Protokoll:
12054

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 54

  • date_rangeDatum: 7. November 1991

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:49 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/54 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 54. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 4443 A Zur Geschäftsordnung: Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . . 4443 C Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erstreckung von gewerblichen Schutzrechten (Erstreckungsgesetz — ErstrG) (Drucksache 12/1399) . 4443 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. April 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze in der Sektion III des Grenzabschnittes „Scheibelberg-Bodensee" sowie in einem Teil des Grenzabschnittes „Dreieckmark-Dandlbachmündung" und des Grenzabschnittes „SaalachScheibelberg" (Drucksache 12/1242) . 4444 A c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Dr. Walter Franz Altherr, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Dr. Werner Hoyer, Dr. Sigrid Semper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Privatisierung der Heimbetriebsgesellschaft mbH der Bundeswehr (Drucksache 12/1292) . . . . 4444 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes (Drucksache 12/1467) 4444 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes (Drucksache 12/1468) . . 4444 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksache 12/1469) 4444 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, Jürgen Türk und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flächenstillegungsgesetzes 1991 (Drucksache 12/1470) 4444 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht und zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (Drucksache 12/1483) 4444 C Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) (Drucksachen 12/1133, 12/1243, 12/1445, 12/1491, 12/1493) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) (Ausführungsgesetz zum KSE-Vertrag) (Drucksachen 12/1135, 12/1244, 12/1445, 12/1492) Peter Kurt Würzbach CDU/CSU 4445 A Dr. Hermann Scheer SPD 4446 C Dr. Olaf Feldmann FDP 4448 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . 4449 B Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 4450 D Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 4451D Günter Verheugen SPD 4453 A Günther Friedrich Nolting FDP . . . 4454 A Tagesordnungspunkt 5: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes (Drucksachen 12/1259, 12/1489) . . . 4455B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (Drucksachen 12/1254, 12/1481) 4455 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (Drucksachen 12/625, 12/1440) . . . . 4455 C d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvH 4/91 (Drucksache 12/1298) 4455 C e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 34 zu Petitionen (Drucksache 12/1358) 4455 C f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 35 zu Petitionen (Drucksache 12/1453) 4455 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des RentenÜberleitungsgesetzes (RÜG-ÄndG) (Drucksachen 12/1275, 12/1479, 12/1480) 4455 D Tagesordnungspunkt 6: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Beseitigung der französischen HADES-Atomraketen (Drucksache 12/1212) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Abrüstung taktischer Atomwaffen (Drucksache 12/1213) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Hans Modrow und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Initiative zur nuklearen Abrüstung (Drucksache 12/1443) Katrin Fuchs (Verl) SPD 4457 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 4458 D Norbert Gansel SPD . . . . 4460B, 4462A, B Dr. Olaf Feldmann FDP 4461 B Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . . 4463 A Günther Friedrich Nolting FDP . . . 4463 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 4464 A Dr. Hartmut Soell SPD 4465 D Heinrich Lummer CDU/CSU 4467 A Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu den Möglichkeiten der Verringerung der Belastungen für die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg durch militärische Ausbildungs- und Übungsaktivitäten (Drucksache 12/463) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 III Heinz-Günter Bargfrede CDU/CSU . . . 4468 D Dieter Heistermann SPD . . . . 4469D, 4479 D Dirk Hansen FDP 4471 A Dieter Heistermann SPD . . . 4471D, 4474 C 4475 D Jürgen Koppelin FDP 4472 A Jutta Braband PDS/Linke Liste 4472 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 4473 C Klaus Harries CDU/CSU 4474 D Arne Fuhrmann SPD 4476 A Günther Friedrich Notling FDP 4478 B Dr. Ottfried Hennig, Parl. Staatssekretär BMVg 4478 D Tagesordnungspunkt 8: a) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/Linke Liste Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei (Drucksache 12/987) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Vera Wollenberger und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Zur aktuellen Situation der Kurden am 16. März 1991, dem 3. Jahrestag von Halabja zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Lage der Kurden nach dem Golfkrieg zu dem Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung: Die Lage im Irak und die Situation der irakischen Flüchtlinge, insbesondere der Kurden (Drucksachen 12/279, 12/282, 12/373, 12/1362) Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 4480 C Gerd Andres SPD 4481 C Gerhard Reddemann CDU/CSU 4482 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 4483 B Burkhard Zurheide FDP 4484 A Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 4485 A Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde (Fortsetzung) — Drucksache 12/1447 vom 31. Oktober 1991 — Übernahme der Beschäftigten des LuftTransport-Geschwaders 62 in Wunstorf nach der Verlegung nach Brandenburg; Nutzung des freiwerdenden Geländes MdlAnfr 8, 9 Monika Ganseforth SPD Antw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg . 4486D, 4487 B ZusFr Monika Ganseforth SPD . . . 4487A, C Unterstützung der Ausländerbehörden bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber MdlAnfr 27 Jochen Welt SPD Antw StMin Ursula Seiler-Albring AA . 4488 A ZusFr Jochen Welt SPD 4488 B Beteiligung deutscher Staatsangehöriger an den kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien und deutsche Waffenlieferungen MdlAnfr 28, 29 Gernot Erler SPD Antw StMin Ursula Seiler-Albring AA . . 4488C, 4489 A ZusFr Gernot Erler SPD . . . . 4488C, 4489A ZusFr Dr. Hartmut Soell SPD 4489 B Intervention im Interesse politischer Häftlinge in sowjetischen Straflagern; Zahl der noch bestehenden Straflager MdlAnfr 31, 32 Claus Jäger CDU/CSU Antw StMin Ursula Seiler-Albring AA . . 4489C, 4490A ZusFr Claus Jäger CDU/CSU . . 4489C, 4490A Verhandlungen über die Bereitstellung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber MdlAnfr 46, 47 Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD Antw PStSekr Manfred Carstens BMF . . 4490C, 4491 B ZusFr Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 4490D, 4491 C ZusFr Wolfgang Roth SPD 4491 A ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 4491B, D ZusFr Gernot Erler SPD 4491 D Anzeigenaktion „Europas Vorteile bleiben überall haften" von Bundesminister Möllemann im „Magazin Stern" und in anderen Zeitungen bzw. Zeitschriften; Kosten MdlAnfr 50, 51 Klaus Kirschner SPD Antw PStSekr Dr. Erich Riedl BMWi . . . 4492B, 4493 B ZusFr Klaus Kirschner SPD . . . 4492C, 4493 B ZusFr Gerhard Reddemann CDU/CSU . 4492D, 4494 B ZusFr Gernot Erler SPD 4493 A ZusFr Wolfgang Roth SPD 4493A, D Ausschluß der Angehörigen der Heilberufe von ERP-Darlehen für die Existenzgründung MdlAnfr 52, 53 Wieland Sorge SPD Antw PStSekr Dr. Erich Riedl BMWi . 4494 C, D ZusFr Wieland Sorge SPD . . . 4494 C, 4495 A IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 ZusFr Clemens Schwalbe CDU/CSU . . 4495 C ZusFr Wolfgang Roth SPD 4495 D Gewährung von Mitteln aus der Regionalförderung des Bundes an die AEG Olympia Office GmbH in Wilhelmshaven; Unterstützung des VEBA-Projekts der Ansiedlung eines Importkohleverstromungszentrums in Wilhelmshaven MdlAnfr 56, 57 Wolfgang Roth SPD Antw PStSekr Dr. Erich Riedl BMWi . . 4496A, 4497 A ZusFr Wolfgang Roth SPD 4496 B ZusFr Anne Börnsen (Ritterhude) SPD . 4496 D Schließung der AEG Olympia Office GmbH trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung des Daimler-Benz-Konzerns MdlAnfr 58 Gabriele Iwersen SPD Antw PStSekr Dr. Erich Riedl BMWi . . 