Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Themen der heutigen Kabinettssitzung sind den Fraktionen mitgeteilt worden. Wie Sie wissen, können im Anschluß an die vorgegebenen Themen Fragen zu anderen Bereichen gestellt werden. — Ich weiß nicht, ob die Präsenz auch mit den Themen der Bundesregierung im Zusammenhang steht.
Ich bitte Herrn Minister Seehofer, den Bericht zu geben.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute mit einem sehr wichtigen Thema beschäftigt, nämlich Gesetzentwürfe zur Ratifizierung und Umsetzung des Suchtstoffübereinkommens der Vereinten Nationen beschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen im Januar 1989 unterzeichnet. Die meisten Gegenstände dieses Übereinkommens sind in der Bundesrepublik Deutschland bereits umgesetzt, z. B. Aufklärung, Prävention und Rehabilitation im Zusammenhang mit Drogenkranken.
Das Umsetzungsgesetz, das heute im Entwurf beschlossen wurde, hat zum Ziel, den Zustrom illegaler Drogen durch Verbesserungen des rechtlichen Instrumentariums der Strafverfolgungsbehörden einzudämmen. Deshalb sind eine ganze Reihe von Maßnahmen gegen organisierte Formen des weltweiten illegalen Drogenverkehrs vorgesehen.
Ich nenne die drei wichtigsten Maßnahmen: Die erste Maßnahme ist die Schaffung einer Reihe neuer Straftatbestände, beispielsweise bei der Geldwäsche aus illegalem Betäubungsmittelverkehr, bei der Abzweigung von Chemikalien für die unerlaubte Betäubungsmittelherstellung und bei öffentlicher Aufforderung zum Betäubungsmittelmißbrauch.
Der zweite Komplex des Umsetzungsgesetzes beinhaltet erweiterte Regelungen über internationale Rechtshilfe, um Erlöse aus Drogengeschäften auch grenzüberschreitend abschöpfen zu können.
Der dritte wesentliche Bestandteil dieses Gesetzentwurfs ist eine Erleichterung bei der Aufbringung von Schiffen, die Drogen schmuggeln.
Das Suchtstoffübereinkommen ist Ende 1991 bereits von 103 Staaten unterzeichnet und zwischenzeitlich von 57 Staaten ratifiziert worden.
Mit dem Inkrafttreten der beiden neuen Gesetze wird ein neues, schlagkräftiges Instrumentarium zur Verfügung stehen, um insbesondere der internationalen Drogenkriminalität begegnen zu können. Im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt es bei der Drogenpolitik der Bundesregierung, wonach Aufklärung, Prävention, Rehabilitation und insbesondere auch der Grundsatz „Therapie vor Strafe" verwirklicht werden sollen.
Danke schön, Herr Minister.
Als erster hat Herr Dr. Knaape eine Frage dazu.
Herr Minister, wenn ich Sie recht verstanden habe, bezieht sich dieses neue Gesetz nur auf die Betäubungsmittel bzw. auf die Stoffe, die Sucht erzeugen, so daß in die Arzneimittelgesetzgebung, in das Arzneimittelgesetz, das wir haben, nicht eingegriffen wird. Mich interessiert insbesondere, ob auch die psychotropen Substanzen, die psychotropen Medikamente durch dieses Gesetz in irgendeiner Weise tangiert werden.
Sie werden tangiert, psychotrope Stoffe sind mit einbezogen.
Zusatzfrage?
Ist daraus zu entnehmen, daß eine weitere Einschränkung erfolgen wird, insbesondere dort, wo psychotrope Stoffe, psychotrope Substanzen zur Behebung von Befindlichkeitsstörungen, aber auch von Leistungsstörungen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, angewandt werden können? Kann man davon ausgehen, daß dies in Zukunft ausgeschlossen sein wird? Ich frage Sie weiter, ob auch ein Eingriff erfolgen wird, daß diese Substanzen dann bei Leistungsstimulierung, um sportliche Leistungen zu aktivieren, nicht eingesetzt werden können.
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8110 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Herr Kollege, es geht nicht um den Einsatz von Arzneimitteln bei medizinischen Indikationen. Es geht um den unerlaubten Einsatz solcher Mittel und insbesondere um die Tatbestände, wo mit dem Einsatz solcher Mittel kriminelle Geschäfte gemacht werden. Das ist der Hauptgegenstand dieses Übereinkommens und auch der nationalen Umsetzung, die wir heute im Kabinett beschlossen haben.
Danke schön. — Herr Singer.
Herr Bundesminister, in Ihrem Auftrag beteiligt sich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung am deutsch-französischen Forum für Suchtprävention von gestern bis zum nächsten Freitag. Mich würde interessieren, wie der Beitrag der Bundesrepublik und Ihres Hauses und der Ihnen nachgeordneten Behörden gerade in der Frage der Suchtprävention ist, wie Sie in der Suchtprävention inzwischen den Forschungsbedarf analysiert haben und wie der Forschungsbedarf dann umgesetzt werden soll.
Herr Kollege, ich sagte Ihnen, daß es bei der Linie der Bundesregierung bleibt, daß Prävention, Aufklärung, Forschung, Rehabilitation und auch der Grundsatz „Therapie vor Strafe" oberste Ziele sind und bleiben. Ich bemühe mich gerade in diesen Tagen mit großem Nachdruck darum, daß die Mittel für diese Zwecke, die dem Bund und meinem Hause zur Verfügung stehen, dafür auch ab dem Jahre 1993 so ansprechend ausgestattet werden, daß wir diese politischen Ziele auch inhaltlich mit Leben erfüllen können. Es sieht so aus, daß wir trotz der sehr sparsamen Haushaltsführung des Bundesfinanzministers dieses Ziel erreichen werden, nämlich eine ordentliche finanzielle Ausstattung, um die Aufklärung, die Modellprogramme und die Forschung weiter betreiben zu können.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, damit ist meine Frage nicht beantwortet. Im nationalen Drogenbekämpfungsplan ist vor zwei Jahren von der Bundesregierung erklärt worden, es solle bis Mitte 1992 der Forschungsbedarf analysiert und anschließend ein Forschungsprogramm aufgestellt werden. Meine Frage ging dahin: Hat die Analyse des Forschungsbedarfs zur Sucht und Suchtprävention abgeschlossen werden können, und wann können wir damit rechnen, daß uns die Bundesregierung sagt, wann nun mit der Forschung massiv begonnen wird? Denn Sie sind sich sicherlich mit mir einig, daß ohne vernünftige Forschung keine geeignete Suchtprävention möglich ist.
Herr Minister.
Herr Kollege, Sie sagten ja selbst: „Mitte des Jahres" . Das haben wir noch nicht ganz erreicht. Nachdem Sie auch wissen, daß wir Wort halten, werde ich Ihnen das Ergebnis unserer Überlegungen mitteilen.
Frau Steen.
Herr Minister, ich habe in einer anderen Richtung eine Frage: Sind Ihnen die Gefahren bekannt, die von sogenannten Tätowierungsplättchen ausgehen, d. h. von mit LSD getränkten Bildchen, die man auf die Haut kleben kann, die dann durch den Hautkontakt ihre Wirkung entfalten und die ganz besonders an Kinder und Jugendliche abgegeben werden mit dem Ziel sicherlich, diese Kinder und Jugendlichen abhängig zu machen? Sind Ihrem Ministerium solche Vorkommnisse auch aus der Bundesrepublik bekannt, und, wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um dagegen einzuschreiten?
Herr Minister.
Ich bin sicher, daß diese meinem Hause bekannt sind. Sie wissen, daß ich seit vier Wochen im Amt bin. Ich höre das jetzt zum erstenmal aus Ihrem Munde und werde der Sache nachgehen. Auch Sie werden von mir hören, wie die Situation von mir beurteilt wird.
Im Zusammenhang mit den Spritzen — das ist ja ein vergleichbares Thema — weiß ich, daß wir die rechtliche Situation immer so geregelt haben, daß die Zurverfügungstellung einer Einmalspritze nicht als Beihilfe zum Drogenbesitz eingestuft wird und damit strafrechtlich nicht relevant ist.
Wenn Sie erlauben, möchte ich noch eine zweite Frage anschließen.
Bitte schön.
Es handelt sich nicht nur um diese eben von mir beschriebene Form von sogenannten Tätowierungsplättchen, die aus Amerika kommen, sondern man findet inzwischen diese drogenabhängigmachenden Dinge auch schon in Brausepulvern und in den Smarties nachgebildeten Formen. Ich bitte Sie, Ihr Augenmerk auch darauf zu richten und bei Herstellern dieser Form von Brausepulver — oder was immer das ist — diesbezüglich nachzufragen.
Herr Minister.
Ein Bestandteil — ich weiß nicht, ob wir uns da jetzt ganz genau treffen — des Gesetzentwurfs, den wir heute beschlossen haben, ist, daß bestimmte Chemikalien, die die EG-Verordnung beinhaltet, künftig verboten sind, und zwar die, die zur Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden können. Das ist Gegenstand dieses Gesetzentwurfs.
Im übrigen nehme ich noch einmal das auf, was Sie gerade wiederholt haben. Ich denke, daß solche Regierungsbefragungen auch dazu dienen sollten, daß der Horizont der Regierung gelegentlich fachlich erweitert wird.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Thema der Kabinettsitzung? — Das ist nicht der Fall. Ich danke Ihnen, Herr Minister Seehofer.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8111
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthGibt es denn zu dem zweiten Komplex freie Fragesteller? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Regierungsbefragung.Ich unterbreche die Sitzung. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung wieder.
Ich möchte, weil das mit unseren Parlamentarischen Geschäftsführern so vereinbart ist, vor Eintritt in die Fragestunde den Ablauf der morgigen Sitzung kurz mitteilen, insbesondere was die Debattenstruktur und das Abstimmungsverfahren betrifft.
Morgen werden ganztägig die Gesetzentwürfe beraten, die dem Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" überwiesen wurden. Der Sonderausschuß hat vorgeschlagen, der zweiten Beratung alle Entwürfe zugrunde zu legen, und zwar teilweise in der ursprünglichen Fassung, teilweise in einer vom Ausschuß geänderten Fassung.
Zur Gestaltung der Debatte und zum Abstimmungsverfahren ist folgendes vereinbart worden: Die zweite Beratung beginnt um 9 Uhr. In einem ersten vierstündigen Abschnitt wird die Redezeit nach dem Fraktionsschlüssel verteilt. Ein zweiter zweistündiger Abschnitt ist für Zehnminutenbeiträge vorgesehen. Der dritte Abschnitt der Debatte steht für Fünfminutenbeiträge zur Verfügung.
Voraussichtlich — ich sage: voraussichtlich — ab 21 Uhr folgen die namentlichen Abstimmungen über die Gesetzentwürfe. Wer seinen Debattenbeitrag bis dahin noch nicht hat bringen können, hat die Möglichkeit, ihn schriftlich zu Protokoll zu geben.
Bei der Abstimmung ist folgende Reihenfolge vorgesehen: erstens: Entwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zweitens: Entwurf der Gruppe PDS/Linke Liste, drittens: Entwurf der Abgeordneten Herbert Werner und andere, viertens: Entwurf von Mitgliedern der Fraktion der CDU/CSU, fünftens: Gruppenantrag, Entwurf der Abgeordneten Inge Wettig-Danielmeier, Uta Würfel und andere. Dies wäre die Reihenfolge.
Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Das ist der Fall, wenn mehr Jastimmen als Neinstimmen abgegeben werden. Stimmenthaltungen werden hierbei nicht berücksichtigt. Auf eine absolute Mehrheit von Jastimmen kommt es hier also nicht an. Entscheidend ist nur, daß die Jastimmen die Neinstimmen überwiegen.
Das bedeutet: Sobald einer der konkurrierenden Gesetzentwürfe die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, ist er in zweiter Beratung angenommen. Über weitere Entwürfe wäre dann nicht mehr abzustimmen.
Der in zweiter Beratung angenommene Gesetzentwurf ist Grundlage der dritten Beratung. Zur dritten Beratung ist keine Aussprache vorgesehen. Die Schlußabstimmung soll ebenfalls namentlich erfolgen.
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung sollen am Ende der dritten Beratung abgegeben werden. Soweit sie nicht schriftlich erfolgen, soll das Wort hierzu erst nach der Abstimmung erteilt werden.
Ob Sie mit dem vereinbarten Verfahren einverstanden sind, frage ich morgen früh. Heute geht es nur um die Mitteilung.
Ich muß eines klarstellen: Es werden bei der Beratung nicht alle Entwürfe zugrunde gelegt. An der Zahl der abzustimmenden Entwürfe haben Sie eben gemerkt, daß von den sieben Entwürfen fünf ins Plenum gebracht werden, nachdem der SPD-Gesetzentwurf und der F.D.P.-Gesetzentwurf offenbar nicht mehr zur namentlichen Abstimmung stehen. Das wollte ich korrigierend hinzufügen.
Ich eröffne die Fragestunde und gebe an Sie, Herr Vizepräsident, weiter.
Vizepräsident Hans Klein: Ich rufe auf: Fragestunde
— Drucksache 12/2863 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen ist Staatsminister Bernd Schmidbauer erschienen.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Lowack auf:
Treffen Pressemitteilungen zu, wonach der Bundeskanzler 300 Journalisten zu einer Zugfahrt mit Weinprobe und „Schmausen nach Großmutters Art" nach St. Martin in der Pfalz einlädt, und wer trägt die Kosten dieses Unternehmens?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Lowack, wie bereits vor einem Jahr hatte der Bundeskanzler zu einem Pressetreff in die Pfalz eingeladen. An dieser Fahrt nahmen rund 150 Journalisten teil. Finanziert wurde die Fahrt aus Etatmitteln für Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskanzleramtes sowie des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, die auch für solche Zwecke vorgesehen sind.
Zusatzfrage.
Herr Kollege, welches Beispiel wollte der Bundeskanzler mit diesem Eß- und Trinkfest — vielleicht darf ich es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auf gut deutsch ausdrücken: mit diesem Freß- und Sauffest — anläßlich leerer öffentlicher Kassen und großer Probleme in Deutschland geben?Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur feststellen, daß Sie — für Sie vielleicht bedauerlicherweise — an diesem Treffen nicht teilgenommen haben; sonst wären Sie nicht zu solchen Überlegungen gekommen. Ich kann Ihnen aber bestätigen, daß dies ein gelungenes Treffen mit der nationalen und internationalen Presse war und diese Veranstaltung deshalb auch im Interesse der Bundesregierung und des Bundeskanzlers durchgeführt wurde.
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8112 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Staatsminister Bernd SchmidbauerIch schließe nicht aus — nach dem allgemeinen Motto: „Man glaubt nicht, was der Mensch verträgt, wenn es nichts kostet" —, daß da auch zugelangt wurde und daß die Pfälzer Atmosphäre mit dazu beigetragen hat, daß es zu einem regen Gedankenaustausch zwischen der Presse und dem Bundeskanzler gekommen ist.
Weitere Zusatzfrage.
Darf ich im Anschluß an das, was Sie gesagt haben, weiter fragen: Trifft auch der letzte Satz eines Artikels aus der „Bild"Zeitung von gestern zu, in dem es heißt:
Zurück beim Wein blieb der Kanzler. Über seinem vollen Bauch lächelte ein fröhlich Haupt.?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Sie wissen, daß der Herr Bundeskanzler ständig gut gelaunt ist,
trotz der Schwere seines Amtes und solcher Fragen, die Sie uns stellen. Ich will durchaus bestätigen, daß auch der Bundeskanzler den Eindruck hatte, daß das Treffen mit den nationalen und internationalen Pressevertretern ein gelungener Abend war.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, könnte es denn sein, daß diese gute Atmosphäre beim Bundeskanzler auch auf die Journalisten übergegriffen hat und als erfreuliche Nebenwirkung zu vermelden wäre, daß Journalisten auf diese Art und Weise in ihrer kritischen Haltung gegenüber Parteien und Politikern ein wenig beruhigt werden, damit sie das nächste Mal wieder eingeladen werden?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte Ihrer Argumentation nicht folgen. Auf Grund bekannter Ergebnisse der Presse, insbesondere solcher, die gegen die Bundesregierung gerichtet sind, schließe ich aus, daß sich Pressevertreter durch ein Essen „nach Großmutters Art" in der Zukunft entsprechend verhalten werden.
Nächste Zusatzfrage, Kollege Norbert Gansel.
Könnte die Bundesregierung im Interesse einer ausgewogenen Berichterstattung erwägen, die 300 Journalisten das nächste Mal zu einem Essen unter dem Titel „Schmausen nach Art der Brüder und Schwestern " zu Schmalzbroten nach Bitterfeld einzuladen?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich kann mir vieles vorstellen. Aber vielleicht wäre es auch nützlich, dazu einen Vertreter der SPD-Fraktion einzuladen, damit Sie sich ein besseres Bild von einer solchen Veranstaltung machen können.
— Ich bin sicher, daß Sie sich für diesen Abend freinähmen.
Herr Kollege Wallow, Sie haben das Wort zur nächsten Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, was halten Sie von der von vielen amerikanischen Medien geübten Praxis, beispielsweise der „Herald Tribune" oder der „Washington Post", sich von der Regierung oder von Politikern nicht zum Essen einladen zu lassen, um die nötige Distanz zu wahren und um über solch ein Essen eben nicht willfährig gestimmt zu werden?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich sehe hier bei uns keine Probleme. Ich sagte schon, daß so etwas bereits vor einem Jahr stattgefunden hat, und ich gehe nicht davon aus, daß sich die Pressevertreter in dem von Ihnen genannten Sinne verhalten. Ich sagte vielmehr: Es war eine gute Atmosphäre, und es fand ein reger Gedankenaustausch mit dem Bundeskanzler statt. Ich denke, das sollte bei solchen Einladungen auch in Zukunft im Vordergrund stehen.
Frau Kollegin Wolf, Sie haben die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Frage. Sie haben einen so charmanten Titel gewählt: „nach Großmutters Art" . Mich würde einfach nur interessieren: Wie viele Frauen, wie viele Journalistinnen haben denn daran teilgenommen?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Das kann ich nicht sagen. Aber da ich selber dabei war, kann ich sagen: Es war durchaus ein geordnetes Mit- und Nebeneinander zwischen Männchen und Weibchen festzustellen. Aber was die genaue Zahl angeht, so müßte ich einige Recherchen anstellen.
Aber ich glaube, Sie wollten nur wissen, ob Frauen auch entsprechend repräsentiert waren, und das kann ich Ihnen durchaus bestätigen.
Es handelt sich zwar um lauter erfahrene Teilnehmer an Fragestunden, aber, Herr Kollege Gansel, in Fragestunden wird im Regelfall nicht per Zuruf gefragt.
Ich sehe keine weiteren Fragebegehren. — Vielen Dank, Herr Staatsminister.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Gottfried Haschke erschienen.
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Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8113
Vizepräsident Hans KleinIch rufe Frage 1 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf:Beabsichtigt die Bundesregierung die Förderung der von Bauern selbst initiierten und finanzierten Verarbeitungsstätten nachwachsender Rohstoffe, nachdem es die EG zuläßt, daß auf stillgelegten Flächen nachwachsende Rohstoffe angebaut werden können?Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Einzelheiten über den zukünftig möglichen Anbau nachwachsender Rohstoffpflanzen auf stillgelegten Flächen mit der gleichen Prämie wie bei der Stillegung sind noch nicht geklärt. Es ist zur Zeit insbesondere noch nicht bekannt, welche nachwachsenden Rohstoffpflanzen angebaut werden dürfen.
Auch nach Wirksamwerden der EG-Regelung für den Anbau nachwachsender Rohstoffpflanzen wird sich die Förderpolitik der Bundesregierung auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe nicht verändern. Wie bisher werden Verarbeitungsstätten für nachwachsende Rohstoffe im Rahmen von Modellvorhaben auf Grund einer Einzelfallprüfung gefördert. Ergibt diese, daß das Vorhaben sinnvoll ist und den Förderbedingungen entspricht, kann eine Förderung erfolgen.
Darüber hinaus können nach Umsetzung der 22. Durchführungsverordnung zum Marktstrukturgesetz durch die Landesregierungen Erzeugergemeinschaften für pflanzliche Erzeugnisse zur technischen Verwendung oder Energiegewinnung anerkannt und gefördert werden. Damit ist auch eine Förderung von Investitionen zur Verarbeitung dieser Erzeugnisse mit Beihilfen von bis zu 25 % möglich.
Weiterhin werden nach wie vor im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nach den Grundsätzen für die Förderung im Bereich der Marktstrukturverbesserung Investitionen für die Erfassung und Lagerung von Lein sowie für Einrichtungen zur Herstellung, Lagerung und Vermarktung von Leinfasern und Nebenprodukten gefördert.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, welchen Sinn macht es, daß die EG es zuläßt, daß auf stillgelegten Flächen nachwachsende Rohstoffe angebaut werden, wenn die nötigen Verarbeitungskapazitäten nicht zur Verfügung stehen?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Die nötigen Verarbeitungskapazitäten müssen geschaffen werden. Aber wir alle wissen ja, daß es eines entsprechenden Vorlaufs in der Forschung und in der entsprechenden Anwendung bedarf. Hier gibt es noch einiges zu tun. Aber wir bemerken verstärkte Anstrengungen und Aktivitäten für die Forschung und auch für die Anwendung nachwachsender Rohstoffe. Vertreter der damit befaßten Ministerien kommen oft zusammen; die Staatssekretäre haben in der letzten Zeit große Aktivitäten entwickelt. Aber es ist ein Gesamtproblem. Zuerst müssen Anwendungsmöglichkeiten vorhanden sein, bevor man produziert. Vieles auf diesem Gebiet ist schon erforscht. Bis jetzt ist das, was in der Erprobung ist, jedoch noch nicht durchschlagend, weil es zu teuer ist.
Weitere Zusatzfrage.
Sie sagen also, wir haben auf diesem Gebiet noch manchen Forschungsbedarf, und wir haben auch noch nicht die Verarbeitungskapazitäten. Aber gleichzeitig empfehlen Sie den Landwirten, auf den stillgelegten Flächen Rohstoffe anzubauen. Das ergibt doch keinerlei Sinn.
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich habe gesagt, erst muß geklärt werden, welche Rohstoffe einbezogen werden sollen, welche Pflanzen Verwendung finden können. Es ist zu erkennen, daß es vor allen Dingen für die Verbrennung, für die Energiegewinnung große Aktivitäten gibt. Wahrscheinlich werden die ersten Pflanzen, die dafür in Frage kommen, die sein, die große Energiemassen liefern. Aber es muß noch auf EG-Ebene festgelegt werden, welche Pflanzen in Frage kommen. Es ist auch durchaus möglich, eine begrenzte Menge an den bekannten Orten in den bestehenden Anlagen zu verarbeiten. Aber der Absatz muß gesichert sein. Es darf nicht sein, daß Getreide oder Zuckerrüben angebaut werden und dann wieder in den Ernährungssektor fließen. Das muß ausgeschlossen bleiben. Es müssen entsprechende Verträge vorhanden sein.
Herr Kollege Haschke, Sie waren jetzt zwar sehr schnell mit Ihrer Antwort, aber der Kollege Kubatschka hatte gar keine Frage gestellt. Er hat lediglich eine Bemerkung gemacht. Ich darf an unsere Regeln erinnern.
— Entschuldigung, er hat keine Frage gestellt.
Wenn er sich ein Fragezeichen dazudenkt, ist das seine Sache. Ich bitte die Kollegen, wenn Sie eine Bemerkung machen, diese in Frageform zu kleiden.
Herr Kollege Gansel, bitte.
Wenn schon stillgelegte Flächen für nachwachsende Rohstoffe genutzt werden können, diese auch verarbeitet werden sollen, also doch wieder eine landwirtschaftliche Nutzung erfolgt, wäre dann die Bundesregierung bereit, bei der Europäischen Gemeinschaft, bei der Kommission dahin gehend vorstellig zu werden, daß in den Gebieten, vor allen Dingen im Norden, die zur Zeit von großer Trockenheit heimgesucht werden, die Bauern, die kein Futter für ihr Vieh mehr haben, die Möglichkeit erhalten, das auf den stillgelegten Flächen wachsende Gras zu mähen und an ihre Tiere zu verfüttern?
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8114 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage ist berechtigt. Ich kann Ihnen sagen, ich bin derselben Meinung. Wir haben das im Ministerium schon veranlaßt und glauben, in den nächsten Stunden Bescheid zu erhalten, daß dem auf Grund der besonderen Bedingungen im Norden unseres Vaterlandes stattgegeben werden kann.
— Jawohl, wir machen sofort Mitteilung. Vizepräsident Hans Klein: Bitte keinen Dialog. Herr Kollege Sperling, bitte.
Ich würde um der Klarheit der Lage willen gern wissen: Ist daran gedacht, sowohl für die Stillegung der Flächen als auch für ihre anschließende Nutzung eine Subvention zu zahlen, so daß für beides gezahlt wird: für die Stillegung und die Nutzung der stillgelegten Flächen?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Ich hatte Ihnen schon gesagt: Über die Höhe der Prämie ist noch nicht entschieden.
Vielen Dank. Werden weitere Zusatzfragen zu dieser Frage gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Lisa Peters auf:
Inwieweit scheitern Investitionen, die in den neuen Bundesländern getätigt werden, an den Baugenehmigungsbehörden, und wie kann hier seitens der Bundesregierung Abhilfe geschaffen werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Peters, wie von seiten der neuen Länder berichtet wird, werden Baugenehmigungsverfahren in der großen Mehrzahl der Investitionsvorhaben zügig abgewickelt. Soweit Verzögerungen bei der Erteilung von Baugenehmigungen auftreten, beruhen diese nicht auf dem Vorschriftenwerk des materiellen Baurechts, sondern auf der mangelhaften personellen Ausstattung der unteren Bauaufsichtsbehörden.
Die im Einzelfall patenschaftlich verbundenen westlichen Länder, Landkreise und Städte bemühen sich nach Kräften um eine Überbrückung dieser von den Ländern zu bewältigenden Schwierigkeiten. Lassen Sie mich aber hinzufügen: Die administrativen Schwierigkeiten bei der Realisierung von Investitionsvorhaben in den neuen Ländern liegen nicht in erster Linie bei den Baugenehmigungs-, sondern bei anderen Behörden, z. B. Grundbuch- und Vermögensämtern.
Die Bundesregierung ist im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Möglichkeiten mit Nachdruck bemüht, zum Abbau dieser Schwierigkeiten beizutragen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Peters.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß alles das, was noch geleistet werden muß, bei den Gemeinden, Städten und vielleicht bei den Ländern liegt?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: So würde ich es nicht sagen. Ich habe vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, daß, soweit die gegenwärtigen Schwierigkeiten darauf beruhen, daß wir Probleme bei den Vermögensämtern haben, die Bundesregierung gemeinsam mit den Ministerpräsidenten bestimmte Maßnahmen ins Auge gefaßt hat. Sie kennen vielleicht den Neun-Punkte-Katalog. In diesem Rahmen bemühen wir uns, zu helfen und zu einer besseren personellen Ausstattung und besseren juristischen Begleitung und Hilfe bei diesen Vermögensämtern beizutragen, damit diese administrativen Hindernisse für Bauinvestitionen möglichst schnell beiseite geräumt werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie einen ungefähren Zeitrahmen nennen?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Wir gehen davon aus, daß alle neuen Bundesländer die ins Auge gefaßte Verdoppelung der personellen Ausstattung der Vermögensämter jetzt in Angriff nehmen. Darüber hinaus haben wir bereits zum 1. Juli vorgesehen, daß eine große Zahl von Rechtsanwälten aus dem Westen diesen Vermögensämtern zugeordnet werden. Ins Auge gefaßt ist, daß in jedem der 219 Vermögensämter, die es in den neuen Bundesländern gibt, ein bis zwei Anwälte aus dem Westen tätig werden.
Nächste Zusatzfrage, Kollege Josef Grünbeck.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, die Baugenehmigungen erfolgten zügig. Ist Ihnen bekannt, daß die Bearbeitung der Baugenehmigungen teilweise bis zu neun und zwölf Monate in Anspruch nimmt, auch wenn die Grundbuchvoraussetzungen schon geklärt sind?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Grünbeck, ich habe mich darauf berufen, was uns die Länder erklärt haben, und gesagt: überwiegend zügig. Aber es gibt auch Probleme in der personellen Ausstattung der unteren Bauaufsichtsbehörden. Genau dieses habe ich in meiner Antwort soeben erwähnt. Hier sind Probleme regional differenziert durchaus vorhanden.
Nächste Zusatzfrage, Dr. Sperling.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8115
Herr Staatssekretär, geht denn die Bundesregierung den Ländern bei der Aufstockung des Personals mit gutem Beispiel voran, z. B. bei der Bundesvermögensverwaltung, so daß wenigstens die von der Bundesregierung schon übernommenen Gebäude winterfest gemacht werden können und nicht weiterer Verfall einsetzt oder sich fortsetzt? Denn die Bundesvermögensverwaltung scheint, wenn ich richtig informiert bin, nicht in der Lage zu sein — schon wegen der personellen Kapazität —, übernommene Gebäudesubstanz zu erhalten.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, ich will nach Rücksprache mit dem dafür zuständigen Finanzminister die Frage nach der personellen Situation der Bundesvermögensverwaltung gerne beantworten. Das hat aber, glaube ich, keinen direkten Zusammenhang mit den Problemen der Vermögensämter in den neuen Bundesländern.
Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatssekretär, kann es nicht auch sein, daß wir inzwischen so viele Vorschriften haben, die zu beachten sind, daß aus diesem Grund die Erteilungen der Baugenehmigungen so lange dauern?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß die Probleme im materiellen Recht liegen. Das habe ich schon vorhin der Kollegin Frau Peters gesagt. Anderenfalls müßte das von den betroffenen Ländern an den Bund herangetragen werden. Bisher kennen wir keine solchen Beanstandungen. Im Gegenteil: Wir bemühen uns, die Sonderbestimmungen, die wir für die neuen Bundesländer geschaffen haben, durch Einführungserlasse, durch entsprechende Schulungen und entsprechende Aufklärung so bekanntzumachen, daß von diesen Erleichterungen unfänglich Gebrauch gemacht wird.
Danke, Herr Staatssekretär.
Für die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Claus Jäger auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß sich Gruppen der Organisierten Kriminalität bereits Einfluß auf deutsche Großunternehmen, z. B. im Werften-Bereich, verschafft haben oder zu verschaffen versuchen, und was unternimmt die Bundesregierung gegebenenfalls, um solche Bestrebungen zu unterbinden?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Jäger, die Antwort lautet wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, daß sich Gruppen der organisierten Kriminalität bereits Einfluß auf deutsche Großunternehmen verschafft haben oder konkret zu verschaffen suchen.
Allerdings weist die Bundesrepublik als attraktiver, liberaler Wirtschaftsstandort offensichtlich gute Voraussetzungen für die Scheinlegalisierung von Verbrechensgewinnen auf. Ausländische Drogenfahnder haben wiederholt die Vermutung geäußert, daß bei Kreditinstituten in der Bundesrepublik Milliardenbeträge gewaschen werden. Besorgnisse, die organisierte Kriminalität könnte sich mit den gewaschenen Geldern auch in bedeutende bundesdeutsche Wirtschaftsunternehmen einkaufen und schließlich ganze Wirtschaftsbereiche korrumpieren, sind nicht ganz von der Hand zu weisen.
Auch wird die Gefahr gesehen, daß es der organisierten Kriminalität gelingen könnte, durch den Kauf von Firmen eine eigene Infrastruktur zur Absicherung ihrer Aktivitäten aufzubauen. Entsprechende belegbare Hinweise konnten bislang jedoch nicht erlangt werden.
Unter anderem durch gesetzgeberische Maßnahmen — das OrgKG und der Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes wären zu nennen — und organisatorische Maßnahmen z. B. der Ausbau des Bundeskriminalamtes um 389 Stellen zur Bekämpfung der organisierten bzw. der Rauschgiftkriminalität — wird eine Effektivierung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität angestrebt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gesagt haben, es sei nicht ganz von der Hand zu weisen, daß solche Versuche unternommen werden könnten, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung den in zahlreichen Zeitungen veröffentlichten Äußerungen eines großen japanischen Managers nachgegangen ist, der behauptet hat, im Werftenbereich habe sich die Mafia bereits eingekauft.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das sind, wie auch viele andere Zeitungsmeldungen, Spekulationen, für die es noch keinen Beleg gibt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Kollege Lintner, welche Möglichkeit hat denn die Bundesregierung — wenn ich jetzt einmal davon ausgehe, daß das Bundeskriminalamt in der von Ihnen erwähnten Weise aufgestockt wird —, um zuverlässige Erkenntnisse darüber zu erlangen, in welcher Art und Weise diese internationale organisierte Kriminalität in Wirtschaftsunternehmen eindringen kann oder nicht?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, neben den Erkenntnissen, die aus aktuellen Kriminalfällen und den entsprechenden Strafverfahren gewonnen werden, soll ja gerade das Gewinnaufspürungsgesetz, das jetzt eingebracht worden ist, dazu führen, daß entsprechende Erkenntnisse oder Verdachtsmomente, die bei Banken anfallen, den zuständigen Sicherheitsbehörden mitgeteilt werden. Wir erwarten uns gerade von dieser Regelung doch
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8116 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnersehr viel detailliertere Erkenntnisse, als wir sie gegenwärtig haben.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, in unseren Unterlagen ist bei den Fragen 7 und 8 schriftliche Beantwortung vermerkt. Aber der Kollege Wallow konnte es doch ermöglichen, hierzusein. Deshalb bitte ich Sie um mündliche Beantwortung und rufe die Frage 7 des Abgeordneten Hans Wallow auf:
Für wie viele in den einstweiligen Ruhestand versetzte politische Beamte sind seit dein 1. November 1982 welche Gehälter gezahlt worden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die letzte auf Grund einer parlamentarischen Anfrage durchgeführte Erhebung über die Zahl der in der Bundesverwaltung in den einstweiligen Ruhestand versetzten Beamten und ihre jährlichen Gesamtversorgungsbezüge erfaßt den Zeitraum von Oktober 1982 bis Mai 1983. Fortlaufend werden derartige Zahlen nicht ermittelt. Hierzu wäre eine besondere Erhebung erforderlich, die wir in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchführen konnten. Wenn Sie es allerdings wünschen, Herr Kollege, werde ich eine entsprechende Aufstellung veranlassen.
— Sie wünschen das. Damit ist das zur Kenntnis genommen.
Wollen Sie dann zu dieser Frage noch eine Zusatzfrage stellen?
Ja. Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
Herr Staatssekretär, es handelt sich bei diesem Personenkreis in der Hauptsache um junge, dynamische Beamte männlichen Geschlechts zwischen 45 und 50, die praktisch für das Nichtstun bezahlt werden. Ist die Bundesregierung angesichts der Diskussion um Pensionsregelungen von Politikern bereit, auch diese Regelung einer Prüfung zu unterwerfen, um auch das eventuell in der Zukunft zu korrigieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zur Prüfung sind wir selbstverständlich immer bereit, aber ich darf darauf hinweisen, daß es sich nicht nur um junge, dynamische Beamte handelt, sondern auch um wenige Beamte, die jeweils in politisch sehr relevanten Positionen beschäftigt worden sind. Es ist natürlich immer das Vorrecht einer Regierung, sich möglicherweise dann von Beamten an dieser Stelle zu trennen, wenn die politische Übereinstimmung, die für die Arbeit notwendig ist, nicht mehr gegeben ist. Da unterscheidet sich die jetzige Bundesregierung in keiner Weise von früheren.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ich muß noch einmal fragen, Herr Staatssekretär: Wäre es nicht doch opportun, beispielsweise diesen Personenkreis und seine Bezahlung — ich wiederhole: für das Nichtstun, meistens noch bei großem Zusatzbroterwerb — bei der Kommission, die der Präsident berufen hat, anhängig zu machen, um dort auch diese Frage zu klären, denn ich bin sicher, daß die Diskussion demnächst auch diesen Personenkreis erreichen wird.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wallow, ich bin nicht zuständig für die Frage, was diese Kommission zu tun hat. Meines Wissens handelt es sich um eine Kommission, die das Bundestagspräsidium berufen hat. Da fehlt es dann schlicht und einfach an der Zuständigkeit, beispielsweise auch beamtenrechtliche Versorgungsfragen dort mitzuklären. Sie müßten dann schon die entsprechende Initiative seitens Ihrer Fraktion ergreifen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner.
Hat die Bundesregierung schon Möglichkeiten geprüft, diese hochqualifizierten politischen Beamten in anderen Verwaltungsaufgaben, vor allem auch im Bereich der neuen Länder, einzusetzen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Diese Spur verfolgen wir selbstverständlich ständig.
Herr Kollege Dr. Sperling.
Ist die Bundesregierung bereit, Ihre Antwort auf die zweite Frage von Herrn Wallow zu überdenken, wenn die Bundesregierung bemerkt, daß Sie einem Irrtum aufgesessen sind und die Kommission wirklich vom Bundespräsidenten und nicht vom Bundestagspräsidenten berufen wurde?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, sobald feststehen sollte, daß sich diese Kommission nach allgemeiner Meinung des Hauses oder des Bundespräsidenten samt denjenigen, die auch noch zustimmen sollen, auch mit solchen Fragen beschäftigen soll, werden wir nicht das entscheidende Hindernis sein.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage zu der Frage des Kollegen Wallow? — Das wird nicht gewünscht.Dann rufe ich die Frage 8 auf, die ebenfalls unser Kollege Hans Wallow gestellt hat:Verfügt die Bundesregierung über Informationen, wie der Experte für Organisierte Kriminalität, Holger Bernsee, vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, nach dessen Aussage dem italienischen Geheimdienst Erkenntnisse vorliegen sollen, daß die Mafia in Ostdeutschland in den letzten zwei Jahren ca. 72 Mrd. DM besonders im Immobiliensektor investiert habe, um so das durch Verbrechen erworbene Geld vor der Steuer reinwaschen zu können?Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8117
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Antwort, Herr Kollege Wallow: Der Bundesregierung liegen keine Belege für das behauptete Ausmaß von Mafia- Aktivitäten in Ostdeutschland vor; die genannten Zahlen haben daher nur einen rein spekulativen Charakter. Gleichwohl liegen nach einer Untersuchung des Bundeskriminalamtes im Bereich der neuen Bundesländer ernstzunehmende Hinweise dafür vor, daß sich dort italienische Straftäter zu etablieren versuchen.Nach Angaben des italienischen Forschungsinstitutes „Censis" haben die mafiosen Gruppierungen in Italien im Jahre 1990 über 27 Milliarden DM Umsatz erwirtschaftet. Es ist davon auszugehen, daß Teile dieser Gewinne auch in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westeuropäischen Staaten investiert wurden und werden. Dazu liegen Hinweise aus Italien vor, die aber derzeit nicht verifiziert werden können.Ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik 1991 belief sich der gemeldete Gesamtschaden im Bereich der organisierten Kriminalität auf ca. 3,5 Milliarden DM für den Bereich der Bundesrepublik.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, nach Aussagen des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in der Tagesschau soll die Mafia auch Einfluß auf den Bereich der Politik gewonnen haben. Liegen der Bundesregierung da Kenntnisse vor?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Es liegen keine Erkenntnisse vor. Meines Wissens ist der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei bislang auch den Beweis schuldig geblieben.
Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gesagt haben, daß die Mafia in der Tat zur Zeit in dem Verdacht steht, erhebliche Teile ihrer gemachten Gewinne in europäischen Staaten zu investieren: Gibt es denn seitens der Europäischen Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gemeinschaftliche Bestrebungen, dieses zu verhindern und durch eine sorgfältige Beobachtung solcher Aufkauf- und Einkaufvorgänge dafür zu sorgen, daß die befürchteten Investitionen nicht stattfinden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, es gibt da mehrere Initiativen sowohl der Bundesrepublik auf europäischer Ebene als auch beispielsweise der Europäischen Kommission. So hat etwa die Kommission ein Gewinnaufspürungsgesetz und einen Geldwäschetatbestand angemahnt. Sie hat dafür auch Schwellenwerte genannt. Wir sind gegenwärtig dabei, diese Anregung im Gewinnaufspürungsgesetz umzusetzen. Diesbezüglich kann ich auf meine Antwort verweisen, die ich auf Ihre erste Frage gegeben habe.
Zum anderen gibt es den Vorschlag, der von der Bundesregierung stammt, eine europäische polizeiliche Zentrale einzurichten, die sich im ersten Stadium, weil mehr an Übereinstimmung nicht zu erreichen war, mit der Entwicklung der Rauschgiftdelikte beschäftigen soll. Da diese Deliktkategorie einer der Hauptträger der organisierten Kriminalität ist und die Gewinne, die dort entstehen, eine maßgebliche Rolle spielen, glaube ich, daß erste Ansätze zu der von Ihnen und auch von uns dringend erbetenen und gewünschten Zusammenarbeit auf europäischer Ebene heute schon vorhanden sind.
Weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Die Frage 9 des Abgeordneten Ludwig Stiegler wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf:
Erlaubt der Artikel 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Artikel 20 die Einführung eines Ausländerwahlrechtes gemäß dein Maastrichter Vertrag, da mit Artikel 20 bestimmt wird: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nach Auffassung der Bundesregierung hindert Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht daran, durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, z. B. in Art. 28 Abs. 1, die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Union zu schaffen. Dieser sieht durch die Einfügung eines Teils über die Unionsbürgerschaft, durch die Einfügung u. a. eines Art. 8 b in den EG-Vertrag, das in der Frage angesprochene kommunale Wahlrecht für EG-Ausländer vor.
Die Bundesregierung sieht sich in dieser Auffassung bestätigt durch einen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 31. Oktober 1990 zum schleswig-holsteinischen Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 21. Februar 1989, das unter bestimmten Voraussetzungen ein Kommunalwahlrecht für die Angehörigen bestimmter, unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit ausgewählter dritter Staaten enthielt.
In diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht u. a. ausgeführt, aus der Unvereinbarkeit des genannten Gesetzes mit Art, 28 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes folge nicht, „ daß die derzeit im Bereich der europäischen Gemeinschaften erörterte Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer nicht Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung sein kann". Ich verweise auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Band 83, Seiten 37 und 59.
Die Bundesregierung sieht sich in ihrer eingangs formulierten Auffassung außerdem bestätigt durch das Ergebnis der von der Gemeinsamen Verfassungskommission am 22. Mai 1992 veranstalteten Sachverständigenanhörung.
Zusatzfrage.
Ich möchte mir ausdrücklich bestätigen lassen: Die Bundesregierung und Sie als Vertreter des Verfassungsministers sind der Auffassung, daß durch eine Änderung des Art. 28 des Grundgesetzes die Angelegenheit mit Blick auch
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8118 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Jürgen Augustinowitzauf Art. 20 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich sauber gelöst werden kann?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Wir meinen, daß eine Änderung zur Herstellung dieses Wahlrechts möglich ist.
Weitere Zusatzfrage.
Ich will die Frage wiederholen: Sie als Vertreter des Verfassungsministers sind also der Meinung, daß durch eine Änderung von Art. 28 des Grundgesetzes eine verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung geschaffen worden ist, auch mit Blick auf die Bestimmung in Art. 20, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Wir halten im Einvernehmen mit den Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts eine Regelung für denkbar, wonach EG-Ausländern kommunales Wahlrecht zugestanden werden kann.
Herr Kollege Lüder.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf den im Ausländergesetz, soweit ich weiß, und jedenfalls in der Europäischen Gemeinschaft nicht üblichen Terminus „EG-Ausländer" — in Europa sind Ausländer alle, die nicht Gemeinschaftsbürger sind frage ich, ob die Bundesregierung geprüft hat, wieweit die Gemeinschaftsbürgerschaft, die das Vertragswerk von Maastricht ja vorsieht, dieses Problem verfassungsrechtlich erleichtern kann, weil wir alle Europäer und die außerhalb der EG Ausländer sind.
Eduard Lintner Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lüder, maßgebend ist wohl besonders der Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit. Ohne mich bis in die letzte Feinheit verfassungsrechtlich festlegen zu können, weil die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, meine ich, daß für den Bereich der EG-Ausländer die von mir skizzierte Lösung denkbar und nach dem deutschen Grundgesetz bei entsprechender Änderung möglich ist.
Herr Kollege Sperling.
Ist damit die Bundesregierung der Auffassung, Herr Staatssekretär, daß nach entsprechendem Inkrafttreten der EG-Verträge sogenannte EG-Ausländer und Deutsche sich hinstellen und rufen dürfen: „Wir sind ein Volk" und dies auf keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken stößt, hingegen wenn ein Amerikaner hinzutritt und mitrufen will, dies auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen müßte?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Zur Zeit ist es so, daß natürlich die Frage des Wahlrechts der EGAusländer, zurückgehend auch auf entsprechende vertragliche Vereinbarungen, auf EG-Ebene diskutiert wird. Diese Frage ist relevant.
Was wäre, wenn beispielsweise die USA und die Bundesrepublik bei gewahrter Gegenseitigkeit zu der Auffassung kämen, das Wahlrecht müßte gegenseitig ermöglicht werden, wäre dann verfassungsrechtlich zu prüfen.
Kollege Jäger.
Herr Kollege Lintner, darf ich etwas präzisierend nochmals auf die Frage des Kollegen Augustinowitz eingehen. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine Lösung in dem beabsichtigten Sinne erst dann und nur dann gefunden werden kann, wenn eine europäische Union eine solche verbandsmäßige Dichte erreicht hat, daß der Begriff des Volks, des Staatsvolks, in Art. 20 noch irgendwo subsumiert werden kann?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich verweise auf das, was ich bisher dazu gesagt habe. Wichtig sind besonders der Aspekt der Gegenseitigkeit und im Augenblick natürlich die Beschränkung auf EG-Ausländer. Da halten wir eine Lösung für denkbar.
Weitergehende Regelungen oder vertiefende Erläuterungen unter Berücksichtigung staatsrechtlicher Aspekte bitte ich einem Verfahren schriftlicher Frage und Antwort zuzuweisen.
Wir sind am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Lintner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner zur Verfügung.
Zu der Frage 11 wurde um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 der Abgeordneten Ulrike Mascher auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um Mieter vor einer neuen Welle von Umwandlungsspekulationen zu schützen, die durch die am 30. Juni 1992 anstehende Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes droht, bzw. ist die Bundesregierung bereit, in dieser Sache die Hamburger Bundesratsinitiative vom Herbst 1991 zu unterstützen?
Frau Kollegin! Welche Maßnahmen zum Schutz der Mieter bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen erforderlich sind, ist bei der Beratung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters bei Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen vom 20. Juli 1990 bereits eingehend diskutiert worden. Das Ergebnis war die Verlängerung der Kündigungssperrfrist des § 564 b Abs. 2 BGB von drei auf fünf Jahre für von den Landesregierungen durch Rechtsverordnung bestimmte Gebiete.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß zunächst die Auswirkungen dieses Gesetzes abgewartet werden sollten, bevor wir weitere gesetzgeberische Maßnahmen beschließen.Die Bundesregierung hat sich in ihrer Stellungnahme zu dem auf Veranlassung von Hamburg beschlossenen Gesetzentwurf des Bundesrates — Bundestagsdrucksache 12/2505 gegen eine Re-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8119
Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhnergelung der in diesem Entwurf vorgeschlagenen Art ausgesprochen. Wir haben dies auch in der ersten Lesung im Plenum bereits entsprechend diskutiert.Soweit in Ihrer Frage indirekt eine Prognose zu der ausstehenden Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes enthalten ist, bitte ich um Verständnis, daß wir keine Prognose geben können, zumal divergierende Entscheidungen oberster Gerichte vorliegen.
Zusatzfrage.
Warum ist die Bundesregierung angesichts der Zahlen, die aus Ballungsräumen vorliegen, z. B. aus München, daß die Mieter bei 40 % der Wohnungen, die umgewandelt werden, verdrängt werden, wobei 60 % dieser Mieter länger als 8 Jahre in ihren Wohnungen wohnen, nicht bereit, für Mietwohnungen in Ballungsräumen mit erhöhtem Wohnungsbedarf ein zeitlich befristetes, generelles Umwandlungsverbot zu erlassen, wie das immer wieder gefordert worden ist?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben diese Fragen anläßlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs des Bundesrats hier schon diskutiert. Ich möchte auch aus dieser Debatte heraus noch einmal sagen: Wir hielten es für eigentümer- und mieterfeindlich, wenn wir so vorgingen, weil wir damit den Erwerb von Eigentumswohnungen per Umwandlung durch die Mieter erschweren würden. Das kann doch nicht ernsthaft unsere Absicht sein. Das wäre ebenso eigentümer- wie mieterfeindlich.
Weitere Zusatzfrage.
Können Sie mir erklären, warum ein solches Umwandlungsverbot in Fremdenverkehrsorten zum Schutz der ortsansässigen Hotellerie zugelassen worden ist? Heißt das, daß die Bundesregierung die Interessen von Mietern für weniger schützenswert hält als die Interessen der Hotellerie in Fremdenverkehrsorten?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Im Gegenteil, Frau Kollegin! Ich habe vorhin schon auf das Gesetz vom 20. Juli 1990 hingewiesen, in dem wir die Kündigungssperrfrist des § 564 b Abs. 2 BGB verlängert haben.
Ich rufe die Frage 13 auf, die ebenfalls die Kollegin Mascher gestellt hat:
Warum hat die Bundesregierung der Ankündigung der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, zum Schutz der Mieter vor Umwandlungsspekulationen die gesetzliche Festlegung der Voraussetzungen für eine Abgeschlossenheitsbescheinigung den Ländern zu übertragen, keine Taten folgen lassen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat aus den bereits in der vorigen Antwort dargelegten Gründen gesetzgeberische Maßnahmen bisher nicht vorgeschlagen. Im übrigen würde die Rechtseinheit im Bundesgebiet in einem wichtigen Punkt aufgegeben, wenn die Festlegung der Voraussetzungen für eine Abgeschlossenheitsbescheinigung den einzelnen Ländern überlassen würde. Wir würden hier ein weiter auseinanderdriftendes Recht innerhalb des Bundesgebiets bekommen.
Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß z. B. die bayerische Staatsregierung hier eine andere Position vertritt und es durchaus für zweckmäßig halten würde, eine solche Möglichkeit, z. B. für die bayerische Staatsregierung, zu schaffen?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt nicht alle Auffassungen der bayerischen Staatsregierung.
Wollen Sie eine zweite Zusatzfrage stellen? — Nein.
Zusatzfrage der Kollegin Wolf.
Da die bayerische Staatsregierung diese Möglichkeit vehement begrüßt und stützt: Liegt Ihnen eine Initiative der CSU-Fraktion vor, in diesem Sinne im Bundestag tätig zu werden?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe hier nicht für die CSU und auch nicht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu sprechen. Ich möchte nur noch einmal deutlich machen, daß seitens der Bundesregierung — aus den Gründen, die ich vorhin dargelegt habe — gesetzgeberische Maßnahmen nicht vorgeschlagen werden. Wir sollten jetzt abwarten, wie die bereits beschlossene gesetzliche Schutzregelung wirkt, und im übrigen auch die Entscheidung des Gemeinsamen Senats abwarten.
Verzeihung, Frau Kollegin Wolf, habe ich es falsch verstanden, haben Sie falsch gefragt, oder hat der Herr Staatssekretär Sie falsch verstanden? Ich habe es so verstanden, daß Sie die CSU-Fraktion des bayerischen Landtags meinten.
— Entschuldigung, da gibt es keine CSU-Fraktion.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, deshalb hatte ich wohlwollend von der CDU/CSU-Fraktion gesprochen.
Herr Kollege Schöfberger, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung im klaren, daß die Umwandlung meist preisgünstiger, aus der Wohnungsbindung entlassener Sozialwohnungen in teure Eigentumswohnungen nicht aus Gründen der Wohnungsversorgung geschieht, sondern aus Gründen der rentierlichen Kapitalanlage mit Blick auf die niedrigen Einheitswerte für Grundstücke, und ist sich die Bundesregierung bewußt, daß in einer Stadt wie München in den letzten zehn Jahren immerhin fast
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8120 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Rudolf Schöfberger50 000 solcher Wohnungen umgewandelt worden sind und das für Hunderttausende von Menschen zu einer Vertreibung aus angestammten Wohnsiedlungen und für die, die geblieben sind, zu einer Mieterhöhung um das Dreifache, zu Luxusmodernisierung mit Einbau von Liften und Carrara-Marmor und 30 Steckdosen in schlichte Wohnungen aus dem sozialen Wohnungsbau geführt hat? Und will sie das alles noch — —
Herr Kollege Schöfberger, eine Frage!
Jetzt stelle ich ja die Frage. Das ist immer noch eine Frage: Und will sie das alles auch noch unter dem Segel des besseren Mieterschutzes zulassen, wie es soeben geschehen ist?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege, ich teile nicht alle Wertungen, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen, und kann auch die zahlreichen Angaben, die Sie gerade gemacht haben, jetzt nicht bewerten und will das auch nicht. Natürlich sind mit diesen Umwandlungen ernsthafte Probleme des Mieterschutzes verbunden, aber daraus haben wir eine gesetzgeberische Konsequenz gezogen und haben gerade dazu eine gesetzliche Regelung geschaffen. Ich finde, diese gesetzliche Regelung muß man jetzt auch einmal eine Zeitlang wirken lassen. Es ist ja nicht so, daß der Bundestag und die Bundesregierung über diese Probleme hinweggingen. Aber Sie müssen bei einer solchen Frage auch umgekehrt überlegen: Welche Wirkungen löse ich mit einer solchen gesetzlichen Regelung aus? Da wäre beispielsweise das, was jetzt vom Bundesrat vorgeschlagen ist, nach meiner Überzeugung sehr kontraproduktiv, weil es etwa in den neuen Ländern dazu führen würde, daß auch nichtbewohnte Wohnungen, die jetzt zu Eigentumswohnungen umgewandelt werden, in die erst einmal investiert werden muß, um sie bewohnbar zu machen, nicht umgewandelt werden könnten. Das würde den Mietern nicht nutzen, und deshalb sage ich: Das ist mieter- und eigentumsfeindlich. Man muß also solche Regelungen im Gesamtzusammenhang bewerten.
Herr Kollege Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wollen Sie allen Ernstes behaupten, daß es der bayerischen Staatsregierung, CSU-gestellt, nicht gelungen ist, im Bundesrat der Bundesregierung klarzumachen, daß die Bundesregierung den Sozialstaat für Reiche praktiziert, statt das Sozialstaatsgebot, die Schwächeren zu schützen, ernst zu nehmen? Das muß doch dieser bayerischen Staatsregierung gelungen sein!
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weise die Polemik in Ihrer Fragestellung zurück. Ich möchte noch einmal sagen: Wir nehmen die Probleme des Mieterschutzes infolge der Umwandlungen sehr ernst. Das war der Grund dafür, daß der Deutsche Bundestag dazu eine gesetzliche Regelung beschlossen hat.
Die Fragen, die Sie hier stellen, zielen auf zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen ab. Hierzu sage ich noch einmal: Das kann man nicht so einseitig betrachten, sondern man muß die übrigen Wirkungen mit einkalkulieren, und diese, glaube ich, wären letztlich unter dem Strich auch mieterfeindlich.
Herr Kollege Grünbeck.
Herr Staatssekretär, wenn ich auf den Kollegen Schöfberger noch einmal eingehen darf: Ist Ihnen bekannt, daß in München 2 Millionen qm Baulücken vorhanden sind und daß die dortige sozialdemokratische Oberbürgermeisterriege nicht in der Lage ist, die Baugenehmigungen zustande zu bringen, damit man Neubauwohnungen schaffen könnte und damit neuen Mietraum bereitstellen könnte?
Herr Staatssekretär.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege, ich nehme die in Ihrer Frage liegende Mitteilung zur Kenntnis
und muß mich etwas zurückhalten, um zu diesem Problem Stellung zu nehmen, zumal es nicht die Zuständigkeit unseres Hauses berührt, wenngleich ich glaube, daß über die Frage von Baulücken und brachliegenden Flächen und damit verbundenen Bodenspekulationen intensiv nachgedacht werden muß.
Darf ich fragen, ob weitere Zusatzfragen gestellt werden? — Bitte, Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, da Sie die Baulücken gerade ansprechen: Welche Möglichkeiten gesetzlicher Art hätte der Oberbürgermeister von München, zu erzwingen, daß die Baulücken bebaut werden?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nicht ich habe das hier eingeführt, sondern der Kollege Grünbeck. Ich glaube, daß hier das geltende Baurecht Möglichkeiten über Baugebote zur Verfügung stellt. Das sollte man bitte nicht geringschätzen.
Weitere Zusatzfragen? — Nein.Dann rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten Norbert Gansel auf:Wie war der jetzige Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, in seinen bisherigen Funktionen mit den Giftgasprogrammen in Libyen und im Irak befaßt, und wann ist
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8121
Vizepräsident Hans Kleiner erstmalig über Verdachtsmomente der Beteiligung Deutscher und deutscher Unternehmen an den Giftgasprogrammen in diesen Ländern informiert worden?Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich beantworte Ihre Frage auf der Grundlage einer vorläufigen, raschen Durchsicht der Akten des Bundesministeriums der Justiz und der Kenntnis der zuständigen Fachbeamten unseres Hauses.Das Bundeskabinett und der Bundessicherheitsrat haben sich seit 1984 wiederholt mit dem Problem der Beteiligung deutscher Unternehmen an Giftgasproduktionen im Irak und in Libyen befaßt und dabei eine große Zahl von Programmen, Gesetzentwürfen und Verordnungen zur Bekämpfung solcher Exporte beschlossen. An diesen Beschlüssen des Bundeskabinetts war natürlich auch der Bundesminister der Justiz beteiligt.Wie die übrigen Mitglieder des Kabinetts hat der Bundesminister der Justiz erstmalig 1984 vom Verdacht der Beteiligung deutscher Unternehmen an dem Aufbau einer Giftgasfabrik im Irak erfahren.Der damalige Staatssekretär, Dr. Kinkel, erhielt nach Aktenlage am 2. August 1984 Kenntnis. Über einen entsprechenden Verdacht hinsichtlich Libyen erfuhr Herr Dr. Kinkel als damaliger Staatssekretär ausweislich der Akten erstmalig am 2. Dezember 1988, als er von einem entsprechenden Bericht im Protokoll des Bundessicherheitsrats Kenntnis nahm.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe nach den Kenntnissen des jetzigen Bundesaußenministers Kinkel in seinen bisherigen Funktionen gefragt
nicht nach der Aktenlage. Meine Frage bezog sich natürlich auch auf seine Kenntnisse in seiner Funktion als Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Würden Sie bitte Ihre Antwort für diesen Bereich ergänzen und das gegebenenfalls mit dem Minister persönlich abklären?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann hier nur auf der Grundlage der Aktenlage und der Kenntnis der Fachbeamten unseres Hauses antworten. Die Antwort, die ich Ihnen vorgetragen hatte, ist Herrn Dr. Kinkel bekannt und wurde von ihm gebilligt.
Zusatzfrage.
Weiß Herr Dr. Kinkel, daß ich nach seinen bisherigen Funktionen und nicht nach seinen Funktionen als Bundesjustizminister oder Staatssekretär im Bundesjustizministerium gefragt habe? Hat Herr Kinkel damit die Vollständigkeit der Angaben bestätigt, die Sie mir jetzt gemacht haben? Beziehen sie sich nicht nur auf die Aktenlage, sondern auch auf Wissen!
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, was bei dieser delikaten Frage für das Parlament eine unvollständige oder nicht wahrheitsgemäße Auskunft bedeutet!
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Antwort ist ebenso vollständig wie wahrheitsgemäß. Ich beziehe mich auf das, was uns nach Aktenlage bekannt ist und was die Fachbeamten unseres Hauses wissen. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht vortragen.
Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß sich der Kollege Gansel natürlich auch direkt an den Bundesminister des Auswärtigen wenden könnte und ihn direkt fragen könnte?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Das wäre in der Tat ein naheliegende Möglichkeit.
Kollege Sperling.
Herr Staatssekretär, halten Sie denn die Möglichkeit der Fragestunde mit der Beantwortung der Frage durch den Staatssekretär auch für eine Form der Beantwortung der von Herrn Gansel gestellten Frage, die sich auf das Wissen des Ministers bezieht, und hätten Sie den nicht auch fragen können?
Verzeihung! Bei dieser Frage wird es ein bißchen schwierig, Herr Sperling. Wir haben eine Geschäftsordnung, die vorsieht, daß Fragen immer so eng wie möglich zur Sache gestellt werden. Sie stellen jetzt aber eine Verfahrensfrage.
— Das stand noch in einem engen Zusammenhang zur Sache.
Die Frage, ob der Herr Gansel die Frage an den Minister hätte stellen können, war zur Sache? Meine Frage nicht mehr? — Entschuldigen Sie, ich darf Sie nicht kritisieren, Herr Präsident. Ich versinke in Demut.
