Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Zunächst habe ich eine amtliche Mitteilung zu verlesen: Der Ältestenrat ist übereingekommen, daß den Gruppen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, für die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" je ein beratendes sachverständiges Mitglied zu benennen. Ich gehe davon aus, daß das Haus in seiner Gesamtheit damit einverstanden ist. — Das scheint der Fall zu sein. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Doris Odendahl, Angelika Barbe, Hans Gottfried Bernrath, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/4347 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Else Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink, Dr. Karlheinz Guttmacher, Dirk Hansen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/4763 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. — Auch damit scheint das Haus einverstanden zu sein. Ich darf das als beschlossen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Frau Doris Odendahl das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir befassen uns heute mit den Entwürfen der SPD und der Regierungskoalition zu einem 16. BAföG-Änderungsgesetz mit der Verlängerung der Studienabschlußförderung, die am 30. September 1993 ausläuft. Die SPD-Fraktion hat ihren Entwurf im Februar eingebracht. Der Regierungsentwurf kam sozusagen in allerletzter Minute, um den Anschluß an den 30. September 1993 nicht zu verpassen.Nun gestehe ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ja gerne zu, daß Sie sich immer wieder zur notwendigen Verlängerung der Studienabschlußförderung geäußert haben und daß auch der Bundesbildungsminister stets in zuversichtlicher Erwartungshaltung verharrt hat. Daß es dennoch so lange gedauert hat, bis Sie mit Ihrem Entwurf zu Potte gekommen sind, legt die Vermutung nahe, daß Ihr Finanzminister, Herr Waigel, den BAföG-Topf noch immer als eiserne Reserve für seinen desolaten Haushalt ansieht.So müßten Sie nun heute den Regierungsentwurf mit der Überschrift versehen: Gewollt hätten wir schon lange, aber gedurft haben wir nicht. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, übersetze ich es ins Schwäbische: Welle hätte mehr scho, aber dürfe hemmer net.
Dabei geht es hier nicht um neue, zusätzliche Kosten; denn die dafür notwendigen rund 60 Millionen bis 80 Millionen DM, davon 65 % vom Bund und 35 % von den Ländern, sind im BAföG-Ansatz enthalten.Die Verlängerung der Studienabschlußförderung ist ein wesentlicher Bestandteil des von der Regierung wohl hoffentlich noch nicht endgültig begrabenen Bildungsgipfels. In der Vorbereitung zum Eckwertepapier für den Bildungsgipfel haben sich die Länder für eine unbefristete Verlängerung der Studienabschlußförderung ausgesprochen, während der Ge-
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Doris Odendahlsetzentwurf der Bundesregierung nur eine dreijährige Verlängerung vorsieht.
— Graf Waldburg, ich komme gleich auf Ihren Denkfehler; vielleicht helfe ich Ihnen doch noch auf die Sprünge.
— Ja, Morgenstund' hat Gold im Mund.Sie erklären diese Befristung mit dem Hintergrund noch nicht abgeschlossener Strukturreformen an den Hochschulen und im Hinblick auf die langen Fachstudienzeiten. Ihre Erklärung zeigt, daß Sie bei diesem Gesetzesvorhaben offenbar gar nicht kapiert haben, worum es in der Sache geht.
Bei der Studienabschlußförderung handelt es sich eben nicht um ein Instrument zur Verkürzung von Studienzeiten, weil es nur von solchen Examenskandidaten und -kandidatinnen in Anspruch genommen werden kann, die sich innerhalb der Förderungshöchstdauer zum Examen melden.Wenn nun die Bundesregierung diese Studienabschlußförderung sozusagen als politisches Druckmittel gegenüber den Hochschulen verwendet und damit ausgerechnet diejenigen politisch unter Druck zu setzen versucht, die für die überlangen Studienzeiten auf keinen Fall allein verantwortlich sind, sondern in der Mehrzahl darunter zu leiden haben, nämlich die Studenten, leistet sie damit keinen Beitrag zur Studienreform, sondern gießt allerhöchstens noch Öl ins Feuer. Sie sollten das lassen.
Das ist sehr bedauerlich, denn in mehreren Anhörungen hatten Sie ja ausreichend Gelegenheit, auf diesem Gebiet schlauer zu werden. Mit großem Nachdruck wurde dabei von allen Sachverständigen auf die Bedeutung der Studienabschlußförderung hingewiesen und festgehalten, daß sie sich bis heute bewährt hat.Die Gesetzentwürfe müssen nun beschleunigt beraten werden, damit das Gesetz vor dem Auslaufen überhaupt noch in Kraft treten kann. Mit Ihrem Hoppla-Hopp-Verfahren verhindern Sie gleichzeitig, daß wir uns während der Beratungen auch mit dem Problem der Förderungshöchstdauer auseinandersetzen. Das wäre nämlich dringend nötig. Die SPD-Fraktion hat auf die Notwendigkeit solcher Regelungen in ihrem Entwurf zur 15. BAföG-Novelle bereits hingewiesen.Die Bundesregierung hat dazu einen Bericht in Aussicht gestellt, der bis heute leider nicht vorliegt, der jedoch im Zusammenhang mit den Beratungen zur Studienabschlußförderung sehr nützlich und auch notwendig gewesen wäre; notwendig auch deshalb, um den Studierenden eine verläßliche Planung ihres Studien- und Examensverlaufs zu ermöglichen. So hängen Sie schon wieder an den drei Jahren, immer in der Hoffnung, es werde schon gutgehen. Machen Siedoch auch einmal, so schwer es Ihnen fällt, Verläßlichkeit in allen Planungen zu Ihrem Motto. Das wäre gut und brächte Ruhe in die Diskussion.
Mit Ihrem heutigen weiteren BAföG-Stückwerk einer dreijährigen Verlängerung der Studienabschlußförderung lassen Sie das wiederum nicht zu. Das ist traurig; denn Sie hangeln sich beim BAföG von Novelle zu Novelle und machen aus einem gut konzipierten und vor mehr als 20 Jahren auch von allen gewollten Gesetz zur Chancengleichheit in der Bildung ein nicht mehr auseinanderzuhaltendes Flickwerk.Ich habe schon öfter an dieser Stelle gesagt: Wie man Steuerberater und alle möglichen Berater braucht, brauchte man längst über die BAföG-Ämter hinaus, weil die auch nicht immer genügend beraten können, auch BAföG-Berater.Das Ergebnis sind immer mehr zurückgehende Gefördertenquoten, immer weniger BAföG-Berechtigte. Und so muß befürchtet werden, daß es Ihnen letzten Endes darum geht, mit dieser endlosen Geschichte der BAföG-Novellierungen die Ausbildungsförderung eines Tages ganz auszutrocknen oder zur Strecke zu bringen.
Sie könnten diesen Verdacht heute u. a. dadurch zerstreuen, daß Sie sich nicht auf die dreijährige Befristung der Studienabschlußförderung festlegen, sondern sie unbefristet in das Gesetz aufnehmen. Auch bei der unter Zeitdruck stattfindenden Beratung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft besteht dazu noch Gelegenheit, wenn Sie dem Antrag der SPD-Fraktion, den wir heute an den Ausschuß überweisen, zustimmen. Es wäre darüber hinaus ein gutes Signal für den Bildungskanzler — für den Bildungsgipfel; sehen Sie, das war ein Freudscher Versprecher —, also für den Bildungsgipfel, aber ein gutes Signal auch für den Kanzler.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hubert Hüppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den unzähligen Beratungen der letzten Wochen ist es heute schon ein gutes Gefühl, für den Gesetzentwurf der CDU/CSU und F.D.P. sprechen zu können.Als die Einführung einer Studienabschlußförderung vom Bundestag im März 1990 — damals leider noch ohne meine Mitwirkung — beschlossen wurde, war dies eine von allen Seiten anerkannte Entscheidung; zu Recht, wie ich meine. Vielen Studentinnen und Studenten als Hauptleidtragenden der teilweise miserablen Studienbedingungen wurde dadurch eine echte Entlastung für ihre Examensphase geboten. Den Studierenden wurde auf diesem Weg die Möglichkeit
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Hubert Hüppegegeben, sich in der Examensphase verstärkt auf ihr Studium zu konzentrieren.Für maximal zwölf Monate können Studierende seither über die normale Regelförderungszeit hinaus Unterstützung erhalten, soweit sie vor Ende der Förderungshöchstdauer zum Examen zugelassen worden sind. Erforderlich ist ferner die Bescheinigung der Prüfungsstelle, daß innerhalb eines Jahres die Ausbildung abgeschlossen werden kann. Es zeugt von einem verantwortungsvollen Umgang mit diesem Förderinstrument, wenn man bedenkt, daß die Studienabschlußförderung im Schnitt nur gut sieben Monate in Anspruch genommen wurde.Allen an der Diskussion Beteiligten war im Vorfeld der heutigen Entscheidung klar, daß es bei der ursprünglichen Befristung der Maßnahme bis zum 30. September diesen Jahres nicht bleiben könnte. Darüber — das zeigen auch die beiden heute vorliegenden Gesetzentwürfe — besteht Einigkeit in diesem Hause. Sieht man einmal von der kleinen Differenz bei der Berechnung der jährlichen Kosten einer Verlängerung ab — die SPD hat etwas weniger angesetzt als wir; wir halten etwas mehr von Haushaltswahrheit —, so gehen wir doch in die gleiche Richtung.Der wirkliche Unterschied liegt in der Frage Befristung oder nicht. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, halte ich Ihren Antrag ganz und gar nicht für richtungsweisend. Ginge es nach Ihnen, so würde jede Befristung der Studienabschlußförderung gestrichen; Befristung einer Maßnahme, die von ihrer Grundidee her zur Überbrückung gedacht war für eine Phase, in der durch Strukturreformen die Studienbedingungen an den deutschen Universitäten verbessert werden sollten. Würde Ihr Gesetzentwurf heute vom Bundestag angenommen, so würde dies bedeuten, daß wir jeden Glauben an eine Strukturreform im Hochschulbereich, die ein Studium in der Regelzeit ermöglichen würde, verloren hätten.
Das können Sie doch im Ernst nicht wollen.
Die Gespräche und Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Hochschulverbänden haben gezeigt, daß es mit den Reformen im Hochschulbereich so eine Sache ist. Alle beschwören sie, aber wer soll sie umsetzen?
Den Studentinnen und Studenten, die in den Hörsälen keinen Platz mehr finden, die auf Grund der Studienbedingungen, wie wir sie nun einmal haben, die Regelstudienzeiten in nahezu allen Bereichen überschreiten, denen, die heute vor der Entscheidung stehen, ein Studium aufzunehmen und sich in das teilweise herrschende Chaos an deutschen Universitäten zu stürzen, wird jedoch mit den bisherigen Absichtserklärungen nicht weitergeholfen.Es fehlt nach wie vor an durchgreifenden Reformen, die den Abschluß eines Studiums an den deutschen Universitäten in den Regelstudienzeiten tatsächlich ermöglichen können. Dieses Ziel dürfen wir ebenauch bei einer BAföG-Diskussion nicht aus den Augen verlieren. Beim Lesen Ihres Gesetzentwurfs, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, hatte ich allerdings diesen Eindruck.Ganz bewußt haben wir uns für eine befristete Verlängerung der Studienabschlußförderung ausgesprochen,
über deren Notwendigkeit in der derzeitigen Hochschulsituation kein Zweifel besteht. Nach den vorliegenden Zahlen des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft gaben rund 75 % der nach § 15 Abs. 3a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes geförderten Studentinnen und Studenten an, sie hätten ihr Studium ohne die Studienabschlußförderung später oder gar nicht abgeschlossen.Es kann aber doch nicht unser Ziel sein, die Studienabschlußförderung auf alle Zeiten einzuführen. Sie alle wissen, wie problematisch es ist, einmal eingeführte gesetzliche Fördermaßnahmen zurückzunehmen. Unser Ziel muß es vielmehr sein, endlich durchgreifende Strukturreformen im Hochschulbereich auf den Weg zu bringen.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Odendahl zu beantworten?
Nein. Ich bin gleich fertig, dann kann sie ihr Statement abgeben.
Frau Abgeordnete, es ist sein gutes Recht, eine Zwischenfrage nicht zuzulassen.
Nein, da vertun Sie sich aber.
Es ist schön, wie abgehoben Sie sind.
Mit unserer Festlegung auf den Termin 30. September 1996 wollen wir ein deutliches Signal an alle geben, die zum Gelingen dieser Reformen beitragen können. Packen wir es endlich konkret an, und bringen wir es zu einem Ende.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Lassen wir uns heute ein gemeinsames Zeichen in die richtig Richtung geben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dirk Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion erklärt natürlich
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Dirk Hansenausdrücklich ihre Absicht zur Weiterführung der Studienabschlußförderung bis 1996. Denn es ist ja nachgewiesenermaßen eines der wenigen wirklich wirksamen Instrumente zur Studienzeitverkürzung.Die 12. BAföG-Novelle, von CDU/CSU und F.D.P. initiiert, macht die Förderung von höchstens zwölf Monaten zusätzlich möglich, wenn Studierende innerhalb der Förderungshöchstdauer zur Abschlußprüfung zugelassen worden sind und das Prüfungsamt bescheinigt, daß die Ausbildung innerhalb dieser zwölf Monate auch abgeschlossen werden kann. Hinzu käme: Wenn sich das Studium aus schwerwiegenden Gründen — Behinderung, Krankheit, Pflege, Erziehung kleinerer Kinder, Schwangerschaft oder anderen Gründen — verzögert, ist Förderung möglich, wenn sich die Zulassung zur Prüfung eben deswegen hinziehen sollte.Die 12. BAföG-Novelle hatte die Befristung bis zum 30. September diesen Jahres vorgesehen. Es war Ausdruck der Absicht, nach angemessener Zeit zu prüfen, ob die Studienabschlußförderung das geeignete Mittel sei, das eigentliche Ziel, Studienzeiten zu verkürzen, zu erreichen. Die wirtschaftliche Absicherung des Studiums in der Examensphase möglich zu machen und damit dann die Studienzeiten insgesamt zu verkürzen, war und ist Ziel dieser Maßnahme.Die HIS-Erhebung, also des Hochschul-Informations-Systems Hannover, hat im Sommer 1992 klare Belege für die positive Wirkung dieser Maßnahme gebracht. 83,8 % derjenigen, die nach § 15 BAföG-Förderung erhalten hatten, haben ihren Abschluß schneller als der Durchschnitt aller Studenten erreicht. 61 % der Geförderten erklärten, daß sie — Herr Hüppe hatte schon darauf hingewiesen — ohne diese Abschlußförderung ihr Studium entweder später beendet oder gar abgebrochen hätten.1991 und 1992 sind 20 000 Studierende in den Genuß dieser Maßnahme gekommen. Mit insgesamt 90 Millionen DM wurde diese Maßnahme finanziert. Der Bund trug davon 60 Millionen DM. Im Gesetzentwurf der Koalition können Sie nachlesen, wie die Finanzfortschreibung aussieht.Heute, 1993, ist bei aller Bekanntheit der angespannten finanziellen Lage zu sagen: Mit der Verlängerung der ursprünglich befristeten Maßnahmen ist es möglich, einen Beitrag gegen zu lange Studienzeiten zu leisten, was ja im Blickpunkt des Bildungsgipfels im September 1993 steht und allerorten von verschiedensten Seiten — alle ziehen insoweit an demselben Strang — vorgebracht wird: Die Ausbildungszeiten, speziell auch die Studienzeiten, in Deutschland sind zu lang. Also muß diese Maßnahme verlängert werden.Warum nicht unbefristet? Nach sozialdemokratischer Manier wird natürlich wie immer gesagt: Möglichst viel, möglichst immer, also dauernd, egal ob die Maßnahmen hinsichtlich der Zielsetzung dann noch wirken oder nicht. Deswegen ist es richtig, die Maßnahme auch jetzt wieder bis 1996 zu befristen. Denn würde man die Begründung, damit Studienzeiten verkürzen zu wollen, als solche aufheben, indem man die Maßnahme unbefristet verlängerte, hätte man daseigentliche Ziel gar nicht mehr im Auge. Die Maßnahme wäre geradezu kontraproduktiv.
Es ist also richtig — das sei in bestimmte Richtungen durchaus auch laut im Parlament artikuliert —, die Maßnahme eben nicht zu stoppen, sondern über den 30. September dieses Jahres hinaus zu verlängern, sie aber andererseits natürlich nicht nach SPD-Manier unbefristet oder ad infinitum zu verlängern nach dem Motto: Tue Gutes, rede darüber, aber laß es die anderen tun. Nein, so können wir nicht verfahren. Wir würden die Absichten der Studienabschlußförderung geradezu verwässern. Das darf nicht geschehen.Die Befristung läßt es zu, dann erneut in eine Prüfung der Wirksamkeit des Instruments einzusteigen. Der nächste Deutsche Bundestag wird dazu Gelegenheit haben, um dann neu zu entscheiden.Die F.D.P. wird — im Sinne der Sache, Frau Odendahl — für unseren Antrag stimmen.Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Dietmar Keller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An beiden Gesetzentwürfen, die dem Hohen Haus vorliegen, ist zu begrüßen, daß sie von der Einsicht ausgehen, daß die Studienabschlußförderung ein vernünftiges Instrument zur wirtschaftlichen Absicherung der Studierenden in der Examensphase ist und deshalb auch beibehalten werden soll.Da allerdings die Koalition auf eine Begründung ihres Gesetzentwurfes weitestgehend verzichtet, sind die in ihrem Entwurf vorgesehene Befristung und auch die vorgetragenen Argumente für mich nicht einsichtig. Der Hinweis auf den Hintergrund noch nicht abgeschlossener Strukturreformen an den Hochschulen ist mir als Begründung einfach zu dürftig. Erstens liegen wohl Vorschläge zu einer Studienstrukturreform vor, aber angesichts dessen gleich von einer noch nicht abgeschlossenen Strukturreform zu reden, ist wohl sehr vermessen, zumal ich zweitens hoffe und wünsche, daß sich die vorrangig marktwirtschaftliche Orientierung dieser Vorschläge nicht durchsetzen wird.Die Begründung des SPD-Entwurfs schließt ein, keine neue Frist für die Studienabschlußförderung zu setzen. Da hier Abgeordnete aus den alten Bundesländern gesprochen haben und ich als Vertreter der neuen Bundesländer spreche, möchte ich speziell aus der Sicht der Studierenden der neuen Länder gegen eine neuerliche Befristung sprechen. Warum? Mit gutem Grund kann angenommen werden, daß die Studienabschlußförderung erst in den kommenden Jahren und mit Sicherheit über das Jahr 1996 hinaus in Ostdeutschland eine größere Rolle spielen wird, und zwar vor allem deshalb, weil es durch inhaltliche Umstrukturierungen und Personalengpässe in vielen Studiengängen mit großer Sicherheit zu Studienzeitverlängerungen kommen wird, die durch die Studie-
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Dr. Dietmar Kellerrenden nicht selbst verschuldet werden und durch sie auch kaum beeinflußbar sind. Ganz augenfällig wird das im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich sein, wird sich aber wahrscheinlich nicht darauf beschränken.Aus dieser Sicht und vor allen Dingen im Interesse der Studentinnen und Studenten Ostdeutschlands bin ich für eine Studienabschlußförderung ohne neuerliche Fristensetzung.Danke.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Doris Odendahl das Wort.
Lieber Herr Kollege Hüppe, diese Kurzintervention wäre gar nicht nötig geworden, aber nachdem Sie im Gegensatz zu mir doch ein Statement abgegeben und bei mir einen Verdacht genährt haben, will ich das zerstreuen.
Ich wollte Ihnen eine Sachfrage stellen, die Sie nicht beantwortet haben, die aber in dem Zusammenhang beantwortet werden muß. Ich wollte nämlich fragen, ob Sie davon ausgehen, daß die Hochschulstrukturreform, die ja bis heute noch nicht richtig angefangen hat, in drei Jahren abgeschlossen ist; denn damit haben Sie Ihre Befristung begründet. Das haben Sie nicht beantworten wollen. Ich gehe davon aus, daß Sie es auch nicht können. Aus dem Grunde ist eigentlich Ihre Begründung der Befristung obsolet.
Weil ich noch eine Minute Zeit habe, nehme ich die Gelegenheit, meinen vorherigen Freudschen Versprecher hiermit zu korrigieren. Es lag mir völlig vern, den Bundeskanzler gleichzeitig als Gipfel zu bezeichnen, sondern ich wollte in der Tat vom Bildungsgipfel reden, den der Bundeskanzler besteigen will. Ich hoffe, daß das jetzt ebenfalls geklärt ist. Es liegt mir völlig fern zu sagen, der Bundeskanzler an sich ist der Gipfel.
Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Gerhard Päselt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Studienabschlußförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sieht vor, daß Studierende, die bestimmte Kriterien erfüllen, bis zu einem Jahr über die Förderungshöchstdauer hinaus unterstützt werden können. Wir haben mit dieser Regelung, die bis zum 30. September 1993 befristet ist, gute Erfahrungen gemacht.Die Ergebnisse einer Befragung des HIS Hannover rechtfertigen die 225 Millionen DM Gesamtkosten, die uns über vier Jahre hinweg entstehen werden, als eine lohnende Investition zur Verkürzung der Studienzeiten. Daher plädiere ich für die Verlängerung der Förderung bis zum 30. September 1996.Im einzelnen zeigt die vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebene Studie, daß von den rund 20 000 gemeldeten Geförderten die überwiegende Zahl — das sind 83,8 % — das Studium während der Dauer der Abschlußförderung erfolgreich beendet hat.Im. Bereich der Universitäten wurde die Abschlußförderung von den Studierenden durchschnittlich nur 7,1 Monate in Anspruch genommen, im Fachhochschulbereich sogar nur 5,9 Monate. Die verbreitete Nichtausschöpfung der maximal einjährigen Unterstützung ist auch ein Zeichen für die hohe Motivation der BAföG-Empfänger, endlich zu einem Studienabschluß zu kommen.Beeindruckend an der Untersuchung finde ich auch, daß die Quote der geförderten erwerbstätigen Studenten während der Abschlußförderung von 62,8 % auf 44,8 % zurückgegangen ist. Meiner Ansicht nach belegt dies, daß die Studierenden durch die Abschlußförderung mehr Zeit für die Prüfungsvorbereitungen erhalten, was sich sicherlich auch positiv auf die Zahl der erfolgreich absolvierten Abschlußprüfungen auswirkt.Ergänzt man diese objektiven Zahlen noch mit dem subjektiven Empfinden der Studierenden, so wird die Wirksamkeit der Studienabschlußförderung noch deutlicher. Auf die Frage „Hat die Studienabschlußförderung Ihren Studienablauf beeinflußt?" antworteten 21 % der Befragten: „Ich habe mich früher zur Abschlußprüfung gemeldet." 33,8 % gaben an: „Ich konnte mir mehr Zeit zur Vorbereitung der Abschlußprüfung lassen. "Auf die hypothetische Frage, was geschehen wäre, wenn die Abschlußförderung nicht gegeben würde, erklärten 57,9 %, das Studium wäre später abgeschlossen worden. 3,3 % erklärten sogar, daß sie das Studium abgebrochen hätten.Positiv sei auch vermerkt, daß gerade die für unsere Wirtschaft besonders interessanten Studiengänge der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften überproportional am Abschlußförderungsprogramm teilgenommen haben.Eine kritische Anmerkung nach meinen durchweg optimistischen Ausführungen sei mir aber erlaubt. Der Wissenschaftsrat hat in seinen zehn Thesen zur Hochschulpolitik erklärt, daß die Überprüfung der Förderungshöchstdauer in den einzelnen Studiengängen geboten ist, um einige offenkundige Ungereimtheiten zu beseitigen. Gegenwärtig können in einigen Fächern bis zu 90 %, in anderen jedoch nur 10 % der Absolventen ihr Studium in der Förderungshöchstdauer abschließen. Wir müssen die überdurchschnittliche Förderungshöchstdauer einiger Studiengänge reduzieren. Dies ist gerade im Kontext mit dem vorliegenden Entwurf notwendig, da die Studienabschlußförderung an der Förderungshöchstdauer orientiert ist.Abschließend möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß wir uns künftig häufiger hier zusammenfinden, um auch über die berufliche Bil-
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Dr. Gerhard Päseltdung und deren finanzielle Unterstützung nachzudenken. Ich denke hier speziell an die Verbesserung der Meisterfortbildung. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung angekündigt, die Zuschüsse zu den Kosten der Meisterkurse zu erhöhen.
Die hierfür erforderlichen 300 bis 400 Millionen DM wurden dann aber wegen der Kürzung der Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit gestrichen. Dies könnte die Glaubwürdigkeit unserer oft verkündeten Absicht in Frage stellen, die berufliche Bildung zu stärken. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.
Zum Abschluß noch eine kleine Bemerkung, Herr Keller, an Ihre Adresse. Es war doch eigentlich günstig, daß wir uns um die Studierenden der DDR in dieser Art gekümmert haben. Vielleicht sollten wir das auch weiterhin tun. Dann brauchten wir diese finanzielle Förderung nicht in dieser Form auszuweiten. Ich plädiere dafür, die alten Studienzeiten einzuhalten, auch auf unserem Gebiet; denn das Nichtaus-schöpfen der zwölf Monate bedeutet ja, daß gegenwärtig die persönliche Betreuung relativ gut ist und damit das Studium früher abgeschlossen werden kann. Das war ja auch unser Ziel.