4497 C ZusFr Gabriele Iwersen SPD 4497 C ZusFr Wolfgang Roth SPD 4498 B Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften (Drucksachen 12/1125, 12/1288, 12/1495, 12/1496) Erika Reinhardt CDU/CSU 4498 D Hildegard Wester SPD 4499 D Norbert Eimer (Fürth) FDP 4501 B Erika Simm SPD 4502 D Dr. Bernd Protzner CDU/CSU 4504 D Josef Grünbeck FDP 4506 A Brigitte Lange SPD 4506 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 4507 D Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 4509 B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 4510 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur Kohlepolitik Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 4511B Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 4512 B Paul K. Friedhoff FDP 4513 A Petra Bläss PDS/Linke Liste 4514 A Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 4514 D Hans Berger SPD 4516D Dr. Albert Probst CDU/CSU 4517 D Reinhold Kopp, Minister des Saarlandes 4518 C Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4519 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4520 C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann FDP . . . 4521B Norbert Formanski SPD 4522 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 4522 B Günter Einert, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 4524 D Dr. Karl H. Fell CDU/CSU 4526 B Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . 4527A, 4528 D Ulrich Petzold CDU/CSU 4527 D Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 4528 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1991 — BBVAnpG 91) (Drucksachen 12/732, 12/1455, 12/1456) Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 4529 D Bernd Reuter SPD 4531 B Manfred Richter (Bremerhaven) FDP . . 4533 A Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 4534 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Drucksachen 12/1282, 12/1398, 12/1446) Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 4536 A Dieter Wiefelspütz SPD 4537 A Jutta Braband PDS/Linke Liste 4538 B Manfred Richter (Bremerhaven) FDP . . 4539 B Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 4540 A Horst Eylmann CDU/CSU 4540 C Wolfgang Lüder FDP (Erklärung nach § 31 GO) 4542 A Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 4542 D Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 4543 A Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 4543 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 4543 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 V Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) (Drucksachen 12/1092, 12/1474) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verkehrsausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe Bündnis 90/ DIE GRÜNEN: Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern (Drucksachen 12/1118, 12/1474) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Daubertshäuser, Robert Antretter, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Effektive Planungsbeschleunigung im Verkehrswegebau für ganz Deutschland statt einseitigen Rechtsabbaus in den neuen Bundesländern (Drucksache 12/1328) Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 4545 C Dr. Margrit Wetzel SPD 4546B, 4548 A Dr. Walter Hitschler FDP 4547 D Dr. Klaus Röhl FDP 4548 B Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4549 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 4549 D Clemens Schwalbe CDU/CSU 4550 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4551 D Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/ CSU 4553 A Horst Gibtner CDU/CSU 4553 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4554 B Dietmar Schütz SPD 4556 A Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung (Drucksache 12/921) Dr. Liesel Hartenstein SPD . . . 4558D, 4566 B Steffen Kampeter CDU/CSU 4561 C Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . 4562 A Marita Sehn FDP 4563 A Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär BMU 4563 D Burkhard Zurheide FDP 4565 B Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 4566 C Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär BMZ 4567 D Tagesordnungspunkt 15: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dietmar Schütz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger (Drucksachen 12/752, 12/1273) 4570A Nächste Sitzung 4570 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 4571* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Barbe (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4571* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) . . . . 4572* A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4572* A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4572* D Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4573* B VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Siegfried Scheffler (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4573* D Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) 4574* A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 14 (Antrag betr. Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung) Jutta Braband PDS/Linke Liste 4574* C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Große Anfrage betr. Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger) Dietmar Schütz SPD 4575* B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU 4577* B Dr. Burkhard Hirsch FDP 4578* A Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 4579* A Jutta Braband PDS/Linke Liste 4579* D Dr. Hans de With SPD 4580* C Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 4582* A Anlage 11 Verlagerung der Ausbildungs- und Übungstätigkeit der britischen Streitkräfte auf die Bundeswehr-Truppenübungsplätze Munster, Bergen-Hohne und Sennelager unter gleichzeitiger schrittweiser Einstellung der Militärbewegungen in der Lüneburger Heide MdlAnfr 10, 11 — Drs 12/1447 — Claire Marienfeld CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4582* D Anlage 12 Reduzierung der kanadischen Truppen, insbesondere Verringerung des militärischen Flugbetriebes über Baden-Baden, dem Murgtal und dem Schwarzwald MdlAnfr 12 — Drs 12/1447 — Dr. Olaf Feldmann FDP SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4583* B Anlage 13 Beitrag der Bundesregierung zum NahostFriedensprozeß MdlAnfr 30 — Drs 12/1447 — Dr. Olaf Feldmann FDP SchrAntw StMin Ursula Seiler-Albring AA 4583* C Anlage 14 Schutz der Minderheitenvölker in Brasilien; Ergebnisse der Gespräche mit dem stellv. Ministerpräsidenten der Volksrepublik China über die Menschenrechtsverletzungen MdlAnfr 33, 34 — Drs 12/1447 — Dr. Klaus Kübler SPD SchrAntw StMin Ursula Seiler-Albring AA 4584 * A Anlage 15 Änderung des Asylverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung MdlAnfr 40 — Drs 12/1447 — Gerd Wartenberg (Berlin) SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 4584* D Anlage 16 Gesamtzahlungen an die Republik Polen bis September 1991 MdlAnfr 43 — Drs 12/1447 — Ortwin Lowack fraktionslos SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 4585* A Anlage 17 Beruhigung der Verkehrssituation an den Grenzübergängen zur CSFR; Ausschöpfung der Beförderungsmöglichkeiten für den mittleren Dienst der Zollverwaltung MdlAnfr 44, 45 — Drs 12/1447 — Ludwig Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 4585* A Anlage 18 Vereinbarkeit der Erhöhung der Bundesbahntarife und des Kilometergeldes mit den Äußerungen über die Priorität des Schienenverkehrs MdlAnfr 48 — Drs 12/1447 — Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 4585* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 VII Anlage 19 Anzeigenaktion „Europas Vorteile bleiben überall haften" von Bundesminister Möllemann im Magazin „Stern" und in anderen Zeitungen bzw. Zeitschriften; Kosten MdlAnfr 49 — Drs 12/1447 — Ortwin Lowack fraktionslos SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 4586* A Anlage 20 Vergabe der für Mecklenburg-Vorpommern vorgesehenen Mittel aus der „Perifa”-Förderung nach Neubrandenburg; Förderungswürdige Projekte in Mecklenburg-Vorpommern bei Weiterführung des Programms MdlAnfr 54, 55 — Drucksache 12/1447 — Dr. Christine Lucyga SPD SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 4586* B Anlage 21 Aufnahme der Verbraucherpreise und der Arbeitslosenquote der neuen Bundesländer in den internationalen Vergleich MdlAnfr 59, 60 — Drs 12/1447 — Arne Börnsen (Ritterhude) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Erich Riedl BMWi . 4586* C Anlage 22 Entsorgung von Pflanzenschutzmittel-Restbeständen mit dem Wirkstoff Atrazin; Verhinderung des Exports in benachbarte Länder MdlAnfr 61, 62 — Drs 12/1447 — Helmut Lamp CDU/CSU SchrAntw PStSekr Georg Gallus BML . . 