Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett unter anderem mit den Aktivitäten der Bundesregierung zur Tropenwalderhaltung und der Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes befaßt hat.
Ich möchte zunächst das Thema eins, zu dem berichtet wird, aufrufen und erteile das Wort für den einleitenden Bericht dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Bernd Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute mit dem vom Deutschen Bundestag erbetenen Bericht zum Tropenwaldschutz beschäftigt.
Anknüpfend an den Tropenwaldbericht der Bundesregierung vom Mai 1990 gibt dieser Bericht einen Überblick über die seither von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen und Aktivitäten. Dieser Bericht nimmt Stellung auch zu den Empfehlungen, die die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" in ihrem zweiten Bericht zum Thema „Tropenwaldschutz" ausgesprochen hat.
Zentrale Aussagen des Berichts sind unter anderem: Schutz und Erhaltung von Tropenwäldern ist einer der Schwerpunkte deutscher bi- und multilateraler entwicklungspolitischer Zusammenarbeit mit diesen Ländern.
Die gezielt aufgestockten Fördermittel für Programme der Tropenwalderhaltung und Forstentwicklung belaufen sich jährlich auf über 300 Millionen DM. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO ist Deutschland mit 15 % der international für Tropenwalderhaltung bereitgestellten Mittel wichtigster bilateraler Geber für diesen Zweck.
Damit wird auch deutlich, daß wir uns, nachdem wir die Hausaufgaben gemacht haben, intensiv um die internationale Abstimmung kümmern müssen, sei es im Bereich der G 7, sei es im EG-Bereich, sei es im Bereich der internationalen Organisationen. Ich erinnere damit an die Weltbank und an den dafür eingerichteten Fonds, also den GEF-Fonds.
Die Bundesregierung hat ihre Förderstrategie zur Tropenwalderhaltung fortentwickelt. Stärkeres Gewicht wird bei den Vorhaben auf eine bessere Integration von Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung, z. B. in die Landnutzungsplanung sowie in die ländliche Regionalentwicklung, gelegt. Alle Entwicklungsvorhaben in Tropenländern werden einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen. Das hat zum Ziel, daß durch die Projekte keine unvertretbaren Waldverluste oder sonstigen Beeinträchtigungen von Waldgebieten verursacht werden.
Der Förderung der Tropenwaldforschung kommt wachsende Bedeutung zu. Die Bundesregierung stellt für diese Forschungsprogramme in der ökologischen Forschung beim Bundesministerium für Forschung und Technologie für die Jahre 1990 bis 1995 insgesamt 30 Millionen DM bereit.
Neben der bilateralen Zusammenarbeit zum Tropenwaldschutz ist die internationale Kooperation von außerordentlicher Bedeutung; ich habe darauf bereits hingewiesen. In der multilateralen Zusammenarbeit zum Tropenwaldschutz konnten im Laufe der letzten Jahre sehr deutliche Fortschritte erzielt werden.
Der Tropenwaldschutz steht regelmäßig auf der Tagesordnung des Weltwirtschaftsgipfels; ich erinnere an Houston 1990 und London 1991. Zu dem dort initiierten Pilotprogramm zur Erhaltung des brasilianischen Regenwaldes sind von deutscher Seite aus bereits die ersten Schritte getan. Es wird jetzt wichtig sein, daß die anderen Partnerländer in diesem Zusammenhang ihre entsprechenden Verpflichtungen eingehen.
Daneben hat die Bundesregierung in zahlreichen internationalen Gremien eine Reihe weiterer Initiativen zur Erhaltung der Tropenwälder ergriffen. Ich erwähne hier z. B.: in der FAO zur Verbesserung der Wirksamkeit des Tropenwaldaktionsprogramms, in der Internationalen Tropenholzorganisation, ITTO, zur nachhaltigen Bewirtschaftung tropischer Naturwälder und zur Beschränkung der Exporte von Tropenholz und Tropenholzprodukten ab dem Jahre 2000
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Parl. Staatssekretär Bernd Schmidbauer
auf Hölzer, die ausschließlich aus nachhaltig bewirtschafteten Waldgebieten stammen; daneben streben wir in den Vereinten Nationen im Rahmen der Vorbereitung der Konferenz über Umwelt und Entwicklung, UNCED, im Jahr 1992 in Rio die Aufnahme von Verhandlungen über bindende internationale Vereinbarungen in diesem Zusammenhang an.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. — Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Wallow.
Herr Staatssekretär, die einzelnen Pilotprojekte sind sicher ein Anfang, aber doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Flankierung. Dazu gehört meines Erachtens das Verbot der Einfuhr von Tropenholz und Edelhölzern, weil die Bedürfnisse der Industrieländer — wir sind auf diesem Gebiet führend, was die Abnahme angeht — erheblich zur Zerstörung der Tropenwälder beitragen. Was plant die Bundesregierung auf diesem Sektor?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Ich möchte zuerst zu Ihren Ausführungen, daß die Bundesrepublik Deutschland hier führend ist, darauf hinweisen: Wenn Sie die Tropenholzimporte des Jahres 1986 — dafür gibt es eine gute Statistik — zugrunde legen, zeigt die Statistik, daß z. B. Japan mit 54 % beteiligt ist, die Europäische Gemeinschaft insgesamt mit 12 %, was Rundhölzer anlangt; eine ähnliche Situation besteht bei verarbeiteten Holzprodukten. Daraus wird deutlich, daß wir nicht das Land sind, das am meisten importiert und exportiert.
Trotzdem ist diese Frage natürlich berechtigt. Ich bin kurz darauf eingegangen, daß wir im Rahmen aller internationalen Vereinbarungen — ich erwähnte ITTO — darauf drängen müssen, dieses „sustainable development"-Ziel zu erreichen, daß nur noch aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern dieser Holzeinschlag stattfindet und daß dieser unkontrollierte Holzeinschlag eingestellt wird, der zur Zeit dazu führt, daß täglich 500 Quadratkilometer dieses Ökosystems vernichtet werden.
Deshalb laufen unsere Bemühungen auch im Rahmen solcher Pilotprogramme. Ich erinnere an das Pilotprogramm zur Erhaltung des brasilianischen Regenwaldes im Rahmen des Pilotprogramms der Weltbankmittel. Wir müssen versuchen, bis zum Jahre 2000 zu erreichen, daß dieser unkoordinierte Holzeinschlag aufhört und der Raubbau an diesem wichtigen Ökosystem beendet wird.
Aber an die Einschränkung der Einfuhren von Tropenholz denken Sie nicht?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Wir denken daran, daß wir gemeinsam das Ziel — ich habe es formuliert — im Lauf dieser Jahre erreichen, daß es zu diesen Einfuhren nicht mehr in diesem Ausmaß und vor allen Dingen nicht in dieser Weise kommt.
Ich frage zunächst, bevor ich Ihnen wieder das Wort gebe, ob es weitere Fragesteller zu diesem Themenkomplex gibt. — Das ist nicht der Fall. Bitte schön.
Ich darf noch bei der Flankierung bleiben. Dazu gehört nicht nur, daß wir die Bedürfnisse etwas regulieren, sondern auch, daß wir investitionspolitische Instrumente einsetzen, beispielsweise Flankierung bei der Schuldenpolitik, der Handelspolitik und den Investitionsvorhaben. Um es noch einmal zuzuspitzen: Auf mich macht es bis jetzt den Eindruck, als sei das eine Ressortpolitik des Umweltministers, ein Hobby des Bundeskanzlers und des Entwicklungsministeriums, aber daß dahinter keinesfalls eine ressortübergreifende Strategie steht.
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Dieser Eindruck täuscht. Denn in der Tat — und da haben Sie völlig recht — geht es nicht um Einzelressorts, sondern um eine abgestimmte, koordinierte Politik, die übrigens den nationalen, den EG-weiten und den internationalen Bereich umfassen muß und bei der daneben alle beteiligten Ressorts gefordert sind. Das geht von der Wirtschafts- bis zur Umweltpolitik. Das genau war auch das Thema, und in dem Ansatz sind auch die Bemühungen des Bundeskanzlers im Rahmen seines Vorsitzes innerhalb der G 7 ab Januar zu sehen, noch einmal verstärkt — nach London und Houston — darauf hinzuweisen, daß dies nur mit einer gemeinsamen Politik möglich ist. Die Stellungnahme der lateinamerikanischen Präsidenten gestern macht deutlich, wie sensibel dieser Bereich ist.
Deshalb stimme ich Ihnen zu, daß dies koordiniert stattfinden muß. Genau das hat die Bundesregierung gemacht. Sie bringt es zum Ausdruck auch im Rahmen dieses Berichts und in den Anhängen, wo sehr konkret die Maßnahmen des BMZ und des BMFT noch einmal aufgelistet und auch die Beiträge des BMU aufgeführt sind.
Noch eine Frage.
Welche Erfolge haben Sie bei der internationalen Integration, die Japaner und die Amerikaner an der Finanzierung der Pilotprojekte zu beteiligen?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Ich habe darauf hingewiesen, daß wir unseren Beitrag im Rahmen der G 7 und der GEF zur Verfügung gestellt haben und daß es im Augenblick darum geht, daß die anderen Betroffenen, nämlich die Mitglieder der G 7 und anderer Gremien, ihre Beiträge bereitstellen müssen, weil wir eine weitere Verzögerung so nicht mehr hinnehmen können. Dies sind gerade die Bemühungen, die laufen. Es krankt nicht an unseren Beiträgen, sondern daran, daß hier gemeinsam die Verantwortung, insbesondere der Industrieländer, nicht erkannt wird.
Ich frage erst noch einmal: Gibt es von anderen Fragestellern hierzu Fragen? — Das ist nicht der Fall. Sie können noch eine Frage stellen.
Eine letzte Frage: Nach Satellitenfotos hat sich die Situation in den Tropenwäldern verschlechtert. Die Brände und die Rodungen haben ausweislich der Satellitenfotos zugenommen. Welche Informationen liegen Ihnen vor, wie sich die Situation 1990, 1991 entwickelt hat?
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Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Zerstörung in gleichem Ausmaß weitergeht, und daß wir nicht feststellen können, daß sich die Situation global verbessert hat. Es gibt andere Meldungen, die, auf Satellitenaufnahmen gestützt, für Brasilien von einem Rückgang sprechen. Das meint auch Staatssekretär Lutzenberger, der bei dem Besuch des Bundeskanzlers darauf hingewiesen hat, daß hier eine Situationsverbesserung eingetreten ist. Global wird von der FAO und von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages festgestellt, daß die Rodungsraten weltweit gestiegen sind. Die letzte Zahl war, wenn ich auf der sicheren Seite bleiben will: etwa 160 000 Quadratkilometer pro Jahr mit Tendenz nach oben. Daran wird sich nicht rütteln lassen, es mag aber sein — dies muß bei weiterer Auswertung der Satellitenaufnahmen beobachtet werden —, daß es in einzelnen Regionen in der Tat zu einem leichten Rückgang kommen wird. Das setze ich auch für Brasilien voraus. Dort scheinen einige Maßnahmen gegriffen zu haben. Inwieweit dies heute quantifizierbar ist, kann ich nicht sagen. Ich kenne die Zahlen der brasilianischen Regierung, die dem Bundeskanzler auch bei seinem Gespräch mit Präsident Collor vorgetragen wurden, nicht.
— Die neuesten sind immer ein Jahr später ausgewertet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Schmidbauer.
Da keine Fragen mehr zum ersten Komplex sind, komme ich zum zweiten, nämlich der Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst. Dazu stellt der Abgeordnete Heyenn die erste Frage.
Ich dachte, Frau Präsidentin, es gebe zunächst einen Bericht der Bundesregierung.
Nach unseren Verfahrensregeln gibt es einen Bericht nur zum ersten Thema. Aber wenn Sie eine Einführung brauchen, kann eine zwei Minuten lange gegeben werden. Wünschen Sie eine Einführung?
Nein. Ich bitte um Nachsicht, daß ich mit dem Verfahren nicht so sehr vertraut war.
Herr Bundesarbeitsminister, die uns vorliegende Unterrichtung über die Beschäftigungsquote Schwerbehinderter bei den Bundesdienststellen weist keinen Abbau, aber auch keine positive Veränderung aus. Nun frage ich Sie auch angesichts der drastisch zunehmenden hohen Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter in den neuen Ländern: Haben Sie in der Bundesregierung darüber diskutiert — wenn nicht, warum nicht — , ob man mit einer Erhöhung der Ausgleichsabgabe dem Problem begegnen kann, ob man mit der Streichung oder der wesentlichen Verringerung von Ausnahmeregelungen operieren kann, ob man mit den Pflichtsätzen in Höhe von 6 v. H. im öffentlichen Dienst operieren kann und ob man gegebenenfalls eine Erhöhung erwägen kann?
Herr Abgeordneter Heyenn, wir haben sehr ausführlich die Lage der Behinderten besprochen. Sie sehen: Obwohl wir im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag die Abgabe erhöht haben, ist die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten nicht wesentlich zurückgegangen. Wir haben zunächst sehr ausführlich auch darüber diskutiert, daß der öffentliche Dienst eine Vorbildfunktion hat. Wir können schlecht Appelle an die private Wirtschaft richten, wenn wir nicht selber vorbildlich die Beschäftigungsquote erfüllen.
Von allen öffentlichen Arbeitgebern handelt der Bund am besten. Von den Ländern haben gerade zwei Länder die Beschäftigungsquote erfüllt. Dennoch ist überhaupt kein Grund, sich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen. Sie haben zu Recht die Lage der Behinderten in den neuen Bundesländern geschildert. Deshalb haben wir heute ein Bündel von Maßnahmen in bezug auf die Beschäftigung von Schwerbehinderten im Bund beschlossen, die in unserer Verantwortung stehen und die dieser Entwicklung entgegenwirken sollen. Wenn Sie daran interessiert sind, Frau Präsidentin, dann würde ich gerne in meinen Bericht aufnehmen, welche Maßnahmen wir beschlossen haben.
Da die Kampagne, wie immer, im Bewußtsein beginnen muß, haben wir zunächst beschlossen, daß Aufklärung zu betreiben ist, und zwar — erstens —über die Hilfsmöglichkeiten für Schwerbehinderte, ihre Einsatzfähigkeit und — zweitens — indem wir in der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung bei Fortbildungsveranstaltungen für Personalreferenten ganz besonderen Wert auf die Möglichkeiten der Beschäftigung von Schwerbehinderten legen.
Wir haben ferner beschlossen, daß die Bundesressorts, wenn Stellen zu besetzen sind, zunächst bei den Arbeitsämtern nachfragen sollen, ob sich für solche Arbeitsplätze ein Schwerbehinderter unter den Arbeitslosen befindet, und daß bei den nachgeordneten Dienststellen -- das ist ein besonderes Problem — dann, wenn der Schwerbehindertenobmann bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einem Nichtbehinderten Einspruch erhebt, die Entscheidung an die nächsthöhere Dienststelle gegeben wird.
Wir haben auch geprüft — darauf möchte ich aufmerksam machen, weil ich das für ganz wichtig halte — , welche beamtenrechtlichen Laufbahnbestimmungen der Einstellung von Schwerbehinderten eher im Wege stehen, als daß sie sie fördern. Die beamtenrechtliche Eignung ist nach unserer Auffassung bei Behinderten im allgemeinen auch dann gegeben, wenn der Behinderte nicht alle Dienstposten der betreffenden Laufbahn wahrnehmen kann — das konnte ja ein Ausschlußgrund sein —.
Für mindestens ebenso wichtig halte ich es, daß schwerbehinderte Bewerber auch dann als Beamte eingestellt werden können, wenn bei der Begutachtung durch den ärztlichen Dienst nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie vorzeitig dienstunfähig werden. Jedermann wird verstehen, daß dies bei Behinderten anders zu beurteilen ist.
Wir wollen insgesamt, daß die Bundesressorts Fürsorgeerlasse für Schwerbehinderte aufstellen. Wir
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Bundesminister Dr. Norbert Blüm
richten unser Augenmerk auch darauf, daß die baulichen Einrichtungen des Bundes behindertengerecht sind.
Ich muß hinzufügen, daß die Gefahr des Sinkens der Beschäftigungsquote auch im Bund wohl nicht zuletzt auch dadurch gegeben ist, daß die Beschäftigungsquote in den nachgeordneten Dienststellen, insbesondere in den neuen Bundesländern, niedriger ist, wodurch die Gesamtquote sinkt.
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Die Deutsche Reichsbahn hatte eine Behindertenquote von nur 4,1 %, während die Bundesbahn eine Behindertenquote von 4,7 % hat. Auch das ist noch nicht im Sinne des Zieles, aber selbst diese Quote wird durch die geringere Quote bei der Deutschen Reichsbahn gedrückt.
Herr Abgeordneter, wir werden Ihnen im Bericht über die Erfüllung der Beschäftigungspflicht bei den Bundesdienststellen die genauen Zahlen liefern. Wir haben derzeit einige Schwierigkeiten, die Daten zu erfassen, was sich dadurch erklärt, daß gerade die Behörden in den neuen Bundesländern in der Phase des großen Umbruchs natürlich nicht in erster Linie statistische Aufgaben erfüllen. Aber es bleibt unser gemeinsames Ziel, das sicher auch von Ihnen unterstützt wird, daß der Bund als öffentlicher Arbeitgeber, dort wo wir Verantwortung haben, mit gutem Beispiel vorangehen muß. Ich halte das für ganz wichtig.
Zusatzfrage.
Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Quote insgesamt nicht; wenn ich es richtig sehe, liegt er knapp darunter.
— Ich meine das generell.
Wenn man neue Maßnahmen beschließt, dann hat man ja eine Prognose über das Ergebnis auf dem Schreibtisch oder in der Tasche. Welche Ergebnisse erwarten Sie von den Maßnahmen, die die Bundesregierung in bezug auf die Erfüllung der Pflichtquote im öffentlichen Dienst insgesamt diskutiert und beschlossen hat?
Herr Abgeordneter, diese Maßnahmen betreffen zunächst natürlich nur unseren Verantwortungsbereich, also den des Bundes einschließlich der nachgeordneten Behörden. Mit diesen Maßnahmen steuern wir kräftig gegen die Gefahr des Sinkens der Beschäftigtenquote.
Sicherlich sind die Verhältnisse in den einzelnen Ressorts unterschiedlich, was man sehr wohl berücksichtigen muß. Dennoch sind alle aufgerufen, ihren Beschäftigtenanteil zu verbessern. Ich gehe davon aus, daß die Maßnahmen dabei helfen werden. Der Bundeskanzler hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir es nicht bei einer einmaligen Diskussion bewenden lassen, sondern daß wir in einem zeitlichen Abstand die Diskussion darüber führen, wie die einzelnen Ressorts ihrer Pflicht nachgekommen sind.
Wie Sie wissen, liegt das Hauptproblem allerdings bei Ländern und Kommunen. Es gibt vier Länder, die in ihrer Beschäftigungsquote unter 41% liegen, und nur zwei Länder, die sie erfüllen. Was die Kommunen anbelangt, sind wir fast ohne jedes Datenmaterial. Deshalb werden wir die Bundesanstalt für Arbeit auffordern, uns das entsprechende Material aus den Kommunen zu besorgen. Sie werden verstehen, daß ich Ihnen jetzt keine Prozentzahlen angeben kann. Aber es handelt sich um Maßnahmen gegen den Trend des Absinkens.
Frau Kolbe.
Herr Minister, Sie sagten, der Bund erfülle insgesamt die Aufgaben bei der Beschäftigung Schwerbehinderter. Das BMI tut es aber nicht. Gerade bei diesem Ministerium halte ich das für sehr bedenklich. Wie wollen Sie Ihre Ziele durchsetzen, wenn dort die Mindestbeschäftigungszahl nicht erfüllt wird? Es gibt aber auch andere Ministerien, die so verfahren; und die Länder haben Sie ja schon erwähnt.
Nun zu meiner Frage: Wann wird die Bundesregierung Auskunft über die Erfüllung der Beschäftigungspflicht für die in den Zuständigkeitsbereich fallenen Dienststellen in den neuen Ländern geben können? Wird der Verpflichtung des § 6 Abs. 1 Ziffer 2 des Schwerbehindertengesetzes nachgekommen, wonach in angemessenem Umfang Schwerbehinderte zu beschäftigen sind, die das 50. Lebensjahr vollendet haben? Das ist eine wichtige Frage, weil gerade den Schwerbehinderten in den neuen Ländern massiv gekündigt wird und weil ein Arbeitnehmer in diesem Alter generell kaum noch einen Arbeitsplatz findet.
