Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile mit, daß wir die heutige Tagesordnung umgestellt haben. Sie beginnt jetzt mit der Befragung der Bundesregierung, an die sich dann Fragestunde und Aktuelle Stunde anschließen. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett u. a. mit dem Bericht des Arbeitsstabes Berlin/Bonn und der Zwischenbilanz zur Umsetzung des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost befaßt hat.
Ich bitte den Bundesminister des Innern, uns seinen einleitenden Bericht zu geben.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das Vergnügen, Ihnen aus der Kabinettsitzung zu berichten, wie über den Bericht des Bundesinnenministers auf der Grundlage der Arbeit des Arbeitsstabes Berlin/Bonn und unter selbstverständlicher Beachtung aller Elemente des Bundestagsbeschlusses vom 20. Juni 1991 entschieden wurde.
Das Kabinett hat den Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen und ihn unverändert gebilligt. Der Bericht zeigt die Arbeitsfortschritte der fünf Arbeitsgruppen — darauf will ich nur in Stichworten hinweisen: bauliche Maßnahmen und Wohnungsfürsorge, organisatorische Maßnahmen, dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen, regionale Strukturfragen im Raume Bonn, Verkehr — auf.
Er enthält ferner die vorgesehenen weiteren Planungen für die einzelnen Arbeitsbereiche. Darüber ist aber jetzt im Kabinett nicht diskutiert worden. Vielmehr ist das ein Zwischenbericht, an dem weitergearbeitet wird.
Im Mittelpunkt des Berichtes steht die Festlegung der nach Berlin zu verlagernden Ressorts und der Politikbereiche, die mit den entsprechenden Ministerien in Bonn verbleiben sollen. Sie wissen, daß die Überlegungen des Arbeitsstabes in dem sogenannten Kombinationsmodell ihre Grundlage haben. In der Kabinettsitzung am 16. Oktober 1991 wurde Einvernehmen erzielt, daß ein solcher Lösungsansatz mit einer
Aufteilung auf Berlin und Bonn dem Beschluß des Bundestages am ehesten entspricht.
Es geht darum, daß wir alle Elemente des Bundestagsbeschlusses gleichrangig umsetzen müssen. Wir müssen der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung auf der einen Seite und quantitativen Erwartungen für die in Bonn verbleibende personelle Kapazität andererseits Rechnung tragen.
Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß es falsch wäre, die Diskussion nach dem Motto zu führen: Welche Ressorts müssen nach Berlin, und welche können dann in Bonn bleiben? Vielmehr haben wir die Diskussion unter dem Gesichtspunkt geführt: Welche Politikbereiche können wir sinnvollerweise Bonn zuordnen, damit Bonn auch künftig einen politischen Schwerpunkt unseres Lebens in der Bundesrepublik Deutschland darstellt?
In Bonn sollen folgende Politikbereiche verbleiben bzw. ausgebaut werden: erstens Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie, Telekommunikation. Das bedeutet, daß in Bonn die Ressorts Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie und Post und Telekommunikation bleiben sollen.
Zweitens: Umwelt und Gesundheit, also der Verbleib des Umweltministeriums und des Gesundheitsministeriums.
Drittens: Entwicklungspolitik, internationales und nationales Nord-Süd-Zentrum: Verbleib des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das bedeutet in Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag auch — wenn das so gewollt wird und wenn die Voraussetzungen geschaffen sind — , daß wir uns um die internationalen Bereiche kümmern, also um die Ansiedlung internationaler Organisationen, z. B. Einrichtungen der Vereinten Nationen, in Bonn.
Viertens: Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Verbleib des Landwirtschaftsministeriums auch mit Blick auf Brüssel, Europa — sowie Verteidigung, d. h. Verbleib des BMVg in Bonn.
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Bundesminister Rudolf Seiters
Das heißt — um es noch einmal zusammenzufassen —, nach dem Ergebnis der heutigen Kabinettsberatung sollen neben dem Bundeskanzleramt und dem Bundespresseamt folgende Ministerien ihren Sitz nach Berlin verlagern: das Auswärtige Amt, der Bundesminister des Innern, der Justiz, der Finanzen, für Wirtschaft, für Arbeit und Sozialordnung, für Familie und Senioren, für Frauen und Jugend, für Verkehr, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Diese Ressorts werden Teilbereiche in unterschiedlicher Größenordnung in Bonn belassen.
In Bonn sollen folgende Ministerien verbleiben: Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Verteidigung, für Gesundheit, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, für Forschung und Technologie, für Post und Telekommunikation, für Bildung und Wissenschaft und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Durch den Verbleib dieser wichtigen Politikbereiche soll Bonn ein eigenes Profil entwickeln können. Sie sollen den Kristallisationskern für entsprechende Ansiedlungen, auch im gewerblichen und wissenschaftlichen Bereich, bilden. Die in Bonn verbleibenden Ressorts erhalten in Berlin einen zweiten Dienstsitz, d. h. alle Ressorts sind in Berlin vertreten. Hierdurch soll die politische und fachliche Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung sowie mit dem Parlament gewährleistet sein und werden.
Mit dieser Entscheidung wird die in dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 geforderte faire Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn nach unserer Auffassung erfüllt.
Auf die derzeitige Gesamtzahl von etwa 21 200 ministeriellen Arbeitsplätzen in Bonn bezogen, bedeutet dies, daß ca. 13 900 Arbeitsplätze, etwa 65 %, in Bonn erhalten bleiben. Den Vorgaben des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991, wonach der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten bleiben soll, wird damit Rechnung getragen.
Mit der heutigen Beschlußfassung hat die Bundesregierung entscheidende Voraussetzungen für die weiteren Planungen aller mit der Umsetzung des Bundestagsbeschlusses vom 20. Juni 1991 befaßten Stellen geschaffen und damit ein deutliches Zeichen gesetzt für ihre erklärte Absicht, daß der Beschluß des Deutschen Bundestages in allen seinen Teilen umgesetzt werden soll.
Die Bundesregierung bekräftigt ihre Aussage, daß sie die Verlagerung von Regierungsfunktionen nach Berlin in zeitlicher Abstimmung mit der Verlagerung des Deutschen Bundestages vornehmen wird. Der Arbeitsstab hält hierzu engen Kontakt zur Konzeptkommission und zur Baukommission des Deutschen Bundestages sowie zu der „Unabhängigen Föderalismuskommission".
Die Bundesregierung und der Senat von Berlin sind entschlossen, die erforderlichen bauplanerischen Maßnahmen zügig und in engem Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundestag einzuleiten.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, soweit meine einleitenden Bemerkungen.
Herzlichen Dank, Herr Minister.
Als erster hat sich der Abgeordnete Franz Müntefering gemeldet.
Herr Minister, ich will keine langen Ausführungen machen, sondern nur drei kurze Fragen stellen.
Ich bitte Sie, erstens noch einmal zu verdeutlichen, was mit den Dienststellen der Ministerien gemeint ist, die nach dem Vorschlag der Bundesregierung als Ministerien in Bonn bleiben sollen, aber Dienststellen in Berlin haben werden. Ich bitte um Erläuterung, was mit diesen Dienststellen gemeint ist, wie groß sie sind und ob damit gesichert ist, daß die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber dem Parlament in Berlin nachkommen kann.
Zweitens. Dieser Arbeitsstab war ja auch immer ein Arbeitsstab, an dem Berlin und Bonn auf ihre Art beteiligt waren. Ich bitte um Mitteilung, inwieweit die Grundsatzentscheidung, die ja schon vor einigen Wochen gefallen ist — daß es nämlich ein Mischmodell von vertikalen und horizontalen Maßnahmen geben soll — , in diesem Arbeitsstab mit den eben Genannten abgestimmt war.
Ich bitte Sie drittens, Herr Minister, zu sagen, in welcher Weise die Bundesregierung meint, daß auf Dauer festschreiben zu können, was sie im Augenblick vorschlägt, so daß im Deutschen Bundestag Sicherheit besteht, daß dies nicht nur eine Entscheidung für den Augenblick ist, sondern — durch ein Gesetz oder in anderer Weise — auch für künftige Bundesregierungen verpflichtend ist.
Ich will noch einmal sagen, Herr Kollege Müntefering, daß wir festgelegt haben, welche Ressorts nach Berlin gehen. Es gibt eine Übersicht über den Stellenhaushalt, der jetzt bei der Berechnung der einzelnen Positionen zugrunde gelegt worden ist. Daraus ergibt sich, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der nach Berlin gehenden Ressorts in Bonn verbleiben. Im übrigen bekommen die Ressorts, die in Bonn bleiben, einen zweiten Dienstsitz in Berlin. Das ist auch notwendig, um die Zusammenarbeit innerhalb der Regierung und mit dem Parlament sicherzustellen. Über Einzelheiten wird noch zu sprechen sein, aber die Aufschlüsselung der jetzt vorhandenen Zahlen liegt vor.
Das zweite: die Einbeziehung von Berlin. Dieser Arbeitsstab ist ein Arbeitsstab der Bundesregierung. Es hat im Vorfeld der Entscheidung eine Vielzahl von Besprechungen gegeben sowohl mit Vertretern von Berlin wie auch mit Vertretern der Region Bonn. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe und einmal so sagen darf: auch mehrere Einzelgespräche. Ich selbst habe am Montag noch mit Herrn Clement, Herrn Diepgen und Herrn Daniels Gespräche geführt. Aber unter Abgeordneten ist ja auch diskutiert worden.
Ich möchte noch einmal zu der grundsätzlichen Seite etwas sagen, auch nach dem bestimmte Forderungen in den letzten Tagen laut geworden sind: Ich bin weit entfernt davon, nicht auch Verständnis dafür zu haben, daß gegenüber diesen Überlegungen der
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Bundesminister Rudolf Seiters
Bundesregierung Einwände und Bedenken geltend gemacht werden könnten. Nur, wer sich den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 anschaut, der liest darin eine ganze Reihe von Forderungen, die wir erfüllen müssen. Das Parlament hat einen Anspruch darauf, daß sich die Bundesregierung an das hält, was das Parlament beschlossen hat.
Ich möchte wirklich die Frage stellen, ob man die Forderung unter diesen Beschluß unterordnen kann, die von der einen Seite erhoben wird: daß alle Ministerien nach Berlin gehen. Ich stelle auch die Frage, ob es wirklich richtig ist und machbar ist, wenn man die Forderung erhebt, daß 13 Ministerien in Bonn bleiben sollen. Ich finde schon, daß man sich an dem orientieren muß, was in dem Beschluß des Parlaments, der angenommen worden ist, niedergelegt ist, auch mit dem größten Teil der Arbeitsplätze in Bonn, mit der fairen Arbeitsteilung und mit dem Kernbereich der Regierungsfunktionen in Berlin.
Es war noch gefragt worden, wie das fest abgesichert werden soll.
Über die Frage, wie wir mit Blick auf Bonn und mit Blick auf Berlin die Dinge regeln — ob das durch einen Staatsvertrag geschieht oder ein Regierungsabkommen, ein Bonn-Gesetz oder wie auch immer — , werden wir noch reden.
Als nächster Dr. Franz Möller.
Herr Minister, ich bedanke mich für die Feststellung der Bundesregierung, daß der Beschluß vom 20. Juni 1991 in allen Teilen sorgfältig umgesetzt werden soll.
In Anknüpfung an das, was Herr Kollege Müntefering gefragt hat, möchte ich noch zusätzlich betont sehen, wie die Bundesregierung sicherstellen will, daß es nicht nur einen fairen Ausgleich, sondern auch einen beständigen Ausgleich gibt, und wissen, wie die Bundesregierung die Erklärung des Bundeskanzlers in seiner Rede vor der Industrie- und Handelskammer in Bonn vollziehen will, daß auch eine gesetzliche Fixierung dafür vorgesehen sei. Das wäre eine erste Frage.
Herr Minister.
Ich habe gerade darüber gesprochen, daß wir eine Regelung treffen wollen, die Bestand hat. Ich kenne natürlich die Diskussionen, die geführt werden sowohl in Berlin wie auch in der Region Bonn. Dies ist ein Beschluß, der Gültigkeit haben soll, wenn das dann endgültig so verabschiedet wird. Ich habe vorhin von den Möglichkeiten gesprochen, wie das rechtlich im einzelnen zu fixieren ist.
Darf ich noch eine weitere Frage stellen, Frau Präsidentin?
Eine Zusatzfrage ja, wenn sie kurz ist; denn wir haben eine Reihe von Fragestellern.
Wann wird die Bundesregierung über den Ausgleich der Stellen oder der Arbeitsplätze befinden, der erforderlich ist, um Bonn eine Chance des Überlebens zu geben?
Herr Kollege Möller, es gibt ein Datum. Das ist der 30. Juni 1992. Bis zu diesem Datum muß das Parlament eine Entscheidung treffen.
Wir haben im Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zwei Nummern, Nr. 4 und Nr. 6, auf die ich in diesem Zusammenhang hinweisen möchte. In der Nr. 4 heißt es, daß über die Entscheidung über die ministeriellen Arbeitsplätze, über die wir heute im Kabinett gesprochen haben, hinaus „für die Region Bonn ... unter Mitwirkung der Länder NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz sowie der Stadt Bonn Vorschläge erarbeitet" werden sollen, „die als Ausgleich für den Verlust des Parlamentssitzes und von Regierungsfunktionen die Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich zum Ziel haben".
Zum zweiten sollen mit Blick auf die „Unabhängige Föderalismuskommission" in Nr. 6 Vorschläge erarbeitet werden „zur Verteilung nationaler und internationaler Institutionen, die der Stärkung des Föderalismus in Deutschland auch dadurch dienen sollen, daß insbesondere die neuen Bundesländer Berücksichtigung finden" .
Dieses Datum, 30. Juni 1992, setzt im übrigen die zeitliche Grenze. Das heißt, wir werden — allerdings auch in enger Verzahnung mit den Institutionen und Einrichtungen des Deutschen Bundestages — dann die weiteren Vorschläge seitens der Bundesregierung machen. Heute war dies im Kabinett kein Thema.
Danke. Peter Conradi.
Herr Minister, das Haus hat mit großer Mehrheit den Antrag des Kollegen Geißler, die Regierungsfunktionen in Bonn zu belassen und die Parlamentsfunktionen nach Berlin zu nehmen, abgelehnt. Das Haus hat beschlossen, Berlin solle Regierungssitz werden und Bonn solle Verwaltungszentrum mit den Bereichen der Ministerien und Teilen der Regierung, die primär verwaltenden Charakter haben, bleiben.
Hätten Sie Verständnis dafür, daß das Haus möglicherweise die Auslegung, die die Regierung nun trifft, für eine Mißachtung des Parlamentswillens hält,
nämlich ganze Ministerien und ganze Politikbereiche in Bonn zu belassen und nicht nach Berlin zu verlegen? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage ist: Herr Minister, wie wollen Sie das mit der Organisationsgewalt zukünftiger Bundesregierungen vereinbaren? Glauben Sie, Sie können
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Peter Conradi
die Organisationsgewalt zukünftiger Bundesregierungen, d. h. das Recht des Bundeskanzlers, Ministerien zu bilden und nicht zu bilden, zusammenzulegen und zu verlegen, jetzt in einem Staatsvertrag mit dem Land Berlin auf Dauer einschränken?
Herr Minister Seiters.
Ich habe schon vorhin das gesagt, was mit Blick auf die rechtlichen Absicherungen, die rechtlichen Möglichkeiten und die Modelle, die dabei eine Rolle spielen, zu sagen war. Dabei möchte ich es jetzt auch belassen.
Aber ich möchte, Herr Kollege Conradi, die möglicherweise in Ihrer Bemerkung liegende Unterstellung mit Nachdruck zurückweisen, die Bundesregierung würde Beschlüsse des Deutschen Bundestages mißachten. Genau das Gegenteil ist der Fall.
In dem Beschluß des Deutschen Bundestages heißt es, daß der Kernbereich der Regierungsfunktionen in Berlin angesiedelt wird, daß es zwischen Bonn und Berlin eine faire Arbeitsteilung geben soll, daß „insbesondere die Bereiche in den Ministerien und die Teile der Regierung, die primär verwaltenden Charakter haben, ihren Sitz in Bonn behalten" und daß „der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten" bleiben soll.
Es gab auch andere Modelle; das ist ja bekannt. Es ist auch darüber diskutiert worden, ob es unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Regierung nicht richtig wäre — sagen wir einmal — , die politische Führung aller Ressorts nach Berlin zu verlagern und einen Schnitt durch die Ministerien zu machen. Das ist diskutiert worden, aber unter vielerlei Gesichtspunkten hat der Arbeitsstab — und wir haben mit vielen gesprochen, auch mit Bereichen außerhalb des Parlaments — diesen Gedanken verworfen.
Wir glauben, jetzt einen Vorschlag unterbreiten zu können, der, wenn er unseren Berliner Freunden in einem früheren Stadium und unseren Bonner Freunden in einem etwas späteren Stadium vorgeschlagen worden wäre, auf beiden Seiten sicherlich zu der Reaktion geführt hätte: Jawohl, das ist eine faire Entscheidung.
Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Bundesminister, bei der Auslegung des Beschlusses pflegt ja normalerweise das herangezogen zu werden, was in der Debatte gesagt worden ist.
— Viel Unsinn kann angesichts dessen, was ich jetzt sagen werde, nicht gesagt worden sein. Denn ich repliziere nur auf Äußerungen von Bundesministern.
Wieweit hat die Bundesregierung nach dem gehandelt, was Bundesminister in der Debatte zu der Frage gesagt haben, ob der Regierungssitz und Regierungsfunktionen aufgeteilt werden sollen oder nicht? Herr Bundesminister Genscher und Herr Bundesminister Schäuble haben sich als Berlin-Antrags-Befürworter dezidiert für einen einheitlichen Regierungssitz ausgesprochen und Herr Bundesminister Waigel und Herr Bundesminister Blüm als Bonn-Befürworter bzw. Befürworter des Geißler-Antrages für eine Aufteilung.
Nun frage ich die Bundesregierung: Wieweit hat sie die Festlegungen von Abgeordneten, die hier in Reden geäußert wurden — von Kollegen, die damals Bundesminister waren — , berücksichtigt? Inwieweit ist vorgesehen, daß Regierungsfunktionen entgegen dem Wortlaut des Beschlusses weiterhin in Bonn ausgeübt werden sollen?
Herr Kollege Lüder, ich habe versucht, in etwas zurückhaltender Form soeben darauf hinzuweisen, daß die zustimmende Kenntnisnahme dieses Beschlusses durch die Bundesregierung mit Bonner Augen oder mit Berliner Augen sicherlich sehr kritisch betrachtet wird und daß man, was Erwartungen betrifft, vielleicht aus der einen wie aus der anderen Ecke andere Vorstellungen entwickeln könnte. Aber ich empfehle noch einmal nachdrücklich, den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner Gänze zu lesen und zu würdigen, welche Bemühungen wir unternommen haben, um unter vielerlei Gesichtspunkten dem Petitum des Deutschen Bundestages Rechnung zu tragen.
Was die angesprochenen Kollegen betrifft, so verweise ich darauf, daß die zustimmende Kenntnisnahme und die unveränderte Billigung dieses Papiers im Kabinett in Anwesenheit der Kollegen Genscher und Schäuble erfolgt ist.
Herr Abgeordneter Horst Ehmke.
Herr Minister, ich möchte Ihnen zunächst bescheinigen, daß das, was die Regierung beschlossen hat, nicht nur mit dem Beschluß des Bundestages vereinbar ist, sondern meiner Meinung nach, auch wenn es weder die Berliner noch die Bonner Wünsche erfüllt, im ganzen einen vernünftigen Vorschlag darstellt.
— Über die Interpretation durch Minderheiten werde ich meinen Kollegen Conradi später aufklären.
Ich habe aber, da Sie die Probleme sehen, die in den Fragen angesprochen werden, die Bitte, daß Sie die erste Frage meines Kollegen Franz Müntefering etwas genauer beantworten. Ich gehe davon aus, daß sich die genannten Zahlen der nach Berlin zu verlegenden Arbeitsplätze der Ministerien, die in Bonn bleiben,
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Dr. Horst Ehmke
auf die Leitungsstelle oder den politischen Kopf in Berlin beziehen. Verstehe ich das richtig?
Herr Minister.
Einige Ressorts gehen ganz nach Berlin.
Nein, ich meine bei den Ministerien, die in Bonn bleiben, werden ja Zahlen in bezug auf Arbeitsplätze genannt, die nach Berlin verlegt werden. Ist das gewissermaßen die Besetzung der Kopfstelle, die die Verantwortung dieser Ressorts gegenüber dem Parlament wahrnimmt?
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister.
Wir haben in den Bericht ausdrücklich die Formulierung aufgenommen, daß das Personal, das beim zweiten Dienstsitz für Berlin zu berücksichtigen sein wird, noch nicht im einzelnen aufgeschlüsselt ist. Das ist, wie Sie verstehen werden, bei den einzelnen Ressorts auch sehr unterschiedlich und hängt von der Aufgabenstellung ab. Es wird mit den einzelnen Ministerien noch besprochen werden, was der zweite Dienstsitz in Berlin im einzelnen bedeutet.
Aber die Funktion soll sein, im Sinne des Beschlusses die politische Präsenz und die Verantwortung dieser Ressorts gegenüber dem Bundestag wahrzunehmen?
Ja.
Herr Abgeordneter Jochen Feilcke.
Ich darf daran erinnern: Nach § 28 unserer Geschäftsordnung gilt Rede und Gegenrede. Nach diesem Prinzip verfahre ich streng.
Herr Minister, ist die Interpretation richtig, daß nach dem Kabinettsbeschluß auch die Regierung davon ausgeht: Berlin ist Regierungssitz ohne Wenn und Aber,
d. h. wir reden nicht von einem zweiten Regierungssitz.
Die zweite Frage — wenn man so will, eine spezielle Frage zum selben Thema — : Welches ist die innere Begründung dafür, daß Sie vorsehen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit auch räumlich vom Außenministerium zu trennen und in Zukunft auch von den Botschaften zu entfernen?
Herr Minister Seiters.
Berlin ist Parlaments- und Regierungssitz, Bonn ist Standort von Ministerien. Wir entwickeln Politikbereiche, um
Bonn zu einem zweiten politischen Schwerpunkt auszubauen
und ihn zu erhalten.
