Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 12/1513 —Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Harald B. Schäfer sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Göhner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer auf:
In welchem Umfang haben Kündigungen wegen Eigenbedarfs nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar 1989 bundesweit zugenommen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Meyer, der Bundesregierung liegen keine Zahlen über die Zunahme der Eigenbedarfskündigungen nach dem ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auf das Sie abheben, vor. Die Justizstatistik erfaßt nur die Gesamtzahl der Wohnraummietprozesse, nicht einmal die Zahl der Räumungsverfahren, aus der vielleicht Rückschlüsse zu ziehen wären. Es gibt also keine besondere Statistik für Eigenbedarfskündigungen, jedenfalls nicht im Bereich der Justiz.
Auf Grund der Erfahrungen der Verbände der Haus- und Grundeigentümer und des Deutschen Mieterbundes kann allerdings angenommen werden, daß im Jahre 1989 und wohl auch noch im vergangenen Jahr eine Zunahme von Eigenbedarfskündigungen zu verzeichnen war. Diese Welle soll inzwischen allerdings wieder abgeebbt sein.
Herr Kollege Meyer, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie die von Ihnen bestätigte Annahme, es habe eine Zunahme der Eigenbedarfskündigungen gegeben, irgendwie quantifizieren?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Meyer, das können wir nicht, und das können wohl auch die Organisationen, die uns als Beleg für diese Annahme dienen, nicht, weil es nach unserer Kenntnis keine konkrete Statistik über Eigenbedarfskündigungen gibt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Meyer, bitte.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich auf die von Ihnen erwähnte Prozeßstatistik. Halten Sie es für sinnvoll, festzustellen oder festzustellen zu versuchen, wie die Prozesse, über die es eine Statistik gibt, ausgegangen sind oder ausgehen werden, soweit es um Eigenbedarfskündigungen geht?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meyer, ich glaube nicht, daß uns das weiterhelfen würde, weil etwa, wie Sie wissen, die Zahl der Prozesse, die durch einen Vergleich erledigt werden, nichts darüber aussagt, in welcher Richtung ein Vergleich austariert wurde bzw. würde.
Ich glaube, ein Rückschluß auf die Zahl der Eigenbedarfskündigungen und auf deren Entwicklung wäre sehr gewagt, wenn wir nur die Zahlen der Prozesse zugrunde legten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Struck.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung denn für wünschenswert, einmal eine solche Statistik aufstellen zu lassen, aus der sich ergibt, wie viele Eigenbedarfskündigungen es seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat?Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Struck, wenn es über die beiden letzten Jahre hinaus Anzeichen dafür gäbe, daß es bei der Zahl der Eigenbedarfskündigungen grundlegende Veränderungen gibt, könnte man darüber nachdenken. Aber
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4644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhnerich weise auf die Frage hin: Wie sollte eine solche Statistik erstellt werden können? Wir könnten uns in der Tat nur auf die Fälle beziehen, die zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führen. Ob das Schlußfolgerungen erlaubt, wage ich zu bezweifeln, weil ein großer Teil der Fälle, wie ich noch einmal sagen möchte, vorgerichtlich geklärt wird. Deshalb ist größte Vorsicht angeraten.Im übrigen müßten wir dann auch erwägen, ob eine solche Statistik nicht besonderer gesetzlicher Grundlagen bedürfte. Ich erinnere an entsprechende gesetzliche Grundlagen für Erhebungen anderer Art außerhalb der Justiz, über die wir ja im Zusammenhang mit dem Mikrozensus, dem Volkszählungsurteil und dergleichen hier oft diskutiert haben.
Ich rufe nun die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer auf:
Hält die Bundesregierung eine Zunahme von Kündigungen infolge der Einschränkung von Kündigungsschutzrechten für politisch wünschenswert, oder erwägt sie eine gesetzliche Einschränkung der gestärkten Position der Vermieter?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege Meyer, sieht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Einschränkung von Kündigungsschutzrechten, sondern die konkrete Ausformung der Eigenbedarfskündigung auf der Basis des Art. 14 des Grundgesetzes durch das hierzu berufene Gericht. Die Bundesregierung akzeptiert dies und sieht davon ab, eine auf dieser Rechtsprechung etwa beruhende Zunahme von Kündigungen, über die wir eben gesprochen haben, als politisch wünschenswert oder unerwünscht einzustufen. Wir respektieren diese Rechtsprechung.
Wir lassen uns bei der Bewertung dieser Entwicklung auch von folgenden Erwägungen leiten: Erstens. Gegen mißbräuchliche Eigenbedarfskündigungen, wie sie natürlich immer wieder vorkommen und gegen die gesetzliche Maßnahmen kaum etwas bewirken können, sind die Mieter in jedem Falle geschützt. Das hat das Bundesverfassungsgericht in dem von Ihnen, Herr Kollege Meyer, genannten Urteil sowie in einer Reihe weiterer anderer Entscheidungen betont.
Zweitens. Auch bei den berechtigten Eigenbedarfskündigungen sind die Mieter ja nicht schutzlos. Sie können vielmehr unter Berufung auf die mietrechtliche Sozialklausel, die jetzt erst recht Bedeutung hat, der Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für die Mieter oder ihre Familien eine nicht gerechtfertigte Härte bedeuten würde. Eine Härte liegt nach dem Gesetz eben auch vor — ich zitiere —, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
Drittens ist noch darauf hinzuweisen, daß in Räumungsrechtsstreitigkeiten den Mietern auf Grund der Zivilprozeßordnung eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist bis zu einem Jahr zusätzlich gewährt werden kann.
Diese Schutzvorschriften vor allem der Sozialklausel, aber auch der ZPO wirken sich nach der neueren Rechtsprechung, auf die Sie abheben, nach den danach häufiger zulässigen Eigenbedarfskündigungen in stärkerem Maße zugunsten des Mieters aus; denn nach der früheren Rechtsprechung hatten die Eigentümer realistische Chancen mit Eigenbedarfskündigung nur, wenn sie selber in einer konkreten Bedarfssituation waren. Gegenüber einem solchen dringenden Eigenbedarf konnten die Mieter naturgemäß nur schwer überwiegende eigene Interessen zur Geltung bringen. Die Sozialklausel führte auf Grund dieser früheren Rechtsprechung dementsprechend ein Schattendasein.
Jetzt, nach der neueren Rechtsprechung, wo eben vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Eigenbedarfskündigung ausreichen — wenn ich die Rechtslage zusammenfassend so beschreiben darf —, wiegen aber im Rahmen der Sozialklausel die entgegenstehenden Interessen der Mieter bei der Abwägung mit denen der Vermieter entsprechend schwerer. Diese Wechselwirkung von Sozialklausel und Eigenbedarfskündigung in der gesetzlichen Konzeption des Mieterschutzes muß berücksichtigt werden; sie bewirkt, daß auch in Eigenbedarfsfällen die Interessen der gekündigten Mieter zur Geltung kommen.
Ich bitte um Nachsicht, daß ich etwas ausführlicher begründet habe; aber das sind die Erwägungen dafür, Herr Kollege Meyer, daß die Bundesregierung nach alledem nicht erwägt, eine Einschränkung der Position der Vermieter gesetzlich vorzusehen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Feststellung, daß die Konkretisierung von Grundrechten nicht zuletzt eine Aufgabe des Gesetzgebers ist, und ausgehend von Ihrer zutreffenden Feststellung, daß nach der hier interessierenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vernünftige, nachvollziehbare Gründe ausreichend sind, um eine Eigenbedarfskündigung zu begründen, frage ich Sie: Halten Sie es für einen der von Ihnen angesprochenen Mißbrauchsfälle, die vom Gesetzgeber geregelt werden könnten, wenn eine Eigenbedarfskündigung erfolgreich durchgeführt wird und nach dem Auszug des Mieters dann doch kein naher Angehöriger des Vermieters, sondern ein Dritter mit einem Mietvertrag mit wesentlich höherer Miete in die Wohnung einzieht?Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meyer, ich glaube, daß die Entscheidung über die Frage, was mißbräuchliche Nutzung ist, der Rechtsprechung überlassen bleiben muß. Wenn wir versuchen würden, das im Wege der Gesetzgebung zu definieren, würde dies eigentlich bedeuten, daß wir nur bestimmte Einzelfälle berücksichtigen. Wir könnten das ohnehin nur begrenzt tun. Deshalb scheint mir der sinnvollere Weg zu sein, hier auf die Rechtsprechung zu setzen. Sie wissen ja, daß der Bundesgerichtshof hier auch bereits verschiedene Urteile gefällt hat.Das Entscheidende ist: wir bräuchten hier möglicherweise dann zusätzliche gesetzliche Regelungen,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991 4645
Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhnerwenn wir die Sozialklausel nicht hätten. Aber durch die Wechselbeziehungen der Sozialklausel, die jetzt im Fall der Eigenbedarfskündigung ihre eigentliche Wirkung erlangt, sehen wir weitere gesetzgeberische Schritte nicht als erforderlich an, auch nicht für die von Ihnen erwähnte Gruppe von Fällen.
Herr Kollege Meyer, eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär, ich versuche nachzufassen, indem ich präzise frage: Halten Sie die nach meinen Informationen deutlich zunehmende Zahl von Fällen, in denen wegen Eigenbedarfs gekündigt wird und sich nachträglich herausstellt, daß ein Eigenbedarf nicht besteht oder sogar nie bestand, nicht doch für gesetzlich regelungsbedürftig?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, wir halten das nicht für regelungsbedürftig, weil wir meinen, daß der Mieterschutz dann über die Sozialklausel erreicht werden kann.
Herr Kollege Stiegler, eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß jemand, der betrügerisch wegen Eigenbedarfs kündigt und damit Erfolg hat, hinterher schadenersatzpflichtig ist?
Kann die Bundesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit sowohl die Vermieter- als auch die Mieterseite verstärkt auf diese Umstände hinweisen, weil hier offensichtlich häufig eine Fehlinformation bei den Betroffenen besteht?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis, der in Ihrer Frage steckt, daß ein solches Verhalten sehr wohl als Vertragsverletzung auch nach Vertrags-ende noch Schadenersatzpflichten auslösen kann. Ich werde Ihre Anregung gern zum Anlaß nehmen zu prüfen, inwieweit wir darauf im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit noch einmal hinweisen können.
Meine Damen und Herren, dies waren umfassende Fragen und umfassende Antworten. In der Sache war das auch sicher richtig, aber ich möchte an die Regeln der Fragestunde erinnern: Die Fragen müssen kurz sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen. Ich glaube allerdings, wie gesagt, daß bei dem Thema, das wir gerade behandelt haben, unsere Vorgehensweise in Ordnung war.
Ich bedanke mich sehr, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Göhner, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Alle Fragen aus diesem Bereich sollen schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Adolf Ostertag sowie um die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bundesministerin für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 13 des Abgeordneten Klaus Kirschner:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von Vertretern der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer erhobene Forderung, bei den bevorstehenden Honorarvereinbarungen mit den Krankenkassen den im Gesundheits-Reformgesetz festgelegten Grundsatz der Beitragsstabilität nicht zu beachten und damit das finanzielle Risiko einer Ausweitung der ärztlichen Leistungsmenge auf die Krankenkassen abzuwälzen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, insbesondere im Hinblick auf den bei den Ersatzkassen im II. Quartal 1991 festgestellten Anstieg der Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen um mehr als l0 v. II. die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen zu einer Beachtung der gesetzlichen Regelungen zu veranlassen, um einen Anstieg der Beitragsbelastung der Versicherten und der Betriebe zu vermeiden?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Herr Kollege Kirschner, das Gesundheits-Reformgesetz verpflichtet Krankenkassen und Leistungserbringer, in ihren Vergütungsvereinbarungen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu beachten.
Nach den mir vorliegenden Informationen ist ein zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen ausgehandelter Honorarvertrag auf Grund des Anstiegs der Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen im zweiten Quartal dieses Jahres nicht abgeschlossen worden. Die Bundesregierung schließt daraus, daß die Vertragspartner die gesetzlichen Vorgaben für die Vergütungsvereinbarungen bei ihrem Vertragsabschluß beachten wollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klaus Kirschner, bitte.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß die Rechtsaufsicht über die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen vom Bundesministerium für Gesundheit wahrzunehmen ist, und gibt es deshalb in Ihrem Haus Überlegungen, dieser Aufsichtspflicht nachzukommen und den Honorarvertrag der Ersatzkassen mit den Ärzten zu beanstanden?
Herr Kollege Kirschner, der Vertragsentwurf liegt den für die Aufsicht zuständigen Fachabteilungen des Ministeriums vor. Wegen der kurz vor Abschluß des Vertrags bekanntgewordenen Mengenentwicklung haben die Krankenkassen den Vertrag nicht unterschrieben. Man muß jetzt abwarten, welche Änderungen am Vertragstext noch vorgenommen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
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4646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Frau Staatssekretärin, ich frage noch einmal: Wenn durch den Abschluß dieses Vertrags der im Gesundheits-Reformgesetz festgelegte Grundsatz der Beitragsstabilität gefährdet wird, wird dann das Bundesgesundheitsministerium seine Rechtsaufsichtspflicht wahrnehmen und diesen Vertrag beanstanden?
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Kirschner.
Zusatzfrage des Kollegen Haack, bitte.
Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Ärztevertretern, daß der sprunghafte Anstieg der Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen in den Monaten April, Mai und Juni auf eine außergewöhnliche Grippewelle zurückzuführen sei, und welche Konsequenzen sind nach Auffassung der Bundesregierung aus dieser Entwicklung zu ziehen?
Herr Kollege, dieser Mengenanstieg ist bisher von niemandem plausibel erklärt worden. Es ist aus unserer Sicht nur schwer vorstellbar, daß dafür allein medizinische Gründe ausschlaggebend waren. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen versuchen zur Zeit, die Ursachen festzustellen.
Vielen Dank.
Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Klaus Kirschner auf:
Wie hoch ist nach den der Bundesregierung vorliegenden statistischen Daten das Durchschnittseinkommen der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte im Vergleich zu anderen Freien Berufen, zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer sowie im internationalen Vergleich, und welche Einkommensunterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Arztgruppen, insbesondere zwischen Hausärzten und Fachärzten?
Herr Kollege Kirschner, die im Jahre 1990 veröffentlichten Ergebnisse der Kostenstrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes weisen für 1987 für die niedergelassenen Ärzte einen Reinertrag je Praxisinhaber in Höhe von 176 500 DM und für die niedergelassenen Zahnärzte von 195 064 DM aus. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit betrug 1987 47 541 DM. Damit lag das Durchschnittseinkommen der Ärzte beim 3,7fachen und das Durchschnittseinkommen der Zahnärzte beim
4, 1fachen des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens.
Nach einer im Jahre 1989 veröffentlichten Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung ergeben sich für ausgewählte OECD-Länder, bezogen auf das Jahr 1982, folgende Werte hinsichtlich der Relation des Durchschnittseinkommens der Ärzte zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer: In den USA lag das Ärzteeinkommen beim
5, 1fachen, in der Bundesrepublik beim 4,9fachen, in Frankreich beim 3,3fachen, in Dänemark beim 2,8fachen, in Großbritannien beim 2,4fachen, in
Schweden beim 2,lfachen und in Belgien beim 1,8fachen des Arbeitnehmereinkommens.
In der Gruppe der Freiberufler lagen gemäß der Einkommensteuerstatistik für 1986 die Zahnärzte mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 225 900 DM an der Spitze der Freiberufler. Die Ärzte nahmen mit einem Jahreseinkommen von 195 500 DM hinter den Wirtschaftsprüfern den dritten Rang ein.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß zwischen den und innerhalb der einzelnen Arztgruppen erhebliche Einkommensunterschiede bestehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kirschner.
Frau Staatssekretärin, gerade beim letzteren möchte ich anfangen und Sie fragen: Können Sie dem Haus mitteilen, wie nun die Einkommen dieser einzelnen Ärztefachgruppen aussehen?