4587* D Anlage 23 Auswirkungen der EG-Entscheidung zum Verbot der großflächigen Treibnetzfischerei auf geschützte Tierarten (z. B. Meeresschildkröten, Delphine, Robben und Seevögel) MdlAnfr 63 — Drs 12/1447 — Ulrike Mehl SPD SchrAntw PStSekr Georg Gallus BML . . 4587* D Anlage 24 Auflösung der LPG bei Verweigerung der Eintragung einer neuen Rechtsform nach § 69 Abs. 3 Landwirtschaftsanpassungsgesetz wegen nicht fristgerechter Prüfung der Bilanz oder anderer Unterlagen MdlAnfr 64, 65 — Drs 12/1447 — Dr. Gerald Thalheim SPD SchrAntw PStSekr Georg Gallus BML . . 4588* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4443 54. Sitzung Bonn, den 7. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    *) Anlage 10 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 07. 11. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 07. 11. 91 Beckmann, Klaus FDP 07. 11. 91 Büchler (Hof), Hans SPD 07. 11. 91 Conradi, Peter SPD 07. 11. 91 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 07. 11. 91 Ewen, Carl SPD 07. 11. 91 Falk, Ilse CDU/CSU 07. 11. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 07. 11. 91 Dr. Gautier, Fritz SPD 07. 11. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 07. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 07. 11. 91 Dr. Gysi, Gregor PDS 07. 11. 91 Haack (Extertal), SPD 07. 11. 91 Karl-Hermann Haschke CDU/CSU 07. 11.91 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Haussmann, Helmut FDP 07. 11. 91 Henn, Bernd fraktionslos 07. 11. 91 Hollerith, Josef CDU/CSU 07. 11. 91 Homburger, Birgit FDP 07. 11. 91 Huonker, Gunter SPD 07. 11. 91 Jungmann, (Wittmoldt), SPD 07. 11. 91 Horst Körper, Fritz Rudolf SPD 07. 11. 91 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 07. 11. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 07. 11. 91 Koltzsch, Rolf SPD 07. 11. 91 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 07. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 07. 11. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 07. 11. 91 Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 07. 11. 91 von Larcher, Detlev SPD 07. 11. 91 Leidinger, Robert SPD 07. 11. 91 Leutheusser- FDP 07. 11.91 Schnarrenberger, Sabine Marten, Günter CDU/CSU 07. 11. 91** Dr. Matterne, Dietmar SPD 07. 11. 91 Möllemann, Jürgen W. FDP 07. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 07. 11. 91** Müller (Pleisweiler), SPD 07. 11. 91 Albrecht Müller (Zittau), Christian SPD 07. 11. 91 Nolte, Claudia CDU/CSU 07. 11. 91 Paintner, Johann FDP 07. 11. 91 Pfuhl, Albert SPD 07. 11. 91* Regenspurger, Otto CDU/CSU 07. 11. 91 Rempe, Walter SPD 07. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 07. 11. 91 Schily, Otto SPD 07. 11. 91 Schmidt (Aachen), Ursula SPD 07. 11. 91 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schmude, Jürgen SPD 07. 11. 91 Dr. Schuster, Werner SPD 07. 11. 91 Schwanitz, Rolf SPD 07. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 07. 11. 91** Dr. Sperling, Dietrich SPD 07. 11. 91 Steiner, Heinz-Alfred SPD 07. 11. 91** Tillmann, Ferdi CDU/CSU 07. 11. 91 Vogel, (Ennepetal), CDU/CSU 07. 11. 91* Friedrich Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 07. 11. 91 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 07. 11. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 07. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 07. 11. 91 90/GRÜNE Zapf, Uta SPD 07. 11. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 07. 11. 91* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Barbe (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Die Bürgerinnen und Bürger in den östlichen Bundesländern sehen sich folgender Situation gegenüber: Jeder zweite Sozialhilfeempfänger in den neuen Bundesländern ist unter 25 Jahre alt. Die Jugendlichen sehen keine Perspektive für ihre eigene Zukunft. Angst und Unsicherheit schlagen in Gewalt um. Bund, Länder und Kommunen haben kein Geld. Deshalb wird zuallererst an den Zuschüssen für Projekte gespart, werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekürzt. Bundestagsabgeordnete arbeiten sehr viel und brauchen auch ein angemessenes Gehalt. Die Arbeitslosen in den neuen Bundesländern sind auf Grund des Umbruchs schuldlos arbeitslos. Ungerechte Verteilung von Arbeit führt zu einer ungerechten Verteilung der Chancen, die die Gesellschaft dem einzelnen bietet. Deshalb unterstütze ich den Antrag von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die Diätenerhöhung solange auszusetzen, bis annähernd gleiche Lebensverhältnisse im Westen und Osten Deutschlands gegeben sind. Ich trage den Beschluß zur Diätenerhöhung nicht mit und werde deshalb den „Zugewinn", den ich erhalte, für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Frauen-, Umwelt- und Jugendprojekten zur Verfügung stellen und darüber öffentlich Rechenschaft ablegen. 4572* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Neben weiteren Einzelspenden habe ich als Bundestagsabgeordnete aus der ehemaligen Volkskammer gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen im vierten Quartal 1990 einen persönlichen Spendenbetrag in Höhe von je 10 000 DM für Projekte der Arbeiterwohlfahrt zur Verfügung gestellt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und seines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Hiermit erkläre ich, daß ich der 13. Änderung des Abgeordnetengesetzes (Diätenerhöhung) nicht zustimme. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Ich werde gegen eine Erhöhung der Entschädigung für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages stimmen. Ich möchte mein Abstimmungsverhalten wie folgt erklären: 1. Im Vergleich mit den in Westdeutschland vergleichbaren Einkommen ist die vorgesehene Anhebung der Entschädigung gerechtfertigt. Ich wende mich mit dieser Feststellung auch gegen die in der Öffentlichkeit immer wieder geäußerte Erwartung, derzufolge Abgeordnete grundsätzlich auf Erhöhungen ihrer Bezüge zu verzichten hätten. Eine darauf gerichtete, mitunter mit Falschdarstellungen geführte Kampagne einiger Medien mißbillige ich ausdrücklich. 2. Eine Erhöhung der Diäten halte ich im Fall der Abgeordneten aus den neuen Bundesländern für problematisch, weil dort die Einkommen für vergleichbare Tätigkeiten deutlich geringer sind. Andererseits ist für mich eine Klassifizierung in Bundestagsabgeordnete erster und zweiter Klasse nicht akzeptabel. Diesem Dilemma kann ein Abgeordneter aus einem neuen Bundesland nur dadurch entrinnen, indem er seine Zustimmung oder Enthaltung zur Diätenneuregelung an die Zusage knüpft, den Einkommenszuwachs an eine gemeinnützige Einrichtung abzuführen. Dieses Verfahren empfinde ich als nicht weitreichend genug. 3. In den Reden zur deutschen Einheit wurde immer wieder betont, daß diese nur durch Teilen auch wirtschaftlich und sozial gestaltet werden kann. Dazu bedarf es der Solidarität von uns allen. Ein solches deutsch-deutsches Engagement begegnet mir in den unterschiedlichsten Bereichen in unserer Gesellschaft. Daneben erfahre ich aber auch den Egoismus von Interessengruppen, die über die einmalige Ergänzungsabgabe zur Lohn- und Einkommenssteuer hinaus nicht zu einer noch so geringen Beschränkung ihres Einkommenszuwachses zugunsten der Bürger im Osten Deutschlands bereit sind. Ich glaube, daß in einer solchen Situation gerade Abgeordnete, aber auch Minister und Staatssekretäre durch ihr eigenes Verhalten Zeichen setzen sollten, um damit für mehr Glaubhaftigkeit der demokratischen Institutionen unserer Gesellschaft zu werben. Die von der SPD-Bundestagsfraktion geforderte Einführung einer allgemeinen Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Selbständige, Abgeordnete und Minister in Höhe der zusätzlichen Beitragsbelastung der Arbeiter und Angestellten ist ein richtiger Schritt in diese Richtung. 4. Aufgrund des Bedarfs an Zeichen der Solidarität mit den Schwächeren im vereinten Deutschland konnte ich dem vorliegenden Gesetzentwurf meine Zustimmung nicht geben. Wenn in den siebziger Jahren in einer weniger kritischen Situation des Bundeshaushaltes die Abgeordneten aller Fraktionen zum Einfrieren ihrer Bezüge bereit waren, so wäre jetzt in einer weitaus dramatischeren Situation ein ähnliches Moratorium für die nächsten zwei Jahre geboten gewesen. Daher bedauere ich die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestages. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Die Entscheidung über die heute anstehende Erhöhung der Diäten der Abgeordneten habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich bin nach langen Überlegungen zu der Überzeugung gelangt, daß ich dem vorliegenden Gesetz zu diesem Zeitpunkt nicht zustimmen kann. Ich möchte vorausschicken, daß ich nicht die Höhe der Bezüge und auch nicht das Maß der Erhöhung kritisiere. Ich bin auch der Meinung, daß Abgeordnete finanziell unabhängig sein müssen, um ihre verantwortungsvolle Tätigkeit frei von äußeren Zwängen ausüben zu können; denn verglichen mit dem Einkommen anderer Berufsgruppen, die eine ähnliche Verantwortung tragen, liegen wir als Abgeordnete sicherlich nicht an der obersten Grenze. Ich teile auch nicht die Stimmungsmache der Medien, die die Abgeordneten der Selbstbedienung bezichtigen oder die Höhe der Diäten geißeln, ohne zu erwähnen, wie die Mehraufwendungen durch das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4573* Mandat aussehen, ohne den Zeitaufwand, das persönliche Engagement und nicht zuletzt die Verantwortung, die wir zu tragen haben, zu berücksichtigen. Diese Medienkampagne trägt meines Erachtens erheblich zur Politikverdrossenheit in der Bevölkerung bei, die auf Dauer unsere Demokratie gefährdet. Aber nicht nur die Medien, sondern auch führende Politiker der Koalitionsfraktionen bzw. der Bundesregierung tragen mit Äußerungen zum „Maßhalten" bei den nächsten Tarifverhandlungen mit zu dem Unverständnis in der Bevölkerung bei, wenn es um die Erhöhung der Diäten geht. Maßhalten wäre bei solchen Äußerungen eher angebracht. Ein weiteres Problem sehe ich in dem Verfahren selbst, auch wenn nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Bundestag, also wir alle, selbst über die Diätenerhöhung abstimmen muß. Dies alles vorausgeschickt, bin ich dennoch davon überzeugt, daß weite Teile der Bevölkerung durch die Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, der Mineralölsteuer, durch den Solidaritätszuschlag und die ständig steigenden Lebenshaltungskosten stärker belastet werden, als ich als Abgeordnete. Deshalb kann ich dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich die Entscheidung all derer, die heute dem Gesetz zustimmen, respektiere und niemandem von Ihnen unmoralische Motive unterstelle, wenn Sie nach Abwägung aller Argumente zu einem anderen Entschluß gelangt sind. Denn ich teile die Meinung, daß natürlich auch den Abgeordneten eine Erhöhung ihrer Bezüge zusteht, wie dies in allen anderen Berufsgruppen ebenso der Fall ist. Ich bitte Sie, auch meine Entscheidung zu respektieren. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Ich werde dem 13. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und dem 12. Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes meine Zustimmung nicht geben. Damit meine Nichtzustimmung nicht mißverstanden wird, sehe ich mich zu nachstehenden Bemerkungen veranlaßt: Die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung an die allgemeine Einkommensentwicklung, gemessen an den allgemeinen Steigerungen der Lebenshaltungskosten, halte ich im Grundsatz für notwendig und richtig. In einer Zeit, in der allen Bürgern tief in die Tasche gegriffen wird, sei es durch indirekte Steuern — Telefon, Benzin usw. — sei es durch dirkete Abgaben — Solidarbeitrag —, ist sie nicht zu vertreten, denn diese Belastungen treffen in erster Linie die Bezieher kleinster Einkommen. Allein die vorgesehenen prozentualen Erhöhungen der Abgeordnetenentschädigung übersteigen die monatlichen Einkommen vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger. Deshalb halte ich die vorgesehenen prozentualen Erhöhungen für nicht angemessen und den Zeitpunkt für falsch gewählt. Was die prozentualen Erhöhungen angeht, so gilt meine Haltung natürlich auch anderen Berufsgruppen gegenüber, die über weitaus höhere Einkommen verfügen. Damit kein Mißverständnis entsteht: Meine Haltung resultiert nicht aus „Futterneid", sondern aus Solidarität mit denen, die nicht auf der „Sonnenseite" des Lebens stehen, denn für den einen, den Sozialhilfeempfänger, bedeuten 4,8 % Erhöhung 22 DM im Monat, für den Abgeordneten 464 DM und für einen Wirtschaftsprüfer im Schnitt 960 DM. Was den „richtigen Zeitpunkt" angeht, sei angemerkt, daß dieser wohl auch künftig kaum gefunden werden kann. Was die Erhöhung der Kostenpauschale angeht, erlaube ich mir nur einen Hinweis: Die sehr unterschiedlichen Strukturen der Wahlkreise führen zwangsläufig zu sehr unterschiedlichen Mandatsaufwendungen mit der Folge, daß die Kostenpauschale möglicherweise für manche Kollegin bzw. manchen Kollegen nicht ausreicht, für andere zu einem Teil steuerfreien Einkommens wird. Dies kann nicht richtig sein. Aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen dieses Hauses weiß ich, daß viele von ihnen meine Bedenken im Grunde teilen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Siegfried Scheffler (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Hiermit erkläre ich, daß ich der 13. Änderung des Abgeordnetengesetzes — Diätenerhöhung — nicht zustimme. Begründung: Als Abgeordneter aus dem Wahlkreis Lichtenberg/Köpenick — Ostteil Berlins — , einem Wahlkreis, der gekennzeichnet ist durch eine hohe Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit Null und der bitteren Realität, daß der Mehrzahl der großen Industriebetriebe die Abwicklung droht, kann ich aus meiner regional bestimmten politischen Verantwortung heraus der vorgeschlagenen Erhöhung nicht zustimmen. Hinzu kommt, daß ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages auf Grund des überaus großen Bedarfs an finanziellen Mitteln für den Aufbau Ost die Verpflichtung übernehme, ein Zeichen der Solidarität mit allen Arbeitnehmern zu setzen, die durch Sonder- 4574* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 abgaben und Steuererhöhungen beim Aufbau Ost kräftig zur Kasse gebeten werden. Von allen Seiten — ich möchte an dieser Stelle besonders den Berliner Senat hervorheben — wird zu Recht eine allgemeine Sparpolitik angemahnt. Die Auswirkungen dieser Sparpolitik sind in meinem Wahlkreis bereits bitter zu spüren: Kindergartenplätze wurden und werden gestrichen. Dringend notwendige Instandsetzungen von Krankenhäusern und Schulen werden nicht realisiert bzw. auf Folgejahre verschoben. Ich bin mir bewußt, daß Abgeordnete nicht von der allgemeinen Steigerung der Lebenshaltungskosten ausgenommen werden können. Sie haben deshalb wie alle übrigen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes auch einen berechtigten Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgeltes bzw. ihrer Diäten. Die soziale Situation, wie sie soeben von mir beschrieben wurde, fordert jedoch für mich ein besonderes politisches Signal zum jetzigen Zeitpunkt. Aus den vorgetragenen Gründen fordert das mir übertragene politische Mandat daher ein Nein zur Diätenerhöhung. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel (SPD) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Ich lehne den Beschlußvorschlag des Gesetzes aus folgenden Gründen ab. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung halte ich trotz der außergewöhnlich hohen Arbeitsbelastung und Verantwortung der Abgeordneten den Vergleich mit Berufsgruppen der oberen Einkommensklassen für nicht vorrangig. Unsere Demokratie lebt nicht zuletzt gerade von der Heterogenität der Mitglieder des Parlaments, die unabhängig von Geschlecht und Herkunft, von Ausbildung, Beruf und gesellschaftlicher Stellung als Abgeordnete in ihrer verfassungsrechtlichen Stellung gleich sind. Zur Grundlage unserer Entscheidung gehört auch der Bericht über die Einkommensentwicklung der Tarifeinkommensbezieher, der Sozialhilfeempfänger, der Rentner. Dieser Vergleich wird erst aussagekräftig, wenn er nicht in Prozenten, sondern in absoluten DM-Einkommensbeträgen angestellt wird. Ich halte es für bedenklich, wenn unsere Abgeordnetenentschädigung um den Betrag erhöht wird, auf den durchschnittlich in diesem Jahr die Mindestregelsätze der Sozialhilfe erhöht wurden. Wir haben Millionen von Arbeitslosen, Kurzarbeitern und geringfügig Beschäftigten. Die zukünftige Einkommensentwicklung in den neuen Bundesländern ist noch nicht realistisch abzuschätzen. Millionen von Menschen in unserem Land leben aus den unterschiedlichsten Gründen ohne die soziale Sicherheit, die sie brauchen. In den zurückliegenden Wochen haben wir ein erschreckendes Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit erfahren, an Haß auf Menschen, die vor dem Hunger und Elend in ihren Heimatländern zu uns fliehen, um Aufnahme und Hilfe zu erbitten. Wenn wir es ernst damit meinen, die Ursache der Armutswanderung bekämpfen zu wollen, wenn wir das Elend in den Entwicklungsländern mit abbauen wollen, wenn wir zur Stabilisierung des ökologischen Gleichgewichts der Erde beitragen wollen, müssen wir hinsichtlich des Verzichtens und Abgebens — nicht nur politisch, sondern auch persönlich — gravierend umdenken lernen. Politische Entscheidungen gewinnen ihre Kraft aus ihrer sachlichen Angemessenheit und moralisch verstandenen Glaubwürdigkeit. Die Chance, die dem Parlament mit der eigenständigen Entscheidung über die Änderung der Abgeordnetenentschädigung gegeben wird, sollte genutzt werden, ein deutliches politisch-moralisches Signal zur Selbstbeschränkung derer, deren Einkommen zum angemessenen Leben ausreicht, zu setzen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 14 (Antrag betr. Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung) Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Wir hatten in diesem Hause schon mehrfach die Gelegenheit, zu einzelnen Aspekten, aber auch zum Gesamtkomplex Klimaschutz uns auseinanderzusetzen, und ein Vorwurf an die Bundesregierung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Debatten: der Vorwurf der Untätigkeit, der Verschleppung und des Aussitzens. Die Geschichte des vorliegenden Antrags und des dazugehörenden Änderungsantrags zeigt dies in beeindruckender Weise. Der Antrag datiert meines Wissens vom 11. Juli 1991 — in ihm wird die Umsetzung eines Beschlusses des Deutschen Bundestages immerhin vom 26. Oktober 1990 eingefordert — , die dort vorgenommene Fristsetzung nennt den 1. März 1991, und heute — lassen Sie mich nicht lügen — ist immerhin der 7. November 1991, und passiert ist nichts. Herr Bundeskanzler, Sie reisen doch gern mal in die Welt und preisen sich und die Regierung, für die Sie doch die Richtlinienkompetenz haben, als Vordenker und Vorreiter des Umweltschutzes in der Welt, so geschehen auf Ihrer letzten Reise nach Chile und Brasilien. Denken Sie an Ihre Worte am 27. Oktober 1991 vor dem Club Transatlantico in Sao Paulo: „Sie wissen, daß ich mich gerade auch im Kreise der großen Industrieländer für den Schutz der tropischen Regenwälder besonders einsetze." Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Kanzler. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4575* Nur, wie verträgt sich das mit der Tatsache, daß Ihr Finanzminister Waigel beim G-7-Treffen in London derjenige war, der die Schuldenstreichung für die ärmsten Länder verhindert hat, wo doch allgemein bekannt ist, daß Schuldenkrise und Naturzerstörung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen? Die Völker der Dritten und Vierten Welt werden durch ihre von den Industrieländern erst erzeugte Armut gezwungen, die natürlichen Ressourcen zu plündern. Da nützt das Gerede über Marktöffnung und „fairen Wettbewerb" überhaupt nichts! Gestern sagten Sie, sich besonders einsetzen zu wollen, daß die Uruguay-Runde des GATT ein Erfolg wird. Dann nehmen Sie hier und jetzt Stellung, ob sie endlich dem Agrarprotektionismus und dem Subventionsunwesen in der Agrarwirtschaft ein Ende machen wollen, eine Reform der EG-Agrarpolitik einleiten wollen und dabei endlich zumindest den Ansatz einer ökologischen Orientierung erkennen lassen wollen, und informieren Sie uns über Initiativen der Bundesregierung für die institutionelle Aufwertung des GATT. Doch reden wir über den vorliegenden Antrag. Der Schutz der Tropenwälder ist ein Kernstück in den Bemühungen um die Erhaltung des Weltklimas, und es muß endlich Schluß sein mit der Vernichtung von 160 000 bis 200 000 km2 pro Jahr. Alle im Antrag geforderten Maßnahmen finden unsere ungeteilte Unterstützung — insbesondere die dort formulierten Hauptziele: Erhaltung der Primärwälder, Beteiligung der indigenen Völker, Förderung der Aufforstung und nachhaltige Bewirtschaftung. Doch wir haben auch vor unserer eigenen Tür zu kehren, und dies betrifft nicht nur die Verantwortung der Industrieländer für die durch die internationale Arbeitsteilung entstandene Situation in den Ländern der sogenannten Dritten Welt: Die Industrieländer tragen die Hauptverantwortung für die Belastung des Weltklimas durch CO2-Emissionen, Spurengase, zu hohen Energieverbrauch und die zunehmende Chemisierung, und hier ist ein Umsteuern erforderlich. Was geleistet werden muß, ist die Verbindung einer Politik der „nachhaltigen Entwicklung", der Umstrukturierung des Weltwirtschaftssystems und des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaften. Ein erster Schritt hierzu wäre, wenn es gelänge, auf der UNCED völkerrechtlich verbindliche Abkommen über die Reduzierung der Schadstoffemissionen in die Atmosphäre zu schließen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Große Anfrage betr. Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger) Dietmar Schütz (SPD): Die Große Anfrage meiner Partei zum Recht auf Zugang zu Informationen der Bürger ist ausgelöst worden durch die Beobachtung der fortschreitenden Verselbständigung der Verwaltungen mit ihrem zunehmenden Informationsübergewicht einerseits und den diesen Tendenzen ohnmächtig gegenüberstehenden Bürgern andererseits. Gleichzeitig werden sich gerade die Bürger mehr und mehr ihrer demokratischen Teilhaberrechte bewußt, die sie direkt — auch ohne die Mediatisierung durch die Parteien — in Anspruch nehmen wollen. Die Schere zwischen dem Informationswissen — und damit auch der Macht — der öffentlichen Verwaltung über die Bürger und den Informationsmöglichkeiten der Bürger geht immer weiter auseinander. Der Bürger durchschaut die vielen Verfahrensabläufe etwa im sozialen Kontext, beim Fiskus, in den Bau- und Anlagengenehmigungsverfahren immer schwerer. Er wird, obwohl seine Teilnahmemöglichkeiten offener diskutiert werden, zunehmend zum Objekt von Handlungen und Verfahren. Die Informationsmöglichkeit des Bürgers bezieht sich lediglich darauf, „sich aus den allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten". Dies sind vor allem die Medien. Sein ureigenster Fall, sein besonderes Informationsinteresse etwa beim Bau einer Durchgangsstraße, bei den Modalitäten seiner Energierechnung oder den Hintergründen seiner Rente werden dort aber häufig gar nicht behandelt. Unser Befund war also: Die Verwaltung hat einen Informationsvorsprung gegenüber dem Bürger, gegenüber dem Volkssouverän; dieser Vorsprung hat eine Machtverschiebung zugunsten der Verwaltung bewirkt. Der Informationsvorsprung und fehlende Informationen beim Bürger schaffen Ohnmachtsvorstellungen und verstärken dadurch seine Politikverdrossenheit. Gleichzeitig wissen wir, daß in anderen demokratisch verfaßten Ländern wie etwa in Schweden, den USA, Kanada, den Niederlanden umfassende Informationszugangsrechte der Bürger bestehen, von denen wir noch träumen. Unsere Große Anfrage hat diesen Tatbestand zum Gegenstand gemacht, wobei wir neben dem Problem des allgemeinen Informationszugangs besonders den Umweltbereich und auch den Parlamentsbereich mit unseren Fragen herausgehoben haben. Die Antwort der Bundesregierung ist erwartungsgemäß. Sie hat verfassungsrechtliche Probleme mit dem Informationszugangsrecht. Sie sagt, eine Mitentscheidung einzelner, nicht durch das Gesamtvolk Legitimierter verbietet sich auf Grund des Demokratieprinzips. Dies könne bis zum Partizipationsverbot gehen. Im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips steht nach Auffassung der Regierung die Ausübung demokratischer Kontrolle nur den dafür legitimierten staatlichen Organen zu. Die Bundesregierung hat zudem funktionale Einwände gegen ein allgemeines Informationszugangsrecht, weil damit eine Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgabe der Verwaltung einhergehen könne wie z. B. die Überlastung von Diensträumen und die Überbeanspruchung von Bediensteten. Darüber hinaus zeugt die Antwort von einem tiefen Mißtrauen gegenüber dem demokratiebewußten Bür- 4576* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 ger, wenn als Folge eines Informationszugangsrechts ein unzulässiger Druck auf die Entscheidungsfindung der Verwaltungsbeamten bis hin zu dessen Familienangehörigen befürchtet wird. Das dieser Antwort zugrunde liegende Verfassungs- und Demokratieverständnis kann von uns schlechterdings nicht geteilt werden. Das nicht hinterfragte Gewaltenteilungsprinzip kann nun wirklich nicht die zusätzliche Kontrolle der Öffentlichkeit durch Informationszugang verbieten. In der Fortentwicklung der Parteiendemokratie hat das klassische Gewaltenteilungsprinzip seine Funktion als Machtkontrollinstrument verloren. Nicht die Legislative kontrolliert heute die Exekutive, sondern ihr kleinerer Teil: die