Ich würde auch einen Kommentar von Ihnen nicht als Kritik empfinden, Herr Kollege Sperling.
— Bitte sehr.Ich will nur verhindern, daß wir jetzt in eine Verfahrensdiskussion geraten.
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8122 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte nur betonen, daß ich Ihnen nicht mehr mitteilen kann, als ich weiß.
Herr Kollege Büttner.
Ist Ihnen bekannt, ob Herr Dr. Kinkel in seiner Eigenschaft als Präsident des BND über diese Lieferungen schon vorher informiert war?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann Ihnen allerdings sagen, daß Frage und Antwort Herrn Dr. Kinkel, dem Bundesminister des Auswärtigen, vorgelegen haben.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 15 auf, die ebenfalls der Kollege Norbert Gansel gestellt hat:
Trifft es zu, daß das Verfahren vor dem Darmstädter Landgericht wegen des Verdachts der Lieferung von Giftgasanlagen in den Irak um eine Woche ausgesetzt worden ist, weil das Bundesministerium der Justiz die VN-Berichte über die Beteiligung deutscher Firmen an dem irakischen Giftgasprogramm so zögernd weitergeleitet hat, daß das Gericht darin eine „offensichtliche politische Einflußnahme" sieht, und ist die Bundesregierung bereit, im Verlauf dieser Woche dem Gericht alle Beweismittel für das Verfahren zur Verfügung zu stellen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, nach Presseberichten hat der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Darmstadt in der Hauptverhandlung vom 15. Juni 1992 kritisiert, daß ihm ein Bericht der Vereinten Nationen erst kurz vor dieser Sitzung zugeleitet worden sei. Mit diesem Bericht hatte es allerdings eine besondere Bewandtnis.
Die normalen VN-Berichte über die Inspektionen der VN-Sonderkommission im Irak sind dem Landgericht Darmstadt nach anfänglichen Problemen mit der Freigabe durch die Vereinten Nationen inzwischen jeweils umgehend zugeleitet worden, so daß sie als Beweismittel zur Verfügung stehen.
Bei dem jetzt in Rede stehenden Bericht über eine Mission der Sonderkommission der Vereinten Nationen im Januar 1992 handelt es sich um eine Besonderheit. Dieser Bericht wurde der Bundesregierung im März 1992 als vertraulich eingestuft zugeleitet und mit dem ausdrücklichen Sperrvermerk versehen, ihn nicht ohne vorherige Zustimmung der Vereinten Nationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen — dies deshalb, weil das Dokument über die Mission vom Januar 1992 berichtet, bei der es in erster Linie um hochrangige kontroverse Gespräche mit der irakischen Regierung über deren Verpflichtungen aus den Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ging.
Auf Grund der Einstufung als vertraulich und wegen des Sperrvermerkes sah sich die Bundesregierung außerstande, diesen Bericht wie die anderen sogleich an das Gericht weiterzuleiten. Da die Hauptverhandlung öffentlich ist, wäre das Dokument dadurch nämlich automatisch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Der Bundesminister der Finanzen hat diesen besonderen Bericht deshalb an das Zollkriminalinstitut weitergeleitet, um ihn dort auswerten zu lassen. Es war ursprünglich beabsichtigt, die für das Strafverfahren relevanten Teile des Berichts heraussuchen zu lassen und nur für diese eine Freigabe bei den Vereinten Nationen zu beantragen.
Nach Abschluß der Prüfung durch das Zollkriminalinstitut und nach Eingang einer Bitte des Gerichts um Übersendung des Berichts haben sich die beteiligten Bundesministerien unter dem inzwischen entstandenen Zeitdruck kurzerhand dazu entschlossen, der Sachaufklärung im Strafverfahren absoluten Vorrang einzuräumen und den Bericht ohne seinen politisch brisanten Annex A auch ohne die Zustimmung der Vereinten Nationen dem Gericht zu übersenden. Dem Gericht liegt also seit dem 9. Juni 1992 auch dieser besondere Bericht vor.
Unter Verschluß hält die Bundesregierung zur Zeit noch den erwähnten Annex A, der kontroverse Gespräche im Außenministerium des Irak dokumentiert, die für das Strafverfahren ohne Bedeutung sein dürften. Nachdem das Gericht mit Schreiben vom 22. Juni darum gebeten hat, auch für diesen Annex bei den Vereinten Nationen eine Freigabe zu beantragen, wird sich das Auswärtige Amt auch darum bemühen. — Ich bitte um Nachsicht. Doch mußte die Antwort wegen der Komplexität der Materie etwas länger ausfallen.
Herr Kollege Gansel, Zusatzfrage!
Es handelt sich ja auch um ein sehr brisantes Thema. Deshalb frage ich Sie: Warum hat das Bundesjustizministerium nicht von der in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Unterlagen dem Gericht in klassifizierter Form zur Verfügung zu stellen und für den Teil der Verhandlung, in dem diese Beweismittel erörtert werden, den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragt? So etwas ist in anderen Verfahren auch gang und gäbe.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das Übersendungsschreiben des Vorsitzenden der VN-Sonderkommission an den deutschen Botschafter folgenden Sperrvermerk enthält:
Dieser Bericht ist vertraulich. Kein Teil davon sollte von Ihrer Regierung ohne vorherige Zustimmung der Sonderkommission freigegeben oder veröffentlicht werden.
Damit war klar, daß eine Weitergabe ohne Zustimmung der Sonderkommission nicht erfolgen sollte.
Zweite Zusatzfrage!
Wann hat die Bundesregierung die Freigabe bei den Vereinten Nationen bean-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8123
Norbert Ganseltragt? Hat sie dabei in gebührender Form darauf hingewiesen, daß die Freigabe keine Veröffentlichung des Berichts, sondern seine Verwendung als Beweismittel in einem Strafverfahren bewirken würde, in dem es um Vorgänge geht, die die UNO selber politisch verurteilt hat?Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es lag der Bundesregierung sehr daran, dem Gericht alle notwendigen Beweismittel so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Deshalb erschien es — zumal es sehr wahrscheinlich war, daß die Vereinten Nationen bzw. die Sonderkommission einen Antrag auf Weitergabe des gesamten Berichtes ablehnen würden vernünftig, das Zollkriminalinstitut mit der Ermittlung der für das Verfahren relevanten Berichtsteile zu beauftragen und nur für diese die Zustimmung zur Weitergabe einzuholen. Denn wir hätten nichts von einer Ablehnung seitens der Vereinten Nationen gehabt. Ein solches Verfahren wäre im Hinblick auf die beabsichtigte Unterstützung des Strafverfahrens nicht sinnvoll gewesen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, haben Sie eben gesagt — so habe ich es verstanden —, die Bundesregierung habe sich zunächst überhaupt nicht bemüht, die Freigabe des Berichts bei den Vereinten Nationen zu erreichen — schon gar nicht mit dem Hinweis, daß diese Informationen für ein in der Bundesrepublik laufendes Gerichtsverfahren benötigt würden?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bachmaier, als der Bericht im März dem Bundesministerium der Finanzen und nachrichtlich dem Bundesministerium der Justiz zuging, kam aus den eben dargelegten Gründen für beide Ressorts die unmittelbare Weiterleitung an die Strafkammer nicht in Betracht, war nicht möglich.
Ein umgehender Antrag bei den Vereinten Nationen auf Freigabe des gesamten Berichts für ein öffentliches Strafverfahren wurde auch vom Auswärtigen Amt als nicht sinnvoll angesehen, weil aussichtslos; denn in dieser umfassenden und pauschalen Form wäre er abgelehnt worden.
Es kam darauf an, unverzüglich die Maßnahmen einzuleiten, die dazu führen konnten, der Strafkammer so schnell wie möglich alle beweisrelevanten Unterlagen zu Verfügung zu stellen. Dieser Weg ist deshalb gewählt worden.
An sich sind wir am Ende der Fragestunde. Herr Kollege Sperling, die letzte Zusatzfrage.
Wäre es denn eine Freigabe gewesen, wenn für das von Herrn Gansel angegebene Verfahren der Prozeßordnung der Bericht dem Gericht für eine nichtöffentliche Sitzung übergeben worden wäre? Wenn man schon das für eine Freigabe halten würde, wieso ist dann das
Material ohne weitere Genehmigung der UNO doch abgegeben worden, und zwar sogar für eine öffentliche Sitzung? Finden Sie keine Widersprüche in dem, was Sie uns gerade erzählt haben?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage ist durchaus berechtigt. Die Bundesregierung hat unter dem Zeitdruck allerdings dem Strafverfahren den Vorrang eingeräumt, gerade weil wir wollten, daß die notwendigen Unterlagen dem Gericht so schnell wie möglich zur Verfügung stehen. Deshalb war es erforderlich, diese für das Verfahren relevanten Teile aus dem Bericht zu erkennen. Dies führte im Ergebnis dazu, daß lediglich der Annex A mit den eben beschriebenen Inhalten zurückgehalten werden mußte. Mittlerweile ist dafür ein Antrag auf Freigabe gestellt worden.
Eine Freigabe des gesamten Berichts ohne Genehmigung war nach dem Sperrvermerk ausgeschlossen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Tagesordnungspunkt 5, Arbeitsmarktpolitik, am Freitag als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen und dafür Tagesordnungspunkt 10 zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung heute als erster Punkt in die Debatte eingeführt werden.Mit in die Beschlußempfehlung zu Punkt 7 d ist auch der Antrag der Fraktion der SPD zu „Hilfen für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ..." auf Drucksache 12/2068 aufgenommen worden. Die Tagesordnung soll insoweit erweitert werden.Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Marktstrukturgesetz, die ebenfalls nach einer interfraktionellen Vereinbarung auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, soll nach Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen werden.Die ohne Debatte vorgesehene zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs zur Verlängerung der Verwaltungshilfe, Tagesordnungspunkt 4 a, soll vorgezogen und nach Tagesordnungspunkt 9 aufgerufen werden.Ich hoffe, Sie können mir noch folgen.Außerdem soll die Tagesordnung um die zweite Beratung und Schlußabstimmung zum Helsinki-Übereinkommen auf Drucksache 12/2902 erweitert werden. Dieser Punkt soll ebenfalls nach Tagesordnungspunkt 9 aufgerufen werden.Des weiteren ist vereinbart worden, von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen, soweit es bei einzelnen Punkten der verbundenen Tagesordnung erforderlich ist.Sind Sie mit all dem, was ich Ihnen hier erzählt habe, einverstanden? — Das ist wunderbar. Ich höre dazu
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Vizepräsidentin Renate Schmidtkeinerlei Widerspruch, sondern ausschließlich Zustimmung. Damit ist das so beschlossen.Die Kollegin Ina Albowitz hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Die Fraktion der F.D.P. schlägt als Nachfolgerin die Abgeordnete Dr. Sigrid Hoth vor. Stimmen Sie diesem Vorschlag zu? — Ich sehe und höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Dr. Sigrid Hoth als Schriftführerin gewählt. Der Kollegin Albowitz sei für ihre Tätigkeit als Schriftführerin gedankt.Nun kommen wir, wie wir es gerade vereinbart haben, zu Tagesordnungspunkt 10:Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
— Drucksache 12/1901 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und SeniorenFür die Aussprache haben wir im Ältestenrat eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendeine Art von Widerspruch? — Auch das ist nicht der Fall. Dann ist auch dies so beschlossen.Ich eröffne damit die Aussprache und erteile als erstem dem Herrn Bundesminister Seehofer das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Man könnte in der Tat auch sagen, wir diskutieren über gesundheitliche Entwicklung. Denn eines hat sich bei uns im Hause in den letzten Tagen sicher sehr drastisch nach oben entwickelt, nämlich die Zahl der Briefeingänge.
Da gibt es zwei große Kategorien, nämlich die einen Briefeschreiber, die mir mit salbungsvollen Worten mitteilen, was alles nicht geht. Dann gibt es die zweite Kategorie, nämlich Vorschläge derart, was man alles bei den anderen machen kann.
Nun bildet sich in den letzten Tagen eine dritte Kategorie heraus. Ich habe nämlich jetzt sogar die große Ehre, in einer Zeitschrift ein salomonisches Weisheitsurteil über unser Vorhaben zur Kostenstabilisierung zu lesen. Salomon als Reformpolitiker im Gesundheitswesen: Das ist ja schon etwas.
Wenn aber Salomon im Gewand der „Wirtschaftswoche" daherkommt, dann werde ich etwas stutzig. Kurz und bündig wurde mir da nämlich gesagt, was wir jetzt im Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den Experten der Koalition machten, widerspreche der reinen Ordnungslehre. Führt eine marktwirtschaftliche Reform im Gesundheitswesen durch, und alle Probleme sind gelöst. Das war die Botschaft von Salomon.
Nun habe ich gegen gute Ratschläge nichts. Es steht aber doch fest: Das, was wir tun, entspricht vollinhaltlich marktwirtschaftlichen Gegebenheiten. Denn ich habe gelernt: Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt.
Man kann auch in der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Jahr nur das ausgeben, was vorher erwirtschaftet und mit Beiträgen finanziert wurde.
Was in allen Bereichen, beim Bundeshaushalt, in der Arbeitslosenversicherung, in der Rentenversicherung, in der Unfallversicherung, Allgemeingut und großer gesellschaftlicher Konsens ist, muß auch in der gesetzlichen Krankenversicherung Einkehr halten. Lieber Herr Kirschner, niemand kann doch bestreiten, daß das Prinzip, daß man auf Dauer nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt,
im Moment im Gesundheitswesen auf den Kopf gestellt ist.
Ihnen allen liegt der Bericht des Bundesgesundheitsministeriums vor, den wir heute gemeinsam beraten wollen. Er macht noch einmal sehr deutlich: In den letzten drei Jahren nach der Gesundheitsreform verlief die Beitragssatzentwicklung entgegen mancher öffentlicher Äußerungen insgesamt positiv. Gegenwärtig ist der durchschnittliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung noch unterhalb der Schwelle, die wir zu Beginn der Gesundheitsreform 1989 hatten. Damals waren es 12,9 %, heute sind es 12,5 %. Das hat nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer und Rentner in den letzten vier Jahren entlastet; das kann man nicht oft genug sagen.
— Gleich.
Außerdem sind damit Mittel freigeworden, um neue sozialpolitische Herausforderungen zu bewältigen, nämlich die Einführung der Pflegehilfe und bessere Vorsorgeleistungen in unserem Gesundheitswesen.
Lieber Herr Kollege Kirschner, ich bin nicht die Präsidentin und darf Ihnen das Wort nicht erteilen.
Wenn Sie irgendwann einmal unterbrochen hätten, hätte ich Sie gefragt. — Wunderbar, jetzt sagen Sie ja. Herr Kirschner, Sie haben das Wort.
Herr Minister, wenn Sie sagen, wir seien beim Beitragssatz heute unter dem Satz aus der Zeit vor der Gesundheitsreform, darf ich Sie daran erinnern auch dazu sollten Sie dann ein Wort verlieren —, warum wir darunter sind. Ist es nicht richtig, daß die Krankenversicherten mit Inkrafttreten des GRG jährlich rund 6,5 Milliarden DM zusätzliche Zuzahlungen zu leisten hatten? Des weiteren: Erinnern Sie sich bitte daran, daß das GRG ja die Voraus-
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Klaus Kirschnersetzungen dafür schaffen sollte, die Beitragssätze zu senken und dauerhaft zu stabilisieren. Verlieren Sie doch vor der heutigen Situation dazu einmal ein Wort.
Zur Dauerhaftigkeit komme ich noch; das wäre auch mein nächster Satz gewesen. Aber fest steht auch: Eine dauerhafte Beitragssatzstabilität ist nicht erreicht worden.Zum anderen zur Lastenverteilung: Weil es zutrifft, daß insbesondere die Versicherten den Großteil der Lasten aus der Gesundheitsreform I zu tragen hatten, haben wir uns bemüht, in diesem Falle die Lastenverteilung genau umgekehrt vorzusehen,
so daß nach der jetzigen Reform den Großteil der Lasten nicht die Versicherten, sondern die Leistungserbringer tragen, vom Krankenhaus bis zum Apotheker.
Das dritte, Herr Kollege Kirschner. Eines sollte man in der ganzen Diskussion über die soziale Symmetrie und soziale Gerechtigkeit nicht vergessen: Jeder Patient ist auch Beitragszahler. Das heißt, eine Beitragssatzstabilität kommt auch den Kranken, kommt auch den Patienten zugute.Ich habe oft genug von diesem Pult, in den Fraktionen und im Ausschuß schon gesagt, daß durch diese Reformmaßnahmen, wo bei unserem Reformpaket, das jetzt zur Diskussion steht, der Versicherte mit 3 Milliarden DM dabei ist, der Versicherte besser fährt, als wenn wir die Defizite über die Erhöhung der Versicherungsbeiträge bezahlen, weil die Erhöhung der Versicherungsbeiträge zum Ausgleich des Defizits den Versicherten und damit auch den Patienten stärker belastet als mein Reformpaket.
3 Milliarden DM trägt der Versicherte durch das Reformpaket. 5 Milliarden DM müßte der Versicherte und damit der Patient tragen, wenn das Defizit nicht durch die Reform, sondern durch Beitragserhöhung ausgeglichen würde.Nun sage ich, Herr Kollege Kirschner: Es ist nicht zu bestreiten, daß eine dauerhafte Beitragssatzstabilität nicht erreicht worden ist. Deshalb sage ich ganz offen: Fehler können sich bitter rächen.Heute weiß ich, daß die Ausklammerung des Krankenhauses in der Reform 1989 ein Fehler war. Deshalb bin ich heute weniger denn je zu falschen Kompromissen bereit wie damals beim Krankenhaus. Es war ein Fehler, den übrigens — auch das möchte ich einmal öffentlich sagen — nicht Norbert Blüm zu vertreten hat, sondern der in erster Linie von den Ländern mit verursacht wurde, auch von dem Land, aus dem ich komme, und den ich auch persönlich mit zu vertreten habe. Das sage ich in aller Klarheit, weil gelegentlich gesagt wird, das sei Norbert Blüm oder Bernhard Jagoda als Staatssekretär gewesen. Das war von den Ländern erzwungen.Deshalb sage ich sehr deutlich an die Adresse der Länder: Wir können es uns in dieser Reform nicht mehr leisten, daß wir den größten Ausgabenblock, nämlich die Krankenhäuser, aus Sparüberlegungen ausklammern.
Die Situation ist nicht nur ernst. Ich sage ganz bewußt: Die Situation ist dramatisch. Wir haben 1991 ein Defizit von 5,5 Milliarden DM eingefahren. In diesem Jahr rechnen wir mit einem Defizit von mindestens 10 Milliarden DM. Die Ausgabensteigerungen, die 1991 mit 10 % doppelt so hoch lagen wie die Steigerungen der beitragspflichtigen Einnahmen, haben sich im ersten Quartal 1992 noch weiter verstärkt.Ich sage einmal einige Beispiele, damit auch der Handlungszwang richtig deutlich wird: Wir haben allein bei den Arzneimitteln, wo wir ohnehin gemeinsam mit den Heilmitteln heute schon mehr ausgeben als für ärztliche Behandlungen, ein Plus von 10,4 %, im Krankenhauswesen ein Plus von 11,2 %, bei den Heil-und Hilfsmitteln eine Steigerung von 15,2 %, bei den Kuren eine Steigerung von 15,9 % und beim Zahnersatz, in dem Bereich, wo im Moment der Widerstand am größten ist, einen Anstieg um 17,2 %. In nahezu allen Leistungsbereichen haben wir die 10-%-Marke bei der Steigerung überschritten. Im Durchschnitt wachsen die Leistungsausgaben jetzt bereits um 11,3 %, ohne die Vorzieheffekte, die wir in den nächsten Wochen und Monaten wieder erleben werden.Für den Ersatzkassenbereich werden nach den neuesten Berechnungen sogar Steigerungen des Honorarvolumens bei den Ärzten im ersten Quartal um sage und schreibe bis zu 20 % befürchtet.Meine Damen und Herren, das ist eine dramatische Situation. Wer dieser dramatischen Situation nicht begegnet, wer hier nicht handelt, der verhält sich verantwortungslos.
Nun werden für diese Kostenexplosion immer die steigende Lebenserwartung, Morbidität und wissenschaftlich-technischer Fortschritt verantwortlich gemacht. Ich will auch hier ganz deutlich sagen: Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Gründe, die ich gerade genannt habe, langfristig auf die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung drücken. Aber Sie sind keine Erklärung für den aktuellen Kostenschub.
Es kann heute doch niemand behaupten, daß von 1991 auf 1992 die Lebenserwartung um 15 oder 18 % gestiegen ist, daß der wissenschaftlich-technische oder medizinische Fortschritt in einem Jahr — wie im Betriebskrankenkassenbereich bei den Kuren — um 25 % zugenommen hat. Das ist ohne Zweifel eine Erklärung für die langfristige Entwicklung, aber nicht für die Entwicklung, die wir jetzt aktuell erleben. Für mich steht fest, daß die Treibsätze der aktuellen Entwicklung und Ausgabendynamik die ungebremste Erhöhung der Arztzahlen, medizinisch nicht begründbare Mengenausweitungen und Unwirt-
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Bundesminister Horst Seehoferschaftlichkeiten sowie Überkapazitäten im Krankenhausbereich sind.
Meine Damen und Herren, in aller Klarheit: Wir finanzieren über diese astronomisch ansteigenden Ausgaben und Beiträge nicht ein Mehr an Gesundheit für unsere Bevölkerung, sondern wir finanzieren in hohem Maße Unwirtschaftlichkeit in unserer gesetzlichen Krankenversicherung.
Ich empfehle jedem, das Sachverständigengutachten für die Konzertierte Aktion nachzulesen. Dort sind die Ursachen Punkt für Punkt aufgezählt. Wenn wir diese Entwicklung nicht aufhalten— —
— Seien Sie vorsichtig, Herr Kollege Haack. — Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?
Sie fangen immer erst an zu reden, und dann fragen Sie selber, ob er eine Zwischenfrage stellen will. Wenn Sie mir die Chance gäben, Sie zu fragen, dann funktioniert das. Herr Kollege Haack, Sie haben das Wort.
Herr Minister, Sie waren 1988/1989 an den Beratungen des ersten GRG beteiligt. Dort haben wir die kostentreibenden Strukturkomponenten diskutiert. Seit wann verfügen Sie über die Erkenntnis, daß diese Strukturkomponenten tatsächlich preistreibend sind?
Lieber Herr Kollege Haack, ich war an den Beratungen beteiligt. Ich habe noch einmal alle Reden nachgelesen.
Im November 1988 wurde etwas gesagt, was ich auch hier zum Abschluß sagen werde: Wir tun das Notwendige, um in einem ersten Schritt die gesetzliche Krankenversicherung zu stabilisieren. Es wurde von allen Rednern — auch von Norbert Blüm — von diesem Pult aus betont, daß dieser Schritt nicht ausreicht
und daß wir in einem zweiten Schritt eine Krankenhausreform, eine Reform der Kassenorganisation und eine Reform bei der Entwicklung der Arztzahlen brauchen. Das wurde bereits im November 1988 angekündigt.
Genauso sage ich auch heute — damit Sie nicht in drei oder vier Jahren wieder zu einer Zwischenfrage aufstehen —: Die Maßnahmen zur Notbremsung und zur gleichzeitigen Einleitung von strukturellen Änderungen bei den Ärzten, beim Arzneimittelbudget, im Krankenhaus- und Pharmabereich, bei der Pflegeverordnung, beim Personalbesatz im Krankenhaus werden nicht ausreichen, um eine Krankenversicherung zu bekommen, die auch im nächsten Jahrhundert garantiert, daß wir den Menschen — und zwar jedermann, den Sozialhilfeempfänger wie den Gutverdienenden — auf qualitativ hochwertigem Niveau versorgen können.
Deshalb wird ein dritter Schritt unumgänglich sein. Mir wie allen Koalitionären wäre es lieber, wenn wir jetzt die Zeit hätten, einige Monate zusätzlich über strukturelle Maßnahmen zu reden. Aber auf Grund der aktuellen Lage haben wir diese Zeit nicht.Ich möchte auch ein bißchen an die Rahmenbedingungen, unter denen diese ganze Operation stattfindet, und an den Grund dafür erinnern dürfen, daß wir die Gesichtspunkte einer Beitragssatzstabilität und einer gerechten Lastenverteilung besonders ernst nehmen müssen: Wir befinden uns in einer historischen Umbruchsituation, in der die Seelenlage der Bevölkerung sehr aufgewühlt ist. Ich bin der tiefen Überzeugung, daß man ein Reformkonzept in der Öffentlichkeit nicht hinüberbringen kann, daß man keine Akzeptanz für dieses Reformkonzept gewinnt, wenn man — erstens — nicht alle Beteiligten in die Pflicht nimmt und man — zweitens — nicht alle Anstrengungen unternimmt, auch unter Berücksichtigung der ersten Gesundheitsreform, damit die Lasten zur Stabilisierung des Beitrages gerecht auf alle verteilt werden. Wenn ich den Versicherten etwas zumute, dann müssen die Ärzte, die Krankenhäuser, die Apotheker und die Pharmahersteller einsehen, daß auch sie in dieser schwierigen historischen Zeit ihren Beitrag zur Beitragsstabilisierung erbringen müssen.
Es bleibt dabei: Beitragssatzstabilität ist das Gebot der Stunde. Wenn es in allen Bereichen erlaubt ist, neben fachlichen, sozialen und medizinischen Prioritäten auch finanzielle und ökonomische Prioritäten zu setzen, dann muß dies vor dem Hintergrund der großen auch ökonomischen Herausforderungen, die im Hinblick auf die fünf neuen Länder, aber auch auf den europäischen Binnenmarkt und die Situation in der alten Bundesrepublik bestehen — es ist nicht so, daß wir hier ohne Probleme wären —, erlaubt sein, daß wir neben den medizinischen Prioritäten, die in der Krankenversicherung natürlich berücksichtigt werden müssen, auch finanzielle und ökonomische Prioritäten beachten. Das drückt sich in Beitragssatzstabilität aus.Kern der Maßnahmen, jedenfalls der Sofortbremsung ist im Grunde genommen, daß nicht mehr ausgegeben werden kann, als eingenommen wird. Ich weiß nicht, was daran unsozial, ungerecht, sozialistisch oder planwirtschaftlich sein soll. Ich könnte mir auch vorstellen, daß man sagt: In einer solchen Situation sind Nullrunden erforderlich, was die Honoraranstiege, die Mengenanstiege u. ä. betrifft. Das haben wir nicht getan. Wir haben die Zuwächse beschränkt. Deshalb ist es ja eine geradezu gespenstische Diskussion, wenn auf der einen Seite die Rede davon ist, es seien Luftbuchungen, und uns auf der anderen Seite
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Bundesminister Horst Seehoferdiejenigen, die von den angeblichen Luftbuchungen betroffen sind, vorhalten, daß beim Inkrafttreten dieser Sparmaßnahmen eine ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten nicht mehr möglich sei.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Ja, bitte, Herr Büttner.
Herr Minister, habe ich Ihre bisherigen Aussagen richtig verstanden, daß es nicht Ihr Ziel ist, die Gesundheitskosten stabil zu halten oder zu begrenzen, sondern nur die Beitragssätze der Krankenversicherung?
Was soll denn das?
Er hat mich wahrscheinlich richtig verstanden, würde ich sagen. Wenn ich nämlich dafür sorge, daß die Schere zwischen den Ausgaben und Einnahmen nicht mehr auseinandergeht, dann führt dies nach den ökonomischen Gesetzen der Krankenversicherung automatisch zur Beitragssatzstabilität.
Meine Damen und Herren, ich will noch auf zwei Gesichtspunkte hinweisen. Ich bin gespannt, ob die SPD ihre bisherige Positition wirklich aufrechterhalten kann. Wir sparen in diesem Programm nicht nur, sondern wir verbinden dieses Projekt auch mit der Lösung wichtiger sozialpolitischer Aufgaben. Ich greife zwei heraus: Trotz oder gerade wegen dieses Sparprogramms in einem Umfang von 11,4 Milliarden DM können wir die Kraft aufbringen, in den Krankenhäusern mehr Stellen für das Pflegepersonal zu schaffen, was ja mehr Geld kostet. Ich stelle mir Sozialpolitik eigentlich so vor, daß wir die Kraft haben, auf einem hohen Niveau bei bestimmten Punkten Dinge wegzunehmen, um anderen, neuen sozialpolitischen Herausforderungen — in dem Fall dem Pflegeengpaß oder gar dem Pflegenotstand in manchen Regionen — begegnen zu können.
Deshalb ist das Gebot der Beitragssatzstabilität auch ethisch begründet, denn wenn wir durch Ausgabenexplosion Unwirtschaftlichkeiten finanzieren, dann haben wir keine Mittel mehr zur Verfügung, um das wirklich Notwendige einer gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung zu bezahlen.
Deshalb plädiere ich nachdrücklich dafür: Bringen wir gemeinsam die Kraft auf, die Unwirtschaftlichkeiten in diesem System zu beseitigen, Bagatellen der Eigenverantwortung der Menschen zu unterstellen, um damit ein hohes gesundheitspolitisches Ziel, bei dem wir im Konsens vorangehen sollten, aufrechterhalten zu können, nämlich daß wir für die großen Risiken, für die Risiken, die den einzelnen Menschen und seine Familie überfordern, auch künftig höchste Qualität anbieten können! Aber damit wir das können, müssen wir bereit sein, jetzt Sofortmaßnahmen einzuleiten, strukturelle Maßnahmen einzuleiten — wir können gerne darüber diskutieren, wie man sie noch verstärken kann — und diese auch langfristig noch wesentlich breiter auszubauen.
Wenn wir die Kraft dazu haben — ich lade sowohl die Beteiligten, als auch die Parteien und Fraktionen im Parlament zu einer gemeinsamen konstruktiven Diskussion ein —, dann wird es auch künftig möglich sein, daß wir für jedermann — ohne Ansehen des Einkommens und des Standes im Einzelfall — eine qualitativ hochwertige Medizin anbieten können und daß wir auch künftig davon reden können, daß unser deutsches Gesundheitswesen hinsichtlich der Qualität weltweit ganz oben steht. Damit wir aber die Qualität aufrechterhalten können, müssen wir dafür sorgen, daß die Funktionsfähigkeit und die Finanzierbarkeit dieses Systems durch das jetzt vorgelegte Reformpaket erhalten bleibt.
Herzlichen Dank.
Als nächster hat der Kollege Professor Dr. Martin Pfaff das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure, daß so wenig über den Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit, der der Gegenstand dieser Diskussion sein sollte, gesagt worden ist. Zwar gibt es auch so nützliche Anknüpfungspunkte; aber wir sollten dieses Dokument nicht ganz vergessen, denn es ist ein bemerkenswertes Dokument der Zwiespältigkeit und der inneren Zerrissenheit in der Beurteilung des Gesundheits-Reformgesetzes selbst durch Ihr eigenes Haus, Herr Bundesminister. Einerseits zieht Ihr Haus zwar ein positives Fazit über die Beitragssatzentwicklung; aber im gleichen Atemzug räumt derselbe Bericht ein, daß diese Entwicklung überhaupt erst durch die sogenannte Konzentration der Leistungen ermöglicht wurde — auf gut deutsch: durch Leistungsausgrenzungen —, zweitens durch die veränderte — auch hier dürfen wir deutsch reden: durch die drastisch erhöhte — Zuzahlung zu Lasten der kranken Menschen, also durch Verlagerungen der Ausgaben und nicht durch mehr Wirtschaftlichkeit, und drittens durch die unerwartet günstige Entwicklung der Grundlöhne. Darin, Herr Bundesminister, kann ich nichts Salomonisches erkennen, auch nicht irgend etwas, was mit Marktwirtschaft zu tun hätte.
Damit entlarvt dieser Bericht — sicherlich ungewollt — die wahre Wirkung des Gesundheits-Reformgesetzes, nämlich daß die Reform als groß angelegte Kostenverlagerungsaktion zu Lasten der Kranken und nicht der Gesunden, der Alten und nicht der Jungen, eher der Frauen als der Männer, aber auch — trotz Härtefall- und Überforderungsklausel — der Bezieher niedriger Einkommen ging. Sie hat nur kurzfristig Ruhe an der Beitragsfront vorgegaukelt.
Das war doch die politische Absicht und die politische Wirkung, die auch realisiert worden ist. Wenn die Beitragssätze tatsächlich so gut aussähen, wie Sie, Herr Bundesminister, es am Anfang Ihrer Rede dargestellt haben, warum ist dann heute Feuer auf dem
Dr. Martin Pfaff
Dach des Bundesgesundheitsministeriums, warum sprechen Sie dann von einer historischen, nicht nur ernsten, sondern sogar dramatischen Situation? Entweder war das GRG wirksam, oder es war es nicht. Beides ist ja wohl nicht möglich.
Ihre jüngsten Ankündigungen in Richtung auf ein Gesundheits-Strukturgesetz belegen in eindeutiger Weise, daß das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz in allen zentralen Punkten gescheitert ist.
Es ist gesundheits- und sozialpolitisch verwerflich, daß die Minderbelastungen bei den Gesunden in Form kurzfristig stabiler Beiträge durch erhöhte Zuzahlungen gerade der kranken Menschen erkauft werden mußten: Dies muß sozialpolitisch und gesundheitspolitisch verurteilt werden.
Kollege Scharrenbroich, eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Pfaff, wenn wir heute durchschnittlich ein niedrigeres Beitragsniveau haben als zu Beginn der Gesundheitsreform, würden Sie mir nicht zustimmen, daß deswegen das Gesundheits-Reformgesetz doch sehr erfolgreich war?
Ich bin als Ökonom in der Lage, einfach sagen zu können, daß Kostenverlagerungen keine Einsparungen sind. Wenn Sie aus dem Budget der Krankenkassen Ausgaben verlagern, die die Geldbörse der Versicherten, vor allem der Kranken, zusätzlich belasten, ist überhaupt nichts gewonnen. Dann stellt der ausgewiesene Beitragssatz eine Größe dar, die, ökonomisch gesehen, irrelevant ist. Ich würde dann von Einsparungen sprechen, wenn nicht nur die Beitragssätze pro forma — wohlgemerkt: kurzfristig; selbst das ist längerfristig nicht gelungen — stabil gehalten worden wären, sondern wenn auch tatsächlich mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Gerechtigkeit in unserem solidarischen System erhalten worden wären. Davon sind wir leider sehr weit entfernt, Herr Kollege Scharrenbroich.
Vorwegnahmeeffekte und nachfolgende Rückgänge in der Inanspruchnahme, die sogenannten Blüm-Bauch- und Blüm-Delle-Effekte, werden in diesem Bericht vorsorglich verschwiegen oder nur vage umschrieben. Aber andererseits kommt selbst dieser Bericht nicht umhin — der Herr Bundesminister hat es gerade bestätigt —, daß wir eine expansive Ausgabenentwicklung haben, die die Beitragssatzstabilität gefährden muß, und daß die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung für dieses und für das nächste Jahr enorm zunehmen werden. Ja, die Situation ist ernst, Herr Bundesminister. Ich frage mich: Warum ist sie so ernst?Zwischen den Zeilen gelesen, ist selbst der Bericht Ihres Hauses eine vernichtende Kritik an der Wirksamkeit des Gesundheits-Reformgesetzes. Während diejenigen Bereiche des Gesundheits-Reformgesetzes, die direkt zu Lasten der Versicherten gingen, also Ausgrenzung von Leistungen und erhöhte Zuzahlungen, weitgehend umgesetzt wurden, steht der Beitrag der Anbieter in der Tat noch aus. Ihre Formulierung des sogenannten Strukturreformgesetzes — ich sage „sogenannten", weil ich mit großer Spannung abwarten will, was an echten Strukturreformen umgesetzt werden kann — ist eben ein Beweis dafür, daß diese Strategie, die mit relativ schwachen Instrumenten, beispielsweise mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen und mit mehr Kosten- und Leistungstransparenz, zu einer wirtschaftlichen Leistungserbringung gelangen wollte, leider ihre Ziele nicht erreicht hat, ja, daß nicht einmal die vollständige Umsetzung dieses Instrumentes gelungen ist. Im Gegenteil: Auch bei den Ausgaben für die ambulante Versorgung scheint durch die Ausdeckelung das Ruder nicht zu funktionieren, vielmehr scheinen die Ausgaben aus dem Ruder zu laufen.Das GRG ist, so meine ich, in seinem Ergebnis deshalb so vernichtend zu beurteilen, weil ganz wesentliche, notwendige Reformbereiche nicht angegangen wurden. Die Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung, Herr Bundesminister, ist selbst in Ihren jetzigen Vorschlägen nicht genügend berücksichtigt. Es ist richtig, daß in dem ursprünglichen Gesetz eine Auflistung erfolgte, nachdem in der „Süddeutschen Zeitung" ein gewisses Interview gegeben wurde, in dem das GRG schon damals, und zwar am 12. Februar, kritisiert worden ist. Von wem, möchte ich jetzt nicht hier ausführen.Ich sage deshalb: Leider ist zu konstatieren, daß die Perspektiven der Ausgabenentwicklung mehr als drei Jahre nach dem als Jahrhundertwerk angepriesenen Gesundheits-Reformgesetz heute noch düsterer sind als vor der Einführung des Gesundheits-Reformgesetzes. Das ist doch die bittere Wahrheit. Deshalb — und nur deshalb sprechen Sie von einer Situation, die nicht nur ernst, sondern bedenklich ist.Wenn es um die Analyse der Ursachen des Scheiterns geht, ist der Bericht weit von einigen wahren Ursachen entfernt. Anstatt die beschriebene Entwicklung als notwendige, ja, zwingende Konsequenz dieser fehlsteuernden Elemente darzustellen, werden die Fehler in diesem Bericht vor allem anderweitig gesucht. Der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung wird in vielen Bereichen eine mangelnde Umsetzung des GRG vorgeworfen. Soimit wird den Sozialpartnern faktisch die Verantwortung für das Scheitern des GRG als Instrument zur Ausgabensteuerung und zur Stabilisierung der Beitragssätze in die Schuhe geschoben. Dies ist in höchstem Maße unredlich!
Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen muß zudem für die mangelnde Sicherung der Beitragssatzstabilität und der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens geradestehen, weil sie angeblich ihre Empfehlungen inhaltlich nicht konkret und verbindlich genug formuliert hat da ist was Wahres dran —, weil sie keine regelmäßige Bilanz des bisher Erreichten durchgeführt hat, aus der Schlußfolgerungen gezogen werden könnten auch da finde ich einen
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Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8129
Dr. Martin PfaffKern von Wahrheit —, und weil sie auch keine Bilanz der Umsetzung der Qualitätssicherungsmaßnahmen vorgelegt hat.Aber ich frage: Wer ist denn dafür verantwortlich? Ich frage Sie: Reichen denn die im GRG vorgesehenen Richtlinien und Instrumente wirklich aus, um der Konzertierten Aktion eine solche Steuerungskompetenz und Steuerungsverantwortung zu verleihen? Ich sage nein! Die Verantwortung dafür müssen wohl die Väter des GRG auf sich nehmen. Man kann nicht, man darf nicht den Schwarzen Peter für die Versäumnisse der Gesetzgebung, die man selbst zu verantworten hat, weiterreichen. Der Bericht schweigt über diesen Aspekt und viele andere Aspekte der Umsetzung.Ich sage nur folgendes: Fehlende Courage beim Eingeständnis eigener Fehler kann nicht durch aggressive und deplazierte Vorwürfe gegenüber anderen wettgemacht werden. Hier ist mehr politischer Mut und mehr Ehrlichkeit, so meine ich, wirklich gefordert.
Es gibt Teile des Berichtes, denen ich ausdrücklich zustimmen möchte — Sie Herr Bundesminister, haben diese Teile angesprochen —, etwa dort, wo es um die Ursachenanalyse des Sachverständigenrats geht. Darin, daß nicht der technische Fortschritt, daß nicht das Morbiditätsspektrum, daß nicht der Alterungsprozeß von einem Jahr zum anderen diese gewaltigen Steigerungen verursacht haben kann, kann ich Ihnen, vor allem dem Bericht und dem Sachverständigenrat, der hier zitiert wird, wirklich vollinhaltlich zustimmen. Wenn Forderungen nach echten Strukturreformen formuliert werden — Sie haben sie wiederholt —, finden Sie mich auch in dieser Argumentation an Ihrer Seite. Es bleibt aber — das möchte ich in aller Offenheit hier und heute sagen, Herr Bundesminister — abzuwarten, ob Sie bei der Umsetzung unpopulärer Maßnahmen — Strukturmaßnahmen, die zu Lasten der Einkommen der Leistungserbringer gehen —, den politischen Mut, die politische Kraft haben werden, um das durchzusetzen, was Sie selbst heute hier gefordert haben.
Ich wünsche mir das im Interesse unseres Gesundheitswesens.Man sollte die im Bericht angesprochenen Probleme nicht von sich weisen. Ich glaube, man sollte sich ein bißchen an die eigene Brust klopfen, nicht den Balken im eigenen Auge ignorieren und nur die Splitter in den Augen der Konzertierten Aktion oder der Selbstverwaltung suchen. Ich glaube, daß würde einen Teil der Kritik wegnehmen.Ich komme zum Schluß: Bei der zweiten und dritten Lesung des Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB V habe ich auf die Aushöhlung des Prinzips der Beitragssatzstabilität eben durch die Bundesregierung hingewiesen, die selbst das ausgehöhlt hatte, was sie im Einigungsvertrag als Beitrag der Arzneimittelindustrie gefordert hatte. Am 20. September 1991 habe ich wiederum auf das Versagen des GRG hingewiesen, was die Ursachen der Dynamik der Mengen und Preise angeht. Schließlich hatte ich Frau Hasselfeldt den Scherbenhaufen ihrer Kostendämpfungspolitik angekündigt und gesagt: Spätestens — wenn nicht vorher — bei Philippi werden wir uns wiedersehen. Nun, Herr Bundesminister, das ist eingetreten — leider. Ich sage das auch mit persönlichem Bedauern. Frau Kollegin Hasselfeldt ist nicht mehr unter uns.
— Ich meine, hier heute.
Kollege Pfaff, aber der Ankündigung der Tat, zum Schluß zu kommen, müßte dann auch die konkrete Tat folgen, und zwar jetzt gleich.
Das mache ich sehr gerne.
Ich wünsche mir jedenfalls, daß die angekündigten Strukturmaßnahmen wirklich umgesetzt werden. Auf jeden Fall kündigt sich ein heißer Herbst der Gesundheitspolitik an. Herr Bundesminister, wir wollen, ja, wir werden unseren Teil auch dazu beitragen.
Jetzt hat der Kollege Dr. Bruno Menzel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zu Beginn zwei Sätze aus dem zur Beratung vorliegenden Bericht zitiere:Ohne die Gesundheitsreform hätte sich der Anstieg des durchschnittlichen Beitragssatzes auch in den Folgejahren fortgesetzt.
Der durchschnittliche Beitragssatz hätte dann 1990 die 14 %-Grenze erreicht und 1991 überschritten.Stellt man die tatsächliche Beitragssatzentwicklung derjenigen gegenüber, die dem Trend der Jahre 1984 bis 1988 entspricht, so läßt sich daraus eine Minderbelastung der Beitragszahler für den Zeitraum der Jahre 1989 bis 1991 von mehr als 30 Milliarden DM ableiten.Diese wenigen Sätze, denke ich, Herr Professor Pfaff, geben in knapper Form den Erfolg der Gesundheitsreform wieder. Auch mit Verweis auf das derzeitige Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung läßt sich bei vernünftiger Betrachtung dies sicher nicht leugnen.Selbstverständlich kann man eine Tatsache immer von zwei Seiten betrachten. Die heutige Diskussion zeigt mir, daß dieses Parlament sehr konsequent ist. Sie haben das Gesundheits-Reformgesetz abgelehnt — in der Folge kritisieren Sie es natürlich heute auch —, wir haben damals dafür gestimmt, und wir
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Dr. Bruno Menzelweisen auf die aus unserer Sicht durchaus positiven Seiten hin.Wir haben deshalb mit den jetzigen Koalitionsergebnissen zur Sicherung und Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung den Weg gezielt fortgesetzt. Wir haben dies in dreifacher Hinsicht getan:Zum einen haben wir erneut den Grundsatz der Beitragssatzstabilität als ein wichtiges Finanzierungsziel des Gesundheitswesens bestätigt, wohl wissend, daß die Beitragssatzstabilität keinen Wert an sich darstellt, aber ein wichtiges Element ist, um die langfristige Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens garantieren zu können.Auch wenn die Beitragssätze derzeit mit durchschnittlich 12,5 % im übrigen noch deutlich unter dem Niveau vor der Gesundheitsreform liegen, kann eine weitere Hinnahme von Beitragserhöhungen weder für die Versicherten noch für die Arbeitgeber vertretbar sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das ist der Fall.
Herr Kollege Menzel, Sie sprachen davon, daß Sie den Weg gezielt fortgesetzt haben. Herr Minister Seehofer sprach von einer Notbremsung. Wie ist denn bei einer gezielten Fortsetzung eine Notbremsung erforderlich? Das müßten Sie mir doch bitte einmal erklären.
Das will ich Ihnen gerne sagen. Wenn Sie die Worte des Gesundheitsministers aufmerksam verfolgt hätten, dann würden Sie gehört haben,
daß er im Gegensatz zu dem, was Herr Professor Pfaff gemeint hat, nämlich daß wir unredlich gewesen wären, sehr eindeutig und deutlich gesagt hat, daß bei dem damaligen Gesundheits-Reformgesetz bestimmte Schritte nicht gegangen worden sind, die sicherlich dringend notwendig wären. Wir haben auf der einen Seite einen gewissen Erfolg, aber wir müssen auf der anderen Seite feststellen, daß wir weitere Schritte tun müssen. Deswegen ist die Konsequenz, die wir hier mit diesem neuen Gesundheitsstrukturgesetz eingeschlagen haben, nur folgerichtig.
Ich denke, das widerspricht sich nicht.Steigende Lohnnebenkosten gefährden Arbeitsplätze und zunehmende Beiträge fördern die ohnehin schon mehr als — —
— Das Jahrhundert ist ja noch nicht zu Ende!
Wir wollen auch verhindern, daß durch Beitragssatzsteigerungen Schwarzarbeit gefördert wird. Es ist deshalb die Aufgabe der Gesundheitspolitik und vor allen Dingen auch der Selbstverwaltung von Leistungserbringern und Krankenkassen, alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu ergreifen, damit langfristig die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens auf sicheren Grundlagen bestehen bleibt.Zum zweiten beinhalten die Eckpunkte zu diesem Gesundheitsstrukturgesetz eine Reihe von Maßnahmen, die im Gesundheits-Reformgesetz zwar enthalten waren, die aber bisher aus den verschiedensten Gründen entweder nicht oder nur ungenügend umgesetzt worden sind. Ich erinnere nur daran, daß die Krankenversichertenkarte nach dem GesundheitsReformgesetz bereits zum 1. Januar 1992 durch die Selbstverwaltung eingeführt sein sollte. Ich denke, die Krankenversichertenkarte ist ein entscheidendes Instrument nicht nur zur Verwaltungsvereinfachung, um mehr Transparenz für alle Beteiligten des Gesundheitswesens erreichen zu können; ich erinnere auch an die vorgesehenen Maßnahmen zur besseren Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung, zur Qualitätssicherung und zur Richtgrößeneinführung sowie an die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Mit den jetzt von der Koalition beschlossenen Eckpunkten werden die noch ausstehenden Umsetzungen aus der Gesundheitsreform gezielt nachgeholt. Das halte ich für ganz wesentlich.Der dritte und wichtigste Punkt des geplanten Gesundheitsstrukturgesetzes wird sein, daß wir nunmehr auch eine gezielte Reform der Krankenhausfinanzierung angehen. Warum das bisher nicht möglich war, hat der Gesundheitsminister in seinen Ausführungen bereits eindeutig dargelegt.Es war damals auch argumentiert worden, daß die Gesundheitsreform das Krankenhaus ausklammert, weil zunächst die Erfahrungen mit dem Krankenhausneuordnungsgesetz von 1984 und der erwarteten Bundespflegesatzverordnung von 1985 abgewartet werden sollten. Der hierzu auf Wunsch der F.D.P. vorgelegte Erfahrungsbericht der Bundesregierung hat jedoch deutlich gezeigt, daß auch das modifizierte Selbstkostendeckungsprinzip nicht geeignet ist, im Krankenhausbereich die notwendige Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu erreichen.Die jetzt von uns beschlossene Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips bedeutet, daß es für die Krankenhäuser so schnell wie möglich anstelle einer Kostenerstattung über Pflegesätze echte Preise für Leistungen geben wird. Bereits mit Beginn des nächsten Jahres soll wirtschaftliches Verhalten in Krankenhäusern mit der Möglichkeit der Gewinnerzielung verbunden werden.
Verluste wegen Unwirtschaftlichkeit verbleiben natürlich andererseits beim Krankenhaus und können nicht mehr auf die Krankenkassen und damit auf die Beitragszahler weitergewälzt werden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8131
Dr. Bruno MenzelWir haben — und das halte ich für mindestens ebenso wichtig — außerdem Einvernehmen darüber erzielt, daß wir den Krankenhausbereich schrittweise zu einer monistischen Finanzierung führen. Ich denke, es gibt zwischen uns keinen Dissens hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Maßnahme.Die Krankenhäuser können also bereits beginnend mit dem nächsten Jahr notwendige Investitionen dann über den Pflegesatz finanzieren, wenn sie hierdurch nicht teurer werden als vergleichbare öffentlich geförderte Krankenhäuser. Gerade mit dem Blick auf die neuen Bundesländer, meine Damen und Herren — und das halte ich für ganz wesentlich; Herr Kollege Knaape, auch Ihnen möchte ich das ganz dringlich sagen —, werden leistungsfähige und wirtschaftlich arbeitende Krankenhäuser damit den nötigen Bewegungsspielraum bekommen, der dringend erforderlich ist, und — das ist ganz wichtig — auch in den neuen Bundesländern wird ein deutlicher Schub für die zwingend notwendige Verbesserung der Krankenhausversorgung eingeleitet.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch kurz auf einen weiteren Punkt eingehen. Wir haben in der jetzt erzielten Einigung über die Eckpunkte zur Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung auch die Frage nach dem Aufgabenkatalog einer Solidarversicherung neu gestellt. Wenn wir die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft sicherstellen wollen, dann müssen wir auch die Frage stellen, welche Leistungen die Versichertengemeinschaft übernehmen muß und kann. Meine Damen und Herren, wer permanent neue Leistungen in die gesetzliche Krankenversicherung einbezieht, schafft auch permanent neue Finanzierungsbelastungen. Es ist deshalb von zentraler Bedeutung, daß wir den Aufgabenkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung präzise mit der Frage nach der genauen Grenzziehung zwischen Solidargemeinschaft und Einzelverantwortung abstimmen.Ich denke, auch das ist eine Aufgabe für die Zukunft, die nicht zu umgehen ist. Wir tun sicherlich gut daran, sie gemeinsam in Angriff zu nehmen.In einem ersten Schritt wollen wir daher beim Zahnersatz eine Unterscheidung zwischen Regel- und Zusatzleistung einführen. Aufgabe einer Solidarversicherung ist die Versorgung im Umfang des medizinisch Ausreichenden und Zweckmäßigen.
— Wir haben das jetzt noch besser geregelt.
Herr Kollege Kirschner, wer besonders aufwendige, über diesen Rahmen hinausgehende Leistungen wünscht, soll daran selbstverständlich auch als Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht gehindert werden. Es kann aber nicht angehen, daß z. B. aus Gründen der Ästhetik über die Grundversorgung hinausgehende Kosten von uns allen, nämlichvon der Solidargemeinschaft insgesamt, finanziert werden müssen.
Dies hätte zur Konsequenz, daß die Mehrheit der Beitragszahler für die besonderen Wünsche einer Minderheit aufkommen muß. Wer besondere Leistungen wünscht, soll diese auch bekommen, aber er muß dafür in Zukunft die verursachten zusätzlichen Kosten tragen.Bitte schön, Herr Kollege Kirschner.
Herr Kollege Dr. Menzel, können Sie mir einmal erklären, was es bedeutet, wenn in § 30 Abs. 6 SGB V klar und deutlich festgelegt ist, daß über die notwendigen Leistungen hinausgehende Maßnahmen beim Zahnersatz der Versicherte selbst zu bezahlen hat? Das ist doch bisher eindeutig geregelt.
Herr Kollege Kirschner, Sie werden mir sicherlich zugeben, daß es im Zuge der hier ständig zitierten Weiterentwicklung des Gesundheitswesens ganz neue Möglichkeiten des Zahnersatzes gibt, die über den bisherigen Versorgungsgrad deutlich hinausgehen. Es ist ein deutlicher Unterschied, ob ich eine Metallgußprothese oder ein Implantat nehme. Die Versorgungsleistungen werden in Zukunft immer weiter verbessert. Wir gehen davon aus, daß jeder Versicherte von der Solidargemeinschaft die zahnärztlich notwendige und medizinisch vertretbare Versorgung für ein funktionierendes kaufähiges Gebiß erhält.
— Das habe ich eben gesagt. Ich habe gesagt: funktionierendes kaufähiges Gebiß.
Daß man darüber hinaus aus ästhetischen Gründen besondere Wünsche haben kann, ist voll verständlich. Diese Wünsche sollen auch erfüllt werden, aber dafür kann die Solidargemeinschaft nicht eintreten.
Wir müssen in der konsequenten Fortsetzung unserer Bemühungen die Leistungen der Solidargemeinschaft neu bestimmen. Wenn wir das nicht tun, werden wir in der Zukunft nicht garantieren können, daß jeder Bürger dieses Landes unabhängig von Stand und Beruf diejenigen medizinischen Leistungen erhält, die die medizinische Wissenschaft dem Patienten zuteil werden lassen kann. Das aber muß unser Anliegen sein. Wir sind alle aufgefordert, dazu beizutragen.
Vielen Dank.
Nun hat die Kollegin Dr. Ursula Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute mit einem Bericht des Bundesministers für Gesundheit
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8132 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Ursula Fischeraus dem Jahre 1990/91 beschäftigen, dann sollte man sich schon der Mühe unterziehen, sehr genau hinzuschauen, gerade im Hinblick auf den Osten. Der Blick aus den anderen Parteien fällt da leider immer nur sehr kurz aus. Damit keine Mißverständnisse auftauchen, will ich zitieren:Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat auf ihrer Sitzung am 5. November 1990, an der erstmals Vertreter aus ganz Deutschland teilnahmen, es „als wichtigste Aufgabe angesehen, die gesundheitliche Versorgung in den neuen Bundesländern so rasch wie möglich an das Versorgungsniveau im bisherigen Bundesgebiet heranzuführen und den westdeutschen Versorgungsstrukturen anzupassen, ohne— jetzt kommt es —hier vorhandene Mängel zu übertragen".Noch einmal: „hier vorhandene Mängel" ! — Man ist ja — zumindest ich bin es — fast glücklich über soviel Einsicht.„Mängel" kommt von „Mangel" . Woran aber mangelt es denn nun im Gesundheitswesen dieser Altbundesländer? Es wäre sicher ganz wertvoll, wenn der Minister dazu ganz eindeutig etwas sagen würde. Und welchen Mangel wollte man denn nicht auf die ehemalige DDR übertragen?Ich zitiere aus den mit vorrangiger Bedeutung versehenen Maßnahmen und Zielen nur zwei von sechs: Entstaatlichung und Dezentralisierung durch Förderung freiberuflicher bzw. selbständiger Tätigkeit der Gesundheitsberufe, wobei Leistungsstrukturen der poliklinischen Versorgung unter gleichen Bedingungen im Wettbewerb eine Chance erhalten müssen! Von Förderung war hier die Rede, nicht vom Zwang zur Niederlassung.Wie sieht es nun aus mit der selbständigen Tätigkeit der Gesundheitsberufe, z. B. im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung, die für die neuen Bundesländer ja sehr wichtig ist? Von gleichen Bedingungen und Chancen der Polikliniken im Wettbewerb ist ganz zu schweigen.Das ist eigentlich ziemlich typisch — ich bin darüber etwas traurig —: Viele Worte und Versprechen, aber dann kaum Taten in der angezeigten Richtung, jedoch sehr kräftig in anderer Richtung, nämlich Selbstbeteiligung der Patienten.Nach der kurzen Kritik nun aber ein paar optimistische Aussichten:Ein Detailproblem der auf uns zukommenden Gesundheitsreform sind die Zulassungszahlen zum Medizinstudium bzw. die steigende Ärztedichte, die im Leistungsangebot auf dem Gesundheitsmarkt ebenfalls einen Kostenfaktor ausmachen.Auf den Seiten 9 und 10 wird in dem Bericht argumentiert, daß die Ermittlung der Ausbildungskapazität die Voraussetzung zur Festsetzung der Zulassungszahlen zum Medizinstudium sei. Das finde ich sehr interessant; denn hier macht man glauben, daß über eine rechtssichere einheitliche Kapazitätsverordnung der Länder die Vergabe oder besser Nichtvergabe — also eine notwendigerweise drastischeEinschränkung der Zahl der Studienplätze — realisiert werden kann.Obwohl der Staat hier eingreift, was wir an dieser Stelle begrüßen, wird die Verantwortung für die Ärzteplanung also bundesweit an die Länder delegiert. Wörtlich heißt es, „daß es aus Gründen der Sicherung der Qualität der ärztlichen Ausbildung einer Anpassung der Studienanfängerzahlen in der Medizin an die vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten bedarf" .Das könnte allerdings im Sinne des freien Marktes auch heißen, daß die Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen ihre Kapazitäten ja erweitern können, um des Andrangs aufs Medizinstudium Herr zu werden. Aber das kann ja wohl nicht gemeint sein.Wir haben den Eindruck, daß hier so etwas wie eine Planung vollzogen wird. Ich würde hier freilich nicht Planung, sondern Steuerung sagen. Ich würde sie gern in eine andere Richtung wünschen. Denn mir sind 10 000 bis 12 000 arbeitslose Ärzte — das ist die niedrigste Schätzung des Marburger Bunds — einfach zuviel.Wenn dem so ist, daß man über Umwege sogar zu einer Gesundheitsplanung käme, sähen wir Anfänge, aber leider, wie gesagt, in die falsche Richtung. Wir alle wissen, daß auch bei Realisierung der jetzt vorliegenden Reformpläne von Herrn Seehofer die sogenannte Kostenexplosion in zwei bis drei Jahren erneut zu weiteren Schritten zwingen wird. Man wird das auch zu erklären wissen.Wir fordern also in dem soeben genannten Sinn eine planvolle, aber grundlegende Strukturreform beginnend beim obsoleten Krankenkassensystem über eine effiziente Verzahnung von stationärer und ambulanter Betreuung — das trägt sehr zur Kostensenkung bei —, eine Brechung des Monopols der Kassenärztlichen Vereinigungen in der ambulanten Versorgung, mehr Pluralität also — das kann ja nur recht sein — und somit ernstgemeinte Chancen für das poliklinische, meines Erachtens billigere Prinzip; ich spreche hier vom Prinzip, nicht von der Poliklinik an sich.Die Datenerhebung, die der dringend notwendigen Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung vorgeschaltet werden soll, gibt eventuell etwas zeitlichen Spielraum. Das Problem bleibt allerdings: Ein nicht mehr realisierbares Solidaritätsprinzip in der zersplitternden gesetzlichen Krankenversicherung steht dem freien Markt der Leistungsanbieter gegenüber, übrigens relativ chancenlos ohne den Bundesgesetzgeber.Mehr Staat im Gesundheitsbereich, richtig angewendet, ist also eine Perspektive zugunsten der völlig vernachlässigten Beitragszahler.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Kollege Bernhard Jagoda hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesgesundheitsminister erfüllt mit der Vorlage dieses
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8133
Bernhard JagodaBerichts den Auftrag des Gesetzgebers, ihm alle drei Jahre zu berichten, wie sich die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelt haben und ob die Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion umgesetzt worden sind. Diese Vorschrift in § 141 Abs. 4 SGB V knüpft an die gesetzliche Vorschrift des alten § 405 der Reichsversicherungsordnung an. Sie knüpft aber nicht nur daran an, sondern gibt der Konzertierten Aktion ein größeres Gewicht, das sie vorher nicht gehabt hat.Die Vorschrift unterwirft die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes der Verpflichtung, diese Fragen in gewissen Abständen zu erörtern — jetzt zitiere ich aus dem Kommentar Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer —, „um höhere Akzeptanz für eventuell notwendige Deregulierungen oder Verfeinerungen des Ordnungsrahmens zu erreichen" . Das ist das Ziel der Diskussion, die heute beginnt. Wir sollten also das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und uns nicht gegenseitig Schuldvorwürfe machen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Politik alle drei Jahre über das soeben skizzierte Ziel diskutieren. Wir tun das jetzt und erfüllen damit einen gesetzlichen Auftrag.Lassen Sie mich nun etwas zur Beitragssatzentwicklung sagen.