Ich erteile nunmehr dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Professor Dr. Rainer Ortleb, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße den von den Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag eingebrachten Entwurf eines 16. BAföG-Änderungsgesetzes zur Fortführung der Studienabschlußförderung. Die nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien erforderlichen Schritte sind eingeleitet.
Ich habe mich seit langem trotz der angespannten finanzwirtschaftlichen Situation dafür ausgesprochen, die Studienabschlußförderung befristet zu verlängern. Dieses Förderungsinstrument hat sich sehr bewährt. Ich unterstütze deshalb die Auffassung der Koalitionsfraktionen,
diese Förderung für weitere drei Jahre fortzuführen, um die Strukturreform an den Hochschulen und die Bemühungen um eine Verkürzung der tatsächlichen Studienzeiten zu flankieren.
Es sind inzwischen in den einzelnen Ländern und Hochschulen unterschiedlich intensive Maßnahmen zur Studienzeitverkürzung ergriffen worden. Leider konnte eine generelle Verkürzung der allgemeinen Fachstudienzeiten noch nicht erreicht werden. Ich gehe davon aus, daß entsprechende Anstrengungen verstärkt fortgesetzt werden und in absehbarer Zeit ein Studium in der Regelstudienzeit ermöglicht wird.
Dieses Ziel unterstützen auch die Länder, die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat.
Eine dauerhafte, unbefristete Abschlußförderung, wie der Gesetzentwurf der SPD dies vorsieht, geht von einem Scheitern dieser Bemühungen aus.
Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein zu beantworten?
Ich würde das gern am Ende meiner relativ kurzen Ausführungen tun.
Gut, einverstanden.
Frau Odendahl, Sie hatten die Güte, die bisherigen BAföG-Novellierungen als Flickwerk zu bezeichnen. Da die Gesetzesinitiativen natürlich bewußt auch von meinen Überlegungen ausgegangen sind und ich demzufolge meine, davon betroffen zu sein, lege ich Wert darauf, klarzustellen: Die 14. Novellierung hob ungerechte und ungünstige Regelungen auf, die aus dem Einigungsvertrag zu bereinigen waren. Die 15. paßte den Grundbedarf Ost dem im Westen an, so daß die 14. und die 15. Novellierung Notwendigkeiten der deutschen Einheit waren — abgesehen davon, daß regelmäßige Novellierungen alle zwei Jahre im Gesetz angelegt sind,
Schließlich: Die 16. Novellierung dient zur Verlängerung der Studienabschlußförderung, ohne Ergebnisse des Bildungsgipfels vorwegnehmen zu müssen.
Im Sommer des vergangenen Jahres führte die Hochschul-Informations-System GmbH Hannover auf meine Veranlassung hin eine Erhebung durch, um genauere Informationen über die Wirksamkeit der Studienabschlußförderung zu erhalten. Das Ergebnis der Studie zeigt, daß sich die Studienabschlußförderung als Instrument mit einer hohen Erfolgsquote, mit einem Beschleunigungseffekt im Hinblick auf die Studiendauer und mit weit niedrigeren Kosten als ursprünglich angenommen in hohem Maße bewährt hat. Durch sie wird Erwerbstätigkeit in der Examensphase vermieden. Sie bietet den Studierenden einen Anreiz, sich vor Ablauf der Förderungshöchstdauer zur Prüfung zu melden.
Die HIS-Erhebung dient zugleich der Vorbereitung des vom Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 1993 erbetenen Berichts über die Erfahrungen mit diesem Förderungsinstrument.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Minister, würden Sie noch die Frage beantworten, die der Abgeordnete Kuhlwein stellen möchte?
Selbstverständlich, bitte schön.
Herr Minister, weil Sie ja diese Neuregelung der Studienabschlußförderung auf
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Eckart Kuhlweindrei Jahre befristet haben: Glauben Sie wirklich, daß die Bemühungen um eine Studienreform, die ja nunmehr seit mindestens 20 Jahren andauern, ausgerechnet in den nächsten drei Jahren mit Erfolg zum Abschluß gebracht werden?
Ich glaube, Herr Kuhlwein, wir können konstatieren, daß die Übereinstimmung von Positionen der verschiedenen daran mitwirkenden Gremien deutlich ist. Ich meine, daß im Gegensatz zu dem Zustand der letzten 15 Jahre heute in der Tat die Chance besteht, den entsprechenden Qualitätssprung zu erreichen.
Das, denke ich, ist auch in einer absehbaren Zeit möglich. Wenn ich diesen Optimismus aufgäbe, dann könnte ich generell aufgeben. Das aber tue ich nicht.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/4347 und 12/4763 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor, zu denen — das muß ich klarstellen, weil gewisse Zweifel aufgetaucht waren — auch der Wirtschaftsausschuß gehört.
Andere Vorschläge hat das Haus nicht zu unterbreiten. Dann darf ich die Überweisung als beschlossen feststellen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1993 — Drucksache 12/4652 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Der Ältestenrat schlägt hier eine Debattenzeit von eineinhalb Stunden vor. Ist das Haus damit einverstanden? —Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Debatte und erteile dem Abgeordneten Engelbert Nelle das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! „Angesichts des sich immer deutlicher abzeichnenden Fachkräftemangels müssen wir mehr Jugendliche für eine duale Ausbildung gewinnen. " Herr Minister, ich habe Sie zitiert. Dieses Zitat habe ich einer Presseerklärung entnommen, unmittelbar nachdem das Kabinett den Berufsbildungsbericht 1993 genehmigt hat. Ichmöchte mich hier in den wenigen Minuten heute morgen genau mit dieser Problematik, die Sie angesprochen haben, befassen, weil ich gerade auf diesem Felde große Sorge habe.In der Tat ist aus dem Berufsbildungsbericht 1993, der die Berufsausbildungssituation des Jahres 1992 beschreibt, in der Tendenz jedenfalls weiterhin das Auseinanderklaffen von Bildungs- und Beschäftigungssystem erkennbar.Während die Hochschulen überquellen — auf 800 000 Studienplätzen sitzen, oder man müßte besser sagen: stehen 1,8 Millionen Studenten —, blieben im letzten Jahr wiederum wie auch 1991 120 000 bis 140 000 angebotene Ausbildungsplätze unbesetzt.
— Ich komme darauf noch zu sprechen, Frau Kollegin.Im gleichen Jahr schrieben sich 250 000 Studienanfänger an den westdeutschen Hochschulen ein. Das Zahlenverhältnis der Lehrlinge im ersten Ausbildungsjahr zu den Studenten im ersten Semester hat sich deutlich zu Lasten des dualen Systems verändert. Wenn diese Entwicklung anhält, dann wird sich die Schere zwischen dem geringen Angebot und dem hohen Bedarf an qualifizierten Facharbeitern weiter öffnen. Bildung und Beschäftigung dürfen aber nicht weiter auseinanderklaffen.In der vergangenen Woche habe ich hier in diesem Hause in Bonn mit 25 jungen Damen und Herren einer 12. Klasse eines Gymnasiums aus Niedersachsen, die den Bundestag besuchten, eine Diskussion über ihre berufliche Zukunft geführt. Alle strebten wie selbstverständlich das Abitur an, weil sie der Meinung waren — das brachten sie auch zum Ausdruck —, nur mit dem Abitur und einem anschließenden Studium gebe es für sie eine berufliche Karrieremöglichkeit.
Diese ihre Meinung war vor allem durch Informationen von ihren Lehrern und Eltern erhärtet worden.Ich meine, die Wirklichkeit sieht dagegen ganz anders aus. Wahr ist, daß das Beschäftigungsproblem der Hochschulabsolventen deutlich zunimmt. Fast ein Viertel der Hochschulabgänger findet schon heute keinen Arbeitsplatz, der ihrer Ausbildung entspricht. Man findet sie in vielen Berufen - nur nicht in dem, für den sie ausgebildet sind.
Es ist sicher für diese jungen Menschen eine bedrückende Erfahrung, wenn alle ihre Anstrengungen der Schul- und Studienzeit zu dem Ergebnis führen, mit einer solchen Ausbildung nicht gefragt zu sein. Auf der anderen Seite droht dem bewährten System der dualen Ausbildung — wir wissen, in der ganzen Welt hochgelobt und anerkannt — eine schleichende Auszehrung, wenn vergleichsweise immer weniger junge Menschen, Frau Odendahl, Bäcker, Elektriker, Mechaniker oder gar Kaufmann werden wollen.
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13296 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Engelbert NelleIch erinnere an zwei Zahlen: Noch 1984 haben wir 705 000 Ausbildungsverträge abschließen können. Der Berufsbildungsbericht 1993 sagt, daß wir im Jahre 1992 nur noch 499 000 solcher Ausbildungsverträge abgeschlossen haben.Die Fachkräfte in Industrie, Handwerk, Handel und in den freien Berufen sind aber eine tragende Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft und müssen dies auch bleiben. Die Zukunft unserer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ist eben mit Akademikern allein nicht zu gestalten.
Junge Leute zwischen 10 und 25 Jahren, über deren Bildung und Ausbildung wir heute diskutieren, werden erst weit im nächsten Jahrhundert auf dem Höhepunkt ihres Lebens sein und die Entwicklung unseres Landes bestimmen. Deswegen ist das, was wir jetzt tun oder unterlassen, von allergrößter Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Darum müssen wir stärker als bisher alles unternehmen, was dazu beiträgt, daß sich die soeben zitierte Schere zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem wieder schließt.Es gibt sicher eine ganze Reihe von Punkten, die wir hier angehen müßten. Ich möchte heute morgen — vor allem auch nach den Erfahrungen mit der 12. Klasse eines Gymnasiums, von denen ich soeben berichtete —für eine großangelegte Informationskampagne über die Berufsberatungsstellen der Arbeitsämter werben. Dies sollte auch in Verbindung mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitgeberverbänden und vor allem mit den Kammern geschehen.
In diesem Zusammenhang habe ich gerade am Wochenanfang eine sehr hilfreiche Erfahrung gemacht. In meinem Wahlkreis fand, veranstaltet von der Handwerkskammer Gifhorn, eine sogenannte Berufsfindungsmesse statt. Ich habe es als für die jungen Leute wirklich hilfreich empfunden, daß sie an den einzelnen Arbeitsplätzen, die sie dort ausgestellt sahen, auch selbst mittun konnten, mittüfteln konnten, um zu erfahren, ob da nicht auch etwas für ihre Begabung dabei war.Ich will wie in den letzten Jahren — ich kann das nur kurz ansprechen; ich glaube, einer meiner Kollegen wird nachher noch vertieft darauf eingehen — weiterhin für eine Differenzierung in der Berufsbildung werben. Denn ich glaube, daß es eine große Gruppe von jungen Menschen gibt, die bisher entweder gar keinen Zugang zur Berufsausbildung gefunden oder diese, aus welchen Gründen auch immer, vor allen Dingen wegen der theoretischen Überlastung, abgebrochen haben. Es gibt eine ganze Reihe von jungen Ausländern, es gibt vor allen Dingen eine ganze Reihe von behinderten jungen Menschen, die aber durchaus eine praktische Begabung haben und die wir auf diesem Wege, wenn es dafür Berufsbilder gäbe, auch ansprechen könnten.Ich will weiterhin für die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung werben. Ich sage an dieser Stelle, daß ich für den Gesetzesantrag der SPD, dem wir bisher nicht in allen Teilen zugestimmt haben, hinsichtlich der Rahmenrichtlinien sehr dankbar bin, da er ein guter Anstoß war, über den wir weiter sprechen sollten.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang auch die von unserem Bundesbildungsminister geäußerte Meinung und will das nur an zwei Punkten festmachen: Der Berufsschulabschluß ist dem Realschulabschluß gleichwertig, und der Meister-, Techniker- und ein vergleichbarer Fortbildungsabschluß vermittelt grundsätzlich eine fachgebundene Hochschulreife. Hier stimmen wir Ihnen zu, Herr Minister.
Es gäbe noch eine Vielzahl anderer Punkte, die wir gern ansprechen möchten. Meine Kollegen werden das nachher tun. Ich erwarte eine gute Beratung in unserem Ausschuß und hoffe, daß ich bei unserer Schlußdiskussion im Herbst einen großen Konsens feststellen kann.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berufsbildungsbericht, über den wir heute beraten, enthält eine ganze Reihe richtiger Erkenntnisse, und das ist ja angesichts der Wissenschaftlichkeit der Vorarbeiten auch nicht anders zu erwarten. Politische Schlußfolgerungen jedoch werden aus diesen Erkenntnissen nicht gezogen, und der Kabinettsbeschluß vom 17. März 1993 ist an Dürftigkeit kaum noch zu überbieten: 34 Zeilen in vier Ziffern!
Die Bundesregierung hat sich nicht nur quantitativ, Herr Hansen, sondern auch qualitativ von der Berufsbildungspolitik als Gestaltungsaufgabe verabschiedet. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.Der Bericht stellt richtig fest, daß die Zunahme der Zahl der Studienanfänger bisher gar nicht zu Lasten der Ausbildung im dualen System gegangen ist — das wüßten Sie, Herr Nelle, wenn Sie es nachgelesen hätten —, weil immer mehr Studienanfänger eine Berufsausbildung mitbringen. Das Studium tritt also nicht an die Stelle einer Ausbildung im dualen System, sondern schließt an sie an. Ich hätte jetzt von der Bundesregierung in diesem Bericht gern gehört, ob dieses Verhalten, das zweifellos Ausbildungszeiten verlängert, der künftige Königsweg sein soll oder wie der Wunsch der jungen Menschen, auf der einen Seite erst eine berufliche Sicherheit durch eine Lehre zu haben, auf der anderen Seite aber gleich das Weiterlemen zu organisieren, in ein neues Konzept einer Ausbildung im tertiären Bereich gegossen werden könnte.
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Eckart KuhlweinDie Koalition hat in der Enquete-Kommission „Bildung 2000" den Satz unterschrieben, die in der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit vollzogene Steigerung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus sei — wörtlich — „keine Fehlentwicklung, sondern ein Gewinn". Sie hat sich damit einer positiven Bewertung des Prozesses der Bildungsexpansion angeschlossen. Ich wundere mich, Graf Waldburg, warum die damals, 1990, gemeinsame Erkenntnis heute nicht mehr gelten soll, zumal wir durch einschlägige Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heute ziemlich genau wissen, daß die sekundären Dienstleistungen die großen Gewinner des laufenden Strukturwandels sein werden. Zu diesen Dienstleistungen gehören Betreuen, Beraten, Lehren, Publizieren, Forschung und Entwicklung, Management und Organisation. Für solche Tätigkeiten ist in der Regel der Abschluß einer Fachhochschule oder Universität erforderlich.Wer diese Trends nicht wahrhaben will, meine Damen und Herren, und wer daraus keine Konsequenzen zieht, der mißachtet nicht nur die Bildungswünsche einer wachsenden Zahl junger Menschen, sondern gefährdet auch den Standort Deutschland.Wenn Sie, Herr Kollege Nelle, jetzt in die Parolen der Arbeitgeber einstimmen, die neuerdings wieder Antihochschulwerbung machen, dann fallen Sie auf einen Trick herein; denn auch die Arbeitgeber waren, als wir, Graf Waldburg, in der Enquete-Kommission beraten haben, durchaus mit uns der Meinung, daß es gesellschaftlich und ökonomisch vernünftig ist, auch die Bildungsexpansion im tertiären Bereich zu fördern.Der Bericht analysiert richtig, daß der Trend zu höheren allgemeinbildenden Abschlüssen auch künftig anhalten wird, wenn nicht weitere Optionen aus der beruflichen Bildung eröffnet werden. Er erkennt, daß allein das Abitur sämtliche Optionen des Zugangs zu allen Bildungswegen eröffnet. Die einzige Schlußfolgerung daraus in dem Bericht ist dann, daß es „eine Aufgabe von herausragender Bedeutung" sei, die berufliche Bildung attraktiver zu machen und stärker auf die Befähigungen und Interessen von Jugendlichen hin auszurichten.Meine Damen und Herren, solche lapidaren Feststellungen werden künftig nicht mehr ausreichen, wenn dauerhaft der Nachwuchs auch für die Facharbeiterebene gesichert werden soll. Sie wissen genausogut wie wir, daß die Behauptung von den „guten Beschäftigungsperspektiven für Fachkräfte" aus dem bildungspolitischen Programmentwurf der CDU, Herr Lammert, so einfach nicht stimmt. Ich halte es eher mit Friedrich Buttler und Friedemann Stooß vom IAB, die festgestellt haben, daß die Beschäftigungsperspektiven in den Fachberufen den Erwartungen von Eltern und jungen Erwachsenen eben gerade nicht gerecht werden. Da steht nämlich in einem Aufsatz, das duale System biete den Lehrlingen immer noch lediglich die gestrigen Berufskarrieren. Der aufstiegsorientierte Absolvent wird auf höherwertige schulische Bildung oder auf unternehmensinterne Qualifizierung im mittleren Bereich verwiesen.Wo die Perspektiven für die Facharbeiter, die Sie beschwören, wirklich liegen, wird auch deutlich, wenn man die Zahlen der Nettomonatseinkommen von 1989 vergleicht. Sie lagen damals im Durchschnitt für Männer über alle Qualifikationsebenen bei 2 285 DM; Absolventen des dualen Systems lagen mit 2 159 DM darunter; Universitätsabsolventen erhielten 4 181 DM, Fachhochschulabsolventen 3 676 DM. Meine Damen und Herren, viele junge Menschen und ihre Eltern wissen darüber offenbar besser Bescheid als die CDU in ihrem Programmentwurf, Herr Lammert, und sie entscheiden sich auch deswegen entsprechend, weil sie die besseren sozialen und Aufstiegschancen für ihre Kinder im Abitur und im Studium sehen.Herr Lammert darf gern eine Zwischenfrage stellen, wenn der Präsident das erlaubt.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Lammert.
Herr Kollege Kuhlwein, für die Einschätzung zweckmäßiger Entscheidungen für Bildungslaufbahnen spielen viele Gesichtspunkte eine Rolle, und wir beide werden nicht darüber streiten, daß die Aussicht auf Einkommenschancen jedenfalls nicht das alleinige Kriterium, vielleicht auch nicht das vorrangige Kriterium solcher Entscheidungen sein sollte. Da Sie dieses Kriterium nun aber — für einen Sozialdemokraten bemerkenswerterweise — ausdrücklich als das prominenteste Kriterium herangezogen haben, würden Sie dann freundlicherweise Ihre statistischen Hinweise auch um die jüngste Untersuchung aus dem Bereich der deutschen Wirtschaft ergänzen, nach denen die Aussichten von Akademikern auf ausbildungsadäquate Beschäftigungen einschließlich der damit verbundenen Einkommensperspektiven immer schwieriger geworden sind?
Erstens, Herr Lammert, gehören Sie einer Partei an, die u. a. das Motto vor sich herträgt, daß sich Leistung lohnen müsse.
Deswegen muß es doch für Sie ein Argument sein, wenn ich sage: Da kriegen sie mehr, und deswegen gehen viele extra dorthin und studieren, weil sie dann am Ende bessere Einkommenserwartungen haben.Das zweite ist, daß ich mich weniger auf die interessengeleiteten Stellungnahmen der Arbeitgeberverbände als auf die wissenschaftlich fundierten Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verlasse, übrigens eines Instituts, das auch unter gewisser Aufsicht Ihrer eigenen Bundesregierung steht und dessen Daten ich als Oppositionspolitiker natürlich immer einer kritischen Würdigung unterziehen werde, denen ich aber doch einen so hohen wissenschaftlichen Rang einräume, daß ich mich ziemlich oft darauf verlasse und bisher auch gut damit gefahren bin.
Der Bericht beklagt richtigerweise, daß der Anteil von Jugendlichen ohne Ausbildung immer noch bei 10 bis 15 % liege, und fordert die nachträgliche
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Eckart KuhlweinQualifizierung von ungelernten Beschäftigten und von Arbeitslosen. Nun weiß ich nicht, an wen sich diese Forderung richtet. Die Bundesregierung kürzt im Arbeitsförderungsgesetz und leugnet damit ihre eigenen Erkenntnisse aus dem Berufsbildungsbericht. Die Wirtschaft beklagt sich über einen Mangel an Ausbildungsplatzbewerbern, aber sie zeigt keine Bereitschaft, die 1,5 Millionen bis 2 Millionen jungen Menschen nachzuqualifizieren, die in den 80er Jahren ohne abgeschlossene Ausbildung geblieben sind. — Ich frage die Bundesregierung auch an dieser Stelle nach ihrer Berufsbildungspolitik.Der Bericht stellt fest, daß die Integration von jungen Ausländern in die berufliche Bildung noch nicht in dem erforderlichen Umfang vorangekommen ist. Er appelliert an Betriebe, Praxen und Verwaltungen, sich dieser Gruppe stärker zuzuwenden. An geeigneten Maßnahmen dafür fehlt es jedoch ebenfalls. Deshalb möchte ich auch hier gern die provozierende Frage stellen, warum denn diejenigen, die über unbesetzte Ausbildungsstellen klagen, bisher noch wenig oder gar nichts für die Erhöhung der Ausbildungsquote unter den jungen Ausländern und Ausländerinnen getan haben. Hier schließe ich ebenfalls die Frage an, wo denn die Berufsbildungspolitik der Bundesregierung als Gestaltungsaufgabe bleibt.Auf eine der zentralen Zukunftsfragen ist die Regierung in ihrem Bericht überhaupt nicht eingegangen. Die Mehrheit der Beauftragten der Länder betrachtet mit Sorge die in einigen Wirtschaftszweigen aufkommende Tendenz, aus Kostengründen die Zahl der Erstausbildungsverhältnisse zu verringern. Die Arbeitnehmergruppe wird in ihrem Votum noch deutlicher und sagt, in den alten Bundesländern seien 1992 immer mehr Ausbildungsplätze abgebaut worden; dies werde dort mit ausbleibender Nachfrage begründet, diene aber tatsächlich der Durchsetzung von Sparkonzepten in Anbetracht der laufenden Rezession. Dann heißt es weiter: Wenn auf dem Wege zur „lean production" alles schlanker gemacht werden soll, dann leiden darunter eben auch die Ausbildungsplatzkapazitäten. — Kein Wort dazu im Bericht der Bundesregierung! Dabei müßten eigentlich alle Alarmglocken klingeln, wenn sich die Spitzenunternehmen klammheimlich aus der Ausbildung zurückziehen und damit der berühmte Exportschlager „duales System" ad absurdum geführt wird.
— Ich spreche im Moment von dem feststellbaren Rückzug der Großindustrie, die ohnehin unterdurchschnittlich ausgebildet hat, aus der Ausbildung. Ich halte das für verhängnisvoll, weil dort hochqualifiziert ausgebildet wurde. Offenbar haben sich leider die Kostenrechner, die kurzfristig rechnen, gegenüber denen durchgesetzt, die langfristige Personalentwicklungsplanung machen.Auf die Widersprüche zwischen den Erkenntnissen der Bundesregierung und ihrer Bereitschaft zum Handeln in den neuen Ländern wird meine Kollegin Evelin Fischer noch eingehen. Ich will dazu nur sagen: Auch dort hat sich die Regierung aus der Berufsbildungspolitik abgemeldet. Dies wird verheerende Folgen nicht nur für die psychosoziale Lage vieler Jugendlicher, sondern auch für die Entwicklungsmöglichkeiten des Standorts „neue Länder„ haben.Die Bundesregierung spricht im Bericht von der notwendigen Weiterentwicklung der Berufausbildung. Sie will jetzt sogar die berufliche Weiterbildung zu einem System ausbauen, Graf Waldburg. In der Enquete-Kommission war das noch strittig. Wir freuen uns über die späte Erkenntnis, daß es in beiden Bereichen Reformbedarf gibt. Die Enquete-Kommission hat 1990 eine Fülle von Vorschlägen dazu gemacht. Wir wundem uns eigentlich darüber, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bis heute, 24 Jahre nach Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes, keinerlei Anstalten macht, das System und seine gesetzlichen Grundlagen systematisch auf Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen. Die Basteleien an einem Ständigen Ausschuß im Bundesinstitut für Berufsbildung durch das neue Berufsbildungsförderungsgesetz reichen als Nachweis für die Reformfähigkeit des Ministeriums zweifellos nicht aus.
