausgabensperre von 1,8 Milliarden DM verhängt. Wir werden die erste Einspar-Milliarde bereits durch das Föderale Konsolidierungsprogramm erwirtschaften. Das heißt, wir müssen, wenn die Ankündigungen der Bundesregierung in den nächsten Wochen im Kabinett und anschließend parlamentarisch umgesetzt werden müssen, wissen, welche Verpflichtungen wir, das Parlament, uns auferlegen. Beim Spar- und Konsolidierungsgesetz geht es um das internationale Vertrauen in die Deutsche Mark. Es geht um das Verhindern von Kapitalabflüssen und von Abwertungsgefahren für die Deutsche Mark. Hier geht es um den Kampf gegen den drohenden Inflationsimport, mit allen Folgen für die inländische Zinsentwicklung und die dadurch ausgelösten Wirkungen für die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und für die Entwicklung des Arbeitsmarkts.Es erfordert also insgesamt ein abgestimmtes, ein zielgerichtetes Maßnahmenbündel. Das wird unsere Herausforderung sein. Die Zeit der unverbindlichen Spardiskussionen und des unproduktiven Verteilungsstreits ist vorbei. Jetzt sind konkrete Schritte nicht mehr aufzuschieben.
Wir werden damit den internationalen Märkten unter Beweis zu stellen haben, daß das Exportland Deutschland seine Finanzprobleme entschlossen anpackt und löst. Der unter erheblichen Mühen zustande gekommene Solidarpaktkompromiß kann und muß Ausgangspunkt eines gesamtstaatlichen Stabilitäts- und Konsolidierungskurses werden, meine Damen und Herren. Die Vorleistungen, die der Bund erbracht hat, sind ansehnlich und beträchtlich: 90 % des Finanztransfers in die neuen Bundesländer, 56 Milliarden DM ab 1995, werden vom Bund geleistet. Wir geben 7 Umsatzsteuerpunkte an die Bundesländer. Damit ist der finanzpolitische Handlungsspielraumdes Bundes nicht nur eingeengt, sondern auch restlos ausgeschöpft. In Zukunft werden wir um eine strikte Trennung der Aufgaben und auch der Finanzierungszuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern nicht herumkommen.Das FKP-Gesetz schafft Klarheit über die mittelfristige Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen und hat damit eine beträchtliche Signalwirkung für die gemeinsame Aufbaustrategie. Was hierdurch erreicht wurde, ist für die CDU/CSU- Bundestagsfraktion ein wichtiger Markstein, aber beileibe kein Schlußpunkt. Wir werden uns mit den jetzt erreichten Eckdaten und Belastungsquoten nicht abfinden. Wir wollen die Begrenzung des öffentlichen Sektors. Wir wollen die Rückführung des überhöhten Staatsanteils auf deutlich unter 50 %. Wir werden die Steuer- und Abgabelasten mittelfristig wieder an die Quoten heranführen, die wir durch eine harte Konsolidierungsstrategie in den 80er Jahren schon einmal erreicht haben.Meine Damen und Herren, jetzt ist nicht die Zeit für sozialdemokratische Staatsprogramme und Steuererhöhungen.
Ich muß nun Oskar Lafontaine zitieren, weil mir vom hessischen Ministerpräsidenten Eichel, meinem Landsmann, leider nichts vergleichbar Zitierfähiges einfällt.
Es gibt nur Schlagzeilen, mit denen er in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit getreten ist. Oskar Lafontaine hat am 26. März vor dem Bundesrat einen Reformbedarf beim Zuwachs der Leistungen eingeräumt. Er sagt, es könne „nicht gutgehen, wenn in einzelnen Bereichen die Tatsache, daß man arbeitet, weniger attraktiv ist als die Tatsache, daß man keiner Arbeit nachgeht".
Meine Damen und Herren, genau diesen Reformbedarf haben wir beim Arbeitsförderungsgesetz und bei der Bundesanstalt, die nicht länger Haushaltsvorgaben des Bundes ignorieren darf. Die gesetzliche Einstandspflicht des Bundes für die Defizite der Bundesanstalt in Nürnberg darf nicht dazu führen, daß dort ein nicht mehr kalkulierbares Haushaltsdauerrisiko mit einem selbstverwalteten Ausgabevolumen von weit mehr als 100 Milliarden DM entsteht. Deshalb werden wir auch bei den Entscheidungen der nächsten Monate dafür sorgen, daß die Bundesanstalt nur Geld verplanen kann, das eine kontrollierte Haushaltswirtschaft zur Verfügung stellt.
In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag beschließen mit der Feststellung: Gerade weil nach der deutschen Vereinigung vieles noch schwieriger geworden ist als im vergangenen Jahrzehnt, wird die
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13749
Adolf Roth
Koalition alle Anstrengungen unternehmen, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Eine politische Alternative dazu gibt es nach heutiger Sicht nicht.Herzlichen Dank.
Herr Präsident, erlauben Sie mir als Berichterstatter, noch eine kurze Berichtigung zu Protokoll zu geben.
Aber selbstverständlich.
In der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/4801 muß es bei Art. 34 Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 in § 3 Abs. 4 Nr. 2b statt „29,90 Deutsche Mark" richtig „25,90 Deutsche Mark" heißen. Bei diesem Betrag beginnt in Zukunft die Nullzone des Solidaritätszuschlags. Ich wollte diese Korrektur des Druckfehlers in der hier vorliegenden Form der Drucksache dem Parlament zur Kenntnis bringen.
Herzlichen Dank.
Nachdem Sie Ihren Pflichten als Berichterstatter nachgekommen sind, kann ich dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen das Wort erteilen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein hessischer Landsmann hat mich so liebenswürdig angekündigt. Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, in diesem Hause einen Tag vor dem zweiten Durchgang im Bundesrat zum Föderalen Konsolidierungsprogramm zu sprechen. Ich werde dabei die Positionen aller Bundesländer — Ost wie West, die der CDU/CSU- wie die der SPD-geführten — so berücksichtigen, daß, so denke ich, meine Kollegen Ministerpräsidenten zwar sicherlich nicht mit jedem Satz, aber mit dem Ergebnis dessen, was ich hier sage, einverstanden sein können. Denn wir sind gemeinsam an der Aushandlung des Föderalen Konsolidierungsprogramms beteiligt gewesen. Wir haben es gemeinsam getragen, ohne es in seiner Wirkung zu überschätzen, aber auch ohne es kleinzureden. Das bestimmt dann meine Position; davon können Sie ausgehen.Es ist oft bemerkt worden, daß dieser Gesetzentwurf eine lange und teilweise mühsame Vorgeschichte hat. Auch ist nicht nur das Verfahren ungewöhnlich, ebenso die Eile, mit der das Gesetz im Bundesrat — ich habe das Verfahren hier im Bundestag nicht zu bewerten — beraten wird. Dazu will ich übrigens zu Herrn Schulz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sagen: Aus meiner Sicht war das die einzig zutreffende Bemerkung, die er zum Föderalen Konsolidierungsprogramm gemacht hat. Es ist ihm erspart geblieben, daß etwa Joschka Fischer heute an meiner Stelleredete. Das wäre eine gänzlich andere Rede geworden als die, die er hier gehalten hat.
Ich denke, daß Sie auch noch Ihre eigene gesamtdeutsche Vereinigung schaffen müssen; dies haben wir mit dem FKP tatsächlich erreicht.
Ich will auf die Darstellung von Einzelheiten der Vereinbarung verzichten. Wesentliches ist zu diesem Gesetz bereits im ersten Durchgang von Bundestag und Bundesrat gesagt worden. Wir haben seitdem noch einiges zu verschiedenen Punkten nachverhandelt, was übrigens, Herr Bundesfinanzminister — er ist nicht da —, kein gutes Beispiel war. Ich sage das im nachhinein nur noch sehr zurückhaltend. Ich denke, wenn man etwas abgeschlossen hat, muß es auch abgeschlossen sein. Hinterher zu entdecken, daß man möglicherweise doch wieder Fehler gemacht hat, macht die Sache in der Beziehung zwischen Bund und Ländern nicht sehr viel besser.Wichtig ist, daß wir im Interesse der deutschen Einheit und ihrer Ausgestaltung einen Kompromiß gefunden haben. Bund und Länder haben gemeinsam ein Ergebnis erzielt, das eine gute Grundlage für die zu bewältigenden Aufgaben bildet. Die Verstetigung des Fonds „Deutsche Einheit" und die volle Einbeziehung der ostdeutschen Länder und Berlins in den bundesstaatlichen Finanzausgleich schaffen für die neuen Länder und ihre Gemeinden eine verläßliche Finanzierungsbasis. Damit haben Bund und Länder auch die allseits geforderte Planungssicherheit, jedenfalls was ihr Verhältnis zueinander und untereinander betrifft. Daß das durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, durch die Entwicklung der Staatsfinanzen insgesamt, wieder gefährdet werden kann, ist ein anderes Thema und hier zu Recht und intensiv bereits angesprochen.Daß wir diesen Ausgleich erreicht haben, war nur möglich, weil alle Seiten zu Zugeständnissen bereit waren. Ich sage hier sowohl gegen Herrn Schulz wie auch gegen den Bundesfinanzminister: Es hat sich hier in Wirklichkeit um einen für alle Seiten fairen Kompromiß gehandelt. Denn, meine Damen und Herren, eines muß deutlich gesagt werden: Das ursprüngliche Föderale Konsolidierungsprogramm des Bundesfinanzministers ist auf die einhellige Ablehnung aller Westländer gestoßen; denn das, was dort stand, hätte — und daran kann niemand Interesse haben — die praktische Leistungs- und Zahlungsunfähigkeit sämtlicher Westländer bedeutet. Das hat der bayerische Finanzminister keinen Deut anders gesehen als der nordrhein-westfälische, der baden-württembergische Finanzminister, die damalige schleswig-holsteinische Finanzministerin oder der hessische Finanzminister. Ich betone dies deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß wir gerade wegen der vor uns liegenden Aufgaben in einigen zentralen Fragen auf Konsens an dieser Stelle angewiesen sind.Ob diese Vereinbarung als ein Schlüsselerfolg des Föderalismus gefeiert werden kann, wie dies Bundesfinanzminister Waigel im Bundesrat geäußert hat, will ich hier nicht weiter bewerten. Ich erlaube mir aber
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13750 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Ministerpräsident Hans Eichel
die Bemerkung, daß es dafür eines geänderten BundLänder-Verhältnisses bedarf. Ich meine — das sage ich dezidiert an den Bund —, der Zustand muß beendet werden, daß der Bund Aufgaben in Gesetzen festlegt, die sodann ausschließlich von den Ländern und den Kommunen auszuführen und zu bezahlen sind. Wer Leistungen festlegt, muß sich auch in erheblichem Umfang an ihrer Finanzierung beteiligen. Aufgaben- und Ausgabenverantwortung gehören zusammen, sonst denaturiert der Föderalismus.
Jedenfalls wird damit die Gestaltungsfreiheit der Länder erheblich eingeschränkt.Nun zum Föderalen Konsolidierungsprogramm: Von den Eckpunkten des Gesetzes zum Föderalen Konsolidierungsprogramm möchte ich einige besonders hervorheben.Erstens. Über den Finanzausgleich und über Sonderbundesergänzungszuweisungen werden den neuen Ländern 55,8 Milliarden DM ohne jede Zweckbindung zur Verfügung gestellt. Die Sonderbedarfszuweisungen werden zehn Jahre lang in unveränderter Höhe bereitgestellt, es sei denn — was wir natürlich alle sehr hoffen, was aber im Moment wirklich nicht absehbar ist —, die finanzielle Situation in den neuen Ländern würde sich in der Zwischenzeit grundlegend verbessern. Basis des Finanzausgleichs ist der Gesetzentwurf des Bundesrates.Zweitens. Der Fonds „Deutsche Einheit" wird um 3,7 Milliarden DM in diesem Jahr und um 10,7 Milliarden DM für 1994 aufgestockt und damit verstetigt. Der Anteil der westlichen Länder an der Fondsaufstockung beträgt allein für diese beiden Jahre über 7 Milliarden DM. Es waren übrigens die Westländer, die auf diese Verstetigung des Fonds „Deutsche Einheit" im Interesse der neuen Bundesländer gedrungen haben. Auch daran sehen Sie — das sage ich wieder an Herrn Schulz gewandt —, daß überhaupt keine Rede davon sein kann, daß sich die Westländer ihrer Verpflichtung zur Mitfinanzierung entzogen hätten.
— Der Bund bezahlt das nicht. Das zahlen die Westländer zusätzlich; das korrigieren wir gerade in unseren Haushalten. Das ist die Wirklichkeit.Zur Beilegung der nach unserer Klausur mit dem Bundeskanzler aufgetretenen Differenzen haben sich die Länder nun auch bereit erklärt, ab 1995 zusätzlich 2,1 Milliarden DM Annuitäten für den Fonds „Deutsche Einheit" zu übernehmen.Drittens. Wir haben einen zeitlich begrenzten Solidaritätszuschlag ab 1995 vereinbart, der 28 Milliarden DM an Einnahmen erbringen soll. Über dessen soziale Komponente haben wir uns letztlich zwar verständigt; ich will aber nicht verhehlen, daß die Länder die gefundene Lösung nach wie vor für unbefriedigend halten.
Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag fließenneben den meisten anderen Steuererhöhungen— auch das wird in der Debatte auf Bundesseite gelegentlich übersehen, und deswegen sage ich es hier — ausschließlich dem Bund zu.Viertens. Es sind Einsparungen in Höhe von rund 18 Milliarden DM, einschließlich der Gemeinden, davon über die Hälfte bei den Ländern, beschlossen worden. Diese Einsparungen fallen uns allen nicht leicht. Es ist ja kein Geheimnis, daß manche der Vorschläge für uns Sozialdemokraten sehr bittere Pillen sind. Aber ich sage ganz ausdrücklich — Herr Kollege Faltlhauser ist im Moment nicht hier; wir waren zusammen in einer Arbeitsgruppe, in der wir uns mit Einsparungen und steuerlichem Subventionsabbau beschäftigt haben —: Es gibt im Moment wenig Grund, sich Vorhaltungen zu machen. Ich erinnere nur daran
— Moment, warten Sie es doch ab! —, daß in der Bundesliste — —
—Eine 10-Milliarden-Liste hatte die SPD-Seite vorgelegt, die unter den Ministerpräsidenten auch nicht konsensfähig war,
die — es war ein steuerlicher Subventionsabbau —
nach parteipolitischen Fronten unter den Ministerpräsidenten auch nicht konsensfähig war, aber von den SPD-Ministerpräsidenten voll getragen wurde.
Ich will Sie nur daran erinnern, daß wir in den Vorschlägen des Bundes auch solche fanden, die im Laufe des Verfahrens vom Bund selber wieder zurückgezogen wurden. Ich nenne das Beispiel des Mehrwertsteuerausgleichs far die Landwirtschaft; diesen Vorschlag hat der Bund in den Verhandlungen selber wieder zurückgenommen.Ich sage Ihnen nur: Das wird nicht die Art sein, mit der wir über die nächsten Runden kommen. Das ist meine Einschätzung. An dieser Stelle weiß ich, wovon ich rede, weil ich als einer der wenigen Ministerpräsidenten in unserem Bundesland das durchgeführt habe, was wir gemeinsam verabredet hatten. Das hat mich wenigstens einen Anzug gekostet — das ist ja noch leicht erträglich —, weil sich die Eier daraus schlecht entfernen ließen. Es werden noch andere Probleme auf uns zukommen, wenn wir wirklich Ernst machen mit solchen Fragen.Im Sinne einer Konsensfindung sind wir jedoch in dieser Runde zu Zugeständnissen bereit gewesen. Unsere Forderung, das Unterhaltsgeld für Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen bei beruflicher Rehabilitation nicht abzusenken — was im März vereinbart worden war —, wurde dann doch erfüllt. Man hätte das Einsparziel auch anders erreichen können. Bedauerlich ist aus der Sicht der Länder, daß
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Ministerpräsident Hans Eichel
die umfangreichen Vorschläge zu einem steuerlichen Subventionsabbau — ich habe das eben schon angedeutet — nur in bescheidenem Umfang berücksichtigt wurden.Nicht zuletzt zwingen uns die drohenden Steuerausfälle durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch in der Zukunft, nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Was liegt da näher, als zur Abwechslung bei den steuerlichen Subventionen Tabus zu brechen?Fünftens. Das FKP-Gesetz enthält eine für Außenstehende kaum durchschaubare Materie, den bundesstaatlichen Finanzausgleich. Das zähe Ringen auf allen Seiten zeigt, wie groß dessen Bedeutung für Bund und Lander ist.Ich denke, meine Damen und Herren, daß wir, so weit wir anfangs gedanklich auch auseinanderlagen, zu einer für Bund und Länder fairen Lastenverteilung gekommen sind. Mit diesem Gesetz hat die föderative Ordnung in Deutschland durchaus ihre Lebensfähigkeit unter Beweis gestellt.Nun will ich etwas sagen zu Ihrer Bemerkung, Herr Bundesfinanzminister, daß nichts draufgesattelt werden könne. Von Draufsatteln ist von seiten der Lander auch nicht die Rede. Nur: Im FKP haben Sie die Absprachen zurückgezogen, die wir mit dem Bundesverkehrsminister und im Gespräch mit dem Kanzler im Sommer vergangenen Jahres getroffen hatten, nämlich daß diejenigen Finanzmittel auf die Länder übertragen werden, die notwendig sind, damit die Länder ihre Aufgaben erfüllen können.
Das haben wir dann im März gemeinsam aus den Verhandlungen zum FKP herausgenommen.Ich will nur darauf hinweisen, da das Thema Bahnreform weiter auf der Tagesordnung steht; ich vermute, es muß auch weiter auf der Tagesordnung stehen. Dieses Problem sollte möglichst schnell gelöst werden, weil es sonst jeden Tag teurer wird. Es wird aber keine Lösung für die Bahnreform und keine Übernahme der Aufgaben der Bahn durch die Lander und Gemeinden geben können, wenn nicht die entsprechenden Finanzausstattungen sichergestellt werden. Das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden.
— Herr Bundesfinanzminister, uns liegt nicht im mindesten daran, an einer solchen Aufgabenübertragung auch nur irgendeine Mark zu verdienen; weil Sie sagen: keine höheren! Da sind wir uns ja einig. Wir werden erstens eine intensive fachliche Debatte darüber zu führen haben, was wir eigentlich mit der Bahnreform wollen, und zweitens müssen dann solide Rechnungen auf den Tisch. Daran mangelt es zum großen Teil bisher immer noch. Das sage ich bei diesem Punkt nicht als Vorwurf an die Bundesregierung, sondern als Vorwurf an die Deutsche Bundesbahn. Solange wir keine verläßlichen Grundlagen haben, sondern nur wissen, daß es sich um eine höchst teure Aufgabe handelt, werden Sie bei uns, den Ländern, keine Bereitschaft finden, diese Aufgabe zuübernehmen. Wir müssen wissen, auf welcher Basis wir das tun sollen.Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Thema soziale Schieflage und Arbeitsmarkt machen, weil das auch die Ministerpräsidenten insgesamt intensiv beschäftigt hat.Wenn ich es bei der Hervorhebung der genannten Punkte belasse, so liegt das nicht an der Geringschätzung der übrigen Eckwerte. Vielmehr möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange mit weiteren Zahlen strapazieren.Erlauben sie mir noch einige Worte zu einem Antrag, über den morgen der Bundesrat entscheiden wird. Aus der Sicht der Ländermehrheit wird das Gesetz den Erfordernissen der sozialen Gerechtigkeit, der Bekämpfung der Rezession und der Arbeitslosigkeit sowie der Notwendigkeit der ökologischen Modernisierung nicht gerecht. Wir bedauern sehr, daß bei der Finanzierung der deutschen Einheit eine soziale Schieflage besteht.Die Arbeitsmarktpolitik wird nahezu ausschließlich über die Beitragszahler der Sozialversicherung geleistet. Graf Lambsdorff, ich glaube, das ist übrigens eine Position, die auch von Ihnen geteilt werden müßte; denn das betrifft auch die Lohnnebenkosten. Ob wir an dieser Stelle die richtige Art der Finanzierung der Einheit gefunden haben, wage ich zu beweifeln. Es gibt auch andere, die das ganz genauso sehen.
Vorschläge zu einer Arbeitsmarktabgabe, die dann alle Erwerbstätigen einbezogen hätte, waren leider — auch unter den Ministerpräsidenten; entlang parteipolitischer Fronten — nicht konsensfähig. Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sind vor dem Hintergrund von weit mehr als drei Millionen Arbeitslosen nicht ausreichend. Ich füge hinzu: Eine Million Arbeitslose befinden sich dabei in der stillen Reserve, die wir durch eine Reihe von Änderungen — auch der Statistik — herausgebracht haben. Sie existieren aber als Arbeitslose. 1,2 Millionen Menschen befinden sich in Fort- und Weiterbildung sowie in Umschulung und ABM. 1,3 Millionen sind Kurzarbeiter.Kurzum: Zählen Sie das zusammen, wie immer Sie wollen, dann landen Sie bei 5,5 und mit den Kurzarbeitern bei 6,8 Millionen Menschen, die arbeitslos oder akut von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Davon sind übrigens über 20 % Langzeitarbeitslose.Meine Damen und Herren, angesichts dieser Tatsache halten wir das, was hier an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorgesehen ist, für absolut unzureichend.
Ich halte diesen Punkt — und ich kann mich wörtlich dem anschließen, was Graf Lambsdorff hierzu gesagt hat; aber daraus müßte auch die politische Konsequenz folgen — nicht allein aus haushälterischen Überlegungen für bedeutend. Jeder Arbeitslose kostet den Staat pro Jahr rund 30 000 DM an Unterstützung und Steuereinnahmeausfällen. Vor allem der eingangs erwähnte notwendige gesellschaftspolitische Konsens ist durch die Abdrängung nicht nur dieser Gruppe am Rande Stehender gefährdet. Ich
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Ministerpräsident Hans Eichel
frage mich, wie lange wir uns seine solche Ausgrenzungspolitik noch leisten können.Wenn wir uns diese Zahlen ansehen, meine ich, kommen nicht nur die Älteren, sondern auch die Jüngeren, die die Geschichte verstanden haben, sehr leicht zu Weimar und müssen sich fragen, ob das nicht eine wesentliche Grundlage für die Zerstörung der Demokratie in Deutschland war. Wenn ich mir überlege, daß unter dem Stichwort „Alle Leistungen müssen auf den Prüfstand" massive Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme geplant werden, frage ich mich, ob dann nicht das letzte Element, das diese Menschen noch in Solidarität mit diesem Staat und mit dieser Demokratie verbindet, zerschlagen wird und ob wir damit nicht die Axt an die Wurzeln der Demokratie in Deutschland legen. Das halte ich für eine lebensgefährliche Strategie.
Das ist — da haben Sie, Graf Lambsdorff, völlig recht — nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch ein Problem der Qualifikationsverluste und der Demoralisierung breiter Bevölkerungsgruppen. Deswegen ist der zweite Arbeitsmarkt, wenn der erste es nicht bringt, von hohem Interesse, weil er nämlich die Menschen qualifiziert hält und — wenn wir das intelligent machen — auch wieder für die nächste Runde richtig ausbildet. Es sind doch auch die Unternehmer, die sich dagegen wehren, daß in dieser Phase die Gelder für Fort- und Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen gekürzt werden, weil sie das für die falsche Strategie halten.
Für diese Entwicklung trägt auch der Staat Verantwortung. An dieser Stelle sei die Bundesregierung daran erinnert, daß für die mit dem Bundeskanzler vereinbarten Maßnahmen zur Absatzförderung von Produkten aus den neuen Ländern noch keine Vorschläge vorliegen. Für die neuen Länder ist es wichtig, daß den Worten jetzt auch Taten folgen.Abschließend möchte ich betonen, daß das FKP- Gesetz einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Länder darstellt. Die Länder stimmen dem Gesetz trotz seiner Mängel deswegen geschlossen zu.
Wir gingen im März, als wir diese Vereinbarung schlossen, davon aus, daß es sich urn eine dauerhafte Vereinbarung handelt. Bereits die Nachverhandlungen waren ein schlechtes Omen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das will ich heute nicht vertiefen, weil ja auch mir die Größe des Problems in Deutschland sehr wohl bewußt ist.Wie ist es eigentlich zu erklären, daß für uns alle im März klar war, daß das eine dauerhafte Vereinbarung ist und das, was im sozialen Bereich an Kürzungen damals nicht verabredet worden war, auch nicht gemacht wird, dann aber nur zwei Monate später und pünktlich zur Verabschiedung des FKP das alles wieder auf den Tisch gepackt wird? Hätten wir dennnicht schon vor zwei Monaten wissen können, daß das so wie damals verabredet nicht geht?
— Dann fragen Sie doch Ihren Verhandlungsführer, Herr Roth: Es waren klare Verabredungen. Ich will heute inhaltlich nicht in die Tiefe gehen — das werden wir in den Verhandlungen noch tun müssen —, sondern ich will fragen, wie es mit der Tariffähigkeit des Bundes aussieht,
wenn — und das erleben wir nicht zum ersten Mal — Vereinbarungen nicht einmal zwei Monate lang halten. Ich halte es um des notwendigen Zusammenwirkens von Bund und Ländern willen für dringend erforderlich, daß wir uns besser auf die Aussagen des Bundes verlassen können.
Ich erteile nunmehr dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Tat immense Anstrengungen zu unternehmen, um das Nahziel der deutschen Wirtschaftspolitik die Überwindung der Rezession, zu bewerkstelligen, und wir stehen vor der großen Herausforderung, die konzeptionelle Aufgabe der Wirtschaftspolitik, nämlich die Sicherung des Standortes Deutschland, zu erfüllen.Wenn ich über die Rezession spreche, dann möchte ich sehr gern auf die Worte des Abgeordneten Dreßler Bezug nehmen, der darstellte, daß das Ergebnis deutscher Wirtschaftspolitik ein sehr beklagenswertes sei. Wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Diese Rezession hat viele Ursachen, externe wie interne Ursachen, und diese Rezession wird — ich komme noch darauf zu sprechen — überwindbar sein.Wenn ich mir die wirtschaftliche Landschaft in dieser Bundesrepublik ansehe, Herr Dreßler, dann muß ich feststellen, daß Deutschland doch wohl ein Land ist, das sich sehen lassen kann. Wenn man sachlich und fair ist, muß man zunächst einmal die Frage stellen, wie weit denn überhaupt eine positive Korrelation zwischen Wirtschaftspolitik und wirtschaftlichem Ergebnis besteht.Es gibt eine solche Korrelation. Wenn Sie diese schon anführen, möchte ich sagen: Dieses Land ist immerhin über viele Jahre hinweg Exportweltmeister gewesen; dieses Land stellt die Ankerwährung in der Europäischen Gemeinschaft; dieses Land verfügt überwiegend über Unternehmen, die weltweit wettbewerbsfähig sind, und dieses Land ist in der Lage, eines der höchsten Sozialprodukte pro Kopf der Bevölkerung — zumindest im Westteil des Landes — zu erwirtschaften.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13753
Bundesminister Dr. Günter RexrodtDas ist ein so schlechtes Land nicht, meine Damen und Herren!
Sie haben die Wirtschaftspolitik mit den wirtschaftlichen Ergebnissen in Verbindung gebracht; dann messen Sie bitte die Wirtschaftspolitik an diesem Ergebnis.
Einige Worte zur Rezessionsüberwindung. Die klassischen Instrumente der Rezessionsüberwindung, Frau Matthäus-Maier, können wir zur Zeit auf Grund der Aufgaben bei der Wiedervereinigungspolitik nicht voll einsetzen.
— Die Schulden sind ja durch die Wiedervereinigung bedingt; das wissen Sie. Wenn Sie auch nur ökonomische Grundkenntnisse hätten, wüßten Sie, worauf diese Schulden zurückzuführen sind.
In Verfolg einer klassischen Rezessionsbekämpfung hätten wir jetzt die Steuern und Abgaben zu senken. Aber wer kann in dieser Situation, vor dem Hintergrund, daß wir riesige Transfers in die ostdeutschen Länder vorzunehmen haben, Steuern und Abgaben senken? Jeder weiß das. Es gibt keine ernsthafte Stimme — aus dem politischen Lager oder aus der Wissenschaft —, die nicht sagen würde: Wir sind leider nicht in der Lage, die Steuern und Abgaben jetzt zu senken. Wir könnten anderenfalls ein wichtiges Teilziel der Bekämpfung der Rezession, nämlich die Ingangsetzung des Aufschwungs Ost, nicht erreichen.Es gibt ein zweites klassisches Instrument, das man in der Rezessionsphase einsetzt. Dieses Instrument besteht darin, daß man die Nettoneuverschuldung gegebenenfalls erhöht, um damit konjunkturelle Anreize zu setzen und so die fehlende Nachfrage im privaten Bereich durch staatliche Nachfrage auszugleichen.Dieses Instrument setzen wir in vollem Umfang ein, ja, wie wir wissen und heute diskutieren, in einem Umfang, den wir uns eigentlich nicht leisten können, denn wir stoßen bei der Nettoneuverschuldung an Grenzen. Wir müssen in einer Sparaktion, die schmerzlich sein wird, eben diese Restriktion zum Tragen bringen.Damit bin ich beim Solidarpakt und dem, was sich ihm anschließen muß. Zunächst zum FKP. Das hat aus meiner Sicht einen hohen Wert. Es wird viel kritisiert. Aber ich möchte einmal fragen: Was wäre und was gäbe es an wirtschaftspolitischen Signalen, wenn wir den Solidarpakt, das FKP, nicht hätten? — Wir wären noch orientierungsloser, als wir das in manchen Bereichen auf Grund der Problematik mit der Wiedervereinigung sein müssen. Das FKP bringt Planungssicherheit, weil es eine Neuordnung der Bund-LänderFinanzen zum Inhalt hat. Es setzt finanzielle Mittel für den Aufbau Ost frei, es leistet einen Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte ab 1995. Es werden Incentives für konjunkturell wichtige Maßnahmen beispielsweise im Wohnungsbau und bei der Altlastensanierung gegeben.Das FKP ist vor allen Dingen ein Programm, das signalisiert hat, daß wir in gewissem Umfang in der Lage sind, uns in schwierigen Situationen zu einigen.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hans Büttner zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr gerne.
Herr Minister, habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, Sie wären ohne FKP in der Wirtschaftspolitik noch orientierungsloser, als Sie es sonst schon sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben mich verkürzt verstanden.
Das liegt aber an Ihnen. Wir haben in vieler Hinsicht große Probleme mit der Nettoneuverschuldung; das ist gar keine Frage. Auf Grund der Probleme, die wir bei der Konsolidierung der Haushalte haben, bestehen schon Schwierigkeiten, das eine oder andere so zu ordnen, wie wir das gerne möchten.Aber die Ursache für die Schwierigkeiten bei der Konsolidierung ist die Tatsache — das sage ich noch einmal —, daß das gesamte konjunkturpolitische Instrumentarium durch die Riesenaufgabe, den Aufschwung Ost, die Entwicklung der ostdeutschen Länder zu finanzieren, überlagert wird. Hier liegt die Ursache für die Probleme. Das muß jeder anerkennen, und das müssen auch Sie anerkennen.
Da gibt es gar keinen Zweifel; das wissen Sie doch.Das FKP enthält im übrigen Mängel. Es sieht Abgabenerhöhungen zu einem Zeitpunkt vor, da Abgabensenkungen angesagt wären. Es konsolidiert die Haushalte nicht früh genug, es ist nicht ausreichend. Es ist mittelbar mit einem Standortsicherungsgesetz verknüpft, das richtig ist, aber ebenfalls Schönheitsfehler enthält, nämlich die Tatsache, daß wir bei den degressiven Abschreibungen nicht so verfahren können, wie das konjunkturpolitisch richtig wäre.Ich sage noch einmal: Diese Mängel, diese Unzulänglichkeiten müssen wir hinnehmen, weil unsere Wirtschaftspolitik, weil unsere Finanzpolitik von der im ökonomischen Sinne untypischen, aber unverzichtbaren und letztlich politisch auch beglückenden Aufgabe, die Einheit Deutschlands zu gestalten, überlagert ist.Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, müssen wir nun nachsatteln. Dieses Nachsatteln
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtbesteht darin, daß wir an dem ansetzen müssen, was wir im Solidarpakt vermißt haben und wozu wir nicht in der Lage waren, nämlich ein Sparpaket ausreichenden Umfangs zu verabschieden. Wir müssen, wenn wir mehr sparen wollen, beachten, daß wir international eingebunden sind. Die Rolle der D-Mark kann nicht außer acht gelassen werden. Wir müssen durch das Sparpaket, das zu verabschieden ist, ein richtiges Signal auch in Richtung Bundesbank geben, denn weitere Zinssenkungen wären konjunkturpolitisch hilfreich und angesagt.Ich kritisiere damit nicht — ich habe das in letzter Zeit nie getan — die Politik der Bundesbank, angesichts der Tatsache, daß wir eine Inflationsrate von mehr als 4 % haben, Erleichterungen nur schrittweise herbeizuführen. Wenn durch richtige Sparsignale weitere Zinssenkungsspielräume geschaffen würden, dann wäre das hilfreich zur Überwindung der Rezession.
Wenn es nun um Sparen und um Ansätze dessen geht, was wir im Rahmen der FKP-Verhandlungen nicht in der Lage waren zu leisten, dann kommen wir nicht umhin — das muß deutlich gesagt werden —, den Rotstift auch im Sozialbereich anzusetzen. Wer diese Notwendigkeit so charakterisiert, als wollten die Bundesregierung und die Koalition den Bedürftigen den Atem nehmen und auf die Schwachen zielen, der verkennt, was hinter unseren Bemühungen steht. Was wir wollen, wenn wir auch in der Sozialpolitik ansetzen, ist eine Begradigung bestimmter Strukturen, die sich verschoben haben. Es geht im wesentlichen darum, daß ein angemessener Abstand zwischen Lohnleistungen, Lohnersatzleistungen und Sozialhilfe wiederhergestellt wird.Es geht auch darum, Subventionen abzubauen. Wenn ich über Subventionsabbau spreche, dann sind sicherlich die Bundesregierung und die Koalition gefordert.
Aber auch die Länder und Gemeinden sind gefordert. Es gibt Hunderte und Tausende von Subventionen in Ländern und Gemeinden. Es handelt sich meist um kleinere Beträge, aber sie addieren sich zu Milliardensummen auf. Jeder, der leichtfertig an die Bundesregierung die Aufforderung richtet, die Subventionen im Bundesbereich einzusparen, möge sich an die eigene Nase greifen und die Subventionen in seinem eigenen Bereich zurückfahren.Meine Damen und Herren, wir brauchen, um die Rezession zu bekämpfen, über das FKP hinaus zusätzliche Aktivitäten im Osten und ein ökonomisch vernünftiges Verhalten der Tarifparteien. Im Osten steht die Bundesregierung zur Politik der Sanierung und Sicherung industrieller Kerne.
Als liberaler Wirtschaftsminister fällt es mir nichtuneingeschränkt leicht, zu dieser Politik ja zu sagen.Denn es kann uns nicht darauf ankommen, veraltete Strukturen zu erhalten und Unternehmen, die nicht lebensfähig sind, über Jahre hinweg finanziell durchzuschleppen;
sondern es kann uns nur darum gehen, diesen Unternehmen noch einmal eine Chance zu geben, in die Marktwirtschaft hineinzuwachsen. Wenn sie das nicht schaffen, muß Schluß sein.
Wir stehen zu dieser Politik. Die Treuhand wird in diesem Jahr ein Defizit von mehr als 38 Milliarden DM aufweisen. Das ist ein Betrag, der in weiten Teilen der Sanierung der Unternehmen im Osten dient.
Frau Abgeordnete Gleicke, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß nicht Sie das Wort haben, sondern der Bundeswirtschaftsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte, wir brauchen ökonomisch vernünftiges Verhalten und keine Emotionen, schon gar keinen Haß, wenn es um die Analyse der Wirtschaftspolitik geht.Das gilt auch für den Bereich der Tarifpartner. Ich bin froh, feststellen zu können, daß die Abschlüsse im Westen in den letzten Wochen und Monaten von Vernunft gekennzeichnet waren. Dies war im Osten nicht überall und unbedingt der Fall. Aber ich bin der guten Hoffnung, daß sich das in nächster Zeit ändern wird, weil die ökonomische Vernunft nämlich bereits bei den Menschen auf der Straße angekommen ist, nur noch nicht bei denen, deren Beruf es ist, diese Interessen zu vertreten.
Wir brauchen eine Erleichterung bei der Zinspolitik und außenwirtschaftliche Anstöße zur Überwindung der Konjunkturschwäche. Hier verweise ich auf die Probleme, die wir in der Europäischen Gemeinschaft angehen, und darauf, was wir in den GATT-Verhandlungen unbedingt erreichen müssen.Meine Damen und Herren, meine letzte Bemerkung: Wir müssen angesichts der Probleme bei der Überwindung der Rezession darauf achten, daß dieser Standort Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit behält. Wir haben im Prinzip noch gesunde, wettbewerbsfähige Unternehmen, die in der Lage sind, Produkte weltweit zu vermarkten. Aber diese Unternehmen, die betriebswirtschaftlich noch gesund sind, leiden unter den Steuern und Abgaben, die der Staat auferlegt. Sie leiden unter der Kostenkrise, zu der viele beigetragen haben, auch die Tarifpartner, aber auch die öffentlichen Hände.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13755
Bundesminister Dr. Günter RexrodtWenn wir diesen Standort wettbewerbsfähig erhalten wollen, müssen wir diese Probleme angehen und lösen. Das wird mittelfristig Handlungsbedarf ausmachen, der große Kraft voraussetzt und der auch Sie, meine Damen und Herren, zum Schwur zwingt. An irgendeiner Stelle, wenn es an das Eingemachte geht, müssen Sie mit ins Boot, und Sie werden zeigen müssen, ob Sie angesichts der Gesamtsituation, vor der auch Sie stehen, Verantwortung tragen können.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jens zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Bevor der Abgeordnete Jens seine Frage stellt, habe ich eine Bitte. Herr Ministerpräsident des Landes Hessen, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es zu der Courtoisie dieses Hauses gehört, die Bundesratsbank nicht zu verlassen. Vielleicht können Sie Ihre Gespräche auf die Bundesratsbank zurückverlegen. — Danke schön.
Bitte, Herr Abgeordneter Jens.
Herr Minister, ich unterstelle einmal, daß Sie, da Sie jung im Amt sind, auch noch Handlungsfähigkeit beweisen. Ich habe Ihrer Rede ein bißchen zugehört. Von den dreieinhalb Millionen registrierten Arbeitslosen und von den drei Millionen Menschen, die außerdem in diesem Land noch Arbeit suchen, haben Sie wenig gesagt. Können Sie vielleicht sagen, wie Sie diese sechseinhalb Millionen Arbeitsplätze in Kürze schaffen wollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen gern sagen; es ist auch leicht gesagt, Herr Jens. Aber es ist schwer getan. Es ist exakt das Problem, das ich soeben ansprechen wollte. Es ist das Problem der zunehmenden Schwierigkeit, mit deutschen Produkten weltweit konkurrenzfähig zu sein. Wir brauchen Märkte. Wir brauchen Produkte, die abgesetzt, die verkauft werden können. Wenn wir die haben, dann haben wir auch Arbeit und weniger Arbeitslose.
Unser Land ist in eine Kostenkrise, in eine Abgaben- und Steuerkrise geraten.
— Nein, das ist nicht unsere Schuld, sondern an dem aufkommenden Mangel an Wettbewerbsfähigkeit haben viele mitgewirkt. Wir sollten darüber eine faire Diskussion führen. Was Sie wollen, worauf Sie hinwirken, ist doch, daß die Probleme durch Maßnahmen am zweiten Arbeitsmarkt überwunden werden können.
— Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie sich auch die Antwort anhören.
Ich habe gesagt, daß wir dies vernünftig angehen müssen. Warum sind wir in diese Krise geraten? Bei Steuern und Abgaben hatten wir in den 80er Jahren, was die Staatsquote angeht, eine gute Entwicklung in Gang gebracht. Das ist wahr. Daß sich dies in sein Gegenteil verkehrt hat, ist, Herr Jens, wenn man fair ist, darauf zurückzuführen, daß wir die riesigen Transfers zu leisten haben. Wir müssen diese Abgabenquote zurückführen.
Das ist eine ökonomische Binsenweisheit. Da können Sie fünfmal mit dem Kopf schüttern; das ist wahr, das ist einfach wahr. Das weiß jeder.
Der zweite Punkt ist die Kostenkrise. Sie ist dadurch entstanden, daß wir unseren Unternehmen Leistungen aufbürden, die diese Unternehmen nicht mehr zu tragen in der Lage sind. Das ist das Sozialsystem, das zu einem gut Teil von den Tarifpartnern selbst zu verantworten ist. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Da ist manches Versäumnis zu rügen. Es sind aber auch Lasten, die durch unsere Gesetzgebung, die Gesetzgebung der Länder und Gemeinden auferlegt worden sind. Dieses Land ist überreguliert. Ein Unternehmen, das eine Genehmigung für eine neue Halle braucht, muß ein Jahr oder noch länger warten. Jemand, der ein Haus bauen will, muß ein oder anderthalb Jahre warten und kommt nicht voran. Wie Mehltau legt sich die Regulierung über unser Land.
Das sind die Ursachen für die Krise in unserem Land.
Frau Abgeordnete Gleicke, ich möchte Sie bitten, sich wenigstens ein bißchen zurückzuhalten.
Herr Abgeordneter Hinsken möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern, und dann ist es genug mit Zwischenfragen.
Herr Minister, pflichten Sie mir bei, wenn ich sage, daß es gut gewesen wäre, wenn die SPD-Kollegen vor einigen Monaten im Wirtschaftsausschuß zugegen gewesen wären, als Sie auf diesbezügliche Fragen, wie sie heute Professor Jens stellt, Antwort gegeben haben, statt sich gequält vor die Tür zu begeben, aus dem Saal auszuziehen und damit zu demonstrieren, daß sie kein Verständnis für Ihre Argumente haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich pflichte Ihnen bei. Da ich mich jedenfalls bemühe, auch ein freundlicher Mensch zu sein, biete ich der Abgeordneten sehr gerne an, sie in einer Privatlektion davon zu unterrichten, was hier wirtschaftspolitisch in nächster Zeit angesagt ist. Das ist bestimmt hilfreich nicht nur für die Abgeordnete, sondern für diejenigen, die wir hier sitzen und gemeinsame Entscheidungen in den nächsten Monaten — und ich füge hinzu: in den
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtnächsten Jahren — zu tretfen haben, um die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes zu sichern und dafür Sorge zu tragen, daß wir genügend Arbeit haben, daß wir die Arbeitslosigkeit zurückdrängen und daß wir die Fähigkeit behalten, die sozialen Leistungen, die Sie immer einfordern, in ihrem Kern auch zu verdienen.
Wenn wir das versäumen, wenn wir die Ursachen, über die wir ja weitgehend einig sind, nicht mit einer Strategie angehen, die auf die wirklichen ökonomischen Gegebenheiten abzielt, sondern statt dessen weiter der Wunschvorstellung nachgehen, daß wir hier und heute in diesem Land alles machen könnten, dann werden wir das ökonomische Schicksal dieses Landes verspielen.Schönen Dank.
Als nächster spricht nun der Kollege Hans Peter Schmitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Zweifel, seit 1990 zeichnet sich die Flaute in der Weltkonjunktur ab, von der wir auf Grund der vereinigungsbedingten starken Binnennachfrage vorübergehend verschont geblieben sind. Inzwischen holt uns diese Flaute ein. Dementsprechend haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem kürzlich veröffentlichten Frühjahrsgutachten für das laufende Jahr einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistungen von bis zu 2 % und einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit um etwa eine halbe Million prognostiziert. Das sind die Fakten.Zugleich haben aber auch die jüngsten Steuerschätzungen deutlich gemacht, daß auf der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte sowohl in diesem Jahr als auch in den kommenden Jahren beträchtliche Milliardensummen fehlen werden. Um es klar zu sagen: Wir befinden uns in einer kräftigen Rezession mit all ihren negativen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, aber auch für die reale Lohn- und Gehaltsentwicklung und nicht zuletzt für die öffentlichen Finanzen, meine Damen und Herren.Auf Grund der problematischen Situation auf dem Arbeitsmarkt und des damit verbundenen erheblichen Mehrbedarfs bei der Bundesanstalt für Arbeit — allein in diesem Jahr 18 Milliarden DM, vielleicht etwas mehr — auf der einen Seite und der ebenfalls dadurch bedingten Steuermindereinnahmen auf der anderen Seite besteht bereits in diesem Jahr eine erhebliche Deckungslücke im Bundeshaushalt.In dieser Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als den konjunkturell bedingten Mehrbedarf für den laufenden Haushalt über eine entsprechende Erhöhung der Nettokreditaufnahme zu decken. Meine Damen und Herren, eine Alternative dazu gibt es nicht. Ich will den Kollegen Walther hier nicht noch mehr strapazieren, er ist ja heute schon genug zitiert worden.Die Nettokreditaufnahme wird infolgedessen nach allem, was wir heute wissen, im laufenden Jahr auf rund 68 Milliarden DM ansteigen müssen. Aber eine Nettokreditaufnahme in dieser Höhe ist auf Dauer von niemandem, auch von uns nicht, zu vertreten. Wir sagen das immer deutlich, und die Rede des Bundesfinanzministers hat das heute auch noch einmal deutlich gemacht.Aber jetzt in der sehr schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation gibt es zu einer kurzfristigen Erhöhung der Nettokreditaufnahme auch in diesem Umfang keine Alternative. Das haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem jüngsten Gutachten noch einmal bestätigt.In Zukunft kommen wir jedoch um weitere nachhaltige und dauerhafte Einsparungen nicht herum. Dies wird sich bereits bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 1994 deutlich auswirken müssen. Bei der Prüfung der notwendigen Einsparungen darf kein Bereich vorab ausgeklammert werden. Ich betone: Es darf kein Bereich vorab ausgeklammert werden. Es führt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß wir uns vieles, was wir uns in der Vergangenheit geleistet haben, in Zukunft nicht mehr leisten können, meine Damen und Herren.Ich will an dieser Stelle nicht noch einmal die bekannten massiven Einsparmaßnahmen nennen, die in einigen unserer Nachbarländer beschlossen und umgesetzt werden; der Bundesfinanzminister hat schon darauf hingewiesen. Ich will nur einmal auf die Niederlande eingehen. Die Niederlande sind viel kleiner als die Bundesrepublik, und sie haben nicht die Wiedervereinigung mit all ihren Problemen vor der Brust. Die Niederländer haben in einer Koalitionsregierung aus Christdemokraten und Sozialisten beschlossen, für die nächsten vier Jahre beim nationalen Haushalt eine Minusrunde einzuführen. Das bedeutet für diesen relativ geringen Etat — gemessen an unserem Bundesetat mit all den anderen Schwierigkeiten, die da sind —, daß in den nächsten vier Jahren mehr als 30 Milliarden Gulden eingespart werden. Ich könnte Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, vorlesen, in welche Bereiche die hineingehen, aber ich will hier nur sagen: Das wird auch uns nicht erspart bleiben. Deshalb betone ich: in alle Bereiche; alles muß zur Disposition gestellt werden.Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, daß uns der konjunkturelle Abschwung in einer Phase trifft, in der wir ohnehin mit der einmaligen Herausforderung konfrontiert sind, den Aufbau von Wirtschaft, Verwaltung und Infrastruktur in den jungen Bundesländern neu zu gestalten. Weil die Angleichung der Lebensverhältnisse dort möglicherweise noch etwas länger dauert, als wir uns das ursprünglich gedacht und gewünscht haben, müssen wir hier und dort vielleicht mehr als bisher um Verständnis für diese etwas länger dauernde Phase werben.Ein wesentlicher Schritt zur Herstellung der vergleichbaren Lebensverhältnisse ist das FKP-Gesetz, auf das sich Bund und Länder im Rahmen der Solidarpakt-Verhandlungen verständigt haben und das wir heute verabschieden werden. Entscheidend dabei ist jedoch, daß die Finanzierung der jungen Bundeslän-
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Hans Peter Schmitz
der im Rahmen der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auf eine dauerhafte feste Grundlage gestellt wird. Den jungen Bundesländern werden also ab 1995 rund 56 Milliarden DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. Dies ermöglicht im Vergleich zu den alten Ländern überdurchschnittlich hohe Investitionen, die auch notwendig sind, wodurch die Angleichung des Niveaus ihrer öffentlichen Infrastruktur an das Niveau in den alten Bundesländern in absehbarer Zeit erfolgen kann.Von großer Bedeutung ist darüber hinaus die Regelung über die Tilgung der Erblastschulden. Der Kollege Wieczorek hat heute morgen über die Zinslast und all das gesprochen, und er hat gemeint, das sei eine Zinslast, die sich jetzt plötzlich aus irgendwelchen imaginären Gründen angesammelt habe. Er hat nur vergessen, daß eben der Erblastfonds — der Ministerpräsident des Landes Hessen hat auch darauf hingewiesen — da mit einbezogen worden ist. Auch sind die Altschulden der Wohnungswirtschaft in einer Höhe von immerhin 31 Milliarden DM in den Erblastfonds eingestellt worden. Gerade dadurch werden die Privatisierung und die Sanierung des Wohnungsbaus erheblich gefördert.Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, daß das Volumen von 12 Milliarden DM, um das der Haushalt durch Einsparungen und durch Abbau von Steuersubventionen im Rahmen des FKP entlastet worden ist, für meinen Geschmack hätte größer ausfallen können.
Auch entspricht der ab 1995 zu entrichtende Solidaritätszuschlag von 7,5 % auf die Lohn- und Einkommensteuerschuld in dieser Höhe ganz gewiß nicht unseren Vorstellungen. Das haben wir nicht aus Freude getan. Daß wir den Bürgern dann mehr in die Tasche greifen, ist aber sicherlich notwendig. Dies alles war jedoch — Bundesfinanzminister Waigel hat heute morgen schon darauf hingewiesen — im Rahmen des Kompromisses, der im allseitigen Interesse möglichst schnell gefunden werden mußte, nicht zu verhindern.Verhindert werden konnte jedoch — das halte ich auch für bedeutsam — die von der SPD geforderte sofortige Einführung des Solidaritätszuschlags. Dies hätte gerade in der derzeitigen konjunkturellen Lage — dies ist einfach oft übersehen worden — für uns alle verheerende Folgen gehabt, meine Damen und Herren.
Der Bund ist mit seinen Zugeständnissen im Rahmen der Verhandlungen über den Solidarpakt bis an die Grenze des finanziell Vertretbaren gegangen. Mehr ist da auch nicht zu machen. Ich unterstütze den Bundesfinanzminister und die Bundesregierung darin, in zukünftigen Verhandlungen nicht mehr in Verlegenheit gebracht zu werden, etwa durch Äußerungen von der Länderseite, die da heißen: Wir hätten ja gar nicht gedacht, daß wir so billig davonkommen. — Meine Damen und Herren, das finde ich nicht richtig. Wenn man verhandelt, sollte man, meine ich, zu dem Kompromiß stehen und nicht mehr denVersuch unternehmen, den Bund über den Tisch zu ziehen.