Betrachten wir diesen Teil des Berichtes, dann springt deutlich ins Auge, wie dynamisch diese Entwicklung war, und zwar nicht erst zur Zeit dieser Koalition. Von 1970 bis 1988 ich beziehe also beide Koalitionen mit ein — haben sich die Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung von 23,8 Milliarden DM auf 128 Milliarden DM erhöht, also verfünfeinhalbfacht. Das Bruttosozialprodukt ist in diesem Zeitraum aber nur um das Dreieinhalbfache gestiegen. Das heißt, der Anteil der Leistungsausgaben am Bruttosozialprodukt hat sich von 3,5 % auf 6 % erhöht und damit fast verdoppelt.Da hier, Herr Kollege Professor Pfaff, so viel von dem Balken und dem Splitter in den Augen geredet worden ist: Es ist schon erstaunlich, woher Sie den Mut dazu nehmen. In Ihrer Regierungszeit sind Ihnen die Beitragssätze davongelaufen, von 8 % auf 12 % gestiegen.
Wir regieren jetzt zehn Jahre und haben immer noch eine 12 vor dem Komma.
Die Sätze sind heute niedriger als vor der Gesundheitsreform. Angesichts dessen frage ich mich, woherSie die Stirn nehmen, uns zu bezichtigen, wir sähenzwar den Splitter im Auge anderer, aber den Balken im eigenen Auge nicht.
Es kann doch nicht sein, daß Sie die positive Entwicklung der Beitragssätze, die in dem Bericht dargestellt ist, nicht auch zur Kenntnis genommen haben. Das können Sie auch durch Ihre Schreierei nicht kleiner machen, Herr Kollege.
— Weil Sie die Lohnnebenkosten in den Jahren 1970 bis 1982 davonlaufen ließen. Heute betragen sie mehr als 80 %. Als Sie die Regierungsverantwortung seinerzeit von uns übernommen haben, lagen sie bei 60 %. Das ist die Situation.
Wir sind das Sanitätskommando, um diese Fehlentwicklung zu reparieren, die durch Ihr Versagen entstanden ist. Das ist der Punkt.
— Lieber Herr Kollege Haack, stellen Sie doch eine Zusatzfrage, die ich Ihnen dann beantworten kann. Dann kommen wir vielleicht besser in einen Dialog, den wir doch heute erst beginnen. Ich hoffe, daß Sie ihn nicht schon aufgekündigt haben.
Dieser Bericht macht deutlich, daß die Ausgaben noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg, Herr Ökonom Professor Pfaff, so entscheidend gesunken sind wie 1989.
In den Jahren 1989 und 1990 haben wir trotz Beitragssatzsenkungen von fast 15 Milliarden DM in dem Bereich Überschüsse gehabt.Nun ist gesagt worden, das liege auch an der guten Entwicklung der Grundlohnsumme.
Aber ich darf Sie, meine Damen und Herren, an folgendes erinnern: Obwohl sich die Tarifvertragspartner — ich kritisiere das nicht — entschieden haben, Produktivität in diesem Zeitraum nicht in Geld, sondern in Form von Freizeit weiterzugeben, ist die Grundlohnsumme entscheidend gestiegen, und zwar deswegen, weil diese Koalition eine Politik gemacht hat, die neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen hat, nämlich mehr als 3 Millionen.
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8134 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Bernhard JagodaDas bedeutet eine größere Zahl von Versicherten, die entsprechend mehr Beiträge in die Kasse zahlen. Auch insofern ist unsere Politik aufgegangen.
Nun bin ich ja gewohnt, daß das GRG so kritisiert wird. Sie waren damals dagegen. Das ist auch gut; in der Demokratie muß das so sein. Nur, Herr Professor Pfaff, Sie haben das schöne Bild mit dem Feuer auf dem Dach des Gesundheitsministeriums angeführt. Wissen Sie, wenn Sie 1982 an der Regierung geblieben wären und hätten so weitergemacht wie in den 70er Jahren, wäre das Haus schon abgebrannt. Dann hätten wir kein Feuer auf dem Dach, dann hätten wir nur noch Asche in diesem Bereich zu beklagen.
Damit komme ich zur Konzertierten Aktion. Aus Zeitgründen kann ich nur ein paar Punkte ansprechen. Ich will mich auf die Empfehlung vom 10. April 1989 beschränken, wo die Konzertierte Aktion, in der alle sitzen, gesagt hat, daß die Vergütungen für ärztliche Behandlung auch 1990 und 1991 so steigen sollen, daß die Beitragssatzstabilität, die so verteufelt wird, eingehalten wird. Leider ist es in der freien Vereinbarung nicht dazu gekommen.Das möchte ich den Kritikern auch einmal sagen: Wer kritisiert, daß das eine oder andere in freier Vereinbarung nicht stattfindet, muß sagen, was er denn für ein System will, wenn er dieses nicht will. Will er ein staatliches System? Wollen Sie in diesem Bereich festgesetzte Bezüge haben? Der Weg der Ausdeckelung, den ich nicht begrüße, und auch die Festsetzung feststehender Prozentpunkte haben nicht zur Beitragsstabilität beigetragen. Daher ist auch ein Manko in diesem Vertrag enthalten; denn es ist nur im nachhinein festzustellen: Ist es zu einer Beitragssatzerhöhung gekommen, oder ist die Steigerung über der Grundlohnsumme gewesen? In dem Vertrag ist nicht festgelegt, daß dann auch etwas zurückgezahlt werden muß. Das ist ein Manko. Das muß man auch in dieser Deutlichkeit aussprechen.
— Herr Kollege, fragen Sie doch. Ich finde das nicht so gut. Ich habe Ihnen, ich habe allen zugehört, die zu diesem Bereich gesprochen haben. Sie stehlen mir die Redezeit, die sowieso sehr beschränkt ist.
Herr Kollege Jagoda, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne, immer.
Herr Kollege Jagoda, ich werde Ihnen nichts stehlen, auch keine Redezeit.
Ich frage Sie, wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, daß die Steigerungen der Honorare über der Grundlohnsumme lagen: Warum hat das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde dann nicht die Verträge dort, wo es die Möglichkeit dazu hatte, beanstandet im Sinne der Sicherung der Beitragssatzstabilität, was in Einzelparagraphen im GRG zwingend vorgeschrieben ist?
Herr Kollege Kirschner, wenn ich das Gesundheits-Reformgesetz richtig kenne, ist der Bundesgesundheitsminister nicht die Aufsichtsbehörde der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,
sondern das Bundesversicherungsamt. Die Aufsicht ist in diesem Bereich geregelt, und daher muß Aufsicht wahrgenommen werden, gar keine Frage. Aber die Aufsichtsmöglichkeiten — Sie haben dem Gesetz ja damals nicht zugestimmt; nicht deswegen, sondern aus anderen Gründen — sind nicht ausgeprägt genug. Das ist der Punkt.
— Warum haben wir nichts gemacht?
— Was heißt die Mehrheit? Ich bitte Sie! Herr Kollege Kirschner, wir verlassen uns auf unser System, und das funktioniert auch. Wir haben heute einen Beitragssatz von 12,5 %, Sie haben uns einen Beitragssatz von 12 % hinterlassen. In zehn Jahren eine Beitragssatzsteigerung von einem halben Prozentpunkt bei einer enormen Leistung für die Versicherten. Das hätten Sie einmal vormachen müssen.
Lassen Sie mich zur Qualitätssicherung der hausärztlichen Versorgung kommen.
— Wissen Sie, beim Arzneimittelbereich schenken wir den Versicherten eine halbe Milliarde DM durch Festbeträge, gegen die Sie gewesen sind, Herr Kollege. Oder waren Sie dafür?
— Also, sehen Sie.
— Wissen Sie, wenn sich die Leute in Deutschland auf Sie verlassen müßten, dann wäre die Versorgung wirklich wie in den neuen Bundesländern früher gewesen. Aber hier ist eine ausreichende Versorgung.
— Ach, lieber Herr, passen Sie auf, daß Sie sich nicht irgendwo anders hinfassen müssen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8135
Bernhard JagodaLassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen: die Qualitätssicherung der ambulanten ärztlichen Versorgung. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß sich Bundestag und Bundesrat damit zu befassen haben. Mir reicht die Stellungnahme des Bundesrates vom Frühjahr dieses Jahres, in der nur gesagt wird, was nicht richtig ist, nicht aus. Ich erwarte, daß der Bundesrat bei der Behandlung dieses Themas zu seiner Verantwortung der Ausbildung von Ärzten Stellung nimmt und sagt, wie er die Kapazitätsverordnung weiter zu handhaben gedenkt.Lassen Sie mich zur Arzneimittelversorgung kommen. Es wird fälschlich immer wieder darauf hingewiesen, als würden mit den Festbeträgen auch die Mengen reguliert. Das hat kein Mensch behauptet. Das Instrument der Festbeträge war ein Instrument, um die Preise in den Griff zu bekommen. Es ist bewiesen, daß auf dem Gebiet der Arzneimittel nach dem vorliegenden Bericht 0,1 % Preissenkungen zu vermerken sind. Die Mehrausgaben kommen von der Mengenkomponente. Bezüglich der Mengenkomponente hatte der Gesetzgeber in dem so gescholtenen Gesetz — Herr Kollege, Sie waren dagegen — ganz andere Instrumente vorgesehen, z. B. Richtgrößen.
— Das ist nur teilweise vereinbart. Sie von der SPD sitzen doch in dem Bereich in der Selbstverwaltung mit drin. In dem Bereich hätten Sie Ihre Pflicht erfüllen können.
Es gibt aber nur eine einzige AOK in Deutschland, nämlich in Baden-Württemberg, die einen solchen Vertrag zustande gebracht hat. Bei allen anderen kann man nur sagen: Fehlanzeige.Von daher ist es so, daß die Rahmenverträge für die Arzneimittelversorgung nach § 129 — das sind die Verträge mit den pharmazeutischen Unternehmen und die Arzneimittelabrechnungsvereinbarungen nach § 300 noch nicht voll umgesetzt sind. Lediglich die Aufgabe einer Vereinbarung mit pharmazeutischen Unternehmen nach § 131 ist auf Grund des Berichts erfüllt. Die anderen Aufgaben sind noch nicht erledigt.Von daher wird auch deutlich, daß viele Instrumente des Gesundheits-Reformgesetzes nicht umgesetzt sind oder nicht voll umgesetzt sind oder nur verspätet umgesetzt wurden. Dennoch fühlen Sie sich in der Lage, ein Urteil über ein Gesetz zu fällen, das noch gar nicht umgesetzt ist. Das ist nicht nur hellseherisch, sondern halsbrecherisch. Sie werden erleben, daß wir weiter die Kraft aufbringen werden, um in diesem Bereich voranzugehen.
Ich kritisiere die Selbstverwaltung nicht. Ich will anerkennen, daß die Fragen sehr schwierig sind, die gelöst werden müssen. Es muß auch ein hartes Ringen um gewisse Ergebnisse geben.
Ich verkenne nicht, daß auch in dem Bereich diedeutsche Einheit viel Kraft gekostet und Zeit und Geldgebunden hat. Trotzdem gehe ich davon aus, daß die Selbstverwaltung aus ihrer Verantwortung, diese Gesetze umzusetzen, nicht entlassen werden kann.
Wir werden in diesem Bereich fortfahren. Wir werden diesen Bericht zur Grundlage nehmen und Sie zum Dialog im Ausschuß einladen. Vielleicht geht es da ohne Geschrei und ohne Zwischenrufe. Dann müssen Sie etwas zur Sache sagen.
— Nicht immer. Das können Sie nicht sagen.
— Fast immer, das will ich gelten lassen. Aber nicht immer.Von daher bin ich sehr gespannt, wie Ihre Beiträge im Ausschuß sein werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich warte also auf Ihre Blitzeinfälle.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Karl Hermann Haack das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Minister, ich erlaube mir, uns kurz daran zu erinnern, worüber wir reden. Wir behandeln einen Bericht der Bundesregierung. Dieser Bericht befaßt sich mit der Entwicklung der Beitragssätze, und er nimmt Stellung zu den Empfehlungen und Vorschlägen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen.Mit viel Rhetorik hat Herr Minister Seehofer hier nochmals sein neues Konzept zur Reform des Gesundheitswesens vorgestellt. Insofern, denke ich, reden wir nicht über den Berichtszeitraum 1989/1991, sondern über den Zeitraum von 1989 bis 1992, also über drei Jahre. Das finde ich auch gut so.Ich möchte mir, Frau Präsidentin, erlauben, den für mich wichtigen Teil dieses Berichts im Zitat vortragen zu dürfen. Ich zitiere aus der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse:Bei der Beurteilung der Beitragssatzentwicklung ergibt sich für den Betrachtungszeitraum insgesamt ein positives Bild.... Dementsprechend ging zum 1. Juli 1991 auch der Beitragssatz in der Krankenversicherung der Rentner von 12,8 auf 12,2 v. H. zurück.Eine entsprechende Entwicklung habe es auch im allgemeinen Beitragssatz gegeben.Diese Beitragssatzsenkungen wurden insbesondere durch die unmittelbar wirksam werdenden Maßnahmen der Gesundheitsreform zur Konzentration des Leistungskatalogs auf das medizinisch Notwendige und sozialpolitisch Erforderliche und die veränderten Zuzahlungsregelungen
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8136 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Karl Hermann Haack
möglich. Auch die günstige Entwicklung der Grundlöhne ... hat dazu beigetragen, . . .Ich wiederhole die Gründe, die darin angesprochen wurden: Konzentration auf das medizinisch Notwendige. Das bedeutet Leistungsbegrenzung oder Leistungsausschluß bei der Konzipierung des Gesundheits-Reformgesetzes. Als Beispiel will ich nur einmal die Abschaffung des Sterbegeldes nennen.Die Selbstbeteiligung, die damals eingeführt worden ist, umfaßt heute ein Volumen von 7 Milliarden DM im Jahr. Wenn der Minister landauf, landab erzählt, es seien jetzt 3,3 Milliarden DM zusätzlich zu zahlen, dann sind es insgesamt pro anno 10,3 Milliarden DM an Selbstbeteiligung, also knapp 812/0 der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, die die Versicherten, die ohnehin einen monatlichen Beitrag zu zahlen haben, heute zusätzlich aufbringen müssen.
Es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu, was in diesem Bericht zwar kaum erwähnt wird, dafür aber in der Kurzfassung des Sachverständigengutachtens der Konzertierten Aktion steht: Der Aufbau von Finanzreserven in der gesetzlichen Krankenversicherung hat dazu geführt, daß man bei der beginnenden defizitären Entwicklung der GKV im Jahre 1991 darauf zurückgreifen konnte, um liquide zu bleiben. Damit blieb der Beitragssatz konstant, d. h. die Regierung wurde aus politischen Gründen gestützt.Ich sage Ihnen: All das, was wir seinerzeit prophezeit haben, daß nämlich durch Kostenbeteiligung, Leistungsausgrenzung und Rückgriff auf die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenversicherung Beitragsstabilität nur kurzfristig eingetroffen ist. Das steht auch so in dem Bericht. Das bedeutet doch, Herr Minister, daß dieser Bericht letztlich auch einen Bericht über den Bankrott des Gesundheits-Reformgesetzes darstellt.
Ferner steht in dem Bericht, daß das Defizit der GKV, wenn sich nichts Wesentliches an der Situation ändert, auf 5 Milliarden DM anwachsen wird. Der Minister bestätigt selbst: Er erwartet für das Jahr 1992 ein Defizit von 10 Milliarden DM, wenn sich nichts ändern sollte.
— Der Bericht stammt aus dem Jahr 1991. Er sollte verschwiegen werden, er sollte hier nicht debattiert werden. Denn die Regierung hat kein Interesse daran, in Berichtsform den eigenen Bankrott zu erklären.
Das war der politische Aspekt. Insofern habe ich Ihnen als Sprecher der SPD-Fraktion dafür zu danken, daß Sie es erreicht haben, daß wir heute darüber reden.Nun kommen wir zum Jahr 1988 zurück. Damals haben wir darüber gestritten — bei den Beratungen waren Sie ja beteiligt, Herr Minister, Herr Dr. Thomae auch —, ob wir eine Strukturreform oder eine reine Kostendämpfung machen sollten. Wenn Sie uns immer als Übeltäter bezeichnen, Herr Kollege Jagoda, so muß ich Ihnen widersprechen: Wir sind ehrliche Menschen. Denn in dem Streit, ob Kostendämpfung oder Strukturreform oder beides — Sie wollten beides —, haben wir immer darauf hingewiesen, daß wir zu Zeiten der sozialliberalen Koalition mit Kostendämpfungsgesetzen Erfahrungen gemacht haben: Man kann damit die Höhe der Ausgaben — und damit die Beitragssätze — für einen gewissen Zeitraum stabilisieren. Doch wenn man die Strukturprobleme nicht angeht, können diese Kostendämpfungsmaßnahmen nicht wirken. Das haben wir Ihnen seinerzeit gesagt.
Damals haben wir Ihnen vorgehalten, Sie müßten alles daransetzen, die im Gesundheits-Reformgesetz enthaltenen Instrumente in bestimmten Bereichen der ambulanten Versorgung und der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie mit Arzneimitteln umzusetzen. Wir haben darauf hingewiesen, daß es nicht reicht — wie Frau Hasselfeldt es getan hat —, die gemeinsame Selbstverwaltung zu beschimpfen. Vielmehr muß man das, was im ursprünglichen Gesetzentwurf des Gesundheits-Reformgesetzes enthalten war, auch anwenden: Wenn der gemeinsamen Selbstverwaltung die Implementierung von Steuerungsinstrumenten nicht gelingt, Herr Minister, muß eine Ersatzvornahme durchgeführt werden.
Das galt aktuell für die Großgeräterichtlinie. Dazu gab es ein Urteil des Bundessozialgerichtes. Ferner war erkennbar, daß die Ärzteschaft die Einführung der Versicherungskarte boykottierte. Da war erkennbar, daß die Einführung der Festbeträge der Stufe II und III nicht funktionieren würde.Die Ehrlichkeit, Herr Minister, hätte es heute geboten, auch auf diesen Sachverhalt einmal einzugehen.
— Die Krankenhausfrage haben Sie ebenso außen vor gelassen, wie die Organisationsreform der GKV.Die defizitäre Entwicklung ist nicht ausschließlich durch die Organisationsreform, ist nicht durch die ungelöste Krankenhausfrage, nicht durch die Pflegeversicherung, wo Sie nicht zu Potte kommen, und auch nicht über die zunehmende Ärztezahl zu erklären. Es
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8137
Karl Hermann Haack
hat ausschließlich daran gelegen — das ist in den Berichten nachzulesen —, daß die entsprechenden Steuerungsinstrumente des GRG nicht umgesetzt worden sind.Dieser Sachverhalt, Herr Minister, wird noch einmal von Frau Bergmann-Pohl in einem Debattenbeitrag in der Aktuellen Stunde zum Gesundheitswesen vom 19. März 1992 verdeutlicht. Sie bestätigte eindeutig das, was ich Ihnen an Kritik zu diesem Bericht vortrage, und was auch an Kritik in dem Bericht enthalten ist.Wenn Sie jetzt darauf hinweisen, was wir als SPD alles in den letzten zehn bis 15 Jahren versäumt haben — da war ich nicht im Bundestag —, so kann ich nur sagen: Die Probleme sind die von heute, nicht von gestern.Nun haben wir einen ehrlichen Bundesgesundheitsminister.
— Ja, wir müssen diesen Bundesgesundheitsminister auch einmal loben: Er ist ehrlich. Er gesteht nämlich in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung" vom 20./21. Juni 1992 ein, warum dieses GesundheitsReformgesetz nicht funktioniert hat.
— Ja, ich zitiere ganz.Zärtlich, wie Sie sich gegenüber Ihrer Vorgängerin, Frau Hasselfeldt, verhalten, sagen Sie: Damit hat diese Ministerin nichts zu tun. Sie sagen dann exakt das, was ich auch behaupte: Die gemeinsame Selbstverwaltung hat nicht funktioniert; eine Ersatzvornahme ist nicht durchgeführt worden. Das steht alles schön in Ihrem Interview. Ich denke, wir werden Ihnen Gelegenheit geben, über diese ganzen Probleme demnächst mit uns zu reden.Als Überschrift des Interviews ist zu lesen:Brandschutz betreiben, bevor das ganze System in Flammen steht.Herr Minister, Brandschutz betreiben? Einen Schwelbrand haben Sie als Regierung seit 1989 im Gesundheitswesen verursacht,
indem Sie Ihre Schularbeiten hinsichtlich der Strukturreform nicht erledigt haben, die Minister Blüm damals groß angekündigt hat.
Warum wundern Sie sich denn, wenn wir vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sagen: Präzise sind 3,3 Milliarden DM mehr an Selbstbeteiligung ausgerechnet worden, insgesamt also 8 % für die Patienten. Woher sollen wir oder die interessierte Öffentlichkeit, nachdem wir von 1989 bis 1992 die Erfahrung gemacht haben, daß Sie die Strukturprobleme nicht gelöst haben, denn das politische Vertrauen in die Kraft der Regierung nehmen, das tatsächlich leisten zu können wie in Ihren Papieren angekündigt? Sie haben es seit 1989 nicht geleistet, warum 1992?
Diese politische Kraft, glaube ich, werden Sie auch nicht haben.Nun möchte ich Ihnen abschließend sagen, was mir bei dem Bild auffällt, das von Ihnen vertrieben wird und auch in der „Süddeutschen Zeitung" steht. In diesem Bild schlagen Sie die Augen mit gefalteten Händen himmelwärts.
Ich denke, die Strukturreform wird so nicht funktionieren. Sie werden das Gesundheitswesen durch Augenaufschlag und Händefalten nicht gesundbeten. Sie müssen vielmehr in Richtung Bundesrat gucken und im Bundesrat mit der SPD reden.
Sie müssen sich etwas einfallen lassen, was das Abkassierungsmodell II betrifft. Das sind Ihre Schularbeiten.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1901 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dieses ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 6 a und b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDVerbesserung des Ärztlichen Dienstes und der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit— Drucksache 12/2142 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftAusschuß für GesundheitHaushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDÄnderung der Approbationsordnung für Ärzte— Drucksache 12/2213 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft VerteidigungsausschußDazu ist nach einer Vereinbarung im Ältestenrat eine gemeinsame Aussprache von einer Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Meinungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
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8138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans Büttner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einem Antrag zu tun, der wiederum fällig geworden ist, weil diese Bundesregierung im Bereich der Ausführung von Anträgen der Gesetzesorgane über Jahre hinaus nicht tätig geworden ist.
Hier handelt es sich um einen Bereich, wo das Nichttätigwerden der Regierung darüber hinaus dazu führt, daß immer mehr Menschen, die in Arbeitslosigkeit, vor allem in Langzeitarbeitslosigkeit sind, auch gesundheitlich, menschlich und psychisch geschädigt werden können. Das hat leider eine Vielzahl von Petitionen gezeigt, mit denen wir uns befassen mußten.Aber was noch viel schlimmer ist: Die Bundesregierung weiß seit langem, daß die Bundesanstalt für Arbeit sowohl qualitativ wie quantitativ nicht genügend ausgebildete und fachlich versierte Ärzte hat, die die Arbeitsvermittlung in der Form beraten können, daß sie ihre Aufgaben nach den Bestimmungen des AFG umsetzen kann.Die Bundesrgierung weiß seit spätestens Sommer letzten Jahres auf Grund einer internen Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeit, daß alleine nach deren zurückhaltenden Berechnungen im Bereich der Bundesanstalt 132 Fachärzte für Arbeits- und Sozialmedizin fehlen und daß weiteres medizinisches Hilfspersonal in etwa doppelter Höhe fehlt. Trotzdem hat die Bundesregierung im Verwaltungsrat der Bundesanstalt den Ausschlag dafür gegeben, daß diese Zahl von 132 Ärzten nicht einmal in das Antragsverfahren kam. Sie hat nur zugestimmt, daß die Hälfte dieser Stellen bewilligt werden soll.Doch was noch schlimmer war: Diese Zahl — eine Unterdeckung, die, wie gesagt, nicht nur Zahlenspielerei ist, sondern bei der es um menschliche Schicksale und ihre Folgen geht; ich wiederhole: die Bundesregierung hat nur der Hälfte dessen zugestimmt, was man eigentlich bräuchte — ist vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt beantragt und im Haushalt eingestellt worden. Und dann hat es diese Bundesregierung für notwendig gehalten, diese Stellen im Genehmigungsverfahren im Haushalt noch einmal zu halbieren. Damit hat sie bewußt Schaden für Arbeitslose und Arbeitsuchende in Kauf genommen.
Ich meine, es ist bedauerlich, daß der Bundestag die Regierung daran erinnern und sie ermahnen muß, endlich ihre Aufgaben in der Ausführung der Gesetze wahrzunehmen, die wir beschließen, nämlich dafür zu sorgen, daß den Menschen geholfen werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Frage der Prüfung dieser Angelegenheit haben wir ein weiteres Versäumnis feststellen müssen. Die Verfahren zur Förderung der Arbeitsaufnahme durch Arbeitslose, vor allem Langzeitarbeitslose, hatten dazu geführt, daß im AFG und in den Sozialgesetzen Bestimmungen zugunsten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber für beide gleichzeitig eingeführt worden sind,damit den einzelnen möglichst auch Hilfestellung gegeben werden kann, wenn sie leistungseingeschränkt sind, um besser vermittelt werden zu können. Das war die Ursache dafür, warum man mit dem Ärztlichen Dienst überhaupt eine medizinische Beratung bei der Arbeitsvermittlung eingeführt hat.Dieses Ziel setzt allerdings voraus, daß die Arbeitsverwaltung auch in die Lage versetzt werden kann, solche Untersuchungen zugunsten der Betroffenen durchzuführen und sie nicht dazu benutzt werden, Menschen aus dem Arbeitsleben hinauszubegutachten, wie, was man feststellen konnte, in über 9 000 Fällen von Gutachtertätigkeit.Das zweite, was wir kritisieren mußten, ist, daß in vielen dieser Fälle Gutachten dann nicht erstellt worden sind, wo sie notwendig gewesen wären, und daß die Bundesregierung damit in Kauf genommen hat, daß über 120 000 Berufsanfänger jährlich ihre Ausbildungsstelle wechseln müssen, weil sie gesundheitlich für den zunächst gewählten Beruf nicht geeignet sind. Auch das ist ein Skandal, der sich auf unseren Arbeitsmarkt, auf die Lebensperspektiven und den Berufseintritt junger Menschen auswirkt.Ein drittes haben wir festgestellt — das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung —: Es hat sich bei der Bundesanstalt, aber inzwischen leider auch bei anderen Sozialversicherungsträgern eine Praxis eingeschlichen — auch dies ist der Bundesregierung durch vielfache Bemängelungen und Beanstandungen des Datenschutzbeauftragten bekannt —, daß hier mit Gutachten, mit persönlichen Daten von Betroffenen operiert wird, indem sie an andere Stellen, die nicht zuständig sind, weitergegeben werden, daß die Betroffenen selbst aber keinerlei Einsicht in solche Gutachten über sie erhalten.
— Das kann ich belegen. Ich habe sogar Dokumente aus dem Arbeitsamt München, wo ausdrücklich dar-aufsteht: Dieses Gutachten ist nicht zur Einsicht für den Arbeitsuchenden bestimmt.
- Das Gutachten ist — ich sage das gleich anStellen innerhalb der Arbeitsverwaltung weitergegeben worden, die nach den Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten damit nicht hätten befaßt werden dürfen. Es gibt in mehreren Berichten des Datenschutzbeauftragten Hinweise darauf.Deswegen fordern wir in diesem Antrag, daß diese Regelungen durch entsprechende Richtlinien korrigiert und ergänzt werden.
— Das ist kein Verwaltungsversagen vor Ort. Der Datenschutzbeauftragte hat erklärt, daß das bundesweit überall feststellbar ist und daß die Richtlinien geändert werden müssen. Das ist die Aufgabe, die die Exekutive, die Bundesregierung, gegenüber der
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Hans Büttner
Arbeitsverwaltung und anderen Stellen wahrzunehmen hat.
Es gibt ein weiteres ganz entscheidendes Problem, das in die Diskussion über die Arbeitsvermittlung und ihre Privatisierung, über die wir am Freitag noch einmal reden können, mit Eingang finden muß: Die Arbeitsvermittlung hat sich in den letzten Jahren nach eigenen Untersuchungen der Bundesanstalt und nach vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchungen so verändert, daß ein Arbeitsvermittler 1990 nicht mehr wie 1982 200, sondern über 600 Arbeitsuchende zu betreuen hatte. Es ist unmöglich, dann noch qualifizierte Vermittlung zu betreiben. Es ist noch schwieriger, das bei Langzeitarbeitslosen oder Älteren zu tun — ich will Ihnen das als ein Beispiel sagen —, weil es da nicht genügt, sich den Arbeitsuchenden nur anzuschauen. Da muß ein Arbeitsvermittler auch Zeit haben, die kleinen und mittleren Unternehmer, die Arbeitsplätze anbieten könnten, zu besuchen und sie dahin gehend zu beraten, eventuell auch einmal einen schwierigeren Fall zu übernehmen. Wenn aber ein Arbeitsvermittler auf Grund seiner Belastung nicht mehr in der Lage ist, diese Besuche in Betrieben wahrzunehmen, kann eine vernünftige Vermittlung nicht mehr passieren.Der Grund liegt darin, daß man nicht bereit ist, durch entsprechende Stellenumschichtungen und entsprechende Mehrstellen in diesem Bereich für eine gute Qualität im Interesse der Betriebe und vor allem der Arbeitsuchenden zu sorgen. Wir fordern hier entsprechende Umstellungen.Wir fordern die Bundesregierung vor allem auf, endlich die Kompetenzen der Arbeitsverwaltung vor Ort zu stärken, damit diese über Personalstrukturen selber entscheiden kann und nicht alles in Nürnberg zentralisiert wird, in einem immer größer werdenden Moloch, der an Bürokratismus beinahe schon erstickt.Ein letztes: Wir haben auch festgestellt, daß ein Defizit in der Tat bestanden hat — darauf wird mein Kollege Knaape noch näher eingehen —, was die Qualifikation von Sozialmedizinern und Arbeitsmedizinern angeht. Ich will dazu an dieser Stelle nur soviel sagen: Dieses Problem der Qualifikation hätte schon längst gelöst werden können, wenn die Bundesregierung und der Bundesarbeitsminister in der Frage der Umsetzung des Arbeitsschutzes in der Bundesrepublik sich darangemacht hätte, diesem massiven Defizit an Arbeitsmedizinern in der Bundesrepublik entgegenzusteuern.Wir wissen nach Untersuchungen der EG, daß die Bundesrepublik, wenn sie die EG-Richtlinien zum Arbeitsschutz umsetzen will, etwa 11 000 Arbeitsmediziner braucht, die aber nicht ausgebildet werden und nicht auf dem Markt vorhanden sind. Diese 11 000 Arbeitsmediziner auszubilden und sie schleunigst in den Prozeß hineinzuführen, wäre auch ein guter Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen, dem in meinem Wahlkreis direkt gewählten Abgeordneten Karl-Josef Laumann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Helmuth Becker! Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit einer aufgabengerechten personellen Ausgestaltung des Ärztlichen Dienstes der Bundesanstalt für Arbeit ist umstritten. Dies ist im übrigen auch die Auffassung der Bundesregierung. Denn es sind in diesem Jahr durch die Bundesregierung 65 zusätzliche Stellen in diesem Bereich geschaffen worden.
Allerdings sind wir in diesem Bereich trotzdem noch auf Vertragsärzte angewiesen.In diesem Zusammenhang sind wir der Meinung, daß es zwingend erforderlich ist, an die Qualifikation der Vertragsärzte, insbesondere die arbeits- und sozialmedizinische Qualifikation, hohe und genaue Kriterien zu stellen.
Dies ist auch, so denke ich, wegen der Qualität der Gutachten, die die Vertragsärzte erstellen, mehr als wünschenswert.Bei der Diskussion über einen Bericht zu diesem Thema im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ist auch deutlich geworden, daß die Bundesregierung wie die Bundesanstalt für Arbeit zumindest bei einem Teil der Vertragsärzte große Bedenken hat. Aus diesem Grund begrüße ich es ausdrücklich, daß die Zahl der bei der Bundesanstalt für Arbeit beschäftigten Ärzte in den alten Ländern seit 1988 von 145 auf 200 gesteigert werden konnte.
Im übrigen sind im Dienst der Bundesanstalt für Arbeit in den neuen Bundesländern 51 Ärzte zusätzlich tätig. Aber bei der von mir angesprochenen Problematik der Vertragsärzte gibt es, so glaube ich, gute Gründe, den Ärztlichen Dienst bei der Bundesanstalt für Arbeit zumindest schrittweise bedarfsgerecht mit qualifizierten Ärzten auszubauen.Im vorliegenden Antrag, Herr Kollege Büttner, wird aber auch der Eindruck erweckt, als wenn die Mitarbeiter der Arbeitsämter ohne Grund Arbeitsuchende zur Begutachtung den Ärzten vorstellen. Hier gibt es meines Wissens eine gesetzliche Regelung, nämlich in § 14 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes und in § 62 des Sozialgesetzbuches, wo es u. a. heißt:Die Bundesanstalt kann Arbeitsuchende, soweitdies für die Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes bei der Arbeitsvermittlung erforderlich
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Karl-Josef Laumannist, mit deren Einverständnis ärztlich untersuchen und begutachten.
In Punkt C.d) ihres Antrages kommt die SPD wieder zu ihrer Ideologie des Betreuungsstaates und fordert sozialpädagogische Betreuung von Langzeitarbeitslosen.
Es wäre ja auch etwas Neues gewesen, wenn wir hier einmal einen Antrag der SPD diskutieren könnten, in dem keine Betreuungs- und Versorgungskomponente enthalten ist.Sie bringen hier Vorschläge ein, die durch bestehende Programme der Bundesregierung abgedeckt sind. Bei einem Teil der Langzeitarbeitslosen — das sehen auch wir so — reichen die Unkostenzuschüsse nach der Sonderfondsaktion der Bundesregierung zur Beschäftigungshilfe für Arbeitslose nicht aus, um sie wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
Deshalb haben wir hier weitere Hilfen zur Betreuung, zur Wiederherstellung sowie zur Heranführung an das Arbeitsleben bereitgestellt. Dies geschieht in besonders konzipierten Beschäftigungsprojekten. Dabei leistet das Programm der Bundesregierung „Maßnahmen für besonders beeinträchtigte Langzeitarbeitslose und weitere schwervermittelbare Arbeitslose" — das sogenannte 250-Millionen-Programm — bereits seit 1989 wertvolle Hilfen.
Zur Erinnerung: Mit diesem Programm werden Maßnahmenträger gefördert, die schwerstvermittelbare Arbeitslose eventuell beschäftigen, beruflich qualifizieren oder sozial betreuen.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Ja.
Herr Kollege Laumann, nach diesen Lobgesängen auf die Maßnahmen der Bundesregierung möchte ich Sie fragen, ob Sie mir sagen können, wie viele Langzeitarbeitslose von den Kürzungen im Arbeitsbeschaffungsbereich in Höhe von 560 Millionen DM pro Jahr betroffen sind.
Wir gehen einmal davon aus, daß wir eine etwa gleich große Zahl von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie vorher durchführen können, indem die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen etwas befristet werden.
Ich sage Ihnen ganz offen: Wir müssen auch einmal darüber nachdenken, den Eigenanteil — insbesondere dann, wenn Gemeinden Träger sind — zu steigern. Ich bin selber Kommunalpolitiker und weiß auch, was durch AB-Maßnahmen in meiner Heimatgemeinde an Werten für die Gemeinde geschaffen worden ist. Ich denke, bei den Kommunen bestehen durchaus noch Möglichkeiten.
Wissen Sie, man kann nicht alles machen. Wir haben im Osten jetzt sicherlich einen Schwerpunkt an arbeitsmarktpolitischen Aufgaben zu setzen, und wir müssen hier im Westen halt den einen oder anderen Bereich etwas zurückfahren.
Wir hatten heute morgen eine interessante Diskussion im Ausschuß darüber, wie unsere Ost-Kollegen es langsam empfinden, wenn wir hier uns wegen jeder Kleinigkeit aufregen, während wir für die großen Probleme im Osten vielleicht ein bißchen zu wenig Verständnis haben. Deswegen, meine ich, ist es auch richtig, jetzt in diesem Bereich in den neuen Bundesländern die Prioritäten zu setzen; dort ist die Not nämlich am größten.
Kollege Laumann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Andres? — Bitte sehr.
Herr Kollege Laumann, vielleicht könnten Sie uns noch verraten, nachdem Sie Erfahrungen in Ihrer Heimatgemeinde haben, um wieviel der Eigenanteil Ihrer Heimatgemeinde bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhöht werden sollte.
Wissen Sie, darüber müssen Sie einmal mit den Kommunen reden. Aber wenn wir 10, 15 oder 20 % dazutun würden, würde ich im Grunde keine Probleme sehen.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Schreiner?
Ja.
Bitte, Kollege Schreiner.
Herr Kollege Laumann, ich habe Zweifel, ob es korrekt ist, wenn Sie sagen, daß man im Westen aus Solidarität auf Kleinigkeiten verzichten sollte, da es, wie auch Ihnen bekannt sein sollte, nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit auf Grund dieser Maßnahmen zu einer Halbierung der Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Westen kommt, und schließe daran die Frage an, ob Ihnen, da Sie die notwendige Solidarität zu Recht betonen, bekannt ist, daß der Bundesminister für Arbeit seit geraumer Zeit die feste Auffassung vertritt, daß die Förderung von Arbeit nicht teurer sei als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit, und daß — im Anschluß an diese Feststellung des Bundesarbeitsmi-
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Ottmar Schreinernisters — durch die Streichung des 560-MillionenProjekts
nicht eine einzige Mark an öffentlichen und beitragsfinanzierten Mitteln eingespart wird, sondern nur in Richtung weiterer Finanzierungen von gesellschaftlich erzwungenem Nichtstun umgeschichtet wird.
Entschuldigung, Kollege Laumann. — Gefragt hat Herr Kollege Schreiner, aber er hat dabei auch eine Rede gehalten, und an sich sollten wir uns auf kurze Fragen beschränken. — Bitte.
Herr Kollege Schreiner, ich denke, wir sollten diese Frage auch einmal bei uns im Ausschuß besprechen. Ich kann Ihnen aus meinem Wahlkreis Beispiele dafür geben, daß bei sozialen Trägern, die sicherlich eine gute, sinnvolle Arbeit im sozialen Bereich leisten, Positionen ein oder zwei Jahre über ABM finanziert worden sind. Ich bin schon der Meinung, daß es richtig ist, daß dies dadurch, daß hier gespart werden muß, jetzt nicht mehr möglich ist.
Denn die Arbeitslosenversicherung ist nicht dafür da, wünschenswerte Einrichtungen im sozialen Bereich — etwa die Eheberatung; ich nenne das nur einmal als Beispiel — zu finanzieren. Meine Damen und Herren, für die Finanzierung dieser Aufgaben sind andere Träger zuständig, aber nicht derjenige, der Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit entrichtet.
Wir müssen auch daran denken, daß wir etwas für die wirklichen Langzeitarbeitslosen tun müssen, damit sie wieder in eine geordnete Beschäftigung in der Privatwirtschaft überwechseln können. Wir wollen nicht, daß diese Leute bei der Arbeitslosenversicherung in ABM über Jahre hinweg, wie es teilweise geschehen ist, geparkt werden.
Ich möchte zu dem Programm zurückkommen. Das Programm der Bundesregierung, das ich soeben vorgestellt habe, meine Damen und Herren, ist dadurch gekennzeichnet,
daß es im Grunde die drei Bereiche, die ich soeben vorgestellt habe, sehr flexibel miteinander kombiniert. Es ist wünschenswert, daß die hier angesprochenen Fragen, die wir auf Grund des SPD-Antrags beraten, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sachlich diskutiert werden. Ich denke, wir alle sind daran interessiert, daß wir für die betroffenen Menschen in diesem Bereich eine gute Lösung finden.
Das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Bruno Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat richtig, daß eine falsche Entscheidung mit zugegeben weitreichenden Folgen für die Betroffenen ein negatives Schlaglicht auf den Ärztlichen Dienst bei der Bundesanstalt werfen kann. Das sollte uns jedoch nicht dazu veranlassen, das zu verallgemeinern und den Wert der Arbeit der Gutachter generell in Frage zu stellen, um so mehr, als gerade die sozial- und arbeitsmedizinische, speziell die gutachterliche Tätigkeit ein hohes Maß an Kenntnissen voraussetzt und dabei offensichtlich nicht zu den attraktivsten ärztlichen Aufgaben gehört.
Das entbindet uns selbstverständlich nicht von der Verpflichtung, erkennbaren Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, und zwar rechtzeitig. Es kann und darf nicht sein, daß, wie geschildert, ein Arbeitsvermittler nach eigenem Gutdünken einen Arbeitsuchenden, wenn kein erkennbarer Hinweis auf eine gesundheitliche Schädigung oder Beeinträchtigung vorliegt, zu einer Untersuchung verpflichten kann, die, wenn ihr nicht nachgekommen wird, zu sehr negativen Folgen für den Arbeitsuchenden führt.
Denn das ist in der Tat ein nicht unerheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Das heißt aber nichts anderes, als daß mit dem Instrument der ärztlichen Begutachtung seitens der Arbeitsverwaltung sehr zurückhaltend und verantwortungsbewußt umgegangen werden muß.Andererseits müssen wir aber auch akzeptieren, daß die Begutachtung ein unverzichtbares Instrument der Bundesanstalt ist, um einerseits Leistungsmißbrauch zu verhindern, und auf der anderen Seite den Versicherten zu schützen. Denn es kann nicht im Interesse des Arbeitsuchenden sein, in eine Stelle vermittelt zu werden, die ihn überfordert. Er soll dadurch auch vor unzumutbaren Belastungen im Rahmen seiner bisherigen oder einer anderen Tätigkeit bewahrt werden. Sieht man sich einmal die Zahl der Begutachtungen in 1990 an, so muß man feststellen, daß nur 4,5 % der Begutachteten ohne jede Einschränkung leistungsfähig waren.So kann man, glaube ich, zusammenfassend sagen, daß die medizinische Begutachtung notwendig ist, daß sie dabei äußerst verantwortungsbewußt zum Einsatz kommen muß und daß sie im Konsens mit dem Begutachteten zu erfolgen hat. Wenn man einen solchen Maßstab an die Notwendigkeit der Begutachtung legt, so wird das sicherlich auch zu einem zahlenmäßigen Rückgang derselben führen. Das wiederum relativiert etwas die Forderung nach zusätzlichen Stellen, zumal in diesem Jahr solche bei der Bundesanstalt bereits geschaffen wurden, wie hier schon dargelegt.Ich muß auch sagen, daß es sich aus unserer Sicht günstiger anläßt, mit Vertragsärzten zusammenzuar-
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Dr. Bruno Menzelbeiten, als den medizinischen Dienst über Gebühr auszuweiten.
— Lassen Sie mich das doch ausführen! — Das hat auch den Vorteil, daß Erfahrungen aus der fachärztlichen Praxis in die Begutachtung einfließen. Wir möchten doch, daß möglichst viel Sachverstand in der Begutachtung zum Tragen kommt.
Von diesen Vertragsärzten muß allerdings gefordert werden — da gebe ich Ihnen recht —, daß sie sich an Fortbildung im Bereich der Arbeitsmedizin und der Sozialmedizin regelmäßig beteiligen.
In dem Antrag der SPD wird auch gefordert, bei der ärztlichen Ausbildung die arbeits- und sozialmedizinischen Kenntnisse stärker zu berücksichtigen als bisher, d. h. ihnen einen größeren Stellenwert einzuräumen, und das in die Prüfungsordnung aufzunehmen. Meine Damen und Herren, ob die Ausweitung der Prüfungsordnung für dieses Anliegen tatsächlich der geeignete Weg ist, darüber muß man sich sicherlich noch eingehend und ausführlich unterhalten. Wichtiger erscheint mir, dafür Sorge zu tragen, daß das Interesse des ausgebildeten Arztes nach seiner Ausbildung an dem breiten Spektrum der Arbeits- und Sozialmedizin auch im Hinblick auf Rehabilitation und Prävention generell geweckt und ihm dann eine entsprechende berufliche Perspektive eröffnet wird, wenn er sich in diesem Gebiet entsprechend spezialisiert.
Was die Entlastung der Arbeitsvermittler von vermittlungsfremden Tätigkeiten anbelangt, so ist das ein altes Anliegen der F.D.P. Das muß ich hier einmal feststellen. Wir haben schon immer die Meinung vertreten, daß es den Arbeitsvermittlern besonders im Hinblick auf die Beschäftigung in kleinen und mittleren Betrieben mehr als bisher ermöglicht werden sollte, diese Kontakte unmittelbar vor Ort zu pflegen. Eine solche Arbeit, die für die speziell angesprochenen Langzeitarbeitslosen von besonderer Bedeutung sein könnte, hängt selbstverständlich vom persönlichen Engagement des einzelnen ab. Aber ich bin sicher, sie sollte von unserer Seite nachhaltig unterstützt und gefördert werden.Gerade die von Ihnen zu Recht unterstrichene Entlastung der Arbeitsvermittler bei der Bundesanstalt ist allerdings auch nach unserem Verständnis ein nicht zu unterschätzendes Argument für die Zulassung einer kontrollierten privaten Arbeitsvermittlung.
— Das hatte ich so erwartet.
— Sicher, das ist richtig so. Natürlich, es muß alles in sich logisch und geschlossen sein, sonst wird Politik unglaubwürdig.In den uns vorliegenden Anträgen der SPD sind alles in allem Probleme angesprochen, die einer vertieften Diskussion bedürfen. Die Fraktion der F.D.P. empfiehlt die Überweisung in die entsprechenden Ausschüsse, d. h. den Antrag auf Verbesserung des Ärztlichen Dienstes und der Arbeitsvermittlung der BA in den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Antrag Änderung der Approbationsordnung für Ärzte in den Ausschuß für Gesundheit.Herzlichen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Hans-Hinrich Knaape.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherlich ist hier auf einen Mangel hingewiesen worden, der behoben werden sollte. Da gehen wir mit dem Kollegen Menzel konform. Daß sich der Gesundheitsausschuß mit diesem Problem beschäftigen wird, sofern er dafür zuständig ist, darin stimmen wir ebenfalls überein.Zuständig ist er für die Approbationsordnung. Zwar ist, wie in unserem Antrag ausgeführt, die Arbeitsmedizin bereits Bestandteil der ärztlichen Prüfung — sie wird im zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung geprüft —, aber sie ist nur einer unter „ferner liefen", und zwar ist die Arbeitsmedizin eines von vierzehn Fächern, zwischen denen ausgewählt werden kann, so daß sich nicht jeder Student dieser Prüfung unterziehen muß. Da besteht sicherlich ein Mangel; darüber muß man reden.Zum anderen müßte man auch darüber reden, ob man nicht die Erfahrungen aus DDR-Zeiten nutzt. Damals waren Famulaturen bzw. Praktika in Betrieben üblich, die den Weitblick des Studenten bilden sollten, damit vor Ort Erfahrungen aus dem Berufsleben überhaupt gesammelt werden konnten, weil der Student, der Medizin studiert, mit Arbeitenden in dieser Hinsicht nicht in Berührung kommt. Das ist etwas, worüber man sich unterhalten muß und wo — das ist das Positive — die Erfahrungen aus den neuen Bundesländern in die Studentenausbildung übernommen werden könnten.Die Bundesärztekammer hat die Arbeitsmedizin in die Weiterbildung übernommen. Sie ist Bestandteil der Facharztausbildung. In der Fortbildung bestehen aber auch Mängel. Bei den Ärzten, die als Vertragsärzte für die Bundesanstalt für Arbeit arbeiten und fortgebildet werden müssen, besteht wenig Bereitschaft, daran teilzunehmen. Dies muß aktiviert werden. Insofern gehen wir mit Ihnen konform, daß der Beruf des Arbeitsmediziners kein attraktiver, aber ein sehr wichtiger Beruf ist. Daher sollten wir ihn unterstützen und fördern.
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Dr. Hans-Hinrich KnaapeWenn es nicht anders gekommen wäre, hätten wir uns heute im Gesundheitsausschuß über die Ausbildung der Medizinstudenten unterhalten. Wir werden das auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich denke, daß es dann so wie heute im Gesundheitsausschuß zu Übereinstimmungen zwischen den unterschiedlichen Fraktionen kommen wird.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. HansJoachim Sopart das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion, Drucksache 12/2213, bezieht sich auf einen wichtigen Bereich der ärztlichen Aus- und Weiterbildung.
— Sie wissen sehr viel.
Tatsächlich — da will ich Ihnen recht geben — gewinnen arbeits- und sozialmedizinische Aufgaben zunehmend an Bedeutung. Dies muß innerhalb der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen genauso berücksichtigt werden wie in der qualifizierten Ausbildung von Ärzten.
Im Bereich der ärztlichen Ausbildung ist durch die verschiedenen Novellierungen der Approbationsordnung für Ärzte und durch mannigfaltige Veränderungen dieser Entwicklung schon bisher Rechnung getragen worden. Arbeits- und Sozialmedizin sind bereits Bestandteil der ärztlichen Ausbildung. Herr Knaape, ich muß Ihnen im Detail widersprechen. Arbeitsmedizin wird im Rahmen des Unterrichts im Kursus des ökologischen Stoffgebietes vermittelt, der im zweiten Abschnitt des klinischen Teils des Medizinstudiums als Pflichtunterrichtsveranstaltung durchgeführt wird. Ebenso ist die Arbeitsmedizin Gegenstand der schriftlichen Prüfungen im zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung und gehört darüber hinaus zu den Prüfungsfächern für den mündlichen Teil des zweiten Abschnitts der ärztlichen Prüfung.
Ich zitierte aus der Approbationsordnung, die gegenwärtig gilt, wenn ich Sie darauf hinweisen darf.
Im Prüfungskatalog der ärztlichen Approbationsordnung sind folgende Stichworte expressis verbis aufgeführt: Grundzüge der Arbeitsmedizin, wichtigste Vorschriften über den gesundheitlichen Arbeitsschutz, arbeitsmedizinische Untersuchungen zur Verhütung und Früherkennung berufsbedingter Schäden, Analyse von Arbeitsplatz- und Berufsbelastung, ärztliche Aspekte der Rehabilitation Behinderter bei medizinischer, pädagogischer, sozialer und beruflicher Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben.
Mittlerweile sind zahlreiche Lehrstühle für Arbeitsmedizin an den medizinischen Fakultäten der deutschen Hochschulen errichtet worden. Die ärztliche Famulatur kann nach den Vorschriften der Approbationsordnung, Herr Knaape, teilweise in einer werks-
oder betriebsärztlichen Einrichtung geleistet werden.
Auch die Sozialmedizin wird im Rahmen des Kursus des ökologischen Stoffgebietes berücksichtigt. Sie ist sowohl Gegenstand der schriftlichen als auch der mündlichen Prüfungen im zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung.
Nun mögen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, meinen, dies alles müßte noch stärker gefördert werden, müßte zu einer noch stärkeren Spezialisierung schon im Studium führen. Ich warne in diesem Zusammenhang allerdings vor der Gefahr einer stärkeren Spezialisierung und Differenzierung bereits im Studium, die schon allenthalben der Preis für den medizinischen Fortschritt ist. Dies könnte zu einer weiteren Zersplitterung der Medizin führen, mit der Gefahr, daß das ganzheitliche Wirken des Arztes auf Psyche und Soma des einzelnen Patienten dabei auf der Strecke bleibt.
Dies gilt im übrigen auch für die postgraduale Weiterbildung. Hier ist vor einigen Jahren der Weiterbildungsgang zum Arzt für Arbeitsmedizin eingeführt worden. Eine zahlenmäßige Erweiterung dieser Ausbildung müßte gefördert werden. Aber ich meine, wir müßten auch darauf hinwirken, daß die Weiterbildung in den anderen Spezialbereichen der Medizin in arbeitsmedizinischer Hinsicht gefördert wird.
Nun kenne ich keinen Orthopäden, keinen Internisten oder gar Allergologen, der diese Bereiche in seiner Weiterbildung zum Gebietsarzt nicht hätte vermittelt bekommen. Möglich wären hier aber vielleicht verbesserte Formen der berufsbegleitenden Fortbildung, um neue Erkenntnisse in das Handeln der ärztlichen Kollegen einfließen zu lassen. Dies jedoch, so denke ich, sollte man zunächst intensiv mit den zuständigen Ärztekammern besprechen.
Ich bin gespannt, wie Sie Ihren Antrag im Ausschuß näher erläutern werden. Ich freue mich auf eine interessante Diskussion dazu und beantrage die Überweisung dieses Antrages in den Gesundheitsausschuß.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat das Wort unsere Kollegin Frau Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beide Anträge der SPD bereiten langsam, aber sicher vor, daß ein doch noch sehr defizitärer Bereich der medizinischen Betreuung etwas stärker ins Blickfeld gerückt wird: die Arbeits- und Sozialmedizin.Problemlos, auch aus den Gründen, die jetzt genannt worden sind, kann die PDS der Änderung der Approbationsordnung zustimmen, da wir uns damit dem Niveau, auch der Ausbildung, das einmal in der
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8144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Ursula FischerDDR üblich gewesen ist, annähern; denn dort waren, wie übrigens auch hier, was noch nichts über die Praxis aussagt, die Bereiche in der Ausbildung integriert. Im Ausschuß wird sicher Gelegenheit sein, über die Qualität dieser Ausbildung, im Studium und auch später, noch einmal zu sprechen.Ich erinnere daran, daß bereits in der 11. Legislaturperiode — es tut mir leid, ich muß daran erinnern — darauf hingewiesen wurde, daß die Arbeitsmedizin in der ehemaligen DDR einen sehr hohen Stellenwert hatte. Hätte man bei der Vereinigung etwas genauer hingeschaut, wäre das meiner Ansicht nach ein Bereich gewesen, wo mit Sicherheit auch gesetzliche Grundlagen hätten genutzt werden können, zumal im Einigungsvertrag, in Kapitel VII Art. 30 Abs. 1 Nr. 2 festgestellt wird:Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, ... den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz in Übereinstimmung mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften und dem damit konformen Teil des Arbeitsschutzrechts der Deutschen Demokratischen Republik zeitgemäß neu zu regeln.Ich will an dieser Stelle daran erinnern, daß es in Ostberlin ein Zentralinstitut für Arbeitsmedizin gegeben hat, welches nach Mailand und Moskau der dritte Ort der Welt war, wo seit 1925 die Arbeitsmedizin eine wissenschaftliche Heimat hatte, und das halte ich für unwahrscheinlich wichtig. Dieses Zentralinstitut wurde durch Professor Dr. Ernst Bader, im übrigen zugleich den Begründer der bundesdeutschen Arbeitsmedizin nach dem Zweiten Weltkrieg, zusammen mit seinem ebenfalls berühmten Schüler und Nachfolger Professor Dr. Ernst Holstein international bekannt, anerkannt und für viele Länder ein Vorbild für die eigene Entwicklung. Es gab an diesem Zentralinstitut auch eine Klinik, die Poliklinik für Berufskrankheiten. Ich erinnere hier an die anderen Beiträge.Wie Sie, meine Damen und Herren, der Vergangenheitsform wieder einmal anmerken: Es war einmal. Die alten Länder haben aus meiner Sicht ein technisch und sozial sehr hohes Niveau erarbeitet, aber im medizinischen Bereich, denke ich, gibt es für alle Fälle Reserven. Das zeigt München usw. Mit der Vereinigung Deutschlands war in diesem Bereich eine besondere Chance gegeben, Komplemente zu einem neuen Ganzen zusammenzuführen. Das war offensichtlich nicht gewollt.Wir unterstützen die Anträge der SPD. Ich denke, im Ausschuß wird mehr darüber zu sagen sein.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, zum Schluß der Debatte erteile ich jetzt dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ärztliche Dienst der Bundesanstalt für Arbeit ist natürlich für die Arbeitsvermittlung völlig unverzichtbar. Bei der Berufsberatung von Jugendlichen, bei der Entscheidung über Rehabilitationsmaßnahmen und bei der Feststellung der körperlichen Eignung von Arbeitsuchenden für bestimmte Berufe und Weiterbildungsmaßnahmen gibt der Ärztliche Dienst die entscheidenden Grundlagen für sachgerechte Entscheidungen im Interesse der Ratsuchenden.Im Arbeitsförderungsgesetz und im Sozialgesetzbuch gibt es klare Vorgaben, die die Verantwortlichen vor Ort binden. Deshalb weise ich ebenfalls wie mein Kollege Laumann den Eindruck entschieden zurück, den die SPD mit ihrem heutigen Antrag zu erwecken versucht, daß die Arbeitsvermittler und Arbeitsberater nach eigenem Gutdünken entscheiden würden, wann ein Arbeitsloser sich ärztlich untersuchen lassen muß.Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Ärztlichen Dienstes leisten gute Arbeit. Herr Büttner, wenn Sie der Meinung sind, daß hier 9 000 Menschen im Jahr hinaus begutachtet würden, dann, glaube ich, ist dies sicher eine Auffassung, die der Konkretisierung bedarf. Das müßten Sie erst einmal nachweisen. Ganz sicher ist es doch gerade die Aufgabe des Ärztlichen Dienstes, dann einzugreifen, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, den Anforderungen zu entsprechen. Das ist im Interesse der Betroffenen. Von „Hinausbegutachten" kann sicher nicht die Rede sein.Die Bundesregierung verfolgt deshalb auch das Ziel, die Arbeit des Ärztlichen Dienstes noch weiter zu verbessern. Sie hat mit der Genehmigung dieser 65 zusätzlichen Stellen im Haushaltsjahr 1992 natürlich auch ein Zeichen gesetzt. Dies schließt nicht aus, daß wir weiterhin die Situation beobachten müssen, um dann entsprechende Entschlüsse zu fassen.Sie rennen bei uns offene Türen ein, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, daß die Arbeitsvermittler von vermittlungsfremden Arbeiten zu entlasten seien. Das gleiche gilt übrigens auch für Ihre Forderung nach Umschichtung von Verwaltung in direkte Arbeitsvermittlung, in Beratung vor Ort, aber es gilt nach meiner Ansicht auch für mehr Kontrolle im Bereich der Arbeitsverwaltung. Ganz selbstverständlich stimme ich mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, die zentralistischen Vorstellungen sollten eingedämmt werden zugunsten der Arbeitsämter vor Ort. Ich bin deshalb durchaus der Meinung, daß hier noch einiges getan werden muß. Ich halte aber nichts davon, der Bundesanstalt für Arbeit bis in jedes Detail vorzuschreiben, welche Arbeit sie von der einen oder von der anderen Abteilung verlagern soll. Die Organisation ihrer Dienste und Dienststellen gehört zu den ureigensten Rechten und Pflichten der Bundesanstalt für Arbeit als rechtlich selbständiger Körperschaft mit Selbstverwaltung. Das hindert uns ja nicht, unseren Einfluß entsprechend geltend zu machen. Die Bundesanstalt kommt dieser permanenten Gestaltungsaufgabe nach; wie ich hoffe, auch in der Zukunft. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen aus der jüngsten Zeit, die dies belegen. Die Bundesanstalt hat z. B. ohne die Nachhilfe des Gesetzgebers sichergestellt, daß die Zusam-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8145
Parl. Staatssekretär Rudolf Krausmenstellung von Daten und ihre Auswertung durch besondere Fachkräfte und nicht durch die Arbeitsvermittler durchgeführt werden.Der Antrag der SPD ist, meine ich, in diesem Bereich überflüssig,
in seinem Hang zum Zentralismus — im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben —, durchaus schädlich.