Ich kann am Ende nur betrübt wiederholen, was ich am Anfang festgestellt habe: Die Bundesregierung hat sich aus der Berufsbildungspolitik abgemeldet,
und sie wird sich einen Teil der daraus folgenden Verwerfungen im Bildungs- und Beschäftigungssystem zurechnen lassen müssen.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Im Berufsbildungsbericht 1993 erfahren wir, daß die absolute Zahl der Absolventinnen und Absolventen beruflicher Bildungsgänge in den letzten Jahren in Westdeutschland um 4 % gesunken, in Ostdeutschland um 6 % gestiegen ist. Daraus läßt sich noch nicht viel schließen.Wichtiger ist ein Trend, von dem im Berufsbildungsbericht weniger zu lesen ist. 1992 gab es 500 000 junge Menschen mit Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenbrief und 150 000 Hochschulabsolventen und -absolventinnen. Das Verhältnis der Zahl der Gesellen zu der der Hochschulabsolventen war also etwa 3 :1. Anfang der 80er Jahre war das Verhältnis 6 :1 und in den 70er Jahren sogar 12 :1. Wird womöglich in fünf Jahren ein Lehrling, der seinen Berufsabschluß erreicht hat, einem Hochschulabsolventen gegenüberstehen?Vielleicht ist dieser Trend aber nicht nur auf die steigende Abiturientenquote bzw. Studierquote zurückzuführen. Sind Lehrlinge vielleicht auch zu teuer? Bei vielen Industriebetrieben in Westdeutschland — ich bin froh darüber, daß der Herr Kuhlwein auch darauf eingegangen ist — ist nämlich zur Zeit eine
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Dr. Margret Funke-Schmitt-Rinkgewisse Zurückhaltung bei der Einstellung von Lehrlingen zu beobachten. Lehrlinge seien zu teuer — so heißt es in einem Bericht des Bundesinstituts für Berufsbildung; dem stehen Sie doch sehr nahe, Herr Rixe —
— ich stehe Herrn Schmidt auch sehr nahe; völlig klar —,
weil man zwei Lehrlinge — nach Schätzungen für je 150 000 DM — ausbilden müsse, um einen im Betrieb zu behalten; ein Fachhochschulabsolvent oder eine -absolventin sei billiger, nämlich mit Traineeprogramm zu je 30 000 DM; die Grundausstattung liefere ja schon der Staat. Einem solchen Trend im Lehrstellenmarkt — sollte es einer sein — müssen wir energisch entgegentreten; denn er wäre verhängnisvoll für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Ist unser duales System in der Krise? Ich sage: Ja.
Deshalb muß es unser aller Hauptziel sein, mehr Jugendliche für die duale Ausbildung zu gewinnen. Bedingt durch die technische Entwicklung und durch arbeitsorganisatorische Veränderungen werden — so die IAB-Studie — die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten in den kommenden Jahren noch steigen. Die Zahl der Arbeitsplätze für An- und Ungelernte wird sich weiter verringern. Wir benötigen also ein vielgliedriges effizientes Ausbildungs- und Weiterbildungssystem. Nur so können wir den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern.Deshalb sind Begabtenförderung und Breitenförderung keine Gegensätze. Für die Leistungsstärkeren im Ausbildungssystem müssen wir Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Stichworte: Ausbau von Berufsakademien und Ausbau der dualen Fachhochschulausbildung.
Jugendliche, die bisher ohne Berufsausbildung geblieben sind — das sind immerhin bis zu 15 % —, benötigen Zusatzausbildungen. Stichwort: gespreizter Facharbeiterbrief, d. h. ein Zertifikat unter dem regulären Facharbeiterabschluß.Zusammengefaßt müssen wir anstreben: erstens stärkere Differenzierung der Berufsbildung, zweitens Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, drittens Förderung der Begabten auch in der beruflichen Bildung, viertens Regelung von Möglichkeiten des Übergangs zu Hochschuleinrichtungen für besonders Qualifizierte ohne formale Hochschulzugangsberechtigung nach Feststellung der Eignung, fünftens Verbesserung der finanziellen und personellen Ausstattung der Berufsschulen und sechstens verbesserte Aufstiegsmöglichkeiten im Beschäftigungssystem.Deutschland braucht eine Facharbeiterelite als Rückgrat der Wirtschaft, und deshalb muß neben dem allgemeinbildenden Bildungsweg ein gleichwertiger berufsbildender Weg mit Optionen bis zur Hochschule verstärkt gefördert werden. Konzeptionelle Ansätze dazu sind im Bundesbildungsministerium schon erarbeitet worden, nämlich:Erstens. Der Berufsschulabschluß ist grundsätzlich mit dem Realschulabschluß gleichwertig.Zweitens. Der Meister, Techniker oder ein vergleichbarer Fortbildungsabschluß vermittelt eine fachgebundene Hochschulreife.Drittens. Zum Erwerb der Fachhochschulreife oder der fachgebundenen Hochschulreife sollte für Ausbildungsabsolventen neben dem traditionellen Weg über die Fachoberschule ein neuer beruflicher Bildungsweg eröffnet werden, und zwar durch Zusatzausbildungen.Fazit, meine Herren, meine Damen: Wir kommen nur aus der Krise des dualen Systems heraus, wenn Jugendliche und Eltern von Industrie, Handwerk und Handel überzeugt werden, im Hochschulstudium nicht die alleinseligmachende Lebensplanung zu sehen. Ich wende mich von hier ganz besonders an die Wirtschaft; denn sie steht auf dem Prüfstand. Die Wirtschaft muß endlich mit gezielten Aus- und Weiterbildungsgängen ihr Image verändern
und in bezug auf Einkommen, Prestige und Aufstiegsmöglichkeiten wirkliche Berufsperspektiven bieten, die von jungen Leuten als Alternativen zum Studium angenommen werden.
Ebenso darf der öffentliche Dienst nicht mehr nur nach formalen Kriterien, sondern muß auch nach Leistung und Bewährung befördern.
Das A-13-Syndrom muß weg, im öffentlichen Dienst wie in der privaten Wirtschaft.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert, daß durch die Koalition eine Reihe sehr kritischer Fragen und Probleme des gegenwärtigen Stands aufgeworfen worden ist, die ich nachvollziehen kann und die ich so akzeptiere. Ich sage Ihnen aber — das ist die Tragik der gegenwärtigen Entwicklung —, daß natürlich die Lage im Osten Deutschlands in diesen Fragen etwas anders aussieht. Nachdem Sie Fragen aufgeworfen haben, denen ich zustimme, möchte ich eine Reihe von Fragen aufwerfen, die die Berufsbildung im Osten Deutschlands betrifft.Aus meiner Sicht wird im Berufsbildungsbericht 1993 erneut die Lage falsch eingeschätzt, und deshalb
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Dr. Dietmar Kellerwerden auch die vorgesehenen Maßnahmen zur Lösung der Ausbildungsprobleme unzureichend angegangen. Im Bericht heißt es, daß auch 1992 in der Ausbildung Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden konnten. Das ist aus meiner Sicht nicht richtig. Selbst wenn man die ominösen Prozesse außer acht läßt, wodurch die Zahl der Nachfrager bzw. die Zahl der an einer Berufsausbildung Interessierten auf weniger als halb soviele offiziell registrierte Lehrstellenbewerber zusammenschrumpft, bleibt Fakt, daß etwa nur jedem zweiten Lehrstellenbewerber ein betrieblicher Ausbildungsplatz in Ostdeutschland angeboten werden konnte.Da sich die ursprüngliche Nachfrage ausschließlich auf solche Plätze richtete, ergibt sich also nicht, wie der Bericht weiszumachen versucht, eine AngebotNachfrage-Relation von 102:100, sondern etwa von 50 : 100. Hierbei ist die grundgesetzlich zugesagte Freiheit der Berufswahl und der Ausbildungsstätte, also die Realisierung des eigentlichen Ausbildungswunsches in der gewünschten Ausbildungsstätte, noch nicht einmal berücksichtigt.Die Ausbildungssituation in Ostdeutschland
ist beängstigend. Das hat verschiedene Ursachen, aber zuallererst ökonomische Ursachen. Was ich allerdings fast nicht verstehen kann, ist, daß die Bundesregierung offenbar den Ehrgeiz besitzt, durch Fehleinschätzung oder Nichteinschätzung der Situation und darauf beruhenden Schlußfolgerungen weitere Ursachen für die schlimme Situation zu schaffen. Man kann gern ignorieren, daß ich das so einschätze, aber Sie wissen doch auch, daß gleiches oder ähnliches im Minderheitsvotum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer zum Berufsbildungsbericht steht. Es steht im Minderheitsvotum der Mehrheit der Gruppe der Beauftragten der Länder. Schließlich gibt es sehr seriöse ernstzunehmende Untersuchungen des vom Bund finanzierten Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Auf diese stützt sich wohl auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, wenn er die Alarmglocken schlägt. Warum wird das alles von der Bundesregierung und vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft ignoriert und nicht ernstgenommen?Mit dem Bericht wird wieder die nächste Runde der Schönfärberei und der Lösung der Probleme auf dem Weg der statistischen Entsorgung Zehntausender ostdeutscher junger Menschen eingeschlagen. Warum geht der Bericht beispielsweise nicht von der vom IAB ermittelten Bewerberzahl von 156 000 für 1993 aus, sondern lediglich von 130 000?
Warum werden 20 000 Lehrstellenbewerber gleich wieder in den Westen verbucht, obwohl sie eine Ausbildung im Osten haben wollen? Warum wird die Nachfrage von älteren Jugendlichen, jungen Berufstätigen, jungen Arbeitslosen, Wehrpflichtigen und anderen unterschlagen? Was will die Bundesregierung durch die statistische Verkleinerung der Probleme erreichen? Arbeitet sie schon jetzt mit allenmöglichen Tricks erneut darauf hin, daß sie im Herbst wieder von einem Bombenerfolg sprechen kann?
Nach Berechnungen des Berichts fehlen gegenwärtig bei einem gemeldeten Ausbildungsplatzangebot von 80 000 ca. 30 000 Plätze. Wenn man die Nachfrage jedoch nicht wie der Bericht auf 110 000 herunterrechnet, sondern realistischerweise bei reichlich 150 000 beläßt, ergibt sich aus meiner Sicht ein Fehl von etwa 70 000 Plätzen. Diese Lücke wird sich auf keinen Fall schließen lassen, schon gar nicht nach dem Wegfall der Förderung von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen nach § 40c AFG.Da die Appelle an die Wirtschaft nicht den erhofften Erfolg haben werden und der statistischen Entsorgung des Problems bei aller Findigkeit irgendwo Grenzen gesetzt sind, wird es wohl in letzter Minute noch notdürftige Sonderprogramme geben. Wir können uns jedenfalls schon jetzt darauf einrichten, daß im Herbst wiederum die Probleme nicht gelöst sind, aber wir vielleicht wieder von Erfolgen sprechen werden. Die Lage ist ernster, als wir manchmal darüber reden. Es geht um die wirtschaftliche, soziale und ökonomische Existenz im Osten Deutschlands. Es geht um die geistige Einheit der beiden deutschen Staaten.Danke.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Maria Eichhorn das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das deutsche System der dualen Berufsausbildung erfreut sich im Ausland eines hohen Ansehens. Zu Recht, meine ich,
garantiert es doch der Wirtschaft gut ausgebildete Fachkräfte, einer der Pluspunkte des Bildungsstandorts Deutschland. Darum ist es auch bei uns immer noch angesehen, wobei wir natürlich etwas tun müssen, Herr Rixe.
Gerade in einem Industriestaat ist die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte von hoher Bedeutung. Produktion und Dienstleistungen sind auf sie angewiesen. Dennoch scheint das System der dualen Berufsausbildung in Deutschland in eine Krise zu geraten. Die Zahlen wurden vorhin schon genannt; ich muß sie nicht wiederholen.Herr Kuhlwein, ich stimme Ihnen zu: Wir brauchen natürlich Akademiker, aber wir brauchen selbstverständlich auch Handwerker. Das Auseinanderdriften von Bildungs- und Beschäftigungssystem ist eine Tatsache, die wir schon seit längerer Zeit beklagen. Solange wir jedoch Eltern nicht davon überzeugen können, daß ihr Kind auch ohne den Besuch des Gymnasiums Ansehen und eine aussichtsreiche berufliche Karriere erreichen kann, kommen wir in
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Maria Eichhornder Diskussion nicht weiter. Daß das Problem drängt, sehen wir daran, daß alle Vorredner darauf eingegangen sind.Alle Beteiligten müssen sich bemühen, die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu erhöhen. Die Bildungspolitik kann dazu die Rahmenbedingungen verändern. Dabei ist insbesondere die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung zu nennen. Meßlatte dafür sind in erster Linie die Berechtigungen, die mit den Abschlüssen verbunden sind.Zu den Kernpunkten der Überlegungen gehören die mittlere Reife und die Hochschulreife. Die Einigung der Kultusminister der Länder vom Juni 1992 hat zum Inhalt, daß ein guter Berufsabschluß dem Realschul- oder Wirtschaftsschulabschluß gleichgestellt ist. Gleichwertigkeit bedeutet jedoch nicht Gleichartigkeit und keinesfalles gleiches Wissen. Es geht nicht um eine Anpassung der beruflichen Bildung an den Fächerkanon der allgemeinbildenden Schulen. Die berufliche Bildung hat einen eigenständigen Wert. Wenn Hauptschüler mit gutem Erfolg eine Berufsausbildung abschließen und den Nachweis eines fünfjährigen Fremdsprachenunterrichts mit befriedigenden Leistungen erbringen, haben sie sich die mittlere Reife zu Recht verdient, meine ich.Die betriebliche Berufsausbildung darf nicht mit dem Erwerb der mittleren Reife enden. Sie muß darüber hinaus den Zugang zur Fachhochschule eröffnen und die Qualifizierung für die Hochschule ermöglichen. Diese Perspektive muß den Eltern schon während der Grundschulzeit ihrer Kinder deutlich werden, damit sie den beruflichen Bildungsweg von vornherein als echte Alternative erkennen. Nur so kommen wir weiter.
Ein wesentlicher Beitrag zur Gleichwertigkeit von Berufs- und Allgemeinbildung ist von der Berufsschule zu leisten. Dabei stellt sich die Frage, ob die Berufsschule für die neuen Anforderungen gerüstet ist. Die Basis der Berufsausbildung bleibt die Vermittlung fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten. Gleichzeitig ist die Beherrschung eigenverantwortlicher Problemlösung und fächerübergreifender Fähigkeiten notwendig. Die Vermittlung solcher Kompetenzen verändert die Anforderungen an Unterrichtsmethodik und -organisation der Berufsschule.Im Hinblick auf Europa ist die Einführung von berufsbezogenem Englisch als Pflichtfach in kaufmännisch-verwaltenden und technischen Berufen unverzichtbar und, jedenfalls in Bayern, fest vorgesehen.Den neuen Herausforderungen der Berufsschule muß Rechnung getragen werden. Erstens. Ohne zusätzliche Lehrer und ohne Engagement der Aufwandsträger können die Aufgaben nicht bewältigt werden. Kurzfristig ist nur zusätzliches Personal zu gewinnen, indem Diplomingenieure und Wirtschaftswissenschaftler für die Berufsschule geworben werden. Auf diese Weise konnten in Bayern zu Beginn des Schuljahres doppelt soviele Studienreferendare wie im Vorjahr eingestellt werden. Die Chancen derregulären Lehramtsbewerber werden dadurch nicht beeinträchtigt.Zweitens. Mehr Attraktivität bedeutet im Berufsschulwesen aber auch eine praxisgerechtere Ausbildung der Lehrer, im Idealfall mit Abschluß einer betrieblichen Lehre. Darüber hinaus sollten regelmäßige Betriebspraktika für Berufsschullehrer zur Selbstverständlichkeit werden,
um mit dem ständigen technischen Fortschritt in den Betrieben leichter Schritt halten zu können.Drittens. Schließlich gehört dazu auch, daß alle Berufsschulen mit den notwendigen modernen Geräten und Maschinen ausgestattet sind.
Dankenswerterweise werden die Sachaufwandsträger dabei häufig von den Unternehmen der Region unterstützt.Unser Arbeitsmarkt ist marktwirtschaftlich geprägt. Bildungsweg und Beruf können frei gewählt werden. Die Bildungspolitik kann dabei Rahmenbedingungen verändern. Inwieweit solche Veränderungen auch zu Verhaltensveränderungen bei Eltern und Jugendlichen führen, hängt allein davon ab, welche Karriere-und Einkommenschancen — das wurde heute schon öfter betont — mit der getroffenen Wahl verbunden werden. Gleichwertigkeit läßt sich daher nur realisieren, wenn Unternehmen und Verwaltungen bereit sind, leistungsstarken und weiterbildungswilligen Berufstätigen auch ohne Abitur und Studium attraktive Berufs- und Karrierechancen zu eröffnen.
Wenn junge Ausgebildete erleben, daß gleichaltrige Hochschulabsolventen in Positionen einsteigen, die für sie unerreichbar sind, darf man sich nicht wundern, wenn das Interesse an einer betrieblichen Ausbildung schnell abnimmt. Ich fordere daher die Wirtschaft auf, dafür Sorge zu tragen, daß jungen Menschen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben und sich im Betrieb bewähren, gleiche Aufstiegschancen eingeräumt werden wie Hochschulabsolventen.
Dieser Aufstieg ist Voraussetzung für die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung. Auch der öffentliche Dienst ist natürlich gefordert. Es stellt sich durchaus die Frage, ob der Erwerb eines bestimmten Abschlusses automatisch für eine bestimmte Laufbahn qualifiziert. Es ist mit nichts zu rechtfertigen, daß Absolventen der Fachhochschule beim öffentlichen Dienst immer noch niedriger eingestuft werden als Universitätsabsolventen.
Gilt das praxisbezogene Studium beim Staat weniger? Auch der Staat muß Leistung als Kriterium für den
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Maria EichhornAufstieg in den Vordergrund stellen. Flexibilität zwischen den Laufbahngruppen und Einführung von Leistungsanreizen müssen jungen Menschen die Chance eröffnen, unabhängig von Abschlüssen auf Grund von Leistungen nach oben zu kommen.
Ich bin mir darüber im klaren, daß diese Forderung nicht von heute auf morgen zu verwirklichen ist. Um so mehr ist es notwendig, wenn wir unser duales System endlich attraktiver machen wollen, notwendige Veränderungen in die Wege zu leiten. Die dringend gebotene Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung darf keine Vision bleiben. Daher müssen alle Beteiligten bereit sein, die Probleme jetzt in Angriff zu nehmen.
Ich fordere uns alle auf, an die Arbeit zu gehen.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Evelin Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Anfang doch noch eine Bemerkung zum Sinn und Zweck von Statistiken. Herr Bundesminister, vielleicht kennen Sie den Spruch, den wir hinter vorgehaltener Hand in der DDR oft zitierten — ich habe mit der Zeit gemerkt, daß er nicht nur bei uns Gültigkeit hat, sondern daß er für alle Regierungen gilt —, der da lautet: Die Statistik ist für die Regierung das, was für den Betrunkenen der Laternenpfahl ist. Er dient weniger der Erleuchtung als vielmehr dazu, sich daran festzuhalten.
Die Bundesregierung suggerierte uns immer wieder, daß die befürchtete Ausbildungskatastrophe 1992 in den neuen Ländern ausgeblieben sei. Tatsächlich wies die Statistik Ende September 1992 3 200 unbesetzte Ausbildungsplätze, aber nur 1 200 noch nicht vermittelte Bewerber aus. Betrachtet man hingegen die Bewerbernachfrage und das Stellenangebot über das gesamte Berufsberatungsjahr, so zeigt sich doch ein etwas anderes Bild: Den 138 000 bei den Arbeitsämtern gemeldeten Bewerbern standen nur etwa 96 000 verfügbare Ausbildungsplätze gegenüber, davon ca. 75 000 in Betrieben. 20 000 junge Menschen wurden durch die BA in überbetrieblichen Einrichtungen gefördert. Rein rechnerisch gab es also nur für zwei Drittel der Bewerber Ausbildungsplätze und in manchen Regionen noch nicht einmal für jeden zweiten.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA waren 71 % der Bewerber in einer betrieblichen bzw. überbetrieblichen Ausbildungsstätte. 16 % gingen weiter zur Schule, in ein Berufsvorbereitungsjahr, oder nahmen eine Arbeit
auf. Über den Verbleib von weiteren 11 % ist nichts bekannt; 1 % wartete weiterhin auf Vermittlung.
Die — das muß ich schon in Anführungsstriche setzen — „ausgeglichene" Bilanz von September 1992 des Bildungsministeriums beruht also auch darauf, daß ein Teil der Schulabgänger im Verlaufe der Ausbildungsplatzsuche die Ausbildungsabsicht änderte, die Suche aufgab oder weiter zur Schule ging. Die von der Bundesregierung verkündete rosige Ausbildungsstellenbilanz täuscht über tatsächlich vorhandene regionale, sektorale und strukturelle Probleme des Marktes hinweg.
Eines der großen Probleme liegt in der Struktur der Ersatzversorgung. Während die Einmündung in außerbetriebliche Vollausbildung gegenüber 1991 laut Bildungsbericht 92 um fast die Hälfte gesunken ist, hat die Ersatzversorgung im schulischen Bereich um beinahe ein Viertel zugenommen. Der mysteriöse Bereich „sonstige Einmündungen" — ich kann es erst mal nur so nennen — steigerte sich sogar um 30 %. Die unmittelbar berufsbildende Komponente in den Ersatzangeboten hat also deutlich abgenommen. Der Bereich „sonstige Einmündungen" mit rund 15 600 ist nicht mal näher definiert, und es ergibt sich die Frage, um welche Versorgung es sich dabei eigentlich handelt.
Meine Damen und Herren, wenn im Berufsbildungsbericht davon gesprochen wird, daß in den neuen wie in den alten Ländern der Prozentsatz derer, die weiter zur Schule gingen und keinen Ausbildungsplatz annahmen, nahezu gleichgroß ist, so mag dies richtig sein. Aber die Gründe, die zum weiteren Schulbesuch führten, sind im Osten andere als im Westen. Während die Jugendlichen in den alten Bundesländern den weiteren Schulbesuch vorziehen, weil sie nicht den gewünschten Ausbildungsplatz erhalten, gehen viele Jugendliche in den neuen Bundeshändern weiter zur Schule, weil sie keinen bzw. keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten. Ich finde auch, unverantwortlich hoch ist die im Bildungsbericht mit 19 000 angegebene Zahl derer, die 1992 ein Ausbildungsverhältnis in den alten Ländern aufnahmen. Das ist deshalb beängstigend, weil für die Lebensentscheidung junger Leute Arbeit und Wohnort mitbestimmende Kriterien sind.
Gestatten Sie mir, daß ich noch kurz auf die Situation der Mädchen und Frauen in der beruflichen Bildung in den neuen Ländern eingehe.
Bevor Sie das tun, würden Sie da noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Waldburg-Zeil zulassen?
Ich nehme das gleiche Recht in Anspruch wie Ihr Fraktionskollege: Ich mache es zum Schluß.
— Sie können auch den gleichen Grund angeben, den vorhin der Kollege Kuhlwein bei Ihrem Kollegen genannt hat.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993 13303
Evelin Fischer
Dem Berufsbildungsbericht 1992 konnte man entnehmen — ich zitiere —, „daß sich für Frauen angesichts der schwierigen Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation eine geschlechtsspezifische Konzentration auf ein beschränktes Spektrum an Ausbildungsberufen ergeben hat" . Ich empfehle dem Autor dieses Abschnitts, zunächst einmal das Buch von Eppler zu lesen „Kavalleriepferde beim Hornsignal". Da würde ihm angesichts dieser sprachlichen Formulierung hier schon ein Licht aufgehen.Im selben Bildungsbericht wird schon vorab die Plakataktion des Bundesministers Ortleb in allen Betrieben in den neuen Ländern und in den Spitzenorganisationen der Wirtschaft als Erfolg verkauft, da es eine positive Resonanz auf diese Aktion gegeben hätte und diese die Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen im kommenden Jahr verbessern würde. Heute, ein Jahr später, kann man den Grundton dieser Resonanz im Bildungsbericht 93 erkennen. Ich zitiere:Die Aufgabe, das Berufswahlspektrum der jungen Frauen zu verbreitern, ist noch immer ungelöst. Überdies zeichnet sich ab, daß junge Frauen wieder stärker in die schulischen Bildungsgänge streben.Ich meine, das ist eine sprachliche Verschleierung. Die Frauen streben nicht dorthin, sondern sie werden dorthin gestrebt.
Also, die vom Bundesministerium verkaufte positive Resonanz ist eigentlich eine Dissonanz.Das weitere Zitat im Berufsbildungsbericht 1993Die erreichte weitere Öffnung der Berufsausbildung im dualen System für junge Frauen muß erhalten bleiben.— erhalten bleiben! — wird einige Zeilen weiter im gleichen Bericht Lügen gestraft. Dort steht, daß 76 % der männlichen Schulentlassenen der Klasse 10 einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhielten, aber nur 46 % der Frauen.1990 war diese Bilanz noch ausgeglichen. Wieso spricht man vom Erhalt der Öffnung, wenn dieser Standard nicht gehalten wurde?Ich werde Ihnen auch nicht ersparen können, meine Damen und Herren, über die Ausbildungssituation in den neuen Ländern jetzt und heute zu sprechen. Da wird sie nämlich zunehmend beängstigender. Von Anfang Oktober bis Ende März haben ca. 111 000 Jugendliche um Vermittlung einer Ausbildungsstelle gebeten. Aber insgesamt konnten für den gleichen Zeitraum nur 59 000 besetzbare betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet werden.Das bereits erwähnte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht nach Umfragen von 155 000 Jugendlichen aus, die auf den Ausbildungsmarkt drängen. Just zu dieser Zeit, da es ca. 51 000 Schulabgänger ohne vermittelten Ausbildungsplatz gibt, fällt der § 40c des AFG weg.Zur Zeit werden über dieses Förderinstrument rund 38 300 Jugendliche überbetrieblich ausgebildet.Wenn der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, vom Ausbildungsnotstand im Osten spricht und die Politiker auffordert, mit Sonderprogrammen außerbetriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen, dann weiß er, wovon er spricht. Es ist allemal billiger, jetzt Ausbildungsprogramme zu starten, als später Arbeitslosigkeit zu finanzieren,
ganz abgesehen davon, welche sozialen Folgen hohe Jugendarbeitslosigkeit nach sich zieht.Der Bundesminister sollte den Ausbildungsstellenmarkt in den neuen Ländern nicht nur beobachten und am 1. Juli darüber berichten, sondern er sollte jetzt handeln.