Zu der Frage Entwicklungshilfeministerium habe ich darauf hingewiesen, daß das zu den thematischen Schwerpunkten gehört, die wir zum Ausgangspunkt für die Entscheidungen genommen haben. Das bedeutet natürlich: Wenn das Ministerium hier ist, bemühen wir uns darum, internationale Institutionen nach Bonn zu bekommen und über nationale Institutionen, die woanders sind, nachzudenken.
Bitte, Herr Feilcke.
Vielleicht darf ich das nochmals erläutern. Es geht mir vor allen Dingen darum, daß die Mitarbeiter der Botschaften im BMZ ein- und ausgehen. Wie wird das nach diesem Beschluß in Zukunft zu organisieren sein? Sind die Botschaftsmitarbeiter dann gezwungen, nach Bonn zu reisen?
Herr Kollege Feilcke, ich sehe wirklich nicht das Problem, das Sie mit dieser Frage ansprechen. Wenn wir es für richtig halten und wenn wir uns möglicherweise auch darauf verständigen können, daß in Bonn ein solches Zentrum entstehen und ausgebaut werden soll,
das die Entwicklungspolitik beinhaltet, verbunden mit einem internationalen und nationalen Nord-SüdZentrum — auch mit Blick auf den Beschluß des Deutschen Bundestages, auch mit Blick auf die Vorgabe, daß die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Bonn zu bleiben hat, auch mit Blick auf die Möglichkeiten, die in einem modernen Staatswesen in der Kommunikation zwischen Bonn und Berlin und mit anderen gegeben sind — , sehe ich darin eigentlich keine Probleme.
Frau Weyel.
Herr Minister, wir sind darüber einig, daß der Bundestag seinen Sitz in Berlin haben wird. Darf ich dann bei der Verteilung Ihrer Aufgaben erstens davon ausgehen, daß sich immer dann, wenn das Bedürfnis von Mitgliedern des Bundestages besteht, mit Beamten aus den Ressorts zu sprechen, diese Beamten in Richtung Berlin in Bewegung setzen und nicht daran gedacht ist, daß z. B. Ausschüsse Sitzungen hier abhalten werden, sondern daß alles, was mit dem Bundestag zusammenhängt, in Berlin stattfindet?
Zweitens. Sie haben eben einen Prozentsatz im Zusammenhang mit der Erhaltung der Arbeitsplätze in Bonn genannt. Dieser Prozentsatz bezieht sich ja nur auf die Arbeitsplätze der Regierung. Jedoch liegt es in der Natur der Sache, daß die Arbeitsplätze des Bundestages in toto nach Berlin gehen. Darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung den Satz, daß der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten bleibt, nur auf
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Gudrun Weyel
die Arbeitsplätze in den Ministerien bezieht? Oder gibt es bei der Bundesregierung Vorstellungen darüber, daß sich „der größte Teil der Arbeitsplätze" auf alle Arbeitsplätze bezieht, die mit der Hauptstadt zusammenhängen? Wie wird die Bundesregierung, falls sie meiner Interpretation zustimmt, sichern, daß tatsächlich die Mehrheit aller Arbeitsplätze in Bonn erhalten wird?
Herr Minister.
Das Parlament tagt in Berlin. Die Bundesregierung wird sicherstellen, daß die Abgeordneten die Informationen bekommen und die Gespräche führen können, die sie am Sitz des Parlaments brauchen. Wir haben ja auch ausdrücklich bei den Ressorts, die hier in Bonn verbleiben, gesagt, daß sie in Berlin einen zweiten Dienstsitz zur Gewährleistung der politischen und fachlichen Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung sowie mit dem Parlament erhalten. Ich sehe hier keine Probleme.
Darf ich eine kurze Nachfrage stellen?
Ja, bitte.
Bezieht sich das auch darauf, daß dann, wenn ein Ausschuß einen bestimmten Referenten eines Hauses benötigt, der aber eben nicht in Berlin sitzt, dieser eine Reise nach Berlin antritt?
Verehrte Frau Kollegin, der Beschluß des Deutschen Bundestages erfolgte am 20. Juni 1991. Heute haben wir noch nicht einmal Mitte Dezember. Sie kennen die Zeitvorgaben, wann das Parlament und wann die Regierung voll funktionsfähig in Berlin tagen sollen. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten mit der Aussage, daß wir, wenn das Parlament in Berlin tagt, diese Probleme bewältigen werden.
Ihre erste Frage bezog sich auf die Zahlen. Der Beschluß des Bundestages enthält folgende Aussage: Insbesondere die Bereiche in den Ministerien und die Teile der Regierung, die primär verwaltenden Charakter haben, behalten ihren Sitz in Bonn. Dadurch bleibt der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten. Das heißt: Von den ministeriellen Arbeitsplätzen bleiben 65 % hier. Aber selbst wenn Sie die andere Rechnung aufmachen wollten, was diesem Beschluß nicht entspricht, wären es, wenn man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundestages einbezöge, immer noch über 50 %.
Ich teile mit, daß wir die Regierungsbefragung auf Grund der noch vorliegenden Wortmeldungen bis 14.45 Uhr ausdehnen.
Als nächster Redner hat Professor Scholz das Wort.
Herr Minister, ich anerkenne das Bemühen der Regierung, dem Beschluß des Bundestages gerecht zu werden und einen Ausgleich herzustellen. Ich gehe dabei davon aus, daß die Regierung auch an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit interessiert ist. — Ihrem Nicken entnehme ich, daß ich das gar nicht zu einer Frage zu machen brauche.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie aber doch fragen und um Aufklärung zu einigen Begriffen bitten, die Sie vorhin in Ihrer Darstellung benutzt haben.
Nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages ist Berlin Parlaments- und Regierungssitz. Jetzt tauchte nun der Begriff eines zweiten Regierungsstandorts auf.
Sie haben, wenn ich es richtig mitbekommen habe, jetzt zweimal davon gesprochen: Bonn wird ein politischer Schwerpunkt.
In dem Beschluß haben wir nur von einem Verwaltungszentrum gesprochen. Wir haben den Begriff des politischen Schwerpunkts gehört. Wir haben von denjenigen Ministerien, die nach Berlin gehen, gehört, daß sie in Bonn einen zweiten Dienstsitz bekommen sollen. Daraus schließe ich, daß der erste Dienstsitz wohl in Berlin sein muß.
Wie ist das Verhältnis von Dienstsitz zu Regierungssitz? Wie ist das Verhältnis von Regierungssitz zu Regierungsstandort? Wie ist das Verhältnis von Verwaltungszentrum zu politischem Schwerpunkt?
Ich glaube, es wäre nützlich, Herr Minister, wenn Sie uns hier etwas Aufklärung über die Intention und die Interpretation der Regierung gäben.
Herr Minister.
Herr Kollege Scholz, normalerweise zitieren Sie immer sehr präzise. Dies trifft bedauerlicherweise für den ersten angesprochenen Punkt nicht zu; denn von einem zweiten Regierungsstandort war weder in meinen Einlassungen noch in dem Papier, das ich zu vertreten habe, die Rede.
In dem Papier heißt es: Bildung von Politikbereichen in Bonn. Durch den Standort von Ministerien soll Bonn ein eigenes Profil entwickeln können. Sie sollen den Kristallisationskern bilden usw. Ich habe das schon zitiert.
„Dienstsitz", das ist eine Arbeitsformulierung, die darauf hindeuten soll, daß die in Bonn verbleibenden Ressorts in Berlin zur Gewährleistung der politischen und fachlichen Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung sowie mit dem Parlament einen zweiten Dienstsitz erhalten. Vielleicht können wir beide uns zu diesem Thema noch einmal zusammensetzen. Viel-
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Bundesminister Rudolf Seiters
leicht fällt Ihnen ja eine wirklich griffige und überzeugende Formulierung ein,
der gegenüber ich mich dann sehr aufgeschlossen zeigen werde.
Zusatzfrage.
Zunächst bedanke ich mich für die Einladung. Ich hoffe, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich gebe Ihnen gern eine Interpretation, aber ich befürchte, daß etwa Herr Ehmke dagegen sofort schärfstens protestieren wird.
Zum Begriff des Dienstsitzes möchte ich aber doch eine Zusatzfrage stellen: Was bedeutet „Regierungssitz" in der administrativen Umsetzung? Der Kernbereich der Regierungsfunktionen erlaubt meines Erachtens nicht Differenzierungen zwischen erstem und zweitem Dienstsitz. Mit welcher Begründung sieht die Bundesregierung das anders?
Ich kann mich auch hier im Grunde eigentlich nur wiederholen, wenn ich sage: Berlin ist Sitz des Parlaments und der Regierung; es bleiben Ministerien in Bonn, die hier ihre Arbeit verrichten. Aber durch den zweiten Dienstsitz oder Amtssitz — oder wie Sie es formulieren wollen — wird sichergestellt, daß die volle Präsenz der Regierung in Berlin dann gegeben ist, wenn dies auf Grund der Sitzungen, auf Grund der Zusammenarbeit mit dem Parlament usw. erforderlich ist.
Herr Wartenberg.
Herr Bundesminister, ich stimme Ihnen zu, daß Sie mit der Umsetzung des Antrages einen schwierigen Punkt zu bewältigen versucht haben, nämlich daß die Mehrheit der Arbeitsplätze oder größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn bleibt. Aber dies steht unter der Einschränkung, daß diese Arbeitsplätze verwaltenden Charakter haben sollen und daß es sich hier um ein Verwaltungszentrum handelt.
Diese Eingrenzung ist — und ich bitte Sie, darauf zu antworten — dadurch verstärkt worden, daß, bevor dieser Beschluß gefaßt wurde, dieses Haus, und zwar Bonn-Befürworter wie Berlin-Befürworter gleichermaßen, den Vorschlag von Herrn Geißler mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hat. Damit ist die Interpretation für den Begriff „Verwaltungszentrum" und für die Aussage, daß die Arbeitsplätze verwaltenden Charakter haben sollen außerordentlich eng. Wie paßt da die Terminologie „erster oder zweiter Regierungssitz" oder „Standort für einzelne Ministerien" hinein? Ich frage danach unter dem Aspekt, daß das Haus vorher ganz explizit einen Teilungsvorschlag mit großer Mehrheit abgelehnt hat und damit natürlich den
Hauptbeschluß interpretiert und an einer entscheidenden Stelle eingeengt hat.
Herr Minister.
Herr Kollege Wartenberg, ich räume Ihnen als einem derjenigen, die diesen Antrag, wie ich denke, mit eingebracht haben, gern ein, daß dieses Papier in seinen Formulierungen von 1 bis 9, dem der Deutsche Bundestag dann zugestimmt hat, eine Fundgrube für Interpretationsmöglichkeiten darstellt. Das ist war.
Aber es gibt eben einige Eckpunkte, an denen wir, glaube ich, nicht vorbeigehen sollten, und zu diesen Eckpunkten gehören — ich will das noch einmal zitieren — die Sätze, in denen nicht von den Regierungsfunktionen, sondern vom Kernbereich der Regierungsfunktion die Rede ist
und in denen nicht vom verwaltenden Charakter die Rede ist, sondern von den Teilen der Regierung, die primär verwaltenden Charakter haben.
Ich kann also eigentlich nur darum bitten, daß jetzt alle Beteiligten, insbesondere diejenigen,
die besonders engagiert sind, d. h. die, die diesen Antrag unterschrieben haben, und die, die den anderen Antrag unterschrieben haben, doch einmal diese Vorlage und diesen Beschluß des Kabinetts wirklich unter dem Gesichtspunkt prüfen, welche Alternativen es denn dazu gibt, um den Beschluß des Deutschen Bundestages umzusetzen. Ich glaube, wenn Sie sich intensiv damit auseinandersetzen, werden Sie doch sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß es sehr schwierig sein wird, eine bessere und überzeugendere Lösung zu finden als diese. Aber wir werden darüber auch in den Gremien des Deutschen Bundestages ja noch weiter diskutieren.
Ich bitte beide Seiten, sich kürzer zu fassen, damit diejenigen noch zum Zuge kommen, die auf der Liste stehen.
Frau Limbach, bitte.
Ich gehe davon aus
— das hat man auch jetzt Ihren Ausführungen, Herr Bundesminister Seiters, entnommen — daß sich auch die Regierung sehr intensiv mit diesem Beschluß befaßt hat, von dem ich noch einmal sage, daß er für uns, die wir sehr knapp unterlegen sind, nur sehr schwer mitzutragen ist und nur dann mitgetragen wird
— dann aber auch ganz, in allen Teilen mitgetragen wird —, wenn auch alle Teile berücksichtigt werden.
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Editha Limbach
Ich wiederhole das deshalb ausdrücklich einleitend, weil man sich immer wieder in der Öffentlichkeit und auch sonst gegen den Vorwurf wehren muß, man habe hier vor, irgendwelche Gemeinheiten zu begehen. Das ist überhaupt nicht der Fall, sondern wir wollen, wenn wir schon nicht haben obsiegen können, dann aber den Antrag so, wie er die Mehrheit gefunden hat, auch ganz, in allen Teilen, umgesetzt haben.
— Ich habe eine Einleitung gemacht. Die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben sich nicht wesentlich kürzer gefaßt.
Daraus folgt für mich die Frage: Sieht die Regierung bei der Interpretation des Beschlusses, wonach der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten bleiben soll, nur die Punkte, die jetzt genannt worden sind? Oder bezieht die Regierung in ihre Betrachtungen auch ein, daß die Sicherheit dieser Arbeitsplätze nur dann gewährleistet werden kann, wenn sie von dem flankiert werden, was ebenfalls in dem Beschluß steht, nämlich von Institutionen nationalen und internationalen Charakters aus Kultur und Wirtschaft? Und wird die Regierung rechtzeitig im kommenden Jahr Vorschläge unterbreiten, die möglicherweise berücksichtigen, daß man hierher auch solche Institutionen holen kann, bei denen die sozialen Probleme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in hier vorhandenen Regierungsbereichen, in der Weise berücksichtigt werden können, daß man dann den Dienstherrn wechselt, aber nicht den Dienstort wechseln muß?
Herr Minister.
Es gibt in der Tat diesen zweiten Teil des Beschlusses. Ich antworte mit den Formulierungen des Arbeitsstabs: Zum Ausgleich der durch den Verlust des Parlamentssitzes und von Regierungsfunktionen wegfallenden Arbeitsplätze in den Ministerien sowie im Deutschen Bundestag wird die Verlagerung von Bundeseinrichtungen nach Bonn erfolgen müssen. Der Deutsche Bundestag erwartet hierzu in seinem Beschluß vom 20. Juni Vorschläge der Bundesregierung, die die Übernahme und Ansiedlung von für Bonn neuen Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich zum Ziel haben.
Hier wird die Formulierung des Bundestagsbeschlusses übernommen. Aber damit nicht der Eindruck entsteht, es werde bei der Diskussion jetzt nur über Bonn und Berlin geredet, füge ich hinzu: Wir sprechen in der Föderalismuskommission auch über die Bundesländer insgesamt, insbesondere über die neuen Bundesländer. Das gehört dazu, wenn wir von einer fairen Arbeitsteilung sprechen.
Frau Hartenstein.
Ich räume zunächst ein, Herr Minister, daß es gewiß nicht leicht ist, den
Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni adäquat umzusetzen. Das gilt insbesondere für den Abschnitt 4. Aber ich muß doch feststellen, daß die Vorschläge der Bundesregierung, die jetzt vorliegen, schnurstracks am Inhalt dieses Beschlusses vorbeimarschieren. Das wird sich das Parlament wohl kaum gefallen lassen können.
Meine spezielle Frage richtet sich darauf, welche Gründe es denn dafür gibt, daß unter den vorgeschlagenen Ressorts, die in Bonn verbleiben, auch Ressorts wie z. B. das Umweltressort, in denen intensive Gesetzgebungsarbeit geleistet werden muß. Der Gesetzgeber sitzt ja schließlich in Berlin. Was gibt es also für Kriterien, an denen Sie entlanggegangen sind, um diese Entscheidung zu fällen, und wie stellt man sich die sachliche und organisatorische Verzahnung beispielsweise in einem solchen Bereich vor, in dem es unerläßlich ist, daß Parlament und Ministerium eng zusammenarbeiten und deswegen auch räumlich nahe beieinander angeordnet werden müssen?
Herr Minister.
Ich habe, verehrte Frau Kollegin, darauf hingewiesen, daß es darum geht, die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung sicherzustellen, die quantitativen Erwartungen, die in dem Beschluß vom 20. Juni niedergelegt worden sind, zu erfüllen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, um Bonn zu einem zweiten politischen Schwerpunkt zu entwickeln oder auszubauen. Deshalb haben wir die Diskussion nicht — ich unterstreiche das noch einmal nachdrücklich — unter dem Gesichtspunkt geführt: Welche Ressorts müssen denn nun unbedingt nach Berlin, und welche können hier in Bonn bleiben? Denn das hätte uns in eine sehr ungute Diskussion über die Wertigkeit von Ressorts geführt. Wir haben uns vielmehr bemüht, das Thema anders anzugehen, nämlich von der Frage her: Welche Politikbereiche bieten sich denn unter diesen vom Parlament selbst gesetzten Vorgaben an? Zu diesen Politikbereichen gehört neben den bereits genannten Themen das Thema „Umwelt und Gesundheit" .
Herr Abgeordneter Röhl.
Herr Minister, im Berlin-Beschluß heißt es, daß Berlin Parlaments- und Regierungssitz werden soll und daß der Kernbereich der Regierungsfunktionen in Berlin angesiedelt wird.
Nun haben Sie uns eine Reihe von Ministerien genannt, die in Bonn bleiben und einen zweiten Dienstsitz in Berlin haben sollen. Weiter wurde gesagt, daß Bonn Verwaltungszentrum sein soll. Ist daraus nun zu schließen, daß wir diese Ministerien in Zukunft in erster Linie als Verwaltung und nicht als Ministerien ansehen müssen?
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5625
Dr. Klaus Röhl
Zweitens wurde gesagt, daß ein Teil der Bundesdienststellen in die neuen Länder verlagert werden soll. Können Sie bitte sagen, an welche Bundesdienststellen Sie dabei gedacht haben?
Das letztere kann und will ich jetzt nicht tun, auch deswegen nicht, weil dies eine Aufgabe ist, die sich nicht allein der Bundesregierung, sondern auch dem Deutschen Bundestag und den Ländern stellt. Deswegen haben wir die „Unabhängige Föderalismuskommission" gebildet. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, richtet die Föderalismuskommission geradezu die Erwartung an uns, an diese Frage mit ihr gemeinsam heranzugehen.
Zur ersten Frage erlaube ich mir nur den Hinweis, daß der Beschluß vom 20. Juni 1991 nach meiner Einschätzung und Beurteilung nicht vereinfachend als „Berlin-Beschluß" dargestellt werden kann.
Es ist vielmehr ein Beschluß, der die Überschrift „Vollendung der Einheit Deutschlands" trägt. Das heißt: Wir haben an Berlin zu denken, wir haben an Bonn zu denken, wir haben an die neuen Bundesländer und an den Föderalismus in unserem Lande zu denken.
Zu der anderen Frage habe ich mich schon geäußert.
Nächster Fragesteller ist der Herr Abgeordnete Otto Schily.
Herr Minister, wenn mein Fraktionskollege Ehmke Sie lobt, dann besteht Anlaß zu Skepsis.
Das reizt mich zu der Frage, von wem Sie gern gelobt werden möchten, Herr Kollege Schily.
Das ist sicher die Frage. — Herr Minister, würden Sie mir darin folgen, daß in der Öffentlichkeit doch der Eindruck entsteht, daß Sie zwar eine geschickte Terminologie einführen, aber doch eine Kulisse bilden, in der Sie Ihre Aufgabe letzten Endes insofern mißverstehen, als Sie als Bundesregierung zwar zwischen den verschiedenen Ansprüchen, die in Bonn und Berlin geltend gemacht werden, jetzt schlichten, sich aber nicht an den Beschluß des Bundestages halten, daß Sitz des Bundestages und der Regierung Berlin sein soll? Denn das, was Sie uns hier jetzt anbieten, ist de facto ein zweiter Regierungssitz Bonn. Ihre letzten Ausführungen unterstützen diese These.
Das mündet für mich in die Frage — die auch in dem Kommentar einer großen Tageszeitung zum Ausdruck kam — , ob von Interessierten nicht doch sehr starke Pressionen in Richtung eines solchen Beschlusses, wie Sie ihn heute verkündet haben, ausgeübt worden sind.
Hier sind überhaupt keine Pressionen ausgeübt worden. Wenn die Absicht bestanden haben sollte, sind sie nicht angekommen. Jedenfalls hat sich dadurch niemand beeinflußt gefühlt oder gesehen. Vielmehr haben wir uns bemüht — ich darf es hier noch einmal mit meinen Worten sagen — , den Beschluß des Deutschen Bundestages auf faire Weise in eine Beschlußvorlage für das Kabinett zu bringen. Im Kabinett sitzen Kolleginnen und Kollegen, die für den Regierungs- und Parlamentssitz Berlin gestimmt haben, und solche Kolleginnen und Kollegen, die am 20. Juni für Bonn votiert haben.
Der Bericht des Arbeitsstabes und mein Bericht sind heute — ich sage es noch einmal — unverändert gebilligt und zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Daraus mögen Sie ersehen, daß wir dort, wo wir intensiv diskutiert, wo wir die Motive dargestellt haben, warum wir zu dieser Entscheidung gekommen sind, wo wir die Alternativen erörtert haben, die sich als nicht tragfähig erwiesen haben, offensichtlich eine Chance hatten, zu überzeugen. Da das möglicherweise hier nicht schon in einer halben Stunde zu erwarten ist, hoffe und setze ich darauf, daß sich in den Diskussionen, die wir darüber noch führen, und bei der Abwägung der anderen Modelle und Alternativen — um die ich bitte — doch die Überzeugung durchsetzt, daß dies ein Beschluß, eine Vorlage ist, die auch der Befriedung dient.
Meine Damen und Herren, wir sind jetzt in folgender Situation: Es möchten noch fünf Abgeordnete Fragen stellen.
Die Präsidentin hatte die Regierungsbefragung bereits verlängert, und natürlich haben einige Kollegen und Mitglieder der Bundesregierung im Blick auf die angesetzte Fragestunde weitere Termine gemacht.