Deswegen sage ich auch an die Adresse des Sprechers der Länder — er kann leider nicht mehr hier sein —: Weitere Begehrlichkeiten der Länder, egal aus welchem Anlaß, müssen daher aus der Sicht der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes konsequent zurückgewiesen werden, meine Damen und Herren. Im übrigen sind auch die Länder und Gemeinden aufgefordert, durch konsequente Einsparungen weit mehr als bisher zur Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts beizutragen. Ich habe nicht den Eindruck, daß sich das schon überall herumgesprochen hat. Hier muß mehr getan werden. Hier sind auch die Länder und Gemeinden gefordert.Es kann nicht angehen, daß der Bund die Hauptlasten des Wiederaufbaus der jungen Bundesländer nahezu allein trägt und sich auf Grund des Ausgabengebarens mancher Länder und Kommunen gleichzeitig der Eindruck aufdrängt, daß dort die gesamtstaatlichen Anstrengungen zur Bewältigung dieser Herausforderung noch gar nicht so gravierend betrachtet worden sind, wie das notwendig ist.Bestandteil des Solidarpakts muß auch die zügige Umsetzung des Standortsicherungsgesetzes sein. Ich verstehe nicht, wie man die Senkung des Steuersatzes auf 44 % als Geschenk an die Unternehmer darstellen kann. Das ist schlicht und einfach eine Notwendigkeit, um den Standort Deutschland zu sichern. Andernfalls wandern die Unternehmungen und Unternehmer ab. Sie brauchen sich dann über die Arbeitsplätze keine Sorgen mehr zu machen. So einfach ist das.
Nachdem bei der im Steueränderungsgesetz 1992 geregelten ersten Unternehmensteuerreform die Senkung der ertragsunabhängigen Steuern im Mittelpunkt stand, wird durch das Standortsicherungsgesetz der Körperschaftsteuersatz für Personenunternehmen bzw. der Einkommensteuerhöchstsatz auf maximal 44 % begrenzt. Auf Grund der angespannten Haushaltslage konnte dies eigentlich nur aufkommensneutral erfolgen.Herr Minister Rexrodt — ich sehe, er ist nicht mehr da —
— ich habe Verständnis dafür —, uns wäre eine Lösung ohne Gegenfinanzierung auch lieber gewesen, aber es ließ sich nicht anders machen. Ich denke, es ist leichter, möglicherweise die Abschreibungssätze zu einem anderen Zeitpunkt wieder anzuheben. Deswegen halte ich diesen Weg für das kleinere Übel.Wer in der derzeitigen Situation, insbesondere mit Blick auf die problematische konjunkturelle Lage, öffentlich Horrorszenarien entwirft, dient niemandem. Daß Pessimismus und Rezession zusammenhängen, ist heute morgen schon angesprochen worden. Zu einem Horrorszenario gibt es auch keinen Anlaß,
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Hans Peter Schmitz
meine ich. Wir müssen erkennen, daß die Lage ernster geworden ist, daß wir jetzt die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft richtig stellen müssen. Deshalb ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, auf dem höchsten sozialen Niveau das Land mit den ältesten Studenten, den jüngsten Rentnern, mit den geringsten Wochenarbeitszeiten und den höchsten Urlaubsansprüchen sowie den zugleich kürzesten Maschinenlaufzeiten bei sehr hohem Lohnniveau zu sein. Ich habe versucht, das in einem Satz zusammenzufassen. Es ist kaum möglich, und das muß einmal öffentlich gesagt und anerkannt werden.Aber auch in der Finanzpolitik gibt es in Zukunft nicht das, was wünschenswert ist, sondern nur das, was machbar ist, zu entscheiden. Entscheidend ist das, was machbar ist, auch für die staatliche Ausgabenpolitik. Deswegen glaube ich, daß wir die Steuer- und Abgabenlast mittelfristig wieder senken müssen. Das ist zwingend erforderlich, und das bedeutet, daß wir die Leistungsbereitschaft unserer Menschen fördern und zusätzliche Wachstumsgrundlagen in unserem Lande erhalten bleiben.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Joachim Poß das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Rede des Wirtschaftsministers, der leider nicht mehr da sein kann, deutlich gemacht hat, daß wir neben der Kostenkrise und anderen Faktoren, die er genannt hat, sehr deutlich eine Managementkrise auch in der Politik haben, nicht nur in den Unternehmen.
Es ist doch sehr bedenklich, wenn ein Minister versucht, Profil zu gewinnen, indem er Forderungen aufstellt und sich vom konkreten Regierungshandeln absetzt. Er hat doch den Aufbau Ost mit zu organisieren und nicht zu sagen, was geschehen soll. Er hat doch dem Abschwung West entgegenzuwirken. Das Politikverständnis, daß der Bundeswirtschaftsminister hier gezeigt hat, offenbart etwas über die Qualität dieser Regierung. Er sprach vom Nachsatteln. Es gibt das Draufsatteln, Nachsatteln gibt es nicht. Da setzt man sich nämlich auf den Pferdeapfel, und so ähnlich war mein Eindruck bei der Rede, die er hier gehalten hat.
Ich kann den Herrn Bundesfinanzminister jetzt leider nicht persönlich ansprechen, weil er sich vertreten läßt. Ich wollte ihm nämlich, bevor ich auf kritische Punkte zu sprechen komme, zunächst sagen, daß ich mit ihm in einem übereinstimme. Ich teile seine Kritik an den Banken in Zusammenhang mit der Steuerflucht.Aber mit Ihrer Gesetzgebung haben Sie doch erst die Voraussetzungen für dieses Verhalten der Banken geschaffen, das Sie jetzt kritisieren.
Sie hatten es doch in der Hand, 1989 zu einer europäischen Harmonisierung mit beizutragen, und haben das torpediert, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen. Insofern ist Herr Waigel Verursacher der Misere, die er jetzt beklagt. Das gilt aber nicht nur für diesen Fall.Ich muß einen dritten direkt ansprechen, der jetzt leider nicht hier ist. Das ist der Kollege Schulz, der Sprachkünstler vom BÜNDNIS 90, der ja laut „Spiegel" ein parlamentarischer „Held der Arbeit" ist, in vier Ausschüssen tätig. Im Finanzausschuß habe ich ihn noch nicht gesehen.
Dem Kollegen Schulz wollte ich mal sagen: Es reicht nicht aus, die Arbeitsergebnisse der SPD-Opposition hier wortreich aufzudrehen und das zugleich mit Häme gegenüber der SPD zu verbinden. Ein solches Politikverständnis sollte auch für eine Opposition wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas zu billig sein. Ich sage das mal, weil ich diese manchmal moraltriefenden Reden von ihm hier nicht mehr ertragen kann.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns in dieser Debatte mit einem zentralen Schwachpunkt, mit einem der vielen Schwachpunkte der Regierung Kohl, in dem Fall mit der Steuerpolitik, befassen. Der Versuch von Herrn Waigel, vor dem von ihm selbst aufgetürmten Schuldenberg und dem steuerpolitischen Wirrwarr nach München zu fliehen, ist gescheitert. Jetzt wird er — das hat er in seiner Rede heute morgen ja auch bekundet — die von ihm selbst eingebrockte Suppe weiter löffeln müssen. Sein Vorsich-her-Wursteln nach dem Motto „nach mir die Sintflut" hat verheerende Wirkungen auch für die Steuerpolitik.In der Situation, in der sich Herr Dr. Waigel befindet, könnte er einem fast leid tun, wenn er nicht in vielen Debatten selbstgerecht und rechthaberisch unsere Vorschläge und realistischen Einschätzungen der wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung immer wieder in den Wind geschlagen hätte. Die heutige Rede war ein weiterer Beleg dafür.
Ich gebe zu, meine Damen und Herren, es fällt immer schwerer, die von Waigel angerichtete finanz- und steuerpolitische Misere in angemessene Worte zu fassen. Der Deutschen Steuergewerkschaft ist darin zuzustimmen, daß dieser Steuerpolitik weder eine steuerpolitische Grundkonzeption zugrunde liegt noch daß sie Orientierungsmaßstäbe für gesetzgeberisches Handeln gibt. Die Steuergewerkschaft nennt das Zinsabschlagsgesetz und das Standortsicherungsgesetz als Beispiele für eine Steuerpolitik, die an Hektik und Konzeptionslosigkeit nicht mehr zu überbieten ist. Das Fazit der Steuerexperten lautet: Insgesamt ist die Steuerrechtsordnung in ein Steuerchaos abgedriftet.Eines zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch diese Waigelsche Steuerpolitik: Während die große Masse der Bürger mit kleinem und mittlerem Einkommen zum Teil in verfassungswidriger Weise immer
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Joachim Poßhöher belastet wird, erhalten die wenigen Spitzenverdiener immer größere Steuergeschenke. Der traurige Höhepunkt dieser zutiefst ungerechten Politik wird mit den hier heute zur Beschlußfassung vorliegenden Steuergesetzen erreicht. Auf der einen Seite sollen nach Ihrem Willen Spitzenverdiener eine Senkung des Steuersatzes für gewerbliche Einkünfte erhalten,
indem erstmalig ein Sondertarif für eine Einkunftsart eingeführt wird
— doch! —, womit das verfassungsrechtliche Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung mißachtet und die bisherige Steuersystematik zerschlagen wird; auf der anderen Seite hat der Bundesfinanzminister nichts unversucht gelassen, um das steuerfrei zu stellende Existenzminimum der Geringverdiener entgegen den Vorgaben des Verfassungsgerichts auf ein möglichst niedriges Maß zu drücken.Die Verabschiedung dieser Regelung stellt einen rabenschwarzen Tag für das deutsche Steuerrecht dar. Ich will das zunächst am Beispiel des sogenannten Standortsicherungsgesetzes begründen.Es besteht, glaube ich, im Hause eine weitgehende Übereinstimmung darüber, daß erhebliche Anstrengungen erforderlich sind, um die Vorteile und Stärken des Standorts Deutschland für die Zukunft zu sichern und die tatsächlichen Schwachpunkte zu beseitigen, zumindest aber abzumildern. Die Unternehmensbesteuerung ist hierbei ein Faktor in einer ganzen Reihe von Faktoren, die einen Beitrag dazu leisten können. Von entscheidender Bedeutung für den Standort Deutschland ist aber, daß wir jetzt — vor allem auch angesichts der aktuellen konjunkturpolitischen Lage — die richtigen, in die Zukunft weisenden steuerpolitischen und wirtschaftspolitischen Entscheidungen treffen. Vor diesem Hintergrund ist das von der Bundesregierung vorgelegte Standortsicherungsgesetz ein totaler Flop. Es ist ein wirtschaftspolitischer Flop, weil von ihm keine positiven, sondern negative Wirkungen auf Investition und Beschäftigung ausgehen
und damit eine Wirtschaftspolitik betrieben wird, die tendenziell zu einer Verschärfung des konjunkturellen Einbruchs führt. Das vorgelegte Gesetz ist in Wahrheit gar kein Standortsicherungsgesetz, weil unter einem völlig irreführenden Titel, die Standortfrage auf bloße Steuerrechtsänderungen reduziert wird.
Die wirklich drängenden wirtschaftspolitischen Probleme werden dagegen mit diesem Gesetz nicht ernsthaft in Angriff genommen.
Da das Gesetz mit einem erheblichen verfassungsrechtlichen Risiko behaftet ist, wird sich das Standortsicherungsgesetz wohl demnächst auch als verfassungsrechtlich unhaltbar erweisen und sich damit einfügen in die unrühmliche Reihe der vom Bundesverfassungsgericht verworfenen steuerpolitischen Regelungen dieser Bundesregierung.Das Standortsicherungsgesetz führt zudem zu einer weiteren Beschädigung unseres Steuersystems und zu erheblichen zusätzlichen Komplizierungen im Verfahren.
Hier von einem Flop zu sprechen ist fast noch eine Beschönigung.
Es mag ja noch angehen, daß der Herr Bundesfinanzminister seine Amtszeit als Hundejahre ansieht oder von seinen CSU-Parteifreunden wie ein Hund behandelt wird. Es geht aber überhaupt nicht an, daß der Bundesfinanzminister in wenigen Jahren unser Steuersystem völlig auf den Hund bringt.
Es ist ja nicht so, daß nur die SPD das Standortsicherungsgesetz kritisiert hat. Selten wurde ein Gesetzentwurf von der sachverständigen Öffentlichkeit vom Ansatz und von der Ausführung her als so verfehlt beurteilt wie dieses Gesetz. Ich verweise auf die Anhörung im Finanzausschuß und auf die Stellungnahmen, die dazu gegeben wurden. Der sonst in seinen Äußerungen eher zurückhaltende Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Hax, bezeichnete dieses Gesetz als ein unsystematisches und in seinen Wirkungen undurchschaubares Gesetz. Der bekannte Steuerrechtler Professor Tipke stellte im Hinblick auf dieses Gesetz resignierend fest: „Die ,Chaotiker' machen weiter."Der grundlegende, insbesondere von den Forschungsinstituten, aber auch von der Wirtschaft selbst vorgetragene wirtschaftspolitische Einwand ergibt sich aus der veränderten konjunkturpolitischen Lage. Inzwischen wird von niemandem mehr geleugnet, daß der Abschwung der westdeutschen Konjunktur in eine sich selbst verstärkende und länger andauernde Rezession einzumünden droht. Zudem ist in Ostdeutschland ein sich selbst tragender Aufschwung nicht in Sicht.Es ist klar, daß vor diesem aktuellen konjunkturpolitischen Hintergrund die wirtschaftlichen Auswirkungen des Gesetzes anders zu beurteilen sind als noch vor einem Jahr. Die vorgesehene Gegenfinanzierung über eine Rückführung von Abschreibungserleichterungen ist deshalb derzeit wirtschaftspolitisch völlig verfehlt. Die Bundesregierung ist aber offenbar nicht bereit, diese Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen. Sie hält stur an ihrem Gesetzgebungsvorhaben fest und nimmt dabei bewußt in Kauf, die konjunkturelle Lage mit ihrer Finanzpolitik noch weiter zu verschlechtern. Dabei hat bereits vor knapp drei Monaten das Ifo-Institut in München eindringlich davor gewarnt, daß die Rücknahme von Abschreibungserleichterungen trotz der vorgesehenen Steuersatzsenkungen dazu führe, daß von dem Standortsicherungsgesetz insgesamt keine positiven, son-
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Joachim Poßdern negative Wirkungen auf die Sachkapitalbildung der Unternehmen und damit auf die Investitionstätigkeiten ausgehen. Außerdem würden dadurch Investitionen in arbeitsplätzeschaffende Sachanlagen gegenüber risikolosen Finanzanlagen relativ benachteiligt.Nun — Herr Rexrodt ist nicht mehr da —, Herr Gattermann, Herr Rind, lese ich zu meinem Erstaunen im wirtschaftspolitischen Leitantrag der Regierungspartei F.D.P. zum bevorstehenden Bundesparteitag in Münster, daß die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen für Investitionen im Standortsicherungsgesetz verhindert werden soll. Meine Herren — im Moment sind nur Herren da — von der F.D.P., können wir demnach davon ausgehen, daß Sie nunmehr unter dem Eindruck der fachlichen und öffentlichen Kritik diesem Gesetzentwurf hier und heute nicht zustimmen werden?
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Poß?
Ja, bitte.
Herr Kollege Poß, Ihnen ist ja bekannt, daß wir alle es lieber hätten, die degressive Abschreibung nicht reduzieren zu müssen. Das gilt für alle Seiten des Hauses.
Aber meine Frage an Sie lautet, ob Ihnen bekannt ist, daß leider die meisten Unternehmen wegen ihrer Ertragslage von sich aus auf die wesentlich niedriger lineare Abschreibung heruntergehen müssen, um überhaupt noch ihre Aktionäre oder ihre Gesellschafter bedienen zu können.
Wir haben diesen Gesichtspunkt teilweise in Anhörungen oder Diskussionen zum Gesetzentwurf mit behandelt. Nur, ich verstehe Ihre Frage nicht ganz. Wollen Sie damit sagen, daß die F.D.P. von ihren Einwänden gegen das Standortsicherungsgesetz, die in diesem Leitantrag niedergelegt sind, mit dieser Begründung jetzt abrücken wird?
— Das mag ja Ihre Meinung sein, aber ich frage doch nach der Haltung der F.D.P. bei ihren Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit und ihrem Verhalten hier im Parlament. Da müssen Sie doch Klarheit herstellen.
Die spezielle Steuersatzsenkung für hohe gewerbliche Einkünfte stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dar. Das Standortsicherungsgesetz ist deshalb mit einem erheblichen verfassungsrechtlichen Risiko behaftet.
Das heißt, wieder einmal spielt der Bundesfinanzminister mit der Verfassung va banque, aber nicht nur mit der Verfassung, sondern auch mit den Finanzen. Würde nämlich das Bundesverfassungsgericht die Vorzugsbehandlung der gewerblichen Einkünfte nicht hinnehmen und eine Gleichbehandlung für verfassungsrechtlich geboten halten, so würde mit
einer allgemeinen Senkung des Spitzensteuersatzes ein neues Milliardenloch entstehen.
Gegen die steuerliche Sonderbehandlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieben werden auch schwerste steuersystematische Bedenken erhoben, auf die ich hier hinweise. Der Präsident der Bundessteuerberaterkammer hat den diesjährigen deutschen Steuerberaterkongreß mit einem Hilferuf eröffnet: „Unsere Geduld ist erschöpft. Das deutsche Steuerrecht ist in einem erbarmungswürdigen Zustand. Es herrscht Steuerchaos."
Von den wissenschaftlichen Sachverständigen wird die spezielle Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes für gewerbliche Einkünfte auch als steuerpolitisch fragwürdig kritisiert. Die Steuersatzsenkung tritt nämlich unabhängig davon ein, ob der Gewinn im Unternehmen verbleibt oder für Konsumzwecke entnommen wird.
Das hat zur Folge, daß Gewerbetreibende für ihre Einkünfte, die sie z. B. zur Finanzierung einer Urlaubsreise verwenden, weniger Einkommensteuer zahlen als Arbeitnehmer, Vermieter oder Freiberufler. Die Bundesregierung konnte in den Beratungen kein stichhaltiges Argument nennen, mit dem eine solche steuerliche Vorzugsbehandlung zu rechtfertigen wäre.
Das Standortsicherungsgesetz ist auch für die Wirtschaft selbst verteilungspolitisch völlig unausgewogen.
Herr Kollege Poß, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Uldall gestatten?
Ja, wenn sie nicht auf meine Zeit angerechnet wird.
Herr Kollege Poß, da Sie eben beklagten, daß der Steuerzahler, der sein Einkommen aus einem Gewerbe bezieht, bevorteilt wäre, frage ich Sie: Ist Ihnen denn bekannt, daß nur derjenige durch die Steuersenkung entlastet wird, der zusätzlich Gewerbesteuer zu entrichten hat, daß schon deswegen ein Vergleich mit dem Arbeitnehmer nicht gerechtigtfertigt ist und daß es eine Steuersenkung gerade in dem Umfange gibt, in dem der Steuerbegünstigte auch Gewerbesteuer zu zahlen hat? Deshalb müßte Ihnen doch eigentlich aufgegangen sein, Herr Kollege, daß hier nur eine Ungleichbehandlung aufgehoben wird.
Herr Kollege Uldall, die einkommensteuerliche Sonderbehandlung der Gewerbebetriebe ist kein Ausgleich für ihre Belastungen durch die Gewerbesteuer. Zum einen tritt sie unabhängig davon ein, ob der Betrieb Gewerbesteuer zahlen muß oder nicht, zum anderen werden viele kleine und mittlere Gewerbetreibende durch die Senkung des Spitzensteuersatzes überhaupt nicht entlastet, obwohl sie Gewerbesteuer zahlen müssen.
— Ich möchte jetzt wirklich mit meinem Text weitermachen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13761
Joachim PoßDas Standortsicherungsgesetz ist auch für die Wirtschaft selbst verteilungspolitisch völlig unausgewogen. Die Kopplung von Spitzensteuersatzsenkung und Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen führt für viele kleine und mittlere Unternehmen unter dem Strich zu einer höheren Steuerbelastung. Die Senkung des Spitzensteuersatzes führt nämlich erst ab gewerblichen Einkünften von über 180 000 DM bei Verheirateten zu einer Steuersatzsenkung. Von den Verschlechterungen der Abschreibungsbedingungen sind hingegen alle Unternehmen betroffen. Im Ergebnis müssen deshalb viele kleine und mittlere Unternehmen die erheblichen Steuersenkungen für Großunternehmen mitbezahlen.Es ist deshalb nur folgerichtig, daß die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU die im Standortsicherungsgesetz vorgesehene Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes ablehnt und die Bundesregierung auffordert, von dieser Senkung abzurücken. Bedauerlich ist nur, daß sich die Mittelstandsvereinigung in der Öffentlichkeit erst vorgestern so klar geäußert hat. Es wäre der Sache dienlicher gewesen, wenn sie das in gleicher Deutlichkeit bereits während der Beratung getan hätte. So bleibt der fade Nachgeschmack, daß die bessere Erkenntnis doch nicht so weit geht, sie in konkretes Handeln umzusetzen.Die Beratungen im Finanzausschuß haben im übrigen deutlich gemacht, daß die behauptete Aufkommensneutralität verfehlt wird. Es ergeben sich von 1993 bis 1996 Steuerausfälle von über 10 Milliarden DM. Höchstwahrscheinlich aber ist dieser Steuerausfall noch wesentlich größer. Der Zeit wegen kann ich das jetzt nicht weiter ausführen. Ich verweise in dem Zusammenhang auf die auch vom Bundesfinanzminister eingesetzte Kommission zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze, die für die zukünftige Behandlung der Kapitalgesellschaften mit Auslandsbeziehungen einen Steuerausfall von 1 Milliarde DM angenommen hat. Im übrigen wurde durch die Beratungen im Finanzausschuß klar, daß zumindest erhebliche neue Steuerumgehungsmöglichkeiten entstehen können.Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt ein Gesetz, das wirtschaftspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich fragwürdig ist, das unser Steuersystem weiter beschädigt und mit einer erheblichen Komplizierung verbunden ist, ab. Wir lehnen es aber auch deshalb ab, weil die ökonomisch nicht gerechtfertigte Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes für gewerbliche Einkünfte das soziale Klima in unserem Lande gefährdet, da zur gleichen Zeit von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Kranken und Rentnern immer wieder neue Solidarbeiträge eingefordert werden. Statt der verfassungsrechtlich problematischen und wirtschaftspolitisch verfehlten Senkung der Spitzensteuersätze wäre die Wiederherstellung einer verfassungskonformen Besteuerung weit wichtiger und dringlicher.
Hierzu gehört vor allem die längst fällige deutlich Anhebung des Grundfreibetrages zur Steuerfreistellung des Existenzminimums. Nach der im FKPG- Gesetz vorgesehenen Regelung soll das steuerfreie Existenzminimum von bisher 12 000 DM auf 10 500 DM herabgesetzt werden, obwohl das Verfassungsgericht bereits für 1992 das steuerfrei zu stellende Existenzminimum auf 12 000 bis 14 000 DM festgelegt hat.
Die Bundesregierung selbst hat noch Ende letzten Jahres den durchschnittlichen Sozialhilfebedarf, der ja Maßstab für das steuerfreie Existenzminimum ist, mit monatlich 1 254 DM — das sind 15 048 DM im Jahr — angegeben. Das alles soll jetzt nicht mehr gelten. Mit einem Federstrich setzt sich Herr Waigel über die klaren Anweisungen des Bundesverfassungsgerichts hinweg.Die für die Absenkung der steuerfreien Beträge gegebene Begründung ist äußerst dürftig. Die Behandlung des Mehrbedarfs für Erwerbstätige bei der Sozialhilfe als Zuschlag oder als Freibetrag vermag doch an der objektiven Höhe des Existenzminimums nichts zu ändern. Selbst nach Ihrer Begründung müßte zumindest für das erste Halbjahr 1993 ein Erwerbstätigenzuschlag angesetzt werden, so daß der steuerfreie Betrag mindestens 11 250 DM beträgt. Offenbar haben Sie das erkannt und Billigkeitsmaßnahmen in dem Gesetz vorgesehen. Es sagt etwas über die Qualität des Gesetzes aus, daß man sehenden Auges einer verfassungswidrigen Regelung zustimmen will,
bei der von vornherein klar ist, daß sie im Billigkeitswege teilweise wieder korrigiert wird. Es ist eine Verhöhnung der Bürger, daß Sie die verfassungswidrige Verschlechterung des Existenzminimums auch noch als soziale Komponente für die Erhebung des Solidaritätszuschlags hinstellen.
Auch die vorgesehene Kleinbetragsregelung beim Solidaritätszuschlag stellt keine ausreichende soziale Komponente dar.Zudem verstößt der Bundesfinanzminister damit gegen die Vereinbarung vom März. Im März ist vereinbart worden, daß der Solidaritätszuschlag 28 Milliarden DM jährlich erbringen soll. Nach den Berechnungen des Finanzministeriums haben wir 1996 — d. h. im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit dieser Maßnahme — mit 31,6 Milliarden DM in den Kassen des Bundes zu rechnen. Das heißt, daß das vorhandene finanzielle Volumen für eine soziale Komponente nicht ausgeschöpft wird. Daher sieht sich die SPD-Fraktion nicht in der Lage, den angesprochenen Regelungen zuzustimmen. Wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, daß der Solidaritätszuschlag mit einer echten sozialen Komponente versehen und damit gerecht ausgestaltet wird
und daß das Existenzminimum endlich in verfassungskonformer Weise steuerfrei gestellt wird.Meine Damen und Herren, auch die Beseitigung nicht gerechtfertigter Steuervergünstigungen für
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Joachim Poßkleine, ohnehin privilegierte Gruppen ist ein Beitrag zum Sparen. Das muß ich Graf Lambsdorff einmal sagen, der das wohl anders sieht. Wenn man die heutige Veröffentlichung des Finanzplanungsrates zum Maßstab nimmt, muß man sagen, daß er das genauso sieht. Von daher muß man darauf hinweisen, daß im FKP-Entwurf — von CDU/CSU und F.D.P. beschlossen — unter Sparen und Abbau von Subventionen sogar klassische Steuererhöhungsmaßnahmen wie die Anhebung der Vermögensteuer oder der Versicherungsteuer verstanden wird. Wir sollten uns hier auf die Begrifflichkeit einigen.
Wir sollten dem Grafen Lambsdorff solche rhetorischen Spielchen nicht durchgehen lassen. Greifen Sie unsere Vorschläge, die Dreßler hier vorgetragen hat, auf: 10 Milliarden DM, mit denen man abwenden kann, daß sozial Schwachen weiterhin in die Tasche gegriffen wird.
Greifen Sie diese Vorschläge endlich auf! Das wäre ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Lande. Es wird Zeit, daß Sie an dieser Stelle lernen und wirklich einen Beitrag zum sozialen Frieden leisten.
Nun hat der Kollege Hans Gattermann das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich freue mich, daß der Kollege Dreßler wieder hier ist. Er hat dem Grafen Lambsdorff zu Beginn seiner Rede ein Kompliment gemacht. Auch ich möchte das tun.Wenn es einen Preis dafür gäbe, wie man agitiert und polemisch argumentiert, ohne daß es auffällt, weil sowohl von der Stimmlage her als auch durch den Eindruck von Seriosität das nicht sofort bemerkt wird, dann würden Sie den ersten Preis bekommen.
Man nimmt eine Feststellung des Vorredners, die dieser nicht gemacht hat, sondern eher dem Gegenteil entspricht, und leitet daraus seine entsprechende Argumentation ab. Kompliment, Kompliment, Herr Kollege Dreßler!Meine Damen und Herren, mit diesen beiden Gesetzen werden knapp hundert Gesetze und Verordnungen geändert. Das macht deutlich, daß man in einer öffentlichen Plenardebatte offenbar nicht fähig und in der Lage sein kann, das, was beschlossen wird, den Bürgern und den Unternehmen im einzelnen zu vermitteln. Das wissen offenbar alle in diesem Hause. Deshalb hält sich niemand an die durch die Materie an sich vorgegebenen Inhalte dessen, worüber man spricht.In einem amerikanischen Prozeß würden ungefähr drei Viertel der Äußerungen, die gemacht werden, aus dem Protokoll gestrichen, weil sie nicht zur Sache gehören. In einem Aufsatz an einem guten deutschen Gymnasium würde zumeist das Prädikat „Thema verfehlt" am Rande der Arbeit stehen.
- Ich meinte viele, ich wende mich nie nur an eine Seite des Hauses. Ich wende mich gelegentlich auch an mich selbst.
Das FKP-Gesetz hatte u. a. die Aufgabe, ein Zeichen, ein Anhaltspunkt dafür zu sein, wie der Staat, und zwar in allen seinen Ebenen, seinen Part in der Finanzpolitik im vereinten Deutschland in Zukunft spielen will. Auf diesen Aspekt beschränke ich mich. Unter diesem Aspekt ist das Ergebnis schlicht und ergreifend — als Ergebnis des kleinsten gemeinsamen Nenners — mäßig.Das Arsenal der Einnahmeverbesserungen — es gibt keinen Streit darüber, daß dies finanzpolitisch das falsche Signal ist — ist bis an die Grenze des Erträglichen ausgeschöpft. Es spricht für sich, wenn auf dem Sockel bereits erfolgter Anhebungen von Verbrauchsteuern, der Mehrwertsteuer und eines unbefristeten Solidaritätszuschlags von 7 % jetzt noch die Anhebung der Versicherungsteuer auf am Ende aberwitzige 15 % und eine Verdoppelung der Vermögensteuer, die laut Regierungserklärung von dieser Regierung abgeschafft werden sollte, hinzukommt. Unterdessen wird bei dem anderen, richtigen Signal, nämlich beim Sparen und beim Umschichten von konsumtiven nach investiven Ausgaben, das Klassenziel weitgehend verfehlt.Meine Damen und Herren, die Macht des Faktischen hat uns bereits eingeholt. Ursprünglich wollte ich einmal formulieren: „wird uns einholen" . Die Erklärungen des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers machen das sehr, sehr deutlich.Man muß wissen: Der Staat ist der wesentliche Partner bei denen, die die Finanzpolitik gestalten und damit das deutsche Erscheinungsbild Par die internationalen Kapitalmärkte liefern. Es tröstet überhaupt nicht, daß auch der zweite große Gestalter, nämlich die Tarifvertragsparteien, nur mäßige Ergebnisse vorweisen kann, wobei diese Bewertung, bezogen auf das, was sich in den neuen Ländern vollzogen hat, wirklich eine sehr höfliche Untertreibung ist. Den dritten, wesentlichen Part spielt die Deutsche Bundesbank mit ihrer dem Gesetz verpflichteten trotzigen Geldpolitik. Ich kann ihr nur dafür danken, daß sie das tut. Denn deren Reputation ist im Moment das einzige, was uns vor einem Weichwerden der D-Mark bewahrt.Es gibt so simple finanzpolitische Zusammenhänge, die in den Reden immer verkleistert werden. Es gibt diese schöne Formulierung: „Ich kann jede Mark nur einmal ausgeben". Das müßte noch etwas weitergehen: „Ich kann nur die Mark ausgeben, die ich
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Hans H. Gattermannentweder habe oder die mir jemand zu erträglichen Bedingungen leiht. "
Wenn das Vertrauen in die Bundesbank ruiniert würde — viele Reden deuten darauf hin, daß versucht wird, das zu bewerkstelligen —, dann wird am Ende alles von den Bürgern bezahlt werden: durch höhere Steuern, durch Inflation usw. Es kommt nichts aus dem Zauberhut heraus, was nicht verdient worden ist, für welchen Zweck auch immer. Dies wollte ich einmal gesagt haben.Meine Damen und Herren, als wirklich gutes, greifbares Ergebnis des FKP-Gesetzes ist der Länderfinanzausgleich anzumerken. Der hat zwar — damit tritt man niemandem zu nahe — eine eindeutige föderale Schieflage zu Lasten des Bundes — ich beklage das nicht —; nur sage ich an die Adresse der Länder, daß sie ihre föderale Zuständigkeit bitte umfassend begreifen und nicht nur auf den Part des Heranziehens von Geld beschränken sollen, daß sie mit ihren Forderungen an den Bund Zurückhaltung üben und vor allen Dingen peu à peu den Bund aus Mischfinanzierungen entlassen.
Das ist die Konsequenz daraus.Ich möchte an dieser Stelle vor der Wiederholung von Solidarpaktveranstaltungen dezidiert warnen. Diese Form von politischen Entscheidungsprozessen ist von der Anlage her ganz einfach dazu angetan — besonders wenn es zum Gradmesser für politische Handlungsfähigkeit schlechthin hochstilisiert wird —, dazu beizutragen, daß nachgebessert werden muß, daß Interpretationsstreitigkeiten entstehen, daß sich fachliche Fehler einschleichen. Und das Schlimmste ist: Es führt zu Frustration im Gesetzgebungsorgan Deutscher Bundestag. Das gilt nicht nur für das Verhältnis von Regierungsparteien zur Regierung, sondern auch für das Verhältnis von Oppositionsparteien zu SPD-regierten Ländern. Ich meine auch, daß die Situation in unserem Lande nicht etwa so schlimm ist — einige Vorredner haben hier sehr richtige Beschreibungen unserer Situation gegeben —, daß man von Not, Krise, Katastrophen oder so etwas reden kann. Es ist noch nicht der Zeitpunkt da, wo man mit Kaiser Wilhelm sagt: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! — Das gilt besonders, wenn die politischen Ebenen die Einigung ausschließlich oder ganz überwiegend zu Lasten eben dieser Deutschen in ihrer Funktion als Steuerzahler finden.Meine Damen und Herren, wenn schon Solidarpakt, dann beklage ich es zutiefst, daß die Eckwerte des Standortsicherungsgesetzes nicht mit vereinbart worden sind. Ich sage hier mit allem Ernst: Das weitere Schicksal des Standortsicherungsgesetzes wird zeigen, ob Bundesrat und Bundestag irgendwo wenigstens ansatzweise Zukunft gestalten können.
Meine Damen und Herren, hätte man vor dem FKP noch darüber streiten können, ob das mit der Entlastung der gewerblichen Einkünfte in der Grenzsteuerbelastung der richtige Weg war, so kann man nach dem FKP mit dem 7,5prozentigen Solidaritätszuschlag nicht mehr darüber streiten. Wir waren uns alle einig, daß die Sätze in ihrer psychologischen Wirkung viel zu hoch seien; mit dem Solidarpaktergebnis schnellen sie auf schlimme fast 58 % bei der Einkommensteuer und auf 53,75 % bei der Körperschaftsteuer hoch, und das ist tödlich.Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen, weil ich glaube, daß er, bezogen auf das Standortsicherungsgesetz, wichtig ist und weil ich auch da an den Bundesrat appellieren möchte: In diesem Gesetz findet sich ein Punkt, der die Besteuerung von im Ausland erwirtschafteten Gewinnen deutscher Unternehmen betrifft. Dies ist ein ganz zentraler Punkt, über den man auch in der Sache streiten kann. Aber genau hier ist daraus die Konsequenz gezogen, daß global tätige deutsche Unternehmen zunehmend Tätigkeitsfelder ins Ausland verlagern müssen, weil Massenproduktionen hierzulande nicht mehr rentabel machbar sind. Das kann man beklagen, aber das ist so. Diese Gewinne sind, wenn sie für das verwendet werden, wofür Gewinne eigentlich vorgesehen sind, doppelt belastet, und damit können im Ausland erwirtschaftete Gewinne von deutschen Kapitalgesellschaften so gut wie nicht zur Kurspflege und zur erforderlichen Refinanzierung verwendet werden.Deshalb hat der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Mehrheit hier wirklich einen revolutionären Schritt getan, indem er ausländische Körperschaftsteuern anrechnet. Ich kann an den Bundesrat nur appellieren, hier einmal mit uns die Weichen zu stellen, bevor der Zug in die falsche Richtung gefahren ist, den Brunnen abzudecken, bevor das Kind hineingefallen ist. Denn die logische Konsequenz für ein Unternehmen, das überwiegend im Ausland erwirtschaftete Gewinne hat, ist, daß es nicht nur Tätigkeitsfelder verlagert, sondern daß es insgesamt auch mit den noch hier verbleibenden hochtechnisierten Teilen der Produktion und auch mit der Zentrale hinterhergehen muß. Einmal bitte rechtzeitig und nicht erst, wenn das Kind im Brunnen ist!
Ich appelliere also an den Bundesrat, das FKP und das Standortsicherungsgesetz als eine Einheit zu betrachten.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Fritz Schumann.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Mehr Arbeit statt Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein soziales, sondern vor allem auch ein finanzielles Gebot der Stunde. Nach Auffassung der Bundesregierung soll das vorgelegte Standortsiche-
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Dr. Fritz Schumann
rungsgesetz auf die Förderung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums durch Stärkung der Investitionstätigkeit gerichtet sein.So kann man es nachlesen in der Zielsetzung des Gesetzentwurfs, weil es dort so formuliert ist.Wachstum, sei es gesamtwirtschaftlich, wie von der Bundesregierung formuliert, oder ökologisch und sozial verträglich, was unseren Vorstellungen entspricht, kann nicht nur durch Investitionstätigkeit allein erzeugt werden, obwohl das natürlich eine wichtige Voraussetzung ist. Wirtschaftliches Wachstum erfordert in jedem Falle Menschen, die mit ihrer Hände und ihrer Köpfe Arbeit mit den vorhandenen Produktionskapazitäten und Investitionen Güter, Leistungen und Werte schaffen und diese dann auch konsumieren wollen.Genau das kommt bei dem vorgelegten Standortsicherungsgesetz nicht heraus. Statt dessen werden immer wieder aufs neue die hohen Löhne in Deutschland kritisiert. Es ist eine politische Parteinahme für die Unternehmerseite, die Lohnpolitik zu kritisieren, ohne sie in den Zusammenhang mit der in den 80er Jahren erfolgten Gewinnexplosion zu stellen.Die abhängig Beschäftigten haben einen begründeten Anspruch auf einen gerechten Anteil am wachsenden Sozialprodukt. Wenn wiederholt die steigenden Lohnstückkosten angeführt werden, so müssen auch die Stückgewinne erwähnt werden. Während die Lohnstückkosten seit Ende der Rezession im Jahre 1982 bis zum Jahre 1992 um jahresdurchschnittlich 2,1 % gewachsen sind, haben die Stückgewinne mit jahresdurchschnittlich 4,8 % erheblich stärker zugenommen. Soweit zu diesem Argument.Jetzt zu den Wirkungen des vorgelegten Gesetzentwurfs. Die Bundesregierung gibt vor, das Stocken der Investitionstätigkeit auch in den alten Ländern durch weitere finanzielle Entlastung der Unternehmen überwinden zu wollen. Fakt ist aber, daß es den Unternehmen nicht an finanziellen Mitteln fehlt. Die unternehmerischen Ersparnisse haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das spiegelt sich sowohl in den außerordentlich hohen liquiden Mitteln der Unternehmen — wie man in den Berichten der Bundesbank nachlesen kann — als auch im Aufbau von erheblichen stillen Reserven in Unternehmen wider, die stark an der Einigung Deutschlands verdient haben.Vor allem wird das in den zunehmenden Finanzanlageinvestitionen und Wertpapierspekulationen deutlich. Hier wurden in den letzten Jahren Milliardensummen zu spekulativen Zwecken statt zu Investitionen, Innovationen und Herstellung und somit zur Sicherung von Beschäftigten angelegt. Grund dafür war und bleibt das nicht zuletzt aus dem hohen Finanzbedarf der deutschen Einigung resultierende Renditegefälle, das wegen des hohen Realzinsniveaus für risikoarme Finanzanlagen den Ausschlag gab. Und an dieser Schraube wird nach meiner Auffassung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf weitergedreht.Der Anreiz zu konkreten Investitionen ist mit dem vorgelegten Gesetzentwurf viel zu gering. Greifen könnten Maßnahmen, wie sie mit unserem Antrag zurInvestitionshilfeabgabe vorgeschlagen werden, die ja auch hier in dieser Bundesrepublik schon ihre Praxis gehabt haben.Die finanzielle Entlastung der Unternehmen wird in Fortsetzung der bisherigen Entwicklung — ich sehe nicht, was anders werden sollte — die Spekulationsgeschäfte weiter anheizen.Die weiter voranschreitende Rationalisierung und Trends zur schlanken Produktion führen zu Einkommensrückgängen der Bevölkerung, zu fortschreitender sozialer Ausgrenzung aus dem Arbeitsprozeß ins soziale Abseits für immer mehr Menschen. Die Folge ist ausbleibende Konsumgüternachfrage. Damit nehmen die Investitionsanreize weiter ab; die angebliche Vorgabe der Förderung des Wachstums rückt in weite Ferne.Wenn die Unternehmen trotz voller Kassen nicht investieren, muß man nach anderen Möglichkeiten suchen. Vielleicht kann der Ausweg nur darin bestehen, durch gesetzliche Maßnahmen ein besseres Investitionsklima zu schaffen. Mittel, die nicht investiv eingesetzt werden, müssen überdurchschnittlich besteuert werden. Investitionen, die reale Beschäftigung schaffen, müssen begünstigt und gefördert werden.Den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa kann man nicht mit wachsender Arbeitslosigkeit, sondern nur mit mehr Arbeit erhalten. Auch dazu hat sich heute Graf Lambsdorff hier bekannt.Danke.
Nun spricht Dr. Gerhard Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand wird überrascht sein, daß die Debatte über weitreichende Finanzvorlagen auch sehr stark auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Probleme, die uns alle beschweren, konzentriert ist. In der Tat, diese Situation ist durch drei wesentliche Faktoren bestimmt: eine internationale Rezession, den Zusammenbruch der traditionellen Märkte auch für Deutschland und vor allem für die neuen Länder in der früheren Sowjetunion und die dadurch noch wichtigere Aufgabe, die Mittel zu mobilisieren, die wir bar den Aufbau Ost benötigen.Die Rezession kam aus dem Westen. Manche tun schon so, als ob sie aus Deutschland gekommen wäre. Sie begann im dritten Quartal 1990 in den USA und Großbritannien, und sie hat in der Tat stärker als auch von den internationalen Institutionen und Organisationen erwartet, die ganze westliche Welt in ihren Sog gezogen.Der politische und wirtschaftliche Kollaps der Sowjetunion war im Grunde in dieser Form nicht vorhersehbar. Und wer heute klüger sein will, auch aus den Reihen der Opposition, den möchte ich einmal fragen, ob er sich noch an die geradezu euphorische Begeisterung über den großen Reformpolitiker Gorbatschow erinnert, etwa bei den beiden Besuchen in Bonn; der letzte war vier Wochen vor der Bundestags-
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Dr. Gerhard Stoltenbergwahl. Daß der Aufbau in den neuen Ländern unter diesen Vorzeichen ein Stück schwieriger ist und auch ein Stück teurer, kann niemanden verwundern.Ich sage das noch einmal, weil uns diese großen und dramatischen Themen über diesen Tag und, so vermute ich sogar — in der Hoffnung, daß die Rezession dann überwunden ist — über die nächste Wahl hinaus beschäftigen werden. Deshalb sollten wir uns nicht so sehr auf vordergründige Polemik beschränken, wie das einige von seiten der Opposition getan haben.Es ist angesichts dieser Entwicklung nicht überraschend — nach meiner Meinung sogar unvermeidbar —, daß wir wieder einen Anstieg der Staatsquote, der Steuer- und der Abgabenquote sowie der Neuverschuldung erlebt haben. Allerdings kann dies nur eine temporäre Entwicklung sein; denn die Erfahrungen in der Geschichte der Bundesrepublik machen ganz klar — sowohl in den 70er wie in den 80er Jahren —, daß die Bedingung für erneuerte wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, für mehr Stabilität und für mehr Beschäftigung auch ein erneuter Rückgang der überhöhten Staatsquote und der überhöhten Steuer- und Abgabenquote in Deutschland ist.
Daran muß einmal — weil wir diese Erfahrung gemacht haben; zuletzt in den 80er Jahren im Positiven — erinnert werden, weil wir nach meinem Eindruck von den Sprechern der Opposition — von Herrn PoB und anderen — wieder zu viele vordergründige, problematische Verteilungsdebatten, zum Teil auch mit falschen Argumenten, gehört haben. Wir sollten dies auch als eine Grundbedingung für eine erfolgreiche Entwicklung in ganz Deutschland, vor allem in den neuen Ländern, ansehen.Wer nun in den 80er Jahren — wie die Sozialdemokraten — die Politik der Begrenzung der Ausgaben und auch der Einsparungen, die wir damals gemacht haben, die Politik der Steuersenkung, die Politik der verbesserten Rahmenbedingungen für private Investitionen immer bekämpft hat, der sollte sich heute nicht zum Richter machen,
wenn zur Zeit die Schulden und die Steuern höher sind, als auch uns mittelfristig lieb sein kann und als unsere Volkswirtschaft angesichts des verschärften internationalen Wettbewerbs ertragen kann.Unter den genannten Bedingungen ist es so, daß der Kurs weiterer Einsparungen unvermeidbar ist, den der Bundesfinanzminister vor einigen Tagen angekündigt und heute hier im einzelnen vor dem Deutschen Bundestag erläutert hat und der sich in Gesetzentwürfen konkretisieren wird, die wir dann im einzelnen zu beraten haben. Insofern ist diese Initiative zu begrüßen.Ich wollte etwas zum hessischen Ministerpräsidenten sagen, aber da die Bundesratsbank leer ist, will ich das unterlassen.
— Ja, ich fände es aber trotzdem gut, wenn er selber da wäre. Ich selber habe oft genug von der Bundesratsbank aus gesprochen. Ich habe mir als Ministerpräsident die anschließenden Debattenredner immer angehört. Es wäre ganz gut, wenn da zumindest ein Vertreter säße.
Ich will nur sagen: Der Ausdruck „tariffähig" für die Bund-Länder-Beziehungen, den Herr Eichel gebraucht hat, ist völlig unangebracht. Was vereinbart wurde, wird durchgeführt — natürlich auch vom Bund. Aber der mangelnde Spielraum für weitere Initiativen — wenn nötig, auch im Sinne weiterer Einsparungen — kann nicht durch eine solche Adhoc-Vereinbarung in Frage gestellt werden. Das ist mein Verfassungsverständnis von der Verantwortung der Bundesorgane, auch im Verhältnis zu den Ländern.
Zugleich ist auch klar, daß die Finanzpolitik die großen Probleme allein nicht zu lösen vermag. Deswegen müssen wir, wie es auch in der Debatte geschehen ist, den Blick erweitern. Wir müssen die einmal — wie ich glaube, in den 80er Jahren mit besonderem Erfolg — praktizierte Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik unter den neuen Bedingungen bekräftigen und erneuern.
Wenn wir davon reden, dann muß im föderativen Staat und im Staat der Entscheidungsfreiheit und der Mitverantwortung der autonomen Partner auch jeder einbezogen werden, der wesentliche Entscheidungen trifft. Das war ja einmal der Grundgedanke der Konzertierten Aktion, die die großen Fraktionen einmal gemeinsam, im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verankert, geschaffen haben. Sie wird in dieser Form nicht wieder zu beleben sein. Aber wir brauchen vergleichbare Formen der geregelten Diskussion und der praktizierten Verantwortung.Zu den Gründen für den hausgemachten Teil der Rezession gehört nun einmal vor allem anderen, daß nach einer insgesamt maßvollen Tarifpolitik der 80er Jahre, die den Wirtschaftsaufschwung und die Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze um 3,2 Millionen in der alten Bundesrepublik entscheidend befördert hat, ausgerechnet im Jahr der Einheit die Tarifpolitik aus dem Ruder gelaufen ist und wir auch im internationalen Vergleich zwei Jahre lang Abschlüsse erlebt haben, die die Stabilität gefährden, die den Arbeitnehmern nichts nützen, die die Lohnstückkosten in die Höhe getrieben haben und die sich in dieser Form nicht wiederholen dürfen, wenn wir mittelfristig die große Aufgabe, eine verbesserte Beschäftigung zu erreichen, meistern wollen.
Es ist richtig: Die westdeutschen Gewerkschaften haben in diesem Jahr daraus überwiegend richtige Konsequenzen gezogen — in den neuen Ländern ist das, wie wir gehört und erlebt haben, zur Zeit schwieriger —; aber wir brauchen nicht nur für ein Jahr eine maßvolle Tarifpolitik im vereinten Deutschland
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Dr. Gerhard Stoltenberg— jetzt mit Blick auf den Westen und den Osten —, sondern wir brauchen sie für eine Reihe von Jahren.Was mir in der bisherigen Debatte im wirtschaftlichen Teil zu kurz gekommen ist, ist die Feststellung, daß sich der weltwirtschaftliche Wettbewerb in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird, drastisch zunehmen wird: um Marktanteile, um Standorte, um Arbeitsplätze.Während wir in der westlichen Welt die Rezession ertragen, deren Folgen uns schwer treffen, gibt es auch Regionen großer Dynamik. Zur selben Zeit sind über die klassischen Lander in Südostasien hinaus große Teile Asiens, einschließlich bestimmter Regionen Chinas, im Aufbruch — Länder, die wir vor wenigen Jahren noch gar nicht im Blickfeld hatten —, und sie werden uns in den kommenden 10 bis 20 Jahren fordern.Die Antwort der Europäischen Gemeinschaft kann nicht Abschottung sein, für die es jetzt in Brüssel und anderen Hauptstädten auch einige Stimmen gibt. Die Antwort der Europäischen Gemeinschaft muß sein, daß wir uns dem Wettbewerb stellen und daß wir den notleidenden Entwicklungsländern ebenso wie den hart bedrängten Reformstaaten Mittelosteuropas die Chance geben, zu fairen und vertretbaren Bedingungen ihre Produkte auf den westlichen Märkten abzusetzen, weil wir sie anderenfalls in die Ausweglosigkeit stürzen würden.
Wenn das aber praktizierte weltwirtschaftliche Verantwortung ist und nicht nur verbale, bedeutet das zwangsläufig, daß wir uns in der inneren Entwicklung Deutschlands auf diesen Wettbewerb einzustellen haben und daß wir uns zurüsten müssen — in der Finanzpolitik ebenso wie in der Steuer- und Abgabenpolitik wie auch in der Tarifpolitik —, um die Trendwende zu mehr Beschäftigung im vereinten Deutschland ebenso überzeugend zu erreichen, wie wir sie ab 1984 in der alten Bundesrepublik Deutschland wieder erreicht haben.Das ist die wirkliche Aufgabe und nicht der große Streit über den zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, den ich hier nicht im einzelnen aufnehmen will.In Wahrheit ist es doch so, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Opposition: Wenn Sie die Zahlen für Westdeutschland von 1981 und 1982 einmal mit denen von 1991 und 1992 vergleichen, dann stellen Sie fest: Wir geben 60 bis 70 % mehr für produktive Arbeitsmarktpolitik in Westdeutschland aus, als Sie in Ihren letzten Regierungsjahren ausgegeben haben. Deswegen sollten Sie etwas vorsichtiger sein, wenn jetzt über bestimmte Korrekturen in den alten Ländern zugunsten der neuen Länder gesprochen wird.