Frau Abgeordnete, das Bundesinnenministerium erfüllt die Quote mit 7,4 %. Sie haben allerdings recht, daß sich das Verhältnis verschlechtert, wenn man die nachgeordneten Dienststellen berücksichtigt, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß natürlich die besonderen Bedingungen des Bundesgrenzschutzes und anderer Polizeieinheiten die Chancen anders bewerten lassen, als es in anderen Behörden der Fall ist. Um exakt auf Ihre Frage zu antworten: Das BMI erfüllt mit 7,4 % die Beschäftigtenquote.
Zur zweiten Frage: In der Tat gilt unser Augenmerk der Lage der Behinderten in den neuen Bundesländern. Ich halte es für die größte Aufgabe, daß die Länder die Hauptfürsorgestellen in die Lage versetzen, ihre Schutzfunktion zu erfüllen. Wir können auch an anderer Stelle feststellen, daß wir mit den jetzigen Ergebnissen nicht zufrieden sein können. Das beginnt bei der Frage der Schwerbehindertenausweise und ihrer Ausstellung; das geht ins Kriegsopferrecht hinein. Ihnen sind die Probleme bekannt. Sie sollten gemeinsam mit uns dazu beitragen, daß die Sozialverwaltung in den neuen Bundesländern gerade im Bereich der Hauptfürsorgestellen zügig ausgebaut wird.
Zu den Daten: Wir bemühen uns um die Daten; ich habe auf die Schwierigkeiten hingewiesen. Wir werden den Beschäftigungsbericht vorlegen. Die Schwie-
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Bundesminister Dr. Norbert Blüm
rigkeiten basieren objektiv darauf, daß in dieser Phase des Umbruchs die Behörden gerade im Aufbau waren. Es handelt sich zunächst um das Jahr 1990, über das wir berichten; es sind also die letzten drei Monate, in denen die gemeinsame Verantwortung ganz Deutschlands für dieses Thema gegeben ist.
Ich habe Verständnis dafür, wenn Sie sagen: Bevor wir statistische Aufgaben erfüllen, sehen wir erst einmal zu, daß wir die Schwerbehindertenausweise ausgeben und daß wir die Kriegsopferrenten auszahlen. Das halte auch ich in der Tat für dringlicher als das statistische Material. Dennoch können wir den Umständen entsprechend nicht handeln, wenn wir kein verbessertes Material bekommen.
Zusatzfrage, Frau Kolbe.
Sie erwähnten soeben das Ausstellen der Behindertenausweise. Ich bin schwerbehindert; ich warte sei März auf Ausstellung dieses Ausweises. Ich bin leider Gottes kein Einzelfall; Sie sagten das.
Meine Frage ist konkret: Inwieweit wird die Bundesregierung noch einmal Personal in die neuen Länder schicken, um diesen Mißstand abzubauen? Denn es geht bei der Anerkennung als Schwerbehinderter z. B. auch um den Kündigungsschutz, der für denjenigen, wenn er als Schwerbehinderter nicht anerkannt wird, praktisch nicht zum Tragen kommt. Es gibt dabei viele Probleme. Es ist für mich ein nicht hinnehmbarer Zustand, daß jetzt, im Dezember, nach wie vor Zigtausende Anträge in den Versorgungsämtern unbearbeitet liegen.
Ich teile voll, Frau Abgeordnete, Ihre Kritik. Das wird auch Gegenstand der Besprechung der Ministerpräsidenten bei dem Herrn Bundeskanzler heute nachmittag sein. Ich halte es wie Sie für völlig unbefriedigend, daß beispielsweise von den 280 000 Anträgen auf Kriegsopferrente erst genau 80 000 beschieden sind.
Was den Schwerbehindertenausweis anbelangt, so haben wir für die Verlängerung des alten Ausweises gesorgt. Unsere Hilfe und auch die Hilfe der westlichen Partnerländer sollen zur Verfügung stehen. Insofern wende ich mich gemeinsam mit Ihnen an die neuen Bundesländer und die Ministerpräsidenten.
Ich teile Ihre Ansicht: Was nützt eigentlich die beste Kriegsopferversorgung, wenn die Anträge nur schleppend beschieden werden? Wir haben das Gesetz seit 1. Januar. Daß erst 80 000 von 280 000 Anträgen beschieden sind, ist völlig unbefriedigend.
Herr Abgeordneter Schemken.
Herr Bundesminister, wir sprechen die ganze Zeit über den öffentlichen Dienst, der in der Bundesrepublik Deutschland knapp 4 Millionen Beschäftigte umfaßt. Wie sieht es in der Wirtschaft aus? Reichen die Instrumente aus? Wie kann man die Wirtschaft motivieren, um dem Anliegen Rechnung zu tragen, mehr Behinderte einzustellen? Das ist sicher ein anderer Integrationsprozeß, der nicht allein von der öffentlichen Hand bewältigt werden kann.
Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen beträgt 11,9 % — das ist die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen aus dem Westen —, die der nichtbehinderten Arbeitslosen 5,4 %. Aus diesen beiden Zahlen ergibt sich die ganze Diskrepanz. Es ist auch keine Beruhigung — jedenfalls nicht für mich — , daß die Zahl der arbeitslosen Behinderten insgesamt zurückgegangen ist. Wir hatten einmal 143 000 und haben jetzt 115 000.
Das größte Ärgernis ist, daß es eine große Zahl von Arbeitgebern gibt, die ihre Pflichtquote entweder überhaupt nicht oder nicht ausreichend erfüllen. Wir haben hier im Westen — die Zahlen für die neuen Bundesländer habe ich noch nicht — 135 100 Arbeitgeber, die verpflichtet sind, die Quote von 6 % zu erfüllen. 100 400 — das sind 74% aller Arbeitgeber —erfüllen ihre Beschäftigungspflicht nicht oder nicht genügend. Das sind drei Viertel. 17 % der Arbeitgeber erfüllen sie, und zwar mit 26 % aller Arbeitsplätze. Unter diesen 17 % wird also eine große Zahl von Arbeitgebern sein, die mehr Schwerbehinderte beschäftigen, als der Pflichtquote entspricht. Aber die Zahl, die zum Ärgern Anlaß gibt, ist, daß drei Viertel aller Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht nicht erfüllen und sie abgelten. Aber die Ausgleichsabgabe ist nicht die Lösung. Beschäftigung kann durch nichts ersetzt werden, wiewohl dieses Geld auch dazu verwendet wird, Arbeitsplätze so auszustatten, daß Behinderte an ihnen arbeiten können.
Ich komme wieder zu dem Thema zurück, mit dem sich das Bundeskabinett heute beschäftigt hat. Wer Beschwerden gegenüber den privaten Arbeitgebern vorträgt, ist um so glaubwürdiger, je vorbildlicher er selber handelt. Deshalb haben wir den Ehrgeiz, daß der Bund seine Pflicht zur Beschäftigung Behinderter erfüllt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, könnten Sie sich vorstellen, daß die private Wirtschaft möglicherweise nicht genügend über die Hilfen informiert ist, die auch in bezug auf die Ausstattung von Arbeitsplätzen geleistet werden, und daß wir das diesen Unternehmen vielleicht noch einmal über eine Werbekampagne vortragen?
Wir versuchen das, die Bundesanstalt für Arbeit versucht es, und die Hauptfürsorgestellen versuchen es. Ich teile Ihre Einschätzung, daß an vielen Stellen gar nicht bekannt ist, daß bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten Lohnkostenzuschüsse bis zu 80 % auf drei Jahre gewährt werden und daß Sachmittel für die Beschäftigung von Schwerbehinderten aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziert werden.
Wie Sie, Herr Abgeordneter, glaube ich, daß viele Arbeitsplätze, die früher für einen Behinderten gar nicht zugänglich waren, heute behindertengerecht
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Bundesminister Dr. Norbert Blüm
hergerichtet werden können. Die moderne Technologie bietet sehr viele Möglichkeiten zur Ausstattung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes. Deshalb geht mein Appell an die Ingenieurwissenschaft, das humanitäre Gesicht der Technologie stärker zu betonen, damit Menschen, die ohne diese technologischen Hilfen sonst nicht beschäftigt werden könnten, eine Chance zur Arbeit bekommen.
Ich teile Ihre Ansicht, daß wir gemeinsam dafür mehr werben müssen.
Es folgt die letzte Frage hierzu von Frau Mascher. Danach gibt es noch zwei freie Fragen.
Herr Bundesminister, halten Sie es für redlich, von einem Rückgang der Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter zu sprechen, obwohl die Zahlen aus den fünf neuen Bundesländern noch gar nicht vorliegen?
Frau Mascher, ich wollte diese Zahlen nicht vortragen, um irgendwie beruhigend zu wirken. Denn ich habe zu Beginn darauf hingewiesen, daß die Arbeitslosenquote bei den Schwerbehinderten doppelt so hoch ist wie die bei den Nichtbehinderten. Insofern dürfen Sie meine Angaben überhaupt nicht als Angaben verstehen, die in irgendeiner Weise beruhigend wirken sollen.
Ich sehe die Diskrepanz zwischen den schwerbehinderten Arbeitslosen und den nichtbehinderten Arbeitslosen. Ich sehe, daß es die Behinderten schwer haben, Arbeit zu finden. Keine soziale Unterstützung kann das Recht auf Arbeit wettmachen.
Die Zahlen aus den Beitrittsländern kann ich Ihnen aus den genannten Gründen nicht vorlegen.
Wir kommen zu den freien Fragen. Als erster hat Herr Beucher das Wort.
Ich frage die Bundesregierung, wer die Verantwortung für die bzw. die Koordination der Geheimdienste übernimmt, nachdem Herr Stavenhagen zurückgetreten ist. Das auch optische Vordringen von Herrn Bohl zur Kenntnis nehmend, sage ich Ihnen, daß ja der Zeitung zu entnehmen war, daß Herr Bohl diese Aufgabe kommissarisch übernehmen will. Ich frage deshalb, ob die Bundesregierung mit mir der Meinung ist, daß es sich hier um einen derart sensiblen Bereich handelt, daß er beim besten Willen nicht kommissarisch wahrzunehmen ist.
Herr Minister Bohl.
Herr Abgeordneter, ich bin natürlich für Presseberichte und Presseinterpretationen nicht verantwortlich. Die Rechtslage ist so, daß der Chef des Bundeskanzleramtes für den Bundesnachrichtendienst zuständig ist und daß nach dem Organisationserlaß von 1989 der zuständige Staatsminister — sprich: Parlamentarische Staatssekretär mit dem Titel Staatsminister — diesen
Zuständigkeitsbereich in Unterstützung der Arbeit des Chefs des Bundeskanzleramtes mit übernimmt. Nachdem Herr Staatsminister Stavenhagen zurückgetreten ist, ist sozusagen die unmittelbare Zuständigkeit gegeben. Insofern ist keine kommissarische Beauftragung notwendig gewesen; die Zuständigkeit ergibt sich vielmehr auf Grund der Sach- und Rechtslage.
Eine Zusatzfrage.
Heißt das, daß Sie nicht wieder eine Person damit beauftragen wollen, wie Sie es im Falle von Staatsminister Stavenhagen getan haben?
Herr Abgeordneter, das ist eine Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers, die von diesem zu gegebener Zeit getroffen werden wird.
Die letzte Frage, Herr Abgeordneter von Larcher.
Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat gestern für alle offenbar gemacht, daß ein wichtiges Ziel des Gesundheits-Reformgesetzes, nämlich eine wirksame Kostendämpfung, verfehlt worden ist. Insbesondere im Bereich des Krankenhauswesens, aber auch im Bereich der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte sind die Kostensteigerungen immens. Ich frage die Bundesregierung: Welche konkreten Maßnahmen wird sie wann durchführen, um dieser immensen Kostensteigerung entgegenzuwirken?
Frau Staatssekretärin Bergmann-Pohl.
Herr Abgeordneter, im Gegensatz zu Ihnen mußte ich gestern feststellen, daß es nicht die übereinstimmende Meinung der Konzertierten Aktion war, daß das Gesundheits-Reformgesetz gescheitert sei. In der Tat ist darüber diskutiert worden, daß für die Krankenkassen eine Kostenentwicklung entstanden ist, die die im Gesundheits-Reformgesetz festgelegte Beitragssatzstabilität in Frage stellt. Darüber hinaus waren sich aber die meisten Beteiligten an der Konzertierten Aktion einig, daß Beitragssatzstabilität auch weiterhin das Ziel der Bestrebungen sein soll.
Sie wissen, daß wir Koalitionsarbeitsgruppen gebildet haben, die sich über entsprechende Maßnahmen der Weiterführung des Gesundheits-Reformgesetzes Gedanken machen. Diese werden zügig umgesetzt werden.
Eine letzte Zusatzfrage.
Halten Sie das für eine Antwort auf die Frage nach konkreten Maßnahmen, oder ist die Bundesregierung momentan nicht in der Lage, konkret zu antworten?
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Herr Abgeordneter, Sie haben in der Verfolgung der Konzertierten Aktion und des Sachverständigengutachtens sicherlich festgestellt, daß dort mehrere Maßnahmen zur Kostendämpfung aufgezeigt wurden. Da dieses Gutachten erst seit einer Woche vorliegt, wird die Bundesregierung sich ihrer Verantwortung bewußt diese Vorschläge prüfen und sie entsprechend umsetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Ich beende die Befragung.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Fragestunde
— Drucksachen 12/1684, 12/1697 —Zur Fragestunde liegt uns zunächst eine Dringliche Frage des Abgeordneten Claus Jäger auf der Drucksache 12/1697 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen vor. In der Zwischenzeit hat der Kollege Jäger um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zu den Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Dr. Immo Lieberoth. Auch er hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Wolfgang Meckelburg auf:
Mit welchem Maßnahmenpaket gedenkt die Bundesregierung auf das nach Informationen der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Nichtseßhaftenhilfe verstärkt auftauchende Problem der Obdachlosigkeit zu reagieren, wonach mehrere zehntausend obdachlose Menschen in Deutschland die kommenden Wintermonate auf der Straße überstehen müssen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Meckelburg, das Problem der Obdachlosigkeit hat dieses Hohe Haus, aber auch die Bundesregierung wiederholt beschäftigt. In der vergangenen Legislaturperiode haben sich die zuständigen Ausschüsse ausgiebig damit befaßt. Der federführende Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat am 6. März 1990 empfohlen, u. a. folgendes zu beschließen — ich zitiere aus der entsprechenden Drucksache — :
Der Deutsche Bundestag beobachtet mit Sorge die Anspannung des Wohnungsmarktes in einzelnen Ballungsgebieten und Regionen. Dies verschärft insbesondere die Wohnsituation einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen und vergrößert die Schwierigkeiten sozial schwervermittelbarer Gruppen, sich angemessen mit Wohnraum zu versorgen.
Soweit in diesem Zusammenhang Fälle von Obdachlosigkeit auftreten, liegt es nach unserer verfassungsgemäßen Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in der Verantwortung der dafür zuständigen Gemeinden, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Beseitigung von Obdachlosigkeit haben die Kommunen stets als originäre Aufgaben verstanden. Dazu steht ein bewährtes Instrumentarium zur Verfügung, ergänzt durch Hilfen freier Träger. Eine direkte Einwirkungsmöglichkeit des Bundes besteht hierbei nicht.
Der Bund leistet aber einen entscheidenden Beitrag zur Entspannung der aktuellen Probleme durch seine Hilfen zur Erhöhung des Wohnungsangebots insgesamt. Ein allgemein ausgeweiteter und damit entspannterer Wohnungsmarkt kommt allen Wohnungssuchenden zugute und verbessert auch die Unterbringungsmöglichkeiten für sozial schwächere Gruppen.
Das Plenum des Deutschen Bundestages hat über diese Empfehlung wegen Ablaufs der Legislaturperiode nicht mehr Beschluß gefaßt.
Die Bundesregierung teilt die in der zitierten Beschlußempfehlung zum Ausdruck kommende Auffassung. Sie wird sich weiter mit ihren Möglichkeiten mit Nachdruck darum bemühen, das Wohnungsangebot allgemein rasch auszuweiten. Sie sieht darin einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Wohnversorgung auch von Obdachlosen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meckelburg.
Wohl wissend, daß dies vorrangig eine kommunale Aufgabe ist, würde ich gerne fragen, welche Stellungnahme die Bundesregierung zu der Position der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Nichtseßhaftenhilfe gibt, die u. a. kritisiert hat, daß die Wohnungsbauprogramme des Bundes ausschließlich auf den Mittelstand ausgerichtet sind und Notbetroffene außer acht lassen.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, von welchem Zeitpunkt diese Stellungnahme datiert.
Ich verweise darauf, daß die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag — dieser erst in der letzten Woche — beschlossen haben, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich anzuheben und insofern den Ländern das Angebot zu machen, ihre Programme deutlich zu steigern. Darüber hinaus haben wir ein Sonderprogramm für die nächsten drei Jahre für den öffentlich geförderten Wohnungsbau in Ballungsräumen vorgesehen, ferner auch eine Verbesserung des Wohngeldes, so daß ich glaube, daß diese Kritik ungerechtfertigt ist.
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Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär, daß Sie hier waren.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Frage 8 des Abgeordneten Ludwig Stiegler soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann kann ich den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz aufrufen. Zur Beantwortung der gestellten Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Die Frage 26 der Frau Abgeordneten Sigrun Klemmer soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, nach Auffassung der Bundesregierung gehört der Grundsatz Restitution vor Entschädigung zu den Grundlagen einer sozial verträglichen Regelung der offenen Vermögensfragen, bei der es ja im Kern darum ging, die Interessenlage aller Betroffenen ebenso zu berücksichtigen wie das Gesamtinteresse der Allgemeinheit an einer zügigen wirtschaftlichen Gesundung im Beitrittsgebiet. Daher hat der Restitutionsgrundsatz von Anfang an erhebliche Durchbrechungen erfahren, insbesondere zugunsten derjenigen, die in redlicher Weise Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte an enteignetem Vermögen erworben haben, und zur Durchführung investiver Vorhaben im Beitrittsgebiet.
Der Vorrang von Investitionen ist durch das Hemmnisbeseitigungsgesetz im Frühjahr dieses Jahres erheblich erweitert worden.
Darüber hinaus kommt dem Restitutionsgrundsatz erhebliche Bedeutung bei der für die wirtschaftliche Gesundung der neuen Länder erforderlichen Wiederherstellung einer tragfähigen Eigentumsstruktur zu.
Die Bundesregierung sieht die verfahrenstechnischen Schwierigkeiten, die mit der Umsetzung des Gesetzes verbunden sind. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein spezifisches Problem der offenen Vermögensfragen, sondern um ein allgemeines Problem des Verwaltungsaufbaus in den neuen Bundesländern, die auch für die Durchführung des Vermögensgesetzes zuständig sind. Der Bund und die alten Bundesländer haben insoweit in vielfältiger Weise technische und personelle Hilfe geleistet und leisten diese weiterhin.
Die Bundesregierung sieht auch die Ängste und die allgemeine Beunruhigung unter Eigentümern von Einfamilienhäusern sowie Mietern und Nutzern von Wohnraum in den neuen Bundesländern. Hier spielen erhebliche Informationsdefizite im Hinblick auf den im Vermögensgesetz gewährten Bestandsschutz für redlich erworbene Rechtspositionen eine entscheidende Rolle. Die Bundesregierung ist seit langem und auch weiterhin intensiv bemüht, mit Informationsmaterial und Informationsveranstaltungen die Betroffenen in sachgerechter Weise über die Rechtslage und die relevanten Fakten zu informieren.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape auf:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit den Regelungen des Investitionsgesetzes und des § 3 a des Vermögensgesetzes gemacht, mit denen der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" teilweise zurückgenommen worden ist, und wie viele Entscheidungen sind inzwischen auf Grund § 3 a des Vermögensgesetzes und des Investitionsgesetzes, verteilt auf die Bundesländer, ergangen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege! Wie viele Verfahren es nach § 3 a des Vermögensgesetzes und nach dem Investitionsgesetz gibt, wird statistisch nicht erfaßt. Es lassen sich deshalb auch keine genauen Zahlen nennen. Die Bundesregierung geht aber davon aus, daß die Vorfahrtsregelungen inzwischen greifen. Allerdings gaben die bislang eingegangenen Informationen kein eindeutiges Bild der Lage. Zum einen wurde ein schlechtes Funktionieren beklagt, zum Teil ein zu forsches Vorgehen. In letzter Zeit gehen Klagen über ein schlechtes Funktionieren nur noch selten ein.