Da dieses Thema — so darf ich wohl sagen, Herr Bundesminister — ein brisantes Thema ist, würde ich doch raten, daß sich die Geschäftsführer und der Altestenrat Gedanken darüber machen, wie wir es weiter behandeln. Ich glaube, es ist jetzt nicht sehr fair und nicht sehr sinnvoll, wenn wir all diese Fragen jetzt noch abwickeln.
Deshalb lautet mein Vorschlag: Ich schließe nun die Regierungsbefragung, und wir überlegen, wie wir das Thema weiter behandeln.
Einverstanden.
Ich bedanke mich für die Freundlichkeit, mit der Sie mich hier behandelt haben.
5626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Dann ist die Regierungsbefragung abgeschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 12/1765 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Bundesminister Friedrich Bohl zur Verfügung.
Für die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Benno Zierer ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Gansel auf :
Trifft es zu, daß die vor dem 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichtes wegen geheimdienstlicher Tätigkeit angeklagte Regierungsdirektorin G. als Mitarbeiterin des BND 1986 einen Bericht über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen am Bau einer chemischen Fabrik im libyschen Rabta erstellt hat, und welchen Inhalt hatte dieser Bericht?
Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Gast gehörte im BND zu der Arbeitseinheit, die für die Endfassung aller vom BND ausgehenden Meldungen zuständig ist. Dies vorausgeschickt, möchte ich den ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Gansel, mit einem Nein beantworten. Frau Gast hat den BND-Bericht, den Sie meinen, redigiert, aber nicht verfaßt.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich Sie auf den Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen vom 15. Februar 1989, Drucksache 11/3995, Seite 5, verweisen. Dort ist der von Frau Gast redigierte BND-Bericht, der vom 28. Januar 1986 datiert, inhaltlich wiedergegeben.
Herr Kollege Gansel, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie erklären Sie, daß dem „Spiegel" zufolge Frau Gast vor Gericht ausgesagt hat, sie habe 1986 auch einen Bericht des BND über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen am Bau einer Giftgasfabrik im libyschen Rabta verfaßt, während der sogenannte Schäuble-Bericht, also der Bericht der Bundesregierung vom Februar 1989, im Zusammenhang mit dem von Ihnen zitierten 28. Januar 1986 nur den Hinweis auf ein namentlich nicht genanntes Unternehmen enthält, das auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Tajura an der Herstellung von Lost beteiligt gewesen sein soll?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter, zunächst darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich natürlich nur über den Erkenntnisstand des Bundesnachrichtendienstes, den ich hier referiere, berichten kann. Es ist nicht die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes, hier über laufende Verfahren zu berichten.
Ansonsten kann ich Sie nur darauf verweisen, daß mir mitgeteilt worden ist, daß es aus dem Jahre 1986 keinen BND-Bericht über Rabta gibt.
Herr Kollege Gansel, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich stelle einen Widerspruch zwischen dem, was Sie mir zuerst geantwortet haben, und dem, was Sie jetzt sagen, fest. Das eigentliche Politikum besteht darin, daß nach Aussage der BND-Regierungsdirektorin Frau Gast die Bundesregierung schon 1986 gewußt hat, daß deutsche Firmen bei der Giftgasfabrik in Rabta beteiligt sind. Das hat die Bundesregierung bisher bestritten, und das ist auch nicht in dem sogenannten Schäuble-Bericht enthalten. Es ist, wie Sie wissen, eine Information mit einem ziemlichen Karatgehalt.
Herr Kollege Bohl, bevor Sie antworten, darf ich eine kleine Protokollbemerkung in Richtung des Kollegen Gansel machen: Es handelt sich bei unserem Kollegen Bohl neuerdings um einen Bundesminister, nicht um einen Staatsminister.
Auch ein Bundesminister kann Staat machen, Herr Präsident. Es war nicht abwertend gemeint.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal auf die Chronologie verweisen, die in der von mir bereits erwähnten Drucksache 11/3995 zu finden ist. Dort heißt es auf Seite 5 zum 28. Januar 1986:
BND meldet, daß die Anlage für die Herstellung von Lost in Libyen unter Leitung eines Mitarbeiters eines namentlich genannten deutschen Unternehmens errichtet worden sein soll, deren Standort sich vermutlich auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Tajura befinde . Vorprodukte, die Libyen im Ausland beziehen müsse, würden über griechische, maltesische und britische Tarnfirmen abgewickelt, seien jedoch noch nicht erkannt worden.
Verteiler: BK-Amt, AA, BMWi Soweit die Seite 5.
Auf Seite 6 heißt es in Fortsetzung zu diesem Punkt:
Der Verband der Chemischen Industrie wurde darauf hingewiesen, bei evtl. Verkäufen über Zwischenhändler aus den genannten Ländern besondere Sorgfalt walten zu lassen.
Soweit die Eintragung unter dem 28. Januar 1986.
In dem Bericht von 1986 ist also von Rabta keine Rede. Das habe ich auf Ihre Zusatzfrage hin noch einmal deutlich zu machen versucht. Ich kann also keinen Widerspruch zwischen meinen Antworten auf Ihre eigentliche Frage und auf Ihre erste Zusatzfrage erkennen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5627
Frau Abgeordnete Mehl.
Es wurde erwähnt, daß ein deutsches Unternehmen beteiligt ist. Wie lautet der Name dieses deutschen Unternehmens?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Frau Abgeordnete, ich kann nur das wiederholen, was unter dem 28. Januar 1986 wiedergegeben ist. Ich vermute, daß das insoweit eine erschöpfende Darstellung des BND-Berichts ist. Falls das nicht der Fall sein sollte oder wenn Sie Anhaltspunkte für diese Auffassung haben, dann lassen Sie mich das wissen. Dann will ich gern prüfen, ob ich Ihnen weitere Auskunft geben kann.
Nächste Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, auch im Auswärtigen Ausschuß noch einmal über diesen BND-Bericht der Frau Dr. Gast zu unterrichten? Dann haben Sie auch die Möglichkeit, sich noch einmal vollständig zu informieren.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Ich will gern alle Möglichkeiten prüfen, das Hohe Haus so umfassend, wie es geht, und in angemessener Weise zu unterrichten. Ich würde dann mit dem Außenminister noch einmal Rücksprache nehmen, was bisher publiziert wurde und was zur Erfüllung Ihrer Wünsche möglich ist.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Minister, gibt es denn einen solchen Bericht der Frau Gast mit ausdrücklicher Erwähnung des Projekts Rabta?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter Schily, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur das wiedergeben, was sich hier in meinen Unterlagen befindet. Danach hat Frau Gast, die zu dieser Arbeitseinheit gehörte, die sich mit der Redigierung und der Endabfassung von BND-Berichten befaßt, den BND-Bericht, der vom 28. Januar 1986 datiert ist — ich unterstelle, daß es um diesen hier geht; Herr Kollege Gansel, Sie nicken — —
Friedrich Bohl, Bundesminister: Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich mehrfach versucht habe hier zu betonen: Frau Gast hat den Bericht, Herr Kollege Gansel, vom 28. Januar 1986 redigiert. Dieser Bericht vom 28. Januar 1986 ist in der von mir erwähnten Drucksache auf Seite 5 unten inhaltlich wiedergegeben.
Wenn Sie dazu weitere Fragen oder Erkenntnisse haben, lassen Sie mich es wissen. Ich kann Ihnen nur das vortragen, was sich bei den Materialien befindet, die ich hier zur Hand habe.
Herr Gansel, Sie hatten Ihre drei Fragen. Jetzt Kollege Schmidt, bitte sehr.
Herr Minister, ich denke aber, daß Sie bei Ihrer Beantwortung bisher nicht auf die ursprüngliche Frage eingegangen sind. Deswegen wiederhole ich sie: Trifft es zu, daß die vor dem 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichtes wegen geheimdienstlicher Tätigkeit angeklagte Regierungsdirektorin — ihren Namen haben wir schon mehrfach genannt — als Mitarbeiterin des BND 1986 einen Bericht über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen am Bau einer chemischen Fabrik im libyschen Rabta erstellt hat, und welchen Inhalt hatte dieser Bericht?
Über den Inhalt haben Sie einiges sehr weitschweifig, würde ich einmal formulieren, ausgesagt, aber nicht darüber, ob Rabta definitiv darin steht.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Ich kann Ihnen nur sagen, was sich aus den Unterlagen ergibt, die mir im Moment zugänglich sind. Das war meine Antwort auf die erste Zusatzfrage von Herrn Gansel. Die Antwort lautete: Es gibt keinen BND-Bericht aus 1986 über Rabta. Das war die Antwort auf die erste Zusatzfrage von Herrn Gansel. Das kann ich hier nur wiederholen: Es gibt keinen BND-Bericht aus 1986 über Rabta. Ich wiederhole das gerne noch einmal. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall. Dann bedanke ich mich, Herr Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner erschienen.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Günther Müller auf :
Ist der Bundesregierung die Anzeige des niedersächsischen Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten bekannt, in der davon gesprochen wird, daß eine „unmenschliche, organisierte Haßkampagne gegen Flüchtlinge" in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Dr. Müller, die Antwort lautet wie folgt: Die Anzeige „Niedersachsen für humane Asylpolitik", die am 30. November 1991 u. a. in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlicht worden ist, ist der Bundesregierung natürlich bekannt.
Herr Staatssekretär, im Text dieser Anzeige wird von einer unmenschlichen, organisierten Haßkampagne gegen Flüchtlinge gesprochen. Sind Ihnen die Organisatoren einer solchen Kampagne bekannt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Müller, meine Antwort auf diese Frage beinhaltet eigentlich schon die Antwort auf Ihre Frage 5. Darf ich in die Beantwortung die Antwort auf Ihre Frage 5 einbeziehen?
Ich rufe auch Frage 5 auf :
5628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Vizepräsident Hans Klein
Sind der Bundesregierung die Organisatoren dieser Kampagne bekannt, bzw. was gedenkt sie gegen die Organisatoren dieser Haßkampagne zu unternehmen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Antwort darauf: Die Bundesregierung hat die Übergriffe der vergangenen Monate, die sich gegen Asylbewerber und ausländische Arbeitnehmer, aber auch gegen deutsche Aussiedler gerichtet haben, auf das Schärfste verurteilt. Sie weiß sich hierin mit allen demokratischen Kräften dieses Landes einig.
Der Bundesregierung liegen für die in der zitierten Anzeige zum Ausdruck kommende Auffassung, es handele sich um eine „organisierte Haßkampagne", keine Anhaltspunkte vor. Eine Steuerung der Vorgänge durch extremistische Organisationen ist nicht erkennbar. So läßt die unterschiedliche und zumeist dilettantische Vorgehensweise der ermittelten und gemeldeten meist jugendlichen Tatverdächtigen bei der Durchführung der Anschläge ein einheitliches, gesteuertes Vorgehen nicht erkennen. Auch bei den bisher nicht aufgeklärten Delikten dürfte es sich überwiegend um spontane Aktionen örtlicher Täter gehandelt haben.
Herr Kollege Dr. Müller, nach unserem Regelwerk haben Sie drei weitere Zusatzfragen — theoretisch.
Auch praktisch, Herr Präsident.
Die zweite.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Meinung, daß diese Anzeige, die in einer überregionalen Zeitung und nicht in Niedersachsen erschienen ist, dazu dient, die Bundesrepublik im Ausland in Mißkredit zu bringen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Müller, die Bundesregierung sieht es im konkreten Fall nicht als ihre Aufgabe an, im Einzelfall Meinungsäußerungen, die ein Landesminister für eine Landesregierung abgegeben hat, zu bewerten. Dessenungeachtet möchte ich aber noch einmal betonen, daß die vorgetragene Behauptung, es handle sich um eine organisierte Haßkampagne, nicht zutreffend ist.
Die dritte Frage.
Herr Staatssekretär, ist eigentlich das niedersächsische Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten nach Kenntnis der Bundesregierung zuständig für solche Fragen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Müller, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es sich um eine Meinungsäußerung eines Mitglieds einer Landesregierung handelt. Ob er das im Rahmen der geschäftsordnungsmäßigen Zuständigkeit getan hat, entzieht sich meiner Kenntnis, will ich auch nicht bewerten. Da es sich aber um eine politische Äußerung handelt, muß man natürlich davon ausgehen, daß diese Meinung innerhalb dieser Landesregierung, zumindest von dem Ressortminister, vertreten
wird. Insoweit kann ich nur auf das verweisen, was ich schon mehrfach ausgeführt habe: kein Hinweis auf eine organisierte Haßkampagne.
Bitte, Herr Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, nachdem das von Ihnen bestätigt wurde: Könnte es sein, daß diese Behauptung ohne Hintergrund aufgestellt wurde, daß es sich um eine Kampagne innerhalb der niedersächsischen Landesregierung handelt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Auch dazu, Herr Kollege Dr. Müller, fehlen uns die nötigen Hinweise, um eine Bewertung abzugeben.
Herr Kollege Schreiner, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der „Süddeutschen Zeitung" im Oktober dieses Jahres in einem Kommentar die Rede davon war, daß das Verhalten des bayerischen Innenministers den Tatbestand der Volksverhetzung zu erfüllen drohe, und ist die Bundesregierung geneigt, dieser Bewertung zu folgen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es liegt nicht in meiner Zuständigkeit, einen Kommentar in einer Zeitung nun meinerseits zu kommentieren. Da mir aber der bayerische Innenminister sehr gut bekannt ist, halte ich einen solchen Vorwurf für nicht gerechtfertigt.
Ich darf mir nur den Hinweis erlauben: Zusatzfragen sind zum Inhalt der Frage zu stellen. Soweit sich eine Frage auf eine Zeitungsveröffentlichung bezieht, kann man nicht jede beliebige Veröffentlichung in Zeitungen als Vorwand für eine Zusatzfrage nutzen.
Bitte, Herr Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, da von einer Hetzkampagne gesprochen wird: Ist Ihnen dieser wüste Hetz-Artikel bekannt, der in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, die von einem Bundesamt herausgegeben wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Dr. Hirsch.
Damit sind beide Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich erledigt. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk zur Verfügung.
Bei der Frage 6 des Abgeordneten Müller , Frau Kollegin, ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5629
Vizepräsident Hans Klein
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Gerd Andres auf:
Seit wann sind die derzeit geltenden Barbeträge nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG gültig, und wann ist mit einer Anpassung an die seitherige Preisentwicklung zu rechnen?
Herr Präsident! Lieber Kollege Andres, zum ersten Teil Ihrer Frage: Die derzeit geltenden Barbeträge, von deren vorheriger Verwertung Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden darf, gelten allgemein seit dem 1. April 1988. Die Rechtsverordnung von 1988 ist mit Datum vom 23. Oktober 1991 geändert worden, und zwar mit der Wirksamkeit ab dem 1. Oktober 1991. Sie hat eine Anhebung des geschonten Barbetrags von 2 500 auf 4 500 DM gebracht, allerdings nur für ganz bestimmte Personenkreise. Das sind Hilfesuchende, denen Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, und zwar nur dann, wenn diese Personen das 60. Lebensjahr vollendet haben oder wenn sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung oder eine vergleichbare Invalidenrente beziehen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Eine allgemeine Anpassung der Freibeträge an die wirtschaftliche Entwicklung ist in der Vergangenheit stets nur in größeren Zeitabständen erfolgt. Nach der Neubestimmung der Beträge zum 10. November 1970 trat die nächste Anhebung erst am 1. Januar 1980, also zehn Jahre später, in Kraft. Ihr folgte dann eine Neufestsetzung zum 1. April 1988. Das ist die, von der ich eben berichtet habe. Bei dieser Anhebung im Jahre 1988 hat es bereits erhebliche Widerstände seitens der Länder wegen der auf sie entfallenden Kosten gegeben.
Ich bin übrigens gern bereit, Ihnen die Rechtsverordnung — in der geänderten Form — auszuhändigen. Ich habe sie mitgebracht.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ich danke herzlich; ich bin im Besitz der Rechtsverordnung. — Frau Staatssekretärin, da, wie Sie selbst ausgeführt haben, die Anhebung der Barbeträge ja nur für eine extrem kleine Gruppe gilt, frage ich Sie: Wann sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Barbeträge in Höhe von 2 500 DM und in gestufter Form auch für alle anderen Personengruppen anzuheben?
Es gibt derzeit keine Verhandlungen mit den Bundesländern über die Frage, ob eine Anhebung der Barbeträge durchsetzbar ist.
Zweite Zusatzfrage.
Können Sie mir die Frage beantworten, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß — das kommt in meiner Frage ja auch zum Ausdruck — im Rahmen der üblichen Preissteigerungsraten u. ä. eine zügigere Anhebung der Barbeträge notwendig wäre?
Ich sagte Ihnen soeben schon, daß die in Kraft getretene
— geänderte — Rechtsverordnung erst vom 1. Oktober 1991 datiert; das liegt also erst sehr kurze Zeit zurück. Damals ist ja über die ganze Frage verhandelt worden.
Die Bundesregierung denkt wohl darüber nach, im Laufe der Legislaturperiode im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes einige Änderungen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang wird sicher auch diese Frage erörtert werden, aber konkrete Ansätze dazu gibt es zur Zeit nicht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Seifert.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns zumindest sagen, wie Ihre persönliche Meinung ist, d. h. ob es nicht nötig wäre, die Anpassung, die der Kollege Andres im Grunde angeregt hat, möglichst schnell vorzunehmen?
Meine persönliche Meinung ist, daß es einige Punkte im Bundessozialhilfegesetz gibt, über deren Änderung man nachdenken muß. Das tun wir auch. Aber es wäre zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, etwas über die Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens zu sagen. Wir alle miteinander wissen ja, daß die Kosten im Zusammenhang mit dem Bundessozialhilfegesetz die Gemeinden und die Länder erheblich belasten und daß die Gemeinden und Länder zur Zeit über Finanznöte klagen, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit eingetreten sind.
Ich hoffe, daß eine gesetzliche Änderung in einem Bereich des Bundessozialhilfegesetzes vorgenommen wird, der uns alle schon oft beschäftigt hat, nämlich in der Frage der teilweisen Nichtanrechnung des Pflegegeldes nach dem Gesundheits-Reformgesetz. Wir versuchen, jetzt eine dementsprechende Gesetzgebung in Gang zu setzen. Das ist aber nur ein begrenzter Bereich.
Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Frage 8 der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und Frage 9 der Abgeordneten Monika Ganseforth zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie sollen auf Wunsch der Fragestellerinnen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf:
In welchen Ländern sind im Laufe von Kriegen, Bürgerkriegen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen Landoder Seeminen verlegt worden?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, Sie haben danach gefragt, in wel-
5630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Staatsminister Helmut Schäfer
chen Ländern im Laufe von Kriegen, Bürgerkriegen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen Land- oder Seeminen verlegt worden sind. Wir waren uns im Auswärtigen Amt nicht ganz klar, von welcher Zeitrechnung an Sie diese Berechnung gern hätten. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, wenn ich nicht alle Länder angeben kann, ich denen jemals Seeminen oder Landminen verlegt worden sind, sondern daß ich mich auf einige allgemeine Ausführungen beschränken muß.
Da der Minenkrieg mit seinen Grausamkeiten, wie Sie wissen, immer mehr zu einem wesentlichen Element moderner Kriegsstrategie und -technik geworden ist, dürfte die Liste der Staaten, in denen Minen zum Einsatz gekommen sind, sehr lang sein. Aus jüngster Zeit können wir aber den Persischen Golf, Irak, Kuwait, Afghanistan, Kambodscha und Somalia beispielhaft für andere Staaten nennen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, vielen Dank. — Ich gehe davon aus, daß das Auswärtige Amt noch eine Liste nachreichen wird — vielleicht bezogen auf die letzten 15 Jahre — , aus der hervorgeht, wo es zu ähnlichen Aktionen gekommen ist, wie sie hier geschildert werden.
Ich möchte die Zusatzfragen lieber an die Beantwortung meiner weiteren Frage anschließen.
Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf :
Wie kann die Bundesregierung den vorher genannten Ländern beim Minenräumen helfen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat durch die Entsendung einer Minensuchflottille auf Bitten der Golfanrainerstaaten wesentlich zur schnellen Räumung der im Golf verlegten irakischen Seeminen beigetragen. Die Aktion erfolgte zusammen mit unseren WEU-Partnern Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande und Großbritannien. Außerhalb der WEU waren die USA, Japan und Saudi-Arabien beteiligt.
Die Räumung der Minen in Kuwait wird mit Unterstützung der Alliierten des Golf-Krieges durchgeführt. An die Bundesregierung wurde kein entsprechendes Ersuchen gerichtet.
Die von den Vereinten Nationen für den Nordirak ausgearbeiteten Pläne der UNDP zur Beseitigung der im Grenzraum zum Irak zahlreich vorhandenen Minen wurden auf Grund der besonderen politischen Umstände vorerst auf Eis gelegt, so daß sich eine mögliche Beteiligung in personeller, materieller oder finanzieller Hinsicht derzeit nicht stellt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, könnten Sie sich vorstellen, daß sich Einheiten der Bundeswehr an solchen Aktionen beteiligen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Einheiten der Bundeswehr sicher erst dann, wenn sichergestellt ist, daß alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und daß
die Bundesregierung selbstverständlich darum gebeten worden ist, insbesondere im Rahmen von solchen Aktionen, die humanitärer Art sind, zu helfen, also da, wo Minen auf Grund kriegerischer Auseinandersetzungen verlegt worden sind.
Zweite Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß auch die Zwecke, die wir gemeinsam als humanitär betrachten, also das Räumen von Minen, verfassungsrechtliche Voraussetzungen geschaffen werden müßten?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es kommt sehr wohl darauf an, wo Sie Minen räumen wollen. Es kann durchaus sein, daß solche Minen im Zusammenhang mit einer kriegerischen Auseinandersetzung, in die ich die Bundesrepublik Deutschland nicht verwickelt sehen möchte, verlegt worden sind. Die Zusammenhänge müßten wohl im Einzelfall geprüft werden. Ich kann Ihre Frage nicht dergestalt bejahen, daß eine Minenräumung mit Hilfe der Bundeswehr generell ein humanitärer Akt ist. Es kommt, wie gesagt, auf den Einzelfall an.
Ich darf vielleicht noch folgendes erwähnen: Sie werden mit mir sicher der Meinung sein, daß es, hätten wir von der seinerzeitigen sandinistischen Regierung in Nicaragua die Bitte bekommen und wären dieser nachgekommen, die von Amerika gelegten Minen zu räumen, mögliche Verwicklungen mit unseren Bündnispartnern hervorgerufen hätte.