Herr Kollege Kirschner, ich bin dazu in der Lage; ich kann Ihnen die Zahlen zu einzelnen Fachgruppen vorlesen. Radiologen/Nuklearmediziner liegen bei einem durchschnittlichen Einkommen von 259 800 DM, dagegen Kinderärzte bei einem durchschnittlichen Einkommen von 138 800 DM. Möchten Sie noch weitere Fachgruppen hören?
— Dann lese ich alles vor. Ich fragte nur, Herr Präsident, weil Sie vorhin darauf hingewiesen haben, daß kurze Antworten gegeben werden sollen.
Die Orthopäden liegen bei 241 200 DM, die Augenärzte bei 233 000 DM, die HNO-Ärzte bei 215 900 DM, die Urologen bei 200 000 DM, die Hautärzte bei 193 600 DM, die Chirurgen bei 180 000 DM, die Internisten bei 184 400 DM, die Neurologen bei 174 500 DM, die Gynäkologen bei 170 400 DM, die Allgemeinärzte bei 141 400 DM und, wie gesagt, die Kinderärzte bei 138 800 DM. Das Durchschnittseinkommen der Fachärzte beträgt 192 600 DM, das aller Ärzte 170 900 DM.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Kirschner, bitte.
Frau Staatssekretärin, durch die Gesundheitsreform werden die Versicherten bekanntlich in einer Größenordnung von 7 bis 8 Milliarden DM belastet. Vor dem Hintergrund Ihrer Antwort würde ich doch einmal gerne wissen: Welchen Beitrag leisten im Vergleich dazu die Leistungserbringer, insbesondere Ärzte und Zahnärzte, zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung?
Herr Kollege Kirschner, die Größenordnung von 7 bis 8 Milliarden DM ist wahrscheinlich etwas überschätzt. Aber den Belastungen der Versicherten stehen auch Leistungsverbesserungen gegenüber, vor
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Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohlallem die durch das Gesundheits-Reformgesetz eingeführten Leistungen für Schwerpflegebedürftige. Dafür ist ein Ausgabevolumen von mehreren Milliarden DM vorgesehen.Auf der Seite der Leistungserbringer ist insbesondere das durch die Arzneimittelfestbeträge realisierte Einsparvolumen quantifizierbar. Versicherte und Krankenkassen werden durch die bisher festgelegten Festbeträge um ca. 1 Milliarde DM pro Jahr entlastet.Einsparungen, die im Bereich der ärztlichen und der zahnärztlichen Versorgung erreicht werden sollen, sind bisher noch nicht überall realisiert worden, weil die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen das im GRG vorgesehene Instrumentarium erst in Ansätzen umgesetzt hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Karl Hermann Haack.
Frau Staatssekretärin, wir sprechen, um die Einnahmen und Ausgaben im Honorarbereich in den Griff zu bekommen, von dem sogenannten Honorardeckel. Meine Frage dazu: Teilt die Bundesregierung die von den Vertretern der Ärzte und Zahnärzte geäußerte Auffassung, die medizinische Versorgung müsse eingeschränkt werden, wenn der Honorardeckel beibehalten werde?
Herr Kollege, der Begriff „Honorardeckel" erweckt einen falschen Eindruck, als ob nämlich die Honorare der Ärzte und Zahnärzte eingefroren wären. Das Gegenteil ist der Fall: Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität sieht vor, daß die von den Krankenkassen zu zahlenden Gesamthonorarsummen im Gleichschritt mit den Löhnen und Gehältern der Versicherten ansteigen. Allerdings soll die Honorarsumme auch nicht stärker als Löhne und Gehälter steigen.
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen und der Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Gesundheit.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Dieter Schulte zur Verfügung. Alle Fragen sollen aber schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die Frage 15 des Abgeordneten Simon Wittmann , die Fragen 16 und 17 der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer und die Fragen 18 und 19 der Abgeordneten Elke Ferner. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich behandelt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wilhelm Rawe zur Verfügung.
Ich rufe Frage 20 des Abgeordneten Josef Vosen auf :
Welches Ergebnis hatte das zwischen dein Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen W. Möllemann, und dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Post und Telekommunikation, Wilhelm Rawe, über die geplante Auftragsvergabe des Starts des DFS 3 „Kopernikus" an die Firma McDonnell-Douglas geführte Gespräch, und wann genau fand es statt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Vosen, ich habe am Rande der Kabinettssitzung vom 16. Oktober 1991 dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Jürgen Möllemann, lediglich davon Mitteilung gemacht, daß die Entscheidung der Deutschen Bundespost TELEKOM zur Auftragsvergabe des Starts des DFS 3 an die Firma McDonnell-Douglas vor der Veröffentlichung stehe. Ich habe ihm dabei auch mitgeteilt, daß der Bundesminister für Post und Telekommunikation nach der geltenden Sach- und Rechtslage keinen Grund sieht, diese Entscheidung zu beanstanden.
Ich habe ihn ferner darauf hingewiesen, daß die Auftragsvergabe auch vor dem Hintergrund der Erklärung der Mitgliedstaaten der ESA über die Präferenzierung von Arianespace-Angeboten von 1990 nicht zu beanstanden ist.
Zusatzfrage des Kollegen Vosen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, hat Ihr Kollege Möllemann Ihre Auskunft in irgendeiner Weise kommentiert? Können Sie dazu Auskünfte erteilen?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Wir haben beide den Sachverhalt nicht als so wichtig angesehen — jedenfalls habe ich es nicht getan — , daß es einer weiteren Kommentierung bedurft hätte.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Vosen.
Stellte sich für Sie, da wir ja bei diesem Projekt offenbar ein günstigeres Angebot als bei dem von der Bundesrepublik mitfinanzierten Trägersystem Ariane 5 hatten, nicht die Frage, ob das System Ariane 5 von uns überhaupt noch so gefördert werden müßte, wie es geschieht?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage kann sich sicherlich nicht im Zusammenhang mit dem Gespräch mit dem Kollegen Möllemann gestellt haben. Wenn, dann hätte sie sich schon im Vorfeld stellen müssen. Aber im Vorfeld hat sie sich ebenfalls nicht gestellt.
Es gibt gleich noch eine Reihe von anderen Fragen, Herr Präsident, die genau diesen Tatbestand zu erhellen versuchen. Herr Kollege, wenn Sie damit einverstanden sind, werde ich die Frage dann gerne beantworten.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fischer, bitte.
Herr Staatssekretär, wir haben ja das Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und die Öffnungsklausel. Inwieweit fühlen Sie sich überhaupt verpflichtet, dem Raumfahrt-
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4648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Lothar Fischer
aufgabenübertragungsgesetz beizutreten und Ihren Beitrag zu leisten?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Alles, was in diesem Gesetz geregelt ist, ist ja hier nicht in irgendeiner Form beeinträchtigt worden. Deswegen verstehe ich den Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage nicht. Nachher fragen weitere Kollegen aus Ihrer Fraktion danach, ob die Vergabe in der richtigen Weise erfolgt ist. Sie ist in der richtigen Weise erfolgt, wie ich später noch darlegen werde.
Ich rufe nun die Frage 21 des Abgeordneten Josef Vosen auf:
Welches Ergebnis hatte die im Vorfeld der Auftragsvergabe über den Satellitenstart DFS 3 „Kopernikus" zwischen zwei Staatssekretären der Bundesregierung und der Firma ARIANESPACE im Winter 1990/91 geführte Unterredung über die beabsichtigte Vergabe des Starts des DFS 3 „Kopernikus" an die Firma ARIANESPACE?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vosen, der Bundesregierung liegen nach bisherigem Kenntnisstand keine Informationen darüber vor, daß zwischen zwei Staatssekretären und der Firma ARIANESPACE im Winter 1990/91 eine Unterredung zur Vergabe des Starts des DFS 3 stattgefunden hat.
Ich habe versucht, mich noch weiter sachkundig zu machen. Die Mitarbeiter unseres Hauses haben auch bei ARIANESPACE nachgefragt. Mittels einer Fax-Mitteilung vom 12. November ist uns von dort ebenfalls mitgeteilt worden, daß es solche Verhandlungen nicht gegeben hat, sondern daß die Verhandlungen einzig und allein mit dem Vertragspartner Deutsche Bundespost TELEKOM stattgefunden haben.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Vosen, bitte.
Es ist ja so, daß es ein sogenanntes Technologiekabinett geben soll oder auch gibt, in dem einige Mitglieder der Regierung diese ganzen Aktivitäten koordinieren. Hat diese Runde überhaupt getagt, und, wenn ja, hat es dabei nicht irgendwann auch einmal eine Aussprache darüber gegeben, daß Aufträge der verschiedenen Ressorts nach Möglichkeit gebündelt werden sollen und über die DARR, die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten, dann eventuell in die Gesamtproblematik dieses Bereiches einfließen sollen?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, seien Sie mir nicht böse; aber ich erkenne nun wirklich keinen Sachzusammenhang mit der von Ihnen zuerst gestellten Frage mehr. Aber wenn der Präsident es gestattet, beantworte ich Ihnen natürlich gerne auch diese Frage.
Es hat selbstverständlich im zuständigen Staatssekretärsausschuß ein Gespräch darüber gegeben. Dabei hat der beamtete Staatssekretär unseres Hauses die Sach- und Rechtslage dargestellt. Damit war das Gespräch beendet.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Vosen.
Herr Staatssekretär, Sie erkennen zwar keinen Zusammenhang mit meiner ursprünglichen Frage; aber Sie sagen, es habe kein Gespräch zwischen zwei Staatssekretären darüber gegeben oder es sei Ihnen nicht bekannt. Deswegen hatte ich die Hoffnung, daß es dann wenigstens an der Stelle, die von Amts wegen dafür zuständig ist, diese Gespräche gegeben hat. Daraus resultiert meine Frage. Aber ich erkenne, daß Sie darauf keine Antwort geben können.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: O nein! Herr Kollege, Sie haben gefragt, ob es zwischen zwei Staatssekretären und der Firma Arianespace Gespräche gegeben habe. So steht es wörtlich in Ihrer Frage. Darauf habe ich exakt die Antwort gegeben, daß nach meinem Kenntnisstand, nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung und nach Auskunft von ARIANESPACE keine solchen Gespräche stattgefunden haben.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Peter Struck.
Herr Staatssekretär Rawe, sind Sie sich bei Ihrer Antwort ganz sicher, wenn Sie berücksichtigen, daß die Bundesregierung meines Wissens etwa 60 bis 70 Staatssekretäre hat?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege Struck, Sie können sich vorstellen, daß ich mir große Mühe gegeben und bei den übrigen Häusern nachgefragt habe. Da ich dann nachher noch bei ARIANESPACE nachgefragt habe und mir von dort eine solche Auskunft erteilt wurde, kann ich von einigermaßen gesicherten Grundlagen ausgehen. Ich habe bewußt die Grundlagen meiner Nachforschungen dargestellt, damit hier kein falscher Eindruck entstehen kann.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Siegmar Mosdorf.
Herr Präsident, ich möchte in diesem Zusammenhang gern nachfragen. Herr Staatssekretär, Sie haben eben so großen Wert darauf gelegt, daß es kein Gespräch zwischen den zwei Staatssekretären der Bundesregierung und der Firma ARIANESPACE gegeben hat. Darf ich fragen, ob es denn ein Gespräch zwischen den beiden Staatssekretären gegeben hat?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf gar keinen Wert gelegt. Ich habe dem Kollegen Vosen lediglich die Antwort gegeben, daß nach meinem Erkenntnisstand zwischen den beiden Staatssekretären — wobei mir immer noch nicht bekannt ist, welche das sein sollen — und der Firma ARIANESPACE — es war noch eingeschränkt auf den Winter 1991/92 — keine Gespräche stattgefunden haben. Ich bin ganz sicher mit Ihnen der Auffassung, daß zwischen den Staatssekretären der Bundesregierung viele Gespräche stattgefunden haben. Aber wenn die Frage so eingeschränkt gestellt wird, sehen Sie mir bitte nach: Ich kann nicht alle Staatssekretäre befragen, wann, wo und wie sie welche Gespräche geführt haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991 4649
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Lothar Fischer.
Herr Staatssekretär, ich hätte gern gewußt, ob der Staatssekretärsausschuß, der eingerichtet worden ist, informiert worden ist und ob die DARA informiert worden ist. Dann habe ich gehört, daß das Bundeskanzleramt gesagt hat, man möchte das Angebot sehen, und wenn das Angebot auf dem Tisch liege, werde man entscheiden. Inwieweit waren Staatssekretärsausschuß, DARA und Bundeskanzleramt bei der Entscheidung in dieser Frage überhaupt involviert, und wem liegt das Angebot vor?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will es gern wiederholen. Ich hatte ausdrücklich gesagt, daß der zuständige beamtete Staatssekretär meines Hauses in dem zuständigen Staatssekretärsausschuß die Sach- und Rechtslage vorgetragen hat und daß es danach keine Beanstandungen gab. Ich will Ihnen auch gerne im Vorgriff auf die anderen Fragen sagen, daß es sich hier um einen Vergabevorgang nach der VOL handelt und daß dabei Ihre Zusatzfragen, wer sonst noch beteiligt sein soll — DARA etc. —, überhaupt keine Rolle spielen. Hier handelt ein wirtschaftlich selbständiges Unternehmen, nämlich die Deutsche Bundespost TELEKOM, für sich verantwortlich. Wir haben im Rahmen der Rechtsaufsicht lediglich zu prüfen, ob die Verdingungsordnung eingehalten worden ist. Sie ist eingehalten worden.
Ich muß in diesem Zusammenhang nochmals sagen: Unsere Richtlinien für die Fragestunde sehen vor, daß eine Zusatzfrage gestellt wird, nicht fünf auf einmal.
Nun kommen wir zur nächsten Frage, der Frage 22 des Abgeordneten Siegmar Mosdorf :
Welches ist der genaue rechtliche Vertrags- bzw. Verhandlungsstatus des von der Deutschen Bundespost TELEKOM ins Auge gefaßten Starts des DFS 3 „Kopernikus" durch die Firma McDonnell-Douglas im Herbst 1992?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Mosdorf einverstanden ist, würde ich seine beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gerne zusammen beantworten.
Herr Kollege Mosdorf.
Ja, damit bin ich einverstanden.
Dann rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Siegmar Mosdorf auf:
Welches sind die genauen Parameter der konkurrierenden Angebote für den Start des DFS 3 „Kopernikus" der Firmen McDonnell-Douglas und ARIANESPACE , und wie sind diese bewertet worden?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mosdorf, als wirtschaftlich selbständiges Sondervermögen des Bundes hat die Deutsche Bundespost TELEKOM den Vertrags- bzw. Verhandlungsstatus eines öffentlichen Auftraggebers, der im Rechtsverkehr im eigenen Namen handelt. Gemäß § 22 Nr. 6 der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A, der auch für den öffentlichen Auftraggeber Deutsche Bundespost TELEKOM gilt, sind u. a. mit Rücksicht auf die Geschäftsinteressen der Bieter die Angebote auch nach dem Zuschlag insgesamt vertraulich zu behandeln. Angaben zu den Angeboten der Firmen McDonnell-Douglas und ARIANESPACE sowie deren Bewertung sind deswegen in der Öffentlichkeit nicht möglich. Ich kann aber hinzufügen, daß sowohl die Preisgestaltung als auch die Festlegung des Zeitfensters für den Start so gravierend auseinanderfielen, daß es der Deutschen Bundespost TELEKOM nicht möglich war, das bessere Angebot abzulehnen.
Zusatzfrage des Kollegen Mosdorf.
Herr Staatssekretär, wenn Sie das nach der entsprechenden VOL hier nicht öffentlich machen können, können Sie dann zusagen, mir Ihre Kriterien für die Entscheidung schriftlich zur Verfügung zu stellen?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will Ihnen, soweit mir die Deutsche Bundespost TELEKOM die Angebotsunterlagen zur Verfügung stellt, sogar gerne vertraulich Einblick gewähren, aber bitte vertraulich. Warum eigentlich nicht? Das ist ein ganz normaler Vorgang. Aber Sie haben Verständnis, daß ich das nur im Wege der Vertraulichkeit tun kann.