Dies ist wohl nicht zuletzt die Folge der Veröffentlichung der Empfehlung des Bundesjustizministers zur Anwendung des § 3 a des Vermögensgesetzes und des Investitionsgesetzes, in denen die Verfahren anhand von praktischen Beispielen erläutert und zahlreiche Anwendungsfragen behandelt werden. Sie sind in Nr. 33 des „Info-Dienst-Kommunal" des Bundesinnenministeriums und in der Sonderausgabe Oktober 1991 des „Info-Dienst Deutschland" des Bundespresseamtes veröffentlicht worden. Sie haben nach dem Eindruck der Bundesregierung die Bedürfnisse vor Ort getroffen und erleichtern die praktische Arbeit. Von daher erwartet die Bundesregierung eine Steigerung der Zahl der Anwendungsfälle. Mit einem Leitfaden zur Unternehmensrestitution und Skripten zur Schulung der Bediensteten soll noch weiter geholfen werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Roth, bitte.
Sie sagten, Sie würden die Fälle nach der Vorfahrtsregelung nicht erfassen; Sie gingen davon aus, daß sie wirksam sei. Darf ich die Frage stellen: Ist das die Erfolgskontrolle, die eine Bundesregierung bei einem neuen Gesetz — das ist ein Gesetz vom April dieses Jahres — vornimmt?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, Sie wissen genauso gut wie ich, daß es sich hierbei um Länderverwaltungsarbeit handelt. Die Bundesregierung kann natürlich insbesondere auf Grund von Beschwerden sehen, ob § 3 a des Vermögensge-
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Parl. Staatssekretär Rainer Funke
setzes bzw. die Regelungen des Investitionsgesetzes ziehen oder nicht. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß wir uns auf Beschwerden sehr gut beziehen können. Wenn es keine Beschwerden gibt, dann scheinen die Gesetze auch zu funktionieren.
Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Horst Gibtner sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 31 der Frau Abgeordneten Renate Jäger:
Wie beurteilt die Bundesregierung ein Jahr nach der Wiedervereinigung den Stand und den noch zu erwartenden Zeitraum der Klärung offener Vermögensfragen in den neuen Bundesländern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Durchführung der Restitutionsverfahren obliegt nach dem Grundgesetz den neuen Bundesländern als eigene Angelegenheit. Das ergibt sich aus Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Bundesregierung hat insoweit gegenüber den Ländern keine Weisungsbefugnis.
Zur Lage bei den Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen im einzelnen habe ich bereits ausführlich schriftlich Stellung genommen. Diese Stellungnahme ist in der Bundestagsdrucksache 12/1448 auf Seite 13 abgedruckt. Die darin getroffenen Aussagen über die von der Bundesregierung angebotenen Maßnahmen gelten weiter. Diese Hilfen sollen fortgeführt und weiter verstärkt werden.
Bei einer notwendigen erheblichen Verstärkung des Personals bei den Ämtern und Landesämtern zur Regelung offener Vermögensfragen könnten die Restitutionsverfahren und die Verfahren zur Aufhebung der staatlichen Verwaltung bei Grundstücken wohl erheblich beschleunigt werden, ohne daß ich wegen der bekannten Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage einen genauen Zeitrahmen setzen kann.
Frau Kollegin Jäger, eine Zusatzfrage.
Auch wenn Sie sagen, daß diese Angelegenheit ausschließlich den Ländern obliegt, muß doch gesagt werden, daß das ein Grundsatz der Bundesregierung auch im Einigungsvertrag gewesen ist. Deshalb möchte ich trotzdem noch folgende Frage stellen: Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür — wenn ja, welche — , daß die Warnungen aus den Fachkreisen berechtigt waren, bei der Anwendung des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung" werde die Regelung offener Vermögensfragen verzögert und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung behindert?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin bereits ausgeführt, daß wir diese Gefahr nicht sehen und daß wir auch auf Grund unseres grundgesetzlichen Auftrages davon ausgegangen sind, daß hier zunächst Restitution vor Entschädigung gehen soll.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.
Herr Staatssekretär, ist es jetzt die Haltung der Bundesregierung, daß sie beim Vollzug der Gesetze durch die Länder nicht mehr überprüft, ob ein Gesetz, das sie selbst eingebracht und im Bundestag durchgesetzt hat, wirksam ist?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, wir pflegen natürlich die Gesetze auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, aber nicht in der Form, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Wir sind ständig im Gespräch mit den Ländern und sehen natürlich, ob der Vollzug des Gesetzes in Ordnung ist oder nicht. Wir haben zur Zeit, zumindest auf Grund der Gespräche, keine Anhaltspunkte dafür, daß es erheblich knirscht. Das, was Sie vorhin erfragt haben, waren genaue statistische Angaben. Diese haben wir darüber nicht. Dazu sind die Länder auch nicht verpflichtet.
Ich rufe jetzt die Frage 32 der Frau Kollegin Renate Jäger auf:
Wie will die Bundesregierung die Absichtserklärung des Bundeskanzlers bei seinem Besuch im Grundbucharchiv Barby umsetzen, er wolle „sich dafür einsetzen, offene Vermögensfragen im Osten Deutschlands schneller zu klären"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Der Bundeskanzler hat durch seinen Besuch im Archiv Barby gezeigt, welch große Bedeutung er der Regelung offener Vermögensfragen beimißt. Innerhalb der Zuständigkeit der Bundesregierung wird gesetzmäßig und verwaltungsrechtlich alles getan, was zu einer Beschleunigung der Lösung der offenen Vermögensfragen erforderlich ist.
Neben den bekannten Förderungsmaßnahmen hat der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Barby zugesagt, zusätzlich zehn Verwaltungsstellen durch geeignete Beamte der Bundeswehrverwaltung zu besetzen. Die Ausschreibungen sind bereits erfolgt; mit einer alsbaldigen Besetzung ist daher zu rechnen.
Darüber hinaus hat der Bundesminister der Justiz außerhalb seiner Zuständigkeit einen Beamten des gehobenen Dienstes auf Grund einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Land Sachsen-Anhalt dort eingesetzt.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Jäger, bitte.
Können Sie mir sagen, welche Erkenntnisse der Absichtserklärung des Bundeskanzlers damals in Barby zugrunde gelegen haben?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ich selbst war bei dem Besuch nicht dabei. Der erhebliche Rückstau an Arbeit hat ihn sicherlich veranlaßt — auf Grund der Schilderungen der Leiterin des Archivs Barby — , sofort zusätzliche Stellen zuzusagen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Jäger, bitte.
Plant die Bundesregierung weitere Maßnahmen, um an diesem Grundsatz
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Renate Jäger
„Rückgabe vor Entschädigung" bzw. „Entschädigung vor Rückgabe" zu rütteln? Gibt es da irgendwelche besonderen Überlegungen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: An dem Grundsatz wird sicherlich nicht gerüttelt werden; denn schon der Gleichheitsgrundsatz verbietet es, jetzt eine Umkehr vorzunehmen.
Eine andere Frage ist, ob eine Novellierung des Vermögensgesetzes bzw. seiner Folgegesetze notwendig ist. Wir werten die Erfahrungen natürlich aus. Falls es entsprechende Erfordernisse gibt, werden wir das Vermögensgesetz bzw. die Folgegesetze novellieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.
Da Sie erklärt haben, daß Sie keine Erfolgskontrolle der Regelung nach § 3 a des Vermögensgesetzes vornehmen, möchte ich Sie fragen, ob sich die Bundesregierung bemüht, sich einen objektiven Überblick über Erfahrungen mit der Vorfahrtsregelung in der Restitutions- bzw. in der Entschädigungsfrage zu verschaffen und den Bundestag darüber zu unterrichten, so daß wir überprüfen können, ob wir im April ein gutes oder ein schlechtes Gesetz gemacht haben.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, wir werden über die Gespräche mit den Ämtern für offene Vermögensfragen — die sowohl mit den Landesämtern für offene Vermögensfragen seitens der Bundesregierung bzw. von den Landesämtern mit den jeweiligen Kommunalämtern geführt werden — unterrichtet werden. Darüber werden wir dann auch Ihnen berichten.
Herr Staatssekretär, vielen Dank, daß Sie hier waren.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz ist damit abgewickelt.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Alle Fragen aus diesem Geschäftsbereich — das sind die Fragen 33 und 34 der Frau Abgeordneten Dr. Sigrid Hoth, die Fragen 35 und 36 der Frau Abgeordneten Edelgard Bulmahn und die Fragen 37 und 38 der Frau Abgeordneten Marion Caspers-Merk — sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der gestellten Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Beckmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Siegmar Mosdorf auf:
Was will die Bundesregierung tun, um eine weitere Verschlechterung der deutschen und europäischen Wettbewerbsposition im Bereich der Hochtechnologie-Güter zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Mosdorf, die Industriepolitik der Bundesregierung orientiert sich an marktwirtschaftlichen Leitlinien, wie sie z. B. auch in dem im Herbst letzten Jahres vom EG-Ministerrat verabschiedeten Grundsatzpapier zur europäischen Industriepolitik, dem sogenannten Bangemann-Papier, ihren Niederschlag gefunden haben. Danach ist es nicht Aufgabe des Staates oder der Gemeinschaft, in den industriellen Strukturanpassungsprozeß direkt einzugreifen. Ziel ist es vielmehr, den Unternehmen einen klaren und kalkulierbaren Handlungsrahmen vorzugeben, der es ihnen erlaubt, die Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs aus eigener Kraft zu bestehen. Die Hauptverantwortung für eine Verbesserung der Wettbewerbsposition trägt dabei die Industrie selbst.
Dies gilt auch für den Bereich der sogenannten Hochtechnologie. Hierzu gehört u. a. die Informationstechnik, also Elektronik, Informatik und Telekommunikation, ein Gebiet, auf dem die deutschen und europäischen Anbieter seit einiger Zeit einem besonders starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Die Bundesregierung hat der besonderen Bedeutung der Informationstechnik für die Wettbewerbsposition der Wirtschaft Rechnung getragen und ihre Politik bereits vor mehr als zwei Jahren durch den Kabinettsbeschluß über das „Zukunftskonzept Informationstechnik" festgelegt.
Für den ersten branchenbezogenen Anwendungsfall des Bangemann-Papiers hat die EG-Kommission im April dieses Jahres dem Rat eine „Mitteilung über die europäische Elektronik- und Informatikindustrie — Situation, Chancen und Risiken — Aktionsvorschläge " zugeleitet.
Mit der Entschließung des Industrieministerrats vom 18. November dieses Jahres über ein industriepolitisches Konzept der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Elektronik sowie der Informations- und Kommunikationstechnik hat die Europäische Gemeinschaft ihre Politik auf diesem Gebiet umrissen. Die Bundesregierung wird die in dieser Entschließung vorgezeichnete Politik der Gemeinschaft unterstützen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Siegmar Mosdorf.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Sorge des Planungschefs des Auswärtigen Amtes, Herrn Seitz, daß Deutschland und Europa immer mehr zu einem Technologie-Einkaufsland werden könnten, wenn wir — was gegenwärtig stattfindet — die Wettbewerbspositionen im Hochtechnologiebereich weiter verlieren? Ich teile diese Auffassung.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mosdorf, die Aussagen, die Konrad Seitz in seinem bekannten Buch zu diesem Bereich macht, sind für die Bundesregierung von hohem, aber nicht wegweisendem Interesse. In Grundsatzpositionen gibt es gravierende Unterschiede, und zwar gerade hinsichtlich der industriepolitischen Zielsetzung dieses Buches.
Für die Bundesregierung spielen nach wie vor die Marktmechanismen die größere Rolle. Den industrie-
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Klaus Beckmann,
politischen Ansätzen von Herrn Seitz kann die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Wirtschaft, nicht vollständig folgen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Mosdorf.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, daß Sie heute — auch nach den alarmierenden Thesen des BDI — keinen weiteren Handlungsbedarf auf dem Sektor der Hochtechnologie sehen?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß man diesen Schluß aus meinen Worten nicht ziehen kann. Daran, daß die Thesen des BDI insoweit autorisiert sind, daß sie für den ganzen BDI gelten, bestehen ausgesprochene Zweifel, wenn ich entsprechende Meldungen richtig verfolgt habe.
Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung in der Tat hinsichtlich der Beobachtung der Entwicklung der Wettbewerbssituation der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet sehr aufmerksam. Sie hat in der Vergangenheit national wie international, insbesondere im EG-Rahmen, Maßnahmen ergriffen, um den Wettbewerbsstandard für die deutsche Industrie zu erhalten.
Wir haben zum einen die Entschließung des Industrieministerrats vom 18. November dieses Jahres, bei der eine ganze Reihe von Weichen gestellt worden sind und bei der auch industriepolitische Vorstellungen innerhalb der Gemeinschaft festgelegt worden sind, nachhaltig unterstützt. Wir haben aber auch im nationalen Bereich dafür Sorge getragen, daß durch das Sammeln von Informationen und durch deren Weitergabe an die deutsche Wirtschaft die internationalen Standards eingehalten werden können.
Gleichzeitig verhehle ich aber nicht die Sorge der Bundesregierung, daß es im Bereich der Hochtechnologie Felder gibt, in denen allergrößte Aufmerksamkeit geboten ist und in denen auch heute schon Vorsprünge in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Japan bestehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.
In den Entwürfen für Maastricht findet sich eine industriepolitische Ausrichtung der EG. Inwieweit ist die Antwort auf die Fragen von Herrn Mosdorf — die die industriepolitische Ausrichtung auf dem Sektor der Mikroelektronik und wohl auch insgesamt ablehnt — mit der prinzipiellen Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers zu den industriepolitischen Aussagen in den Vorentwürfen für Maastricht zu vereinbaren?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, ich gehe davon aus, daß es in Maastricht eine Zustimmung der Bundesregierung zu industriepolitischen Regelungen im engeren Sinne nicht geben wird.
Ich rufe Frage 40 des Abgeordneten Ortwin Lowack auf:
Wie steht die Bundesregierung zum Vorwurf der deutschen Textilindustrie, daß die Volksrepublik China mit unfairen Handelspraktiken, vor allem Dumping-Methoden und willkürlich festgesetzten Preisen, eventuell sogar mit falschen Ursprungsangaben der deutschen Textilindustrie zunehmend nicht nur Schwierigkeiten, sondern zunehmende Besorgnis bereitet, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ggf. ergreifen?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lowack, der Vorwurf unfairer Handelspraktiken wie Dumping wird auch gegenüber einer Reihe anderer sogenannter Niedrigpreisländer — d. h. Lieferländer im Sinne des Welttextilabkommens — erhoben. Im Fall der Volksrepublik China stützt er sich vor allem auf die Tatsache, daß China ein Staatshandelsland ist, in dem die Preisbildung nicht notwendigerweise den Marktgesetzen unterliegt.
Aus diesem Grunde enthält das bilaterale WTAAbkommen der EG mit der Volksrepublik China aus dem Jahre 1988 zahlreiche Mengenbeschränkungen in Form sogenannter Lieferquoten. Diese Lieferquoten umfassen alle nach den Kriterien der Textilhandelspolitik der Europäischen Gemeinschaft als sensibel geltenden Warenkategorien; darüber hinaus auch solche, die als weniger sensibel gelten.
Außerdem enthält das Abkommen weitere restriktive Bestimmungen, die das Verhandlungsmandat des EG-Ministerrats speziell für Staatshandelsländer vorsah; z. B. die im Vergleich mit anderen Lieferländern niedrigeren jährlichen Zuwachsraten bei den einzelnen Quoten. Dieses Abkommen läuft noch bis Ende 1992.
Textilunternehmen, die sich im Wettbewerb durch Dumpingpraktiken chinesischer Lieferanten beeinträchtigt glauben, bleibt es unbenommen, unabhängig von den Regelungen des Textilabkommens Antrag auf Einleitung eines Anti-Dumpingverfahrens bei der EG-Kommission zu stellen oder durch ihre Verbände stellen zu lassen. Bei bestimmten Seidengeweben hatte ein solcher Antrag ja bereits Erfolg.
Im Sommer 1991 sind in der Europäischen Gemeinschaft falsche bzw. gefälschte Exportlizenzen der Volksrepublik China aufgetaucht. Nach Informationen durch die chinesischen Behörden mit den Angaben über die regulär erteilten Lizenznummern wurden keine Importgenehmigungen auf falsche Lizenzen mehr erteilt. Soweit Importe auf Grund unerkannt falscher Exportlizenzen bereits genehmigt waren, hat die Bundesregierung die entsprechenden Importmengen entgegen chinesischer Forderung auf die jeweiligen Lieferquoten angerechnet.
Die Bundesregierung wird auch während der Restlaufzeit des Textilabkommens mit der Volksrepublik China auf die strikte Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen achten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ortwin Lowack.
Hochverehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär, das klang jetzt schon sehr gut. Ein anderer Teil der Frage betraf die falschen Ursprungsangaben. Liegen auch insoweit der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie wird man
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Ortwin Lowack
das eventuell erwidern, und ist mein Eindruck richtig, daß man bei der Politik der Volksrepublik China manchmal doch eine fast phänomenale Nachsicht an den Tag gelegt hat, und dies ausgerechnet gegenüber einem Regime, das zu den letzten orthodox-marxistischen gehört?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lowack, soweit hier falsche Ursprungsangaben vorgekommen sind und soweit sie erkannt worden sind und soweit gefälschte Importlizenzen vorgekommen sind, haben wir die entsprechenden Importmengen — wie ich das soeben erwähnt habe — auf die Quoten angerechnet. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die Bundesregierung etwa der Volksrepublik China aus Gründen, die Sie soeben dargelegt haben, die ich aber nicht nachvollziehen kann, in irgendeiner Weise entgegenkäme. Ganz im Gegenteil: Die Volksrepublik China wird wie jeder andere Partner auch nach dem Welttextilabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft behandelt.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Beckmann, wir danken Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht uns Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Die Frage 53 hat unser Kollege Arne Fuhrmann gestellt:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um ihre durch vielerlei — bisher allerdings nicht eingehaltene — Aussagen bekundete Unterstützung beim Aufbau einer, bisher nur aufgrund privater Initiativen erfolgter, nationalen Spenderkartei für Knochenmark zu gewähren und somit vielen Krebskranken die einzige Möglichkeit zu geben, ihre Krankheit wirksam zu bekämpfen?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Fuhrmann, die Bundesregierung hat für den Aufbau einer bundesweiten Knochenmarkspenderdatei mit dem Ziel, rund 150 000 Spender zu erfassen, im Jahre 1991 bisher rund 2 Millionen DM bewilligt. 1992 stehen weitere 11 Millionen DM und 1993 12 Millionen DM zur Verfügung. Auch in den Folgejahren sieht die mittelfristige Finanzplanung erhebliche Mittel vor.
Die Bundesregierung wird nicht nur finanzielle Mittel zum Aufbau der Knochenmarkspenderdatei bereitstellen. Sie wird das Vorhaben mit seinen vielfältigen medizinischen, ethischen, datenschutzrechtlichen und juristischen Problemen intensiv begleiten, damit das Ziel — eine bundesweite Datei mit 150 000 Spendern — zum Wohle der Erkrankten so schnell wie möglich erreicht werden kann
Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Fuhrmann.
Frau Staatssekretärin, wie werden sich die Summen, die Sie angegeben haben, bundesweit aufteilen? Bedeutet es, daß das der Krebshilfe zufließt respektive über das Ministerium an die Stellen verteilt wird, die sich so verhalten, daß sie dieses Geld auch bekommen können, oder gibt es für die Initiativgruppen, die auf Grund der Betroffenheit bundesweit bestehen, Möglichkeiten, an diesen Finanztopf heranzukommen? Immerhin konnten bisher 10 000 Spenderwillige nicht erfaßt werden, weil die Finanzierungsmittel zur Typisierung und damit zur Erstellung einer möglicherweise umfassenden Datei überhaupt nicht zur Verfügung stehen.
Herr Kollege Fuhrmann, über die genaue Verteilung der Mittel kann ich Ihnen jetzt nicht Rede und Antwort stehen, da ich die Angaben auch für das Jahr 1992 nicht im Detail vorliegen habe. Ich kann Ihnen das aber gerne schriftlich nachreichen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Herr Kollege Fuhrmann.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß sich auch Initiativgruppen, die nicht der Deutschen Krebshilfe zugerechnet werden können, sondern auf Grund ihrer eigenen Betroffenheit — ich sagte es vorhin schon einmal — an einer solchen Datei interessiert sind, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an das Ministerium wenden können?