Herr Präsident, ich gehe davon aus, daß ich, da ich bei der ersten Frage keine Zusatzfrage gestellt habe, jetzt noch eine Zusatzfrage stellen kann.
Das ist an sich nicht üblich. Wenn Sie vorher sagen, Sie wollen beide Fragen gemeinsam beantwortet haben, haben Sie vier Zusatzfragen. Sie können aber nicht sagen: Ich stelle meine Zusatzfragen erst bei der Frage, bei der ich mehrere Zusatzfragen stellen möchte.
Aber bitte, stellen Sie noch eine dritte Frage. Herr Staatsminister wird sie sicher mit Freuden beantworten.
Herr Staatsminister, könnten Sie sich vorstellen, daß das Räumen von Minen auch Gegenstand der Ausbildungshilfen sein könnte, die die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Ausstattungshilfe für andere Länder leistet?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie überfragen mich jetzt wirklich, wenn Sie das Räumen von Minen als Ausbildungshilfe darstellen wollen. Ich kann mir vorstellen, daß das Räumen von Minen vor allen Dingen dann erfolgt, wenn wir von solchen Staaten ersucht werden, in denen, aus welchen Gründen auch immer, Minen verlegt worden sind, wenn das in einer internationalen Aktion mit gemeinsamen Partnern geschieht und wenn das in Zusammenhang mit vor allen Dingen humanitären Aktionen steht. Insofern sind wir gerne dazu bereit. Daß wir Leute im Rah-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5631
Staatsminister Helmut Schäfer
men der Ausstattungshilfe möglicherweise dazu ausbilden, Minen zu räumen, halte ich nicht für ausgeschlossen.
Weiterer Wissensbedarf zu dieser Frage liegt nicht vor.
Für die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Wilfried Böhm und die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist Ihr Geschäftsbereich erledigt. Herzlichen Dank für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens wird die Fragen beantworten.
Die Fragen 16 und 17 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Dietmar Schütz auf:
Zu welchen endgültigen Vertragsbedingungen wird die Pferdemarktkaserne in Oldenburg an den britischen Investor verkauft?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
In dem Kaufvertrag, der in Kürze mit dem Erwerber abgeschlossen wird, werden folgende Vereinbarungen getroffen: Der Käufer wird in den vorhandenen Gebäuden 232 Studentenwohnungen errichten. Der Käufer verpflichtet sich, einen Teil der Gebäude innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Eigentumsübertragung zu Studentenwohnungen herzurichten. Die Nutzung als Studentenwohnungen wird für 15 Jahre nach Abschluß der Baumaßnahmen aufrechterhalten. Der zu vereinbarende Mietzins darf für den einzelnen Studenten 280 DM im Monat Gesamtkaltmiete nicht überschreiten. Der Mietzins ist für die Dauer von einem Jahr nach Erstvermietung unveränderlich. Nach diesem Zeitraum ist eine Steigerung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, jedoch nicht um mehr als 3 % jährlich, zulässig. Der Bund kann Wiederkauf oder Zahlung von Vertragsstrafe für den Fall verlangen, daß die Gebäude nicht vertragsmäßig verwendet werden.
Herr Kollege Schütz.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß die Kasernen noch nicht verkauft worden sind. Woran scheitern bisher die Vertragsverhandlungen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Sie scheitern nicht, sondern sie stehen kurz vor dem Abschluß. Wir rechnen in Kürze mit dem Vertragsabschluß.
Zweite Zusatzfrage.
Sie haben das gleiche — bis auf eine Änderung — hier schon im August vorgetragen. Aus welchem Grunde haben sich die Verhandlungen bis jetzt verzögert? Es sind ja möglicherweise Probleme in den Vertragsverhandlungen aufgetreten.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es gab einmal die Überlegung, daß der zunächst vorgesehene Quadratmeterpreis für die Nutzung durch Studenten zu hoch sei. Es gab wohl auch kleinere, andere Überlegungen, die es eben noch nicht zu einem Abschluß haben kommen lassen. Aber sonstige Schwierigkeiten erwarten wir bis zum Vertragsabschluß nicht.
Frau Kollegin Mehl, bitte sehr.
Ich habe die Frage, ob es auch Denkmalschutzgründe gab.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Denkmalschutzgründe sind seitens der Stadt Oldenburg vorgebracht worden, die aber letzten Endes nicht den Vertragsabschluß aufhalten, sondern lediglich, wenn überhaupt, den Preis verändern könnten. Das ist natürlich in dem Zusammenhang auch für den Käufer wichtig.
Wir kommen zur Frage 19, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die wiederum vom Kollegen Schütz gestellt worden ist:
Wie beurteilt die Bundesregierung die ursprünglichen Angebote der anderen Investoren bei der Pferdemarktkaserne in Oldenburg, nachdem nunmehr doch ein Preisnachlaß von 50 v. H. bei einer Zweckbindung von 15 Jahren für die Schaffung studentischen Wohnraums gewährt wird?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Bei Ausschreibung ist die Bundesregierung von der Möglichkeit eines Preisnachlasses von 15 % entsprechend den damaligen gesetzlichen Möglichkeiten ausgegangen. Nachträglich wurde eine Mietpreisbegrenzung verlangt. Der Erwerber ist auf diese Forderung des Bundes eingegangen, dem es insbesondere um die Schaffung von Studentenwohnungen in möglichst großem Umfang zu angemessenen Bedingungen geht. Er hat sein ursprüngliches Angebot entsprechend ermäßigt, liegt aber über dem bei der Ausschreibung erzielten nächsthöheren Gebot. Somit konnte die Bundesregierung aus fiskalischen Gründen die übrigen Angebote nicht berücksichtigen.
Herr Staatssekretär, Sie haben — soweit ich mich erinnere — erst zum Verkehrswert ausgeschrieben, und Sie haben Angebote zum Verkehrswert bekommen. Das geschah einen Monat, bevor Sie Ihren Kabinettsbeschluß, nach dem ich damals schon immer gefragt habe, gefaßt haben, der 50 % Nachlaß auf aus Konversionsgründen zu übertragende Kasernen geben will. Das Studentenwerk hatte sich darum bemüht. Die Bindung des Studentenwerks wäre wesentlich länger als 15 Jahre gewesen. Ist da nicht eine Friktion in beiden Bereichen drin? Wäre das Studentenwerk nach den jetzigen Bedingungen zum Zuge gekommen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Der Bund ist nicht verpflichtet, die Vergünstigung in jedem Fall wirksam werden zu lassen. Wir sind damals beim
5632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
Stand von 15 % in die Verhandlungen eingetreten. Es sind entsprechende Forderungen in Sachen Studentenwohnraumbau aufgestellt worden. Der Erwerber hat die Vereinbarungen auch zu diesen Bedingungen, bei 15 % Ermäßigung, abschließen wollen. Wenn die Bedingungen erfüllt sind, würde es, wenn man weiter absenken würde, lediglich zu Mitnahmeeffekten kommen, was wir aus fiskalischen Gründen nicht vertreten können.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht den Unterschied auch im Hinblick auf die Frage des Vorhaltens von studentischem Wohnraum, daß die Bindung, die das Studentenwerk eigentlich für immer hat, eine völlig andere ist, so daß wir auch nach 15 Jahren möglicherweise noch studentischen Wohnraum anbieten können, wenn die Bindung bei dem anderen Investor ausgelaufen ist? Meinen Sie nicht, daß das ein politisches Ziel ist, was die Regierung hätte berücksichtigen müssen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es gibt kaum einen Vertrag, der nicht noch besser gestaltet werden könnte; es kommt nur jeweils darauf an, aus welcher Sicht. Wir sind mit einer Zweckbindung von 15 Jahren in die Verhandlungen eingetreten und müssen damit wohl zufrieden sein.
Keine weiteren Zusatzfragen dazu.
Dann darf ich bekanntgeben, daß die Frage 20 des Abgeordneten Ortwin Lowack und die Frage 21 des Abgeordneten Horst Gibtner schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Schily auf
Wie hoch ist der Anteil der deutschen Zahlungen an dem im Kriegskosten-Bericht des Verteidigungsausschusses der französischen Nationalversammlung festgestellten von Frankreich durch seinen Militäreinsatz im Golfkrieg erzielten Gewinn von rund sechs Milliarden Franc ?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Mit ihren Beiträgen an die Partner der Allianz zur Abwehr der irakischen Aggression hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie fest auf dem Boden der internationalen Solidarität steht. Der in der Frage angesprochene Sachverhalt, Herr Kollege Schily, bedarf einer eingehenden Prüfung, die noch nicht abgeschlossen ist.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Das gehört zu einer Spitzenleistung von erhellenden Antworten, die wir in den Fragestunden geboten bekommen.
Herr Schily, Sie machen das jedesmal.
Es werden hier keine Kommentare abgegeben, sondern Fragen gestellt.
Herr Präsident, ich erlaube mir auch eine kurze Vorbemerkung.
Was an sich nach der Geschäftsordnung nicht zulässig ist.
Das sollten Sie vielleicht mit der gleichen Strenge bei anderer Gelegenheit auch äußern.
Ich tue es nicht bei jeder Gelegenheit, obwohl Sie mir jedesmal Gelegenheit böten, Herr Schily.
Das glaube ich nicht, Herr Präsident.
Ich möchte, daß wir es hier einigermaßen geordnet abwickeln.
Sie können ja etwas einbauen, aber nicht gleich mit einem kommentierenden Angriff beginnen. Sie können es geschickter einbauen und Sie machen es fast immer.
Herr Präsident, ich komme in die Fragestunde, um etwas zu erfahren.
Eben, nicht um etwas mitzuteilen.
Daß die Bundesregierung mir etwas mitteilt, was ich nicht gefragt habe, nämlich daß sie das in voller Verantwortung getan hat, sondern daß ich eine Frage gestellt habe, ob zuviel Mittel gezahlt worden sind und ob ein Gewinn erzielt worden ist. Ich kann Ihnen die Frage gern noch einmal vorlesen: Wie hoch ist der Anteil der deutschen Zahlungen — —
Herr Schily, die Frage liegt schriftlich vor.
Ja, aber wenn man das gegenüberstellt, dann wird man doch verstehen können —
Sie können eine Zwischenfrage stellen. Das ist die Geschäftsordnung.
Die gilt auch für Sie.
Ja gut, die gilt auch für mich.
Ist denn die Bundesregierung bei der französischen Regierung vorstellig geworden im Hinblick auf den Bericht, der in der hiesigen Tagespresse erschienen ist, daß Frankreich einen Gewinn aus diesen Zahlungen in einer Größenordnung von 1,8 Milliarden DM erzielt haben soll? Die Bundesregierung hat einen erheblichen Beitrag für die Zahlungen an Frankreich geleistet.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5633
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, ich habe eben gesagt, daß der angesprochene Sachverhalt einer eingehenden Prüfung bedarf. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Von dem Ausgang der Prüfung hängt es natürlich ab, was wir machen. Ich will Ihnen insoweit entgegenkommen — ich verstehe Ihren Ärger — , als ich Ihnen nur den Rat geben kann, das zu fragen, was man auch sofort und konkret beantworten kann. Wenn Sie also fragten, wieviel wir denn gezahlt haben, dann könnte ich auch konkret antworten. Aber, wenn die Franzosen eine Rechnung aufgemacht haben und man von Gewinnen und von Überschüssen in den Berichten in der Öffentlichkeit spricht, dann kann ich das auf Anhieb nicht beantworten, inwieweit wir dazu beigetragen haben. Ich könnte Ihnen schon beantworten, was wir gezahlt haben.
Wenn Sie dann vielleicht unter Beantwortung der Frage, wieviel Sie gezahlt haben, mir freundlicherweise mitteilen, was Ihnen denn von den französischen Berechnungen bekannt ist, dann wären wir vielleicht einen Schritt weiter, Herr Staatssekretär.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wie gesagt, wir überprüfen den Vorgang und verlassen uns da nicht nur auf Zeitungsberichte. Da haben Sie völlig recht. Solange der Prüfungsbericht nicht vorliegt, kann ich auch das Ergebnis hierzu nicht mitteilen.
Ich habe es Ihnen erleichtert, die Frage konkret zu stellen. Aber, Sie haben nicht nachgehakt. Insofern kann ich die Frage nicht konkret beantworten.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da ich nun mit dem Kollegen Schily in einen längeren Disput über die Form der Fragestellung eingetreten bin, Sie die Gelegenheit genutzt haben, ihm einen Rat zu geben, er diesem Rat folgt und Sie dann aber nicht antworten, dann wird es ein bißchen schwierig für die Sitzungsleitung.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, er hat nicht nach den konkreten Zahlen gefragt. Aber wir haben nicht, wie Sie möglicherweise den Eindruck haben könnten, in Milliardenhöhe gezahlt, sondern es ist ein Betrag gezahlt worden, in bar, in Höhe von 300 Millionen DM. Es hat eine Materialhilfe in Höhe von 80 Millionen DM gegeben. Das ist der Anteil, den wir geleistet haben. Der Prüfungsvorgang, inwieweit es Gewinne gegeben hat, wie wir uns dazu stellen, ist aber nicht abgeschlossen. Aber vielleicht sind Sie schon mit den Zahlen zufrieden, die ich genannt habe.
Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Staatssekretär, da wir alle nicht hier sitzen, um uns zu amüsieren, sondern um auf Fragen Antworten zu bekommen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nun noch die Fragen beantworten würden — nachdem der Golfkrieg nun einige Tage vorbei ist —, wer ab wann diese Rechnung anstellt, von der Sie dauernd sprechen, und wann Sie glauben, daß Sie denn beendet sein könnte.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung prüft, und wir werden, so schnell es geht, hierauf Antwort zu geben bereit sein. Wann die Prüfung abgeschlossen sein wird, kann ich nicht verbindlich zusagen. Aber wir werden uns bemühen, das schnellstmöglich zu erreichen.
Herr Kollege Andres.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie dem Kollegen Schily empfohlen haben, doch nur solche Fragen zu stellen, die bei Ihnen noch nicht in der Prüfung sind, frage ich Sie, ob ich daraus ableiten kann, daß die Bundesregierung, wenn die Bundesrepublik Deutschland Frankreich 300 Millionen Barhilfe und 180 Millionen Ausrüstungshilfe gewährt hat und Frankreich aus dem Einsatz einen Gewinn erzielt hat, darüber nachdenkt und prüft, im Hinblick auf den Gewinnbetrag nun entsprechende Forderungen in Höhe des eingeschlossenen Kapitals, das Sie genannt haben, gegenüber Frankreich zu artikulieren.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Das ist bedauerlicherweise eine Frage, die vorher zur schriftlichen Beantwortung vorgesehen war. In der Antwort ist in Einzelheiten dargelegt, was z. B. die amerikanische Rechnung per heute ergibt. Ich hätte hier geantwortet, daß die Fragen bezüglich der anderen Alliierten noch nicht geklärt sind.
Wir haben die erwähnten 300 Millionen DM gezahlt und 80 — nicht 180, wie Sie eben fälschlicherweise gesagt haben — Millionen DM an Materialhilfe geleistet. Der gesamte Vorgang ist in der Prüfung. Das besagt doch genug. Was soll ich mehr dazu sagen? Ich kann nicht mehr dazu sagen.
Wenn ein Zeitungsartikel erscheint und wenn irgend etwas mitgeteilt wird, dann stehen wir doch nicht parat, um darauf sofort zu reagieren. Es geht um diplomatische Kontakte; die Dinge müssen abgewogen und überprüft werden. Wir müssen uns auf Zahlenmaterial verlassen, welches fundiert ist. Erst dann kann man nach Vorliegen des Prüfungsergebnisses entscheiden, wie man sich dazu einstellt.
Herr Kollege Carstens, wenn es der Unterrichtung des Hauses dient und Sie zufällig diese schriftliche Antwort dabei haben, könnten Sie sie hier vortragen.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, dort geht es um die amerikanischen Zahlen und deren Abrechnung, die hier schon vielfach Gegenstand von Fragen war.
Die nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Schreiner.
Herr Staatssekretär, ich möchte fragen, wann und auf welchem Wege genau die Bundesregierung Kenntnis genommen hat vom Kriegskostenbericht des Verteidigungsausschusses der Französischen Nationalversammlung und auf welche Gegenstände genau sich dieses etwas ominöse Nachprüfungsverfahren bezieht.
5634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung überprüft immer umfassend.
Entschuldigung, Sie haben ein Fragerecht, die Bundesregierung hat ein Antwortrecht. Wir haben auf Grund unserer Geschäftsordnung geregelt, wie die Fragen beschaffen sein sollen. Nicht geregelt ist, wie die Bundesregierung antwortet. Das ist nun einmal so. Das hat mit dem Rederecht der Bundesregierung zu tun.
Frau Kollegin Iwersen.
Ist es üblich, daß man die Kriegskassen der NATO-Partner mit Bargeld auffüllt, und ist bei einer eventuellen Rückzahlung auch mit Bargeld — und wenn ja, in welcher Währung — zu rechnen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Zunächst ist entscheidend, daß man in einer schwierigen Situation solidarisch ist und hilft und daß man dann auch zügig hilft, so wie wir es getan haben. Nun erscheinen Berichte und Veröffentlichungen. Ich trage hier vor, was wir gezahlt haben und daß wir den Vorgang prüfen und vom Abschluß der Prüfung abhängig machen, wie wir uns verhalten. Das ist doch der Sachstand per jetzt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Vergin.
Herr Staatssekretär, es stehen 1,8 Milliarden DM als Gewinn im Raum. Wenn diese Zahl zutreffen wird, ist die Bundesregierung dann bereit, die in bar geleisteten 300 Millionen DM und die 80 Millionen DM als Ausrüstungshilfe zurückzuverlangen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es kommt doch auf den Abschluß der Prüfung an. Wir können ja nun nicht nur den Einzelfall Frankreich sehen, sondern wir müssen auch die Gesamtproblematik im Zusammenhang sehen. Wir müssen die Zahlen, die jetzt kursieren, prüfen; wir müssen sie in der Sache prüfen, und wir müssen sie politisch wägen und davon unser Verhalten abhängig machen. Ich verstehe gar nicht, daß Sie sich darüber aufregen
oder daß Sie den Eindruck erwecken, daß Sie sich darüber aufregen. Ich habe doch den Sachverhalt dargestellt. Sie können zu jeder Zeit diese Frage auch neu aufwerfen.
Aber der Sachstand per heute ist nun einmal so, wie ich es vortrage, und er wird sich auch durch weitere Fragen Ihrerseits nicht ändern.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen dann, falls keine weiteren Zusatzfragen vorliegen — dies ist nicht der Fall — , zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Erich Riedl erschienen.
Herr Kollege Riedl, die Frage 23 des Abgeordneten Heinz-Jürgen Kronberg ist die erste, die Sie zu beantworten haben:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, welche japanischen Investoren, aufgeschlüsselt nach Wirtschaftsbereichen, sich auf Grund der jüngsten Bemühungen des Bundesministers für Wirtschaft, Jürgen W. Möllemann, während seines Japan-Aufenthaltes zu Investitionen in den neuen Bundesländern bereit erklärt haben, und wenn ja, wie bewertet sie dieses Ergebnis der Reise des Bundesministers für Wirtschaft?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, Entscheidungen über Investitionen an einem ausländischen Standort sind Vorgänge, die in der Regel langfristige und zeitintensive Vorbereitungen erfordern. Insofern wäre es eigentlich mehr als eine Überraschung, wenn sich japanische Investoren auf Grund der Bemühungen des Herrn Bundesministers Möllemann während seines Japan-Aufenthalts spontan zu Investitionen in den neuen Bundesländern bereit erklärt hätten.
Der Besuch von Herrn Bundesminister Möllemann vom 20. bis 22. November 1991 in Japan hatte neben Regierungsgesprächen über bilaterale und multilaterale Themen auch zum Ziel, die japanische Wirtschaft über die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern zu informieren und für japanische Investitionen zu werben.
Aus Sicht der Bundesregierung war die Reise auch im Hinblick auf den Promotionsaspekt sehr erfolgreich. Bundesminister Möllemann konnte in mehreren Begegnungen mit wichtigen Persönlichkeiten der japanischen Geschäfts- und Finanzwelt das Informationsdefizit verringern, bestehende Mißverständnisse über unterschiedliche Investitionsmöglichkeiten und Erfolgschancen japanischer Investoren in den neuen Bundesländern ausräumen sowie für den Investitionsstandort neue Bundesländer zunehmende Aufgeschlossenheit finden.
Gemeinsam mit anderen Maßnahmen, z. B. den Aktivitäten der Treuhandanstalt und mehreren Besuchen von hochrangigen japanischen Wirtschaftsdelegationen in den neuen Bundesländern selbst, sind dadurch nunmehr günstige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich japanische Investoren bald verstärkt in den neuen Bundesländern engagieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind denn auf Grund der — wie Sie sagten — zunehmenden Aufgeschlossenheit der japanischen Industrie und Wirtschaft in der Zeit zwischen dem damaligen Besuch des Wirtschaftsministers und dem heutigen Tage Investitionsabsichten geäußert worden?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Investitionsabsichten werden sicherlich geäußert. Japanische Investoren befinden sich ja schon seit geraumer Zeit in den neuen Bundesländern.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5635
Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
Aber ich darf einmal aus meiner Erfahrung schildern, wie es bei den Japanern vonstatten geht. Sie prüfen alles intensivst vor Ort; davon können wir Europäer eigentlich nur lernen. Sie gehen dann nach Hause, nach Japan. Dort finden intensive Prüfgespräche in den Unternehmen statt. Vielleicht gestatten Sie mir den folgenden Vergleich — wir sagen das immer so in unserer Sprache — : Bis der Tenno zu einer Entscheidung über hohe Investitionen einmal nickt, dauert es sehr, sehr lange.
Ganz entscheidend ist, daß die Dinge in Gang kommen und daß der Prüfprozeß japanischer Investoren — das gilt im übrigen für alle fernöstlichen Investoren — in Gang gesetzt wird. Dazu diente auch der Besuch von Minister Möllemann in Japan. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb wird Herr Minister Möllemann im Herbst des kommenden Jahres erneut eine Reise nach Japan antreten, bei der wiederum das Thema Industriestandort neue Bundesländer ein Hauptgesprächsthema sein wird.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kronberg.