Die SPD will durch eine Änderung der Approbationsordnung für Ärzte deren Ausbildung in der Sozialmedizin verbessern. Dieses Ziel werden wir aber nicht durch neue Gesetze erreichen. Die rechtlichen Grundlagen für eine effiziente Ausbildung in der Sozialmedizin sind bereits vorhanden. Es ist notwendig, die vorhandenen Vorschriften in die Praxis umzusetzen.Dazu ist es unverzichtbar, daß an den medizinischen Hochschulen eine ausreichende Zahl von Lehrstühlen geschaffen wird. Dafür ist aber nicht die Bundesregierung verantwortlich; die zuständigen Adressen sind die Kultusminister der Länder.Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2142 und 12/2213 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Beim Antrag der Fraktion der SPD zur Änderung der Approbationsordnung soll die Federführung beim Ausschuß für Gesundheit liegen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis
— Drucksache 12/2442 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschußb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Verletzungen verursachen oder unterschiedslos wirken können
— Drucksache 12/2460 —Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/2904 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Katrin Fuchs
Dr. Olaf Feldmannc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Kurt Würzbach, Karl Lamers, Heinz-Günter Bargfrede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Friedrich Nolting, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Rüstungskontrolle und Abrüstung nach Ende des Ost-West-Konflikts— Drucksachen 12/2076, 12/2905 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Katrin Fuchs
Dr. Olaf Feldmannd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDFortsetzung der Abrüstungspolitik nach der Auflösung der UdSSRzu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Fuchs , Edelgard Bulmahn, Karsten D. Voigt (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDHilfen für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bei der Rüstungskonversion und der Stärkung des Non-Proliferationsregimes— Drucksachen 12/2067, 12/2068, 12/2905 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Katrin Fuchs
Dr. Olaf Feldmanne) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/ Linke ListeBeteiligung der Bundeswehr an Einsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes— Drucksache 12/2783 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschußf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Fuchs , Robert Antretter, Helmuth Becker (Nienberge), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKSZE-Forum für sicherheitspolitische Zusammenarbeit— Drucksache 12/2789 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschußg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Fuchs , Robert Antretter, Hel-
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8146 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Vizepräsident Helmuth Beckermuth Becker , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sofortige Einstellung aller Atomwaffentests— Drucksache 12/2845 —Auswärtiger Ausschuß VerteidigungsausschußZum Jahresabrüstungsbericht 1990/91 liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst das Wort unserem Kollegen Peter Kurt Würzbach.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Union und Koalition legen heute einen Antrag vor, der — dessen bin ich sicher — der umfassendste ist, der je hier im Parlament zur Rüstungskontrolle und Abrüstung vorgelegt wurde. So, wie wir uns, wie ich glaube, alle miteinander seit einigen Jahren einig sind, daß der Sicherheitsbegriff überhaupt umfassender zu definieren ist, als wir das noch vor einiger Zeit taten, so müssen auch zukünftige Abrüstungspolitik und Rüstungskontrollpolitik weit mehr sein, als manche zuweilen meinten, nämlich nur das Reduzieren oder gar das Begrenzen auf irgendeine Ebene von Waffensystemen.Es gehört dazu, die verabredeten Verträge in die Tat umzusetzen, also auch das Realisieren, das Verifizieren und auch — hier gibt es Dissens im Hause — das Sanktionieren, wenn bestimmte Dinge nicht eingehalten werden.Unser Antrag erstreckt sich auf alle Felder von Kontrolle, von Kooperation. Er tut dies sowohl im Hinblick auf den konventionellen wie den nichtkonventionellen Waffenbereich.Er beinhaltet umfassende Perspektiven — wir sind sicher, wenn wir die politische Landschaft um uns herum betrachten: für weit mehr als ein Jahrzehnt — und neben weitreichenden, mit praktischem Leben zu füllenden Perspektiven aber auch konkrete Forderungen, und zwar solche an die nationale Adresse wie an vielfältige internationale Adressen.Der Antrag bezieht auch die jüngsten Entwicklungen mit ein, auch die vor wenigen Wochen, so beispielsweise die gute Verabredung zwischen Bush und Jelzin, einen großen Teil strategischer weitreichender nuklearer Raketen auf einen niedrigeren Stand zu reduzieren, wie auch inzwischen abgeschlossene Verträge der Nachfolgestaaten der alten Sowjetunion, was deren nukleares Potential angeht.Da wir dies gemeinsam diskutieren, erwähne ich den Abrüstungs- und Kontrollbericht der Bundesregierung, der einen guten Überblick über die vielfältigen Abrüstungsbemühungen gibt, der die Vielfalt darstellt. Ich füge als Parlamentarier hinzu: Es gibt viele gute Verträge; aber wir haben als Parlamentarier alle miteinander jetzt darauf zu achten, daß diese jetzt endlich praktisch umgesetzt werden. Hierzu haben wir bei aller angespannter Haushaltslage, die einjeder kennt, aus Gründen der Glaubwürdigkeit und des Erfolges dieser wichtigen Verträge das Notwendige an personeller, organisatorischer und finanzieller Hilfe zu geben — wir; und dies gemeinsam mit anderen Staaten, westlichen Industrienationen, die dazu auf Grund ihrer Lage befähigt sind. Dies müssen wir anmahnen. Bleibt es nur bei den Verträgen ohne praktische Schritte, dann machen wir uns und der Welt in diesem wichtigen Bereich etwas vor.Eines darf nicht passieren: daß beispielsweise ein Land wie Rußland — aber das gilt auch für andere Nachfolgerepubliken der Sowjetunion — seine eigenen Abrüstungsbemühungen, seine Bemühungen, Waffensysteme kompliziertester Art zu verschrotten, möglicherweise — es gibt alarmierende Ansätze — dadurch stützt, daß es modernste Waffensysteme in andere Teile der Welt, ich sage mal, verscheuert für hartes Geld oder gar auch hochqualifizierte Wissenschaftler aus diesem Rüstungsbereich vermittelt und dafür Geld bekommt, um auf diese Art und Weise eigene Abrüstung zu finanzieren. Dies darf nicht sein.Ich meine auch, daß wir uns international nicht weiter energisch darum bemühen sollten, neue Abrüstungsverträge zu formulieren, sondern daß wir uns anstrengen sollen, die abgeschlossenen nun zu verwirklichen und mit ganz besonderer Kraft — dies lehrt jeder Tag; aber viele gucken weg und haben sich behäbig an das gewöhnt, was sich dort abspielt — zu wirklich greifenden Konfliktverhütungsinstrumentarien zu kommen, das, was vorhanden ist, zu stärken und da, wo es nötig ist, Neues aufzubauen. Ich glaube, hier sind wir, das Parlament und unsere Bundesregierung, wir alle miteinander, egal, wo man sitzt, sehr gefordert, um wirklich greifende Konfliktverhütungsinstrumentarien zu finden.Die Konfliktverhütung ist eines der Hauptmandate der KSZE. Es heißt dort: Krieg soll als Mittel der Politik ausscheiden. Eine schöne Forderung.Den nüchternen, bitteren, brutalen Alltag erleben wir. Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung spricht in seinem ersten Satz vom Ende der Nachkriegszeit. Dies ist richtig für Deutschland. Aber es ist nicht richtig für Europa. Wir haben vor unserer Haustür Krieg. Wenn die Zahlen stimmen, die wir hören, dann sind sie, egal, wie niedrig sie sind, zu hoch. Es sind Zehntausende von Toten dort. Jede Nacht und jeden Tag kommen neue dazu. Wir wissen, daß in den letzten Tagen neue Kriege, nicht nur Konflikte, entstanden sind und weitere dazukommen. Wir wissen, daß manche, die fliehen wollen, um nicht verletzt oder ermordet zu werden, in Jugoslawien sogar gehindert werden, als Flüchtling das nackte Leben in die Freiheit zu retten.Was tut, frage ich uns, die KSZE? Weggucken vor dem Leid der Menschen? Dies darf nicht sein. Dies darf nicht länger sein. Die Menschen sich selber überlassen? Auch dies darf nicht sein.Wir haben vor kurzem die Charta von Paris gefeiert. Auch dies ist ein schöner Vertrag. Aber was ist in der Praxis daraus geworden? Wir haben in der KSZE, stelle ich fest — dies ist eine unschöne Beschreibung; aber ich halte sie für zutreffend —, kein Konzept
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8147
Peter Kurt Würzbachgegen gewalttätige und entschlossene Friedensbrecher. Hier haben wir als Staatenwelt, wenn wir unsere Sicherheit weiter festigen wollen und uns dafür verantwortlich fühlen, miteinander auch über die eigenen Grenzen hinaus die Menschenrechtsidee zu verwirklichen, eine Menge zu tun.Ich will einen weiteren Eindruck schildern. Die KSZE hat eine gewisse Stabilität und durch die Stabilität eine gute politische Dynamik in der Zeit entwickelt, als der Ost-West-Konflikt klare Gegensätze zwischen Ost und West in die tägliche Politik projizierte. Ich stelle fest, daß die Epoche nach dem Kalten Krieg für manche, und zwar für zu viele, und nicht nur in Jugoslawien, zu einer Epoche des Krieges geworden ist. Dies darf uns nicht weggucken lassen und die Dinge weiter so laufen lassen. Wir sind jetzt gefordert, daß wir uns dem Verrat an der Menschenrechtsidee — die eine faszinierende ist und die wir mit aller Härte mit vielen Mitteln verfolgt und vertreten haben, in der Masse einig zwischen Regierung und Opposition, in manchem dann Anfang der 80er Jahre nicht —, der vor unserer Haustür, im Vertragsgebiet der KSZE, Einzug gefunden hat, entgegenstellen, daß wir Mittel finden, um die Kriege, die entstanden sind, zu beenden, und daß wir Mittel finden, um neue Kriege vor dem Entstehen zu verhindern. Kriege sind — das will ich hinzufügen — für die betroffenen Menschen dort schlimmer als die schlimmste Naturkatastrophe. Jeder weiß, warum ich das sage.Ich will hier auch die Frage — mehr als nur rhetorisch — hinzufügen: Wo sind eigentlich die vielen — ich gebe zu: oft sehr besorgten — Friedensbewegungen, nationaler wie internationaler Art, geblieben, seitdem der Krieg vor unserer Haustür mitten in Europa tobt? Wo sind unsere Medien, die erst langsam beginnen, zu beschreiben und zu mahnen und über die Brutalität zu berichten, mit der sich Menschen in einem Land gegenseitig ermorden, und das in einem Teil der Welt, den viele von uns persönlich gut kennen. Auch viele von dort waren hier. Das ist ja nicht irgendwo, sondern mitten in Europa.Wir reden über Abrüstung. Ich stelle die These auf, daß Kriege wie der in Jugoslawien — aber zwei, drei, vier weitere Beispiele lassen sich jetzt leider hinzufügen — die Abrüstung verhindern, die Abrüstung blokkieren, eher die Aufrüstung fördern. Warum? — Wir haben eine Vielzahl von jungen, neuen Staaten, jungen Demokratien. Wenn die sehen, was dort geschieht und in anderen Staaten jetzt im Entstehen ist, dann ist es aus deren Sicht logisch und verständlich, daß sie mit Blick auf die Frage „Lege ich mir eine große oder kleine Armee zu, eine sehr modern ausgerüstete oder mit einfachen Waffen ausgestattete Armee — ja oder nein?" beim Sehen dieser Bilder in der Welt die Entscheidung treffen, lieber mehr und lieber modernste Waffen haben zu wollen. Auch das haben wir bei dem, was wir tun, mit zu berücksichtigen.Ich füge noch ein weiteres Beispiel hinzu, das deutlich macht, daß solche Kriege die Abrüstung brutal behindern. Wir haben in Wien erfreulicherweise verabredet, Hauptwaffensysteme, Panzer, Schützenpanzer, Artilleriegeschütze und Hubschrauber, um Zehntausende von Systemen zu reduzieren. Das ist prima! Aber: Die alte Sowjetarmee mit ihrem Potential muß auf die Nachfolgerepubliken aufgeteilt werden. Wie wollen wir in Gegenden solches Material geben, wo Krieg entweder schon entstanden ist oder Krieg in Kürze entsteht? Auch das zeigt, wie hier in die Abrüstungsverhandlungen und -vereinbarungen ein Riegel hineingeschoben wird, den wir so nicht sehen wollen.Ich will etwas zur KSE sagen. Hier sind wir gut beraten, wenn wir die damals übereinstimmend gefundene Formulierung der „hohen Flexibilität" auch weiter als Leitlinie beibehalten und nicht starr — um nicht zu sagen: stur — ein Datum festlegen, bis zu dem die GUS-Staaten ratifiziert haben müssen, anderenfalls das Vertragswerk außer Kraft gesetzt wird.
Nein, ich rate zu hoher Beweglichkeit, was Daten, was Räume, was Zahlen und Zusammenhänge angeht, damit wir das, was dort bisher in Übereinstimmung geschaffen worden ist — schwierig genug —, erhalten. Es wäre gut, wenn wir — der Verteidigungsminister hat angekündigt, daß er Mitte dieses Jahres damit beginnen will — wirklich mit dem Verschrotten der Systeme beginnen. Es wäre schön, wenn wir von einer Verschrottungsoffensive sprechen können, die friedlich in den Fabriken stattfindet, und stoppen können, daß Waffen im Augenblick nur durch ihren Einsatz in Gebieten, wo Menschen einander bekämpfen, zerstört werden.Wichtig ist, daß wir, wenn KSE abgeschlossen ist, im Rahmen von KSE Ia die Fachleute wissen, worüber ich rede — zur personellen Begrenzung kommen. Daran haben wir Deutschen ein besonderes Interesse. Wir sind weltweit bisher die einzigen, die völkerrechtlich verbindlich festgelegt haben, ihre Streitkräfte in einer bestimmten Zeit auf ein bestimmtes Maß zu reduzieren. Natürlich muß es unser Interesse sein, auch die anderen Staaten — vertraglich verbindlich — dazu zu bringen, in einer überschaubaren Zeit überprüfbar das gleiche zu tun.Zu einigen markanten Punkten — wir haben das zwischen den Rednern unserer Fraktion, die noch folgen, aufgeteilt — aus unserem Antrag „Rüstungskontrolle und Abrüstung nach Ende des Ost-WestKonflikts".Der Bereich der Rüstungsexportkontrolle ist ein höchst bedeutender. Hier haben wir Deutschen anzumelden, daß wir dringend eine internationale Angleichung fordern, daß wir fordern, mit harten Strafen Verstöße zu ahnden und nicht nur mit Strafen wie für Kavaliersdelikte, wie das auch in manchem NATO-Partnerland heute geschieht. Wir legen großen Wert auf die Nichtverbreitungsregeln und fordern hier noch einmal — hier sind wir noch lahm und handlungsunfähig, zumindest sind unsere Waffen sehr stumpf —, daß im Rahmen der IAEA, der Internationalen Atomenergiebehörde, unbedingt auch unangemeldete Kontrollen, und zwar auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten durchgeführt werden können, und raten dazu,
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8148 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Peter Kurt Würzbachsich abzustützen, um personell leistungsfähiger zu werden, auf Einrichtungen wie Euratom oder ähnliches.
Zu begrüßen ist, daß Länder wie China, Frankreich kürzlich und Südafrika hier beigetreten sind. Dies sollte uns aber nicht ruhen lassen, die Bundesregierung zu bitten, auch auf die anderen Staaten einzuwirken, sich dieser Organisation anzuschließen. Es darf nicht dazu kommen, daß, wie heute die Wissenschaftler voraussagen, im Jahr 2000 etwa 15 Staaten in der Lage sind, weitreichende Trägerraketen herzustellen. Dies muß unbedingt im Vorfeld verhindert werden, wie schwierig auch immer dies sein wird, und es darf auch nicht nur nachher versucht werden, dies einzudämmen.Wir reden hier auch über den seit 1980 bei der UNO hinterlegten Vertrag, der das Völkerrecht mit der Bestimmung abrundet, daß Staaten, die Krieg führten und Minen verlegten, nach Ende der Kampfhandlungen — ich sage: gefälligst — die Minenverlegepläne offenzulegen haben, um zu verhindern, daß Zivilbevölkerung dort sich verletzt oder durch die Minen getötet wird. Ich bin sicher, hier werden wir alle miteinander zustimmen.Der Bereich der chemischen Waffen wird im Augenblick in Genf unter deutscher Führung geregelt. Ich hoffe, Herr Minister Kinkel, daß der Optimismus, den Ihre Herren kürzlich im Ausschuß an den Tag gelegt haben, in der Tat „in wenigen Wochen" , wie es heißt, eingelöst werden kann. Dies wäre ein großer und wichtiger Schritt. Und was die Kollegen der Opposition besonders freut: In unserem Antrag wird auch deutlich gefordert, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen umfassenden nuklearen Teststopp weltweit zu erreichen.Die Situation ist auf dem Feld, über das wir reden, insgesamt instabiler geworden. Sie ist nur global zu betrachten. Dieser Herausforderung haben wir uns zu stellen. Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik sind wichtige Instrumente für mehr Sicherheit und Stabilität, aber — dies will ich hier deutlich sagen — allein reichen diese Instrumente nicht aus, um Frieden zu gewährleisten und Kriege zu verhindern. Trotz aller Fortschritte im Bereich der Abrüstung haben wir Krieg in Europa. Ich stelle fest: Es ist gut, daß wir in dieser Lage mit unseren Soldaten, den aktiven und den Reservisten unserer Bundeswehr, gemeinsam mit unserem Bündnis den nötigen Rückhalt haben, um zur Friedenserhaltung und zur Kriegsverhinderung beitragen zu können.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Katrin Fuchs.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zwei aktuelle Ereignisse haben die SPD-Bundestagsfraktion veranlaßt, auf eine Abrüstungsdebatte noch vor der Sommerpause zu drängen.Erstens. Am 9. Juli entscheidet das KSZE-Forum über die Fortsetzung der konventionellen Abrüstung und über ihre Rolle bei der Bewältigung von Konflikten in Europa, jetzt und in Zukunft. Wir bitten übrigens darum, daß über diesen Antrag heute abgestimmt wird. Sonst hat er nämlich keinen Sinn. Dieses Forum findet am 9. Juli statt. Bitte, überlegen Sie sich das noch einmal, Herr Kollege Würzbach.Zweitens. Im Mai dieses Jahres hat das US-Repräsentantenhaus eine Gesetzesinitiative zur befristeten Einstellung von Atomwaffentests präsentiert. Die Entscheidung des Senats steht in den nächsten Monaten an. Leider demonstriert die amerikanische Regierung mal wieder „Business as usual" . Erst heute hat sie wieder einen Atomtest durchgeführt. Dies müssen die Abgeordneten des Kongresses als einen Schlag ins Gesicht empfinden. Wir jedenfalls verurteilen das als SPD aufs schärfste.
Um so dringlicher scheint uns, daß nun ein Votum des Senats zur Aussetzung der Tests herbeigeführt wird, und mit unserem Antrag wollen wir den Herren Senatoren und den wenigen Damen den Rücken stärken.Frankreich hat seit April dieses Jahres seine Tests im Stillen Ozean ausgesetzt.
— Ja, hervorragend. — Da auch die Russische Föderation zugesagt hat, in diesem Jahr keine weiteren Atomwaffen zu testen, stehen die Chancen für eine Beendigung dieser Tests auf Dauer zumindest in diesen drei Staaten günstiger als je zuvor.Dieses Moratorium muß genutzt werden, um über den Sinn von Atomtests neu nachzudenken — auch seitens der Bundesregierung.Die Auseinandersetzung über die Beendigung der Tests ist im Kern eine Auseinandersetzung darüber, ob wir die Entwicklung neuer und immer effektiverer Atomwaffen wollen oder nicht; ob der Wettlauf um immer ausgefeiltere Waffensysteme fortgesetzt werden soll oder nicht.Die Präsidenten Bush und Jelzin beantworten die neue Lage richtig, wenn sie ihre Atomwaffen weiter drastisch reduzieren. Doch solange die Möglichkeit besteht, Atomwaffen zu testen, wird nicht zu verhindern sein, daß begrüßenswerte Schritte zur Abrüstung durch eine qualitative Aufrüstung unterlaufen werden. Wir wollen kein neues Wettrüsten.
Eine bloß zahlenmäßige Verringerung der Tests und die Absenkung der zulässigen Explosionsstärken lassen noch genügend Lücken, um in der alten Gewohnheit des Wettrüstens fortfahren zu können.In unserem Antrag fordern wir deswegen einen umfassenden Teststopp, wie dies seit Jahren von der Mehrheit der Staaten der Welt, zahlreichen Wissenschaftlern, Ärzten und Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik gefordert wird. Ich freue mich, daß der Kollege Würzbach sagt: Die CDU ist bereit, dem
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Katrin Fuchs
zuzustimmen. Leider sagt der Abrüstungsbericht der Bundesregierung uns etwas anderes. Ich finde es ganz unhaltbar, daß die Regierung ihre Vorbehalte gegen einen umfassenden Teststopp immer noch nicht aufgegeben hat.
In dem Abrüstungsbericht wird von schrittweisen Testreduzierungen geredet. Das war immer schon ein politischer Fehler. Er hat die Atommächte von dem Druck der nichtnuklearen Staaten entlastet, mit den Versuchsexplosionen endlich aufzuhören. Durch die Entscheidung Rußlands, Frankreichs und des US-Repräsentantenhauses ist dieser Druck Gott sei Dank erneut angewachsen, und es ist eine falsch verstandene Loyalität, wenn die Bundesregierung immer wieder die Ausweichmanöver der US-Regierung unterstützt. Ich würde mich freuen, wenn die CDU-Fraktion das anders sieht und unsere Vorhaben mitmacht.
Daß die beiden größten Produzenten von Atomwaffen beschlossen haben, ihre Arsenale zu reduzieren, ist positiv. Darüber freuen wir uns. Dennoch bleibt die bittere Erkenntnis der letzten Jahre, daß sich keine Atommacht bei der Anschaffung von immer mehr Atomwaffen ernsthafte Gedanken über die Entsorgung gemacht hat. In die Kostenberechnung für Tests und die Herstellung von Atomwaffen ist der Preis nicht einbezogen worden, den künftige Generationen über Jahrtausende für die Sicherung einer riesigen Menge von Plutonium und anderem strahlenden Material zu zahlen haben werden. Diese radioaktiven Substanzen werden wir so schnell nicht los. Plutonium hat, wie bekannt, eine Halbwertzeit von über 20 000 Jahren. Mit jedem neuen Atomtest und jeder neuen Atomwaffe wird dieses Problem vergrößert.Die Bundesregierung hat auf dem Umweltgipfel in Rio die Verantwortung der Industriestaaten für die Belastung unserer natürlichen Lebensgrundlagen anerkannt. Wenn schon nicht aus militärischen Gründen, dann sollte sie wenigstens aus den von ihr in Rio propagierten Gründen eine sofortige und vollständige Beendigung der Atomwaffenversuche unterstützen.Im übrigen, meine Herren und Damen: Wer die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern will, der muß auch die Einstellung von Atomwaffentests unterstützen; denn jeder Atomwaffenversuch kann von den sogenannten Schwellenländern als Signal verstanden werden, daß die Atommächte das Ziel, Atomwaffen letztendlich vollständig zu beseitigen, aufgegeben haben. Das kann in diesen Ländern den Wunsch bestärken, dieses Machtmittel ebenfalls in die Hand zu bekommen, und das wollen wir doch alle nicht.
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Würzbach?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich den Eindruck haben muß, daß Sie den Bericht nicht richtig gelesen haben; denn sonst hätten Sie die Regierung bezüglich eines Atomteststopps nicht attackieren können. Dort heißt es:
Die Bundesregierung hält an ihrer erklärten Zielsetzung fest, einen nuklearen Teststopp zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzustreben.
Sie sehen: Kein Dissens zu unserem Antrag, den Sie gelobt haben. Lob gebührt auch der Regierung.
Herr Kollege Würzbach, dann darf ich Ihnen die anderen Stellen zeigen, an denen in demselben Bericht dieselbe Bundesregierung sagt, daß zur Zeit nur schrittweise Testreduzierungen möglich sind. Ich zeigen Ihnen die Stellen nach der Sitzung gern.Aber ich bin ja froh, wenn Sie unseren Antrag unterstützen werden. Wir werden über ihn hoffentlich heute noch abstimmen können.Alle, denke ich, wollen die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern. Die Phantasien, liebe Kollegen und Kolleginnen, wie dies am besten zu gewährleisten ist, treiben bisweilen obskure Blüten. GPALS ist die Zauberformel der Amerikaner — eine Raketenabwehr, die laut SDIO-Vizepräsident Martin den totalen Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika herstellen soll. Daß er im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle einräumen mußte, daß GPALS z. B. Marschflugkörper und niedrig fliegende Raketen nicht abfangen kann, ficht ihn nicht an. Daß weltraumgestützte Sensoren und Raketen nicht funktionieren werden, hört man inzwischen von amerikanischen Nuklearexperten. Daß Freunde und Verbündete eingeladen werden, sich an diesem Projekt zu beteiligen, ist wohl eher auf dessen irrsinnige Kosten zurückzuführen. Dr. Martin spricht von rund 50 Milliarden Dollar. Renommierte US-Wissenschaftler sprechen von mindestens 100 Milliarden Dollar — und das allein für die Vereinigten Staaten!Aufgehorcht habe ich übrigens, als Dr. Martin in Aussicht stellte, daß die Raketenabwehr hochmobil werden soll, damit sie zusammen mit Expeditionscorps — wörtlich — schnell nach Europa und anderswo in der Welt verlegt werden könne. Das heißt nach meinem Verständnis nichts anderes, als daß die weltweiten Interventionstruppen unangreifbar gemacht werden sollen und daß ihre Führungsfähigkeit erhöht werden soll. Ich frage: Soll so die „Neue Weltordnung" eingeführt werden?Wenn sich nun Präsident Jelzin an GPALS beteiligen will, wird das die Sicherheit Rußlands nach meiner Überzeugung nicht erhöhen, die Zukunftschancen der Menschen in Rußland allerdings erheblich vermindern. Die GPALS-Milliarden werden ihnen fehlen, wenn es um die Erreichung des sozialen Friedens, den wirtschaftlichen Aufbau und die ökologische Erneuerung geht.Wie sich die Herren Bush und Jelzin in dieser Frage letztlich verhalten, müssen sie selbst entscheiden. Von der Bundesregierung möchten wir allerdings folgendes wissen: Welche Vorstellungen haben Sie in den Gesprächen mit den Amerikanern vertreten, von
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denen uns im Ausschuß berichtet wurde? Hat die Bundesregierung signalisiert, daß sie sich an GPALS beteiligen will? Wie hält es die Bundesregierung mit der drohenden Aushebelung des ABM-Vertrages, der ja für uns alle immer einer der wichtigsten Verträge in der Abrüstungsgeschichte darstellte? Wird sich die Bundesregierung mit den parlamentarischen Gremien beraten, bevor sie eine Entscheidung trifft? Ich warne die Regierung davor, Entscheidungen am Parlament vorbei zu treffen.
Von allen Fraktionen im Unterausschuß wurde die Raketenabwehr mit — ich will es einmal so sagen — großer Skepsis betrachtet. Sie taugt zu nichts als zur künstlichen Beatmung der Rüstungsindustrie. Jedenfalls kündige ich, sollte sich die Bundesregierung für eine Beteiligung an GPALS entscheiden, den ernsthaften Widerstand der sozialdemokratischen Fraktion an.
Meine Herren und Damen, am 9. Juli entscheidet die KSZE-Gipfelkonferenz in Helsinki darüber, wie es mit der konventionellen Abrüstung in Europa weitergehen soll. Die SPD-Bundestagsfraktion befürchtet, daß auf dieser Konferenz viel von Dialog und Zusammenarbeit die Rede sein wird, ein Mandat für die Reduzierung des immer noch zu hohen Bestandes an schweren, für einen Angriff einsetzbaren Waffen in West- und Osteuropa allerdings nicht erteilt werden wird.Richtig ist, daß zunächst einmal die Abrüstungsverpflichtungen, die die Staaten des früheren Warschauer Paktes und der NATO im November 1990 eingegangen sind, erfüllt werden müssen. Doch darf es nach der Umsetzung dieser Maßnahmen in der Abrüstung keinen Stillstand geben. Deswegen fordern wir ein paralleles Vorgehen. Wir möchten, daß schon über die nächsten Schritte verhandelt wird, während noch die Reduzierungen aus dem ersten Abkommen durchgeführt werden, so daß ein Ergebnis bis 1990 vorliegt.Ein solches Mandat ist notwendig, weil unter Berücksichtigung der neuen Obergrenzen immer noch 157 600 Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriewaffen, Kampfhubschrauber und Kampfflugzeuge in Europa zulässig sind — eine Unmenge an Waffen, die in keinem Verhältnis zu irgendeiner vorstellbaren Bedrohung steht.
Diese Waffen können übrigens selbst zum Drohfaktor werden, wenn sie nicht durch Abrüstungsverhandlungen unter Kontrolle gebracht werden. Die neue Hitliste der Rüstungsexporteure, in der die Bundesrepublik den dritten Platz einnimmt, spricht Bände.
Der erste KSE-Vertrag von 1990 berührt die Potentiale der NATO-Staaten nicht wesentlich. Die Bundeswehr hat an den Reduzierungen nur deswegen einen etwas größeren Anteil, weil ihr die Waffen der ehemaligen NVA zugeschlagen worden waren. Wasdie Waffen der alten Bundesrepublik angeht, sind die Reduzierungsverpflichtungen fast ebenso gering wie die der übrigen NATO-Partner. Wir erwarten von der Regierung, daß sie sich mit Nachdruck dafür einsetzt, daß in Helsinki ein neuer Rahmen für völkerrechtlich bindende Verpflichtungen zu weiteren Abrüstungsschritten geschaffen wird.
Bisherige Verhandlungen haben leider die Qualität von Waffen weitgehend außer acht gelassen. Bei den Vereinbarungen über vertrauensbildende Maßnahmen wurde inzwischen ein Ansatz gefunden. Zumindest die Informationen über die Entwicklung neuer Waffensysteme werden ausgetauscht. Das ist positiv, es reicht aber nicht aus, den nach wie vor stattfindenden Wettlauf mit immer neuen Waffen zu stoppen.Die sicherheitspolitische Lage in Europa hat jetzt die Chance eröffnet, auch den Prozeß der Waffenmodernisierung international zu kontrollieren und zu beenden. Wir wollen, daß die Entwicklung neuartiger Waffen wie z. B. elektromagnetischer Geschütze oder Laserwaffen untersagt wird.Wir fordern in unserem Antrag auch, daß endlich die Seestreitkräfte in die Abrüstung einbezogen werden. Die militärischen Gründe für ihre frühere Ausklammerung sind entfallen. Als Einstieg in die Kontrolle der Seestreitkräfte stellen wir uns die Potentiale der Ostsee, der Nordsee, aber auch des Mittelmeers vor.Regelungen für das Mittelmeer könnten übrigens dazu beitragen, auch für diese Region einen mit der KSZE vergleichbaren Prozeß einzuleiten. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie entsprechende Initiativen der Anrainerstaaten des Mittelmeers unterstützt.Am 15. Mai dieses Jahres haben sich die acht Präsidenten der früheren Sowjetunion auf die Übernahme der Verpflichtung aus dem KSZE-Vertrag endlich geeinigt; die Ratifizierung steht noch aus. Wir appellieren an die Parlamente dieser Republiken, den Ratifizierungsprozeß rechtzeitig, bis zum 9. Juli, abzuschließen.Unabhängig von den positiven Entscheidungen des 15. Mai, hier berühren sich meine Ängste ein wenig mit denen des Kollegen Würzbach. Unabhängig von diesen positiven Entscheidungen — zweifelsfrei — bleibt festzuhalten, daß die neu entstandenen unabhängigen Republiken erstmals über schwere, offensivfähige Waffen verfügen, die zuvor von einem einzigen Vertragspartner, der Zentrale in Moskau, kontrolliert wurden. Damit kommt auf diese Republiken eine ganz neue Verantwortung zu.Moldawien z. B., wo es bisher weder Kampfflugzeuge noch Kampfhubschrauber gab, kann jetzt über jeweils 50 Stück dieser Waffen verfügen. Armenien, Aserbaidschan, die im Konflikt stehen, werden auf eine Höchstgrenze von jeweils 220 gepanzerten Gefechtsfahrzeugen und 285 Artilleriewaffen verpflichtet. Das ist zwar zum Teil weniger, als früher die Sowjetarmee dort stationiert hatte, mehr als genug aber, um zu einer massiven Eskalation militärischer Konflikte beitragen zu können. Die ursprüngliche
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8151
Katrin Fuchs
Zielsetzung des KSZE-Vertrages, Kriegsgefahren durch die konventionelle Abrüstung in Europa zu vermindern, kann damit in Frage gestellt werden.Ich meine, es gibt Sinn, sich diese Konsequenz, die wir alle nicht gewollt haben, vor Augen zu führen. Die KSZE muß nun versuchen, zumindest mit den ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Möglichkeiten darauf zu drängen, daß diese Waffen nur zum Zweck der Verteidigung bereitgehalten werden. Ich glaube, das ist uns allen ein großes Anliegen.Daß es im heutigen KSZE-Gebiet Zonen ungleicher Sicherheit gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Ostseeraum gibt es ganz andere Sicherheitsprobleme als im Kaukasus oder auf dem Balkan. Damit werden, wie wir finden, regionale Stabilitätsarrangements notwendig und sinnvoll. Wir fordern deshalb, daß der KSZE ein Auftrag zur Verhandlung über regionale Kooperation und Stabilisierung erteilt wird. Das Ziel soll sein, am Ende solcher Verhandlungen zu regionalen Regelungen über die Ausbalancierung militärischer Kräfte über vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung zu kommen.Ein solcher Auftrag hätte übrigens die positive Nebenwirkung, die Eigenverantwortlichkeit der neuen Republiken für den Frieden in ihrer Region zu stärken.Meine Herren und Damen, wir erleben zur Zeit in Europa eine massive Veränderung des Status quo, die in wachsendem Maße mit Gewalt herbeigeführt wird. Dies ist in der Geschichte der Unabhängigkeitsbewegungen und der Herausbildung neuer Nationalstaaten wirklich kein Novum.Die hier im Bundestag vertretenen Parteien haben sich im Jugoslawien-Konflikt dafür entschieden, dem Recht auf nationale Selbstbestimmung der Slowenen, Kroaten und Bosnier eine höhere Legitimität zuzusprechen als dem Recht des jugoslawischen Bundesstaates auf Aufrechterhaltung des Status quo.Aus dem Krieg der Gesetze ist inzwischen ein Krieg der Völker gegeneinander geworden. In anderen Staaten Europas, in Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan werden wir mit dem gleichen Konfliktmuster konfrontiert.Wir hatten die Hoffnung, daß sich diese Staaten durch den Beitritt zur KSZE an den zivilisatorischen Maßstäben der Charta von Paris orientieren würden. Heute wissen wir, daß diese Hoffnungen keinen Bestand hatten. Das Bedürfnis, Rache zu nehmen, und das Bedürfnis nach nationaler Identität haben die Oberhand gewonnen. Die auch von Herrn Kollegen Würzbach viel beklagte Schwäche der KSZE, diese Konflikte mit den Mitteln der Vernunft zu regeln, darf der KSZE aber nicht angekreidet werden, Herr Kollege. Wir müssen im Gegenteil die KSZE mit wirkungsvolleren Instrumenten zur Konfliktverhütung, zur Vermittlung und zur Konfliktregelung ausstatten. Falsch wäre es, zu meinen, diese Konflikte ließen sich mit militärischer Gewalt bändigen.Die Versuchung, mit militärischen Mitteln Frieden zu erzwingen, ist in letzter Zeit deutlich größer geworden. Auch der neue Bundesaußenminister schließt seiteinigen Wochen den Einsatz militärischer Gewalt von außen nicht aus. Er ist durch solch markige Sprüche aufgefallen wie „Die Serben in die Knie zwingen" . Diese Hemdsärmeligkeit zeugt gerade in der Jugoslawienkrise von einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit, Herr Kinkel. Wenn sogar der britische Außenminister Hurd versucht, den militärischen Übereifer seines deutschen Amtskollegen zu dämpfen, dann können wir Sozialdemokraten den Herrn Außenminister nur nachdrücklich auffordern, mehr über die Entspannung von Konflikten als über ihre Verschärfung nachzudenken.
Außerdem: Ist es denn wirklich in Deutschland noch nötig, darauf hinzuweisen, daß Kriege keine Veranstaltung zur Durchsetzung von Menschenrechten sind, daß sie viel zu häufig nicht die Initiatoren der Gewalt, sondern ihre Opfer treffen? Welche Ordnung, die sich auf Gewehrläufe gründete, hat sich als dauerhaft und stabil erwiesen? Das Säbelrasseln von Außenminister Kinkel verbindet sich — —
— Ich habe diese Äußerungen so empfunden, wie ich sie dargestellt habe.Das Säbelrasseln, bei dem ich bleibe
— hören Sie doch einmal zu, wie das auf die Öffentlichkeit wirkt! —, verbindet sich gleichzeitig mit der Position, die auch vertreten wird, Deutschland für Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet in Bosnien abzuriegeln. Das muß man ja zusammen betrachten. Beides ist ein Indiz dafür, wie dick oder auch dünn der Lack der Zivilisation bei uns ist.
Der Krieg in Jugoslawien und die gewaltsamen Konflikte in den GUS-Republiken werden von Institutionen, vorzugsweise des Westens, nun zum Anlaß genommen, ihre militärischen Dienste anzubieten. Nicht nur die UNO, die dazu ein satzungsgemäßes Recht hat, sondern auch die NATO, die WEU, das deutsch-französische Corps wetteifern um den Auftrag, in den europäischen Krisengebieten mit friedenserhaltenden Missionen betraut zu werden. Immer deutlicher wird, daß es nicht bei Blauhelmen bleiben soll, sondern daß auch über Kampfaufträge nachgedacht wird.Nichts scheint nun vordringlicher als der Aufbau schneller Eingreiftruppen. Die NATO ist dabei, solche Verbände aufzustellen. In fast allen nationalen Streitkräften von Frankreich bis Rußland sind bereits rapid reaction forces entstanden oder geplant. UN-Generalsekretär Butros Ghali möchte sie für die UNO. Die WEU will da nicht hintanstehen; sie will sich militärische Einheiten für Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung zulegen. Deutschland und Frankreich haben im Alleingang ein Corps aus der Taufe gehoben, das der WEU auch für Kampfeinsätze zur Verfügung stehen soll. Es wird für die Bürger und
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8152 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Katrin Fuchs
Bürgerinnen immer undurchsichtiger, wie viele konkurrierende Strukturen gegenwärtig aufgebaut werden und wofür das Ganze gut sein soll.Wenn es um Krisenmanagement geht, endet die Phantasie der europäischen Staatsmänner bei militärischen Interventionen. Dabei wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt, es ließen sich die neuen Konflikte besser lösen, wenn endlich die nötigen militärischen Instrumente bereitstünden.
Die gegenwärtige Entwicklung geht, wie ich finde, in eine verhängnisvolle Richtung. Die Bundesrepublik Deutschland, die allen Anlaß hätte, ihre Verantwortung in der Welt dafür zu nutzen, daß es friedlicher und ziviler zugeht, ist daran beteiligt. Ausgerechnet unter deutschem Vorsitz hat die WEU am vergangenen Freitag in ihrer Petersburg-Deklaration den umfassenden Aufbau ihrer militärischen Fähigkeiten beschlossen.Wir halten fest: Erstens. Der Vertrag von Maastricht enthält keinen Auftrag zur Vorbereitung von WEU-Kampfeinsätzen, auch nicht für den deutsch-französischen Alleingang zur Gründung des Euro-Corps.Zweitens. NATO und WEU sind Verteidigungsbündnisse. Ihre Verträge enthalten nur die Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand im Falle eines Angriffs von außen; nichts weiter. Es kann nicht zugelassen werden, daß sich jetzt Militärbündnisse Funktionen einer internationalen Ordnungspolizei anmaßen. Out-of-area-Einsätze sind mit uns nicht zu machen.
Drittens. Das Grundgesetz läßt die Beteiligung Deutschlands an militärischen Einsätzen außerhalb des NATO-Gebietes nicht zu. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist dagegen, die SPD auch.Herr Bundesminister, hören Sie doch endlich auf, im Ausland Zusagen zu machen, für die Sie im Parlament keine Mehrheiten haben.
Ich weiß nicht, wie Sie in der internationalen Öffentlichkeit glaubwürdig und seriös auftreten wollen, wenn Sie mit dem deutschen Parlament auf eine derartig undemokratische Weise umspringen.
Ich würde Ihnen sehr empfehlen, das einmal zu überdenken.
Wir sind bereit, das Grundgesetz zu ergänzen, damit sich auch deutsche Soldaten an friedenserhaltenden Aufgaben der Vereinten Nationen beteiligen können.
Wir wollen auch die Möglichkeit einräumen, daß dieKSZE so etwas tun kann, wenn die UNO das möchte.Daß die NATO der KSZE Truppen für friedenserhaltende Maßnahmen oder — wie es der Generalsekretär wünscht — für Kampfeinsätze zur Verfügung stellt, halte ich für völlig falsch.
Die Frage ausländischer Medien, ob die NATO eine Europolizei werden will, ist berechtigt. Weder NATO noch WEU dürfen als Europolizisten mißbraucht werden.
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?
Frau Kollegin Fuchs, könnten Sie sich vorstellen, daß die Überlegungen, die Ihr Kollege Gansel angestellt hat, nämlich daß er sich sehr wohl Kampfeinsätze vorstellen könnte, in Ihrer Fraktion eine Mehrheit finden?
Die Vorstellungskraft des Kollegen Gansel wird von mir immer schon bewundert. Daß er diese Vorstellungen in der SPD durchsetzen kann, halte ich für ausgeschlossen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Frau Kollegin Fuchs?
Nein, ich muß jetzt zum Ende kommen, Entschuldigung; das machen wir nachher.
Der Antrag unserer Fraktion zielt auf den Aufbau kooperativer Sicherheitsstrukturen in Europa. Nötig ist ein Instrumentarium vorausschauender Konfliktvermeidung und friedlicher Streitschlichtung bei der KSZE. Nötig ist, eine Kooperation mit den an die KSZE angrenzenden Regionen aufzubauen. Nötig ist auch ein beschleunigter und umfassender Entmilitarisierungsprozeß.
Wir wollen dabei Abrüstungsdruck nicht nur einseitig gegenüber den GUS-Staaten, sondern auch gegenüber den hochgerüsteten NATO-Staaten.
Wie schwer sich auch die Bundesregierung mit der Abrüstung tut, belegen die neuen Spitzenleistungen bei dem Rüstungsexport und das Gezerre um das berühmte europäische Jagdflugzeug. Dem Kanzler und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden sei gesagt, auch ein „Jäger light" ist ungenießbar, verschwenderisch und ohne Sinn. Ich weiß, daß viele von Ihnen so denken.
Ich bitte Sie, meine Herren und Damen, unsere Anträge zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Olaf Feldmann.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8153
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch nie war der politische Wille zur Abrüstung und Kooperation so groß wie heute. Es besteht daher, liebe Frau Kollegin Fuchs, überhaupt kein Anlaß zu so viel Schwarzmalerei, wie Sie das eben von diesem Pult aus getan haben.
Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele bilaterale und multilaterale Abrüstungsvereinbarungen geschlossen wie gerade in den letzten Jahren. Das größte Abrüstungsprojekt für das kommende Jahrzehnt wurde gerade vor einer Woche in Washington von den Präsidenten Bush und Jelzin unterzeichnet. Das hätten Sie ruhig würdigen können.
Zwei Drittel der jetzt vorhandenen strategischen Nuklearwaffen in den USA und Rußland sollen danach bis zum Jahre 2003 abgerüstet werden. Damit stellt die Washingtoner Vereinbarung den größten qualitativen und quantitativen Sprung in der Geschichte der Abrüstung dar. Die 90er Jahre, Frau Kollegin, werden zu einem Jahrzehnt der Abrüstung werden.Die F.D.P.-Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt daher die vorliegenden Abrüstungsvereinbarungen von KSE-Vertrag über den START-Vertrag bis zur Washingtoner Vereinbarung.
— Es ist ja schön, wenn auch Sie das unterstützen; dann sollten Sie es auch deutlich sagen.Aber mit dem politischen Willen zur Abrüstung und den Vereinbarungen allein ist es nicht getan; da stimme ich Ihnen zu. Vor allem die USA und Rußland stehen jetzt vor der gewaltigen Aufgabe, ihre beispielhaften Abrüstungsverpflichtungen umzusetzen.Herr Würzbach, Sie haben völlig recht: Es muß eine Verschrottungsoffensive begonnen werden. Man muß sich das einmal vorstellen: Allein Rußland muß insgesamt 30 000 nukleare Sprengköpfe, davon 20 000 aus dem strategischen Bereich, binnen zehn Jahren vernichten.
— Das ist richtig, Herr Nolting. Das bedeutet aber — auch das muß man sich vorstellen —, daß 3 000 Sprengköpfe pro Jahr, pro Tag also fast 10 Sprengköpfe, vernichtet werden müssen. Hinzu kommt der Transport der Waffen zu zentralen Lagern und Vernichtungsstellen, die kontrollierte Vernichtung der Trägersysteme, die Sicherstellung des anfallenden Nuklearmaterials und dessen sichere Endlagerung bzw. Konversion für zivile Zwecke.Dieser nukleare Abrüstungskreislauf, diese Verschrottungsoffensive muß erst einmal in Gang gesetzt werden. Man muß sich vorstellen, daß dann dasgleiche auch im konventionellen Bereich stattfinden muß.
— Ich stimme Ihnen voll zu. Aber deswegen sollten wir, Herr Kollege, gerade begrüßen, daß wir jetzt auf der Abrüstungsspirale, auf dem Abrüstungspfad sind, und die Dinge positiv zu beschleunigen versuchen.Dies alles ist in den GUS-Staaten deswegen besonders schwierig, weil — wie wir leider wissen — die Wirtschaft dort in einem desolaten Zustand ist. Hohe Arbeitslosigkeit und drohende Werkschließungen in der Rüstungs- und Nuklearindustrie könnten Manager und Nuklearexperten allzu leicht verleiten, sich auf illegale Waffengeschäfte einzulassen. Denn Waffenplutonium und angereichertes Uran können abgezweigt werden, bevor die effektiven Kontrollen der Nuklearprogramme und der Rüstungsexporte durchgeführt werden können. Diese Gefahr besteht in den GUS-Staaten leider.Die GUS-Staaten sind bei der Erfüllung ihrer Abrüstungsverpflichtungen alleine überfordert, vor allem in finanzieller und technischer Hinsicht. Konversionskonzepte und -strategien für den aufgeblähten Rüstungssektor der GUS-Staaten gibt es noch nicht. Diese Dimension der bevorstehenden Abrüstungsaufgaben zeigt, daß Abrüstungs- und Konversionshilfe in Zukunft Kernbereiche der Sicherheitspolitik in Europa sein müssen.Mit der erfolgreichen Umsetzung der jetzt getroffenen Vereinbarungen schaffen wir gleichzeitig Bausteine der zukünftigen kooperativen Sicherheitsstrukturen in Europa. Der Westen muß daher für die Zerstörung der Waffenarsenale in den GUS-Staaten entsprechendes Know-how, finanzielle und technische Hilfe bereitstellen; denn das abzurüstende nukleare und konventionelle Waffenpotential ist das größte und gefährlichste Proliferationsrisiko der Zukunft.Der Koalitionsantrag zur Abrüstung legt deshalb seinen Schwerpunkt auf die Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen für das anstehende Abrüstungsjahrzehnt. Es gilt vor allem, die internationale Zusammenarbeit und unseren nationalen Beitrag bei der Kontrolle der Abrüstung, bei der Koordinierung der Abrüstungshilfe für Osteuropa und bei der Eindämmung der Proliferation von Nuklearwaffen, von Wissen und Technik entscheidend zu verbessern. Wir brauchen bei der Umsetzung der Abrüstungsverträge mehr Transparenz und internationale Beteiligung.Wie wichtig dies ist, hat auch der sehr problematische Rücktransport der taktischen Nuklearwaffen von den GUS-Staaten nach Rußland gezeigt. Noch immer ist völlig unklar, wo, wann und auf welche Weise Rußland die rund 10 000 taktischen Nuklearsprengköpfe vernichten wird. Meine Damen und Herren, so darf Abrüstung nicht laufen. Deshalb ist mehr Koordination und gegenseitige Information für die westliche Abrüstungshilfe erforderlich.Die deutsche Abrüstungshilfe für die GUS-Staaten muß auch wesentlich aufgestockt werden. Wenn die Amerikaner 400 Millionen Dollar und die Engländer 90 Millionen Dollar geben, dann müssen auch wir in
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Dr. Olaf Feldmanndiesem Bereich einen angemessenen Beitrag leisten. Zur Zeit beläuft sich unsere Abrüstungshilfe nämlich auf nur einige hunderttausend D-Mark. Das ist zu wenig. Wir brauchen in Zukunft im Haushalt einen eigenen Abrüstungstitel. Diese Mittel vielleicht stimmt hier auch die Opposition zu — können zur Stabilität und Sicherheit in Europa mehr beitragen als die laufenden Beschaffungsprogramme der Bundeswehr. Millionen für die Abrüstungshilfe können uns helfen, Milliarden im Rüstungsetat zu sparen.Ich darf hier an das anknüpfen, was Sie, Frau Kollegin Fuchs, zum Jäger 90 gesagt haben. Stellen Sie sich vor, wir würden die 100 Millionen DM den GUS-Staaten als Abrüstungshilfe geben, statt sie in die Produktionsvorbereitung des Jäger 90 zu stecken.
Was glauben Sie, welche Bedrohungsminderung wir damit erreichen könnten?!
— Ja, gut, ich möchte zu einem anderen Thema kommen
Das nächste Thema, das ich behandeln möchte, ist die Internationale Atomenergiebehörde, die auch der Kollege Würzbach schon angesprochen hat. Diese muß — darin sind wir uns wohl alle einig — grundlegend reformiert, mit mehr Kompetenz und auch finanziell besser ausgestattet werden. Nur mit einer starken IAEO können wir die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen und -technologie wirksam eindämmen. Es ist untragbar, daß 70 % aller Inspektionen der rund 200 Wissenschaftler der IAEO auf Deutschland, Japan, Kanada und Schweden entfallen. Die Zielgruppe für künftige Inspektionen müssen nukleare Schwellenländer, Krisenregionen und Staaten mit unvollständigem nuklearen Brennstoffkreislauf sein. Die IAEO muß in Zukunft schnell Verdachtskontrollen auch bei nicht angemeldeten Nuklearanlagen durchführen können. Staaten, die sich der Verdachtskontrolle entziehen, müssen mit internationalen Sanktionen belegt werden.Auch die atomwaffenbesitzenden Staaten des NV-Vertrages sind aufgefordert, sich freiwillig IAEO-Inspektionen zu unterziehen. Die F.D.P. begrüßt die Vorschläge der Bundesregierung zur Reform des Nichtverbreitungsregimes vom Juni letzten Jahres.Die Bundesregierung bleibt aber aufgefordert, weiterhin ihren Einfluß dahin gehend geltend zu machen, daß das globale NV-Regime weiterhin verbessert wird, damit die Glaubwürdigkeit des NV-Vertrages gestärkt wird. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die Laufzeit des NV-Vertrages bis 1995, die notwendige Weiterentwicklung und den Ausbau des Nichtverbreitungsregimes insgesamt. Dem, was Sie, Frau Kollegin Fuchs, zu den laufenden Verhandlungen über das Atomteststoppabkommen gesagt haben,möchte ich eigentlich zustimmen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt — —
— Vorsichtig; ich möchte Ihnen zustimmen, wenn Sie sagen, die Chancen seien noch nie so gut gewesen wie heute; sie seien besser als je zuvor. Ich sehe dies auch so, daß die Chancen besser sind als je zuvor, denn die amerikanisch-sowjetischen Schwellenverträge zur Begrenzung der unterirdischen Kernwaffenversuche bewerte ich als einen ersten positiven Schritt in die richtige Richtung, nämlich hin zu einem globalen Teststopp. Wir begrüßen es, daß sich die Amerikaner und Rußland dahin einig geworden sind, Nuklearversuche auf ein Minimum zu beschränken und weiterzuverhandeln mit dem Ziel, Nukleartestversuche ganz einzustellen. Das ist ja vertraglich vereinbart.Frau Fuchs, ich stimme Ihnen natürlich zu: Sicher wäre es besser, wenn sie dem Beispiel Frankreichs und Rußlands folgen würden und die Atomtests zunächst zeitlich befristet einstellen würden. Aber wir sind doch Realisten. Die ersten Schritte in diese Richtung sind richtig. Unser Ziel bleibt unverändert — das ist auch in unserem Antrag enthalten — ein umfassender Teststopp zum frühestmöglichen Zeitpunkt. — Aber jetzt hätte ich von Ihnen eigentlich Beifall erwartet. — Unser Ziel bleibt ein umfassender Teststopp zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Wenn Sie dem nicht zustimmen können, dann frage ich mich, was Sie eigentlich wollen.
— Dann seien Sie doch froh, wenn wir heute endlich soweit sind, und stimmen Sie dem zu.
— Wir müssen realistisch vorgehen und uns dem Ziel Schritt für Schritt nähern. Es hat keinen Sinn, daß wir Utopien pflegen. Die Welt ist leider nicht so, wie wir sie uns gerne malen würden.Ein weiteres schwieriges Problem sind die Rüstungsexporte. Hier müssen wir Europäer mit gutem Beispiel vorangehen. Ziel einer gemeinsamen restriktiven europäischen Rüstungsexportpolitik muß die Streichung des Art. 223 des EWG-Vertrages sein, damit die Kontrolle von Rüstungsexporten von der nationalen Ebene in die Zuständigkeit der EG angehoben wird. Dies muß vorrangiges Ziel der Harmonisierung für den bevorstehenden gemeinsamen europäischen Binnenmarkt sein. Liberalisierung nach innen braucht ein gemeinsames Rüstungsexportregime nach außen. Das gilt auch für die Dual-useGüter. Wir begrüßen auch hier die laufenden Bemühungen der Bundesregierung in den Verhandlungen der Ad-hoc-Arbeitsgruppen auf EG-Ebene. Auch die bündnispolitisch gewollte multinationale Rüstungskooperation darf unsere restriktive Rüstungsexportpolitik nicht unterlaufen. Rüstungskooperation im gemeinsamen Binnenmarkt erfordert auch gemeinsame Endverbleibsklauseln. Auch das, Frau Kollegin, müßte an sich Ihre Zustimmung finden.Ich darf zum Schluß noch ein Wort zu Ihren Anträgen und zu Ihrem Aufruf sagen, Frau Fuchs, wir sollten Ihren Anträgen zustimmen. Es ist schade, daß Sie bei diesen wichtigen Themen nicht mehr Bereitschaft zur
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Dr. Olaf FeldmannZusammenarbeit gezeigt haben — ich sage das gerade an Ihre Adresse —, zumal wir im Bereich der Konversion Einigkeit in der Sache haben. Es ist auch schade, daß Sie Ihre ursprüngliche Gesprächsbereitschaft für einen gemeinsamen Konversionsantrag überraschend zurückgezogen haben
und nun, Frau Kollegin, kommen Sie in letzter Minute mit neuen Anträgen, die aus der Schublade gezogen wurden und die hier zur ersten Lesung serviert werden, und bitten um Zustimmung.
Wir werden sie ablehnen müssen, da sie erst heute vorgelegt wurden und auch im Ausschuß noch nicht vorliegen konnten.
Erfreulich ist jedoch, daß Sie heute im Ausschuß bei unserem Koalitionsantrag Enthaltung signalisiert haben. Das zeigt, daß Ihre Vorschläge durch unseren Antrag im wesentlichen abgedeckt sind. Das zeigt auch, daß wir in der Sache insgesamt nicht so weit auseinander sind. Ich gehe im übrigen davon aus, daß Sie mit uns gemeinsam den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des UN-Waffenabkommens annehmen werden. Das läßt hoffen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann allerdings die Auffassung meines Vorredners nicht teilen, daß wir hier keinen Anlaß zu pessimistischer Schwarzmalerei hätten. Was hier an Äußerungen, an Fakten-Schaffen, an Am-Parlament-vorbei-Agieren der Bundesregierung in den letzten Wochen passiert ist, läßt sich kaum noch zählen. Es ist wirklich bezeichnend, wie die Besetzung hier im Parlament ist. Von Beschlußfähigkeit kann keine Rede sein.
— Qualitativ freilich hochrangig. Oben im Langen Eugen sitzt z. B. Herr Schalck-Golodkowski. Ich halte es eigentlich für die Zukunft dieses Landes für wichtiger, mich mit der Friedenspolitik auseinanderzusetzen, als mit dem, was dort zum Teil abläuft.
— Wenn Sie zuhören, bin ich schneller fertig.
Der turnusmäßige Bericht entspricht der bisher von der Bundesregierung geübten Praxis, aber nicht den Erfordernissen der gegenwärtigen abrüstungs- und sicherheitspolitischen Situation. Er liest sich nicht gut, wie behauptet wird, sondern er sieht absolut düster aus, weil nämlich nur wortreich umschifft wird, was an tatsächlichen Abrüstungsproblemen besteht. Es ist ein Ausweichen vor klarer Parteinahme und eine verzweifelte Suche nach neuen Konzepten.Gemessen an den grundlegenden Veränderungen vor allem in Europa sind die Schlußfolgerungen, die auf militärischem Gebiet gezogen werden, weitgehend kontraproduktiv. Anstatt Ideen zu entwickeln und die Rolle des militärischen Faktors in der internationalen Politik zurückzudrängen, strebt die Bundesregierung mit großem Einsatz eine Erweiterung der geographischen und inhaltlichen Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr an. Der Bericht feiert die KSZE emphatisch als Schlüsselelement der europäischen Architektur. In der praktischen Politik allerdings läßt die Bundesregierung zu, daß die KSZE mehr oder weniger als Auslaufmodell behandelt wird, und sie wacht eifersüchtig darüber, daß vor allem keine Abstriche an der exklusiven Rolle der NATO gemacht werden, künftig aber auch die Bedeutung der WEU gesteigert wird, obwohl beide Instrumentarien weder nach Herkunft noch nach Struktur, noch hinsichtlich des Instrumentariums und vor allem nicht im Hinblick auf die Grundidee geeignet sind, den neuen politischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen auch nur im Ansatz zu entsprechen. Sie sind dafür gar nicht gedacht.Der Bericht hebt die diplomatischen Aktivitäten der Bundesregierung zum Verbot des Transfers von Waffen und sensitiver Waffentechnologie hervor, gibt aber z. B. keine Erklärung dafür, wie es geschehen konnte, daß bundesdeutsche Firmen entscheidenden Anteil an der Aufrüstung des Irak — und nicht nur dieses Staates — auf dem Gebiet der konventionellen und der Massenvernichtungswaffen hatten. Der von der Bundesregierung sanktionierte Waffenhandel mit anderen Staaten bleibt unerwähnt.Jede Politik der Nichtweiterverbreitung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen hängt entscheidend davon ab, inwieweit abgerüstet wird. Es ist eben nicht zu erwarten, daß Dritte-Welt-Staaten freiwillig auf diese Machtmittel verzichten, wenn der Norden einerseits die Bombe behalten will und andererseits für Eventualfälle auf eine interventionistische Strategie setzt.Ich komme jetzt aber zu den Taten und Plänen der Bundesregierung, die mit Abrüstung so gut wie überhaupt nichts zu tun haben. Ich muß, wenn man sich wiederum die letzten Wochen vor Augen führt, leider feststellen, daß offenkundig alle großen Parteien hier die öffentliche Debatte scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
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8156 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Andrea Lederer— Jawohl, aber natürlich.
— Gestern abend.Die Bundesregierung hat ihren Kurs hin zur Beteiligung an weltweiten Kampfeinsätzen in den letzten Wochen erheblich forciert:
Beteiligung am Eurokorps, Entsendung von Sanitätssoldaten nach Kambodscha ohne jegliche verfassungsrechtliche Grundlage und Zustimmung zur Petersberg-Erklärung der WEU.Mit dieser Zustimmung zu der Erklärung hat die Bundesregierung einer WEU zugestimmt, die nichts, aber auch absolut nichts mit Landesverteidigung, Verteidigung Europas oder Verteidigung überhaupt zu tun hat.
Sie hat dem Aufbau einer offensiven europäischen Interventionsstreitmacht zugestimmt, der nach Wortlaut und Sinn der Erklärung keinerlei Beschränkungen auferlegt sind, außer solchen, die aus den Interessen der beteiligten Regierungen resultieren.
Der nationale verfassungsrechtliche Vorbehalt, der jetzt auch im Hinblick auf die Bundesrepublik noch formuliert ist, soll demnächst — daran wird massiv gearbeitet — fallen. Damit sind die Rahmenbedingungen für künftige Einsätze der Bundeswehr weitgehend geschaffen.
Woran es noch fehlt, sind allein die materiellen und organisatorischen Voraussetzungen bei der Bundeswehr selbst. Daran wird ebenso gearbeitet. Bei den notwendigen gesetzlichen Grundlagen und der Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gibt es erhebliche Bemühungen. Um das Ganze umzusetzen, wird hier massiv interveniert.Ich frage Herrn Rühe, der heute hier anwesend ist und der sich übrigens auf brillant geschickte Weise — im Gegensatz zu seinem Vorgänger — als Abrüstungsminister in der Öffentlichkeit darstellt, aber faktisch natürlich zur Modernisierung noch und nöcher beiträgt und auf das, was ich hier beschrieben habe, zielgerichtet hinsteuert,
warum eigentlich an der Beteiligung an Blauhelmaktionen kein Weg vorbeiführt. Warum müssen wir eigentlich unbedingt in den nächsten Monaten die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen? Warum kann eine spätere Beteiligung an Kampfeinsätzen eigentlich nicht ausgeschlossen werden? Wer oder was zwingt uns zu dieser Beteiligung? Es ist nichts und niemand außer unserem politischen Willen, schon gar nicht sind es die Völker der Welt. Diese brauchen nämlich keine deutschen Soldaten zum Glück, sondern sie brauchen eine Weltwirtschaftsordnung, die ihnen überhaupt die Chance zu einer selbstbestimmten Entwicklung gibt.