Verbalismus und tatsächliches Verhalten stehen bei Ihnen im Widerspruch.Dies bleiben wichtige flankierende Maßnahmen, die wir bejahen, die aber das Thema, wie wir wiederrentable, langfristig sichere Arbeitsplätze schaffen, nicht überlagern und nicht verdrängen dürfen. Das sind einige der Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben — wir alle miteinander, Regierung und Staat.Wenn wir jetzt noch einmal — was mir sehr schwer fällt — unvermeidbar erhebliche Steuer- und Abgabenerhöhungen im Föderalen Konsolidierungsprogramm beschließen müssen, dann kann dies nur temporär sein, dann müssen wir zugleich die Weichen stellen. Deswegen sind die Initiativen des Bundesfinanzministers so wichtig und richtig — vorbehaltlich der Einzelberatung, die wir führen werden —, damit wir duch eine zurückhaltende Ausgabengestaltung den Menschen und den Betrieben die Überzeugung geben, daß eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote mittelfristig eine der wichtigsten Aufgaben ist.Ich will es Ihnen einmal so sagen: Anfang der 80er Jahre wurde in Betrieben von 1 000 und 2 000 Mitarbeitern darüber diskutiert, ob man einen Teil der Investitionen und Arbeitsplätze ins benachbarte Ausland verlegen müsse. Heute gibt es Betriebe von 300 und 500 Mitarbeitern, in denen diese Diskussion geführt wird — auch unter den Bedingungen des Binnenmarktes. Wer das nicht als Notwendigkeit einer veränderten Steuer- und Abgabenpolitik — mit allen Konsequenzen, auch der Ausgabenbeschränkungen, der Kürzungen und der Umschichtungen — begreift, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden; der sollte sich auch von der Arbeitsmarktpolitik abwenden.Wenn wir hier über den heutigen Tag hinaus — trotz aller Versuchungen des bald beginnenden Wahljahres — in eine ernsthafte Auseinandersetzung treten, dann machen wir die richtige Form demokratischer Politik, und dann erweisen wir unserem Land einen Dienst.
Nun spricht Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem gestrigen schwarzen Mittwoch in Sachen Demokratie erleben wir heute einen schwarzen Donnerstag in Sachen Solidarität und Solidität. Wie beim sogenannten Asylkompromiß treibt die Koalition die Sozialdemokraten auch beim Solidarpakt vor sich her. Ähnlich wie bei der Grundgesetzänderung bleibt von den Forderungen der SPD am Ende — Sie haben es selbst gesagt — praktisch nichts mehr übrig.Sicher, der tiefe Einschnitt ins soziale Netz wird nicht schon heute vollzogen. Aber schon vor der Abstimmung liegen die neuen Sparpläne aus dem Hause Waigel auf dem Tisch. Was ist das Ergebnis? Keine Spur von einem drastischen Subventionsabbau, nein, Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei den Sozialleistungen; der Rest, wie gehabt: lauter Luftnummern. Die Sozialdemokratie hat am Katzentisch der Regierung Platz genommen. Sie darf mitreden, aber sie darf nicht mit entscheiden. Waigels Solidar-
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Dr. Klaus-Dieter Feigepakt, dem leider auch die Sozialdemokraten zustimmen werden, ist unausgegoren, unvollständig, unsolide und unsozial.Gleichermaßen desolat ist die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung oder was davon übriggeblieben ist — und das in einer Situation, in der ein geordneter und zukunftsweisender Strukturwandel in den neuen Bundesländern auf der Tagesordnung steht.Die Bundesregierung setzt auf Chaos statt auf Politik. Binnen kürzester Zeit hat der Deindustrialisierungsprozeß zu einem weitgehenden Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft geführt. Nirgendwo ist erkennbar, was an die Stelle der alten treten soll. Es reicht nicht aus, immer neue Finanzquellen für den Aufbau Ost zu erschließen. Es geht vielmehr auch um die Frge, was denn, bitte schön, mit diesen Milliarden gemacht wird. Bei den derzeit praktizierten Sanierungs-, Umstrukturierungs- und Investitionsmaßnahmen ist jedenfalls keinerlei vorwärtsweisende Konzeption zu erkennen. Eine zügige Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland kann aber nur dann erfolgen, wenn jetzt und heute in Ostdeutschland modernste Strukturen aufgebaut werden. Nur dann wird es in einem überschaubaren Zeitraum zu einem selbsttragenden Aufschwung im Osten kommen.Panische Schnellschüsse, Beliebigkeit, Sitzfleisch und die Einführung des Rotationsprinzips bei den Ministern sind zu Markenzeichen der Regierung Kohl geworden.Statt eine dezentrale, effiziente und moderne Energieversorgung zu fördern, wurde der Stromvertrag abgeschlossen, der die steinzeitlichen Energiestrukturen Westdeutschlands auf den Osten übertragen und die Kommunen enteignen sollte.Statt vorrangig das Reichsbahnnetz zu sanieren und zu erhalten und eine Weichenstellung für einen zukunftsverträglichen öffentlichen Personennahverkehr vorzunehmen, wird das größenwahnsinnigste Straßenbauprogramm der Nachkriegszeit beschlossen — allen umweltpolitischen Erkenntnissen und allen verkehrspolitischen Erfahrungen zum Trotz. Ich denke, Herr Krause — Sie sprechen ja nach mir —, es ist jetzt sicherlich der Zeitpunkt gekommen, daß Sie sich einmal für den von Ihnen eingeschlagenen Weg entschuldigen.
Statt auf eine entflechtete ökologische Landwirtschaft zu setzen, werden westdeutsche Agrarindustrielle gefördert. Darüber hinaus dürfen Sonderabfälle, nämlich Pestizide, die im Westen verboten sind, in der ostdeutschen Landwirtschaft sozusagen unter freiem Himmel entsorgt werden.Statt innovative Unternehmen zu unterstützen, mußten wir erleben, daß die Treuhand fast nichts unversucht ließ, um z. B. den Kühlschrankhersteller Forum, früher dkk Scharfenstein, im Interesse der westdeutschen Chemieindustrie niederzumachen. Statt frühzeitig ein Konzept auf gesetzlicher Grundlage für die Wismut-Sanierung zu erstellen, wurde improvisiert und wurden darüber hinaus notwendigeMittel gestrichen mit der Folge, daß die Sanierungsverantwortung teilweise bei den Kommunen blieb, die aber die Mittel nicht aufbringen können. Ohne Sanierung werden notwendige Investitionen aber ausbleiben.Meine Damen und Herren, angesichts dieser Versäumnisse und Fehlentwicklungen ist es schon fast bemerkenswert, daß der Bundeswirtschaftsminister begonnen hat, über die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland nachzudenken. Erfreut vernehme ich aus dem Hause Rexrodt, daß Umwelttechnik und Umweltschutz nicht länger als Behinderung, sondern vielmehr als notwendige Voraussetzung für eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik angesehen werden.Wo bleiben jedoch die Konsequenzen? Wann werden endlich Maßnahmen ergriffen, um den notwendigen ökologischen Strukturwandel in den neuen Bundesländern einzuleiten, einen ökologischen Strukturwandel, der auch für die notwendige Veränderung in Westdeutschland bzw. in der Europäischen Gemeinschaft Impulse geben würde? Eine langfristige Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist ohne einen tiefgreifenden ökologischen Strukturwandel, der auch eine ökologische Steuerreform beinhaltet, nicht möglich.Wir können nicht warten, bis die Europäer auch in dieser Frage gegenüber Japan ins Hintertreffen geraten. Dort hat man bereits reagiert, und zwar genau in diese Richtung. Im Projekt „New Earth 21" hat das MITI diese Ziele vorgegeben. Danach sollen bis zum Jahr 2020 umweltfreundliche Technologien in großem Umfang zum Einsatz kommen. Bis zum Jahr 2040 soll auf die direkte Nutzung der Sonnenenergie umgestellt werden. Die „Wirtschaftswoche" kommt zu dem Schluß, daß sich Japan dadurch wahrscheinlich den lukrativsten Markt des kommenden Jahrhunderts erschließt. Warum nicht wir?Einige der neueren Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium halte ich darum in dieser Hinsicht für durchaus diskutabel, von Ihrem Beharren auf die Atomenergie einmal abgesehen. Angesichts des Windes, der derzeit weht, glaube ich allerdings nicht, daß der Bundeswirtschaftsminister auch nur ansatzweise die Möglichkeit erhält, diesbezügliche Überlegungen in die Praxis umzusetzen. Es tun sich erstaunliche Parallelen zum Umweltminister auf: viel reden, nichts begreifen und schon gar nicht handeln.Aber ich kann es nicht oft genug wiederholen: Jedes Jahr, das ohne die Einleitung eines ökologischen Strukturwandels verstreicht, ist ein verlorenes Jahr für die Zukunft der deutschen Wirtschaft und für den Angleichungsprozeß zwischen Ost- und Westdeutschland, auf den die Menschen so sehnlich warten.An dieser Stelle, meine Damen und Herren, kann ich es mir leider nicht verkneifen, auch auf den Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin einzugehen. Der Bundesfinanzminister hat am Dienstag vollmundig Einsparungen versprochen. Die Rede war gar von einer Verschiebung des Umzugs. In den gestern bekanntgewordenen Vorschlägen Herrn Waigels zum Solidarpakt II taucht aber dieser Punkt nicht mehr richtig erkennbar auf. Vielleicht wird Herr Waigel das
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Dr. Klaus-Dieter Feigenachlesen: Hier hätte es auch heute eines klaren Wortes in dieser Richtung bedurft. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß wir in diesem Haus über die Kürzung von Sozialleistungen diskutieren und gleichzeitig an einen Umzug denken, der Milliarden kostet.
In diesem Sinne hat der vorgelegte Solidarpaktentwurf sein Ziel gründlich verfehlt. Er ist zum Zweck der gründlichsten Überarbeitung zurückzuweisen.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Abgeordnete Professor Günther Krause das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer ein besonderer Lustgewinn, nach meinem verehrten Kollegen Feige aus MecklenburgVorpommern sprechen zu können.In zwei Dingen möchte ich Ihnen unbedingt widersprechen, Kollege Feige.Sie sprechen davon, moderne Strukturen schaffen zu wollen, und meinen, die Eisenbahn könne alles. Dann hätten wir heute eine Grundgesetzänderung beantragen müssen, um unsere Gemeinden und Dörfer mit mehr als 300 Einwohnern — das ist nämlich die Größe von Börgerende — mit Hauptbahnhöfen zu versehen. Damit würden wir die Strukturpolitik mit Hilfe der Schiene wirklich verunglimpfen. Das würde zu einer Ökologie führen, die wider alle Vernunft ist. Sie müssen einfach begreifen, daß das Auto, wenn es richtig genutzt wird, entscheidende Umweltvorteile hat. Eine Verkehrspolitik und eine Wirtschaftspolitik, die ausschließlich die Verteufelung des Autos zum Inhalt haben, sind keine Zukunftsvision für unser Volk. Sie wissen das: Wenn wir bei der nächsten Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich über Autobahnen abstimmen würden, würde meine Partei mit ungefähr 80 bis 90 % Zustimmung zu rechnen haben.
Das sind die wirklichen Sachverhalte.Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung von Ihnen aufnehmen. Ich denke, daß gestern kein schwarzer Tag war. Vielleicht wollten Sie damit sagen: Die Schwarzen haben sich durchgesetzt.
Das mag zwar richtig sein. Ich denke schon, daß eine längst erwartete Entscheidung durch die Kompromißfähigkeit und nicht durch ein Gegeneinander-andie-Schienbeine-Treten von Regierung und Opposition den Weg zu einer vernünftigen Asyllösung in Deutschland gewiesen hat. Wir sollten in dieser Hinsicht nicht von schwarzen Tagen sprechen. Wenn wir einen schwarzen Tag gehabt haben, dann deshalb, weil es gestern einen Angriff auf unsere demokratische Rechtsordnung, zumindest den Versuch, gegeben hat.
Nun zur Wirtschaftspolitik: Ich denke, wir müssen, wenn wir hier heute über die ersten Bemühungen sprechen, uns aus der veränderten Situation in Deutschland und aus einer völlig veränderten Situation in Europa mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik auf die neuen Herausforderungen einzustellen, davon ausgehen, daß das FKP eigentlich relativ spät kommt.Ich möchte etwas zu den Ursachen sagen: Im Einigungsvertrag haben wir versucht, die Finanzlasten zwischen den Kommunen, den Ländern und dem Bund gleich zu verteilen. Übriggeblieben ist eine Minimalbeteiligung der Länder und damit von vornherein eine Überforderung des Bundes. Viele Probleme, die wir in den neuen Bundesländern haben und die letztendlich die gegenwärtige finanzielle Überforderung des Bundes mit verursachen, ergeben sich aus der fehlenden Bereitschaft der westdeutschen Bundesländer schon im Einigungsvertrag, in gemeinsamer Verantwortung einen Länderfinanzausgleich zu finden.
Ich will hier noch einmal deutlich machen: Die Strategie der SPD war, die Mittel für den Fonds „Deutsche Einheit" zu verdoppeln und nicht etwa eine vernünftige Lösung im Länderfinanzausgleich zu finden, damit die Lasten auf alle föderalen Ebenen verteilt werden.Wenn man dies weiß, muß man glücklich sein, daß es politisch gelungen ist — wenn auch mit Makeln behaftet —, das föderale Staatsgefüge — unabhängig von Diskussionen über Wahlkampfthemen — endlich wieder so zu gestalten, daß die Verteilung in unserem föderalen System steht. Das ist uns gelungen, und das ist ein Vorteil. Es reicht aber nicht aus. Wir müssen uns daher neue, weitere Dinge einfallen lassen.Nun etwas zur wirtschaftspolitischen Situation, jedenfalls aus meiner Sicht: Die Diskussion ausschließlich darüber, daß es in Westdeutschland strukturelle Schwierigkeiten in der Wirtschaft gebe, die nur durch die Lohnkosten begründet sind, geht an der Wirklichkeit vorbei. In welcher Situation stehen wir denn eigentlich? Der Eiserne Vorhang — ich will das einmal mit aller Deutlichkeit formulieren — war auch ein großes Hindernis für die westdeutsche Wirtschaft. Von Westdeutschland aus war es deshalb schwierig, die Vorteile von Billigländern im Mittelstand zu nutzen. Das wird jetzt anders werden. Die langfristigen Vorteile für Investoren in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Polen oder in Ungarn werden natürlich die Investitionspolitik im produktiven Bereich eines jeden Investors maßgeblich beeinflussen. Das muß auch so sein, wenn wir Ost- und Mitteleuropa wirklich schrittweise an die westeuropäische Gemeinschaft anbinden wollen.Das ist das eigentliche Hauptproblem der revolutionären Veränderungen: daß wir uns auf Grund der fehlenden Grenze, des fehlenden Eisernen Vorhangs
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Dr. Günther Krause
beispielsweise in der Automobilindustrie Westdeutschlands nicht mehr den Luxus leisten können, Taktstraßen mit acht Beschäftigten zu haben, während in vergleichbaren Ländern dieser Erde dort nur vier oder fünf Beschäftigte stehen. Wir müssen also an die Strukturpolitik heran. Und damit komme ich zum Standortsicherungsgesetz.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man darf nicht glauben, daß man durch permanente Steuererhöhungen — angesichts der Nachbarländer und ihrer Möglichkeiten, die es vor zweieinhalb Jahren in dieser Form noch nicht gegeben hat — Probleme lösen kann. Vielmehr besteht die Gefahr, daß man so Arbeitsplätze verliert, und zwar nicht nur solche im produzierenden Bereich. Es gibt nicht die Insel Deutschland unter einer Käseglocke. Wer das anders sieht, hat nicht begriffen, daß der EWR nicht nur das Produzieren, sondern auch den gesamten Bereich der Dienstleistungsfreiheit letztendlich nicht mehr nur national, sondern international zuläßt. Man kann also nur versuchen, für Investoren, für Unternehmer bei der Besteuerung möglichst schnell ähnliche oder gleiche Bedingungen zu schaffen, wie sie in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gegeben sind. Sonst wird es nicht funktionieren.
Lassen Sie mich einen zweiten wichtigen Punkt ansprechen, der aus meiner Sicht zu kurz gekommen ist. Theo Waigel kennt ja mein diesbezügliches Hobby.
— Ohne Verkehr kein Leben — das wissen Sie doch!
— Ich bin nach meinem Hobby gefragt worden: Ohne Verkehr kein Leben. Deshalb setze ich mich ja für Autobahnen ein.
— Ohne Leben auch kein Verkehr, das ist richtig, Herr Weng.Ein wichtiger Punkt in unserer Haushaltsgestaltung muß möglichst ab 1994 endlich sein, daß wir privates Kapital in Größenordnungen einsetzen, um öffentliche Aufgaben damit zu realisieren. Ist denn das, was in Frankreich beispielsweise im Autobahnbau gelaufen ist, so unvernünftig? Dort wurden nicht Steuergelder benutzt, um Autobahnen zu bauen, die heute im EWR international gegenfinanziert sind, weil es ganz saubere Betreibermodelle sind.Wir haben in Deutschland in diesem Bereich die Möglichkeit, nicht nur Binnenarbeitsplätze zu schaffen, sondern auch — durch die Veränderung des Haushaltsdenkens in unserem eigenen Land — eine Binnenkonjunktur zu realisieren. Wir sollten nicht abfällig über die positiven Erfahrungen in Frankreich, Italien oder Österreich sprechen, die in diesem Bereich gemacht worden sind.Ich komme auf die Zahlen zurück, die Theo Waigel heute morgen nannte: Wenn wir über Wirtschaftswachstum sprechen, sollten wir darüber reden, wie wir möglichst schnell die 15 % fehlenden Bruttosozialprodukts, die es vor dem 9. November, vor der deutschen Einheit in Westdeutschland pro Kopf der Bevölkerung mehr gegeben hat, durch den Ausbau Ostdeutschlands und durch die Neuorientierung unseres Produktionsstandorts erreichen können. Wir werden dieses Wirtschaftswachstum nicht ereichen können, wenn wir versuchen, mit einer weiteren Verteilermentalität — weit an den internationalen Maßstäben vorbei, sehr geehrter Herr Feige — Ökologieexperimente in Deutschland zu machen, die die Wirtschaft nicht mehr verkraften kann.
Deshalb sollten wir versuchen, das FKP und das Standortsicherungsprogramm als Einstieg in die Neugestaltung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu verstehen.Vielen Dank.
Nun spricht der Kollege Hinrich Kuessner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre natürlich für mich verlockend, hier als dritter Redner aus Mecklenburg-Vorpommern den Vorrednern zu antworten. Es wäre auch interessant, hier über Autos und die Umweltvorteile eines Autos zu diskutieren. Ich halte es aber für notwendig, noch einige grundsätzliche Dinge zum Aufbau Ost zu bedenken.Geld ist wichtig und notwendig für den Aufbau Ost; aber Geld allein ist nicht alles. Das Dilemma der deutschen Regierungspolitik nach der Einheit ist, daß sie Problemen hinterherläuft und nicht gestaltend eingreift. Von Anfang an herrschte die Vorstellung, der Aufbau Ost komme von allein; die Kräfte der Wirtschaft würden es schon machen. Wirtschaftsminister Rexrodt führte sich mit dem Zitat ein: „Die Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt."
In Wirklichkeit zeigt dieser Ausspruch nur die Hilflosigkeit dieser Regierung, die leider außerhalb der Gastwirtschaft hilflos ist.Das jetzt vorliegende Finanzpaket für den Aufbau Ost ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Größe der Aufgabe, also die Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft in den neuen Ländern, ist nach meinem Eindruck in der Regierungspolitik noch nicht voll erkannt.Durch die Wende 1989 und die schnelle Einheit mit der Ankopplung Ostdeutschlands an Westdeutschland gab es nicht viel, was so bleiben konnte, wie es war. Die Bürgerinnen und Bürger im Osten befanden sich plötzlich in einem anderen Staat — ich sage das nicht wertend, sondern feststellend.Der Regelmechanismus der neuen Gesellschaft war vielen Bürgern völlig unbekannt. Es war anders als 1945 in Westdeutschland. Damals konnte man auf das Verwaltungswissen, auf das technische und organisa-
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Hinrich Kuessnertorische Wissen in der Gesellschaft zurückgreifen.Dies muß jetzt alles mühsam neu erworben werden.
Herr Kollege Kuessner, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus beantworten?
Ich möchte noch einen Satz sagen, dann kann Herr Gallus gern fragen.
Mit der Einheit wurden der gesamte Staatsapparat und das bisherige Steuerungssystem der Wirtschaft entwertet und funktionslos. Die Tiefe der Veränderung für die Organisation der Gesellschaft und für jeden einzelnen Bürger ist nach meinem Eindruck bei vielen Entscheidungsträgem noch immer nicht richtig verinnerlicht. Dem Wirtschaftswunder West muß nicht automatisch ein Wirtschaftswunder Ost folgen.
Herr Gallus, bitte.
Herr Kollege, Sie reden von Ankopplung und tun hier so, als ob es ein Schaden für die Bürger der neuen Bundesländer gewesen sei, daß die Dinge im Hinblick auf die Wiedervereinigung so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind. Glauben Sie nicht, daß viele in den neuen Bundesländern dafür dankbar sind, daß es so gekommen ist? Das ist vor allem im Verhältnis zu dem zu sehen, was wir beim Niedergang des Kommunismus heute im Osten erleben.
Das ist eine sehr angenehme Frage, schönen Dank. — Wenn Sie mich so verstanden haben, dann haben Sie mir nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, daß ich das nicht wertend, sondern feststellend sage. Es ist in der Tat — ich halte das sogar für richtig — eine Ankopplung gewesen; das ist doch nichts Negatives. Wir wollten das alte System nicht mehr. Ich habe an der Wende aktiv mitgewirkt. Und eine Zielstellung war, daß es eine Ankopplung wird.
Ich habe mir natürlich vorgestellt, daß wir bestimmte Dinge, die in der DDR gut waren, auch in das gemeinsame Deutschland mitnehmen. — Wenn Sie jetzt so ungläubig Ihren Kopf schütteln, dann kennen Sie die DDR überhaupt nicht.
Ich habe mein ganzes Leben in der DDR verbracht. Ich habe sogar einmal einen Ausreiseantrag gestellt, weil ich mich in dem Staat auch nicht wohlgefühlt habe. Aber ich kann trotzdem nicht sagen, daß dies nur eine schlimme Zeit war. Es gab bestimmte Dinge in dem Miteinander der Menschen in der DDR, die sehr wertvoll waren
und über die man durchaus neu nachdenken kann. Manches hier in Bonn — muß ich sagen — gefällt mir gar nicht so,
z. B. die Art, in der wir hier miteinander umgehen, diese Hektik. Wir haben einige Dinge gehabt, die Sie sich durchaus noch einmal durch den Kopf gehen lassen und vielleicht auch übernehmen können.
— Er möchte gern noch einmal etwas fragen; meinetwegen darf er.
Ihre zweite Zwischenfrage, Kollege Gallus.
Herr Kollege, es wäre durchaus interessant, auf dieser Basis weiter zu diskutieren. Die Ruhe und die Behaglichkeit, die Sie hier so rühmen, ist doch wohl auch darauf zurückzuführen, daß die Effizienz der östlichen Wirtschaft nicht dem entsprochen hat, was hier im Westen heute an Leistung erbracht werden muß, um drüben in den neuen Bundesländern die Angleichung zu vollziehen.
Herr Gallus, Sie haben einen Fehler, den viele Westdeutsche haben: Sie können nicht zuhören.
Sie nehmen das, was ich gesagt habe, nicht richtig auf. Ich habe bisher nichts Positives über die DDR- Wirtschaft gesagt. Wir sollten uns darüber einmal genauer unterhalten, Herr Gallus.
Wenn man langfristig nicht einen Finanz- und Menschentransfer von West nach Ost in Deutschland will, muß man sich überlegen, was man tun kann, damit es zu einer Eigendynamik im Osten kommt. Demokratie und soziale Marktwirtschaft leben von der Initiative vieler einzelner. Das System im Westen funktioniert am besten von unten nach oben und nicht umgekehrt, wie es damals in der DDR war. Die Erneuerung der Gesellschaft in Ostdeutschland muß von unten erfolgen. Es muß alles getan werden, damit Einheimischen die Möglichkeit eröffnet wird, mitzumachen.
Dabei spielt der Eigentumserwerb eine wichtige Rolle. Da den meisten Ostdeutschen das notwendige Kapital für den Erwerb von Eigentum fehlt, muß man über andere Modelle nachdenken, z. B. langfristige Vermietung, Verpachtung oder Erbbaurechte. Auf dieser Grundlage können Kredite abgesichert werden, und damit kann wirtschaftliches Handeln ermög-
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Hinrich Kuessnerlicht werden. So werden private Mittel mobilisiert und öffentliche Mittel gespart.Der Erneuerung der Gesellschaft von unten stehen immer noch Hemmnisse entgegen. Einige, die für die öffentlichen Kassen kostenwirksam sind, möchte ich nennen:Erstens. Die Gebietsreform, die Bildung neuer Landkreise und kreisfreier Städte, steht noch bevor. Menschen, die sich in den Verwaltungen vor kurzem neu eingearbeitet haben, müssen um ihren Arbeitsplatz bangen. Das lähmt die notwendige Arbeit. Die Arbeit der kommunalen Verwaltungen ist bei dem Umbau der Gesellschaft von zentraler Bedeutung.Zweitens. Das Entschädigungsgesetz ist noch immer nicht verabschiedet. Damit werden Klärungen in Eigentumsfragen immer noch auf später verschoben; wirtschaftliche Entscheidungsprozesse werden verhindert. Hier liegt ein eindeutiges Versagen der Bundesregierung vor.
Das Gesetz hätte längst verabschiedet sein müssen. Die große Rücksicht auf die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten, vor allem auf die Großgrundbesitzer in der Landwirtschaft, geht eindeutig zu Lasten der einheimischen Bauern. Ihre Chancen in der Marktwirtschaft sinken mit jedem verlorenen Monat. Solche Politik macht den Aufbau Ost für den Steuerzahler immer teurer.
— Melden Sie sich! Dann dürfen Sie gern fragen.
- Es muß nicht sein; es kann ruhig auch frei sein.Drittens. Im Herbst 1992 hat der Kanzler in Schwerin wieder einmal Hoffnung mit einem Bildwort geweckt. Er sprach von der Erhaltung der industriellen Kerne. Bis heute fehlt eine inhaltliche Beschreibung des Vorhabens. Von der Bundesregierung wurde nicht definiert, was sie unter einem industriellen Kern versteht.Es gibt für mich keine erkennbaren Ansätze für das Anschieben eines Programms. Im Treuhand-Ausschuß haben wir uns auf unsere Anregung hin auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, der die Bundesregierung auffordert, dem Ausschuß bis zum 21. Juni dieses Jahres ein Konzept zur Umsetzung der im Solidarpakt niedergelegten Vorstellungen vorzulegen. Ich freue mich darüber, daß wir diesen Antrag heute gemeinsam beschließen wollen. Die Bundesregierung verliert leider ständig wertvolle Zeit. In diesem Bereich ist Zeit Geld.
Trotz aller Erfolgsmeldungen der Treuhandanstalt ist der Wirtschaftsstandort Deutschland-Ost nicht gesichert. Die Treuhand meldet, daß sie kurz vor dem Abschluß der Privatisierung steht. Keine 1 000 aktiven Unternehmen sind noch im Nettobestand.Die statistischen Zahlen der Treuhand sagen nicht viel über die Zukunftsaussichten der privatisierten Betriebe aus. Umfragen belegen, daß die Perspektiven der ostdeutschen Betriebe sich deutlich eingetrübt haben. In den letzten Monaten sind die Umsatz-, Produktions- und Beschäftigungserwartungen nach unten korrigiert worden. Die Rezession im Westen ist auf den Osten übergeschwappt.Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft stellt nach einer Umfrage im März fest:Die Treuhandunternehmen erwarten zu 92 % weiter sinkende Beschäftigungszahlen, bei den Privaten sind es immerhin noch 73 %. Nur 9 % der privatisierten Unternehmen halten einen Beschäftigungsaufbau für möglich.Besonders gravierend ist der Abbau der Industriearbeitsplätze: Im Juni 1992 kamen in Ostdeutschland auf 1 000 Einwohner 60 Industriearbeitsplätze. In Westdeutschland waren es zum gleichen Zeitpunkt 114, also fast doppelt so viele. Die Abbauphase ist dabei im Osten noch nicht beendet. Im vierten Quartal 1990 waren im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe in Ostdeutschland noch durchschnittliche 2,3 Millionen Menschen beschäftigt. Im Juni 1992 lag die Zahl bei 945 000, und nach nur sechs weiteren Monaten waren es im Dezember des vorigen Jahres noch einmal 117 000 weniger.Trotz alledem macht die Treuhand weiter unter der Parole: Die schnelle Privatisierung ist die beste Sanierung. Sanierungsgesellschaften wie die Management-KGs werden nur sehr zögernd gebildet. In der Regel spürt man in diesen Unternehmen keine große Veränderung gegenüber Unternehmen, die in direkter Treuhandverwaltung stehen. Auch in diesen Unternehmen wird die Privatisierung vorrangig betrieben.Ich bin ebenfalls für die Privatisierung. Aber die Privatisierung darf die Sanierung nicht laufend stören und damit das Unternehmen gefährden.
Die Praxis ist in der Regel so, daß zu Beginn der Privatisierungsgespräche die Sanierung unterbrochen wird. Die Treuhand läßt dann nur noch sogenannte investorneutrale Investitionen zu. Diese Investitionen verlängern das Leben, machen die Unternehmen aber nicht für den Wettbewerb lebenstüchtig.Haben die Privatisierungsgespräche dann keinen Erfolg, so hat das Unternehmen durch den Zeitverlust an Wert verloren. Es wird ein neues Sanierungskonzept mit noch weniger Arbeitskräften aufgestellt. Oft bleibt die Produktionspalette erhalten, auch wenn der Markt eine Umorientierung erfordert. Für neue Technologien und Produkte müßte aber besser gezielt und in vielen Fällen auch mehr investiert werden.Es fehlt dringend ein Plan für die Erneuerung von Industriestandorten. Das ist nicht damit getan, daß der Kreditrahmen für die Sanierung von Treuhandbetrieben erhöht wird. Dazu gehört mehr. Schon lange fordern wir eine abgestimmte regionale Strukturpolitik. Dabei müssen beteiligt werden: der Bund — besonders, weil er Herr der Treuhand ist —, die Länder
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Hinrich Kuessnerund die regionalen Kräfte. Die Unternehmenssanierung muß sich in ein Konzept für eine Region einpassen.Die Treuhandunternehmen sind ein Teil, wo der Bund die Gestaltungsmöglichkeit hat. Sie ist bitter notwendig, um gewerbliche Arbeitsplätze im Osten zu erhalten. Den so oft herbeigeredeten Aufschwung Ost wird es ohne gewerbliche Unternehmen nicht geben. Allein mit Handel, Versicherungen und Dienstleistungen und etwas Tourismus ist es nicht zu schaffen.
Wir brauchen Betriebe, die Produkte mit hoher Wertschöpfung für den Weltmarkt herstellen.Massengüterproduktion hat bei uns künftig keine Chance. Sie wird weiter östlich zu finden sein. Unsere Lohnstückkosten halten da nicht mit. Wenn wir in Ostdeutschland unser Ziel erreichen wollen, müssen wir in Forschung und Entwicklung investieren und Marktlücken im Weltmarkt finden.
Weil dies alles nicht an einem Tag zu machen ist, hat die SPD darauf gedrungen, daß eine Absatzförderung für Produkte aus den neuen Ländern durchgeführt wird. Aber auch hierzu schweigt sich die Regierung aus. Wenn dies alles erst im nächsten Jahr begonnen werden soll, ist die Entindustrialisierung in vielen Regionen Ostdeutschlands Realität.Dann werden wir mit den 2 Milliarden DM für Arbeitsmarktpolitik nicht weit kommen. In der „Wirtschaftswoche" vom 30. April 1993 konnte man lesen, daß Prognos trotz eines selber angenommenen Wirtschaftswunders Ost bis zum Jahr 2000 noch mit einer Abwanderung von rund 1,2 Millionen Ostdeutschen in den Westen rechnet. Allein für MecklenburgVorpommern haben die Gutachter in einer anderen Studie einen Bevölkerungsrückgang um 400 000 Menschen — das sind rund 21 % — vorausgesagt.Dies kann nicht unser politischer Wille sein; denn Westdeutschland wird diese Wanderbewegung nicht verkraften. Wer jetzt tatenlos zusieht, provoziert solche Entwicklungen.Das FKP ermöglicht eine langfristige Finanzplanung für die neuen Länder und ihre Gemeinden ab 1995. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt. Die Höhe der Transfermittel bestimmt das Tempo der Entwicklung. Ob wir Spannungen in Deutschland aushalten, wenn die Entwicklung in den neuen Ländern nur langsam vorankommt, ist die kritische Frage. Allerdings ist dies nicht nur eine Frage des Geldes. Manchmal führt weniger Geld zu dauerhafteren und effizienteren Strukturen.
Der verabredete Geldtransfer ist eine Hausnummer, von der man jetzt ausgehen muß. Die neuen Länder können sich darauf einstellen. Sie können ihre Planungen darauf einrichten. Die Zeit der Bettelei undder kurzfristigen Vergabe von Mitteln ist endlich vorbei.
Nur durch langfristige Planungssicherheit läßt sich Vertrauen in eine Aufwärtsentwicklung vermitteln. Gerade da wir von einem langfristigen Prozeß — ich meine, das ist ein Prozeß, der sich über 20 Jahre hinziehen wird — ausgehen müssen, ist das Zeigen von Perspektiven für die einzelnen Regionen von Bedeutung. Nur so kann man Vertrauen in die Zukunft vermitteln. Für die politische Stabilität in den neuen Ländern ist das von entscheidender Bedeutung.Das FKP schafft für den Wohnungsbau in den neuen Ländern die notwendigen Startbedingungen. Aus meiner Sicht ist die Altschuldenfrage befriedigend gelöst. Eine Einschränkung muß ich dazu machen: Die Forderung nach einer 15prozentigen Privatisierung des Wohnungsbestands bei Genossenschaftswohnungen gibt keinen Sinn und muß geändert werden.
Aber diese Entscheidung hätte früher kommen müssen. Das hätte uns eine ganze Menge Geld gespart.Die Altschuldenregelung zusammen mit der Aufstockung des KfW-Programms des Bundes nimmt Rücksicht darauf, daß der Wohnungsbau vor einer gewaltigen Aufgabe steht. Da die Qualität und die Größe der meisten Wohnungen in den neuen Ländern völlig unzureichend sind, ist dies ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensverhältnisse. Dazu bringt er dem Baugewerbe und dem Handwerk wichtige Aufträge.Insgesamt ist das FKP für die neuen Länder ein wichtiger Schritt. Vor allem entschärft es an einer wesentlichen Stelle die West- Ost-Auseinandersetzung, indem es die notwendige Änderung des Länderfinanzausgleichs nach der Einheit verabredet. Dies kann nicht hoch genug bewertet werden.Aber das FKP löst längst noch nicht alle Probleme, die einer Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und in Westdeutschland im Weg stehen. Noch immer läuft die Regierung mehr den Problemen hinterher, als daß sie Zukunft gestaltet. Das wird uns teuer zu stehen kommen.Man muß immer wieder sagen: Es ist ein Fehler, daß die Gestaltung der inneren Einheit vor allem vom Finanzministerium betrieben wird. Ihr wurde die Treuhand unterstellt. Alle Vorhaben wurden vor allem unter finanziellen Gesichtspunkten beurteilt. Es fehlt bis heute der nötige Sachverstand für die schwierige Aufgabe der Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Komplexität ist nicht erfaßt.Bei allen Entscheidungen müssen die Finanzen natürlich eine wichtige Rolle spielen. Aber es müssen erst Ideen geboren werden, ehe man deren finanzielle Machbarkeit hinterfragt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahiperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13773Hinrich KuessnerDurch den Blick auf die Finanzen dürfen diese Ideen nicht verhindert werden.Das FKP hat keinen neuen Entwurf für den Aufbau Ost gebracht. Die politischen Entscheidungen dieser Regierung quälen sich weiter dahin. Es fehlen die Freude an der Einheit mit einer Vision von Deutschland in einem größer gewordenen Europa und die Lust, diese Vision einer friedlichen europäischen Völkergemeinschaft zu verwirklichen.Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Joachim Günther.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist sich der herausragenden Bedeutung der Wohnungspolitik für das Zusammenwachsen Deutschlands und den Aufschwung Ost bewußt. Sie trägt dem mit den wohnungspolitischen Akzenten des Föderalen Konsolidierungsprogramms Rechnung. Mit seinen wohnungspolitischen Elementen ist die Integration der ostdeutschen Wohnungswirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft in entscheidenden Punkten vorangekommen und auf eine tragfähige ökonomische Grundlage gestellt worden.Ich möchte gerade als Bürger der neuen Länder an dieser Stelle allen Verantwortlichen dafür danken, daß diese Leistungen für das Wohnungswesen und die Lebensbedingungen in den neuen Ländern möglich waren.
Mit der Lösung der Altschuldenfrage wurde ein ganz zentrales Investitionshemmnis beseitigt.
Die nach langem Ringen gefundene Regelung verbessert nachhaltig die Investitionsmöglichkeiten der Genossenschaften, der kommunalen Unternehmen und der privaten Vermieter. Dies war notwendig.
Die Wohnungswirtschaft ist im Einigungsvertrag im Vergleich zu anderen Bereichen in mancher Hinsicht wie ein ungeliebtes Kind behandelt worden. Hier konnten wir bei den harten Verhandlungen im Rahmen des Solidarpakts den notwendigen Ausgleich erreichen.Im Mittelpunkt steht die unternehmensbezogene Kappung der Altschulden bei 150 DM pro Quadratmeter Wohnfläche zum 1. Juli 1995. Durch diese Kappungsregelung wird gewährleistet, daß diejenigen Wohnungsunternehmen besonders stark entlastet werden, die bisher unter einer überdurchschnittlich hohen Verschuldung litten. Dies sind insbesondere die Unternehmen, die einen neuen Bestand an Plattenbauten hatten.Mir ist dabei besonders wichtig, daß über die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen hinaus die Einbeziehung der privaten Vermieter gelungen ist. Sie mußten in Zeiten der DDR die notwendigen Sanierungsmaßnahmen über Kredite finanzieren, hatten kaum Mieteinnahmen und können aus Gleichbehandlungsgründen von der Altschuldenentlastung deshalb nicht ausgeschlossen werden.Gerade privates Kapital ist völlig unverzichtbar, wenn angesichts des immensen Sanierungsbedarfs der qualitative Standard der Wohnungen in einem überschaubaren Zeitraum angehoben werden soll. Deshalb gilt im Altschuldenhilfegesetz für die genossenschaftlichen und die kommunalen Wohnungsunternehmen die Auflage, bis Ende 2003 15 % ihres Wohnungsbestandes zu privatisieren bzw. zu verkaufen.Dies erleichtert den Übergang zu einem funktionsfähigen Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern, schafft finanzielle Spielräume für die Unternehmen und Kommunen und treibt auch die Wohneigentumsbildung in Mieterhand voran.
Der Vorrang der Privatisierung für Mieter ist ja auch im Gesetz verankert. Wir entsprechen somit dem vielfach geäußerten Wunsch von Mietern kommunaler und Mietern genossenschaftlicher Wohnungen.Vielfach ist Unverständnis darüber geäußert worden, daß die Privatisierungsauflagen auch für die Genossenschaften gelten.
Aber die Genossenschaften werden durch das Wohnungsgenossenschaftsvermögensgesetz gegenüber den Oberfinanzdirektionen und vor allem gegenüber den Kommunen rechtlich erheblich besser gestellt, als es bisher der Fall war. Sie bekommen den ihnen zustehenden Grund und Boden jetzt in der Regel direkt von den Oberfinanzdirektionen zugesprochen und nicht sozusagen als Gnadenakt von den Kommunen zugeteilt.Gleichzeitig ist es uns mit dem Wohnungsgenossenschaftsvermögensgesetz gelungen, eine bürokratische Hürde niederzureißen, fällt doch für alle etwa 700 Wohnungsgenossenschaften ein Schritt weg, nämlich die Fassung, Abstimmung und notarielle Beurkundung des Übertragungsvertrags mit der Kommune.Es darf auch nicht übersehen werden, daß auch für die Genossenschaften die Privatisierung eines Teils ihrer Bestände eine reelle Chance darstellt, die Liquiditätssituation und damit die Investitionsmöglichkeiten für den verbleibenden Wohnungsbestand entscheidend zu verbessern. Privatisierung ist keine fixe Idee, sondern eine notwendige Voraussetzung für eine wirtschaftliche Gesundung der Unternehmen.
Nur dann werden sie leistungsfähig, und das im Interesse der Mieter, der Unternehmen und der Kommunen.
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13774 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Parl. Staatssekretär Joachim Güntherdie Bundesregierung ist mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm keineswegs nur auf Geldverteilung und Privatisierung fixiert. Ein Teil der zu entschuldenden Bestände wird mit Belegungsbindungen versehen und somit zu Sozialwohnungen im eigentlichen Sinn. Dies ist übereinstimmende Auffassung von Bund und Ländern. Damit können auch jene Haushalte mit Wohnraum versorgt werden, die auf dem freien Markt nicht zum Zuge kommen.
Herr Kollege Günther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?
Gern.
Bitte.
Herr Staatssekretär, wir haben im Ausschuß kontrovers darüber gesprochen, in welchem Umfang privatisiert werden soll. Warum sind Sie nicht unseren Vorschlägen gefolgt, daß bei Wohnungsgenossenschaften nur die selbstnutzenden Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften kaufen dürfen? Dann wäre das ganze Problem gelöst. Man würde die Wohnungsgenossenschaften nicht zwingen, unter Umständen an völlig andere zu verkaufen, und man würde damit auch nicht dem Sinn und dem Gedanken des Genossenschaftsgesetzes widersprechen.
Herr Kollege Großmann, Sie wissen, daß bei vielen Genossenschaften und bei vielen Genossenschaftsmitgliedern der Wunsch besteht, Volleigentum an den Wohnungen zu erreichen. Nach den Erfahrungen, die wir vor Ort gesammelt haben, ist das bei mehr als 50 % der Genossenschaftsmitglieder der Fall, so daß wir klar davon ausgehen können, daß dies kein Hindernis für die Entwicklung der Genossenschaft ist.
Die Förderung von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen wird durch den Solidarpakt noch einmal erheblich ausgeweitet. Das FKP verdoppelt die verfügbare Kreditsumme des Modernisierungs- und Sanierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf 60 Milliarden DM. 10 Milliarden DM davon sind zu besonders günstigen Konditionen für eine Verbindung von Maßnahmen in den Plattenbauten reserviert. Das ist ein echtes Konjunkturprogramm; denn es leistet einen Beitrag zum Wachstum der Wirtschaft, zur Verbesserung der Wohnbedingungen und damit auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Darüber hinaus streben wir eine Anhebung der Fördergrenzen von zur Zeit 500 DM/qm auf 1 000 DM/qm an. Das entspricht einfach der Notwendigkeit einer komplexen und gleichzeitigen Sanierung von Dach, Fassade und technischen Ausrüstungen.
Wir wollen und werden den Wohnungsbau durch Verbesserung der investiven Maßnahmen weiter
kräftig voranbringen. Dem dienen auch die von 1 Milliarde DM auf jetzt 6 Milliarden DM aufgestockten Bundesbürgschaften, die Investoren zur Verfügung gestellt werden sollen, die noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind. Das verbessert ihre Kreditfähigkeit und hilft, Verzögerungen auf Grund von Kapazitätsengpässen bei den Grundbuchämtern abzubauen.
Mir ist nicht bekannt, daß zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik ein derart umfassendes wohnungspolitisches Paket auf den Weg gebracht wurde.
Zur Abrundung des Ganzen ist es aber erforderlich, daß die Gemeinden ihre Anstrengungen zur Ausweisung von Bauland erheblich verstärken, damit auch Raum für notwendige Neubauten geschaffen werden kann. Das Baulandgesetz, das Anfang des Monats in Kraft getreten ist, bietet hierfür eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Diese sollten nicht durch übertriebenes kommunales Anspruchsdenken blockiert werden.
Unsere Maßnahmen für den Wohnungsbau in den neuen Ländern haben, so darf ich sagen, einen Umfang erreicht, den wenige vorher erwartet hatten. Wir dürfen nicht vergessen, daß dadurch in erheblichem Umfang finanzielle Mittel über viele Jahre gebunden werden. Ich bin aber sicher, daß diese Anstrengungen ihre positiven Wirkungen bei der Entwicklung im Osten Deutschlands nicht verfehlen werden.
Danke schön.
Als nächste spricht die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch ist der letzte Akt der Seifenoper „Solidarpakt", die sich inzwischen zum „Föderalen Konsolidierungsprogramm" gemausert hat, nicht über die Bühne, da werden bereits die nächsten drastischen Sparbeschlüsse vorbereitet.Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe in diesem und in den nächsten Jahren reißen neue Löcher in den Haushaltssäckel und sollen nach dem bekannten Muster gestopft werden: Weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen, Entlastungen des Staatshaushalts durch Privatisierung und Deregulierung.Die Zehn-Punkte-Offensive von Wirtschaftsminister Rexrodt für die Zukunftssicherung des Standorts Deutschland läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß dies erneut zu Lasten einer sicheren Zukunft weiterer Bevölkerungsgruppen gehen soll.Betriebliche Öffnungsklauseln, Senkung der ABM um 20 % unter Tarif, Begrenzung der Lohnzusatzkosten und ein Einfrieren der Sozialabgaben kennzeichnen die Richtung bei der geplanten Reduzierung der Arbeitskosten. Verschärfung der Zumutbarkeitsklausel, Eingriffe in den Leistungskatalog der Kranken-
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Petra Blässkassen und Propagierung der privaten Vorsorge im Alter signalisieren, wo der Rotstift angesetzt werden soll.Aber das ist ja noch nicht alles. Die unwürdige Debatte um die Pflegekostenabsicherung zeigt, daß die Regierungsmehrheit zu deren Finanzierung nicht vor schweren Eingriffen in Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zurückschreckt. Zwei Karenztage im Lohnfortzahlungsgesetz zur Disposition zu stellen bedeutet einen weiteren Rückzug aus sozialstaatlicher Verantwortung.Aber auch das heute zur Verabschiedung stehende Föderale Konsolidierungsprogramm enthält bereits schwere Einschnitte ins soziale Netz und ist ein weiterer Bruch des grundgesetzlich garantierten Sozialstaatsgebots. Betroffen sind zunächst zwei Gruppen, die bei den Mehrheitsfraktionen in diesem Hause eindeutig die schlechteste Lobby haben: Menschen mit Behinderungen und Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger.Die geplante Kürzung des Unterhaltsgeldes für jene, die mit Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft leben, konnte ebenso wie die Reduzierung des Übergangsgeldes gerade noch verhindert werden, nicht hingegen die Senkung der Pflegesätze um 1 %. Dies mag sich sehr bescheiden ausnehmen, doch wenn man bedenkt, daß Preissteigerungen und Lohnerhöhungen jährlich eine Pflegesatzerhöhung von etwa 7 % nötig machten, hat jede minimale Senkung oder auch nur Deckelung der Pflegesätze katastrophale Folgen für die Betroffenen.Und die Sozialhilfe? Sie soll entgegen der Absicht des Bundesfinanzministers zunächst nicht gekürzt werden. Aber vereinbart wurde die Regelsatzanpassung an die Inflationsrate. Faktisch aufgegeben wurden damit das Bedarfsdeckungsprinzip und der gesetzliche Grundsatz, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht — schon bei den gegenwärtigen Sozialhilfesätzen ein wahres Kunststück.Für Asylbewerberinnen und Asylbewerber werden solche Ansprüche gar nicht mehr formuliert; sie werden künftig mit einem Care-Paket abgespeist.Der eigentliche „Hammer" des FKP ist die wirklich miese Debatte über die Mißbrauchsbekämpfung, mit der zur Hatz auf Arbeitslose und Arme geblasen wird. Zahlungen in Höhe von 550 Millionen DM sollen dadurch 1993 bei der Bundesanstalt für Arbeit eingespart werden. Wenn diese unsägliche Mißbrauchsdebatte endlich auch auf die ausgeweitet würde, die durch Steuerhinterziehung und andere Tricks den Staatshaushalt in Millionen-, ja Milliardenhöhe betrügen, wären wir alle Finanzsorgen los.
Aber statt dessen kündigt Finanzminister Waigel für 1994 weitere Einschnitte im Sozialbereich an.Noch ungeheuerlicher ist jedoch, was sich gegenwärtig im Zusammenhang mit der Debatte über die Pflegeversicherung anbahnt. Es geht schon nicht mehr allein darum, daß deren Finanzierung einseitig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgehalst wird, während den Arbeitgebern zur Entlastung die Streichung der Karenztage angeboten wird. Das vorgestellte Modell ist nichts anderes als eine staatlich sanktionierte und zudem staatlich organisierte private Vorsorge für den Pflegefall. Im Klartext bedeutet das den Einstieg in die Beseitigung des hundert Jahre alten, heiß erstrittenen Sozialversicherungssystems in Deutschland.
Der Bundeskongreß der Mittelstandsvereinigung im April dieses Jahres hat bereits ganz ungeschminkt zur „Neuordnung unseres sozialen Sicherungssystems" aufgerufen und dabei einer steuerfinanzierten Grundversorgung den Vorrang gegeben. Auch der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Friedhelm Ost, hat diesbezüglich geplaudert und wurde von Bundeskanzler Kohl höchstselbst ungewöhnlich scharf zurückgepfiffen. Das sind, denke ich, Indizien genug, um diesem Generalangriff auf das Sozialversicherungssystem entgegenzutreten.Armut ist nicht Ausdruck unzureichender Wirtschaftskraft, sondern Folge der unsozialen und ungerechten Aneignung und Verteilung der Ressourcen und Ergebnisse der gesellschaftlichen Produktion. Die PDS/Linke Liste hat deshalb als Alternative heute eine Charta fiber die soziale Grundsicherung in den Deutschen Bundestag eingebracht, eine Charta, die eigentlich ein Rahmengesetz dafür ist, wie das Sozialversicherungssystem auszugestalten und durch steuerfinanzierte Elemente zu ergänzen ist, damit jeder in der Bundesrepublik lebende Mensch unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstand und Nationalität einen Anspruch auf die Sicherung seiner Existenz hat.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluß kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch einen Satz. — Bei einem sozialpolitischen Ratschlag zum Thema „Armut im reichen Deutschland" im April in Braunschweig drängten Verbände, Initiativen, Wissenschaftler und Politiker angesichts der prekären Lage auf eine öffentliche Auseinandersetzung über die moralischen Grundlagen dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystems; diese öffentliche Diskussion möchten wir mit unserer Initiative in den Bundestag tragen.
Ich danke.
Das war ein langer Satz.
Nun hat der Kollege Dr. Klaus Rose das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man jetzt am Nachmittag eine erste Bilanz der heutigen Debatte zieht, muß man feststellen: Leider ist von der Freude
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Dr. Klaus Roseüber den gelungenen Solidarpakt nicht mehr die Rede, sondern man hat statt dessen die Spardiskussion für das Jahr 1994 begonnen. Wir haben keine Abschlußdiskussion über das Föderale Konsolidierungsprogramm, den Nachtragshaushalt und das Standortsicherungsgesetz führen können, sondern wir sind mitten in die Probleme des Haushalts 1994 geraten, bevor dieser von der Bundesregierung überhaupt beraten und vorgelegt worden ist.
Das führte notgedrungen zu Spekulationen, zu nicht fundierten Meinungsäußerungen und zu Vorschlägen, die noch gar nicht abgestimmt sind. Wer das heutige Frühstücksfernsehen verfolgt hat, merkte schon, daß zwar viele geredet haben, daß aber wenig gesagt werden konnte, weil nichts Substantielles vorhanden ist, weil keine echten Streichlisten zu sehen waren, keine überprüfbaren Papiere vorliegen, mit denen zumindest wir Haushaltspolitiker umzugehen gewohnt sind. So hat auch der vom Bundesfinanzminister angekündigte Aufschub des Berlin-Umzugs noch keine bindende Wirkung, aber er bestimmt die Diskussion, mit den bekannten Fronten. Im übrigen: Was die Regierung will, ist das eine; was das Parlament will, ist das andere.