Verstehe ich Sie richtig, Herr Staatssekretär, daß bei den Gesprächspartnern von Minister Möllemann der Prüfprozeß bis heute in noch keinem Fall abgeschlossen ist?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das kann man sicherlich so sagen. Aber gestatten Sie mir, einen Vergleich aus anderen Industriebereichen zu bringen. Sie haben vielleicht der Presse entnommen, daß die Firma Daimler-Benz mit der japanischen Industrie, z. B. mit Mitsubishi oder Kawasaki, seit Jahren in intensiven Gesprächen ist, ohne daß sich konkrete Joint-ventures oder Vertragsabschlüsse ergeben. Das dauert bei denen seine Zeit. Wir müssen Geduld haben. Denn Investitionsentscheidungen über den halben Globus hinweg aus Japan in Deutschland in Milliardenhöhe — da geht es ja nicht um 2,50 DM — bedürfen auch nach japanischer Mentalität und auch entsprechend meinem betriebswirtschaftlichen Verständnis sorgfältigster Überlegungen. Die Preußen schießen auch in Japan nicht so schnell, Herr Abgeordneter.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Bitte sehr, Frau Kollegin.
Geduld ist etwas, was die Menschen in den neuen Bundesländern überhaupt nicht haben. Sie sagten, im Herbst 1992 fährt der Bundesminister für Wirtschaft nochmals nach Japan. Ist das in etwa ein Zeitrahmen, so daß man bis Ende 1992 eventuell auf Investoren aus Japan hoffen kann?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich wünsche Ihnen zunächst gute Besserung für Ihre Halsschmerzen, Frau Abgeordnete.
Das ist ein Zeitplan, der durch vorher stattfindende Reisen auch aus dem Bundeswirtschaftsministerium ergänzt wird. Ich z. B. werde Anfang März im Anschluß an den Besuch einer großen Industrieausstellung in Singapur nach Japan fahren, um speziell im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie und der Elektronikindustrie Investitionsgespräche dieser Art mit der japanischen Industrie und mit der Regierung zu führen. Das machen auch hochrangige Beamte aus unserem Haus. Gnädige Frau, ich wäre genau wie Sie froh, wenn Investitionsentscheidungen für die neuen Bundesländer so schnell als möglich fallen. Ich habe z. B. vor zweieinhalb Jahren in Singapur intensiv für solche Investitionen aus diesem sehr reichen Land geworben. Daraus ist bis heute noch nichts Konkretes geworden. Aber mittel- und langfristig, dessen bin ich sicher, wird etwas daraus. Wir dürfen nur keine Überraschungseffekte erwarten.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nur damit wir hier mit unserer Zeitrechnung nicht ganz durcheinanderkommen: Sie meinen aber nicht, daß Sie schon vor zweieinhalb Jahren für Investitionen in den neuen Bundesländern geworden haben.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, Sie haben wahrscheinlich gemerkt, daß ich im Rechnen nicht einer der Stärksten bin. Es war vor zwei Jahren. Ich bedanke mich für die Korrektur.
Falls keine weiteren Zusatzfragen gestellt werden, rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Wolfgang Meckelburg auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung das in der Kohlerunde 1991 unter Punkt 8 festgehaltene Ergebnis zu verwirklichen, wonach der Bund sowie die Länder NordrheinWestfalen und das Saarland die Eigenanstrengungen der Regionen an den betroffenen Standorten durch koordinierte und konzentrierte regionalpolitische Maßnahmen unter Einbeziehung strukturwirksamer Investitionen insbesondere in der Verkehrspolitik, der Forschungs- und Technologiepolitik sowie bei der Stadtentwicklung unterstützen werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Hoffentlich muß ich hier nicht auch nachrechnen, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter, zur Bewältigung der regionalpolitischen Flankierung an den betroffenen Bergbaustandorten ist ein breiter strukturpolitischer Ansatz erforderlich. Neben der Regionalförderung sind alle wesentlichen strukturwirksamen Politikbereiche hierbei gefordert. Das gilt sowohl für den Bund als auch für die Länder. Der Bundesminister für Wirtschaft hat die entsprechenden Bundesressorts um Prüfung gebeten, welchen Beitrag sie zur Unterstützung der betroffenen Region leisten können. Die Bundesregierung erwartet, daß auch die Regierungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland eine solche Prüfung durch die entsprechenden Landesministerien veranlassen.
Die Bundesregierung wird mit Nordrhein-Westfalen und dem Saarland Gespräche über die Koordinierung konkreter Maßnahmen führen. Um die betroffenen Regionen wirksam unterstützen zu können, ist es erforderlich, daß von diesen Regionen Vorschläge zu
5636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
konkreten Entwicklungsmaßnahmen und Entwicklungsprojekten gemacht werden, bei denen sie einen besonderen Unterstützungsbedarf durch Land und Bund sehen.
Erste Zusatzfrage.
Gibt es vom Verfahren her Vereinbarungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen — ich beziehe mich jetzt nur auf das Land Nordrhein-Westfalen — , wie der Punkt 8 der Ergebnisse der Kohlerunde realisiert wird, beispielsweise durch die Teilnahme der Bundesregierung an Montan-Regionalkonferenzen, die in NordrheinWestfalen angekündigt sind?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie Vereinbarungen nicht im Sinne von völkerrechtlichen Verträgen, sondern von normal geführten Gesprächen meinen, Herr Abgeordneter, dann gibt es so etwas. Das ist klar. Wir haben auch Interesse daran, daß diese Gespräche zügig geführt werden.
Zweite Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung an der angekündigten Regionalkonferenz im Januar teilnehmen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum die Bundesregierung daran nicht teilnehmen sollte. Insofern beantworte ich Ihre Frage mit Ja.
Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten Wolfgang Meckelburg:
Ist der Bundesregierung bekannt, aus welchen Förderprogrammen die nordrhein-westfälische Landesregierung die angekündigten Landesmittel in Höhe von 1,067 Milliarden DM für die Bergbauregionen in ihrem Bundesland für die Jahre 1992 bis 1995 aufbringt und in welchem Umfang Fördermittel eingesetzt werden, an deren Finanzierung der Bund beteiligt ist?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist nicht bekannt, aus welchen Förderprogrammen die nordrhein-westfälische Landesregierung die angekündigten Landesmittel in Höhe von 1,067 Milliarden DM für die Bergbauregionen in ihrem Bundesland für die Jahre 1992 bis 1995 aufbringen will und in welchem Umfang dafür Fördermittel eingesetzt werden, an deren Finanzierung der Bund beteiligt ist.
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seiner Regierungserklärung vom 13. November dieses Jahres zur wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklung des heimischen Steinkohlebergbaus mitgeteilt, daß die Landesregierung einen Handlungsrahmen für die Kohlegebiete beschlossen habe. Konkrete Maßnahmen wurden dabei nicht genannt. Es wurden auch keine Angaben gemacht, aus welchen Förderprogrammen die Landesregierung Mittel für diesen „Handlungsrahmen" zur Verfügung stellen will.
Zusatzfrage.
Ich muß jetzt ein bißchen in den Bereich der Vermutungen gehen.
Da diese Mittel aus Töpfen, die schon in der Haushaltsplanung bis 1995 im Landeshaushalt vorhanden waren, zusammengekratzt werden, liegt die Vermutung nahe, daß möglicherweise auch Töpfe beteiligt sind, in die der Bund finanzielle Mittel gibt. Meine Frage lautet: Wenn das Land Nordrhein-Westfalen solche finanziellen Umschichtungen vornähme, wäre dann die Bundesregierung bereit, entsprechend der Kompetenz des Landes Nordrhein-Westfalens für die Regionalförderung finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da schließt sich Vermutung an Vermutung an. Da das eine noch nicht Wirklichkeit ist, weiß ich nicht, wie wir reagieren würden. Ich darf Ihnen anbieten, daß wir uns darüber laufend unterhalten. Wenn sich in Nordrhein-Westfalen etwas rührt, so rufen Sie mich an. Ich bin auch gern bereit, zu Ihnen in den Wahlkreis zu kommen, um darüber zu sprechen. Ich möchte hier korrekt und nicht spekulativ antworten.
Als nächster hat das Wort zu einer Zusatzfrage der Kollege Fischer.
Herr Staatssekretär, in Punkt 8 der Ergebnisse der Kohlerunde steht, daß der Bund, Nordrhein-Westfalen und das Saarland aufgefordert werden, Eigenanstrengungen zu unternehmen, um die betroffenen Standorte durch koordinierte und konzentrierte regionalpolitische Maßnahmen — u. a. in den Bereichen Forschung und Technologie, Stadtentwicklung und Verkehrspolitik — zu fördern. Ich frage Sie jetzt: Welche Maßnahmen hat denn der Bund in den drei angesprochenen Bereichen für das Jahr 1992 für die Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland überhaupt vorgesehen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen ja, daß diese Vereinbarung erst vor kurzem geschlossen worden ist. Ich bin hier nicht nur überfragt, sondern es ist auch vom faktischen Ablauf des Arbeitsgeschehens in den letzten Tagen gar nicht möglich, hier schon konkrete Antworten zu geben. Wir werden hierüber auch die entsprechenden Ausschüsse des Bundestages informieren. Ich bitte Sie um Nachsicht und Verständnis dafür, daß das zunächst von den Beamten überlegt und geprüft und mit den Ländern abgestimmt werden muß. Ich gehe davon aus, daß das bereits geschieht. Aber wenn es bereits konkrete Ergebnisse gäbe, hätten mir die Beamten dies aufgeschrieben. Wir sind hier auf der Regierungsbank — wie Sie wissen — vortragende Legationsräte.
— Da stimme ich Ihnen zu. Das wollen wir auch hartnäckig verteidigen.
Keine weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5637
Vizepräsident Hans Klein
Für die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Dr. Uwe Jens wird schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Hans Wallow auf:
Welche Gründe waren dafür maßgeblich, der Volksrepublik China trotz der Menschenrechtsverletzungen aus Werfthilfemitteln 604 Mio. DM Vorzugskredite für drei Containerschiffe zuzusagen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Herr Kollege Wallow, eine Zusage, den von deutschen Werften zur Zeit mit der chinesischen Reederei COSCO verhandelten Containerschiffauftrag aus Mitteln des Werfthilfeprogramms des Bundes zu fördern, wurde bisher nicht gegeben.
Eine Zusatzfrage.
Steht die Bundesregierung wegen dieses Kredits mit der chinesischen Regierung bzw. auch mit der Werft in Verbindung?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Mit wem die Bundesregierung hier im Augenblick in Verbindung steht, weiß ich nicht so konkret, aber dieses Thema ist bei uns auf der Tagesordnung. Ich kann Ihnen das mit der chinesischen Regierung nicht sagen.
— Ich hatte erst heute vormittag eine Besprechung mit den Werften hierüber. Wir besprechen das mit dem Finanzministerium, mit dem Entwicklungshilfeministerium und mit der Regierung. Ich weiß es nicht; ich müßte es nachprüfen.
Der Kollege Gansel hat sich zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Kann das Wirtschaftsministerium, das auch Genehmigungsbehörde für Kriegswaffenexporte ist, etwas darüber sagen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Förderung der Finanzierung von Handelsschiffen an die Volksrepublik China und der Genehmigung der Lieferung von U-Booten für das China feindlich gegenüberstehende Taiwan, sozusagen nach dem Motto: gute Schiffe für schlechte Chinesen und schlechte Schiffe für gute Chinesen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, im Prinzip handelt es sich um zwei völlig getrennte Sachverhalte. Ich räume Ihnen allerdings ein, daß in der Gesamtbeurteilung beider Vorhaben natürlich auch das Verhältnis zwischen der Volksrepublik China und Taiwan in den Überlegungen der Bundesregierung eine Rolle spielt. Das ist ja völlig klar. Aber in beiden Fällen sind Entscheidungsprozesse nicht abgeschlossen, und ich sehe im Augenblick auch keine Perspektive, davon zu sprechen, daß sie in Kürze abgeschlossen werden.
Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär Riedl, auf die Frage meines Kollegen Wallow haben Sie gesagt, es seien Gespräche im Gange, und auch heute seien Gespräche geführt worden. Können Sie uns liebenswürdigerweise mitteilen, was der Inhalt dieser Gespräche war und ob es dazu auch schriftliche Vorlagen gegeben hat, in welche Richtung die Bundesregierung zu gehen beabsichtigt?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Schily, damit ich ja keinen Fehler mache: Ich hatte heute für das Gespräch keine Vorlage; das habe ich frei geführt. Es handelte sich bei diesem Gespräch, das ich geführt habe, um ein Gespräch mit Vertretern der Werftindustrie, die dargelegt haben, welche industriepolitische Bedeutung die Vergabe eines solchen Auftrages vor allen Dingen für die Werften in den neuen Bundesländern haben wird. Wir haben uns über beschäftigungspolitische, industriepolitische und, wenn Sie so wollen, auch über regionalpolitische Fragen, die in diesem Zusammenhang eigentlich immer gestellt werden, unterhalten.
— Meine besondere Position auf diesem Gebiet kennen Sie ja, Herr Schily.
Herr Präsident, der Hinweis von ihm auf den Freistaat Bayern war ein charmanter Hinweis. Er hätte nur dann Bedeutung, wenn wir den Rhein-Main-DonauKanal auch bis zur Landeshauptstadt München verlängern würden. Dafür gibt es aber keine Pläne der Bundesregierung.
Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Frau Mehl auf:
In welcher Höhe sind oder werden voraussichtlich Bundesmittel für dieses Projekt bewilligt und welche sind beantragt worden?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, Frau Abgeordnete, die Entscheidung über eine Förderung und die Durchführung der Fördermaßnahmen nach der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ist ausschließlich Ländersache. Wenn nach den Regeln der Gemeinschaftsaufgabe vom Land positiv über einen Förderantrag entschieden wird, beteiligt sich der Bund zu 50 % an den förderfähigen Kosten. Die Weitergabe von Daten und Informationen darüber, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Bundesmittel für dieses Projekt bewilligt sind oder bewilligt werden bzw. beantragt worden sind, würde gegen das Gebot der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses gemäß § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz und § 203 Strafgesetzbuch verstoßen.
Zusatzfrage.
Das ist praktisch. Trotzdem eine Zusatzfrage, auch wenn ich nicht genau weiß, zu welcher der eigentlichen Fragen sie gehört. Ich stelle sie jetzt, weil meine andere Frage, die Frage 64, heute nicht mehr aufgerufen wird. Wollen Sie überhaupt und, wenn ja, wie wollen Sie sicherstellen, daß die Bundesmittel, die voraussichtlich bewilligt werden,
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Ulrike Mehl
nicht so eingesetzt werden, daß nachhaltige ökologische Schäden im Planungsgebiet auftreten? Werden diese Bundesmittel an Auflagen gebunden? Oder wird das dem Antragsteller oder wem immer überlassen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Genauso ist es, Frau Abgeordnete. Wir werden das in einem sehr sorgfältigen Prüfverfahren feststellen.
Im übrigen war ich genauso irritiert wie Sie, wozu diese Antwort gehörte. Sie steht im Zusammenhang mit Ihrer Frage 64 zum Bereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich hatte dies nur für das Wirtschaftsministerium zu beantworten, weil wir für die Förderung zuständig sind.
Richtig. Trotzdem, wenn Sie für die Förderung zuständig sind, die Frage, ob zwischen Ihnen und dem BMU oder wem immer abgestimmt wird, ob Auflagen bezüglich Ökologie und Umweltschutz an Bundesmittel geknüpft werden.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ja, natürlich, und zwar nicht nur mit dem Bundesumweltministerium, sondern auch mit dem jeweils zuständigen Landesumweltministerium, das ja von solchen Vorhaben Kenntnis bekommt und dann in der Regel an uns herantritt.
— Bitte?
— Das ist ein besonderes Problem, gnädige Frau, ob er Sie läßt.
Gibt es dazu von anderen Kolleginnen oder Kollegen noch Zusatzfragen? — Dies ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Otto Schily auf:
Werden die überhöhten Kosten, die durch Einsatz von MOX-Brennelementen in deutschen Atomkraftwerken entstehen, den Stromkunden aufgebürdet, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dies in Zukunft zu verändern?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Herr Abgeordneter, der Einsatz von MischoxidBrennelementen, also sogenannten MOX-Brennelementen, in deutschen Kernkraftwerken ist Teil des gesamten Kernbrennstoffkreislaufs. Er entspricht den Entsorgungsgrundsätzen, die von den Regierungschefs von Bund und Ländern im Jahr 1979 in Ausfüllung des 1976 novellierten Atomgesetzes festgeschrieben wurden. Die kernkraftwerksbetreibenden Unternehmen verwerten die bei der Wiederaufarbeitung zurückgewonnenen Spaltstoffe Uran und Plutonium bei der Fertigung neuer Brennelemente. Die Kosten dieser MOX-Fabrikation sind heute noch höher als die Brennelementherstellung auf Uranbasis. Dies ist fast ausschließlich auf die derzeitige Fertigungsweise zurückzuführen.
Nach Inbetriebnahme der in Bau befindlichen Neuanlage der Siemens AG in Hanau werden Kosten erwartet, die bei voller Auslastung der Anlage, Herr Abgeordneter Schily, zu keinen höheren Brennelementepreisen führen. Die derzeit höheren Kosten des Einsatzes von MOX-Elementen haben einen kaum meßbaren Einfluß auf die Strompreise, die im übrigen teils der Preisaufsicht der Länder, teils, wie Sie wissen, der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht unterliegen.
Zusatzfrage Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär Riedl, kennt das Bundeswirtschaftsministerium den bisher streng geheimgehaltenen Rahmenvertrag der Firma Siemens mit den EVUs aus dem Jahr 1988, mit dem die Firma Siemens unter Ausnutzung ihrer Monopolstellung die EVUs auf die Zahlung von ca. 52,1 Millionen DM für 4 MOX-Brennelemente verpflichtet, wie ja auch in einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit" dargestellt wurde, und damit den Einsatz von MOX-Brennelementen gegenüber solchen aus Uran um das Dreizehnfache verteuert?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich müßte nachprüfen, ob das Bundeswirtschaftsministerium diesen streng vertraulichen Vertragstext hat. Ich sehe in meinen Unterlagen einen Satz, den ich Ihnen gern vorlese. Hier wird auf „Die Zeit" Nr. 49 vom 21. November 1991 und eine „Monitor" -Sendung Bezug genommen: „Der den Medien vorliegende Vertragsentwurf stimmt nach Angaben der VDEW nicht mit dem letztendlich abgeschlossenen Vertrag überein. " Ich unterstelle also, daß der Vertragstext bekannt ist. Aber, Herr Schily, ich gehe der Sache nach, rufe Sie an oder lasse Sie von einem meiner Mitarbeiter anrufen.
Zweite Zusatzfrage.
Könnten Sie denn allgemein sagen, Herr Staatssekretär Riedl: Welche wirtschaftlichen Gründe sprechen unter den bestehenden Bedingungen — natürlich auch unter Berücksichtigung eines Vertrages, der vielleicht ein bißchen anders aussieht, als die Presse berichtet hat — und angesichts der enormen Kosten für die Herstellung von MOX-Brennelementen für die Beibehaltung der Plutoniumwirtschaft und der Wiederaufbereitung?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich müßte das prüfen lassen; ich weiß es nicht. Herr Abgeordneter Schily, da haben Sie mich auf dem falschen Fuß erwischt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Riedl, es ist ein ungewöhnlicher Beweis von Offenheit, wenn jemand auch einmal sagt: Das weiß ich jetzt nicht.
Ich bedanke mich für Ihre Beantwortung der Fragen und schließe Ihren Geschäftsbereich damit ab.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben für die Fragestunde jetzt noch dreieinhalb oder vier Minuten. Wir könnten also gerade noch mit der ersten Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5639
Vizepräsident Hans Klein
ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beginnen. Ich frage mich, ob das sehr sinnvoll ist.
— Herr Seifert, durch die Verlängerung der Regierungsbefragung hat sich die Fragestunde verkürzt. Wir haben den Beginn der Aktuellen Stunde für 16.05 Uhr angekündigt; das ist die Situation. Ich schlage vor, daß wir die Fragestunde jetzt schließen, weil es keinen Sinn macht, wenn wir aus einem Geschäftsbereich eine Frage aufrufen, ohne daß der Fragesteller eine Zusatzfrage stellen kann.
Sind wir denn schon — Frage an die Geschäftsführer — für die Aktuelle Stunde gerüstet?
— Also, die unbeantwortet gebliebenen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich schließe die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Aktuelle Stunde
„Kostenexplosion im Gesundheitswesen"
Diese Aktuelle Stunde ist von der Fraktion der SPD verlangt worden. — Vielleicht kann man dem Debattenverlauf auch auf der Regierungsbank ein bißchen Rechnung tragen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Kollege Klaus Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Jahre nach Inkrafttreten des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes, eines angeblichen Jahrhundertwerks, zeigt die jüngste Bilanz: Die Ausgaben laufen den Einnahmen stärker als je zuvor davon. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres verzeichnen die gesetzlichen Krankenkassen ein Rekorddefizit von 5,7 Milliarden DM. Keines der versprochenen Ziele Ihres Gesetzes wurde erreicht.
Statt der versprochenen Stabilisierung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung erleben wir eine neue Kostenexplosion: für die ärztlich-ambulante Behandlung eine Zunahme um 6,7 %, bei den Zahnarzthonoraren um 9 %, beim Zahnersatz um 15 %, bei Arzneien um 9,3 %, beim Krankenhaus um 6,6 %, beim Krankengeld um 16 %, bei den Kuren um mehr als 21 % — um nur einige der wichtigsten Ausgabenpositionen zu nennen.
Die Folge: Einzelne Kassen müssen sich ab Jahresbeginn unfreiwillig in das Guinness-Buch der Rekorde eintragen lassen. 16,5 % Beitragssatz, das hatten wir noch nie, und das wird ab 1. Januar der Fall sein.
Wie ihre Vorgängerinnen ist auch diese Kostenexplosion nicht schicksalhaft. Sie ist die Folge der Unzulänglichkeiten Ihrer sogenannten Gesundheitsreform. Vor allem aber ist sie Folge einer unterlassenen
Strukturreform, die den Problemen wirklich auf den Grund geht.
— Sehr wohl. — Beides haben CDU/CSU und FDP zu verantworten.