Zusatzfrage des Kollegen Lothar Fischer.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß durch den Start mit der Delta-Rakete eine Umrüstung stattfinden mußte, die 3 Millionen DM gekostet hat?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht beurteilen. Das ist für die Entscheidung der TELEKOM wahrscheinlich auch nicht interessant. Die TELEKOM hat sich danach entschieden, wo sie das bessere Angebot bekommen hat.
Ich rufe jetzt die Frage 24 des Abgeordneten Lothar Fischer auf:Welche Stellen in der Bundesrepublik Deutschland waren an der in verschiedenen Presseveröffentlichungen wiedergegebenen Entscheidung der Deutschen Bundespost TELEKOM, den Kommunikationssatelliten DFS 3 „Kopernikus" nicht von der europäischen Firma ARIANESPACE, sondern von der amerikanischen Firma McDonnell-Douglas starten zu lassen, beteiligt, und wie sahen die Stellungnahmen, insbesondere des Bundesministers für Post und Telekommunikation, des Bundesministers für Forschung und Technologie, des Staatssekretärs-Ausschusses Raumfahrt, des Koordinators für die Luft- und Raumfahrt im Bundesministerium für Wirtschaft und der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten aus?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, bei einem Einkaufswettbewerb der öffentlichen Hand — so auch der Deutschen Bundespost TELEKOM — trifft die Vergabestelle eigen- und alleinverantwortlich die Zuschlagsentscheidung gemäß § 2
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4650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Parl. Staatssekretär Wilhelm RaweNr. 2 und gemäß § 25 Nr. 3 der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A. Stellungnahmen anderer Stellen wurden hierzu nicht abgegeben.
Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Herr Staatssekretär, welche Gründe veranlaßten die TELEKOM, das Postministerium, so zu entscheiden, und wurden bei dem erforderlichen Leistungsvergleich Faktoren wie Einschußgenauigkeit, Lebensdauer und Zuverlässigkeit des Trägersystems in angemessener Weise berücksichtigt?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Firma Deutsche Bundespost TELEKOM verfügt über genügend sachverständige Mitarbeiter, um diese Fragen eigenverantwortlich entscheiden zu können. Das hat sie getan.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Herr Staatssekretär, können Sie uns hier einmal Angaben dazu machen, wie groß die Lebensdauer des Satelliten Kopernikus 3 ist, a) bei einem Start mit der Delta-Rakete und b) bei einem Start mit Ariane 4?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich so wenig wie Sie, weil unser beider Angaben nur auf Schätzungen beruhen können. Sie wissen so gut wie ich, daß die geschätzte Lebensdauer etwa zwischen 10 und 13 Jahren liegt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Josef Vosen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen — bei all der Eigenständigkeit und Selbständigkeit, die Sie hier vortragen und die ich Ihrem Fachressort nicht absprechen möchte — nicht klar, daß die Bundesregierung, der Sie angehören, die Raumfahrtaktivitäten in unserem Lande bündeln will, daß sie dazu eigens eine Organisation namens DARA geschaffen hat und daß wir Sie mit unseren Fragen daran erinnern wollen, daß es diese Organisation gibt und daß Sie sich ihrer auch bedienen sollten?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist mir sicherlich klar. Aber ich bin mir gar nicht mehr ganz darüber im klaren, ob Ihnen klar ist, ob Sie sich, wenn Sie die Frage in dieser pressiven Art stellen, noch auf dem richtigen Weg befinden. Darüber sollten Sie bitte auch nachdenken.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Gerhard O. Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie an dieser Stelle vielleicht doch einmal zum Ausdruck bringen, daß es der Politik der Bundesregierung natürlich nicht entspricht, daß es zu einer solchen Entscheidung gekommen ist, und die Bundesregierung mit Sicherheit bedauert, daß ARIANESPACE vom Angebot her offensichtlich nicht in der Lage war, im Wettbewerb, was sowohl den Zeitpunkt als auch die Preislage anlangt, zu bestehen, und daß gerade dieser Vorgang Anlaß sein müßte, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, damit sich ARIANESPACE bei gleicher Ausgangslage in Zukunft wieder als wettbewerbsfähig erweist?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich will Ihnen zunächst bestätigen, daß sich die Firma ARIANESPACE durchaus auch auf anderen Wettbewerbsmärkten tummelt. So ist mir bekanntgeworden, daß allein zehn ARIANE-Starts von Amerika aus schon vergeben und weitere drei in Auftrag gegeben worden sind. Mit Blick darauf kann man dann über die Wettbewerbssituation meinetwegen gerne so nachdenken, wie Sie das jetzt tun.
Ich will aber in Anbetracht der Nachfragen, die manche der Kollegen hier gestellt haben, einmal die ESA-Erklärung von 1990 verlesen, damit deutlich wird, worum es geht. In der ESA-Erklärung steht:
Die Teilnehmer kommen überein, bei der Aufstellung und Durchführung ihrer nationalen Programme den Träger ARIANE zu berücksichtigen und seiner Verwendung den Vorrang zu geben, sofern dies im Vergleich zu anderen jeweils verfügbaren Trägerraketen oder Raumtransportsystemen nicht einen unvertretbaren Nachteil hinsichtlich der Kosten, Zuverlässigkeit und Missionstauglichkeit darstellt.
Ich bestätige Ihnen gern, daß unsere Nachprüfung ergeben hat, daß die Deutsche Bundespost TELEKOM auch dies berücksichtigt hat.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Ilse Janz.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der DFS 3 mit einer Delta-Rakete früher gestartet werden kann und daß deshalb das Angebot der ARIANESPACE mit einem Malus von 15 Millionen DM versehen wurde?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die Details des Angebots nicht vortragen, weil ich sie nicht präsent habe.
— Vielleicht hören Sie mich einmal in Ruhe an, Frau Kollegin. — Ich habe vorhin gesagt, nach meiner Kenntnis hat es gravierende Unterschiede wegen der Festlegung des Zeitfensters für den Start und wegen des Preises gegeben. Ich habe dem Kollegen, der danach gefragt hat, gesagt, daß er bei mir über die weiteren Einzelheiten des Angebots gerne vertraulich Auskunft erhalten kann.
Ich rufe jetzt Frage 25 des Kollegen Lothar Fischer auf:Welche Vorkehrungen gedenkt die Bundesregierung zu treffen bzw. hat sie getroffen, um eine künftige Entscheidung über die Vergabe eines deutschen Satellitenstarts politisch so zu organisieren, daß der politisch Verantwortliche die Entscheidung auch wirklich trifft bzw. verantworten kann?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, entsprechend dem vorher Gesagten können
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991 4651
Parl. Staatssekretär Wilhelm RaweVergabeentscheidungen nicht unter anderen als vergabebezogenen Aspekten gemäß § 25 Nr. 3 der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A, getroffen werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Herr Staatssekretär, inwieweit verträgt sich denn die Entscheidung der TELEKOM mit der Öffnungsklausel, wonach Aufträge in diesem Bereich nur unter ganz bestimmten Umständen in das nichteuropäische Ausland vergeben werden dürfen? Denn wir müssen doch sehen, daß wir an der Finanzierung der Entwicklung der Ariane-4-Rakete mit 22 % beteiligt sind.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn sich die Signatarstaaten des ESA-Abkommens ausdrücklich darauf verständigt haben, daß keinem eine unzumutbare Belastung aufgebürdet werden kann, frage ich mich wirklich, warum Sie darauf insistieren wollen, obwohl ich Ihnen sehr deutlich sage, daß es eine so große Differenz bei dem Angebot gegeben hat. Ich verstehe das nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Herr Staatssekretär, wenn Sie von der großen Differenz reden und vorher zugegeben haben, daß Sie das Angebot gar nicht kennen, dann wundere ich mich, daß Sie diese Aussage — es habe eine große Differenz gegeben — überhaupt machen können.
Aber meine Frage lautet: Inwieweit vergibt die amerikanische Regierung staatlich geförderte Satellitenaufträge an außeramerikanische Unternehmen? Vielleicht können Sie mir diese Frage beantworten.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen vorhin ganz deutlich gesagt — ohne auf Einzelheiten des Angebots eingehen zu wollen — , daß es einen Unterschied gegeben hat beim Zeitfenster und hinsichtlich 25 % des Preises. Präziser kann ich das kaum beantworten.
Ich habe weiter gesagt, im übrigen sei die ARIANESPACE ja durchaus auf dem amerikanischen Markt im Wettbewerb; denn sie habe mittlerweile zehn amerikanische Aufträge, und drei weitere seien in der Verhandlung. Damit wird wohl deutlich, daß auch die amerikanische Seite durchaus Aufträge an die Firma ARIANESPACE — im Gegensatz zu der Meinung, die Sie haben — vergibt.
Herr Pfeffermann war so freundlich zu fragen, ob das denn auch alles im Zusammenhang mit einem gesunden Wettbewerb stehe. Ich bejahe diese Frage gerne noch einmal.
Ich rufe nunmehr Frage 26 der Frau Abgeordneten Ilse Janz auf:
Welche politischen Grundsätze im Sinne des § 25 des Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost sieht der Bundesminister für Post und Telekommunikation mit der beabsichtigten Auftragsvergabe
des Starts des DFS 3 „Kopernikus" an die Firma McDonnell-Douglas gewahrt bzw. hinsichtlich des Angebots der Firma ARIANESPACE nicht gewahrt?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn Frau Kollegin Janz einverstanden ist, möchte ich beide Fragen gerne im Zusammenhang beantworten.
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 27 der Abgeordneten Ilse Janz auf:
Welche Rolle hat bei der Entscheidung der Deutschen Bundespost TELEKOM, den Start des DFS 3 „Kopernikus" an die Firma McDonnell-Douglas zu vergeben, der politische Grundsatz gespielt, daß die Bundesrepublik Deutschland sich im Rahmen der europäischen Weltraumorganisation verpflichtet hat, bei deutschen Satellitenstarts die von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Beiträge an die ESA geförderte Trägerrakete Ariane zu bevorzugen, und wer ist nach Auffassung der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland an diesen Grundsatz gebunden?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Janz, bei der Vergabeentscheidung für eine Startrakete handelt es sich um eine nach den Vergabevorschriften des Bundes — hier der Verdingungsordnung für Leistungen — durchzuführende Einzelfallentscheidung des wirtschaftlich selbständigen und eigenverantwortlich handelnden Postunternehmens Deutsche Bundespost TELEKOM. Politische Zielvorgaben im Sinne des § 25 des Postverfassungsgesetzes, die nach dem Wortlaut dieser Bestimmung mittel-bzw. langfristiger Art sind, scheiden im vorliegenden Fall aus.
Im Zusammenhang mit der Beschaffung von Trägerraketen u. a. für Fernmeldesatelliten ist die Erklärung der ESA-Mitglieder auf Regierungsebene aus dem Jahre 1990 über die Behandlung von Angeboten der ARIANESPACE von Bedeutung. Ich habe vorher den entscheidenden Passus dieser Erklärung schon vorgetragen.
Nach dieser Erklärung ist es gestattet, einen anderen Träger zu beschaffen, sofern die angebotene Ariane-Rakete im Vergleich zu anderen angebotenen Trägern insgesamt einen unvertretbaren Nachteil darstellen würde. Die Deutsche Bundespost TELEKOM hat diese ESA-Erklärung bei ihrer Entscheidung beachtet.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Janz.
Herr Staatssekretär, inwieweit ist denn diese Entscheidung mit den Intentionen des Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetzes vereinbar?Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das ist nicht die entscheidende Frage.
— Aber Sie werden mir freundlicherweise überlassen, was ich Ihnen antworte.
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4652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Parl. Staatssekretär Wilhelm RaweDas will ich gerade tun. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, bleibe ich dabei, daß hier ein Wettbewerbsvorgang vorliegt. Hier ist ordentlich ausgeschrieben worden und nach der Ausschreibung entschieden worden. Wenn Sie das beanstanden wollen, kann ich dagegen keine Einwendungen erheben, aber Sie werden mir doch gestatten, daß ich hier deutlich mache, daß hier korrekt nach Gesetz und Ordnung entschieden worden ist.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Josef Vosen.
Herr Staatssekretär, ich erkenne, daß Sie eine reine Lehre von der Marktwirtschaft vertreten, was an und für sich zu begrüßen ist. Ist Ihnen bekannt, daß die amerikanische Rakete in einem hohen Maße über Militärforschung der Vereinigten Staaten subventioniert ist, und ist Ihnen bekannt, daß die ARIANE, das europäische Modell, durch hohe Zuschüsse der europäischen Staaten finanziert ist und daß die freie Marktwirtschaft bei diesen beiden Raketensystemen eigentlich kaum noch in Rede ist? Sie reden jetzt von freiem Wettbewerb. Jetzt kommt meine Frage: Wie kommen Sie dazu, bei solchen Systemen von freiem Wettbewerb zu reden, und kann ich daraus, daß die ARIANE teurer ist, schließen, daß wir die Zuschüsse für die ARIANE erhöhen müssen?
Herr Kollege Vosen, das waren fünf Fragen in einer. An sich ist das nicht zulässig.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vosen, ich habe versucht, die Hintergründe zu beleuchten, warum die Entscheidung der TELEKOM so und nicht anders gefallen ist. Es ist gar nicht Aufgabe des Bundesministers für Post und Telekommunikation, in diese Entscheidung einzugreifen, wenn er feststellen muß, daß sie nach den gegebenen gesetzlichen Vorschriften ordnungsgemäß erfolgt ist. Dies habe ich Ihnen jetzt in vielen Variationen dargetan, und ich bitte Sie wirklich noch einmal ganz herzlich, darüber nachzudenken, was eigentlich dieser ganze Fragenkomplex bedeutet, wenn Sie in dieser Form eine ordnungsgemäß getroffene Entscheidung so in Frage stellen wollen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Lothar Fischer.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht ein bißchen seltsam, wenn wir hier als Parlamentarier nachfragen, wie das Angebot ist und was dabei berücksichtigt worden ist, und Sie antworten, Sie kennen die Einzelheiten nicht genau, was die Faktoren Einschußgenauigkeit und Lebensdauer angeht, und meinem Kollegen Vosen antworten, daß Sie das alles in aller Akribie bearbeitet und beschlossen haben, aber uns und auch dem Staatssekretärsausschuß überhaupt nichts vorliegt, der DARA nichts vorliegt und auch dem Bundeskanzleramt offensichtlich nichts vorliegt, wie sich aus der Auskunft ergab.
Auf der anderen Seite ist bekannt, daß die ARIANE einen Weltmarktanteil von über 50 %) bei den kommerziell hochgeschossenen Satelliten hat.
Herr Kollege Fischer, dies ist Fragestunde, keine Vortragsstunde.
Ich komme jetzt zur Frage: Liefern Sie das Angebot mal ab: Wie sieht das aus mit der Einschußgenauigkeit, mit der Lebensdauer; sind Sie dazu bereit, oder wollen Sie etwas vertuschen?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, ich bestätige Ihnen gern — ich sage jetzt ausdrücklich: sehr gern — , daß ich die Art der Fragestellung mit Ihnen in der Tat als seltsam empfinde, weil Sie versuchen, mich in einer Weise zu interpretieren, zu der Ihnen meine Ausführungen keinen Anlaß gaben.
Ich habe gesagt, ich kann Einzelheiten des Angebots hier in der Öffentlichkeit nicht unterbreiten. Der erste Fragesteller, der Kollege Mosdorf, hat sich sofort damit einverstanden erklärt, daß ich ihm im Wege der Vertraulichkeit die Einzelheiten dieses Angebotes darlegen werde. Nun seien Sie doch bitte so liebenswürdig, mir nicht zu unterstellen, ich wollte etwas vertuschen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Alle drei Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. Sie sind vom Kollegen Simon Wittmann und von der Frau Kollegin Renate Jäger gestellt. Es handelt sich um die Fragen 28, 29 und 30. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hans-Peter Repnik zur Verfügung.