Parteienopposition. Das Demokratieprinzip steht zudem einer zusätzlichen Kontrolle durch Öffentlichkeit von Medien und Bürgern nicht entgegen. Angesichts der bereits erwähnten Machtverschiebung durch Konzentration der Information bei der Verwaltung bedeutet ein allgemeines Informationszugangsrecht eher ein Stück Rückeroberung verlorengegangener demokratischer Rechte. Zudem bewirkt eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit durch Erhebung und Bewertung von Informationen keinerlei Beeinträchtigung der Rechte der zuständigen Organe, etwa des Parlaments. Diese Kontrollmöglichkeiten bestehen nebeneinander und ergänzen sich. Wie häufig verwenden wir als Parlamentarier die von der Presse oder Bürgerinitiativen herausgefundenen Fakten in unserem Parlamentsalltag. Schließlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob wir lediglich Kontrolle durch Information gewährleisten oder ob wir eine Teilhabe an den Entscheidungen ermöglichen. Die Kontrollrechte und echten Mitwirkungsrechte, die zwar beide unter dem Oberbegriff Partizipation laufen, sind hier deutlich zu unterscheiden. In der Antwort der Bundesregierung werden sie dagegen häufig synonym verwendet. Dies vernebelt den Sachverhalt und löst erst so Fragen nach der Legitimation von Entscheidungen aus. Die funktionalen Gesichtspunkte des Vorbehalts gegenüber den Informationszugangsrechten überzeugen überhaupt nicht. Wenn auch die Rechtstradition der Länder mit ausgeprägten Informationszugangsrechten andere sind als unsere, so kann doch deren Praxis der Verfahrensbewältigung für uns Vorbild und Anreiz sein. In vielen Ländern hat die Gewährung von Informationszugangsrechten zu keinem erhöhten Verwaltungsaufwand geführt. Die Beispiele zeigen: Die Gewährung von Informationszugangsrechten läßt sich organisieren, wenn man den Willen dazu hat. Diesen Willen hat die Bundesregierung offenkundig nicht. Erschreckend sind das zu Beginn der Antwort zutage tretende Mißtrauen und die Berührungsangst vor dem Bürger. Wer derartige Pressionsszenarien — der entscheidende Beamte wird bis zu seiner Familie verfolgt — vorgibt, um die Informationsrechte abzulehnen, hat fast ein Feindbild als Bürgerbild verinnerlicht. Ich will Pressionen nicht ausschließen. Aber dies ist doch der Ausnahmefall, und dies gibt es auch ohne Informationszugangsrechte. Was sollen die Richter sagen, die in Prozessen etwa des organisierten Verbrechens tätig sind? Wenn die Verwaltung den mündigen, mitgestaltungswilligen, demokratisch gesinnten Bürger vor Augen hätte — und der ist in der Mehrzahl — , könnte sie derartige pessimistische Szenarien nicht aufrechterhalten. Verwaltungen dürfen nicht davon ausgehen, daß nur sie allein die legitimierten Sachwalter des Gemeinwohls und der richtigen Entscheidung sind. Bei der Teilnahme der Bürger an Bürgerinitiativen, Demonstrationen und Bürgerforen können nur sachlich richtige und für die Gemeinschaft akzeptable Ergebnisse zustande kommen, wenn die Bürger mit richtigen und ausreichenden Informationen an die Sachlösung herangehen. Diese müssen sie sich verschaffen können. Verwaltung und Bürger müssen zusammenarbeiten: Es darf kein Bereich abgeschottet bleiben. Die Schranken der Verwaltung müssen geöffnet sein. Der Bürger als Bittsteller muß zugunsten des Bürgers als Partner bei den Entscheidungen akzeptiert werden. Dieses Bürgerbild bestätigt sich bereits bei den Informationszugangsmöglichkeiten im Umweltbereich. Durch die Antworten zu den detailliert von uns abgefragten unterschiedlichen Informationszugangsformen in den unterschiedlichen Umweltgesetzen zeichnet die Bundesregierung zumindest für diesen Bereich eine ganz andere Wirklichkeit des Informationszugangs zu Umweltdaten durch den Bürger. Hier verwirklicht sich der mündige, mit Information ausgestattete Bürger zumindest teilweise. Wie kann die Bundesregierung ein eigentlich durchweg negatives Bild zur Informationsfreiheit und zum Informationszugang zeichnen, wenn die bislang wirklich konkreten Erfahrungen im Umweltbereich durchaus positiv sind? Das von der Bundesregierung für den Bereich der sonstigen allgemeinen Verwaltung herangezogene Akteneinsichtsrecht des Verwaltungsverfahrensgesetzes und dessen abgefragte Ausweitung hat sie möglicherweise auf die falsche Fährte gebracht. Es geht hier nicht um die zur Verteidigung der eigenen Rechtspositionen notwendigen Auskunfts- und Einsichtsrechte — die auch verbessert werden könnten — , sondern um die jenseits des eigenen Interesses liegenden Informationszugangsrechte im Rahmen einer Informationsfreiheit als Ausfluß größerer demokratischer, von auf das Gemeinwohl bezogenen Einflußmöglichkeiten. Die Bundesregierung betont dagegen, daß unsere Rechtsordnung auf der Konzeption des Individualrechtsschutzes beruhe und insofern das Akteneinsichtsrecht auf dieser Basis geregelt ist. Es könne also nur von den Beteiligten zur Wahrung ihres Informationsinteresses wahrgenommen werden, nicht aber zur Wahrnehmung der Rechte anderer oder eines öffentlichen Interesses. Verlasse ich diese dem Rechtsstaatsprinzip verpflichtete Rechtstradition, wenn wir neben dem Individualrechtsanspruch das Recht auf Informationszugang als Mitwirkungsrecht des Bürgers fordern? Bei der Klagebefugnis ist zum Teil auf Landesebene bereits die Verbandsklage neben der individuellen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4577* Klagebefugnis etabliert. Wir fordern das genauso wie die FDP für unseren gesamten Rechtsraum. Ebenso brauchen wir im Informationszugangsrecht neben dem möglicherweise noch weiter zu entwikkelnden individuellen Akteneinsichtsrecht ein allgemeines Informationszugangsrecht. Dieses Recht sehen wir gerade aus dem Demokratieprinzip entwikkelt. Wir stehen damit möglicherweise im Gegensatz zur Bundesregierung, die durch das Demokratieprinzip diese Form der Partizipation verboten sieht. Die Ausgestaltung der Umweltrechte in den nationalen Einzelgesetzen mit ihren unterschiedlichen Partizipationsformen und die EG-Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt zeigen, daß diese Überlegung zum Informationszugang für ein großes staatliches Verwaltungsfeld teilweise Wirklichkeit geworden ist. Es gilt nun, dies auf dem Felde des Umweltrechts konsequent weiter auszubauen. Das heißt konkret, daß die Umsetzung der EGRichtlinie auch in allen Bereichen durchgesetzt wird. Möglicherweise können auch ähnliche Strukturen der Information und der Beteiligung in anderen Verwaltungsfeldern vorbereitet werden. Einige sozialdemokratische Länder arbeiten an dem Entwurf eines Informationszugangsgesetzes. Wir werden uns an dieser Diskussion beteiligen, um die Erfahrung der Länder in den Bundestag einzubringen. Wir können der allgemeinen Politikverdrossenheit der Bürger durch die Gewährung von mehr Bürgerrechten begegnen. Dies sollten wir auch tun. Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion „Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger" zeigt, daß der Zugang des interessierten Bürgers zu den Datenbeständen der Verwaltung ausreichend gesichert ist. Von einem Informationsübergewicht der Verwaltung kann daher keine Rede sein. Die in der Fragestellung liegende Unterstellung, daß die Verwaltung nur durch ein allgemeines Zugangsrecht für jedermann kontrolliert werden könne, wird überzeugend widerlegt. Im Gegensatz zu einigen ausländischen Staaten wie Schweden, Norwegen, Kanada und den USA steht dem einzelnen in Deutschland grundsätzlich kein allgemeines Informationsrecht zur Verfügung. Der Bürger hat jedoch eine Vielzahl von gesetzlichen Möglichkeiten, in Verwaltungsvorgänge Einsicht zu nehmen bzw. Auskunft zu verlangen. Durch ein Geflecht besonderer Zugangs- und Informationsrechte werden wir den berechtigten Informationsinteressen der einzelnen Bürger gerecht. Ein zentrales Instrument ist dabei das Akteneinsichtsrecht nach § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Diese Regelung hat in Abkehr von dem früher geltenden Prinzip der Aktengeheimhaltung den Grundsatz der „beschränkten Aktenöffentlichkeit" festgeschrieben. Das heißt, die Beteiligten des Verwaltungsverfahrens sind grundsätzlich berechtigt, in die Verwaltungsakten Einsicht zu nehmen. Die Beschränkung des Einsichtsrechts auf die Verfahrensbeteiligten ist Ausdruck der Konzeption der deutschen Rechtsordnung, die auf dem Prinzip des Individualrechtsschutzes beruht. Das heißt, der einzelne kann mit einer Klage grundsätzlich nur die Verletzung eigener Rechte geltend machen und nicht die Wahrung der Rechte anderer oder des öffentlichen Interesses gerichtlich überprüfen lassen. Ferner stehen dem Bürger weitere Informationsmöglichkeiten wie z. B. die Auskunftsansprüche des Betroffenen nach dem Bundesdatenschutzgesetz über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu. Nach dem Melderecht kann sich der Bürger aus den Melderegistern informieren, er kann in das Handelsregister, in das Grundbuch, in Personenstandsbücher Einsicht nehmen. Dies steht jeweils in den dafür geltenden, bereichsspezifischen gesetzlichen Regelungen. Diese Vorschriften stellen einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Informationsbedürfnis des einzelnen und dem Geheimhaltungsinteresse des Staates und beteiligter Dritter dar. Bei einem allgemeinen Informationszugangsrecht wäre ein solcher angemessener Ausgleich zur Wahrung der jeweils entgegenstehenden Interessen nur möglich, wenn hierzu eine Vielzahl von Annahmetatbeständen geschaffen würde. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ansatz des deutschen Verwaltungsrechts vorzugswürdig. Er ist auch für den Bürger leichter durchschaubar. Verweigert eine Verwaltungsbehörde dem einzelnen zu Unrecht die beanspruchte Akteneinsicht bzw. den geltend gemachten Auskunftsanspruch, so kann der Bürger zur Durchsetzung seiner Rechte die Verwaltungsgerichte anrufen. Diese können wiederum Aktenvorlage oder Auskunftserteilung von den Behörden verlangen. Damit ist die Transparenz und die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in unserem Rechtssystem zusätzlich abgesichert. Ich sehe daher auch keine Notwendigkeit — wie in der großen Anfrage angeregt — , besondere Gremien zur Behebung des vermeintlichen Informationsdefizits der Öffentlichkeit einzurichten. Der Behördenapparat würde dadurch nur unnötig erweitert. Davor warne ich. Überdies spricht das geltende Verfassungsrecht gegen die Schaffung der Möglichkeit, dem Bundestag, seinen Ausschüssen oder einzelnen Abgeordneten die Einsichtnahme in die Akten der Bundesregierung zu gestatten. Dort, wo dies notwendig und sinnvoll ist, enthält das Grundgesetz Sondervorschriften, die die Ausnahmen regeln. Kontrollorganen des Parlaments, wie Untersuchungsausschüssen im Rahmen von Beweiserhebungen, dem Petitionsausschuß und beispielsweise dem Wehrbeauftragten wurden dort Rechte auf Akteneinsicht und -vorlage eingeräumt. Diese Vorschriften stellen jedoch — wie gesagt — Sonderregelungen dar und sind nicht Ausdruck eines allgemeinen Informationszugangsrechts zu Akten der Regierung. Ein solches allgemeines Akteneinsichtsrecht für Mitglieder des Deutschen Bundestages würde im Ergebnis mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung kollidieren. Eine Akteneinsicht wird es nur mit besonderer Begründung für die jeweilige Legitimation geben können. 4578* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Auch die Schaffung eines Bürgerbeauftragten des Deutschen Bundestages, der — mit unabhängigem Status — auf Antrag eines Bürgers Einsicht in die Akten der Verwaltung nehmen kann, halte ich nicht für sinnvoll. Bei Soldaten — unter Umständen auch bei anderen speziellen Gruppen in der Gesellschaft — erscheint ein spezieller Beauftragter des Parlaments auf Grund deren besonderer persönlicher Situation angebracht. Die Einrichtung eines Bürgerbeauftragten, wie die SPD-Fraktion es fordert, würde jedoch den falschen Eindruck erwecken, daß exekutive Tätigkeit grundsätzlich einer „vermittelnden Instanz" aus der Legislative bedarf. Dies ist nach den geltenden verfassungsrechtlichen Regeln weder zulässig noch entspricht es tatsächlich bestehenden Bedürfnissen. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Erwägungen sprechen daher auch bei diesem Vorschlag dagegen, ihn aufzugreifen. Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Über den freien Zugang zu Informationen für jedermann wird in der Bundesrepublik gesprochen, seitdem bekannt geworden war, daß es in einer Reihe von Staaten Akteneinsichtsrechte für jedermann unabhängig von jedem konkreten Anlaß gibt. Der Forderung nach freedom of information haben alle Verwaltungen unabhängig davon, welche Regierung an der Macht war, Widerstand entgegengesetzt. Das hat sich grundsätzlich auch nicht durch die EG-Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt geändert, der die Bundesregierung zugestimmt hat und die wenigstens in diesem Bereich den Informationszugang sichert, ohne daß ein konkretes Einzelinteresse bestehen müßte. Die Richtlinie stammt vom Juni 1990. Sie muß bis zum 31. Dezember 1992 verwirklicht werden. Von der Umsetzung sehen wir noch nichts. Merkwürdig an der Antwort der Bundesregierung ist es auch, daß die Angaben über die tatsächlichen Erfahrungen, die man in anderen Ländern mit dem Informationszugang gemacht hat, mehr als lückenhaft sind. Es wird zwar wiederholt auf die negativen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten hingewiesen, weniger auf Kanada, weniger auf Schweden — wo das Informationsrecht immerhin seit 1766 gegeben ist —, gar nicht auf die uns unmittelbar benachbarten Niederlande. Über die Erfahrungen, die mit dem Einblickrecht in die Wasserbücher in den Bundesländern gemacht worden sind, wird im wesentlichen mit Nichtwissen geantwortet. Das ist unbefriedigend. Das kann nicht hingenommen werden. Das zeigt, daß wir mit der Antwort der Bundesregierung das Thema keineswegs abschließen können. Wir sind am Anfang einer intensiven Diskussion und eines Entscheidungsprozesses. Die Verfassungsdiskussion in den neuen Bundesländern — z. B. in Brandenburg, Thüringen und Sachsen — zeigt, daß wir uns auch bei der Reform des Grundgesetzes damit auseinandersetzen müssen, daß das gewandelte Verhältnis von Bürger und Staat zu mehr Transparenz und zu mehr Öffentlichkeit verpflichtet. Hier droht weder der Abbau des parlamentarischen Systems, noch ein Verstoß gegen den im Parteienstaat ohnehin lädierten Grundsatz der Ge- waltenteilung. Die Gewaltenteilung soll den Bürger vor der Übermacht des Staates und nicht den Staat vor der interessierten Anteilnahme des Bürgers schützen. Nach allen Erfahrungen ist es auch nicht so, daß die Verwaltungen durch die Flut heranstürmender informationsgieriger Bürger in ihrer Tätigkeit ernsthaft behindert würden. Das stimmt einfach nicht. Wir haben z. B. in Nordrhein-Westfalen als erste die Katastrophenschutzpläne für Kernkraftwerke für jedermann zugänglich gemacht. Ganz wenige haben davon Gebrauch gemacht, obwohl man ja wirklich von einem berechtigten Interesse sprechen kann. Ähnliches gilt für die Öffnung der Wasserbücher in den meisten Bundesländern. Läßt man einmal alle theoretisierenden, abstrakten verfassungsrechtlichen Erwägungen weg — die in der Antwort der Bundesregierung mit quälender Umständlichkeit vorgetragen werden — , dann bleiben drei konkrete Gegenüberlegungen übrig, nämlich erstens, daß durch die Aktenöffnung die individuellen Interessen Dritter, Einzelpersonen ebenso wie Unternehmen, geschädigt werden könnten mit der Folge, daß sie auch dem Staat gegenüber notwendige Informationen nicht oder nicht richtig geben; zweitens, daß das Recht auf Mitwissen mißverstanden wird als ein Recht jedermanns, mitzuentscheiden; drittens, daß die Verwaltung bei der Planung, Vorbereitung, Überlegung eigener Entscheidungen gehindert wird. Ich will mich wenigstens dieser dritten Überlegung kurz zuwenden, weil in ihr ein Kern enthalten ist, den man respektieren muß. Wenn z. B. ein Ministerium die politische Leitung des Hauses beraten soll, dann muß der einzelne Beamte wissen, daß der nicht mit seinen Erwägungen und Vorschlägen, daß er nicht mit der Darstellung der Risiken, die in jeder Entscheidung liegen, öffentlich vorgeführt wird. Das ist wie im Privatleben auch. Jeder von uns hat auch Überlegungen, die er besser für sich behält. Manches Tagebuch wird erst veröffentlicht, wenn alle Beteiligten tot sind. Wer solche Akten veröffentlichen will, wird ernsthafte und keineswegs positive Folgen auslösen. Es gibt aber auch durchaus Bereiche, in denen der öffentliche Zugang zu Informationen weit besser organisiert werden kann und sollte. Dazu gehört in erster Linie der Umweltbereich, in dem das berechtigte öffentliche Interesse mit dem individuellen Rechtsanspruch nur wenig zu tun hat. Dazu gehört z. B. der Verbraucherschutzbereich, dazu gehört die Katastrophenplanung in der Umgebung aller industriellen Großvorhaben. Dazu gehören alle statistischen Strukturdaten, die die Grundlage politischer Planungen sind. Man kann das fortsetzen und muß in diesen Bereichen in der Tat generell und ohne Einzelregelungen den Zugang zu Informationen öffnen. Das gilt schließlich auch für das