Herr Kollege Fuhrmann, ich weiß nicht, um welche Initiativgruppen es sich dabei handelt. Mir ist eine Initiativgruppe, die DKMS, bekannt, die aber unter der Verantwortlichkeit der Deutschen Krebshilfe arbeitet und auch eine finanzielle Förderung bekommt.
Ich rufe nun die Frage 54 unseres Kollegen Arne Fuhrmann auf:
Sieht die Bundesregierung nicht eine Gefahr für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, wenn das Ausland erhebliche Mittel in derartige Projekte investiert, wir aber unsere Hilfe verweigern und unter den großen westlichen Industrieländern das Schlußlicht beim Aufbau einer derartigen Spenderkartei sind und den meisten deutschen Krebskranken, die fremdes Knochenmark benötigen, im Ausland geholfen werden muß, so daß deshalb dort, vornehmlich aus den USA zunehmend der Vorwurf zu hören ist, daß wir selbst etwas tun sollten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Fuhrmann, angesichts der vielfältigen Aktivitäten und der erheblichen Haushaltsmittel, die der Bund zur Verfügung stellt, sieht die Bundesregierung keinerlei Gefahr für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im In- und Ausland.
Zusatzfrage, Herr Kollege Fuhrmann.
Ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß z. B. in den USA ganz erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit unserer Absichten bestehen, weil dort auf Grund der genetischen Entwicklungen bei deutschstämmigen Amerikanern natürlich eine Datei in der Bundesrepublik von lebensrettender Wirkung sein kann? Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob das Ministerium weiß, daß es in diesem Be-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1991 5339
Arne Fuhrmann
reich acht Millionen Möglichkeiten der unterschiedlichen Gewebemerkmale gibt.
Herr Kollege Fuhrmann, wir sind uns sehr wohl der diffizilen Aufgabe bewußt. Ich habe auch versucht, in meiner ersten Antwort darzulegen, daß es hier sowohl fachlich-medizinische als auch juristische und datenschutzrechtliche Probleme gibt. Wir haben uns dieser Aufgabe angenommen. Das bringen wir dadurch zum Ausdruck, daß wir diese Aufgabe mit erheblichen finanziellen Mitteln fördern, so daß, denke ich, der Auf-b au einer bundesweiten Knochenmarkspenderdatei zügig vorangehen wird.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann? — Bitte.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir in dem Zusammenhang erläutern, was Sie unter datenschutzrechtlichen Schwierigkeiten beim Aufbau einer Datei verstehen? Wenn jemand kommt und sagt „Ich bin bereit; ich stehe als Spender zur Verfügung; bitte katalogisiert mich" , wo liegt dann das Problem?
Das Problem liegt darin, daß sehr viele Untersuchungen stattfinden müssen, um die Typisierung vorzunehmen, und daß dabei natürlich die datenschutzrechtlichen Belange geprüft werden müssen.
Die Fragen 55 und 56 der Frau Kollegin Ingrid Walz werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich der Bundesministerin für Gesundheit und danken Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Dieter Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Manfred Opel auf:
Nach welchen Kriterien ermittelt die Deutsche Bundesbahn die künftigen Standorte für die Bedarfsschwerpunkte zur Instandsetzung der weiterhin benötigten Brennkrafttriebfahrzeuge ?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Opel, für die Deutsche Bundesbahn sind vor allem folgende Kriterien für die Festlegung von Standorten für die Instandhaltung von Brennkrafttriebfahrzeugen, also Dieselfahrzeugen, maßgebend: das betriebliche Konzept für den Einsatz der Loks, die infrastrukturellen Voraussetzungen und der Umfeng der Instandhaltungsaufgaben sowie die damit verbundene Wirtschaftlichkeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Opel.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, daß bestehende Infrastruktur, die auf Eignung untersuchbar ist, in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen einbezogen wird, oder werden hier generell Infrastrukturgesichtspunkte, was die bestehende Infrastruktur angeht, nicht berücksichtigt?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Deutsche Bundesbahn bei ihrer Untersuchung — sie steht erst am Anfang — auch auf diese Aspekte Rücksicht nimmt. Aber Sie wissen, daß in Ihrem Bundesland durch die Elektrifizierung von zwei Strecken sehr wahrscheinlich eine Änderung eintreten kann.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Opel.
Herr Staatssekretär, natürlich ist mir das bekannt. Das ist ja Gegenstand der nächsten Frage. Aber ist es innerhalb der Effektivitätsbetrachtungen in Ihrem Hause bzw. bei der Deutschen Bundesbahn üblich, längerfristig zu rechnen, d. h. eine Planung auf 20 bis 30 Jahre anzulegen?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär Die Entscheidungen, um die es hier geht, trifft die Deutsche Bundesbahn in eigener Verantwortung. Aber ich gehe davon aus, daß Infrastrukturentscheidungen für eine lange Zeit angelegt sind. Ich müßte jetzt besonders nachschauen, wie das bei solchen Werkstätten ist, aber ich glaube, mit 20 Jahren liegen wir unbedingt im richtigen Rahmen.
Ich rufe jetzt die Frage 58 des Kollegen Manfred Opel auf:
Welche künftigen Bedarfsschwerpunkte für die Instandsetzung der nach der Elektrifizierung der Hauptverbindungsstrekken noch benötigten Brennkrafttriebfahrzeuge hat die Deutsche Bundesbahn in Schleswig-Holstein und insbesondere an der Westküste Schleswig-Holsteins vorgesehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Opel, nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn sind die Untersuchungen über den künftigen Standort von Instandhaltungsdienststellen für diese Triebfahrzeuge gerade erst im Anfangsstadium. Das hängt mit der geplanten Elektrifizierung zusammen. Über den Abschluß dieser Arbeiten kann die DB deshalb noch keine Angaben machen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Opel.
Die Elektrifizierung ist ja von der Deutschen Bundesbahn lange ins Auge gefaßt worden. Deshalb wundert mich Ihre Antwort insoweit. Wann, Herr Staatssekretär, rechnen Sie damit, daß die Deutsche Bundesbahn in der Lage ist, ein entsprechendes Untersuchungsergebnis vorzulegen? Und wären Sie dann bereit, mir das automatisch zur Verfügung zu stellen?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Da der „Ernstfall" erst im Jahre 1994 kommen wird, hat die Deutsche Bundesbahn durchaus noch Zeit. Aber ich mache Ihnen den Vorschlag, daß ich unaufgefordert
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Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte
in einem Vierteljahr oder einem halben Jahr auf Sie zukomme.
Ich bedanke mich. Ich habe noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Präsident, wenn Sie gestatten.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn die Deutsche Bundesbahn die Elektrifizierung erst 1994 durchführt, sind Sie mit mir der Meinung, daß dann das Konzept eigentlich umgesetzt sein muß? Glauben Sie angesichts der Tatsache, daß bei der Bundesbahn Infrastrukturentscheidungen drei bis vier Jahre bis zur Verwirklichung dauern, nicht, daß es höchste Zeit ist, über dieses Konzept zu entscheiden?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich bin mit Ihnen der Ansicht, daß die Deutsche Bundesbahn vor der Elektrifizierung, vor der Inbetriebnahme der Stromtraktion, ihr Konzept stehen und realisiert haben muß. Aber da wir noch im Jahr 1991 sind, haben wir, glaube ich, noch ein paar Monate Zeit. Also, ich werde drängen, und Sie bekommen von mir Antwort.
Ich rufe nun die Frage 59 der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel auf:
Welche Änderungen der Revierlotsenverordnungen werden geplant, und wie stehen die betroffenen Verbände bisher dazu?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen Nord und Nordwest planen im wesentlichen folgende Änderungen der von ihnen erlassenen Revierlotsenverordnungen:
Erstens. Umstellung der Kriterien für die Lotsenannahmepflicht von Bruttoregistertonnen auf Länge und Breite.
Zweitens. Verschärfung der Voraussetzungen für die Regelbefreiung von Schiffen zwischen 1 000 und 5 000 Bruttoregistertonnen durch Verdoppelung der Erfahrungsfahrten vor Eintritt der Regelbefreiung auf zwölf Fahrten innerhalb der letzten zwölf Monate. Ich nehme an, daß Sie die bisherige Praxis kennen.
Drittens. Verschärfung der Voraussetzungen für die Antragsbefreiung für Schiffe über 5 000 Bruttoregistertonnen durch Einführung einer zusätzlichen Revierkundeprüfung.
Viertens. Befreiung in besonderen Fällen nur noch für Einzelfahrten.
Fünftens. Nachweis der Mindestfahrten unter Lotsenberatung, der Fahrzeit von mindestens einem Jahr als Schiffsführer und Versicherung ausreichender deutscher Sprachkenntnisse durch eine schriftliche Bescheinigung, um die Voraussetzungen für eine Regelbefreiung künftig besser kontrollieren zu können.
Diese gemeinsam mit den Lotsenbruderschaften erarbeiteten Änderungen der bestehenden Revierlotsenverordnungen waren Gegenstand einer Anhörung der Schiffahrtsverbände am 28. August 1991. Dabei hat sich gezeigt, daß diese Vorschläge grundsätzlich konsensfähig sind. Die Stellungnahmen werden zur Zeit von den Wasser- und Schiffahrtsdirektionen gemeinsam mit der Bundeslotsenkammer ausgewertet.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Wetzel, bitte.
Ich hoffe, daß ich den Ausdruck jetzt richtig wiedergebe: Sie hatten eben davon gesprochen, daß eine Revierkenntnisüberprüfung erfolgt. Wer würde diese Überprüfung vornehmen?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Das ist nach meiner Kenntnis noch nicht niedergeschrieben, aber ich gehe davon aus, daß wir uns in der nächsten Woche im Ausschuß wiedertreffen, und dann gebe ich Ihnen Nachricht.
Frau Kollegin Wetzel, noch eine Zusatzfrage?
Ist in die Überlegungen der Bundesregierung auch die Variante „genereller Verzicht auf eine Freifahrerregelung" mit aufgenommen worden, oder wird das überhaupt nicht geprüft?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Nach Kenntnis der bisherigen Gespräche mit den Betroffenen war dies nicht ernsthaft Gegenstand der Beratungen. Ich versichere mich aber noch einmal und werde dies ebenfalls in der nächsten Woche mitbringen.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage 60 der Frau Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf:
Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes zur erfolgten Vergabe von Standorten für Autobahnraststätten gezogen , und welche Maßnahmen sind konkret aufgrund der Unwirksamkeit zahlreicher Verträge ergriffen worden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auf Grund des Berichts des Bundesrechnungshofes, Ausschußdrucksache 102 des Bundestagsausschusses für Verkehr, hat der Bundesminister für Verkehr folgende Maßnahmen ergriffen:
Erstens. Der Bundesminister für Verkehr hat den Vertragspartnern der DDR-Autobahndirektion die Unwirksamkeit der von der Autobahndirektion getroffenen vertraglichen Abmachungen erklärt.
Zweitens. Der Bundesminister für Verkehr hat im Hinblick auf die mit Wirkung vom 1. September 1991 erfolgte Ausweitung der Zuständigkeit der Gesellschaft für Nebenbetriebe auf die neuen Bundesländer darauf hingewirkt, daß diese Gesellschaft mit den bisherigen Vertragspartnern in unmittelbare Verhandlungen eintritt, soweit sie sachlich und persönlich in Betracht kommen. Voraussetzung hierfür ist die Anfang November erbetene Zustimmung der neuen Länder zu diesem Verfahren.
Drittens. Soweit eine Einigung zwischen der Gesellschaft für Nebenbetriebe und den jeweiligen Verhandlungspartnern nicht zustande kommt, wird die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1991 5341
Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte
Gesellschaft für Nebenbetriebe den betreffenden Nebenbetrieb öffentlich ausschreiben.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger.
Ich habe eine Zusatzfrage, weil sich diese Angelegenheit schon über sehr viele Monate hinzieht. Ich habe zunächst die Frage: Sind alle Verträge jetzt für unwirksam erklärt worden, und welche zeitlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung, damit es endlich zu einem Vergabeverfahren unter Einschaltung der Gesellschaft kommen kann?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Es wurden alle Verträge für unwirksam erklärt, und es verhandelt jetzt erst einmal die Gesellschaft für Nebenbetriebe, und, wie ich gerade gesagt habe, sofern man dort nicht zu einer Verständigung kommt, z. B. über das Entgelt, soll öffentlich ausgeschrieben werden.
Ein Zeitpunkt ist im Augenblick nicht zu nennen; nur hat die Bundesregierung ein hohes Interesse daran, daß diese Nebenbetriebe so schnell wie möglich — natürlich im gebotenen rechtlichen Rahmen — verwirklicht werden, im Interesse der Autofahrer, aber selbstverständlich auch im Interesse von dringend nötigen Investitionen in den neuen Ländern. Es geht um viele Millionen D-Mark.
Gibt es weitere Zusatzfragen? — Wenn das nicht der Fall ist, rufe ich die Frage 61 der Frau Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger auf:
Welche finanziellen und strukturellen Auswirkungen sind durch die Verzögerung zu befürchten, und wie wird die politische Verantwortlichkeit für mögliche berechtigte Ansprüche beurteilt?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach Ansicht des Bundesverkehrsministeriums wird durch die Verhandlungsführung der Gesellschaft für Nebenbetriebe sichergestellt, daß in den neuen Bundesländern ein leistungsfähiges Nebenbetriebssystem entsteht, das sich nicht grundsätzlich von dem der alten Bundesländer unterscheidet.
Was die finanziellen Auswirkungen anbelangt, so ist eine weitgehende Übernahme der Investitionslasten durch die privaten Betreiber vorgesehen. Verzögerungen haben sich dadurch ergeben, daß die vom früheren DDR-Verkehrsministerium abgeschlossenen Vereinbarungen keine gültige und brauchbare Grundlage für den Auf- und Ausbau der Nebenbetriebe sein konnten.
Das habe ich vorher schon erwähnt.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie Angaben darüber machen, welche finanziellen Forderungen dadurch auf die Bundesregierung zukommen, daß die Verträge für unwirksam erklärt worden sind und sich daraus möglicherweise Schadenersatzforderungen herleiten?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Durch die Untersuchungen des Bundesrechnungshofs, der auf Grund eines Beschlusses des Haushaltsausschusses um diese Untersuchungen gebeten worden war, gehe ich davon aus, daß solche Forderungen nicht auf uns zukommen. Der Bundesrechnungshof hat ja ausdrücklich gesagt, die Verträge seien unwirksam.
Mir liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Ich rufe dann die Frage 62 des Kollegen Joachim Tappe auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, von ihrem bisherigen Konzept der Aufgabenteilung zwischen Herleshausen und Wartha (Rasthof ausschließlich für LKW) abzugehen, und welche Gründe haben dazu geführt, die ursprünglich geplante Errichtung der Anlage Herleshausen Süd aufzugeben und an der Nordseite keine weiteren, obwohl notwendigen Investitionen mehr zu tätigen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Bundesverkehrsministerium ist von seiner bisherigen Konzeption einer Aufgabenteilung zwischen den Tank- und Rastanlagen Herleshausen/Nordseite und Eisenach nicht abgegangen. Nach dieser Konzeption ist die Anlage Eisenach (Wartha) „besonders für den Güterkraftverkehr und für Busse mit längerer Verweildauer" vorgesehen. Sie ist nicht „ausschließlich für Lkw" bestimmt und sollte auch Pkw bedienen können.
Die provisorische Tankanlage Herleshausen/Südseite wurde nicht aufgegeben, sondern es wurde lediglich die Entscheidung über deren Bauausführung zurückgestellt. Grund hierfür ist zum einen, daß mit den Anlagen Herleshausen/Nordseite und Eisenach zum derzeitigen Zeitpunkt ein ausreichendes Serviceangebot zur Verfügung steht. Zum anderen ist die zukünftige Verkehrsbelastung der Autobahn A 4 wegen der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit" noch unklar. Es handelt sich dabei um die A 82 Göttingen-Halle und um die A 44 Kassel-Eisenach. Vor weiteren Dispositionen müssen daher zunächst noch laufende verkehrswirtschaftliche Untersuchungen und Umweltverträglichkeitsstudien zu beiden Projekten abgewartet werden.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Tappe. Bitte.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie mir dann den Umstand, daß auf Warthaer Seite 34 Zapfsäulen für Pkw neu errichtet worden sind, auf der Herleshäuser Seite aber lediglich sieben Zapfsäulen zur Verfügung stehen, die bisher durchaus in der Lage waren, den Bedarf zu decken?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Wenn ich mich richtig erinnere — ich habe dies nicht in meinen Unterlagen — , wurde auf der Seite Thüringens sehr schnell mit Investitionen begonnen, ohne daß man abgewartet hätte, wie sich die Rechtsprüfung auf diese Investitionen auswirkt. Ich muß aber sagen, daß der Umfang des Verkehrs erheblich zugenommen hat, so daß wir heute wahrscheinlich nicht von einem Überangebot sprechen können. Allerdings wollen wir vor weiteren Investitionen die Verkehrsentwicklung,
5342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1991
Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte
aber auch die Entwicklung der Infrastruktur im Zusammenhang mit anderen Autobahnen abwarten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Tappe.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht des GfN, daß ein Entfernungsabstand von nur 6 km zwischen zwei Autobahnbetrieben nicht im Interesse der Verkehrsteilnehmer liegt, und, wenn ja, wie konnte unter diesen Voraussetzungen der Standort Wartha auf Thüringer Seite überhaupt akzeptiert werden?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß wir in Deutschland normalerweise wesentlich größere Abstände haben. Daß hier zwei solcher Anlagen in so kurzer Distanz aufeinandertreffen, lag an der bisherigen innerdeutschen Grenze.
Was Wartha angeht, so hat diese Standortentscheidung noch die Autobahndirektion der ehemaligen DDR getroffen. Wir müssen jetzt sehen, wie wir damit fertig werden.
Im übrigen, Herr Präsident, möchte ich, weil doch unterschwellig mitspielt, Herleshausen werde vernachlässigt, noch anfügen, daß in den Bauprogrammen 1990/91/92 für die Tank- und Rastanlage Herleshausen/Nordseite trotzdem 3 Millionen DM für eine Tankstellenerweiterung — das war der Punkt, über den wir gerade gesprochen haben — , für eine Modernisierung des Gastraums und eine Erneuerung der Toilettenanlage ausgegeben werden.
Ich rufe nun die Frage 63 des Kollegen Joachim Tappe auf:
Welche Konsequenzen für die Nachverhandlungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung des Bundesrechnungshofes über die Unwirksamkeit des Vertrages mit der Firma LOMO, und ist sie bereit, um ihr Konzept einer zügigen Realisierung der 40 anderen projektierten Autobahnnebenbetriebe in den neuen Bundesländern voranzutreiben, das in mehrfacher Hinsicht rechtswidrige Vorgehen der Firma LOMO beim Bau der Rastanlage Wartha auch bei anderen Investoren zu dulden?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bericht des Bundesrechnungshofes vom 13. September 1991 hat den Bundesminister für Verkehr im Falle der Firma LOMO — wie auch in ähnlich gelagerten Fällen — zu folgenden Maßnahmen veranlaßt:
Erstens. Der Bundesminister für Verkehr hat der Firma LOMO als Vertragspartner der DDR-Autobahn-direktion, wie ich vorher sagte, mit Schreiben vom 10. Oktober 1991 die Unwirksamkeit der von der Autobahndirektion getroffenen vertraglichen Abmachungen mitgeteilt.
Zweitens. Der Bundesminister für Verkehr hat im Hinblick auf die mit Wirkung vom 1. September 1991 erfolgte Ausweitung der Zuständigkeit der Gesellschaft für Nebenbetriebe auf die neuen Bundesländer darauf hingewirkt, daß die Gesellschaft für Nebenbetriebe mit der Firma LOMO in unmittelbare Verhandlungen eintritt. Das Land Thüringen hat diesem Verfahren zugestimmt.
Aus dem gegebenenfalls rechtswidrigen Vorgehen in der Vergangenheit kann mindestens seit der Mitteilung der Unwirksamkeit der Verträge keine Berechtigung mehr abgeleitet werden, rechtswidrig Nebenbetriebe zu bauen. Vielmehr hat das Bundesverkehrsministerium in zwei Fällen kürzlich das zuständige Land gebeten, Baustellen stillzulegen.