Kommen Sie uns doch bitte nicht zum hundertsiebenundneunzigstenmal mit der gewachsenen weltpolitischen Verantwortung Deutschlands. Erstens wird sie ausschließlich dann bemüht, wenn es darum geht, die eigenen Ziele durchzusetzen, und zweitens, wenn es sie denn gibt, dann würde ihr durch alles andere im Interesse der Weltbevölkerung besser nachzukommen sein als ausgerechnet durch militärische Einsätze.Warum, meine Damen und Herren, wird denn in Kambodscha nicht ein ziviles Krankenhaus finanziert und von Zivilisten betrieben, das vor allem den Hauptbetroffenen, den kambodschanischen Minenopfern, offensteht — übrigens, die DDR hatte mehrere Krankenhäuser dort; sie sind dichtgemacht worden, die Verträge sind aufgekündigt worden — und meinetwegen auch die Versorgung der Blauhelmsoldaten gewährleistet? Das passiert deswegen nicht, weil man erstens für die geplante Zukunft unter Kriegsbedingungen gut üben kann, und zweitens, weil das ein weiterer praktischer Schritt in Richtung „out of area"-Einsätze der Bundeswehr ist und weil es eben nicht um weltpolitische Verantwortung, sondern um die eigenen Interessen geht.In diesem Sinne funktioniert die Rühe-Kinkel-Connection ausgezeichnet.
Ich muß gestehen: Naiverweise hatte ich angenommen, der neue Außenminister würde die Politik des alten fortsetzen, die im Hinblick auf militärischen Interventionismus schon problematisch genug war. Ich erinnere an den Auftritt Herrn Genschers vor der UNO-Vollversammlung, als er dort eine Grundgesetzänderung zusagte, ohne daß hier auch nur irgendeine Debatte oder ähnliches stattgefunden hatte. Tatsächlich aber legt Herr Kinkel eine großmachtpolitische Aggressivität an den Tag, die alle Befürchtungen in dieser Richtung in den Schatten stellt.
Ich kann meiner Kollegin Fuchs in ihrer Charakterisierung von Säbelrasseln nur zustimmen. Ich glaube, man kann dafür tatsächlich noch andere Begriffe finden.Seit ungefähr drei Wochen läßt der neue Außenminister nicht eine unpassende Gelegenheit verstreichen, einmal mehr oder einmal weniger offen zur militärischen Intervention in Restjugoslawien aufzufordern. Dieses an sich schon beachtliche Verständnis vom Hauptinhalt von Außenpolitik wird nicht dadurch
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Andrea Ledererbesser, daß man ständig auf historische Gründe verweist, die dafür verantwortlich seien, daß ein deutscher Einsatz dort nicht stattfinden könne. Bei diesem Bedauern schwingt im Grunde genommen ununterbrochen eine Entschuldigung dafür mit, daß man deutsche Soldaten dort nicht zu Blauhelmeinsätzen schicken kann.
Die Zeit ist gleich abgelaufen. Ich muß leider noch auf den Antrag der SPD zurückkommen, der hier eingereicht worden ist.
— Ich würde darum bitten, jetzt vielleicht noch einmal kurz zuzuhören.Ich habe schon mehrfach gesagt, daß ich sehr bedaure, daß wir hier mit Ihnen immer diese Auseinandersetzung führen müssen.
In Ihrem Antrag sind eine ganze Menge Punkte zur KSZE-Entwicklung, zur Stärkung der KSZE enthalten, denen wir durchaus zustimmen können. Aber leider ist darin auch, wohlformuliert, ein Ei verpackt, dem wir eben nicht zustimmen können.
Das ist genau die Zusage zur Beteiligung an Blauhelmaktionen. Es ist die Zusage, hierzu eine entsprechende Grundgesetzänderung in die Wege zu leiten.
— Es ist ganz offen. Aber das Problem ist, daß es im Rahmen eines abrüstungspolitischen Antrages verbrämt wird. Im Grunde genommen wissen Sie selbst und auch diejenigen, die jahrelang gegen eine solche Regelung waren: Das ist das Einfallstor, mit dem Herr Rühe Ihnen gegenüber arbeiten kann,
— doch —, wo Sie eine offene Flanke haben. Das ist das Einfallstor, das dazu führt, daß nur noch um den richtigen Zeitpunkt gefeilscht wird, zu dem Sie dann möglicherweise auch einer Beteiligung an Kampfeinsätzen zustimmen.Ich muß leider noch einmal auf die Bemerkung Ihres Kollegen Gansel zurückkommen. Ich hoffe, Frau Fuchs behält recht. Obwohl wir auch niemals einer Blauhelmaktion zustimmen werden,
fürchte ich, daß uns in diesem Fall von Ihnen leider erneut ein Nachgeben in Richtung Bundesregierung droht und infolgedessen bei Ihnen von Opposition im Zusammenhang mit dieser Entwicklung nicht zu sprechen ist.Wir haben hier zwei Anträge eingereicht, die beide diese Punkte betreffen. Ich bitte vermutlich umsonst, denen zuzustimmen.
Uns geht es darum, daß wir vor allem auch hier in der Öffentlichkeit deutlich sagen, auf welche Entwicklung diese Beschlüsse, die Fakten, die hier geschaffen werden, hinauslaufen: Es ist die Beteiligung der Bundeswehr an weltweiten Einsätzen, und es ist Großmachtpolitik dieses nun sogenannten neuen Deutschland.Ich danke.
Meine Damen und Herren, ich will Sie darauf aufmerksam machen, daß die Frau Kollegin Lederer hier zu Unrecht die Abwesenheit einer ganzen Anzahl von Abgeordneten beklagt. Wir haben heute Mittwoch. Normalerweise ist Ausschußtag. Es gibt eine ganze Reihe von Ausnahmegenehmigungen für Ausschußsitzungen. Man kann entweder im Ausschuß oder hier sein.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Vera Wollenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß ich heute als langjährige Aktivistin der Friedensbewegung der DDR in einer Abrüstungsdebatte sprechen kann, zeigt am besten, wie tiefgreifend die Veränderungen gewesen sind, die wir erlebt haben.
Die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen, die uns Anfang der 80er Jahre zu einer offenen Konfrontation mit dem Regime zwang, ist längst Geschichte. Ihrem Abzug und ihrer Verschrottung folgte die Abrüstungsdynamik, die wir damals vorausgesehen und die wir uns gewünscht haben.
Allerdings vollzieht sich die Abrüstung heute in einem ganz anderen Kontext, als wir ahnen konnten. Der Zusammenbruch der Ost-West-Konfrontation hat nicht nur das klassische Feindbild zerstört, er hat auch die klassischen Kriegsgefahren verringert, wenn auch noch nicht zum Verschwinden gebracht.In der euphorischen Stimmung von Ende 1989/ Anfang 1990 schien unerwartet das Kantsche Ideal vom ewigen Frieden in greifbare Nähe gerückt. Das Hochgefühl verflog aber rasch, als sich herausstellte, daß eine Vielzahl von Konflikten gewaltsam hervorbrach, die im ehemaligen sowjetischen Imperium
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8158 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Vera Wollenbergerunter einem eisernen Deckel gehalten worden waren.Wie gefährlich immer sie sein mögen, die Zeiten der Angriffs- und Verteidigungsarmeen alten Stils sind endgültig vorüber. Vorbei ist auch die Zeit der Ideologien des Kalten Krieges. Der neuen Situation wird man weder mit den alten Denkkategorien noch den herkömmlichen Instrumentarien gerecht. Das Prinzip der Nuklearabschreckung hat sich überlebt. Deshalb greift die Initiative von Bush und Jelzin in der vorigen Woche, so begrüßenswert sie auch ist, zu kurz. Das Festhalten an einer atomaren Rückversicherung für die USA in Form von 3 500 und für Rußland in Form von 3 000 Atomsprengköpfen zeigt, wie stark die alten Denkschranken noch sind. Wer weiter eine nukleare Minimalabschreckung für unumgänglich hält, muß sich fragen lassen, gegen wen diese Nuklearabschreckung eigentlich gerichtet sein soll. Ohne das Abschreckungssystem zwischen Ost und West haben diese Waffen ihre Funktion verloren,, wenn sie sie je hatten. Wir haben es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Es ist Zeit, politischen Mut zu beweisen und den Vorschlag aufzugreifen, den Eisenhower nach dem Tode Stalins gemacht hat, die Atomtechnologie - einschließlich der Waffentechnologie der UNO zu unterstellen. Es geht uns nicht um eine Kopie von Zeitgeschichte, sondern vielmehr um den heuristischen Charakter dieses Vorschlages. Von diesem Mut kann gelernt werden.Wenn der UNO die Kontrolle über sämtliche Atomwaffen bis zu ihrer kontrollierten Vernichtung übertragen wird, würde dies die Proliferation von Atomwaffen sehr erschweren bzw. sogar verhindern. Damit wäre eines der Hauptrisiken an der Wurzel gepackt.Die „weapon states", von denen Krauthammer als der kommenden Bedrohung spricht, sind das Resultat eines extensiven Rüstungsexports durch die Industriestaaten. Die Industrieländer, die heute über die militärischen Fähigkeiten der Dritten Welt jammern, waren und sind entscheidend am Aufbau schlagkräftiger, modern ausgerüsteter Armeen beteiligt. Auch die seit Jahren intensive Stützpunktpolitik sowie direkte Interventionen haben ganz erheblich zu regionalen Rüstungswettläufen beigetragen. So wird moderner High-tech-Rüstungsexport zwangsläufig zur Legitimation der Beibehaltung von Nuklearkapazitäten und möglicher Militäreinsätze. Die Lösung dieser schwerwiegenden Probleme kann aber weder in der Beibehaltung eigener Atomwaffenarsenale noch im Einsatz von Interventionsstreitkräften liegen, sondern nur in einer kompromißlosen Beseitigung aller Atomwaffen und der Installierung eines überzeugenden, glaubwürdigen, weltweit geltenden Kontrollregimes. Niemand außer der UNO wäre zu solch einem Unternehmen besser geeignet. Natürlich müßte, wenn sie solche neuen Funktionen übernimmt, die UNO selbst reformiert werden. Ich kann dies aber nur erwähnen, nicht ausführen.Von den uns zur Zeit zur Verfügung stehenden Instrumentarien für die Gestaltung einer neuen Sicherheitspolitik sind die NATO und die WEU Auslaufmodelle. Was die NATO an militärischer Relevanz verliert, geht auch an politischer Bedeutung verloren.Die NATO verliert als Institution zunehmend ihre Fähigkeiten, militärisch auf die wahrgenommenen und artikulierten Instabilitäten, Risiken und Bedrohungen zu reagieren. Die Bündnisverpflichtung, die sie mit sich bringt, können höchst problematisch werden, z. B. wenn Deutschland gezwungen wäre, in einem bewaffneten Konflikt mit den Kurden die Türkei zu unterstützen. Deshalb müßte klargestellt werden, daß Unterstützung nur im Falle eines unverschuldeten Angriffs gewährt werden kann und ansonsten Streitkräfte im Ausland nur für friedenserhaltende Maßnahmen, d. h. Blauhelmmissionen, eingesetzt werden dürfen. Unsere Gruppe hat heute einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht.Die europäischen Staaten wollen zu einer Organisationsform finden, die ihnen militärische Optionen auch außerhalb der NATO ermöglicht. Das heißt in der Konsequenz, daß unter- und außerhalb der jetzigen institutionellen Ebene des NATO-Establishments Formen und Organisationen gesucht werden, die für zukünftige Konflikte besser geeignet sind. Wir sehen die Diskussion über multinationale Kooperation und die Einrichtung eines Eurokorps in diesem Kontext. Grundsätzlich und vor allem, wenn man die blutige Geschichte Europas im Blick hat, ist eine militärische Integration der militärischen Konfrontation vorzuziehen. Militärische Integration muß aber begleitet sein von einer deutlichen Reduzierung des Militärs insgesamt. Sie muß vor allem die Funktion haben, kleine Staaten einzubinden und einen neuen Rüstungswettlauf, diesmal der kleinen Staaten, zu verhindern.Bei der Bildung neuer Sicherheitsstrukturen sollte der KSZE eine Schlüsselrolle zukommen. Dies gehört zum europäischen Konsens. Die NATO zu einem Instrument der KSZE umzugestalten, wie es die SPD-Fraktion will, halten wir allerdings für einen Irrweg. Wir brauchen kein Dienstleistungsunternehmen für die Organisierung und Führung von Kriegen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten. Krieg als Mittel der Politik darf keinen Platz im Nachdenken über eine zukünftige Friedensordnung haben. Das sollte allerspätestens seit dem Golfkrieg klar sein. Der Golfkrieg hat die Notwendigkeit gezeigt, daß die neue Friedensordnung mit einem dichten Netz nichtmilitärischer Konfliktlösungsmodelle verknüpft sein muß. Im Vordergrund muß der feste politische Wille stehen, Konflikte nicht militärisch zu lösen. Es muß aber auch darüber nachgedacht werden, was zu tun ist, wenn alle nichtmilitärischen Konfliktlösungsversuche versagen. Da aber auch klar ist, daß eine Vielzahl militärischer Institutionen die Neigung zu militärischen Lösungen erhöht, lehnen wir entschieden eine Revitalisierung der WEU und deren geplanten Ausbau zum militärischen Arm der Europäischen Gemeinschaft ab.
Die Wiederbelebung eines antiquierten Militärpakts kann keinen guten Einfluß auf eine friedliche Entwicklung Europas haben. Eine Wiederbelebung der WEU ist sicherheitspolitisch völlig überflüssig, abrüstungspolitisch schädlich und durch keinerlei militärische Entwicklung in Europa zu rechtfertigen.
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Vera WollenbergerWer sich für eine Stärkung der WEU ausspricht, versteht unter Sicherheitspolitik nur Militärpolitik. Es gehört aber längst zum Konsens, daß Sicherheit nicht mehr länger nur militärisch definiert werden kann.Wir unterstützen deshalb den Antrag der SPD für ein KSZE-Forum für sicherheitspolitische Zusammenarbeit in weiten Teilen.Was die Überlegung betrifft, nach einer Konstituierung der KSZE als regionale Unterorganisation der Vereinten Nationen einen Blauhelmeinsatz der KSZE auch selbständig durch die KSZE zu beschließen und durchzuführen, sind wir allerdings etwas skeptischer. Dies führt unserer Ansicht nach zu einer Regionalisierung der sicherheitspolitischen Entscheidung und steht damit im Gegensatz zu der regulativen Idee einer Weltgemeinschaft, die sich global für Frieden und Sicherheit verantwortlich fühlt.Die Etablierung eines Entscheidungsgremiums auf regionaler Ebene für regionale Konfliktentscheidung und Konfliktschlichtung durch regional eingebundene Staaten oder eine Gemeinschaft kann schlechterdings nicht interessenlos sein und wird parteiisch. Außerdem führt solch eine Konstruktion zwangsläufig zu einer Übergewichtigkeit der Regionalmächte. Außerdem wird durch diese Überlegung das Besondere und Spezifische der KSZE im Gehalt entscheidend verändert. Der Vorteil gegenüber der UNO sind doch die Konsensfindung und das Vermeiden struktureller Nachteile der UN-Organisation, wobei ich hier die Entscheidungsgewalt des Weltsicherheitsrats und insbesondere das Vetorecht der ständigen Mitglieder nenne.Da meine Redezeit äußerst begrenzt ist und sich dem Ende zuneigt, möchte ich am Schluß nur noch einige Stichpunkte hinzufügen. Erstens. Wir unterstützen nachdrücklich die entschiedene Haltung des Verteidigungsministers gegen den Jäger 90. Ich möchte an dieser Stelle die Kollegen der CDU-Fraktion, besonders aus Mecklenburg-Vorpommern, bitten zu bedenken, daß die Bevölkerung aus den neuen Bundesländern von ihren Abgeordneten ein klares Votum für den Ausstieg aus dem Jäger-90-Projekt erwartet.Zweitens. Wir begrüßen, daß endlich das UN-Waffenübereinkommen ratifiziert wurde, wenn auch zwölf Jahre zu spät.Drittens. Nach den neuesten Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts ist die Bundesrepublik Deutschland trotz einer rückläufigen Tendenz bei den Todesgeschäften mittlerweile auf den dritten Platz der Exporteurliste vorgerückt. Sie hat ihren Rüstungsexport 1991 um mehr als die Hälfte gesteigert. Geschäfte über 2 Milliarden US-Dollar, mit denen deutsche Firmen die Aufrüstung in aller Welt unterstützen, sind das Gegenteil dessen, worüber wir heute debattieren. Eine glaubwürdige Abrüstung kann es nur geben, wenn der Export von Waffen und Waffentechnologie konsequent eingestellt wird.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätte ich von Frau Lederer erwartet, nachdem sie mich so wenig nett angegriffen hat, daß sie wenigstens hier im Saal ist, damit ich ihr auch ein kleinwenig unsanft antworten kann.
Der Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung zeigt: Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung haben zu den historischen Umbrüchen auf unserem Kontinent entscheidend beigetragen. Umgekehrt eröffnete die tiefgreifende politische Umgestaltung Europas ein neues Kapitel dramatischer Abrüstungsschritte. Die letzten Monate haben uns allerdings eine schmerzliche Lektion erteilt: Das Ende des Ost-WestKonflikts hat zwar die existentielle Friedensbedrohung beseitigt; die Gefahr bewaffneter Regionalkonflikte innerhalb wie außerhalb Europas hat jedoch eher zu- als abgenommen. Was jahrzehntelang ungelöst unter der kommunistischen Eisdecke begraben lag, bricht jetzt hervor. Es geht leider nicht nur um gesundes Nationalbewußtsein und Minderheitenrechte, sondern — mindestens zum Teil — um zerstörerischen Nationalismus, Separatismus und Gewalt.Es ist im Grunde wirklich jammerschade, daß, nachdem wir in Europa dabei sind, die Grenzen abzubauen, und versuchen, zum Frieden zu finden, jetzt diese ethnischen und religiösen Vielvölkerstaatsprobleme in der Freiheit, in der dies erst möglich war, aufbrechen. Nur wenn wir in den nächsten Jahren auf diese neuen Herausforderungen auch wirksame europäische Lösungen finden, kann es in Europa Frieden geben.Die Konsequenz hieraus ist, daß das Wertebündnis der Pariser Charta so ausgestattet werden muß, daß es sich notfalls auch mit militärischen Mitteln gegen Unrecht und Gewalt zu behaupten vermag.
Auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts müssen Demokratien, muß die Bundesrepublik wehrhaft bleiben. Daran kann und darf es keinen Zweifel geben.Auch die Rüstungskontrolle muß dazu ihren Beitrag leisten. Sie muß Barrieren gegen den Gebrauch militärischer Macht errichten und die Rahmenbedingungen für kollektive Konfliktverhütung und Krisenbewältigung verbessern.Der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa ist der sicherheitspolitische Eckpfeiler für die angestrebte neue, auf Zusammenarbeit angelegte europäische Friedensordnung.Auf der außerordentlichen Konferenz der KSE-Staaten am 5. Juni in Oslo haben die acht neuen Vertragsstaaten die Abrüstungspflichten der ehemaligen Sowjetunion übernommen. Ich appelliere an die betroffenen Staaten, ihr innerstaatliches Zustimmungsverfahren umgehend zum Abschluß zu bringen.
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8160 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Bundesminister Dr. Klaus KinkelBis zum KSZE-Gipfel in Helsinki Anfang Juli müssen auch die Verhandlungen über eine Begrenzung der Personalstärken der konventionellen Streitkräfte erfolgreich abgeschlossen werden. Damit werden wir ein solides Fundament für ein neues Kapitel der Abrüstung und der Vertrauensbildung errichten. Leitlinie des neuen Verhandlungsabschnitts muß das Bemühen sein, die Anwendung oder Androhung von Gewalt verläßlich auszuschließen und Konflikte und Streitigkeiten ausschließlich auf friedlichem Wege beizulegen.
Wenn dies nicht gelingt, müssen der Frieden und das Recht im KSZE-Rahmen kollektiv gesichert und notfalls wiederhergestellt werden. Dies möglich zu machen ist unser Hauptanliegen auf dem KSZE-Gipfel in Helsinki.Im Nuklearbereich — es ist heute schon darauf hingewiesen worden — hat das Ende des Ost-WestKonflikts den Weg für Abrüstungsschritte freigemacht, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Benötigte man für das Aushandeln des StartVertrages noch 13 Jahre, so wurde jetzt binnen fünf Monaten eine Vereinbarung erzielt,
die Zahl von gegenwärtig noch über 21 000 Atomsprengköpfen auf ein Drittel, d. h. auf 3 000 bis 3 500 auf jeder Seite zu reduzieren.Wichtiger noch als dieser wirklich dramatische zahlenmäßige Abbau ist die Aufgabe des Paritätsprinzips, das in der Vergangenheit echte Durchbrüche immer wieder verhindert hat. An die Stelle der „Erbsenzählerei" sind nunmehr Vertrauen und wirtschaftliche Vernunft getreten. Diese Umkehr ist ein Zeichen der Hoffnung dafür, daß wir auch in anderen Bereichen, etwa beim Schutz unserer Lebensgrundlagen, vor einem neuen gemeinsamen Handeln stehen.
Mit der Ankündigung der Beseitigung der landgestützten nuklearen Kurzstreckenwaffen im Herbst des vergangenen Jahres entsprachen Präsident Bush und Präsident Gorbatschow einer von uns seit langem erhobenen Forderung. Für die Vernichtung des Spaltmaterials müssen wirksame und finanziell vertretbare Verfahren gefunden werden. Abrüstung bringt nicht nur Geld ein, sondern kostet auch Geld. Diese Kosten sind jedoch nur ein Bruchteil dessen, was wir in der Vergangenheit für Rüstung aufwenden mußten und weiter aufwenden müßten, wenn es die alte Bedrohung denn noch gäbe.Und vergessen wir nicht: Mit dem Ende der nuklearen Ost-West-Konfrontation ist ein Alptraum von der Menschheit gewichen. Ich sage das, weil wir alle in dieser schnellebigen Zeit manchmal den Sinn für die Wertigkeit der Ereignisse zu verlieren scheinen.
Jetzt stellen sich neue Aufgaben. Am dringlichsten ist, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln und des Wissens um ihre Herstellung einen Riegel vorzuschieben. Das nukleare Nichtverbreitungsregime muß umfassend verstärkt werden. Die Geltungsdauer des Nichtverbreitungsvertrags sollte über 1995 hinaus unbefristet verlängert werden.In Genf wollen wir — Herr Kollege Würzbach, ich sage es noch einmal in Kürze ein weltweites Verbot chemischer Waffen erreichen.
Die Beseitigung dieser Menschheitsgeißel ist überfällig. Deutschland hat mit dem Verhandlungsvorsitz in dieser Frage besondere Verantwortung übernommen. Ich hoffe, daß wir diese Sache unter unserer Verantwortung auch zu einem guten Ende bringen können.
Meine Damen und Herren, das Ende des OstWest-Konflikts gibt uns die historische Gelegenheit, unsere Kräfte für die neuen, menschheitsübergreifenden Friedensaufgaben freizumachen.
Es ist ein Verbot der Vernunft wie der Moral, die Friedensdividende jetzt zu verwirklichen. Diese übergeordnete Tragweite der Abrüstungsbemühungen in der jetzigen Weltsituation gilt es im Auge zu behalten.Hierzu gehört auch die Flankierung der Abrüstung durch eine internationale Beschränkung der Rüstungsexporte.
Jetzt, wo der Export des Ost-West-Konflikts in die Südhalbkugel zu Ende ist, darf der Norden den Süden nicht länger mit Waffen vollstopfen.
1991 ist der Gesamtwert der weltweit gehandelten Militärgüter zwar um 25 % zurückgegangen, die Summe von 22,1 Milliarden Dollar steht jedoch nach wie vor in unerträglichem Mißverhältnis zu der Not und der Armut auf dieser Welt.
Wir haben unser Exportkontrollsystem in den letzten Jahren erheblich verschärft. Der Erfolg einer solchen Politik hängt jedoch von der internationalen Zusammenarbeit ab; das werden wir allein nicht bewältigen können. Wir setzen uns deshalb mit Nachdruck dafür ein, daß die mit der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes erforderliche Harmonisierung der Exportkontrollen aller EG-Mitgliedstaaten auf dem restriktiven deutschen Exportkontrollniveau erfolgt.
Meine Damen und Herren, mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen hat sich die Bundesrepublik dazu verpflichtet, „in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen und Grundsätzen der
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Bundesminister Dr. Klaus KinkelVereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt" zu unterlassen. Unser Grundgesetz verpflichtet uns in seiner Präambel ebenfalls auf das Ziel, „dem Frieden der Welt zu dienen" . Weder aus der UNO-Charta noch aus unserer Verfassung läßt sich jedoch eine Beschränkung des Tätigwerdens von Streitkräften — in unserem Fall der Bundeswehr — auf das eigene Staatsgebiet herleiten.
— Den habe ich ausführlich gelesen. — Blauhelmmissionen der Vereinten Nationen oder regionale Abmachungen im Sinne der UNO-Charta dienen der Sicherung des Weltfriedens dort, wo die Konfliktparteien selber zur Aufrechterhaltung des Friedens darum bitten. Kampfeinsätze der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta dienen der Sicherung des Weltfriedens dort, wo anders, nämlich mit friedlichen Mitteln, eine Wiederherstellung des Friedens nicht zu erreichen ist.Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Krieg ihr Schicksal mit dem der westlichen Demokratien verknüpft. Sie tat dies in bewußter Absage an gefährliche sicherheitspolitische Alleingänge. Diese in die multilateralen Strukturen der NATO eingebundene deutsche Sicherheitspolitik hat vor der Geschichte — bisher jedenfalls — ihre Richtigkeit erwiesen. Sie ist auch in Zukunft unverzichtbar. Ihre notwendige Ergänzung findet sie im Ausbu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsidentität.Entsprechend dieser Grundentscheidung deutscher Politik können wir bei der Neuausrichtung des Bündnisses auf die fundamental veränderte Lage in Europa nicht abseits stehen. Deshalb wollen wir einen angemessenen Beitrag zu den vorgesehenen Reaktionskräften des Bündnisses leisten. Dasselbe gilt für den Ausbau der deutsch- französischen militärischen Zusammenarbeit. Sie steht im Rahmen der Bemühungen um eine gemeinsame europäische Sicherheitsidentität. Mit dem Euro-Corps legen wir gemeinsam mit Frankreich hierfür ein wichtiges Fundament. Auch hier geht es um unsere Partnerschaftsfähigkeit innerhalb der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur.
Deutschland muß als Mitglied der Vereinten Nationen nicht nur seine Rechte, sondern auch seine Pflichten in vollem Umfang wahrnehmen.
Eine Beschränkung unserer Mitwirkung auf sogenannte Blauhelmeinsätze wird — das ist jedenfalls meine Meinung — diesem Erfordernis nicht gerecht.
Deutschland kann sich auf Dauer nicht der Pflicht entziehen, entsprechend der UNO-Charta auch an Operationen zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit teilzunehmen. Daß die Übernahme einer solchen Aufgabe auf Grund unserer Geschichte für uns psychologisch und auch sonst nicht einfach ist, steht dem nicht entgegen. Die Solidarität mit der Völkergemeinschaft verbietet uns, auf Dauer einen Sonderweg einzuschlagen. Und: Wir können von anderen nicht erwarten und fordern — davon lasse jedenfalls ich mich in dem, was ich für richtig halte, sehr stark leiten —, daß sie unsere politischen, wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen mitverteidigen, während wir vornehm beiseite stehen.
— Das ist meine Meinung; Sie können ja anderer Meinung sein.Beim Aufschlagen der Zeitung wird uns öfters, als uns lieb ist, eine unangenehme Wahrheit vermittelt: Mit der Überwachung des Feuers ist es nicht immer getan. Leider muß es auch hin und wieder gelöscht werden. Es wäre schön, wenn es immer mit rein friedenssichernden Maßnahmen der Staatengemeinschaft getan wäre. Dem ist aber leider nicht so, es sei denn, wir verstünden unter Frieden nur das Zurückweichen des Rechts vor dem Unrecht.
Mit Säbelrasseln hat das nichts zu tun, auch nichts mit Großmachtpolitik.Lassen Sie mich zu Jugoslawien etwas sagen.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, ja.
Bitte sehr.
Herr Minister, ich habe — unabhängig davon, daß wir in der Sache unterschiedlicher Meinung sind — eine Frage zur Klarstellung an Sie: Sind Sie der Meinung, daß ein solcher Einsatz bei Blauhelmen und bei friedenserzwingenden Maßnahmen, wie Sie sie beschrieben haben, einer Verfassungsänderung bedarf, daß sie sein muß, daß sie rechtlich zwingend ist, wie Sie bisher gesagt haben — dann ginge sie auch nur mit uns —, oder sind Sie der Meinung wie einige CDU-Kollegen, daß es auch ohne Verfassungsänderung geht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde gleich etwas dazu sagen, wenn Sie damit einverstanden sind. In meinem Redemanuskript ist die präzise Antwort auf Ihre Frage enthalten.Zu Jugoslawien, weil die Situation in diesem Land vorhin angesprochen wurde: Ich bin mit Ihnen zusammen — da bin ich sicher — ungeheuer bedrückt über das, was dort im Augenblick abläuft. Ich bin — ich habe das auch heute morgen im Kabinett vorgetragen — der Meinung, daß leider Gottes die Sanktionen, die ja sehr stark auf unseren Druck zustande gekommen sind, zwar greifen — über spät oder nicht spät kann man sich streiten —, aber noch nicht so, daß
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8162 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelsicher in einer vertretbaren Zeit ein Ergebnis erzielt werden könnte, das notwendig ist.
Jeden Abend wird im Fernsehen, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der ganzen Welt vermittelt, was in Sarajevo geschieht. Die Bevölkerung in der Bundesrepublik — das ist jedenfalls mein Eindruck —, in Europa und in der Welt versteht zunehmend nicht, daß die Völkergemeinschaft nicht in der Lage sein soll, mindestens diesen Flughafen Sarajevo zu öffnen, damit humanitäre Hilfsmaßnahmen in diese Geiselstadt Sarajevo, in die Umgebung und in die Region gebracht werden können. Das verstehen die Menschen nicht, und sie verstehen auch nicht, daß es nicht möglich sein soll, durch die Völkergemeinschaft — ohne militärisches Eingreifen direkter Art — durch Seeblockaden und durch Grounden von Flugzeugen und andere technische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß dieses Blutvergießen möglichst schnell im Interesse der Menschen beendet wird. Ich frage Sie, wie Sie das ohne den Einsatz von Seestreitkräften und ohne den Einsatz von Flugzeugen machen wollen.Ich habe heute noch einmal erklärt — und in diesem Zusammenhang möchte ich mir wirklich verbitten, daß da von Säbelrasseln und ähnlichen Dingen gesprochen wird — und bleibe dabei: Wenn Sie die Menschen in Sarajevo heute per Lautsprecher fragen könnten, ob sie wollen, daß es mit den Sanktionen, die wir bisher ergriffen haben, so weitergeht, oder ob es nicht besser wäre, zu Maßnahmen zu kommen, mit denen das, was da abläuft, schnell beendet werden könnte, wäre die Antwort wohl klar. Es geht dabei nicht um den direkten Einsatz von Truppen, vor allem nicht um den Einsatz deutscher Truppen — da sind wir uns wohl einig —, und deshalb müssen wir uns in dieser Frage auch zurückhalten. Ich sage Ihnen hier von diesem Pult voraus, daß es letztlich wohl auch zu militärischen Einsätzen kommen kann, weil es vielleicht gar nicht anders gehen wird.
— Ich habe doch den Eindruck, daß das bestritten worden ist, denn ich habe nach draußen nichts anderes als dies erklärt, und das ist weder Großmachtpolitik noch Säbelrasseln.Ja — jetzt kommt die Antwort, Herr Voigt —, die Übernahme der Pflichten aus der UNO-Charta macht eine Grundgesetzänderung notwendig. Diese sollte auch im Interesse der beteiligten Soldaten in diesem Jahr erfolgen. Ich rufe Sie auf, sich mit uns über den Umfang dieser Grundgesetzänderung zu unterhalten. Wenn wir mit Ihnen eine solche Grundgesetzänderung nicht zustande bringen — ich werbe für eine Änderung, die das möglich machen würde, was ich für richtig halte —, dann wird vieles nicht möglich sein. Dann werden wir das politisch auch nicht tun. Darüber sind wir uns einig. Aber wir sollten uns doch jetzt nicht hier in eine billige Streiterei hineinbegeben, sondern lassen Sie uns über eine so schwierige Sache in Ruhe unterhalten, ohne daß es gleich in Polemik ausarten muß!Vielen Dank.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Klaus Rose das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Regie der Debattenführung recht dankbar, daß ich als langjähriger Haushaltsberichterstatter für das Auswärtige Amt unmittelbar nach dem neuen Minister reden darf und dabei viele Gemeinsamkeiten feststellen kann.
Ich kann ausdrücklich betonen: Von Säbelrasseln habe ich in Ihrer Rede nichts gemerkt. Da muß die SPD etwas anderes meinen.
Ich ergreife heute als Außen- und besonders gern als Haushaltspolitiker das Wort, um zum Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung zu sprechen. Denn es ist noch gar nicht lange her, als der Verteidigungshaushalt weit größer war als z. B. der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Heute stellen die staatlichen Sozialausgaben die Ausgaben der Verteidigung bei weitem in den Schatten. Es hat sich also etwas bewegt auf dem Felde der Abrüstung.Daß sich das so entwickeln konnte, ist das Verdienst der erfolgreichen Außen- und Sicherheitspolitik des westlichen Bündnisses. Es ist aber insbesondere auch der Erfolg dieser Bundesregierung, die die internationale Abrüstungspolitik durch zahlreiche Initiativen kontinuierlich vorangetrieben hat und nun die Früchte ihrer Anstrengungen ernten kann.
Dabei ist ausdrücklich und anerkennend festzustellen, daß die deutsche Abrüstungspolitik stets die Erfordernisse der Stabilität, der Sicherheit und der Erhaltung des Friedens im Auge behalten hat. Sie ließ sich nie dazu verleiten, die Sicherheit unseres eigenen Landes um eines kurzen Abrüstungserfolges willen zu gefährden. Erfolgreiche Abrüstungspolitik ist nur möglich auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit. Meine Damen und Herren, ich sage das bewußt auch heute, weil wir bei allem, was wir gern in der Abrüstungspolitik machen, nie aus dem Auge verlieren dürfen, daß wir auch für unsere Streitkräfte dazusein haben und daß unsere Politik letztlich dem Volk selber dienen muß.
Nur weil wir eine leistungsfähige Bundeswehr in einem intakten Bündnis haben, waren die Staaten des Warschauer Pakts — der ja im Berichtszeitraum dieses Abrüstungsberichts 1990/91 noch existierte — zur Reduzierung ihrer Streitkräfte bereit. Der vorliegende Jahresabrüstungsbericht erbringt den Nachweis: Die Bundesregierung ist ihrem erklärten Ziel näher gekommen, Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8163
Dr. Klaus RoseMeine Damen und Herren, Abrüstungsverhandlungen finden heute nicht mehr das gleiche öffentliche Interesse wie in den 80er Jahren. Man mag dies bedauern, doch bleiben die Ergebnisse der Abrüstungsverhandlungen heute nicht weniger wichtig als damals. Wir erwarten, daß bis zum KSZE-Gipfel in Helsinki am 9. und 10. Juli der KSE-I-Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa von allen 29 Unterzeichnerstaaten ratifiziert sein wird und damit in Kraft treten kann. Weiterhin erwarten wir, daß sich die Teilnehmerstaaten bis dahin auf einen KSE-I-a-Vertrag inhaltlich geeinigt haben, der endlich auch zu Begrenzungen für das militärische Personal führen wird. Der außenpolitische Druck auf die KSE-I-a- Verhandlungen darf nicht nachlassen. Nachdem bisher nur Obergrenzen für das Material festgelegt werden konnten, müssen jetzt Obergrenzen auch für das Personal folgen.
Nur dann macht die Geschichte Sinn, vor allem weil wir Deutschen — meine Damen und Herren, das kann man nicht deutlich genug betonen — hier durch die Selbstverpflichtung auf eine Obergrenze von 370 000 Mann als einzige in Vorleistungen getreten sind.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Rüstungskontrollpolitik muß das Verhindern der Proliferation von Massenvernichtungswaffen sein. Auch hier hat die deutsche Außenpolitik mit der Vorlage eines Vertragstextes am gestrigen Tag in Genf über ein umfassendes und kontrollierbares Verbot von chemischen Waffen einen wichtigen Impuls gegeben. Für die Produktion und für den Besitz chemischer Waffen gibt es keine politische Rechtfertigung mehr. Wir unterstützten daher nachdrücklich die deutsche Initiative und hoffen auf einen Vertragsabschluß über ein umfassendes Verbot chemischer Waffen noch in diesem Jahr.Mit Sorge erfüllt uns die Möglichkeit der Proliferation von Nuklearwaffen aus den Beständen der früheren Sowjetunion. Verhindern läßt sich die Verbreitung am sichersten durch die vollständige Zerstörung dieser Nuklearwaffen. Wir sind deshalb auch bereit, der Republik Rußland dazu wissenschaftliche und technische Unterstützung zukommen zu lassen. Dabei sind wir uns darüber im klaren, daß sich eine solche Hilfe angesichts der Komplexität des Problems in physikalischer Hinsicht über lange Zeiträume erstrecken muß und daß es viel guten Willens von beiden Seiten bedarf, um hier zu dauerhaften Lösungen zu kommen.
Die Rüstungskontrollpolitik der Bundesregierung darf für sich in Anspruch nehmen, maßgeblich zu den atemberaubenden Veränderungen, die sich in den letzten drei Jahren in Europa, ja, in der Welt vollzogen haben, beigetragen zu haben. Sie hat auch einen Anteil an dem Durchbruch, der während des jüngsten Besuches von Präsident Jelzin in Washington in bezug auf die Reduzierung strategischer Nuklearwaffen erreicht werden konnte. Um die Bedeutung dieses Ereignisses richtig würdigen zu können, sollten wir uns daran erinnern, wie heftig West und Ost noch bis vor kurzem über die Reduzierung minimaler Positionen gerungen haben. Jetzt ist es in Washington innerhalb von Stunden gelungen, eine Einigung über die Vernichtung von zwei Dritteln des strategischen Nuklearpotentials beider Seiten herbeizuführen.Meine Damen und Herren, in einer Diskussion über einen Abrüstungsbericht sind solche Meldungen, wie ich glaube, nicht nur angebracht, sondern sogar hochwillkommen. Ich hätte mir gewünscht, daß die deutsche Friedensbewegung, die es ja wohl immer noch gibt, dazu auch etwas Anerkennendes gesagt hätte. Doch wenn es Erfolge gibt, hört man nichts mehr von ihr. Nicht durch Schüren von Ängsten und Emotionen und Einbringen einseitiger Vorleistungen kommen wir in der Abrüstung weiter,
sondern nur durch konsequentes und zähes Verhandeln unter strikter Wahrung unserer eigenen Sicherheitsinteressen.
Die Aufgaben in der Rüstungspolitik, die noch vor uns liegen, sind nicht weniger bedeutsam. Es gibt keinen Anlaß, die Hände in den Schoß zu legen. Von dauerhafter Stabilität sind wir in Europa leider noch weit entfernt. Die Berichte über die Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien und in der GUS führen uns das täglich schmerzhaft vor Augen. Ich bin auch noch nicht sicher, wie es in den baltischen Staaten weitergehen wird. Wer weiß, wie viele Soldaten dort stationiert sind, wer weiß, wie es mit der Rückführung der ehemals sowjetischen Soldaten aus der DDR über das baltische Gebiet steht, der weiß, was sich dort zusammenbrauen kann.Nur wenn das ganze Spektrum der Möglichkeiten der Rüstungskontrollpolitik genutzt wird — von der Vertrauensbildung über die Verifikation bis hin zur Kooperation ehemals verfeindeter Staaten —, werden Konflikte schon im Entstehen begrenzt und schnell beigelegt werden können. Rüstungskontrolle und Abrüstung werden noch lange Zeit einen hohen Stellenwert in der Politik der Friedenssicherung haben. Es bleibt zu hoffen, daß der nächste Bericht der Bundesregierung zur Abrüstung so positiv aufgenommen werden kann wie der diesjährige, wofür ich mich sehr herzlich bedanke.
Das Wort hat der Abgeordnete Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beitrag des Bundesaußenministers hat aus der rüstungskontrollpolitischen Debatte, die wir eigentlich führen wollten, eine sicherheitspolitische gemacht. Wir nehmen diesen Ball gerne auf; dagegen ist ja auch nichts einzuwenden.Herr Dr. Kinkel, Sie haben eben etwas sehr Wichtiges gesagt. Dieses möchte ich hier wiederholen und festhalten, hoffend, daß hierüber im ganzen Haus
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8164 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Günter VerheugenKonsens besteht. Sie haben gesagt, daß für Einsätze der Bundeswehr außerhalb der jetzigen Verfassungsinterpretation, die wir gemeinsam tragen, eine Verfassungsergänzung notwendig ist. Das haben Sie gesagt. Ich fasse es so auf, daß es sich auf das bezieht, was Sie mit Ihren Kollegen aus der WEU am vergangenen Wochenende auf dem Petersberg beraten haben, in den Petersberger Erklärungen niedergelegt. Ich meine damit die Öffnung der WEU für Kampfeinsätze, die Öffnung der WEU für friedenserhaltende Maßnahmen — also Blauhelmeinsätze — und die Öffnung für Einsätze aus humanitären Gründen.Stellen Sie es bitte klar, wenn ich Sie falsch interpretiere! Denn in der Auseinandersetzung der nächsten Monate wird das, was Sie heute gesagt haben, eine große Rolle spielen. Es unterscheidet sich nämlich deutlich von dem, was beispielsweise der ansonsten von mir sehr geschätzte und jetzt vor mir sitzende Kollege Hornhues in der letzten Woche von sich gegeben hat, als er auf die Position der SPD zu Blauhelmeinsätzen angesprochen wurde. Er sagte nämlich, daß das alles gar nicht notwendig sei; denn in Wahrheit lasse das Grundgesetz sowohl Blauhelmeinsätze als auch die Beteiligung an Kampfhandlungen zu.Lieber Herr Hornhues, ich weiß nicht, ob Sie gewußt haben, was Sie da gesagt haben. Sie haben im Grunde nichts anderes gesagt, als daß die von Ihnen gestellte Bundesregierung — sie wird seit zehn Jahren nicht müde, genau das zu betonen, was Herr Kinkel eben wiederholt hat — der Welt eine aus politischer Opportunität, eine aus Feigheit geborene Verfassungsinterpretation als Verfassungslage anbietet, jetzt aber, wo in ihren Augen die Lage eine andere ist, sagt: Ach, das war nur eine Interpretation, die Verfassung gibt das in Wahrheit gar nicht her.Herr Hornhues, das ist ein Umgang mit dem Grundgesetz, vor dem ich Sie dringend warnen möchte.
Es ist auch ein Umgang mit ihrer eigenen Regierung. Sie müssen selber verantworten, wie Sie mit ihr umgehen. Sie müssen verantworten, ob Sie ihre eigene Regierung, die zehn Jahre lang etwas behauptet, was, wenn es ihr in den Kram paßt, überhaupt nicht mehr stimmt, vor den Vereinten Nationen, vor der NATO, ja vor der ganzen Welt als Lügner darstellen.
Gestatten Sie es dem Abgeordneten Irmer, eine Zwischenfrage zu stellen?
Aber gern.
Da hat Herr Voigt recht. — Herr Kollege Verheugen, ist Ihnen bekannt, daß es einen alten Spruch gibt, der da lautet: „ Zwei Juristen, drei Meinungen", so daß es Sie deshalb gar nicht überraschen kann, daß es unter Verfassungsjuristen unterschiedliche Interpretationen des Grundgesetzes gibt? Ist Ihnen bekannt, daß es aber auch eine Verfassungspraxis gibt, die eine gewisse Bindungswirkung entfaltet
und daß auf Grund dessen sehr wohl die Meinung vertreten werden kann, daß es dahingestellt bleiben darf, ob es die Verfassung vom Text hergibt oder nicht, daß es aber ganz wesentlich ist, daß Einigkeit darüber besteht, eine solche Verfassungsänderung deshalb machen zu müssen, weil die bisherige Verfassungspraxis es eben nicht hergibt?
Herr Irmer, ich stimme Ihnen zu, daß bei der verfassungsgerichtlichen Oberprüfung, wenn es dazu kommen sollte, nicht nur der Verfassungstext, sondern auch die Staatspraxis eine Rolle spielt.Aber, lieber Herr Irmer, die Staatspraxis ändert sich im Augenblick auf eine schleichende Art und Weise.
— Ich komme gleich auf die Klage.Bei dieser schleichenden Änderung der Staatspraxis, die sich z. B. in Reden von Mitgliedern der Bundesregierung, Herrn Rühe und Herrn Kinkel, und in Aktivitäten wie zuletzt der Einsatz in Kambodscha äußert, sagen wir: Bis hierher und nicht weiter.
Zu Ihrem Zwischenruf mit dem Verfassungsgericht, Herr Lamers, sage ich: Ich würde mich als Mitglied des Deutschen Bundestages schämen, das Verfassungsgericht in Anspruch zu nehmen für eine Entscheidung, die dieses Parlament, niemand anders, zu treffen hat.
Hier, in diesem Bundestag, kommt es zum Schwur, Herr Lamers. Sie werden hier entscheiden müssen, ob Sie zu etwas, was wir offenbar — mit Ausnahme der PDS — alle gemeinsam wollen, ja sagen, nämlich zu dem Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen durch Blauhelme.
Das wollen wir alle gemeinsam.Sie werden sich hier hinstellen müssen und begründen müssen, warum Sie zu unserer Grundgesetzänderung nein, sagen,
Sie wollen, daß die Bundeswehr mehr kann; Sie wollen, daß sie in Schießkriegen mitwirkt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8165
Günter VerheugenHerr Lamers, ich wundere mich schon lange darüber, warum Sie so sehr auf die Beteiligung an Kampfeinsätzen versessen sind.
Sie sind Rheinländer wie ich. Vielleicht können Sie die diesbezüglichen Gelüste in einer schützenden Gesellschaft besser abreagieren als in der Außenpolitik, wo sie nicht hingehören.
— Nein, da gehören sie wirklich nicht hin.Ich will auch gleich begründen, warum. Der Abrüstungsbericht weist mit Recht darauf hin, daß wir eine veränderte sicherheitspolitische Lage haben und daß es nicht militärische Kategorien, nicht militärische Maßnahmen sind, mit denen Sicherheit heute noch hergestellt werden kann. Hier werden mit Recht ganz andere genannt, ohne daß die Konsequenzen daraus gezogen werden.Auch Sie werden lernen müssen, daß die Probleme, mit denen wir es in Europa zu tun haben, die Risiken, auch die schweren Sicherheitsrisiken, die in der derzeitigen krisenhaften Zuspitzung der Lage in vielen Teilen Europas liegen, eben nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden können. Vielmehr ist eine vorausschauende Politik der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenarbeit in der Lage, diese Probleme zu lösen.
Nun möchte ich noch etwas zu Herrn Kinkel sagen, weil er für seine Verhältnisse hier geradezu leidenschaftlich dafür geworben hat, daß in Jugoslawien mehr geschieht als Sanktionen. Davon brauchen Sie auf dieser Seite des Hauses niemanden zu überzeugen; das sagen wir schon seit langer Zeit. Wir haben die Sanktionen und das Eingreifen der Vereinten Nationen zu einem Zeitpunkt verlangt, als man in der EG noch der Meinung war: Das machen wir schon; das regeln wir schon.Wir wissen auch, daß unsere Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen bedeutet, daß die in der Satzung der Vereinten Nationen vorgesehenen Instrumente rechtlich und politisch einwandfrei sind und daß wir uns nicht dagegen aussprechen können, sie anzuwenden; da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich wünsche mir sehr, daß die Vereinten Nationen in Jugoslawien mehr tun, als sie jetzt tun. Sie haben ein paar Beispiele genannt; da gibt es überhaupt keine Einwände.Das Problem ist nur: Wo sind die Möglichkeiten der Vereinten Nationen, das zu tun? Wo sind die Truppen des Generalsekretärs? Wo sind die Sonderabkommen, die die Vereinten Nationen mit Mitgliedsländern abschließen müßten, um solche Truppen zu haben? — Sie haben sie nicht. Niemals in der Geschichte der Vereinten Nationen hat es sie bisher gegeben.
Deshalb müssen Sie auch wissen, daß das, was immer erzählt wird, die Bundesrepublik Deutschland müsse das tun, um ihre Pflichten als Mitglied der Vereinten Nationen zu erfüllen, überhaupt nicht stimmt.
— Nein, die Vereinten Nationen haben bisher noch von keinem ihrer Mitgliedsländer durch Verhandlungen über ein Sonderabkommen die Zurverfügungstellung von Truppen verlangt; sie haben es in ihrer ganzen Geschichte nicht getan. Es sieht auch gar nicht so aus, als ob sie es jemals täten.Der Anwendungsfall, den Sie, verehrter Herr Außenminister, im Auge haben, den Sie auch mit dem im Auge haben, was auf dem Petersberg beschlossen worden ist, bedeutet keine militärischen Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen, unter der Verantwortung der Vereinten Nationen und unter Leitung und Führung des Generalstabsausschusses des Sicherheitsrates, den es ja gibt, aber der eben keine Truppen hat, die er führen kann. Was Sie im Auge haben, sind Maßnahmen nach Art. 51; das ist das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Das ist Völkergewohnheitsrecht und muß nicht einmal in der Satzung der Vereinten Nationen stehen; selbst dann würde es gelten. Das ist genau das, was wir nicht wollen,
weshalb wir auch diese Konstruktion abgelehnt haben.Wir sind vielmehr der Meinung: Wenn die Völkergemeinschaft, die internationale Staatengemeinschaft, alle Mittel ausgeschöpft hat und keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stehen, um einen Massenmörder an der Spitze eines Staates absetzen zu können oder um einen schrecklichen Bürgerkrieg zu beenden, daß militärische Einsätze dann unter den Bedingungen geschehen müssen, die die Satzung der Vereinten Nationen als den Normalfall vorgesehen hat. Der Normalfall ist der, den ich eben beschrieben habe.Wir sind nicht verpflichtet, daran teilzunehmen; das ist eine absolute Fehlinterpretation. Wir sind nur verpflichtet, mit den Vereinten Nationen über Sonderabkommen zu verhandeln, wenn sie das von uns verlangen sollten. Zu mehr hat uns die Mitgliedschaft nicht verpflichtet.Ausdrücklich steht in der Satzung der Vereinten Nationen, daß dies alles selbstverständlich nach Maßgabe des nationalen Verfassungsrechts erfolgt, wie es ja in Ihrer Petersberger Erklärung auch einen Ratifizierungsvorbehalt gibt, dieser Bundestag könne zu einem solchen Sonderabkommen ja oder nein sagen.Die Position, diese Verfassungsänderung, die wir vorschlagen, sei nicht möglich, sie sei völkerrechtswidrig, ist nur dann vertretbar, wenn Sie sagen: Das alles ist auch bisher schon drin; das alles erlaubt das Grundgesetz schon.
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8166 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Günter VerheugenDiese Konstruktionen sind nicht haltbar.
Das Lächerlichste, was ich dazu gehört habe, ist die Konstruktion mit Art. 24 Abs. 2 GG, Beitritt zu einem kollektiven Sicherheitssystem. Dieser Artikel ist 1949 in das Grundgesetz gekommen,
als wir noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen waren, Herr Lamers. Das stand bereits zu einem Zeitpunkt im Grundgesetz, als in Deutschland kein Mensch daran gedacht hat, daß es jemals wieder deutsche Truppen geben könnte. Wie können Sie also daraus den Schluß ziehen, daß diese Bestimmung des Grundgesetzes von 1949 bedeutet, daß zur Erfüllung dieser Verpflichtung jemals deutsche Truppen eingesetzt werden könnten!
Die haben das nicht im Auge gehabt, weil es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht einmal die Idee von deutschen Truppen gegeben hat. Das ist die Wahrheit.
— Sie brauchen nur die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland nachzulesen, wenn Sie zwischendurch vielleicht einmal Zeit dazu finden.
Ich warne vor einer Militarisierung des außen- und sicherheitspolitischen Denkens in der Bundesrepublik Deutschland.
— Ja, ich warne davor. Ich habe meine Gründe dafür. Herr Kinkel, ich hatte Sie schon in Berlin ganz freundschaftlich ermahnt, weil Sie dort schon gesagt hatten, es werde ohne Gewehr nicht gehen. Sie sind inzwischen ein paar deutliche Schritte weitergegangen und haben, um in Ihrer Sprache zu sprechen, in der vergangenen Woche eine Duftmarke ganz eigener Art gesetzt. Das, was Sie in der Petersberger Erklärung verabredet haben, kann nichts anderes bedeuten — so interpretieren wir das —, als daß jetzt auf dem Umweg über die WEU eine europäische Interventionsstreitmacht gesucht wird, die nicht an die Beschränkungen gebunden ist, denen die NATO auf Grund ihrer vertraglichen Lage unterliegt. Das ist der Punkt, um den es da geht.
— Es gibt überhaupt keine andere Rechtfertigung dafür, warum es sonst notwendig wäre, einen politisch bereits so toten Leichnam wie die WEU wieder zumLeben zu erwecken, wie das bei dieser Gelegenheit geschehen ist.
— Das hängt doch alles zusammen, Herr Irmer. Meinen Sie, Sie können uns so verschaukeln: Zuerst wird Maastricht gemacht und dann das. Daß da ein innerer Zusammenhang besteht, wissen wir doch auch.Lassen Sie mich noch einmal sehr eindringlich sagen: Schreiten Sie nicht fort auf diesem Weg. Wenden Sie sich nicht einer interventionistischen Außenpolitik zu. Bleiben Sie bei der bewährten kooperativen Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Bleiben Sie dabei, daß wir immer Mittel und Wege suchen, um Konflikte und Schwierigkeiten auf friedlichem Weg ohne Einsatz von Waffen zu lösen. Das muß immer die oberste Priorität sein.
Ich würde gerne nun noch ein paar Bemerkungen zu dem Abrüstungsbericht machen, den uns die Bundesregierung vorgelegt hat, und noch einmal die Frage stellen, welche praktischen Konsequenzen die Bundesregierung aus der Erkenntnis gezogen hat— ich zitiere wörtlich —, „daß sich Sicherheit weniger denn je auf den militärischen Bereich beschränken läßt" . Sie spricht von einem breiten Ansatz der Sicherheitspolitik, der nicht nur militärisch, sondern auch politisch, wirtschaftlich, sozial und ökologisch definiert ist. Das sind absolut zeitgemäße Forderungen, die belegen, daß Veränderungen in Europa zur Kenntnis genommen worden sind.Aber wäre es dann nicht eine naheliegende Konsequenz, daß das Geld, das bislang für unsere militärische Sicherheit ausgegeben wurde, entsprechend dem von der Bundesregierung geforderten breiten Ansatz nun in der Sicherheitspolitik neu verteilt wird? Das hätte bedeutet, daß von den 52 Milliarden DM im Bundeshaushalt für Sicherheit vor äußerer Bedrohung nur noch ein Teil für militärische Aufgaben zur Verfügung gestellt würde, während die anderen Teile für die politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Sicherheitsvorsorge eingesetzt würden. Das wäre ein Weg; das wäre ein abrüstungspolitisches Konzept.
Aber solche Beschlüsse haben Sie nicht gefaßt. Sie begnügen sich hier mit der Analyse — so wie ein wissenschaftliches Institut —, als wären Sie nicht die zum Handeln verpflichtete Exekutive.Ja, mehr noch: Es gibt geradezu einen Boom bei der Schaffung neuer militärischer Institutionen. Wo früher die NATO ausreichte, wird jetzt zusätzlich die WEU gestärkt, ein deutsch-französisches Korps wird ins Leben gerufen, eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EG-Mitglieder und eine europäische Rüstungsagentur vorbereitet.
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Günter VerheugenDann haben Sie ganz interessante sprachliche Neuschöpfungen, z. B. „europäische Sicherheitsidentität" . Das soll den Menschen wohl den höheren Sinn all dieser militärischen Aktivitäten nahebringen.Ich sage Ihnen: Wie man mit Hilfe dieses Begriffs den Widerspruch zwischen dem Schwinden der militärischen Bedrohung einerseits und der wachsenden staatlichen Nachfrage nach einer militärischen Stärkung Westeuropas andererseits überbrücken will, bleibt mir schleierhaft.
Die Bundesregierung erklärt uns in ihrem Bericht, wir brauchten weitere militärische Anstrengungen, um die NATO durch den Ausbau ihres europäischen Pfeilers zu stärken. Das ist eine unhaltbare Begründung. Die NATO muß doch nicht gestärkt werden. Sie ist stark; sie ist die stärkste Militärorganisation der Welt.
Sie war politisch und wirtschaftlich schon immer allen anderen Staatenzusammenschlüssen überlegen und dem Warschauer Pakt militärisch zumindest ebenbürtig.Nach der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums gibt es niemanden mehr auf der ganzen Welt, der der NATO militärisch bedrohlich werden könnte, weder die islamischen Staaten noch das verbliebene Militärpotential der GUS, noch die instabilen Situationen in Mittel-, Ost- und Südeuropa oder irgendwer sonst.In dem Bericht gibt es eine weitere Sprachschöpfung — den Begriff müssen Sie sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen —: multidirektionale Risikoanalyse.
Mit diesem Begriff wollen Sie von Tatsachen ablenken und suggerieren: Wir sind heute nicht nur von einem Feind, sondern ganz vielen, unsichtbaren, nicht näher zu definierenden Feinden umgeben. Das widerspricht der tatsächlichen Sicherheitslage, in der wir uns befinden.
Bei der ganzen Diskussion über die europäische Verteidigung fällt doch auf, daß sie konstruiert und künstlich ist. Ein Euro-Korps ist doch keine Antwort auf konkrete Schutzbedürfnisse der Menschen. Ich fürchte, dieses Euro-Korps ist der Beginn einer ganz anderen, einer ganz neuen europäischen Sicherheitspolitik — einer Sicherheitspolitik, die nicht Institutionen schafft, um Probleme zu lösen, sondern die zunächst einmal Probleme sucht, wie z. B. Kampfaufträge außerhalb der NATO, um Institutionen schaffen zu können. Ich denke, das ist der falsche Weg, um Europa voranzubringen.
Wir sehen auch positive Reaktionen. Ich denke, daß der NATO-Kooperationsrat eine positive Reaktionauf die Entwicklungen in Europa ist, vor allem dann, wenn er seine Aufgabe darin sieht, den Streitkräften in Osteuropa und der GUS Beratungshilfe, z. B. für das Konzept „Bürger in Uniform", für die Rechte des Soldaten im demokratischen Staat anzubieten und ein Forum für die Begegnung und den Meinungsaustausch von Verteidigungspolitik und Soldaten zu sein. Das finden wir in Ordnung.Es ist auch nützlich, daß wir uns im Zusammenhang mit diesem Abrüstungsbericht noch einmal in Erinnerung rufen, wie früher lebhaft diskutiert wurde, was heute fast in Vergessenheit geraten ist, z. B. die Tatsache, daß auf Grund des Zwei-plus-Vier-Vertrages in den neuen Bundesländern weder Nuklearwaffen noch Träger für solche Waffen stationiert werden dürfen. Das bringt erneut ins Bewußtsein, daß Deutschland nach wie vor nuklear gespalten ist. Ich meine, was für die neuen Bundesländer gut ist, kann den alten nicht schaden. Es ist an der Zeit, auch die Atombomben auf Flugzeugen aus dem Westen Deutschlands abzuziehen.