Ich rufe Frage 31 des Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Kreditanstalt fur Wiederaufbau an die staatliche chinesische Schiffahrtsgesellschaft Cosco für einen Schiffsbau-Antrag an deutsche Werften einen Kredit in Höhe von mindestens 600 Mio. DM gewährt mit einer Laufzeit von über zehn Jahren und einem subventionierten Zinssatz von unter 4% , und wie verträgt sich diese Kreditsubvention mit den Erklärungen der Bundesregierung, wonach für sie Demokratie und Menschenrechte entscheidende Kriterien der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Über das Vorhaben ist noch nicht endgültig entschieden. Es handelt sich dabei um eine Finanzierung im Rahmen des 8. Werfthilfeprogramms, für das innerhalb der Bundesregierung der Bundesminister
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991 4653
Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repnikfür Wirtschaft — nicht der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit — zuständig ist. Bei der Entscheidungsfindung hat auch eine Rolle gespielt, daß zwei Drittel des genannten Auftragsvolumens auf Firmen in den neuen Bundesländern entfallen.Die beabsichtigte Lieferung von drei Containerschiffen in die Volksrepublik China hat einen Auftragswert von 604 Millionen DM und soll zu 90 d. h. für rund 544 Millionen DM, über einen Hermes-verbürgten Finanzkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert werden. Durch einen Zinszuschuß soll der Zinssatz auf 3,5 % per anno gesenkt werden.Was die Situation von Demokratie und Menschenrechten angeht, so richtet sich die Bundesregierung auch in ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China nach den von Bundesminister Spranger dem Parlament vorgelegten Kriterien.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hauchler.
Herr Staatssekretär, ich habe diese Frage im Hinblick darauf gestellt, daß hier einem Land offensichtlich Sonderkonditionen gewährt werden, das sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig macht, und ich frage mich: Stimmt die Bundesregierung solche Sonderkonditionen für derartige Länder nicht zwischen den Ressorts ab, und müssen die Grundsätze — in bezug auf Sonderkonditionen — , die für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit gelten, nicht genauso für Sonderkonditionen gelten, die im Rahmen eines anderen Ressorts gewährt werden, denn ich könnte mir vorstellen, daß ein Land wie China nicht unterscheidet, aus welchen Ressorts die Sondermittel aus der Bundesrepublik kommen?
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Wenn Sie es gestatten und der Fragesteller damit einverstanden ist, würde ich die Bantwortung dieser Frage gern in die Beantwortung der Frage 32 einbeziehen, da sie genau auf diese Fragestellung des Kollegen Hauchler abzielt.
Herr Kollege Hauchler, Ihr Fragerecht würde dadurch nicht beeinträchtigt. Sind Sie einverstanden?
— Dann rufe ich Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler auf :
War der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit über dieses Vorhaben informiert und/oder in die Beratungen über die Kreditvergabe eingeschaltet, und ist sein Etat davon betroffen?
Bitte.
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit war im Rahmen des üblichen Verfahrens bei Werfthilfefinanzierungen beteiligt und hat bei den bisherigen Beratungen des Vorhabens im Hermes-Ausschuß auf Arbeitsebene mitgewirkt. Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, d. h. Mittel des Einzelplans 23, sind bei diesem Vorhaben nicht betroffen.
Nun konkret zu Ihrer Zusatzfrage. Hier kommt das Werfthilfeprogramm zum Tragen. Es zielt ja nicht zuletzt darauf ab, den notleidenden Werften in Norddeutschland, und zwar im westlichen Teil wie im östlichen Teil, zu helfen und dafür eben nicht Entwicklungshilfemittel zu verwenden, wenngleich die Konditionen sich hier ähneln.
Herr Kollege Hauchler, bitte.
Herr Staatssekretär, gehe ich dann richtig in der Annahme, daß immer in den Fällen, in denen Aufträge für die neuen Bundesländer in Frage stehen, die Grundsätze der Menschenrechtspolitik und der Demokratisierungspolitik der Bundesregierung weniger Anwendung finden?
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Hauchler. Ich muß mich wiederholen: Wir haben es hier mit einem Programm zu tun, daß in erster Linie innenpolitische Wirkung, und zwar im Hinblick auf Hilfe für die Werften, und nicht außen-oder gar entwicklungspolitische Wirkung hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Hauchler.
Herr Staatssekretär, hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Kenntnis von weiteren derartig „weichen Krediten", die an China oder Indien oder andere Länder vergeben werden, die unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte und der Rüstung problematisch sind, und von weiteren derartigen Vorhaben?
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Nach all dem, was sich für mich aus der Aktenlage ergibt, sind mir persönlich — zumindest zur Zeit — weitere Vorhaben nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hauchler.
Der Bundestag hat im Oktober einen Beschluß gefaßt, wonach die Zusammenarbeit mit China auf eine Zusammenarbeit begrenzt werden soll, die unmittelbar, direkt der Bevölkerung zugute kommt und die sich auf Umwelt- und Reformprogramme bezieht. Hier werden Containerschiffe zu Sonderkonditionen mit finanziert. Wie können Sie diese beiden Gesichtspunkte zusammenbringen, immer unter der Prämisse, daß nicht entscheidend ist, aus welchen Etats der Bundesrepublik etwa finanziert wird, sondern welche Wirkung das Handeln der Bundesregierung auf ein Land wie China hat?Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, wir haben uns bisher immer sehr sorgfältig an den Beschluß des Deutschen Bundestages gehalten und werden dies auch in der Zukunft tun. Aber diese Prüfung bezieht sich auf Mittel, die wir im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit leisten und die im Rahmen des Einzelplans 23, also des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
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4654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repniksammenarbeit, zum Tragen kommen, und nicht auf andere Mittel.
Letzte Zusatzfrage des Kollegen Hauchler.
Also dann wird die Bundesrepublik offenbar für ihre Menschenrechtspolitik nur Mittel der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einsetzen, und die anderen Ressorts sind von dieser Politik nicht betroffen.
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: So kann man dies nicht sehen; das ist jetzt Ihre persönliche Interpretation. Diese Kriterien, auf die Sie sich jetzt in besonderem Maße beziehen, wurden bei uns im Ministerium erarbeitet und dem Parlament von Bundesminister Spranger so vorgestellt. Wir können nur im Rahmen unserer eigenen Verantwortung handeln, und dies haben wir getan.
Zusatzfrage des Kollegen Christoph Matschie.
Herr Staatssekretär, auch wenn diese hier vergebenen Mittel aus einem mehr innenpolitisch angelegten Ressort stammen: Hält es das BMZ für glaubwürdig, wenn einerseits in der Entwicklungshilfe für China wegen massiver Menschenrechtsverletzungen Mittel gekürzt werden — wenn auch in bescheidenem Umfang — , aber andererseits erhebliche Kredite zu Entwicklungshilf e-konditionen an das gleiche Land vergeben werden? Hält das BMZ das für eine glaubwürdige Politik der Bundesregierung?
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Matschie, ich habe zu Beginn meiner Beantwortung der Frage des Kollegen Hauchler darauf aufmerksam gemacht, daß diese Frage noch nicht endgültig entschieden ist.
Letzte Zusatzfrage des Kollegen Hans-Joachim Fuchtel.
Herr Staatssekretär, fällt nicht auch Ihnen auf, daß die ursprünglichen Fragen hier von einem süddeutschen Kollegen eingebracht wurden und nicht von norddeutschen Kollegen, die sich immer darum bemühen, daß mehr Aufträge für die Werftindustrie abfallen?
Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Ich habe dies nicht zu kommentieren.
Vielen Dank. Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit; denn die Frage 33 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Herr Staatssekretär Repnik, wir bedanken uns.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird damit nach den Richtlinien für die Fragestunde verfahren.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Rudolf Bindig sollen schriftlich beantwortet werden. Das gleiche gilt für die Frage 54 des Abgeordneten Robert Antretter, der eben zwar einmal hier war, inzwischen aber nicht mehr anwesend ist und eine schriftliche Beantwortung wünscht. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende auch dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, wir bedanken uns, daß Sie uns hier trotzdem zur Beantwortung zur Verfügung gestanden haben.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Nach den mir vorliegenden Unterlagen ist die Frage 58 des Abgeordneten Klaus Harries zurückgezogen worden. Die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Dr. Hartmut Soell sollen schriftlich beantwortet werden. Dasselbe gilt für die Frage 61 des Abgeordneten Ludwig Stiegler. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Es müßte jetzt die Frage 55 des Abgeordneten Robert Antretter aufgerufen werden, der aber nicht im Saal ist und genauso wie bei seiner Frage zum vorhergehenden Geschäftsbereich uni schriftliche Beantwortung gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Jetzt bleiben aus diesem Geschäftsbereich nur noch die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Claus Jäger übrig. Der ist aber nicht im Saal. Deswegen muß ebenfalls nach den Regeln der Geschäftsordnung für die Fragestunde verfahren werden. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich erledigt.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich dafür, daß Sie hier waren. Die soeben geschilderte Situation hat nun aber ergeben, daß Sie jetzt nicht mehr zu Wort kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nunmehr auf: Aktuelle Stunde
Situation von Studium und Lehre im geeinten Deutschland
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.
— Sie werden mich gleich kennenlernen, Frau Kollegin.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche erreichte uns die Alarmmeldung, daß die Hochschulen den Öffnungsbeschluß aufkündigen wollen. Für eine Reihe zusätzlicher Studienfächer soll der harte Numerus clausus eingeführt werden. Zehntausende von Studierenden werden nicht mehr das Fach ihrer Wahl, möglicher-
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Eckart Kuhlweinweise werden sie überhaupt nicht mehr studieren können.Zur Erinnerung: Dieser Öffnungsbeschluß geht auf den früheren Bundesbildungsminister Helmut Rohde und auf Bundeskanzler Helmut Schmidt zurück, die 1977 mit den Regierungschefs der Länder vereinbarten, daß weitere Zulassungsbeschränkungen vermieden und bestehende Beschränkungen soweit wie möglich abgebaut werden sollten. Die Voraussetzungen dafür sollten durch eine erschöpfende und möglichst flexible Nutzung der vorhandenen und der noch geplanten Ausbildungskapazitäten sowie durch besondere Zusatzlastmaßnahmen geschaffen werden. Wenn man den Hochschulrektoren glauben will, sind diese Bemühungen jetzt endgültig gescheitert.Auf der anderen Seite erleben wir gegenwärtig im Hochschulbereich eine gewaltige Bildungsexpansion. Immer mehr junge Menschen wollen immer mehr lernen. Ihr Verhalten entspricht auch dem, was die Arbeitsmarktforscher an Bedarf für die nächsten 20 Jahre voraussagen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns über dieses Bildungsverhalten freuen, und wir sollten endlich die politischen Konsequenzen daraus ziehen.Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren bemüht, durch eigene Programme die Lage an den Hochschulen zu entspannen. Jetzt zeigt sich allerdings, daß diese Sonderprogramme bei weitem nicht ausgereicht haben, um die strukturellen Veränderungen im Bildungsverhalten aufzufangen. Herr Möllemann ist zu kurz gesprungen.
Da gleichzeitig den Ländern in ihrer Finanzausstattung die Daumenschrauben angelegt wurden, konnten sie auch ihre eigenen Anstrengungen nicht verstärken. Wir erlauben uns, die Bundesregierung daran zu erinnern, daß unsere Fraktion Jahr für Jahr zusätzliche Mittel für den Hochschulbau gefordert hat.Ich nehme den Kündigungsbrief der Hochschulrektoren als letzte Warnung an die Politik, endlich ihre Pflicht zu tun. Es wäre allerdings um so glaubwürdiger, wenn die Hochschulen auch die dringend notwendige Reform der inneren Strukturen anpackten.
Der Öffnungsbeschluß von 1977 fordert nämlich nicht nur staatliche Anstrengungen, sondern auch eine Überarbeitung der Studien- und Prüfungsordnungen mit dem Ziel, sie von entbehrlichem Stoff zu entlasten und das Studium so zu organisieren, daß es innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen werden kann.
Wie wir wissen, ist die Dauer der Studienzeit seitdem immer länger geworden. Auch die Bemühungen der Kultusministerkonferenz und der Bund-Länder-Kommission haben bisher keine spürbaren Erfolge gezeitigt.Vielleicht sollten es manche Hochschullehrer mit einem größeren Engagement in der Lehre versuchen. Wenigstens für die nächsten schwierigen Jahre sollte es möglich sein, Aktivitäten außerhalb der Hochschulen etwas einzuschränken und sich auf die große Zahl der Studierenden zu konzentrieren. Ich könnte mir auch vorstellen, daß als Solidarbeitrag der Hochschullehrer zunächst bis 1995 das Lehrdeputat von 8 auf 10 Stunden angehoben wird. Dann würden wir vielleicht eine Ist-Zahl von 7 Stunden erreichen. Ich habe mir sagen lassen, daß in einem großen Bundesland von den 8 Stunden Deputat im Durchschnitt nur 5,6 Stunden gegeben werden. Wenn das so stimmt, ist das ein mittlerer Skandal, den wir alle kritisieren sollten und bei dem wir alle Remedur schaffen sollten. Solche Maßnahmen würden jedenfalls zusätzliche Lehrangebote bedeuten.Von der Bundesregierung erwarte ich, daß sie die Initiative zu einem Runden Tisch ergreift, bei dem Bund, Länder und Hochschulen — aus den Hochschulen wieder alle Gruppen, nämlich Professoren, Mittelbau und Studierende — zusammenkommen, um zu verhindern, daß aus der Ankündigung der Hochschulrektorenkonferenz ein Flächenbrand wird. An diesem Tisch könnte über einen Hochschulentwicklungsplan 2000, über die notwendige Evaluierung der Hochschulen auch im Westen, vielleicht unter Beteiligung von Unternehmensberatungsfirmen, über eine Straffung der Studiengänge, über ein Strukturprogramm zur Verbesserung der Lehre und über den entlastenden Einsatz von modernen Lerntechnologien gesprochen werden.Meine Damen und Herren, der Bund kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Ich weiß, daß solche Anstöße im komplizierten Bund-Länder-Gefüge schwierig umzusetzen sind. Aber die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, daß im Prozeß der deutschen Einigung der Hochschulbereich nicht Schaden nimmt. Wir brauchen viele gut ausgebildete junge und erwachsene Menschen, wenn die gemeinsame Bundesrepublik zu einer ökologischen und sozialen Demokratie ausgestaltet werden soll.Herr Ortleb, Sie können sich um die gesamtstaatliche Verantwortung dafür nicht drücken.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Alois Graf von Waldburg-Zeil das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde gibt Anlaß, im Geflecht der Bund-Länder-Bildungskompetenzen neue Entwicklungslinien anzudenken. Hier einige Punkte; Fraktionskollegen werden sie dann noch vertiefen.Erstens. Wie zu erwarten, hat die Befreiung von den Zwangsbildungswegen in den neuen Ländern sowohl zur Zunahme des Wunsches geführt, die Hochschulreife zu erwerben, als auch — wie eine Studierquote von 78 % der Abiturienten des Jahrgangs 1990 zeigt — zu der Bereitschaft, ein Studium zu beginnen. Auch in den alten Ländern ist der Trend zum Abitur ungebrochen, wenn auch die Studierquote der 70er Jahre nicht wieder voll erreicht wurde.
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4656 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Alois Graf von Waldburg-ZeilBevor ich die Probleme dieser Situation anspreche, möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß die Freiheit, seinen Bildungsweg zu wählen, nun auch in den neuen Ländern gilt.