Wenn man davon redet, daß das Parlament noch zehn oder 20 Jahre in Bonn bleibt, muß man sich darüber klar werden, daß der Lange Eugen als altehrwürdiges Gebäude nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht. Ich möchte gerade wegen der heißen Tage in dieser Woche einmal den Sprecher der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Langen Eugen, vor allen Dingen der Etagensekretäre, machen, die in brütender Hitze ohne echte Belüftung, ohne eine etwas kühlere Luft im Inneren des Hauses arbeiten müssen. Für sie geschieht nichts, weil man sich um diese Themen nicht kümmert. Darüber muß man dann auch diskutieren.
Meine Damen und Herren, das sollte nur eine Aussage gewesen sein, daß man zwar schnell etwas besprechen kann, aber anschließend doch die Konsequenz behandeln müßte.Klar ist jedenfalls eines geworden — das hat ein Dichter des 18. Jahrhunderts, nämlich Gottlieb Konrad Pfeffel, als Charakteristik des guten Fürsten gezeichnet —:Zum Beweis, sprach Claudius der Gute, daß ich meines Volkes Vater bin, leg' ich mein Fürstenzepter hin und gebrauch künftig bloß die Rute.So muß ein Finanzminister in den nächsten Jahren, will er ein „guter Fürst" sein, handeln; denn die konjunkturelle Lage diktiert den strikten Sparkurs. Die Weltkonjunktur hat uns eingeholt. Die einigungsbedingten Belastungen kommen hinzu. Wir sind fast ein bißchen zu spät dran, um die Herausforderungen, die dadurch auf uns zugekommen sind, jetzt auch anzugehen.Alle führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigen, daß mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm die Weichen für eine mittelfristige Rückführung des Staatsdefizits und eine Entlastung des Kapitalmarkts gestellt sind. Sie und die Bundesbank sind sich einig: Es muß noch mehr als bisher gespart werden. Nur müssen wir von der Psychologie ausgehen. Es darf jetzt nicht — ich bin vom heutigen Frühstücksfernsehen betroffen — so aufgezogen werden, als wäre es nur eine Strafaktion gegen gewisse Gruppen der Bevölkerung. Vielmehr muß man der Bevölkerung klarmachen, daß es ohne Sparen nicht geht, daß Sparen die Voraussetzung dafür ist, daß die Volkswirtschaft wieder flott wird.
Dieser Erkenntnis entzieht sich inzwischen auch die SPD nicht. Sie zieht allerdings keine logischen Folgerungen. Denn sonst hätte Frau Matthäus-Maier nicht in ihrer bekannten Art alles mögliche vorgeschlagen, aber keine substantiellen Aussagen gemacht. Der Bürger läßt sich auf jeden Fall nicht mehr verunsichern. Er hat gelernt, daß die Forderung nach noch mehr Steuern die Wirtschaft schädigt und dadurch letztlich zum Verlust von vielen Arbeitsplätzen führen kann.„Statt Frühlingsgefühle Steuersorgen", so faßt das Allensbacher Institut das Meinungsklima in diesem Monat zusammen. Die Frage, ob höhere Steuern die Wirtschaft schädigen würden, bejahen 72 % der Westdeutschen und 49 % der Ostdeutschen. Nur 14 % teilen diese Sorgen nicht.Die Ablehnung höherer Steuern ist neu. Noch vor zwei Jahren hatten 56 % der Westdeutschen der Behauptung zugestimmt, ohne Steuererhöhungen lasse sich die deutsche Einheit nicht finanzieren. Der Bürger war den Reden der SPD auf den Leim gegangen. Nunmehr hat er erkannt, daß sich das Verständnis der SPD von konjunkturellen Zusammenhängen immer noch nicht an den gegenwärtigen Herausforderungen orientiert.Der Bürger hat auch das Versagen der SPD in der Haushalts- und Finanzpolitik der 70er Jahre nicht vergessen. Was da alles passiert ist und was uns in die Schwierigkeiten geführt hat, muß erst aufgearbeitet werden.Um das Vertrauen in die Solidarität der Staatsfinanzen wiederherzustellen, hatten wir nach 1982 den Ausgabenanstieg zunächst durch eine strikte Sparsamkeit begrenzt. Der eingeschlagene Konsolidierungskurs hatte rasche Erfolge gebracht. Der Anteil des Finanzierungsdefizits des öffentlichen Gesamthaushalts am Bruttosozialprodukt ging von seinem damaligen Höchststand — 4,9 % im Jahre 1981 — auf 2,1 % im Jahre 1985 zurück. Dieser Erfolg eröffnete dann ab 1986 Spielraum für eine offensive, wachstumsstärkende Steuerpolitik mit umfangreichen Steuerentlastungen. Man muß darauf trotzdem immer wieder hinweisen, weil Steuerentlastungen zu einer Ankurbelung der Wirtschaft geführt haben und weil eine Steuererhöhungspolitik niemals gut sein kann.Meine Damen und Herren, die Finanz-, Haushaltsund Steuerpolitik seit Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU/CSU-F.D.P.-Koalition
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Dr. Klaus Rosehatte seit 1983 die Voraussetzung dafür geschaffen, daß der Bund seinen Teil an der Jahrhundertaufgabe des Wiederaufbaus in den neuen Bundesländern in Angriff nehmen konnte. Dort ist inzwischen auch viel geleistet worden. Ich bin dankbar, daß der Kollege Kuessner als ein Beispiel der Oppositionsredner heute auch den Inhalt des Föderalen Konsoldierungskonzepts positiv bewertet hat, wenn auch noch viel zu tun bleibt. Wer die Augen aufmacht, sieht, daß in den neuen Ländern schon sehr viel geschafft worden ist und das man auf dem richtigen Weg ist.
Um alles zu bewerkstelligen, hat der Bundesfinanzminister dabei natürlich die Begrenzung des staatlichen Ausgabenanstiegs und der Nettokreditaufnahme als Säulen solider Haushaltspolitik in der damaligen historisch einmaligen Zeit unter Beweis gestellt, indem er nämlich zwischen den Jahren 1990 und 1992 ein Entlastungspaket für den Bundeshaushalt von sage und schreibe 60 Milliarden DM schnürte. Wir reden viel zuwenig davon. Die ständigen Forderungen „Wir müssen sparen" sind in den letzten zwei Jahren schon in großer Form erfüllt worden. 60 Milliarden DM aus allen Einzelplänen eines Haushaltes herauszuquetschen, verlangt eine riesige Arbeit. Es war ein großer Erfolg, das erreicht zu haben.Wenn man nebenbei darauf hinweist, daß auch noch Transferleistungen in Höhe von 80 Milliarden DM für die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion erbracht wurde, merkt man erst, welch große finanzpolitische Aufgaben hinter uns liegen — erfolgreich bewältigt — und welche Hoffnung wir haben können, daß wir auch die Zukunft erfolgreich gestalten.
Inzwischen, im Jahre 3 nach der Einheit, ist der strukturelle Anpassungsbedarf in Staat und Wirtschaft in Umrissen einschätzbarer geworden. Das, was immer mit den Begriffen „Schattenhaushalt" und „Nebenhaushalt" in der Diskussion war, ist faßbar, so daß die dauerhafte Bewältigung der finanzpolitischen Aufgaben der nächsten Jahre in Angriff genommen werden kann. Dazu sind auf Grund der inzwischen verschlechterten konjunkturellen Lage weit mehr Einsparungen erforderlich, als sie durch den Nachtragshaushalt 1993 und das Föderale Konsolidierungsprogramm schon erbracht worden sind. Das Standortsicherungsgesetz flankiert diese Einsparungen durch Sicherung der Wirtschaft im Westen, die letztlich die Transferleistungen in die neuen Bundesländer aufbringen muß.Diese Maßnahmen waren nur der erste Schritt; weitere müssen folgen. Wir sind bereit, weitere Konsolidierungsmaßnahmen durchzusetzen. Wir haben Gott sei Dank auch die Unterstützung der Öffentlichkeit, der Medien, z. B. der „Süddeutschen Zeitung", die dieser Tage schrieb, daß sich die gegenwärtige Wirtschaftskrise auch als reinigendes Gewitter in der schwülen Luft verkorkster Anspruchsmentalität erweisen und damit die stabilitätspolitische Grundlage für einen neuen Wirtschaftsaufschwung werden kann.Dazu muß man über den Tellerrand hinausschauen. Dazu muß man vor allen Dingen sagen: Ein weiteres Drehen an der Steuerschraube ist falsch. Man muß erst Leistung erbringen, um Geld ausgeben zu können. Man muß soldidarisch zusammenstehen. Man muß damit die zeitlos gültigen Elemente eines Finanzministers von früher, nämlich von Fritz Schäffer, der in der Tradition der CSU steht — zunächst er, dann Franz Josef Strauß und jetzt Theo Waigel —, im Auge behalten, der gehandelt hat, nicht nur beraten:„Gern will ich sein ein Rater, verlangt nur keine Tat. " Treffender, als das mit diesem Vers von Hoffmann von Fallersleben gesagt wurde, könnte man die Konzeption der SPD nicht umschreiben. Für Taten sind zum Glück andere zuständig. Ich kann mir deshalb auch nicht vorstellen, wie schnell und in welchem Umfang die SPD die Staatsfinanzen zu Lasten der Wirtschaft ruinieren würde. Die Verantwortung für Deutschland ist auf jeden Fall bei der CDU/CSU- und F.D.P.-Bundesregierung besser als bei anderen aufgehoben.
Das Wort hat die Kollegin Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll abschließend über ein Gesetzespaket befunden werden, hinter dem nicht einmal seine Protagonisten noch stehen können. Allzu offensichtlich ist der umfassende Realitätsverlust des Entwurfs. Die kürzlich bekanntgewordenen Steuerschätzungen, die das vorliegende Konsolidierungsprogramm erneut diskreditiert haben, wurden schon nicht mehr gebraucht, um die Luftbuchungen des Finanzministers zu entlarven.So ist es völlig unverständllich — nur als Beispiel genannt —, daß sich in dem großspurigen „Solidarpakt" kein Hinweis auf die geplante Pflegeabsicherung findet. Dabei handelt es sich auch hier um eine Frage von enormer finanzpolitischer Relevanz. Es steht fest, daß ein erheblicher Bundeszuschuß notwendig ist, um eine Anschubfinanzierung für die derzeit ca. 2 Millionen pflegebedürftigen Menschen sowie die unmittelbar pflegenahen Jahrgänge vorzuhalten. Auch muß der Ausbau der Infrastruktur insbesondere im ambulanten Pflegebereich finanziert werden. Das ist mit Diskussionen über die verschiedensten Finanzierungsmodelle nicht vom Tisch zu wischen.Dieses beliebig herausgegriffene Beispiel zeigt: Auf der Basis von geschönten, wirklichkeitsfremden Eckwerten können Ansätze zu einer Konsolidierung nicht entwickelt werden. Und drastische Streichorgien im sozialen Bereich sind ebenfalls keine Lösung.Die Sozialdemokratie pochte mit semantischer Spitzfindigkeit monatelang auf ihre Losung „Keine Kürzungen!". Daß damit allerdings nichts gesagt war über die in Monatsfrist einsetzende Deckelung der Regelsätze in der Sozialhilfe, über Familienregelsätze oder verstärkte Zwangsarbeit war von vornherein klar. Immer wieder wurde kämpferisch betont, das Bedarfsdeckungsprinzip der Sozialhilfe müsse unter
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Christina Schenkallen Umständen verteidigt werden. Die SPD ließ sogar Modellrechnungen veröffentlichen, die den Vorwurf eines massenhaft verletzten Lohnabstandsgebotes widerlegten. Soweit die Theorie.In der Praxis haben die führenden Vertreter der SPD, darunter ausnahmslos alle potentiellen Kanzlerkandikaten, keine Probleme mit einer Abkoppelung der Sozialhilfe vom Bedarf. Demnächst soll auch bei größeren Haushaltsgemeinschaften ein striktes Lohnabstandsgebot durchgesetzt werden. Plötzlich wird hier aus reinen Opportunitätsgründen eine Überversorgung durch Kumulation von Leistungen unterstellt. Diese Behauptung ist jedoch bis zur Stunde durch nichts bewiesen. Dessenungeachtet soll nun ein faktischer Familienregelsatz eingeführt werden. Angesichts der realen Situation in den Haushalten von Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen ist dies eine Infamie. Wie vielfach belegt ist, haben viele Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger große Schwierigkeiten, sich und ihre Familien überhaupt auch nur adäquat zu ernähren.Die Diskussion über diese Frage erreicht immer neue Tiefpunkte. Neuerdings wird sogar zwischen den Lohnersatzleistungen und der Sozialhilfe ein rechtlich in keiner Weise fundiertes Lohnabstandsgebot herbeigeredet. Die Intention liegt auf der Hand. Zielrichtung ist letztendlich die Deregulierung des Mindestlohnniveaus. In Ermangelung von verbindlichen Mindestlöhnen in der Bundesrepublik übernimmt faktisch seit Jahren die Sozialhilfe diese Funktion. So klagen jedenfalls die Arbeitgeber.Eine deutliche Verringerung des Abstands zwischen Sozialhilfe und unteren Lohngruppen ist durch das Statistikmodell der Regelsatzbestimmung weitgehend ausgeschlossen. Anders als bei der 1990 abgeschafften Warenkorbmethode gehen beim Statistikmodell noch nicht einmal mehr die tatsächlichen Lebenshaltungskosten voll in die Bedarfsberechnung ein.Immer mehr Personen sind durch ihre Erwerbseinkommen nicht mehr vor relativer Armut geschützt. Das gilt vor allem für die wachsende Zahl der geringfügig und Teilzeitbeschäftigten, insbesondere der Alleinerziehenden unter ihnen. Vielen Betroffenen ist nicht klar, daß diese Erwerbstätigen häufig Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe haben. Da allerdings auf diese Weise das strukturelle Problem nur verlagert, nicht aber gelöst wird, wäre letztendlich eine Anhebung der unteren Lohngruppen erforderlich.Die Logik von SPD und Regierungskoalition hingegen sieht anders aus. Hier betreibt man zunächst die systematische Absenkung der Sozialhilfe. Mit dem Verweis auf deren existenzsichernde Funktion als Garantin für ein Leben in Würde können dann getrost die untersten Lohngruppen in einer Spirale nach unten folgen.Doch mit den Sozialhilfekürzungen werden neben diesen wirtschaftspolitischen natürlich auch haushaltspolitische Interessen verfolgt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerfreiheit des Existenzminimums entgehen dem Fiskus jährlich erhebliche Beträge. Allein durch die Übergangsregelung für 1993 entstehen steuerliche Mindereinnahmen von ca. 2,2 Milliarden DM. Jede Absenkung der Sozialhilfesätze würde dieses Defizit natürlich entsprechend einschränken.Hier beweist die Regierungskoalition eine ungewohnte Kreativität und Findigkeit. Leider ist diese auf Destruktivität ausgerichtet. So wurde in einem ersten Schritt das Existenzminimum durch Taschenspielertricks systematisch heruntergerechnet. Dies wird sich besonders ab 1994 auswirken. Als nächstes wurde in einem Akt der Willkür der nach dem Bundesverfassungsgericht zu schützende Betrag von mindestens 12 000 DM auf 10 500 DM zusammengestrichen.Meine Damen und Herren, ich darf sie daran erinnen, daß nach Auffassung der Bundesregierung ausgerechnet diese verfassungswidrige Verschlechterung als Basis für die Erhebung des Solidaritätszuschlages die eigentliche soziale Komponente des Solidarpaktes ausmachen soll. Dieser Zynismus ist wirklich kaum noch zu überbieten, obwohl wir ja mittlerweile in dieser Richtung einiges gewöhnt sind.So deklamierte noch am 1. April ein leidenschaftlicher Ottmar Schreiner wörtlich:Die SPD-Bundestagsfraktion hatte von Anfang an klargestellt, daß die Verschlechterung von sozialrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen ausgeschlossen ist.Ich meine, das war nun offensichtlich nichts weiter als ein Aprilscherz.Mittlerweile sind die Sozialhilfeinitiativen der SPD erneut aufs Dach gestiegen im wahrsten Wortsinne. Seit Montag dieser Woche kampiert eine Gruppe von Betroffenen zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit auf der SPD-Baracke. Das scheint offensichtlich zur ständigen Einrichtung zu werden. Aber die Hoffnungen der Betroffenen, die SPD noch zur Umkehr bewegen zu können, halte ich für vergeblich. Zu sehr haben sich Fraktion und Partei in die Strategie der Bundesregierung verstricken lassen.Nun stellt man bei der Sozialdemokratie peinlich berührt fest, daß man der Koalition erneut auf den Leim gegangen ist. Noch ist der Solidarpakt 1 nicht beschlossen, da eröffnet uns der Finanzminister, welche sozialen Kürzungen z. B. bei den Lohnersatzleistungen und dem Kindergeld als nächstes auf uns zukommen werden.Wie kann die SPD allen Ernstes heute einem Solidarpakt zustimmen, der den Auftakt zur größten und nachhaltigsten sozialpolitischen Restauration repräsentiert, die diese Republik kennenlernen wird? Hier werden Schritt um Schritt alle Errungenschaften zerstört, die über Jahrzehnte ein hohes Maß an sozialem Frieden garantierten. Der Ausstieg aus der sozialen Marktwirtschaft ist eingeleitet. Dabei schreckt die Regierungkoalition nicht einmal vor offenem, man muß schon sagen: laufendem Verfassungsbruch zurück. Das jüngste Beispiel der verfassungswidrigen Einführung von Karenztagen ist hier bekanntlich hier nur eines von vielen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13779
Christina SchenkIch komme zum Schluß. Hier wird ein Weg beschritten, der eine reale Bedrohung für die Demokratie in diesem Land repräsentiert. Die Opfer der wirtschafts- und finanzpolitischen Krise werden zu den vermeintlichen Verursachern erklärt. Der Aufbau von täglich neuen Feindbildern soll die Wählerinnen und Wähler vom katastrophalen Versagen der Bundesregierung ablenken. Gewalttätige Übergriffe auf Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen sind keine zufälligen Erscheinungen. Wer sich zum Protagonisten einer unerbitterlichen Leistungsideologie macht, nach der Erwerbslose für ihre Arbeitslosigkeit auch noch mit Leistungskürzungen bestraft werden sollten, der befördert aktiv die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung.Wenn die SPD diese Entwicklung nicht konsequent verhindert, braucht sie bei der nächsten Wahl tatsächlich nicht mehr anzutreten.
Das Wort hat der Kollege Gunnar Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Nach über sechs Stunden Debatte ist es, glaube ich, an der Zeit, daß man ein erstes Resümee zieht.Minister Waigel hat heute morgen sehr eindrucksvoll dargestellt, welche Notwendigkeit zum Sparen besteht. Die SPD antwortet darauf, indem sie einen Katalog vorlegt mit zehn Punkten, in dem vieles Wünschenswerte, aber eben nicht Finanzierbare gefordert wird. Wer wollte nicht mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Wohnungsbau, mehr für die Sozialhilfe ausgeben?Aber die SPD erkennt nicht die Zeichen der Zeit. Die Devise heißt nicht mehr, mehr, mehr, sondern die Devise muß heißen sparen, sparen, sparen. Dabei sollte Theo Waigel unsere volle Unterstützung erfahren.
Ein zweites Resümee möchte ich ziehen. Die SPD ist nicht bereit, den deutschen Unternehmen Unterstützung zu geben hinsichtlich niedrigerer Steuern, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Unternehmen ihre Arbeitsplatzzahlen in Deutschland nicht halten können.Die SPD ist in diesem Punkt Gefangene der von ihr selbst entfachten Neiddiskussion. Ich hoffe sehr, daß sich die SPD-Länder im Bundesrat in dieser Frage verantwortungsvoller verhalten und dem Standortsicherungsgesetz zustimmen werden.Einen dritten Punkt möchte ich vorwegstellen. Wir alle machen uns Sorgen um den Standort Deutschland. Dieses darf aber nicht dazu führen — so wie es in der polemischen Rede von unserem Kollegen Dreßler geschehen ist —, daß der Standort Deutschland noch weiter heruntergeredet wird, als es durch die tatsächlich schwierige Lage gerechtfertigt wäre. Deswegenmöchte ich die positiven Standortfaktoren von Deutschland auch einmal in dieser Debatte nennen.Deutschland ist noch ein Standort mit topqualifizierten Facharbeitern. Deutschland ist ein Standort mit einer Industrieausstattung auf höchstem technologischen Niveau.
Deutschland verfügt über leistungsbereite Unternehmer. Deutschland verfügt über eine zuverlässige Verwaltung. In Deutschland herrschen stabile politische Verhältnisse. All dies ist bei der Frage zu berücksichtigen, wo man sich als Unternehmen ansiedelt.
Deswegen: Deutschland ist heute noch ein guter Industriestandort. Aber je höher das wirtschaftliche Niveau einer Volkswirtschaft ist, desto schwerer ist dieses Niveau zu sichern.
Deswegen müssen wir mit dem Standortsicherungsgesetz hierfür einen wichtigen Schritt nach vorne gehen.
Das Standortsicherungsgesetz könnte auch einen anderen Namen tragen, nämlich Arbeitsplatzförderungsgesetz. Ziel dieses Gesetzes ist es, die internationalen Wettbewerbsbedingungen der deutschen Unternehmen zu verbessern. Damit reiht sich dieses Gesetz ein in eine lange Reihe anderer Maßnahmen, wie z. B. dem Steueränderungsgesetz 1992, mit denen wir in den vergangenen Jahren die kostenmäßige Benachteiligung deutscher Unternehmen zwar nicht beseitigen, aber doch verringern konnten; denn der Zusammenhang ist einfach: Wenn deutsche Industriebetriebe wegen zu hoher Preise nicht mehr ins Ausland verkaufen können, können sie ihre Arbeitskräfte in Deutschland nicht halten. Deswegen kann man mit Recht das Standortsicherungsgesetz auch Arbeitsplatzförderungsgesetz nennen.Es ist mir absolut unverständlich, wie eine Partei, die sich besonders den Arbeitnehmern verbunden fühlt, diesem Gesetz seine Zustimmung versagen kann. Ich baue auf die bessere Einsicht der SPD- Länder im Bundesrat.Das Standortsicherungsgesetz könnte man auch Aufbauförderungsgesetz für Ostdeutschland nennen; denn mit dieser Vorlage werden wesentliche Investitionsvergünstigungen für die neuen Bundesländer verlängert. Als wichtigste Punkte sind zu nennen: Die Sonderabschreibungen für gewerbliche Investitionen werden um zwei Jahre verlängert, und die ertragsunabhängigen Steuern werden für ein weiteres Jahr bis 1995 nicht erhoben.Als zu Beginn der Legislaturperiode die Fördermaßnahmen für Ostdeutschland festgelegt wurden, gin-
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Gunnar Uldallgen wir von einer sehr viel zügigeren Entwicklung im Osten Deutschlands aus.
Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Wir müssen deswegen konsequenterweise eine Verlängerung der Maßnahmen herbeiführen, die sich in der Zwischenzeit erprobt und als geeignet herausgestellt haben.Es ist unbegreiflich, daß die Sozialdemokraten diesem Aufbauförderungsgesetz für Ostdeutschland nicht zustimmen wollen. Ich baue darauf, daß die SPD- Vertreter aus den neuen Bundesländern, Herr Kollege Kühbacher, im Bundesrat für dieses Gesetz stimmen werden.Angesichts der gewaltigen Haushaltsprobleme kann eine steuerliche Nettoentlastung der Unternehmen bedauerlicherweise nicht erfolgen. Dieses Gesetz — darauf weise ich mit Nachdruck hin — ist aufkommensneutral. Strukturelle Änderungen — niedrigere Steuersätze bei der Körperschaftsteuer und bei der Einkommensteuer auf der einen Seite sowie verringerte Abschreibungsmöglichkeiten auf der anderen Seite — werden die Betriebe aber auf lange Sicht besserstellen.Die Behauptung — die auch in der Rede des Kollegen Poß wiederholt wurde —, daß durch die geringeren Abschreibungsmöglichkeiten Investitionen unterblieben, mag in vereinzelten Fällen zutreffen, aber nicht bei der Mehrzahl der Unternehmen. Abschreibungen verschieben nur Steuerzahlungen; sie stellen nur eine Steuerstundung dar.
Das Standortsicherungsgesetz ersetzt die Steuerstundung durch eine endgültige Steuersenkung. Es ist doch völlig klar, was für die Unternehmen die bessere Lösung ist. Alle Kenner der Investitionsentscheidungswege in den Unternehmen bestätigen, daß die Investitionsentscheidungen nicht auf Grund von Abschreibungsmöglichkeiten, sondern auf Grund der endgültigen Besteuerung getroffen werden.
Dieses Gesetz führt zu einem gespaltenen Satz bei der Einkommensteuer. Gewerbliche Einkommen werden mit 44 % besteuert, andere Einkommen mit 53 %. Diese Aufspaltung hat nicht nur positive Aspekte; aber bei der heutigen Anspannung der öffentlichen Finanzen war eben für eine generelle Absenkung der Einkommensteuersätze kein Spielraum. Deswegen erfolgt eine Entlastung nur bei einem Teil der Einkommensteuerzahler, und zwar bei denen, die zusätzlich zur Einkommensteuer auch Gewerbesteuer zu zahlen haben. Diese Entlastung erfolgt ziemlich genau in der Höhe, in der diese Gewerbesteuer zu entrichten ist.Damit sage ich aber auch: Die fällige Reform der Gewerbesteuer wird durch dieses Gesetz nicht überflüssig; diese Reform bleibt weiter auf der Tagesordnung.
Ich möchte zur Einkommensteuer auch ganz klar festhalten: Langfristig muß unser Ziel sein, die Einkommensteuer generell zu senken. Dies mag zu einer Zeit, in der laufend über Steuererhöhungen geredet wird, zunächst wenig verständlich klingen. Aber wir kommen um eine Absenkung der Einkommensteuer langfristig nicht herum. Bei hoher Steuerlast verlagern zunächst die Unternehmen ihre Produktion ins Ausland. Das können wir schon jeden Tag in der Zeitung lesen. Als nächstes werden wohlhabende Bundesbürger folgen und in solche Länder ziehen, in denen die Steuerbelastung niedriger ist. Das prominenteste Beispiel ist Boris Becker. Sodann werden Standortunabhängige, z. B. Erfinder, aus Deutschland wegziehen. Sie werden ihre Patente z. B. vom Ausland her anmelden, ihre Gebühren im Ausland in Empfang nehmen und dort im Ausland auch die Steuern zahlen.
Schließlich wird bei einer zu hohen Besteuerung der Leistungswille nachlassen. Bereits heute wird immer häufiger die Frage gestellt, warum man eigentlich mehr arbeiten soll, wenn das zusätzliche Einkommen zum größten Teil an den Fiskus abzuführen ist.An diesen Beispielen sieht man: Wenn die Steuerschraube überdreht wird, erhält man nicht höhere Staatseinnahmen, sondern niedrigere Staatseinnahmen.Wie positiv angemessene Steuersätze wirken können, zeigten die 80er Jahre. Damals erhielt die Wirtschaft durch sinkende Steuersätze so viele neue Impulse, daß trotz der Steuerreformen 1986, 1988 und 1990 das Steueraufkommen gestiegen ist. Auch das Standortsicherungsgesetz wird positive Anstöße für die Unternehmen und so einen wichtigen Beitrag zur Erholung aus dem konjunkturellen und strukturellen Tief bringen.
Nicht alle Maßnahmen — so möchte ich abschließend sagen —, die notwendig sind, um den Standort Deutschland zu sichern, konnten in dieses Gesetz aufgenommen werden. Aber mit dem Standortsicherungsgesetz verbessert die Bundesregierung trotz begrenzter Finanzen wichtige Rahmenbedingungen für Unternehmen und Arbeitsplätze.
Jetzt sind auch die anderen Teilnehmer am Wirtschaftsgeschehen, Unternehmer, Arbeitnehmer und der Staat, gefordert, die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft zu sichern.
Herr Kollege Uldall, Sie sind weit über Ihre Zeit hinaus.
Einen Satz noch.Wenn wir das bei unseren Entscheidungen im Auge behalten, dann bin ich sicher, daß Deutschland auch in Zukunft ein sicherer Standort für Industriebetriebe
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Gunnar Uldallsein und sichere Arbeitsplätze auf Dauer bieten wird.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir so ein ausgetüfteltes Zeitsystem nach Minuten haben, dann bitte ich doch die Kollegen, sich, wenn das rote Licht aufleuchtet, auf einen Satz zu beschränken und nicht noch einen apotheotischen Schlußabsatz nach der Aufforderung des Präsidenten zu bringen.
Ich erteile als nächstem unserem Kollegen Michael Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es völlig berechtigt, auch über die Zukunft des Standortes Bundesrepublik zu reden, denn die Debatte, die wir führen, betrifft nicht nur einige finanzpolitische Fragen, sondern auch Weichenstellungen für die Zukunft. Wenn wir die Debatte so anlegen, ist es entscheidend, daß wir uns zu Beginn über die Einschätzung der Lage und über die Ursachen der Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, klar werden.Ich will dazu drei Thesen aufstellen. Die erste These ist, .daß die gegenwärtigen gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht vorübergehend sind, sondern sehr tiefe Ursachen haben, die sich über lange Zeit aufgestaut haben.Zweiter entscheidender Punkt: Aus meiner Sicht sind wir in einer politischen Situation, die man vielleicht mit dem Begriff der Zeitenwende charakterisieren kann. Dabei meine ich nicht nur den Zusammenbruch Osteuropas. Es wäre gefährlich, die neuen Problemstellungen auf den Zusammenbruch Osteuropas zu verkürzen. Aus meiner Sicht werden heute genau die Probleme deutlich, über die wir seit 20 Jahren eher theoretisch diskutieren, nämlich die ökologischen, die sozialen und die ökonomischen Grenzen des bisherigen Wachstumsmodells. Dies ist ein Punkt, der bisher viel zu wenig beachtet wird.
Drittens stelle ich die These auf, daß die Bundesrepublik vor der größten Bewährungsprobe der Nachkriegszeit steht, weil wir nämlich ein zeitliches Zusammentreffen von mehreren gewaltigen Herausforderungen haben, wobei uns jede schon fast zu überfordern droht.Ich meine erstens die tiefe konjunkturelle Rezession. Hierbei sind insbesondere die strukturellen Probleme der Massenproduktion entscheidend. Ich meine zum zweiten die großen weltwirtschaftlichen Strukturanpassungen, die erhebliche regionale und beschäftigungspolitische Folgen haben. Ich meine drittens die Gefahr einer neuen Fremdheit zwischen Ost und West, weil wir mit den bisherigen Konzepten die entscheidende nationale Aufgabe, nämlich die deutsche Einheit, nicht verwirklichen können. Viertens . Wir erleben unverändert eine anhaltende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, und zwar sogar mit einer trotz der intensiven Beschäftigung mit den Problemen zunehmenden Geschwindigkeit.Das Entscheidende bei den aufgezeigten vier Problemen ist, daß es sich dabei nicht um isolierte Einzelfragen handelt. Vielmehr sind diese vier Fragen durch unsere Art zu wirtschaften und zu konsumieren, durch unsere Form der Entwicklung der Gesellschaft eng miteinander verzahnt. Aus meiner Sicht haben wir die Ursachen der Probleme bisher zuwenig analysiert, um wirklich zu richtigen Antworten zu kommen. Dies ist der entscheidende Vorwurf. Hier haben wir als Bundestag insgesamt ein Defizit.
Diese wird — Kollege Rudolf Dreßler hat das ausführlich ausgeführt — durch eine falsche Politik natürlich verschärft, und zwar eine falsche Politik, die weniger in der Wahl ihrer Instrumente falsch sein mag als in ihrem Grundansatz. Ich greife das Stichwort von Herrn Dreßler auf: die Zerstörung von Gemeinsinn und Gemeinschaftlichkeit. Hier liegt eine entscheidende Ursache für die heutigen Probleme, weil der Großteil der Probleme in der Tat nur mit mehr Gemeinsinn und mit mehr gemeinschaftlicher Verantwortung zu lösen ist. Das gilt nicht nur für die deutsche Einheit, das gilt beispielsweise auch für die Ökologie.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wer glaubt, die ökologischen Probleme mit einer Politik der Deregulierung und Privatisierung lösen zu können, der begreift eines nicht: daß die Lösung gerade der ökologischen Probleme mehr Solidarität verlangt. Mehr Solidarität ist auch hier — nicht nur in der sozialen Frage — ein Schlüssel.
Meine Damen und Herren, die Folgen der strukturellen Probleme, die sich aufgestaut haben, zeigen sich vor allem in zwei Punkten, über die wir heute diskutieren, nämlich die höchste Arbeitslosigkeit und die höchste Staatsverschuldung seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus meiner Sicht muß man in dieser Schlüsselsituation sowohl die erste Aufgabe, über die wir heute schwerpunktmäßig diskutieren, lösen, nämlich zum einen die Verhinderung eines Staatsbankrotts und zum anderen die Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Länder. Zweitens müssen wir auch etwas tun, über das wir hier viel zuwenig diskutieren, nämlich entwickeln, welche Perspektiven wir zur Lösung der strukturellen Probleme überhaupt haben. Was wir machen, ist Krisenmanagement, aber nicht die Lösung der Ursachen dieser Problemstellungen, die sich über Jahrzehnte aufgestaut haben.
Hier hat der Bundestag ein zentrales Defizit. Ich komme deshalb zu folgenden Thesen:Erstens. Mit den klassischen Wachstumskonzepten sind die vor uns liegenden Probleme nicht zu lösen. Im Gegenteil, die zwei zentralen Grundprobleme, die wir
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13782 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Michael Müller
heute überall in der Welt sehen, nämlich Zunahme von Ungleichheit und Naturzerstörung, sind ursächlich mit diesem Wachstumsmodell verbunden.
Sie mögen dauernd behaupten, dies sei nur eine Analyse. Ich glaube aber, wir wären froh, wenn wir uns alle schon auf diese Analyse geeinigt hätten. Von da aus könnte man vielleicht zu anderen Schlußfolgerungen kommen.Zweitens. Ich habe eben schon einmal angesprochen, daß die Ideologie der Privatisierung und Deregulierung die Probleme nicht lösen kann. Ich will Ihnen hier sehr deutlich sagen, welche Konsequenzen beispielsweise die USA aus der Politik der achtziger Jahre gezogen haben. Einer der zentralen Punkte in der amerikanischen Debatte heißt: Die Amerikaner haben sich getäuscht, wenn sie glaubten, sie könnten die Gesellschaft und die Demokratie dadurch stärken, daß sie den Staat schwächen. Ich finde, das ist eine richtige und bedenkenswerte These. Damit sage ich nicht, daß die bisherigen Regelungsmechanismen richtig sind. Aber ihre Abschaffung ist genauso falsch. Das heißt, es muß darüber nachgedacht werden, wie moderne Regulierungsmechanismen aussehen müssen. Auch da hat der Bundestag bislang ein erhebliches Defizit, wie sich insbesondere bei den Problemen der deutschen Einheit, aber auch bei der ökologischen Problematik zeigt.
Aus diesen beiden Thesen ergibt sich für mich die entscheidende Schlußfolgerung, daß wir — neben der Frage des FKP — darüber nachdenken müssen: Wo sind die Weichenstellungen für Innovationen und Modernisierungen in unserer Gesellschaft?
— Völlig klar. Herr Kollege Feige, wir können uns trotzdem nicht vor der Wirklichkeit drücken. Wir haben harte Finanzierungsprobleme und können nicht so tun, als seien sie nicht da. Insofern muß verantwortliche Politik natürlich — nur dann ist sie glaubwürdig — die Balance schaffen, auf der einen Seite mit den aktuellen Problemen einigermaßen sozialverträglich umzugehen und auf der anderen Seite auch den zweiten Schritt zu einem Reformansatz in der Gesellschaft im Sinne von Innovation und Modernisierung zu tun.Ich glaube, daß der entscheidende Punkt zur Überwindung der ökonomischen Stagnation und der finanzpolitischen Flickschusterei darin liegt, eine ökologische Innovationspolitik zu betreiben.
Der Kollege Krause, der das vorhin angesprochen hat, ist ja leider nicht mehr im Saale. Eine ökologische Innovationspolitik hat nichts mit klassischer Umweltschutzpolitik zu tun,
die nach wie vor durch ihren Ansatz, am Ende von Prozessen politische Regelungen vorzunehmen, natürlich in einem immer krasseren Mißverhältnis zu dem organisatorischen Aufwand und auch den finanziellen Belastungen steht. Eine ökologische Innovationspolitik zu betreiben heißt, von vornherein die Weichen so zu stellen, daß die Schäden an der Umwelt so gering wie möglich sind, nämlich durch Modernisierung, durch Energieeinsparung, durch Abfallminimierung, durch Chemiepolitik etc.
— Ich weiß, daß Sie das nicht verstehen. Sie sind mindestens 20 Jahre zurück; dafür kann ich nichts. Das ist leider so.
— Da haben Sie recht; es kann sein, daß es mehr sind.Das ist zur Zeit die aktuelle Diskussion, die überall geführt wird, nämlich darüber nachzudenken: Wie schaffen wir die Weichenstellung in Richtung auf ein solches ökologisches Innovationsprogramm? Sie sagen, Sie würden das nicht verstehen.
— Ja, das ist schon in Ordnung. Ich würde Ihnen einmal empfehlen, sich beispielsweise einen Teil der ökonomischen Erfolge Japans in den letzten Jahren anzusehen. Sie sind in hohem Maße über eine stetige Steigerung der Material- und Energieproduktivität erreicht worden. Dies ist in der Tat ein wichtiger Faktor für Innovationen, der zugleich zweierlei erreicht, nämlich erstens wirtschaftliche Leistungskraft zu verbessern— und damit auch Arbeitsplätze zu schaffen — und zweitens die Umwelt zu entlasten.
Ein ökologisches Innovationsprogramm, das das Bündnis zwischen Arbeit und Umwelt sucht, ist von entscheidender Bedeutung. Wenn Sie von Autobahnen reden, sollten Sie sich auch einmal Japan anschauen. Dort ist nämlich die Transportleistung für die Erzeugung eines Gutes ungleich geringer als bei uns. Man sollte vielleicht einmal über intelligentere Lösungen nachdenken, statt immer in Wachstumskategorien zu verharren.
Wenn die Ausgangssituation ist, daß wir einen Strukturwandel in Richtung auf die Zukunftsmärkte brauchen, dann ist es eine unverzichtbare Aufgabe des Bundestages, auch über den zweiten Schritt zu reden: Wie sehen konkret jener ökologische Umbau, jene ökologische Modernisierung aus, die uns das Tor in jene Zukunftsmärkte öffnen? Unter diesem Gesichtspunkt sehe ich in diesem FKP keine allzu großen Impulse. Ganz im Gegenteil, hier wird zum Teil Umwelt gegen Ökonomie ausgespielt, und das ist ein fataler Ansatz. Oder es wird überhaupt nicht erwähnt, was noch schlimmer ist; aber insgesamt ist das im Kern die Grundposition in diesem FKP.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13783
Michael Müller
Wenn Sie wirklich wollen, daß wir in der Bundesrepublik eine zukunftsorientierte Debatte führen, dann müssen wir aus meiner Sicht versuchen, gerade in Krisen auch Chancen zu suchen. Ein Teil der Krise, in der die Bundesrepublik sich befindet, liegt im Ausbleiben von Innovation und Modernisierung. Das ist ein entscheidender Faktor. Deshalb plädiere ich in der Tat auch für die Integration unserer Gesellschaft.Wir haben ja eine dramatische Tendenz der Entsolidarisierung und der wechselseitigen, letztlich zur Politikunfähigkeit führenden Polarisierung in der Gesellschaft.
Wir müssen über eine Zukunftsorientierung versuchen, den Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Wir müssen einen reformpolitischen Ansatz schaffen, damit nicht immer mehr auseinanderbricht, damit die Gesellschaft nicht in eine Spirale des Niedergangs kommt, sondern sich sehr ehrgeizige, nach vorn orientierte Ziele stellt. Dabei hat allerdings jeder von uns mit Einschnitten zu rechnen. Ich will da überhaupt keine Abstriche machen. Was wir zu leisten haben, wird für jeden eine ganze Menge an Herausforderungen und auch an Verzicht bedeuten. Aber damit wird wenigstens eine Perspektive ermöglicht, die den Menschen Hoffnung macht. Das ist das Wichtigste, was wir im Augenblick brauchen: die Hoffnung auf ein besseres Morgen.
Meine Damen und Herren, wenn wir in der Lage sind, den zweiten Schritt zu tun, der wirklich Solidarität zwischen Arbeit und Umwelt eröffnet, Solidarität mit den zukünftigen Generationen, erst dann dürfen wir den Begriff des Solidarpaktes in den Mund nehmen.
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schulhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland befindet sich in einer sehr liefen Rezession. Das haben wir in vielen Beiträgen, auch in dem von Herrn Müller, gehört. Die vorliegenden Zahlen, Daten und Wirtschaftsfakten sprechen eine eindeutige Sprache. Die Situation ist ernst. Täglich erschüttern uns neue Hiobsbotschaften aus Betrieben, die ihre Produktion entweder ganz oder teilweise zurückfahren müssen oder auf Grund des Kostendrucks gezwungen sind, Tätigkeiten ins Ausland zu verlagern. So fertigt Audi z. B. seine Motoren heute schon in Ungarn.Es ist an der Zeit — da gebe ich Graf Lambsdorff, aber auch Herrn Müller recht —, eine nüchterne Analyse unserer Wirtschaft vorzunehmen.
— Warten Sie, Herr Schily, ich komme gleich dazu; warten Sie mit Ihrem Lob noch.Die konjunkturellen und die strukturellen Verwerfungen in unserem Land haben viele Ursachen. Sie haben sich sehr lange schon verfestigt; da hat Herr Müller recht. Nur, Herr Müller, es hilft uns einfach nicht, wenn wir nur soziologische Begriffe aneinanderreihen. Wenn von „ökologischer Innovation" oder vom „Hoffen auf ein besseres Morgen" die Rede ist, sagt doch jeder ja. Aber Sie bleiben dort hängen, wo es konkret wird
und wo Sie sagen müssen, was im einzelnen getan wird.
Das ist doch das Modell der Sozialisten, die immer im Utopischen hängenbleiben; und wenn es konkret wird, lehnt man sich einfach zurück und sagt banal, wir seien 20 Jahre hinter der Zeit zurück.
So kommen wir nicht weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, fatal wäre es darin gebe ich vielen Vorrednern recht —, nur die Wiedervereinigung mit ihrem unbestreitbar hohen Finanzbedarf, den Zusammenbruch der wesentlichen Ostmärkte oder andere weltwirtschaftliche Kriterien allein verantwortlich zu machen. Sicher, es gibt exogene Faktoren. Aber wesentlich für mich sind die endogenen, also die hausgemachten, unter denen der Wirtschaftsstandort Deutschland schon lange leidet. Es gibt ganz konkrete Punkte, an denen wir auch in diesem Parlament ansetzen können. Die Abwärtsentwicklung wäre nämlich schon zwei Jahre früher eingetreten, wenn sie nicht, bedingt durch den Konsumschub der Wiedervereinigung, gebremst worden wäre.Ich will nicht abwiegeln und die Schuld bei anderen suchen. Verantwortlich für die jetzige Situation ist zum Teil die Politik,
sind gleichzeitig aber auch die Tarifparteien und das Management der Betriebe. Dazu kommen viele unnötige bürokratische Belastungen, die den Produktionsstandort Bundesrepublik für präsumtive Anleger einfach unattraktiv machen.Während bei uns über einen Produktionsstandort noch diskutiert wird, produziert das Werk schon in anderen Ländern und erwirtschaftet Gewinn. Wir wissen, wohin die internationalen Investitionsströme in den letzten beiden Jahren geflossen sind, leider nur zu einem geringen Teil in die Bundesrepublik Deutschland. Der Finanzminister hat heute vormittag darauf hingewiesen. Die Zahlen, die hier vorliegen, sind erdrückend.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiterer Punkt: Die Arbeit in unserem Land ist zu teuer geworden. Hier sind nicht die Politiker, sondern in erster Linie die Tarifparteien verantwortlich.
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13784 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Wolfgang SchulhoffWenn ich die Höhe der Löhne kritisiere, so meine ich nicht die Nettolöhne, die teilweise sehr gering sind. Wenn ich sehe, mit welchem Einkommen mancher Familienvater nach Hause kommt, so ist festzustellen, daß wir uns im Mittelfeld unserer anderen Wettbewerber auf den Industriemärkten befinden. Mir geht es vielmehr um die Bruttolohnkosten, bei denen wir eine Spitzenstellung in der Welt einnehmen. Diese Spanne, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist unerträglich.Kurzum, die Lohnnebenkosten sind uns zu hoch. In den letzten Jahren sind die direkten Löhne um 195 %, die gesetzlichen Lohnnebenkosten um 305 % und die tariflichen um 400 % gestiegen. Im industriellen Bereich sind die tariflichen Lohnnebenkosten heute höher als die gesetzlichen. Beim Handwerk ist es zum Glück noch anders. Vielleicht geht es diesen Betrieben deshalb teilweise besser; ich bin sogar davon überzeugt, daß es dem Handwerk gerade deshalb besser geht.Mancher Arbeitnehmer in unserem Land würde sich heute besserstehen, wenn er nicht den Lohn, sondern die Lohnnebenkosten ausgezahlt bekäme.
Herr Kollege Schulhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horst Jaunich?
Ja, wenn sie nicht angerechnet wird.
Natürlich nicht.
Herr Kollege, habe ich die Entwicklung der letzten 10 Jahre verschlafen,
oder tragen Sie hier seit über 10 Jahren die politische Verantwortung?
Ich weiß nicht, wo Sie gewesen sind. Wahrscheinlich haben Sie die 10 Jahre verschlafen, denn sonst müßten Sie mir hier in jedem Punkt recht geben.
Sie haben noch eine Frage? - Bitte.
Meine Frage war, Herr Kollege, ob Sie seit über 10 Jahren die politische Verantwortung tragen.
Ich habe Ihnen eben gesagt, daß viele Faktoren zusammenkommen. Natürlich haben wir die Verantwortung getragen. Ich habe in meiner Rede — wenn Sie zugehört haben — die Schuld auf viele Bereiche aufgeschlüsselt. Ich bin nicht blauäugig und sehe nicht den Schuldigen nur irgendwo anders. Viele haben geschlafen, da gebe ich Ihnen recht — nicht nur Sie, vielleicht auch wir ein bißchen.
Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren. Mancher Arbeitnehmer in unserem Land muß vier bis fünf oder fünf bis sechs Stunden — je nach Einkommen — arbeiten, um die Stunde eines Handwerkers bezahlen zu können. Es gibt in unserem Land genug Arbeit, das muß man sagen. Allerdings ist sie teilweise nicht mehr zu bezahlen. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist dann leider oft nur der Weg in die Schwarzarbeit — und das ist ein ganz großer Markt. Auch Herr Engholm hat da seine Gedanken angeknüpft, aber leider ist er nicht weitergekommen. Die Befürchtung, daß der Industriegesellschaft die Arbeit ausginge, ist nur dann begründet, wenn man hier nicht intensiv gegensteuert.Lassen Sie uns zu einem weiteren Aspekt kommen, der dazu beiträgt, die Investitionsströme wieder verstärkt in die Bundesrepublik zu lenken. Gerade das jetzt zur Beratung anstehende Standortsicherungsgesetz geht auf diese Problematik ein. Wir haben das eben gehört.
Wir senken die Körperschaftsteuersätze von 50 auf 44 % und die Einkommensteuersätze auch auf 44 %.Machen wir uns nichts vor: Mit diesen Sätzen liegen wir noch immer höher als viele unserer Wettbewerber auf den Weltmärkten. Wir dürfen nicht verkennen — —
— Hören Sie doch bitte einmal zu, oder melden Sie sich zu Wort. Ich bin gern bereit, Ihre Fragen zu beantworten, aber das undefinierbare Gemurmel kann ich nicht beantworten, so höflich ich hier auch sein mag.
Ich darf wiederholen: Wir verkennen nämlich, daß zur Körperschaft- und zur Einkommensteuer die Gewerbesteuer hinzukommt, eine Steuerart, die unseren Konkurrenten ganz unbekannt ist.Ich gebe zu, daß die Aufkommensneutralität — denn wir kompensieren die Steuersenkung durch Abschreibungsverkürzungen — an sich nicht in das Konzept einer nachhaltigen Entlastung der Betriebe paßt. Wir kennen ja die finanziellen Zwänge, lieber Herr Poß. Auch in der Anhörung haben ja alle Kritiker nicht die Senkung moniert, sondern die Kompensation.
Jedoch ist die Signalwirkung einer Steuersenkung von entscheidender Bedeutung für Unternehmer und Kapitalanleger.Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese Entlastung den Betrieben und nicht den einzelnen Gesellschaftern zugute kommt. Deshalb erscheint mir die Polemik in diesem Zusammenhang als besonders billig und kontraproduktiv.
Wer Investoren so vergrault, darf nicht mehr mit deren Investitionen rechnen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13785
Wolfgang Schulhoff— Sie wollten mich gerade fragen, ob ich die Zwischenfrage zulasse? Gern!
Bitte, Herr Kollege Weiermann.
Herr Kollege, darf ich Sie daran erinnern, daß in den letzten zehn Jahren die Unternehmensgewinne real um 111 % gestiegen sind,
während im gleichen Zeitraum die Zuwächse bei den Arbeitnehmern real lediglich bei 11 % lagen, und können Sie dann sagen, daß es dieser Wirtschaft schlechtgeht?
Das ist ja völlig unterschiedlich.
— Ich weiß nicht, warum sonst Betriebe pleite gehen. Die gehen doch nicht pleite, weil sie Vergnügen daran haben. Die Situation in unserer Wirtschaft ist völlig unterschiedlich. Wir müssen an das Gros der Betriebe denken, und wir müssen auch sehen, wie die Eigenkapitalquote unserer Betriebe ist. Die Eigenkapitalquote unserer Betriebe ist geringer als die unserer Konkurrenten auf dem Weltmarkt.
Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Gedanken kommen, meine Damen und Herren, der mich seit geraumer Zeit bewegt und auch mit der Standortsicherung wesentlich zu tun hat. Als das deutsche Vorzeigeunternehmen Nixdorf ins Wanken geriet, dachte man, es handele sich dabei um ein singuläres Ereignis; aber im Gegenteil: Es war nur der Anfang einer verhängnisvollen Entwicklung. Das paßt in den Kontext dessen, was ich eben sagte.
Es sind nicht nur die hohen Steuersätze und die horrenden Lohnnebenkosten, die der deutschen Wirtschaft zu schaffen machen; hinzu kommen Defizite an innovativem Denken in den Chefetagen. Viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit verschlafen und ihren ausländischen Konkurrenten in zunehmendem Maße die Märkte überlassen.
— Ich bin ja froh darüber, daß Sie mir einmal recht geben, Herr Kollege. Ich habe das bewußt am Ende gebracht, denn man muß ja immer einen Höhepunkt in der Rede haben.
Dies hat also, um es noch einmal deutlich zu sagen, nicht nur etwas mit Billiglöhnen zu tun, sondern auch damit, daß die anderen fleißiger, flexibler, innovativer und marktgerechter produzieren. Solche Unterlassungen in deutschen Betrieben muß dann oft der Steuerzahler ausgleichen, insbesondere in den Betrieben, die so groß sind, daß man glaubt, die Verluste sozialisieren zu müssen. Die kleinen sterben ja meistens sehr geräuschlos. Auf jeden Fall zahlt der Arbeitnehmer die Zeche, wenn nicht mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, dann mit höheren Steuern.