Letzte Rettungsanker sollen immer die aufgelegten Länderprogramme sein, die mit schönster Regelmäßigkeit zu spät kommen. Da haben sich die Jugendlichen nämlich längst entschieden.Die Streichung des § 40 c, die fehlende finanzielle Unterstützung der ostdeutschen Betriebe, die einen Arbeitsplatz schaffen wollen, durch die Bundesregierung und die fehlenden beruflichen Perspektiven sind einerseits der beste Nährboden für Politikverdrossenheit, andererseits aber — was viel gravierender ist — Grundlage für extremistische Handlungen. Rostock und Hoyerswerda waren nur die Spitze eines Eisberges.Wir fordern daher die Bundesregierung auf, ihren Verpflichtungen gegenüber den Jugendlichen nachzukommen. Nur eine aktive Industrie- und Beschäftigungspolitik kann Jugendlichen eine berufliche Perspektive eröffnen. Wenn die Regierung jetzt an dieser sensiblen Stelle der Ausbildungsförderung spart, werden wir in einigen Jahren alle teuer zu zahlen haben.
Appelle an die Wirtschaft werden nicht ausreichen. Hier muß ein Sonderprogramm des BMBW zur Gewährleistung der Ausbildungsplatzgarantie des Bundeskanzlers her.Weil die Bundesregierung bisher immer noch nicht energisch und konsequent genug an die Lösung der anstehenden Probleme geht, versuchen es die Jugendlichen natürlich selber auf ihre eigene Art und Weise. Wie schon gesagt: Ein Teil resigniert oder wird aggressiv und extremistisch, ein anderer Teil wandert in den Westen ab, wieder andere lösen das Problem, indem sie die Schule lustlos als Wartebank benutzen.Ihre Ausbildungschancen werden dadurch nicht größer, zumal in verstärktem Maße die Abiturienten die Gunst der Stunde nutzen, weil sie sich auf dem Arbeitsmarkt jetzt größere Chancen ausrechnen. Die zuletzt angesprochene Tatsache wird sich aber langfristig negativ auf den Facharbeitersektor auswirken.Herr Minister Ortleb, überprüfen Sie also Ihre Statistik, damit sie Ihnen zur Erleuchtung dient und Sie sich außerdem daran festhalten können, ohne umzukippen.
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13304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Evelin Fischer
Ich danke für Ihr Zuhören.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sowohl Frau Fischer wie vorher Dr. Keller darauf hingewiesen haben, daß es bedauerlich sei, daß 20 000 Grenzgänger in der Zahl der Auszubildenden mit enthalten seien, muß ich einfach darauf hinweisen, daß wir mittlerweile die deutsche Einheit haben.
Ich wohne in einem Grenzgebiet, im südlichen Baden-Württemberg, das an Bayern grenzt. Selbstverständlich gehen von uns eine ganze Menge Auszubildender hinüber nach Bayern. Ebenso kommen sehr viele aus Bayern herüber.
Das wesentliche Anliegen der Eltern ist, daß ihre Kinder abends wieder nach Hause kommen. Wenn sie das tun können, ist das ganz bestimmt kein Malheur.
Sie haben die Möglichkeit, Herr Abgeordneter Keller, darauf zu antworten.
Herr Graf von Waldburg-Zeil, Sie haben recht. Aber Sie müssen dann bitte die Zahlen nennen, wie viele von den 20 000 Menschen abends wirklich wieder zu Hause sind, keine Miete zahlen und keine anderen Unkosten haben. Wenn man diese Zahl nicht nennt, würde der Eindruck entstehen, daß die 20 000 diesen Weg gehen.
Es ist aber anders: Die Mehrzahl geht in Bereiche, in Regionen, wo sie eine Unterkunft bezahlen muß, wo sie sich sozusagen ein kleines zweites Zuhause schaffen muß. Das kann man natürlich nicht mit dem Lehrlingsgeld.
Deshalb ist es interessant, daß die Zahl derer, die den Weg zu einer Region suchen, wo sie einen Ausbildungsplatz finden, immer kleiner wird, weil das für die jungen Menschen sozial nicht tragbar ist.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Da zum allgemeinen Teil der Einbringung des Berufsbildungsberichtes 1993 meine Fraktionskollegin sehr wertvolle wesentliche Hinweise gebracht hat, möchte ich mich ganz speziell auf die Ausbildung in den neuen Bundesländern beziehen.Die Orientierung und Qualifizierungsplanungen einer beruflichen Ausbildung werden in den neuen Bundesländern durch eine teilweise immer noch unsichere Zukunft von Wirtschaftszweigen bestimmt. In diesem Zusammenhang haben besonders Treuhandbetriebe, die vor einer Privatisierung stehen, derzeitig ihre Probleme.Aber ich weise in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich darauf hin, daß bei diesen Privatisierungen — darüber bin ich erfreut — die Investoren die Auflage erhalten, die Ausbildungsplätze für die Azubis unter allen Umständen zu erhalten.1992 haben ca. 95 000 Jugendliche in den neuen Bundesländern ein neues Ausbildungsverhältnis begonnen. Im Ausbildungsjahr 1992 war der Ausbildungsstellenmarkt in den neuen Bundesländern von einem wachsenden betrieblichen Ausbildungsangebot, Tendenzen zu einem Abbau berufsstrukturierter Ungleichgewichte sowie wachsenden regionalen Unterschieden geprägt.Auf die neuen Bundesländer bezogen werden 1993 10 000 Ausbildungsplätze für die Klassenstufe 9, 98 000 Ausbildungsplätze für die Klassenstufe 10, 10 000 Ausbildungsplätze für Abiturientenklassen und 10 000 Ausbildungsplätze für Abgänger aus berufsvorbereitenden Maßnahmen und beruflichen Schulen benötigt. Das sind also rund 130 000 Berufsausbildungsplätze.Trotz dieser erhöhten Anforderung von Ausbildungsplätzen — Herr Keller, die Qualität der Ausbildungsplätze haben wir natürlich zu bewerten, und wir wissen, welches Angebot derzeit in den neuen Bundesländern zur Verfügung steht — wird jedem Jugendlichen in den neuen Bundesländern, der dies wünscht, 1993 ein Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt werden.
Darauf haben sich das Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, in dem die Spitzenverbände von Industrie, Handwerk, Handel, der freien Berufe und der Landwirtschaft zusammenarbeiten, die Vertreter des Bundes und die Vertreter der Lander geeinigt.Erfreulich ist in diesem Zusammenhang die Zustimmung des Bundesministers des Innern, weitere 10 000 Ausbildungsstellen im öffentlichen Dienst einzurichten.Bezogen auf das Land Thüringen haben sich im März 1993 20 460 Ausbildungsplatzbewerber in den Arbeitsämtern gemeldet. Dies sind 2 100 Bewerber mehr als im Vergleichsmonat des Jahres 1992. Die Zahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen wird mit 12 300 angegeben. Dies sind 1 400 Stellen mehr als im Vergleichsmonat des Jahres 1992.Das Ausbildungsplatzangebot in den Berufen vor allen Dingen des Baugewerbes, der Metall- und Elektrobereiche ist in den neuen Bundesländern — dies darf ich besonders für Thüringen sagen — relativ gut.Im Vergleich zu den Bewerberzahlen fehlen Plätze in den kaufmännischen und Verwaltungsberufen
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993 13305
Dr. Karlheinz Guttmachersowie vorwiegend Ausbildungsstellen für weibliche Lehrstellenbewerber.Ausbildung und Nachwuchssicherung sind zunächst Sache der Wirtschaft; meine Frau Kollegin Funke-Schmitt-Rink hat hierauf schon hingewiesen. Deshalb gilt es, alle Ausbildungsmöglichkeiten auszunutzen und die Lehrstellen rechtzeitig den Arbeitsämtern zu melden.Das Land Thüringen unterstützt Lehrstellenplätze mit einem Zuschuß von bis zu 5 000 DM pro Platz und fördert die noch erforderliche überbetriebliche Ergänzungsausbildung mit bis zu 80 % der Lehrgangskosten. Insgesamt stehen im Haushalt des Landes Thüringen hierfür 43 Millionen DM zur Verfügung. Erfreulich ist hierbei die Zunahme der betrieblichen Ausbildungsplätze.Die Jugendlichen — Frau Fischer, das ist eine Erfahrung aus den letzten Jahren — bewerben sich meistens erst dann, wenn sie, im März/April, das gesamte Spektrum von Ausbildungsplätzen durch die Arbeitsämter vorgelegt bekommen, und warten darüber hinaus noch ab, wie die Landesförderprogramme aufgelegt werden. Das ist eine Erfahrung, die Sie so gut kennen wie wir. Auch Sie wissen, daß das jedes Jahr das gleiche ist.
Auf Grund des Überangebots an Ausbildungsplätzen in den Thüringen benachbarten Ländern Hessen und Bayern informieren die Arbeitsämter Thüringens über das dortige Ausbildungsplatzangebot, ohne hierfür ausdrücklich zu werben.Sicherlich würden viele Jugendliche einen Ausbildungsplatz in den alten Bundesländern annehmen, wenn die entsprechenden Kammern, Innungen und Verwaltungen neben dem Ausbildungsprogramm auch die Unterbringung bzw. die Vermittlung einer kostengünstigen Unterbringung anbieten würden. Graf Waldburg-Zeil, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Dieses Ausbildungsangebot in den benachbarten Regionen der alten Bundesländer wird durch die jungen Menschen sehr gern angenommen. Ich kann dies auch in bezug auf meinen eigenen Sohn hier sagen.Im Frühsommer muß geprüft werden, inwieweit ergänzende und zusätzliche Förderprogramme des Landes und eventuell des Bundes notwendig werden, wie u. a. eine Zusatzförderung von Ausbildungsplätzen bei Existenzgründern und von Maßnahmen der Ausbildung von Mädchen, insbesondere in gewerblich-technischen Berufen, durchgeführt werden kann.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Rainer Jork.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erbitte Verständnis dafür, daß ich mich als Abgeordneter aus den neuen Bundesländern heute auf die Frage der Lehrstellensicherung in den neuen Bundesländern beschränke. Es geht mir um Gegenwarts- und Zukunftssicherung für Lehrlinge und junge Facharbeiter, um ein Anliegen, das die Arbeitsplätze, aber auch die Sicherheit für Industrie und Handwerk am Standort Deutschland betrifft.Der Berufsbildungsbericht konstatiert eine Stabilisierung auf dem Ausbildungsmarkt in den neuen Bundesländern. Davon kann aus meiner Sicht keinesfalls gesprochen werden.
Angesichts der signifikanten Unterschiede auf dem Lehrstellenmarkt in den alten und in den neuen Bundesländern ist eine Durchschnittsbetrachtung ohne Differenzierung unzulässig.Die eingetretene grundsätzliche Besserung kompensiert nicht die Hilfe für außerbetriebliche Bildungsstätten, die mit den Maßnahmen nach § 40c AFG in diesem Jahr entfällt. Insofern stellt der Bericht auch fest, daß nun ca. 30 000 Plätze mehr erforderlich sind. Dies stellt eine sehr ernste Aufgabe für alle Partner am Lehrstellenmarkt dar, vor allem also für die Industrie, das Handwerk, die Verbände, aber auch für die Länder und den Bund, allerdings eben nicht nur für die Bundesregierung.Bisher mußten im Frühjahr immer Horrormeldungen über die Erwartungen registriert werden. Mit gleicher Selbstverständlichkeit nahm man dann im Herbst zur Kenntnis, daß im wesentlichen alle Lehrstellenbewerber auch eine Lehrstelle erhielten, wenn auch von unterschiedlicher Qualität. Ich wünsche mir für dieses Jahr, daß dieses ideologische Ritual auf Kosten der Bewerber ausschließlich durch konstruktives Wollen und sinnvolles Wirken ersetzt wird.
Dabei geht es auch um die Erkenntnis, daß die Lehrstellenbereitstellung kein staatlich zu steuernder und damit kein weitgehend stationärer Zustand, sondern ein überaus dynamischer Prozeß mit verschiedenen Einflußgrößen ist.Die Vertreter der Wirtschaft erklären im Zusammenhang mit dem Solildarpakt die Sicherung von Lehrstellen in den neuen Bundesländern im kommenden Ausbildungsjahr als ihren Beitrag. Eine Kontrollbilanz zum Ist-Stand bei der gemeinsamen Beratung von Wirtschaft und zuständigen Ministerien in den neuen Bundesländern am 20. April dieses Jahres läßt jedoch erkennen, daß trotz erheblicher Anstrengungen bei den betrieblichen Ausbildungsstellen eine Lücke etwa in der Größenordnung von 1992 befürchtet werden muß. Die Trägerorganisationen des Kuratoriums der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung entwickelten einen Maßnahmenkatalog für Ausbildungsplätze, der dieser aktuellen Situation Rechnung trägt und der in einigen Schlußfolgerungen durchaus mit denen der IG Metall konform geht.In diesem Zusammenhang finde ich es erwähnenswert, daß die Treuhandanstalt in ihren Unternehmen wieder deutlich mehr, und zwar oberhalb der Gesamtausbildungsquote in den neuen und alten Bundesländern, Ausbildungsplätze sichert und bereitstellt. Die Treuhand hat für die berufliche Erstausbildung im Jahre 1992 etwa 1 Milliarde DM ausgegeben.Gestatten Sie mir beispielhaft einige Aussagen zur Lehrstellensituation in Sachsen. Insgesamt muß im
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13306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Dr.-Ing. Rainer JorkBerufsausbildungsjahr 1993/94 mit etwa 43 000 Bewerbern gerechnet werden. Da nicht erkennbar ist, daß das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen, wie noch im Vorjahr, erheblich erhöht werden kann, und außerbetriebliche Ausbildungsstellen nicht mehr zur Verfügung stehen — im Vorjahr waren es etwa 6 000 —, muß in Sachsen mit etwa 6 500 fehlenden betrieblichen Ausbildungsstellen gerechnet werden. Außerdem müssen erhebliche regionale Unterschiede festgestellt werden, die es zu berücksichtigen gilt. Das betrifft in Sachsen z. B. die Regionen Annaberg und Bautzen.Legt man Kosten von ca. 15 000 DM pro Jahr und Ausbildungsplatz zugrunde, so wird deutlich, daß äußere Hilfe erforderlich ist. Dabei hat der Freistaat Sachsen zur Verbesserung des Ausbildungsstellenangebots folgende Programme aufgelegt: erstens ein Programm zur Förderung von bestehenden gefährdeten Ausbildungsplätzen in Betrieben mit bis zu 500 Beschäftigten, zweitens ein Programm zur Förderung zusätzlicher Berufsausbildungsplätze in Kleinunternehmen mit bis zu 30 Beschäftigten. — Dabei werden, Frau Fischer, insbesondere Mädchen gefördert und Problemregionen berücksichtigt. Das ist also bedacht worden.
Ich hoffe, daß das auch in Ihrem Land so funktioniert.Drittens gibt es ein Programm zur Förderung eines Netzes von überbetrieblichen Aus- und Fortbildungsstätten.Ich hatte voriges Jahr an dieser Stelle schon angeboten, daß ich diese Programme zur Nachnutzung gern zur Verfügung stelle.Die im Berufsbildungsbericht unter Ost-WestMobilität angeführte Ausgleichsbewegung im Gebiet zwischen alten und neuen Bundesländern halte ich für jene 57 %, Herr Keller, dieser etwa 45 000 Lehrlinge, die ihren Ausbildungsplatz von daheim aus gut erreichen können oder sozial ausgewogene Wohnbedingungen vorfinden, für uneingeschränkt hilfreich. Diese 57 % stehen übrigens im Berufsbildungsbericht. Es ist also nicht mehr als die Hälfte, die die Probleme haben, die Sie beschrieben haben.Angesichts des in der Regel niedrigeren Alters der Lehrlinge aus den neuen Bundesländern im ersten Ausbildungsjahr und der Notwendigkeit, längerfristig gute Facharbeiter auch in den neuen Bundesländern zu haben, kann dies aber keine Grundsatz- oder Dauerlösung sein. Mit Blick auf die zur Zeit sichtbare Lage auf dem Lehrstellenmarkt in den neuen Bundesländern empfehle ich folgende Strategie:Erstens. Die Wirtschaft muß hinsichtlich der gegebenen Stellengarantie bestärkt und von allen Partnern unterstützt werden.Zweitens. Der im Berufsbildungsbericht deutlich formulierte Bedarf an konstruktiv-kritischer Begleitung durch die Bundesregierung ist zu erfüllen.Drittens. Angesichts des wohl zu erwartenden Differenzstandes beim Angebot von und bei der Nachfrage nach Lehrstellen müssen Ersatzlösungen zu den in § 44 c AFG angebotenen Leistungen durch dieBundesregierung gesucht werden. Die Bereitschaft dazu lese ich im Abschnitt 4.2.2 des Berufsbildungsberichts.Viertens. Auch für die Folgezeit werden so lange konzertierte Aktionen zur Lehrstellenbereitstellung erforderlich sein, wie es noch gravierende Unterschiede zwischen der Wirtschaft in den alten und in den neuen Bundesländern gibt, die innere Einheit also noch nicht gegeben ist.Für mich steht hinter dieser Strategie auch die persönliche Erfahrung, daß uneingeschränkte zentralstaatliche Steuerung und Reglementierung vor allem auch in der Wirtschaft im realen Sozialismus letztlich die Ursache für dessen Zusammenbruch war. Übergangshilfe, wenn sie — wie beim Herstellen der inneren Einheit Deutschlands — erforderlich ist, darf nicht zur Demontage von Selbsthilfestreben und -fähigkeit führen.Zweifelsfrei sind in den neuen Bundesländern Träger für die außerbetriebliche Ausbildung befristet unverzichtbar. Es sollte aber keine neue dauerhafte Struktur dafür vorgesehen werden.Insofern stellt der Berufsbildungsbericht für mich eine realistische Situationsbeschreibung dar. Ich vertraue angesichts der in den Vorjahren gezeigten Anpassungsfähigkeit darauf, daß auch bei der komplizierten Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern im kommenden Jahr jeder Bewerber eine Lehrstelle erhält.Ich danke.
Nun hat der Abgeordnete Günter Rixe das Wort.
Eine Kollegin hat gesagt, Sie sollen das Mikrophon ausschalten, weil ich immer so laut bin. Das hat Frau Lehr vorhin auch gesagt.
Das war doch kein Ratschlag für den neuen Bundestag.
Frau Kollegin Schmitt-FunkeRink — —
— Habe ich es wieder falsch gesagt? Ob ich das noch einmal lerne?
Das ist ein Ausbildungsproblem.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Funke-Schmitt-Rink, Sie haben vorhin von dem A13-Syndrom gesprochen. Ich will Ihnen nur sagen: Die
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Günter RixeMitarbeiter in meinem Betrieb würden für dieses Geld heute gar nicht mehr antreten. Sie verdienen als Bauhandwerker mehr als die, die mit einem Hochschulstudium bei A 13 anfangen. Der Unterschied ist allerdings: Sie sitzen an sauberen Schreibtischen, und wir kommen abends immer mit dreckigen Händen und einem dreckigen Arbeitsanzug nach Hause.
Nun zum Thema, meine lieben Kollegen. Bei der abschließenden Beratung des Berufsbildungsberichts 1992 im November des letzten Jahres habe ich in meiner Rede auf die Besonderheit hingewiesen, daß es erstmals seit 1982 wieder eine einvernehmliche Stellungnahme der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegeben hat. Herr Nelle, ich denke, wir haben eine ganze Menge dazu beigetragen. Ich habe damals begründet, warum wir trotz bestehender Bedenken zugestimmt haben. Wir waren froh, Einsichten über die Fehler in der Berufsbildungspolitik bei Ihnen — mindestens bei der Bundesregierung — erkennen zu können, und wir erhofften in konkreten Punkten von der Bundesregierung Taten.Ich habe im November aber auch schon gesagt, daß es mit dieser Einigkeit schnell wieder vorbei ist, wenn nichts geschieht. Wenn ich mir den jetzt vorliegenden Berufsbildungsbericht 1993 ansehe, dann muß ich feststellen, daß die Bundesregierung den Erwartungen im vergangenen November bei weitem nicht gerecht geworden ist. Da hilft es auch nicht, die angeblich gute Ausbildungsstatistik vom 30. September 1993 zu bejubeln. Das sind — ich habe das schon öfter gesagt — Taschenspielertricks. Wir haben das ja soeben festgestellt: Wenn die Zahlen heruntergehen, dann ist das Ergebnis nachher besser. Steigen die Zahlen an, weil man die richtigen Zahlen verwendet hat, dann ist das Ergebnis schlechter.Es gibt nämlich erhebliche Unterschiede, ob im gewerblich-technischen oder im kaufmännisch-verwaltenden Bereich. Mit einer differenzierten Betrachtung wird man auch zu der Tatsache kommen, daß die Gleichstellung der Frauen und Mädchen in der Berufsausbildung eine rückläufige Tendenz aufweist. Man wird auch feststellen, daß zwei Drittel aller Auszubildenden — z. B. Arzthelferinnen und Friseure —, die in Klein- und Mittelbetrieben tätig sind, dort wenig Aussichten auf eine Folgebeschäftigung haben,
da beispielsweise eine Arztpraxis nach zehn Jahren sonst viel zu groß geraten würde.Bei derart schlechten Zukunftsperspektiven in zahlreichen Berufen darf man sich auch nicht wundern, wenn sich immer mehr junge Leute andere Qualifizierungen suchen, mit denen sie nicht sofort nach der Ausbildung auf der Straße stehen.
Wenn im Berufsbildungsbericht zu diesen Detailfragen etwas ausgesagt würde, dann könnten darauf ausgerichtete Programme und Konzepte entwickelt werden.Auch in der Berufsbildungspolitik müssen wir die strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft sehen und uns auch entsprechend verhalten. Es stellt sich doch die Frage, welche Auswirkungen die jeweiligen Krisen — z. B. in der Metallindustrie, im Stahlbereich und in der Automobilbranche — für den Ausbildungsstellenmarkt in diesem Jahr und in den kommenden Jahren haben. Wie begegnen wir den Tendenzen in den neuen Bundesländern, wo sich große Industriezweige ganz aus der beruflichen Ausbildung verabschieden?Die Bundesregierung redet zwar immer davon, daß die Berufsausbildung in der Verantwortung der Wirtschaft liegt und man deshalb nur nachgeordnet zuständig sei. Was aber tut die Bundesregierung, wenn sich Teile der Wirtschaft aus vorgeschobenen Kostengründen aus dieser Verantwortung und aus dieser Pflicht stehlen? Ich selbst kenne einen konkreten Fall in Sachsen-Anhalt, wo auf diese Weise zahlreiche Ausbildungsplätze auf eine außerbetriebliche Ausbildungseinrichtung abgeschoben werden sollen. Man verhandelt im Moment darüber, ob man es machen soll oder nicht.Selbst der Deutsche Industrie- und Handelstag, sonst nicht gerade ein Freund der außerbetrieblichen Ausbildung, hat vor zehn Tagen freimütig bekannt, daß die zusätzliche Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Größenordnung von 20 000 Plätzen durch Angebote von Betrieben kaum gedeckt werden kann. Das Problem, das wir haben, sieht auch der Deutsche Industrie- und Handelstag. Darauf müssen wir natürlich reagieren. Gegen solche Entwicklungen helfen keine Appelle mehr. Da muß jetzt gegengesteuert werden.Wir fordern den Bundesbildungsminister, Herrn Ortleb, auf, die Einhaltung des Versprechens der Wirtschaftsvertreter in den Solidarpaktverhandlungen beim Kanzler endlich mit Nachdruck einzufordern.
Die Wirtschaftsvertreter wollten sicherstellen, daß alle jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz wollen, auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Außerdem hilft nach meiner Überzeugung gegen ein solches Verhalten eine Ausbildungsabgabe nach dem Motto „Wer nicht ausbildet, soll zahlen".Es stellen sich noch andere Fragen, auf die dieser Berufsbildungsbericht ebenfalls nicht eingeht: Inwieweit haben die Ausbildungsabbrüche etwas mit den betrieblichen Ausbildungssituationen zu tun, und ist es nicht die Aufgabe der Politik, für Abhilfe und eine Verbesserung zu sorgen? Bleiben viele Ausbildungsplätze nicht auch deshalb unbesetzt, weil viele Betriebe ihre Ausbildungsplätze nach dem System der Bestenauslese besetzen wollen und dann am Ende lieber nicht ausbilden?Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist nur ein Teil der offenen Probleme im Berufsbildungsbereich, wozu dieser Bericht schweigt. Die dramatischen Entwicklungen in den neuen Ländern sind fast völlig außer acht gelassen worden. Meine Kollegin, Frau Fischer, hat Ihnen hierzu bereits das Passende gesagt.