Zweitens. Änderungen im Bildungsverhalten gehen natürlich schneller vonstatten, als die Strukturen angepaßt werden können. Die Reaktion des tertiären Bereichs auf Engpaßsituationen endet leicht in Zugangsbeschränkungen. Abgesehen von dem Bemühen, das Studienplatzangebot zu verbessern, wozu der Bund ja auch im Rahmen des Hochschulbaufinanzierungsgesetzes bereit ist, gibt es andere und bessere Wege. Die Antwort liegt im Wie der Zugangsbeschränkungen. Sie kann ebenso gerecht wie geistlos durch Verlosung vorgenommen werden, sie kann an Leistungskriterien gebunden werden. Sie kann aber auch dadurch erfolgen, daß dem Bewerber dafür bessere Beurteilungskriterien an die Hand gegeben werden, welche Chancen er im angestrebten Fach haben wird.Gerade die erhebliche Zahl von Studienabbrechern belegt die Notwendigkeit einer solchen Beratung im Interesse des einzelnen Studierwilligen.Für die Studienstauregelung gilt dasselbe wie für den Verkehr: Eine intelligente Verkehrslenkung im Sinne von Information erspart die Fehl- und Wartewege. Die Institution, die eine solche Verkehrslenkung beim Studierwilligen vornimmt, darf nicht diejenige sein, die den bisherigen Bildungsweg beobachtet hat, nämlich die Schule, sondern es muß die Hochschule als diejenige Einrichtung sein, die einen Überblick über die künftig zu durchlaufenden Bildungswege hat.Drittens. Ein Hochschulwesen, das von 30 % oder mehr eines Altersjahrgangs nachgefragt wird, ist ein anderes als eines, in dem eine kleine Minderheit studiert. Das bedeutet aus meiner Sicht die Gliederung des tertiären Bereichs in die sehr unterschiedlichen Nachfragegruppen und die starke Ausweitung der Fachhochschulen, insbesondere in den neuen Ländern, die diese Möglichkeit noch zuwenig kennen, weshalb die Nachfrage hierfür noch weit unter der in den alten Ländern liegt, und tertiäre Ausbildungsgänge im dualen System wie z. B. die baden-württembergischen Berufsakademien. Dies führt nicht nur zu berufsspezifischen und praxisorientierten Studiengängen, sondern zugleich zu einer Verkürzung der Studienzeiten.Viertens. Bei dem starken Andrang — ich kenne das aus den 50er Jahren — muß die Qualität der Lehre wesentlich verbessert werden.Fünftens. Wenn angesichts der Tatsache, daß wir zur Zeit weniger Lehrlinge als Studierende haben, Besorgnisse laut werden, daß im Facharbeiter- und Handwerksbereich Lücken aufgerissen werden, die zu großen Problemen im Beschäftigungssystem führen, muß unsere Antwort in der Herstellung wirklicher Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung bestehen.Zusammenfassend möchte ich sagen, Herr Kollege Kuhlwein: Studium und Lehre im geeinten Deutschland sind kein Anlaß zu Alarmmeldungen und Meldungen über angebliche Flächenbrände, wie Sie soeben gesagt haben, sondern Grund zur Freude und natürlich zu stetigen Verbesserungsbemühungen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dirk Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Kuhlwein zu kurz gesprungen ist, dann ist das ja erkennbar, denn er hat übersehen, daß Möllemann nicht kurz gesprungen ist, sondern überhaupt gesprungen ist. Möllemann I und II sind ganz schön weit gesprungen. Der Dank an den westdeutschen Hochschulen für Möllemann I und II ist heute noch immer wieder hörbar, und Ortleb I wird ja fortgesetzt, ist der Fortsetzer von Möllemann I und II, also Fortsetzung erfolgreicher liberaler Hochschulpolitik. Was vorher war, Herr Kuhlwein — und ich schaue auch mal den Parlamentarischen Staatssekretär zu sozialliberaler Zeit an —, ist ja vielleicht nicht immer so gut gewesen. 1964 ist es gewesen, daß von der deutschen Bildungskatastrophe Georg Picht gesprochen hat. Ich gehe, Graf Waldburg, nicht ganz mit Ihnen einig, die Lage so moderat zu sehen. Die Situation an den Hochschulen, und zwar an allen, von Nord nach Süd, von Ost nach West ist ausgesprochen dramatisch. Die Überfüllung ist überhaupt nicht zu übersehen. Ich denke, insofern ist von der Hochschullandschaft aus zwar nicht gerade von katastrophalen Zuständen, aber doch von höchst dramatischen Entwicklungen zu sprechen. Wenn die Hochschulrektorenkonferenz in diesen Tagen versucht hat, eine Antwort darauf zu finden, dann hat sie das auch nicht aus Jux und Dollerei getan, sondern wegen der seit Semestern bestehenden dramatischen Verhältnisse der Überfüllung, die sich aus verschiedenen Faktoren entwickelt haben.Je größer die Zahl der Studenten geworden ist, desto geringer sind die Möglichkeiten, an den Hochschulen selber mit den bestehenden Kapazitäten im räumlichen, sachlichen und personellen Bereich, die Qualität der Lehre und damit schließlich das Studium der Studenten zu sichern. Ich denke, weder der Ruf nach vermehrter Ausweisung des Numerus Clausus noch die ständige Forderung nach mehr Geld wird den anstehenden Problemen in der Bildungspolitik gerecht, sondern über die aktuellen Engpässe hinaus, die dringend genug sind — ich wiederhole mich —, gilt es eigentlich, wie mir scheint, darüber nachzudenken, ob die bildungspolitischen Weichen in Deutschland insgesamt richtig gestellt sind.
Von daher frage ich erstens: Ist es gesellschaftlich gewünscht, daß mittelfristig ca. 40 % eines Altersjahrgangs studienberechtigt sind? Wenn ja, welche Folgen sind zu erwarten und zu meistern? Zweitens. Ist es volkswirtschaftlich zu reçhtfertigen, daß arbeitslose Akademiker nach immer längeren Studienzeiten ohne berufliche Perspektive sind? Ist es sinnvoll, daß zunehmend eine Verdrängung von Absolventen der Realschule und des dualen Systems durch Abiturien-
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Dirk Hansenten und Hochschulabsolventen stattfindet? Drittens. Wird der persönliche Frust beruflicher Perspektivlosigkeit nicht dramatische gesellschaftliche Folgen haben? Viertens. In welcher Weise können die Studienzeiten verkürzt werden? Sind Studienorganisation, Studiengänge und Prüfungsordnungen nicht einer gründlichen Revision zu unterziehen? Herr Kuhlwein hat darauf hingewiesen. Entsprechen überhaupt, so frage ich fünftens, die bisherigen Hochschulstrukturen mit Forschung, Lehre und berufsbezogener Ausbildung den aktuellen und künftigen Bedürfnissen? Wie kann sechstens der Anspruch auf Gleichrangigkeit von beruflicher und Hochschulausbildung, der doch gerade von uns formuliert wird, verwirklicht werden? Sind siebtens nicht auch beamtenrechtliche Laufbahnbestimmungen zu überprüfen? Wie kann das A-13-Syndrom überwunden werden?
Ich denke, mit Blick auf die Hochschulen und das Studium muß auch nach der Schulpolitik in der Bundesrepublik gefragt werden. Bereitet denn also, so frage ich achtens, das Gymnasium mit dem heutigen Kurssystem und dem Abitur nach zweijähriger Punktejagd in richtiger Weise auf die Hochschule vor? Korrespondiert die Spezialisierung an der Oberstufe mit der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung? Vertragen sich also Regelungsvorschläge wie NC, fachspezifische oder allgemeine Intelligenztests, Eingangsauswahlgespräche mit dem Anspruch, das Abitur als Ausweis allgemeiner Studierfähigkeit zu erklären? Sind — zehntes — ausreichende Möglichkeiten der Berufsberatung gegeben, um den Schülern in der zehnten Klasse und vor dem Abitur perspektivlose Ausbildungswege zu ersparen? Und wissen wir schließlich in der aktuellen Diskussion differenziert genug, woher denn die verschiedenen Studentenströme kommen: Ost-West-Problem, Orchideenfächer, Parkzeiten, Karteileichen, Nicht-Exmatrikulierte? Was verbirgt sich hinter deri Studentenzahlen? Schließlich frage ich zwölftens: Sind die organisatorischen Strukturen in den Ländern — zumeist getrennt Hochschul- und Schulpolitik — angemessen? Sind Gremien wie Ständige Kultusministerkonferenz, Bund-Länder-Kommission ausreichend genutzt und effizient genug eingesetzt? Sind Sie hautnah an den aktuellen Problemen?Ich mache darauf aufmerksam — ich denke, insofern gehe ich mit Ihnen einig, Herr Kuhlwein —, es ist ein neuer, grundsätzlicher Ansatz erforderlich. Eine Regierungskonferenz, vielleicht unter wissenschaftlich neutraler Leitung — im Anschluß an den 1975, wenn ich es richtig sehe, eingegangenen Deutschen Bildungsrat — zwischen Bund und Ländern sollte neue Problemansätze versuchen, Perspektiven und tragfähige Konzeptionen entwickeln. Die Evaluierung ist insgesamt in Ost und West angesagt.Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Stephan Hilsberg.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich sollten wir ja all den in der Hochschulrektorenkonferenz versammelten Hochschullehrern dankbar sein, daß wir uns heute endlich einmal über die unerträgliche Situation an den Hochschulen unterhalten können. Doch hätte ich mir lieber einen anderen Anlaß dafür gewünscht als diesen Paukenschlag, nämlich die einseitige Aufkündigung des Öffnungsbeschlusses verbunden mit der Drohung, nun die Hochschulen vor den überflutenden Studentenzahlen dicht zu machen. Denn das geschieht zu einer Zeit, wo wir eine ausgesprochene Bildungsoffensive für die neuen Länder brauchen und diese sich bemühen, angesichts des bisherigen DDR-Systems von Bildungsprivilegierung und damit einhergehender Diskriminierung eine Angleichung in den Pro-Kopf-Zahlen für die ostdeutschen Studentenzahlen zu erreichen.
Wir haben zur Zeit 130 000 Studenten aus den neuen Ländern. Diese Zahl wird sich, geniessen an den westdeutschen Verhältnissen, verdoppeln bis verdreifachen. Unter diesen Bedingungen ist die Aufkündigung des Öffnungsbeschlusses der Hochschulrektorenkonferenz zumindest in Richtung auf die neuen Länder ein falsches Signal. Doch was sollten die Rektoren machen? Das Problem der Überlast existiert ja nicht erst seit gestern. Permanent ist im letzten Jahrzehnt über die fällige Hochschulreform diskutiert, sie ist aber nicht begonnen worden. Das Verhältnis von Forschung und Lehre stimmt nicht. Das Lehrer-Studenten-Verhältnis stimmt nicht, obwohl bei einer Reihe des Lehrpersonals die Anzahl der Pflichtstunden unterschritten wird. Sogar der Bundeskanzler mahnte in Jena eine Stuclienzeitverkürzung an. Nur eine kleine Anmerkung: Diese Hochschulsituation ist es, die zur Zeit als Zielvorgabe für die Neuordnung der Hochschullandschaft in den neuen Ländern dient. Den Frust, der in Ostdeutschland darüber herrscht, kann ich gut verstehen.
Die Probleme sind in den letzten Jahren aufgelaufen, ohne daß sie von der Koalition einer Lösung näher-gebracht werden konnten. Historisch diente der Beschluß der Bildungsexpansion und einer Öffnung der universitären Ausbildung auch für solche sozialen Schichten, die vorher kaum in den Genuß dieser Ausbildung kamen: die Kinder von einfachen Leuten, Arbeitern, einfachen Angestellten und der Landbevölkerung. Nebenbei, deren Anteil befriedigt auch jetzt noch nicht. Der Öffnungsbeschluß führte damals zu einer einkalkulierten Überlast, die wider Erwarten nicht wieder abnahm.
Mit dieser Situation konnten die Hochschulen offenbar so lange leben, bis infolge der Vereinigung die Finanzen für bildungspolitische Aufgaben nicht etwa — wie normalerweise zu erwarten gewesen wäre —aufgestockt wurden, sondern konstant blieben. An dieser Finanzlage haben die verschiedenen Sonderprogramme auch nichts geändert. Das letzte der Hochschulsonderprogramme ist regierungsintern sogar noch gekürzt worden.
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Stephan Hilsberg
— Ich meine, die Kürzung von 4 Milliarden DM auf 1,6 Milliarden DM. Bevor es überhaupt in die öffentliche Diskussion kam, ist dieses Programm doch schon gekürzt worden. Oder wollen Sie das bestreiten?
Nun lassen wir wieder überwiegend Herrn Kollegen Stephan Hilsberg reden!
Bitte.
Es ist abzusehen, daß die Bildungsbeteiligung weiter zunehmen wird. Wir Sozialdemokraten wollen das auch.
Im Osten Deutschlands ist es zudem ein Teil der Vergangenheitsbewältigung, ein Aufbruch zu neuen Ufern. Wir wollen, daß die Kräfte, die in den jungen Leuten stecken, sich optimal entfalten können. Unsere Gesellschaft braucht die kreative und geistige Energie der jungen Generation, und die Wirtschaft, meine Herren, braucht sie auch. Es ist doch der glatte Hohn, im Jahre vor dem europäischen Binnenmarkt mit einer Ausweitung des Numerus clausus zu drohen. Wer das zuläßt, beschädigt auf Dauer nicht nur die Exportfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Es gibt viele Publikationen und Gremien, die man heranziehen kann, will man sich ernsthaft um die Lösung dieser Probleme bemühen. Die Verwaltungsreform über Hochschulautonomie, Studienzeitverkürzung, Nachwuchsprogramme; nicht zuletzt hat die Enquete-Kommission Bildung 2000 hier einiges Hilfreiches geliefert. Ich will das alles gar nicht aufzählen.
Fazit: Die Regierung sollte initiativ werden. Die Hochschulrektorenkonferenz hat einen Denkanstoß gegeben. Vielleicht nützt das etwas. Wollen wir es hoffen; denn es ist schließlich auch in unserem Interesse.
Danke.
Ich rufe nun als nächsten Redner Dr. Rainer Jork auf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Betrachtung der Situation von Studium und Lehre im vereinten Deutschland gehen wir im allgemeinen davon aus, daß entsprechend Beitrittserklärung das Betrachtungsfeld in den Altbundesländern stabil ist und bleibt, in den neuen Bundesländern sich aber verändert und angepaßt wird. Ich schließe mich der Meinung von Herrn Hansen an, daß diese Betrachtungsweise auf jeden Fall zu hinterfragen ist.Ich möchte aus Zeitgründen aber lediglich auf die neuen Bundesländer, speziell Sachsen eingehen. Der Vergleich der Studienanfängerzahlen von 1991 und 1990 läßt erkennen, daß ein deutlicher Rückgang der Zahl der Studienanfänger vorliegt, und zwar mit ungefähr 88 %, bezogen auf die Basis von 1990. Dabei ist festzustellen, daß es ganz erhebliche Unterschiede gibt in beiden Richtungen. So ist z. B. an der Fachhochschule Mittweida ein Studienzugang von 170 % festzustellen, an der Uni Leipzig von 117 auf der anderen Seite aber an der TH Zwickau von 47 %. Diese Zahlen sprechen für sich und sollten betrachtet werden. Das sollte einer späteren Diskussion vorbehalten bleiben.Die uns allen vorliegende Drucksache 11/8506, der Bericht über hochschulpolitische Zielstellungen, stellt ausführlich einige dieser Gedanken dar. Bei Fachschulen, die dort nicht oder kaum betrachtet sind, besteht außerdem ein besonderes Problem, da vergleichbare Einrichtungen in den Altbundesländern nicht mehr vorhanden sind. Dies ist besonders kritisch, da jetzt Fachschulen die Nachwuchsquelle für bislang nicht verfügbare Handwerksmeister sind und der Nachwuchs für die Klein- und Mittelindustrie sich aus diesem Bereich rekrutiert.Welche Ziele sind bei der Erneuerung zu sehen? Es ist vor allem eine Einheit von Kompetenz, Integrität und Befugnis in Leitung und Lehrkörper herzustellen. Die Qualität und Infrastruktur der Lehre ist zu verbessern. Neueinrichtungen und bisher vernachlässigte Fachrichtungen, wie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft und Sprachen, sind aufzubauen.
Es ist Paßfähigkeit an die Bildungslandschaft der Altbundesländer herzustellen, und ich denke dabei auch an die Notwendigkeit, an das größere Europa zu denken. Vor allem gilt es, eine erhöhte Attraktivität herzustellen. Ich bin der Auffassung, daß die Attraktivität der beruflichen Bildung und Weiterbildung stark unterbelichtet dargestellt und wahrgenommen wird.