Wenn Mercedes jetzt einen Umsatzrückgang von 20 % beklagt, dann ist das auch ein Resultat einer verfehlten Modellpolitik,
einer Politik am Markt vorbei. Dies haben die Herren Vorstände zu verantworten. Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Anzahl unserer Staatssekretäre und Minister ist auch nicht so groß, um die Produktion der 5-Klasse völlig aufzunehmen.
Es geht mir — auch bei Respektierung des Grundkonsenses in der Energiepolitik — auch nicht in den Kopf, daß es unbedingt notwendig ist, jeden Arbeitsplatz im Steinkohlenbergbau mit 100 000 DM zu subventionieren, wobei fast noch einmal der gleiche Betrag für die Altersversorgung hinzukommt. Diese Betriebe können dem lieben Gott danken, daß sie nicht im Einflußbereich der Treuhand arbeiten.
Aber mit diesem tröstenden Gedanken können wir uns auf Dauer nicht abfinden. Wo bleibt hier das Korrektiv des Marktes?
Ich sage das ausdrücklich auch als Unternehmer, der die Härte des Marktes kennt. Der Bundeskanzler hat mit seiner Aussage völlig recht: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, sind es tolle Manager; geht es der Wirtschaft schlecht, ist die Politik schuld. — Diese Aufgabenstellung kann ich nicht nachvollziehen. Der Staat und seine Sozialkassen dürfen nicht länger Korrekturinstanz für unternehmerisches Fehlverhalten sein.
Das Anforderungsprofil an die deutsche Wirtschaft wird sich verschärfen müssen. Auf Dauer können nicht die mittelständischen Betriebe die Gesamtlast tragen.
Ich komme zum Schluß: Es gibt viele Ansatzpunkte, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Krise zu meistern.
Herr Kollege Schulhoff — —
Man muß nur realistisch und frei von Ideologie die Ursachen erkennen und auch die Interdependenzen zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sowie — da gebe ich Herrn Müller recht — Ökologie berücksichtigen. Herr Stoltenberg hat darauf hingewiesen. Wenn wir das erkennen, dann ist das Standortsicherungsgesetz der richtige Weg in die richtige Richtung. Aber es müssen — —
Nein, das ist jetzt die falsche Richtung, Herr Kollege Schulhoff. Ihre Redezeit ist um.
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13786 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Vizepräsident Hans KleinDie Fraktionen machen Zeiten miteinander aus; sie melden Zeiten für die Kollegen an. Ich bitte Sie herzlich, zu beachten, daß bei Aufleuchten des roten Lichts die Redezeit vorbei ist. Dann kann man nicht mehr mit einer neuen Seite des Manuskripts anfangen.
— Sie haben über eine Minute überzogen, Herr Schulhoff. — Ich mache das ja nicht zum Spaß. Die nächsten Kollegen müssen es büßen; sie bekommen kürzere Redezeiten.Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie werden den Hauch von Individualismus in einer kollektivistischen Zeit, in der man nur etwas wert ist, wenn man in einer Fraktion ist, vielleicht noch ertragen können.
Verzeihung, Herr Lowack. Ich muß Sie einen Moment unterbrechen.
Meine verehrten Damen und Herren, ich sage das jetzt in den Saal, aber auch für die Kolleginnen und Kollegen, die an den Lautsprechern und an den Fernsehgeräten die Debatte mitverfolgen. Wir werden schätzungsweise gegen 16.30 Uhr oder ein paar Minuten später zu den namentlichen Abstimmungen kommen. Ich sage das, damit wir uns die Vorabstimmungsunruhe in der nächsten halben Stunde hier im Saal ersparen.
Bitte, fahren Sie fort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident, aber rechnen Sie dies bitte nicht auf meine Redezeit an.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute um eine Tour d'horizon dessen, was sich Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung nennt.Ich möchte mich kurz fassen: Da ist ein Standortsicherungsgesetz — schon den Namen sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen —, das leider keinerlei Verbesserungen bringt und vor allen Dingen dem Mittelstand, lieber Wolfgang, ganz entscheidend schadet, einem Mittelstand, der zunehmend heimatlos geworden ist und sich zu Recht von der Politik schwer betrogen fühlt. Dieses Gesetz können wir vergessen; ich lehne es ab.
Wir haben einen Nachtragshaushalt 1993, der eine glatte Unverschämtheit ist. Der Finanzminister entpuppt sich zunehmend als purer Zyniker, dem es immer wieder gelingt oder gelungen ist, andere zu täuschen. Was er hier vorlegt, grenzt allerdings an Sadismus.
Wir haben alle noch die Debatte im Dezember in den Ohren, als der Finanzminister, sich selber auf die Schultern klopfend, vorgetragen hat, daß die Verschuldung bei 38 Milliarden DM liege, und er hat alleWarnungen zur damaligen Zeit voller Empörung zurückgewiesen. Jetzt hat er sich einen neuen Trick einfallen lassen. Er hat gesagt: „Da schaut mal her, die Opposition glaubt, es gebe eine Neuverschuldung von 80 Milliarden DM. Das ist ja unerhört! Ich, der Finanzminister, werde es fertigbringen, sie auf 68 oder 69 Milliarden DM zu drücken." Das ist ein Erfolg der Finanzpolitik, wenn man vergessen macht, daß es vorher 38 Milliarden DM gewesen sein sollten — ein leuchtendes Beispiel für die Seriosität der deutschen Politik.
Die Politik ist zur Hauptgefahr für Wirtschaft und Staat geworden. Es gibt keinerlei Überblick in der Regierung, nur schädlichen Aktionismus, keine großen, wirklich notwendigen Reformen. Eine Steuerreform, die den Leistungswillen tatsächlich verbessert, ist ständig aufgeschoben worden und im Augenblick überhaupt nicht mehr aktuell.Es gibt allerdings sehr zynische Reaktionen der Politik — da muß ich Michael Glos einmal erwähnen —, die darin gipfeln, daß man die Menschen beschimpft, auf deren Kosten man diese Politik macht— das ist natürlich der einfachste Weg —, und die Politik damit aus der Verantwortung nimmt. Meinetwegen sollte der gute Michael Glos Logenmeister werden, aber er hat es eigentlich nicht nötig, ein Elogenmeister zugunsten dieser Finanzpolitik zu sein.
— Das ist nicht unfair, Wolfgang; ich kann die Tatsachen ja nur so wiedergeben, wie sie sind.Dort aber, wo die Rezession, das heißt die Talfahrt der deutschen Wirtschaft, eine hohe Inflation, eine hohe Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, eine hohe Verbrechensquote, die Verluste an Identität, Fehler im Zuge der Vereinigung eine Bilanz der Politik sind, kann man das nicht einfach auf die Menschen abschieben und sagen, sie seien daran schuld, und die Politik habe damit nichts zu tun.Schlechte Noten für Deutschland, Schlußlicht innerhalb der führenden Industrieländer, so neue OECD-Untersuchungen — ich beziehe mich auf den „ Welt"-Artikel vom 25. Mai —, all das spricht für sich.Wie ist die Antwort der Politik? — Ein FKP mit neuen Steuern, neuer Verschuldung, mit einer Aktion, die den Bund handlungsunfähig machen wird. Vielleicht resultiert daraus die Absicht des Finanzministers, des kleinen Moritz der deutschen Finanzpolitik, nach Bayern zu gehen, um sich dieser Verantwortung wieder zu entziehen. — Sie ist für die wirtschaftliche Entwicklung verheerend, sie ist leistungsfeindlich, eine Strafe für Investoren.Dort, wo gestrichen wird, nämlich beim Mittelstand mit der Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen oder bei den Familien, trifft es im Grunde genommen den Kern unserer zukünftigen Entwicklung.Wo müßte wirklich eingespart werden? — Sie könnten auch einmal durchleuchten, was in der Europäi-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13787
Ortwin Lowackschen Gemeinschaft passiert. Wir kontrollieren ja überhaupt nicht mehr die Ausgaben. Wir zahlen nur ein. Wir betrachten das als eine heilige Kuh.Oder ich nenne die Möglichkeit, den Umzug nach Berlin aufzuschieben, oder ich nenne die Bekämpfung der Verbrechen mit ihren unendlichen Schäden, oder ich nenne die Steuergerechtigkeit. Nicht Steuern anheben, wenn man doch vorher erst einmal das vollziehen kann, was bereits Gesetz ist.Oder: Abbau der Regierungsapparate. Gerade die Bundesländer, die mit dem FKP so hervorragend abschneiden, blähen ihre Regierungsapparate auf. Niemand ist da, kein Kassenwart der Nation, der endlich mal sagt, daß sich so etwas nicht gehört, daß das abgebaut werden muß.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gäbe hier noch vieles zu sagen. Ich will aber nur noch einen Aspekt besonders betonen, weil ich hierzu in der zweiten Lesung einen Änderungsantrag gestellt habe. Das ist das im FKPG vorgesehene Spektrum der Kürzungen bei der Familie.Im Laufe der Diskussion über dieses Gesetz sind einige geplante Maßnahmen dort zurückgenommen worden, wo der Widerstand starker gesellschaftlicher Gruppen erfolgreich war. Betroffen sind allerdings die Familien, hinter denen leider keine starke Gruppenmacht steht. Die Regierungsmehrheit hat auf eine Reihe vorgesehener Maßnahmen verzichtet, die von der Opposition oder von der Ländermehrheit abgelehnt wurden.Eine merkwürdige Einigkeit gab es aber letztlich bei den Eingriffen beim Erziehungsgeld zu Lasten junger Familien und Alleinerziehender. Kürzungen beim Erziehungsgeld sind künftig zum Teil sogar bei Familien und Alleinerziehenden zu befürchten, die bei mittlerem Einkommen eine hohe Belastung für den Faktor Wohnen zu tragen haben und am Rande der Sozialhilfe leben.Ich habe einen Änderungsantrag zum Erziehungsgeld eingebracht, der wenigstens grobe Ungerechtigkeiten vermeidet. Ich möchte damit vermeiden, daß wesentlich mehr Familien als heute infolge der Aktualisierung der Einkommensheranziehung ein gemindertes oder gar kein Erziehungsgeld erhalten. Mein Vorschlag vermeidet auch eine erneute Einkommensüberprüfung, wenn ein Kind das erste Lebensjahr vollendet hat. Der begrenzte Mehraufwand ist vermutlich in den Ansätzen für Kindergeld und Erziehungsgeld in der mehrjährigen Finanzplanung abgedeckt.Darüber hinaus weise ich darauf hin, daß erhebliche Leistungseinschränkungen beim Erziehungsgeld die Bereitschaft zu Kindern beeinträchtigen würden, daß außerdem bei Wegfall oder bei starker Reduzierung des Erziehungsgeldes viele Berechtigte gezwungen wären, Arbeitseinkommen zu erzielen. In beiden Fällen würden entweder Arbeitsmarktentlastungen entfallen oder andere Personen aus der Beschäftigung gedrängt, u. a. auch mit der Folge höheren öffentlichen Aufwands für den Unterhalt Arbeitsloser.Sollte sich eine Mehrheit für meinen Sachantrag nicht entscheiden oder sich nicht finden, scheint mirvorerst ein Verzicht auf eine Änderung hier geboten. Wir müssen das ja nicht mit dem FKP verabschieden; wir können hier noch einmal einsteigen und es für später überlegen. Aber es kann doch nicht wahr sein, daß Sie eine Politik betreiben, mit der die Familien geschädigt werden, die unsere Zukunft darstellen sollen. Ich darf auf die Begründung in meinem Antrag verweisen.Ich möchte jetzt gleich hieran anschließend noch eines klarstellen. In dem bisherigen Antrag ist eine kleine Korrektur erforderlich.Wenn es in meinem Antrag unter Abschnitt B bisher heißt „Für den Fall der Ablehnung des Änderungsantrages unter A" muß es in Abänderung dessen jetzt heißen: „In Abschnitt 1 wird Artikel 5 gestrichen bis auf die Regelung 1 b, die das Erziehungsgeld an die Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis bei Ausländern knüpft."Auf der Rückseite muß es in der zweitletzten Zeile bei der Begründung heißen, daß die Zahl der Kinder auch deshalb rückläufig ist, weil beim Erziehungsgeld Leistungskürzungen vorgenommen werden.Ich bitte Sie: Ringen Sie sich zu dieser wichtigen familienpolitischen Komponente und damit zu einer sinnvollen Zukunftsgestaltung durch!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was diese Bundesregierung in den ersten drei Jahren der wiedervereinigten Bundesrepublik angerichtet hat, ist ein wirtschafts- und sozialpolitischer Scherbenhaufen sondergleichen. 7 Millionen fehlende Arbeitsplätze, 3,5 Millionen offen ausgewiesene und 3,5 Millionen verdeckte Arbeitslose, völlig zerrüttete Staatsfinanzen, die hochpotente Wirtschaft im Westen in einer tiefen Anpassungskrise, eine perspektivlose Industriebrache im Osten — das ist fürwahr eine Versagensbilanz, wie es sie in der modernen Industriegeschichte noch nie gegeben hat.Diese allseitige Katastrophe ist selbstverschuldet. Es ist zwar richtig: Wir befinden uns in einer weltweiten zyklischen Wirtschaftskrise. Aber die wesentliche Ursache für die Misere am Arbeitsmarkt, für die leeren Staatskassen, auch für Produktionsrückgang im Westen und industriellen Kahlschlag im Osten, ist die Plan- und Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung. Ich habe mich gefreut, daß sich das inzwischen ein bißchen herumgesprochen hat. Es wird ja inzwischen an vielen Stellen hier im Haus gesehen.Sie, die Bundesregierung, und wir werden jetzt mit aller Wucht von den Versäumnissen dieser Bundesregierung in den letzten Jahren eingeholt. Diese Bundesregierung hat es veräumt, das Zusammenwachsen der maroden Ex-DDR-Wirtschaft im Osten mit der hochleistungsfähigen, modernen Wirtschaft im Westen geordnet und planmäßig auszugestalten. Ein solcher geordneter Prozeß mit entsprechenden industriepolitischen Rahmenvorgaben, mit Absprachen, mit Investitionsselbstverpflichtungen der Wirtschaft, mit Investitionsquoten, mit Investitionsumlagen, mit Infrastrukturkonzepten und anderem, hätte auch ver-
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13788 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Ulrich Briefshindert, daß die ehedem so starken Staatsfinanzen dieses Landes so gründlich zerrüttet wurden, wie es nunmehr der Fall ist.Marktradikale Beschwörungen der Selbstheilungskräfte des Marktes oder das Versprechen blühender Landschaften, die nur Nichtstun und Vorstellungslosigkeit verdecken, gehen sträflich an den Notwendigkeiten vorbei. Die finanzpolitische Flickschusterei nimmt kein Ende. Nach dem größten und planlosesten Ausverkauf von Land, Leuten und Wirtschaft, der je in der Geschichte stattgefunden hat, dem Ausverkauf des Ostens durch die Treuhand kommt noch mal ein Schuldenberg von derzeit 270 Milliarden DM hinzu. Wahrscheinlich wird es aber auch hier noch etwas mehr.Wie planlos da verscherbelt wurde und noch wird, dazu nur ein Beispiel: Da wird ein ehemaliger CDU- Ministerpräsident aus dem Westen in die Lage versetzt, mit einer müden Mark einen halben Landkreis in Thüringen zu erwerben.
Den Menschen im Osten dagegen werden, obwohl durch die Schuld dieser Bundesregierung die Mieten und Lebenshaltungskosten ebenfalls rapide steigen, Lohnverzichte zugemutet, und zwar mit dem Versuch des Bruchs von abgeschlossenen Tarifverträgen. Konstant und prägnant ist im finanzpolitischen Tohuwabohu, das diese Bundesregierung zu verantworten hat, eigentlich nur eines, nämlich die Leitlinie, den Reichen zu geben und den Armen zu nehmen. Das besonders Schlimme ist: Die Einschnitte erfolgen nicht bei den Unternehmersubventionen. Die vollmundigen Ankündigungen des F.D.P.-Ex-Wirtschaftsministers Möllemann — das liegt ja erst ganz kurze Zeit zurück — scheinen inzwischen Steinzeit zu sein. Die Einschnitte erfolgen nicht beim Rüstungsetat, aus dem eine nach dem ersatzlosen Wegfall des traditionellen Feindes im Osten größenteils leerlaufende Rüstungsindustrie nach wie vor Milliardengelder bezieht. Die Einschnitte erfolgen nicht bei Luxustechnologien und bei überflüssigen Forschungsprogrammen, die im wesentlichen ebenfalls Milliardengelder in Konzernkassen schwemmen. Die Einschnitte erfolgen vielmehr vor allem bei den Armen und Ärmsten dieser Gesellschaft und bei den abhängig Beschäftigten. Nur da ist diese Bundesregierung konsequent. Sie verteilt systematisch um, von unten nach oben. Sie nimmt denen, die bei steigenden Lebenshaltungskosten und stagnierenden Löhnen und Gehältern mit ihren Familien kaum mehr über die Runden kommen. Sie gibt dagegen denen, die mit ihrem Geld buchstäblich nicht mehr wissen, wohin sie es überhaupt bringen sollen, wie man z. B. — um das nur am Rande anzumerken — an den eskalierenden Preisen für Luxusautos feststellen kann.Eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Freiberufler und uns Abgeordnete ist immer noch nicht in Sicht. Aber das sowieso unzureichende Arbeitslosengeld soll nun um 3 % gekürzt werden, und das auch noch mit der Begründung, es müsse mehr Anreiz für die Aufnahme von Erwerbstätigkeit geschaffen werden. Das ist ein Zynismus sondergleichen, solange auf jede offene Stelle 30, 40, 50, im Osten teilweise mehrerehundert Arbeitssuchende kommen. Das ist ein Zynismus.Die Börsenaufsichtsbehörde der USA zwingt den Daimler-Benz-Konzern, 4,5 Milliarden stille Reserven — das ist versteckter Reichtum, der in den Bilanzen nicht in Erscheinung tritt — offenzulegen, damit die Daimler-Benz-Aktie in den USA überhaupt börsenfähig wird.Die Siemens-AG hat nicht nur über 15 Milliarden DM liquide Mittel, vagabundierendes Kapital, als spekulative Geldanlage an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten. Sie macht damit derzeit im Jahr fast 2 Milliarden DM allein Zinsgewinn. Das ist die berühmte Bank Siemens.Der gleiche Konzern hat derzeit auch stille Reserven, berechnet aus der Differenz zwischen Börsenwert einerseits und ausgewiesenem Eigenkapital andererseits, von über 15 Milliarden DM.Die Wirtschaft hat ca. 700 Milliarden DM vagabundierendes Kapital in den Kassen — 700 Milliarden DM!Diese Bundesregierung — das ist der Skandal — greift in die Taschen der kleinen Leute und nicht in die prallvollen Kassen der Reichen und der Wirtschaft.Die Krone aber wird der durch und durch unsozialen Politik dieser Bundesregierung durch die geplante Regelung der Pflegeversicherung aufgesetzt. Um die prallvollen Kassen der Unternehmen, die ich eben geschildert habe, zu schonen, sollen kranke Menschen für die Pflegeversicherung zahlen.Realisiert wird zudem ein sozialpolitischer Rückschritt in die Vorkriegszeit. Auch hier trifft es vor allem die mittel und gering Verdienenden, die Tarifeinkommensbezieher. Gut verdiendene leitende Angestellte werden nämlich die Karenztage in ihren Einzelverträgen abbedingen.Die Katastrophe der Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung ist komplett. Das besonders Üble ist: Was immer an neuen Finanzlöchern kommt und dann kurzatmig und ohne Konzept irgendwie gestopft wird, das gibt der Bundesregierung Anlaß, ihre rabiate Sozialabbaupolitik fortzuführen und in neue Richtungen zu lenken.Die Menschen in diesem Land, insbesondere die Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben, sollten deshalb in ihrem höchst eigenen Interesse erkennen, daß eine Ablösung dieser unsozialen Bundesregierung überfällig ist. Sie sollten sich auch darüber klar sein, daß sie mit dem Stimmzettel dazu im nächsten Jahr durchaus die Möglichkeit haben.Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und auch für die SPD befindet sich der sorgenannte Wirtschaftsstandort Deutschland offenbar in größter Gefahr. Ich zitiere aus dem Bericht des Haushaltsausschusses zum Gesetz
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13789
Dr. Barbara Höllzur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms:Einvernehmlich waren die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der SPD der Auffassung, es müsse Ziel einer wachstumsfördernden Steuerpolitik sein, die gegenwärtige und bis 1995 noch wachsende hohe Steuerbelastung der Bürger und Unternehmen mittelfristig wieder abzubauen.Lassen wir hier einmal unkommentiert, daß die SPD offenbar auch zum Verzicht auf das von ihr seit dem Auftauchen der GRÜNEN propagierte qualitative Wachstum bereit ist, so bleibt jedoch festzuhalten, daß die Klage über zu hohe Steuern und Abgaben zu den Evergreens und Hits der Unternehmer und ihrer Lobbyisten gehört.
Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. — Meine Damen und Herren, ich bin zwar für Gleichberechtigung,
aber ich finde es doch gut, wenn wir die Damen ein bißchen besser behandeln und ihnen aufmerksamer zuhören. Darf ich darum bitten?
Ich bedanke mich.Das Standortsicherungsgesetz soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß bundesdeutschen Unternehmen im weltweiten Konkurrenzkampf um Absatzmärkte immer öfter das Siegertreppchen winkt. Die Logik, nach der das Standortsicherungsgesetz gestrickt ist, ist denkbar einfach: Zu hohe Lohnnebenkosten verteuern die Produkte bundesdeutscher Unternehmen, also muß die Steuerschraube gelockert werden.Die Rezession, in der sich die bundesdeutsche Wirtschaft gegenwärtig befindet und die ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaftler bereits zu Zeiten vorausgesagt hatten, als die Bundesregierung allerorten von Aufschwung redete, diese Rezession scheint nun durch eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik gestoppt und zurückgedrängt werden zu können.Die Fakten widerlegen jedoch eindeutig die Klagen der Unternehmer über zu hohe Löhne, zu geringe Arbeitszeiten und zu hohe Steuern. Eine Untersuchung des DGB hat ergeben, daß die Nettolöhne je Arbeitnehmer in Westdeutschland 1992 real nur um 10,5 % über denen des Jahres 1982 lagen. Die Unternehmer konnten ihre Nettogewinne im gleichen Zeitraum um 123 % steigern. Der Nettogewinn im Verhältnis zum eingesetzten Kapital, also die Nettokapitalrendite, war im vergangenen Jahr so hoch wie in den Jahren der Vollbeschäftigung.Das Standortsicherungsgesetz bedient ganz eindeutig nur die Bezieher hoher Einkommen. Vongesenkten Spitzensteuersätzen für die Körperschaftsteuer und für gewerbliche Einkünfte im Einkommensteuertarif profitieren die Bezieher von Einkommen über 200 000 DM.Besonders belohnt werden ausgerechnet diejenigen, die Gewinne aus einer Beteiligung an einer Aktiengesellschaft oder GmbH beziehen. Nicht nur der Steuersatz auf im Unternehmen verbleibende Gewinne wird gesenkt — freilich in der stets blamierten Hoffnung, dadurch betriebliche Investitionen anregen zu können —, sondern auch ausgerechnet der Steuersatz für an Kapitalanleger ausgezahlte Gewinne wird von gegenwärtig 36 % auf 30 % gesenkt. Es lohnt sich künftig mehr denn je, sein Geld in relativ risikolose Finanzlagen zu stecken.Ein weiterer Schlag gegen die Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer wird dagegen offenbar gerade bei der Treuhand geplant. Ich möchte aus einem Schreiben des Vorstandes der Treuhandanstalt vom 19. Mai an die Vorsitzenden der Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführungen der Unternehmen der Treuhandanstalt in der Metall- und Elektroindustrie in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern zitieren:Anwendung der Härteklausel Sehr geehrte Damen und Herren,die Treuhandanstalt befindet sich zur Zeit in internen Überlegungen zur Anwendung der Härteklausel. Wir bitten Sie, sollten Sie im laufenden Jahr 1993 nach der vorliegenden genehmigten Planung Verluste einplanen, alles zu unterlassen, was die Anwendung der Härteklausel behindern könnte.Wir werden Ihnen gemeinsam mit Gesamtmetall in den nächsten Tagen bezüglich der Antragstellung nähere Hinweise geben.Das ist ein erneuter Beweis für die Umverteilung von unten nach oben und für die absolute Benachteiligung der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern.Die Bundesregierung erklärt, daß die Unternehmensentlastungen, die von 1994 bis 1996 die stolze Summe von 34,5 Milliarden DM ergeben werden, in vollem Umfang durch den Abbau von Abschreibungsmöglichkeiten gegenfinanziert werden. Ich behaupte, daß die Bundesregierung unter dem Druck der Wirtschaft gezwungen sein wird, die Verschlechterung der Abschreibungserleichterungen Stück für Stück zurückzunehmen. Ihre Rechnung wird nicht aufgehen. Schon heute ist belegbar, daß von einer Aufkommensneutralität nur sprechen kann, wer die Fakten schönt.Herr Kollege Poß hat dem Finanzminister bereits im Januar vorgeworfen, dieser habe mit einem „plumpen Trick" die Öffentlichkeit zu täuschen versucht. Nur weil Herr Waigel die bereits seit 1992 geltende Verlängerung der Nutzungsdauer für betrieblich genutzte Pkw und die daraus resultierenden Mehreinnahmen in seine Rechnung mit einbezogen hatte, konnten seine Berechnungen überhaupt aufgehen.Die PDS/Linke Liste fordert, die Senkung der Steuersätze für Spitzenverdiener zurückzunehmen und endlich mit dem Abbau ungerechtfertigter Steu-
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13790 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Barbara Höllervergünstigungen für Großverdiener zu beginnen. Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse sollten ebensowenig als Sonderausgaben abzugsfähig sein wie Bewirtungsspesen.
Frau Kollegin, jetzt kommen Sie aber wirklich zum Schluß.
Aber bei der Lautstärke war es auch sehr kompliziert. — Die Abschreibungsmöglichkeiten der Anschaffungskosten für betrieblich genutzte Pkw — —
Nein. Bitte noch einen letzten Satz. Sie haben Ihre Redezeit schon um mehr als eine Minute überschritten.
Es ist notwendig, durch Betriebsüberprüfungen Steuerhinterziehungen in Größenordnungen zu ahnden, —
Bitte, Frau Kollegin, das geht nicht. Wenn ich Sie um einen letzten Satz bitte, dann meine ich auch einen letzten Satz.
— die jährlich 12 Milliarden DM ausmachen würden.
Ich danke Ihnen.
Ein Abgeordneter muß auch fähig sein, einmal ohne Manuskript einen letzten Satz zu formulieren.
— Das gilt freilich für alle.
Ich erteile dem brandenburgischen Minister der Finanzen, Klaus-Dieter Kühbacher, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit benutzen, zum Föderalen Konsolidierungskonzept, und zwar zum Länderfinanzausgleich, einige Worte an Sie zu richten: ein Wort der Kritik — das werden Sie mir erlauben — und ein Wort des Dankes. Ich fange mit der Kritik an.
Ich hätte mir als Vertreter eines armen Landes mit noch ärmeren Gemeinden gewünscht, daß Sie, meine Damen und Herren, bei der Einbeziehung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs die Frage der Länderebenen etwas intensiver beleuchtet, daß Sie nachgedacht und gerechnet hätten. Dann hätten Sie festgestellt, daß das mit dem Teilen zwischen West und Ost so eine Sache ist.
— Ja, das gehört zur Ländersteuerkraft, verehrte Frau Kollegin. Da haben Sie aber eben nicht aufgepaßt. Bei den Ländersteuern wird ja alles geteilt. Bei der Kommunalsteuer ist Ihnen folgender Fehler passiert, obwohl Sie in den Ausschüssen darauf hingewiesen
wurden: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, daß die Gemeindesteuerkraft voll in den Länderfinanzausgleich einzubeziehen ist. Wie auch immer, verehrte Frau Albowitz, ist es gelungen, daß Sie nur die Hälfte der Steuerkraft einbezogen haben?
Nun vergleiche ich noch einmal die beiden Gemeinden Ottobrunn in Bayern und Luckenwalde in Brandenburg. Ottobrunn hat eine Steuerkraft von 2 DM. Luckenwalde hat eine Steuerkraft von 20 Pfennig. Wenn man das zusammenrechnet und anschließend teilt, bekommen beide 1,10 DM. So wie Sie geteilt haben und wie Sie das heute beschließen, werden nur 50 % einbezogen, d. h. Ottobrunn behält seine 1 DM und Luckenwalde seine 10 Pfennig. Geteilt werden 1,10 DM. Das bedeutet, 1,55 DM bleiben in Ottobrunn, 65 Pfennig sind in Luckenwalde. Das nenne ich ein intelligentes Teilen, verehrte Damen und Herren. Hier haben sich die Cleverles oder die besonders intelligenten Finanzpokerer wirklich durchgesetzt. Ich bitte Sie herzlich, bei der nächsten Gelegenheit diese Ungerechtigkeit, bezogen auf die Gemeindesteuerkraft, zu beenden.
Und nun das Lob. Seit gut zwei Jahren beobachte ich als Insider die Bemühungen um die Einbeziehung Ostdeutschlands in den gesamten Finanzausgleich. Ich möchte mich hier, ohne Rang und Namen zu nennen, bei vier Männern ausdrücklich bedanken; denn ich habe sie aus unmittelbarer Nähe wirken sehen.
— Ja, das ist leider so, Herr Kollege Waltemathe. Es waren eben in dieser Finanzerrunde, in dieser Entscheiderrunde nur Männer.
— Es wird nicht nach Quoten, sondern nach Leistung bemessen, lieber Herr Conradi.
Ich möchte mich nach dem ABC bei vier Politikern bedanken,
weil sie sich wirklich engagiert eingesetzt haben, um dieses Werk zu Ende zu bringen, das nicht einfach war. Ich bedanke mich bei Helmut Kohl, ich bedanke mich bei Rudolf Scharping, ich bedanke mich bei Heinz Schleußer,
und ich bedanke mich bei Theo Waigel. Sie haben sich um den Finanzausgleich verdient gemacht.
Wir werden die Abstimmung in knapp 25 Minuten beginnen. — Ich erteile das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Weng.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13791
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Dank, den der Kollege Kühbacher ausgesprochen hat, kann man sicher nachvollziehen. Nur hat er eines meines Erachtens nicht ganz optimal deutlich gemacht, daß die Betroffenen auch für das zuständig gewesen sind, was er vorher beklagt hat. Diejenigen, die so besonders geschickt gerechnet haben — was er hier beklagt —, hätte er am wenigsten nennen sollen. Denn sie sitzen nicht hier im Deutschen Bundestag. Sie sitzen im wesentlichen in den Ländern im Westen.
Verzeihung, Herr Kollege Weng. Der Kollege Kühbacher kann das leider nicht mit anhören, weil er in einer Konferenz ist. Vielleicht können wir die unterbrechen.
In Kenntnis knapper Redezeit, Herr Präsident, werden Sie nicht erwarten, daß ich mich jetzt wiederhole. Der Kollege Kühbacher hat in Brandenburg sicherlich in den dunklen Kiefernwäldern immer Zeit, unsere Protokolle nachzulesen.Ich sage aber noch einmal: Das, was der Kollege Kühbacher beklagt hat, ist nicht das Verschulden des Deutschen Bundestages. In das Gesamtpaket ist diese Art der Teilung im wesentlichen durch ein Verhalten der westlichen Länder gekommen, das wir hier auch beklagt haben und das nicht wünschenswert ist.
Ich meine, meine Damen und Herren, daß die Öffentlichkeit bei einer solchen Debatte Anspruch auf eine klare Analyse hat. Das, was ist, muß hier gesagt werden. Es muß gesagt werden, was in der Konsequenz gemacht werden muß und was gemacht werden kann. Es muß dann auch deutlich gemacht werden, was die jeweilige politische Gruppierung zu tun bereit ist. Insoweit ist das, was wir heute morgen an Jammerorgie von dem Kollegen Schulz gehört haben — es ist zwar schon eine ganze Zeit her —, sicherlich nicht hilfreich. Kein Konzept ist keine Politik.
Ich will aber auch erwähnen, daß mir eine Äußerung des Bundesfinanzministers in seiner sonst sehr guten und berechtigterweise mit sehr langanhaltendem Applaus begleiteten Rede weniger gefallen hat, weil er nur die eine Seite der Medaille aufgezeigt hat. Er hat hier eine ganze Reihe von Ausgaben für die deutsche Einheit genannt. Jeder von uns wird bei jeder einzelnen dieser Ausgaben auch sagen: Es ist in Ordnung, daß sie geleistet worden sind und zukünftig geleistet werden. Aber er hat nicht dargestellt, wer diese Ausgaben dann bezahlt. So, wie wir im Augenblick verfahren, zahlen wir mit Geld, das wir selber nicht zur Verfügung haben, sondern das wir weiterreichen. An dieser Stelle, so meine ich, muß auch die andere Seite der Medaille aufgezeigt sein.Mit der heutigen abschließenden Beratung des Nachtragshaushalts ziehen wir eine Bilanz, die unseren eigenen Vorgaben von vor wenigen Monaten nicht entspricht und die insofern auch nicht zufriedenstellen kann. Wirtschaftliche Rezession und steigendeArbeitslosigkeit haben direkt und indirekt riesige Löcher gerissen, und so müssen wir heute den Haushalt 1993 in zweierlei Hinsicht korrigieren: Die Steigerung der Ausgaben von ehemals geplanten 2 % gegenüber 1992 wächst auf mehr als 7 % an, und die Nettokreditaufnahme erreicht den fast unsäglichen Betrag von mehr als 67 Milliarden DM, wenn es denn dabei bleibt.„Spare in der Zeit, so hast du in der Not", sagt der Volksmund mit Recht. Die finanzwirtschaftliche Theorie von Herrn Keynes beinhaltet die gleiche Forderung. Nur, wir haben in den vergangenen zehn fetten Jahren zwar sparsam gewirtschaftet gegenüber dem, was vorher gewesen war, aber nicht sparsam im Sinne der Schaffung echter Reserven. Zum Aufbau eines Juliusturms seligen Angedenkens — die Kontinuität bayerischer Finanzminister ist ja erwähnt worden — sind Politiker aller Couleur und auf allen Ebenen — ich sage ausdrücklich: auf allen Ebenen; denn es sieht in den Ländern und Kommunen ja leider ganz genauso aus — offensichtlich nicht fähig. Alle öffentlichen Haushalte und die Schattenhaushalte ebenso haben trotz hoher Steuereinnahmen Schuldenaufnahme als ganz normale Einnahmequelle betrachtet und dabei die Langfristsituation der wachsenden Zinsbelastung außer acht gelassen. Deshalb werden wir jetzt in der Not um zusätzliches Sparen auch nicht herumkommen; denn der komplette Ausgleich fehlender Steuereinnahmen durch zusätzliche Schulden, wie das in der Keynesschen Theorie so schön aussieht, hätte zur Voraussetzung gehabt, daß man in den guten Zeiten Schulden abgetragen hat.Die Ankündigung massiver Einsparungen für die Zukunft ist zu begrüßen. Die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler einschneidende Maßnahmen angekündigt hat, hat ja ein eigenes Gewicht. Der Finanzminister hat dies heute wiederholt. Dieses Mal wird es allerdings nicht bei der Ankündigung bleiben dürfen, weil auch die Öffentlichkeit immer stärker von uns verlangt — ich meine: zu recht —, daß wir nicht nur das Richtige fordern und dann erwarten, daß es eintritt, sondern daß wir unser Handeln an dem Gesagten ausrichten.
Die Bürger werden allerdings begreifen müssen, daß öffentliches Sparen weder im eigentlichen Sinne gerecht sein kann — denn wenn gespart wird, betrifft es nicht jeden in gleicher Weise — noch daß es unbemerkt bleiben kann. Das Gefühl, daß öffentliche Ausgaben ganz leicht zu sparen sind und es keiner merkt, ist unbegründet.Es gibt vier Bereiche möglicher Einsparungen:Zum ersten können bei sämtlichen Ausgaben für übliches staatliches Handeln gewisse Abstriche gemacht werden. Dieses haben wir als Parlament unter der Federführung des Haushaltsausschusses in der Vergangenheit immer schon recht konsequent durchgeführt. Bisher hat ja jede Regierungsvorlage den Haushaltsausschuß und dieses Parlament verbessert, d. h. sparsamer verlassen. Allerdings bewegen diese Einsparungen erfahrungsgemäß keine ganz riesigen Summen. Das weiß jeder, der den Haushalt einigermaßen kennt.
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13792 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Wolfgang Weng
Der zweite Bereich ist der Investitionsbereich. Auch wenn über die Definition öffentlicher Investitionen immer wieder kontrovers diskutiert wird und es sicherlich auch sinnvoll wäre, wenn hierüber einmal gesondert diskutiert würde, ist klar, daß die öffentlichen Investitionen nicht die große Sparkasse sein dürfen;
nicht nur auf Grund des Verfassungsgebots mit der Höchstgrenze der staatlichen Schuldenaufnahme im Verhältnis zu den staatlichen Investitionen, sondern auch weil diese Investitionen notwendig sind, die meisten jedenfalls. Sie müssen allerdings zukünftig sehr viel stärker auch unter dem Aspekt des Nutzens und der Folgekosten gesehen werden, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.Der dritte Bereich ist der Personalbereich. Wir wissen, daß wir durch die Wiedervereinigung eine viel zu hohe Beschäftigung im öffentlichen Bereich bekommen haben, vor allem bei den Ländern und Gemeinden in Ostdeutschland, aber auch beim Bund in diesem Zusamenhang.
Herr Kollege Weng, lassen Sie mich einen Moment unterbrechen!
Meine Damen und Herren, auch mehrere Dutzend halblaut geführte Gespräche ergeben einen hohen Lärmpegel. Bitte widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit dem Redner. Wer sich unterhalten möchte oder etwas zu besprechen hat, kann das vor der Tür tun. Wir haben noch knapp 20 Minuten bis zur Abstimmung.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bin immer der Überzeugung, daß diejenigen, die für das, was man zu sagen hat, wichtig sind, auch zuhören; diejenigen, die sich miteinander unterhalten, sind nicht so wichtig. Deswegen glaube ich, daß man es nicht übertrieben ernst nehmen sollte, wenn solche Gespräche stattfinden. Aber ich bin natürlich auch für Hilfe von hinten außerordentlich verbunden.
Eine kontinuierliche Rückführung der Zahl der öffentlich Bediensteten ist insofern notwendig, aber ganz schnell — das wissen Sie — geht es auch hier nicht. Die Forderungen an die Politik lauten: Reduzierung von Regelungsdichte und staatlichem Handeln, Deregulierung, Privatisierung — Sie kennen die Stichworte —, um hierdurch Entlastung zu schaffen. Wir haben durch eine Reihe von Beschlüssen in die richtige Richtung zu wirken begonnen. Das wird fortgesetzt. Aber auch hier geht es nicht um große Finanzvolumina.
Viertens geht es — da handelt es sich um große Beträge — um Subventionen und Transferleistungen. Die großen Volumina liegen hier im Bereich der gesetzlichen Leistungen und damit gesetzgeberischer Notwendigkeiten. Wir werden um solche Eingriffe nicht herumkommen. Da in diesem Bereich, bei sozialen Leistungen, bei Transferleistungen, üblicherweise das Handeln besonders schwierig ist, wird sich auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat in der Folge unseres Handelns dann auch die Opposition
sehr ernsthaft nach ihrer Verantwortungsbereitschaft fragen lassen müssen.
In den letzten Tagen ist eine Reihe von Vorschlägen durch die Medien gegangen. Ich weiß nicht, ob diese Vorschläge tatsächlich vom Finanzminister oder von der Bundesregierung kommen und autorisiert sind. Sie sind jedenfalls heute nicht präzisiert worden. Aber sicher ist, daß der genannte Umfang der Leistungskürzungen von rund 20 Milliarden DM für 1994 nicht ausreichen wird, um das notwendige Ziel bei der Neuverschuldung zu erreichen; jedenfalls nach der jetzigen Einschätzung.
Nach meiner Einschätzung muß auch für 1993 noch nachgebessert werden, d. h., ein Haushaltssicherungsgesetz 1993 muß offen diskutiert werden. Ich möchte Sie, Herr Finanzminister Waigel, fragen, nachdem Sie in Ihrer Rede gesagt haben, daß es zum Etat 1994 erheblich einschränkende Begleitgesetze geben wird, warum dieses nicht noch für 1993 in einem im Juni einzubringenden Haushaltssicherungsgesetz getan wird. Das wird auch nicht schwerer. Anderenfalls haben wir doch wieder bei dem von Ihnen als notwendig Definierten ein halbes Jahr verloren.
Wir fordern das Finanzministerium auf, die Vorschläge auf den Tisch zu legen. Wir werden sie sorgfältig prüfen, und wir werden wie in der Vergangenheit die Einsparungen in dem erforderlichen Volumen solidarisch mittragen.
Sicher ist, daß zu Zeiten höchster Steuerbelastungen und mit Blick auf die noch zusätzlich geplante Solidaritätsabgabe die Belastung der Leistungsträger, der Lohn- und Einkommensteuerzahler die Obergrenze eher überschritten als erreicht hat.
Sparen oder Mehrbelastung? — Jetzt ist wirklich Sparen angesagt.
Meine Damen und Herren, der seitherige Wohlstand der Bundesrepublik beruht in doppelter Weise auf Vertrauen. Das Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Solidarität gilt es wiederherzustellen und zu bewahren. Wenn der Staat die Bereitschaft der Bürger zu Sparsamkeit und Konsumverzicht nicht honoriert, sondern selbst den Konsum anheizt, wird dieses Vertrauen verlorengehen.
Das zweite ist das Vertrauen des Auslands in den Investitionsstandort Bundesrepublik und die Leitwährung Deutsche Mark. Dieses Vertrauen in die Leitwährung Deutsche Mark ist für uns außerordentlich wichtig. Auch dieses Vertrauen hat einen Knick erhalten. Um so mehr müssen wir alle und wird die F.D.P. die Politik der Bundesbank zur Sicherung der Währungsstabilität wieder konsequenter unterstützen.
Herr Kollege Weng, Sie sind weit über Ihre Zeit!
Ehrlichkeit durch Beseitigung der Schattenhaushalte — dies ist
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13793
Dr. Wolfgang Weng
geplant —, aber auch Verzicht auf weiter steigende Zinssubventionen, die die Geldmengenpolitik der Bundesbank aushebeln, sind hierfür erforderlich.Meine Damen und Herren, die Haushaltslage des Bundes ist so ernst und schwierig wie noch nie.
Herr Kollege Weng, bitte noch einen Schlußsatz.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem Nachtragshaushalt 1993 zu und wird an der künftigen Verbesserung der Situation verantwortungsbewußt mitwirken.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Es ist für den Redner sehr schwer, bei dieser Lautstärke der Unterhaltungen überhaupt zu sprechen. Wer sich unterhalten möchte — bis zur Abstimmung sind es noch 15 Minuten —, soll das bitte außerhalb des Saales tun. Wer im Saal ist, möge bitte dem Redner seine Aufmerksamkeit schenken.
Als nächster hat das Wort unser Kollege Johannes Nitsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst drei Vorbemerkungen machen.Erstens. Mit Genugtuung können die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern feststellen, daß mit diesen Entscheidungen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm und zum Nachtragshaushalt 1993 unser Erfurter Programm „Zwölf Punkte für Deutschland — Wohlstand im Osten entwickeln, im Westen sichern" vom August 1992 in seinen tragenden Teilen erfüllt ist.Zweitens. Ebenso wichtig ist für mich die politische Dimension dieser Vereinbarungen und Entscheidungen. Ich halte es für sehr wichtig, daß die parlamentarische Demokratie und das föderative System mit dem Solidarpakt Entscheidungen getroffen und damit Entscheidungsfähigkeit bewiesen haben, ganz im Gegensatz zu dem, was heute früh von Herrn Wieczorek angemahnt wurde.Die Einigung zwischen dem Bund und den Ländern sowie den Verantwortung tragenden politischen Kräften ist ein politischer Wert, der weit über seinen materiellen Wert hinaus Beachtung verdient.Drittens. Wenn hier einzelnen Persönlichkeiten Dank ausgesprochen wurde für die besonderen Bemühungen in diesem Verfahren, so möchte ich noch zwei Persönlichkeiten einbeziehen, die aus meinem Bundesland kommen. Ich möchte Herrn Ministerpräsident Biedenkopf und Herrn Staatsminister Professor Milbradt nennen. Ich glaube, Herr Kühbacher, Sie sind mit mir einer Meinung, daß Sie die nur zufällig vergessen haben.
Angesichts des Zusammentreffens einer schwachen Weltkonjunktur mit den Anforderungen des Aufbaus in den neuen Bundesländern haben die Vereinbarungen zum Solidarpakt besonderes wirtschafts- und finanzpolitisches Gewicht.Ich möchte hier nur einige Dinge nennen, besonders die Mittel im Bundeshaushalt, im Nachtragshaushalt 1993, für die kommunale Investitionspauschale, für den Wohnungsbau und für die industrielle Forschung. Hier möchte ich gleich als meine ganz besondere Bitte an den Finanzminister und an den neuen Minister für Forschung und Technologie anmahnen, daß bei der Bereitstellung der Mittel für industrielle Forschung eine Verstetigung der Fördermittel für mittelfristige Zeiträume erreicht werden muß.Für die Bürger in Ostdeutschland nimmt die Lösung des Wohnungsproblems angesichts der verheerenden Hinterlassenschaften einen unvergleichbar hohen Rang ein. Deshalb hat das Wohnen — und ich füge hinzu: für viele noch lange jenseits der Wohnqualität, die wir hier im Westen haben — neben der Sicherung des Arbeitsplatzes allerhöchste Priorität.
Die komplizierte Altschuldenfrage war bis zu ihrer Lösung in den Solidarpaktverhandlungen ein gravierendes Hindernis für den dringend nötigen Aufschwung der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion haben von vornherein darauf gedrängt, daß die Altschuldenfrage so rasch wie möglich zu lösen und ein Kompromiß zu finden ist, der auf vielen Schultern ruht. Niemandem dürfte daran gelegen sein abzuwarten, bis über die unterschiedlichen Rechtsauffassungen verbindlich entschieden wird.Mit der Lösung der Altschuldenfrage ist für die kommunalen Wohnungsunternehmen und die Wohnungsbaugenossenschaften der Weg frei für die dringend benötigten Investitionen. Hervorzuheben ist hier besonders auch, daß in die Altschuldenregelung private Vermieter einbezogen sind, die zu DDR-Zeiten insbesondere Sanierungsmaßnahmen über Kredite finanzieren mußten. Auch die Wendewohnungen konnten in die Lösung einbezogen werden.Unsere besondere Zustimmung findet die Regelung, daß die Genossenschaften nun kraft Gesetzes unmittelbar Eigentümer des von ihnen genutzten Grund und Bodens werden, und zwar zu Beträgen, die von 1 bis 3 DM pro Quadratmeter — je nach Größe der Kommune — gestaffelt sind. Damit wird ihre Kreditfähigkeit wieder hergestellt.Bei den Wohnungsbaugenossenschaften gibt es hinsichtlich der Privatisierungspflicht von 15 % des Wohnungsbestandes noch einige rechtliche Bedenken — Herr Kuessner hatte das hier schon angesprochen —, die wir auch in einer Beratung der Kommission „Wiederaufbau neue Bundesländer" mit der Bauministerin besprochen haben. Der Ausweg könnte
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13794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Johannes Nitschunserer Auffassung nach in einer Erhöhung der Genossenschaftsanteile bestehen, die dann einer Veräußerung gleichzusetzen wäre.Unsere politische Aufmerksamkeit gilt auch besonders den ehemals militärisch genutzten GUS-Liegenschaften. Nachdem es in den Verhandlungen am 13. April 1993 zwischen dem Bund und den Ländern nicht zu der erhofften Einigung gekommen ist, sind die Finanzminister der noch zögernden Lander aufgefordert, mit dem Bundesfinanzminister zügig weiterzuverhandeln und so rasch wie möglich tragbare Lösungen zu erarbeiten, um auch hier ein Reservoir für die Bereitstellung von Wohnbauland zu erschließen.
Meine Damen und Herren, die Absatzprobleme in den neuen Bundesländern sind nach wie vor das Produktionshindernis Nummer eins. Ostdeutsche Anbieter bekommen nicht die gleichen Chancen eingeräumt wie etablierte Wettbewerber, wenn es um den Einkauf geht. Wollen sie in den Einkaufslisten der großen Konzerne Aufnahme finden, müssen sie zu deutlich niedrigeren Preisen anbieten.Wir erwarten eine größere Offenheit und mehr Verantwortungsbewußtsein im Umgang mit den noch in der Startphase befindlichen ostdeutschen Unternehmen.
Neben der Bestellung von Vorstandsbeauftragten für die neuen Bundesländer ist es erforderlich, daß der Einkauf der großen Handelsketten firmenintern stärker kontrolliert wird. Man sollte vielleicht in den Geschäftsberichten ausweisen, welchen Anteil ostdeutsche Anbieter am Gesamteinkaufsvolumen haben.In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich die Einkaufsoffensive Ost des BDI, an der sich führende westdeutsche Großunternehmen beteiligen.
Die Verbände stellen ihr branchenspezifisches Knowhow für die Kooperationsvermittlung umfassend zur Verfügung, damit diese Initiative von Erfolg gekrönt ist und die ostdeutschen Firmen als gleichberechtigte Zulieferer anerkannt werden. Das ist praktizierte Solidarität, wie ich sie mir wünsche.
Herr Kollege Nitsch, lassen Sie mich einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kollegen, die im Saal sitzen, hören dem Redner zu. Sie könnten das leichter tun, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen, die am Rande stehen, nicht so ungeniert unterhalten würden.
Ich bitte Sie also herzlich darum — auch jetzt —: Vielleicht sind Sie so liebenswürdig und stellen für eine Weile Ihre Unterhaltungen ein. Es ist für den Redner unerträglich.
Zudem hat die Einkaufsoffensive auch den Vorteil, daß unsere Firmen inpartnerschaftlicher Weise mit den hohen Qualitätsanforderungen der Konzerne vertraut werden.Auch im öffentlichen Auftragswesen haben ostdeutsche Firmen trotz bestehender Präferenzregelungen häufig das Nachsehen. Es ist zu begrüßen, daß der Solidarpakt auch in diesem Bereich der öffentlichen Aufträge eine Verbesserung vorsieht. Bei Direktaufträgen von Bundesressorts und bundeseigenen Unternehmen soll der Anteil ostdeutscher Produkte über das bisher erreichte Niveau hinaus innerhalb von zwei Jahren verdoppelt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft ist beauftragt, in halbjährigen Abständen über die Entwicklung des Auftragsvolumens zu unterrichten.Ich meine, daß es gerade bei diesem Einsatz öffentlicher Mittel ganz entscheidend darauf ankommen wird, der Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler auch in dieser Frage gerecht zu werden. Ich kann Ihnen versichern, daß wir Abgeordnete aus den neuen Bundesländern in Zusammenarbeit insbesondere mit dem Bundesministerium für Wirtschaft weiterhin daran arbeiten werden, die Absatzlage der Unternehmen in den neuen Ländern auch in diesem Bereich zu verbessern.