Zusatzfrage des Kollegen Tappe, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben noch einmal dargestellt, wann die Mitteilung an die Firma LOMO bezüglich der Unwirksamkeit der Verträge ergangen ist. Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß wenige Tage nach dem Posteingang diese, wie ich weiß, größte Anlage in Deutschland bereits eingeweiht und in Betrieb genommen wurde?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich beziehe mich auf die Antwort, die ich vorher gegeben habe. Dort wurde gleich gebaut, obwohl über die Wirksamkeit der Verträge noch keine Klarheit herrschte. Dies kann aber nicht Grund für einen Rechtsanspruch Dritter sein. Es ist in unserem Rechtssystem nach meiner Kenntnis üblich, daß man sich auf Unwirksamkeit oder rechtswidriges Verhalten nicht berufen kann.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Tappe? — Nein.
Die Fragen 64 und 65 des Abgeordneten Simon Wittmann und die Frage 66 des Abgeordneten Ludwig Stiegler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Norbert Antretter auf. Der Kollege ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe dann Frage 68 des Kollegen Dietmar Schütz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Binnenschiffsverkehr zwischen Lauenburg und Magdeburg, wegen des Schutzes der mittleren Elbe, ausnahmslos über den Elbe-Seitenkanal und den Mittellandkanal geführt werden sollte und diese Kanäle deshalb durchgängig für den Einsatz von 2 000 t Schiffen schiffbar sein sollen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, als Bestandteil des Binnenwasserstraßennetzes ist die Elbe von der Grenze zur Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik bis zur Nordsee gemäß Bundeswasserstraßengesetz vom 23. August 1990 und Verordnung vom 13. November 1990 zur Überleitung des Bundeswasserstraßenrechts nach Berlin und in das in Art. 3 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 genannte Gebiet — Sie wissen also, um welches Gebiet es sich handelt — eine dem allgemeinen Verkehr dienende Binnenwasserstraße des Bundes und damit dem Schiffsverkehr gewidmet.
Eine Einstellung des Schiffsverkehrs zwischen Lauenburg und Magdeburg ist verkehrspolitisch nicht vertretbar, da die Binnenschiffahrt künftig in einem integrierten Verkehrskonzept wachsende Bedeutung
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Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte
haben wird und die übrigen Verkehrsträger entlasten kann.
Neben dem Anwachsen des Schiffsverkehrs auf dem Elbe-Seitenkanal wird auch die Mittelelbe zunehmend für die Schiffahrt Bedeutung haben, insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung der Region mit ihren Häfen. Hinzu kommen die Entwicklungsmöglichkeiten für eine wirtschaftliche Containerschiffahrt, die auf dem Elbe-Seitenkanal durch die Höhen der Brückendurchfahrten begrenzt wird.
Zusatzfrage des Kollegen Schütz, bitte.
Herr Staatssekretär, es ist etwas mißlich, daß die beiden Fragen zum Naturschutzpark Elbe in diesem Mittelabschnitt, die ich gestellt habe, auf zwei Ressorts aufgeteilt worden sind. Sind Sie bisher an den Planungen für die Naturschutzparks im mittleren Elbebereich — zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ist ja bereits eine Planung angelaufen — beteiligt worden?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Da muß ich erst bei den zuständigen Behörden bzw. Ländern nachfragen.
Können Sie sich denn vorstellen, daß — —
Herr Kollege Schütz, Sie können eine zweite Zusatzfrage stellen. — Bitte.
Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß der Schiffsverkehr, wenn die beiden Nationalparks mittlere Elbe ausgewiesen sind, auf der mittleren Elbe reduziert werden könnte, weil auf dem Elbe-Seitenkanal nach meiner Ansicht Begegnungsverkehre möglich sind, weil auch Baggerarbeiten nicht mehr in dem nötigen Umfang durchgeführt werden könnten und weil z. B. bestimmte Schiffstypen nicht mehr vertretbar sind?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß die Binnenschiffahrtsverwaltung auf die Belange des Naturschutzes Rücksicht nehmen wird. Ich glaube aber nicht, daß es zu einer ausdrücklichen Reduzierung im Sinne eines Verbots von bestimmten Schiffstypen oder bestimmten Schiffsgrößen kommen wird. Ich denke, daß dies auf Grund der Rechtslage, auf Grund des Gesetzes, das ich vorhin genannt habe und dem Sie zugestimmt haben, nicht möglich ist.
Ich gehe davon aus, daß es dazu jetzt keine Zusatzfrage mehr gibt.
Die Fragen 69 und 70 des Abgeordneten Karl Stockhausen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da der Kollege Feige nicht da ist, wird in bezug auf Frage 71 nach der Geschäftsordnung gehandelt.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Rudolf Bindig auf:
Wie teuer war der Flug des Extraflugzeuges der Flugbereitschaft der Bundeswehr für die Reise des Bundesministers für Verkehr und seiner Begleiter in der 4?. Woche in die USA , und warum ist der Bundesminister für Verkehr nicht mit dem regelmäßig verkehrenden Flug der Flugbereitschaft von Köln/Bonn nach Washington gereist oder mit einem Linienflugzeug?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr, Professor Dr. Krause, benutzt bei seinen Flugreisen grundsätzlich Linienmaschinen. Insofern stellt die USA-Reise eine Ausnahme dar. Bei dieser Reise war die Benutzung der Bundeswehrmaschine geboten, da sonst das terminlich dicht gedrängte Programm an zahlreichen verschiedenen Orten sowohl an der West- wie an der Ostküste nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. Deswegen wurde diese gegenüber der Benutzung von Linienmaschinen nicht maßgeblich teurere Möglichkeit gewählt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Bindig.
Herr Staatssekretär, ich hatte gefragt, wie teuer die Reise gewesen ist, und Sie haben gesagt, es sei teuer gewesen. Können Sie, bitte, die Frage beantworten?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den Auskünften des Bundesministeriums der Verteidigung belaufen sich die Flugkosten auf ca. 180 000 DM. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß nicht nur neun Personen Teil der Delegation waren, sondern daß es auch um verschiedene Orte in den USA ging. Es ist also nicht nur der Transatlantikverkehr zu berechnen, sondern auch der Preis der Flugtickets innerhalb der USA.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trotzdem hätte sich die Reise mit Linienflugzeugen sicherlich für rund 70 000 DM für neun Personen abwickeln lassen. Deshalb möchte ich fragen, ob dem Herrn Bundesverkehrsminister sein Amt als deutscher Bundesverkehrsminister derart zu Kopf gestiegen ist, daß er meint, für seine erlauchte Person sei ein First-classFlug in einem Linienflugzeug der Lufthansa nicht mehr ausreichend. Ist dem Bundesverkehrsminister der Spruch bekannt: Hochmut kommt vor dem Fall.
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, wie der Service in einer solchen Bundeswehrmaschine ist. Ich weiß, daß der Service bei der Lufthansa hervorragend ist, so daß es von daher vielleicht günstiger gewesen wäre, eine Linienmaschine zu nehmen. Es ging aber um Zeitprobleme und um die Dispositionen. Es wäre in der kurzen Zeit
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Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte
nicht möglich gewesen, so viele Orte anzufliegen und so viele Gespräche zu führen.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Schily.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns bekanntgeben, in welche Orte der Herr Bundesverkehrsminister gereist ist und welche Flugverbindungen im normalen Linienverkehr zu den normalen Preisen dort nicht erreichbar waren?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen jetzt auswendig sagen: Es ging um Washington, Jacksonville und San Francisco. Es waren noch mehr Orte. Ich gehe davon aus, daß es zeitlich nicht möglich gewesen wäre, so viel Programm unterzubringen, wenn nicht eine Maschine abflugbereit dagewesen wäre.
Zusatzfrage des Kollegen Hinsken. Dann möchte ich aber — wir sind schon weit über die Zeit — die Fragestunde schließen.
Herr Staatssekretär, sind Parallelfälle aus der Vergangenheit, z. B. den Jahren zwischen 1973 und 1982, bekannt? Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, einmal nachzusehen, ob nicht Verkehrsminister oder andere Minister der damaligen Bundesregierung die Fahrbereitschaft des Bundesverteidigungsministeriums in Anspruch genommen haben, um ihren Aufgaben gerecht zu werden?
Dr. Dieter Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß der Bundesminister für Verkehr in aller Regel Linienmaschinen benutzt. Er fliegt nur mit Bundeswehrmaschinen, wenn es nach der zeitlichen Disposition gar nicht anders geht. Was er an Fazilitäten benutzt hat, liegt im Bereich des Zulässigen. Er hat sich dabei in dem Rahmen bewegt, in dem sich andere Minister, in der Zeit, in der die SPD regiert hat, bewegt haben.
Damit schließe ich die Fragestunde. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Strukturkrise im Raum Friesland/Wilhelmshaven unter Beachtung der Schließung des AEG-Olympia-Werkes
Die Fraktion der SPD hat diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Gabriele Iwersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt Wilhelmshaven wurde 1869 als preußisches Marineetablissement gegründet und entwickelte sich fortan entsprechend den Flottenbauprogrammen des Reiches. Die wirtschaftliche Blüte, jeweils vor den Weltkriegen, bezahlte sie mit dem Zusammenbruch und mit der fast totalen Zerstörung am Ende.
Nach 1945 sollte alles anders werden. Das Schreibmaschinenwerk Olympia gehörte zu den ersten Ansiedlungsprojekten, die die Gunst des Standortes zu nutzen wußten: viel Platz und qualifizierte Facharbeiter. 20 000 Arbeitsplätze nicht nur in Wilhelmshaven, sondern auch in der Wesermarsch, in Ostfriesland und darüber hinaus waren die stolze Bilanz einer selbstbewußten, unabhängigen Firmenpolitik.
Dann übernahm AEG das Werk. Später fusionierte dieser Konzern mit Daimler-Benz; dieser wiederum tat sich auf Grund einer Sondererlaubnis des Bundeswirtschaftsministers Haussmann mit MBB zusammen.
Stets war die Stabilisierung der Arbeitsplätze im Gespräch. Aber der Strukturwandel in der Branche führte zwangsläufig zu immer neuen Arbeitsplatzverlusten. Heute kämpft die Region erfindungsreich und hartnäckig um Arbeit für die letzten 2 700 Olympianer.
Auch an der Jade weiß man, daß in der Kommunikationstechnik die Schreibmaschine ein auslaufendes Modell ist. Wir kämpfen nicht um Schreibmaschinen, sondern um Produktionsstandorte. Aber die immer größer und mächtiger werdende Konzernmutter hat an diesem Sprößling schon lange kein Interesse mehr gezeigt.
Mit der den freien Wettbewerb einschränkenden Fusion hat der Konzern gleichzeitig die Verpflichtung übernommen, die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses arbeitsmarktpolitisch wirksam werden zu lassen. Deshalb bleibt es unverständlich, weshalb Minister Möllemann als Amtsnachfolger von Minister Haussmann nicht bereit ist, darauf zu pochen, daß der Konzern eine Sanierung des Olympiawerks durchführt, damit Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik einerseits wie auch in die grundsätzliche Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft andererseits gerettet werden kann.
Zum Verständnis für den zähen Kampf um die Arbeitsplätze bei AEG-Olympia hier ein stichwortartiger Rückblick auf den zehnjährigen Kampf der kreisfreien Stadt Wilhelmshaven um die Konsolidierung ihres Haushalts und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen, um nun doch wieder auf der Seite der Verlierer zu stehen: Das Olympia-Werk Wilhelmshaven hatte in der Spitze 14 000 Beschäftigte; heute sind es nur noch 2 700. Ende 1992 soll das Werk geschlossen werden.
Der zweitgrößte Arbeitgeber ist die Marine mit zur Zeit ca. 9 000 militärischen und zivilen Mitarbeitern; ein Drittel davon soll gestrichen werden.
Ohne diese beiden großen Verluste an Arbeitsplätzen liegt die Arbeitslosenquote bereits bei ca. 14 %; sie ist also doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Das Arbeitsamt schätzt den Anstieg der Quote
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Gabriele Iwersen
auf 28 % nach Schließung von Olympia. Damit ist dann fast jeder dritte Arbeitnehmer arbeitslos.
Der Gewerbesteuerverfall setzte bereits 1981 ein. Der Absturz von 81 Millionen auf 38 Millionen DM leitete den permanenten Finanznotstand dieser Stadt ein.
Die Sozialhilfeausgaben stiegen von 50 auf 94 Millionen DM jährlich; davon müssen 30 Millionen DM von der Stadt selbst aufgebracht werden. Die Deckelungsverluste beim Finanzausgleich seit 1988 betragen 19 Millionen DM; der Verlust durch die Steuerreform macht 20 Millionen aus. Für 1992 sind weitere 10 Millionen DM Verlust errechnet.
Sparhaushalt seit 1981, das bedeutet: Wiederbesetzungssperre, Einstellungsstopp, Steigerung der Gebührenlast auf die höchste Belastung pro Einwohner in Niedersachsen, Schulzusammenlegungen, Verkauf städtischer Liegenschaften, Einsparungen im kulturellen Bereich usw. usw. Durch Bedarfszuweisungen des Landes von 33 Millionen DM in fünf Jahren war Ende 1989 endlich wieder ein ausgeglichener Haushalt erreicht. 1991 gab es einen erneuten Fehlbedarf von 23 Millionen DM. Für 1992 sind 47 Millionen DM vorausberechnet.
Deshalb meine Bitte an diese Regierung: Legen Sie endlich ein konkretes Konversionsprogramm auf, damit wir Ersatzarbeitsplätze durch finanziellen Anreiz vor Abbau der Dienstposten bei der Marine schaffen können. Nutzen Sie endlich die Vorteile des einzigen deutschen Tiefwasserhafens durch unverzüglichen Ausbau und die Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke Oldenburg—Wilhelmshaven. Machen Sie Wilhelmshaven und Friesland zu einem Sonderfördergebiet, damit auch wir die Chance bekommen, Arbeitsplätze zu ähnlichen Bedingungen in diese Region zu holen, wie die Montanstandorte oder die neuen Bundesländer sie bieten können.
Nur jetzt hat Wilhelmshaven die Chance, eine neue Identität zu gewinnen, um sich vom Bedarfszuweisungsempfänger in einen gesunden Wirtschaftsstandort zu wandeln, nur jetzt, bevor die guten Leute die Region verlassen.
Schönen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Wilfried Bohlsen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unsere Betroffenheit über die Sorgen zum Ausdruck bringen, die in Wilhelmshaven und Friesland vorherrschen. Ich sage das als gebürtiger Wilhelmshavener, der elterliche Wurzeln in Jever, in Zetel, in Upschört hat und der mit seiner Heimatgemeinde Wiesmoor im nahen Umkreis, im Einzugsbereich dieses Arbeitsstandortes liegt.
Die Leidensgeschichte Olympia, Frau Iwersen, ist eine lange Leidensgeschichte, die nicht nur Wilhelmshaven und Roffhausen betroffen gemacht hat, sondern auch die Standorte Norden im Landkreis Aurich oder
Wiesmoor oder Leer, die vorweg geschlossen werden mußten. Der von Ihnen zitierte Abbau des Personals macht deutlich, wie viele Sorgen wir damit in die Familien gebracht haben.
Wir sollten dann natürlich auch einen Blick in die Firmenpolitik werfen, die dort betrieben worden ist. Die Olympia-Werke haben sich den modernen Wegen der Fabrikation nicht anschließen können. Das wird in der Öffentlichkeit sehr deutlich, und darüber herrscht Unverständnis. Der Sprung in die Mikroelektronik ist nicht gelungen. Die moderne Fertigung gerade im Bereich der Telekommunikation ist von denen überhaupt nicht aufgenommen worden. Ich frage mich kritisch: Hätte Daimler-Benz nicht Arbeit in die Region Friesland verlagern können? Das wäre sehr wohl möglich gewesen.
Als drittes hat sicherlich der ständige Wechsel im Management dazu geführt, daß einiges uneben ist.
Ich weise auf die Taten des Bundes in der Infrastruktur hin. Sie sind nicht unerheblich. Ich sage als langjähriges Mitglied des Verkehrsausschusses und jetzt als Haushälter, was der Bund geleistet hat. Bei den Bundesfernstraßen sind das: für die A 29 680 Millionen DM. Für dringende Verkehrsanbindungen wie auch im Bereich der Bundesstraßen — hier nenne ich die B 210, einen wichtigen Zubringer zu den Olympia-Werken mit Kosten von immerhin über 82 Millionen DM — hat sich der Bund erheblich engagiert.
Sie haben den Tiefwasserhafen angesprochen. Ich nenne hier auch noch einmal die Fahrwasserverbesserungen, die aus dem Haushalt finanziert worden sind und in den letzten Jahren immerhin ein Volumen von über 55 Millionen DM ausmachten.
Das macht deutlich, daß sich der Bund engagiert hat.
Wir müssen diesen Weg des Anschlusses ans Verkehrsnetz weitergehen. Sie haben die Forderung nach der Elektrifizierung erhoben. Wir haben durchsetzen können, daß die Strecke von Leer nach Oldenburg elektrifiziert wurde. Ich habe immer gesagt, wir müssen das in zwei Schritten betreiben. Das eine ist ein Zwischenstück, das andere ist ein Endstück. Das Endstück wäre die Strecke Oldenburg-Wilhelmshaven. Nur, wir erwarten, daß sich das Land Niedersachsen hieran beteiligt; denn das hat es unter der Albrecht-Regierung auch für die Strecke Leer-Oldenburg getan. Insofern bedarf es eines Signals seitens der Landesregierung Niedersachsen, daß hier Mittel fließen.
Zu den Fernstraßen: Wir wollen ja für den Bürger wirken. Aber was wir derzeit an Hinderungen haben, um die Ortsumgehungen Jever und Norden hinzukriegen, ist erheblich. Insofern ist es für uns ein ganz schwieriger Prozeß, Straßenprojekte zu vollziehen.
Lassen Sie mich zu dieser wirtschaftlichen Problemregion sagen, daß es einiger Sondermaßnahmen bedarf. Das wird sicherlich der Kollege Erich Maaß, der von dort ist, vertiefen. Wir brauchen, meine ich, Regelungen, wie wir sie von seiten des Bundes schon bei
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Wilfried Bohlsen
der Maxhütte und bei Wackersdorf hatten. Das wäre ein Weg, den wir gehen könnten; denn die jetzigen Förderinstrumente reichen einfach nicht aus, um die Region als Standortbewerber auftreten zu lassen. Notwendig wäre hier also eine Sonderförderung von Bund und Land bei Ansiedlungen. Die Investitionsförderung optimal auszustatten, wäre ein weiterer Punkt.
Aber ich mache deutlich, daß auch Niedersachsen Verpflichtungen hat. Ich stelle hier die kritische Frage in den Raum: Warum hat die niedersächsische Landesregierung die Verhandlungen über die Teststrecke bei Papenburg nicht mit dem Heil der Olympia-Werke verbunden?
Warum gibt die Landesregierung nicht grünes Licht für den Krause-Vorschlag der Realisierung der Küstenautobahn? Sie hält voll dagegen.
Der Bund baut Autobahnen und versucht, die Region besser an die übrige Bundesrepublik anzubinden. Was tut die SPD? Sie fordert Geschwindigkeitsbegrenzung. Das ist nicht in Einklang zu bringen.
— Doch, sehr wohl.
Wir können das Gebiet nicht näherbringen, wir können nur die Wegezeit verkürzen. Wenn es überhaupt gelingt, gelingt es aber nicht mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung.
Mercedes und AEG entziehen sich nach meiner Meinung einer volkswirtschaftlichen Verpflichtung — —
Herr Kollege Bohlsen, Ihre Redezeit ist schon satt überschritten.
Ich weiß es, Herr Präsident. Aber vielleicht hat sich die Verzögerung zu Beginn ergeben.
Wir müssen kritisch auf folgendes achten: Wir geben dem Konzern aus dem Bundeshaushalt Forschungsmittel, und er verhält sich jetzt nicht volkswirtschaftlich. So sehen wir es. Vor diesem Hintergrund sollten wir diese Zuschüsse einmal kritisch überdenken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Redezeit bei Aktuellen Stunden ist fünf Minuten. Wenn jemand um eine Minute überschreitet, überschreitet er um 20 %. Ich wollte es nur noch einmal sagen.
Als nächster hat der Kollege Günther Bredehorn das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen und die verantwortlichen Politiker in Friesland, in Wilhelmshaven und darüber hinaus, sind in großer Sorge um die Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Zukunft der Region. Die jetzige Arbeitslosenquote von fast 14 % ist die höchste in den alten Bundesländern.