Was die konkreten Abrüstungsschritte angeht, so war das vergangene Jahr in der Tat ein erfolgreiches. Der Abbau der Mittelstreckenwaffen ist hier schon erwähnt worden. Es gelang, den Konflikt über die Auslegung des Vertrages zur konventionellen Abrüstung beizulegen. Die USA und die UdSSR haben ihre Verhandlungen über die Verringerung der strategischen Nuklearrüstung zum Abschluß gebracht. Besonders erfreulich ist auch die jüngste Einigung über ein Verbot der Herstellung und Lagerung von chemischen Waffen. Wir hoffen, daß es bald und umfassend in Kraft treten kann.Aber eines muß ich schon noch sagen: Während bei uns die Abrüstung Fortschritte macht, erlebten andere Regionen ein beispielloses Aufrüstungsjahr. Was die Länder des Westens an Waffen — auch nach Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien und in andere Krisenregionen — geliefert haben, zeigt, daß das Vertrauen in militärische Antworten auf politische Konfliktlagen weiterhin ungebrochen ist. Die Lehre aus dem Golfkrieg, daß exportierte Waffen auch gegen die Lieferländer und deren Verbündete geliefert werden können, ist wieder einmal nicht beherzigt worden. Hinzu kommt, daß auch die Staaten der früheren Sowjetunion, um dringend benötigte Devisen zu verdienen, ohne jede Hemmung versuchen, ihre Waffen im Ausland zu verkaufen.Herr Kinkel, ich empfehle Ihrer Aufmerksamkeit die bedrohliche, besorgniserregende, ja, traurige Entwicklung bei unserem Nachbarn Tschechoslowakei. Dort besteht die Gefahr, daß sich im Herzen Europas ein neuer Kleinstaat auftut — ich meine die Slowakei, der die Rüstungsschmiede für solche Länder in der Welt werden könnte, die auf andere Weise keine Waffen mehr kriegen können. Das ist eine ernsthafte Gefahr. Ich bitte Sie, alles zu tun, was Sie können, um die Entwicklung, daß dieses Land von seiner
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8168 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Günter VerheugenRüstungsindustrie abhängig wird oder abhängig bleibt, zu verhindern.
Ich muß im Zusammenhang mit den Rüstungsexporten des vergangenen Jahres wenigstens erwähnen, daß die Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr an die dritte Stelle der Rüstungsexporteure gelangt ist.
— Ich weiß, warum, Herr Lamers. Ich weiß, daß dies zum Teil durch jetzt erfüllte Aufträge im Schiffsbau, die lange zurückreichen — möglicherweise sogar in die sozialliberale Zeit —, gekommen ist. Deshalb will ich das auch nicht so in den Vordergrund stellen.
Aber es ist ein Faktum, daß unser Rüstungsexport gestiegen ist.Meine letzte Bemerkung. Es ist erfreulich, daß wir jetzt endlich das Waffenübereinkommen der Vereinten Nationen zur Ratifizierung vorgelegt bekommen,
nachdem es vor mehr als zehn Jahren von der sozialliberalen Bundesregierung unterzeichnet worden ist. Herr Kinkel, meine Bitte in dem Zusammenhang ist, daß Sie weiterhin alles versuchen, um unsere wichtigsten Verbündeten, die USA und auch Großbritannien, dazu zu bringen, diesem Abkommen beizutreten.
Wir haben nach der Ratifizierung der Genfer Zusatzprotokolle bereits jetzt einen Zustand erreicht, daß auf deutschem Boden Streitkräfte stationiert sind, für die unterschiedliches humanitäres Kriegsvölkerrecht gilt. Dieser Zustand verschärft sich durch unseren Beitritt zu dem hier zur Ratifizierung anstehenden Abkommen, dem die USA und Großbritannien, wie gesagt, nicht beigetreten sind. Es wäre wünschenswert, hier weitere Bemühungen einzuleiten, das Abkommen auch inhaltlich weiter auszufüllen. Sie werden dabei so sehr unsere Unterstützung haben, wie Sie unsere Unterstützung nicht haben bei dem Versuch, deutsche Truppen in Kampfhandlungen außerhalb der Landesverteidigung zu verwickeln.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Karl Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Obwohl mich die Rede des Kollegen Verheugen nicht gerade ermutigt, will ich einen Versuch machen, zumindest ein wenig zur Klärung der verfahrenen Situation und Diskussionüber die sogenannte Out-of-area-Problematik beizutragen.
Erstens. Ich meine, wir sind alle gemeinsam davon überzeugt, daß Deutschland eine größere Verantwortung für den Frieden auch durch die Bereitstellung seiner militärischen Mittel leisten muß. Soweit sind wir einer Meinung.Zweitens. Die Koalition glaubt, dies müsse alle Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen umfassen und die uneingeschränkte Teilnahme Deutschlands im Rahmen einer geplanten europäischen Verteidigung umfassen. Die Opposition glaubt, Deutschland werde seiner Verantwortung jedenfalls für die absehbare Zeit — da gibt es, wie wir heute wieder gemerkt haben, unterschiedliche Auffassungen — durch die Teilnahme an friedenssichernden Maßnahmen der Vereinten Nationen — Blauhelme — gerecht.Drittens. Koalition wie Opposition wollen einen Konsens. Das ist, glaube ich, der entscheidende politische Punkt. Jedenfalls habe ich das bislang von der Opposition angenommen. Nach Ihrer Rede, Kollege Verheugen, habe ich Zweifel, ob das wirklich noch so ist oder ob Sie nicht ein taktisches Spiel wollen. Aber wir werden sehen.
Die Opposition glaubt, d. h. Sie glauben — wenn ich Opposition sage, dann meine ich nur Sie —, dazu sei auch aus rechtlichen Gründen eine Verfassungsänderung erforderlich. Meine Fraktion hält eine Verfassungsänderung aus rechtlichen Gründen nicht für erforderlich, eine Klarstellung des Grundgesetzes jedoch für ein geeignetes Mittel, den gewünschten Konsens herbeizuführen. Meine Fraktion wie die ganze Koalition — lehnt aber eine Verfassungsänderung ab, die nur auf Blauhelme beschränkt ist, da weiterreichende, von uns als unumgänglich angesehene Einsatzmöglichkeiten deutscher Streitkräfte damit ausgeschlossen wären und eine dann dazu notwendige nochmalige Änderung des Grundgesetzes fraglich und zweifelsfrei ja auch nicht sinnvoll wäre.Dann hätten wir tatsächlich die Rechtslage, von der Sie heute nur behaupten, daß sie bestehe; denn, Herr Kollege Verheugen, es hat mir noch niemand — auch nicht jemand aus Ihren Reihen — einmal erklärt, wo denn eigentlich dieses Verfassungshindernis im Grundgesetz stehe.
— Ach, das ist doch eine der schwächsten Argumentationen überhaupt. Wir können hier keine Debatte verfassungsrechtlicher Art führen.
Aber Sie sollten mir nur einmal eines erklären, nämlich wieso die Bundesrepublik Deutschland, wie der Vorschlag Ihres — noch — stellvertretenden Parteivorsitzenden Lafontaine gezeigt hat, unbestrittener-
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Karl Lamersmaßen legitimiert ist, mit jedem x-beliebigen Staat der Welt ein Bündnis und damit sehr viel weitergehende Verpflichtungen einzugehen als nach der Charta der Vereinten Nationen, während wir sehr viel harmlosere Maßnahmen, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen sind, angeblich nicht ergreifen können.Da die Opposition ja im Grunde auch sehr gut weiß, daß so gut wie niemand mehr wirklich an das Verfassungshindernis glaubt
— lassen Sie mich fortfahren —, da das einzige Argument im Grunde ganz einfach lautet: „ Wir haben es aber immer gesagt", kann der Vorschlag der SPD nicht als faires Kompromißangebot gelten. Er hätte weitreichende politische Folgen, die einseitig zu Lasten der Koalitionsposition gingen. Das wissen Sie genau. Deswegen ist das unakzeptabel.In dem, was der Minister soeben gesagt hat, ist eine zentrale Aussage enthalten, die ich nachdrücklich unterstreiche. Er hat gesagt: Weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht verbieten den Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb der eigenen Grenzen. — Das ist wohl wahr. Wenn das wahr ist, dann wissen Sie auch, wie die Meinung der Koalition ist. Wir wollen doch nicht darum herumreden und immer weiter diese Schleiertänze aufführen. Das macht uns zutiefst unglaubwürdig im ganzen Lande,
in ganz Europa und darüber hinaus.Viertens. Da aber die derzeitige Lage eine schwere Belastung für die deutsche Außenpolitik und auch für die innenpolitische Diskussion ist, muß ein Ausweg gefunden werden, der ein echter Kompromiß ist. Ein solcher bestünde entweder — da Sie eine Grundgesetzänderung, wie wir sie wollen, nicht wollen — in der Beschränkung der Teilnahme deutscher Streitkräfte zunächst auf Blauhelmeinsätze, gewissermaßen als gemeinsame Teilmenge, ohne Verfassungsänderung, mittels einer verfassungspolitischen Klarstellung durch eine Bundestagsresolution — wir wissen sehr genau, daß Leute bei Ihnen so überlegen —, die zugleich eine spätere Verfassungsänderung oder -ergänzung weder negativ noch positiv präjudizierte, sie aber postulierte, oder aber in einer Verfassungsänderung, die alles umschließt, bei der wir uns aber politisch bindend verpflichten, daß wir zunächst nur von der Blauhelmoption Gebrauch machen.
— Ich komme indirekt darauf, Kollege Voigt.Die Entscheidung des WEU-Ministerrats vom vergangenen Wochenende zeigt deutlich, wie notwendig es ist, daß wir bald klare Entscheidungen für Deutschland treffen. Deswegen sind Sie auch so erregt über diese Entscheidungen vom Petersberg.Damit wir nicht wieder anfangen, verschleiernde Interpretationen vorzunehmen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß es in Ziffer 4 der Petersberger Erklärung heißt, daß die militärischen Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten für folgende Zwecke eingesetzt werden können: humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben, Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens. In der Ziffer 3 der Petersberger Erklärung heißt es wörtlich: Beschlüsse zum Einsatz werden vom Rat der WEU im Einklang mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen getroffen. Nirgendwo ist die Rede davon, daß es nur um Einsätze unter einem Mandat der Vereinten Nationen gehe. Niemand wird wohl annehmen, daß die Verfasser dieser Petersberger Erklärung nicht gewußt hätten, was sie geschrieben haben.Meine Damen und Herren, wir Deutschen sind ohne jeden Zweifel am stärksten an einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas interessiert. Wenn wir das sind, müssen wir unsererseits die Voraussetzungen dafür schaffen, daß eine solche gemeinsame Politik möglich ist.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Pflüger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn einen Begriff aus der Rede des Kollegen Verheugen aufnehmen, der mich ein wenig geärgert hat. Herr Kollege Verheugen, Sie haben davon gesprochen, daß bei uns die Militarisierung des politischen Denkens um sich greift.
— Sie haben das damit gleichzeitig nahegelegt. Sie wissen, wie man so etwas in der Politik macht. Wenn man davor warnt, glaubt man einen Anlaß für die Warnung zu haben. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Bei uns in der CDU/CSU-Fraktion empfindet niemand Freude oder innere Befriedigung angesichts der Tatsache, daß wir irgendwann in die Lage kommen können, daß deutsche Soldaten in andere Länder geschickt werden. Ich glaube, daß sich jeder der Verantwortung bewußt ist, die daraus für einen politisch Handelnden entspringt.Aber auf der anderen Seite ist es wichtig, gerade wenn wir aus der Vergangenheit lernen und nicht mehr deutsche Sonderwege beschreiten, sondern im Rahmen internationaler Verpflichtungen bündnistreu sein wollen, daß wir über diese Dinge in einer Art und Weise offen diskutieren, die dem anderen nicht gleich Militarisierung des Denkens unterstellt.Es geht hier wirklich um die Wahrnehmung internationaler Verantwortung, nicht um einen Auftrag für deutsche Truppen und nicht um Säbelrasseln. Ich finde vielmehr, wenn wir wirklich darangehen wollen, uns der globalen Verantwortung in der Welt auf dem ökologischen Gebiet oder bei der Bekämpfung von Hunger und Not zu stellen, dann können wir doch nicht in einem einzigen Bereich, nämlich dem des
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8170 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Friedbert PflügerMilitärischen, plötzlich sagen: Aber das müssen all die anderen machen, dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Ich finde, daß das eine Position ist, die wir einfach nicht durchhalten können. Das hat nichts mit der Militarisierung des Denkens zu tun, sondern mit verantwortlichem Handeln und mit der Bündnistreue der Bundesrepublik Deutschland.
Ich möchte aber nicht nur bei diesem Thema bleiben, sondern das Augenmerk darauf lenken, daß wir in den letzten Wochen und Monaten eigentlich sehr weit gekommen sind. Wenn wir uns allein die Nachrichten der letzten Woche vergegenwärtigen, sehen wir, wie groß der Wandel in Europa ist:
Ich nenne den Jelzin-Bush-Gipfel. Ich brauche nicht zu wiederholen, was dabei herausgekommen ist.
Die Franzosen haben auf die Hades verzichtet, was ein großer Fortschritt ist.
Der Handel mit konventionellen Waffen in der Welt ist um 25 % zurückgegangen. Die globalen Rüstungsausgaben sind zum drittenmal hintereinander rückläufig.Frau Kollegin Fuchs, Sie haben die Atomtests angesprochen.
Im Jahr 1991 haben wir nach SIPRI-Angaben 14 Atomtests auf der Welt gehabt. Das ist in den letzten vier Jahrzehnten die geringste Zahl. Das ist doch ein Fortschritt! Wenn sich die Bundesregierung für ein Atomwaffenteststopp-Abkommen einsetzt, dann ist das doch ein großartiger Fortschritt, den wir gemeinsam begrüßen sollten. Auch das sollten Sie einmal sagen, und Sie sollten nicht so tun, als ob hier eine Militarisierung des Denkens stattfände.
Meine Damen und Herren, die wesentliche und große Gefahr, der wir uns gegenübersehen, ist eben nicht mehr die globale Bedrohung durch einen Nuklearkrieg wie noch vor wenigen Jahren, sondern sind die Nationalitätenkonflikte, die Bürgerkriege und die politischen Instabilitäten in der GUS. Es ist in allererster Linie die Frage der Proliferation, die Frage der Weiterverbreitung nuklearer Waffen und nuklearen Know-hows.
Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion auf diesen Punkt näher eingehen, weil wir finden, daß es von ganz entscheidender Bedeutung ist, daß wir an dieser Stelle ansetzen und arbeiten, ehe es vielleicht einmal zu spät ist. Hier können wir präventiv etwas tun, um mögliche Krisen und mögliche zukünftige Holocausts zu verhindern.Auch hier haben wir einige gute Nachrichten. Kollege Würzbach und der Außenminister haben aufdas C-Waffen-Abkommen, auf die Konvention, deren Beratung in Genf jetzt in die Endphase geht, in den Beratungen hingewiesen.Ein weiterer wesentlicher Fortschritt noch gegenüber unseren letzten Debatten über diese Fragen ist doch die Tatsache, daß sich seit dem 6. Mai 1992 sämtliche taktischen Nuklearwaffen der ehemaligen Sowjetunion auf dem Territorium von Rußland befinden, also nicht mehr frei herumvagabundieren. Das ist doch ein wirklicher Fortschritt, den man gar nicht hoch genug bewerten kann. Auch den finde ich, müssen wir in der heutigen Debattte nennen. Aber das, was auf dem Gebiet der Proliferation erreicht ist, das kann man trotz allem nur als Ansatz bezeichnen.Dazu gehört auch das, was die Außenminister Genscher und Baker noch im Februar vereinbart haben, nämlich die Einrichtung eines internationalen Wissenschafts- und Technologiezentrums in Moskau mit einer Filiale in Kiew, um der Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch Abwanderung von Nuklear- und Rüstungsexperten aus der GUS entgegenzutreten und die Konversion des nuklear-militärischen Komplexes der GUS zu fördern. Das ist in der Zukunft von großer Bedeutung.Meine Fraktion unterstützt nachhaltig die Bemühungen um dieses Zentrum. Wir überschätzen es nicht in seinen Möglichkeiten. Aber es gibt auch eine Reihe von ganz konkreten Projekten, die sehr erfolgversprechend aussehen: bei der Vernichtung von Nuklearwaffen und chemischen Waffen, bei der Konversion, bei der Beseitigung von radiologischen und chemischen Umweltschäden und auch bei der Verbesserung der Sicherheit von Kernkraftwerken und in der wissenschaftlichen Forschung.Meine Damen und Herren, trotz dieser Bemühungen wissen wir alle, daß nach Aussage von russischen Vertretern die Nuklearwaffen zwar bis zum Jahr 2000 zerstört sein sollen, daß das aber ohne westliche Unterstützung gar nicht möglich ist. Um diese Waffen zu vernichten, um sie vernünftig zu transportieren, um das Plutonium, das aus diesen Waffen gewonnen wird, sicher zu lagern, ist technologische Hilfe aus dem Westen notwendig. Die Amerikaner haben hier einen sehr wichtigen Schritt nach vorne getan. Sie haben gepanzerte Eisenbahnwaggons in die ehemalige Sowjetunion geliefert. Sie haben 250 Spezialcontainer in die GUS geliefert. Und sie beraten mit russischen Experten darüber, wie man das Plutonium zwischen- und endlagern kann, das aus diesen zerstörten Waffen gewonnen wird. Das alles sind sehr wichtige Schritte nach vorne.Ich finde, daß auch die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Fähigkeiten ganz entscheidend zu diesem Prozeß in der GUS beitragen sollte. Der Kollege Würzbach hat darauf schon hingewiesen: Dazu ist guter Wille, aber eben auch Geld erforderlich. Wir finden, daß das Geld in diesem Bereich sehr gut investiert ist, weil es die ganze Welt vor möglichen nuklearen Katastrophen retten könnte.
Meine Damen und Herren, ich will nur noch einige Punkte nennen, die nach unserer Auffassung ebenfalls wichtig sind, wenn es darum geht, die Prolifera-
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Dr. Friedbert Pflügertion zu verhindern — ein paar Punkte sind schon genannt worden, die will ich nicht vertiefen —: Der Nichtverbreitungsvertrag steht zur Verlängerung an. Wir unterstützen alle diplomatischen Aktivitäten, die darauf hinauslaufen, die Zahl der Unterzeichnerstaaten zu vergrößern.Notwendig ist die Stärkung der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien. Als Stichworte: Verdachtskontrollen, Personalaufstockung.
Was ich wichtig finde, ist ferner dies: Man sollte vielleicht überlegen, ob man diesen IAEO-Prozeß nicht regionalisieren kann, also wegkommen kann von dieser Wiener Behörde, indem man den Versuch unternimmt, in den Krisenregionen der Welt sozusagen UNO-Regionalbüros zu errichten,
die dann unter der Beteiligung von Wissenschaftlern auch aus den betroffenen Ländern, etwa aus Indien oder Pakistan, die notwendigen Kontrollmaßnahmen und Verdachtskontrollen vornehmen. Das würde die Akzeptanz der IAEO-Aktivitäten dort, wo es wirklich wichtig ist, erheblich erhöhen. Deshalb könnten derartige Überlegungen, glaube ich, für das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium in die richtige Richtung weisen.Einen weiteren Gedanken hat der Kollege Würzbach in einer Sitzung des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle bereits am 15. Januar 1992 angesprochen; ich möchte ihn nachdrücklich unterstreichen. Er hat in dieser Sitzung nach den Möglichkeiten einer positiven Verifizierung von Vertragsverletzungen durch internationale Sanktionen gefragt. In der Tat müssen wir uns hier Gedanken machen. Es muß darum gehen, daß das, was wir im Fall Irak erlebt haben, wo es zu Sanktionen durch die Vereinten Nationen kam, auch über den Irak hinaus zu einem generellen Instrument des Völkerrechts und der Politik wird. Wir müssen in der Lage sein, Länder, wo auch immer, die Nuklearwaffen oder chemische Waffen produzieren, notfalls auch militärisch zu belangen. Die Völkergemeinschaft muß einschreiten können. Ich glaube, wenn wir nicht letztlich ein solches Instrumentarium bei den Vereinten Nationen schaffen, dann ist viel von dem, was wir über Nichtweiterverbreitung reden, nur Makulatur, weil es im Ernstfall nicht umgesetzt werden kann.Meine Damen und Herren, wichtig für uns ist — das hat Kollege Würzbach deutlich gemacht, und das steht auch in unserem Antrag —, daß Sicherheit in unserer Zeit nicht mehr in militärischen Kategorien definiert werden kann — deshalb ist es auch so unsinnig, von der Militarisierung des Denkens zu sprechen —, sondern da geht es um wirtschaftliche, soziale, ökologische Sicherheit, da geht es darum, durch entsprechende Hilfen Stabilität hervorzurufen.Aber es wäre naiv, zu glauben, daß das ausreichen würde. Wir werden immer eine letzte militärische Komponente brauchen. Wir brauchen eine moderne Bundeswehr. Wir wissen, gerade wenn wir uns dieseProliferationsgefahren ansehen, überhaupt nicht, wie die sicherheitspolitische Landschaft in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Deshalb brauchen wir die Bundeswehr, und deshalb brauchen wir eine starke NATO, die durch nichts zu ersetzen ist. Man kann sie ergänzen, aber man kann sie nicht ersetzen.
— Ich bin nicht gegen das deutsch-französische Korps, aber ich freue mich, Herr Kollege Voigt, daß die ganze Diskussion um das Euro-Korps und die WEU dazu beigetragen hat, daß in der Sozialdemokratischen Partei plötzlich der Amerikanismus Urständ feiert und daß Sie sich so deutlich wie nie zuvor zur NATO bekennen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, das war der letzte Redner in dieser Debatte. Wir kommen damit zu den Abstimmungen und wenden uns zuerst den Vorlagen zu, bei denen in der Sache abgestimmt werden soll.Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 7 b, nämlich zur Einzelberatung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum UN-Waffenübereinkommen, der Ihnen auf der Drucksache 12/2460 vorliegt.Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2904, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? — Dann darf ich feststellen, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung, einen Entschließungsantrag anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung, also den Entschließungsantrag anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Sie finden ihn unter Nr. 2 der gesamten Beschlußempfehlung. Die Beschlußempfehlung liegt Ihnen auf Drucksache 12/2904 vor.Es ist nicht immer ganz einfach, sich durch die Vorlagen durchzufinden. Also frage ich noch einmal: Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses unter Nr. 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist Nr. 2 dieser Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 7 c und d. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt unter Nr. I auf der Drucksache 12/2905, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Rüstungskontrolle und Abrüstung in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
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Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung, also den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. über die Rüstungskontrolle und Abrüstung anzunehmen, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste bei Enthaltung der SPD angenommen worden.Unter Nr. II empfiehlt der Auswärtige Ausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD zur Fortsetzung der Abrüstungspolitik — er liegt Ihnen auf Drucksache 12/2067 vor für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen — es gab keine Enthaltungen — gegen den Rest des Hauses angenommen worden.
Unter Nr. III wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD über die Hilfen für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten — das ist die Drucksache 12/2068 — ebenfalls für erledigt zu erklären.
— Den ziehen Sie zurück? — Entschuldigung, das ist mir nicht mitgeteilt worden; jedenfalls finde ich es nicht in meinen Unterlagen. Damit, meine Damen und Herren, erübrigt sich die Abstimmung.Ich komme jetzt zu den Vorlagen auf den Drucksachen 12/2442, 12/2783 und 12/2789. Das sind die Tagesordnungspunkte 7 a, 7 e und 7 f. Dabei handelt es sich um den Jahresabrüstungsbericht 1990/91 der Bundesregierung, den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes und den Antrag der Fraktion der SPD zum KSZE-Forum für sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Dann liegt mir noch ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/2891 vor.Diese Berichte, Anträge bzw. Entschließungsanträge sollen an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Wer mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Sie sind offensichtlich damit einverstanden.Ich komme zu Tagesordnungspunkt 7 g.Der Antrag der Fraktion der SPD zur sofortigen Einstellung aller Atomwaffentests auf Drucksache 12/2845 soll ebenfalls zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß überwiesen werden. Gibt es weitere oder andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1989 — Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes
zu der Unterrichtung durch den BundesrechnungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes 1991 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
— Drucksachen 12/8, 12/1964, 12/1150,12/1220 Nr. 1.1, 12/2810 —Berichterstattung:Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele Karl Deresb) Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1990 — Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes —— Drucksache 12/2561 —Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschußDer Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. — Das ist offensichtlich der Fall. Ich darf dies als beschlossen feststellen und die Aussprache eröffnen.Das Wort hat zunächst der Abgeordnete CarlLudwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie in jedem Jahr beraten und beschließen wir heute über die Entlastung der Bundesregierung für ein hinter uns liegendes Haushaltsjahr. In diesem Jahr geben wir der Bundesregierung Entlastung für das Haushaltsjahr 1989. Dieses letzte Haushaltsjahr vor der deutschen Einheit ist vom Bundesrechnungshof wie immer kritisch begleitet worden, auch wenn die Regierung 1989 noch in einer finanzpolitisch unveränderten Umwelt auf ihre Erfahrungen zurückgreifen konnte.Im Rechnungsprüfungsausschuß haben wir uns in zehn Sitzungen und fast 60 Stunden Beratungszeit eingehend mit den Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes befaßt. Der Haushaltsausschuß hat dann die Entlastung der Bundesregierung auf Grund der Bemerkungen des Rechnungsprüfungsausschusses vorberaten.Die Beratungen über die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes und die Entlastung der Bundesregierung waren in der Vergangenheit immer wieder Anlaß, sich Gedanken über eine effizientere Mittelvergabe zu machen. Leider gilt noch immer in Teilen des öffentlichen Dienstes zu wenig das Prinzip der eigenständigen Verantwortlichkeit von Mitarbeitern. Zwar werden abstrakte Ziele wie Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, Sparsamkeit und der Einsatz finanzieller Mittel für das Gemeinwohl theoretisch für die Entscheidungen zugrunde gelegt, aber in der Praxis häufig nur teilweise umgesetzt, was alle Jahre wieder
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Carl-Ludwig Thieleder jeweilige Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes beweist und der Bürger mitunter auch verspürt.Der Bundesrechnungshof als Partner des Parlaments soll bewirken, daß die Gelder des Steuerzahlers effizient eingesetzt werden. Er soll dazu beitragen, finanziellen Schaden zu vermeiden oder zu verringern. Aus diesem Grunde ist der Bundesrechnungshof auch befugt — was nicht überall wahrgenommen wird —, auf der Grundlage seiner Prüfungserfahrungen die geprüften Stellen oder das Parlament zu beraten oder auch Empfehlungen auszusprechen.So haben auch die Berichterstatter zu den einzelnen Tagesordnungspunkten vor Aufruf der Punkte die Möglichkeit, diese Punkte mit dem Bundesrechnungshof und den zuständigen Ministerien zu besprechen.Die direkte Anbindung des Rechnungsprüfungsausschusses an den Haushaltsausschuß gewährleistet, daß wesentliche Aspekte, in denen dem Rechnungsprüfungsausschuß eine Veränderung erforderlich erscheint, direkt vom Rechnungsprüfungsausschuß in den Haushaltsausschuß gebracht werden können und daß dort ein entsprechender Beschluß gefaßt werden kann.Die Gestaltungsmöglichkeit des Rechnungsprüfungsausschusses ist aus diesem Grunde auch recht beträchtlich. Die Beratungen können allerdings nur auf Grund des Berichts des Bundesrechnungshofs erfolgen.Lassen Sie mich an dieser Stelle auf einige allgemeine Punkte eingehen. Der Entwurf des Haushalts 1989 sah eine Nettoneuverschuldung von 27,8 Milliarden DM vor. Tatsächlich wurden 19,2 Milliarden DM, also 8,6 Milliarden DM weniger, an Krediten aufgenommen.Gestatten Sie mir hierzu zwei Bemerkungen. Zum einen möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß es nach meiner Auffassung grundsätzlich nicht angezeigt ist, daß die öffentliche Hand konsumtive Leistungen auf Kredit und damit zu Lasten der folgenden Generationen finanziert. Die durch die deutsche Einheit entstandenen Finanzierungsprobleme stellen allerdings derzeit einen Sonderfall dar.
— Das sollte die Andeutung eines Applauses sein. Ich bedanke mich dafür.
Zum anderen nimmt bei der Aufstellung des Haushalts durch die Bundesregierung die Öffentlichkeit zum Glück Kenntnis von der vorgesehenen Nettokreditaufnahme, und im Zuge der Haushaltsberatungen wird regelmäßig die vorher kritisch kommentierte Nettoneuverschuldung aus dem Selbstverständnis des Haushaltsausschusses heraus weiter gesenkt. Es ist allerdings bedauerlich, daß dieses Senken, wie auch jetzt wieder im Nachtragshaushalt 1992, von der Öffentlichkeit nahezu nicht zur Kenntnis genommen wird. Gerade in diesem Punkt wünsche ich mir eine Begleitung unserer Arbeit durch die Öffentlichkeit, damit weiter Druck mit dem Ziel geringerer Staatsaufgaben ausgeübt wird.Auch für die öffentliche Hand muß die Binsenwahrheit, die für jeden Bürger gilt, gelten: Nicht alles Wünschenswerte ist finanzierbar.
Der Rechnungsprüfungsausschuß hat auch die Möglichkeit, auf aktuelle Dinge und Entwicklungen einzugehen. Er kann insofern entsprechende Berichte anfordern und Diskussionen anregen.Ich möchte auf ein Thema eingehen, daß den Haushaltsausschuß und den Rechnungsprüfungsausschuß beschäftigte. Es ist das Problem des Aufbaus der Finanzverwaltung in den neuen Bundesländern.
Für die Steuerverwaltung ist festzustellen, daß es in der DDR weder Finanzämter noch im Steuerrecht ausgebildete Mitarbeiter gab. Daher sind die Probleme, die sich beim Aufbau der Steuerverwaltung stellen, teilweise systembedingt. Ich spreche dieses Thema auch nicht vorrangig an, um Schuldzuweisungen in Richtung Länder zu betreiben, sondern um die Augen der Öffentlichkeit auf diesen kritischen Punkt zu lenken.Der Aufbau der Steuerverwaltung liegt bei den neuen Bundesländern. Es bestand von Anfang an Klarheit darüber, daß für diesen Aufbau vor allem eine tatkräftige Unterstützung durch die alten Länder, aber auch durch den Bundesfinanzminister zu leisten ist.Dieses Thema ist aus bundespolitischer Sicht daher unter zwei Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung:Zum einen habe ich die Sorge, daß für den Fall der Nichterhebung von Steuern der Steuerpflichtige den Eindruck bekommt, daß das Geld, das er für seine Tätigkeit brutto erhält, für ihn netto zur Verfügung steht. Sollte der Staat dann mit einer Verzögerung von ein, zwei oder auch drei Jahren die von dem Steuerpflichtigen für das Finanzamt erhaltenen Beträge abfordern, so kann das Problem entstehen, daß in den neuen Bundesländern der Existenzgründungswelle die Pleitewelle folgt. Denn zum Zeitpunkt der Nachforderung ist die Steuerschuld schon nicht mehr zu bezahlen, weil das Geld als verfügbar angesehen wurde und schlichtweg ausgegeben ist.Ferner hat der Bund ein elementares Interesse an dem Funktionieren der Steuerverwaltung, weil er Einnahmen von der Steuerverwaltung erwartet. Es muß freilich die Länderverantwortung deutlich gemacht werden, da die Verwaltungszuständigkeit bei den Ländern liegt.Ich muß hier allerdings ein deutliches Wort an einige neue Bundesländer richten: Es geht nicht an, ständig die Bereitstellung neuer Gelder vom Bund zu erwarten, wenn die Länderverwaltungen noch nicht ordnungsgemäß funktionieren und damit die Sicherstellung der Einnahmen durch sie noch nicht garantiert ist.
Wir haben uns lange mit diesem Thema befaßt und dabei festgestellt: Auch wenn der Bund wie hier — nicht direkt zuständig ist, hat er doch Möglichkeiten,
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8174 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Carl-Ludwig Thieleeinige Punkte zur Sprache zu bringen und darin Verbesserungen herbeizuführen.So war und ist die räumliche Unterbringung einiger Finanzämter in den neuen Bundesländern katastrophal. Ein Finanzamt war z. B. teilweise in mehreren dezentral gelegenen Gebäuden oder Baracken untergebracht. Wie die Arbeitsabläufe in einer Verwaltung funktionieren, wenn Boten quer durch die Stadt geschickt werden müssen, brauche ich hier nicht zu beschreiben; das ist offensichtlich.Deswegen wurde auf meinen Antrag hin der Finanzminister aufgefordert, unmittelbare Verhandlungen über die Bereitstellung bundeseigener Liegenschaften für die Finanzämter aufzunehmen. Hierbei sollte nach Auffassung des Ausschusses der Bund den Ländern vorrangig Liegenschaften für Finanzämter zur Verfügung stellen, wenn die Länder entsprechendes Interesse an bundeseigenen Liegenschaften äußern. Denn hier gilt der Grundsatz: Der Bund prüft zunächst, ob er die Liegenschaften für sich benötigt. Erst dann, wenn er feststellt, daß das nicht der Fall ist, kommt das Land zum Zug. Hier aber bestand vorrangiger Handlungsbedarf. Hier mußte dem Bund deutlich gemacht werden: Wenn ein Land Liegenschaftsbedarf für ein Finanzamt äußert, muß der Bund vorrangig sein bundeseigenes Interesse für irgendeine Behörde zurückstellen, damit die Finanzämter in den Genuß dieser Räume kommen.
Ferner sollte die Schulung des Personals der Finanzämter verbessert werden.Das Steuerrecht der alten Bundesrepublik galt seit der deutschen Einheit natürlich auch in den neuen Bundesländern. Dies betraf für die Finanzverwaltung für 1990 zwar nur wenige Monate; die mußten aber wie ein Jahr behandelt werden. Darum waren zum Zeitpunkt des Aufbaus der Finanzverwaltung die Finanzämter mit der Bearbeitung Hunderttausender von Steuerbescheiden beschäftigt, auf Grund deren teilweise Einnahmen von nur bis zu 1 000 DM zu erwarten waren. Wir haben darauf gedrängt, daß eine Richtlinie entwickelt wird, daß diese Beträge vernachlässigt werden, daß man sie niederschlägt, um der Finanzverwaltung Kraft für neue Organisation und dafür zu geben, neue Steuerpflichtige heranzuziehen und die Steuerbescheide entsprechend zu kontrollieren.Ferner wurde auch die allgemeingültige Forderung zum Ausdruck gebracht, daß die Steuerrichtlinien einfacher und verständlicher formuliert werden sollten. Dieses Thema sollte die Finanzpolitiker noch viel stärker interessieren. Ich habe allerdings erhebliche Zweifel daran, ob diesem Wunsch auch in entsprechender Form nachgekommen wird. Man hätte da nämlich schon viel tun können. Man soll es aber nicht aufgeben, gute Dinge zu fordern, auch wenn man weiß, daß sie nicht morgen erledigt sind.In der letzten Beratung zu diesem Thema im Rechnungsprüfungsausschuß im Mai dieses Jahres haben wir erfreulicherweise zur Kenntnis nehmen können, daß die Steuereinnahmen aus den neuen Bundesländern erheblich gestiegen sind. Im ersten Quartal 1992 ist das Steueraufkommen drei- bis viermal so hoch wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. So hat sich allein die Kraftfahrzeugsteuer zu diesem Zeitpunkt vervierfacht. Steigende Steuereinnahmen sind in der Regel ein Kriterium dafür, daß eine Steuerverwaltung besser funktioniert, als sie in der Vergangenheit funktioniert hat, so daß man jetzt schon einen relativen Fortschritt feststellen kann. Aber es muß weiter daran gearbeitet werden, damit es noch besser wird.
— Richtig.Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend meinen Dank an die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes und des Finanzministeriums für die erbrachte Tätigkeit aussprechen. Besonderen Dank möchte ich allerdings den Kolleginnen und Kollegen im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß für die faire und sachliche Zusammenarbeit entgegenbringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Purps.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Für die SPD-Arbeitsgruppe im Rechnungsprüfungsausschuß möchte ich mich dem Dank, den der Jahresberichterstatter hier für uns alle vorgebracht hat, vollinhaltlich anschließen. Ich erlaube mir aber, noch einer anderen Gruppe zu danken, die in diesem Hause auch für die „Haushälter" eine große Bedeutung hat, nämlich den Damen und Herren dienstbaren Geistern im Restaurant im 29. Stock, die dafür sorgen, daß wir während der langen Sitzungen, die wir haben, nicht verhungern und nicht verdursten, daß wir also zwischen den Aktendeckeln, die wir zu wälzen haben, unser Bohnensüppchen essen können oder den seit zehn Jahren liebgewonnenen Leberkäs, möglichst noch handwarm, serviert bekommen. Herzlichen Dank auch dem Restaurant, das uns da unterstützt!
Meine Damen und Herren, es gibt bei der Rechnungsprüfung natürlich immer Erfreuliches und Unerfreuliches zu berichten. In der Regel ist der Anteil der erfreulichen Meldungen etwas geringer als der der unerfreulichen. So wird es sich auch in den acht Minuten, die ich zur Verfügung habe, in etwa aufteilen.Erfreulich ist immer die weitgehende Einstimmigkeit, die wir erreichen, wenn wir die Vorlagen, die uns der Rechnungshof gibt, und dann auch die Beschlußvorlage diskutieren. Ich möchte hinzufügen, daß wir nicht immer das übernehmen, was der Rechnungshof uns als Vorlage gibt. Manchmal folgen wir ihm nicht. Manchmal — und das ist eigentlich die Mehrzahl der Fälle — verschärfen wir sogar das, was der Rechnungshof uns als Beschlußvorlage gibt. Ich glaube, das ist gut so, denn letztlich sind wir als die Abgeordneten dafür verantwortlich, wie die Beschlußlage
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Rudolf Purpslautet, und nicht der Rechnungshof. Seine Vorarbeit begrüßen wir natürlich sehr.
Manchmal ist es auch erfreulich, daß die entsprechenden Ministerien oder z. B. auch die Deutsche Bundesbahn oder die Deutsche Bundespost den Beschlüssen, die wir gefaßt haben, folgen. Ich sagte, manchmal. Im Regelfall müssen wir leider häufig und zunehmend häufiger zu dem Mittel greifen, daß wir Berichte anfordern, denn es erweist sich, daß die Nachkontrolle des Haushaltsvollzugs wiederum der Nachkontrolle des Vollzugs unserer Beschlüsse bedarf. Und manchmal haben wir eine etwas träge Verwaltung, die gerne nach dem Motto arbeitet: Nun haben wir einen Beschluß, heften wir ihn also ab, oder sehen wir zu, daß wir nicht ganz so in die Richtung marschieren müssen. — Nur mit einer strikten Berichtspflicht bringen wir sie dazu, ihre Schulaufgaben endgültig zu machen. Es gibt einige Häuser, die da besonders nachlässig sind.Es ist auch erfreulich, daß es uns immer wieder gelingt, Einsparungen in erheblichem Maße zu erzielen, und zwar im allgemeinen für die Zukunft. Es wäre des Schweißes einer Doktorarbeit wert, einmal nachzurechnen, was die Beschlüsse, die die Abgeordneten im Rechnungsprüfungsausschuß fassen, dem deutschen Steuerzahler an Geld sparen. In der Diätendebatte wäre es manchmal auch nicht verkehrt, einmal auszurechnen, wieviel manche Abgeordnete dem deutschen Steuerzahler sparen und wieviel sie den deutschen Steuerzahler kosten.Meine Damen und Herren, es gibt natürlich auch Sorgen, die wir haben, und die hat der Rechnungshof in seinem Bericht auch ausdrücklich dargestellt. Das sind die zunehmende Verschuldung und die sich dadurch auf die Zukunft projizierende Unfähigkeit des Staates, in besonderen Krisensituationen die notwendigen Spielräume zu haben, um antizyklisch reagieren zu können. Der Rechnungshof hat meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen, daß das Engerwerden der Spielräume des Staates, insbesondere durch die „Töpfchenwirtschaft" der Auslagerung von Schulden, eine große Gefährdung für die Haushalte der Zukunft darstellt.
Das hört man auf seiten der Koalition nicht gern; ich weiß das. Aber der Rechnungshof hat nun einmal die Pflicht, auch auf Gefährdungen der Haushaltslage künftiger Jahre hinzuweisen. In diesem Fall hat er unsere volle Unterstützung, weil wir die Sache genauso sehen wie er.Ich komme nun zu einigen unerfreulichen Punkten: Mich ärgert zunehmend die Tatsache, daß Berichte, die noch im Rechnungshof bearbeitet werden oder sich gerade auf dem Postwege zwischen Rechnungshof und zuständigem Ministerium zur Gegenäußerung befinden, plötzlich in der Tageszeitung erscheinen. Ich plaudere nicht aus dem Nähkästchen, lieber Karl Deres, wenn ich sage, daß dann die Anrufe bei dir oder bei mir eingehen und interessierte Journalisten sagen: Nehmen Sie doch einmal Stellung dazu. In der Regel muß ich denen dann antworten — ich werde natürlich 'nen Deubel tun, hier etwas anderes zusagen —: Diesen Bericht kann ich gar nicht haben; denn er steht mir zur Zeit noch nicht zu.Wenn dieses Verfahren — leider Gottes sehr häufig zwischen Innenministerium, für das wir zuständig sind, und Rechnungshof — weiter einreißt und wir immer wieder hören, es sei nun überall nachgeprüft worden, im Rechnungshof sei das nicht passiert, da hätten alle Ehrenerklärungen unterschrieben, da habe man niemanden informiert, auch beim Innenminister hätten eine solche Erklärung alle unterschrieben, die Sache aber dennoch in der Öffentlichkeit ist, dann war es wohl der berühmte Bischof von Hildesheim, der Heilige Geist oder sonstwer, der dafür gesorgt hat, daß diese Dinge irgendwo auf den verschlungenen Pfaden, auf denen die Post sie zu transportieren pflegt, das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben. Ich kann für meine Person nur sagen: Wenn das weiter vorkommt, müssen wir darüber nachdenken, ob wir Rechnungsprüfung weiterhin in dieser Form machen können. Ich ermuntere den Bundesrechnungshof, einmal darüber nachzudenken, ob der Umstand, daß bestimmte Dinge vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangen, es nicht rechtfertigt, von der Ausnahme des § 96 der Haushaltsordnung Gebrauch zu machen und die entsprechenden Unterlagen sofort dem Parlament — sprich: dem Rechnungsprüfungsausschuß — zuzuleiten.Es ist auch unerfreulich, daß wir — manchmal bei den gleichen Ministerien — immer wieder die Fälle haben, daß Ausschreibungen larifari gehandhabt werden, daß überhaupt nicht ausgeschrieben wird, daß Aufträge freihändig vergeben werden, daß Zeitdruck — dafür, daß in Ministerien überhaupt Zeitdruck entstehen kann, gibt es für mich nur eine Erklärung: Man hat vorher nicht gearbeitet — dazu führt, daß man sich an den gesetzlichen Vorgaben vorbeigemogelt hat. Die Konsequenz kann nur sein: Je öfter das passiert, desto kräftiger müssen wir mit unseren Bemerkungen und Anforderungen, auch Regreßanforderungen, wie möglicherweise auch mit Aufforderungen, strafrechtliche Verfahren einzuleiten, reagieren. Wir sind nicht der Popanz, sondern die Kontrolleure der Ministerien und der anderen Behörden.
Wenn man bei vielen Punkten etwas tiefer nachbohrt, dann stößt man darauf — und ich kritisiere das —, daß die Vortragenden offensichtlich nicht hundertprozentig informiert sind. Wir hatten da den Fall mit diesen berühmten Projektentwicklungsangelegenheiten in München. Da haben wir, weil die Deutsche Bundesbahn entweder nicht präpariert war oder mit den Dingen, die sich wirklich abgespielt haben, nur so stückchenweise rüberkam, zweimal abbrechen und den Punkt neu auf die Tagesordnung setzen müssen. Wir mußten die zuständigen Leute nach Hause schicken, weil wir der Meinung waren: Die wissen selbst nicht Bescheid, sie sind schlecht präpariert, oder sie wollen uns die Wahrheit einfach nicht sagen. Stückchen für Stückchen sind wir der Wahrheit dann schließlich doch nähergekommen. Aber wir haben diesen Punkt noch nicht abgeschlossen. Ich darf darauf hinweisen, daß der Projektentwickler, der durch ein Fehlverhalten der Deutschen
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Rudolf PurpsBundesbahn Millionenbeträge kassieren konnte, offensichtlich in Schmiergeldaffären verwickelt ist. Ich frage mich natürlich, ob die Deutsche Bundesbahn diese Dinge vorher nicht gewußt hat. Wenn sie es nicht gewußt haben sollte, dann müssen wir wahrscheinlich diesen Punkt noch einmal aufgreifen.Für die Zukunft haben wir der Deutschen Bundesbahn ins Stammbuch geschrieben, sie möge doch ihre Immobilien, wenn sie sie aufgewertet verkaufen will, selber projektieren und entwickeln. Es ist nicht notwendig, daß andere noch zusätzlich daran verdienen. Die Deutsche Bundesbahn hat meines Erachtens einen solchen Stab einzurichten. Wir haben darüber hinaus der Deutschen Bundesbahn klargemacht, daß wir nicht nur überprüft haben wollen, was sich bei der Direktion in München abgespielt hat, sondern wir wollen dies für alle Direktionen wissen. Wir wollen insbesondere im Hinblick auf die neuen Länder von vornherein ausschließen, daß derartige Dinge in Zukunft wieder passieren. Hier wird berichtet werden müssen.Ein weiterer „dicker Hund", wie ich das einmal nennen darf, war der Punkt, daß die Deutsche Bundespost, wohl wissend, daß sie manchmal bei den Massendrucksachen nicht die entsprechenden Gebühren einziehen kann, weil sie die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen noch nicht hat, auf — geschätzt — über 200 Millionen DM an Einnahmen verzichtet hat.
Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Wie kann sich die in den gelben Diensten defizitäre Deutsche Bundespost 200 Millionen DM an Einnahmen — das ist nur geschätzt, das kann auch mehr sein — entgehen lassen und auf der anderen Seite dem Bürger immer wieder zumuten: „Du mußt für deinen Brief, für deine Postkarte, für dein Päckchen, für dein Paket immer mehr bezahlen" ? Aber beim Großkunden werden über 200 Millionen DM in den Sand gesetzt, und die Oma, die dem Enkelehen ein Paket zum Geburtstag schicken will, ist die arme Frau, die dann wieder 1,50 DM mehr für das Paket bezahlen muß! Das kann doch wohl nicht richtig sein.
Die Bundespost hat sich ihre Einnahmen da zu holen, wo sie sie zu bekommen hat, insbesondere bei den Großkunden. Wenn die dann auch noch die Situation in den neuen Bundesländern ausgenutzt haben und dort Lkw-weise diese Massendrucksachen hingeschickt haben und wenn dann ein kleiner Obersekretär oder Hauptsekretär in den neuen Bundesländern, vollkommen überfordert mit dem Abwicklungsprozedere einer solchen Angelegenheit, auf solche Beträge verzichtet, dann kann man schon sagen: Deutsche Bundespost, auf der einen Seite, du hast gewußt, was war, du hättest dafür sorgen müssen, daß die Erfassung regelrecht erfolgt und in Ordnung ist; und ihr Großunternehmen auf der anderen Seite, wie immer ihr euch moralisch aufspielt, insbesondere wenn es um andere geht, nutzt bitte nicht alle Möglichkeiten bis hin zum Betrug, wenn es um eure eigenenBetriebsergebnisse geht. Dies will ich in aller Deutlichkeit an diesem Ort sagen.
Wir haben auf diesen Punkt sehr viel Sorgfalt verwendet, meine Damen und Herren.Ich möchte mit einem Blick in die Zukunft zum Schluß kommen. Vielleicht ist mir dieser Blick noch gestattet. Wir wissen, das Wetterleuchten der Prüfungen in den neuen Bundesländern kündigt sich an. Die Gewitter werden im nächsten und im übernächsten Jahr über uns hereinbrechen. Wir wissen, wie schwierig das in dieser Situation ist. Aber eines will ich in aller Deutlichkeit für unsere Gruppe sagen: Es wird keinen „Schluderbonus Ost" bei den Rechnungsprüfern im Deutschen Bundestag geben, sondern die neuen Bundesländer werden genauso wie alle anderen nach Recht und Gesetz und nach unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten behandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohlsen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Debatte um die Feststellung, ob die Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1989 ordnungsgemäß gewirtschaftet hat. Es geht um die Frage, wie mit den 300 Milliarden DM umgegangen wurde, ob die Bundesregierung etatgerecht gehandelt hat.Ich möchte dazu sagen, daß es für uns im Rechnungsprüfungsausschuß als Unterausschuß des Haushaltsausschusses eine wichtige Aufgabe ist, das Haushaltskontrollrecht wahrzunehmen. Die Überwachung ist dabei eine der wichtigsten parlamentarischen Kontrollfunktionen. Ich will dazu anmerken, daß die Bedeutung der Haushaltskontrolle in neuerer Zeit zugenommen hat, da insbesondere für die Staatsaufgaben durch den Zuwachs der neuen Bundesländer immer mehr öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden und wir die überwiegend vergangenheitsbezogene Kontrolle immer mehr durch eine begleitende Überwachung der derzeitigen Regierungstätigkeit bereichern. Die stetige Berichterstattung des Bundesrechnungshofs an den Rechnungsprüfungsausschuß ist eine der wesentlichen Grundlagen für das Parlament, um seine umfassende Kontrollfunktion wahrzunehmen.Ich will ganz besonders das angenehme Arbeitsklima in diesem Ausschuß hervorheben und dem Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses, dem anwesenden Karl Deres, für die immer gute Führung dieses Ausschusses herzlichen Dank sagen.
Ich schließe in diesen Dank seinen Stellvertreter,Herrn Purps, gleich mit ein; denn in manchen Fällen
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Wilfried Bohlsenmuß bei den langen Sitzungen natürlich auch er in Anspruch genommen werden.
Ich habe auf die Harmonie hingewiesen. In diesem Zusammenhang gilt: Wir können als Rechnungsprüfungsausschuß nur arbeiten, wenn uns der Bundesrechnungshof entsprechend zuarbeitet. Ich freue mich, daß der Präsident des Bundesrechnungshofs diese Debatte verfolgt. Ihnen und Ihren Mitarbeitern einen herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, Herr Zavelberg.
Meine Damen und Herren, wir haben global vieles beleuchtet, müßten jetzt aber vielleicht in einige Details einsteigen; denn es geht immerhin um öffentliche Gelder. Es geht um die primären Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit.Der Kollege Purps hat bereits den Bereich der Projektentwicklung bei der Bundesbahndirektion in München angesprochen. Dieses Thema hat uns viel Sorge gemacht. Da er in einem zweiten Bereich die Massendrucksachen bei der Bundespost angesprochen hat — ich sehe, daß der Parlamentarische Staatssekretär des zuständigen Ministeriums anwesend ist —,
so will ich die 200 Millionen DM ein wenig relativieren. Ich will die 200 Millionen DM insofern relativieren, als dies ja eine Feststellung für drei Postämter war und man dies hochgerechnet hat. Insofern will ich Zweifel an der Höhe anmelden.
— Es können sowohl mehr, aber es können auch wesentlich weniger sein.Bei dieser Debatte ist natürlich einiges aufgefallen. Das haben wir aktuell aufgegriffen, indem wir gefragt haben: Wie ist die Entwicklung in den neuen Bundesländern? Wie wird dies dort bei den Postämtern gehandhabt?Dabei mußten wir leider erfahren, daß die Kontrollfunktion, so wie wir sie uns erbeten hatten, bei den dortigen Postämtern nicht so gelaufen ist und daß es dort zu erheblichen Einlieferungen kam, ohne daß entsprechendes Porto aufgenommen wurde. Das ist ein bedauerlicher Vorgang, den ich erwähnen will.
Auch in einem anderen Bereich, nämlich bei der Beschaffung von Software durch die Bundesdruckerei, sind wir folgender Frage nachgegangen: Stehen die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen? Da konnten wir erfahren, daß für eine bestimmte Software 600 000 DM aufgewendet wurden und weitere Aufwendungen in Höhe von 1,8 Millionen DM erfolgt sind, aber bislang nur ein Drittel des geplanten Funktionsumfangs realisiert wurde. Wirhaben das mit Aufforderungen verbunden, bis zum 1. Juli 1992 bzw. bis zum 1. Januar 1993 entsprechende Verfahren einzuleiten, damit hier Änderungen geschehen.Zu einem anderen Fall, der uns Sorge gemacht hat — dies betrifft ebenfalls den Bereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation mit den drei neuen selbständigen Unternehmen —: Bei der Personalentwicklung für das Haushaltsjahr 1989 ist uns aufgefallen, daß im Bereich Urlaub, Krankheit und Fortbildung eine unwahrscheinlich hohe Personalausfallquote vorherrscht. Wenn man sieht, daß beim Postdienst wegen Krankheit die Ausfallquote 9,9 % beträgt, bei der Postbank 11,9 % und bei Telekom 6,7 %,
so macht das deutlich, daß das so nicht hinzunehmen ist. Wir haben entsprechende Schranken eingezogen. Das würde z. B. bei der Postbank bedeuten — bei einem Volumen von 11,9 % —, daß der Krankheitsstand im Durchschnitt sieben Wochen pro Jahr beträgt.
Das ist nicht hinzunehmen. Daher meinten wir, hier entsprechende Regelungen einzuführen.
Wir haben uns mit vielen Bereichen befaßt — ich kann nicht auf die Details eingehen —, so etwa mit dem Auslandszahlungsverkehr. Wir haben auch nach Möglichkeiten gesucht, bei der Bundespost-Betriebskrankenkasse neue Regelungen einzuführen; denn wir hatten in vorhergehenden Sitzungen bereits beschlossen, daß einige Stellen aufgelöst werden sollten. Das ist nicht vollzogen worden. Wir haben nun Termine gesetzt, daß dies geschieht.Wir haben im Bereich des Verkehrsministers bei der Brückenaufsicht und bei Bauvolumen leider feststellen müssen, daß Ausschreibungen nicht so geschehen sind, wie sie vom Etat her vorgegeben waren.In einem anderen Bereich mußten wir feststellen, daß bei dem Anspruch auf Zahlung von Kindergeld oder Erziehungsgeld also dort, wo die Höhe des Einkommens berücksichtigt wird — bislang nur das im Inland verdiente Einkommen zugrunde gelegt wurde. Das konnte zur Folge haben, daß Personen, die Millionen im Ausland verdienten, im Inland trotzdem als Bedürftige eingestuft wurden und somit Anspruch auf die Zahlung von Kinder- oder Erziehungsgeld hatten. Auf Intervention unseres Ausschusses hin wurde dieses in höchstem Maße unbefriedigende Gebaren mittlerweile geändert.Auch in bezug auf die Altershilfe mußten wir einige Schranken einziehen. Denn wir mußten feststellen, daß 125 Millionen DM unrechtmäßig zur Zahlung gelangt waren. Hier mußten wir handeln.Es gab aber auch Fälle, bei denen wir nicht dem Votum des Bundesrechnungshofes gefolgt sind. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das mir besonders
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Wilfried Bohlsennahe liegt, weil ich als Abgeordneter, der von der Küste kommt, mit Fischerei zu tun habe.
Da waren es die vier Fischereiaufsichtsboote, die wir noch haben und die man uns nehmen wollte. In diesem Zusammenhang konnten wir jedoch deutlich machen, wie wichtig gerade diese Einrichtung für unsere Küstenfischerei ist. Früher wurden auch die Fischereiboote in Fällen von Seenot tätig. Deren Zahl ist mittlerweile deutlich zurückgegangen. Aber wer die Fischquoten kennt und weiß, daß wir gegenseitig nationale Aufsicht ausüben müssen und daß Niederländer — —
— Ja, und den sollte man immer wieder essen, mein lieber Kollege Rossmanith, der Sie aus Bayern kommen.Ich will nur eines sagen: Die große Aufgabe der Besatzung der Fischereiaufsichtsboote besteht ja auch darin, unsere niederländischen Nachbarn zu kontrollieren, damit die ihre Fangquoten einhalten und nicht mit übergroßem Geschirr in unsere Gewässer eindringen und unseren Fischern den Fisch wegholen. Aus diesem Grunde war es uns sehr wichtig, uns für die Erhaltung dieser vier Fischereiaufsichtsboote einzusetzen.Meine Damen und Herren, ich sehe, daß meine Redezeit abläuft. Lassen Sie mich daher den Kolleginnen und Kollegen recht herzlich danken. In den Dank schließe ich auch die Mitarbeiter des Rechnungsprüfungsausschusses ein. Denn wenn sie uns nicht zuarbeiten würden, wäre es uns nicht möglich, unsere umfangreiche Arbeit zu bewältigen.Ich darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bitten, der Bundesregierung Entlastung zu erteilen, wie es im Haushaltsausschuß beschlossen wurde.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Keller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrechnungshof hat seinen Feststellungen zur Haushaltsund Vermögensrechnung des Bundes für das Jahr 1989 einen Überblick über die finanzwirtschaftliche Entwicklung hinzugefügt, die im Finanzministerium zur Pflichtlektüre erhoben werden sollte.
Kritisiert wird u. a., daß die Verfassungsvorschriften zur staatlichen Kreditaufnahme an Wirkung verlieren, weil der Bund über Sondervermögen, nämlich Bundesbahn, Bundespost, Fonds Deutsche Einheit und Kreditabwicklungsfonds, vermehrt zusätzliche Kredite aufnimmt, die nicht im Haushaltsplan erscheinen. Ferner weist der Bundesrechnungshof darauf hin, daß die seit 1973 ständig steigende Staatsverschuldung den Handlungsspielraum des Bundes immer weiter verengt und — das wird der Bundesfinanzminister nicht gern hören — daß sich diese Entwicklung im Finanzplanungszeitraum fortsetzen wird.
Dem Bundesfinanzminister muß es auch in Abwesenheit in den Ohren klingeln, wenn der Bundesrechnungshof behauptet, die Schulden des Bundes würden nicht getilgt, sondern vielmehr im wesentlichen durch neu aufgenommene Kredite finanziert. Der Bundesrechnungshof schließt nicht aus, daß heute und in Zukunft Zinsen auch für solche Kredite gezahlt werden, deren Gegenwert ganz oder teilweise schon gar nicht mehr vorhanden ist.
Die zusätzlichen Haushaltsrisiken, deren Vorhandensein vom Finanzminister stets geleugnet wird, werden in diesem Bericht akribisch, nüchtern und ohne jede Polemik aufgelistet.
Zum Gesamtvolumen des Kreditabwicklungsfonds liegen weder gesicherte Erkenntnisse noch verläßliche Prognosen vor. Der Bundeszuschuß an den Entschädigungsfonds wird garantiert steigen. Im Zusammenhang mit Ausfuhrgewährleistungen rechnet selbst der Minister mit weiterhin hohen Defiziten.
Die Ausführungen, die der Bundesrechnungshof zur Treuhandanstalt gemacht hat, sind geeignet, die Auffassung der Bundesregierung, die Treuhandanstalt könne nicht dem öffentlichen Sektor zugerechnet werden, als haltlos entlarven. Daß der Bundesfinanzminister die Schulden der Treuhandanstalt in betriebliche Verbindlichkeiten umdefinieren möchte, mag aus seiner Sicht verständlich sein. Für den Bundesrechnungshof ist die Treuhandanstalt jedoch Teil der mittelbaren Staatsverwaltung, und zwar ein solcher Teil, der nicht ohne Einfluß auf den Bundeshaushalt bleibt.
Der Haushaltsausschuß hat diese Bemerkungen zustimmend, also mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, zur Kenntnis genommen. Daraus könnte ich schließen, daß CDU/CSU und F.D.P. diesen Teil des Berichtes offensichtlich überlesen haben.
Zu den Abführungen der Deutschen Bundesbank an den Bund ist anzumerken, daß auch der Bundesrechnungshof zu Recht daran erinnert, daß die Höhe der Gewinnablieferung, die Herr Waigel bis 1995 mit jährlich mindestens 7 Milliarden DM eingeplant hat, erheblichen Schwankungen unterliegen kann.
Aus einem anderen Bericht des Bundesrechnungshofes geht hervor, wie die Bundesregierung den Bundesbankgewinn durch die bewußte Inkaufnahme hoher Kontostände bei der Bundesbank erhöht hat.
— Ich gebe Ihnen zehn Sekunden Zeit. Das ist kein Problem; es stört mich nicht.
Herr Dr. Keller, die Vergangenheitsbewältigung werden die Herren an anderer Stelle fortsetzen können. Sie können fortfahren.