Die zuständigen kommunalen und staatlichen Stellen sollten darauf achten, daß eine Auftragsvergabe an einen westlichen Anbieter nur dann erfolgt, wenn nachgewiesen wird, daß es in den neuen Bundesländern keine vergleichbaren Anbieter gibt.Mit großer Sorge beobachten wir den Prozeß der Entindustrialisierung in den neuen Ländern. Das Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute bemerkt hierzu:Die unvermeidliche Schrumpfung ist inzwischen in eine Deindustrialisierung übergegangen, die dramatische Ausmaße erreicht hat.Aber dazu hat Kollege Kuessner schon gesprochen; deshalb lasse ich diesen Teil weg.Für die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern ist es daher von besonderer Bedeutung, daß der Solidarpakt dem Thema Sicherung und Erneuerung industrieller Kerne ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Es gehört zur politischen Auseinandersetzung, dieses Problem durchaus auch polemisch zu thematisieren. Dabei haben, wie ich meine, allzu eifrige Verfechter der reinen Lehre der Marktwirtschaft
dieser Diskussion das Etikett „pauschale Bestandsoder Absatzgarantie" verpaßt. Uns geht es vielmehr um die Erhaltung von Standortvorteilen in den Industrieregionen mit Blick auf den gesamtwirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland.Wir registrieren anderswo so nicht oder nicht mehr so auffindbare Akzeptanz für bestimmte industrielle Fertigungen und Industrieansiedlungen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es erforderlich, daß die Industriestandorte in den neuen Bundesländern erhalten und konkurrenzfähig gemacht werden. Dies kann bei
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13795
Johannes Nitschweltweit schwacher Konjunktur nur gelingen, wenn Anreize für eine Produktionsverlagerung von West nach Ost geschaffen werden.
Mittlerweile wird deutlich, daß die Sicherung der ostdeutschen Industrie nicht allein über ein Investieren im Westen erzielter Überschüsse gelingen kann. Schon heute findet eine ungleiche Standortkonkurrenz zwischen Ost und West statt.Meine Damen und Herren, zum Ausgleich zahlreicher Standortnachteile erscheint daher — das ist ein altes Thema — die Einführung einer zeitlich befristeten Wertschöpfungsbeihilfe für die in den neuen Bundesländern hergestellten industriellen Erzeugnisse sinnvoll.Eine Bitte noch an die Länderseite.
Meine Bitte ist: noch einen Schlußsatz.
Meine Damen und Herren, wir sind nach dem Erfolg von gestern in der Lage, auch heute wieder einem großen Gesetzeswerk unsere Zustimmung zu geben, das dringend notwendig und von erheblichem politischem und materiellem Wert ist.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Conradi, ich weiß jetzt nicht, gemäß welchem Paragraphen unserer Geschäftsordnung Sie Ihre Wortmeldung abgegeben haben, aber das Wort wird Ihnen hiermit erteilt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 82 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundestages beantrage ich, in der zweiten Lesung Art. 20 FKPG zu streichen und darüber in einer Einzelabstimmung zu entscheiden. Art. 20 betrifft die Honorarordnung für die Architekten und Ingenieure.
Ich werde inhaltlich nichts dazu sagen. Ich werde nur daran erinnern, daß der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einstimmig vorgeschlagen hat, diese Vorschrift zu streichen, weil sie sinnlos ist, und daß der Haushaltsausschuß — aus welchen Gründen, weiß allein der liebe Gott — diesen Artikel wieder hineingenommen hat.
Entschuldigung, Herr Kollege Conradi, der — —
Nein. — Meine Frage ist ganz anderer Art. Warum soll der Bundestag eine Verordnung, die die Bundesregierung auf Grund eines Ermächtigungsgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen hat, ändern? Die Bundesregierung kann das alleine ändern, sie braucht uns nicht dazu.
Vier Mitglieder dieser Bundesregierung habe ich gestern und heute gefragt, warum denn wir diese Arbeit machen sollen. Was haben Sie mir gesagt? — Das habe man schon immer so gemacht. Nun räume ich ein, dies ist ein Grundsatz, der geradezu Verfassungscharakter hat; ohne diesen Grundsatz würde die Bundesrepublik zuschanden werden.Aber es stimmt gar nicht, was die Minister sagen. Das haben wir nicht immer so gemacht. Als Nichtjurist habe ich versucht, mich kundig zu machen, und habe im Kommentar von Scholz, Maunz, Dürig und Herzog nachgelesen. Da schreibt unser Kollege Scholz: Erstens. Der Gesetzgeber kann keine Verordnungen erlassen. Zweitens. Er kann einen Sachverhalt, statt ihn gesetzlich zu regeln, der Regierung geben und kann sagen: Mach eine Verordnung! Drittens. Er kann die Verordnung selber zum Gesetz machen. Er kann die Verordnungsgewalt auch an sich zurückziehen und das mit einem Gesetz regeln.Aber was er nicht kann, ist, in eine Verordnung, die die Regierung beschlossen hat, eine Änderung einzuarbeiten. Da ist die herrschende Lehre völlig eindeutig: Die Regierung macht Verordnungen, wir machen Gesetze. Wer sind wir denn? Sind wir Verordnungsgeber, oder sind wir Gesetzgeber?
Heute wird hier nicht das Ermächtigungsgesetz von 1971 geändert, sondern die Verordnung. Nun wird es abenteuerlich. In Art. 42 des, ich würde fast sagen: FCKW-Gesetzes
steht, daß die Regierung das, was wir heute durch Gesetz in dieser Verordnung ändern, hinterher wieder herausstreichen und verändern kann. Das heißt, die Verordnung wird dann zu einer neuen Verordnung. Ich finde das abenteuerlich. Wir beschließen heute etwas in einem Gesetz, und wenn die Regierung morgen sagt, wir haben es uns anders überlegt, kann sie es wieder herausstreichen.Nein. Wir sind Gesetzgeber, kein Verordnungsgeber.Ich bin der Auffassung: Jeder soll seine Arbeit selbst machen. Wir sind in den Bundestag gewählt worden, um Gesetze zu machen. Wir sind nicht gewählt worden — dafür werden wir auch nicht bezahlt —, um Verordnungen zu machen. Das ist die Arbeit der Regierung.Gestern hat Herr Schäuble gesagt: Tun wir unsere Pflicht. Unsere Pflicht ist es, Herr Schäuble, Gesetze zu machen; Pflicht der Regierung ist es, Verordnungen zu machen. Deswegen bitte ich Sie, meinem Antrag auf Streichung zuzustimmen. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, können das ohne
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13796 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Peter Conradijede Besorgnis tun; denn Ihre Regierung kann das, was sie hier von uns verlangt, ganz allein beschließen. Sie braucht zwar die Zustimmung des Bundesrates.Lassen Sie uns gemeinsam für parlamentarische Reinlichkeit sorgen, indem die Regierung das macht, was ihre Sache ist, nämlich Verordnungen zu beschließen, und wir das, was unsere Sache ist, nämlich Gesetze zu beschließen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Zur Geschäftsordnung, bitte, Herr Kollege Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Äußerungen des Kollegen Conradi waren so überzeugend, daß ich, bevor wir jetzt über seinen Antrag abstimmen, beantragen möchte, eine rechtliche Stellungnahme des Bundesjustizministeriums — es ist ja vertreten — zu hören.
Ich fordere das Ministerium auf, dazu Stellung zu nehmen.
Einen Moment, meine Damen und Herren. — Herr Kollege Struck, Sie haben um eine Stellungnahme des Bundesjustizministeriums gebeten. Ist das Bundesjustizministerium hier vertreten?
Ist es bereit und in der Lage, diese Stellungnahme jetzt ad hoc abzugeben? — Das ist nicht der Fall.
Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Hoyer, bitte.
Herr Präsident, der Gag des Kollegen Conradi ist voll gelungen.
Man hätte allerdings gleich hinzufügen sollen, daß dem Begehren des Kollegen Conradi durch Vereinbarung mit der Bundesregierung längst Rechnung getragen wird und wir selbstverständlich diesem Änderungsantrag zustimmen.
Der Kollege Conradi hat etwas beantragt. Daraufhin hat sich der Kollege Struck zur Geschäftsordnung gemeldet,
hat aber statt dessen einen weiteren Antrag gestellt. Diesem Antrag ist nicht Rechnung getragen worden. Daraufhin können Sie nicht die Geschäftsordnung oder die Tagesordnung ändern wollen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms auf den Drucksachen 12/4401, 12/4748 und 12/4801. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und des Abgeordneten Lowack sowie der soeben mündlich vorgetragene Änderungsantrag des Abgeordneten Peter Conradi 'vor, über den wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Conradi? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag ist angenommen.
meldet sich zu Wort)
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*) Seite 13804AWir setzen nun die Beratungen fort. Deshalb bitte ich all diejenigen, die den Beratungen folgen wollen, Platz zu nehmen, und all diejenigen, die anderen Arbeiten nachgehen wollen, diesen Raum zu verlassen, und zwar in der gebotenen Eile, damit wir bald weitermachen können.Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 7: Standortsicherungsgesetz. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaitionsfraktionen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5036. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/5034. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist damit mit großer Mehrheit abgelehnt.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 b bis e und den Zusatzpunkt 2 auf:13. Überweisungen im vereinfachten Verfahrenb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts— Drucksache 12/4985 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß Auswärtiger Ausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Hans-Günther Toetemeyer, Rudolf Purps, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDStockbildung bei Kulturförderfonds — Drucksache 12/4556 — Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß InnenausschußAusschuß für Bildung und Wissenschaftd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Brigitte Adler, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
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Vizepräsidentin Renate SchmidtEntschädigung von Besitzern ehemaliger „Kreispachtbetriebe"— Drucksache 12/4574 —Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstene) Beratung des Antrags des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 1992 — Einzelplan 20 —— Drucksache 12/4844 —Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschußZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dienstrechtliche Regelungen für besondere Verwendungen im Ausland
— Drucksache 12/4989 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschußHaushaltsausschuß und gemäß § 96 GOg) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens
— Drucksache 12/5014 —
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
InnenausschußRechtsausschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOh) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes— Drucksache 12/5015 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß InnenausschußAusschuß für VerkehrHaushaltsausschußi) Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln
— Drucksache 12/5025 —
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
RechtsausschußAusschuß für GesundheitInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dies scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 14 und zu Zusatzpunkt 3:14. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft— Drucksache 12/4762 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/5026 —Berichterstattung: Abgeordneter Horst Sielaffbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/5027 —Berichterstattung:Abgeordnete Ernst Kastning Bartholomäus KalbDr. Sigrid Hothb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Angela Stachowa, Dr. Dietmar Keller und der Gruppe der PDS/Linke ListeErhalt kultureller Substanz im Zusammenhang mit der Verlagerung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer— Drucksachen 12/3236, 12/4573 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Freimut DuveHans-Joachim Otto
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die europäische Telekommunikationsgeräte-Industrie
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13802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Vizepräsidentin Renate SchmidtSituation, Chancen und Risiken, Aktionsvorschläge— Drucksachen 12/4131 Nr. 3.19, 12/4858 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Bernd Protzner Arne Börnsen
Jürgen Timmd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Lizenzen und anderen einzelstaatlichen Genehmigungen zur Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen, einschließltch der Einrichtung einer einheitlichen Gemeinschaftstelekommunikationslizenz und der Einsetzung eines Gemeinschaftstelekommunikationsausschusses (CTC)— Drucksachen 12/3449 Nr. 2.15, 12/4862 — Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Bernd ProtznerArne Börnsen
Jürgen Timme) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung spezifischer Maßnahmen für die auf den Kanarischen Inseln ansässigen Fischer von Kopffüßern— Drucksachen 12/4555 Nr. 2.12, 12/4863 — Berichterstatter:Abgeordnete Peter Harry Carstensen
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 Titel 616 31 — Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit— Drucksachen 12/4732, 12/4954 — Berichterstattung:Abgeordnete Karl DillerDr. Gero PfennigIna Albowitzg) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
zu der vom Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/93— Drucksache 12/4865 — Berichterstattung:Abgeordneter Horst Eylmannh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Erste Verordnung zur Änderung der Konzernabschlußbefreiungsverordnung— Druckachen 12/4765, 12/4927 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Wolfgang Freiherr von Stetteni) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 101 zu Petitionen — Drucksache 12/4916 —j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 103 zu Petitionen — Drucksache 12/4918 —ZP3 weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
k) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.Änderung der Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß— Drucksache 12/4992 —Zum Tagesordnungspunkt 14a hat der Berichterstatter Horst Sielaff kurz um das Wort gebeten. Ich gehe davon aus, daß es sich nur um Berichtigungen handelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft ist für alle Fraktionen dieses Hauses ein wichtiges Thema. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie diese Förderung für den ländlichen Raum geschehen sollte. Einzelheiten sind im Bericht richtig wiedergegeben.Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil auf Grund des Berichts der falsche Eindruck entstehen könnte, das Interesse der Ausschußmitglieder an diesem Thema sei nicht so groß, weil nur 14 von 34 Mitgliedern an der Abstimmung teilgenommen haben. Ich möchte deshalb ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Sitzung gestern morgen für 8 Uhr angesetzt war. Diese Sitzung stand unter dem besonderen Zeichen des gestrigen Tages: Wegen der Blockade durch die Demonstranten war es einem großen Teil der Ausschußmitglieder nicht möglich, die Sitzung rechtzeitig zu erreichen. — Herr Hornung, auch der Berichterstatter, der den Fahrdienst für eine Zeit vor 7 Uhr bestellt hatte, konnte erst fünf Minuten vor 9 Uhr hier sein.Die SPD-Fraktion hat geschlossen abgestimmt; nicht nur zwei Teilnehmer, die anwesend sein konnten. Die PDS konnte aus den genannten Gründen ebenfalls nicht anwesend sein. Bei der CDU/CSU war es anders. Weil Sie bereits für 7 Uhr eine andere Sitzung anberaumt hatten, waren Sie rechtzeitig zu der in Rede stehenden Sitzung anwesend.
— Sie haben geahnt, was kommt.
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Horst SielaffIch will jedoch der Öffentlichkeit kundtun, daß es sich um ein für alle Ausschußmitglieder wichtiges Thema handelte und wir aus den genannten Gründen nicht anwesend sein konnten.Ich bedanke mich.
Die Präsidentin war schon fünf Minuten vor 6 Uhr in ihrem Büro. Da war es auch keine Schwierigkeit, Herr Kollege.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Punkt 14 a der Tagesordnung, und zwar zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Änderungsentwurf zum Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft auf den Drucksachen 12/4762 und 12/5026.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5030 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Wir kommen dann zur Abstimmung über Punkt 14 b der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Erhalt kultureller Substanz im Zusammenhang mit der Verlagerung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer auf den Drucksachen 12/3236 und 12/4573. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen sodann zur Abstimmung über Punkt 14c der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Mitteilung der EG- Kommission über die europäische Telekommunikationsgeräte-Industrie auf Drucksache 12/4858. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig bei einigen Enthaltungen angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14 d der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Post und Telekommunikation zum Richtlinienvorschlag der EG zuTelekommunikationsdienstleistungen auf Drucksache 12/4862. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch diese Beschlußempfehlung bei einigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14 e der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Vorschlag der EG zu Maßnahmen für Fischer von Kopffüßern auf den Kanarischen Inseln auf Drucksache 12/4863. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einigen Stimmenthaltungen so angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14f der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe auf den Drucksachen 12/4732 und 12/4954. Es handelt sich um einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Stimmenthaltung so angenommen.Wir kommen damit zu Punkt 14 g der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht auf der Drucksache 12/4865. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit so angenommen.Wir kommen zum Punkt 14h der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zur Änderung der Konzernabschlußbefreiungsverordnung, Drucksachen 12/4765 und 12/4927. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit so angenommen.Wir kommen dann zu den Punkten 14i und j der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/4916 und 12/4918. Das sind die Sammelübersichten 101 und 103.
— Es wird getrennte Abstimmung über die Sammelübersichten 101 und 103 verlangt.Wir stimmen zuerst über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/4916 ab; das ist also die Sammelübersicht 101. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit sind diese Beschlußempfehlungen mit großer Mehrheit so angenommen.Jetzt lasse ich über die Sammelübersicht 103 abstimmen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen so angenommen.
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13804 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Vizepräsidentin Renate SchmidtWir kommen nun zum Zusatzpunkt 3. Wir stimmen über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Änderung der Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß auf Drucksache 12/4992 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Antrag bei einigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Ich darf Ihnen nun das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das Nachtragshaushaltsgesetz 1993, Drucksachen 12/4400, 12/4744, 12/4800, bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 617, ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 382. Mit Nein haben gestimmt: 233. Enthalten haben sich 2 Kolleginnen oder Kollegen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 613; davon:ja: 380nein: 232enthalten: 1JaCDU/CSUDr. Ackermann, Else Adam, UlrichDr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-GünterDr. Bauer, WolfBaumeister, Brigitte Bayha, RichardBelle, MeinradBierling, Hans-DirkDr. Blank, Joseph-Theodor Blank, RenateDr. Blens, Heribert Bleser, PeterDr. Blüm, NorbertBöhm , Wilfried Dr. Böhmer, MariaBörnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, FriedrichBohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, KlausBreuer, PaulBrudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),HartmutBuwitt, DankwardCarstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),Peter HarryClemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, WernerDoss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, JürgenEhlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst Eymer, AnkeFalk, IlseDr. Faltlhauser, KurtDr. Fell, KarlFischer , Dirk Fischer (Unna), Leni Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, HerbertDr. Friedrich, GerhardFritz, Erich G.Fuchtel, Hans-JoachimGanz , Johannes Geiger, MichaelaDr. Geiger , Sissy Geis, NorbertDr. Geißler, HeinerDr. von Geldern, Wolfgang Gibtner, HorstGlos, MichaelDr. Göhner, Reinhard Göttsching, MartinGötz, PeterDr. Götzer, WolfgangGres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-PeterGünther , Horst Frhr. von Hammerstein,Carl-Detlev Harries, Klaus Haschke ,GottfriedHaschke , Udo Hasselfeldt, GerdaHaungs, RainerHauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),HansgeorgHedrich, Klaus-Jürgen Heise, ManfredDr. Hellwig, RenateDr. h. c. Herkenrath, AdolfHinsken, Ernst Hintze, PeterHörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hoffacker, PaulDr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, HubertJäger, ClausJaffke, Susanne Dr. Jahn ,Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, KarinDr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, EgonJung , Michael Junghanns, UlrichDr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, SteffenDr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, VolkerKeller, PeterKiechle, Ignaz Kittelmann, PeterKlein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, UlrichKöhler ,Hans-UlrichDr. Köhler ,VolkmarKolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, RudolfDr. Krause ,GüntherKrause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, ArnulfKronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Eberhard Lamers, KarlDr. Lammert, NorbertLamp, Helmut Johannes Lattmann, HerbertDr. Laufs, Paul Laumann, Karl-JosefLehne, Klaus-HeinerDr. Lehr, Ursula-Maria Lenzer, Christian Limbach, EdithaLink , Walter Lintner, EduardDr. Lippold ,Klaus W.Dr. sc. Lischewski, Manfred Löwisch, SigrunLohmann ,WolfgangLouven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, MichaelMaaß , Erich Männle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, GünterDr. Mayer , MartinMeckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Horst Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, ReinhardMichalk, MariaMichels, MeinolfDr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, FranzMolnar, ThomasMüller , Elmar Müller (Wadern), Hans-WernerNelle, EngelbertDr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Niedenthal, ErhardNitsch, Johannes Nolte, ClaudiaDr. Olderog, Rolf Ost, FriedhelmOswald, EduardOtto , Norbert Dr. Päselt, GerhardDr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, UlrichPfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, AntonPfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, GeroDr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, RonaldDr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, DieterRahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, HansDr. Ramsauer, Peter Rau, RolfRauen, Peter Harald Rawe, WilhelmReddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, ErikaDr. Rieder, Norbert Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),HanneloreRoitzsch , Ingrid Romer, FranzDr. Rose, KlausRossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13805
Vizepräsidentin Renate SchmidtSchmalz, UlrichSchmidbauer, Bernd Schmidt , Christian Dr. Schmidt (Halsbrücke),JoachimSchmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),Hans Petervon Schmude, Michael Dr. Schneider , OscarDr. Schockenhoff, Andreas Graf von SchönburgGlauchau, Joachim Dr. Scholz, RupertFrhr. von Schorlemer, ReinhardDr. Schreiber, Harald Schulhoff, WolfgangDr. Schulte , DieterSchulz , Gerhard Schwalbe, ClemensSchwarz, StefanDr. Schwarz-Schilling, ChristianDr. Schwörer, Hermann Seehofer, HorstSeesing, HeinrichSeibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSkowron, WernerSothmann, BärbelSpilker, Karl-HeinzSpranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, RudolfSteinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, HansDr. Frhr. von Stetten, WolfgangStockhausen, KarlDr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-GerdStübgen, MichaelDr. Süssmuth, RitaSusset, EgonTillmann, FerdinandDr. Töpfer, KlausDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, GunnarVerhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Duren), WolfgangDr. Voigt , Hans-PeterDr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, TheodorGraf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenDr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, KerstenWiechatzek, GabrieleDr. Wieczorek , BertramDr. Wilms, DorotheeWilz, BerndWimmer , Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, MatthiasDr. Wittmann, FritzWittmann , SimonWonneberger, Michael Wülfing, Elke Würzbach, Peter KurtYzer, Cornelia Zeitlmann, WolfgangZierer, Benno Zöller, WolfgangF.D.P.Albowitz, InaDr. Babel, GiselaBaum, Gerhart Rudolf Beckmann, KlausDr. Blunk , Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),Dieter-JuliusEimer , Norbert Engelhard, Hans A.van Essen, JörgDr. Feldmann, OlafFriedhoff, PaulFriedrich, HorstFunke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink, MargretGanschow, JörgGattermann, Hans H. Gries, EkkehardGrünbeck, JosefGrüner, MartinGünther , Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, BirgitDr. Hoth, SigridDr. Hoyer, WernerIrmer, UlrichKleinert , Detlef Kohn, RolandDr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, JürgenDr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger, SabineLüder, WolfgangLühr, UweDr. Menzel, BrunoMischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, RainerOtto , Hans-JoachimPaintner, JohannPeters, LisaDr. Pohl, EvaRichter , ManfredRind, HermannDr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno Dr. Schmieder, JürgenDr. Schnittler, Christoph Schuster, HansDr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, MaritaSeiler-Albring, Ursula Dr. Semper, SigridDr. Solms, Hermann OttoDr. Starnick, JürgenDr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-LudwigDr. Thomae, Dieter Timm, JürgenTürk, JürgenWalz, IngridDr. Weng , WolfgangWolfgramm , TorstenWürfel, UtaZurheide, Burkhard Zywietz, WernerFraktionslosDr. Krause , RudolfNeinSPDAdler, Brigitte Andres, Gerd Antretter, Robert Bachmaier, HermannBarbe, Angelika Bartsch, HolgerBecker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck, , Lieselott Bock, TheaDr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, AnniDr. Brecht, EberhardBüchler , HansDr. von Bülow, Andreas Büttner , Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, UrsulaBury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, PeterDr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich , Nils Diller, KarlDr. Dobberthien, Marliese Dreßler, RudolfDuve, Freimut Ebert, EikeDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, Konrad Esters, Helmut Ewen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFischer , Lothar Formanski, NorbertFuchs , AnkeFuchs , Katrin Fuhrmann, ArneGanseforth, Monika Gansel, Norbert Gilges, Konrad Gleicke, IrisDr. Glotz, Peter Graf, GünterGroßmann, Achim Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, ChristelDr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, KlausDr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, GüntherHiller , Reinhold Hilsberg, StephanDr. Holtz, Uwe Horn, ErwinHuonker, Gunter Iwersen, Gabriele Jäger, RenateJanz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJung , Volker Kastner, Susanne Kastning, ErnstKemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, MarianneDr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, SiegrunKlose, Hans-UlrichDr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz RudolfKolbe, ReginaKolbow, Walter Koltzsch, RolfKoschnick, Hans Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigittevon Larcher, DetlevDr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann , KlausDr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Marx, DorleMascher, Ulrike Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeMeißner, HerbertDr. Mertens , Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), GerhardDr. Niehuis, Edith Dr. Niese, RolfNiggemeier, Horst
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13806 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Vizepräsidentin Renate Schmidt Odendahl, DorisOpel, Manfred Ostertag, Adolf Dr, Otto, Helga Paterna, PeterDr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, MartinDr. Pick, Eckhart Poß, JoachimReimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, RenateReuschenbach, Peter W. Reuter, BerndRixe, GünterRoth, Wolfgang Schaich-Walch, Gudrun Scheffler, Siegfried Willy Schily, OttoSchloten, DieterSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, ReginaDr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, EmilDr. Schöfberger, Rudolf Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schütz, DietmarSchulte , BrigitteDr. Schuster, Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, LisaSielaff, HorstSimm, ErikaSinger, JohannesDr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Soell, HartmutSorge, WielandDr. Sperling, DietrichSteen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, GeraldThierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, GünterDr. Vogel, Hans-JochenVoigt , Karsten D. Vosen, JosefWagner, Hans Georg Wallow, HansWaltemathe, Ernst Walter , RalfWartenberg , GerdDr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, BarbaraWeis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, AxelWester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, IngeDr. Wetzel, Margrit Weyel, GudrunDr. Wieczorek, Norbert Wieczorek , Helmut Wiefelspütz, DieterWimmer ,HermannDr. de With, Hans Wittich, BertholdWohlleben, Verena Ingeburg Wolf, HannaZapf, UtaDr. Zöpel, ChristophPDS/Linke ListeBläss, PetraDr. Enkelmann, DagmarDr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Henn, BerndDr. Höll, Barbara Jelpke, UllaDr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Philipp, Ingeborg Dr. Schumann ,FritzDr. Seifert, IljaStachowa, AngelaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDr. Feige, Klaus-Dieter Poppe, GerdSchenk, ChristinaSchulz , Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), KonradFraktionslosDr. Briefs, Ulrich Lowack, OrtwinEnthaltenFDPSchüßler, GerhardDamit ist dieser Gesetzentwurf so angenommen.Ich möchte Ihnen außerdem bekanntgeben, daß zum Föderalen Konsolidierungsprogramm schriftliche Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung von unseren Kollegen Jürgen Koppelin, Thomas Molnar, Dr. Klaus Mildner, Rolf Rau, Dr. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, Klaus Kirschner und Hans Martin Bury zu Protokoll gegeben worden sind.*)*) Anlage 2Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4952 — Punkt 8a der Tagesordnung — wurde zurückgezogen.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 und den Tagesordnungspunkt 8 b auf:ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWeltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 in Wien— Drucksache 12/5024 —8. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hanna Wolf, Brigitte Adler, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDGegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen — Weltkonferenz fiber Menschenrechte im Juni 1993— Drucksache 12/4953 —Nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendeinen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege Heribert Scharrenbroich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juni findet nach 25 Jahren endlich wieder eine Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen statt. Daß es so lange dauerte, belegt den geringen Stellenwert der Menschenrechte in vielen Ländern dieser Welt. Es belegt, daß der Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte in vielen Staaten als störend empfunden wird.Als die Welt noch in die alten Blöcke eingeteilt war, ging jeder schonend mit seinen Freunden um. Einäugigkeit war damals beherrschend. Auch im freien Westen wurden zweifelsohne viele Augen zugedrückt.Nach Beendigung des Ost-West-Konflikts kam bei uns eine neue Hoffnung auf. Aber gerade die letzten. Sitzungen der Genfer Menschenrechtskommission in den Jahren 1992 und 1993 haben deutlich gemacht, daß es ein neues Blockdenken gibt: Entwicklungsländer gegen Industrieländer. Diese neue Blockkonfrontation hat die Vorbereitung der Wiener Menschenrechtskonferenz in einem solchen Ausmaß belastet, daß man heute sagen muß: Diese Konferenz steht nicht unter einem guten Stern. Die Vorbereitung muß als unbefriedigend bezeichnet werden.Mit der zur Debatte stehenden Entschließung appelliert der Deutsche Bundestag heute an die Weltgemeinschaft, die Kontroversen in der Menschenrechtsdiskussion zu überwinden. Wir nennen in unserem Entschließungsantrag die Themen und die Konflikte beim Namen. Das muß uns aber auch eine Verpflichtung sein, daß die Industrienationen nach dieser Weltmenschenrechtskonferenz ihre Positionen selber überprüfen und in einen neuen Dialog mit den Ländern der Dritten Welt eintreten.Es erscheint mir jedoch — das ist unbestritten und geht auch aus diesem Text hervor — äußerst wichtig, daß sich die Mitglieder der Vereinten Nationen von
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13807
Heribert Scharrenbroichder universellen Geltung der Menschenrechte nicht abbringen lassen.Auch erscheint es mir wichtig, daß sich die Industrienationen nicht nur bei der Durchsetzung der politischen und bürgerlichen Menschenrechte engagieren. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen, was uns von den Entwicklungsländern gesagt wird. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie die Ausgestaltung des Rechtes auf Entwicklung müssen intensiviert werden.Daß wir uns z. B. in Lateinamerika für die Beseitigung linker oder rechter Diktatoren eingesetzt haben, die jungen Demokratien dann aber alleinließen, als sie gerade anfingen, zu laufen, ist äußerst bedauerlich.
Es ist kein Wunder, daß die Staaten, die sich der Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, jede Kritik an ihrem Regime als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurückweisen. Damit wird man leben müssen; das werden wir aber deswegen nicht akzeptieren.
Ich begrüße das zunehmende Bewußtsein bei zahlreichen Regierungen, daß hier Einmischung geboten ist. Deswegen erwarten wir, daß die Bundesregierung ihre Politik zur Fortentwicklung des menschenrechtlichen Instrumentariums der Vereinten Nationen fortsetzt und verstärkt.
Die Entwicklungs- und die Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland haben in der Welt einen guten Ruf; den gilt es zu verteidigen. Deswegen wollen wir die Bundesregierung mit unserer Entschließung ermuntern, weiterhin die Initiativen aus dem Parlament zu unterstützen, von denen ich schlagwortartig nur nennen will: die Schaffung des Amtes eines Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, der — das ist besonders wichtig — Eigeninitiativrecht haben muß. Ich nenne die Effektivierung und Aufwertung des Menschenrechtszentrums, die Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs nach dem Vorbild des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und schließlich die Kodifizierung eines internationalen Strafrechts und Errichtung eines Internationalen Gerichtshofs zur Verurteilung von Verbrechen gegen Frieden und Sicherheit der Menschen.Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein internationales Strafrecht, wonach Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschen verurteilt werden können, ist dringender denn je.
Das machen z. B. gerade die Ereignisse dieser Tage in Guatemala deutlich.
Jeder, der demokratische Verfassungsorgane durch einen Staatsstreich außer Kraft setzt, muß von vornherein wissen, daß er irgendwann vor einen internationalen Strafgerichtshof gebracht wird.
Wer verfassungsmäßig verbriefte Rechte außer Kraft setzt, wer einen obersten Gerichtshof gegen die bestehenden Gesetze auflöst, wer das Verfassungsgericht des Landes gegen bestehendes Recht auflöst, wer vor allem das Parlament auflöst, der begeht ein Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschen.
Genau dies hat der amtierende Präsident von Guatemala, Herr Serrano, in diesen Tagen getan. Dieses Verbrechen wird um so schlimmer sein, wenn er weitere Willkürmaßnahmen gegen Mitglieder der genannten Institutionen zuläßt oder sogar selber veranlaßt.Am Beispiel Guatemala wird allerdings auch deutlich, daß Sanktionen gegen Unrechtsregime, z. B. gegen das Unrechtsregime von Herrn Fujimori in Peru, fortgeführt werden müssen, solange solche Regime bestehen. Deswegen bedauere ich, daß die Organisation amerikanischer Staaten und auch die Vereinigten Staaten nach einer gewissen Zeit ihre Position zugunsten von Herrn Fujimori verändert haben. Ich begrüße es, daß die Bundesregierung hier weiterhin konsequent war.Auch bei der Vervollständigung des internationalen Menschenrechtsinstrumentariums wird es maßgeblich von der praktischen Politik der demokratischen Rechtsstaaten abhängen, wieweit Verbrechen gegen Menschenrechte verhindert werden.Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Entschließung, über die das Parlament heute befindet und die wir zur Annahme empfehlen, will der Deutsche Bundestag deutlich machen, daß die Menschenrechtskonferenz in Wien für uns einen hohen Stellenwert hat. Der Deutsche Bundestag und insbesondere der Unterausschuß Menschenrechte des Auswärtigen Ausschusses wird diese Konferenz sorgfältig beobachten, begleiten und auswerten. Wir werden darauf drängen, daß es auch nach dieser Konfernez zu einem konstruktiven Dialog über den Zusammenhang von Menschenrechten, Demokratie und Entwicklung einerseits sowie einer wünschenswerten Förderung der Eigeninitiative in den Entwicklungsländern andererseits kommt. Ich glaube, daß sich die Tradition dieses Hauses, daß wir uns bemühen, bei Menschenrechtsfragen möglichst einstimmig zu beschließen, hier auszahlt. Ich stehe nicht an, den Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion dafür zu danken, daß sie die Grundlage für diese Entschließung erarbeitet haben.Es ist notwendig, daß die Industriestaaten an der Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte mitwirken und einen Beitrag zur kontinuierlichen Entwicklung von Überprüfungs- und Durchsetzungsmechanismen leisten. Das erwarten wir vor allem auch von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland.
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13808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Heribert ScharrenbroichWir wünschen außerdem, daß sie mit uns gemeinsam dafür Sorge trägt, daß die Vertreibung von Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen sowohl völkerrechtlich wie strafrechtlich geahndet und bestraft wird. Denn wir erleben gerade in diesen Tagen im ehemaligen Jugoslawien, welch unsägliches Leid die Mißachtung der Rechte von Minderheiten über die Menschen, meistens über alte Menschen, Frauen und Kinder, bringt. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihren Einfluß verstärkt dahin geltend macht, daß sich die Ergebnisse der Konferenz nicht auf unverbindliche Resolutionen beschränken, sondern daß möglichst konkrete Vereinbarungen, insbesondere im Hinblick auf ein geregeltes „follow-up", getroffen werden.Der Deutsche Bundestag will mit der heute zur Verabschiedung anstehenden Entschließung deutlich machen, daß er bereit ist, an der Weiterentwicklung des Menschenrechtsinstrumentariums mitzuarbeiten, und daß er davon ausgeht, daß auch die Bundesregierung in diesem Sinne initiativ bleibt.Wir glauben, daß wir zu Recht darauf hinweisen müssen, daß Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen von 1945 weiterhin in internationalem Geist umgesetzt werden muß. Ich schließe mit dem Zitat, daß die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen ist. Deswegen gilt es, daß die universellen Menschenrechte in allen Ländern durchzusetzen sind.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht unser Kollege Rudolf Bindig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der bevorstehenden Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Wien verbinden sich Skepsis und Hoffnung zugleich. Die Skepsis weist auf die große Diskrepanz hin, welche zwischen dem bereits recht ausgedehnten Netzwerk an Menschenrechtserklärungen, Menschenrechtspakten, Konventionen und den dazugehörigen Ausschüssen, Kommissionen, vertraulichen und öffentlichen Verfahren und Berichterstattern einerseits und dem dramatischen Anstieg von Menschenrechtsverletzungen in vielen Ländern der Welt andererseits besteht.Mehr als die Hälfte der Menschheit ist Opfer von Gewalt oder extremer Armut. 3 von 5 Milliarden Menschen kennen die in den Menschenrechtskatalogen und Gremien diskutierten Menschenrechte nicht. Für sie bleibt die Freiheit von Unterdrückung, von materieller Not, von Bedrohung, Verfolgung, Folter und Tod, von Bedrohung der Menschenwürde und von ungerechtfertigter Haft nur ein Traum.Auch die Verantwortlichen für Brutalität und Terror werden an den Beratungen der Konferenz teilnehmen und dort über Prinzipien und andere Länder reden und dabei ihre eigene Verantwortlichkeit und Schuld zu verschleiern suchen.Die Hoffnung richtet sich darauf, daß diese Konferenz wieder einige kleine zähe Fortschritte erkämpfen wird, die Diskrepanz zwischen abstraktem Normengefüge und Konferenzdiplomatie einerseits und Mord und Totschlag sowie Not und Elend andererseits abzubauen.Der Sinn und die Hauptaufgabe dieser Konferenz liegen darin, konkrete Fortschritte im Hinblick auf die Umsetzung der bestehenden Standards sowie die Wirksamkeit des menschenrechtlichen Instrumentariums zu erreichen.Die Idee der Schaffung eines UN-Hochkommissariats für Menschenrechte ist für diese Zielsetzung von zentraler Bedeutung. Sie ist es schon deshalb, weil Begriff und Amt eines UN-Hochkommissars für Menschenrechte neuen Schwung in die reichlich zersplitterten und auseinanderlaufenden Menschenrechtsaktivitäten der Vereinten Nationen bringen könnten.Dem Ziel einer Verbesserung der Durchsetzungskraft dient auch die Forderung nach Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs bei den Vereinten Nationen nach dem Vorbild des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, bei dem die Möglichkeit der Individualbeschwerde bestehen sollte.Wer schwerste Menschenrechtsverletzungen durch Krieg, Terror und Gewalt ahnden will, braucht dafür einen international akzeptierten Strafkodex. Die UN sollten deshalb den von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen erarbeiteten Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit als internationales Strafrecht akzeptieren.
Dieser kennt die Straftatbestände Aggression, Aggressionsdrohung, gewaltsame Einmischung, Fremdherrschaft, Völkermord, Apartheid, systematische oder massenhafte Menschenrechtsverletzungen, außergewöhnlich schwere Kriegsverbrechen, Söldnereinsatz, internationaler Terrorismus, unerlaubter Verkehr mit Suchtstoffen und vorsätzliche und schwere Schädigung der Umwelt.Der Kodex mit diesen Straftatbeständen und ein internationaler Strafmechanismus könnten auf der Rechtsgrundlage eines völkerrechtlichen Vertrages geschaffen werden, dem die Staaten, die seine Zuständigkeit anerkennen wollen, beitreten müßten.Wichtig ist es, diese Einrichtungen aus der Forderungs- und Diskussionsphase nunmehr in die konkrete Umsetzungsphase überzuleiten.Auf den regionalen Vorbereitungstreffen für die Weltmenschenrechtskonferenz hat sich herausgestellt, daß es den dringenden Wunsch der Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens gibt, auf dieser Konferenz intensiv auf die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte zu reden.Der Westen oder besser die Industrieländer sollten nicht den Fehler machen, sich gegen diese berechtigte Forderung der Länder des Südens oder der Entwicklungsländer zu wenden. Weder ein Leben in relativer
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Rudolf Bindigpolitischer Freiheit in bitterer Armut noch ein Leben bei relativer materieller Sicherung in politischer Unterdrückung ist menschenwürdig.Die afrikanische Gruppe hat in ihrem Vorbereitungspapier deshalb zu Recht angemerkt, daß politische Freiheit ohne Beachtung sozialer Rechte unsicher ist. Die zaghaften demokratischen Erfolge in Afrika werden scheitern, wenn der Kontinent weiterhin in Armut und Not bleibt.Ein Versuch allerdings, wie er ersatzweise von der Gruppe der asiatischen Staaten versucht worden ist, vom Prinzip der Universalität der Menschenrechte abzugehen und die Menschenrechte regional oder in kultureller Relation zu definieren, muß zurückgewiesen werden.
Erfreulich ist, daß die Regionalgruppen erkannt haben, daß die Institutionalisierung und Verwaltung der Justiz gestärkt und ausgebaut werden muß.Das UN-Menschenrechtszentrum in Genf könnte und müßte hier seine Aktivitäten ausweiten. Für die Wahrnehmung der dringenden Aufgabe der Ausweitung der beratenden Dienste, des präventiven Menschenrechtsschutzes und der Erforschung der Ursachen von Menschenrechtsverletzungen ist das Menschenrechtszentrum völlig unzureichend ausgestattet. Die Bundesrepublik Deutschland trägt zu der wichtigen Arbeit dieser Einrichtung lediglich mit dem geradezu blamabel geringen freiwilligen Beitrag von jährlich 120 000 DM bei. Ich wiederhole: 120 000 DM, nicht Millionen.
Geld wäre schon da, die Bundesregierung setzt nur eindeutig falsche Prioritäten.
Für den zweifelhaften Einsatz der Bundeswehr in Somalia, welcher nach Ansicht aller humanitären Fachorganisationen keinen wesentlichen humanitären Beitrag erbringen kann, werden ruckzuck 186 Millionen DM für ein Jahr aufgebracht. Das ist das 1 550fache dessen, was Deutschland für das Menschenrechtszentrum und damit für den präventiven Menschenrechtsschutz einzusetzen bereit ist.Dabei ist doch einsichtig: Je mehr es international gelingt, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zu schützen, desto weniger Mittel werden gebraucht, um hinterher von Menschen gemachte Katastrophen zu beenden.
Wir haben für die Weltmenschenrechtskonferenz einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Dieser Antrag enthält allerdings jetzt nicht mehr unsere Forderung, daß Deutschland das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über Eingeborene und in Stämmen lebende Völker zeichnen und dem Bundestag zur Ratifizierung vorlegen soll.Die Gemeinsamkeit in bestimmten Zielsetzungen der Menschenrechtspolitik und bei den Erwartungen an die UN-Weltmenschenrechtskonferenz darf nicht den Blick davor verstellen, daß es — ähnlich wie zwischen den Normen der Menschenrechtskataloge und der menschenrechtlichen Realität — auch ein Theorie-Praxis-Problem der deutschen Menschenrechtspolitik gibt.Es ist leider nicht so, wie immer in Selbstdarstellungen behauptet wird, daß sich die Bundesregierung stets und ständig und überall für die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzt. Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung ist nicht abgestimmt mit der Rüstungsexportpolitik, der Wirtschaftspolitik und auch nicht mit Teilen der Außenpolitik. Der Einsatz für die Menschenrechte im Iran, wo das Regime weiterhin in brutalster Weise mit Hinrichtungsterror gegen politische Gegner und freiheitlich denkende Menschen vorgeht, fällt angesichts möglicher Wirtschaftsaufträge deutlich diplomatischer als notwendig aus.
Bei seiner Reise in die Türkei hat der Bundeskanzler gesagt, er habe keinen Grund, zu denken, daß die Regierung in Ankara die Menschenrechte nicht genauso achte wie er selbst.
Dabei hat das Europäische Antifolterkomitee dargelegt, daß es in einigen Polizeigefängnissen spezielle Folterräume aufgespürt hat und daß es zu der Ansicht gekommen sei, daß türkische Regierungsstellen keine hinreichende Bereitschaft zeigten, den Empfehlungen des Komitees zur Verbesserung der Lage zu folgen.Während andere darüber nachdenken, ob wegen dieser erschütternden Feststellungen nicht die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat suspendiert werden muß, hat unser Bundeskanzler um der Harmonie eines Staatsbesuchs willen diese Punkte nicht in hinreichender Deutlichkeit angesprochen.
Gerade weil wir in wichtigen Zielen der Menschenrechtspolitik zusammenarbeiten und einen gemeinsamen Antrag verabschieden wollen, muß das deutsche Theorie-Praxis-Problem auch hier angesprochen werden.
Wir hoffen, daß es auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien gelingen wird, wieder einen Schritt zur Verbesserung der Menschenrechtssituation auf der Welt voranzukommen. Leider haben wir immer wieder erfahren müssen, daß gerade auf diesem Gebiet der Satz gilt: Der Fortschritt ist eine Schnecke.
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13810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Nun spricht die Kollegin Ingrid Walz.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! „Viele sind heute bereit, Gewalt zu bekämpfen, die gegen die Wehrlosen angewendet wird, aber können Sie auch die Gewalt erkennen?" Dieses Zitat von Bertolt Brecht beschreibt treffend die Spannungen und Fragezeichen im Vorfeld der Konferenz in Wien.
Wien fällt in eine Zeit des Umbruchs, der Konflikte und der Zweifel. Von der Hoffnung ist nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem sehr kurzen Wettlauf um Frieden wenig geblieben. Die Botschaft vom weltweiten Sieg von Marktwirtschaft, Demokratie und der Verwirklichung von Menschenrechten mag so recht niemand mehr glauben. Volkswirtschaften kämpfen um ihre Umformung zur Marktwirtschaft, und Volkswirtschaften kämpfen um Märkte. Dieser Wettkampf ist gesäumt von Unsicherheit, Halbherzigkeit, Fehlinterpretationen und, meine Damen und Herren, mehr Armut. Die Satten beharren auf ihren Vorteilen und Privilegien.
Der Wind des Wandels, der vermeintliche Aufbruch Afrikas zu Demokratie und Menschenrechten hat mehr scheindemokratische Lösungen in Afrika gebracht und neue Konflikte entfacht. Es blieben enttäuschte Menschen zurück, und ein ganzer Kontinent gerät an den Rand des Abgrunds.
Was steht nun in Wien zur Diskussion? Es ist die Suche nach internationalem Frieden, nach sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Grundlage für diesen globalen Dialog soll u. a. auch eine Studie über die weltweite Lage der Menschenrechte sein.
Dabei steht .im Hintergrund einerseits die Frage nach den Menschenrechten der dritten Generation, also dem Recht jedes Menschen auf Entwicklung, und auf der anderen Seite die Gewährung von Grundfreiheiten und deren Verletzung.
Unausgesprochen, meine Damen und Herren, oder ausgesprochen existieren natürlich Fragen eines möglichen neuen Entwicklungsdiktats des Nordens. Zwei Vorredner haben das bereits angesprochen. Der Süden hinterfragt sehr kritisch, ob die Einforderung und die Durchsetzung von Menschenrechten nach europäischem Standard nur eine andere Form der Rekolonialisierung ist. Der Schatten dieses Mißtrauens könnte die nötigen Auseinandersetzungen und Annäherungen behindern. Die Gefahr einer gegenseitigen Schuldzuweisung ist groß. Der Vorwurf, daß die westlichen Industrieländer den Balken in ihren eigenen Augen nicht sehen, macht uns hoffentlich betroffen und in unserer Betrachtung differenzierter.
Trotz dieser Gegensätze muß die Konferenz, müssen wir von der Unteilbarkeit wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte ausgehen und darauf beharren. Die weltweit bedrohliche Lage der Menschenrechte zwingt uns dazu; denn die 1992 aktenkundig gewordenen 125 000 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen, die vom Zentrum für Menschenrechte nur als Bruchteil der tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen beschrieben werden, lassen vermuten, in welchem Ausmaß tagtäglich Folter, Massenhinrichtungen, willkürliche Gefangennahmen, Behinderung der freien Meinungsäußerung und Vergewaltigungen geschehen.
Meine Damen und Herren, die Folgen von Hunger, Armut und Bürgerkrieg sowie anderer Gewalt sind 17 Millionen Flüchtlinge im Jahr 1992, 25 Millionen Flüchtlinge, die von einem Landesteil in den anderen wandern, und — meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit — die meisten davon sind Frauen.
Wer denkt schon an die Rechte von Kindern, an deren Schutz? In fast allen Ländern dieser Welt, nämlich in 150, arbeiten zwischen 150 und 200 Millionen Kinder als Arbeitskräfte. Sie werden mißbraucht.
700 Millionen Menschen sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Auf Grund der weltwirtschaftlichen Krisen werden vermutlich jährlich 38 Millionen hinzukommen, und, meine Damen und Herren, die meisten davon sind Frauen.
780 Millionen Menschen sind unterernährt, und die meisten davon sind Frauen und Kinder.
Fast 1 Milliarde Menschen können nicht lesen und nicht schreiben und sind in ihren bürgerlichen und kulturellen Rechten benachteiligt, und die meisten davon sind Frauen.
Zwischen 1 Milliarde und 1,4 Milliarden Menschen leben heute weltweit in absoluter Armut, eine weitere Milliarde am Rande der Armut, und die meisten davon — Sie können es sich denken — sind Frauen.
Vor diesem Hintergrund können wir erklären, daß Menschenrechte in einer Umgebung von Armut und Elend keine Bedeutung haben.
Dies ist nicht die Ausrede eines Diktators in demokratischem Gewande, sondern die realistische Feststellung des Generalsekretärs der Weltkonferenz für Menschenrechte.
Grell wird damit der Konflikt zwischen Menschenrechten und Entwicklung bloßgelegt. Wien als Forum der Völker darf nicht zum neoideologischen Kriegsschauplatz neuer Konflikte zwischen Nord und Süd werden. Die „westlichen Industrieländer" müssen deshalb ihren klassischen Menschenrechtsbegriff, der in der Regel die bürgerlichen/politischen Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat meint, urn die wirtschaftlichen und sozialen Rechte erweitern. Die Länder des Südens müssen erkennen, daß Demokratie und Menschenrechte die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung sind — und dies auf Dauer. Das Gemeinwohl muß Staatsziel werden.
Um noch einmal auf Brecht zurückzukommen: Er meint, daß Armut Ausbeutung und Gewalt zur Folge hat und Wehrlosigkeit und Armut identisch sind. Armut, Wehrlosigkeit aber führt zu Verletzungen von Menschenrechten. Wenn dies so ist, müssen der Norden und der Süden erkennen, daß die Überwindung der Armut die Grundvoraussetzung für die Einhaltung der Menschenrechte ist und daß die Armut weiblich ist.
Von Menschenrechtsverletzungen darf nicht theoretisch und global gesprochen werden, sondern es
Ingrid Walz
muß ganz konkret davon gesprochen werden. Wir müssen wissen, von wem und von was wir sprechen. Die strukturellen Ursachen für das Entstehen von Gewalt und die Vorenthaltung von Rechten müssen Gegenstand der Politik, des Politikdialogs und des gesellschaftlichen Bewußtseins weltweit werden. Die Menschenrechtsverletzungen an Frauen müssen publik gemacht und angemessen geahndet werden. Den Frauen dieser Welt nützt es wenig, wenn nur bei Massenvergewaltigungen die eine, die männliche, Welt von der anderen, der weiblichen, Kenntnis nimmt. Die grausamen Ereignisse im früheren Jugoslawien sind nämlich nur die medienwirksame Spitze der omnipräsenten Gewalt und Benachteiligung von Frauen in dieser Welt.
Meine Damen und Herren, der interfraktionelle Antrag verlangt den Ausbau des Instrumentariums zum internationalen Menschenrechtsschutz. Gegenstand des globalen Menschenrechtsdialogs in Wien muß aber auch der Aufbau eines gesellschaftlichen Gegengewichts gegenüber dem Staat sein. In vielen Ländern, in denen es zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen kommt und kam, ist die zivile Gesellschaft zusammengebrochen oder in einer der Bevölkerung angemessenen Form noch nicht geboren. Eine zivile Gesellschaft erst, entstanden aus eigener Tradition und Geschichte sowie dem starken Willen der Bevölkerung nach Partizipation, schafft Selbstkontrolle und Transparenz. Der Fremdkontrolle von außen, gleichgültig in welcher Form, muß die Selbstkontrolle von innen folgen.
Das Endziel in Wien muß deshalb Selbstkontrolle und Selbstbestimmung sein. Das Zusammenleben von Menschen, von Völkern, der Völkergemeinschaft kann sich nur im Wege der sozialen Vernunft und der sozialen Kontrolle vollziehen.
Deshalb ist Wien wichtig. Deshalb ist eine deutsche Außen- und Entwicklungspolitik wichtig, die Partei für Menschenrechte ergreift, aber auch dabei hilft, eine menschliche, zivile Gesellschaft aufzubauen — und dies nach eigenem Willen und nach eigenen Gestaltungsvorstellungen unserer Partner.
Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht die Kollegin Angela Stachowa.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Universalität, Verbindlichkeit und Unteilbarkeit der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und aller anderen Menschenrechte — das ist ein Anspruch, der nicht nur Politikzielvorstellung sein darf, sondern in der Realität mit Hilfe der Politik und als Verpflichtung der Regierungen auch durchgesetzt werden muß.International in vielen Konventionen anerkannt, obliegen die Pflichten zur tatsächlichen Durchsetzung der Menschenrechte den einzelnen Staaten. Daß damit vieles im argen in der Welt liegt, beweisen unstagtäglich die oft erschreckenden Nachrichten in den Medien über Bürgerkriege, Greueltaten, Morde, Zerstörungen der menschlichen Umwelt. Auch die gestrige faktische Abschaffung des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland muß man zu den Ereignissen zählen, die der Durchsetzung der universellen Menschenrechte nicht dienen, sondern sie teilweise außer Kraft setzen.
Der nunmehr seit heute morgen vorliegende interfraktionelle Antrag zur Weltmenschenrechtskonferenz findet in seiner prinzipiellen Stoßrichtung meine Zustimmung, weil die dort aufgeführten Forderungen einen kleinen Schritt zu möglichen Maßnahmen in Richtung Verwirklichung der Menschenrechte darstellen.Dieser interfraktionelle Antrag ist in seiner Gesamtheit aber leider unverändert halbherzig. Zwar wird jetzt der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entwicklung durch die Erwähnung der Verschuldungskrise und der ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen näher definiert, aber vermieden wird unverändert, einen der Hauptgründe für Menschenrechtsverletzungen bzw. die ungenügende Verwirklichung der Menschenrechte explizit zu nennen, nämlich die existierende Wirtschaftsordnung in der Welt, die Konflikte zwischen Arm und Reich, die jahrhundertelange Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt, den Raubbau an Ressourcen usw.
Der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entwicklung kann nicht nachhaltig genug thematisiert werden, wie es auch im Antrag gefordert wird. Dies allein nützt auf die Dauer aber wenig. Er muß in der Praxis einer Lösung zugeführt werden. Die Zahlen des UNO-Menschenrechtszentrums sprechen doch eine sehr eindeutige Sprache. Ich möchte sie nicht wiederholen; sie sind im Antrag dargestellt.Der Gedanke einer erweiterten Prävention ist sicher gut und nützlich, um schwelendem Unheil vorzubeugen. Darüber hinaus geht es meines Erachtens darum, Ursachen zu beseitigen oder wenigstens zu beeinflussen — genug Arbeit für die Regierungen.Apropos Regierungen: Sie sollten sich — gegenseitig, ehrlich — mehr auf die Finger schauen. Massenhafte Verletzungen von Menschenrechten dürfen weder stillschweigend geduldet noch indirekt befördert werden durch Schritte in der Außen-, Wirtschafts-, Entwicklungs-, Bündnis- oder Rüstungspolitik; dies gegenüber dem Bündnispartner Türkei genauso wie gegenüber China. Das hat ohne Unterschiede zu gelten.Das heutige Thema und der Jahresbericht des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Gemeinschaft, der sogenannte deGucht-Bericht vom 27. Januar dieses Jahres, machen aber auch deutlich, daß jedes Land, jedes Parlament und jede Regierung dem eigenen Gewissen verpflichtet sein müßten, nicht nur mit dem Finger auf das
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Angela StachowaAusland zu zeigen, sondern die Verwirklichung der Menschenrechte auch im Inneren selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen.Die Aussagen im de-Gucht-Bericht zur Bundesrepublik Deutschland im Abschnitt „Politische und gewerkschaftliche Diskriminierung" kann ich hier aus Zeitgründen ausführlich nicht wiederholen, ebensowenig die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zum Bericht.Dieser konstatiert jedoch nüchtern politische Diskriminierungen für bestimmte Berufsgruppen in der ehemaligen DDR, Nichteignung — um es konkret zu sagen: „Berufsverbote" — wegen nicht näher definierter „Staatsnähe" und äußert seine Besorgnis angesichts der Entlassungen von Lehrern, Hochschullehrern, im öffentlichen Dienst usw. Bei einer solchen Bewertung hätte ich doch etwas mehr Ernsthaftigkeit bei der Beantwortung unserer Anfrage und mehr Nachdenklichkeit der Bundesregierung bei der Einschätzung des Umgangs mit den Ostdeutschen erwartet. Das Ausklammern von vielen Menschen aus dem aktiven tagtäglichen Leben, ja aus der Gesellschaft, hat sehr wohl etwas mit der Verwirklichung von Menschenrechten in Deutschland zu tun.Noch ein Wort zum Antrag der SPD zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Ich begrüße insbesondere die Forderung, die Bundesregierung möge sich dafür einsetzen, daß Menschenrechtsverletzungen an Frauen auf der Wiener Konferenz herausragende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Noch zu oft werden in der Welt Menschenrechte als Männerrechte betrachtet, auch in unserem eigenen Lande. Von einer gleichen Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen sind auch wir noch meilenweit entfernt.Zum Abschluß gestatten Sie noch eine persönliche Bemerkung zum Ausgang des Prozesses gegen das Mitglied des Deutschen Bundestages, meinen Kollegen Dr. Hans Modrow;
denn diesen Prozeß betrachte ich auch unter dem Blickwinkel der Menschenrechte.
Ich freue mich — gestatten Sie etwas herbere Worte —, daß mit diesem Urteil politische Siegermentalität nicht über die Justiz gesiegt hat. Ich freue mich auch darüber, ihn bald wieder hier begrüßen zu können.
Nun spricht der Kollege Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
— Können Sie Ihren Disput nicht unterbrechen?
Im Moment hat der Kollege Gerd Poppe das Wort. Wenn Sie sich weiter unterhalten wollen, tun Sie das doch bitte an anderer Stelle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitlich den Beschluß gefaßt hat, ihre Unterschrift unter den interfraktionellen Antrag zur Weltmenschenrechtskonferenz zurückzuziehen. Davon nicht berührt ist die Feststellung, daß wir den Formulierungen des Antrags generell zustimmen.
— Ich versuche es zu erklären.Eine Mehrheit der Gruppe, der ich in diesem Falle nicht angehörte, sieht nach den gestrigen Entscheidungen einen Widerspruch darin, daß der Deutsche Bundestag anläßlich der Wiener Menschenrechtskonferenz Forderungen erhebt, denen auf nationaler Ebene durch die neue Asylgesetzgebung nicht Rechnung getragen wird.
Das betrifft insbesondere die Verbesserung der Möglichkeit von Indidvidualbeschwerden. Wir unterstützen seit langem die Forderung, daß solche gegenüber einem internationalen Gerichtshof erhoben werden können.Andererseits hat der Deutsche Bundestag gestern ausgerechnet Flüchtlingen, die zu uns kommen wollen, ein vergleichbares Individualrecht gegenüber den deutschen Behörden genommen. Ohne die gestrige Debatte wieder aufnehmen zu wollen, beschränke ich mich auf die Feststellung, daß Asylbewerber, die aus sogenannten sicheren Drittstaaten kommen, keinen Anspruch mehr auf eine unseren Menschenrechtskriterien genügende Überprüfung ihres Anliegens haben.Dennoch bleibt es dabei, daß wir dem vorliegenden Antrag zustimmen. Eine ganze Reihe unserer Forderungen ist darin enthalten. Auch einzelne unserer Formulierungsvorschläge wurden berücksichtigt, und das begrüßen wir.Wir bedauern allerdings nachdrücklich, daß die in der Ursprungsfassung der SPD-Fraktion enthaltene Aufforderung an die Bundesregierung, das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz der indigenen Völker zu zeichnen und dem Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen, in dem Antrag nicht mehr enthalten ist.
— Es geht ja um eine Weltmenschenrechtskonferenz, lieber Herr Kollege Scharrenbroich, und nicht um eine deutsche Menschenrechtskonferenz. — Und das aus-
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Gerd Poppegerechnet im Jahre 1993, das von den Vereinten Nationen zum Jahr der indigenen Völker erklärt wurde lWie vielen von Ihnen bekannt sein dürfte, hat vor etwas über zwei Wochen hier in Bonn eine Anhörung zur Vorbereitung der Weltmenschenrechtskonferenz stattgefunden, an der über 20 deutsche Menschenrechtsorganisationen und darüber hinaus auch Vertreter der Bundesregierung und Mitglieder dieses Hauses beteiligt waren. Während dieser Anhörung wurden eine Reihe bedenkenswerter Handlungsvorschläge an die Bundesregierung gemacht. Einige von ihnen sind auch in dem Antrag enthalten, z. B. zum schon erwähnten Menschenrechtsgerichtshof.Erinnert sei aber auch noch einmal an die generelle Forderung der Menschenrechtsorganisationen, das individuelle Recht auf Asyl uneingeschränkt zu erhalten und den bisherigen Art. 16 des Grundgesetzes zum Maßstab für ein noch zu schaffendes gemeinsames europäisches Asylrecht zu machen.Hervorheben möchte ich schließlich noch die Forderung der deutschen NGOs nach klar definierten Grundsätzen für Rüstungsexporte. Danach sollen alle Rüstungsexporte in Länder verboten werden, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Es hätte dem Deutschen Bundestag gut angestanden, diese Forderung auch in den vorliegenden Antrag aufzunehmen und sie damit zum Betandteil der Politik der Bundesregierung werden zu lassen.Mit interfraktionellen Anträgen verhält es sich wie mit allen Kompromissen: Kleinste gemeinsame Nenner machen zwar begrenzt handlungsfähig, oftmals aber um den Preis des Verlustes wesentlicher Inhalte. Vergleichbares läßt sich natürlich zu den Kompromissen auf der Ebene der Vereinten Nationen und insbesondere zur Weltmenschenrechtskonferenz selbst feststellen. Deren Vorbereitungen standen nicht gerade unter einem glücklichen Stern. Die Streitigkeiten um Tagesordnung und Abschlußdokument verringern die Erfolgschancen dieser Konferenz.Wir meinen, daß der Durchbruch im Sinne der Universalität der Menschenrechte ohne einschneidende Reformen des gesamten Regelwerks der Vereinten Nationen nicht erwartet werden kann. In diesem Zusammenhang finde ich, daß die Aussage des Antrags über die Unteilbarkeit wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte von besonderer Bedeutung ist.Abschließend möchte ich noch ein letztes Mal meinem Ärger über das Nichtzustandekommen der Konferenz in Berlin Ausdruck geben,
zumal die fragwürdige Hektik, mit der die Olympiabewerbung betrieben wird, einmal mehr Zweifel an der Stichhaltigkeit der seinerzeit für die Absage gegebenen Begründung aufkommen läßt.
Meine Wunschvorstellung wäre — das ist vielleicht etwas utopisch — die Weltmenschenrechtskonferenzin Berlin gewesen, damit dann im Jahre 2000 die Olympiade in Peking stattfinden könnte, natürlich unter der Voraussetzung, daß Menschenrechte dort dann inzwischen einen anderen Stellenwert haben als bisher.
Hoffen wir also auf Wien. Die Chancen, dort in Menschenrechtsfragen erheblich voranzukommen, sind nicht sehr groß. Wir meinen dennoch, daß die Konferenz zu einigen Fortschritten führen kann, und werden uns in der Zeit danach gemeinsam mit allen Fraktionen dieses Hauses weiter darum bemühen, in der von uns geforderten Richtung — d. h. der Anerkennung der Universalität und der Unteilbarkeit der Menschenrechte durch die internationale Staatengemeinschaft — endlich einen Durchbruch zu erzielen.
Nun bittet der Kollege Duve um das Wort zu einer Kurzintervention von maximal zwei Minuten.
— Bitte sprechen Sie vom Saalmikrofon aus.
Wir hatten den Standort für Zwischenbemerkungen in den Regeln, glaube ich, nicht festgesetzt — aber wenn die Präsidentin das sagt.Herr Scharrenbroich, Sie haben die Universalitätsdiskussion der letzten Monate angesprochen. Wir hatten vor 14 Tagen in Budapest eine IPU-Konferenz über die Wiener Konferenz. Dabei ist mir klargeworden — das möchte ich hier unter uns gern loswerden, weil wir sehr oft darüber diskutiert haben —: Es geht zum einen um diese Frage. Aber es wird in Wien vertieft auch um die Frage gehen, inwieweit die Menschenrechte — unabhängig von ihrem universellen oder regionalen Charakter — als Waffe gegen den anderen benutzt werden. Diese formale Frage wird immer dramatischer. Wir haben das ja erlebt.Da wir uns alle im Kalten Krieg in dieser Beziehung sehr schuldig gemacht haben — die einen da, die anderen dort —, wäre es vielleicht gut, wenn wir alle über diese Formfrage — das nicht immer die auf der anderen Seite die Bösen sind — mit den Delegationen aus der Dritten Welt intensiv reden. Ich sage das vor allem vor dem Hintergrund unserer Situation, verehrter Herr Kollege Scharrenbroich.Nach dem Versuch des Völkermords in Bosnien an den eineigen traditionellen Muslimen in Europa wird die Diskussion von Europäern über Minderheitenschutz, Individualschutz und Menschenrechte in der Dritten Welt eine ganz andere Qualität bekommen. Darauf müssen wir Europäer uns sehr bewußt vorbereiten, auch schon in Wien.Danke schön.
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Nun erhält der Kollege Scharrenbroich das Wort zu einer Erwiderung, und zwar ebenfalls vom Saalmikrofon aus.
Frau Präsidentin, recht herzlichen Dank. — Ich stimme dem Kollegen Duve zu und habe in meiner Rede auch gesagt, daß wir nach der Konferenz den Dialog gerade auch darüber fortführen müssen.
Außerdem ist dies auch der Grund, warum wir das noch in die Änderung des gemeinsamen Antrages eingebracht haben, nämlich zu sagen, daß dieser Punkt im Geiste internationaler Zusammenarbeit weiterhin umzusetzen ist.
Nun erhält Frau Staatsministerin Ursula Seiler-Albring das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Bundesregierung ist die Weltmenschenrechtskonferenz, zu der sich die Staatengemeinschaft vom 14. bis zum 25. Juni dieses Jahres in Wien versammeln wird, von großer Bedeutung. Sie hat diese Konferenz von Anfang an als Chance begriffen, das auf dem Gebiet der Menschenrechte bisher Erreichte feierlich zu bekräftigen und gleichzeitig die Anerkennung, Respektierung und den Schutz der Menschenrechte weltweit weiter voranzutreiben.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu Ihren Äußerungen, Herr Poppe. Ich hatte am 21. Februar des letzten Jahres in diesem Hohen Hause ausführlich Gelegenheit, darzustellen, weshalb die Bundesregierung nach langem Abwägen dazu kommen mußte, die — —
Die Debatte, die wir heute im Laufe des Vormittags geführt haben, mag ein Indikator dafür sein, daß es sehr wohl richtig war, dies so zu tun. Ich möchte Ihnen empfehlen, dies noch einmal nachzulesen, wenn Sie die Zeit haben.
Dann werden Sie nämlich sehen, daß sich die Bundesregierung diese Entscheidung nicht leichtgemacht hat, sondern nach dem Abwägen des Für und Wider nicht zu einer anderen Entscheidung kommen konnte.
Die Vorbereitung der Konferenz in diesem Jahr ist eher schwierig. Ich verhehle hier nicht, daß wir heute, wenige Wochen vor Konferenzbeginn, auch die Gefahr eines Mißerfolgs nicht gänzlich ausschließen können. Es gibt eine Anzahl Länder, die eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Menschenrechtsschutzes zu verhindern trachten, ja am liebsten hinter das bereits Erreichte zurückgehen möchten. Die Obstruktion kommt von Ländern, in denen es um die Menschenrechte nicht zum besten bestellt ist, in denen fundamentale Grundrechte und Freiheiten am
hartnäckigsten vorenthalten werden, in denen die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird.
Gerade das bestärkt die Bundesregierung in ihrer Entschlossenheit, mit Nachdruck für einen Erfolg dieser Konferenz zu arbeiten. Unser Konferenzziel ist es, den Menschenrechtsschutz weltweit auszubauen und zu verbessern. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb ausdrücklich, daß sich der Deutsche Bundestag heute mit zwei Anträgen befaßt, die in die gleiche Richtung zielen und die ein weiteres Mal einen eindrucksvollen Grundkonsens der Parteien in der Frage der Menschenrechtspolitik in den Außenbeziehungen widerspiegeln.
Vieles, was in diesen Anträgen dazu gefordert wird und wofür sich die Bundesregierung zum Teil seit Jahren einsetzt, befindet sich inzwischen auch in den mit Menschenrechten befaßten internationalen Gremien auf gutem Weg. Die Aussicht auf die Menschenrechtsweltkonferenz allein hat das nicht bewirkt. Es bedurfte auch des Schocks der massenhaften Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien, um die Völkergemeinschaft einschließlich mancher Partner im Westen für unsere Menschenrechtsziele zu gewinnen.
Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Schutzes der Frauen vor Menschenrechtsverletzungen.
Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?
Bitte, Herr Duve.
Frau Staatsministerin, Sie haben soeben die Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien erwähnt. Vor wenigen Tagen ist beschlossen worden, einen Gerichtshof einzurichten. Die Kosten sind schon ungefähr bemessen worden. Was wird die Bundesregierung tun, um bei den Vorbereitungen zur Aufnahme dieser Verfahren möglicherweise auch finanziell zu helfen,
damit auch die Kosten der Vorbereitungsuntersuchungen wirklich getragen werden können?
Herr Kollege Duve, ich will im Lauf meiner Rede auf diese Frage noch eingehen
und dann auch gern auf die Frage der Finanzierung Antwort geben.
Zurück zum Schutz der Frauen vor Menschenrechtsverletzungen. Nach erfolgreichen Anläufen in der Vergangenheit hat die Menschenrechtskommission nicht zuletzt auf Grund deutscher Bemühungen jetzt beschlossen, sich auf ihrer nächsten Sitzung mit
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Staatsministerin Ursula Seiler-Albringder Bestellung eines Sonderberichterstatters für die Rechte der Frauen zu befassen. Dies ist ein wichtiger Schritt.Es besteht ein breiter Konsens unter den VN- Mitgliedsstaaten, daß dem Schutz der Frauen auch auf der Menschenrechtsweltkonferenz besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Die Bundesregierung hat zusammen mit ihren EG-Partnern zentrale Aussagen hierzu in den Entwurf des Schlußdokuments einfügen können.Ein anderes Beispiel ist der internationale Strafgerichtshof. Durch deutsches Drängen sind wir hier ein gutes Stück weitergekommen. Die internationale Völkerrechtskommission hat jetzt den Auftrag, ein Statut auszuarbeiten. Da dieser Strafgerichtshof für die schrecklichen Verbrechen in Ex-Jugoslawien zu spät kommen wird, haben sich die Bemühungen der Bundesregierung und ihrer Partner — wie Sie, Herr Duve, soeben noch einmal vermerkt haben — zusätzlich darauf gerichtet, einen Ad-hoc-Strafgerichtshof einzurichten. Trotz schwieriger Probleme konnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am vergangenen Dienstag, also vorgestern nacht, die Einrichtung des Ad-hoc-Strafgerichtshofs zur Aburteilung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien beschließen.
Diese Entscheidung ist ganz neu.Sie wissen, Herr Duve, daß sich sowohl das Parlament als auch die Bundesregierung, speziell die beiden letzten Außenminister, intensiv hierfür eingesetzt haben. Ich kann Ihnen an dieser Stelle versichern, daß wir an der Implementierung dieses Beschlusses nach Kräften mithelfen wollen. Dies ist ein ganz zentrales Anliegen. Da wir in Jugoslawien in bestimmter Hinsicht nicht einschreiten bzw. uns nicht engagieren können, werden und müssen wir gerade in diesem Bereich das Menschenmögliche tun, was uns zu Gebote steht.
Unsere Bemühungen dürfen sich allerdings nicht auf die nachträgliche Ahndung von Menschenrechtsverletzungen beschränken, so wichtig dies schon wegen der Abschreckung ist. Der präventive Menschenrechtsschutz ist und bleibt für die Bundesregierung ein zentrales Ziel ihrer internationalen Menschenrechtspolitik.Die Menschenrechtsweltkonferenz muß genützt werden, um die vorhandenen Instrumente und Mechanismen des VN-Systems besser zu koordinieren, auszustatten und gegebenenfalls zu ergänzen. Diese grundsätzliche Zielsetzung der Bundesregierung für die Menschenrechtsweltkonferenz ist in das von den Zwölf erarbeitete Positionspapier eingegangen. Es enthält die Forderung nach einem das ganze VN-System umgreifenden Ansatz, der auf den Prinzipien der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte sowie der Kooperation der Staaten beruht. In diesem Konzept der Zwölf kommt konsequenterweise der Förderung, einschließlich der besseren finanziellen Ausstattung, des Menschenrechtszentrums in Genf eine zentrale Bedeutung zu.Herr Bindig, ich bin sicher, daß Ihnen das nicht entgangen ist: Diese 120 000 DM, die Sie hier korrekt angegeben haben, sind ein freiwilliger Beitrag der Bundesregierung für beratende Dienste. Sie wissen, wie alle anderen hier, natürlich, daß die Finanzierung dieses Zentrums aus den Pflichtbeiträgen resultiert und daß die Bundesregierung einer der größten und vor allem ein pünktlich zahlender Beitragszahler ist.
Aber, um darauf zurückzukommen, wir sind uns, nehme ich an, einig, daß diese finanzielle Ausstattung, woher sie auch kommt, ob nun aus Pflichtbeiträgen oder aus freiwilligen Beiträgen, dringend und substantiell erhöht werden muß.
Dem seit langen Jahren von deutscher Seite verfolgten Ziel eines Hochkommissars für Menschenrechte konnten wir einen wichtigen Schritt näherkommen. Der Hochkommissar oder ein in Rang und Kompetenz angehobener Leiter des Menschenrechtszentrums ist nunmehr eine gemeinsame Forderung der Zwölf für die Weltkonferenz. Dies zu erreichen war nicht leicht. Manche Partner haben ihre Vorbehalte zu einzelnen Aspekten buchstäblich erst in letzter Minute zurückgezogen.Gemeinsam mit der dänischen Präsidentschaft haben wir die Forderung nach dem Hochkommissar in die Verhandlung zum Schlußdokument eingeführt. Gleichgerichtete Anträge Costa Ricas und der Vereinigten Staaten folgten, so daß der Entwurf des Schlußdokuments jetzt eine Fülle von Vorstellungen für dieses Projekt enthält. Damit ist die Schaffung des Amtes noch keineswegs sicher. Die betreffenden Textpassagen sind umstritten und stehen ebenso unter Vorbehalt wie der gesamte, über 50 Seiten umfassende Entwurf des Schlußdokuments.Ich sage damit zugleich, daß der Erfolg der Menschenrechtsweltkonferenz insgesamt noch keineswegs gesichert ist. Aber wir haben einige wichtige Etappenziele erreicht, die uns ermutigen, beharrlich unseren Weg fortzusetzen. Die Bundesregierung ist dazu fest entschlossen.Vielen Dank.
Es spricht die Kollegin Susanne Rahardt-Vahldieck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bereits vorweg entschuldigen, daß ich nach meinem Redebeitrag wahrscheinlich diese Debatte verlasse. Ich weiß, das gehört sich nicht. Aber es hat eine extreme zeitliche Verzögerung gegeben, und eigentlich sollte ich in der Gemeinsamen Verfassungskommission schon lange etwas zu Art. 3 erzählen, wasauch im Interesse der Frauen, mindestens dieses
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Susanne Rahardt-VahldieckLandes, sein könnte. Deshalb bitte ich um Ausnahmedispens. — Das ist das erste.Das zweite. Der Kollege Scharrenbroich hat völlig zu Recht auf die gute Tradition in diesem Hause hingewiesen, daß Menschenrechtsfragen, wenn es irgendwie geht, von uns gemeinsam erarbeitet und vorgeschlagen werden. Um so bedauerlicher finde ich, daß dieser Antrag, zu dem ich mich speziell äußern möchte, nämlich betreffend Menschenrechtsverletzungen an Frauen, von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten etwas kurzfristig und ohne jeden Versuch einer gemeinsamen Abstimmung hier vorgetragen worden ist. Es sind in diesem Antrag sehr viele Punkte enthalten, denen wir uns sofort anschließen können. Das ist gar keine Frage. Leider gilt das nicht für alle.Wir sind uns darüber einig, daß Frauen häufig, wenn nicht sogar fast immer, doppelt und dreifach verfolgt werden. Sie werden vielleicht politisch verfolgt, verfolgt wegen ihrer politischen Einstellung, sie werden verfolgt als Mitglied einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, und sie werden zusätzlich ihres Geschlechts wegen einer besonderen Verfolgung ausgesetzt, sei es, daß man versucht, über sie ihre Familienangehörigen unter Druck zu setzen, sei es, daß man, wie jetzt im ehemaligen Jugoslawien, versucht, über die Zerstörung der Frau, der Ehre der Frau — sage ich einmal in Anführungsstrichen —, ganze Völker zu vernichten. Sie sind ein besonders beliebtes Opfer. Das wissen wir. Wir alle beklagen dies, wir alle finden dies furchtbar, und wir bemühen uns auch, nach den Kräften, die wir haben, dagegen anzugehen.Die Bundesregierung — Frau Seiler-Albring hat darauf hingewiesen — hat sich ja schon seit einiger Zeit eingesetzt, z. B. für diesen Sonderberichterstatter. Jetzt erst sind die Vereinten Nationen willens und bereit, diese Frage überhaupt zu diskutieren. Wir haben uns ferner für diesen internationalen Gerichtshof eingesetzt, der immer wieder gefordert worden ist und der jetzt ja wohl eingerichtet werden soll. Auch die Behandlung von Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen ist eine Forderung dieser Bundesregierung. Damit laufen Sie bei uns also völlig offene Türen ein.
— Wir wissen doch, daß wir so etwas nur gemeinsam machen können. Menschenrechte sind unteilbar. Auch die Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen kann nur international erfolgen. Wir können uns nicht allein hier hinstellen und sagen: Wir wissen alles besser, und ihr anderen Völker habt gefälligst mitzuziehen.
Das ist doch eine Arroganz, meine ich, die man vielen anderen Nationen, die einen etwas anderen kulturellen Hintergrund als wir haben, nicht einfach zumuten kann.An dieser Frage Menschenrechte müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Das gilt auch für Menschenrechtsverletzungen an Frauen, vielleicht gerade für diese; denn wir wissen, daß es viele andere Kulturen gibt, in denen das, was wir unter Menschenrechten als Frauenrechten verstehen, anders gewertet wird. Wer sind wir denn, daß wir von uns aus von vornherein sagen können: „Mit denen reden wir nicht, denen schreiben wir was vor"? Da ist behutsames gemeinsames Arbeiten erforderlich.
Genau das versucht die Bundesregierung zu leisten oder versucht dieses Parlament immer gemeinsam zu leisten. Ich erinnere nur an die vergangenen Entschließungen.Deswegen bin ich auch etwas unglücklich — sage ich einmal -- über einige Formulierungen in diesem Antrag. Die ganzen Forderungen zur Menschenrechtskonferenz werden zusammengemengt mit Forderungen, die ansonsten sehr wichtige, aber nicht unbedingt hier relevante Frauenanliegen betreffen. Es werden auch Forderungen gestellt, die die Bundesregierung gar nicht erfüllen kann. Wenn z. B. gefordert wird, daß die Bundesregierung eine Maßnahme ergreifen solle mit dem Ziel, daß im Verwaltungsgerichtsverfahren sexuelle Gewalt als Fluchtgrund berücksichtigt wird, dann kann die Bundesregierung wegen der Unabhängigkeit der Gerichte diese Forderung nicht erfüllen. Das geht überhaupt nicht. Da ist die Formulierung also völlig schief.Wir sind uns darüber einig, daß viele Verwaltungsgerichte oder viele Verwaltungsrichter diesen Gesichtspunkt noch nicht ausreichend beurteilen.
— Vielleicht ist das deshalb so, weil sie darüber noch nicht ausreichend informiert sind. Trotzdem kann die Bundesregierung sie nicht durch Maßnahmen dazu zwingen. Das wäre wider die Unabhängigkeit unserer Gerichte.
Oder die Forderung unter Punkt 3: Da geht es um die Behandlung von Vergewaltigungsopfern. Nach meiner Kenntnis ist vieles von dem, was Sie hier fordern, Länderaufgabe. Ich würde anregen, daß Sie die Regierungen der von Ihrer Partei regierten Bundesländer bitten, sich entsprechend energisch darum zu kümmern.Wenn hier die Forderung erhoben wird, die Behandlung müsse auch von Frauen gewünschte Schwangerschaftsabbrüche umfassen, so ist das selbstverständlich, gut und richtig, solange sich das im Rahmen der jetzt geltenden Gesetze hält. Aber die Bundesregierung kann wohl kaum verpflichtet werden, eine Behandlung zuzulassen oder gar einzurichten, die gegen jetzt hier geltendes Strafrecht verstößt.
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Susanne Rahardt-VahldieckGanz offenbar ist dieser Antrag, so gut er gedacht ist, also in einigen Punkten nicht ausreichend überdacht.
Diese ganzen Punkte müssen wir diskutieren, speziell um dem Grundanliegen dieses Antrags, das ja unser aller Anliegen ist, Rechnung tragen zu können.Ich habe mich belehren lassen, daß zuständig für die Beratung dieses Antrags der Auswärtige Ausschuß ist, da es sich um eine Menschenrechtsfrage handelt. Da es aber um Menschenrechtsverletzungen speziell an Frauen geht, beantragen wir Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Frauen und Jugend, damit dem Aspekt „Frauen und Kinder", der ja ganz wesentlich ist, gesondert Rechnung getragen werden kann;
denn so sehr ich das Engagement aller Außenpolitiker schätze, könnte es doch sein, daß einige der Fragen, die gerade das Inland betreffen, noch intensiver und mit mehr Wohlwollen im Ausschuß für Frauen und Jugend diskutiert werden. Das ist also mein Antrag, und ich bitte Sie herzlich, dem zuzustimmen.
— Mitberatend; natürlich. —Es ist nichts damit gewonnen, über diesen Antrag jetzt abzustimmen. Auf Grund einiger Punkte, die ich angesprochen habe, können wir ihm so nicht zustimmen; er müßte abgelehnt werden. Ich habe die Hoffnung, daß wir in der Lage sind, zur Menschenrechtskonferenz einen Antrag vorzulegen, der speziell die Themen zusammenfaßt, die für diese Konferenz wichtig sind, die wir alle gemeinsam sehen und deren Behandlung wir alle durchsetzen wollen. Die anderen Themen, die hier angesprochen werden und die ebenfalls wichtig sind, aber nichts direkt mit dieser Konferenz zu tun haben, sollten wir unter den Frauen und in den dann beteiligten Ausschüssen und Arbeitsgruppen später diskutieren. Das ist meine Bitte.Dem Anliegen der Frauen wird nicht durch einen mit einer etwas zu heißen Nadel genähten Antrag Rechnung getragen; denn diesen müßten wir ablehnen, und dann hätten wir überhaupt nichts in den Händen. Lassen Sie uns diesem Anliegen gemeinsam Rechnung tragen! Stimmen Sie der Überweisung zu! Wir werden uns bemühen, speziell für die Frauen etwas zusammenzubasteln, was für die Menschenrechtskonferenz im Juni mitgenommen werden kann und was dem Rechnung trägt, was wir alle wollen.Danke.
Nun hat die Kollegin Hanna Wolf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine drohende Zwangsbeschneidung von Männern kann bei uns ein Asylgrund sein, nicht aber die 80millionenfache Genitalverstümmelung von Frauen. Wären Männer Opfervon Vergewaltigung durch Staatsorgane, so würde das Bundesamt in Zirndorf niemals wie folgt entscheiden:Ein solches Vergehen— gemeint ist Vergewaltigung —ist grundsätzlich nicht politisch motiviert, sondernstellt eine „normale" kriminelle Straftat dar.Diese zwei Beispiele zeigen, daß Menschenrechtsverletzungen an Frauen und an Männern mit unterschiedlichem Maß gemessen werden.Die Bundesregierung wird nicht müde, von der größer gewordenen Verantwortung Deutschlands und ihren internationalen Verpflichtungen zu reden. Dabei greift sie jedoch immer zu kurz, weil sie nur militärische Optionen darunter versteht. Diese Option ist aber die hilfloseste Form der Politik — eine Reaktion, wenn alles andere bereits fehlgelaufen ist. Die kreativere, intelligentere, effizientere Politik kann nur die Aktion sein auf dem Gebiet der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik, natürlich der Entwicklungspolitik und hierzulande im Bereich der Rechtspolitik und auch der Innenpolitik.Was die Belange von Frauen angeht, so werden sie von der Regierungskoalition immer nur dann aus dem Hut gezogen, wenn sie damit andere Ziele besser erreichen kann. Aber warum sind in der Bundesrepublik nicht schon längst Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Massenvergewaltigungen in Ex-Jugoslawien eingeleitet worden? Wir brauchen nicht auf UN-Entscheidungen zu warten — es ist schade, daß meine Kollegin, Frau Rahardt-Vahldieck, nicht mehr da ist —, denn auf Grund der Genfer RotkreuzAbkommen von 1949 ist auch die Bundesrepublik verpflichtet, diese Verbrechen durch ihre eigenen Ermittlungsbehörden zu verfolgen. Umfangreiche Täterlisten, die durch Zeugenaussagen bestätigt sind, existieren bereits. Eine Verurteilung in der Bundesrepublik wäre nach dem geltenden Weltrechtsprinzip möglich.Gestern endlich hat der UN-Sicherheitsrat ein Kriegsverbrechertribunal beschlossen.Wir haben unseren Antrag „Gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen" aus mehreren Gründen eingebracht. Vielleicht entnehmen Sie jetzt diesen Gründen, warum wir das heute entschieden sehen möchten.Erstens steht die Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien unmittelbar bevor. Die Menschenrechtsverletzungen an Frauen sollten aber nicht eigens behandelt werden; sie wurden dadurch wieder einmal ganz unsichtbar gemacht.Zweitens sind die Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien zwar hinlänglich bekannt; die Verfolgung der Täter wird aber von der Bundesregierung weder betrieben, noch wird den Opfern gesetzlich von der Bundesregierung Asyl zugesichert.Drittens hat der Bundestag im Oktober 1990 einstimmige Beschlüsse zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen an Frauen gefaßt. Die Bundesregierung hat sie aber immer noch nicht umgesetzt.
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Hanna WolfDie Bundesregierung erklärte 1988 in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage von weiblichen Abgeordneten aller Fraktionen, sie halte — ich zitiere — „an der von ihr proklamierten und praktizierten Unteilbarkeit der Menschenrechte fest, weil sie auch gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen den sichersten Schutz bietet" .Das klingt sehr edel und fair. Es wird hier jede Sonderbehandlung zurückgewiesen, sogar eine Sonderbehandlung von Frauen.Es liegt jedoch nur ein rhetorischer Trick zugrunde. Zwar treffen die Menschenrechte auf Männer und Frauen gleich zu, aber es wird übersehen, daß die Muster der Verletzungen dieser Menschenrechte nach Geschlecht sehr verschieden sein können und sind.In unserem Entschließungsantrag, der sich auf einen einstimmigen Beschluß des Bundestags von 1990 stützt, verlangen wir deshalb nochmals von der Bundesregierung, endlich den Bericht über Menschenrechtsverletzungen an Frauen zu erstellen und zu veröffentlichen. Noch im Juli 1992 hat die Bundesregierung diesen Bericht für Ende 1992 angekündigt,Wo ist er? Gibt es ihn schon? Ist es lediglich nicht opportun, ihn zu veröffentlichen? Müßte der Bericht vielleicht Maßnahmen nach sich ziehen, die einen Paradigmenwechsel in der Außen-, der Wirtschafts- und der Entwicklungspolitik erfordern?
Frau Kollegin Wolf, es gibt vom Kollegen Baum den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Das würde Ihnen auf die Zeit nicht angerechnet. Wollen Sie sie zulassen?
Ich würde gern erst diesen Gedanken im Zusammenhang noch vortragen. — Es ging um den Bericht über Menschenrechtsverletzungen. Es wäre von wesentlicher Bedeutung, wenn wir ihn heute hätten. Warum es ihn nicht gibt, ist unsere Frage.
Ich behaupte: Nach dem Bericht kämen Sie nicht mehr umhin, durch Gesetz, also verbindlich, klarzustellen, daß die Verfolgung wegen des Geschlechts und der sexuellen Orientierung als Asylgrund anerkannt werden muß.
Sie müßten einen Wirtschaftsboykott und Handelsboykott gegen bestimmte Regierungen vertreten. Selbst ein Vertreter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit räumte auf einem Hearing ein:
Was kann Entwicklungspolitik ausrichten, wenn Finanz-, Wirtschafts- und Handelspolitik andere Schwerpunkte setzen?
Jetzt, Herr Baum; bitte.
Jetzt, Herr Kollege Baum.
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß sich die Bundesregierung in Genf bei der Menschrechtskommission nachdrücklich dafür ausgesprochen hat, zum erstenmal in der Geschichte dieser Kommission einen Sonderberichterstatter oder eine Sonderberichterstatterin für Frauen einzusetzen, daß wir in diesem Jahr zum erstenmal eine Resolution über Menschenrechtsverletzungen an Frauen verabschiedet haben und daß sich auch in Wien in der Schlußresolution ein besonderer Schwerpunkt mit Menschenrechtsverletzungen an Frauen befaßt, daß also wir, die Bundesregierung, gestützt auf die Beschlüsse des Parlaments, in den zuständigen internationalen Gremien durchaus nachdrücklich die besondere Gefährdung von Frauen und Kindern anerkennen und dementsprechend handeln? Ist Ihnen das bekannt?
Es ist bekannt, daß durch Interventionen von uns geradezu erzwungen werden muß, daß auf dieser Weltmenschenrechtskonferenz detailliert über Menschenrechtsverletzungen an Frauen berichtet wird. Denn bisher war es üblich - das hat sich auch heute gezeigt —, daß im Zusammenhang mit Menschenrechten die Frauenmenschenrechtsverletzungen immer mit gemeint sind. Aber sie werden in ihrer Differenziertheit und ihrer noch größeren Ungeheuerlichkeit nicht herausstellt.Deswegen betone ich hier noch einmal, daß wir erwarten, daß auf dieser Menschenrechtskonferenz darüber detailliert berichtet und auch diskutiert wird.
Darf ich Ihre Aufmerksamkeit noch mit folgendem konfrontieren: Wäre Ihnen organisierter Männerhandel bekannt, die Bundesregierung hätte die entsprechenden Maßnahmen dagegen längst ergriffen. Frauen- und Mädchenhandel sind bekannt. Und wo sind die Maßnahmen der Bundesregierung?
Hätten Männer erniedrigende und menschenverachtende Strafen zu befürchten, wenn sie sich z. B. gegen einschränkende Kleidervorschriften zur Wehr setzten, dann wäre ihre asylrechtliche Anerkennung unbestritten. Frauen unterliegen vielerorts solcher Vorschriften; aber die Gegenwehr ist angeblich ihre Privatsache.Wäre es eine Tatsache, daß Männer in den Entwicklungsländern nur einen Bruchteil des Frauenlohns verdienten bzw. einen winzigen Bruchteil der Frauengüter besäßen, jedoch die überwiegende Arbeit leisteten, dann hätten unsere Regierungsstellen schon längst die Entwicklungshilfe zum Ausgleich ausschließlich auf diese Männer gerichtet.Unsere eigene patriarchale Politik hat dazu geführt, daß über lange Jahre hinweg die Entwicklungshilfe tatsächlich fast ausschließlich Männerstrukturen gefördert hat. Der eingeforderte Bericht würde jedoch die völlige Umkehr dieses Prinzips erfordern.Die Schlußfolgerungen aus dem zurückgehaltenen Bericht würden der Bundesregierung internationale Aktionen abverlangen: die Einrichtung einer UN- Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverletzungen — ich freue mich, daß Sie das weiterhin stark mitfordern —, die Einrichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs, der Vergewaltigungen
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Hanna Wolfals Kriegsverbrechen verfolgt, und nicht nur eines Ad-hoc-Tribunals, die angemessene Behandlung von Menschenrechtsverletzungen an Frauen auf der Weltkonferenz in Wien.Solange Regierungen — unsere wie die anderer Länder — nicht zur Kenntnis genommen haben, daß die Menschenrechte tatsächlich unteilbar sind, daß weder Kultur noch Religion, noch das zufällige gesellschaftliche Rollenbild der Geschlechter die individuellen Menschenrechte relativieren können, müssen wir darauf dringen, daß Frauen mindestens 50 % der Aufmerksamkeit und 50 % der Mittel bei entsprechenden Untersuchungen und Maßnahmen erhalten.Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, schwerfallen sollte, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, dann möchte ich Sie daran erinnern, daß er im Grunde keine neuen Positionen enthält, keine Positionen, denen Sie im Prinzip nicht schon am 31. Oktober 1990 zugestimmt hätten. Allerdings sind die Forderungen nach der ergebnislos verstrichenen Zeit nun dringender denn je. Hinhaltende Antworten der Regierung können uns nicht täuschen.Wir erwarten einen rückhaltlosen Einsatz der Bundesregierung für die Menschenrechte von Frauen. Wir erwarten Taten und Erfolge. Hier haben wir unsere größer gewordene Verantwortung und unsere internationale Verpflichtung zu erfüllen. Ich möchte den Satz des Kollegen Scharrenbroich aufgreifen, daß die Bundesregierung bei der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen einen guten Ruf habe. Stimmen Sie diesem Antrag heute bitte zu, selbst wenn Sie in einigen Punkten differierende Auffassungen haben! Stimmen Sie zu!In 14 Tagen findet die Konferenz in Wien statt.
Die Bundesrepublik muß in dieser Frage jetzt auch einmal Flagge zeigen. Es darf nicht dazu kommen, daß versucht wird, die Abstimmung über unseren Antrag heute zu vertagen und damit eine Stellungnahme unsererseits zu der Menschenrechtskonferenz in Wien unmöglich zu machen.
Ich bitte sehr herzlich um die Zustimmung des Hauses.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. „Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 in Wien" auf der Drucksache 12/5024 . Wer stimmt für diesen Antrag? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Antrag einstimmig bei einigen Stimmenthaltungen angenommen.Jetzt folgt eine strittige Abstimmung.Es ist beantragt worden, über den Antrag der Fraktion der SPD „Gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen — Weltkonferenz über Menschenrechte im Juni 1993" auf der Drucksache 12/4953 an den Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung und an den Ausschuß für Frauen und Jugend zur Mitberatung zu überweisen. Die SPD-Fraktion hat beantragt, über diesen Antrag sofort abstimmen zu lassen.Der Überweisungsantrag geht vor. Ich lasse zuerst über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer für den Überweisungsantrag an die genannten Ausschüsse ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf:— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Doris Odendahl, Angelika Barbe, Hans Gottfried Bernrath, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes— Drucksache 12/4347 —
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Else Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Margret FunkeSchmitt-Rink, Dr. Karlheinz Guttmacher, Dirk Hansen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/4763 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 12/5021 —Berichterstattung:Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Doris OdendahlDr. Margret Funke-Schmitt-Rinkb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksachen 12/5022, 12/5023 —Berichterstattung:Abgeordnete Manfred Hampel Dr. Klaus-Dieter UelhoffCarl-Ludwig ThieleIm Ältestenrat war ursprünglich eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. In der Zwischenzeit ist mir mitgeteilt worden, daß die Redebeiträge abweichend von unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? — Damit werden sämtliche Redebei-13820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993Vizepräsidentin Renate Schmidtträge zu Punkt 9 der Tagesordnung zu Protokoll gegeben. *)Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Drucksache 12/4347. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft empfiehlt auf Drucksache 12/5021 unter der Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen.Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4347 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Gemäß unserer Geschäftsordnung unterbleiben weitere Beratungen.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf der Drucksache 12/4763. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft empfiehlt auf Drucksache 12/5021 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig bei einigen Stimmenthaltungen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei einigen wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Nun rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Rode (Wietzen), Wolfgang Ehlers, Andreas Schmidt (Mülheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Wolfgang Lüder und der Fraktion der F.D.P.Einbeziehung der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und der in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa lebenden deutschen Minderheiten in die Politik der Verständigung und guten Nachbarschaft der Bundesrepublik Deutsch-*) Anlage 3land gegenüber ihren östlichen und südöstlichen Nachbarn— Drucksachen 12/2311, 12/4988 —Berichterstattung:Abgeordnete Herbert Werner Dr. Peter Glotz, Ulrich IrmerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Aussprache nicht vorgesehen.*)Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4988, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/2311 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei vielen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Nun rufe ich Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer , Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Manfred Richter (Bremerhaven), Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes— Drucksache 12/4518 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/5011 —Berichterstattung: Abgeordnete Elke FernerDazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Ich bin in der Zwischenzeit jedoch etwas irritiert, weil mir eine ganze Reihe zu Protokoll gegeben worden ist.
— Dann bitte ich um Ihre Zustimmung, daß abweichend von unserer Geschäftsordnung die Reden zu Protokoll gegeben werden können. — Damit besteht Einverständnis.**)Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes auf Drucksache 12/4518 und 12/5011.
— Herr Abgeordneter Duve, wir stimmen jetzt zum Tagesordnungspunkt 11 ab. Es ist nicht mehr möglich,*) Siehe Seite 13821B **) Anlage 5
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Vizepräsidentin Renate Schmidtzum vorherigen Punkt eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben.
Zu dem obengenannten Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5035 vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit bei einer großen Zahl von Gegenstimmen angenommen.Der Kollege Rüttgers hat um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin, wohl auf Grund der Eile, die entstanden ist, ist bei Punkt 10 der Tagesordnung fälschlicherweise festgestellt worden, daß ohne Debatte abgestimmt werden soll. Auch hier war vorgesehen, die Reden zu Protokoll zu geben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir das korrigieren könnten.
Ich bitte dann die Herren Geschäftsführer, die amtierende Präsidentin über eine Vereinbarung zu informieren. In meinem Sprechzettel steht, daß keine Aussprache stattfinden soll. Ich nehme nun zur Kenntnis, daß interfraktionell darum gebeten wird, die Reden zu Protokoll zu geben. *) Besteht damit Einverständnis? — Das ist der Fall.
Herr Kollege Duve, nachdem wir nun wieder bei Punkt 10 der Tagesordnung sind, bekommen Sie doch noch die Gelegenheit, eine Erklärung zur Abstimmung zu geben. Der Kollege Rüttgers hat Ihnen dazu verholfen.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen sehr, daß wir trotz der Höchstgeschwindigkeit, mit der wir vorgehen, jetzt zu einer Erklärung zur Abstimmung kommen.
Wir haben vor anderthalb Stunden von seiten der CDU/CSU-Fraktion die Bitte erhalten, daß wir zu diesem Punkt keine Aussprache stattfinden lassen. Wir haben dem zugestimmt.
Ursprünglich hatten wir vor, zu erklären, warum wir uns enthalten. Da wir im Auswärtigen Ausschuß zugestimmt haben, ist es sinnvoll, dazu zu sagen: Wir sind der Meinung, daß wir gemeinsam die großartige und wichtige Anhörung zu diesem Thema, die von
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beiden Ausschüssen veranstaltet wurde, noch so weit auswerten können, daß wir zu einer gemeinsam erarbeiteten Entschließung kommen. Das ist der einzige Grund, warum wir uns jetzt enthalten. Ich weiß, daß auch auf Ihrer Seite Interesse daran besteht, daß wir zu einer solchen Bewertung der Anhörung kommen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, dies war eine Erklärung zur Abstimmung zu dem Punkt,
— der schon behandelt worden ist; jawohl, aber es gab wohl einige Unstimmigkeiten — zu dem die Reden zu Protokoll gegeben worden sind. Ich möchte das noch einmal festhalten.
Jetzt hat der Kollege Rüttgers das Wort.
Verehrter Herr Vizepräsident, lassen Sie mich bitte nur feststellen, daß weder die Fraktionen noch die Geschäftsführer dafür zuständig sind, was auf den Sprechzetteln steht und vorgelesen wird.
Wir haben das zur Kenntnis genommen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung
— Drucksache 12/4810 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 12/5017 —Berichterstattung:Abgeordnete Volker Kauder Ulrike MascherDr. Eva Pohlbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/5018 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd StrubeIna Albowitzb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
zu dem Antrag der Fraktion der SPDSoziale Grundsicherung im Alter und bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitzu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke ListeErarbeitung eines neuen Rentengesetzes
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Vizepräsident Helmuth Beckerzu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Wolfgang Thierse, Ottmar Schreiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKorrektur des Rentenüberleitungsgesetzes— Drucksachen 12/2519, 12/2567, 12/2663, 12/5017 —Berichterstattung:Abgeordnete Volker Kauder Ulrike MascherDr. Eva PohlZum Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem unserem Kollegen Volker Kauder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einführung der westdeutschen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern ist eine sozialpolitische Großtat gewesen. Zwei unterschiedliche soziale Systeme nach 40jähriger, jeweils eigenständiger Entwicklung zusammenzuführen haben selbst Fachleute in so kurzer Zeit für nicht möglich gehalten. Die Rentenüberleitung ist aber geglückt.Bei der Umsetzung gibt es Probleme. Diesen Problemen stellen wir uns in einem gemeinsamen Gesetzentwurf der Koalition und der SPD, um hier Abhilfe zu schaffen.Mit der enormen Zahl von Rentenneuzugängen wurde nicht gerechnet. Auch die Unterlagen zur Feststellung der Renten machen mehr Arbeit als zunächst erwartet. Hier Abhilfe zu schaffen ist eines der Ziele des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes. Durch eine Reihe von Vorschriften soll eine schnellere und einfachere Rentenfeststellung in den neuen Bundesländern ermöglicht werden. Die Rentenversicherer werden von Arbeiten entlastet, die ohne Nachteil für den einzelnen Versicherten in Ost und West auch zu einem späteren Zeitpunkt erledigt werden können. Umfangreiche Verfahrens- und Nachweiserleichterungen kommen hinzu.Auch der rentenpolitische Dauerbrenner in den neuen Ländern ist wieder Gegenstand dieses Gesetzes: die Regelungen über die Begrenzung von Einkommen bei der Berechnung von Renten bestimmter Personengruppen. Darüber wird immer wieder diskutiert; sie sollen mit diesem Gesetz modifiziert werden.Bestimmte Personengruppen, die im staatsnahen Bereich tätig waren, sollen — dies war der gemeinsame Wille des Gesetzgebers — aus dieser Tätigkeit keine Besserstellung erfahren. Diese Zielsetzung wird auch mit diesem Gesetz nicht aufgegeben. Wir haben uns allerdings dazu entschlossen, die notwendigen, unumgänglichen Typisierungen und Pauschalierungen zu verfeinern. Durch diese Abmilderung kann auch im Rahmen der erforderlichen Typisierung einenoch stärker am Einzelfall orientierte Beurteilung stattfinden.
Unter dieser Betrachtung wird deshalb beispielsweise die Einkommensbegrenzung für Leiter pädagogischer Einrichtungen aufgegeben, ebenso die für ehrenamtlich Tätige auf der Kreisebene.Aus Zeitschriften, aber auch aus meiner Fraktion weiß ich, daß sich mancher eine noch stärkere Einzelfallbeurteilung gewünscht hätte. Diese ist aber leider nicht möglich. Wir können auf die Typisierung nicht verzichten. Sie wird auch von den Gerichten akzeptiert.Daß der Gesetzgeber die Umsetzung seiner Vorschriften jedoch genauestens verfolgt und auch flexibel genug ist, um bei neuen Erkenntnissen flexibel zu reagieren, zeigt der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf. Dies wird auch in Zukunft so sein. So wissen wir ganz genau, daß wir aus der Zeit der Wende im November 1989 noch einiges genauer zu untersuchen und zu beleuchten haben. Beispielsweise dürfen diejenigen, die einen ganz massiven Einsatz für die Demokratie und für die Freiheit in den neuen Bundesländern— sei es in der Volkskammer, sei es an runden Tischen oder in anderen Bereichen —, geleistet haben, durch diese Tätigkeit keine Einbußen und Einschränkungen bei ihrer Rentenversicherung haben.