Der Weltkonzern AEG-Daimler-Benz will zum 31. Dezember 1992 das Büromaschinenwerk Olympia schließen. Nachdem in den 70er Jahren fast 12 000 Menschen in dem Unternehmen arbeiteten — es wurde ja gerade gesagt, daß es auch weit darüber hinaus Arbeitsplätze in Ostfriesland bedeutete —, bringt diese Entscheidung den Verlust der letzten 2 700 Arbeitsplätze.
Es ist schon beeindruckend, wie sich die Menschen vor Ort, die Betroffenen, die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Verbände, auch Unternehmerverbände, Kaufleute, engagieren, demonstrieren, Veranstaltungen mit Zigtausenden Menschen machen, um ihre Sorgen vorzutragen, aber auch immer wieder an die Verantwortung des Weltkonzerns zu appellieren. Es gibt eine große Solidarität in der Region.
Das Wort „Olympia" ist das Herz der Region. Es deutet eigentlich alles an, was passieren kann, wenn hier ein Zusammenbruch erfolgt. In der Region Wilhelmshaven/Friesland hängt jeder vierte Arbeitsplatz außerdem von der Bundeswehr ab. Durch die jetzt erfreulicherweise mögliche Truppenreduzierung müssen wir davon ausgehen, daß — allerdings erst nach 1994 — dort rund 3 000 Soldaten und ca. 1 500 Zivilbeschäftigte aufhören müssen. Damit droht in unserer Region eine Arbeitslosigkeit von über 25 %. Deshalb ist es gut und notwendig, daß wir hier heute im Bundestag die Situation in der Region Friesland/Wilhelmshaven diskutieren, denn der Bund und die Bundesregierung haben den Verfassungsauftrag, für gleichwertige Lebensbedingungen in der gesamten Republik zu sorgen.
Dieses sage ich hier nicht nur als der zuständige Bundestagsabgeordnete. Auch als stellvertretender Landrat im Landkreis Friesland möchte ich dies für uns einfordern.
Zu allererst fordere ich allerdings das Unternehmen AEG/Daimler-Benz auf, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen, sondern seine soziale und regionale unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen — Art. 14 GG: Eigentum verpflichtet. Durch die jetzige Unternehmensentscheidung ist das Vertrauen in den AEG/Daimler-Benz-Konzern zerstört, zumal frühere Unternehmensverantwortliche immer wieder eine Standortgarantie für Wilhelmshaven abgegeben haben.
Was können wir tun? Friesland/Wilhelmshaven muß aus den Negativschlagzeilen heraus, denn unsere Region bietet gute und viele Chancen, die nur genutzt werden müssen. Da sind zunächst gut ausgebildete, fleißige und hochmotivierte Menschen, das ist der einzige deutsche Tiefwasserhafen, das ist die intakte Natur und Umwelt. Um diese Chancen zu nutzen fordere ich die Bundesregierung auf, durch eine kurzfristige Verbesserung der Investitionschancen neue und not-
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Günther Bredehorn
wendige Impulse für die Region Friesland/Wilhelmshaven zu geben. Dazu gehört die Einstufung der Region als Sondergebiet der Regionalförderung mit f olgenden Maßnahmen:
Erstens. Befristete Erhöhung der Investitionförderung auf das in den neuen Bundesländern geltende Niveau. Dieses ist für einen befristeten Zeitraum durchaus gerechtfertigt, denn die Arbeitslosigkeit ist bei uns höher als in den meisten Regionen in den neuen Bundesländern.
Zweitens. Aus dem angekündigten Konversions-programm für von der Bundeswehrreduzierung besonders betroffene Standorte sollten gezielt und vorab Mittel in Wilhelmshaven eingesetzt werden.
Drittens. Unverzügliche Inangriffnahme der Elektrifizierung und des Ausbaus der Bundesbahnstrecke Oldenburg—Wilhelmshaven. Hier bitte ich die Kollegen aller Fraktionen bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes, diesen Maßnahmen die höchste Priorität zu geben. Auch die niedersächsische Landesregierung ist hier in die Pflicht zu nehmen und muß beim Ausbau dieser Strecke ihren finanziellen Anteil leisten.
Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann kennt die Probleme unserer Region. Auf meine Bitte hin war er sofort bereit, eine Regionalkonferenz durchzuführen. Dafür meinen herzlichen Dank. Bundesminister Möllemann wird dabei mit den Beamten seines Hauses, den Vertretern der EG, der Wirtschaft und den politisch Verantwortlichen der Region sowie Landesminister teilnehmen, um ein Aktionsprogramm festzulegen und umzusetzen. Friesland/Wilhelmshaven darf keine Region der Hoffnungslosigkeit werden. Friesland/Wilhelmshaven ist eine Region mit Zukunft.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schließung des Olympia-Werkes in Wilhelmshaven ist ein klassisches Beispiel kapitalistischer Unternehmenspolitik. Daimler-Benz, der größte deutsche Konzern mit mehr als 280 000 Beschäftigten weltweit und alleine in diesem Jahr mit einem Jahresüberschuß von 1,6 Milliarden DM, schließt eines seiner zahlreichen Werke. 2 700 Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenquote in Wilhelmshaven steigt von 14 auf nahezu 30 % . Das lokale Handwerk und Dienstleistungsgewerbe sehen erhebliche Umsatzeinbußen auf sich zukommen mit der Folge weiterer Arbeitsplatzverluste.
Eine Stadt, eine Region wird buchstäblich durch eine Entscheidung am grünen Tisch der Konzernzentrale in Stuttgart in eine perspektivlose Depressionszone verwandelt. Eine Mitbestimmung des Betriebsrates gibt es hier nicht. Er kann lediglich die sozialen Folgen abmildern. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 hat im Aufsichtsrat der Daimler-Benz AG der Kapitalseite wirklich hieb- und stichfest die Mehrheit gegeben. Die Vorschläge der IG Metall und auch die vom Betriebsrat und den Vertrauensleuten erarbeiteten Vorschläge für alternative Produktion in diesem Olympia-Werk verhallen auch deshalb ungehört.
Trotz Mitbestimmung, trotz Betriebsverfassungsgesetz, trotz Mitbestimmungsgesetz 1976: Die Beschäftigten und ihre demokratisch legitimierte Interessenvertretung, die Gewerkschaften, haben nicht die notwendigen Druckmittel. Ich denke, die Gewerkschaften und die Betriebsräte sind in einem Maße demokratisch legitimiert, wie es vielleicht noch nicht einmal unsere Parteien sind. Immerhin erhalten die Gewerkschaften des DGB bei den alle vier Jahre stattfindenden Betriebsratswahlen 70 bis 80 % der Sitze. Immerhin ist ein Organisationsgrad von 35 % eine Größenordnung, von der die Parteien nur träumen können.
In Übereinstimmung mit der Belegschaft, mit dem Betriebsrat und der IG Metall fordern wir deshalb aber auch für das Olympia-Werk in Wilhelmshaven: Der Daimler-Benz-Konzern muß das Konzept der IG Metall und der Betriebsräte, das Produktionsalternativen für dieses Werk vorsieht, aufgreifen und im Rahmen seiner mittelfristigen Unternehmensplanung realisieren.
Die Interessen der Menschen in der Region müssen dem restlosen Auspressen der Profitzitrone, wie es der Daimler-Benz-Konzern in Wilhelmshaven praktiziert, vorangehen.
Es gehört auch zu den Menschenrechten, durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt sichern zu können.
Die Mittel für die Produktionsumstellung können vom Daimler-Benz-Konzern, der in vagabundierendem Kapital nur so schwimmt, buchstäblich aus der Portokasse aufgebracht werden. Der moderne hochentwickelte industrielle Kapitalismus dieses neuen Deutschlands wird uns noch zahlreiche ähnliche Fälle präsentieren. In diesen Fällen müssen die betroffenen Kolleginnen und Kollegen sich — um Bertolt Brecht zu zitieren — in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen können. Es darf nicht in Konzern- und Unternehmenszentralen über ihre Köpfe hinweg über sie, über ihre Arbeitsplätze, ihre Lebensgrundlage entschieden werden.
Deshalb fordern wir — wir werden dazu auch konkrete Vorstellungen vorlegen — : Die Demokratie darf nicht länger, wie im Falle des Olympia-Werks in Wilhelmshaven, an den Werkstoren und vor Konzernzentralen enden. Die Menschen in den Betrieben haben das Recht — auch das ist nach unserer Auffassung ein Menschenrecht — auf wirklich umfassende Mitbestimmung, auf soziale Mitbestimmung, auf technologische Mitbestimmung, auf ökologische Mitbestimmung und vor allem — als Grundlage — auf wirtschaftliche Mitbestimmung.
Wenn wir auch diese Lehre aus dem Fall der geplanten Schließung des Olympia-Werks in Wilhelms-
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Dr. Ulrich Briefs
haven ziehen, dann ist dieses kapitalistische Lehrstück nicht vergebens gewesen.
Wir solidarisieren uns deshalb voll und ganz mit dem Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter in Wilhelmshaven um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Henn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Friesland steht exemplarisch für die Regionen, deren Strukturschwäche seit über einem Jahrzehnt in der Alt-BRD trotz klassischer regionaler Wirtschaftsförderungskonzepte nicht behoben werden konnte. Dies läßt etwas über die Zukunft der neuen Bundesländer erahnen.
Es gibt andererseits wohl kaum eine vergleichbare Region, wo die Chancen und Handlungsmöglichkeiten für beschäftigungssichernde Aktivitäten so offensichtlich auf der Hand liegen.
Im Bereich der Bundesmarine hat es die Bundesregierung selbst in der Hand, dem notwendigen Abbau der Streitkräfte auch wirkliche Einsparungen im Rüstungshaushalt folgen zu lassen, anstatt unsinnige Rüstungsprojekte weiter zu verfolgen und dort das Geld zu verpulvern, statt damit die Umstrukturierung der jeweiligen Wirtschaftsräume zu finanzieren.
Nun fließt sinnigerweise der Profit für die Entwicklung und später dann auch für die Produktion des Jäger 90 ausgerechnet jenem Konzern zu, der in Wilhelmshaven die Tore dichtmachen will. Diese Tatsache schreit geradezu nach politischer Einflußnahme, so wie es der Daimler-Benz-Konzern auch nicht unterläßt, die Bundesregierung zu mahnen, dieses Projekt weiter zu verfolgen. Wir sehen ja nur den öffentlichen Druck.
Die AEG Olympia befindet sich nunmehr seit Jahren unter dem Dach dieses Konzerns, der finanzstark ist und an vielen Produktionsstandorten in der Bundesrepublik in den letzten Jahren die Produktion nur mit Überstunden und Sonderschichten bewältigen konnte. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich in den immer noch ausgelasteten Standorten Baden-Württembergs nicht die eine oder andere Produktlinie finden würde, die im Rahmen eines sozial abgefederten Umstrukturierungskonzepts — ohne dem Süden der Republik weh zu tun — Arbeit an die Küste bringen könnte.
Aber in diesem Fall Daimler-Benz zeigt sich noch ein Weiteres: Die Arbeitnehmer, die Kolleginnen und Kollegen im Olympia-Werk, haben, weil ihnen die Situation auf dem Schreibmaschinensektor klar war, seit geraumer Zeit selbst Vorschläge und Konzepte für neue Fertigungen entwickelt und auf den Tisch gelegt. Ganz unabhängig davon, wie die betriebswirtschaftlichen Kenndaten dafür sind und welche Profitmöglichkeiten dabei herausgesprungen wären:
Schlimm ist, daß der Daimler-Benz-Konzern mit seinen riesigen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in all den Jahren, in denen das Büromaschinen-Problem auf dem Tisch lag, selbst nichts dazu beigetragen hat, Alternativen für die Standortsicherung in Wilhelmshaven zu entwickeln.
Frau Kollegin Bulmahn hat vor einigen Monaten offengelegt, daß der Daimler-Benz-Konzern seit 1983 mehr als 4 Milliarden DM an Forschungsmitteln aus dem Bundeshaushalt herausgezogen hat. Diese Tatsache macht den Vorgang in Wilhelmshaven noch mehr zu einem Skandal der Daimler-Benz AG.
Volkswagen konnte sich Mitte der 70er Jahre nicht erlauben, sich aus dem ebenso strukturschwachen ostfriesischen Raum zurückzuziehen und den Standort Emden aufzugeben. Da haben die politischen Stimmen auf der Anteilseignerbank im Aufsichtsrat eine Rolle gespielt.
Bei Daimler-Benz ist der Bund einer der größten Auftrag- und Subventionsgeber. Ich fordere die Bundesregierung daher auf: Machen Sie Ihren Einfluß auf den Konzern geltend, damit der Standort Wilhelmshaven erhalten bleibt.
Herr Kollege Dr. Uwe Jens, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist gut, daß wir über dieses Thema hier debattieren.
Wir reden in der letzten Zeit — ich glaube, Reden und Handeln klaffen hier ein bißchen auseinander — wirklich viel, verstärkt über die Probleme der neuen Bundesländer. Aber wir übersehen, daß es auch Probleme in Nord- und in Westdeutschland gibt, gravierende Probleme; diese können wir nicht einfach unter den Teppich kehren. Auch um diese Probleme — wie heute um das Problem Wilhelmshafen/Friesland — haben wir uns zu kümmern. Insofern begrüße ich diese Aktuelle Stunde außerordentlich.
Meine Damen und Herren, so eine Stadt wie Wilhelmshaven — ich komme nicht daher, habe nichts damit zu tun — und so eine Region wie Friesland sind ja in einer verhängnisvollen Situation, in einem, wie ich immer sage, verhängnisvollen Circulus vitiosus: hohe Arbeitslosigkeit, viele Ausgaben für Sozialhilfe, hohe Verschuldung, kein Geld für Infrastrukturmaßnahmen und damit auch kein Geld zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen aus der Region heraus. Mir wäre es am liebsten, wenn die Arbeitsplätze dort mit eigenen Mitteln geschaffen werden könnten. Aber sie können es nicht, weil sie überfordert sind.
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Dr. Uwe Jens
Hier muß eben die höhere Ebene, das Land oder der Bund, helfen.
Meine Damen und Herren, ein Großkonzern wie Daimler-Benz — ich verlange sonst von kleinen und mittleren Unternehmen wirklich nicht zuviel — , der größte Konzern der Bundesrepublik Deutschland, hat eine gesamtwirtschaftliche Verantwortung, ob er das wahrhaben will oder nicht. Er muß in solchen Fällen auch Regionalprobleme aufgreifen und sie einer Lösung näherbringen.
Vor etwa zwei Jahren, im September 1989 — Herr Wissmann, Sie waren ja immer dafür — , haben wir hier, was marktwirtschaftliche Politik angeht, den größten Fehler gemacht, der in der Bundesrepublik jemals gemacht worden ist. Wir haben dem DaimlerBenz-Konzern die Fusion mit MBB genehmigt. Das war eine eklatante Sünde gegen die Marktwirtschaft; das werden wir niemals vergessen.
Aber damals hieß es — der frühere Wirtschaftsminister Haussmann hat das schriftlich festgelegt —, die volkswirtschaftlichen Vorteile dieser Fusion seien größer als ihre wettbewerblichen Nachteile.
Wie sieht es denn mit den volkswirtschaftlichen Vorteilen aus, wo sind sie denn? — Sie schlagen sich darin nieder, daß Daimler-Benz die Olympia-Werke in Wilhelmshaven jetzt dichtmachen will. Das können wir nicht akzeptieren. Hier muß man Daimler-Benz immer wieder kritisieren.
Mein Freund Herbert Ehrenberg, ehemaliger Minister, hat an Edzard Reuter geschrieben und darum gebeten — ja, er hat ihn gewissermaßen angefleht —, am 9. Dezember dieses Jahres, am Montag nächster Woche, im Aufsichtsrat, dem er vorsitzt, dafür zu sorgen, daß für die AEG-Olympia-Werke in Wilhelmshaven noch etwas getan wird. Und wie lautet die Antwort von Edzard Reuter? Er sagt: Einen Kuchen kann man natürlich nur einmal aufessen. — Das ist sicherlich richtig. Das ist eine Binsenwahrheit. Das braucht er nicht zu schreiben; das weiß jeder. Aber daß Daimler-Benz eine Verpflichtung hat, verschweigt er geflissentlich. Er weist darauf hin, daß ein hoher Anteil der Produktion seitens der Industrie ins Ausland geht. Das ist richtig, wenigstens zum Teil.
Es geht aber bei weitem nicht die gesamte Produktion ins Ausland. In Wilhelmshaven haben wir hochqualifizierte Arbeitskräfte; sie könnten — davon bin ich überzeugt — bei richtigem Einsatz wesentlich besser, wesentlich effektiver und wesentlich produktiver arbeiten als manche Ausländer irgendwo in Südostasien.
Deshalb glaube ich, daß die Verpflichtung besteht, etwas zu tun. Die Bundesregierung muß gegen SozialDumping — was auch immer da stattfindet — und gegen Umwelt-Dumping — was es auch gibt — verstärkt vorgehen.
Ich fordere Edzard Reuter noch einmal auf, dies alles zu überdenken und für diese Region etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die deutsche Wirtschaft im ganzen diese Region nicht vernachlässigen darf. Die Stadt Wilhelmshaven ist als wirtschaftlicher Standort durchaus attraktiv. Sie hat einen hervorragend ausgebauten und für seegängige Schiffe verfügbaren Hafen; es gibt dort arbeitswillige und qualifizierte Arbeitnehmer; die Infrastruktur im Verkehrsbereich ist gut bis sehr gut ausgebaut.
Wir fordern auch von Wirtschaftsminister Möllemann, daß er sich mit der Konzernleitung, mit Herrn Reuter in Verbindung setzt, um die Weichen neu zu stellen. Sie müssen sich, glaube ich, an einen Tisch setzen und etwas für diese Region — Wilhelmshaven und Friesland — tun.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Timm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! 14 % Arbeitslosigkeit, Reduzierung der Arbeitsplätze bei Melitta von 700 auf 400, Truppenkonversion mit einer Reduzierung von 3 000 Soldaten und 1 500 Zivilbeschäftigten, zum Ende des Jahres 1992 die Schließung der Olympia-Werke mit 2 700 Arbeitsplätzen: Das ist zuviel für eine Region, das kann sie nicht verkraften.
Sie wird dann möglicherweise eine Arbeitslosigkeit von 28 % oder mehr erreichen. Friesland und Wilhelmshaven müssen uns mehr wert sein als eine solche Entwicklung.
Es gibt dort den Tiefwasserhafen Wilhelmshaven, die attraktive Küstenlandschaft für die Nah- und Langzeiterholung, und dort weht ein ständiger Wind, den man gut für energetische Ausnutzung heranziehen kann.
— Der Wind macht uns einen klaren Kopf.
Allerdings fehlt immer noch die Infrastruktur, die die Region erschließen könnte. Ich denke z. B. an die Verbindung über Oldenburg, Bremen an den Raum Mecklenburg und die Ostsee oder auch an Brandenburg bzw. Berlin, die in der Vergangenheit einmal eine wichtige Rolle gespielt hat.
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Jürgen Timm
Hier müssen wir die Hebel ansetzen. Das betrifft ganz besonders den Ausbau der Bundesbahn, der in all den Jahren vernachlässigt worden ist.
Ich will nur zwei Stichworte nennen: Elektrifizierung und Eingleisigkeit.
Wir müssen aber auch im Straßenbau den Hebel ansetzen, der sehr stark vernachlässigt worden ist. Ich möchte nur an die leidige Diskussion um einen Wesertunnel und an die hier schon zitierte Küstenautobahn erinnern. Angesichts der Zielvorstellungen der Landesregierung von Niedersachsen für diesen Bereich glaube ich nicht, daß man bezüglich dieser Infrastrukturmaßnahmen sehr optimistisch sein darf.
Besonders bedrückend ist, daß der Weltkonzern Daimler-Benz — wenn der Bestand der Olympia-Werke aus konzernpolitischen Gründen nicht mehr möglich ist — kein größeres Engagement in anderen Technologiebereichen zeigt. Sonst ist man doch auch nicht gerade pingelig, wenn es darum geht, die Hand aufzuhalten, um staatliche Mittel oder Subventionen zu erhalten. In diesem Bereich müssen wir von Daimler-Benz mehr einfordern. Vor allem brauchen wir die nötige Zeit, bis die staatliche Regionalförderung überhaupt greifen kann.
Herr Kollege Jens, Sie haben vorhin angesprochen, daß wir damals bei der Fusion einen großen Fehler gemacht haben. Es könnte aber doch auch so gewesen sein, daß AEG mit den Olympia-Werken schon vorher in diese Situation geraten wäre. Herrn Reuter wollten doch ausgerechnet Sie zum Wirtschaftsminister machen und nicht wir.