Das muß auch im Zusammenhang mit Studium und Lehre an den Hochschulen und Universitäten gesehen werden.Welche Maßnahmen und Probleme sehe ich vor allem? Das Hochschulerneuerungsgesetz hat erheblich geholfen. Die Evaluierung hat Probleme gebracht, auch geholfen. Es gibt vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsrat aber zwei wesentliche Probleme, die ich an dieser Stelle besonders anmerken möchte.Der Wissenschaftsrat geht bei der Rechtfertigung der Menge des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen und Universitäten von der Anzahl der Studenten je wissenschaftlichen Mitarbeiter aus. Danach haben die Altbundesländer dreimal soviel Studenten wie wissenschaftliche Mitarbeiter. Betrachtet man aber die Absolventen, so werden in den Neubundesländern 1,6mal soviel je wissenschaftlichen Mitarbeiter verabschiedet. Diese Betrachtungweise, die erstaunlicherweise nicht vom Ergebnis ausgeht, führt zu einer nicht vertretbaren Minimierungsforderung zur Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter in den neuen Bundesländern.
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Dr.-Ing. Rainer JorkDie Betrachtung zur Bedarfsermittlung wissenschaftlichen Personals in den neuen Bundesländern geht davon aus, daß keine Dritt-, also Vertrags- und Auftragsforschungsmittel, in den Hochschulen eingesetzt werden. Tatsächlich muß aber mit ca. 35 %, begründet durch die allerdings an den Staat abgeführten Einnahmen, gerechnet werden.Ich muß mich kurz fassen. — Um es zu wiederholen: Bei der Bewertung des wissenschaftlichen Personals wurde als Maßstab ein Faktor angesetzt, der sich aus der Anzahl der Studenten und der Verweilzeit ergibt. Das berücksichtigt nicht, sondern honoriert die Abbrechquote und Verlängerung der Studienzeiten. Es wäre besser, von der Anzahl der Absolventen und der Verweilzeit auszugehen. Ich verstehe nicht, daß an dieser Stelle der Aufwand und nicht der Effekt als Maßstab herangezogen wird. Das verträgt sich nicht mit meinem Verständnis von Marktwirtschaft.Zu den Ergebnissen: Ich kann feststellen, daß eine weitgehende Arbeitsfähigkeit hergestellt worden ist, daß neue Fakultäten eingerichtet wurden. Die Gleichwertigkeitsanerkennung der letzten Kultusministerkonferenz hat ermutigt und geholfen. Das Hochschulerneuerungsgesetz stellt einen Anfang bei der Bereinigung des Personalbereichs dar und ist weiterzuführen. Ich sehe in der Neubildung von Fachhochschulen eine ermutigende Steigerung der Attraktivität des Studiums in den neuen Bundesländern.Ich stelle fest, daß die finanzielle Förderung erheblich dazu beigetragen hat, die Bildungseinrichtungen in den neuen Bundesländern mit einer besseren Ausstattung zu versehen.Abschließend möchte ich die Hoffnung und Zuversicht ausdrücken, daß die Ziele der Erneuerung und erhöhten Attraktivität in den neuen Bundesländern erreicht werden können.Danke.
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Peter Eckardt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lammert, die Zwischenrufe, die Sie eben gemacht haben,
kontrastieren natürlich sehr stark mit dem, was Sie zur Bildungspolitik der CDU z. B. in einem Organ der Jungen Union mitgeteilt haben, was ich mit großem Vergnügen gelesen habe und dem ich nur ausdrücklich zustimmen kann.
— Das hatte ich eigentlich erst vor, weil es mir imponiert hat. Aber ich habe einen anderen Zettel.1985 bekräftigt die Bundesregierung in einem Bericht, es sei ihr erklärtes Ziel, für die Sicherung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu sorgen. Dieses Ziel ist in den 90er Jahren höchst gefährdet und für Teile der deutschen Hochschulen fast schon unerreichbar geworden.Das aktuell Wichtigste ist: 1 Million Studienplätze müssen bald 2 Millionen Bewerberinnen und Bewerber um eine akademische Ausbildung aufnehmen. In den neuen Bundesländern werden in den nächsten Jahren viele Jugendliche dieses Grundrecht mit Nachdruck einfordern. Der Neu- und Ausbau der ostdeutschen Hochschulen in Forschung und Lehre muß deshalb jetzt beginnen, ohne daß die Hochschulen in den alten Ländern darunter zu leiden haben.
Das ist der wichtigste Punkt.
Die unterschiedlichen Hochschulsonderprogramme, Haushaltsansätze im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und andere haben die Disparitäten zwischen Angebot und Nachfrage nach Studienplätzen bisher leider nicht aufheben können. Das betrifft übrigens auch die Anstrengungen der Bundesländer.Trotz Überlast als Dauerlast droht den immer noch erfolgreichen Hochschulen in den alten Bundesländern die Gefahr, ihre internationale Bedeutung zu verlieren, ebenso wie den traditionellen Hochschulen in den neuen Bundesländern, ihre Hochschulstruktur nicht demokratisieren zu können, wenn die Bundesregierung nicht alsbald eine umfassende Konzeption ihrer Hochschulpolitik vorträgt und danach handelt. Reform ist wieder einmal in Deutschlands Hochschulpolitik angesagt.
Wettbewerb für eine bessere Lehre und die Auswahl geeigneter Studienbewerber sind allein, mit Verlaub gesagt, hilflose Gesten, die allerdings oft mit großen Worten vorgetragen werden.Die Problemlage ist komplexer und auch differenzierter. Ich will nur eine Auswahl geben: zum Teil sehr ineffektive Lehre,. unter der die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses leidet; drohender Nachwuchsmangel in vielen Fachbereichen; fehlende Elemente eines Verbundes mit computergestützten Fernunterrichtsteilen in der Lehre; Verteilungskämpfe um Forschungsmittel; nicht ausreichende Ausstattung, die übrigens, soweit sie vorhanden ist, größtenteils aus den 70er Jahren stammt; Abwanderung von Studierenden in den Westen und der Hochschullehrer in die Industrie und ins Ausland; Verfestigung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern, deren Personal dann leider nicht für die Lehre zur Verfügung steht; inhaltliche und organisatorische Reformbedürftigkeit der Hochschulstrukturen und, was wir oft vergessen haben, auch wieder in Richtung Mitbestimmung; Notwendigkeit — das ist neu, und da müssen wir uns gemeinsam zusammensetzen — eines umfassenden
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4660 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Dr. Peter EckardtBildungscontrollings auch in den westdeutschen Hochschulen. Arbeitszeiten, Nebentätigkeiten,
Studienzeiten, Eingangsvoraussetzungen und auch Leistungsfähigkeit müssen genauso evaluiert werden, wie wir das den Kolleginnen und Kollegen in den ostdeutschen Ländern zumuten.
Noch ein deutliches Wort, hoffe ich: Radikaler Numerus clausus oder 30 000 neue Stellen sofort, das kann doch wohl nicht die Lösung sein.
Auch Auslobung durch Lehrwettbewerbe und Ranking-Listen sind keine erfolgreichen Problemlösungsversuche. Dem Zusammenwachsen Deutschlands und der Bedeutung von Wissenschaft und Demokratie dienen diese Rezepte, die sich aus dem Mangel entwikkeln, nicht.Wir Sozialdemokraten fordern deshalb alsbald eine umfassende Debatte über Wissenschaft, Forschung und Lehre im vereinten Deutschland. Die Bundesregierung, Herr Minister, bleibt aufgefordert, dazu eine hochschulpolitische Zielsetzung vorzulegen, die qualitativ über die letzte Vorlage wesentlich hinausgehen müßte.Danke schön.
Das Wort hat Dr. Karlheinz Guttmacher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Prognose besagt, daß wir im Jahr 2000 mit etwa 2 Millionen Studenten zu rechnen haben. Auf diese Situation haben sich die Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten schon jetzt einzurichten. Es macht keinen Sinn, wenn wir nun eine Katastrophentaube loslassen, um die Botschaft zu vermitteln, daß die Regierung bis jetzt nichts zur Vorbereitung auf eine solche Situation getan hat.Allein im alten Bundesgebiet hat es im Herbst 1991 mit 1,6 Millionen Studenten erstmals mehr Studenten als Lehrlinge gegeben. Eine Lösung der entstandenen und noch entstehenden Probleme ist vorwiegend über neue Schwerpunktsetzungen in der beruflichen Bildung, den Ausbau von Fachhochschulen und die mit der notwendigen Verkürzung der Studienzeiten einhergehenden Veränderungen im Hochschulwesen möglich.
Eine erste Möglichkeit zur Reduzierung der Studentenzahlen ergibt sich durch die Schaffung von attraktiven Berufsausbildungsgängen mit anschließend in Aussicht gestellter Qualifizierung, z. B. zum Meister.
Hierbei sollte das Begabtenförderungsprogramm, so wie es der Minister für Bildung und Wissenschaft aufgelegt hat, auch genutzt werden.
Die Entscheidung eines Jugendlichen, entweder einen hochwertigen Beruf zu erlernen oder sich für eine seinen Neigungen entsprechende Studienrichtung zu entscheiden, muß durch eine kompetente Beratung der Arbeitsämter besonders in den neuen Bundesländern noch besser erfolgen.
Als gesichert kann angesehen werden, daß sich die Studienanfängerzahlen in den nächsten Jahren besonders in den neuen Bundesländern deutlich erhöhen werden. Dies ist auch erforderlich, da der Anteil der Jugendlichen, die ein Studium aufnahmen, bisher nur 14 % eines Altersjahrgangs ausmachte und damit deutlich unter dem vergleichbaren Anteil der Jugendlichen in den alten Bundesländern lag. Sollte sich der Anteil der Studierenden im geeinten Deutschland mittelfristig auf 40 % erhöhen, müssen sich Bund und Länder und damit die Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten auf diese Situation einstellen.Ein guter Schritt in diese Richtung — so meine ich — ist das durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft für die Hochschulen der Bundesrepublik aufgelegte Hochschulsonderprogramm I und II,
das die Erweiterung der Studienkapazität in Verbindung mit einer erfolgreichen Personalplanung vorsieht. Ob allerdings die für den Hochschulbau in den 16 Bundesländern vorgesehene Finanzausstattung in Höhe von 1,6 Milliarden DM für die nächsten Jahre ausreicht, wage ich zu bezweifeln.
Meine Damen und Herren, in ihrer letzten Stellungnahme signalisiert die Hochschulrektorenkonferenz, Einschränkungen des Öffnungsbeschlusses durch die Einführung des Numerus clausus für verschiedene zusätzliche Fachrichtungen vornehmen zu müssen, um die Qualität von Lehre und Forschung an ihren Universitäten halten zu können. In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, ob es durch die Verbesserung der Studienorganisation, die Neufestlegung der Studieninhalte und vor allen Dingen eine verschärfte Prüfungsorganisation nicht zu einer Verkürzung der Studienzeiten kommen kann. Hierbei sollte man durchaus auf gute Ansätze der Prüfungsverfahren der ostdeutschen Universitäten zurückgreifen. Vordiplom- und Diplomprüfungen und die für diese Prüfungen notwendigen Leistungsnachweise durften hier in festgelegten Zeiträumen zweimal, mit Sondergenehmigung des Dekans ein drittes Mal gemacht werden, dann wurde exmatrikuliert.Meine Damen und Herren, die neuen Bundesländer haben zum großen Teil die Neuordnung der Hochschulen und Universitäten abgeschlossen. Fakultäten mit politisch sensiblen Fachrichtungen wie Jura, Wirtschaftslehre, Pädagogik, Psychologie, Literaturwis-
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Dr. Karlheinz Guttmachersenschaften und Philosophie wurden durch eingesetzte Struktur- und Berufungskommissionen neu aufgebaut. Der Studentenzugang war in diesen Ausbildungsrichtungen gemessen an früheren Zahlen sehr groß. Ebenso wie in den alten Bundesländern reicht die Hörsaalkapazität inzwischen nicht mehr aus. Erschwerend kommt in der Ausbildung an Hochschulen und Universitäten der neuen Bundesländer hinzu, daß außer in den ideologiefreien Studiengängen die Studienzeit der Studenten um zwei bis vier Semester je nach Fachrichtung verlängert werden muß, um ihnen einen Studienabschluß zu garantieren, der Anerkennung findet.Meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl die SPD-Fraktion heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat, erscheint mir der Gegenstand, um den es hier geht, zu wertvoll zu sein, um ihn hier lediglich fragmentarisch in einer Stunde zu diskutieren.
Dann sollte man jetzt zum Schluß kommen.
Vielmehr empfehle ich, dieses Thema im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft gemeinsam mit dem Bildungsministerium gründlich zu diskutieren,
um möglicherweise Empfehlungen an die Bund-Länder-Konferenz, die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz geben zu können.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe die Empfehlung, bei fünf Minuten zu bleiben.
Als nächster hat das Wort Herr Dr. Dietmar Keller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß die sonst beschworene Einheit von Forschung und Lehre heute auseinandergerissen wird. So debattieren wir heute über Studium und Lehre und ein andermal vielleicht über die Situation in der Forschung. Aber beides gehört zusammen. Es ist einer der Hauptkritikpunkte an den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Neuordnung der ostdeutschen Forschungslandschaft, daß er bei dem empfohlenen starken Personalabbau die Bedürfnisse einer durch eigene Forschung fundierten Lehre und eines forschungsbetonten Studiums weitgehend ignoriert hat.Die Hochschulrektorenkonferenz stellt in ihrer Entschließung vom 4. November fest, daß 30 000 neue Stellen für wissenschaftliches Personal erforderlich seien, um die Betreuungsrelation zwischen wissenschaftlichem Personal und Studierenden von 1977 wiederherzustellen. Gleichzeitig wird das wissenschaftliche Personal in Ostdeutschland von 132 000 Ende 1989 auf weniger als 45 000 Ende 1991 reduziert, darunter im Hochschulbereich von 14 000 auf unter 10 000, in der außeruniversitären Forschung von 32 000 auf maximal 10 000 und am gravierendsten in der Industrieforschung von 86 000 Ende 1989 auf unter 25 000 Ende 1991.Die Konsequenzen aus dem Forschungsabbau für Lehre und Studium in Ostdeutschland sind gegenwärtig weder im ganzen noch im einzelnen abschätzbar. Bekanntlich waren die Betreuungsrelationen zwischen wissenschaftlichem Lehrpersonal und Studierenden in der DDR wesentlich günstiger als in der BRD. Für die BRD wurde 1977 die Zahl von 11 Studentinnen und Studenten pro hauptberuflicher wissenschaftlicher Lehrkraft gehandelt, 1990 die Zahl von 16. Für die DDR wurde die Relation etwa mit 4: 1 angegeben. Wenn man allerdings nicht die durch überlange Studienzeiten aufgeblähte Studentenzahl der BRD einer Betreuungsrelation zugrundelegt, sondern die Absolventenzahl, kommt man nicht zu einem Verhältnis von 3,5 : 1 zugunsten der DDR im Vergleich zur BRD, sondern nur von 1,8 : 1.Wie heute im Bildungsausschuß von Staatssekretär Schaumann mitgeteilt wurde, besteht in den neuen Ländern die Absicht, das Personal in den Hochschulen auf 40 % bis 50 % des jetzigen Bestandes herunterzufahren. Damit wäre unter Berücksichtigung der stark steigenden Studentenzahlen die Betreuungsrelation schlagartig deutlich schlechter als in den alten Bundesländern. Wenn jetzt von der Hochschulrektorenkonferenz die Wiederherstellung der Betreuungsrelation von 1977 gefordert und von der Bundesregierung die deutliche Verkürzung der Studienzeiten als hochschulpolitisches Ziel deklariert wird, so kann man ohne nostalgische Verklärung feststellen: In der DDR hatte man beides, gute, vielleicht auch etwas zu gute Betreuungsrelationen, die aber durch stark anwachsende Studentenzahlen ohnehin geschrumpft wären, und davon nicht zu trennende kürzere Studienzeiten.Anstatt nun — wie auch von vielen westdeutschen Hochschullehrern erwartet — die relativ günstigen Voraussetzungen der früheren DDR nach dem Beitritt zu erhalten und sie mittel- und längerfristig auch für eine Entspannung der vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz als alarmierend bezeichneten Überlastungssituation der westdeutschen Hochschulen, wo auf jeden flächenbezogenen Studienplatz zwei Studierende kommen, zu nutzen, lief auch hier alles nach einem bekannten Schema ab: Was in Westdeutschland nicht ist, darf in Ostdeutschland nicht sein. Also wurde der sogenannte akademische Mittelbau der ostdeutschen Hochschulen, von dem Lehre und Forschung an den Hochschulen vor allem lebten und der die Basis einer günstigen Betreuungsrelation war, weitestgehend zerschlagen.Ähnlich wie in der einstigen DDR liegt eines der Grundübel der bundesdeutschen Hochschulpolitik in einer seit Ende der 70er Jahre stagnierenden Grundfinanzierung der Hochschulen. Die geringfügigen Steigerungsraten wurden von den Inflationsraten mehr als aufgezehrt, so daß selbst die einfache Reproduktion des zu beklagenden niedrigen Niveaus gefährdet ist. Jetzt helfen — da stimme ich vielen Vorrednern zu — keine punktuellen Sonderprogramme mehr, zu denen auch das arg geschrumpfte Hochschulerneuerungsprogramm Ost gehört, sondern es
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4662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991
Dr. Dietmar Kellerbedarf einer grundlegenden und dauerhaften Sanierung, wie sie von der Hochschulrektorenkonferenz gefordert wird. Wenn die Hochschulrektorenkonferenz nun mit einem flächendeckenden Numerus clausus droht, um einen einigermaßen geregelten Studienbetrieb aufrechtzuerhalten, ist das ein „Verdienst" einer verfehlten Hochschulpolitik der Bundesregierung, nicht zuletzt auch gegenüber den neuen Bundesländern.