Daß ostdeutsche Kommunen Kredite aus dem Kommunalkreditprogramm, die noch nicht voll oder erst später benötigt wurden, auf Festgeldkonten anlegten und die
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Dr. Dietmar KellerGuthabenzinsen zur Finanzierung von Ausgaben des Verwaltungshaushalts einsetzten, künden dagegen weniger von mangelnder Gesetzestreue der ostdeutschen Kämmerer als vielmehr von der unzureichenden Finanzausstattung ostdeutscher Gebietskörperschaften.Der Bundesrechnungshof sollte überlegen und prüfen, ob und in welchem Umfang Treuhandbetriebe gezwungen sind, Sozialpläne, Erhaltungsaufwand und Stillegungskosten über verbürgte Liquiditätskredite zu finanzieren.Der Bundeswirtschaftsminister hat offenbar aus Gründen der Marktpflege vor Abschluß eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens einem Vergleich zugestimmt. Das mag der Bundesrechnungshof aus grundsätzlichen Erwägungen heraus für bedenklich halten. Die PDS/Linke Liste sieht darin eher den Ausdruck von destruktiver Wirtschaftspolitik.Wir unterstützen den Vorschlag, Mittelbewilligung und/oder Mittelbeanspruchung vom Vorliegen einer Nutzen-Kosten-Analyse abhängig zu machen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Neufassung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften vorzulegen.Die PDS/Linke Liste ist weit davon entfernt, Berichte und Anmerkungen des Bundesrechnungshofs für sakrosankt zu erklären. Wir sehen z. B. in der für den Bereich des Post- und Fernmeldewesens vorgeschlagenen Umstellung der Gebäudereinigung auf Fremdreinigung keine akzeptable Lösung. Tarif- und arbeitsrechtlich ungeschützte Teilzeitarbeitsplätze mögen sich zwar betriebswirtschaftlich rechnen, volkswirtschaftlich tun sie es jedoch kaum.Wer aber so engagiert und sachkundig für das Recht und die Würde der Winterheckzwiebel eintritt wie der Rechnungshof in diesem Bericht, der hat sich offensichtlich die Rechnungshofzulage ehrlich verdient.Danke.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Kurt Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Jahren haben wir uns, die wir dem Rechnungsprüfungsausschuß angehören, wie in jedem Jahr sehr eingehend mit den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes befaßt. Vertreter der PDS waren so gut wie nie anwesend.
Der Rechnungshof hat wiederum, entsprechend seiner verfassungsmäßigen Kontrollaufgabe, in zahlreichen Fällen Mängel und Schwachstellen der Verwaltung offengelegt, gleichzeitig aber auch Einsparungsmöglichkeiten aufgezeigt — das ist etwas, was für uns sehr wichtig ist — und auch Verbesserungsvorschläge gemacht.Ich möchte deshalb den Dank, den die Kollegen vor mir schon ausgesprochen haben, auch von meiner Seite aussprechen. Ihnen, Herr Präsident Zavelberg,sowie den Mitgliedern Ihres Rechnungshofes und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich sehr herzlich für Ihre Arbeit, die, wie ich meine, im wohlverstandenen Interesse der Allgemeinheit liegt.Bei unseren Beschlüssen im Rechnungsprüfungsausschuß sind wir in den meisten Fällen den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes gefolgt. Ich muß mich — auch auf Grund der knappen Zeit, die uns bei dieser Debatte zur Verfügung steht; einiges, was zu bemängeln ist, wurde schon aufgezeigt — auf nur einige Punkte aus dem großen Spektrum beschränken.Ich möchte die Punkte herausgreifen, die über Mark und Pfennig hinaus für mich politisch sehr bedeutsam sind. So moniert meines Erachtens der Rechnungshof zu Recht, daß schwer jugendgefährdende Schriften mit rassistischem, gewaltverherrlichendem oder pornographischem Inhalt bislang zu einem erheblichen Teil dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 unterliegen.
Zweck dieses ermäßigten Steuersatzes ist es — das muß man wissen —, den Kauf lebensnotwendiger Güter und kultureller Leistungen zu begünstigen. Ich glaube, daß kein vernünftiger Mensch auf den Gedanken kommt, derartige Schriften als kulturelle Leistung zu bezeichnen, auch wenn der Kauf dieser Machwerke in der Zwischenzeit nicht mehr dem Strafrecht unterliegt.
Ich glaube, daß nicht nur ich — ich bedanke mich für den Beifall der SPD — dieser Meinung bin, wenn ich es wirklich als unerträglich empfinde, wenn solche Schriften auch noch steuerlich privilegiert werden.
Wir haben deshalb den Bundesminister der Finanzen aufgefordert, möglichst schnell zu prüfen, wie dieser Zustand beseitigt werden kann. Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Carstens, sind ja hier, um dies aus dem Plenum sozusagen in Ihr Haus mitzunehmen.Ein anderer Punkt, den der Rechnungshof schon mehrfach aufgegriffen hat, ist die Mängelhäufigkeit bei der Einführung und Anwendung moderner Informationstechniken. Wir alle wissen ja aus eigener Erfahrung, daß dies ein sehr kostenträchtiger Bereich ist. Deshalb bin ich der Meinung, es ist um so wichtiger, daß vor der Anschaffung von teuren Datenverarbeitungsanlagen eine sorgfältige Projektplanung durchgeführt wird, die auch Kosten-NutzenAspekte einbezieht.Ich bin beileibe kein Technikfeind, sondern im Gegenteil davon überzeugt, daß eine effiziente Verwaltung auch mit modernen technischen Arbeitsmitteln ausgestattet sein muß. Aber um zu verhindern, daß das Geld des Steuerzahlers für überdimensionierte oder nicht funktionsgerechte Prestigeobjekte ausgegeben wird, sollte jeder Beschaffung eine Pro-
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Kurt J. Rossmanithblemanalyse mit Lösungsalternativen vorgeschaltet werden.Ich begrüße es deshalb, daß der Bundesrechnungshof gemeinsam mit den Rechnungshöfen der Länder neue Mindestanforderungen zum Einsatz der Informationstechnik erarbeitet hat. Ich hoffe sehr, daß diese Arbeitshilfe nicht in den Schreibtischschubladen der Verwaltungen verschwindet, sondern für alle Behörden ein unentbehrlicher Leitfaden wird. Vielleicht haben wir dadurch die Chance, die Beanstandungen des Rechnungshofs im Bereich der Informationstechnik in den nächsten Jahren nicht ständig in unserem Ausschuß behandeln zu müssen.Mit der Herstellung der deutschen Einheit hat der Bundesrechnungshof auch die Kontrolle des Bundes im Beitrittsgebiet übernommen. Die Schwierigkeiten, die mit dem Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung in den neuen Ländern einhergehen, sind uns ja allen bekannt. Deshalb kann es zunächst nicht das Ziel der Finanzkontrolle sein, jeden kleinen Fehler aufzugreifen. Der Bundesrechnungshof hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß er mit seinen Prüfungen auch dazu beitragen will, der Verwaltung in den neuen Bundesländern eine soziale Grundlage zu verschaffen, auf der sie ihre weitere Tätigkeit aufbauen kann. Dazu gehört aber auch, daß die zuständigen Ministerien bei der Vergabe von Fördermitteln an Stellen im Beitrittsgebiet die haushaltsrechtlichen Bestimmungen sorgfältig beachten.Deshalb lassen Sie mich auch kurz auf das Beispiel eingehen, das der Kollege von der PDS gerade angeführt hat. Wenn z. B. die Auszahlung von Investitionskrediten bereits vor Beginn eines Vorhabens in voller Höhe zugelassen wird, darf man sich eben nicht wundern, wenn das Geld von den Empfängern auf längere Zeit auf Festgeldkonten, zum Teil auch im Ausland, angelegt wird, weil sie dort eben höhere Zinsen erhalten. Diese Praxis bei dem in diesem Fall inzwischen Gott sei Dank ausgelaufenen Kommunalkreditprogramm hat der Rechnungshof deshalb zu Recht beanstandet. Das Vergabeverfahren ist ja anschließend dann auch sehr rasch geändert worden.Alle Bemerkungen des Rechnungshofes sind ja in unserem Unterausschuß mit den zuständigen Bundesministerien erörtert worden; übrigens, wie ich meine, in einer sehr sachlichen Atmosphäre, wozu sicherlich nicht zuletzt die ausgleichende Art des Vorsitzenden, Karl Deres, und seines Stellvertreters, Rudolf Purps, entscheidend beigetragen hat.
Die Beschlüsse wurden auch fast immer einstimmig gefaßt.Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung den Feststellungen des Ausschusses Rechnung tragen und die erforderlichen Maßnahmen durchführen wird. Dabei würde ich es begrüßen, wenn der Bundesrechnungshof, wie bisher schon immer geschehen, in geeigneten Fällen Kontrollprüfungen durchführen würde, um festzustellen, ob und wie seine Beanstandung und die Beschlüsse des Parlaments umgesetztwerden getreu dem uns allen bekannten Spruch — an den gerade wir als Haushälter und Rechnungsprüfer uns immer halten müssen —, daß Vertrauen zwar sehr gut, aber Kontrolle manchmal doch besser ist.
— Ich kann, lieber Kollege Wagner, nicht alles, was Lenin gesagt hat, verdammen. Nicht alles, was er gesagt hat, ist von Haus aus schlecht.Wir als Haushälter — übrigens wir alle Parlamentarier — sollten der Regierung gegenüber immer kritisch sein. Eine kritische Begleitung durch das Parlament kann sich eine gute Regierung nur wünschen, und der wird sie auch standhalten.
Deshalb kann ich die derzeitige Bundesregierung nur beglückwünschen: Sie hat dem, was wir zu kritisieren hatten, standgehalten. Ich bin sicher, daß sie die Ergebnisse entsprechend umsetzen wird.In diesem Sinne bitte ich das Hohe Haus — wie es auch mein Kollege schon getan hat —, der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zuzustimmen und der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1989 die Entlastung zu erteilen.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Uta Titze.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein die Tatsache, daß wir dieses Mal — dank der Intervention von Karl Deres — statt einer halben Stunde eine Stunde Zeit für die Berichterstattung haben, zeigt, daß seitens der Regierung die Bedeutung der Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses anscheinend doch anerkannt wird.Ich will, da das Grundsätzliche bereits gesagt und sehr gut dargestellt wurde — der Beifall von beiden Seiten des Hauses hat das bewiesen —, mich an Hand von Beispielen auf die Darstellung des Spannungsfeldes beschränken, in dem sich die Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses abspielt.Auf der einen Seite ist der Bundesrechnungshof, der natürlich nach den anerkannten Prinzipien der Wirtschaftlichkeit die Aufgabe der Haushalts- und Wirtschaftsprüfung des Bundes hat, unbestritten. Aber das ist natürlich eine sehr dezidierte Aufgabenstellung. Wir im Rechnungsprüfungsausschuß haben auf der anderen Seite auf der Grundlage der parlamentarischpolitischen Entscheidungen die Prüfungsbemerkungen zu bewerten. Das ist natürlich eine andere Sicht der Dinge. Daraus dann das Richtige zu machen, gelingt uns fast immer, und zwar mit großer und starker Hilfe des Vorsitzenden Karl Deres.
Ich erinnere mich, Karl, daß ich als Neuling manchmal am Schluß nicht mehr wußte, welche Beschlußempfehlung ich unterstützen sollte, und du immer den Knoten gelöst hast. Dafür danke ich ganz persönlich.
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Uta TitzeNun zu meinen zwei Fallbeispielen: Ein Beispiel — darauf ging der Kollege Bohlsen bereits ein — soll demonstrieren, daß wir den Anmerkungen des Bundesrechnungshofes nicht immer Folge leisten. Ein zweites Beispiel soll Ihnen illustrieren, daß wir einer Anmerkung gefolgt sind.Da ich als Berichterstatterin im Rechnungsprüfungsausschuß für die Einzelpläne 15 — Gesundheit — und 23 — wirtschaftliche Zusammenarbeit — zuständig bin, sehen Sie es mir bitte nach, daß ich aus diesen beiden Feldern Beispiele nehme, was nicht besagt, daß es nicht auch Konflikte in allen anderen Einzelplänen gibt.Der Bundesrechnungshof hat in unregelmäßigen Abständen über Jahre hinweg Beanstandungen gegenüber dem BMG in bezug auf die Aufsichtsführung nach § 274 des Sozialgesetzbuches, V. Buch, und nach § 88 über die Bundesverbände der Krankenkassen, Ersatzkassen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ausgesprochen. Ein kompliziertes Gebiet. Nur dank des geduldigen Prüfungsgebietsleiters — Herr Zavelberg weiß sicher, wie er heißt — habe ich das überhaupt begriffen.Die eben gemachte Bemerkung — über Jahre hinweg — zeigt, daß es eine wesentliche Aufgabe des Rechnungsprüfungsausschusses in Zusammenarbeit mit dem Bundesrechnungshof geworden ist, nicht nur einmal über Berichten zu brüten und dann zu entscheiden, sondern permanent zu begleiten, Nachberichte zu fordern, wieder zu kontrollieren, so daß jede Berichterstattung mit weiteren Berichterstattungen verbunden ist.Ein Beispiel für die konkrete Beanstandung in meinem Fall: Die Prüfung der Verbände der Ersatzkrankenkassen ergab, daß 26 Jahre keine Prüfung erfolgt ist.
— Ja, ich habe es auch nicht glauben können. — Dann wurde das Gesundheits-Reformgesetz erlassen mit der Auflage, verbindliche Prüfungen im Fünf-JahresTurnus durchzuführen. So weit, so gut; nur, geklappt hat nichts. Der Haushaltsausschuß hörte die Schreie und die Bitten des zuständigen Ministeriums und etatisierte fünf Planstellen für diese Prüfungen.Dann ist ein Wunder passiert. Bei der Errichtung eines eigenen Ministeriums für Gesundheit sind zwei Stelleninhaber offensichtlich in den Wald geraten; eine Planstelle kam jedenfalls nie an. Diese Planstellen haben uns zwei Sitzungen lang beschäftigt. Karl Deres, du erinnerst dich. Da wir den Heißhunger der Ministerien auf Personal kennen — wir wissen ja nicht, welche Appetitzügler es dafür gibt —, waren wir zusammen mit dem Bundesrechnungshof hartleibig, und, oh Wunder, die Vorlage ist vom Tisch. Uns wurde versprochen, daß die Arbeit in Zukunft klappt. Wir hoffen es, im Sinne des Bundesgesundheitsministeriums.Apropos, weil ich gerade bei dem Thema bin: Der neue Gesundheitsminister bastelt zur Zeit an der Gesundheitsreform Teil 2.
Ein kleiner Tip: Bei der Diskussion mit dem Prüfungsgebietsleiter ist mir klargeworden, daß die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 274 des Sozialgesetzbuches, V. Buch, nicht für die Bundesvereinigung der Kassenärzte und Kassenzahnärzte gilt. Sie alle wissen, warum; ich auch. Es wäre doch zu überlegen, ob diese Ausnahmeregelung noch in die politische Landschaft paßt.Ganz kurz das zweite Beispiel. Im Einzelplan 23 stand die Beratungsstelle in Bad Godesberg auf Anraten des Bundesrechnungshofes zur Disposition: Sie würde nicht wirtschaftlich arbeiten; sie müßte, wenn man die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit zugrunde lege, wieder in das Haus selbst zurückverlagert werden. Danach habe ich selbst nichts mehr verstanden; das war absurd. Die Arbeit wurde eben auf Grund einer Bemerkung des Bundesrechnungshofs aus dem Jahre 1987, die klarmachte, daß die Arbeit im Hause nicht zur Zufriedenheit gelöst werden konnte, ausgelagert und so die Existenz der Beratungsstelle erst gerechtfertigt. Nun sagt derselbe Bundesrechnungshof: Zurück, marsch, marsch! Gegen diese Empfehlung des Bundesrechnunghofs haben wir uns — über alle Fraktionen — einstimmig ausgesprochen.
Wir sind bei der Debatte darauf gekommen — das ist für mich das Schöne in diesem Ausschuß; daran sehen Sie auch, daß selbst Bemerkungen, denen man nicht folgt, unter dem Strich ihr Gutes haben —, vom Haus noch mehr zu verlangen, nämlich die Vorlage eines Konzepts mit der Erweiterung der Kompetenzen für die Beratungsstelle, damit der Bundesrechnungshof nicht sagen kann, sie arbeite nicht zufriedenstellend.Zum Schluß möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen — die Lampe blinkt schon; dies wird wirklich der Schlußsatz, ich schwöre es —, daß sich die Regierung und die Ministerien beim Umgang mit den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes und des Rechnungsprüfungsausschusses nicht das seltsame Demokratieverständnis eines Mitarbeiters aus einem Ministerium — der Name wird nicht verraten — zu eigen machen. Besagter Herr äußerte: „Ich lasse mir von Parlamentariern nicht in die Suppe spucken."
— Du sagst es. Aber wenn ich das sage, bekomme ich noch eine Bemerkung des Präsidenten zu hören.
Ich möchte Sie vor allen Dingen bitten, keinen Meineid zu leisten. Denn Sie haben gesagt, Sie würden schwören, daß dies der letzte Satz war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wage die Versicherung, um beim Bild zu bleiben — ohne mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gesprochen zu haben —: Wir werden so oft und so stark in die Suppe spucken, wie uns die Suppe aus den Ministerien nicht schmeckt.
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Uta TitzeVielen Dank.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Karl Deres das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst die Mitglieder des Haushaltsausschusses entschuldigen, die im Raum NH 2501 weiterarbeiten. Wir sind für die Entlastungsdebatte ausnahmsweise beurlaubt worden.Am Ende dieser Debatte soll das Parlament feststellen, daß die Bundesregierung im Haushaltsjahr 1989 ordnungsgemäß gewirtschaftet hat. Es geht vom Volumen her um die Entlastung hinsichtlich eines Etats von etwa 300 Milliarden DM.
Grundlage unserer Arbeit sind die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes. Das Haushaltsrecht und das daraus abgeleitete Haushaltskontrollrecht ist ein bedeutsames Parlamentsrecht. Das Parlament hat nicht nur die Aufgabe, die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, sondern es muß auch nachträglich kontrollieren, ob die bereitgestellten Gelder wirtschaftlich und sparsam verwendet wurden. Nachträgliche Kontrolle wird auch herablassend als Vergangenheitsbewältigung bezeichnet. Für die Mitglieder dieses Ausschusses ist sie in die Zukunft gerichtete Korrektur und die Erarbeitung von Einsparpotentialen, und mancher würde sich wundern, wenn diese Potentiale nicht zur Verfügung stünden.
Ich stelle immer wieder fest — ich habe das früher sogar beruflich getan —, daß in vielen Lehrbüchern zwar von der Kontrolle der Exekutive durch das Parlament die Rede ist, daß aber die Finanzkontrolle nie als Beispiel genannt wird. Auch die Entlastungsdebatten der zurückliegenden Jahre, an die ich mich erinnere, haben selten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden. Daher haben wir heute morgen in einer Pressekonferenz die Ergebnisse der umfangreichen Beratungen vorgestellt. Wir haben das gemeinsam gemacht, und das wohl erstmalig in den über 40 Jahren der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollten damit gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel allen Bürgern deutlich machen, daß wir mit dem uns anvertrauten Geld sorgfältig umgehen. Es ist deswegen besonders wichtig, daß die Beschlüsse des Rechnungsprüfungsausschusses auf Grund der Bemerkungen des Rechnungshofes beachtet und umgesetzt werden. Auch das kontrollieren wir mit Hilfe des Bundesrechnungshofes.Wir werden deshalb die Feststellungen des Ausschusses zusammen mit den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes — so ist es einmal vorabgesprochen — in Buchform herausheben, damit sie auch greifbarer sind, und wir werden Bemerkungen und Beschlüsse nebeneinanderstellen, damit hier ein besserer Überblick gegeben ist.Der Inhalt der Kontrolltätigkeit des Rechnungsprüfungsausschusses hat sich in den letzten Jahren verändert. Finanzkontrolle besteht nicht mehr nur darin, zu überprüfen, ob die Regierung in der Vergangenheit alles richtig gemacht hat. Sie besteht auch darin, begleitend und damit vorbeugend tätig zu werden. Man soll also nicht erst prüfen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, man soll verhindern, daß es in den Brunnen fällt.
Bei der vorbeugenden Kontrolle sind wir in der Vergangenheit ein gutes Stück weitergekommen, dem einen oder anderen schon zu weit. Über dieses Befinden und die Hintergründe müssen wir uns in Kürze unterhalten. Wir sollten das möglichst bald tun.Wir werden uns über noch etwas Wichtiges zu unterhalten haben. In jüngerer Zeit mehren sich ja die Fälle, in denen bisher vom Staat wahrgenommene öffentliche Aufgaben Privatrechtsträgern übertragen werden. Die Exekutive behält oder verstärkt dabei sogar ihre Entscheidungsmacht, während der Einfluß des Parlaments und die Informationsmöglichkeiten der Finanzkontrolle eingeschränkt werden, obwohl die Finanzverantwortung dann letztlich über die öffentlichen Mittel bei uns bleibt. Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch und meine, daß wir diese Problematik bald aufgreifen und einer angemessenen Lösung zuführen müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch, ohne Strichliste geführt zu haben, sagen, daß wir weit über 90 % der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes durch den Ausschuß zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Dies ist ein überzeugender Beweis für die Qualität der Arbeit des Bundesrechnungshofes.
Lassen Sie mich daher mit allem Nachdruck betonen: Auf Grund unserer langjährigen Erfahrungen im Haushalts- und Rechnungsprüfungsausschuß schätzen wir die sachgerechte Arbeit des Bundesrechnungshofes hoch ein. Ich möchte dem Bundesrechnungshof, all seinen Mitarbeitern und dem Präsidenten, Herrn Dr. Zavelberg, der ja hier anwesend ist, den Dank aller Mitglieder des RPA aussprechen, und ich möchte ihn ermutigen, auf dem eingeschlagenen Weg wirksamer Kontrolle und Beratung im Interesse der Bürger und zum Wohl des Gemeinwesens fortzufahren. Die Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes ist die Voraussetzung für eine glaubwürdige Finanzkontrolle.Danken möchte ich aber auch den Vertretern der Regierung für engagierte Mitarbeit. Bei unseren diesjährigen Beratungen konnten wir feststellen, daß die Verwaltung die Anregungen des Rechnungshofs und die Beschlüsse des Ausschusses überwiegend bereitwillig aufgenommen und umgesetzt hat. Manche haben über unsere Beschlüsse auch geknurrt.
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Karl DeresWir empfinden das jedoch nicht als eine unfreundliche Geste, sondern als eine wohltuende Anerkennung unserer Arbeit.
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Kommen Sie, meine Damen und Herren Minister, bei den kommenden Beratungen einmal selbst zu uns! Das hilft verstehen. Vielleicht können Sie eines Tages auch einmal sagen: Wir nehmen uns ernsthaft vor, einmal an der Entlastungsdebatte dieses Hauses teilzunehmen. Ich meine die Minister. Denn Staatssekretäre sind ja da: etwa der besonders erfahrene auf dem Gebiet der Finanzkontrolle, unser Parlamentarischer Staatssekretär Manfred Carstens, und der sehr erfahrene Parlamentarische Staatssekretär, der es am besten versteht, im Rechnungsprüfungsausschuß die Anliegen der Post zu vertreten; lieber Willi, ich wollte das einmal ausdrücklich sagen.
Herr Kollege Deres, Sie sind ein sehr erfahrener Abgeordneter und haben sicher gemerkt, daß seit fast einer Minute das rote Licht leuchtet.
Wir haben aber die ganze Bonner Stunde noch nicht ausgelastet, Herr Präsident — wenn ich überhaupt so antworten darf.
Lassen Sie mich zum Abschluß kommen und den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß Dank sagen, die mir die Arbeit durch Fairneß und Entgegenkommen erleichtert haben. Für die Zukunft wünsche ich mir, daß die Zusammenarbeit weiterhin so effektiv und menschlich angenehm bleibt. In meinen Dank eingeschlossen sind die Mitarbeiter dieses Ausschusses — einer sitzt auf der Tribüne —, die in unauffälliger Weise den Ausschußmitgliedern bei der Arbeit geholfen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans Georg Wagner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu zwei Punkten Stellung nehmen, und zwar zu Punkt 26 und zu Punkt 12.Bei Punkt 26 geht es um die Steuerstundung eines Bundeslandes zugunsten eines großen Stahlunternehmens in der Größenordnung von 2,3 Millionen DM. Der Bund und das Land haben diesem Unternehmen von 1977 bis 1987 rund 3,2 Milliarden DM an Zuschüssen gegeben. Das Unternehmen stand unmittelbar vor dem Konkurs. Es war die Frage zu entscheiden, ob man durch eine Steuerstundung auf zwei Jahre, die Rechtens ist, die Existenz dieses Unternehmens und damit 18 000 Arbeitsplätze sichern sollte.Ich mache diese Bemerkung deshalb, weil ich anregen möchte, daß man über dieses Problem, das sich zunehmend verschärft, auch in den neuen Bundesländern, miteinander reden muß. Welche Funktion haben Steuern? Steuern sollen, wie der Name schon sagt, steuern, also auch die Wirtschaft steuern. Deshalb muß man die Gegenrechnung aufmachen. Hätte dieses Land zugelassen, daß das Unternehmen mit 18 000 Beschäftigten in Konkurs geht, dann müßte man die Kosten der Arbeitslosigkeit gegen die 2,3 Millionen DM Steuerstundung aufrechnen. Ich finde, die Landesregierung hat richtig entschieden. Das muß natürlich im Rahmen von Recht und Gesetz gehen.
Der zweite Punkt ist, daß wir in zunehmendem Maße mit dem vereinten Europa große Probleme bekommen werden. Das betrifft insbesondere kleine und mittlere Betriebe. Zunächst einmal sind die Belastungen unserer kleinen und mittleren Betriebe in Grenznähe zu nennen. Bei uns kommen 17,45 DM gegenüber 12,04 DM in Frankreich als Kosten auf die Löhne drauf. Das heißt, in Grenznähe wird ein Konkurrenzdenken einsetzen. Das gilt für NordrheinWestfalen genauso wie für das Saarland, für BadenWürttemberg und für Rheinland-Pfalz. Das wird in den nächsten Jahren Probleme aufwerfen. Schon jetzt sind sehr viele kleine und mittlere Unternehmer dabei, über die Grenze zu gehen, dort ihre Betriebe anzumelden und bei uns abzumelden und die Segnungen des dortigen Steuersystems zu übernehmen. Wir müssen aufpassen, daß das nicht zu einem Flächenbrand in der Arbeitsmarktentwicklung unseres Landes wird.Der zweite Punkt ist ein Betrugskandal. Ein renommiertes deutsches Wirtschaftsinstitut mit Sitz in Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, 28 Jahre lang Bundesregierung, Landesregierung, Bundesrechnungshof und Landesrechnungshof hereinzulegen. Sie haben einen Förderverein bei diesem Wirtschaftsinstitut gegründet. Auf den Briefbogen des Instituts hat man bei den Rechnungen an das Wirtschaftsministerium wegen der Bezuschussung die Kontonummer des Fördervereins geschrieben und dadurch dem Förderverein 2,5 Millionen DM zugeführt. Dieser Förderverein hat dann die Gehälter der Vorstandsmitglieder verdoppelt. Statt der ursprünglich zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Unternehmen vereinbarten mit B 3 vergleichbaren Einkommen wurde B 6 ausgezahlt, bis dies 1987 auffiel. Jedenfalls war es interessant, daß dieses Betrugsverfahren so lange, von 1979 bis 1987, also lange Jahre, anhalten konnte.
— Natürlich, das kam noch hinzu. Er wurde als gemeinnützig geführt.Das wäre alles nicht so schlimm, wenn das Bundeswirtschaftsministerium nicht vor Abschluß der staatsanwaltlichen Ermittlungen einen Vergleich über einen gegenüber dem Betrugsbetrag von 2,5 Millionen DM, um den es sich handelt, lächerlichen Betrag geschlossen hätte, nämlich über 50 000 DM. Damit sollte alles vorbei sein — die Begründung ist zum Teil
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Hans Georg Wagnereinleuchtend —, weil man an dem renommierten, weltweit anerkannten Institut nicht kratzen lassen wollte. Für uns Haushälter und für den Bund der Steuerzahler ist ein solcher Vergleich eigentlich nicht hinnehmbar und wurde von uns abgelehnt.Schönen Dank.
Das ist echte Kollegialität, Herr Kollege Deres. Der Kollege Wagner hat die Zeit, um die Sie überzogen hatten, wieder hereingeholt.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1989 sowie zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 1989. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen?
— Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Der Antrag des Bundesministers der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1990 soll gemäß § 95 unserer Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Dagegen erhebt sich ebenfalls kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem
Dritten Gesetz zur Änderung des Marktstrukturgesetzes
— Drucksachen 12/2060, 12/2405, 12/2784, 12/2892 —
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Wird zur Berichterstattung das Wort gewünscht? — Das kann gar nicht sein.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zustimmen wollen, um das Handzeichen.
— Wer stimmt dagegen? — Niemand. Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft und des Fördergesetzes
— Drucksache 12/2694 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/2852 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Jan Oostergetelo
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/2856 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth
Ernst Kastning
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Peter Bleser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Januar 1985 wurde auf Grund eines EG-Beschlusses der die deutsche Landwirtschaft schützende Grenz- und Währungsausgleich innerhalb der EG abgeschafft. Bereits ein halbes Jahr vorher, am 1. Juli 1984, hat die Bundesregierung einen 5 %igen Zuschlag zu der den Landwirten zuerkannten Vorsteuerpauschale von 8 % auf landwirtschaftliche Produkte eingeführt. Damit wurde eine vollständige Kompensation der Einkommensverluste, und zwar produktbezogen, erreicht. Durch die Pauschalierung des Abzugs bei der Mehrwertsteuer- bzw. Umsatzsteuer für die Landwirtschaft konnte dies mit einem Minimum an bürokratischem Aufwand geschehen.Seit dem 1. Januar dieses Jahres darf dieser Ausgleich auf Grund von EG-Beschlüssen nicht mehr über die Umsatzsteuer geleistet werden, sondern nur noch produktionsneutral als direkte Einkommenshilfe. Damit sollen nach Ansicht Brüssels Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EG vermieden werden.Als Bemessungsgrundlage wurde damals die bewirtschaftete Fläche der Betriebe genommen. Nicht zu verkennen ist — das sollte man auch ansprechen —, daß damit je nach Betriebsart und -größe nicht generell von einer einkommensneutralen Ersatzlösung gesprochen werden kann. Umsatzstarke Betriebe mit Spezialkulturen wie Obst- und Weinbau müssen deshalb gegenüber flächenstarken Betrieben bessergestellt werden. Dazu ist ein möglichst hoher Sockelbetrag notwendig. Das haben wir mit einer Mindestentschädigung von 1 500 DM zuzüglich 1 000 DM nach der alten Regelung für Betriebe, deren Betriebsleiter Mitglied der Alterskasse sind und mindestens 5 ha bewirtschaften, erreicht.Meine Damen und Herren, bekanntermaßen wird das Umsatzsteueraufkommen in Deutschland im Verhältnis 65 : 35 zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Deshalb war es nur folgerichtig, daß sich damals der Bund und die Länder entsprechend ihren Mehreinnahmen beim Wegfall von 2 % — heute sind es 3 % — Vorsteuerabzug an der Finanzierung der Ausgleichszahlungen beteiligt haben. Dies waren seit der Einführung der ersten Ausgleichszahlung am 1. Januar 1989 mit 90 DM je ha mindestens 1 000 DM, höchstens 8 000 DM je Betrieb.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8185
Peter BleserNachdem der EG-Ministerrat nunmehr nach langen, zähen Verhandlungen für 1992 eine Fortsetzung des sogenannten soziostrukturellen Ausgleiches in der Landwirtschaft gestattet hatte, legen sich die SPD-geführten Länder quer. Sie wollen sich an der Finanzierung der jetzt möglichen flächenbezogenen Leistung von zusätzlich 150 DM je ha, mindestens 1 500 DM und maximal 16 000 DM je Betrieb, nicht beteiligen.Die CDU/CSU-F.D.P.-Koalition jedenfalls wird mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft ihren Teil an der Zahllast erfüllen. Die höheren Umsatzsteuereinnahmen aus der Landwirtschaft werden damit den Landwirten und Winzern als Ausgleichszahlungen wieder zurückgegeben.Aber nicht nur der Bund, sondern auch die Länder haben jetzt wegen der nur noch 8%igen anstatt vorher 11%igen Vorsteuerpauschale, die den Landwirten vom Fiskus gewährt wird, rund 770 Millionen DM Mehreinnahmen. Dies ist Geld, das den Bauern zusteht. Die SPD-Länder aber wollen es als unerwartete, willkommene Haushaltsverbesserung verbuchen. Wie ein solches Verhalten von den Bauern kommentiert wird, möchte ich auf Grund der Gefahr einer Rüge durch den Präsidenten hier nicht wiederholen.
Meine Damen und Herren, es ist legitim, wenn um das Steueraufkommen zwischen Bund und Ländern heftig gestritten wird und dabei auch Abhängigkeiten und andere Druckmittel zur Durchsetzung der Forderungen eingesetzt werden. Im Rahmen des Steueränderungsgesetzes ist dies aber mit einer einvernehmlichen Regelung, die den Ländern ab 1993 2 Prozentpunkte mehr vom Umsatzsteueraufkommen zubilligt, geschehen. Damit ist jedenfalls das Argument, ein Faustpfand für Verhandlungen zu haben, weggefallen.Was die Länder — ich muß sagen: die SPD-geführten Länder — vorhaben, sich nämlich an der für die Senkung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft von 11 auf 8 % vorgesehenen Ersatzlösung nicht zu beteiligen, ist für mich eine kalte Bereicherung um 770 Millionen DM auf Kosten der Bauern.
Ich frage die Opposition, ob sie sich in den Gemütszustand einer Bauernfamilie hineinversetzen kann, die mit ansehen muß, wie bei ständig sinkendem Einkommen, hoher Arbeitsbelastung und wenig Freizeit von den Ländern über Monate hinweg ein Poker um die Höhe der Ausgleichszahlungen veranstaltet wird. Was soll ein Bauer von der Zuverlässigkeit direkter Einkommenshilfen halten, die die Landwirtschaft an Stelle kostendeckender Preise zukünftig in Deutschland und in der EG erhalten soll, wenn selbst eine nur für ein Jahr geltende Regelung über Monate umstritten ist und vielleicht überhaupt nicht einvernehmlich zustande kommt?
Es ist sogar zu befürchten, daß erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen Betrieben mit Sitz inunterschiedlichen Bundesländern entstehen. Der eine erhält den Bundesanteil von 89 DM und der andere, der auf Grund seiner Geburt in einem unionsregierten Land wohnt, den Höchstbetrag von 150 DM je ha.
— Das ist eine gute Geburt; und er kann sich glücklich schätzen, daß er alles getan hat, damit in seinem Bundesland eine CDU-Regierung die Geschäfte führt.
Wie wollen Sie damit — das muß ich die Damen und Herren von der SPD fragen — das Vertrauen in die Politik stärken, das in den letzten Wochen als zunehmend gefährdet erscheint?Sie haben im Ausschuß einen Änderungsantrag auf der Ausschußdrucksache 12/255 eingebracht, in dem Sie die Ausgleichsleistungen für Landwirte mit positiven Einkünften ab 120 000 DM im Durchschnitt der letzten drei Jahre ausschließen wollen.Über Ihren zweiten Antrag, die Herabsetzung von Dungeinheiten von drei auf zweieinhalb je ha, könnte man ja reden. Ich meine, dies erübrigt sich aber, da ohnehin im Rahmen der EG-Agrarreform und einer neuen Düngemittelanwendungsverordnung voraussichtlich im nächsten Jahr wesentlich strengere Regelungen gefunden werden.Ich meine auch, daß es nicht fair ist, so kurzfristig die Rahmenbedingungen zu verändern; denn als Betriebsleiter kann man nicht mehr entsprechend reagieren.Zu Ihrem Wunsch nach einer Einkommensobergrenze stelle ich fest, daß dies ein weiteres Beispiel dafür ist, daß die SPD den Landwirten nur sozial initiierte Ausgleichsleistungen gönnt. Dies bedeutet nichts anderes, als daß Unternehmertum, Tüchtigkeit und Fleiß nach Ihren Vorstellungen in Zukunft nicht mehr die entscheidenden Faktoren zur Erzielung angemessener Einkommen sein sollen.
Ab einer gewissen Höhe kommt für Sie der Deckel auf das landwirtschaftliche Einkommen. Dies haben Sie auch bei einer Entschließung zu den GATT-Verhandlungen Ende letzten Jahres gefordert, wo Sie — wörtlich — sozial initiierte, direkte Hilfen als Ausgleich für Weltmarktpreise forderten. Ihr Vorschlag trifft gerade die leistungsfähigen Betriebe mit guten Zukunftsaussichten.Die Bauern werden verbittert sein — jedenfalls die, die hierfür in Frage kommen —, weil sie für gute Betriebsführung im nachhinein bestraft werden. Das ist mit uns nicht zu machen.Meine Damen und Herren, wie sollen die Betriebe — gerade in den neuen Bundesländern —, die in der Regel ihren gesamten Gewinn investieren müssen, mit dieser Grenze leben? Gewinne und positive Einkommen sind nicht mit dem für private Zwecke zur Verfügung stehenden Einkommen gleichzusetzen. Das wissen viele von Ihnen nicht, die diese Forderung
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Peter Blesernach Begrenzung der Einkommen nach oben für populär halten.Wir gestehen einkommensunabhängig jedem Betrieb mindestens 2 500 DM und maximal 24 000 DM — diese werden bei 107 ha erreicht — zu. Wir lehnen deshalb Ihre Änderungsvorschläge nach einer zusätzlichen einkommensbezogenen Obergrenze ab.Im übrigen — auch das sollte hier in der Debatte gesagt werden — gilt immer noch der Koalitionsbeschluß, nach dem die Bundesmittel über 1992 hinaus der Landwirtschaft EG- und GATT-konform erhalten bleiben sollen. Ich empfehle den Bundesländern diesen Beschluß zur Nachahmung.An dieser Stelle, glaube ich, ist es auch angebracht, dem Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle dafür zu danken, daß er die jetzige Regelung in Brüssel durchsetzen konnte. Ich verbinde diesen Dank mit dem Wunsch, daß es ihm gelingt, auch die Akzeptanz für eine Folgeregelung im nächsten Jahr in Brüssel zu finden.Lassen Sie mich mit einem Appell schließen: Tragen Sie durch Ihre Zustimmung dazu bei, daß der deutschen Landwirtschaft noch in diesem Jahr insgesamt 2,2 Milliarden DM als direkte Unterstützung zukommen! Der Bund hat hierfür 1,43 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Davon sind 390 Millionen DM für die neuen Länder vorgesehen. Sie sollen dort über die Erhöhung der Anpassungshilfe gezahlt werden. Helfen Sie mit -- das ist ganz besonders eine Aufforderung an Sie, verehrte Kollegen in der SPD —, daß alle Bundesländer ihren Anteil in Höhe von 770 Millionen DM — davon 560 Millionen DM in den alten Bundesländern — für die soziostrukturellen Einkommensleistungen bereitstellen! Sie würden damit etwas für die Sicherung der Ernährung und für den Erhalt unserer Landwirtschaft tun. Vor allem aber würden wir den in der Landwirtschaft tätigen Menschen die Solidarität der gesamten Gesellschaft zuteil werden lassen. Ich glaube, dies haben die Bauern gerade jetzt bitter nötig.Vielen Dank.
Herr Kollege Jan Oostergetelo, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit notwendigen Maßnahmen — der Ausdruck paßt gut: die Not wendend — für unsere Landwirtschaft in Ost und West. Daran gibt es keinen Zweifel. Wir wollen keine Verzögerung, wir wollen diese Hilfen.
Die Einkommen der deutschen Landwirte sind in den letzten Jahren enorm gesunken und liegen in der unteren Hälfte der Einkommensskala in der Gemeinschaft. Gemessen an der Kaufkraft liegen sie im EG-Vergleich laut den Buchführungsergebnissen von Haupterwerbsbetrieben an siebter Stelle, laut der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung an vorletzterStelle vor den Portugiesen, meine Damen und Herren.
Das haben nicht wir Sozialdemokraten errechnet oder erfunden; das hat der Deutsche Bauernverband in diesen Tagen bundesweit verbreitet. Das ist doch in Wahrheit das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung. Das sind Fakten.
Konsequenzen in vielerlei Hinsicht sind überfällig. Angesichts dieser verheerenden Einkommenslage unterstützen wir Sozialdemokraten voll, was die Ministerpräsidenten der Länder
und der Bundesrat am 4. Dezember 1991 und am 15. Mai 1992 eindeutig bekräftigt haben, nämlich — ich zitiere —, „daß eine ersatzlose Streichung des bis Ende 1991 möglichen Vorsteuerabzuges in Höhe von 3 % die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe gefährden würde. Eine modifizierte Aufstokkung des soziostrukturellen Einkommensausgleiches in den alten Ländern und der Anpassungshilfen in den neuen Ländern ist notwendig", und zwar bis die EG-Maßnahmen greifen.Mit dem Gesetzentwurf schafft die Bundesregierung möglicherweise im Ergebnis zwei Klassen von Bauern. Mobilität und Flexibilität helfen da nicht. Unsere Bäuerinnen und Bauern können nicht einfach ihren Standort wechseln und in ein anderes Bundesland ziehen.
Das haben Sie zu Recht gesagt.
Gerade agrarisch geprägte Bundesländer sind aus bekannten Gründen überwiegend finanzschwach. Die Bäuerinnen und Bauern dieser Länder haben möglicherweise das Nachsehen, und zwar deshalb — das haben Sie nicht gesagt —, weil diese Bundesregierung nicht auf Ausgleich getrimmte Verhandlungen geführt hat, um den agrarisch geprägten armen Ländern entgegenzukommen.
Die Absicht der Bundesregierung, den Sockelbetrag der Ausgleichszahlungen zu 100 % aus Bundesmitteln zu finanzieren, wirkt ebenfalls zuungunsten finanzschwacher, stark
agrarisch geprägter Länder. Allein das Flächenland Niedersachsen muß mit Mehrbelastungen von über 30 Millionen DM rechnen.Gleiches gilt im Hinblick auf die neuen Länder. Bisher werden die Anpassungshilfen zu 100 % aus der Bundeskasse finanziert. Jetzt sollen die neuen Länder 35 % der Kosten tragen. Und jeder weiß, daß die öffentlichen Kassen in allen neuen Bundesländern leer sind, daß Aufgaben in Hülle und Fülle zu erledigen sind und daß die Arbeitslosigkeit steigt. Das heißt, daß die neuen Länder sich 210 Millionen DM auf dem
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Jan OostergeteloKreditweg besorgen müssen, wodurch der Kapitalmarkt zusätzlich belastet wird und die Zinssteigerungstendenzen verstärkt werden. Aber es ist ja nicht neu, daß die Bundesregierung der größte Zinstreiber aller Zeiten ist.
Der soziostrukturelle Einkommensausgleich ist keine Maßnahme der Agrarstruktur, sondern ein Element der sozialen Sicherung der Beschäftigten in der Landwirtschaft. Das aber ist unbestritten reine Bundesaufgabe. Franz Josef Strauß war 1988 ebenfalls dieser Meinung.
Jetzt haben die Bundesregierung und die Regierungsparteien das offensichtlich vergessen.
Sie haben fahrlässig gehandelt, meine Damen und Herren.Ich verweise noch einmal auf den Bezug, den der Deutsche Bauernverband zwischen der unzureichenden Einkommensentwicklung der deutschen Landwirtschaft, der Aufwertung der DM sowie dem Abbau des Währungsausgleichs herstellt. Was liegt da näher, als die währungsbedingten Bundesbankgewinne, die reichlich sprudeln, für die Finanzierung des Einkommensausgleichs heranzuziehen?
Wir Sozialdemokraten wollen angesichts der vielen vor uns stehenden Aufgaben nicht nur im Bereich der Landwirtschaft, sondern auch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Zahl von Sozialhilfeempfängern mit unserem Änderungsantrag einen Beitrag zur Lösung der von mir angeschnittenen Probleme leisten.Wir fordern Sie auf, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, gemeinsam mit uns wie bei anderen Förderungsmaßnahmen, z. B. der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", Einkommensgrenzen von 120 000 DM positiven Gesamteinkünften im Gesetz aufzunehmen.
Wem wollen Sie denn klarmachen, daß bei leeren öffentlichen Kassen Verbandsfunktionäre, Ärzte, aber auch Bundestagsabgeordnete, die auch Landwirtschaft treiben — haben Sie keine Sorge, Herr Vorsitzender, ich nehme auch Sie und mich da nicht aus —, zusätzlich mit Einkommensübertragungen gesegnet werden sollen? Wenn wir Hilfen langfristig sichern wollen, dürfen wir hier keinen Selbstbedienungsladen einrichten.
Herr Bleser, das Neidgerede über die Obergrenzen ist in den Ostgebieten überhaupt nicht angesagt. Es ist nicht in Ordnung, daß Höchstbeträge von 16 000 oder 24 000 DM unabhängig vom Gesamteinkommen undunabhängig vom tatsächlichen Mehrwertsteuerverlust gezahlt werden sollen. Schon 1989 haben Sie die Konzentration dieser Hilfen auf die bäuerlichen Betriebe abgelehnt, obwohl Sie das Gesetz so genannt haben. Das ist Etikettenschwindel.
Das wollen Sie jetzt wieder machen. Es geht um 2 500 DM für flächenarme Betriebe. Sie, Herr Bleser, wissen genauso gut wie ich: Wer von den Kleinbetrieben noch lebt, muß intensive Viehhaltung und relativ viel Umsatz haben, sonst kann er nicht existieren. Aber man kann sie schwerer schlucken, wenn man ihnen auch etwas abgibt.Wir wollen die eingesparten Gelder auch für die Aufstockung der Bundesmittel in den neuen Ländern verwenden. Wir fordern Sie auf, auch diesem Teil unseres Änderungsantrages zuzustimmen. Damit leisten Sie einen Beitrag zur Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in den neuen Ländern.Darüber hinaus dürfen wir auch mit diesem Gesetz keine falschen Signale setzen. Die bisher im Gesetz verankerte Grenze von 3 Dungeinheiten je Hektar ist zu hoch und von keinem verantwortlichen Wissenschaftler, Politiker oder Berater zu akzeptieren. Andere Regelungen, wie Sie sie im Düngemittelanwendungsgesetz oder in der EG-Nitratrichtlinie haben, sind viel umweltfreundlicher.Zusammenfassend betone ich: Wir Sozialdemokraten tragen Ihren Gesetzentwurf mit, wenn Sie unserem Änderungsantrag zustimmen.
Ich betone aber gleichzeitig, daß eine nicht mit den Ländern vorher konsensfähig abgestimmte Agrarpolitik ein Ende haben muß.EG-Agrarreform, ein möglicher GATT-Abschluß und die Umstrukturierungsprobleme in der Landwirtschaft der neuen Länder verlangen endlich ein Gesamtkonzept zur Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume. Ob der Gesetzentwurf hierzu und zu einer umweltverträglicheren Landbewirtschaftung, aber auch angesichts der Finanzierungsregelungen zur Entwicklung der ländlichen Räume in stark agrarisch geprägten Ländern beiträgt, bleibt mehr als fraglich.Realisieren Sie doch endlich Ihre Versprechungen! Legen Sie das in den Koalitionsverhandlungen angekündigte Konzept für den ländlichen Raum vor! Nach unserer Auffassung muß es Ziele und Maßnahmen für die Landwirtschaft und alle übrigen Wirtschaftsbereiche gleichermaßen umfassen. Angesichts der Probleme in unseren ländlichen Räumen ist dies mehr als überfällig.Alle Jahre ist Rückgang zu verzeichnen, alle Jahre ist mehr Hilfe notwendig. Aber immer bezeichnen Sie Ihre Agrarpolitik als erfolgreich. Fangen Sie doch endlich an, Gesamtkonzepte zu entwickeln und die Hilfen wenigstens denen zu geben, die sie bitter nötig haben!
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Jan OostergeteloVielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Heinrich.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dem Kollegen Oostergetelo ist es nicht gelungen, die Quadratur des Kreises hier vorzuführen, wenn er auf der einen Seite beklagt, daß es der Landwirtschaft schlecht geht, und auf der anderen Seite die SPD-Landesregierungen nicht bereit sind, die entsprechenden Zahlungen aufzubringen.
Zunächst möchte ich mich ganz herzlich beim Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle bedanken. Ich hoffe, Herr Staatssekretär Haschke, Sie überbringen ihm meinen Dank. Seinem Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, daß für 1992 die 3%ige Kürzung der Umsatzsteuerschuld, die unseren Landwirten bis zum 31. Dezember 1991 als Ausgleich von Einkommensverlusten auf Grund von Änderungen der landwirtschaftlichen Umrechnungskurse im europäischen Währungssystem gewährt wurde, nun für das Jahr 1992 in anderer Form erhalten bleiben konnte.
Die jetzt gefundene Regelung zur Fortführung des Einkommensausgleichs findet ausdrücklich unsere Zustimmung. Sie knüpft an bestehende Systeme des soziostrukturellen Einkommensausgleichs in den alten Bundesländern und die Anpassungshilfen in den neuen Bundesländern an. Durch diese Aufstockung bewährter Systeme wird jener zusätzliche bürokratische Aufwand vermieden, der bei Einrichtung eines neuen Fördersystems erforderlich gewesen wäre. Hiervon hat Kollege Oostergetelo überhaupt nichts gesagt. Er möchte ein ganz neues System einführen.
Die Minimierung des bürokratischen Aufwands ist um so bedeutungsvoller, als sich aus den Beratungen im Ministerrat schon jetzt ergibt, daß es sich voraussichtlich nur um eine einjährige Maßnahme handelt.
Einen Moment, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, noch hat der Kollege Heinrich das Wort. Ich bitte, ihm zuzuhören. Wenn Sie Gespräche führen wollen, tun Sie das außerhalb des Plenums. Was die namentliche Abstimmung betrifft, sage ich im Anschluß an diesen Tagesordnungspunkt ein paar erklärende Worte.
Wir wissen, daß die Form von Beihilfen, wie wir sie jetzt, in diesem Jahr, noch einmal genehmigt bekommen, in der Zukunft im Europäischen Ministerrat keine Chance mehr hat. Deshalb müssen wir uns sehr genau überlegen, ob wir
wegen des einen Jahres zusätzliche Bürokratien aufbauen wollen.
In diesem Jahr ist die Ausschüttung der an die Fläche und nicht an die Produktion gebundenen Bundesmittel an die deutschen Bauern gesichert, soweit es eben um die Bundesmittel geht. Besser wäre es gewesen, wenn sich die Bundesländer von vornherein an der Finanzierung durch Bund und Länder im Verhältnis 65:35 beteiligt hätten.
Die ursprüngliche Finanzierung, eine Beihilfe in Form einer Kürzung der Umsatzsteuerschuld, wurde ja bekanntlich damals von den SPD-regierten Ländern mitgetragen.
Daher ist es auch wenig plausibel, Herr Kollege Oostergetelo, daß diese Länder jetzt zwar die volle Mehrwertsteuer einstreichen, sich aber an der geänderten Finanzierung über den soziostrukturellen Einkommensausgleich nicht mehr beteiligen wollen. So sieht es nämlich in der Realität aus.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Gern.
Herr Kollege Heinrich, teilen Sie mit mir den Eindruck, daß die SPD-geführten Länder sich jetzt, weil sie das Geld nicht ausgeben, am Geld der Bauern bereichern?
Genauso ist es. Denn die Mehrwertsteuer wird zwar eingenommen, aber bei der Möglichkeit, die wir im Gesetz verankert haben, nämlich von einer entsprechenden Ermächtigung Gebrauch zu machen, hält man sich vornehm zurück. Aber ich komme auf diesen Tatbestand zurück.Für die Landwirte in den alten Bundesländern bedeutet das konkret, daß der zusätzliche einheitliche Flächenbetrag auf 89 DM je Hektar der landwirtschaftlich genutzten Fläche, der zusätzliche Mindestbetrag auf 1 500 DM und der zusätzliche Höchstbetrag auf 9 490 DM je Begünstigten festgelegt wird. Durch die Aufstockung durch die Bundesländer können sich der Flächenbetrag auf 150 DM pro Hektar und der Höchstbetrag auf 16 000 DM erhöhen. Jeder Landwirt kann also nachlesen, was er hier zu erwarten hat.Ich kann nur hoffen, daß sich insbesondere die SPD-geführten Landesregierungen noch eines Besseren besinnen — ich gebe die Hoffnung noch nicht auf — und von der im Gesetz vorgesehenen Ermächtigung der Länder Gebrauch machen werden. Aber wenn's ans Zahlen geht, werden so manche hehren Grundsätze über Bord geworfen. Das erleben wir, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, auch heute wieder.In den neuen Bundesländern kann mit diesem Fördergesetz eine zusätzliche Anpassungshilfe ge-
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Ulrich Heinrichwährt werden, die diese dringend brauchen; denn die Umstellungsschwierigkeiten von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft sind noch lange nicht bewältigt.Insgesamt ist dies also eine vernünftige gesetzliche Regelung.Aber bei weitem nicht so vernünftig wäre dieses Gesetz geworden, wenn wir den Anträgen der SPD gefolgt wären. Lassen Sie mich hierzu noch ein paar Sätze sagen: Die von der SPD geforderte Fördergrenze von 120 000 DM an positiven Einkünften zeigt deutlich, daß man alte Neidkomplexe bei den Sozialdemokraten bei weitem noch nicht abgelegt hat und entwicklungsfähige und in einem europäischen Markt wettbewerbsfähige Betriebe mit allen Mitteln zu verhindern sucht.
Zudem würde eine Umsetzung der SPD-Anträge einem unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand Tür und Tor öffnen. Das wäre auf Grund der kurzen Zeitspanne bis zur notwendigen Umsetzung nicht realisierbar und — da es sich bei diesem Ausgleich um eine Übergangsregelung handelt — auch in keiner Weise akzeptabel. Mit ihren Überlegungen hätte die SPD nicht nur dem deutschen Bauern, sondern auch dem Steuerzahler wahrlich einen Bärendienst erwiesen.Wenn dieses Gesetz aber nur eine Übergangsregelung ist, dann sollten wir jetzt auch Gedanken über eine Anschlußlösung anstellen.
In den Koalitionsvereinbarungen haben wir festgelegt, daß die Mittel unseren Bauern EG- und GATT-konform erhalten bleiben sollen. Meiner Ansicht nach gibt es noch Bereiche, in denen die EG uns nationalen Gestaltungsspielraum zur Stützung unserer heimischen Landwirtschaft einräumt. Ich denke hier z. B. an die Agrarsozialpolitik, —
Bitte, keine Beispiele mehr! Sie sind schon weit über die Redezeit.
— wo noch so manches im argen liegt, vor allem im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Auch die Gemeinschaftsaufgabe z. B. bietet noch finanziellen Gestaltungsspielraum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verabschieden heute ein Gesetz, das deutlich macht, daß diese Regierung die Bauern nicht im Stich läßt. Ich hoffe, daß die Landesregierungen ihren Teil dazu beitragen werden.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die Kollegin Ingeborg Philipp hat gebeten, ihrenRedebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll geben zu dürfen.*)
Dies ist zwar ein bei mancher Debatte sehr erwünschter Vorgang, gleichwohl eine Abweichung von der Geschäftsordnung. Deshalb muß ich Sie um Ihre Zustimmung bitten. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Das ist so beschlossen.Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/2694 und 12/2852 in der Ausschußfassung.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2894 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Verwaltungshilfe— Drucksache 12/2779 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/2861 —Berichterstattung:Abgeordnete Ulrich KlinkertDr. Liesel HartensteinGerhard Rudolf BaumEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb sogleich zur Einzelberatung und Abstimmung.Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/2861, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.*) Anlage 2
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Vizepräsident Hans KleinWir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung.Ich bitte diejenigen die zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Übereinkommens vom 22. März 1974 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets
— Drucksache 12/2659 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/2902 —Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Ehlers Dietmar SchützJosef GrünbeckEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb sogleich zur Abstimmung.Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/2902, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer will dagegen stimmen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dieser Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur vereinbarten Debatte zur Menschenrechtspolitik — Drucksachen 12/1756, 12/2857 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl LamersKarsten D. Voigt
Ulrich IrmerNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich darf Sie darauf hinweisen, daß ein von 43 Kollegen unterzeichnetes Verlangen auf namentliche Abstimmung vorliegt. Darüber wird nach dem Ende der Aussprache entschieden.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Karl Lamers das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Frage, die wir heute zu entscheiden haben, geht es nicht um die Alternative Geschäft oder Menschenrechte, Moral oder Interesse.
Herr Kollege Lamers, eine kleine Sekunde.
Meine Damen und Herren, wir behandeln im Moment ein besonders ernstes Thema, das viele Menschen bewegt. Ich plädiere sehr dafür, daß wir auch durch die Art des Verhaltens in diesem Haus dieser Tatsache Rechnung tragen.
Bitte, fahren Sie fort.
Ich wiederhole: Bei der Frage, die wir heute zu entscheiden haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es nicht um die Alternative Moral oder Interesse, Geschäft oder Menschenrechtspolitik, sondern es geht allein um die Frage, wie wir unserer Außenpolitik eine moralische Fundierung geben, wie wir das Verhältnis zwischen Innenpolitik und Außenpolitik betrachten und auf welche Gruppen in unserem Land wir Rücksicht nehmen.Es geht um die Methode, und ich will gleich vorweg sagen: Jeder ernsthafte Versuch, Menschenrechte zur Grundlage unserer auswärtigen Beziehungen zu machen, jeder Versuch, gleich wie er geartet ist, muß in ein Dilemma führen. Es gibt dafür viele historische Beispiele.
Niemand wird behaupten wollen und niemand hat behauptet, daß die Beibehaltung unserer Beschlußlage vom Oktober 1990 einen erkennbaren Einfluß auf die chinesische Innenpolitik nehmen konnte.Unübersehbar aber ist in unserem Land für eine Gruppe die Beibehaltung dieser Position gewissermaßen eine Probe auf die Glaubwürdigkeit unserer Menschenrechtspolitik. Ich akzeptiere dies.Zugleich aber bitte ich alle, die so denken, sich zu fragen, ob dies eigentlich der richtige Test ist, wenn meine zuvor gemachte Aussage zutrifft, daß das angewendete Mittel, in diesem Fall die Verweigerung bestimmter günstiger Bedingungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China, offenkundig nicht wirkungsvoll ist.Es kann dies um so weniger der Fall sein, als alle anderen westlichen Partner ihre nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens gegen China ergriffenen zeitweiligen Sanktionen längst über Bord geworfen haben.Ich weiß sehr wohl, daß dies nicht das ausschlaggebende Argument sein kann. Aber ich bitte zu bedenken, daß unser politischer Einfluß auf China notwendigerweise geringer, wenn nicht sogar wirkungslos wird, wenn wir als einzige der westlichen Industrienationen in dieser mittlerweile tatsächlich isolierten Position verharren.
Eine realistische Analyse zeigt, daß wir allein bei weitem nicht bedeutend genug sind, um auf China und seine Politik einen wesentlichen Einfluß ausüben zu können.
Andererseits ist nicht zu übersehen, daß für die ostdeutschen Werften ein in der Tat nicht unbedeu-
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Karl Lamerstender Auftrag zur Debatte steht und damit übrigens eine andere innenpolitische Gruppe, nämlich vor allem die Arbeitnehmer in dieser Region, betroffen ist.Da den Regierungsfraktionen das richtig erscheint, was ich soeben — nicht ohne auf Widerspruch in den eigenen Reihen zu stoßen; ich weiß das sehr wohl — gesagt habe, halten wir es für angebracht, der Bitte der Regierung insofern zu entsprechen, als wir den Beschluß vom Oktober 1990 zwar nicht aufheben, ihn aber zunächst einmal bis zum Ende dieses Jahres suspendieren.Dieser Weg erschien uns gegenüber der völligen Abkehr von unserer Beschlußlage um so angemessener, als nicht nur die noch erforderliche Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft aussteht, sondern vor allem, weil die Lage in China offenkundig in Bewegung ist, ja ein Machtkampf offensichtlich im Gang ist, der auf dem Parteitag gegen Ende dieses Jahres entschieden werden wird.Dabei stehen die Zeichen für eine nicht nur wirtschaftliche, sondern über kurz oder lang auch politische Reform nach meiner Überzeugung gut.Der Generalsekretär der chinesischen Kommunisten hat soeben in einer bedeutungsvollen Grundsatzrede sehr aufschlußreiche Ausführungen gemacht. Indem er zur Unterstützung der Reformvorschläge von Deng Xiao-Ping aufgerufen hat, hat er gesagt, die angestrebte Befreiung der Produktivkräfte sei nicht mit einzelnen kleineren Korrekturen zu erreichen, vielmehr müsse die Reform des von inneren Widersprüchen und Erstarrung bedrohten Wirtschaftssystems den Charakter einer Revolution annehmen. Gleichzeitig hat er gesagt, man müsse sich die kapitalistischen Erfolgsrezepte zu eigen machen. Aber er hat auch gesagt: Keine politischen Reformen! Er will das System stabilisieren.Aber offensichtlich hat Jiang Zemin nicht begriffen, daß das kapitalistische Erfolgsrezept einen ganz einfachen Namen trägt: den Namen Freiheit.
Und Freiheit läßt sich jedenfalls auf Dauer nicht auf wirtschaftliche Freiheit begrenzen.
Sie schließt politische Freiheit notwendig ein.