Daß die Bundeswehr personell und sachlich reduziert werden muß, ist schon angesprochen worden; diese Verpflichtung müssen wir einlösen. Sie bringt für Wilhelmshaven und Friesland natürlich große Probleme mit sich. Hier muß die Regionalpolitik ausgleichend eingreifen, auch im Hinblick auf ein Europa ab 1993. Ich nenne insbesondere die Region Bremen, die ebenfalls eine Rolle spielt; denn Bremen ist so etwas wie ein Brückenkopf zum alten Hinterland. In Bremen muß auch etwas zur Lösung der Probleme aus dem politischen Raum beigetragen werden; denn jetzt, nach der Wiedervereinigung, können die Entwicklungen in Richtung auf das alte Hinterland wieder aufgegriffen werden.
Neben den bereits hier gemachten Vorschlägen ist es deswegen erforderlich, daß eine konzertierte Aktion unter Einbeziehung des verantwortlichen Landes Niedersachsen und des mitverantwortlichen Landes Bremen, der kommunalen Gebietskörperschaften und des Bundes zusammentritt, um dem Wirtschaftsraum Friesland und Wilhelmshaven und darüber hinaus eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, die möglichst kurzfristig greift.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Ernst Schwanhold, Sie haben das Wort.
— Verzeihung, das lag an dem Vornamen Ernst. Vorhin war es der Anfangsbuchstabe „B". Jetzt ist es der Vorname Ernst. Entschuldigung, Herr Abgeordneter Hinsken, Sie haben das Wort.
— Das macht die Gegenwart des Kollegen Roth. Bitte, Herr Kollege Hinsken.
Auf diese Art und Weise habe ich mitbekommen, daß es mehrere Kollegen gibt, die den gleichen Vornamen tragen wie ich.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vor zwei Stunden von einem Journalisten aus dem Norden der Republik angerufen und gefragt wurde, warum ich denn als CSU-Mann zu diesem Thema spreche, versuchte ich ihm klarzumachen, daß Themen der regionalen Strukturpolitik nicht nur einen gewissen Bereich betreffen, sondern uns bundesweit interessieren und die CSU nicht durch Abwesenheit glänzen will,
sondern bereit ist, auch Flagge zu zeigen und ihre Meinung klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Unser Verhalten steht somit im Gegensatz zu der Niedersächsischen Landesregierung, die diesem Problem scheinbar sowenig Bedeutung beimißt, daß sie heute durch totale Abwesenheit glänzt. Es ist weder der Ministerpräsident da,
noch ist der Wirtschaftsminister da. Ich weiß nicht: Mißt man diesem Problem nicht die Bedeutung zu, die ihm beigemessen werden müßte?
Insofern sehe ich mich als CSU-Mandatsträger dem friesischen Bereich um Wilhelmshaven mehr verbunden als die SPD-Regierung, die in Hannover residiert.
Meine Damen und Herren, es ist ein unglückliches Zusammentreffen von mehreren Komponenten, das uns dazu geführt hat, daß wir heute über dieses Problem debattieren. Was Betriebsschließungen anbelangt und was Arbeitsplatzverluste betrifft, so weiß ich zur Genüge Bescheid, weil ich aus einem struktur-
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Ernst Hinsken
schwachen Bereich komme und mit gleichen Problemen zu kämpfen hatte. Aber Strukturkrisen müssen vor allem von den Ländern aufgearbeitet werden. Ich meine: Hier hat das Land Niedersachsen einfach versagt.
Hier war man nicht bereit, alles aufzunehmen, was an Angeboten gekommen ist.
Hier hat man bisher beseite geschoben, daß diese Firma in Wilhelmshaven täglich Verluste in Höhe von 500 000 DM macht.
Hier ist man nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß — laut Ausführungen, die mir gegenüber gemacht worden sind — allein in den letzten 5 Jahren 1 Milliarde DM zugebuttert werden mußte. Wer, meine Damen und Herren, kann sich das auf Dauer leisten?
Ich meine, daß sich gerade in dieser Debatte und in dieser Situation zeigen muß, ob ein Land in der Lage ist, strukturelle Entwicklungen zu leiten und zu steuern sowie Krisensituationen zu bewältigen, oder ob es dazu nicht in der Lage ist.
Eine kluge, vorausschauende Politik muß solche Probleme bewältigen. Es geht nicht an, nach Bonn zu fahren und die Hand aufzuhalten, um dann wieder nach Hause zu fahren und die gleiche falsche Politik wie in der Vergangenheit weiter zu betreiben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zwei grundsätzliche Fragen ansprechen. Ich meine: Wir können uns z. B. Rheinhausen oder die Kohlepolitik nicht zum Vorbild nehmen, weil es nicht immer möglich ist, daß z. B.
— wie in Rheinhausen passiert — der Bund 350 Millionen DM zuschießt. Es geht auch nicht an, daß wir auf Dauer feststellen müssen, daß der Bund in der Kohlepolitik pro beschäftigten Arbeitnehmer 76 000 DM jährlich hinzugibt.
— Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Kollege Wissmann. Das gilt selbstverständlich nur in Westdeutschland.
Ich bedauere sehr, daß hier nichts Handgreifliches kommt, was man benötigte, um die Probleme in der Zukunft bewältigen zu können. Wir können es uns einfach nicht leisten, daß der Bund für die Umstrukturierung in den Ländern bluten muß.
Niedersachsen — das möchte ich ausdrücklich sagen — ist mit einem klaren zielführenden Konzept gefordert. Der Bund kann diese Strukturpolitik nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen.
Ein Letztes, meine Damen und Herren. Wenn ich hier von grundsätzlichen Fragen spreche, so meine ich auch darauf verweisen zu müssen, daß es uns insgesamt gesehen doch darum gehen muß, den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland weiterhin attraktiv zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Es grenzt, meine Damen und Herren von der Opposition, in gewisser Hinsicht schon an Heuchelei, hierherzugehen, zu lamentieren, zu jammern, aber nicht bereit zu sein, grundsätzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich unsere Wirtschaft auch in einem freien gemeinsamen Europa mit weltweiter Konkurrenz in Zukunft behaupten kann.
Es geht nicht an, daß Sie hier gegen die Unternehmensteuerreform wettern.
Es geht nicht an, daß Sie kein Verständnis dafür haben, wenn wir darauf hinweisen, daß die Lohnnebenkosten ins Unermeßliche gehen — von 100 % Lohnkosten sind 45 Prozentpunkte Lohnnebenkosten. Das ist dem Industriestandort Bundesrepublik Deutschland, auch in Friesland befindlich, nicht dienlich. Wir sind gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Herausforderungen zu bewältigen.
Ein letzter Satz: Ich setze auf die Bundesregierung. Dabei gehe ich davon aus, daß sie bereit ist, weitere Verhandlungen zu führen. Ich hoffe aber auch, daß das Land Niedersachsen bereit ist, seinen Beitrag zu leisten, und daß ihr Parteikollege Edzard Reuter auch das notwendige Verständnis zeigt, um einen gewissen Umstrukturierungsprozeß herbeizuführen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Auch mit der Einleitung „letzter Satz" kann man nicht eine Minute überziehen. Das wollte ich nur einmal schnell sagen.
Bitte, Herr Kollege Schwanhold, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich sind die Bezuschussungen und Unterstützungen des Bundes für bayerische Unternehmen gut, wenn es z. B. um den Airbus geht. Ich kenne Herrn Hinsken, der als erster bei Stützungsmaßnahmen des Bundes schreien würde: gut! Wenn aber eine Region im Norden, also nicht in Bayern, in die Bredouille geraten ist, dann ist dies das Verschulden der Landesregierung, und die Landesregierung kann dies alleine ausbaden.
Herr Hinsken, ich sage Ihnen: Dieses ist Regionalpolitik, die nur auf Bayern abzielt — Bayern hat das ja
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Ernst Schwanhold
in der Vergangenheit mit großem Erfolg gemacht — und alle anderen Regionen außer acht läßt. Dieses ist zudem — das sage ich Ihnen angesichts der Arbeitslosenzahlen, die dort drohen, ganz deutlich — menschenverachtend.
Die schwierige Situation bei Olympia gibt es seit mindestens fünf Jahren.
— deshalb ist die Fusion erst zustande gekommen —, nicht erst seit anderthalb Jahren, seitdem Ministerpräsident Schröder im Amt ist.
— Seit zehn Jahren. Ich sagte: seit mindestens fünf Jahren.
Ihre Kritik wäre ein gutes Stück glaubwürdiger gewesen, wenn Sie die frühere Niedersächsische Landesregierung, die von Ministerpräsident Albrecht geführt worden ist, auch in die Verantwortung einbezogen hätten und nicht auf die letzten anderthalb Jahre verwiesen hätten.
Ich sage Ihnen gleich etwas dazu, was jetzt geschieht, wie sich die Niedersächsische Landesregierung bemüht.
Ich will überhaupt nicht leugnen, daß es eine Konzernverantwortung gibt. Ich habe mich ausdrücklich über die große Nähe zu den Rednern der FDP gefreut. Offensichtlich ist, anders als in öffentlichen Verlautbarungen, die man sonst hört, Industriepolitik doch nicht ganz außerhalb jeglicher Überlegung. In dieser Region wäre sie auch außerordentlich notwendig.
Die Niedersächsische Landesregierung hat mit vier Maßnahmen, die sie auch dotiert, versucht, Auffangsituationen zu schaffen.
Erstens. Sie hat ihre Bereitschaft angekündigt, die Elektrifizierung der Strecke von Wilhelmshaven nach Oldenburg und darüber hinaus nach Osnabrück
— dies ist übrigens notwendig, um die schnelle Anbindung an das Ruhrgebiet zu schaffen — zu dotieren und zu unterstützen. Der Bund selbst muß nun mit seinem Verkehrswegeplan möglichst schnell dafür sorgen, daß dieses auch durchgeführt wird.
Zweitens. Die Niedersächsische Landesregierung weist in den Jahren 1991 bis 1993 über die bisherige Förderung Wilhelmshavens hinaus 5 Millionen DM pro Jahr für ein Sonderprogramm aus. Dieses ist zugegeben nicht viel, aber ein Ansatz. Optionen, dieses zu erhöhen, sind vom niedersächsischen Verkehrs-und Wirtschaftsminister eröffnet worden.
Drittens. Der Ausbau der Fachhochschule und die Versuche, in diesem Bereich mit Meeresforschung und Meerestechnik Wilhelmshaven als einen Wissenschaftsstandort auszubauen und neue Ansiedlungen vorzunehmen, werden von seiten der Niedersächsischen Landesregierung beschleunigt.
— Dies ist eben nicht korrekt. Es ist ausdrücklich vom Wirtschaftsminister Fischer und vom Kabinett so vorgesehen.
Diese Maßnahmen sind ein Weg, mit dem man die Probleme zwar nicht lösen kann, aber einer Lösung näherkommen kann. Der Bund wäre gut beraten, wenn er ein Konversions-Vorabprogramm für die Region Wilhelmshaven und, ich gebe zu, auch für andere Regionen im Westen initiieren würde, um sofort und beschleunigt zu helfen, damit die 2 700 Menschen nicht ins Uferlose fallen, sondern Hoffnung haben.
Wenn es diese Hoffnung nicht gibt, gehen die jungen, gut ausgebildeten Menschen aus dieser Region weg, und es gibt keine Chance für die Region. Deshalb muß der Bund das flankierend begleiten.
Ich beklage genauso wie Sie, daß Daimler-Benz und AEG die Konzernverantwortung nicht wahrnehmen. Wenn man Fast-Monopolist in einer Region ist, hat man eine ganz besondere regionale und strukturpolitische Verantwortung.
Aber es ist zudem ein Problem, wenn der Bund sich aus seiner Verantwortung langsam hinausschleicht und durch den Abbau von 3 000 Arbeitsplätzen im Bereich der Marine für eine Verschärfung der Situation sorgt und nicht bereit ist, schnell zu helfen.
Der Abgeordnete Thomas Kossendey hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist gut, daß wir heute in dieser Aktuellen Stunde über Wilhelmshaven und Friesland sprechen und parteiübergreifend versuchen, Konzepte zu erarbeiten. Ich finde es auch gut, daß deutlich wird, daß dieses Thema nicht mit dem Stichwort Wilhelmshaven allein zu behandeln ist, sondern daß darum herum der Landkreis Friesland zu berücksichtigen ist. Das Umland ist in diesem Fall genauso wichtig wie die Stadt, die immer wieder zitiert wird.
In Zetel, in Varel, in Bockhorn, in Hohenkirchen, in Jever, in Wittmund — überall da wohnen Eltern, deren Kinder bei der Bundeswehr arbeiten, überall da wohnen Väter und Mütter, die bei Olympia ihren Arbeitsplatz haben und die glaubten, dort einen sicheren Arbeitsplatz gefunden zu haben.
Ich glaube, es ist auch ganz wichtig, daran zu erinnern, daß wir — das ist nicht häufig in unseren politischen Diskussionen so — hier eine übereinstimmende Aktion aller Landtagsabgeordneten und aller Bundestagsabgeordneten der Region haben, die sich um die-
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Thomas Kossendey
ses Problem kümmern wollen. Wir sollten das in dieser Diskussion auch nicht zerreden.
Andererseits darf diese Diskussion aber auch nicht folgenlos bleiben. Wir sollten auch nach dieser Diskussion gemeinsam weiter arbeiten und wir sollten vor allem diejenigen, die die Krise mitverursacht haben — AEG, Olympia und den Bund —, in die Pflicht nehmen.
Ich will, weil ich im Verteidigungsausschuß mitarbeite, zu dem Bereich, der die Bundeswehr angeht, nur ein paar Stichworte aufgreifen. Es ist ja nicht so, als ob da in der Vergangenheit nichts geschehen sei. Wilhelmshaven wird größter Marinestandort bleiben. Das Marineamt wird von Wilhelmshaven nach Rostock verlegt. Dafür haben wir, Erich Maaß und ich, so lange gekämpft, daß wir schon fast ein schlechtes Gefühl gegenüber den Menschen in MecklenburgVorpommern haben, weil diese das Marineamt zwar bekommen, dies aber eigentlich eine Briefkastenfirma ist, denn der größte Teil der wichtigen Arbeitsplätze bleibt in Wilhelmshaven.
Beim Marinearsenal konnten wir durch lange Verhandlungen erreichen, daß der Abbau der Arbeitsplätze bis weit über 1996 hinausgezögert wird. Bis 1996 geht es um 7 oder 8 % — schlimm genug, aber allemal weniger als geplant — , die dort reduziert werden. Im Bereich der Soldaten selber haben wir die ursprünglich von Stoltenberg geplante Reduzierung um 250 Dienstposten etwas besser gestalten können.
Ich meine, wir müssen deutlich machen, daß die Friedensdividende, die wir alle schon bei Theo Waigel in der Kasse klingeln hören, nun nicht automatisch querbeet in der ganzen Republik verteilt werden darf, sondern daß sie in erster Linie zunächst einmal da eingesetzt wird, wo sie erbracht worden ist. Dann ist z. B. die Region Wilhelmshaven/Friesland zu nennen. Die Menschen haben durch ihr Arbeitsplatzrisiko in den Jahren vorher mit dazu beigetragen, daß wir eine Bundeswehr hatten, die unser Land gesichert hat. Wir können sie jetzt nicht ohne Gegenleistung dort sitzen lassen.
Das heißt, wir fordern aus diesen Geldern ein ganz konkretes Programm für Wilhelmshaven und für Friesland, ein Sonderprogramm, meinetwegen auch befristet. Darüber werden wir uns zu einigen haben. Das, was im Augenblick zwischen Bund und Ländern in der Diskussion ist, diese 1 Milliarde DM, die der Bund zu geben bereit ist, ist allemal zu wenig. Ich glaube, das ist von der Grundsumme zu wenig, und es ist auch, wenn man die geplante Art der Verteilung ansieht, für Wilhelmshaven und Friesland nicht das, was wir brauchen.
Neben dieser Frage des Geldes aus Bonn, das ergänzt werden muß durch das Geld aus Hannover, sollten wir allerdings eine wichtige Voraussetzung für die Verbesserung der Situation nicht aus dem Auge verlieren; das ist die Infrastruktur. Da muß ich den Kollegen Jens etwas verbessern. Ich bin nicht sicher, daß wir eine optimale Infrastruktur haben. Wenn ich allein an die Bundesbahn denke, die in dieser Region elektrifiziert werden muß, wenn ich daran denke, daß wir eigentlich die Situation haben, daß hinter Oldenburg bahnpolitisches Ödland beginnt, dann müssen wir da einiges nachbessern. Es kann nicht sein, daß der Intercity in Oldenburg stoppt, sondern er muß weitergeführt werden, Richtung Holland/Groningen, möglicherweise Richtung Wilhelmshaven. Es kann auch nicht sein, daß wir neue Interregio-Linien kriegen, diese aber unterwegs überhaupt keine Haltepunkte haben. Lassen Sie mich beispielsweise auf der Strecke von Oldenburg nach Wilhelmshaven die Haltepunkte Rastede, Varel, Sande nennen. In Richtung Ostfriesland brauchen wir in Augustin und Ocholt dringend die Haltepunkte. Wenn wir das nicht schaffen, koppelt uns die Bahn von einer Entwicklung ab, die uns eigentlich zum Besseren führen müßte.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Auch diese Diskussion trägt dazu bei, wie das Image dieser Region ist. Offen gesagt, man kann so eine Region auch totjammern. Um das noch einmal deutlich zu sagen: Kollektiv über den Zustand dieser Region in die Kissen zu schluchzen wird uns nicht helfen, wird aber unter Umständen andere abschrecken, dort etwas zu tun.
Wir müssen hier und heute allen, die investitionsfähig und investitionswillig sind, ein Signal setzen. Es lohnt sich, bei uns im Nordwesten zu investieren, es lohnt sich, Wilhelmshaven und Friesland zu berücksichtigen. Wir haben mittlerweile eine gute wissenschaftliche Infrastruktur. Wir haben fleißige, zupackende Menschen. Ich denke, sie sind vor allen Dingen mit ihrem Engagement gerade in den letzten Wochen so an die Öffentlichkeit getreten, daß sich jeder, der dort investieren will, darüber klar sein kann, daß daraus etwas werden kann. Zusätzlich brauchen wir Unterstützungsmaßnahmen aus Bonn und Hannover, und die fordern wir hier nachdrücklich ein.
Herr Abgeordneter Dietmar Schütz, Sie haben das Wort.
Meine Damen und Herren! Nachdem die Arbeitnehmer von Olympia sehr beeindruckend am Freitag demonstriert haben und, ich hoffe, auch am 9. noch einmal wieder den Olympia-Konzern unter Druck setzen werden, haben wir Sozialdemokraten für heute die Aktuelle Stunde beantragt, weil auch der Bundestag, meine ich, seine Verantwortung für den Erhalt und den Fortbestand der Wirtschaftskraft des Nordwestens zeigen muß. Nicht nur die Kohle- und Stahlstandorte an Rhein und Saar, nicht nur die Standorte im Osten unseres Landes, sondern auch die Region im Nordwesten muß mit schweren Struktureinbußen fertigwerden und bedarf unserer nachhaltigen Aufmerksamkeit.
Die Nordwestregion hat gleichwohl Startchancen am seetiefen Wasser und in einer europäisch weiter-
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Dietmar Schütz
gedachten Gesamtregion Nordsee mit einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft. Ich glaube, es ist richtig, was meine Vorredner gesagt haben: Wir wollen sie nicht totreden, sondern es sind große Entwicklungschancen da. Ich stimme da ausdrücklich zu.
Es gilt aber, das in den Köpfen der möglichen Investoren zu verankern, daß das auch so ist, daß nämlich ökonomische und investive Entscheidungen zu treffen sind, die diesen Raum berücksichtigen. Vor allen Dingen müssen wir dieses in den Köpfen von Daimler-Benz verankern, das sich anschickt, diese Region mit einer Produktionsstätte von 2 700 Arbeitnehmern zu verlassen. Matthias Kleinert, nicht Detlev Kleinert, sondern Matthias Kleinert,
der Konzernsprecher von Daimler-Benz, hat einmal gesagt: Die Politik bestimmt die Rhetorik, die Wirtschaft bestimmt die Realität. Die an vielen Stellen gegen die Politik getroffenen Konzernentscheidungen und der fehlende Wille, diese Entscheidung zu beeinflussen, scheinen die Aussagen Kleinerts zu bestätigen. Wir wollen sie beim Wort nehmen in der Frage, daß sie die Realität bestimmen können.