Ich danke Ihnen.
Als nächster hat der Kollege Dr. Egon Jüttner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der Studentenzahlen an den deutschen Universitäten erfordert eine Studienreform dringender denn je. Neben der Studienzeitverkürzung gehört deshalb auch die Verbesserung der Lehre zu den Aufgaben, denen sich die Universitäten stellen müssen.
Die Forderung nach Verbesserung der Lehre ist nicht neu. Bereits Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre nahm dieses Thema einen wichtigen Platz in der hochschulpolitischen Diskussion ein. Damals wurden hochschuldidaktische Seminare und Institute gegründet, die später allerdings häufig wieder geschlossen wurden; nicht zuletzt deshalb, weil es ihnen nicht gelang, praktische Hilfen und Vorschläge zu erarbeiten. Sie haben damit die in sie gesetzten Erwartungen oft nicht erfüllt.
Heute zwingt der ungebrochene Studentenandrang mehr denn je dazu, zum Zweck der Studienzeitverkürzung auch konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Hochschullehre zu ergreifen. Ich begrüße es deshalb, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Bemühungen zur Verbesserung der Hochschullehre aktiv unterstützt,
indem er entsprechende Forschungsprojekte vergibt, um Möglichkeiten und Maßnahmen zur Erhöhung des Stellenwerts und der Qualität der Lehre im Hochschulbereich aufzuzeigen. Ich erinnere an die Studie von Dietrich von Queis über Förderungsmöglichkeiten guter Lehrleistungen am Beispiel ausländischer Universitäten, vor allem auch über die Darstellung einer Vielfalt von Anerkennungsmechanismen bezüglich guter Lehre an angelsächsischen Hochschulen.
Wir brauchen — unabhängig von der jetzigen Situation — weitere Studien, die sich mit Fragen der Evaluation der Hochschullehre, mit der Schaffung motivationsfördernder Anreize im Bereich der Hochschullehre und mit der Förderung der Kooperation von Lehrenden und Lernenden befassen. Um so erfreulicher ist es, daß im Auftrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft die Evaluierung von Lehrleistungen in vier weiteren Projekten erprobt werden soll. So wird beispielsweise an der Universität Bielefeld versucht, durch Koppelung von Lehrleistungen und Ressourcenzuteilung zu einer Verbesserung der Lehre zu gelangen. Von solchen Projekten können Ergebnisse erwartet werden, die wichtige Impulse zur Verbesserung der Hochschullehre liefern. Ebenso wichtig sind sechs vom Bundesbildungsministerium geförderte und bereits im August begonnene Veranstaltungen zum Thema „Qualität von Studium und Lehre".
Ich begrüße auch, daß ein Bundesland wie BadenWürttemberg Programme und Vorschläge zur Stärkung der Lehre an den Universitäten vorgelegt hat. Die baden-württembergischen Empfehlungen zur Stärkung der Lehre an den Universitäten schließen außerdem die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel ein, und zwar sowohl für Tutorenprogramme als auch für Preise, die bei hervorragender Lehre verliehen werden.
Ich halte es für wichtig, daß bei Berufungsverfahren künftig die didaktischen und pädagogischen Fähigkeiten der Bewerber stärker berücksichtigt werden, daß — wie in Bayern und Baden-Württemberg bereits geschehen — die Prüfungsorganisation verbessert und gestrafft wird und daß die begleitende Beratung und Betreuung der Studierenden verstärkt wird.
Aber auch eine hochschuldidaktische Fortbildung für bereits Lehrende muß sichergestellt werden. Die Forschungsberichte der Universitäten sollten durch Berichte sowohl über die Lehre als auch über die Entwicklung der Studienzeiten und Prüfungsergebnisse ergänzt werden.
Der Frage, ob regelmäßige Beurteilungen von Lehrveranstaltungen durch die Studenten erfolgen sollen, ist mit äußerster Sorgfalt zu begegnen. Nur in Modellversuchen kann geprüft werden, welche Indikatoren für die vergleichende Beurteilung der Lehrqualität an Hochschulen herangezogen werden können.
Einen anerkannten Katalog von Kriterien zur Beurteilung von guter Lehre gibt es nämlich nicht. Problematisch wird es deshalb vor allem dann, wenn die Qualität der Lehre auf der Basis der Beurteilung allein durch Studenten gemessen werden soll.
Maßnahmen zur Stärkung der Lehre an den Universitäten sind wichtig und dringend erforderlich. Vorbehalte auf seiten der Hochschullehrer müssen deshalb zurückgestellt werden. Gleichzeitig muß aber auch die Einheit von Forschung und Lehre gewährleistet bleiben, und es darf auch künftig keine Einteilung in Lehr- und Forschungsprofessoren geben.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Als nächster in unserer aufregenden Debatte hat das Wort Herr Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. November 1991 4663
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz der entmutigenden Einladung will ich doch sagen: Ich spreche jetzt nicht zu Zahlen, weder zu den zu vielen Studenten noch zu dem zu wenigen Geld. Mit Erheiterung habe ich die Vorschläge zur Verbesserung der Lehre gehört. Ich habe auch einen, nämlich die Frage zu stellen: Was ist denn Lehre überhaupt?
Um frei zu sein, bedarf die Gesellschaft der Wissenschaft. Umgekehrt: Um ihre Kompetenz, ihren Sachgehalt und ihren Wirklichkeitsbezug verifizieren zu können, bedarf die Wissenschaft der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und nicht der Preise und der Geldprämien.
Die 40 Jahre hinter uns haben eines der umfassendsten, freilich niederschmetterndsten Exempel für die Wahrheit dieser Sätze geliefert. Die gesellschaftliche Herrschaftsposition des Marxismus-Leninismus beruhte auf seinem Anspruch, mit einem konkurrenzlosen Führungsanspruch ausgestattete Wissenschaft, und zwar als fortgeschrittenstes Bewußtsein, zu sein — sie, die weder eine triftige Analyse des komplexen Zustandes unserer heutigen Gesellschaft noch eine Orientierung in der Komplexität unserer Wahrnehmung der Gesamtwirklichkeit zu geben vermochte.
Woher also ihre ungerechtferigte Dominanz in der Gesellschaft? Hier wird es nun ganz aktuell und spannend. Die Position kam aus staatlicher Autorisierung und Privilegierung an Universitäten, Akademien, Hochschulen und Schulen. Darum ist mein Impuls heute nur, eines zu sagen: Wir kommen aus diesem Desaster der Lehre nur durch Entstaatlichung und Öffentlichkeit heraus.
Das alles scheint so klar, daß sich die Frage aufdrängt: Warum muß denn der Deutsche Bundestag über diese Frage debattieren? Er muß darüber debattieren. Die unberechtigte Herrschaft einer wissenschaftlich und sozial inkompetenten Ideologie wird weder durch eine Gegenideologie noch durch bloßen Pluralismus beseitigt und überwunden, sondern allein dadurch, daß wir uns die Freiheit nehmen, uns mit der ganzen gesellschaftlichen und der ganzen außermenschlichen Wirklichkeit konfrontieren zu lassen.
In diesem Moment kommt es mir darauf an, darauf aufmerksam zu machen, daß zu dieser Konfrontation eine ganz wichtige Fähigkeit gehört, die man nicht durch die Demontage von Lenin-Statuen und Beseitigung von Marx-Büsten erlangt, sondern durch den Mut, sich der Wirklichkeit zuzuwenden und dann auch nachfühlen und wahrnehmen zu können, daß etwas stirbt.
Das scheint mir die wichtigste Voraussetzung für eine unbefangene Erfahrung der Wirklichkeit des eigenen Lebens, aber auch unserer Gesellschaft zu sein. Daran scheint es uns weithin zu mangeln; durch eine staatlich verordnete Bilderstürmerei fahren wir eigentlich nur fort in jener Abgrenzungsstrategie, die wir einmal in der alten DDR 1987 bekämpft und der wir eine Absage erteilt haben.
Damit Sie nicht denken, ich bin ein Pessimist, will ich nur auf zwei Gegenbeispiele hinweisen, die leider noch gar nicht erwähnt worden sind, wo ich meine, dort könnte eine solche neue Begegnung mit dem Ganzen unserer Wirklichkeit auf dem Hintergrund einer neuen geschichtlichen Urteilskraft entstehen. Es sind die neu gegründeten europäischen Universitäten in Frankfurt an der Oder und, noch nicht so weit entwickelt, in Erfurt, an zwei ganz wichtigen Schnittpunkten der Kultur und der Geschichte. Wenn es dort gelänge, den Konnex zu finden, um das Schisma zwischen Ost- und Westeuropa zu überwinden, dort an der polnischen Grenze, und die Beziehung zwischen der hochentwickelten Industrie in Süddeutschland und dem brachliegenden mitteldeutschen Industriegebiet auch im Bereich der Wissenschaft herzustellen, dann bin ich ganz optimistisch, daß es uns auch gelingen wird, eines der größten Probleme der deutschen Universitätslandschaft zu lösen, nämlich das Nebeneinander von drei ganz verschiedenen und bis jetzt unvereinbaren Universitätstypen in Berlin, der Humboldt-Universität als historischer Universität, der Freien und der Technischen Universität.
Ich könnte mir vorstellen, daß eine solche lehrfähige Wissenschaft es fertigbrächte, eine Gemeinschaft zu konstituieren zwischen einer befreiten, einer befreienden und einer praktizierten Wissenschaft. Aber ich sage noch einmal: Das geht nur durch Entstaatlichung und Öffentlichkeit.
Nun hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Dr. Rainer Ortleb, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir anmaßen darf, zunächst die Debatte bis hierhin zu analysieren, dann muß ich feststellen, daß quer über alle Fraktionen eigentlich eine breite Übereinstimmung besteht, daß Bildung ein Gut ist, das man nicht politisch zwischen Fraktionen zerreden darf, sondern es ist eigentlich nur notwendig, daß man es als unabdingbar anerkennt und daß man gemeinsam versucht, mit Respekt vor der Generation, die wir bilden, das Bestmögliche zu tun.In diesem Sinne, Herr Kuhlwein, habe ich auch nicht die Absicht, mich zu drücken, wenn hier in dieser Debatte der Finger in die Wunde gelegt worden ist. Wenn ich jetzt spreche, dann nur, um darzustellen, daß ich folgende Probleme kenne:Die Situation von Lehre und Studium an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland wird durch die Entwicklung der Studienanfänger- und Studentenzahlen einerseits sowie andererseits durch die Umstrukturierung in den neuen Ländern bestimmt. Die Ausgangslage stellt sich wie folgt dar.Erstens. Entgegen früheren Erwartungen ist die Zahl der jährlichen Studienanfänger in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin gestiegen und wird auch Ende der 90er Jahre höher liegen als an deren Anfang.Zweitens. In den alten Ländern sind derzeit ca. 810 000 flächenbezogene Studienplätze — Sie wissen, das ist eine Verwaltungszahl — bei einem Aus-
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Bundesminister Dr. Rainer Ortlebbauziel von 850 000 ohne die vom Wissenschaftsrat empfohlenen zusätzlichen 50 000 Studienplätze im Fachhochschulbereich vorhanden. Insgesamt gibt es danach in der Bundesrepublik Deutschland knapp 900 000 flächenbezogene Studienplätze. Unter „erschöpfender Nutzung" dieser Kapazität, wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, haben wir damit für ca. 1,2 Millionen Studierende ausreichende Studienmöglichkeiten — Sie haben am Ton meiner Stimme gemerkt, wie ich das beurteile — , diese Kapazität reicht aber eben nicht für dauerhaft höhere Studierendenzahlen.Drittens. Für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau stehen in diesem und in den kommenden Jahren insgesamt 1,6 Milliarden DM zur Verfügung. Davon wurden den neuen Ländern jeweils 300 Millionen DM reserviert. Die Anmeldungen der Länder und die vom Wissenschaftsrat als vorrangig eingestuften Vorhaben weisen selbst bei einem Realisierungsgrad von nur 80% mit 4,5 Milliarden DM einen erheblich höheren Finanzbedarf auf.Viertens. Mit den Hochschulsonderprogrammen I und II trägt der Bund entscheidend dazu bei, die Situation in Engpaßbereichen zu verbessern. Aber der Aspekt der Hochschulerneuerung in den neuen Ländern ist zu beachten, und zwar in dem Sinne:Die neuen Länder und Berlin haben die gesetzlichen Grundlagen für die Neuordnung von Hochschule und Forschung sowie die personelle Erneuerung weitgehend geschaffen.Das Hochschulerneuerungsprogramm vom Juli 1991 stellt für die Integration der Hochschulen der neuen Länder in das deutsche Hochschulsystem erforderliche Mittel und Fördermaßnahmen zur Verfügung. Ich möchte an dieser Stelle nicht mehr um Zahlen streiten. Das Programm ist gestutzt worden, weil sich die alten Länder verweigert haben.
Ferner sind hochschulpolitische Konsequenzen zu überdenken. Nachdem die Weichenstellungen zum Aufbau des Hochschulsystems im geeinten Deutschland erfolgt sind, sind nun Entscheidungen von Bund und Ländern darüber gefordert, welche Maßnahmen wegen der anhaltend hohen Nachfrage der Studienanfänger im Hochschulbereich erforderlich sind.Erstens. Die Bundesregierung hat bereits in ihren Hochschulpolitischen Zielsetzungen von 1990 erklärt, daß im Hochschulbau die bisherigen Ausbauzielzahlen überprüft werden müssen.Zweitens. Neben dem Ausbau des Hochschulbereichs muß die Leistungsfähigkeit der Hochschulen in der Lehre verbessert werden.Lassen Sie mich dazu folgendes ausführen: Bund und Länder haben zur Verbesserung der Qualität der Lehre Maßnahmen mit dem Ziel entwickelt, den Stellenwert der Lehre anzuheben. Die zu geringe Effizienz der Hochschulausbildung läßt sich vor allem auf die unbewältigte Stoffülle, die mangelhafte Organisation insbesondere der Prüfungen und ihre negativen Auswirkungen auf die Fachstudienzeiten und schließlich auf die unzureichenden Vermittlungsformen der Lehre zurückführen.
Diese Mängel können nicht ausschließlich aus der Überlast erklärt werden. Verbesserungen in diesem Bereich sind allerdings nur mit den Hochschullehrern, nicht gegen die Hochschullehrer zu erreichen.Drittens. Die Hochschulrektorenkonferenz hat sich auf ihrer Plenarversammlung in diesem Monat zur Situation anhaltend höherer Studienanfängerzahlen geäußert — ich zitiere — :Bei der unverändert hohen Zahl von Studierenden und der seit Jahren unveränderten Ausstattung für Forschung und Lehre sehen sich die Hochschulen nicht mehr länger in der Lage, den Öffnungsbeschluß mitzutragen.Ich setze dagegen: Jede Erweiterung des Numerus clausus ist eine Beschränkung der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Ausbildung und Beruf.