Die angeblichen Erfolge, die Sie bisher der Öffentlichkeit vorgegaukelt haben, sind purer Schein, sind nichts anderes als Kostenverlagerungen von den Krankenkassen auf die Versicherten, die Sie mit Leistungskürzungen und Leistungsausgrenzungen in einer Größenordnung von 6 bis 7 Milliarden DM jährlich an höherer Selbstbeteiligung zur Kasse gebeten haben.
Ausgerechnet dort, wo die Selbstbeteiligung mit 40 % am höchsten ist, nämlich beim Zahnersatz, steigen die Ausgaben mit 15 % am stärksten.
Herr Blüm - lieber Kollege Dr Hoffacker, hören Sie
genau zu —, der Vater der sogenannten Gesundheitsreform, hat recht, wenn er die Selbstbeteiligung als Flop bezeichnet. — Hier müßten Sie eigentlich klatschen.
Warum haben Sie sie denn eingeführt? Daß das ein Flop werden würde, haben wir Ihnen doch vorausgesagt. CDU/CSU und FDP sind in dieser Frage ideologisch verblendet.
— Ja, das sind alte Ideologen hier.
Sie wollen die Wirklichkeit nicht wahrnehmen, Sie wollen die Selbstbeteiligung noch ausweiten, wenn Sie die 15 %ige, bis 10 DM betragende Beteiligung bei allen nicht festbetragserfaßten Arzneimitteln ab 1. Juli 1993 einführen.
Die Regelungen dagegen, die den Leistungserbringern einen Beitrag zur Stabilisierung der Krankenkassen abverlangen, stehen — so sie im GRG überhaupt enthalten sind — weitgehend immer noch auf dem Papier.
Ich will ein Beispiel nennen: Die Arzneimittelfestbeträge gibt es gerade bei einem Drittel der Präparate; von den versprochenen 80 % redet in der Zwischenzeit niemand mehr.
Die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Hasselfeldt, schaut der ganzen Entwicklung hilflos zu. Sie ist sichtlich überfordert.
5640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Klaus Kirschner
— Das steht mir zu. — Statt das zu tun, was ihre Pflicht ist, nämlich endlich wirksame Strukturvorschläge zu unterbreiten, wird auf die Selbstverwaltung geschimpft, sie habe das Gesetz nicht richtig umgesetzt.
Das ist ein Ablenkungsmanöver. Hier soll ein Schuldiger für eigenes politisches Versagen herhalten. Das, was in Sachen Richtgrößen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen noch nicht umgesetzt ist, provoziert doch lediglich die Frage, was eigentlich die die Rechtsaufsicht führende Ressortministerin getan hat, damit es umgesetzt wird. Nichts hat sie getan!
Im übrigen, selbst wenn es umgesetzt worden wäre, hätte es keines der Probleme gelöst. Wann begreifen Sie endlich: Die Strukturprobleme im Gesundheitswesen können nur durch eine Strukturreform und nicht durch Kostendämpfungsmaßnahmen gelöst werden.
Diese Regierung war bisher nicht in der Lage, auch nur einen Strukturvorschlag vorzulegen. Dabei brauchten Sie nur von unseren Gesetzentwürfen abzuschreiben. Unsere Reformvorschläge enthalten alles Notwendige und unser Gesetzentwurf auch.
Diese Gesundheitsreform ist gescheitert, war ein Nullsummenspiel: 6 bis 8 Milliarden DM in der Krankenversicherung gespart —
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist lang überschritten.
— sofort, Herr Präsident —, dafür 6 bis 8 Milliarden DM den Patienten an zusätzlicher Selbstbeteiligung aufgebürdet!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung steht heute wieder da, wo Blüm 1987 mit seiner sogenannten Gesundheitsreform begonnen hat:
Herr Kollege!
— bei steigenden Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung.
In der Aktuellen Stunde beträgt die Redezeit fünf Minuten. Wer diese Redezeit um eine halbe oder eine dreiviertel Minute überzieht, überzieht um zehn Prozent und mehr.
Als nächster hat der Kollege Paul Hoffacker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesundheits-Reformgesetz ist richtig angelegt;
denn es hat erstens den Ausgabenanstieg bereits um 7 Milliarden DM eingedämmt.
Zweitens. 1988 lag der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung bei 12,8 %; heute liegt er bei 12,2 %.
Drittens. Die Kassen konnten Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe aufbauen. Das hat es zu Zeiten der SPD nie gegeben. Wenn Sie ein solches Ergebnis hier hätten vorzeigen können, hätten Sie sich selbst den Lorbeerkranz aufgesetzt und wären damit herumgelaufen, solange Advent oder Weihnachten ist.
Wenn die Krankenkassen jetzt Beitragserhöhungen ankündigen, haben sie die Ursachen darzulegen und sie zu analysieren. Es fällt natürlich auf, daß vornehmlich die AOK die Beiträge erheblich erhöhen möchte. Ich denke hier an Köln und Kiel sowie an das Saarland.
Ich muß sagen: Wenn die Opposition dafür jetzt den Bund oder auch die Bundesregierung ins Visier nimmt, zielt sie falsch; denn im Gesundheits-Reformgesetz ist klargemacht, daß dieser Gestaltungsraum für die Kassen und für die Länder vollständig freigegeben ist. Der landesweite Ausgleich ist in § 265 des Gesundheits-Reformgesetzes verpflichtend festgeschrieben. Was haben die Länder denn getan? Offenbar haben sie nichts getan. Sie müssen sich heute fragen lassen, warum sie in Übereinstimmung mit der Opposition den Bund in die Verantwortung nehmen wollen.
Nicht der Bund, sondern die Kassen und die Länder sind betroffen. Ich kann Herrn Dr. Balzer nicht verstehen, wenn er die Bundesregierung kritisiert und dazu auffordert — ich darf das einmal zitieren — , die Kompetenzen der Selbstverwaltung zu stärken und gesetzgeberische Aufträge an die Selbstverwaltung künftig offener zu gestalten. Ich weiß nicht, wovon er spricht. Es ist so offen gestaltet, daß er alles machen kann. Wenn er das nicht tut, müssen sich die Selbstverwaltung und die Kassen selbst fragen lassen, warum sie das nicht tun.
Die SPD ist immer so groß dabei, die Krankenhäuser zu reformieren. Ich kann gern Herrn Rau ein wenig ins Visier nehmen und fragen, was er denn getan hat, um den Investitionsbedarf in Höhe von 13 Milliarden DM zu decken. Er hat nichts getan; es wird nur darüber geklagt, daß es bei den Krankenhäusern nicht weitergeht.
Die Länder sind nicht bereit, sich zu bewegen, und die Krankenhäuser halten am Kostendämpfungsgesetz und seinem Prinzip fest. Das ist falsch. Das Gesundheits-Reformgesetz legt den Ländern und Kassen keine Fesseln an. Es gibt zahlreiche Beispiele für diesen Gestaltungsfreiraum.
Wenn Sie Zeitung lesen, können Sie feststellen: Es gibt Teilzeitkliniken mit viel Ersparnis. Es gibt jetzt an der Universitätsklinik in Regensburg klare Vorstel-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5641
Dr. Paul Hoffacker
lungen, wie man die Pflege organisieren kann. Es gibt in Augsburg — alles in Bayern, weil Bayern fortschrittlich ist —
Vorstellungen darüber, wie man Fallpauschalen einführen kann.
Meine Damen und Herren, dasselbe gilt für die medizinische Versorgung. Im Gesundheits-Reformgesetz — §§ 99 ff. — steht: Den Bedarfsplan machen die Länder; Überversorgung, Zulassungsbeschränkungen, alles dürfen die Länder machen. Wenn Sie nichts getan haben, müssen Sie hier nicht so schielen, als könnten Sie nicht geradeausgucken. Schauen Sie zu denjenigen, die die Ursache sind!
Meine Freunde, wenn behauptet wird, die Kapazitätsverordnung sei eine Bundesangelegenheit, deshalb gebe es zu viele Ärzte, kann ich nur sagen: Geht in die Länder, die können es machen. Studienreform, Prüfungsverordnungen, Kapazitätsverordnungen ändern — alles können die Ärzte mit den Universitäten, können die Länder mit ihren Partnern machen.
Ich darf zwei hübsche kleine Beispiele dafür bringen, wie das in SPD-regierten Ländern läuft. In Brandenburg gibt es einen gewissen Herrn Affeld. Den hat man in Nordrhein-Westfalen weggejagt. Dieser Mann geht hin und bietet seine kalte Asche als neue zündende Idee an. Er schlägt das Gesundheitssystem kaputt. Er löst die 30 Betten bei der Neurochirurgie auf und will sie weiterverpflanzen.
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident in Brandenburg und der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Johannes, von seinen Brüdern und Genossen „Bruder" genannt, gehen segnend durch die Länder. Inzwischen sind die Jungs daran, zu zündeln, wo sie können, und machen dieses Gesundheitssystem kaputt. Damit sind wir nicht einverstanden.
Ich bedanke mich bei der SPD für die Möglichkeit, hier in dieser Aktuellen Stunde etwas von ihrem eigenen Sündenregister vortragen zu dürfen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bruno Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der gesetzlichen Krankenversicherung kündigen sich erneut Beitragssatzsteigerungen an. Ein nicht unwesentlicher Teil der Krankenkassen wird bereits 1992 Beitragsanpassungen vornehmen. Weitere Beitragssteigerungen werden 1993 folgen.
Die Zeiten stabiler oder — wie in den zurückliegenden Jahren — sogar rückläufiger Beitragssätze scheinen zunächst vorüber zu sein. Etwas anders sieht die Situation im Augenblick in den neuen Bundesländern aus. Wir haben uns im Zug des Zweiten Änderungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch dafür entschieden, die Beitragssätze, so wie es im Einigungsvertrag vorgesehen war, in den neuen Bundesländern ab 1992 freizugeben.
Auch wenn der Überblick über die Finanzsituation in den neuen Bundesländern noch nicht überall mit der nötigen Vollständigkeit vorliegt, wissen wir doch schon heute, daß Beitragserhöhungen in den neuen Bundesländern auf breiter Front sicherlich nicht erforderlich sind. Im Gegenteil: Viele Kassen haben im Jahre 1991 einen Überschuß erzielt und werden im Laufe des nächsten Jahres darüber zu entscheiden haben, ob und in welcher Höhe sie Beitragssatzsenkungen vornehmen.
Die sich in den neuen und alten Bundesländern unterschiedlich darstellende Situation muß man sehen, wenn man die derzeitige Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung analysiert. Wir haben mit dem Gesundheitsstruktur-Reformgesetz das Ziel der Beitragssatzstabilität in das Gesetz geschrieben. Beitragssatzstabilität ist aber kein Wert an sich, aber sie ist eine entscheidende politische Leitschnur, und zwar nicht nur für Politiker, sondern insbesondere auch für die Vertragspartner der Selbstverwaltung. Das Ziel der Beitragssatzstabilität heißt nicht, daß Beitragssatzerhöhungen ausgeschlossen sein sollen. Sie sollen lediglich erst als letztes Mittel möglich sein, nachdem alle anderen Möglichkeiten der Kostendämpfung und der -einsparung im Gesundheitswesen ausgeschöpft sind.
Wenn wir uns heute mit der Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Antrag der SPD befassen, dann kann ich offensichtlich einen breiten Grundkonsens dieses Hauses zum Ziel der Beitragssatzstabilität feststellen. Ich bin dafür um so dankbarer, weil damit heute offensichtlich auch von der SPD eines der zentralen Ziele der Gesundheitsstrukturreform bejaht wird.
Meine Damen und Herren, das Gesundheitsstruktur-Reformgesetz hat eine Beitragssenkung in der GKV auf breiter Front ausgelöst.
Ohne die Gesundheitsstrukturreform wären die Beitragssätze heute in der gesetzlichen Krankenversicherung im Durchschnitt bereits deutlich über 14 % angestiegen.
Der durchschnittliche Beitragssatz von 12,2 %, wie er derzeit besteht, ist und bleibt ein deutlicher Erfolg der Gesundheitspolitik.
5642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Dr. Bruno Menzel
Viele derjenigen Krankenkassen, die die Einsparungen der Reform sofort durch Beitragssatzsenkungen an ihre Versicherten weitergegeben haben, stehen derzeit allerdings vor der Frage der Anhebung derselben.
Wir haben in der Gesundheitsstrukturreform auch die bestehende Ausgabendynamik in der gesetzlichen Krankenversicherung abgemildert. Die derzeitige Finanzentwicklung bestätigt allerdings, daß die getroffenen Maßnahmen allein nicht ausreichen, um die Beitragssätze dauerhaft auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren.
Die Gesundheitsministerin hat in den letzten Wochen mit dankenswerter Offenheit wiederholt auf die weiterhin bestehenden strukturellen Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung aufmerksam gemacht.
Eine vorbehaltlose Analyse der weiteren Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung muß in den nächsten Monaten mit Sicherheit erfolgen. Hierzu wird eine weitere Umsetzung der Instrumente der Gesundheitsstrukturreform gehören. Hierzu werden aber auch weitere Maßnahmen notwendig sein.
Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat deutlich darauf hingewiesen, daß die Zukunft für die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens nicht in einer Ausweitung planwirtschaftlicher Instrumente liegen kann, sondern endlich von allen Beteiligten das gemeinsame Bekenntnis zu mehr Marktwirtschaft im Gesundheitswesen erforderlich ist.
Der medizinische Fortschritt, der zunehmende Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung und die gestiegene und weiter steigende Lebenserwartung werden auch weiterhin Kostensteigerungen unausweichlich machen.
Meine Damen und Herren, ein leistungsfähiges Gesundheitswesen bedarf der Grundlage einer gesunden Ökonomie. Zu dieser Aufgabe sollten wir alle vorbehaltlos unseren Beitrag leisten.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über eine Aktuelle Stunde zum Thema Kostenexplosion im Gesundheitswesen kann man eigentlich nur erfreut sein. Daß sich dadurch allerdings etwas in der Denkweise innerhalb
der gesellschaftlichen Strukturen ändert, ist mit Sicherheit zu bezweifeln.
Ich habe angenommen, hier zu erfahren, was aus den Expertengesprächen von CDU/CSU, FDP und SPD zur Vermeidung des Kollapses der Krankenkassen herausgekommen ist. Den Diskussionsverlauf können wir schlecht verfolgen, wir sind ja nicht beteiligt.
Nimmt man den Vorschlagskatalog aus dem Gesundheitsministerium, auch wenn sein Vorhandensein von Frau Ministerin Hasselfeldt dementiert wurde, so hat er gerade bei der Bevölkerung in den neuen Bundesländern für große Unruhe gesorgt. Verständlicherweise sind die Menschen mißtrauisch, wenn sie ständig von neuen Belastungen, Zuzahlungen hören, obwohl sie sich Besseres erhoffen, und Lösungsvarianten dann in völliger Streichung von Zuschüssen zu Zahnersatz, Sehhilfen und in der Schließung von Einrichtungen bestehen.
Eine Erkenntnis verdanken wir dem Einigungsprozeß auf alle Fälle: Kranksein ist teuer, und je weniger jemand hat, desto teurer wird es für ihn. Es ist geradezu ein Luxus, gesund leben zu können, bzw. sich für den Krankheitsfall absichern zu können.
Ich möchte hier Frau Dr. Nancy Mackanzie, Leiterin eines New Yorker Beratungszentrums für Gesundheitspolitik, zitieren, die sagt:
Die Frage, ob die öffentlichen Ausgaben zu hoch sind, ist hier bestenfalls unaufrichtig. Sie gleicht der Frage in dem alten Witz vom Ehemann, der gefragt wird, ob er seine Frau immer noch schlägt.
Zur Lage im Gesundheitswesen, der Kostenexplosion, bleibt die PDS/Linke Liste bei der Einschätzung, die ich bereits in der letzten Debatte vortrug.
— Auch Sie sagen nie etwas Neues.
Die Gesundheitsreform vor drei Jahren als Allheilmittel zur Kostendämpfung proklamiert, ist gescheitert. Für um so verheerender halten wir, daß zukünftig auch die Absicherung der Pflege, dieses Menschenrecht für Millionen Menschen, in eine Versicherung unter dem Dach der allgemeinen Krankenversicherung gesteckt werden soll, eines Systems, das mit über 1 200 Einzelkassen — für mich völlig irre — ein Faktor für die hohen Kosten im Gesundheitswesen ist.
Notwendig sind vielmehr eine Reform der Organisation des Krankenkassensystems, ein genereller Neuansatz für eine tatsächliche Gesundheitsreform, damit a) der Behandlungsbedarf die Kosten bestimmt, nicht der Honorarfetisch, b) ein effektives Zusammenwirken ärztlicher Einrichtungen stattfinden kann und keine Belastungen durch Zweit- oder Drittuntersuchungen entstehen, besonders im Interesse der Patientinnen und Patienten, z. B. bei der Röntgenbelastung, neue Medikamente besser helfen und nicht nur als Etikett für Einmaliges dienen, um einer Normierung des Preises zu entgehen. Konsequent ist für mich
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5643
Dr. Ursula Fischer
auch eine Reformierung des Medizinstudiums, des Bereichs des Pflegepersonals. Ich erinnere dabei auch an die Ausbildung der Allgemeinmediziner. Fehldiagnosen usw., alles das trägt zu den hohen Kosten bei.
Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist nicht zufällig, sondern sie resultiert aus der Struktur der Gesellschaft. Dort, wo das Geld Maßstab aller Dinge ist — also auch im Gesundheitswesen — , muß sich alles so entwickeln, wie wir es im Augenblick beobachten können. Ich sage Ihnen voraus: Es wird kein Halten geben, jedenfalls so lange nicht, bis nicht auch in diesem Bereich ein wirklich neues Denken einsetzt oder einsetzen kann.
Das Vergütungssystem gibt keinen Anreiz zum Sparen, eher erhebt es Marktwirtschaftlichkeit zum Gesetz. Zum Beispiel bedeuten geringere Kosten auch geringere Pflegesätze. Jeder Krankenhausdirektor wäre doch dumm, andere Dinge zu machen. Je mehr gemacht wird, desto höher ist auch das Einkommen des Arztes.
Außerdem besteht für den Arzt die Notwendigkeit, sich abzusichern, falls Regreßansprüche von Patienten kommen sollten. Auch das ist ein Teil der Arbeit, die über den Beitragssatz bezahlt werden muß.
— Darüber könnten wir uns ganz lange unterhalten. Kindermedizin ist ein gutes Beispiel dafür.
Nun höre ich aber auch, daß das amerikanische Modell der Gesundheitsversorgung gar nicht so schlecht ist.
Auch die Amerikanisierung habe ich schon angesprochen. Davon habe ich erst jetzt wieder gelesen. Ich sehe das nach wie vor. Ich hoffe, daß nicht auch noch die Diskussion hier dazu beiträgt, die Kostenexplosion, über die hier gesprochen wird, wieder auf die Patientinnen und Patienten zu verlagern, wie das immer geschieht.
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit, besonders die des Kollegen Ackermann.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Zöller.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man sich die Frage stellt, warum die SPD ausgerechnet 13 Tage vor Weihnachten eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Kostenexplosion im Gesundheitswesen" beantragt,
kommt man leicht in die Versuchung, anzunehmen, die SPD habe eine Falschmeldung in der Zeitung ungeprüft so ernst genommen, daß sie mit einer Gummibärchenabgabendiskussion selbst den Kindern Weihnachten noch vermiesen möchte.
— Dem Zwischenrufer kann ich empfehlen, Gummibärchen zu kauen; das verlängert die Denkpause.
Aber das wohl beste und leistungsfähigste Gesundheitssystem ist eigentlich viel zu schade, als daß man es für politische Schaukämpfe mißbrauchen sollte.
Verzeihung, Herr Kollege Zöller, aber da nun schon eine solche Note in diese Debatte gekommen ist, sage ich: Hier im Präsidium ist die Frage aufgeworfen worden, ob wir die Gummibärchen konfiszieren müßten.
Ich trete sie Ihnen gerne ab.
Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie sprechen von Kostenexplosion. Schon durch die Wortwahl geben Sie zu erkennen,
wie oberflächlich Sie diese Thematik angehen.
Die auch Ihnen vorliegenden Zahlen sagen nämlich etwas ganz anderes aus: Während die Beitragssätze bisher jährlich um rund 0,4 Beitragspunkte anstiegen, sank seit der Einführung des Gesundheits-Reformgesetzes der Beitragssatz auf 12,2 %.
Ohne das Gesundheits-Reformgesetz wären wir bei einem Beitragssatz von über 14 % gelandet.
Wenn am Ende des Jahres mit einem Ausgabendefizit von rund 4 bis 5 Milliarden DM gerechnet wird
und man dies auf die Gesundheitsreform schiebt,
sollte man fairerweise auch erwähnen, daß die gleiche
5644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Wolfgang Zöller
Gesundheitsreform im letzten Jahr einen Überschuß von 7 Milliarden DM ermöglicht hat.
In Bayern werden im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich 26 von 121 Krankenkassen ihre Beiträge erhöhen. Das heißt, daß ab Januar 1992 der durchschnittliche Beitragssatz der Krankenkassen in Bayern bei rund 12,1 % und somit weiterhin noch deutlich unter dem Niveau vom 1. Januar 1989, also der Zeit vor Inkrafttreten der Gesundheitsreform, liegt. Ich finde es schon sehr seltsam, wie man da von Scheitern sprechen kann.
Die Instrumente der Gesundheitsreform sind richtig angelegt. Sie sind aber bei weitem noch nicht voll umgesetzt. Die Versicherten haben ihren Beitrag zur Gesundheitsreform geleistet. Am Zuge sind nun auch die Selbstverwaltung der Krankenkassen und ihre Vertragspartner, die Leistungsanbieter.
Mit dieser Feststellung verbinde ich keine Schuldzuweisung. Ich verkenne nicht den äußerst engagierten und erfolgreichen Einsatz beim Neuaufbau des Gesundheitswesens in den neuen Ländern. Jedoch gilt es jetzt, verstärkt die offenen Maßnahmen der Gesundheitsreform umzusetzen.
Wirtschaftlichkeit und verbesserte Transparenz hängen hier eng zusammen. Eine Schlüsselfunktion im Rahmen der Transparenz hat die Versichertenkarte, die den herkömmlichen Krankenschein ablösen soll.
Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen: Mit der Einführung einer Versichertenkarte auf Chip-Basis sehe ich eine große Möglichkeit, zusätzliche Nutzungsaspekte und Rationalisierungseffekte zu erzielen, z. B. Nutzung der Versichertenkarte als Notausweis, der im Unglücksfall alle medizinisch relevanten Daten enthält;
Vermeiden von Doppeluntersuchungen; weniger Bürokratie, mehr Zeitaufwand für den Patienten; Transparenz der Kosten für Kassen und Patienten; Zuordnung von Arzneimitteln, angefangen beim Arzt über das Rezept bis zur Abrechnung, und einen innereuropäischen Anspruchsberechtigungsnachweis. Diese Aufzählung könnte man fortsetzen.
Unser Gesundheits-Reformgesetz ist auf Dauer nur finanzierbar, wenn wir alle unseren Beitrag dazu leisten.
Es sollten sich nicht immer nur alle angesprochen fühlen; die meisten fühlen sich nämlich nur angegriffen. Der Slogan einer der bedeutendsten Parteien trifft hier optimal zu: „Miteinander hat Zukunft."
Ich danke Ihnen.
— Lieber ein Gesundbeter als ein Krankreder!
Frau Abgeordnete AntjeMarie Steen, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Zöller, ich möchte Sie aufklären, warum wir heute diese Debatte führen:
Der Gabentisch für die Versicherten ist mit Schrekkensmeldungen noch nicht gefüllt genug. Daher wollen wir ihnen dieses Paket, das Sie ihnen geschnürt haben, auch noch präsentieren.
— Das ist auch sadistisch, was Sie mit dieser Gesundheitsreform zu veranstalten anfangen.
Frau Ministerin Hasselfeldt, Ihre kurzatmigen Versuche, die Kostenlawine im Gesundheitsbereich in den Griff zu bekommen, lassen den Verdacht zu, daß Ihnen die Handlungsfähigkeit abhanden gekommen ist. Das macht z. B. die Beratungsunterlage Ihres Ministeriums zur Kostenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung sehr deutlich, auf die ich noch im Detail eingehen möchte.
Ich weiß, daß Sie Abwehrreaktionen zeigen und versuchen, die ganze Vorlage als nicht seriös herunterzuspielen. Das wird Ihnen nicht gelingen, bedeuten doch solche Dementis oft auch das Abklopfen der Öffentlichkeit, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen kann, ohne zu großen Schaden zu nehmen, sprich: Wie weit kann man die Entsolidarisierung der Betroffenen betreiben?
Daß hier an massive Entsolidarisierungsmaßnahmen gedacht wird, zeigen meiner Ansicht nach folgende Beispiele: die Streichung von Sehhilfen aus dem Leistungskatalog — da trägt der Kassenpatient neben dem Kassenpflichtbeitrag die volle Höhe der Rechnung, während der Privatpatient die Erstattung erhält —;
bei der Streichung des Zuschusses zum Zahnersatz, lieber Herr Kollege, erfährt das schöne Wort „Mut zur Lücke " eine schöne Variation durch das Ministerium, nämlich „Mut zur Null-Lösung" ;
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5645
Antje-Marie Steen
die Zuzahlung für ambulante, ärztliche und zahnärztliche Behandlung. Bevor die Behandlung beginnt, muß der Patient in Zukunft mit dem Arzt über Dauer und Art der Behandlung feilschen; denn er muß ja auf seine Kostenerstattung achten.
Diese Beispiel könnte man, wenn diese Angelegenheit nicht so ernst wäre, weiter fortsetzen.
Unerhört — Frau Ministerin, das sage ich hier mit vollem Ernst — und damit auch unerträglich ist, daß in Ihrem Hause über die Streichung des Sterbegeldes nachgedacht wird, wohlwissend, daß die Betroffenen nur mit hohem finanziellen Aufwand private Vorsorge treffen können.
Ist Ihnen eigentlich das Erschrecken derjenigen, die bereits bei der Einführung der GRG durch die Verminderung des Sterbegeldes in ungeahnte Schwierigkeiten gerieten, schon aus dem Gedächtnis entschwunden? Zu Lasten der Versicherten wollen Sie 17,7 Milliarden DM abkassieren, Leistungseinschränkungen hinnehmen und Gesundheitsvorsorge vernachlässigen.
Erst droht hier der schmerzhafte Einschnitt bei den allgemeinen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und der Krankheitsverhütung. Dann versuchen Sie über die Streichung von Badekuren, Massagen, Zuzahlung bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungskosten zu erreichen, was die Leistungsanbieter, wie Ärzte, Pharmaindustrie, Krankenhäuser, nicht zu leisten bereit sind: einen Beitrag zur Stabilisierung der Kosten im Gesundheitswesen.
Der Grundstein für diese sich anbahnende Kostenverlagerung von den Krankenkassen hin zu den Versicherten ist durch das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz gelegt worden, das sich auch in seinem strukturellen Veränderungsanspruch als gescheitert erweist.
Ihrer Gesundheitspolitik fehlen die wichtigen Elemente, die der Orientierung und Zielbestimmung, die der Prävention vor Behandlung, wo Gesundheitspolitik als gesellschaftliche Aufgabe definiert wird.
Greifen Sie endlich die Instrumente zur Stabilisierung der Gesundheitskosten auf, die wir Ihnen immer wieder empfehlen: Steuerungsanreize, z. B. im Krankenhausbereich durch Pflegesätze, die wirtschaftliches Verhalten belohnen, die stärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, die Neustrukturierung des ärztlichen Versorgungsangebots, eine Positivliste der Arzneimittel und die Einrichtung eines Arzneimittelinstituts, eine Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung, die den Namen Refom endlich einmal verdient.
Liebe Frau Kollegin Limbach, vielleicht stimmen Sie mir in diesem letzten Punkt zu: Stimmen Sie endlich
einem Pflegegesetz zu, wie wir es Ihnen vorgelegt haben,
um die Kassen von den reinen Pflegekosten zu befreien und um eine finanzielle Absicherung des Pflegerisikos zu treffen.
Eine beträchtliche Steigerung der Selbstbeteiligung wird es mit uns nicht geben. Im Gegenteil: Betrachten Sie Ihre Philosophie, durch Selbstbeteiligung Beitragstabilität erreichen zu wollen, als gescheitert.
Sie lassen zu, daß Versicherte mehrfach — —
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Darf ich meinen letzten Satz zu Ende führen, Herr Präsident?
Eines Ihrer ausgemachten Ziele, Frau Ministerin, dadurch die sogenannte Eigenverantwortlichkeit zu stärken, ist ein weiterer Schritt in Richtung Privatisierung des Krankheitsrisikos. Unterstützung finden Sie da ja bei Ihrem Koalitionspartner FDP, der Gesundheit bestrafen will und sogar einen Solidarbeitrag für Gesunde einführen möchte. Mit solchen unsoliden Vorschlägen — —
Ihre Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.
— — untermauern Sie: Ihre Gesundheitspolitik ist ein einziges Fiasko.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, halten Sie sich bei Aktuellen Stunden doch bitte an die Redezeiten. Es ist auch nicht angenehm für den Präsidenten, wenn er Kollegen ins Wort fallen muß.
Als nächstes hat das Wort der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der letzten Woche den Gesetzentwurf der SPD zur Pflegeversicherung diskutiert. Die SPD spricht sich für eine Ausweitung des Sozialversicherungssystems aus. Ich will Ihnen nicht erneut die Bedenken der FDP gegen diesen Vorschlag vortragen.
Ich möchte Sie lediglich darauf aufmerksam machen, daß dieselbe SPD, die die Sozialversicherung ausweiten möchte, offensichtlich in einem anderen Zweig der Sozialversicherung erhebliche Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit hat.
5646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Dr. Dieter Thomae
Sie sprechen hier von einer Kostenexplosion.
— Sie sollten aber fairerweise eine genaue Analyse betreiben und unterscheiden zwischen Kostensteigerung einerseits und steigenden Ausgaben für vermehrte oder verbesserte gesundheitliche Leistungen andererseits. Hier nenne ich als Stichwort nur operative Möglichkeiten: Herzchirurgie, Bypassoperationen und den gesamten Bereich des Hüftspektrums.
Wenn Sie sich vor Augen führen, welchen Anstieg es hier in den letzten Jahren gegeben hat, dann müssen wir damit rechnen, daß vermehrt Ausgaben für diesen Bereich getätigt werden müssen.
Wir wollen uns aber keinen Illusionen hingeben. Der Sachverständigenrat hat in der letzten Woche darauf hingewiesen, daß nach seiner Auffassung das Niveau der medizinischen Versorgung mittelfristig nur zu halten ist, wenn hierfür auch die erforderlichen Beitragsanpassungen vorgenommen werden. Unvermeidliche Beitragssatzsteigerungen, etwa zur Finanzierung des medizinischen Fortschritts, müssen von uns hingenommen werden. Dennoch gibt es auch in diesem Bereich Wirtschaftlichkeitsreserven.
Ich bekenne mich zur Chipkarte. Ich denke, die Chipkarte trägt zur Transparenz, aber auch zur Möglichkeit des Einsatzes von Anreizsystemen bei.
Meine Damen und Herren, in der Tat muß die Koalition noch Hausaufgaben erledigen.
Das haben wir in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt. Wir haben zwei große Bereiche definiert, einmal den Krankenhausbereich, zum anderen die Organisationsreform.
Ich denke, der Krankenhausbereich muß angepackt werden. Hier gibt es in der Tat Einsparungsmöglichkeiten.
Wir müssen nach unserer Vorstellung wirklich die Frage aufwerfen: Kann der allgemeine Pflegesatz weiter gelten? — Wir sind der Meinung: nein.
Können wir über Sonderentgelte arbeiten? Wir meinen: ja. Wir meinen auch, daß wir über Fallpauschalen mehr Wettbewerb und mehr Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus einführen können.
Wir wollen auch, daß es sich lohnt, im Krankenhaus zu arbeiten, daß jedem Krankenhaus die Chance eingeräumt wird, Gewinne zu machen, die es wieder investiert. Hierzu muß man eines feststellen: Die Länder haben in den letzten Jahren kaum finanzielle Mittel in das Krankenhaus gesteckt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die
Schuldigen!)
Wenn Sie sehen, daß es Bundesländer gibt, die seit Jahren keine Ersatzinvestitionen tätigen,
dann muß man schon fragen, ob nicht auch die Länder stärker in diese Verantwortung mit einbezogen werden müssen.
— Aber es hat mit den Kosten zu tun! Ersatzinvestitionen und Erweiterungsinvestitionen
werden nicht generell über den Pflegesatz bezahlt.
Der zweite Bereich ist die Organisationsreform. Wir wollen durch eine Organisationsreform mehr Wahlfreiheit einführen. Schon heute müssen sich die Kassen darauf einstellen, daß mehr Wettbewerb kommt. Aber eines sage ich: Der Bundesrat macht mir schon etwas Sorge; denn ich sehe große Tendenzen im Bundesrat zu einem kassenartenübergreifenden Finanzausgleich.
Meine Damen und Herren, Regionalisierung der Kassen ist in meinen Augen gefährlich, vor allen Dingen für die neuen Bundesländer. Denn in den neuen Bundesländern werden, wenn sie regionale Kassen anbieten, die Beitragssätze viel höher liegen, und wir werden keine Ausgleichsmöglichkeiten haben. Das kann und darf nicht Sinn einer Organisationsreform sein. Der Föderalismus darf nicht im Bereich der Krankenkassen ausgetragen werden.
Nein, der Föderalismus gehört nicht in den Sozialversicherungsbereich, sondern wir müssen in diesem Bereich eine bundesweite Regelung schaffen, damit Ausgleiche möglich sind.
Ich bedanke mich für Ihre guten Tips. Wir werden diesen Bereich hoffentlich recht bald diskutieren.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Gesundheit, Frau Gerda Hasselfeldt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5647
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine andere Regierung, keine andere Selbstverwaltung hat es jemals in so kurzer Zeit geschafft, ein marodes kommunistisches Gesundheitswesen in eines der erfolgreichsten Gesundheitssysteme der Welt zu überführen.
Keine Bundesregierung hat sich jemals so intensiv, so offen, so rechtzeitig und so sorgfältig mit der künftigen Entwicklung der Gesundheitsausgaben auseinandergesetzt wie diese Regierung.
Keinem sozialdemokratischen Gesundheitsminister ist es jemals gelungen, das Kostenproblem im Gesundheitswesen so konsequent, so nachdrücklich in Angriff zu nehmen, wie dies dem Kollegen Blüm gelungen ist.
Der bisherige Erfolg hat ihm auch recht gegeben. Der Kollege Zöller hat dies ausdrücklich miterwähnt. Diesen Erfolg, meine Damen und Herren, zu bewahren, ihn zu sichern und ihn auszubauen, ist unsere Aufgabe, und dafür steht unsere Bundesregierung.
Im übrigen stammt das Wort „Kostenexplosion", meine Damen und Herren von der Opposition, nicht aus unserer Zeit, sondern aus der Zeit der 70er Jahre, als nämlich zweistellige Steigerungsraten an der Tagesordnung waren.
Ich darf nur erinnern: Zwischen 1970 und 1975 gab es eine jährliche durchschnittliche Steigerung um 17,4 %. Meine Damen und Herren, wir haben das nicht vergessen. Ich will auch keine Vergangenheitsbewältigung machen. Nur kann man bei der jetzigen Situation mit Sicherheit nicht von einer Explosion sprechen.
Liebe Frau Steen, ich finde es schon ungeheuerlich und unverantwortlich, mit welchen erfundenen Horrormeldungen Sie den Bürgern Angst und Schrecken einjagen und dies auch noch ganz bewußt hier zum Ausdruck bringen,
daß dies ganz bewußt auch noch vor Weihnachten geschehen soll.
Ich habe mehr als einmal deutlich gemacht — ich will das auch hier tun — , daß all diese Gedanken, die von Ihnen angesprochen wurden, nicht meine Vorschläge, nicht die Vorschläge der Koalition und nicht die Vorschläge dieser Regierung sind. Ich will dies ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
Meine Politik ist es, die Probleme offen und rechtzeitig beim Namen zu nennen und sie auch einer konkreten Lösung zuzuführen. Deshalb habe ich auch im Sommer bereits alle Verantwortlichen auf die Gefahren einer ungebremsten Ausgabenentwicklung hingewiesen. Der Kollege Dreßler, sonst immer gleich zur Stelle, war damals offensichtlich im Urlaub.
Anders ist es nämlich nicht zu erklären, daß allein seine Kollegin, die Frau Kollegin Schmidt-Zadel damals öffentlich — dafür aber mit einem um so eindrucksvolleren Satz — reagierte. Ich zitiere die Frau Kollegin Schmidt-Zadel von der SPD:
In den Schubladen des Ministeriums liegen bereits Pläne für eine Beitragserhöhung.
Der Kollege Dreßler und manche von Ihnen hätte sicher erstens gewußt, daß es sich nicht, wenn überhaupt, um Beitrags-, sondern Beitragssatzerhöhungen geht.
Das zweite hätten auch viele von uns gewußt, daß nicht das Bundesgesundheitsministerium die Entscheidung über die Beitragssatzgestaltung trifft und deshalb diese auch nicht planen kann, sondern dies in der Verantwortung der Selbstverwaltung passiert.
Auch dies, meine Damen und Herren, ist wieder ein Beispiel dafür, wie mit Unwahrheiten und Falschinformationen Verantwortlichkeiten in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, wo sie nicht richtig verankert sind.
Weitaus sachverständiger haben die Vorsitzenden der Koalitionsparteien reagiert. Sie haben nämlich eine Arbeitsgruppe eingesetzt zur Analyse der Lage und zur Vorbereitung notwendiger Lösungsvorschläge. Diese Arbeitsgruppe arbeitet, und sie läßt sich auch durch Störmanöver jedweder Art nicht aus der Arbeit bringen.
Inzwischen hat auch die Konzertierte Aktion über das von mir in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten beraten, manches kontrovers, vieles aber auch einvernehmlich.
Schließlich hat heute die Bundesregierung meinen Bericht zur Entwicklung der Beitragssätze und zur
5648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Bundesministerin Gerda Hasselfeldt
Umsetzung der Vorschläge der Konzertierten Aktion verabschiedet. Dieser läßt keinen Zweifel daran, daß wir dem drohenden Anstieg der Beitragssätze Einhalt gebieten werden.
Nach dem bisherigen Stand unserer Verhandlungen gehe ich von folgendem aus:
Ein Teil der Ursachen für den aktuellen Ausgabenanstieg ist auf die steigende Zahl der Ärzte zurückzuführen. Zusätzlich beruhen sie auf Bedingungen, die in den Strukturen, in den Kapazitäten und in den Anreizen des Systems liegen.
Weil dies so ist, muß das erste Gebot sein, daß alles, was im System an Wirtschaftlichkeitsreserven vorhanden ist, auch tatsächlich ausgeschöpft wird. Dies ist der erste und wichtigste Ansatz.
— Wenn Sie zuhören würden, würden Sie es gleich erfahren.
Dies erfordert eine vollständige Umsetzung aller bisher noch nicht realisierten Einsparpotentiale des Gesundheitsreformgesetzes. Ich nenne nur Stichworte : Krankenversichertenkarte, Wirtschaftlichkeitsprüfung, Richtgrößen bis hin zu den Festbeträgen. Und dies kann auch bedeuten, wird wahrscheinlich auch bedeuten, daß einzelne der GRG-Vorschriften wirkungsvoller gefaßt werden müßten, und zwar insbesondere dort, wo es der Selbstverwaltung bisher nicht gelungen ist, die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven in eigener Regie mit auszuschöpfen.
Außerdem werden wir prüfen, ob und wie der Zugang zur Kassenarztpraxis gebremst werden kann. Und nicht zuletzt werden wir die bereits laufenden Koalitionsberatungen zur Krankenhausreform und zur Organisationsreform mit allem Nachdruck vorantreiben und, davon können Sie ausgehen, auch erfolgreich abschließen.
Bei alldem, meine Damen und Herren, werden wir keine einseitigen Belastungen zulassen, weder für die Versicherten und Patienten, noch für die Leistungserbringer und die Unternehmen. Pauschale Selbstbeteiligungskonzepte und rigorose Leistungsausgrenzungen haben keine Chance. Mit diesem Konzept werden wir dem anhaltenden Kostenanstieg im Gesundheitswesen erfolgreich Paroli bieten.
Nicht die Politik allein ist es, die die Rahmenbedingungen setzt, sondern die Entscheidungen aller Beteiligten am Gesundheitswesen in unterschiedlicher Intensität sind es, die die Grundlage dafür schaffen. Das wird um so schneller gelingen, wenn alle erkennen, daß Gesundheitspolitik weder Tarifpoker noch Verschiebebahnhof für einseitige Schuldzuschweisungen ist.
Unsere Gesundheitspolitik, meine Damen und Herren, muß und wird jedem Kranken uneingeschränkt helfen, ohne dabei im finanziellen Fiasko zu enden.
Dies war und ist und bleibt unser gesundheitspolitisches Ziel.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin Pfaff.
Herr Präsident! Frau Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine traurige Tatsache, aber dennoch muß sie angesprochen werden, daß das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz erstens keine nachhaltige Verbesserungen bei den Versicherten gebracht hat, zweitens auch keine echten Reformen in den Strukturen des Gesundheitswesens geschaffen worden sind. Und hier muß ich Herrn Kollegen Dr. Thomae widersprechen. Und schließlich — das ist auch eine Tatsache, die wir heute nüchtern betrachten müssen — : Dieses Gesundheits-Reformgesetz hat nicht einmal als Kostendämpfungsgesetz wirksame Wirkungen gebracht.
Frau Bundesminister, es gab keine Bundesregierung, die mit so vollmundigen Ankündigungen über das Ausmaß des Reformbedarfs und der beabsichtigten Reform angetreten ist. Die Berge kreißten, und was herauskam, war nicht einmal ein mittelprächtiges Kostendämpfungsgesetz.
War es also ein Flop auf der ganzen Linie? Ich sage: nein. Das wird Sie vielleicht überraschen. Aber ich meine, daß dies ein Paradebeispiel für politische Gymnastik vor dem Spiegel der öffentlichen Meinung ist. Denn die Diskussion hat schon im Jahre 1988 eingesetzt. Der Vorwegnahmeeffekt, der sogenannte Blüm-Bauch, kam sofort.
Die Ausgrenzungen und Selbstbeteiligungen kamen in den Jahren 1989 und 1990. Die Auswirkungen auf die Beiträge kamen im Jahr 1990, also rechtzeitig vor der Bundestagswahl. Fast wäre dieses Experiment schiefgegangen; denn schon im Herbst 1990 sind die Ausgaben stärker gestiegen als die Einnahmen.
Was hier also den Unbedarften als großer Erfolg verkauft wurde, war letztlich trotz einiger guter Ansatzpunkte in anderen Bereichen leider nichts anderes — so meine ich — als eine großangelegte Kostenverlagerungsaktion.
Dafür dürfen wir, verehrte Frau Bundesminister, die Schuld nicht nur bei der Selbstverwaltung suchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies mußte eigentlich allen Eingeweihten schon 1988 klar sein,
weil all die eigentlichen Ursachen, nämlich die Oberkapazität im ambulanten und stationären Bereich, die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5649
Dr. Martin Pfaff
fehlsteuernden Auswirkungen der Einzelleistungsvergütung im ambulanten Bereich,
die kostendeckenden pauschalierten Pflegesätze im Krankenhaus, der Konditionenwettbewerb zwischen den Kassen, überhaupt nicht angegangen wurden. Das Gesetz enthält ja noch eine Auflistung der Reformen, die eigentlich nötig gewesen wären, die aber nicht realisiert werden konnten. Dagegen wurden die Versicherten mit unsinnigen und unwirksamen Zuzahlungen bedacht.
Mittlerweile — so meine ich — soll eigentlich jedem klar sein — das ist jetzt eigentlich auch mit einem gewissen Ernst und nicht nur mit Polemik, Frau Bundesminister, in Ihre Richtung gesagt — , daß die Selbstbeteiligung — Sie haben ihr zwar abgeschworen; aber die Praxis bei den Arzneimitteln lehrt uns doch etwas anderes — auch ein politischer Bumerang ist, der kurzfristig Entlastungen zu bringen scheint, der aber mittel- und langfristig zu dem früheren Zustand zurückführt, weil die Begehrlichkeiten der Leistungserbringer dadurch leider nicht gedämpft werden. Dieses Muster wird sich immer wiederholen, bis die eigentlichen Ursachen beseitig sind.