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13308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Günter RixeWeil dies so ist, darf man sich nicht darüber wundern, daß die Vertreter der Arbeitnehmer und die Vertreter der Länder im Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung nicht mit in den Lobgesang eingestimmt haben, sondern ihre Meinung als Minderheitenvotum in den Berufsbildungsbericht hineingeschrieben haben. Ich weiß ja, daß dieses Verhalten der Bundesregierung ein Dorn im Auge ist. Deshalb hat sie ja auch vor — das haben wir ja gestern mitbekommen —, im Berufsbildungsförderungsgesetz diesen Hauptausschuß weitgehend funktionslos zu machen. Dann passiert es nämlich nicht mehr, daß ein Minderheitenvotum in den Berufsbildungsbericht aufgenommen wird.Meine lieben Kollegen, ein anderes Problem stimmt mich sehr nachdenklich. Die Heranbildung mündiger Demokraten müßte auch für die berufliche Ausbildung ein oberstes Ziel sein. Gerade in der heutigen Zeit, in der Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit erschreckend zunehmen und die Wahlerfolge der rechtsextremen Parteien uns alle erschrecken, müssen wir in allen politischen Handlungsbereichen etwas dagegen tun. Es ist nicht ausreichend, nur über Rechtsextremismus zu debattieren. Wir müssen die Warnungen der Experten ernst nehmen, daß die Perspektivlosigkeit der Jugend eine der Ursachen für den zunehmenden Rechtsextremismus und die Ausländerfeindlichkeit ist.
Für den heute zur Debatte stehenden Politikbereich bedeutet dies: Berufsbildungspolitik muß sich verstärkt mit den Perspektiven der jungen Leute beschäftigen. Die zunehmende Hoffnungslosigkeit führt bei den Jugendlichen in Ostdeutschland immer häufiger dazu, daß ihr Selbstwertgefühl und ihr Vertrauen in unsere Demokratie ins Wanken gerät. Der vorliegende Berufsbildungsbericht trägt zur Lösung des Problems leider überhaupt nicht bei. Im Grunde genommen führt das Handeln der Bundesregierung genau in die andere Richtung.Fast die Hälfte der ostdeutschen Jugendlichen befindet sich in einer außerbetrieblichen Ausbildung, die vom Arbeitsamt finanziert wird. Die Bundesregierung hat diese Förderungsmöglichkeit nach § 40 c Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes gestrichen. Welche Perspektiven haben die Jugendlichen dann noch? Das wissen Sie. Es reicht nicht aus, wenn das Kabinett beschließt: Herr Ortleb, legen Sie uns einmal bis zum 1. Juli wieder einen Bericht vor, und dann wollen wir einmal gucken, wieviel dann noch übrigbleibt.
Das reicht nicht. Durch solches Handeln werden die Jugendlichen vor den Kopf gestoßen, und der Politikverdrossenheit und einer Zustimmung zu den einfachen Antworten der rechtsextremen Parteien wird Tür und Tor geöffnet. Während den Jugendlichen jede Möglichkeit zur Weiterqualifizierung gestrichen wird, müssen sie lesen, daß Gelder des Arbeitsamtes an ganz bestimmte Personen, die sie gar nicht nötig haben, verteilt werden.
— Ich will nicht mehr dazu sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns in der Tat aber auch fragen, wie ernst die Bundesregierung dieses Parlament und seine Beschlüsse nimmt. Mit dem Berufsbildungsbericht 1992 haben wir am 6. November auch die von den Koalitionsfraktionen und der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachte gemeinsame Entschließung im Parlament beschlossen. Der jetzt vorliegende Berufsbildungsbericht äußert sich dazu überhaupt nicht, und die Bundesregierung schweigt im übrigen. Herr Minister, hier haben Sie dafür Sorge zu tragen, daß die Forderungen des Parlaments umgesetzt werden. Oder haben Sie in der Regierung nicht genug Durchsetzungskraft oder nichts zu sagen?Ich zitiere aus dem gemeinsamen von uns unterschriebenen Bericht: „Bei der qualitativen Verbesserung der Berufsausbildung vermisse man hinreichende Aussagen im Berufsbildungsbericht 1992. Das beziehe sich auf die Förderung der Frauen, Förderung der ausländischen Jugendlichen, Begabtenförderung, Förderung von Lernschwachen." Hier müssen wir noch einiges tun, das ist noch nicht genug auf genommen worden.Zur Qualitätsverbesserung der beruflichen Bildung wurden zwei Bereiche als besonders notwendig bezeichnet. Der eine davon war die Modernisierung der Berufsschulen in den neuen und alten Bundesländern unter Einschluß der qualifizierten Aus- und Fortbildung der Berufsschullehrer und ihrer Beschäftigung. Die Berufsschule ist der eine Teil unseres dualen Ausbildungssystems. Der Kanzler und andere loben dieses System. Wir sind uns einig, daß das duale Ausbildungssystem hervorragend ist. Der eine Teil, die Berufsschule, muß dazukommen. Wenn wir auf der anderen Seite die betriebliche Ausbildung modernisieren und auf die Zukunft hin ausrichten, müssen wir das notwendigerweise auch beim zweiten Standbein tun, bei den Berufsschulen. Ich weiß, der Zuruf kommt sofort: Ländersache! Ich glaube aber, daß eine bundeseinheitliche staatliche Unterstützung für den Bereich der Berufsschulen ganz dringend nötig ist, zumindest für die fünf neuen Länder. Schauen Sie mal in die Berufsschulen hinein.Neben der Tatsache, daß viele allgemeinbildende Fächer nicht mehr unterrichtet werden können, weil der Lehrernachwuchs nicht da ist und somit Stunden ausfallen, habe ich eine ganz große Sorge: daß wir auf dem Weg nach Europa die nötige Vermittlung von Fremdsprachen in der beruflichen dualen Ausbildung nicht organisiert bekommen. Hier müssen wir gemeinsam einiges tun.Zwar wollte ich noch einiges hinzufügen, da jedoch die rote Lampe leuchtet, darf ich mich bei Ihnen bedanken.Ich sage nochmals: Laßt uns gemeinsam, Bund und Länder, darüber nachdenken, wie wir die Berufsschulen nicht nur im Osten, sondern auch hier weiterentwickeln. Es nützt nichts, von Europa zu reden, wenn in der beruflichen Ausbildung dafür nicht Sorge getragen wird.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993 13309
Günter RixeDanke schön.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren hier jedes Jahr das Ritual, daß zur Vorlage des Berufsbildungsberichtes getönt wird: Krisengeschrei, Katastrophenmeldungen und Horrorzahlen.
— Heute war es in der ersten Stunde der Debatte etwas maßvoller.
— Sie erklären nicht, Sie reden relativ zornig.
Das Ritual geht dann im Herbst meistens so aus, wenn es um die neuen Bundesländer geht, daß wir am Ende, wenn die wirklichen Zahlen vorliegen, feststellen, daß eine ausgeglichene Bilanz zwar mit allen Unzufriedenheiten, aber doch ein wesentlich besseres Ergebnis erreicht worden ist, als Sie jeweils im März oder April verkündet haben.Deswegen will ich hier noch einmal festhalten: Es ist in den Jahren 1991/92 gelungen, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu erreichen. Es ist vor allem gelungen — ich halte das für die wichtigste Tatsache —, daß es einen Trend zu immer mehr betrieblicher Bildung wirklich gegeben hat. Wir haben 1991 im Bereich der außerbetrieblichen Maßnahmen die Zahl der Stellen von 38 000 auf 20 000 Stellen im letzten Jahr zurückführen können. Ob das dieses Jahr so bleibt, darüber werden wir im Laufe der Debatte zu reden haben.
Wir haben mehr Ausbildungsplätze direkt in der betrieblichen Ausbildung schaffen können. Das sind zwei Punkte, die man festhalten muß, weil sie wirklich das richtige Ergebnis sind: die duale Bildung.Auch in diesem Jahr gilt unser vorrangiger Einsatz natürlich den neuen Bundesländern. Die Zielgröße ist klar: Wir müssen auch in diesem Jahr ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot in den neuen Ländern schaffen. Hier gilt es, zumindest aus meiner Sicht, die Prioritäten einzuhalten, zunächst einmal das einzufordern, was die deutsche Wirtschaft, Industrie, Handel und Handwerk, an Garantie gegeben hat. Wir fordern die Wirtschaft auf, ihr Versprechen im Rahmen des Solidarpaktes einzulösen, daß jeder Bewerber in den neuen Bundesländern eine Lehrstelle erhalten soll.Hier unterstützen wir die Solidarpaktpolitik des Bundeskanzlers.
Ich möchte noch auf die anderen Teile des Berufsbildungsberichts eingehen. Denn ich glaube, wir dürfen nicht nur die Frage der neuen Bundesländer sehen.
Wir haben ca. 500 000 neue Lehrverträge für 1992. Das bedeutet 100 000 bis 200 000 weniger Lehrverträge und nach der Ausbildung entsprechend weniger beruflich Qualifizierte als Mitte bis Ende der 80er Jahre. Zirka 120 000 Stellen konnten nicht besetzt werden. Dieser Trend hält wohl auch 1993 an. Wenn man gleichzeitig danebenhält, daß inzwischen 60 % der Eltern das Abitur als beste Voraussetzung ansehen,
um einen Arbeitsplatz zu bekommen, daß inzwischen fast 35 % der Schulabgänger eine Studienberechtigung mitbringen und daß im Vergleich zu den 500 000 neuen Auszubildenden des letzten Jahres ca. 250 000 Studienanfänger an westdeutschen Hochschulen zu verzeichnen sind, dann zeigt sich darin, welche Ströme und nachhaltigen Veränderungen sich in unserem Bildungs- und Ausbildungssystem ergeben haben.Karriere, hohes Einkommen, Ansehen und Lebenszufriedenheit werden in den Köpfen der Menschen nach wie vor mit Abitur, Studium und Hochschulabschluß verbunden. Die inzwischen vorhandenen Risiken dieses Bildungsweges werden leider nicht zur Kenntnis genommen und gesehen. Es ist gesagt worden: 25 % der Hochschulabsolventen haben inzwischen eine Beschäftigung unterhalb ihres Ausbildungsniveaus. Die Zahl der Studienabbrecher ist sehr hoch. Auch dieser Weg ist also mit Risiken versehen. Wir müssen dafür sorgen, daß die berufliche Bildung als attraktiver Bildungsweg und als Alternative zum akademischen Bildungsweg gesehen wird.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Abschnitt des Bildungsberichtes verweisen, von dem ich erhoffe, daß er Hilfestellung leisten kann — darüber sollten wir uns dann im Ausschuß unterhalten —, nämlich auf den Bereich Differenzierung der Berufsausbildung. Differenzierung bedeutet, Bildungsangebote stärker auf Fähigkeiten zu orientieren, Leistungsstärkere und Leistungsschwächere stärker in den Blick zu bekommen. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung hat dazu einen Arbeitskreis zur Differenzierung der Berufsausbildung gebildet und wird Mitte des Jahres einen Abschlußbericht vorlegen. Ich hoffe, daß wir ihn in die Beratung einbeziehen können.Differenzierung zielt auf das ganze Spektrum der Bildungspotentiale ab. Auf der einen Seite muß sie einen Beitrag leisten, um die Zahl der Jugendlichen, die bisher ohne Berufsausbildung und ohne Abschluß geblieben sind, zu vermindern. Zur Zeit sind das nach wie vor 10 % bis 15 %. Die Lösung dieser Aufgabe muß
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Wolfgang Meckelburgschon in der Schule beginnen, d. h. wir müssen verstärkt die Länder bitten, Hilfestellung zu leisten, daß zumindest der Hauptschulabschluß erreicht werden kann. Die Schule muß stärker zur Berufsausbildung motivieren. Die Angebote zur Berufsinformation und zur Berufsberatung, zur Motiviation und Berufsvorbereitung müssen weiterentwickelt werden. All dies ist im Berufsbildungsbericht angesprochen worden. Wir müssen es aufgreifen.Wir brauchen — hier spreche ich einen kritischen Punkt an, meine Damen und Herren von der SPD — aus meiner Sicht und auch aus der Sicht des Berufsbildungsberichtes neue berufliche Angebote im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes für die Jugendlichen, die den Mindestanforderungen der bestehenden Ausbildungsberufe nicht entsprechen können. In meiner Vorstellung heißt das, daß wir uns um die Gruppe zu kümmern haben, die wir selbst mit Nachqualifizierung nicht in die normale Ausbildung bekommen, deren Potential aber deutlich über dem liegt, was man am Ende im Bereich der Behindertenwerkstätten findet. Das ist eine Gruppe, um die wir uns stärker kümmern müßten. Ich sage deutlich: Wir müssen wirklich darüber nachdenken, ob es nicht möglich ist, berufliche Ausbildungsgänge, die nur zweijährig laufen und diesem Niveau angepaßt sind, hinzubekommen. Es wäre schön, wenn wir an dieser Stelle dieses Jahr ein Stückchen weiterkämen.Der Berufsbildungsbericht spricht auch von Zusatzqualifikationen, von Externenprüfungen für die Ungelernten mit mehrjähriger Berufstätigkeit. Er spricht die berufliche Weiterbildung an. Letzteres hat aber nur Sinn, wenn die mit der Weiterbildung verbundenen Vorstellungen für Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten auch wirklich realisiert werden können.Der Bericht spricht auch das andere Ende der Differenzierung an, nämlich die Begabtenförderung. Ich möchte zum Abschluß eines herausstellen: Ich bin froh, daß es in einer finanziell schwierigen Zeit gelungen ist, die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung neu einzuführen und finanziell zu sichern. Das ist eine Leistung, mit der wir draußen gut dastehen.
Wir haben seit 1991 das Programm zur Begabtenförderung in der beruflichen Bildung. Ich muß gestehen: Es hat mich besonders erstaunt, daß sich die SPD am Anfang sehr schwer getan hat. Denn Sie hatten Schwierigkeiten, das, was für den akademischen Weg lange Zeit üblich war und was als normal galt, nämlich die Begabtenförderung, für den Teil zu fordern, den wir attraktiver machen wollen, nämlich die qualifizierte berufliche Ausbildung.
Wir haben das angefangen und kontinuierlich weitergeführt. 8 Millionen DM gab es 1991.
— Sie waren in dem Jahr, als wir es angefangen haben, nicht einmal bereit, zuzustimmen. Sie wollten das Geld anderswo verbraten.
Herr Kollege, gehen Sie bitte auf keinen Zwischenruf mehr ein. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Danke schön. Ich habe auch festgestellt, daß der Sitzungspräsident gewechselt hat. Der jetzige ist etwas rigoroser.
1991 waren es 8 Millionen DM, 1992 16 Millionen DM, und 1993 kamen noch einmal 8 Millionen DM hinzu. Diesen Weg der qualifizierten Förderung sollten wir weiterhin beschreiten. Wenn es uns in den Ausschußberatungen gelingt, die Differenzierung der Berufsausbildung voranzubringen, haben wir, glaube ich, für die Attraktivität des beruflichen Bildungsweges eine Menge getan.
Schönen Dank.
Die Bemerkung gegen den Präsidenten ist leicht verziehen, aber eine Minute Überschreitung ist nicht so leicht verziehen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Professor Dr. Rainer Ortleb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der letzte Redner einer Debatte ist in der nachteiligen Situation, daß die Vorredner schon vieles von dem gesagt haben, was er sagen wollte. Das trifft in sehr großem Umfang für die Kollegen der Koalition zu und in angemessenem Umfang für die Kollegen der Opposition.In den neuen Ländern konnte 1992 jedem Jugendlichen ein Ausbildungsangebot unterbreitet werden. Dieses positive Ergebnis ist durch gemeinsame Anstrengungen von Wirtschaft, Bund und Ländern sowie der Bundesanstalt für Arbeit erreicht worden. Damit, Frau Fischer, sind wir bei Statistiken und Laternen, um in Ihrem Bild zu bleiben. Sie geben mir sicherlich zu, daß Sie sich bei der Auslegung der Statistiken ganz schön an Ihre Laterne gehalten haben, und zwar ohne nach oben zu sehen, ob die Laterne zum Zwecke der Erleuchtung auch brennt.
Die Wirtschaft hat am 25. Januar 1993 im Rahmen des Solidarpakts eine mehrjährige Ausbildungsstellengarantie für Ost- und Westdeutschland abgegeben. Ich halte diese Zusage für besonders wichtig und halte ausdrücklich an ihr fest, gerade weil sie offensichtlich noch nicht in vollem Umfang umgesetzt ist.
Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat mit der Wirtschaft Gespräche über die Umsetzung geführt. Die Maßnahmen orientieren sich
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Bundesminister Dr. Rainer Ortlebvor allem in Richtung auf eine Intensivierung der Beratung von Unternehmen, auf verbesserte Informationen, auf eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zur Motivierung von Betrieben. Gemeinsames Ziel ist, auch in diesem Jahr für jeden Jugendlichen, der dies wünscht, ein Ausbildungsplatzangebot bereitzustellen.Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft beobachtet gemeinsam mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung laufend die Entwicklung auf dem Ausbildungsstellenmarkt und wird dem Bundeskabinett spätestens bis 1. Juli 1993 einen Bericht vorlegen, sofern erforderlich, mit Vorschlägen zur Sicherung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots.
Sie sollten auch mit der Unterstellung aufhören, daß ich bis dahin den lieben Gott einen guten Mann sein ließe.
Und das nur, weil ich ein Problem nicht exakt so lösen will wie die Opposition,
sondern eben als Regierungsmitglied handele.
Herr Rixe, im Moment verwirren Sie mit Ihren ewigen Kassandrarufen die Jugendlichen, nicht ich.
— Wir werden sehen. Im Herbst werden die Küken gezählt.Seitens der Opposition wurde der Wert des Berufsbildungsberichts zum Teil empfindlich in Frage gestellt. Ohne mich jetzt in Kleinigkeiten verlieren zu wollen, möchte ich folgendes feststellen. Seite 4, linke Spalte unten: keineswegs blauäugige Aussagen zum Bildungsverhalten; Seite 5, links Mitte: Aussagen zur Sorge um solche, die derzeit keine Angebote haben; Seite 14, links unten: deutliche Aussage, daß man mit dem Zurückziehen der Unternehmen nicht einverstanden sein kann.
Manchmal habe ich das Gefühl, daß solche Behauptungen über fehlende Aussagen oder Einschätzungen den Zweck haben, sich mit denen über den Wert des Berichts zu verständigen, die ihn auch nicht gelesen haben.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/4652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und an den Ausschuß für Wirtschaft vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Da sich dagegen kein Widerspruch erhebt, ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, darf ich einen Moment Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Sie haben vorhin auf Grund eines irrtümlich erfolgten Hinweises die Überweisung der Drucksachen 12/4347 und 12/4763 an den Ausschuß für Wirtschaft beschlossen. Das war ein Irrtum; vielmehr soll die Drucksache 12/4652 auch an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. Wir müssen also den vorherigen Beschluß revidieren. Ich glaube, dazu bedarf es keiner formellen Abstimmung.
— Wie in der Tagesordnung aufgeführt. — Darm können wir das auch im Protokoll klarstellen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung
— Drucksache 12/4810 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß I 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. —
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Heinz Rother das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß es uns nach langen Verhandlungen gelungen ist, doch noch einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz heute im Bundestag einzubringen. Ich halte es für wichtig, den grundsätzlich für alle Rentenfragen zwischen den Regierungsfraktionen und der SPD erreichten Konsens auch weiterhin fortzusetzen, damit diese für die Menschen so bedeutenden Regelungen auch zukünftig auf einer breiten Basis stehen.Dennoch habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, daß die SPD erklärt, die Koalition habe nach monatelangem Tauziehen ihrem Drängen doch
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Heinz Rothernoch nachgegeben. Wenn wir dem Drängen der SPD wirklich nachgegeben hätten, wäre es zu einer Erhöhung der Rente um 40 % auch für Spitzenfunktionäre und leitende Mitarbeiter des Staatsapparats der ehemaligen DDR gekommen; denn nach den Vorstellungen der SPD sollte das bei der Rente zu berücksichtigende Entgelt des Personenkreises in leitenden Funktionen erst bei Überschreiten des 1,4fachen des Durchschnittsentgelts angehalten werden. Wir überlassen es gern Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, den durch das SED-Regime gebeutelten Menschen in den neuen Bundesländern zu erklären, warum Sie die Haupttäter eines üblen Systems nun auch noch mit einer kräftigen Erhöhung ihrer Renten belohnen wollten.
Demgegenüber führt der jetzt gefundene Kompromiß dazu, daß die Renten solcher Spitzenfunktionäre weiterhin auf das Durchschnittsentgelt begrenzt bleiben, während andere, die dem System nicht so eng verbunden waren und sich damit nicht ungerechtfertigte Vorteile verschafft haben, bessergestellt werden. Damit wird der sogenannte Fallbeileffekt abgemildert. Dies ermöglicht eine größere Differenzierung und führt letztlich zu einer größeren Einzelfallgerechtigkeit.Ziel der mit dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz geschaffenen Begrenzung war es, zu verhindern, daß Personen, die durch ihre Tätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR geleistet haben, für die Zeit dieser Tätigkeit eine höhere Rente erhalten als Personen mit durchschnittlichen Verdiensten. Deshalb wird bei der Rentenberechnung aus dem bei solchen Tätigkeiten bezogenen Einkommen nur ein Verdienst entsprechend dem jeweiligen Durchschnittsentgelt zugrunde gelegt. An dieser Zielsetzung wird grundsätzlich festgehalten. Allerdings wird die starre Grenzregelung des geltenden Rechts, bei der bereits ein geringfügiges Überschreiten des 1,4fachen die Herabstufung auf das Durchschnittsentgelt bewirkte, durch eine flexible Regelung ersetzt. Somit werden die meisten Rentnerinnen und Rentner, die den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen angehört haben, gegenüber der bisherigen Regelung bessergestellt, mit Ausnahme der Personen, die beim 1,8fachen des Durchschnittsentgelts oder darüber lagen. Damit konnte das Ziel einer stärkeren einzelfallorientierten Differenzierung erreicht werden.Dem Ziel einer größeren Differenziertheit dient auch die neu aufgenommene Regelung, daß Angehörige von Zusatzversorgungssystemen, unabhängig von ihrer beruflichen Ausbildung und der Art ihrer Tätigkeit, generell von der Entgeltpunktebegrenzung befreit werden, wenn sie auf der Ebene der Kreise, Städte und Gemeinden beschäftigt waren. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sie dort keine hauptamtliche Berufungs- oder Wahlfunktion und keine ehrenamtliche Berufungs- oder Wahlfunktion ab Bezirksebene ausgeübt haben.Ich habe bereits in meinem letzten Redebeitrag zu diesem Thema vor diesem Hohen Haus auf die speziellen Probleme der Zusatzversorgungssysteme der technischen und medizinischen Intelligenz hingewiesen. So freut es mich nun ganz besonders, daß ich den von mir in meiner letzten Rede erwähnten Professoren und vielen anderen Intelligenzlern, die aktiv an der Wende mitgearbeitet haben, heute mitteilen kann, daß nun auch sie in den Genuß einer höheren Rente kommen werden.Zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit und zur Entscheidungsfindung haben auch die Zuschriften vieler Verbände und zahlreiche Gespräche beigetragen. In guter Erinnerung sind mir Gespräche mit den Senioren der medizinischen Intelligenz des Landes Sachsen-Anhalt und mit einer Gruppe der technischen Intelligenz aus meinem Wahlkreis.Auf Grund einer Entscheidung des Bundessozialgerichts war auch eine Modifizierung der vorläufigen Begrenzung von Zahlbeträgen für die ehemals Zusatzversorgten notwendig. Um der vom Bundessozialgericht geforderten Differenzierung gerecht zu werden, wurde die für Rentnerinnen und Rentner mit Ansprüchen aus dem Zusatzversorgungssystem geltende Begrenzung des Zahlbetrages von 2 010 auf 2 700 DM pro Monat für Versichertenrenten und auf 1 620 DM pro Monat für Witwenrenten rückwirkend ab 1. August 1991 erhöht.Aus Gleichbehandlungsgründen sollen die Ansprüche und Anwartschaften aus den Zusatzversorgungssystemen der Parteien der ehemaligen DDR ebenfalls nachträglich in die Rentenversicherung überführt werden.Die nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-JenaWerke erworbenen Ansprüche und Anwartschaften, die bisher noch nicht berücksichtigt wurden, werden nun auf Antrag den Ansprüchen aus den Zusatzversorgungssystemen gleichgestellt.Auch 1994 werden Bezieher von Altersübergangsgeld wie bereits 1993 von der Pflicht entbunden, bei Erreichen der Altersgrenze einen Rentenantrag zu stellen.Zum finanziellen Ausgleich muß die Rentenversicherung 1994 an die Bundesanstalt für Arbeit pauschal 2 Milliarden DM überweisen; 1993 werden dafür 1,6 Milliarden DM überwiesen. Um dies alles auch organisatorisch bewältigen zu können, müssen noch eine Reihe von Maßnahmen vereinbart werden, die der Beschleunigung des Rentenantragsverfahrens dienen sollen. Dies ist dringend notwendig, um die über 600 000 Rentenanträge aus dem Jahre 1992 bis Mitte 1994 abzuarbeiten.Grundsätzlich müssen die Rentenversicherungsträger von allen Arbeiten entlastet werden, die ohne Nachteil für den einzelnen Versicherten auch zu einem späteren Zeitpunkt erledigt werden können, wie z. B. die Kontenklärung jüngerer Versicherter.Vor allem bezüglich der Überprüfung der Bestandsrenten sind einige Änderungen vorgesehen. Nach eigener Aussage sind die Rentenversicherungsträger völlig überfordert, wenn sie zum bisher noch gültigen Termin 1. Januar 1994 sämtliche Rentenanträge überprüfen sollen. Hier wird im übrigen nochmals deut-
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Heinz Rotherlich, wie völlig illusorisch die Forderung nach Vorziehen dieses Termins war; wir haben sie aus guten Gründen bereits in der vorangegangenen Debatte zu diesem Thema in diesem Haus abgelehnt.Nun soll eine zielgerichtete Steuerung der Überprüfung der mehr als vier Millionen Bestandsrenten erfolgen. Dies sieht vor, daß die Rente nur noch auf Antrag und bei entsprechendem Vorbringen von Gründen vorrangig zu überprüfen ist. Ferner sollen dabei die Anträge älterer Berechtigter zuerst bearbeitet werden. Das gleiche gilt für den Anspruch Zusatz- und Sonderversorgter auf eine Rentenneuberechnung. So sind also eine ganze Reihe von Vereinfachungen und Erleichterungen für die Rentenversicherungsträger vorgesehen, die es ermöglichen sollen, den aufgetretenen Stau bei der Rentenberechnung abzubauen.Meine Bitte geht an die Rentenversicherungsträger, weiter alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um den Menschen, die vor ihrem Lebensabend stehen, zügig den Alterslohn, den sie sich wohlverdient haben, zu ermitteln.Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren,daß mit dem vorliegenden Entwurf sowohl finanziell als auch, was den zeitlichen Rahmen betrifft, das Optimale, das unter den gegebenen Umständen machbar war, erreicht wurde. Ich begrüße dies vor allem im Hinblick auf die betroffenen Menschen in den neuen Bundesländern und bitte Sie um weitere konstruktive Zusammenarbeit in den Ausschüssen.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rudolf Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat vor zehn Monaten ihren Antrag zur Überprüfung des Rentenüberleitungsgesetzes in dieses Parlament eingebracht. Nach nahezu elf Monaten sind wir endlich in der Lage, uns über eine Korrektur zu verständigen. Nun fragt sich natürlich jeder: Warum hat das elf Monate gedauert? Ich darf Ihnen versichern, an der SPD-Fraktion hat es nicht gelegen. Die Wahrheit ist, daß weder Bundesregierung noch Koalitionsfraktionen in den letzten zehn Monaten bereit waren, sich diesem Thema mit dem Ziel einer Korrektur parlamentarisch zu widmen. Das ist Fakt.