Wir haben in der Region nicht vergessen, daß der damalige Vorsitzende der AEG, Heinz Dürr, am 11. November 1988 den Mitarbeitern von Olympia eine Standortgarantie gegeben hat. Er hat damit eine regionale Wirtschaftsverantwortung des Unternehmens akzeptiert, die jetzt von uns auch eingefordert werden muß.
Ich bin nicht so vermessen, zu glauben, daß dies eine Garantie der jetzigen Produktion sein kann. Wir fordern, daß die gut ausgebildeten Facharbeiter im Konzernverbund eine Chance erhalten, etwa als Zuliefererbetrieb für die Airbus-Produktion in Varel oder durch Erweiterung des Airbus-Werkes in Varel selbst. Es kann nicht angehen, daß wir im Norden nur die Werkbank des Airbus-Konzerns sind und alle investiven Mittel zu ihnen ins Bayerische fließen. Wir müssen auch hier einen Ausgleich haben.
Das fordere ich auch bei der Bundesregierung ein, Herr Beckmann. Unsere Arbeitnehmer im Norden müssen eine Arbeitschance erhalten; nicht mehr und nicht weniger fordern wir.
Wenn ein Konzern in Deutschland eine derartige regionale Wirtschaftsverantwortung wahrnehmen kann und muß, dann ist es der Daimler-Benz-Konzern. Die bisher vom Daimler-Benz-Konzern dagegen geäußerte Haltung, er könnte keine zusätzlichen Produktionslinien in den Nordwesten bringen, weil er durch den Aufbau im Osten zu stark engagiert sei, mag bei Standortkonkurrenzen zwischen Ost und West gelten, wenn beide neue Standorte aufbauen. Wenn aber infolge von Betriebsschließungen in einer Region die Arbeitslosenziffern die 20%-Marke zu überspringen drohen und damit leider ebenso katastrophale Bedingungen wie im Osten eintreten würden, ist der Anspruch auf Kompensation durch andere
Produktionen mehr als gerechtfertigt. Der DaimlerBenz-Konzern muß sich bewegen.
Ich will jetzt noch einmal darauf eingehen, daß sich natürlich auch das Land Niedersachsen bewegen muß.
Sie haben sich bisher geäußert — ich will das ausdrücklich sagen — , daß die Elektrifizierung der Strecke kommen muß. Niedersachsen muß — ich sage das ausdrücklich — seinen Anteil dazugeben. Die Wirtschafts- und Finanzminister haben das gesagt. Wir wollen das einfordern. Wir müssen — das ist an die Bundesregierung gerichtet — das jetzt im Verkehrswegeplan durchsetzen. Hier muß sich die Bundesregierung stellen, und es muß sich das Land stellen. Wir müssen noch im nächsten Jahr eine klare Auskunft über die Elektrifizierung der Strecke Wilhelmshaven haben. Das ist das, was wir hier fordern.
Wir müssen vom Bund eine regionale Strukturförderung bekommen, die wir alle gemeinsam angefordert haben und die genau die gleiche Förderungspräferenz hat wie in den Ländern im Osten Deutschlands, weil nur so die Kompensation möglich ist und weil auch nur so der Vergleich stimmt, den ich angestellt habe, daß wir, wenn es bei uns wegbricht, die gleichen Bedingungen schaffen müssen wie im Osten.
Ich will ein Drittes sagen: Wirtschaftsförderung und Strukturförderung sind natürlich nur dann möglich — da stimme ich meinen Vorrednern zu — , wenn wir im Verbund fördern, also wenn wir Wissenschaftsförderung betreiben, wenn wir infrastrukturelle Förderung machen.
Das Land Niedersachsen hat — ich will das noch einmal sagen, Herr Hinsken — ganz aktuell eine Förderung im Bereich der Meeresforschung in Wilhelmshaven betrieben. Es hat eine Förderung im Bereich der Ingenieurwissenschaften zugesagt und hat dazu schon die erste Finanzierung gemacht. Das müssen wir ausbauen. Da müssen wir gemeinsam kämpfen, und da muß auch der Bund seine Unterstützung geben.
Herr Kollege, jetzt geht nichts mehr. Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.
Nur noch ein letzter Satz, Herr Präsident: Münchhausen konnte sich zwar am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Das kann die Region Friesland/Wilhelmshaven nicht. Aber sie strampelt schon so kräftig, daß wir es, wenn wir sie unterstützen, schaffen, daß diese Region wieder hochkommt. Die Voraussetzungen dafür sind da. Wir sollten dafür alle kämpfen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1991 5355
Ich hoffe, daß die Liste jetzt stimmt, wenn ich den Kollegen Wolfgang Börnsen zum zweitenmal aufrufe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Landkreise wie Friesland am Rande der Republik mit permanenter Strukturschwäche gehören zu den Arme-SchluckerRegionen unseres Landes. Das ist keine glückliche, aber zutreffende Bezeichnung.
Sorgenregionen wie Wilhelmshaven/Friesland gibt es im alten wie im neuen Teil unseres Landes. Sie sind durch ihre geographische Lage, Verkehrsferne, wirtschaftliche Monostruktur und einen hohen Agraranteil gekennzeichnet. Die Folge sind höhere Arbeitslosigkeit als in anderen Gebieten, geringere wirtschaftliche Leistung und ein niedrigeres Einkommen für die Menschen. Sie sind ständig abwanderungsgefährdet. Vor allem junge Leute gehen; von ungefähr drei Abiturienten kommen zwei nie wieder zurück in ihre Heimat. Das darf nicht so bleiben.
Da Regionalpolitik nach unserer Verfassung in erster Linie eine Länderaufgabe ist, bleibt festzustellen: Die Länder haben hier einen deutlichen Nachholbedarf. Das gilt aber auch für den Bund.
Mit der beschlossenen Reduzierung der Stärke der Bundeswehr und dem Abzug befreundeter Streitkräfte, die fast zur Hälfte Gebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" betreffen, wird die Strukturschwäche in diesen Sorgenregionen noch besonders verstärkt. Diese Regionen verlieren in den nächsten Jahren etwa 60 000 Arbeitsplätze. Keine verfügt über wirkliche Alternativen.
Diese Ausgangslage hat dazu geführt, daß sich vor einigen Monaten 16 Landräte aus dem westlichen Teil unseres Landes zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, um auf die besondere Notlage dieser Gebiete aufmerksam zu machen.
Vor einigen Wochen — vor dem „Olympia-Desaster" in Friesland — haben Abgeordnete aller Fraktionen diese Initiative der Landräte aufgegriffen und eine interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft gebildet, um den Husumer Ball aufzunehmen.
Wir fordern vom Bund und von den Ländern eine neue Wirtschafts- und Strukturpolitik, vor allen Dingen die Reform der bisherigen regionalen Wirtschaftspolitik. Die Regionalpolitik muß sich in Zukunft auf die wirklich dauerhaft schwachen Gebiete konzentrieren. Sie muß in diesen Gebieten eine hohe Förderung vorsehen, um diese Standorte attraktiv zu machen. Auch öffentliche Mittel aus anderen Bereichen, so z. B. beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, beim Besoldungsrecht, beim Straßenbau und beim ÖPNV, müssen unter regionalpolitischem Aspekt gebündelt werden. Es muß in Zukunft einen Bonus für Sorgenregionen geben, die sich am Rande unserer Republik befinden.
Wenn nicht umgehend gehandelt wird, wird die Kluft zwischen Wohlstands- und Sorgenregionen immer größer. Das bedeutet, daß die umweltbelasteten Ballungsräume wenig entlastet werden; die Fläche bleibt wenig attraktiv und wenig interessant.
Es gilt, Förderinstrumente für die peripheren Räume zu entwickeln. Der Bundesrat hat sich im vergangenen Jahr zu diesem Ziel bekannt. Der Bundestag sollte diesem Beispiel folgen.
Für Bonn, für die Hauptstadt a. D., ist es gelungen, ein Förderprogramm in Höhe von 130 Millionen DM zu erstellen, das jetzt anfinanziert wird. Das bedeutet: Wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. Keine der Sorgenregionen, die wir in unserem Land haben, hat trotzdem Standorttrümpfe, wie Bonn sie hat. Kreise wie Friesland gehören dazu. Sie haben zwar eine hohe Landschafts-, Natur- und Freizeitqualität, aber sie brauchen eine neue Standortattraktivität.
Das bedeutet, daß man mit einer neuen Struktur-und Wirtschaftspolitik dazu beitragen muß, in diesen Regionen besonders zu investieren, damit Menschen dort Arbeit finden und damit die Menschen dort in Zukunft bleiben können. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Mit der Verlegung von bundeseigenen Institutionen, von landeseigenen Behörden in diese Region kann man beginnen. Man kann beginnen, mit besseren steuerlichen Bedingungen zu arbeiten. Denn der verständliche Aufschrei der Menschen aus Friesland sollte uns eins zeigen: Hier ist ein Beispiel für viele, dem wir Rechnung tragen müssen. Dieser Aufschrei sollte den letzten Anstoß für ein Konzept für eine neue regionale Wirtschaftspolitik geben.
Abschließend: Es sollte uns doch zu denken geben, daß sich Kollegen aller Fraktionen gemeinsam als Interessenvertreter für Wilhelmshaven und Friesland fühlen. Es ist nicht nur hilfreich für die Friesländer, daß sie wissen, daß ihre Abgeordneten hinter ihren Sorgen stehen. Diese Gemeinsamkeit zeigt auch, daß es sich um ein existentielles Problem handelt, das so empfunden wird. Wenn wir jetzt nicht zügig handeln, wird es nicht nur ein Friesland in Deutschland, . . .
Herr Kollege Börnsen —
... sondern viele geben.
Danke, Herr Präsident.
In dieser Debatte beginnt jeder mit dem Schluß erst nach dem Schluß.
Bitte, Herr Kollege Maaß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jammern, klagen, Blick zurück helfen uns kein Stück weiter. Wir müssen den Blick nach vorne richten, und wir müssen überlegen, wie wir in der eingeschlagenen Richtung parteiübergreifend, gemeinsam weitermarschieren können. Denn die Problemlage in dieser Region ist gewaltig.
Es nutzt uns auch kein Stück, diese Probleme immer wieder in Moll und negativ öffentlich zu diskutieren; denn man kann eine Region kaputtmachen. Wir sind auf dem besten Wege dahin, dies zu tun. Das darf nicht passieren.
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Erich Maaß
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ein praktischer und pragmatischer Mensch. Deshalb bedanke ich mich an dieser Stelle bei den beiden Staatssekretären im Wirtschaftsministerium, bei Erich Riedl und Klaus Beckmann, und auch bei Wirtschaftsminister Möllemann.
Ich will mich mit Günther Bredehorn nicht über das Urheberrecht streiten. Aber ich glaube, wir haben den richtigen Weg eingeschlagen, daß wir eine Bündelung der Kräfte herbeiführen, indem wir nämlich eine Regionalkonferenz unter der Leitung des Wirtschaftsministers installieren, zu der wir einen EG-Kommissar, zwei Bundesminister, den zuständigen Wirtschaftsminister in Niedersachsen und Repräsentanten der Industrie hinzuziehen.
Hier muß das Aktionskonzept festgelegt werden. Hauptziel darin muß sein, daß wir als nächstes ein zeitlich befristetes Sonderprogramm für die Region Wilhelmshaven/Friesland bekommen. In diesem Sonderprogramm muß sichergestellt sein, daß wir gleiche Förderpräferenzen bekommen, wie wir sie für die neuen Bundesländer haben.
— Ach, liebe Gabriele Iwersen, nicht darüber reden! Taten entscheiden in dieser Frage.
Ich bitte, mich jetzt nicht wieder mißzuverstehen: Ich halte nichts von kleinkariertem parteipolitischem Hickhack in dieser Sache. Die Arbeitsplätze in Wilhelmshaven sind mir viel wichtiger und liegen mir viel mehr am Herzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiterer Schwachpunkt, den wir in diese Wochen ausgemerzt haben: Ich hatte das Gefühl, daß eine absolute Sprachlosigkeit zwischen dem Wirtschaftsministerium in Hannover und dem Bundeswirtschaftsministerium herrschte. Jetzt haben wir die Beamten endlich zusammengebracht, damit sie einmal miteinander diskutieren und versuchen, gemeinsame Konzepte zu entwickeln.
Ich halte es auch für wichtig, nicht immer darüber zu meckern, daß die Strukturhilfe ausläuft, sondern Konzepte zu entwickeln, wie wir die Strukturhilfe für diese Region in Überbrückungsmaßnahmen erhalten können. Das ist eine Möglichkeit, die uns in vielen Sachen weiterbringt.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Thomas Kossendey für die Unterstützung beim Bundeswehrstandort.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Offensive. Wir müssen positiv in die Zukunft denken, diese Region positiv verkaufen und die Chancen dieser Region sehen.
Wir sind der einzige Tiefwasserhafen der Bundesrepublik Deutschland. Lassen Sie uns unsere Kräfte hier bündeln! Hier gibt es eine große, große Möglichkeit. Deshalb dresche ich auch nicht auf den Daimler-Konzern oder auf AEG ein. Man kann über die Sünden der Vergangenheit streiten, wie man will; aber wir brauchen dieses Unternehmen in der Verantwortung, und zwar dafür, daß es seinen Beitrag auch künftig für die wirtschaftliche Entwicklung leistet.
Eines möchte ich hier ganz deutlich sagen: Bei einem SPD-Antrag hätte hier eigentlich jemand von der SPD-Landesregierung sitzen müssen. Das ist ein Manko.
Ich hoffe nicht, daß alle Aktionen, die wir jetzt in Gang gesetzt haben, mit einer entsprechenden Halbherzigkeit für die Zukunft weitergeführt werden.
Lassen Sie mich — ich habe nicht mehr viel Zeit —ein Märchen hier ausräumen.
— Nein, nein, Uwe Jens. So sieht das nicht aus.
Wir brauchen folgendes — Stichwort Elektrifizierung —: Ich glaube manchmal, ich bin im Urwald. Das tut mir furchtbar leid. Der Bundesminister und Herr Dürr erklären, daß das Land Niedersachsen endlich einen Antrag stellen soll, daß die Elektrifizierung durchgeführt wird, und daß es diesen Antrag im Bundesverkehrswegeplan einbringen und den gleichen finanziellen Beitrag leisten soll. Bislang sind nur Urlaubsadressen von den jeweiligen Ministern gekommen, die in der Region waren und gesagt haben: Wir werden uns irgendwann einmal beteiligen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eines sagen: Lassen Sie uns parteiübergreifend einen Beitrag dazu leisten, daß wir aus den Negativschlagzeilen herauskommen! Lassen Sie uns, bitte, diese in Gang gesetzte Aktion der Bundes-und Landtagsabgeordneten der Region Wilhelmshaven/Friesland auf dieses Parlament übertragen! Unterstützen Sie konstruktiv durch Ihre Beiträge das, was mit dem Wirtschaftsminister und mit der Bundesregierung in Vorbereitung ist!
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, unserem Kollegen Klaus Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bundesregierung ist bewußt, daß die Region Wilhelmshaven wie kaum eine andere in Westdeutschland mit schwerwiegenden Strukturproblemen belastet ist. Bei der Neuabgrenzung der Fördergebiete 1991 wurden die Kreise Friesland und Wilhelmshaven erneut in das
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Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann
Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe „ Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufgenommen. Wilhelmshaven und Varel wurden B-Schwerpunkte. Dadurch gelten dort für gewerbliche Investitionen die höchsten Fördersätze in den alten Bundesländern. Gefördert werden können nach der Gemeinschaftsaufgabe auch Investitionen in die wirtschaftsnahe kommunale Infrastruktur.
Das alles reicht nicht aus, wie hier ausreichend dargelegt worden ist. Der geplante Truppenabbau in Wilhelmshaven und vor allen Dingen die bevorstehende Schließung des AEG-Olympia-Büromaschinenwerks werden zu weiteren, schweren Belastungen für die Region führen.
Meine Damen und Herren, diese Belastungen machen zusätzliche regionalpolitische Flankierungsmaßnahmen notwendig. Das sieht auch die Bundesregierung. Um der Region Wilhelmshaven wirksam zu helfen, bedarf es einer breit angelegten regionalpolitischen Aktion, einer Aktion, die alle raumwirksamen Politikbereiche einbezieht. Allein mit den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe kann dies nicht geleistet werden.
Ich will Ihnen gerne sagen, daß zur Zeit vom Bundeswirtschaftsministerium mit der Stadt Wilhelmshaven, dem Kreis und dem Land Niedersachsen Gespräche zur Vorbereitung einer regionalen Wirtschaftskonferenz geführt werden. Ich bin dankbar dafür, daß die Anregung hierzu nicht zuletzt von den Kollegen Maaß und Bredehorn ausgegangen ist. Diese Konferenz soll einen wichtigen Schritt zur Entwicklung eines abgestuften regionalen Entwicklungsprogramms mit konkreten Projekten leisten. Sie soll in Verantwortung der Stadt und des Landkreises durchgeführt werden. Land und Bund werden entsprechend ihrer regionalen Verantwortung aktiv daran mitwirken.
Meine Damen und Herren, ich will aber vorab schon einmal mitteilen, daß die Bundesregierung in Gestalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, der hier ja dankenswerterweise durch den Kollegen Horst Günther vertreten ist, beabsichtigt, in Kürze ein neues Gebäude für die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung in Wilhelmshaven zu errichten, und ein Gesamtinvestitionsvolumen von 32 Millionen DM für diese Baumaßnahme freisetzt. Ich finde, das ist schon eine gute, konkrete Maßnahme zur Förderung der Struktur in diesem Bereich.
Bund, Land, Stadt, Region, die Institutionen der Wirtschaft und natürlich auch Daimler-Benz müssen an dieser Regionalkonferenz mitwirken.
Ergänzende Anstöße und Hilfen durch Land und Bund müssen abgestimmt und gründlich vorbereitet werden.
Ich will Ihnen auch sagen, was hierfür in Betracht kommt: erstens zusätzliche Hilfen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, zweitens vorrangiger Einsatz der im Rahmen der geplanten Übergangsregelung vorgesehenen Mittel aus der Strukturhilfe, drittens ein Programm zur Flankierung des Truppenabbaus, viertens ergänzende Hilfen aus dem europäischen Strukturfonds durch Ausweisung von Wilhelmshaven als Ziel-2-Gebiet und fünftens ein gezielter Einsatz von Maßnahmen anderer raumwirksamer Politikbereiche, wie Verkehr — das wurde schon mehrfach angesprochen — , Städtebau, Umwelt, Forschung und Technologie, Post und andere auf Bundes- und auf Landesebene, die ich hier leider ebenfalls vergebens ansprechen muß.
Herr Kollege Schwanhold, der Bund wird selbstverständlich die Region in ihrer schwierigen Phase begleiten; wir werden sie nicht im Stich lassen. Aber eines will ich ebenfalls deutlich sagen: Die bestehenden Probleme können nur dann durchgreifend gelöst werden, wenn in der Region — der Kollege Maaß hat darauf hingewiesen — geeignete Entwicklungskonzepte und konkrete Entwicklungsprojekte erarbeitet werden. Auch Ernst Hinsken hat es aus seiner bayerischen Sicht hier richtig angesprochen.
Eine Grundvoraussetzung dafür ist aber, daß ein regionaler Mindestkonsens zustande kommt. Ich bin froh darüber, daß dies von allen Seiten des Hauses betont worden ist. Denn, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrung zeigt ja: Wenn sinnvolle Projekte erarbeitet werden, findet sich in der Regel auch eine Finanzierungsmöglichkeit.
Ganz besonders wichtig — ich will das noch einmal unterstreichen — ist aber das, was u. a. die Kollegen Kossendey, Schütz, Maaß und Timm hier gesagt haben, nämlich daß die Vorteile und die Vorzüge dieser Region deutlicher herausgestellt werden. Ich weiß, daß es für die Betroffenen nicht einfach ist, jetzt, in dieser Situation, Optimismus zu zeigen. Aber ich fordere Sie auf: Tun Sie es trotzdem! Nicht die Klagemauer kann die tragende Wand für das zu schaffende neue Gebäude in dieser Region sein. Grundstein muß der Wille sein, gemeinsam nach vorne zu gehen. Die Bundesregierung wird sich deswegen dem sinnvollen Hilfebegehren der Region nicht verschließen.
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Dezember 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.