Daran ändert auch der zugegebenermaßen andersartige kulturelle Hintergrund Chinas nichts. Denn es gilt auch der Satz: Nichts ist dem Menschen ähnlicher als der Mensch.Ich verstehe sehr wohl die chinesischen Befürchtungen vor einer Wiederholung dessen, was sie in der früheren Sowjetunion — nicht ohne Grund — als Chaos empfunden haben. Aber ist nicht gerade die Entwicklung in der früheren Sowjetunion, in Rußland, ein Beweis dafür, daß verspätete politische Reformen zu einem Chaos führen müssen?
Wir müssen der chinesischen Führung mit Nachdruck sagen: Wenn ihr wirtschaftlich Erfolg haben wollt, worin ihr unsere Unterstützung findet, dann müßt ihr, schon um eine Revolution zu verhindern, rechtzeitig politische Reformen durchführen.Es ist meine tiefe Überzeugung, daß schon heute viele Mitglieder der chinesischen Führung dies begriffen haben und nur noch nicht wagen, es offen zu sagen. Es wäre ein richtiges Signal, wenn wir ihnen jetzt sagten: Gut, wir wollen euch einen Schritt entgegenkommen und diese Restriktionen in unseren bisherigen Beziehungen zu euch gewissermaßen versuchsweise aufgeben in der Hoffnung, daß ihr, nicht zuletzt auf eurem Parteitag, die Weichen in die richtige Richtung stellen mögt.Am Ende dieses Jahres hätten wir, da wir dann klarer sehen, gerade auf Grund dieses Suspendierungsbeschlusses, eine hervorragende Grundlage für eine grundsätzliche, umfassende und nicht nur auf China konzentrierte und dadurch isolierte Diskussion über Moral und Interesse, Außenpolitik und Menschenrechtspolitik. Ich freue mich darauf.
Ich erteile dem Abgeordneten Karsten Voigt das Wort.
Herr Lamers, wir kennen einander lange und gut genug, so daß Sie wissen: Ich bin der letzte, der gegen eine realistische Politik, eine Realpolitik gegenüber der Volksrepublik China ist.Aber ich bin gegen eine Politik, die um unbestimmter außenpolitischer Zielsetzungen willen und — in diesem Falle, glaube ich, stimmt das — geschäftlicher Beziehungen wegen die menschenrechtliche Lage in einem Land anders, als sie tatsächlich ist, darstellt, nämlich verschönernd und verharmlosend.
Ich bin nicht der Meinung, daß man in der Außenpolitik in bezug auf die Moral nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Denn man muß abwägen.Aber auf eine ganz andere Weise, als Sie es hier dargestellt haben, ist die Frage durchaus auch eine moralische. So erinnere ich mich sehr wohl noch daran, wie zu der Zeit der Ereignisse am TiananmenPlatz gerade Vertreter Ihrer Fraktion — damit meine ich gar nicht Sie persönlich — in einer Art und Weise aufgetreten sind, die ich damals schon als überzogen ansah, und sagten: Was immer jemals geschehen wird: Wenn die Menschenrechte in China nicht beachtet werden, werden wir diesmal — und das versprechen wir hoch und heilig — nicht einknicken, sondern bei unserer scharfen Sanktionspolitik bleiben.
Da frage ich: Wer war in der Beurteilung dieser Frage realistischer: diese Abgeordneten auch aus der Führungsspitze Ihrer Fraktion, die dies dem deut-
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Karsten D. Voigt
schen Volk und den chinesischen Bürgerrechtlern vesprochen haben,
oder die chinesischen Politiker, die mit dem Umschwenken und Einknicken Ihrer Politiker gerechnet haben? Diese Art von großen Versprechungen — ich sage ganz offen: diese Art von Maulheldentum in bestimmten Situationen —,
die später nicht mehr ernstgenommen werden, muß zur Politikverdrossenheit beitragen. Und das ist allerdings eine Frage der Moral.
Herr Kollege Voigt, darf ich Sie unterbrechen. — Meine Damen und Herren, es ist zweierlei, ob eine Debatte sehr lebhaft abläuft, weil sich das Plenum mit dem Redner auseinandersetzt, etwa mit Zwischenrufen, oder ob ein Redner durch einen ganz hohen Geräuschpegel von zig Gesprächen, die am Rande geführt werden, gestört wird. Ich bitte Sie herzlich, dem Redner zuzuhören und auch ein bißchen dem Ernst dieser Debatte Rechnung zu tragen. — Bitte fahren Sie fort.
Wenn der Antrag, den die Koalitionsfraktionen hier eingebracht haben, heute mit Ihrer Mehrheit durchkommt, dann bedeutet das eine Bankrotterklärung für die Politik, die Sie vor zwei Jahren selber beschworen haben,
und dann bedeutet das auch eine Ohrfeige für den Entwicklungsminister Spranger, der für eine gegenteilige Politik eingetreten ist.
Ich weiß, daß eine Reihe von Kollegen der CDU/ CSU die Haltung, die Sie hier eben vertreten haben, selber kritisieren. Ich bin gespannt, ob Sie selber in der Debatte nachher dazu stehen.Ich finde Ihre Gründe für die Änderung der Haltung nicht überzeugend. Es gibt in China Änderungen positiver Art in der ökonomischen Sphäre, es gibt auch Anzeichen bestimmter Art in der politischen Sphäre. Es gibt aber keine irgendwie auch nur akzeptable Rechtssicherheit, und es gibt auch keine Hinweise auf eine grundlegende Demokratisierung.
Im Unterschied zur Sowjetunion gibt es dort den Versuch der Perestroika, des wirtschaftlichen Wandels, ohne eine politische Demokratisierung und ohne Glasnost. Es ist für uns nicht akzeptabel, daß dies verharmlost wird.Das kann übrigens auf Dauer nicht gutgehen, es wird zu Unruhen führen. Deshalb sind gerade wir, die wir an Stabilität im Reformprozeß interessiert sind, gegen diese Politik der chinesischen Führung.Wir haben wie Sie Informationen über die Menschenrechtslage in China: Es sind nach wie vor viele der Leute inhaftiert, die damals im Zusammenhang mit der Demokratiebewegung und ihrer Niederschlagung festgenommen worden sind. Viele sind zum Teil noch ohne Anklage oder ohne Gerichtsverfahren in Haft. In nahezu allen Strafverfahren sogenannter schwerwiegender Fälle werden Urteile und Strafmaß vor dem Prozeß festgelegt. Es gibt noch die Umerziehung durch Arbeit. Es gibt noch eine Formulierung im chinesischen Justizwesen, nach der es Straftatbestände gibt, wonach sogenanntes konterrevolutionäres Vorgehen geahndet werden soll; das ist für uns völlig inakzeptabel. In chinesischen Gefängnissen wird noch gefoltert. Es sind noch außerordentlich viele Delikte mit der Todesstrafe belegt; das wird sogar noch im Schnellverfahren ausgeführt.Amnesty International hat 1990 insgesamt von 960 Todesurteilen gesprochen. Davon seien 750 vollstreckt worden. 1991 sprach Amnesty International von 1 600 Todesurteilen und 100 Vollstreckungen.
— Wissen Sie, weil wir das vor drei Jahren alle gewußt haben, haben wir diese Sanktion damals beschlossen.
Mein Problem ist nicht, daß ich behaupte, daß die Menschenrechtslage dort anders geworden ist. Vielmehr behaupten Sie um dieses Geschäftes wegen, daß sich die Menschenrechtslage verändert hat. Das ist Ihr Problem und nicht meines.
Ich bin nicht dafür — das sind die Sozialdemokraten insgesamt nicht —, China zu isolieren. Das wäre unrealistisch und nicht die richtige Politik. Wir sind für eine Politik des Dialoges nicht nur mit den Bürgerrechtlern, wie wir das in den vergangenen Tagen wiederholt gemacht haben, soweit man hier, in Deutschland, mit ihnen sprechen konnte, sondern auch für einen Dialog mit der offiziellen Führung in China. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man ein Land von dieser Größe und dieser Bedeutung mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat nicht aus dem internationalen Dialog ausklammern kann. Selbstverständlich muß man mit den offiziellen Politikern Chinas Gespräche führen. Das ist etwas, wofür wir sind und worauf wir verschärft drängen werden.Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als würde die Weltöffentlichkeit wie bei so vielen Dingen zuvor ein oder zwei Jahre lang etwas kritisieren, dann aber schrittweise zur Tagesordnung übergehen.Es gibt in dieser Frage noch einen spezifisch deutschen Aspekt, den ich, weil Sie das früher immer betont haben, besonders an die Kollegen der CDU/
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Karsten D. Voigt
CSU richten muß. Man darf doch nicht vergessen, daß damals die Führung der DDR — —
— Zum Beispiel Herr Krenz; ich kenne ihn. In diesem Punkt weiß ich, was ich zu kritisieren habe.Die Führung der DDR nahm in dieser Frage an China ein Vorbild und hat gesagt, eventuell würden sie genauso vorgehen. Deshalb ist eine Verharmlosung der chinesischen Entwicklung auch eine Beleidigung für die Bürgerrechtler und diejenigen, die für Freiheit und Demokratie in der DDR eingetreten sind.
Ich muß sagen, daß jede Kritik an bestimmten Dialogpolitiken und Gesprächen mit der Führung der ehemaligen DDR völlig unglaubhaft ist, wenn Sie gleichzeitig mit chinesischen Politikern Geschäfte machen, die weitaus schlimmer als das sind, was Honecker jemals in der ehemaligen DDR durchgeführt hat.Ich glaube deshalb, daß wir bei der gemeinsamen Sanktionspolitik, die wir bisher gemeinsam getragen haben, bleiben sollten. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die in dieser Frage der Meinung sind man dürfe sich in Menschenrechtsfragen nicht dem Fraktionszwang beugen, daß sie auch hier im Plenum zu ihrem Votum stehen.
Ich bitte besonders die Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen DDR, die ja in dieser Frage sehr sensibel sein müßten, weil diese Geschichte Chinas in dem damaligen Transformationsprozeß in der ehemaligen DDR eine große Rolle gespielt hat, daß sie nicht im Widerspruch zu ihren sonstigen Bekenntnissen hier eine Politik verharmlosen. Sie müssen immer daran denken: Wie Sie in der entsprechenden Lage in der ehemaligen DDR gedacht haben, so denken dann auch Bürgerrechtler in China, daß man zynisch über ihr Interesse hinweggeht. Deshalb mein Appell an Sie: Halten Sie sich in dieser Frage an Ihr Gewissen, und stimmen Sie gegen den Antrag der Koalitionsfraktionen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Klaus Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Chinapolitik muß sich von drei Überlebungen leiten lassen. Erstens. China ist als volkreichstes Land der Erde, als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates und als Nuklearmacht ein Staat von herausragendem Gewicht, regional wie global.Bereits seit einiger Zeit ist der außenpolitische Kurs Pekings konstruktiv. Das gilt für das Verhalten im Weltsicherheitsrat und den kürzlichen Beitritt zumNichtverbreitungsvertrag, für die Bemühungen um die Stabilität in Südost- und Ostasien, insbesondere in Kambodscha, und für die Bereinigung der Beziehungen zu ehemaligen Gegnern, wie Vietnam und Südkorea.Die Weltgemeinschaft will, daß sich die chinesische Führung in den großen internationalen und regionalen Fragen weiterhin konstruktiv verhält. Deshalb müssen wir den Dialog mit China auch auf hoher Ebene fördern. Schon das Beispiel der Notwendigkeit der Mitarbeit Chinas in Fragen des globalen Umweltschutzes und der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen zeigt dies.Von dieser Erkenntnis lassen sich im übrigen praktisch alle unsere Partner leiten, die ja, was die Beschränkungsmaßnahmen anlangt, mit uns zusammen auf einer Seite waren. Der britische, der japanische und der italienische Regierungchef sowie der amerikanische Außenminister haben Peking in den vergangenen beiden Jahren besucht.Zweitens. China ist ein ständig wachsender Faktor der Weltwirtschaft, als Lieferant, aber auch als Markt. Die chinesische Volkswirtschaft wächst mit überdurchschnittlichen Raten. Als Exportland haben wir ein entschiedenes Interesse daran, uns den Zugang zu diesem Markt zu erhalten.Wir sind der wichtigste Wirtschaftspartner Chinas in Europa; dies soll so bleiben. Auch unsere Partner haben erkannt, wie wichtig es ist, einen angemessenen Anteil am Handel mit einem 1,1-Milliarden-Volk zu haben. Vor dieser Erkenntnis können auch wir die Augen nicht verschließen. Das wäre nicht nur unehrlich, sondern für uns auch wirtschaftlich schädlich. Ich finde, das sollte man auch deutlich sagen.
Hinzu kommt: Wenn die derzeit mit Nachdruck verfolgten Wirtschaftsreformen in China weiterhin konsequent verwirklicht werden, wird dies die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung des Landes verbessern, also letztlich den Menschen zugute kommen. Gerade jüngste Erfahrungen zeigen, daß die Hinwendung zur Marktwirtschaft und die damit verbundene Öffnung gegenüber dem Ausland, daß wirtschaftliche Reformen jedenfalls auch zu politischen Reformen, zu Demokratisierung und zu größerer Achtung der Menschenrechte führen. Diese Lehre, die sich in Mittel- und Osteuropa bewahrheitet, ist auch in China von Bedeutung.
— Herr Gansel, Sie machen immer unheimlich intelligente Bemerkungen.Drittens. Die Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China ist für die Bundesregierung weiterhin ein Grund zur Besorgnis. Dies gilt ebenso für die Situation in Tibet. Der internationale Druck in dieser Beziehung auf die Regierenden in Peking muß massiv aufrechterhalten werden.
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8194 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Bundesminister Dr. Klaus KinkelWeder der Hinweis auf unterschiedliche kulturelle Traditionen und das Bedürfnis nach innerer Stabilität noch die Forderung nach Nichteinmischung in innere Angelegenheiten dürfen uns davon abhalten. China hat im übrigen selber, was Menschenrechtsfragen anbelangt, die Einhaltung und Wahrung der Menschenrechte anderswo gefordert.Es ist und bleibt unakzeptabel, wenn Tausende von gewaltlosen Dissidenten verhaftet und unter unmenschlichen Bedingungen für Jahre eingesperrt werden.
Dies müssen und werden wir der chinesischen Regierung in Zukunft mit aller Deutlichkeit sagen.Es zeigt sich: Die Regierung in China ist beeinflußbar. Im vorigen Herbst ist es meinem Vorgänger, Hans-Dietrich Genscher, gelungen, den chinesischen Außenminister davon zu überzeugen, daß der Dialog in Sachen Menschenrechte auch im Interesse Chinas liegt. Mehrere Gesprächsrunden haben stattgefunden, und ich habe Anweisungen gebeben, diesen Dialog zu verstärken.Wir wollen und müssen über eine konstruktive Entwicklung auf China einwirken und fördern, was wir in China erreichen wollen. In der jetzigen Phase heißt dies jedoch nicht, China politisch und wirtschaftlich zu isolieren. Unter den jetzigen Umständen verlangt dies eine Politik, die den kritischen Dialog in Sachen Menschenrechte mit wirtschaftlichen Anreizen zu weiteren Öffnungen verbindet.Oberster Grundsatz muß sein, daß jede Politik, auch die Außenpolitik, dem Menschen zu dienen hat. Dem Schutz der Menschenrechte werde ich gerade auch als früherer Bundesjustizminister besondere Aufmerksamkeit widmen, dies auch im Bewußtsein, daß die Wahrung der Menschenwürde die unabdingbare Voraussetzung für die Freisetzung der wirtschaftlichen Kräfte eines Volkes darstellt.
Auf China angewandt, heißt dies: massive Aufrechterhaltung unserer Forderung nach Achtung der Menschenrechte und zugleich Einbeziehung des Landes in die globale politische Verantwortung. Für den Fragenkreis, der heute ansteht, möchte ich abschließend sagen
— ich bin nicht gefragt worden —,
Herr Gansel, bitte, halten Sie sich zurück! Ich werde Ihnen das gleich erklären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— daß ich bei der schwierigen Abwägung, die bei einer solchen Frage vorzunehmen ist, jeden achte und respektiere, der in dieser Frage eine andere Auffassung vertritt.
Vielen Dank.
Herr Kollege Gansel, wenn der Redner mit seiner Zeit am Ende ist,
das rote Licht bereits leuchtet, er bei den letzten Sätzen ist, lasse ich keine Zwischenfrage mehr zu, weil das die Redezeit zusätzlich verlängert, er aber schon darüber ist.
— Ich lasse auch keine Kurzintervention als Ersatz für eine nicht erfolgte Zwischenfrage zu.
— Bitte.
Herr Präsident, ich melde mich zu einer Kurzintervention. Ich weiß, daß die Worterteilung in einem hohen Maße im Rahmen des Ermessens des Präsidenten steht. Aber ich glaube, es steht nicht im Ermessen des Präsidenten, die Motive, die er vermutet bei einer Wortmeldung, als Kriterium dafür zu nehmen, ob er das Wort erteilen will.
Also, Herr Gansel, Sie sind ein erfahrener Kollege. Ich vermute keine Motive, sondern Sie haben hier gestanden und haben gesagt: Wenn ich jetzt keine Zwischenfrage bekomme, melde ich mich zu einer Kurzintervention. Genau das lasse ich nicht zu.
— Ich will jetzt auch keine Debatte mit Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Angela Stachowa.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor nunmehr sechs Monaten fand an dieser Stelle eine sehr kontroverse Debatte zum vorliegenden Antrag und anderen Entschließungsanträgen in Zusammenhang mit der Menschenrechtsproblematik statt. Inzwischen haben sich Ausschüsse und Unterausschüsse damit beschäftigt. Jetzt liegt eine Beschlußempfehlung vor, deren Inhalt ich in einigen Punkten nachvollziehen kann.Ich glaube, eine Aufforderung an die Bundesregierung, konsequent auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen, ist und bleibt aktuell. Diese Forderung sollte generell, nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber den Regierungen anderer Staaten, auch Verbündeter wie der Türkei, eine
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8195
Angela Stachowagewichtige Rolle in den außenpolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik Deutschland spielen.Eigentlich alle Parteien und viele Menschen in Deutschland haben die menschenverachtenden Ereignisse in China auf dem Platz des Himmlischen Friedens angeprangert und auf das Schärfste verurteilt.
Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, an dieser Be- bzw. Verurteilung irgendwelche Abstriche vorzunehmen.
— Ich bin nicht Egon Krenz.
Verzeihung, Frau Kollegin, darf ich Sie einmal unterbrechen? — Meine Damen und Herren, die Redezeiten in dieser Debatte zu diesem wichtigen Thema sind sehr kurz bemessen. Je kleiner die Gruppe, desto kürzer die Redezeit. Um so schwieriger ist es dann für den Redner, sich durchzusetzen, wenn der Lärmpegel im Haus so hoch ist. Ich bitte Sie also herzlich, dem Redner zuzuhören oder sich vor den Plenarsaal zu begeben, wenn Sie Gespräche führen wollen.
Bitte, fahren Sie fort.
Auch drei Jahre nach diesem Blutvergießen müssen Menschenrechte, Demokratisierung und Rechtssicherheit unverändert eingeklagt werden. Zugleich kommen wir aber nicht umhin, anzuerkennen, daß eine Öffnung nach außen, daß Schritte — zugegeben: kleine Schritte — in Richtung einer ökonomischen Liberalisierung sichtbar sind. So stellt sich die Frage: Ist es in Anbetracht vorsichtiger Reformversuche in China zum gegenwärtigen Zeitpunkt richtig, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Politik mit China so zu koppeln, daß dies den Menschen beider Länder mehr schadet als hilft? Ich habe da meine Zweifel.
Sollten wir nicht unsere Anstrengungen darauf richten, den Reformkräften in China unsere Unterstützung zu geben — all denen, die eine Liberalisierung der Wirtschaft, Demokratie und eine weitere Öffnung nach außen anstreben. Ich glaube, es wäre falsch — außenpolitisch und wirtschaftlich —, Tür und Tor gegenüber China zu verschließen. Es wäre wohl ein Irrtum, anzunehmen, daß in einem asiatischen Land dieser Größe und mit dieser Bevölkerung, das historisch so gewachsen ist, wie es sich heute darstellt, umwälzende politische und wirtschaftliche Reformen von einem Tag zum anderen möglich sind.
Auch im Interesse der dortigen Bevölkerung sollte die Bundesregierung alles unternehmen, damit sich vollziehende Veränderungen in China nicht zur Destabilisierung führen; denn diese würden auch in bezug auf die internationale Sicherheit in der Welt großen Schaden anrichten. China verfolgt die Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sehr genau und ist sich meines Erachtens bewußt, welche Gefahren von einer inneren Destabilisierung ausgehen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja. — Meine Damen und Herren, ich meine, durch ein kluges und flexibles Vorgehen — nicht unbedingt mit Restriktionen und Nötigungen —, mit Sensibilität, aber auch Konsequenz sollte die Bundesregierung ihre Politik gegenüber der Volksrepublik China gestalten, den Dialog führen und vor allem China nicht aus der Verantwortung vor der Welt entlassen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Herr Voigt hier vorhin behauptet hat, die Menschenrechtssituation in China werde von uns, die wir für die Annahme der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses eintreten, verharmlost, dann kann ich Ihnen nur sagen: Lieber Herr Voigt, das ist nicht der Fall.Wir wissen, wie schrecklich die Menschenrechtssituation in China nach wie vor ist. Das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens" vor etwas mehr als zwei Jahren ist uns allen noch in entsetzlicher Erinnerung. Ich verstehe auch die Kollegen von der CDU/CSU, die seinerzeit aus unmittelbar empfundenem Entsetzen heraus hier Dinge gesagt haben, die Sie, Herr Voigt, heute abend als überzogen gegeißelt haben. Ich kann mich diesem Urteil nicht anschließen.Wir verkennen nicht, wie schlimm die Lage in China nach wie vor ist.
Nur, es ist ja nicht das erste Mal, daß wir es mit einer unappetitlichen, blutrünstigen Diktatur zu tun haben. Es ist doch eine generelle Frage, die sich in derartigen Fällen immer stellt: Wie gehen wir mit so etwas um? Noch dazu handelt es sich ja bei China nicht um irgendein kleines, unbedeutendes Land. China ist ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat. Es könnten wieder Situationen auftreten, in denen wir darauf angewiesen sind, daß sich China einigermaßen berechenbar und vernünftig verhält.Jetzt frage ich Sie: Wie haben wir es denn früher gehalten, als die Sowjetunion noch ein blutrünstiges Land war?
Haben wir da die Türen zugesperrt, oder haben wir gesagt: Wir versuchen, in Kontakt zu bleiben? Wir setzen den KSZE-Prozeß in Gang.
Wir versuchen einzuwirken, und zwar nicht nur dadurch, daß wir Menschenrechte predigen; das tun wir auch. Wir ermutigen und bestärken die Bundesregierung darin, in diesen Bemühungen nicht nachzulassen, und das hat sie ja bisher auch nicht getan. Herr Kinkel hat versprochen, daß er es tut. Sein Vorgänger Hans-Dietrich Genscher hat es unermüdlich getan.
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8196 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Ulrich IrmerWas erreichen wir, wenn wir jetzt sagen: Wir führen weiterhin wirtschaftliche Sanktionen mit aller Konsequenz durch? Mit aller Konsequenz: Das würde dann allerdings auch heißen, daß wir den Chinesen nichts mehr abkaufen, und ich höre, daß ein riesiger Handelsbilanzüberschuß zu Chinas Gunsten besteht. Dann seien wir doch bitte konsequent!
Aber ich frage Sie: Was haben wir durch Sanktionen erreicht, was würden wir dadurch erreichen?
Herr Kollege Irmer, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. — Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch — wir haben nur noch wenige Redner in dieser Debatte —, daß wir nicht ständig dieses einigermaßen traurige Schauspiel bieten: Kurz vor Abstimmungen füllt sich der Plenarsaal; der Lärmpegel steigt; der Redner muß immer lauter sprechen; die Gespräche werden immer zahlreicher. Auch die Gespräche unter der Empore stören den Verlauf der Debatte. Ich bitte Sie also, den Rednern, die jetzt noch das Wort haben, noch zehn Minuten zuzuhören. — Bitte fahren Sie fort.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Meine lieben Kollegen! Ich stehe nicht an, hier zu sagen: Wenn wir durch Aufrechterhaltung absoluter Wirtschaftssanktionen auch nur ein Menschenleben in China retten könnten, dann wäre ich dafür, diese Sanktionen zu verhängen. Aber es ist doch nicht der Fall. Was haben wir denn erreicht, und wer von unseren Partnern tut denn dies?
— Seien Sie doch nicht so vordergründig moralisch!
Ich hoffe, Sie spüren bei dem, was ich sage, daß wir uns diese Entscheidung doch nicht leichtmachen. Wir leiden unter diesen Zuständen doch genauso wie Sie. Nur, wir fragen auch: Was können wir bewirken, und bewirken wir nicht vielleicht genau das Gegenteil, wenn wir durch den Abbruch aller Wirtschaftsbeziehungen auch den Dialog unterbrechen, wenn wir nicht durch Kontakte mit China auch dafür sorgen, daß die dort eingeleiteten Wirtschaftsreformen weitergehen können? Denn es ist doch eine alte Erfahrungstatsache, daß Wirtschaftsreformen auf die Dauer schlicht auch Konsequenzen für die politische Lage haben müssen, und umgekehrt ist es genauso der Fall.
Herr Kollege Irmer, drei Kollegen möchten gern Zwischenfragen stellen.
Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn der Herr Gansel dabei wäre — ich sehe ihn aber nicht —, damit er jetzt zu seinem verdienten Auftritt käme.
Aber ich lasse selbstverständlich gern Zwischenfragen zu.
Es geht der Reihe nach. Der erste Kollege war Herr Schwarz. Dann kommen Herr Matschie, Herr Wallow und Herr Gansel.
Herr Kollege Irmer, wären Sie bereit, den Ausdruck „vordergründig moralisch" vor dem Hintergrund der Tatsache zu überprüfen, daß sich viele, die das Geschäft ablehnen, die dieser Resolution nicht zustimmen, auch moralische Gedanken machen?
Herr Kollege, es liegt mir fern, irgend jemandem abzusprechen, daß er an diese Frage mit sehr großem Ernst und mit sehr tiefer Moral herangeht. Ich möchte nur, daß man mir dasselbe nicht abspricht.
Wenn ich von vordergründiger Moral gesprochen habe, dann habe ich damit gemeint, daß es Meinungen gibt — ich habe keinen Kollegen dabei persönlich angeschaut oder angesprochen —,
die sich besonders dann entfalten, wenn es darum
geht, nach außen einen bestimmten Schaueffekt zu
erzielen, ohne daß in der Sache etwas erreicht wird.
Nächste Frage: der Abgeordnete Matschie.
Herr Kollege Irmer, sind Sie dann auch der Auffassung, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der bei der Zusammenarbeit mit China 40 Millionen DM gestrichen hat, Showeffekte erzielen wollte, und sind Sie nicht auch der Meinung, daß es eine unglaubwürdige Politik ist, wenn von ein und derselben Bundesregierung auf der einen Seite wegen Menschenrechtsverletzungen Mittel gestrichen werden und auf der anderen Seite in wesentlich höherem Maße Mittel für Zusammenarbeit wieder eingesetzt werden?
Lieber Herr Kollege Matschie, es ist wohl ein Unterschied, ob man — —
— Ich weiß nicht, was es zu lachen gibt, wenn ich noch gar nicht gesagt habe, was ich eigentlich sagen will. Ich habe lediglich gesagt, daß es einen Unterschied gibt.
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Ulrich IrmerWenn ich sage, es gibt einen Unterschied, und dann erklären will, worin dieser besteht, und dann gelacht wird, kann ich nur annehmen, daß die Leute, die lachen, Unterschiede überhaupt nicht kennen.
Herr Kollege Matschie, es besteht ein Unterschied darin, ob man Entwicklungshilfe leistet und damit bestimmte Projekte finanziert — das muß im einzelnen differenziert werden — oder ob man wie in diesem Fall sagt, man gibt den Weg für ganz normale, eng umgrenzte Handelsbeziehungen frei.
Ich sehe darin durchaus einen Unterschied.
— Jetzt habe ich gehört: si tacuisses. Dann habe ich gehört: typisch liberale Kurve. Dann habe ich gehört: wird ja immer peinlicher. Ich weiß nicht, meine lieben Kollegen, ob das die Art der Auseinandersetzung ist, die wir hier führen sollten.
Das ist auch dem Thema nicht angemessen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wallow.
Herr Kollege Irmer, die chinesischen Führungen gehören zu den Regierungen, die auf Grund des Alters dieses Landes traditionell nicht in Jahrhunderten, sondern sogar in tausend Jahren denken. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es nach so kurzfristigen Sanktionen, die es gegeben hat, für ein solches Land fast risikolos ist, bei Aufstandsbewegungen oder bei Volksbewegungen demnächst wieder so zu reagieren und in Zukunft Aufstände weiter mit Gewalt niederzuschlagen? Sind Sie außerdem nicht unserer Auffassung, daß eine derartige Haltung, die man mit „sie reden Gott und meinen Kattun" bezeichnen kann, nicht auch andere Diktatoren ermutigen könnte, auf ähnliche Weise zu reagieren?
Herr Kollege Wallow, Sie haben recht. China hätte jederzeit die Möglichkeit, das Massaker zu wiederholen, und wir könnten mit allen Sanktionen der Welt daran leider nichts ändern. Das ist so.
Was wir aber tun können, ist, daß wir auf das Regime in der Weise einwirken, daß wir versuchen, Handelsbeziehungen und normale Kontakte herzustellen,
um damit vielleicht denselben Effekt zu erzielen, den wir — nebenbei, mit Ihrer vollen Unterstützung — gegenüber der Sowjetunion und anderen unappetitlichen, blutrünstigen Regimes in der Vergangenheit erreicht haben. Ich sehe nicht, wo der Unterschied ist. Ich sehe, daß dies die einzige Chance ist, die wir
überhaupt haben, um auf China mäßigend und auf Dauer konstruktiv einzuwirken.
Herr Kollege Gansel.
Herr Kollege Irmer, da Sie mich um eine Zwischenfrage nachgesucht haben, —
Nein, nein. Ich hatte nur das, was Sie vorher gewollt hatten, aufgegriffen.
— möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zu akzeptieren, daß ich mich nur deshalb nicht gemeldet hatte, weil ich mich nach Ihrem Beitrag zu einer Zwischenintervention gemeldet habe und weil ich dem Präsidenten keine Probleme machen will für den Fall, daß Sie mir eine Zwischenfrage ablehnen.
Herr Gansel, ich finde es nicht fair, daß Sie mich jetzt mißbrauchen, wenn Sie den Präsidenten ärgern wollen.
Herr Kollege Irmer, die Kollegen haben Ihnen Ihre Redezeit mit ihren Zwischenfragen beträchtlich verlängert. Gleichwohl ist es die Pflicht des Präsidenten, Sie erneut zu fragen, ob Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler zulassen wollen.
Herr Präsident, verehrter Herr Kollege Hauchler, seien Sie mir nicht böse. Wir können das hier bis Mitternacht verlängern. Wenn es die letzte wäre, dann ja, Herr Präsident, wenn nicht, dann möchte ich abschließend einen ganz kurzen Satz sagen. Vielleicht gelingt es mir allerdings, diesen Satz mit der Antwort auf die Zwischenfrage zu kombinieren. Das bleibt abzuwarten.
Herr Kollege Irmer, Sie haben darauf hingewiesen, daß China ein großer Staat ist und daß China Mitglied im Sicherheitsrat ist. Das ist sicher richtig. Sie haben eine Verbindung zu dem Gedanken hergestellt, das müsse bei der Entscheidung, die heute ansteht, eine Rolle spielen. Bedeutet das, daß das, was für China gilt, nicht für Nicaragua oder andere Staaten gilt?
Herr Kollege Hauchler, das bedeutet es nicht. Aber wir können doch nicht die Augen davor verschließen, daß China eine Weltmacht, eine Nuklearmacht und ein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat ist und daß wir insofern auf China angewiesen sind.Ich komme jetzt zu meinem Schlußsatz, Herr Kollege Hauchler. Ich bitte noch einmal darum: Wir
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8198 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Ulrich Irmerbewegen uns hier auf einem ganz schmalen Grat zwischen Moral und Realpolitik. Da gibt es keine einfache Lösung. Wie immer Sie, liebe Kollegen, nachher abstimmen, tun Sie es — ich weiß, daß Sie es tun — nach gründlicher Prüfung Ihrer Motive, und sprechen Sie den Kollegen die Honorigkeit nicht ab, die sich anders entscheiden als Sie selbst.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident, vielen Dank. Da ich zu denen in meiner Fraktion gehöre, die in diesem Falle nicht der Intention der Bundesregierung folgen wollen, möchte ich einen einzigen Satz sagen.
— Sie klatschen zu früh, meine Herren von der SPD.
Ich möchte einen Satz sagen: Wenn ein Mann, der noch vor kurzer Zeit stolz erzählt hat, mit einem Herrn namens Egon Krenz zusammen Ferien gemacht zu haben, die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern unter Berufung auf deren besondere Überlegungen in Sachen Menschenrechte auffordert, seine Politik zu unterstützen, dann kann ich nur schlicht sagen: Dies hätte er ein wenig früher wissen müssen, als er bei Fragen der Menschenrechte in der damaligen DDR noch so handelte, wie er es bei seinem Besuch bei Egon Krenz getan hat.
Zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte natürlich sagen: Das, was die Regierungsfraktionen heute in bezug auf die China-Politik vorhaben, ist eine Fortsetzung der Politik der Einfädelung von Milliarden Krediten mit der DDR von Egon Krenz. Aber ich finde, man macht es sich mit Retourkutschen ein bißchen zu einfach. Ich habe mich nach dem Beitrag von Herrn Irmer gemeldet, weil er als Parlamentarier sich daran erinnern muß, welche Einigkeit der Empörung es in diesem Hause nach dem schrecklichen Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor drei Jahren gegeben hat.
Daß Herr Kinkel das nicht als Parlamentarier erlebt hat, sondern — so muß ich nach seiner heutigen Rede sagen — eher als Bürokrat, bedeutet einen Unterschied.
Was ich vermißt habe, ist, daß bei allem Pragmatismus nicht ein bißchen die Moral durchgeschimmert hat.
Wir reden keiner moralinsauren Politik gegenüber China das Wort. Es geht nicht um Sanktionen. Es geht nicht um Boykott, sondern es geht schlicht und einfach darum, ob wir drei Jahre nach diesem Massaker, nachdem sich für die Menschenrechte nichts Wesentliches getan hat, ein Exportgeschäft Deutschlands mit China mit 200 Millionen DM aus Mitteln der Steuerzahler subventionieren.
Es geht schlicht und einfach darum, ob wir den Diktatoren in Peking, die, glaube ich, diese Debatte im Deutschen Bundestag nicht zu bedeutsam einschätzen werden, drei Jahre danach das Gefühl geben, daß sie eine Prämie erhalten auf kontinuierliche Machtausübung und Unterdrückung von Menschenrechten. Darum geht es. Wir stimmen nicht ab über Sanktionen, nicht über Boykott. Wir stimmen darüber an, ob Geschäfte mit China aus deutschen Steuermitteln subventioniert werden sollen, obwohl sich die Menschenrechtslage nicht verbessert hat.
Darum appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen, an den Geist, der dieses Parlament vor drei Jahren beherrscht hat. Er darf nicht vergessen sein. In der namentlichen Abstimmung werden wir erkennen, wer noch wozu steht, nachdem sich nach so langer Zeit sowenig geändert hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einige Worte zur unrühmlichen Entstehungsgeschichte dieses heutigen Änderungsantrages der Regierungskoalition: Im Novemer 1991 forderte die SPD, an den einstimmig gefaßten Beschlüssen von 1989 festzuhalten. Daraufhin formulierten die Koalitionsfraktionen im Dezember, daß der weitere Ausbau der deutschchinesischen Zusammenarbeit von einem sichtbaren Zeichen der chinesischen Regierung hinsichtlich der Verbesserung der Menschenrechtssituation abhängig gemacht werde.Und nun, ausgerechnet am dritten Jahrestag des blutigen Massakers, wurde dem Auswärtigen Ausschuß dieser Änderungsantrag untergeschoben, der in seinen Intentionen das genaue Gegenteil des ursprünglichen Antrages ist. Da nun wirklich niemand behaupten kann, daß es sichtbare Zeichen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in China gibt — die neuesten Dokumente von amnesty international sind Ihnen bekannt —, wird nun einfach umgekehrt argumentiert, indem man erwartet, die Menschenrechtssituation werde sich wohl dann bessern, wenn man die eigenen Beschlüsse und gleich dazu noch die mühsam zustande gekommenen Grundsätze
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Gerd Poppedeutscher Entwicklungspolitik einfach auf den Kopf stellt.Ich finde es auch geschmacklos, wenn ausgerechnet die schwere Situation der ostdeutschen Werftarbeiter als Argument dafür herhalten muß, eines der letzten poststalinistischen Systeme zu unterstützen.
Es geht ja auch nicht nur um die Containerschiffe. Sie sind nur ein vorgeschobener Grund für diesen Kotau der Bundesregierung; denn es geht — das wissen Sie alle — eigentlich um die Attraktivität Chinas als potentiell größter Markt Asiens.Vorhin hat Herr Voigt von der Sensibilität der Ostdeutschen in diesem Zusammenhang gesprochen. Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, daß sich nach dem Massaker auf dem Tienanmen-Platz Demonstranten in Ostberlin vor die chinesische Botschaft setzten; sie wurden festgenommen, weggeschleppt, sie hatten über Wochen Schikanen zu erleiden. Trotzdem haben sie in diesen Bemühungen nicht nachgelassen.Der Herbst 1989 hat u. a. mit der unduldsamen Haltung der Menschen in Ostdeutschland gegen die andauernden Menschenrechtsverletzungen — und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern überall in der Welt — zu tun.
Meine Damen und Herren, die Herrschenden in China haben schon mehrfach bewiesen, daß sie eher wirtschaftliche Reformen rückgängig machen werden, als daß sie politische Liberalisierung zulassen. Die Unterstellung des Antrags, daß wirtschaftliche Liberalisierung mit demokratischen Verbesserungen gleichzusetzen ist, ist einfach falsch.Das Versagen der deutschen Menschenrechtspolitik — falls diesem Antrag entsprochen wird — wird die chinesischen Machthaber eher ermutigen, ihren Kurs der unbarmherzigen Verfolgung der Demokratiebewegung beizubehalten oder sogar noch zu verstärken.Statt einseitig deutschen Wirtschaftsinteressen zu folgen, meine Damen und Herren, sollte der Bundestag als Voraussetzung für Entwicklungskredite an China die Verbindlichkeit der chinesischen Gesetze gegen die Folter fordern, die Zulassung von internationalen Beobachtern bei politischen Prozessen und die Freilassung Tausender noch inhaftierter gewaltfreier politischer Häftlinge.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Für die Union gleich ein kleinerHinweis: Ich stehe hier auch als Vorsitzender der deutsch-chinesischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die als parlamentarische Gruppe von Dr. Ernst Majonica, einem der großen Außenpolitiker der CDU, gegründet worden ist.Seit den furchtbaren Ereignissen auf dem Tienanmen-Platz hat sich an der Menschenrechtssituation leider nichts geändert. Lieber Herr Dr. Kinkel, Sie sollten sich einmal bei einem unserer großen Diplomaten sachkundig machen — es muß ja nicht immer amnesty international sein —, bei Per Fischer, was er dazu zu sagen hat, und vor allen Dingen, was er darüber geschrieben hat.Ich bin eigentlich etwas enttäuscht, sowohl von der Bundesregierung wie auch von den heutigen Antragstellern, daß man so einen Beschluß nicht mit ganz anderen Überlegungen zu einer zukünftigen Chinapolitik verbindet. Hier frage ich alle Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag: Warum wollen wir eigentlich nicht den Schritt in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen zu dem anderen China, der Republik China auf Taiwan, tun? Kein Festlandschinese würde dadurch irgendwie Schaden leiden. Wir hätten heute die Möglichkeit, einen Handel nach vorne zu bringen, ohne daß auch nur ein Pfennig Steuermittel eingesetzt werden müßte. Taiwan ist für die Volksrepublik China längst zu einer Herausforderung geworden, die weit mehr Veränderungen in China bewirken wird als alles andere, was wir hier tun. Das heißt, ich kritisiere, daß wir im Augenblick überhaupt keine Konzeption haben, wie die deutsche Chinapolitik wirksam werden kann. Ich möchte dringend dazu auffordern, diese Überlegung anzustellen.Ich frage mich: Muß es wirklich sein, daß seit 20 Jahren noch immer keine direkte Flugverbindung zwischen der Inselrepublik und Deutschland besteht? Muß es immer noch so sein, daß ein hochgebildeter, in den USA oder Europa ausgebildeter Minister der Republik an seinem Visum, wenn er nach Deutschland kommt, einen Zettel angehängt findet, auf dem steht, er dürfe auf keinen Fall Kontakt zu irgendwelchen offiziellen Stellen haben? Machen wir uns damit nicht lächerlich? Haben wir uns nicht lächerlich gemacht, als man uns angeboten hat, unsere Werftindustrie wirklich zu unterstützen, und zwar ohne einen Pfennig Geld aus den deutschen Steuerkassen? Haben wir das nicht wirklich zu früh und unnötigerweise zurückgewiesen?Ich habe deswegen die Bitte — dies sage ich im Blick auf die zukünftigen Überlegungen; ich werde gegen diesen Beschluß stimmen und bitte dafür um Verständnis, besonders auch bei den Kollegen, die den Antrag gestellt haben —, daß Sie sich überlegen, ob sich die deutsche Außenpolitik nicht in eine Sackgasse begibt, wenn sie immer noch nach den gleichen Dogmen wie vor 20 Jahren Chinapolitik macht und wenn sie die Chance, die damals bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen insofern gewahrt wurde, als man keine Exklusivität vereinbart hat, nicht mindestens soweit ausnutzt, daß eine Normalisierung der Beziehungen bis hin an die Schwelle unterhalb diplomatischer Beziehungen zur Republik China auf Tai-
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8200 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Ortwin Lowackwan angestrebt wird. Dann gäben Beschlüsse Sinn, aber so, wie sie heute im Raum stehen, leider nicht.
Ich schließe die Aussprache und gebe dem Haus bekannt, daß 25 Kolleginnen und Kollegen eine Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu Protokoll geben. *)
Mir liegt ein von 43 Abgeordneten unterzeichnetes Verlangen vor, die Abstimmung namentlich durchzuführen. Nach § 52 Satz 1 unserer Geschäftsordnung sind für dieses Verlangen 34 anwesende Mitglieder des Bundestages erforderlich. Ich bitte diejenigen, die das Verlangen auf namentliche Abstimmung unterstützen, um das Handzeichen. — Das Verlangen hat die erforderliche Unterstützung erhalten. Wir stimmen deshalb namentlich ab. Ich eröffne die Abstimmung.
— Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Menschenrechtspolitik. Die Abstimmung ist eröffnet.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Nachdem auch der Vizepräsident Becker den Wahlakt vollzogen hat, frage ich noch einmal. —
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. **)
Ich bitte diejenigen, die an den folgenden Beratungen teilnehmen wollen, Platz zu nehmen. Die anderen bitte ich, den Plenarsaal zu verlassen, damit wir fortfahren können.
Wir machen weiter.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
— Drucksache 12/2841 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Richter
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem
*) Anlage 3
**) Das endgültige Ergebnis und die Namensliste werden im Plenarprotokoll 12/99 als Anlage 2 abgedruckt.
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
— Drucksache 12/2842 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Richter
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
— Drucksache 12/2843 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Richter
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
— Drucksache 12/2844 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Richter
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Es liegen mir Erklärungen zur Abstimmung vor, wobei ich noch einmal darauf aufmerksam mache, daß Erklärungen nicht zum Sachverhalt abgegeben werden dürfen, sondern nur zur Abstimmung. Als erste Wortmeldung liegt mir die von Frau Kollegin Enkelmann vor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich werde ich gegen die Aufhebung meiner Immunität und der Immunität meiner Kolleginnen und Kollegen sprechen und stimmen. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages fühle ich mich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet — und das durch den Willen meiner Wählerinnen und Wähler —, eine verantwortungsvolle, engagierte Politik im Bundestag zu leisten.
Die Verteilung von Presseinformationen an Medienvertreter zählt für mich durchaus dazu. Daß dies geahndet werden soll, nur weil es vor dem Bundeskanzleramt stattfand, halte ich für einen politischen Skandal. Es ging vor allem um den Inhalt, nämlich die Ablehnung der Einschränkung des Asylrechts.
Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen. Das ist genau das, was vermieden werden soll. Sie können hier selbstverständlich sagen, daß Sie gegen die Aufhebung der Immunität einer Reihe von Kollegen einschließlich Ihrer eigenen stimmen werden. Wenn Sie aber jetzt versuchen, hier den Sachverhalt zu erklären, und zu sagen, daß Sie dies für einen Skandal halten, dann ist das zur Sache gesprochen, und Sie sprechen in Ihrer eigenen Angelegenheit und zu dem eigenen anstehenden Verfahren. Das kann ich nicht zulassen. Ich muß Ihnen in diesem Fall das Wort entziehen.Es ist eine schwierige Geschichte. Ich habe das Gefühl, daß man in so einer Sache prinzipiell als Betroffener gar nicht zur Abstimmung sprechen kann.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8201
Vizepräsidentin Renate SchmidtSie haben den Versuch gemacht, und ich stelle fest, daß es Ihnen nicht gelingt. Ich gestatte Ihnen gerne noch einen zweiten Anlauf. Sollte er genauso mißlingen wie der erste, würde ich Ihnen das Wort entziehen.
Ich möchte zumindest erklären dürfen, weshalb ich gegen die Aufhebung der Immunität stimme. Dieses Recht sollte mir — erst recht als einer Betroffenen und Abgeordneten dieses Parlaments — zugestanden werden.
Frau Kollegin, Sie haben es bis jetzt nicht getan. Sie haben, bis auf den ersten Satz, zur Sache gesprochen, und ich sage noch einmal: Das werde ich in einem zweiten Anlauf nicht zulassen, und ich werde Ihnen einen dritten Anlauf nicht einräumen.
Gut, dann lasse ich den Mittelteil weg und komme zum Schluß. Ich möchte die Abgeordneten des Bundestages auffordern, ihre Entscheidung gründlich zu bedenken und dabei die Frage einzubeziehen, ob das Aufrechterhalten der Bannmeile überhaupt noch zeitgemäß ist. Wer soll eigentlich vor wem geschützt werden — etwa der Kanzler vor den Abgeordneten des Bundestages?
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster gibt eine Erklärung zur Abstimmung der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es etwas schwierig, wenn ich das einleitend sagen darf, wie man sein Abstimmungsverhalten erklären soll, wenn man auf den Inhalt der Abstimmung nicht eingehen darf. Das ist ungeheuer kompliziert; ich will es aber versuchen.
Kollege Gysi, damit Sie es verstehen — das wird Ihnen natürlich nicht auf Ihre Redezeit angerechnet —: Aus wohlerwogenen Gründen sieht unsere Geschäftsordnung vor, daß dann, wenn es um die Aufhebung der Immunität geht, Betroffene nicht reden sollen. Sie gehören nicht zu diesen; darum wird es für Sie vielleicht ein bißchen einfacher sein, dazu zu reden. Für die anderen Kollegen, bei denen es sich um Betroffene handelt, ist es deutlich schwieriger.
Ich will auf folgendes hinweisen, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren. Ich glaube, daß das Parlament hier und heute gerade bei dieser Frage der Aufhebung der Immunität vor einer wirklich wichtigen Frage steht. Es geht letztlich darum, ob wir Abgeordnete der Justiz übergeben, die politisch-demonstrativ Willensbekundung innerhalb der Bannmeile gemacht haben. Wenn die Bannmeile überhaupt einen Zweck haben soll — ich bin ja eher dagegen —, dann soll sie doch gerade die Abgeordneten schützen, damit sie politisch tätig sein können. Wenn wir dann sagen, wir übergeben Abgeordnete, die in dieser Hinsicht politisch demonstrativ tätig geworden sind, nunmehr der Justiz zur Strafverfolgung, dann schränken wir die Tätigkeit der Abgeordneten ganz erheblich ein. Das endet dann irgendwann damit, daß wir Immunität auch wegen Beleidigung und anderer Delikte aufheben, die hier am Pult begangen werden. Dann haben wir die Situation, daß eine Beeinträchtigung der Abgeordneten bei der Wahrnehmung ihres Mandats geschieht, die durch die Immunität gerade verhindert werden soll. Es geht hier ja nicht um ein allgemeines Kriminaldelikt, sondern um eine spezifische demonstrative Willensbekundung innerhalb der Bannmeile. Ich glaube nicht, daß man Abgeordnete deswegen der Justiz überstellen kann. Das halte ich politisch nicht nur für in höchstem Maße bedenklich, sondern glaube, daß damit juristisch ein Weg gegangen wird, der für dieses Parlament schwere Folgen haben wird; denn das wird sich fortsetzen.Lassen Sie mich noch darauf hinweisen, daß es inzwischen eine Vielzahl demokratischer Staaten gibt, die ganz gut ohne Bannmeile auskommen, in der sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht vor Bürgerinnen und Bürgern und deren politischer Willensbildung schützen. Ich meine, daß das eine wohldurchdachte Entscheidung dieser Staaten ist und daß auch wir die Bannmeile, den Bannkreis, aufheben sollten. Aber — und darauf zielt meine Argumentation ab — selbst wenn es sie gibt, können wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier wegen ihrer demonstrativen politischen Willensbekundung innerhalb des Bannkreises nicht der Justiz übergeben. Damit gibt sich das Parlament selbst auf und fängt an, Minderheiten aus der parlamentarischen Tätigkeit auszugliedern. Das halte ich tatsächlich für skandalös.Ich bitte Sie deshalb, Ihrem Auftrag gerecht zu werden, Parlamentarierinnen und Parlamentarier vor solcher Justiz zu schützen und die Immunität nicht aufzuheben.
— Bei den anderen müssen wir eine Gesetzesänderung beantragen, was wir zu gegebener Zeit auch tun werden. Dann ist das Problem auch für die anderen erledigt.
Aber worum es hier geht, ist, zunächst einmal den Schutz dieser Parlamentarierinnen und Parlamentarier sicherzustellen. Ich kann nicht akzeptieren, ihn aufzuheben und sie damit der Justiz wegen etwas auszuliefern, was ihr Beruf ist, nämlich zur politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland beizutragen, gerade auch in diesem Parlament und in seiner Nähe, gerade auch vor dem Bundeskanzleramt.Außerdem sollten wir zukünftig darüber nachdenken, wie wir den Bannkreis auflösen. Ich glaube, wir dürfen die Bürgerinnen und Bürger an uns heranlassen und sollten uns nicht vor ihnen abschotten.
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8202 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Dr. Gregor GysiDanke schön.
Wir kommen zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung des Kollegen Dr. Ulrich Briefs, für den dasselbe gilt, was ich bei Frau Kollegin Dr. Enkelmann gesagt habe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme gegen die Aufhebung der Immunität in diesen Fällen. Wie kann ich als Abgeordneter überhaupt die Bannmeile verletzen? Das ist doch die erste Frage, die sich stellt. Muß ich, wenn ich mit einem größeren Button am Revers ins Plenum komme, demnächst damit rechnen, daß mich dann die Polizei empfängt?
Im übrigen: Ich habe ein solches Verfahren schon einmal mitgemacht. Es ist, wie ich am Rande dazusagen will, wie das Hornberger Schießen ausgegangen.
— Ja, da war ich Abgeordneter. Das war in der vorigen Legislaturperiode, bei den GRÜNEN. Wir haben im übrigen nicht vor dem Parlament demonstriert die Bannmeile soll das Parlament schützen —, sondern vor dem Bundeskanzleramt. Ich denke, das ist ein ganz gewichtiger Unterschied.
Ich bin insbesondere deshalb gegen dieses Verfahren, weil es in der politischen Stoßrichtung außerordentlich problematisch ist. Was soll das denn? Warum soll dieses Parlament, warum sollen die Vertreter des Volkes, der Bevölkerung vor eben dieser Bevölkerung geschützt werden, wenn sie sich herausnimmt, ihren berechtigten Unmut zu zeigen? Absurder können bestimmte Regularien der parlamentarischen Demokratie gar nicht sein. Schluß damit!
Das erinnert mich an ein Wort, das Heiner Müller wiedergegeben hat. Er hat berichtet, daß in einer Runde von politisch einflußreichen Leuten — das war 1990 —
Eine weitere Erklärung zur Abstimmung des Kollegen Konrad Weiß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde gegen die Aufhebung der Immunität der vier Kolleginnen und Kollegen der PDS stimmen, aber nicht deswegen, weil ich für diese Fraktion besondere Sympathien habe — das wissen Sie alle —, sondern deshalb, weil ich meine, daß dieser Vorgang von uns nicht hinzunehmen ist.
Die Bannmeile ist, wenn ich das richtig verstehe, zum Schutz der Parlamentarier und ihrer freien Meinungsäußerung eingerichtet worden. Es ist für mich daher widersinnig, wenn Parlamentarier, die innerhalb dieser Bannmeile ihre Meinung frei äußern, dafür gerichtlich belangt werden sollen.
Es gibt außer der verbalen Äußerung — das weiß ich als jemand, der mit Kommunikation zu tun hat — z. B. auch die Äußerung über das Bild oder die Äußerung über eine Aktion. Es gibt auch die Äußerung durch einfaches Dasitzen, durch die schweigende Gegenwart. All das kann nicht bestraft werden, wenn Parlamentarier in Bonn ihrer Arbeit nachgehen.
Ich sehe die Aufhebung der Immunität bei einem Abgeordneten als einen sehr schwerwiegenden Akt an. Das kann nicht so ohne weiteres geschehen. Wenn wir das in diesem wirklich belanglosen Fall — ich habe mich da kundig gemacht — geschehen lassen, dann öffnen wir der Willkür Tür und Tor.
Wenn Herr Schalck-Golodkowski heute innerhalb der Bannmeile sein kann, ohne daß er in irgendeiner Weise dafür belangt wird, obwohl er am laufenden Band lügt und in unerhörter Weise das Parlament durch seine Art und Weise der Antworten beleidigt, dann ist in dem vorliegenden Falle die Aufhebung der Immunität wohl nicht adäquat.
Deswegen werde ich gegen die Aufhebung der Immunität stimmen.
Eine letzte Erklärung zur Abstimmung vom Kollegen Peter Conradi.
Ich werde dem Antrag nicht zustimmen, weil ich in § 106a des Strafgesetzbuchs lese, daß eine Bannkreisverletzung stattfindet, wenn jemand an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder an Aufzügen im Bannkreis teilnimmt. Die Verteilung von Flugblättern, eine Meinungsäußerung im Bannkreis, ist weder eine öffentliche Versammlung noch ein Aufzug.
Ich habe letzte Woche hier vor dem Parlament eine ganze Reihe von Menschen erlebt, die uns für die morgige Debatte Meinungsäußerungen auf Flugblättern gegeben haben. Die standen da mit Transparenten unmittelbar vor dem Eingang IV. Ich habe mich gefreut, daß sie das getan haben — sie waren anderer Meinung als ich —, weil sie uns ihre Meinung mitteilen wollten, und ich war froh, daß wir endlich von dem Zustand abgekommen sind, daß in Bonn die Staatsanwaltschaft und die Polizei die Bevölkerung daran hindern, uns ihre Meinung zu sagen, weil bereits das Verteilen von Flugblättern als Aufzug oder Demonstration gewertet wird. Dies ist ein klarer Mißbrauch der Bannkreisregelung durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Wir sollten diesem Mißbrauch unsere Hand nicht geben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992 8203
Peter ConradiWenn wir es zulassen, daß in der letzten Woche Bürger dieser Republik uns Abgeordneten hier Flugblätter und Plakate zum Thema § 218 zeigen, das wir morgen hier behandeln, dann müssen wir es auch zulassen, daß Abgeordnete dieses Hauses innerhalb der Bannmeile ihre Meinung in einer Form deutlich machen, die weder eine öffentliche Versammlung noch ein Aufzug ist. Alles andere wäre Mißbrauch des Rechts gegenüber einer Minderheit von Abgeordneten.Deswegen stimme ich nicht zu. Ich bitte Sie herzlich, zu überlegen, was Sie da tun, wenn Sie zustimmen. Die Freiheit des Andersdenkenden, uns seine andere Meinung hier zu sagen, muß gewahrt werden. Sie ist wichtiger als die Ordnungsvorstellungen der Bonner Polizei.
Eine — vorläufig — letzte Wortmeldung zur Abstimmung des Kollegen Wiefelspütz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte an sich nicht vor, hier das Wort zu ergreifen. Ich habe mich allerdings doch dazu genötigt gesehen durch den Beitrag des Kollegen Conradi, der schlecht informiert ist und viele Dinge durcheinandergeworfen hat. Deswegen will ich helfen, zu einer Klarstellung beizutragen.
Wir haben in aller Ausführlichkeit, in aller Ruhe und in aller Eindringlichkeit im Immunitätsausschuß diese Verfahren geprüft. Ich darf darauf hinweisen, daß es dem Immunitätsausschuß und auch diesem Parlament nicht zusteht, Richter in diesen Angelegenheiten zu sein.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind wie alle anderen Bürger auch an Recht und Gesetz gebunden. Die Immunität schützt nicht den Abgeordneten, sondern das Parlament.
Selbstverständlich gilt stets die Meinung des Andersdenkenden in diesem Haus und außerhalb dieses Hauses. Ob ein Demonstrationsdelikt vorliegt, ist hier nicht zu entscheiden. Die Bannmeile gilt ja nun einmal. Man kann darüber streiten, Herr Conradi, ob wir sie in Zukunft weiterhin aufrechterhalten oder nicht,
ob wir sie in Berlin haben werden oder nicht. Aber der Bannkreis gilt, ist geltendes Recht, bindet Sie und bindet mich.
Ob ein Versammlungsdelikt vorgelegen hat oder
nicht, Herr Conradi, das wissen Sie nicht, und das
können Sie nicht beurteilen, sondern das beurteilt ein unabhängiges Gericht.
Deswegen haben wir in Wahrung unserer ständigen Handhabung vergleichbarer Fälle dem Plenum dieses Hauses mit großer Mehrheit vorgeschlagen, die Immunität der Kolleginnen und Kollegen aufzuheben. Dies bedeutet natürlich überhaupt keine Vorverurteilung oder etwas ähnliches.
— Nein, in der Tat nicht. — Mäßigen Sie sich doch bitte!
Wir entscheiden nicht, ob jemand bestraft wird. Wir entscheiden auch nicht, ob ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages Recht und Gesetz übertreten hat, sondern dies ist ausschließlich eine Entscheidung, die einem unabhängigen Gericht überantwortet wird. Dies werden wir alle abzuwarten haben.
Herzlichen Dank.
Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen zur Abstimmung mehr vor.Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 12/2841? —
Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit — allerdings mit knapper Mehrheit — angenommen.
— Selbstverständlich mit einer ausreichenden Mehrheit; das habe ich überhaupt nicht bestritten. Eine knappe Mehrheit ist eine ausreichende Mehrheit. Das sollte allgemein bekannt sein. Dennoch, Herr Kollege, ist es eine knappe Mehrheit. Wir können aber gern, falls Sie dies bezweifeln, auszählen lassen.
Aber ich glaube, daß Sie das nicht wirklich wollen.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 12/2842. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit genau derselben Mehrheit, also wiederum einer knappen Mehrheit wie vorhin, angenommen.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 12/2843? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Somit haben wir auch diese Beschlußempfehlung mit derselben Mehrheit wie die erste Beschlußempfehlung angenommen.
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8204 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1992
Vizepräsidentin Renate SchmidtWer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2844? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —
Nachdem auch diesmal niemand den Saal betreten oder verlassen hat und alle Kollegen genauso abgestimmt haben wie das erstemal, haben wir auch diese Beschlußempfehlung mit derselben Mehrheit angenommen.Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung angekommen.
— Entschuldigung! Vor lauter persönlichen Erklärungen hätte ich das beinahe vergessen. Ich darf Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der F.D.P. zur vereinbarten Debatte über die Menschenrechtspolitik auf Drucksache 12/2857 mitteilen. 468 Stimmen wurden abgegeben. Davon war keineStimme ungültig. Mit Ja haben 258 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 193 Abgeordnete gestimmt. 17 Kollegen oder Kolleginnen haben sich enthalten. Damit ist dieser Antrag angenommen. *)
— Das ist eine Frage, Herr Kollege, was Sie für knapp halten. Ich hielte das jetzt schon für eine deutliche Mehrheit — im Gegensatz zur vorhergehenden Abstimmung.Nun sind wir endgültig am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 25. Juni 1992, 9.00 Uhr ein.Ich wünsche eine gute Nacht oder sonstige gute Verrichtungen. Die Sitzung ist geschlossen.