Meine Damen und Herren, wir hätten das Problem schon nach der Sommerpause 1992 lösen können. Wir haben es nicht lösen können, weil eine Minderheit im Parlament die Mehrheit bekanntlich nicht zwingen kann. Aber dafür muß die Mehrheit dann auch die Verantwortung übernehmen und sagen, daß sie nun nahezu elf Monate lang verhindert hat, daß diese überfällige Korrektur endlich greift.
— Herr Louven, jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Wenn Sie sich hier hinstellen und vor dem deutschen Parlament so tun, als ob die SPD-Bundestagsfraktion nun ausgerechnet die Rente von Herrn oder Frau Honecker erhöhen wollte, dann kann ich über so einen Quatsch noch nicht einmal lachen; darüber kann ich nur noch weinen, Herr Louven. Also hören Sie doch mit diesem Unsinn auf.
— Herr Louven, was Sie nicht begreifen wollen und was Sie bis heute auch nur partiell begriffen haben, ist, daß zwischen Sozialrecht und Strafrecht nach Auffassung der SPD-Fraktion eine Vermischung unzulässig ist.
Das ist das Entscheidende.
Weil die Sache nicht strafrechtsfähig war und ist, wollen Sie über das Sozialrecht abstrafen. Was Sie damit gemacht haben, Herr Louven — wenn Sie schon diesen Konflikt wollen —, ist, daß Sie Tausende von Menschen automatisch in Systemnähe gebracht haben, die objektiv nicht systemnah waren. Kann es denn ein Zufall sein, daß mein Vorredner, der sich hier aufplustert, sich selbst als ehemaliges Mitglied der Blockpartei CDU-Ost, der er seit 1978 angehörte, in der Debatte um die zweite und dritte Lesung vor zwei Jahren einen eigenen Persilschein als Ingenieur ausgestellt hat.
— Das sind doch die Fakten. Herr Louven, mein Gedächtnis funktioniert hervorragend. Hören Sie auf!
— Hören Sie auf, Herr Louven! Ich habe das nicht angefangen. Damit das klar ist: Ich erwidere. Sie müssen sich daran gewöhnen: Das Verursacherprinzip gilt nicht nur im Umweltschutz, sondern auch in anderen Politikbereichen.
Meine Damen und Herren, mit unserer Unterschrift unter den jetzt vorliegenden Entwurf des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes beteiligen wir uns an der Reparatur, die überfällig ist. Das macht immer noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen notwendig. Die ursprüngliche Fassung des Entwurfs der Regierung aus dem Jahre 1991 haben wir bekanntlich abgelehnt. Nachdem es aber auf dem Verhandlungs-
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Rudolf Dreßlerwege damals gelungen war, eine Reihe substantieller Korrekturen durchzusetzen, haben wir dem Gesetz 1991 zugestimmt. Die Zustimmung im Jahre 1991 war auch deshalb geboten, weil wir das völlige Scheitern dieses Gesetzes nicht verantworten wollten.Denn mit dem damaligen Rentenüberleitungsgesetz — so kritikwürdig seine Grundkonzeption auch war — wurden zum 1. Januar 1992 großzügige Voraussetzungen für die Witwenrenten eingeführt. Die Altersgrenze für Männer wurde herabgesetzt und der Bezug von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten wesentlich erleichtert. Unseren vernünftigen Vorschlag, zunächst diese dringend notwendigen Sofortmaßnahmen mit einem Vorschaltgesetz zu beschließen und die systematische Vereinheitlichung des ost- und westdeutschen Rentenrechts zu verschieben, hat die Koalition im Jahre 1991 abgelehnt.Die relative Mehrheit im Bundesrat gab uns nur die Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern und einzelne, wenn auch wichtige Verbesserungen für Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern zu erreichen. Unter diesen Umständen und wegen der vielen praktischen Verbesserungen, die wir erreicht hatten und die ohne unsere Mitwirkung nicht möglich gewesen wären, haben wir dem Rentenüberleitungsgesetz am 21. Juni 1991 zugestimmt. Gleichwohl, viele unserer grundsätzlichen Einwände bestanden weiter.Die Tatsache, daß sich heute die Koalitionsfraktionen zu einer Reparatur bereit erklären — bereit erklären müssen —, beweist, daß wir im Jahre 1991 mit unserer Kritik recht hatten. Die Koalition hätte damals gut daran getan, unseren Vorschlägen weiter entgegenzukommen, als sie es getan hat; denn die meisten Korrekturen, die wir jetzt beschließen, haben wir schon bei den Kompromißverhandlungen verlangt; aber die Regierungsseite war nicht zu Konzessionen bereit.Am 26. April 1991, vor fast genau zwei Jahren, habe ich bei der ersten Lesung des Rentenüberleitungsgesetzes von dieser Stelle aus gesagt: Im Grunde ist die Basisentscheidung der Bundesregierung, nämlich das Westrecht den neuen Ländern schnellstmöglich überzustülpen, die eigentliche Wurzel aller Unzulänglichkeiten.
Das, meine Damen und Herren, war richtig, und es hat sich durch die inzwischen gemachten Erfahrungen bestätigt. Es war ein falscher Ansatz, das Rentenrecht der Bundesrepublik mit einem Schlag rückwirkend für die bereits erworbenen Rentenanwartschaften und für schon laufende Renten auf die ehemalige DDR zu übertragen,
als hätte es dort immer gegolten.
Dieser Eingriff mußte zwingend zum Eingriff in Vertrauenstatbestände führen. Dieses Problem ist zwar im Augenblick etwas in den Hintergrund getreten; es wird aber ab 1997 wieder auf die Tagesordnung kommen, wenn nach den heute geltenden Vorschriften die Auffüllbeträge abgebaut werden und die Sozialzuschläge auslaufen.
Der Grundsatz des Rentenüberleitungsgesetzes mußte auch zwangsläufig zu massenhafter Enttäuschung führen; denn bei den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen Ländern wurde die Erwartung erzeugt, sie würden sozusagen hundertprozentige Westrenten bekommen, und anschließend mußten viele von ihnen feststellen, daß sie auf Grund der zahlreichen und zum großen Teil auch gar nicht vermeidbaren Sondervorschriften doch nicht mit dem Westen gleichgestellt sind. Subjektiv herrscht das Gefühl vor, diskriminiert zu werden.
Der Grundsatz des Rentenüberleitungsgesetzes mußte schließlich auch zu dem Verwaltungschaos führen, das wir heute zu beklagen haben; denn die Voraussetzungen für die Anwendung des hochkomplizierten und am Ziel der maximalen Einzelfallgerechtigkeit ausgerichteten westdeutschen Rentenrechts sind in den neuen Ländern einfach nicht gegeben und können in absehbarer Zeit auch nur sehr bedingt geschaffen werden.Ich sage das alles bei dieser Gelegenheit, um klarzustellen: Für die grundsätzlichen Ursachen der vielfachen Probleme in der ostdeutschen Rentenversicherung ist die SPD-Bundestagsfraktion nicht verantwortlich, und wir fühlen uns dafür auch nicht verantwortlich. Verantwortlich fühlen wir uns allerdings dafür, alles zu tun, was möglich ist, um die Auswirkungen zu mildern, Härten abzufedern, verlorenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen und die praktische Arbeit der Rentenversicherung in den neuen Ländern zu erleichtern.Dieser Verantwortung haben wir uns gestellt, und deshalb haben wir auch den Kompromiß mit den Koalitionsfraktionen gesucht, wohlwissend, daß die Basisentscheidung, die mit dem Rentenüberleitungsgesetz gegen unseren Rat getroffen wurde, im wesentlichen nicht rückgängig zu machen ist.
Weil vollendete Tatsachen nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind, können mit dem jetzt vereinbarten Rentenüberleitungsergänzungsgesetz auch nicht alle Wünsche befriedigt werden; aber es wird wichtige Verbesserungen geben.Härten und Ungereimtheiten im Bereich der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme werden ausgeglichen. Es handelt sich übrigens um Forderungen, die die SPD bereits im Sommer 1991 vergeblich versucht hat zu realisieren.Die unselige Entgeltpunktbegrenzung für Personen, denen pauschalierend Staatsnähe unterstellt wird, wird wesentlich abgemildert. Der Personenkreis, der von dieser Begrenzung ausgenommen ist, wurde erweitert. Damit haben wir es geschafft, Straf-
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Rudolf Dreßlerund Sozialrecht wesentlich besser auseinanderzuhalten, als es im ursprünglichen Gesetz der Fall war.Die Erhöhung der Obergrenze von 2 010 DM auf 2 700 DM schafft bei den sogenannten Intelligenzrenten für den weitaus größten Teil der Betroffenen einen Stein des Anstoßes aus der Welt.Das besondere Versorgungssystem des früheren VEB Zeiss Jena, das damals nicht berücksichtigt wurde, wird in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Die näheren Einzelheiten der Überführung sind ausgesprochen kompliziert, und wir sollten Wert darauf legen, die Probleme unter Beteiligung der Betroffenen zu diskutieren, auch wenn Maximalforderungen, die bisweilen erhoben werden, wohl nicht erfüllbar sind.Die vom Einigungsvertrag zwingend vorgeschriebene Einbeziehung der Versorgungssysteme der ehemaligen DDR-Parteien in die Rentenversicherung wird nunmehr geregelt. Über diesen Komplex konnte damals auch keine Einigung erzielt werden. Jetzt haben wir Übereinstimmung erzielt, daß die heutigen Rechtsnachfolger dieser Parteien zur Finanzierung herangezogen werden, soweit sie diese Verpflichtung nicht bereits durch laufende Beitragszahlungen an die Sozialversicherung der früheren DDR erfüllt haben und soweit sie noch ein zweckgebundenes Deckungskapital für die Altersversorgung ihrer ehemaligen Mitarbeiter besitzen.Die Verwaltung der ostdeutschen Rentenversicherung, deren Träger durch das Gesetz teilweise überfordert wurden, wird mit Hilfe von vereinfachenden Vorschriften entlastet. Damit wird auch die Überprüfung der zum 1. Januar 1992 vom alten DDR-Recht auf das bundesdeutsche Recht umgestellten Renten beschleunigt, soweit das mit dem vorhandenen und kurzfristig nicht vermehrbaren Bestand an qualifizierten Mitarbeitern überhaupt möglich ist.Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Kompromiß zu, weil damit wichtige Forderungen zumindest teilweise erfüllt werden, die wir im Interesse der Menschen in den neuen Ländern immer und immer wieder erhoben haben.Mit den Änderungen, die jetzt einvernehmlich mit der Regierungsseite beschlossen werden sollen, werden nicht alle Mängel des Rentenüberleitungsgesetzes 'aus 1991 beseitigt. Das steht nicht mehr in der Macht des Gesetzgebers und erst recht nicht in unserer Macht als Oppositionsfraktion, und wir sollten auch gemeinsam diesen Eindruck nicht erwecken.Letztlich muß festgehalten werden: Ein sozialdemokratisches Rentenüberleitungsgesetz hätte anders ausgesehen; aber wir haben dazu nicht die Mehrheit gehabt. Aber wir haben mit unserer Minderheit für viele tausend Menschen in den neuen Ländern Wichtiges getan.
Herr Kollege Dr. Bruno Menzel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialen Sicherungssysteme zählen zu den großen gesellschaftlichen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Einführung des Rentensystems der alten Bundesrepublik in den neuen Ländern Anfang des vergangenen Jahres waren dementsprechend hohe Erwartungen verknüpft. Denn die gesetzliche Rentenversicherung hatte für die Rentner in den alten Bundesländern insbesondere nach der großen Rentenreform von 1957 im Laufe der Jahre ein Maß an finanzieller und sozialer Sicherheit geschaffen, mit dein die Altersversorgung in der DDR in keiner Weise zu vergleichen war.
Zwei so unterschiedliche Alterssicherungssysteme zu vereinheitlichen war eine Aufgabe, die nur mit großen politischen und verwaltungstechnischen Anstrengungen und auf der Grundlage eines breiten Konsenses bewerkstelligt werden konnte. Daß sich trotz der Meinungsunterschiede eine Einigung in Gestalt des Rentenüberleitungsgesetzes finden ließ, demonstriert die Bedeutung, die die Beteiligten dieser Aufgabe beigemessen hatten, und entspricht der guten, auch am heutigen Tage gepflegten Tradition, Rentengesetze mit breiten Mehrheiten zu erarbeiten.
Tatsächlich brachte die Umstellung des Rentenrechts für zahlreiche Bürger in den neuen Bundesländern deutliche Verbesserungen ihrer Lebenssituation. Flexiblere Altersgrenzen und deutlich günstigere Regelungen für Hinterbliebene und Berufs- oder Erwerbsunfähige seien hier als Beispiel genannt.
Auch der Anpassungsprozeß der Rentenniveaus in Ost und West schritt rasch voran. Betrug bei Inkrafttreten der Wirtschafts- und Sozialunion die monatliche Eckrente im Osten lediglich 40 % der durchschnittlichen Westrente, so betrug das Verhältnis am 11. Juli 1992 bereits 62 %, Tendenz: steigend.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.
Herr Kollege Menzel, ich wollte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß für die große Zahl der Ärzte in der ehemaligen DDR durch dieses Rentenrecht keine Verbesserung erzielt worden ist, sondern daß die Diskrepanz, die zu DDR-Zeiten zwischen der Rente eines Intelligenzlers, der eine Zusatzrente hatte, und der Rente aus dem regulären Rentensystem bestand, jetzt zusammengeschmolzen ist
und daß es in keiner Weise durch dieses Verfahren möglich ist, daß sich die Renten in angemessener Weise — —
Wollen Sie eine Frage stellen oder eine Rede halten? Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche.
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Die Frage ist, ob Ihnen das bekannt ist und wie Sie das beurteilen, daß für die Ärzte in den neuen Bundesländern keine Verbesserung erreicht wird.
Verehrter Herr Kollege, wenn uns das nicht bekannt wäre, brauchten wir heute nicht über dieses Gesetz zu beraten. Selbstverständlich haben wir das gewußt.
Daß dies nach der Überleitung des Rentengesetzes dann so gewesen ist, basiert auf einem beispiellosen Akt der Solidarität zwischen West und Ost, was an dieser Stelle mit Dank und großem Respekt einmal erwähnt werden sollte.
Allerdings riefen bestimmte Regelungen auch Enttäuschung und Unverständnis hervor. Dies ist letztlich der Grund, warum wir heute über Ergänzungen des Rentenüberleitungsgesetzes beraten. — Sie sehen, Sie kommen mit Ihrer Frage ein bißchen verfrüht. — Dies betrifft vor allem die Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme sowie die durch das Gesetz pauschal als staatsnah bzw. staatstragend charakterisierten Berufsgruppen. Sahen die einen durch die vorläufige pauschalierende Umwertung ihrer Renten ihren sozialen Besitzstand gefährdet, während sie gleichzeitig berechtigtes Unverständnis gegenüber der jedweder Rentensystematik widersprechenden Kappung des Zahlbetrags bei 2 010 DM äußerten, wehrten sich die anderen gegen eine nicht unbedingt rechtsstaatsimmanente pauschale Typisierung als Helfershelfer des DDR-Zwangsapparats und der damit einhergehenden Absenkung ihrer Rentenentgeltpunkte.
Schon während der Beratungen zum Rentenüberleitungsgesetz, Herr Kollege, wurde die Problematik dieser Regelung deutlich. Obwohl die F.D.P. davor gewarnt hatte, de facto strafrechtliche Komponenten in das Rentenrecht zu integrieren, erfolgte die Zustimmung zum Rentenüberleitungsgesetz mit dem Blick auf das Ganze, sprich: die Sicherung der Altersversorgung für Hunderttausende Rentner in den neuen Ländern.
— Ich habe keinen Gedächtnisschwund, verehrte Frau Kollegin. Ich weiß sehr genau, was ich sage.
Herr Kollege Dr. Menzel, Herr Kollege Knaape würde gern noch eine Frage stellen.
Bitte sehr, selbstverständlich.
Herr Kollege Knaape, damit es der Redner nicht selber sagen muß, sage ich es jetzt: Solche Fragen sollen eigentlich kurz und vor allem Fragen sein. Bitte schön.
Ist Ihnen bekannt, daß mangelhafte Aufklärung dazu geführt hat, daß die Ärzte in der ehemaligen DDR, die in Rente sind, der Meinung sind, daß die Entgeltpunkte von Anfang an
bei 1,8 liegen könnten, und daß dies von der Berechnungsart erst seit 1983 möglich ist? Was haben Sie, der Sie sich für die Ärzte einsetzen, dazu getan, um diesem Erklärungsdefizit in der Ärzteschaft abzuhelfen?
Das ist wieder eine lange Frage, Herr Kollege. Sie bekommen die Antworten eigentlich immer durch das, was ich gleich noch zu sagen gewillt bin. Ich darf Sie vielleicht darauf verweisen.
Wir hatten also, ich sagte es schon, davor gewarnt, de facto strafrechtliche Komponenten in das Rentenrecht zu integrieren, aber trotzdem zugestimmt, weil wir auf die überwiegende Zahl der Rentner Rücksicht nehmen wollten, daß sie unter dem damals nicht mehr zu erreichenden Kompromiß nicht zu leiden haben.Offensichtlich war aber auch — die F.D.P. hat dies immer befürwortet —, daß im Rahmen einer Gesetzesänderung Verbesserungen für die Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme sowie für die ungerechtfertigt als staatsnah eingestuften Betroffenen gefunden werden müssen. Gleichwohl ist meines Erachtens eine wirklich gerechte Lösung kaum zu erzielen, solange Begriffe wie „typisierend" oder „pauschalierend" im Rentenrecht Anwendung finden.Die heute zur Beratung stehenden Neuerungen betreffen nicht nur die finanzielle Situation der Rentner. Vielmehr bedeuten gerade die Diskriminierung ganzer Berufsgruppen, insbesondere der im Staatsapparat auf mittlerer Ebene Beschäftigten sowie Techniker, Mediziner, Tierärzte, Architekten usw., und die damit verbundene Aberkennung der Leistungen dieser Menschen eine Demütigung, die dem ansonsten beschworenen inneren Einigungsprozeß widersprachen.
Zwar ist auch mit dieser Vorlage keine Ideallösung gefunden worden, dennoch stellt sie einen deutlichen Fortschritt dar, zum einen aus grundsätzlich rentensystematischen Gründen bezüglich einer umfassenden Berücksichtigung der Zusatzversorgungssysteme, aber auch weil nicht zuletzt zahlreiche Berufs- und Personengruppen aus dem rentenmindernden Konspekt der Staatsnähe herausgenommen werden und zukünftig eine deutliche Besserstellung erfahren.Fortschritte wird es in der Zukunft auch bei der Bearbeitung der Rentenanträge geben. Angesichts der zahlreichen unerledigten Fälle sind die Regelungen, die zu einer Beschleunigung der Feststellungsverfahren bei den Rententrägern führen, ebenso uneingeschränkt zu begrüßen wie die Überführung der Betriebsrenten der Stiftung Zeiss Jena sowie der Renten der Parteien in die gesetzliche Rentenversicherung.Ich bekenne hier offen, daß weiterreichende Regelungen meinen Intentionen und den Vorstellungen der F.D.P. aus den dargelegten Gründen mehr ent-
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Dr. Bruno Menzelsprochen hätten; dies um so mehr, als wir davon überzeugt sind, daß das Rentenrecht das am wenigsten geeignete Mittel ist, begangenes Unrecht wiedergutzumachen oder gar die DDR-Vergangenheit mit bewältigen zu können.
Wenn überhaupt, dann wäre eine Einzelfallprüfung angemessen, die aber — das wissen wir alle — von der Rentenversicherung nicht zu leisten ist. Deshalb halte ich die jetzige Einigung, die nunmehr in die Ausschußberatungen kommt — ich bin sicher, daß in die Ausschußberatungen der gesamte Sachverstand einfließen wird und, wie mir zugesichert wurde, auch jetzt noch bestehende Unebenheiten bereinigt werden können —, im Sinne einer gesicherten und vor allem gerechten Altersversorgung der Bürger in den neuen Bundesländern für vertretbar.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Endlich ist sie da, eine Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes. Doch wie im Frühsommer 1991 wurde in letzter Minute eine Vorlage zum Rentenrecht eingebracht, von den Spitzen der Koalition und der SPD im stillen Kämmerlein erdacht. Was jetzt vorgelegt wird, ist halbherzig, und die Konflikte sind weiter vorprogrammiert. Eine Entschärfung des Mißbrauchs von Sozialrecht als Strafrecht ist nur eine kosmetische Änderung und keine tatsächliche Korrektur. Dies ist nicht nur die Meinung der PDS/Linke Liste. Erste Reaktionen von Betroffenenverbänden aus den neuen Bundesländern zeigen es.Die jetzt vorgelegten Änderungen sind offensichtlich eine Antwort auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom Januar dieses Jahres, aber sie sind unseres Erachtens nicht die angemessenen Folgerungen aus dem Urteil von Kassel. Das Bundessozialgericht hat festgestellt, daß pauschale Kürzungen von Renten generell nicht zulässig sind. Im vorliegenden Gesetzentwurf werden hingegen erneut willkürliche Grenzen gezogen. Es müssen endlich die im Einigungsvertrag fixierten Mindestforderungen des Vertrauensschutzes für Rentnerinnen und Rentner und Anwartschaften anerkannt werden, die alle Renten, also auch die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, betreffen.
Wenn auch die Veränderungen der Höchstbegrenzung der Renten von 2 010 DM auf 2 700 DM einen großen Teil der Betroffenen befriedigen wird, bleiben doch der Strafcharakter und die Beschneidung des Bestandschutzes grundsätzlich bestehen. Im Gegensatz zum Urteil von Kassel, das generelle Kürzungen auf 2 010 DM ablehnt und eine Einzelfallprüfung verlangt, wird die globale Kürzung lediglich auf einem höheren Niveau fortgesetzt.Betroffen bleiben nun vor allem die ca. 1 500 Professorinnen und Professoren, die in der DDR zu den Spitzenwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen gehörten. Wir stimmen der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrechten und Menschenrechten zu, daß dies besonders verwerflich ist angesichts der Tatsache, daß ehemalige Beamte und Berufsoffiziere der NS-Zeit ihre Pensionsansprüche nach Art. 131 des Grundgesetzes jetzt nachträglich anerkannt bekommen. So erhält jetzt ein Bombenflieger der Legion Condor, der an der Zerstörung spanischer Städte im Jahre 1936 beteiligt war, eine um 600 DM höhere Rente.Ich möchtd diese Sachverhalte hier unbedingt öffentlich machen, um den einzigartigen Strafcharakter dieser Rentenüberleitung wiederholt zu verdeutlichen.Alle Neuzugänge der ehemaligen Altersversorgung der Intelligenz, die ab 1. Januar 1994 in Rente gehen, werden infolge der dann pur geltenden beschnittenen Bemessungsgrenze nicht annähernd an die jetzt vorgeschlagenen Höchstsätze herankommen.