Frau Bundesminister, vor einigen Monaten habe ich hier von dieser Stelle das Philippi der Kostendämpfungspolitik dieser Bundesregierung angekündigt. Es ist leider viel früher eingetreten, als viele erwartet haben. Ich sage: Durch Einigeln im Bunker und durch Ignorieren der wahren Ursachen kann diese Situation nicht bereinigt werden.
Sie, Frau Bundesminister — ich meine, dies wirklich mit großem und nachhaltigem Ernst sagen zu müssen —, und die Bundesregierung stehen meines Erachtens eigentlich vor einer echten Grundsatzentscheidung in bezug auf eine politische Strategie für die 90er Jahre. Soll der Druck im Dampfkessel der Gesundheitsausgaben immer wieder von Zeit zu Zeit dadurch verringert werden, daß ein Ventil geöffnet wird, was Leistungsausgrenzung, Ausweitung der Selbstbeteiligung und eine Verlagerung von Aufgaben auf einzelne Haushalte bedeutet? Soll damit eine kurzfristige Entlastung, aber mittel- und langfristig kein Erfolg gezeitigt werden?
Oder haben Sie den Mut, bei den eigentlichen Ursachen des Überdrucks in diesem Dampfkessel anzusetzen, bei den falschen Strukturen im Krankenhaus und auch bei den Überkapazitäten?
Frau Bundesminister, Sie haben dies heute richtig angesprochen. Warum handeln Sie nicht jetzt und bald?
Herr Kollege Pfaff, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Denn nur wenn Sie sehr bald eine entschlossene Strategie wählen, ist nicht nur die Frage Ihres eigenen politischen Überlebens, sondern auch die Frage der Zukunft unserer sozialen Krankenversicherung geklärt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hans-Joachim Sopart.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kostenexplosion im Gesundheitswesen — so das Thema der heutigen Aktuellen Stunde — kann sich, aktuell betrachtet, nur auf das Gesundheitswesen der alten Länder beziehen. Das, meine Damen und Herren von der SPD, muß Sie eigentlich überraschen, haben Sie doch zu Jahresbeginn ein Defizit allein bei der Versorgung mit Arzneimitteln von 1 bis 3 Milliarden DM vorausgesagt. Doch wie sieht nun die Realität ohne den modifizierenden Blick der Opposition aus?
In einer gewaltigen Kraftanstrengung der Krankenkassen ist das gegliederte System der Kassen in den neuen Ländern aufgebaut und funktionsfähig gemacht worden.
Die Ärzte und Mitarbeiter der kassenärztlichen Selbstverwaltung haben ebefalls eine enorme Aufbauarbeit in den neuen Ländern geleistet.
Das war die Voraussetzung, daß noch nicht einmal ein Jahr nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches in den neuen Ländern bereits jetzt 13 000 niedergelassene Ärzte die ambulante Versorgung der Bevölkerung übernommen haben.
Für mich ist das ein Beweis dafür, wie innovations- und leistungsfähig ein freiheitliches, auf Selbstverwaltung gegründetes Gesundheitsversorgungssystem sein kann. Ich möchte diese dem System augenscheinlich innewohnende Kraft angesichts flotter Diagnosen über das ach so kranke deutsche Gesundheitswesen hier ausdrücklich hervorheben.
Dieser Prozeß ist aber auch ein Beweis für die Flexibilität und die Leistungsbereitschaft meiner Kolleginnen und Kollegen im Osten, so wie dieser Vorgang auch zeigt, wie leistungsfähig ostdeutsche Menschen sind, wenn die Rahmenbedingungen für ihre Leistungen stimmen.
5650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Dr. Hans-Joachim Sopart
Zur Kostenentwicklung des Gesundheitswesens in den neuen Ländern. Die sich jetzt abzeichnende positive Bilanz war von vielen bezweifelt worden. Der Einstiegswinkel von 45 Grad für die Erstattungsleistungen der Krankenkassen bei einem festgeschriebenen Beitragssatz von 12,8 % , wie im Einigungsvertrag vorgegeben, war in weiten Bereichen verlassen worden. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, meine ich, das war im Bereich der Tarife, der Honorare und letztlich — sehr umstritten — beim Solidarbeitrag der pharmazeutischen Industrie nötig.
Obwohl die Umwandlung des Gesundheitswesens in den neuen Ländern gewissermaßen ein Radwechsel bei voller Fahrt war, ist es zu keinem Zeitpunkt zu einer wesentlichen Einschränkung der medizinischen Versorgung gekommen. Für die ambulante medizinische Versorgung im ersten Quartal wurde mit einer Gesamtvergütung in Höhe von 717 Millionen DM der geplante Rahmen eingehalten. Hier wird es allerdings im zweiten Halbjahr eine geringe Kostensteigerung geben: durch die veränderten Punktbewertungen.
Im stationären Bereich ist die Umstellung auf das völlig neue Recht ohne gravierende Schwierigkeiten gelungen. Auch hier lagen die Ausgaben im ersten Quartal unter den Erwartungen. Die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in den neuen Ländern ist ausgezeichnet. Nach Schwierigkeiten am Jahresanfang sind seither alle Präparate in den neuen Ländern verfügbar. Wider manche Voraussage werden noch immer 70 % des Marktes von ostdeutschen pharmazeutischen Betrieben gehalten.
So weit das eher erfreuliche Bild der Kostenentwicklung in den neuen Ländern. Daß sich dieser Zustand der Kostenentwicklung der alten Länder nähern wird — mit der Ausweitung des Leistungsangebots und mit der Ausweitung der Zahl der Leistungsanbieter bei gleichen Rahmenbedingungen — ist allerdings sicher. Nur bitte ich all diejenigen, die Möglichkeiten zur Kostendämpfung diskutieren, zu bedenken, daß die Umstellung des Gesundheitssystems im Osten gerade erst im großen und ganzen abgeschlossen ist, daß sich das System aber noch keinesfalls stabilisiert hat.
So wie die Sachverständigen der Konzertierten Aktion vor vorschnellen Maßnahmen in der Weiterentwicklung der Gesundheitsreform überhaupt warnen, so sollte man bei allen Überlegungen die Auswirkungen solcher Regelungen auf das Gesundheitssystem der neuen Länder dringend beachten. Hier steht die Angleichung des Niveaus der medizinischen Versorgung im Vordergrund. Dabei bestünde allerdings auch die einmalige Chance, Fehler, die in den alten Bundesländern begangen worden sind, zu vermeiden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Karl Hermann Haack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß etwas zur Wahrheitsfindung beitragen bei dem, was die Regierung hier heute veranstaltet.
Erstens. Ich habe den Kollegen Hoffacker in solchen Situationen schon immer als scheinheilig kennengelernt. Sie erzählen uns hier, es gibt die neue Tätergruppe, die das Gesundheitswesen ruiniert: Das sind die Bundesminister der Länder und ist die Selbstverwaltung.
Herr Kollege Haack, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Was ich jetzt sage, wird Ihnen nicht angerechnet, zeitlich, meine ich.
Mein Petitum.
Diese Debatte hat bisher einen guten Verlauf genommen.
Mit ziemlicher Deutlichkeit sind die Argumente ausgetauscht worden. Es war im Plenum auch munter. Aber die Kollegen haben es vermieden, mit Vokabeln wie „Scheinheiligkeit" oder ähnlichem aufeinander loszugehen.
Dies ist kein Ordnungsruf. Es ist nur ein kleiner Hinweis darauf, daß es der Debatte guttäte, wenn wir es sprachlich schafften, die Standpunkte klar darzulegen, ohne einander persönlich anzugreifen.
Herr Präsident! Ich stelle fest: Der Kollege Hoffacker ist nicht scheinheilig.
Er hat uns heute mit einer neuen Tätergruppe vertraut gemacht. Diese Regierung, vertreten durch die Frau Ministerin, ist an der Kostenexplosion schuld.
Herr Hoffacker dagegen behauptet — so hat er es gesagt —, die Bundesländer und die Selbstverwaltung seien schuld.
— Nein. Ich will jetzt auf etwas verweisen und mich mit der Frau Ministerin ein wenig auseinandersetzen. Seit dem ersten Quartal 1991 ist die defizitäre Lage der Krankenversicherung bekannt. Die Frau Ministerin hätte während der Vorbereitung der Novellierung des Gesundheits-Reformgesetzes Gelegenheit gehabt, all das, was sie beklagt, in die kürzliche Novelle des Gesundheits-Reformgesetzes einzubringen.
Sie erklärt, es müsse zu einer Ersatzvornahme kommen, wenn die Selbstverwaltung bei der Umsetzung des GRG nicht spurt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5651
Karl Hermann Haack
— Nein, so steht es in der Presseerklärung.
Im „AOK-Blickpunkt" steht in einem Interview mit Frau Hasselfeldt: „Es steht fest, daß wichtige Regelungen des Gesundheits-Reformgesetzes bisher nicht umgesetzt worden sind."
Dann hat die Ministerin aufgezählt: Richtgrößen, Festbeträge und Versicherungskarte. In diesem Zusammenhang muß ich doch nach der Handlungsfähigkeit dieser Ministerin fragen.
Wenn wir das Gesundheits-Reformgesetz novellieren, dann müßten die Ministerin und diese Fraktion des Hauses, die die Regierung trägt, den Mut haben, Herr Dr. Hoffacker, dies einzubringen, was die Ministerin öffentlich erklärt.
— Sie, Herr Hoffacker, sind der Vorsitzende der Arbeitsgruppe. Sie hätten der Ministerin helfen können. Das haben Sie nicht getan.
Im Gegenteil: Sie haben die Chance, bei der Reform des Gesundheits-Reformgesetzes mitzuwirken, versäumt. Sie haben diese Chance nicht genutzt.
Sie haben es versäumt, das, was die Ministerin beklagt, einzuarbeiten, damit es zu einem entspannteren Verhältnis zwischen der Selbstverwaltung einerseits und der Regierung und dem ganzen parlamentarischen Bereich andererseits kommt. Das wäre ein Beitrag zur Klimaverbesserung gewesen. Statt dessen, Frau Ministerin, haben Sie Streit mit der Selbstverwaltung angefangen mit dem Ergebnis, daß es zu einem Eklat bei der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen gekommen ist. Der Kollege Oesimann hat gesagt, daß er mit Ihnen über diese Fragen nicht mehr reden wird. So ist der Sachverhalt.
Wie geht es weiter? — Wir erleben nun, daß der Sachverständigenrat vorträgt, es müsse mehr Selbstbeteiligung stattfinden. Wir haben 7 Milliarden DM zu beklagen, die Sie durch das GRG abkassiert haben.
— Bei den kleinen Leuten. Der Kollege Dr. Thomae schreibt in dem Hausblatt der CDA, in der „Sozialen Ordnung" : „Die Selbstbeteiligung müßte noch viel mehr ausgestaltet werden. " Ich sage Ihnen, was das
für die kleinen Leute bedeutet: Das ist sozialpolitische Tagedieberei!
— Jawohl, ich sage das bewußt so deutlich. Die kleinen Leute empfinden das so.
Ich meine, es muß jetzt auch darüber geredet werden, wie Sie in der Zukunft die Probleme lösen wollen.
— Richtig. Schrittmacher ist die FDP. Was schlägt der Kollege Dr. Thomae dazu vor? —
In der „Sozialen Ordnung", dem Haus- und Magenblatt der CDA, der Vertreter der Arbeiterklasse in der CDU, schlägt er vor: „Es muß noch mehr Selbstbeteiligung stattfinden." Da war sein erster Vorschlag.
Dann schlägt er vor: Dieses System ist doch wesentlich besser zu organisieren, wenn das PKV-Modell, also das der privaten Krankenversicherung, übernommen wird. Das heißt: Die Sachleistung muß abgeschafft werden; die Kostenerstattung muß kommen.
Wenn ich das höre, frage ich mich: Warum haben wir bei der Novelle des Sozialgesetzbuchs über eine Neuregelung beim Zahnersatz geredet? — Damals haben Sie auf Druck der FDP in das Gesetz geschrieben — das ist der klassische Fall —, man müsse Sachleistungen durch Kostenerstattung ersetzen. Sie haben das jetzt bei der Reform partiell modifiziert, Sie haben den Zahlungsmodus erleichtert.
Es gibt noch etwas ganz Neues. Herr Dr. Thomae hat in dem Interview in der „Sozialen Ordnung" nur die halbe Wahrheit gesagt. Er hat erklärt, es müßte einen modifizierten Pflegesatz für das Krankenhaus geben. Er hat aber nicht gesagt — das ist aber in der Presse anderweitig nachzulesen —, daß er dabei die Hotelkosten im Krankenhaus im Auge hat.
Und er rechnet heraus, was die Hotelkosten sind.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dazu sage ich Ihnen: Diesen Weg werden wir energisch bekämpfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernhard Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haack, Ihr Beitrag war laut, aber falsch. Das will ich mal feststellen. Der Eklat, von dem Sie berichtet haben, hat nicht stattgefunden. Mir ist nicht bekannt,
5652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991
Bernhard Jagoda
daß Herr Dr. Oesimann aus der Konzertierten Aktion ausgezogen ist.
— Mit Sicherheit nicht! Dann müssen Sie mal sehen, auf welcher Veranstaltung das gewesen sein soll!
Der zweite Punkt, den Sie falsch dargestellt haben: Im zweiten Änderungsgesetz zum GesundheitsReformgesetz haben wir beim Zahnersatz gar nichts gemacht, sondern wir haben die Härteregelung verbessert, damit die Leute weniger zuzahlen müssen, als das vorher der Fall gewesen ist. Das ist eine Verbesserung und nicht eine Verschlechterung.
— Wenn Sie lauter sind, wird es auch nicht besser.
Nun will ich Ihnen mal folgendes sagen: Sie sind sehr vergeßlich, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD. Sie haben 1969 die Verantwortung in diesem Lande übernommen. Damals war der durchschnittliche Beitragssatz 8 %. Als Sie den Löffel abgaben, waren wir bei 12 %, und jetzt sind wir zehn Jahre später bei 12,2 % Beitragssatz in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt, und da verängstigen Sie die Bevölkerung, als sei das Gesundheitswesen nicht mehr zu finanzieren.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland das beste Gesundheitssystem, das es auf dieser Welt gibt. Kein Land der Welt bietet den Versicherten auf so hohem Niveau zu so günstigen Preisen so großartige Leistungen, und darauf ist diese Koalition stolz.
Da können Sie auch keinen Keil zwischen die FDP und die Union treiben; wir werden auch in der Zukunft die Kraftanstrengungen aufbringen, die nötig sind, damit dieses hohe Niveau bezahlbar bleibt.
Ich sage hier ganz deutlich: Sie beurteilen schon ein Gesetz, das gar nicht umgesetzt ist. Ich kritisiere doch die Selbstverwaltung überhaupt nicht. Es war eine große Leistung, ein marodes System in der früheren DDR auf neue Formen, wie wir sie kennen, umzustellen.
Das war eine riesige Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die können auch nicht alles auf einmal machen. Ich
bedaure auch, daß wir heute bei Festbeträgen noch
nicht ganz fertig sind, daß die Krankenversicherungskarte noch nicht da ist, daß das eine oder andere nicht da ist.
Warten Sie doch erstmal ab!
Herr Professor Pfaff hat hier Sachlichkeit hereingebracht. Professor Pfaff, Sie haben recht, man soll die Sache nüchtern betrachten. Betrachten wir sie doch einmal nüchtern! Wir bestreiten doch nicht, daß die Beitragssatzsteigerung kommt, aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß wir heute eine andere Altersstruktur in der gesetzlichen Krankenkasse haben. Als sie die Verantwortung trugen, haben alle Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland rund 2,5 % Beitragssatzpunkte aufbringen müssen, um das Defizit in der Krankenversicherung der Rentner zu finanzieren. Heute sind es 3 Punkte, das sind 0,5 Beitragssatzpunkte mehr, und trotzdem haben wir Beitragsstabilität, wir haben die Beiträge fast um 0,8 Prozentpunkte in diesem Lande gesenkt.
Es ist in dem Bereich sogar mehr geleistet worden. Als wir 1982 in die Verantwortung kamen, war der medizinische Fortschritt noch nicht so weit wie heute. Wir sind heute in der Lage, den Leuten etwas zu geben, wovon wir selbst 1982 geträumt haben. Heute ist derjenige nicht verurteilt, wenn er ein schweres Herzleiden hat, sondern sein Herz wird transplantiert. Es werden über 2 000 Nieren im Jahr transplantiert. Wir haben die Vorsorgeuntersuchungen eingeführt. Über 400 Millionen DM jährlich geben wir allein aus, um Vorsorgeuntersuchungen zu finanzieren, damit die Volksgesundheit steigt.
Nun sagen Sie: Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Das sind Mehrleistungen für die Versicherten!
Wir werden auf diesem Weg weiter fortschreiten. Wir werden Schritt für Schritt unsere Hausaufgaben machen. Und wir werden die Leistungen für die Versicherten auf hohem Niveau bezahlbar halten.
Ich danke Ihnen.
Bevor ich die letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde aufrufe, möchte ich für die letzte Rede noch eine kleine Bemerkung machen: Ich finde es sehr gut, wie munter die Aktuelle Stunde läuft. Nur, es gibt den einen oder anderen — ich will jetzt in keine bestimmte Richtung schauen — permanenten Zwischenrufer, dem ich doch empfehlen würde, sich gelegentlich von seiner Fraktion auf die Rednerliste setzen zu lassen.
Frau Kollegin Limbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute etwas sehr Bemerkenswertes und Seltenes passiert. Die Kollegin
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1991 5653
Editha Limbach
Steen hat nämlich mit bemerkenswerter Offenheit hier dargetan, daß die Aktuelle Stunde heute aufgesetzt wurde, nicht weil es ein brennendes Problem gibt,
nicht weil wir gemeinsame Lösungen suchen müssen, sondern weil es eigentlich noch richtig ist, kurz vor Weihnachten die Versicherten zu verunsichern und ihnen etwas auf den Gabentisch zu legen.
Ich finde, darauf trifft das Wort zu, daß Wahrheiten manchmal sehr erschreckend sein können, vor allem, wenn sie so etwas entlarven.
Sie hat uns aber gleichzeitig etwas anderes deutlich gemacht. Es ist die alte Taktik, die die SPD auch hatte, als wir das Gesundheits-Reformgesetz diskutierten, und die sie auch auf anderen Feldern anwendet. Zuerst einmal werden die Leute nicht etwa informiert. Sie werden auch nicht darauf vorbereitet, daß es Probleme gibt, die man lösen muß. Nein. Alles nur Denkbare an Scheußlichkeiten wird genannt, und so werden Patientinnen und Patienten und Versicherte verängstigt. Es hilft ihnen überhaupt nichts, wenn sie hinterher erkennen, daß das alles Unsinn war.
Denn diese Scheußlichkeiten haben sie erst einmal geglaubt.
Ich bedauere sehr, daß die Kollegin Fischer schon gehen mußte. Ich hätte sie sonst gefragt, ob sie, wenn sie von gesellschaftlichen Strukturen spricht, die das Gesundheitswesen stark beeinträchtigen, möglicherweise die gemeint hat, die ihre Vorgängerpartei mit so großem Erfolg betrieben hat, daß jetzt wir alle gemeinsam die Ärmel hochkrempeln müssen, um zu versuchen, die schlimmsten Folgen dieser Politik und dieses Systems zu beseitigen. Der Kollege Sopart hat ja darüber gesprochen.
Natürlich verkennen wir nicht, daß die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ein Problem ist, mit dem wir uns in Deutschland, mit dem sich aber auch andere Industrieländer befassen müssen. Wir alle wissen aber auch, daß u. a. die höhere Lebenserwartung dazu beiträgt, also etwas eigentlich doch sehr Erfreuliches.
Ist es denn nicht schön, daß die Menschen, wenn sie das Arbeitsleben hinter sich haben, die Aussicht haben, noch viele Jahre leben zu können? Und wenn sie dann häufiger krank werden oder häufiger Medikamente brauchen, dann ist es ihr gutes Recht, sie zu bekommen. Aber die Folge ist natürlich, daß Kosten entstehen.
Wir wissen auch, daß wir neue Möglichkeiten der Diagnose und der Therapie haben. Der medizinische
Fortschritt ist doch nicht etwas, was wir beklagen. Wir begrüßen ihn doch. Nur, das bekommt man natürlich nicht umsonst. Also wird es Kosten geben, die aufzubringen sind.
— Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, Herr Haack. Sie haben hier nur die Leistungserbringer genannt.
Das trifft zu; natürlich. Da handeln Menschen, und wo menschliches Handeln ist, gibt es Fehler, da gibt es auch Egoismus, da gibt es auch Begehrlichkeiten. Ganz würde ich da allerdings die Patientinnen und Patienten nicht weglassen, weil natürlich auch die gelegentlich dazu beitragen, daß mehr Kosten entstehen, als entstehen müßten, sei es durch unvernünftiges Verhalten, ehe man krank wird, sei es durch unvernünftiges Verhalten, wenn man krank ist.
Vor wenigen Wochen hat eine Delegation des Gesundheitsausschusses in anderen europäischen Hauptstädten Informationen über das dortige Gesundheitswesen, auch im Vergleich mit unserem, gesammelt.
Herr Dr. Knaape und Frau Dr. Otto waren ja dabei; die werden das bestätigen. Alle haben übereinstimmend Probleme mit den Kosten. Alle haben sich, unabhängig von ihrem System, Gedanken gemacht. Nur, eines war bemerkenswert: Diejenigen, die in ihrem System sehr viele Elemente haben, die uns die Opposition beim Gesundheits-Reformgesetz einreden wollte: Gesundheitszentren, Planung usw., haben hohe Kosten und eine schlechtere Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Das heißt, sie weichen der Kostenerhöhung nicht aus; aber sie haben ein viel niedrigeres Versorgungsniveau der Menschen. Und ich muß sagen: Das will ich auf keinen Fall.
Natürlich muß auch unser Gesundheitswesen unter ständigem Reformdruck stehen — und das tut es auch — , natürlich muß es seine Reformfähigkeit immer wieder neu beweisen. Aber: Zum Reformweg des Gesundheits-Reformgesetzes gibt es keine sinnvolle Alternative.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 12. Dezember 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.