Deshalb werden wir diese Fälle besonders untersuchen und zu gerechten Regelungen kommen müssen. Wir können es wegen der Kürze der Zeit bei dem vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht mehr schaffen. Wir müssen vor allem die Erleichterungs- und Beschleunigungsvorschriften nun beschließen, damit die Rentenversicherer tätig werden können. Aber wir werden hier zu entscheidenden Verbesserungen kommen müssen.Wir gehen auch davon aus, daß diejenigen, die sich in besonderer Weise für die Demokratie eingesetzt haben, durch diese Beschränkungen nicht getroffen werden. Wir erreichen bereits jetzt eine erhebliche Verbesserung und bleiben dennoch unserem Grundsatz treu: keine höheren Renten für ehemalige DDR- Größen.Der Gesetzentwurf reagiert auch auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum vorläufigen Höchstbetrag für die Summen aus Renten und Zusatzversorgungen. Hier hat der Gesetzgeber eine vorläufige Begrenzung aus rein rentensystematischen Gründen und nicht wegen Staatsnähe oder Vorteilsabbau vorgenommen. Durch diese vorläufige Begrenzung sollte bis zur individuellen Rentenfeststellung verhindert werden, daß im Osten höhere Renten ausgezahlt werden, als sie nach dem System der Rentenversicherung möglich sind. Um hier dem vom Bundessozialgericht geforderten besseren Vertrauensschutz gerecht zu werden, wird deshalb der vorläufige Höchstbetrag von 2 010 DM auf 2 700 DM erhöht. Dies ist eine beachtliche Leistung.Nicht im System der Rentenversicherung kann allerdings der Wunsch erfüllt werden — der in Petitio-
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Volker Kaudernen immer wieder an uns herangetragen wird —, daß beispielsweise Professoren so gestellt werden möchten wie ihre pensionierten Kollegen im Westen. Dies sieht die im Einigungsvertrag vorgesehene Überführung in die Rentenversicherung eben nicht vor.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden auch die nach dem Pensionsstatut von Carl Zeiss Jena erworbenen Ansprüche und Anwartschaften mit solchen aus Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR gleichgestellt. Dieses System war dem Gesetzgeber bei der Rentenüberleitung einfach nicht bekannt. Hier wird eine erhebliche Verbesserung erreicht. Wir haben uns nach langen Verhandlungen dazu durchringen können, dem Gedanken des Vertrauensschutzes in bezug auf ausgezahlte Abfindungen in vertretbarem Umfang Rechnung zu tragen. Vorsichtig formuliert kann man sagen, daß damit die Mitarbeiter von Zeiss Jena auf gar keinen Fall schlechtergestellt werden als all die anderen, die mit ihren Ansprüche in die Rentenversicherung überführt werden.
Schließlich vollziehen wir mit dem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz auch einen Auftrag des Einigungsvertrages, indem wir die Mitarbeiter der Parteien der ehemaligen DDR in die Rentenversicherung überführen. Zugleich wird aber auch der noch vorhandene Rentenfonds der früheren SED in Höhe von nahezu 300 Millionen DM in vollem Umfang zur Finanzierung herangezogen.
Die Überführung der Rentenversicherung war eine große Aufgabe. Sie ist geglückt. Ich weiß aber, daß wir noch einiges zu tun haben und daß wir uns in den nächsten Monaten sicher immer wieder mit diesem Thema befassen müssen. Wir wollen uns darum bemühen — das ist ein gemeinsames Anliegen dieses Parlamentes —, so gerecht wie möglich zu sein. Wir müssen aber auch sehen, daß wir Einzelfallgerechtigkeit nicht immer herstellen können. Deswegen brauchen wir Typisierungen, die wir bei der Durchführung des Gesetzes jedoch immer wieder verfeinern können.Bei dem einen Fall, der uns besonders am Herzen liegt und der aus dem resultiert, was um den 9. November 1989 herum passiert ist, müssen wir noch zu besseren Regelungen kommen. Dies sagen wir ausdrücklich zu.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Günther Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion bei allen politischen Auseinandersetzungen und Verhandlungen um das Rentenüberleitungsgesetz stets für zwei Grundsätze eingesetzt: erstens Respekt vor den gewachsenen Besitzständen in der ehemaligen DDR und vor der Lebensleistung, die sich darin ausdrückt, zweitens für eine strikte Trennung von Strafrecht und Sozialrecht.Die Regierungsseite ließ sich von Anfang an bei der Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme von Ost und West von einer anderen Philosophie leiten, nämlich der Vorstellung der rückwirkenden Übertragung des bundesdeutschen Rechts auf den Osten und der teilweisen Instrumentalisierung der Altersversorgung zu Zwecken des politischen Strafrechts.Die SPD konnte bei der Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes 1991 die schlimmsten Eingriffe verhindern. Wir konnten die Entgeltpunktbegrenzung für die Angehörigen der technisch-wissenschaftlichen Intelligenz abwenden und für die übrigen Sonder- und Zusatzversorgungssysteme abmildern. Wir konnten auch die ursprünglich vorgesehene Kürzung der Zahlbeträge auf 1 500 DM abschwächen und die Obergrenze auf 2 010 heraufsetzen.Meine Damen und Herren, bei dieser kritischen Würdigung — wir sollten auch bei Konsens im Gesetzgebungsverfahren die unterschiedlichen Grundpositionen durchaus darstellen — will ich etwas anderes nicht verschweigen: Für die Mehrzahl der Rentner hat das Rentenüberleitungsgesetz seine Bewährungsprobe bestanden. Es hat ihnen erhebliche Verbesserungen gebracht. Aber das Rentenüberleitungsgesetz hat Mängel — wie konnte es anders sein bei diesem großen Unterfangen? —, und es hat verständlicherweise viel Kritik in den neuen Ländern ausgelöst.Meine Fraktion hat deswegen schon im Mai 1992 einen Antrag zur Korrektur eingebracht. Nach monatelangem Tauziehen um diese Korrektur haben dann die Koalitionsfraktionen unserem Drängen nachgegeben und sich bereit erklärt, wesentliche Forderungen aus unserem Antrag vom Mai 1992 zu erfüllen.Es ist mir ein Bedürfnis und ich habe den Auftrag, hier festzustellen, daß die Abgeordneten meiner Fraktion aus den neuen Ländern diesen Kompromiß mittragen. Das schließt aber die eine oder andere abweichende Meinung natürlich nicht aus.Mit dem Gesetz, das wir jetzt im Konsens verabschieden, sollen Härten und Ungereimtheiten im materiellen Recht des Rentenüberleitungsgesetzes ausgeglichen werden, insbesondere im Bereich der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme. Vor allem ist es in den Verhandlungen gelungen, den sogenannten Fallbeileffekt bei der Entgeltpunktbegrenzung ganz wesentlich zu entschärfen. Davon werden vor allem Angehörige des Staatsdienstes der ehemaligen DDR begünstigt, die in den mittleren Ebenen beschäftigt waren und die bislang pauschal als Systemtrâger behandelt und mit einer Rentenreduktion auf Durchschnittsniveau bestraft worden waren. Die von uns durchgesetzte gesetzliche Neuregelung bewirkt, daß es für alle Betroffenen mit einem Verdienst von über 140 % bis unter 180 % Verbesserungen gibt.Mit dem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz werden außerdem zusätzliche Personen gänzlich von der Entgeltpunktbegrenzung ausgenommen: Schuldirektoren, Leiter anderer Einrichtungen im Bereich der Volks- und Berufsbildung, mit Ausnahme der Bildungseinrichtungen der SED, der Blockparteien und des FDGB, sowie Beschäftigte im Staatsapparat auf der Ebene der Kreise, Gemeinden und der Städte, vorausgesetzt, daß es sich nicht um hauptberufliche Wahl- oder Berufungsfunktionen handelt.
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Günther HeyennAlle Erleichterungen dieser Art treten rückwirkend mit dem Juli 1990 in Kraft.Schließlich wird auch die Obergrenze — Herr Kauder hat darauf hingewiesen für Zahlbeträge aus der Altersversorgung der Intelligenz von 2 010 DM auf nunmehr 2 700 DM heraufgesetzt. Dies geschieht auch auf Grund und im Rahmen von Urteilen des Bundessozialgerichtes. Die Korrektur erfolgt rückwirkend zum 1. August 1991. Damit wird für die Mehrzahl der etwa 3 000 betroffenen Personen, die unter diese 2 010-DM-Begrenzung fielen, der ursprüngliche Zahlbetrag wiederhergestellt. Nur für etwa 750 Personen, deren Bezüge über 2 700 DM lagen, kommt es nicht zur vollen Wiederherstellung, aber immerhin zu einer erheblichen Verbesserung.Diese Erhöhung gilt nur für die Altersversorgung der Intelligenz, bei der die Begrenzung auf 2 010 DM erst durch das Rentenüberleitungsgesetz zum August 1991 erfolgt ist. Für die anderen Systeme, für die bereits die demokratisch gewählte Volkskammer der DDR im Zusammenhang mit der Währungsunion die Kürzung auf 2 010 DM vorgenommen hat, bleibt es allerdings bei diesem Betrag. Für diese Gruppen gibt es auch keinen Bestandsschutzanspruch aus dem Einigungsvertrag. Soweit es um Zahlungen in Westwährung geht, sind dort auch nie mehr als 2 010 DM bezogen worden.Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz sorgt auch dafür, daß das besondere Versorgungswerk des früheren VEB Carl Zeiss in Jena in die Rentenversicherung überführt wird. Auch in diesem Punkt sind Regierung und Koalition auf Forderungen eingegangen, die von unserer Seite seit einem Jahr auf dem Tisch gelegen haben. Wir sind uns bewußt, daß das Gesetz nicht alle - zum Teil sehr weitgehende — Wünsche der Zeiss-Beschäftigten erfüllen konnte.Es kann im Prinzip für ein und dieselbe Beschäftigungszeit keine Doppelleistung aus der Sozialversicherung und zusätzlich auch noch aus der ZeissStiftung geben. Deshalb ist es zwingend, daß die Zeiss-Anwartschaften nur dann in die Rentenversicherung überführt werden können, wenn im Gegenzug die Betriebspensionen entfallen oder bereits empfangene Abfindungen zurückgezahlt werden.
Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf gab es allerdings Fälle, in denen die Betroffenen zur Rückzahlung der Abfindungen gezwungen wurden, ohne davon einen Rentenvorteil zu haben. Dieser Effekt kann dann eintreten, wenn Zeiss-Anwartschaften nach dem geltenden Recht voll bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rente berücksichtigt wurden, z. B. weil gleichzeitig FZR-Beiträge gezahlt worden sind oder wenn es sich um Zeiten vor Einführung des FZR-Systems handelt.Der SPD-Fraktion ist es gelungen, für diese Fälle verbesserte Vertrauensschutzregelungen durchzusetzen, die wir — das gebe ich gern zu — gern noch etwas großzügiger gestaltet hätten.Meine Damen und Herren, es hat nun in den letzten Tagen eine Mitteilung von Regine Hildebrandt, der brandenburgischen Sozialministerin, und drei ihrerKollegen aus den neuen Ländern gegeben. Es sind dort Bedenken hinsichtlich der Vorschriften zur Überprüfung der Rente geäußert worden. Nach Ansicht des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sind diese Bedenken zwar verständlich, aber nicht angezeigt. Nach wie vor werden ältere Rentner bei der Überprüfung bevorzugt behandelt.Im übrigen verhindern wir durch die Neuregelung — die Überprüfung wird weiterhin stattfinden — eine Unzahl von Untätigkeitsklagen, weil nicht so zügig wie gewünscht gearbeitet werden kann; denn von den 600 000 seit dem 1. Januar 1992 aufgelaufenen Rentenanträgen sind noch immer 450 000 Anträge unerledigt.
— Das heißt auf keinen Fall, daß schlecht gearbeitet wurde.Lieber Kollege Louven, Sie weisen mich darauf hin, daß ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rentenversicherungsträger in den neuen, aber auch in den alten Ländern, die teilweise Rentenanträge aus ostdeutschen Ländern bearbeiten, für die geleisteten Überstunden im Interesse der Menschen, die alle, sofern es erforderlich ist, umgehend einen Vorschuß erhalten, zu danken habe. Ich will offen bekennen, daß dann, wenn die Vorstellungen meiner Partei für ein neues Arbeitszeitgesetzbuch in Kraft wären, erheblich weniger hätte geleistet werden können. Es geht teilweise über die Kraft, was dort im Interesse der betroffenen Rentner geleistet und gearbeitet wird. Dafür herzlichen Dank.
Wir erwarten im übrigen — Herr Kauder hat darauf hingewiesen — von den Vorschriften zur Erleichterung der Verwaltungsverfahren auch Ergebnisse. Diese Vorschriften sind in enger Abstimmung — überwiegend auf Vorschlag der Rentenversicherungsträger — in dieses Gesetz aufgenommen worden. Wir hoffen, daß wir uns nicht in wenigen Monaten erneut mit dieser Problematik beschäftigen müssen und daß die noch vorhandenen alten Anträge so zügig wie bisher bearbeitet werden. Meine Damen und Herren, wir haben uns im Ausschuß mit den Anträgen der PDS befaßt. Wir lehnen sie ab.Lassen Sie mich bitte abschließend noch sagen: Für unsere Zustimmung zu dem jetzt im Kompromiß vereinbarten Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz ist maßgeblich, daß wir für die Betroffenen Dinge erreichen, die ohne unsere Zustimmung — und jetzt will ich das auf Konsensart formulieren — teilweise nicht zustande gekommen wären. Ich glaube, insgesamt war diese Korrektur notwendig, und sie ist in Teilen sogar eine gute Korrektur.Vielen Dank fürs Zuhören.
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Dr. Bruno Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle darüber einig, daß heute Tausende von Rentnern aus den neuen Bundesländern ihre Blicke erwartungsvoll nach Bonn richten. Wir müssen uns daher die Frage stellen, ob wir mit der abschließenden Beratung eines Ergänzungsgesetzes zum Rentenüberleitungsgesetz auch wirklich die Erwartungen all derjenigen erfüllen können, die sich von der Änderung des Rentenrechtes eine gerechtere Behandlung erhofft haben.
Auch wenn diese Frage bedauerlicherweise nicht uneingeschränkt mit einem klaren Ja beantwortet werden kann, ist doch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines aus mehreren Gründen rasch zu erzielenden Ergebnisses ein insgesamt vertretbares Gesamtpaket geschnürt worden.
Positiv zu werten sind die Lösungen, die für die Beschäftigten bei Zeiss Jena und den Parteien gefunden wurden. Ansprüche, die sich aus dem Pensionsstatut von Zeiss ergeben, werden künftig den Zusatzversorgungssystemen gleichgestellt, wobei bereits ausgezahlte Abfindungen unter Berücksichtigung großzügiger Übergangsregelungen zurückzuzahlen sind. Darüber hinaus werden gemäß dem Einigungsvertrag und dem Appell der Unabhängigen Kommission die Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme der DDR-Parteien den Beschäftigten im Staatsapparat in jeder Hinsicht gleichgestellt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir auch endlich die Voraussetzungen für eine beschleunigte Bearbeitung der Rentenvorgänge. Dies ist insbesondere, glaube ich, für die Angehörigen der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme bedeutsam, deren Renten bisher pauschal umgewertet wurden. Dadurch entstanden gleich in zweifacher Hinsicht Benachteiligungen. Zum einen sind die pauschal umgewerteten Renten zum Teil deutlich niedriger als die Zahlbeträge auf Grund individueller Berechnung, zum anderen wurde die Zusatzversorgung jeweils um den Betrag abgeschmolzen, um den die dynamisierungsfähige Rente angehoben wurde, mit der Konsequenz, daß die Betroffenen von Rentensteigerungen ausgenommen waren. Dieser in hohem Maße ungerechten Praxis soll damit schnell ein Ende bereitet werden.
Angehörige der ungerechtfertigt als staatsnah typisierten Berufsgruppen setzten große Hoffnungen in eine Änderung der entsprechenden Vorschriften. Unter der Prämisse, ungerechtfertigte Vorteile in der Altersversorgung abbauen zu wollen, wurden 1991 Pauschalregelungen in das Gesetz übernommen, die ihrerseits jedoch wiederum zu Ungerechtigkeiten führten und bei den erwähnten Berufsgruppen und den von der pauschalen Umwertung ihrer Renten Betroffenen Unverständnis und Enttäuschung hervorriefen. Die F.D.P. hat sich schon damals gegen solche Betrachtungsweisen bei der Rentenberechnung gewandt, konnte sich allerdings mit dieser Auffassung nicht durchsetzen.
In dieser Frage sind jetzt wichtige Fortschritte erzielt worden. Noch immer existieren aber einige Punkte, die auch in Zukunft mit Sicherheit Handlungsbedarf erzeugen werden. Als Beispiel nenne ich die Behandlung derer, die neben ihrer beruflichen
Tätigkeit Ehrenämter im Staats- oder Parteiapparat auf höheren als der Kreis- oder Gemeindeebene innehatten. Wenn es der Sinn und Zweck des Gesetzes sein soll, Vorteile abzubauen, die auf eine bestimmte Funktion bzw. Berufstätigkeit zurückzuführen sind, kann die Rente nicht mit Blick auf ehrenamtliche Tätigkeiten begrenzt werden, die für die Altersversorgung keinerlei Bedeutung hatten, da sie nicht vergütet wurden.
Es kann nicht Aufgabe des Rentenrechts sein, etwaige immaterielle Vorteile zu beseitigen, die nicht mit der beruflichen Tätigkeit in Verbindung standen. Wir haben in den Verhandlungen —leider erfolglos — darauf gedrungen, diesen Personenkreis auch auf Bezirksebene von Rentenbegrenzungen auszunehmen.
Ein anderer Punkt ist die Behandlung der Zusatzversorgungssysteme als Bestandteil der Rente. Die Rechtssystematik ließ es nicht zu, die Zusatzversorgungssysteme in das bundesdeutsche Rentensystem zu übernehmen. Es wäre aber wünschenswert, wenn auf Länderebene Überlegungen angestrengt würden, inwieweit entsprechende Leistungen im Rahmen des Fürsorgerechts gewährt werden können.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, daß wir ein Gesetzespaket vorgelegt haben, das in vielen Punkten Verbesserungen und mehr Gerechtigkeit für einen Großteil der Betroffenen mit sich bringen wird. Allerdings — auch das möchte ich ausdrücklich hervorheben — werden die bis zuletzt umstrittenen Fragen, hinter denen sich schließlich Menschen mit konkreten Problemen verbergen, auch künftig Gegenstand rentenpolitischer Diskussionen sein müssen.
Frau Kollegin Petra Bläss, Sie haben jetzt das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vielen Städten der neuen Bundesländer fanden in den letzten Tagen Proteste tausender Rentnerinnen und Rentner statt.
— Doch. Es waren so viele. Da bin ich mir ganz sicher.
Ich bin in der letzten Zeit viel herumgekommen und habe vor vollen Sälen mit Rentnerinnen und Rentnern geredet. Ich muß sagen, es ist ein gewaltiges Protestpotential.
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13826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt um Ruhe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es waren Mahnwachen vor Rentenversicherungsträgern und Sozialgerichten sowie am 18. Mai eine Kundgebung auf dem Berliner Alex, die von vielen Vereinigungen und Verbänden —
— Sie müssen ja große Angst vor den demonstrierenden Rentnerinnen und Rentnern haben, daß Sie gleich so losbrüllen —
sehr verschiedener Ausrichtung getragen wurde. Briefe von Einzelpersonen und Betroffenengruppen häufen sich in unser aller Büros. Dieses Echo der Öffentlichkeit auf den vorliegenden Gesetzentwurf macht deutlich, daß das Mißtrauen und die Sorgen über die Rentenüberleitung nicht behoben sind.
Um so unverständlicher ist uns, mit welchem Tempo — das schließt die heutige Debatte ein — diese Veränderungen hier durchgezogen werden, nachdem zwei Jahre von Regierungsseite stur behauptet wurde, es sei kein parlamentarischer Handlungsbedarf vorhanden. So konnten nicht nur unsere Vorschläge zur Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes nur unzureichend behandelt werden, sondern es blieben auch andere Überführungsvorstellungen, wie die des Akademischen Ruhestandsvereins oder die des Bundes der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen, unbeachtet. Hätte sich nach den monatelang anhaltenden massiven Protesten nicht eine Anhörung von Verbänden angeboten, z. B. mit den rund 20 Verbänden, die nach der Zurückweisung der Verfassungsklage im Januar mit ihren Tausenden Mitgliedern nun einzig auf die Schiene der Sozialgerichtsbarkeit geschoben wurden und vom Parlament bei dieser Hektik nur nicht beeinflußbare Segnungen erwarten dürfen?
Unverständlich finden wir auch, daß die vielen Petitionen nun für erledigt erklärt werden sollen. Wären sie wirklich als Prüfsteine der Vorschläge genutzt worden, läge das Dilemma des heute zur Verabschiedung stehenden Entwurfs offen.
Angesichts der unzureichenden Korrekturen stellen wir auch unseren im Ausschuß abgelehnten Änderungsantrag wieder zur Abstimmung, um möglichst vielen Abgeordneten bewußt zu machen: Es gibt eine Lösung, die den Mißbrauch von Rentenrecht als politisches Strafrecht abschafft sowie rechtsstaatlich und sozial verantwortbar ist und sich zudem noch auf den Einigungsvertrag stützt. Viele Regelungslücken, die sich aus DDR-Typischem, mit bundesdeutschen Verhältnissen nicht Vergleichbarem ergeben, sind noch zu schließen. Letztlich wollen wir mit der Ausgestaltung der Regelung zum Sozialzuschlag einen konkreten Anstoß für die Weiterentwicklung des bundesdeutschen Rechts geben.
Dies ist unseres Erachtens dringend nötig. Denn wenn ich als Begründung zur heutigen Ablehnung unseres Antrags zur „Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes" zur Kenntnis nehmen soll, daß „die bestehenden gesetzlichen Regelungen als ausreichend angesehen werden", frage ich mich: Wie mag es wohl um die Umsetzung des Entschließungsantrags zur Reform der Alterssicherung von Frauen bestellt sein, dem vor knapp zwei Jahren alle hier in diesem Hause zustimmten?
Zurück zur heute hier verhandelten Rentenüberleitung: Trotz der gravierenden Unzulänglichkeiten der vorgenommenen Änderungen wird die PDS/Linke Liste den Gesetzentwurf insgesamt nicht ablehnen,
weil er etlichen älteren Bürgerinnen und Bürgern Verbesserungen bringt — Sie wundern sich so; ich habe aber auch im Ausschuß schon dazu Stellung genommen —,
letztlich aber auch, um zu dokumentieren, daß wir unserem Appell treu bleiben, daß eine Korrektur hier im Parlament stattfinden muß.
In der Hoffnung, daß in diesem Hause doch noch mit Ruhe und Sorgfalt an eine allseits befriedigende, sozial gerechte und rechtsstaatlich haltbare Lösung herangegangen wird, werden wir uns der Stimme enthalten, urn unsere Bereitschaft zur Mitarbeit zu signalisieren.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen. Ich nehme mit sehr großem Interesse zur Kenntnis, daß sich sehr viele Seiten hier im Parlament gegen das Strafrecht im Rentenrecht wenden. Aber ich muß auch eines sagen: Mit der Zustimmung zum Rentenüberleitungsgesetz im Juni 1991 haben Sie genau dies abgesegnet.
Der vorliegende Änderungsantrag geht dem RüG — in diesem Fall Art. 3 und 4 des Rentenüberleitungsgesetzes — nicht an die Substanz.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Dokument eines großen Erfolges, wie Herr Kauder behauptet hat, kann man diesen Gesetzentwurf nun wahrlich nicht nennen. Das zeigt schon die Stellungnahme Ihrer eigenen Kollegin Dr. Ackermann, die Probleme ausspricht, die viele mit diesem Gesetz haben. Natürlich ist der Gesetzentwurf aber ein Fortschritt. Darum habe ich schon bei der ersten Beratung meine Zustimmung signalisiert. Ich möchte dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung danken, der an dem Regierungsentwurf weitergearbeitet und ihn verbessert hat.Ich will nicht alles aufzählen, was dabei zustande gekommen ist, sondern mich auf einen einzigen Punkt konzentrieren, auf die Präzisierung der Kostenaufstellung. Sie haben dabei den Kostenrahmen von 125 Mil-
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Dr. Wolfgang Ullmannlionen Mark im wesentlichen beibehalten. Sie haben aber — was ich für ein Verdienst halte — auf sehr viele Unsicherheitsfaktoren im Umkreis dieses Kostenrahmens ganz deutlich hingewiesen.Es ist natürlich nicht gerade beruhigend für die Betroffenen, wenn so etwas in einem Moment zutage tritt, in dem wir über die Pflegeversicherung, das teuerste sozialpolitische Projekt unserer Legislaturperiode, beraten und gleichzeitig miterleben müssen, wie die Sozialleistungen mehr und mehr zur Ersatzkasse des Finanzministers werden.Wir haben ein Sozialstaatsgebot als Verfassungsgebot. Darauf ist in letzter Zeit immer wieder hingewiesen worden. Darum kann es nicht dabei bleiben, daß die Finanzierung unserer Sozialpolitik so unsicher ist. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben darum in Form ihres Gesetzentwurfs zur Grundsicherung den Versuch gemacht, wenigstens an einer einzigen Stelle zu zeigen, wie eine Sicherung aussehen könnte. Der Gesetzentwurf der SPD zeigt, daß auch anderswo darüber nachgedacht wird. Selbst eine CDU- Schwalbe zwitschert von einer Grundrente.
Ich kann nur sagen: Nur Mut! Schauen Sie sich einmal unseren Gesetzentwurf an. Sie könnten ihn sogar verbessern. Vielleicht ist die CDU dem Heil gar nicht so fern, wie es manchmal scheint.Leider muß ich — das rote Licht leuchtet — mit einer Rüge schließen. Ich finde es nicht gut, daß uns der Ausschuß eine Synopse statt eines richtigen Gesetzentwurfs vorgelegt hat. Man kann es mit Eilbedürftigkeit entschuldigen, aber nur teilweise. Das sollte hier nicht zur Gewohnheit werden; denn es wäre dann eine Unsitte.Danke schön.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unserem Kollegen Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach dieser Debatte überlege ich: Was ist der Wert eines Konsenses? Wenn wir ihn anschließend so darstellen, wie er hier dargestellt wurde, brauchen wir eigentlich keinen Konsens.
Wenn sich jeder nach der Rosinentheorie das heraussucht, was ihm paßt, das als eigenes Verdienst hinstellt und die Schuld an dem, was er rügt, den anderen zuschiebt, welcher Konsens ist das?
Lieber Kollege Heyenn, wenn ich in Ihrer Münze zurückzahlen würde — ich mache es jetzt —, dann würde ich sagen: Wenn Ihr Vorschlag und Ihr Entwurf durchgegangen wären, hätte Frau Honecker über
Nacht 40 % mehr Rente erhalten. Ist das das Gerechtigkeitsgefühl der SPD?
Woran mahnen die Mahnwachen, von denen Sie sprechen? An den Rentenzustand der alten DDR?
— Doch, ich muß es hier noch einmal sagen.
Herr Menzel, auch bei Ihnen hätte es mir gutgetan, wenn Sie etwas stärker die großen Erfolge unserer gemeinsamen, von Ihnen mitverantworteten Rentenpolitik herausgestellt hätten. Es hätte uns gutgetan, Ihnen und mir, in alter kollegialer Weise.
Herr Kollege Menzel möchte eine Frage stellen.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß die Punkte, die ich kritisch herausgestellt habe, von Anfang an immer die Punkte gewesen sind, an denen wir uns gerieben haben, und daß ich nie verschwiegen habe, daß wir deutliche Fortschritte im Rentenrecht erreicht haben?
Herr Menzel, es steht mir gar nicht zu und widerspricht meiner Natur,
— meiner liberalen Natur, als Zensor aufzutreten. Aber ich will die Gelegenheit doch noch einmal nutzen, auf die Rentenausgaben in der DDR hinzuweisen. Ich habe es hier schon oft gesagt: 16,7 Milliarden Ostmark, das war es; 16,7 Milliarden Mark für alle DDR-Rentner. Heute, ein paar Jahre später, sind es 54,2 Milliarden DM. Es wird doch wohl niemand sagen können, das wäre kein großer Erfolg. Freuen wir uns doch gemeinsam darüber! Wenn hier über Renten gesprochen wird, sollte auch über diesen Fortschritt geredet werden.
Die Durchschnittsrente für Männer in der DDR war 572 Mark, heute sind es 1 468 DM. Die Durchschnittsrente für Frauen betrug in der DDR 432 Ostmark, heute sind es 950 DM. Schicken Sie doch Ihrer Mahnwache einmal diese Zahlen! Zahlen sind wahrscheinlich verläßlicher.
Ich gebe doch zu, und es gibt gar keinen Streit darüber: Absolute Gerechtigkeit gibt es deshalb nicht, weil man bei einer Überleitung typisieren und pauschalisieren muß. Wer es anders machen würde, hätte die Gerechtigkeit vielleicht in 20 Jahren hergestellt. Da würden aber viele nicht mehr leben, für die diese Gerechtigkeit gedacht ist. Deshalb mußte man pauschalisieren, und dabei, meine Damen und Herren, gibt es abrupte Übergänge. Die haben wir gemildert; gerade ist davon gesprochen worden. Wir haben den mittleren Bereich im Zusatzversorgungssystem aus
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Bundesminister Dr. Norbert Blümdem groben „alles oder nichts" herausgebracht. Das ist ein Fortschritt. Ich gebe zu, daß man auf diesem Weg weitergehen muß, gerade auch gegenüber denjenigen, die nach der Wende Verantwortung übernommen haben.Meine Damen und Herren, bei dieser Güterabwägung zwischen Beschleunigung — es soll immer schneller gehen — und Verfeinerung haben wir uns in vielen Fällen für Beschleunigung entschieden. Allerdings muß weiter verfeinert werden, und es muß gerechter werden. Ich halte es für ein wichtiges Ziel der Rentenüberleitung, daß die Menschen schnell an ihre endgültige Rente kommen.
Und ich möchte hinzufügen — Sie sollten dabei mithelfen, es zu erkären —: Es geht niemandem etwas verloren. Man sollte auch den Antrag auf vorläufige Rente stellen. Viele, die das Recht dazu haben, wissen davon noch nicht. Eine vorläufige Rente, die in der Nähe der tatsächlichen liegt, kann schnell ausgezahlt werden. Es geht keine Mark verloren. Es wird nachgezahlt, wenn der Betrag darunterliegt, und es muß niemand etwas zurückzahlen.Was den Vorwurf des Strafrechts anbelangt: Es handelt sich nicht um Strafrecht. Aber wenn zwei Systeme zusammenkommen, muß aus dem zweiten System, das in das erste übernommen wird, nicht alles übernommen werden; denn sonst hätten wir ja Rentenansprüche bis 12 000 DM übernehmen müssen, und die entstehen in unserem gemeinsamen Rentenrecht nie. Darm hätten wir manche Privilegien aus dem alten System in unseres transportiert. Wäre das gerecht? Das wäre eine Verletzung des hiesigen Rechtsgefühls.Herr Ullmann, so ändert sich das manchmal: Ich habe bei unserer gemeinsamen Arbeit am Rentenrecht immer erfahren, daß die Spitzenträger des Staates möglichst weit herunter sollten mit ihrem Rentenanspruch. Sie konnten gar nicht weit genug herunterkommen. Ich war immer dagegen, dies völlig abzusenken. Jetzt geht die Gegenbewegung los, und man muß halt aus diesen unterschiedlichen Ansprüchen eine Linie finden.
Ich gebe zu, daß solche Verfahren nie ganz gerecht sein können.Und nun noch etwas, was Kollege Heyenn auch gemacht hat und wofür ich ihm dankbar bin: Er hat die Mitarbeiter der Rentenversicherungsträger gegen Vorwürfe in Schutz genommen. Das wollen wir gemeinsam machen. Was sie geleistet haben, grenzt an ein Wunder. Wenn manche staatliche Verwaltung so tüchtig und so schnell gewesen wäre wie die Rentenversicherung, sähe es in den neuen Bundesländern besser aus.
Vier Millionen Renten über Nacht umzustellen — was klappt, hat hier keinen Nachrichtenwert.
Hätte es nicht geklappt, hätte die Republik in Flammen gestanden. Vier Millionen! Bei den 300 000 Kriegsopfern hat es zwei Jahre gedauert, bis wir erst einmal in Sichtweite des Zieles waren.Ich will jetzt nicht den einen gegen den anderen ausspielen. Aber ich will sagen: Was die Rentenversicherung geleistet hat, kam in der hundertjährigen Geschichte des Sozialstaates noch nie vor: zwei Systeme, beide im Betrieb, nicht auf dem Reißbrett bei Expertengesprächen, in der Fahrt zu vereinheitlichen.Wir haben die Höchstgrenzen, und manche Kappung wird heraufgesetzt; aber bei Licht betrachtet waren es keine Kappungen, sondern ein vorläufiger Besitzstandsschutz, der durch die Dynamisierung überholt werden kann. So ist das nun einmal: Wenn man den Besitzstand hoch ansetzt, dann braucht man mehr Zeit, bis die Dynamisierung diesen Besitzstand übertrifft. — Ich bin jetzt aber in der Gefahr, in das Rentenchinesisch abzugleiten. Ich bewahre mich vor dieser Versuchung.Wenn wir wieder einen Konsens machen: Laßt uns das gemeinsame Ergebnis auch gemeinsam hier vertreten. Vollkommene Werke zu schaffen, den Ehrgeiz habe ich schon lange aufgegeben. Aber dem Ziel „Gerechtigkeit" immer näherzukommen, das bleibt unsere Aufgabe. Ich glaube, daß wir diesem Ziel ein Stück nähergekommen sind.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Gysi?
Ja.
Bitte.
Herr Minister, ich muß versuchen, drei Fragen in eine zu kleiden. Ich bin dazu heute intellektuell nicht mehr so ohne weiteres in der Lage.
— Ja, nun regen Sie sich doch nicht gleich auf.Wenn eine Mehrheit hier heute schon erkennt, daß auch dieses Ergänzungsgesetz zumindest bestimmte Mängel hat, über die man sich eigentlich einig ist, sie zu beheben — z. B. damit keine Benachteiligung für Menschen eintritt, die zur Zeit der Wende eine besondere Rolle gespielt haben —: Was hindert uns dann eigentlich, wenigstens diesen Mangel, bei dem sich zumindest fast alle einig sind, doch noch zu beheben, bevor wir dieses Gesetz verabschieden, möglicherweise morgen oder meinetwegen auch in der nächsten Sitzungswoche?Ich möchte gern noch eine zweite Zwischenfrage anschließen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13829
Dr. Gregor GysiWenn Sie über die Erhöhung der Auszahlungsbeträge für Rentnerinnen und Rentner sprechen, akzeptiere ich das völlig. Aber finden Sie nicht, daß es zur Fairneß gehören würde, auch die erhöhten Kosten für Rentnerinnen und Rentner mit zu erwähnen? Dann sieht die Differenz natürlich etwas anders aus.
Ich habe noch eine Bitte; es ist keine Frage. Ich muß das einmal sagen: Ich finde es wirklich sehr problematisch — —
Herr Kollege Gysi!
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Wenn Sie eine einzelne, zugegeben sehr unsympathische Person — darüber will ich hier überhaupt nicht streiten — herausziehen
und sagen, sie würde 40 % mehr Rente bekommen, wenn irgendein Vorschlag angenommen werden würde, und man vergißt dabei dann, daß es dann viele Tausende trifft, bei denen ich immer mit einem Negativbeispiel — —
Herr Kollege Gysi, Sie halten einen Vortrag, Sie stellen keine Frage.
Bitte, Herr Minister.
Zur ersten Frage: Da ich weiß, daß auf einen Schritt näher zur Gerechtigkeit immer ein weiterer folgt, würde ich nicht warten, bis wir den letzten Schritt zur Gerechtigkeit machen können. Ich würde immer einen Schritt weitergehen, denn eine lange Beratung hält das auf, was der Hauptsinn dieses Gesetzes ist: Beschleunigung der Rentenanträge, Beweislasterleichterung, Verfahrensbeschleunigung. Da kann ich nur sagen: Jeden Tag, der da verlorengeht, warten Rentner länger.
Was die sympathische oder unsympathische Frau anbelangt: Ich habe nur acht Minuten Zeit, und deshalb kann ich nicht alle Namen der Personen vorlesen, die dadurch begünstigt würden.
Hinsichtlich des dritten Punktes gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht: Man darf die nominalen Beträge nicht als einzigen Maßstab verwenden. Natürlich sind auch die Preise gestiegen, natürlich sind Mieten gestiegen. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß unser Sozialsystem natürlich nicht nur die Rente kennt, sondern z. B. auch Wohngeld, Kriegsopferversorgung und andere Leistungen, die früher alle unter dem großen Dach der Mutter Rentenversicherung waren.
Selbst wenn ich diese Preissteigerung abziehe, bleibt dennoch eine reale Lebensstandardsteigerung
von 60 %. Die ist geringer als 'die nominalen Zahlen, da haben Sie recht, aber sie ist noch immer — Gott sei Dank — eine Verbesserung für eine Generation, die in diesem Jahrhundert viel mitgemacht hat, wobei wir beide hoffen, daß keine nachwachsende Generation noch einmal zwei Weltkriege und zwei Diktaturen erleben muß. Schon eine ist zuviel!
Meine Damen und Herren, zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung erteile ich unserem Kollegen Heyenn das Wort.
Herr Bundesarbeitsminister, ich halte es erstens für nicht sauber, wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, daß es der SPD bei den Bemühungen um eine Verbesserung der Anrechnung der Entgeltpunkte darum gegangen sei, die Rente von Frau Honecker zu erhöhen.
Es ging uns darum, einen Teil des von Ihnen zu verantwortenden Strafrechts in der Rentenüberleitung in seiner Wirkung zu verringern.
Das zweite, Herr Bundesarbeitsminister: Ich weiß nicht, warum Sie so beleidigt begonnen haben.
Mir scheint es so zu sein, daß bei einem Konsens alle, die an diesem Konsens beteiligt waren, das Recht und auch die Pflicht haben, ihre Positionen zu verdeutlichen und dann auch zu sagen, warum man sich geeinigt hat. Genau das ist geschehen. Wenn man sich einigt, werden die Grundpositionen der einzelnen Beteiligten aber doch nicht von heute auf morgen wegen des Konsenses über Bord geworfen. Also, lieber Herr Bundesarbeitsminister: Der Anfang war etwas daneben!
Meine Damen und Herren, zur Geschäftslage: Mir liegen schriftliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor von den Kolleginnen und Kollegen Dr. Else Ackermann, Susanne Jaffke, Rosemarie Priebus und Michael Wonneberger sowie von unserer Kollegin Regina Kolbe. *)
Dann gibt es noch vier persönliche Erklärungen, zunächst die von unserer Frau Kollegin Dr. Helga Otto.
Ich kann diesem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz meine Zustimmung heute nicht geben. Obwohl meine Partei von Anfang an gegen die Vermischung von Straf- und Rentenrecht votiert hat, sind paradoxerweise nicht wenige Regimegegner durch das Rentenüberleitungsgesetz bestraft worden. Das sind Wissenschaftler, Techniker,*) Anlage 6
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13830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Helga OttoIngenieure. Was als „staatsnah" bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Frage von bleiben oder gehen — das hieß bei uns: abhauen — gewesen. Wer hat uns denn ständig ermahnt, wir sollten unsere Patienten oder Studenten im Osten nicht im Stich lassen und unserer Verantwortung für die Leute in der DDR nachkommen?
Konnten diese Leute ahnen, daß diese mit niedrigem Gehalt, politischen Repressalien und schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen erkauften Zusatzversicherungen eines Tages vom Nachfolgestaat in solche für „politisch Privilegierte" mit ungerechtfertigten, überhöhten Altersbezügen umbenannt würden?Mit etwas gutem Willen hätte man der bereits in der DDR erfolgten Umstellung dieser Renten in die FZR- Renten einfach folgen können und diese mit dem Rentenüberleitungsgesetz in ihrem Bestand sichern können — so meine Version. So wird mit der Abschmelzung der Zusatzrenten eine große Gruppe von Leuten, die in ihrem Leben viel geleistet haben, zur Altersarmut im wahrsten Sinne des Wortes verurteilt.
Ich stehe hier auch für eine Gruppe von Bestandsrentnern, denen man die Berechnung ihrer Gesamtlebensleistung versagt hat und nur die letzten zwanzig Jahre berechnet. Das widerspricht dem Gleichheitsprinzip. Wenn wir Unmengen von Satellitendaten und anderen Daten aufarbeiten können, dann, meine ich, schaffen wir es auch mit den Daten der Rentner. — Das erinnert mich übrigens sehr an die Akten der Asylanten in Zirndorf, deren Bearbeitung Sie ja auch nicht geschafft haben.Ich spreche auch für die vielen Betriebsrentner, denen jetzt einfach mitgeteilt wird, die Betriebe seien kaputt und Renten gebe es nicht mehr.Mein Nein soll heute nicht die große Leistung meiner Fraktion in irgendeiner Weise schmälern. Ohne sie wäre es unseren Rentnern noch viel schlechter ergangen.
Meine Fraktion konnte nur eine Schadensbegrenzung erwirken. Noch im März habe ich bei meiner Fraktion anfragen lassen, wie es denn mit unserem Antrag auf Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes stehe. Darauf wurde mir gesagt: Die CDU spielt nicht mit. — Sie müssen in der Nacht irgendwie eine Eingebung gehabt haben,
so daß es plötzlich innerhalb von wenigen Wochen doch zu einer Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes gekommen ist.Ich will damit nur ein Zeichen setzen, daß man über viele Dinge noch einmal nachdenken sollte. Wie man merkt, ist das heute auch bereits geschehen.Der Zufall des Wohnsitzes nach dem Krieg kann kein Maßstab sein. Vielmehr sollte eine wirkliche Solidarität auch gegenüber unseren Rentnern gelten, denn ich glaube, unsere Rentner haben nicht mehr genug Zeit, auf die „blühenden Landschaften" zu warten.
Meine Damen und Herren, die nächste Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung wünscht unser Kollege Udo Haschke abzugeben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, daß ich diese Gelegenheit habe.Frau Otto, diese Debatte hat bei aller Kürze doch deutlich gezeigt, daß noch sehr, sehr viel getan werden muß, um 40 Jahre total unterschiedliche Bedingungen in den alten und den neuen Bundesländern in ihren Auswirkungen auf Millionen Einzelbiographien zu begreifen und zu verstehen. Ich glaube, das sollten wir festhalten.Herr Kollege Menzel, es ist wirklich so: Nicht jeder Betriebsdirektor war nichts weiter als ein Opportunist oder ein Anpasser oder was auch immer, sondern ist tatsächlich in Verantwortung für die Menschen vor Ort dortgeblieben, wo er geblieben ist.
Wir haben — zugegebenerweise sehr spät — versucht, in den vorliegenden Gesetzentwurf eine Öffnungsklausel zu bringen, die eine Ermächtigung für die Behörden der Bundesrepublik vorsieht, auf Antrag Möglichkeiten einer Einzelfallüberprüfung zu schaffen. Das ist uns heute nicht gelungen. Trotzdem, der vorliegende Gesetzentwurf bringt einer sehr großen Gruppe von Rentnern in den neuen Bundesländern eine größere Akzeptanz dieser total unterschiedlichen Lebensbedingungen, eine Anerkennung des persönlichen Arbeitslebens — das halte ich übrigens für das Wichtigste —, aber auch eine wesentlich bessere Rente. Aber der alte Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten" wird im Rentenrecht weiterhin durch eine Typisierung in schwarze und weiße Schafe ersetzt.
Das kann — und dies hat uns Herr Staatssekretär Dr. Worms zugesagt und soeben der Bundesminister noch einmal bestätigt — nicht das letzte Wort in Sachen Rentenrecht sein.Ich werde diesem Gesetz zustimmen, weil ich weiß, daß wir die unsäglichen Folgen der totalitären SED- Herrschaft nicht in Gänze und schon gar nicht auf einen Schlag bewältigen können. Wir brauchen, auch wenn alles in uns zum Sprung drängt, die Geduld, Schritt für Schritt zu gehen. Mit dem heutigen Gesetz tun wir einen weiteren Schritt. Lassen Sie uns ab sofort den nächsten prüfen und vorbereiten. Am Ende muß es eine Einzelfallentscheidung geben, denn das
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Udo Haschke
gehört zu den Grundüberzeugungen der Christlich Demokratischen Union. Es steht im Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie läßt sich nicht in Schablonen pressen; so denke ich jedenfalls.Weil es sich in Sachen Renten — Frau Otto, da gebe ich Ihnen auch recht — um ältere Menschen handelt, die möglicherweise nicht mehr so viel Zeit haben, empfehle ich uns allen, diesen nächsten Schritt vorzubereiten, schnell anzugehen, den heutigen aber nicht zu verzögern. Ich bitte sehr darum, diesem Gesetz zuzustimmen.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung sollen im allgemeinen das Abstimmungsverhalten, vor allen Dingen auch abweichendes, begründen.
Ich darf noch einmal daran erinnern, daß wir dies beachten.Die nächste Wortmeldung gemäß § 31 der Geschäftsordnung kommt von unserem Kollegen Dr. Christoph Schnittler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf zur Änderung des Rentenüberleitungsgesetzes bringt für unzählige Menschen in den neuen Bundesländern ganz wesentliche Verbesserungen, und er beseitigt Fehler. Ich bin sehr froh darüber und werde deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Aber, meine Damen und Herren, ich kann das nicht tun, ohne hier festzustellen, daß er mindestens einen grundsätzlichen Mangel nach wie vor enthält. Das ist die pauschal vermutete Staatsnähe ganzer Menschengruppen, die zu einer wesentlichen Absenkung der Rentenansprüche führt.
Meine Damen und Herren, diese Vorgehensweise ist ein denkbar schlechter Ersatz für eine Vergangenheitsbewältigung, die in der ehemaligen DDR leider nicht genügend stattgefunden hat, und auch für die Unfähigkeit des Rechtsstaates, die wirklich Schuldigen zu bestrafen. Man kann trotzdem einen solchen Mangel grundsätzlich tolerieren; aber er muß sich in bestimmten Grenzen halten.
Völlig inakzeptabel ist für mich die Festlegung, daß auch Inhaber ehrenamtlicher Wahl- und Berufungsfunktionen oberhalb der Kreisebene in dieser Weise bestraft werden; denn sie hatten keinerlei Vorteile von diesen Funktionen.
— In der Regel hatten sie keine Vorteile, und, Herr Kollege Heyenn, was das Entscheidende ist: Diese Funktionen standen in keinem Zusammenhang mit ihren Rentenansprüchen. Diese Rentenansprüche waren beruflich bedingt.
Ich erinnere Sie an dieser Stelle einmal daran, wer denn in den Bezirksvorständen der sogenannten Blockparteien angesiedelt war. Das waren Handwerker, Gewerbetreibende, kleine Angestellte, Akademiker. Und ich zähle die Privilegien dieser Leute auf; das ist schnell getan. Die konnten, wenn es gut lief, einmal ihr Kind auf die EOS — „Erweiterte Oberschule" heißt das — bringen; sie konnten mal eine Gewerbegenehmigung mehr herausschlagen, oder sie konnten einen Handwerksbetrieb unterstützen, wenn es darum ging, Material und Ausrüstungen zu beschaffen. Diesen Personenkreis pauschal zu bestrafen ist Unrecht, es ist zum Teil sogar geradezu grotesk.
Meine Damen und Herren, die politische Seite dieser Angelegenheit ist eigentlich noch viel schwieriger, viel schwerwiegender. Diese unglückliche Formulierung „im Staatsapparat und in einer Partei" legalisiert geradezu durch ein Bundesgesetz die Politik, die die SED ganz konsequent nach der Wende betrieben hat und die auch ihre Nachfolger betreiben, nämlich die Gleichsetzung der SED mit den Blockparteien, was ihre politische Verantwortung betrifft. Das, meine Damen und Herren, ist Geschichtsfälschung.
Ich appelliere an alle Demokraten, daß sie diese Geschichtsfälschung nicht mitmachen.
Wesentlich schuld am Unrecht in dieser DDR hat die SED gehabt. Daß sie auch Helfershelfer hatte in Form des Schwertes und Schildes der Partei und in Form einzelner Personen in den Blockparteien, in Organisationen und in allen anderen Bevölkerungsgruppen, das ändert an dieser Sachlage gar nichts.
Letzte Wortmeldung gem. § 31 unserer Geschäftsordnung, Kollege Dr. Rudolf Karl Krause.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine drei Vorredner haben vieles gesagt, was ich sonst auch gesagt hätte.Bei der letzten CDU-Kreisvorstandssitzung hat mich mein Freund und Landrat, der 30 Jahre in der CDU war, der Betriebsleiter war und der vielen, vielen Menschen nicht nur eine Nische, sondern gerade vielen jungen Menschen, die bedrängt waren, auch
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13832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993
Dr. Rudolf Karl Krause
eine Perspektive gegeben hat, dringend darum gebeten, diesem Art. 3 nicht zuzustimmen.
Hier wird pauschal eine ganze Gruppe, werden ganze Gruppen wirklich bestraft und die Witwen, falls es die gibt, mit.Als freier Abgeordneter darf ich mich an die Wahrhaftigkeit halten, ohne Parteiräson.
Es geht um Menschen, es geht um einzelne Menschen. Es ist auch nicht richtig, pauschal zu sagen: Aber die, die in der SED waren! — Als meine Familie, meine Frau und ich, zwei Jahre lang Einstellungsverbot hatten,
gab es auch einen Parteisekretär, gab es Schuldirektoren, die ihre schützende Hand über meine Kinder gehalten haben. Diese jetzt pauschal zu verunglimpfen und zu bestrafen ist nicht richtig.Noch ein Letztes an meine — wie ich hoffe — bleibenden Freunde in der CDU: Viele Geschäftsführer, viele Betriebsleiter, die Vorsitzende waren, haben 1990 vier Wahlen gewonnen. Viele, die in der Volkskammer für die Einheit gestimmt haben, sind mitbetroffen und werden hier bestraft. Ich bitte Sie als Mensch und als Christ, das noch einmal in den Ausschuß zu geben, dem Art. 3 nicht zuzustimmen.Unbenommen ist, daß der große Teil der Rentner — über 90 % — in einer Weise die Einheit genießen kann, die sich vor drei Jahren niemand erträumt hat. Meine Schwiegereltern sind Rentner auf dem Lande. Die Rentner auf dem Lande bekommen das Zweieinhalbfache dessen an Rente ausbezahlt, was die Rentner in der Landwirtschaft in der alten Bundesrepublik bekommen. Das ist sehr hoch anzurechnen. Aber es geht hier um einzelne Menschen.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn wir jedem Gewaltkriminellen Einzelfallgerechtigkeit zubilligen, dann bitte auch Tausenden grundanständigen Menschen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beratungen und kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu Tagesordnungspunkt 12a: Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung der Rentenüberleitung. Es handelt sich um die Drucksachen 12/4810 und 12/5017. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/5039 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Die
Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist dieser Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 12b. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/5017, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2519 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Reihe von Gegenstimmen angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Buchstabe c, den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2567 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch diese Beschlußempfehlung bei einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltungen angenommen.
Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung schließlich, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2663 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen ein paar erholsame Pfingsttage und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Juni 1993, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.