Noch drastischer wird sich dann die verhängnisvolle Verletzung des Einigungsvertrags auswirken. Es bleibt auch die Tatsache, daß Hunderttausende von Rentnerinnen und Rentnern, die mit weitaus geringeren Renten aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen auskommen müssen, seit 1990 nichts oder nur Pfennigbeträge als Erhöhung gesehen haben. Sie mußten angesichts der enorm angeglichenen Preise, Mieten und der anderen Ausgaben ganz erhebliche Einbußen des Lebensniveaus hinnehmen. Haushaltsberechnungen, die eine Entwertung der 1990 gezahlten Renten um 40 bis 50 % nachweisen, liegen uns vor. Ist es nicht an der Zeit, diesen Rentnerinnen und Rentnern wenigstens die Erhöhungen aus den ihnen zustehenden Sozialrenten zu gewähren, die das Rentenangleichungsgesetz der letzten Volkskammer der DDR vorsah?Für die sogenannten ehemals Staatsnahen soll das Rentenstrafrecht nicht etwa abgeschafft werden. Es soll vielmehr eine mathematische Formel für den Grad der politischen Bestrafung eingeführt werden, die weder juristisch noch sozialpolitisch greifbar ist.Damit ist außerdem das nächste Chaos bei den Rentenversicherungsträgern voraussehbar. Offensichtlich ist den Verfasserinnen und Verfassern solcher Regelungen erneut der Blick für die Realitäten versperrt. Ansonsten müßten sie feststellen, daß angesichts der im RÜG deklarierten Durchschnittsverdienste faktisch alle DDR-Staatsbediensteten mit Hoch-schulabschluß unter den sogenannten Fallbeileffekt fallen. Eine Formel „je höher der Bildungsgrad, um so höher die Strafe" ist wachen Verstandes wirklich nicht zu begreifen.
Bei derartigen Überleitungsphilosophien war ich echt erstaunt, daß Sie der nun endlich beabsichtigten Überleitung der Parteirenten das gleiche Behandlungsmuster zugestehen.
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13318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Petra BlässAnstatt das Rentenstrafrecht überhaupt zu verbannen, soll nun die Strafliste um haupt- und ehrenamtliche Funktionen, letztere ab Bezirksebene, erweitert werden. Fatal ist angesichts solcher Listen die Aussicht, daß die ohnehin bis über die Grenze ihrer Arbeitsfähigkeit belasteten Rentenversicherungsträger zu Richtern politischer Biographien gemacht werden sollen. Vorauszusehen sind Serien von Widersprüchen und Prozessen, wie sich das bereits jetzt zeigt, wobei Justitia praktisch auf dem Kopf steht; denn nicht Schuld ist zu beweisen, sondern die Betroffenen müssen ihre Unschuld einklagen — eine eigenartige Auffassung von Rechtsstaat.Es geht hier jedoch nicht um das Rentenstrafrecht, sondern um soziale Verantwortung überhaupt. Wir sind sehr dafür, daß jetzt Versäumnisse der Rentenüberleitung korrigiert werden und die Betriebsrenten der Zeiss-Stiftung anerkannt werden sollen. Was aber passiert mit den anderen Betriebsrenten, die laut Einigungsvertrag bis Ende 1991 zu zahlen waren, aber ab 1992 von der Treuhand faktisch gestrichen wurden? Wenn es hier auch nur um geringe Beträge geht, so zählt doch für die Betroffenen heute mehr denn je jede Mark.Ganz besonders bedrückend ist, daß viele Rentnerinnen und Rentner zunehmend an die Armutsgrenze geraten, weil von ihnen gezahlte freiwillige Beiträge nicht anerkannt, Sozialzuschläge eingefroren, gekappt und künftig überhaupt nicht mehr gewährt werden sollen.Dieses Haus sollte deshalb nicht über Schönheitsreparaturen an einem von Geburt an mißratenen Gesetz nachdenken, sondern die Debatte sollte endlich darum gehen, ein neues, besseres Rentenrecht zu schaffen, das eine rechtsstaatliche Aufnahme der DDR-Renten und -Anwartschaften einschließt.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie meine Vorrednerin und der Kollege Dreßler sage auch ich: Endlich! Ich sage es mit der nicht abreißenden Kette von Rentnern und Renterinnen vor Augen, die mir ihre Beschwerden in der Bürgersprechstunde vortragen. Endlich ist sich dieses Parlament einig, daß Abhilfe geschaffen werden muß.
Ich brauche nicht mehr in eine Einzelwürdigung der wirklichen Fortschritte dieses Gesetzentwurfs einzutreten; das ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern bereits getan worden. Ich will meinen Dank an alle ausdrücken, die an der nicht unkomplizierten Erarbeitung beteiligt gewesen sind. Ich danke auch im Namen derer, denen jetzt geholfen werden kann.
Aber ich muß einige Punkte bezeichnen, wo ich wie auch meine Vorgänger und Vorgängerinnen Diskussionsbedarf sehe. Warum erst so spät? Diese Frage stellt sich natürlich auch mir. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits im März 1992 die jetzt geregelten Beschwerdepunkte angemahnt. Herr Dreßler hat doch recht gehabt: Alle Initiativen sind abgelehnt worden, und vor noch gar nicht langer Zeit sind von diesem Platz aus Reden gehalten worden, das sei alles nicht nötig oder nicht machbar. Ich kann mich nicht enthalten, auch die Kollegin Babel, die sich gerade umdreht, in dieser Hinsicht mit einem gewissen Augenaufschlag anzusehen.
Ich weiß nicht, ob dahinter die vielerörterte Kostenfrage gestanden hat. Es würde mich tatsächlich interessieren. Jetzt aber legen Sie ein Gesetz mit einem Kostenvolumen von 125 Millionen DM vor. Daran kann es also wirklich nicht gelegen haben, wenn ich an das 18-Milliarden-Defizit der BfA in Nürnberg denke.
Art. 4 § 1 ist einer der großen Vorzüge des Gesetzentwurfs. Das Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stiftung ist ein ganz erheblicher Fortschritt. Aber, meine Damen und Herren, Frau Bläss hat hier völlig recht: Man wird natürlich die Begründung auf Seite 21 lesen. Ich kenne genug Bürger, die mir das schon berichtet haben. Sie haben zwar keine Betriebsrenten nach dem Pensionsstatut von Carl Zeiss, aber analoge Vereinbarungen, auf Grund derer sie eben nicht in die Zusatzrentenversicherung eingezahlt haben. Sie werden jetzt auch Vertrauensschutz beanspruchen, wenn sie die Begründung in Ihrem Gesetzentwurf lesen. Ich denke, sie haben recht, wenn sie das beanspruchen.
Zum nächsten Punkt, zur Rentenbegrenzung, ist schon sehr viel gesagt worden. Auch hier gibt es eine wirkliche Verbesserung mit den neuen Höchstbeträgen. Aber das System, das Sie einführen, ist wahrlich kompliziert und widerspruchsvoll genug. Ich will nur den Mensch-ärgere-dich-nicht-Effekt ansprechen: bei 1,8 Entgeltpunkten zurück nach 1,0.
Herr Kollege Dr. Ullmann, Herr Knaape möchte auch Ihnen eine Frage stellen.
Ja, bitte.
Herr Ullmann, ist Ihnen bekannt, welche Anzahl von Rentnern durch diese 2 700-DM-Begrenzung bevorteilt wird, wer also daraus Nutzen ziehen kann?
Die Zahl kenne ich nicht. Ich freue mich aber für jeden, der es kriegt.
Ich will nur sagen: Die Widersprüchlichkeit der Regelung wird auf Protest stoßen. Die Regelung, die die SPD vorgeschlagen hat, generell bei 1,4 zu bleiben, hatte wenigstens den Vorteil der Durchsichtigkeit.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993 13319
Dr. Wolfgang UllmannEin Wort zum politischen Rentenrecht muß ich natürlich auch sagen. Hier gibt es die schon von meinen Vorrednern geltend gemachten schwerwiegenden rechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken, daß ehemalige Staatsfunktionäre und ihnen verwandte Berufsgruppen im Gegensatz zu der Praxis gegenüber den Trägern des Nazisystems auf diese Weise behandelt werden. Das zeigt, in wie hohem Maße das Rentenrecht als Instrument staatlicher Steuerungsinteressen gebraucht wird statt als gesellschaftlicher Bedürfnisausgleich. Das fällt nun der ganzen Öffentlichkeit angesichts der jüngst bekanntgewordenen Zahlungen an lettische Waffen-SS-Angehörige, also an Angehörige einer Organisation, die in Nürnberg als verbrecherisch eingestuft worden ist, in besonders hohem Maße auf.Da nach wie vor Mindestrenten nicht vorgesehen sind und Sozialzuschläge abgebaut werden sollen, erhebt sich mit neuer Dringlichkeit die Frage nach einem System der Altersvorsorge, das nicht dazu führt, einen Teil der Senioren und Seniorinnen der Armut zu überantworten und auf sie ein Soizialhilfesystem anzuwenden, das sie in behördlich beaufsichtigte und alimentierte Bettler verwandelt, d. h. in Menschen mit drastisch eingeschränkten Selbstbestimmungs- und Grundrechten.Eine Schlußbemerkung, bevor ich mich von hier verabschiede. Wir streiten ja in der Verfassungskommission unablässig über die Gleichstellung der Frauen. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU versichern immer, es gehe da nur um ein Wort. Es geht um eine Sache, nämlich um die Gleichstellung der Frau auch im Rentenrecht. Hier sollten Sie sich bewegen und etwas tun.Danke.
Herr Kollege Volker Kauder, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen Wochen, zum 1. Juli 1993, werden die Renten in ganz Deutschland angehoben, in Westdeutschland um effektiv 3,86 %, in den neuen Bundesländern um effektiv 14,24 %. Damit wird die Standardrente in den neuen Bundesländern etwa 73 % der Standardrente der alten Bundesländer betragen. Vor der Einheit — es ist heute schon angesprochen worden — betrug dieses Verhältnis je nach Rentenart etwa 30 % bis 40 %. Und was eine Ostmark-Rente in der DDR an Kaufkraft wirklich bedeutete, will ich hier gar nicht ausführen. Darüber können die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern wahrhaft deutlich berichten.
Ich nenne diese Zahlen, Herr Kollege Dreßler, vor allem deswegen, um einmal deutlich zu machen, was in nur knapp drei Jahren in Deutschland auf diesem Gebiet geleistet worden ist. In einem unglaublichen sozialpolitischen Kraftakt wurde hier für die Menschen in den neuen Bundesländern ein Rentensystem eingeführt, das nicht von der Willkür kommunistischer Machthaber abhängig ist, sondern nach genau berechneten Systemen per Gesetz berechnet wird.
Das System der gesetzlichen Rentenversicherung mit der lohndynamischen Rente ist in den neuen Bundesländern fester Bestandteil der sozialen Sicherung geworden. Die Rentner in Ostdeutschland haben mit den verschiedenen Rentenerhöhungen der letzten Zeit weit aufgeholt. Ich sage dies auch an die Menschen in den alten Bundesländern gewandt: Dies ist richtig, weil es nur so auf Dauer gelingen wird, eine Angleichung zu erzielen.
Wir haben unsere Hausaufgaben als Sozialpolitiker erfolgreich gemacht. Darauf dürfen wir gemeinsam stolz sein.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, Herr Kollege Dreßler, wenn Sie sich heute hier hinstellen und so tun, als ob wir mit der Überleitung des Rentensystems aus den alten in die neuen Länder etwas gemacht hätten, was den Menschen nur Schaden gebracht hätte. Sie haben schon bei der Einbringung des Rentenüberleitungsgesetzes im Jahre 1991 eine unglaubliche Rede gehalten, in der Sie behauptet haben, wir würden in den neuen Ländern alles plattmachen. Diese Aussage haben Sie nie aufrechterhalten können; und Sie können auch die Aussage, die Sie heute hier gemacht haben, nicht aufrechterhalten.
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meiner Rede 1991 das Wort vom Plattmachen — —
Herr Kollege Dreßler, Sie müssen eine Frage stellen und nicht bitten, etwas zur Kenntnis zu nehmen. Aber das läßt sich ja leicht formulieren.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meiner Rede vor zwei Jahren im Deutschen Bundestag, was den Begriff Plattmachen betrifft, ausdrücklich auf das Institut der Mindestrente die im Westen programmatisch als soziale Grundsicherung gehandelt wird, hingewiesen und Ihnen den Vorwurf gemacht habe, daß Sie dies deshalb tun, um im Westen die soziale Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner nicht auch einführen zu müssen? Sind Sie bereit, das zu bestätigen?
Herr Kollege Dreßler, Sie haben eine Art und Weise, die haben Sie auch heute wieder gezeigt, durch Formulierungen den Eindruck zu erwecken, als ob es nicht um einen
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13320 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Volker Kauderkonkreten Einzelsachverhalt ginge, sondern als ob hier pauschal etwas schlechtgemacht worden ist.
Wir haben damals darauf hingewiesen, daß das von Ihnen vorgeschlagene System nicht notwendig ist, weil wir eine Rentenversicherung und ein Gesamtsozialsystem einführen — darauf haben Sie eben nicht hingewiesen — mit all den Vorschriften, die wir haben, vom Bundessozialhilferecht bis zum Wohngeld. Das ist also ein insgesamt geschlossenes System der sozialen Sicherung, das sich bei uns bewährt hat. Das haben wir in den neuen Ländern eingeführt, und es hat sich dort bewährt.
Herr Abgeordneter, lassen Sie noch eine zweite Frage zu?
Nein. Er hatte vorhin schon genug Zeit zu reden. Lassen Sie mich meinen Beitrag fortführen.Ich sage, daß wir eine erfolgreiche Politik mit der Rentenüberleitung gemacht haben. Dies sage ich auch heute, wenn wir ein Ergänzungsgesetz vorlegen müssen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute sicher von einer wichtigen Gruppe. Aber deutlich muß auch gemacht werden, daß wir heute auch bei den Ergänzungen, die wir machen, von einer relativ kleinen Gruppe von Menschen reden. 98 bis 99 % der Menschen sind mit ihrer Rente zufrieden. Dies wird uns auch bei vielen Gesprächen und Terminen in den neuen Bundesländern bestätigt.
Es geht heute um eine Gruppe, der wir natürlich auch Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, die aber sicherlich als diejenige bezeichnet werden kann, der es in den neuen Bundesländern, in der früheren Zeit der DDR und heute, besonders schlecht gehe. Es geht darum, daß wir Gerechtigkeit üben. Aber es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als ob die Rentenversicherung, die wir in den neuen Bundesländern eingeführt haben, für die Menschen keine Vorteile gebracht hätte.
Ich sage also auch, wenn wir heute ein Ergänzungsgesetz einbringen müssen, daß wir viel erreicht haben. Wir reagieren mit diesem Gesetz auf Probleme bei der Ausgestaltung des Gesetzes. Wir reagieren damit auf Dinge, die wir bei der Einführung nicht gewußt haben, wie Zeiss Jena, die auch Sie, Herr Ullmann, nicht gewußt haben
und wir wollen mit dieser Regelung auch für die mittlere Führungsebene gewisse Verbesserungen erreichen.Wir können diese Regelungen, Herr Kollege Dreßler und Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wiebei der Rentenversicherung schon Tradition, wieder im Konsens zwischen Regierungskoalition und Opposition vornehmen. Ich muß Ihnen aber sagen: Ihre Rede, Herr Dreßler, macht dies alles nicht einfacher und vergnüglicher.
Wenn wir über Monate hinweg einen Konsens suchen, kommen auf einmal solche scharfmacherischen Reden, daß die Menschen draußen denken müssen, wir hätten überhaupt keinen Konsens gefunden. So sollten Sie einen gemeinsamen Gesetzentwurf nicht einbringen, wie Sie es heute morgen getan haben.
Sie haben schon in einer Presseerklärung versucht, es so darzustellen, als ob Sie etwas erreicht hätten. Aber dabei haben wir diese ganzen Verhandlungen nur deswegen führen müssen — ich komme nachher noch einmal darauf zurück —, weil Regelungen, die Sie vorgeschlagen haben, auch von Kolleginnen und Kollegen der SPD so nicht hätten mitgetragen werden können. Es hätte nämlich, ob Sie es gewollt hätten oder nicht — ich will Ihnen gar nichts unterstellen —, zu einem schlechten Ergebnis geführt. Dabei ist Nichtwissen bei einer solchen Problematik so schlimm, wie vorsätzlich etwas machen zu wollen. Sie hätten nämlich mit Ihrer Regelung dazu beigetragen, daß Spitzenfunktionäre der alten DDR und der SED 40 % mehr Rente bekommen hätten. Dies wäre die Konsequenz gewesen. Dies haben wir nicht mitmachen wollen.
— Herr Dreßler, darüber können Sie gar nicht hinwegdiskutieren. Ich hätte es so nicht angesprochen, wenn Sie nicht so scharf angefangen hätten. Wir haben eben Monate gebraucht, um Sie von dieser falschen Entscheidung wegzubringen.
Dies war der entscheidende Punkt. Einig waren wir uns darin, daß Erleichterungen für die Umsetzung geschaffen werden mußten. 4 Millionen Renten sind umgewertet worden, allein im letzten Jahr 1992 sind 600 000 Anträge gestellt worden. Daß dies nicht von einen Tag auf den anderen bewältigt werden kann, war klar.Trotzdem sage ich: Was die Rentenversicherungsträger geleistet haben, ist großartig und beispielhaft und einmalig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schwieriger war es, wie gesagt, uns darauf zu einigen, was im staatsnahen Bereich passiert. Wir haben nun eine Regelung. Wir haben uns als CDU/CSU und F.D.P., als Koalition, Gott sei Dank durchsetzen können, daß es eben nicht zu diesen für die Bürger nicht verständli-
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Volker Kauderchen Erhöhungen für die früheren Spitzenkader von SED und DDR gekommen ist.Im Einzelfall mag dieses nun alles gerechter sein. Aber ich sage Ihnen auch: Für mich ist nun das Ende der Fahnenstange bei Änderungen in diesem Bereich erreicht. Wir dürfen es nicht zulassen, daß Privilegien, die in der alten DDR erreicht worden sind, auch in der Rentenversicherung fortgesetzt werden. Für uns ging es nie darum, Strafrecht in der Rentenversicherung einzuführen.
Für uns ging es nur darum, ungerechtfertigte Dinge, überhöhte Dinge abzuschneiden.
Wir haben hier nichts anderes gemacht, als eine Tradition der Reformbewegung fortgesetzt, die nämlich überhöhte Bezüge auch schon in der alten Volkskammer mit der 2 010-Mark-Regelung abgeschnitten hat. Das war überhaupt keine Erfindung von uns, das haben wir nur fortgesetzt. Es ging darum, nicht die Privilegien, die man in diesem Staat erworben hat, nun auch noch in der Rentenversicherung fortzusetzen.
Herr Kollege Kauder —
Nein, ich muß noch einen Gedanken zu Ende führen.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen. Die 2 010-DM-Regelung für die Intelligenzler hat überhaupt nichts damit zu tun, daß wir im staatsnahen Bereich Korrekturen vorgenommen haben. Diese Regelung ist nur eingeführt worden, um eine Überzahlung bei Renten zu vermeiden. Denn wir führen die Zusatzversorgten insgesamt in die Rentenversicherung über und können individuelle Berechnungen noch nicht durchführen. Diese individuellen Berechnungen, die wir durchführen, werden auf Grund des neuen Systems dazu führen, daß die Renten über die 2 010-Mark-Grenze steigen. Deswegen bedeutet das auch nur eine vorläufige Begrenzung, bis der individuelle Rentenanspruch festgelegt und berechnet ist.
Das Sozialgericht hat nun entschieden und gesagt, wir sollten hier dem Bestandsschutz, dem Vertrauensschutz ein größere Komponente einräumen. Dies machen wir. Wir verändern deshalb nur die Grenze von 2010 auf 2 700 DM. Die Begrenzung, die aber von Anfang an gewollt war, um eine Überzahlung von Höchstrenten zu vermeiden, haben wir damit beibehalten.
Sie waren es, Herr Dreßler, der im Herbst 1991 große Schlagzeilen produziert hat: Ist es möglich, daß Renten von 7 000 und 8 000 und 9 000 DM aus der Rentenversicherung gezahlt werden? Sie haben doch auf das Problem hingewiesen, daß das nicht geht. Wir
haben aber dafür gesorgt, daß dies nicht geschehen kann. Mit dieser Begrenzung sind wir etwas gerechter.
Ich sage Ihnen, wenn die Renten der sogenannten Intelligenzler im nächsten Jahr nach unserem System individuell berechnet werden, wird sich herausstellen, daß die Grenze von 2 700 DM von vielen als Rente in den nächsten Jahren noch gar nicht erreicht werden kann. Wir haben damit wiederum ein Beispiel dafür gebracht, daß wir durchaus gewillt sind, den Rentnern entgegenzukommen.
Ich kann Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, nur einen herzlichen Dank dafür sagen, daß die Zusage, die wir gemacht haben, auch durch Ihre Arbeit eingehalten worden ist. Wir haben den Rentnern gesagt: Ihr werdet eure Rente pünktlich bekommen. Wir werden uns darum bemühen, daß die individuelle Nachprüfung sehr schnell passiert. Dies haben wir eingehalten. Wir haben für die Rentner in den neuen Bundesländern viel erreicht. Dies lassen wir uns von niemandem nehmen.
Vielen Dank.
Herr Kollege Dreßler, ich habe Sie vorhin bei Ihrer Zwischenfrage korrigiert und gesagt, Sie müßten eine Frage stellen. Das ging aber offensichtlich auf ein akustisches Mißverständnis zurück. Sie hatten schon mit einer Frage begonnen. Nur, ich habe verstanden: Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen. Sie hatten aber gesagt: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen.
— Wenn ich dazwischengehe, muß ich, wenn ich mich irre, das dem betreffenden Kollegen dann auch sagen.
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Otto das Wort.
Ich möchte hiermit zur Kenntnis geben, daß der Durchschnitt der Ärzte, Ingenieure, Physiker, Mathematiker eine Rente von etwa 1 400 Mark bekommt, daß niemand — auch mit den neuen Gesetzen — auch nur annähernd an die 2 010, geschweige denn an die 2 700 DM herankommt.
Ich möchte damit auch betonen, daß die Zusatzrentenversorgungssysteme keine Privilegierung der Intelligenz sein können, sondern daß das versprochene Leistungen für entsprechend niedrige Entlohnung gewesen sind und daß es sich aus meiner Sicht hier um einen Vertrauensbruch gegenüber dieser Personengruppe handelt.
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mascher.
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13322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauder, Sie haben zum Schluß davon gesprochen, daß wir mit dem Rentenüberleitungsgesetz viel erreicht haben. Das ist sicher richtig. Aber ich würde Ihnen raten, das, was wir da erreicht haben, nicht dadurch zu entwerten, daß Sie die Gefühle und die Selbsteinschätzung unserer Kollegen und auch der Menschen in den neuen Bundesländern dadurch verletzen, daß Sie z. B. einen Begriff, der uns fremd sein mag, „Intelligenzler", mit dem Beiwort „sogenannte" versehen. Das wirkt verletzend und kränkend.
Ich denke, wir sollten behutsam damit umgehen, weil wir gerade auch im Bereich der Rentenversicherung bei vielen den Eindruck erweckt oder das Gefühl hervorgerufen haben, daß wir ihre Lebensleistung nicht gerecht bewerten. Individuelle Gerechtigkeit werden wir in vielen Punkten nicht erreichen können, aber gerade deswegen sollten wir behutsam damit umgehen und nicht Begriffe, die uns fremd sind, die für uns vielleicht fremd klingen, so abwerten. Ich würde darum bitten.
— Ja.
Ich habe vor einem halben Jahr in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der SPD zur Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes gesprochen. Damals haben die Redner und Rednerinnen der Regierungsfraktionen — ich habe das noch einmal nachgelesen — sehr gereizt auf meinen Beitrag reagiert und meine Erwartung, daß wir im Interesse der Betroffenen zu einer Einigung im Sinne auch der SPD-Vorschläge kommen, zurückzugewiesen. So ist es eben, wenn man als Oppositionsabgeordnete spricht.
Die erheblichen Probleme, die jetzt bei den Rentenversicherungsträgern aufgetreten sind, sind keine Naturkatastrophe, vor der man sich nicht schützen kann, sondern diese Probleme sind das Ergebnis des großen Zeitdrucks, unter dem die Beratungen des Rentenüberleitungsgesetzes stattgefunden haben.