Das heißt mit anderen Worten: Wir müssen dieses Problem anders lösen.
Viertens. In der Versorgung mit staatlich gefördertem Studentenwohnraum besteht derzeit eine erhebliche Versorgungsdiskrepanz zwischen Ost und West: Während in den neuen Ländern für über 70 % der Studierenden entsprechender Wohnraum — wenn auch unter sehr schlechten Bedingungen — noch aus der Zeit der ehemaligen DDR bereitgestellt wird, können in den alten Ländern nur weniger als 10 % der Studierenden einen Platz in Studentenwohnheimen finden. Studentenwohnraumbau tut not. Das wurde früher für die Schiffahrt gesagt.Fünftens. Die BAföG-Leistungen müssen an die Veränderung des Einkommensniveaus und an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angeglichen werden.
Ich werde versuchen, das in der im nächsten Jahr fälligen Novelle zu manifestieren.Insgesamt kann ich sagen: Wenn wir über Fraktionsgrenzen hinweg Einverständnis über die Notwendigkeit von Bildung erzielen, dann bitte ich Sie auch, daß in Zukunft Einverständnis über die Finanzierung von Bildung hergestellt werden kann.Ich danke Ihnen.
Nun hat die Kollegin Doris Odendahl das Wort.
Verehrte nicht aufgeregte, aber durch das Thema hoffentlich anzuregende Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Aufkündigung des Öffnungsbeschlusses von 1977 durch die Hochschulrektorenkonferenz haben die Rektoren
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Doris Odendahlmit diesem Offenbarungseid der Zulassungsbeschränkungen aus ihrer zutreffenden Diagnose schlichtweg den falschen Schluß gezogen.
Mir kommt die Situation so vor, als ob bei drohendem Untergang eines Schiffes zwar SOS gefunkt wird, aber sonst keinerlei Rettungsmaßnahmen ergriffen werden.Es war der sozialdemokratische Bildungsminister Helmut Rohde, der angesichts des Grundrechts auf Bildung, der steigenden Qualifikationsanforderungen sowie der geburtenstarken Jahrgänge dafür gesorgt hat, daß der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und alle Ministerpräsidenten der Länder sich verpflichtet haben, daß für die Zukunft weitere Zulassungsbeschränkungen vermieden werden und bestehende Beschränkungen soweit als möglich abzubauen sind.15 Jahre hat dieser Beschluß nun gehalten. Der Bund und die Länder haben durch vielfältige Maßnahmen und Sonderprogramme versucht, das im Öffnungsbeschluß festgehaltene Ausbauziel von 850 000 Studienplätzen — berechnet für die alten Bundesländer — zu erreichen. Wie sich seit längerem herausstellt, war dieses Ausbauziel zu kurz gegriffen. Ob man jetzt sagt, der Herr Minister Möllemann war zu kurz gesprungen, unter der Latte her oder er hat sie gerissen, ist dabei nicht so entscheidend.Die SPD-Bundestagsfraktion hat auf die notwendige Revision für den Hochschulbereich und seinen dringenden Umbau seit langem hingewiesen. Mit unzureichenden Uberlastmaßnahmen und befristeten Sonderprogrammen — ob nun Möllemann oder Ortleb genannt — des Bundes muß endlich Schluß gemacht werden.Dies allein reicht jedoch nicht aus. Alle Länder müssen finanziell so ausgestattet werden, daß sie ihre Verantwortung im Hochschul- und Wissenschaftsbereich wahrnehmen können. Aus dem Beschluß von 1977 möchte ich folgendes zitieren: Der Bundeskanzler erklärt, daß er die bisherigen Bemühungen auf dem Gebiet der Studienreform als nicht befriedigend erachtet. Diese Erklärung ist heute so zutreffend wie 1977.Auch die Hochschulen selbst müssen ihren Beitrag zur Effizienzverbesserung leisten. Machen wir uns doch nichts vor: Es gibt hier viele bisher nicht überdachte Ansätze und Möglichkeiten. Der Anspruch zwischen dem Vorlesungsverzeichnis und der Wirklichkeit, der real abgehaltenen Vorlesung, klafft an manchen Hochschulen bemerkenswert auseinander. Vielleicht könnte hier ja einmal ein Gutachten von wirtschaftlicher Seite, wie es das viel beachtete Kienbaum-Gutachten über die Schulen in NRW tut, einen Einblick verschaffen.
Wir werden uns dem nicht verschließen.Die Bund-Länder-Kommission muß die Arbeit an einem Hochschulentwicklungsplan unverzüglich aufnehmen — ob an einem runden oder eckigen Tisch, ist mir völlig egal.
Ein rascher Ausbau der Studienkapazität auf mindestens 1,1 Millionen Studienplätze — vorrangig im Fachhochschulbereich, für den schon ein fast vollständiger NC gilt — , ist auch langfristig dringend erforderlich. Die Hochschulen in den neuen wie in den alten Ländern sind, gemessen an der Gesamtzahl der bundesweit verfügbaren Studienplätze und des Hochschulpersonals, höchst unzureichend ausgestattet. Ein weiterer Anstieg der Studentenzahlen auf etwa zwei Millionen Studierende bis zum Jahre 2000 ist abzusehen. Auch danach ist ein Rückgang dieser Zahl auf unter 1,5 Millionen nicht zu erwarten.Ich meine, es gibt noch viele Dinge, die für die Dauer des Studiums verantwortlich zu machen sind: die Studiensituation, die Wohnraumsituation, die finanzielle Situation. Aber mit dem Notruf der Universitätsrektoren nach einer drastischen Ausweitung der Zulassungsbeschränkungen ist es nicht getan. Es ist das falsche Signal, gerade angesichts der Anforderungen an die Hochschulen im geeinten Deutschland, jetzt das Handtuch zu werfen, anstatt die Ärmel hochzukrempeln.Mein Appell richtet sich an den Bundesbildungsminister: Herr Ortleb, tun Sie es Ihrem sozialdemokratischen Vorgänger Helmut Rohde gleich, der 1977 den Offnungsbeschluß herbeigeführt hat! Verteidigen Sie diesen Öffnungsbeschluß der Hochschulen mit Zähnen und Klauen, und setzen Sie sich weiter dafür ein, daß der gesamte Beschluß in all seinen Teilen — korrigiert auf die heutigen Anforderungen der Hochschulen im geeinten Deutschland — weiter praktiziert und umgesetzt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion will Ihnen dabei ganz gern behilflich sein.
Nun hat der Kollege Josef Hollerith das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Interesse habe ich die Einschätzung eines Kollegen der SPD gehört, es sei auch Aufgabe der Universitäten und der Wirtschaft, qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar zu machen. Meine Damen und Herren, genau um diese Frage geht es. Am 1. Januar 1993 wird der Europäische Binnenmarkt Realität. Deutschland wird einem verstärkten Standortwettbewerb ausgesetzt sein. Es wird darum gehen, daß wir das Bildungssystem diesen neuen Anforderungen qualifiziert und entwikkelt entgegensetzen.Wir haben drei Handlungsfelder, um uns für den Europäischen Binnenmarkt fitzumachen.Das erste Handlungsfeld ist die Aufgabe, unsere innerdeutschen Probleme zu lösen; d. h. die Hochschuleinrichtungen in den neuen Bundesländern strukturell, materiell und personell zu qualifizieren. Zu diesem Thema ist bereits einiges gesagt worden. Ich möchte aber auf einen Aspekt hinweisen, und zwar auf den, daß noch im vergangenen Jahr 80 % der Hochschullehrer in den neuen Bundesländern Mit-
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Josef Hollerithglieder der kommunistischen Partei waren. Es ist eine Aufgabe für Forschung und Lehre, qualifiziertes Personal in den neuen Ländern zu gewinnen.Das zweite Handlungsfeld, Deutschland im Europäischen Binnenmarkt wettbewerbsfähig zu machen, beinhaltet die Aufgabe, die Studienzeiten zu verkürzen. Die Studienzeiten in Deutschland sind im EG-Vergleich zu lang. Qualifizierte Hochschulabsolventen aus Frankreich und Großbritannien, die sich beispielsweise in Brüssel um entsprechende Positionen bewerben, sind in der Regel fünf Jahre jünger als die Bewerber aus der Bundesrepublik Deutschland. Hier sind dringend Maßnahmen gefordert. Ich nenne die Verbesserung der Studienberatung und der Studentenbetreuung, die Überprüfung und Straffung der Studieninhalte und des Lehrveranstaltungsangebots, oft gefordert, aber leider immer noch nicht verwirklicht, die Überprüfung von Übungen, von Praktika und von Studienleistungen und die Beseitigung von Engpässen, die Straffung der Organisation und Durchführung von Prüfungen sowie die Schaffung von Anreizen für Hochschullehrer zur Verkürzung von Studienzeiten und zur Verbesserung der Lehrqualität.Schließlich dürfen wir das dritte Handlungsfeld, um Deutschland für den Europäischen Binnenmarkt wettbewerbsfähig zu machen, nicht aus dem Auge verlieren, nämlich die Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen der Frequentierung der beruflichen Bildung und der Hochschulbildung. Die derzeitige Situation ist die, daß erstmals in diesem Jahr die Zahl der Studenten höher ist als die Zahl der Auszubildenden in den beruflichen Fächern. Das ist die Wahrheit. Hält dieser Trend an, verliert unsere Volkswirtschaft über kurz oder lang eine wesentliche Voraussetzung ihrer Wachstumskraft.Feststellbar bleibt ein enger Zusammenhang zwischen der zahlenmäßigen Entwicklung der Hauptschulabsolventen und der Ausbildungsverhältnisse im Handwerk. In den letzten zehn Jahren sank die Zahl der Hauptschulabsolventen um 43 %. In vergleichbarem Ausmaß sank auch die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Handwerk, obwohl die gesamte Schülerzahl in diesem Zeitraum nur um 22 % abnahm.Fazit dieser Zahlen: Die Absolventen der Hauptschule stellen das Hauptpotential derer dar, die eine handwerkliche Ausbildung ergreifen. Konsequenz muß daher sein, die Stärkung dieser Schulart als Schlüsselrolle im Auge zu behalten, damit für eine bedarfsgerechte Versorgung des Handwerks mit Nachwuchskräften gesorgt ist.
Meine Damen und Herren, auch in dieser hochschulpolitischen Debatte muß die Frage der Gewichtigkeit von beruflicher Bildung und von Hochschulbildung diskutiert werden. Ich danke deshalb Herrn Bildungsminister Ortleb, daß er ein Zeichen gesetzt hat, indem er eine Begabtenförderung in der beruflichen Bildung eingeführt hat. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt.Herzlichen Dank.
Nun hat als letzter Redner der Kollege Dr. Michael Luther das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme aus einem der neuen Bundesländer und darf mich deshalb in meinem Beitrag besonders auf die neuen Länder beschränken. Ich glaube, daß die Aktuelle Stunde, die von der SPD beantragt wurde, das als Duktus behält. Leider hat die SPD bisher nicht besonders betont, daß es eigentlich um die Situation in den neuen Bundesländern geht. In der DDR wurde nie vom Numerus clausus gesprochen, aber es gab dort Plankennzahlen bei der Immatrikulation. Wer einmal studierte, kam, weil es wiederum Plankennzahlen gab, gut bis zum Ende des Studiums.Deswegen begrüße ich es, daß die Freiheit des Studiums, wie sie hier in der alten Bundesrepublik üblich war, jetzt auch bei uns in den neuen Bundesländern gegeben ist.
Aber es ist festzustellen, daß die Studienkapazitäten völlig überlastet sind. Diese Überlastung wird momentan auch noch dadurch verstärkt, daß sich die Studenten aus den neuen Bundesländern gerade an den renommierten und manchmal vielleicht auch ein bißchen glorifizierten Einrichtungen in den alten Bundesländern bewerben, die sie vorher nie besuchen durften.Das Ganze wird verstärkt durch das Problem der Abwanderung von wissenschaftlichem Personal aus den neuen Bundesländern, und es wird überlagert durch die Zerreißprobe der Vergangenheitsbewältigung, die die Mitarbeiter in den Hochschulen der neuen Bundesländer belastet.Was wird getan? Ich glaube, es wird schon eine ganze Menge getan. Es wird versucht, das wissenschaftliche Personal zu halten. Es gibt ein Programm in Höhe von 10 Millionen DM, um bei Bleibeverhandlungen entsprechendes anbieten zu können.Es wird versucht, eine Verbesserung der Ausstattung zu erreichen, beispielsweise im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost. Die Zahlen sind bekannt; ich möchte sie nicht wiederholen. Aber diese Zahlen müssen in Zukunft sicher höher ausfallen, wenn diejenigen Aufgaben erfüllt werden sollen, die bestehen.Ein weiteres Problem sind die Evaluierungsvorschläge des Wissenschaftsrats. Für manche Einrichtungen bedeutet diese neue Orientierung erhebliche Schwierigkeiten. Da ich aus Zwickau komme, möchte ich folgendes Beispiel anführen. Die Technische Hochschule Zwickau wird in eine Fachhochschule umgewandelt, und die Pädagogische Hochschule wird an Chemnitz angegliedert. Ich glaube, daß ist keine glückliche Entwicklung, da gerade in den letzten zwei Jahren zwischen diesen beiden Bildungseinrichtungen eine sehr sinnvolle Zusammenarbeit entstanden ist. Ich glaube, daß es sich lohnt, über diesen Weg neu nachzudenken.
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Dr. Michael LutherEin neuer Weg in der Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland und vor allem auch der Länder kann nicht die uneingeschränkte Fortsetzung des bisherigen Weges sein. Ich hatte schon gesagt: Ich begrüße die freie Hochschulzugangsberechtigung, obwohl ich feststellen muß, daß genau dies dazu geführt hat, daß der wertvolle Mensch nur der studierte Mensch ist. Das ist genau der Gegensatz zu dem, was in der DDR galt: Dort war der wertvolle Mensch nur der Arbeiter, der wertvollste Mensch war natürlich der Parteiarbeiter. Ich glaube, beide Modelle sind nicht ganz richtig.Die Tatsache, daß es heute in der Bundesrepublik mehr Studenten als Auszubildende gibt, wobei eine ganze Menge Studienplätze fehlen und Ausbildungsplätze in einem gewissen Umfang unbesetzt sind, muß Warnung genug sein. Es ist für meine Begriffe unehrlich gegenüber den jungen Menschen, wenn man jemanden mit falschen Erwartungen ins Leben schickt.
Es ist nicht richtig, wenn wider besseres Wissen dem jungen Menschen nicht geholfen wird, seinen Lebensweg rechtzeitig zu finden. Ich meine, schon heute ist für den handwerklichlichen Beruf eine hohe Allgemeinbildung erforderlich.
Weiterhin muß an den Hochschulen die Attraktivität der Lehre verbessert werden. Hier gibt es Erfahrungen in den neuen Bundesländern, wo eine sehr intensive Betreuung der Studenten an den Hochschulen erfolgte.Schwerpunkt muß der Ausbau der Hochschulen in den neuen Bundesländern sein. Das gehört auch zur Erfüllung der Forderung aus dem Grundgesetz, ausgeglichene Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu schaffen.Es gibt bereits eine ganze Menge guter Ansätze. Wir sollten die Chance des Umbruchs nutzen. Das führt natürlich auch zu Veränderungen im Westteil Deutschlands. Das trifft dort nicht nur auf Wohlgefallen. Das liegt aber nicht an der deutschen Einheit — nach dem Motto: Was haben wir uns denn mit der DDR eingehandelt? —, sondern das liegt an dem, was uns Europa in seiner Gesamtheit aufträgt. Die deutsche Einheit ist die Chance für Deutschland, Vorreiter bei einer neuen deutschen und europäischen Bildungspolitik zu sein.Danke schön.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. November 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.