Jetzt erwarte ich Ihren Zwischenruf: Die SPD hat doch zugestimmt. —
Das ist sicher richtig; ich gestehe das zu. Wir haben trotz des Zeitdrucks dem Kompromiß zugestimmt, weil wir nach der Veränderung der Bundesratsmehrheit als Ergebnis der Wahlen in Rheinland-Pfalz die Chance hatten, wesentliche Verbesserungen für die Rentner und Rentnerinnen durchzusetzen. Ich erinnere nur an den Sozialzuschlag als eine Art Mindestrente. Ich denke, das ist ein wichtiger Beitrag, über den wir auch weiter diskutieren sollten. Herr Kauder, ich erinnere Sie daran, daß die Caritas z. B. fordert, daß wir unsere sozialen Sicherungssysteme armutsfest machen sollten, z. B. durch solche Mindestrenten.
Den grundsätzlichen Konstruktionsfehler, die Vermischung des Sozialrechts mit dem Strafrecht, konnten wir im Juni 1991 nur noch zum Teil beseitigen. Zwei Jahre später — und um eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes klüger — werden nun auch mit Zustimmung der Regierungsfraktionen einige Härten im Bereich der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme ausgeglichen. Die Entgeltpunktbegrenzung für staatsnahe Versorgungssysteme der DDR wird abgemildert, und der Personenkreis, der von dieser Entgeltpunktbegrenzung betroffen ist, wird erweitert.
Ich entschuldige mich bei unseren Zuhörern auf der Tribüne, aber diese Rentenfragen sind nun leider mal mit solchen fachchinesischen Begriffen besetzt. Ihnen mag das vielleicht unverständlich klingen, aber ich hoffe, daß es im Ergebnis für die Betroffenen Vorteile bringt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
Frau Kollegin Mascher, ist es richtig, daß mit der Regelung, die Sie in Ihrem Antrag vorgeschlagen haben, alle, auch Spitzenfunktionäre, 40 % mehr Rente erhalten hätten?
Herr Kauder, wir wollten diesen Grundatz, diesen Fallbeileffekt in der Tat beseitigen, und das hätte möglicherweise zu diesem Ergebnis geführt.
Die pauschale Festlegung, daß jeder, der in den staatsnahen Versorgungssystemen mehr als 140 % des Durchschnittslohnes der DDR verdiente, leitend war, wird jetzt wesentlich differenziert, und die drastischen Rentenverluste werden für eine große Zahl der Betroffenen abgemildert. Das hatten wir in unserem Antrag zur Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes bereits vor einem Jahr vorgeschlagen. Der Zeitablauf und die Diskussion zeigen, daß es nicht einfach war, das Ergebnis, das jetzt vorliegt, mit den Regierungsfraktionen zu erreichen.Die Erweiterung des Personenkreises, der von dieser Entgeltpunktbegrenzung ausgenommen werden soll, wird uns sicher bei den Ausschußberatungen noch beschäftigen. Der Herr Kollege Dr. Menzel hat ja schon einige Dinge dazu gesagt. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob das, was wir jetzt an Kriterien dafür gefunden haben, wirklich treffend ist, um das, was wir wollen, zu erreichen. Ich denke, wir sind bei diesen Beratungen auch auf die Kenntnisse unserer ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen, was die Struktur, die staatliche Struktur der DDR angeht, angewiesen, damit wir hier wirklich gezielt die richtigen Ausnah-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. April 1993 13323
Ulrike Maschermeregelungen treffen. Ich erkläre ausdrücklich für die SPD, daß wir hier für Beratungen offen sind.
Mein Kollege Dreßler hat die Erhöhung der Obergrenzen der Intelligenzrenten bereits positiv bewertet. Ich hoffe, daß dieses Ergebnis bei einem großen Teil der Betroffenen das Gefühl der ungerechten Behandlung mildert.Was wir hier im Parlament aber nicht erreichen können, das ist die solidarische Übertragung der guten berufsständischen Versorgungssysteme, z. B. der Ärzte, vom Westen auf den Osten. Das unterliegt nicht unserer Gesetzgebungskompetenz,
da ist die Solidarität der Berufskollegen gefordert.
Auch die Überführung der Versorgungssysteme von Zeiss-Jena in die gesetzliche Rentenversicherung scheint gelöst zu sein. Für die Zeit der Beschäftigung bei Zeiss-Jena werden die vollen Arbeitsverdienste bei der Berechnung der dynamischen Rente nach bundesdeutschem Recht berücksichtigt. Einzelheiten der Überführung, z. B. Anrechnungsprobleme von bereits bezahlten Abfindungen nach Schließung der Zeiss-Stiftung in Jena, sollten unter Beteiligung der Vertreter der Betroffenen, also des Betriebsrates, gelöst werden.
Frau Kollegin Mascher, der Kollege Dr. Knaape möchte eine Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin Mascher, würden Sie dem zustimmen, daß sich durch die mangelhafte Aufklärung der Bundesregierung insbesondere die deutsche Ärzteschaft in den neuen Bundesländern in dem Glauben wiegte, daß durch die Übernahme der Zusatzversorgungssysteme die Leistung angeglichen würde und dadurch eine Gleichstellung mit denen erfolgen würde, die in der alten Bundesrepublik in den kammerärztlichen Versorgungssystemen sind?
Herr Kollege Knaape, ich bitte — das sage ich jetzt noch einmal schnell generell —, bei Zwischenfragen doch keine Korreferate zu halten.
Herr Kollege Knaape, ich teile diese Auffassung. Offensichtlich hat die Begeisterung über das, was mit dem Rentenüberleitungsgesetz erreicht wurde, den Bundesminister in seinen Informationsbroschüren ein bißchen über das Realistische hinweggetragen. Dadurch hat er möglicherweise in den Informationsbroschüren diesen falschen Eindruck erweckt.
— Ja, Frau Dr. Otto, das ist mir bekannt,
nur habe ich in Gesprächen mit Ärzten wahrgenommen, daß immer Vergleiche gezogen werden zwischen der Ärzteversorgung in der Bundesrepublik und dem, was jetzt nach dem Rentenüberleitungsgesetz aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden kann. Dieser Vergleich hinkt eben, weil die Ärzte in Westdeutschland auf Grund der berufsständischen Versorgungssysteme sehr viel höhere Leistungen erhalten, als aus der gesetzlichen Rentenversicherung möglich ist.
Frau Kollegin Mascher, jetzt würde gern die Kollegin Fuchs eine Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin Mascher, Sie stimmen mir sicher zu, daß es eigentlich Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre, eine angemessene Versorgung dieser damals staatlich versorgten Menschen in der DDR zu gewährleisten.
Dem stimme ich zu.Ich habe von den Anrechnungsproblemen, die es bei der Zeiss-Stiftung in Jena bei den Abfindungen gibt, gesprochen und möchte auf einen Punkt hinweisen, der mir dabei besonders wichtig ist, nämlich daß es dabei nicht nur urn die abstrakte Logik unseres Rentenversicherungssystems geht, sondern auch darum, das Gerechtigkeitsgefühl der Betroffenen nicht zu verletzen. Die Tatsache, daß bei den Beratungen des Rentenüberleitungsgesetzes der gesamte Komplex „Pensionen der Zeiss-Stiftung" nicht in die Beratungen eingeführt wurde, darf für die Betroffenen nun nicht rückwirkend eine Verschlechterung ihrer Anwartschaften auslösen. Ich denke, darüber müssen wir uns sehr gründlich und sorgfältig unterhalten.An einigen Stellen des Rentenüberleitungsgesetzes sind also notwendige Korrekturen erfolgt. Wir haben daran mitgewirkt. Wir werden das auch mittragen, weil viele praktische Verbesserungen eintreten.Ein Komplex dieses Gesetzes beunruhigt mich aber immer noch, nämlich die Frage: Sind mit den Bestimmungen zur Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens die Probleme wirklich zu bewältigen?Entgegen den Erklärungen der Rentenversicherungsträger waren die Computerprogramme erst 15 Monate nach dem Inkrafttreten des Rentenüberleitungsgesetzes für die Bearbeitung der neuen Rentenanträge einsatzbereit. Bis heute sind nur ganz wenige Antragsverfahren mit dem endgültigen Rentenbescheid abgeschlossen. Die im Gesetz vorgesehene Neuberechnung der umgerechneten Bestandsrenten, auf die ab 1. Januar 1994 ein Rechtsanspruch besteht, kann in der vorgesehenen Form nicht geleistet werden.Dieses Ergebnis ist eine Folge des Zeitdrucks, mit dem wir das Rentenüberleitungsgesetz beraten mußten. Der Vorschlag der SPD hätte ein Jahr Zeitgewinn für die Vorarbeiten bedeutet. Es ist bedauerlich, daß wir das nicht erreichen konnten: Es ist einmal bedauerlich für die Rentner, die lange Bearbeitungszeiten
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Ulrike Mascherim Osten, aber auch im Westen in Kauf nehmen müssen — erheblich länger, als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren —, zum anderen ist es bitter für die Mitarbeiter, die trotz ihres überdurchschnittlichen Arbeitseinsatzes die Berge von Arbeiten nur millimeterweise abtragen können.Die SPD stimmt den Vorschlägen zur Beschleunigung zu. Wir erwarten davon keine Wunder. Ich bin gespannt, wann wir wieder Hilferufe der Rentenversicherungsträger nach weiteren Vereinfachungen hören werden.Mein Vertrauen in die Prognose, was die Bewältigung des Arbeitsanfalls bei den Rentenversicherungsträgern betrifft, ist nicht mehr so sehr groß. Das muß ich hier persönlich sagen.
—Ich lobe sie auch ausdrücklich. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Wenn sich alle Bereiche der Wirtschaft beim Aufbau neuer Strukturen in Ostdeutschland so engagiert und diesen Aufbau so unterstützt hätten, wie das im Bereich der Rentenversicherungsträger, wie das im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit und wie das bei Post und Bahn geschehen ist, dann wären wir mit dem Aufbau im Osten bereits weiter.
Ich denke, das ist ausdrückliches Lob genug für die Betroffenen. Ich hoffe, daß wir in einem Jahr hier nicht wieder Korrekturen, was die Beschleunigung des Verfahrens betrifft, beschließen müssen. Ich hoffe, daß es jetzt wirklich zur Beschleunigung führt.Danke.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Ich bin heute morgen mit dem festen Vorsatz in das Parlament gegangen, eine Rede zu einem Konsensentwurf zu halten. Ich will dem Vorsatz treu bleiben.
obwohl mir dies nach der Rede des Kollegen Dreßler nicht mehr so leicht fällt. Ich habe mir nämlich nach seiner Rede erst noch einmal die Bundestagsdrucksache ansehen müssen. Ich hatte nämlich inzwischen Zweifel, ob die SPD den Gesetzentwurf noch unterstützt.
Liebe Kollegen, aller guten Dinge sind drei.
— Ich bin ja immer noch friedlich.
Dreimal haben wir jetzt in Sachen Rente den Konsens geschafft — bei der Rentenreform, bei der Überleitung und hier bei der Ergänzung. Es kann ja sogar noch weitergehen. Für einen Streit gibt es ja noch ein genügend weites Feld.
Ich werde jedenfalls auch weiterhin mit meinen Freunden, mit der Koalition daran arbeiten, daß wir die Rente aus dem parteipolitischen Streit heraushalten.
Das hat auch etwas mit Vertrauensbildung zu tun.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mascher?
Bitte.
Herr Bundesarbeitsminister, waren Sie noch nicht anwesend, als der Kollege Rother seine Rede gehalten und hier versucht hat, die SPD als Helfershelfer von SED-Größen darzustellen?
Liebe Frau Mascher, vielleicht sollten wir uns darauf verständigen, daß ich jetzt, von Ihnen unterstützt, eine Konsensrede halte.
— Wollen wir das jetzt wie Buchhalter — das habt ihr eingebracht, das haben wir eingebracht — betreiben? Wir bringen uns so selber um den Wert des Konsenses. Ein Konsens ist nur dann möglich, wenn er in allen Teilen von allen vertreten wird. Wenn er wie ein Steinbruch behandelt wird, dann ist es kein Konsens.
— Kollege Dreßler, wie lange es gedauert hat? Ja, wir hätten es in 24 Stunden machen können, wenn Sie unsere Vorschläge übernommen hätten. Wir hätten es auch in 24 Stunden machen können, wenn wir Ihre Vorschläge übernommen hätten. Konsens ist halt der Anstrengung wert. Ich denke, Schnelligkeit ist nicht immer ein guter Ratgeber für eine seriöse Politik.Noch ein Punkt: Strafrecht— mit diesem schlimmen Wort ist heute morgen gearbeitet worden. Meine Damen und Herren, auch die freigewählte Volkskammer hat mit Begrenzungen gearbeitet. Auch Sie arbeiten mit Begrenzungen. Man kann doch nicht jede Begrenzung als einen Ausfluß des Strafrechts betrach-
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Bundesminister Dr. Norbert Blümten. Das würde ja bedeuten, daß man ein Rentensystem einfach übernehmen müßte, bei dem dann möglicherweise — in diesem Fall sogar ganz konkret — Rentenansprüche entstehen, die im Westen nie entstehen würden. Wir hätten dann — ohne Beschränkungen — Renten von bis zu 12 000 DM bezahlen müssen. Es kann doch keine Rede davon sein, daß das Ausfluß des Strafrechts ist, wenn wir das auf in unserer gesamtdeutschen Rentenversicherung gültige Proportionen begrenzen.
— Bitte, Herr Ullmann.
Herr Bundesminister, können Sie mir erklären — —
Verzeihung, Herr Kollege. Es gibt hier so ein Regelwerk. Das Wort erteilt der Präsident.
Nachdem der Redner die Zwischenfrage genehmigt hat: Bitte, Herr Kollege Ullmann.
Herr Bundesminister, wegen dieser Streitigkeiten um das Strafrecht im Sozialrecht bitte ich Sie um Erklärung, welchen Sinn die Begriffe „System" und „Staatsnähe" in diesem Zusammenhang haben, wenn sie als Begründung für Rentenkürzungen verwendet werden.
Herr Ullmann, das will ich gerne erklären. Nach dem Willen der Volkskammer — sonst hätte es diese Begrenzung nicht gegeben — und auch nach dem Einigungsvertrag sollten Privilegien in der Einkommenshöhe, die das alte System gewährt hat, nicht in unsere gemeinsame Rentenversicherung übergehen. Das hat mit Strafrecht nichts zu tun, sondern das hat nur etwas mit einem gemeinsamen Rentensystem zu tun, das diese Spitzen sozusagen nicht nachträglich weiterprämiert. Das ist der Sinn einer Rentenvereinheitlichung.
Es ist heute morgen auch viel von dem gesprochen worden, was die Rentenversicherung geleistet hat. Meines Erachtens ist dabei unsere gemeinsame Anstrengung schlecht weggekommen. Sie verschütten unseren und Ihren Beitrag zu dieser Anstrengung. Das ist doch unser Konsens!
Wenn einer bestreitet, wie groß der Erfolg unserer Rentengesetzgebung gerade für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in den neuen Ländern ist, dann nenne ich ihm eine Zahl: Vor der deutschen Einheit, im letzten Jahr der DDR, sind an Renten genau 16,7 Milliarden Mark gezahlt worden — nicht D-Mark, sondern Ostmark. Heute, 1993, werden für das gleiche Gebiet 54,2 Milliarden DM gezahlt. Noch
einmal: 16,7 Milliarden Ostmark und jetzt 54,2 Milliarden DM.
Will denn einer bestreiten, daß die deutsche Einheit gerade der älteren Generation in den neuen Bundesländern geholfen hat? Sie müssen dafür auch gar nicht Dankeschön sagen. Sie haben in ihrem Leben ja viel erlitten. Manche haben zwei Weltkriege und zwei Diktaturen erlitten. Diese Menschen haben nicht mehr so viel Zeit wie die junge Generation, das wettzumachen, was ihnen das Leben alles angetan hat. Aber es kann doch niemand bestreiten, daß die deutsche Einheit gerade den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen Bundesländern geholfen hat. Erkennen Sie das doch endlich einmal an! Dann können wir anschließend streiten.
Die durchschnittliche Rente betrug bei den Männern 572 Mark. Jetzt beträgt sie 1 295 DM. Bei den Frauen waren es durchschnittlich 432 Mark. Heute beträgt die Rente 861 DM. Liebe Frau Bläss, wie können Sie denn der alten DDR-Rente nachweinen? Die war noch nicht einmal halb so hoch wie die jetzigen Beträge.
Wie können Sie dem nachweinen? Wie können Sie so tun, als hätten Sie im Rentenparadies gelebt? Das war doch miserabel. Sie waren doch im Rentenkeller. Wir probieren jetzt, hochzukommen und aufzuholen, um der älteren Generation zu helfen.
Selbst wenn man Preissteigerungen in Rechnung setzt, ist aus einer 100-Mark-Rente inzwischen eine 160-DM-Rente geworden.
Seit dem 1. Januar 1992 haben 150 000 Witwen zum erstenmal überhaupt eine Witwenrente bekommen. Sie haben vorher nichts bekommen. Ist das keine Verbesserung? Darf heute nicht auch einmal darüber geredet werden, was wir in den zurückliegenden drei Jahren alles für die Rentner getan haben?
780 000 Witwen haben eine durchschnittliche Rentenerhöhung von 270 DM bekommen. Herr Ullmann, bei aller Kritik — und wir können uns ja im Detail streiten — wäre es gut, wenn das einmal in ganz Deutschland anerkannt würde.
Sind Sie bereit, Herr Minister, eine Frage des Kollegen Ullmann zu beantworten?
Bitte schön, Herr Ullmann.
Herr Bundesminister, stimmen wir auch darin überein — Ihrer letzten Frage stimme ich zu —, daß die
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Dr. Wolfgang UllmannRenten, von denen Sie jetzt soeben richtige Zahlen genannt haben, zur Erhöhung der Lebenshaltungskosten ins Verhältnis gesetzt werden müssen?
Herr Ullmann, ich habe das sehr wohl in Rechnung gestellt. Ich habe also nicht nur die nominalen Rentensteigerungen hier als Erfolg vorgeführt, sondern unter Abzug der Preissteigerung ist der Wert von 100 Mark Rente Ost auf 160 DM gestiegen. Das halte ich auch unter dem Gesichtspunkt der realen Einkommensverbesserung für einen Fortschritt.Aber ich bin noch gar nicht fertig. 200 000 Männer haben jetzt mit 60 Jahren einen Zugang zur Rente. Dank unserer Rentengesetzgebung konnten sie fünf Jahre früher in Rente gehen. 150 000 haben eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten, die sie nach dem alten DDR-Rentenrecht überhaupt nicht erhalten konnten. Der Kollege Kauder hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß der wichtigste Fortschritt darin besteht, daß die Rente jetzt nicht mehr von der Laune, von der Willkür irgendwelcher Parteimächtiger der SED abhängt, sondern sie ist verläßlich, lohngebunden, dynamisch, regelmäßig. Es besteht größte Sicherheit, daß die ältere Generation am Fortschritt des Lebensstandards teilnimmt.
Es ist zu Recht gesagt worden, daß es Probleme gibt. Sonst hätten wir auch keine Notwendigkeit für dieses Gesetz gesehen. Da ist z. B. — Frau Mascher hat schon davon gesprochen — der ungeheure Andrang von Rentenanträgen. Es sind 600 000 Rentenanträge — ein Jahr zuvor waren es nur 240 000 — und 300 000 Anträge zum Zusatzversorgungssystem. Richtig ist, daß wir aufholen müssen.So wie meine Vorrednerin will auch ich von diesem Pult aus der Rentenversicherung und ihren Mitarbeitern ausdrücklich Dank sagen für das, was sie leisten, um die Anträge zu bearbeiten. Und ich möchte gerade bei den Mitbürgerinnen und Mitbürgern in den neuen Bundesländern auch noch einmal dafür werben, daß sie sich eine vorläufige Rente auszahlen lassen, die in der Nähe der zu erwartenden liegt. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß sie irgend etwas zurückzahlen müssen.Um diesen Rentenstau abzubauen, wollen wir jetzt auch zu verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen schreiten und Beweislasterleichterungen schaffen. Ich denke, daß wir auf diesem Wege aufholen können. Wir sollten diesen Prozeß jedenfalls gemeinsam unterstützen.Jetzt noch einmal zu den einzelnen Maßnahmen: Der Höchstbetrag für die Intelligenzrente lag bei 2 010 Mark. Jetzt liegt er bei 2 700 DM. Ich will doch darauf hinweisen, daß im Westen die höchste Rente bei 3 200 DM liegt. Insofern gibt es schon einen Ansatz für diese Begrenzung; denn es dürfen ja, wenn Rentengleichheit entstanden ist, in den neuen Bundesländern keine Renten entstehen, die über den Rentenliegen, die im Westen gezahlt werden. Gleichheit hat zwei Seiten, nach Westen wie nach Osten.
Ich will auf folgendes hinweisen: Die Zahl derjenigen, die von diesen Begrenzungen betroffen wurden, betrug in diesem Falle bisher 3 000. Durch diese Maßnahme werden wir jetzt 2 000 aus der Begrenzung herausbringen. Auch für die übrigen bedeutet das nicht eine starre Grenze für ewige Zeiten, sondern wenn die dynamische Rente über diese Schwelle kommt, wird sie weiter erhöht.Sie haben völlig recht, wir sollten vielleicht weniger miteinander streiten und mehr gemeinsam aufklären, was in diesem Rentenrecht enthalten ist. Ich fürchte, solche Debatten tragen eher zur Verwirrung als zur Vertrauensbildung in der Rentenversicherung bei.Was die Veränderungen der Begrenzungen bei der Einkommensberücksichtigung anlangt: In der Tat korrigieren wir jene harte, schroffe Abgrenzung, die darin lag, daß der, der über dem 1,4fachen des Durchschnittsverdienstes lag, auf den Durchschnittsverdienst „heruntersauste". Wir bemühen uns — das ist ja das Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengungen —, einen gleitenderen Übergang zu finden und damit Belastungen gerade auch im mittleren Bereich zu beseitigen. Allerdings bleibt es dabei, daß wir den Spitzenfunktionären keine 40 %ige Rentenerhöhung verschaffen wollen.
Die Veränderungen betreffen auch die Überführung der Mitarbeiter der Parteien in unser Rentenrecht. Sie haben einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Übrigens steht das auch in Übereinstimmung mit unserem Einigungsvertrag.Über den Sonderfall Carl Zeiss ist berichtet worden. Auch dem wird Rechnung getragen.Vielleicht noch eines: Meine verehrte Frau Kollegin Fuchs ist schon lange nicht mehr im Arbeitsministerium gewesen, sonst hätte sie gewußt, daß es für berufsständische Versorgungswerke keine Bundeskompetenz gibt und daß sich ihre Klage deshalb an die Bundesratsmehrheit richten muß, die bekanntlich leider Gottes noch nicht von der Koalition gestellt wird.
— Das ist ja auch außerhalb meines Konsensbeitrages und war nur eine kleine rentenpolitische Nachhilfe zur Ergänzung früherer Kenntnisse meiner verehrten Kollegin.Jetzt wieder zurück zur Sache. Was ich noch einmal grundsätzlich sagen wollte: Meine Damen und Herren, absolute Gerechtigkeit gibt es auf der Welt sowieso nicht, aber in dieser Frage ist Gerechtigkeit besonders schwer herstellbar. Ich will das ausdrücklich bekennen. Zwei ganz unterschiedliche Rentensysteme ganz unterschiedlicher „Bauart" zu vereinheitlichen, und zwar während laufender Fahrt, nicht im
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Bundesminister Dr. Norbert BlümModellversuch, das ist ein Unternehmen, das immer mit dem Gefühl von Unbefriedigtsein verbunden ist. Wir mußten pauschalieren — das geht gar nicht anders —, wir mußten typisieren, und in jeder Pauschalierung und in jeder Typisierung liegt ein Moment der Ungerechtigkeit.Dennoch sollten wir das Licht unserer gemeinsamen Anstrengungen nicht unter den Scheffel stellen. Es gibt jetzt mehr Gerechtigkeit. Ich glaube, das Parlament kann zu Recht sagen, daß wir mit diesem Gesetz wie mit unserer gesamten Rentengesetzgebung gegenüber der älteren Generation in der Pflicht stehen und daß wir gegenüber den Rentnern in den neuen Bundesländern zu einer ganz besonderen Anstrengung verpflichtet sind, weil sie in ihrem Leben viel erlitten haben. Deshalb ist auch dieses Gesetz ein weiterer Beitrag, Rentengerechtigkeit in Deutschland durchzusetzen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/4810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18a und b sowie Zusatzpunkt 4 auf:
18. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide Mattischeck, Robert Antretter, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung des Fahrradverkehrs
— Drucksache 12/2493 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carl Ewen, Robert Antretter, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung des Fahrradtourismus
— Drucksache 12/3035 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Sportausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen , Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Jobst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Höhere Attraktivität des Fahrradverkehrs — Drucksache 12/4816 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Kolleginnen und Kollegen Mattischeck, Lohmann, Friedrich, Enkelmann, Jung und Börnsen haben dazu ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben.*) Dies muß das Haus genehmigen. Sind Sie damit einverstanden? —
Das ist der Fall.
Dann haben wir noch die Überweisung zu beschließen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 12/2493, 12/3035 und 12/4816 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? — Dies ist off en-sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Mai 1993, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.