Verhältnis des Parlamentes zur Regierung, also z. B. für die Petitionsausschüsse, für die Parlamentarische Kontrollkommission der Nachrichtendienste usw. Hier muß die Frage nicht heißen, welche Akten kann ich öffnen, sondern umgekehrt, welche Akte darf die Verwaltung im allgemeinen öffentlichen Interesse der Öffnung entziehen. Die Beweislast trägt nicht derjenige, der die Akten sehen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4579* will, sondern derjenige, der meint, sie aus übergeordnetem allgemeinen Interesse nicht öffnen zu sollen. Wir bewegen uns technisch und politisch auf eine Informationsgesellschaft zu. Sie bedarf neuer Regelungen, die das Verhältnis von Staat und Bürger verändern. Die Antwort der Bundesregierung ist nicht das letzte Wort. Wir werden in allen Ausschüssen, insbesondere auch im Innenausschuß, überlegen, wie wir die bisher gemachten internationalen Erfahrungen besser nutzen können, und in welchen Politikbereichen wir schneller als bisher im Zugang zu Informationen vorangehen können. Ingrid Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Seit vielen Jahren wird über das Akteneinsichtsrecht für Bürgerinnen und Bürger diskutiert, ohne daß es der Gesetzgeber bisher für nötig gehalten hätte, dem Bundestag einen Entwurf für eine gesetzliche Regelung zu unterbreiten. Einzig die Fraktion der GRÜNEN hat in der letzten und in der vorletzten Legislaturperiode einen auch nach Ansicht vieler Fachleute ausgereiften Gesetzentwurf zur Einsicht in Umweltakten vorgelegt. Die Reaktion der anderen Parteien war bezeichnend für den Umgang mit diesem Bereich. Aus Kreisen der SPD verlautete, sie plane die Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfs, auf den wir allerdings bis heute vergeblich warten. Andererseits waren sich alle anderen Parteien im Rechtsausschuß einig, daß der Entwurf der GRÜNEN nicht Gegenstand einer Anhörung werden solle. So blieb dieser Gesetzentwurf im parlamentarischen Getriebe stecken. Es bedurfte der EG-Kommission, um die parlamentarische Diskussion wieder in Gang zu bringen. Nachdem die Bundesregierung über Jahre hinweg eine Beschlußfassung in Brüssel zugunsten der Bürgerinnen und Bürger blockiert hatte, liegt seit dem 7. Juni 1990 die Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vor. Sollte die SPD jedoch geglaubt haben, die Frist bis zur Umsetzung der Richtlinie in bundesdeutsches Recht sei ein Anlaß für die Bundesregierung, auch nur den Ansatz für gesetzgeberische Aktivitäten offenzulegen, so muß sie von der Antwort auf ihre Große Anfrage enttäuscht sein. Immerhin, die Bundesregierung hat, wie sie voller Stolz verkündet — Frage 9, Seite 13 — , der Richtlinie zugestimmt. Der Nachsatz ist aber geradezu der Inbegriff von Engagement und Eifer: „Die Bundesregierung prüft derzeit Art und Umfang der Umsetzung der Richtlinie, die bis zum 31. Dezember 1992 zu erfolgen hat." Das ist also der regierungsamtliche Stand einer demokratischen Grundsatzforderung, die seit mehr als 15 Jahren in der Bundesrepublik von immer mehr Menschen erhoben, 1980 im Parteiprogramm der FDP festgeschrieben und am Runden Tisch in Ost-Berlin sogar den Rang einer Verfassungsnorm erhalten hat. Ich kann nicht einsehen, daß es den Menschen in dem vereinigten Deutschland noch immer nicht er- laubt wird, sich selbst um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Die Bundesregierung hält im Grundsatz an dem Bild einer Exekutive fest, die sich allenfalls im Umweltbereich — notgedrungen durch die EG — für den nicht am Verfahren direkt beteiligten Bürger ein wenig öffnet. Herr Minister Schäuble, Ihre staatsrechtlichen Antworten auf die Eingangsfragen der Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion sind Ausdruck eines verfassungspolitischen Verständnisses, das ich nicht teile und das sich nach meiner Überzeugung im vereinigten Deutschland nicht durchsetzen darf. Sie schreiben, das Demokratieprinzip verbiete die Mitentscheidungsbefugnis einzelner, nicht durch das Gesamtvolk legitimierter bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben. Sie beklagen sich über mögliche Repressalien gegen Amtsleiter und die ungebührliche Beanspruchung der Behörden durch den „freedom of information act" in den USA. Sind denn für Sie Bürger, die Genehmigungsbescheide einsehen wollen, nichts anderes als potentielle Terroristen, die nichts anderes im Sinn haben, als den vor Angst schlotternden Amtsleiter zu bedrohen? Gibt es für Sie denn keinen Unterschied zwischen einem durch Einsicht in die Akten einsichtigen Bürger und einem Randalierer, der Amtsstuben demoliert und die Beschäftigten an ihrer Arbeit hindert? Ihnen reicht es aus, wenn — wie Sie formulieren —gewählte Vertreter ihre Amtsleiter einsetzen, die dann ohne Bürgerbeteiligung walten können. Sie können sich gerade nicht auf das Grundgesetz stützen. Das legt nämlich in Art. 20 Abs. 2 fest: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Weiter heißt es in Satz 2: Sie — die Staatsgewalt — wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt. Herr Minister Schäuble, das Grundgesetz bekennt sich zur Volkssouveränität, nicht zu einem durch zyklische Akklamation erneuerten Obrigkeitsstaat! Der Staat und seine Verwaltung müssen mit offenen Karten arbeiten. Die Behörden müssen lernen, daß sie für die Bürgerinnen und Bürger da sind und nicht umgekehrt. Ob im öffentlichen Dienstrecht mit seiner grotesken Überbetonung des Beamtenwesens oder bei der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Bürger: Ich verlange eine gläserne Verwaltung, eine politische Diskussions- und Gesprächskultur der Offenheit und der Partizipation, nicht der Geheimräte und Hinterzimmerkabinette. Ich fordere deshalb, daß ein Akteneinsichtgesetz für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung eine optimale Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sicherstellt. Die — erkennbar widerwillig zu leistende — Regelung des Akteneinsichtsrechts in Umweltakten ist nur der Anfang. Die anderen Bereiche müssen folgen, im Interesse einer demokratischen Kultur der Bürgerbeteiligung auf allen gesellschaftlichen und staatlichen Ebenen. Jutta Braband (PDS/Linke Liste): In der Informations- und Mediengesellschaft, in der wir leben, und 4580* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 insbesondere durch die Entwicklung der elektronischen Kommunikation mit ihren beinahe schon unübersehbaren Möglichkeiten ist die Frage des Informationszugangs geradezu essentiell für eine funktionierende Demokratie. Es ist Aufgabe der Politik, die notwendigen Regelungen im Spannungsfeld zwischen notwendigem Datenschutz und freier Informationsgewinnung und -verarbeitung zu treffen, wobei klar sein sollte, daß Verwaltungen und Behörden, aber auch große Unternehmen und Interessenverbände gegenüber dem Einzelnen auch eine Informationspflicht haben sollten und daß ihre Arbeit und ihre Entscheidungen grundsätzlich so transparent wie möglich sein sollten. In der Debatte um die Volkszählung wurde dies im Gegensatzpaar „gläserner Staat/gläserner Bürger" thematisiert. Das sogenannte Volkszählungsurteil sichert der Bürgerin und dem Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht wäre meines Erachtens um ein Recht auf umfassende Information zu erweitern, wenn man das Wort von der „mündigen Bürgerin und dem mündigen Bürger" ernst nimmt. Der Gegenstand der hier in Rede stehenden Großen Anfrage ist nicht von ungefähr der Umweltbereich. Die Ökologiebewegung hat sich u. a. auch ein großes Verdienst um die demokratische Kultur erworben, als sie begann, in ihrem Kampf gegen Atomkraftwerke, großtechnische Anlagen oder gigantische Straßenbauten Informationsrechte, Beteiligungs- und Mitgestaltungsrechte der Betroffenen einzufordern und durchzusetzen. Diese Rechte sind aber nicht auf einen eng gefaßten Umweltbereich zu beschränken, gerade weil wir heute wissen, daß alle größeren Unternehmungen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Ein geschärftes ökologisches, d. h. die Zusammenhänge erkennendes Bewußtsein tut das Seinige hierzu: Zukünftig wird nur eine vorausschauende Politik, die sich der Aufgabe stellt, die staatliche Sphäre, die Frage des Produzierens und Austauschens wieder mit den Lebenswelten der Einzelnen zu verbinden, die notwendige Akzeptanz erreichen. Hier ist es von entscheidender Bedeutung, wie den Informationsbedürfnissen und Mitentscheidungsansprüchen entsprochen wird. Es muß selbstverständlich werden, daß die Bürgerinnen und Bürger nicht nur ein Recht auf Transparenz und somit die Möglichkeit zur Kontrolle haben, sondern es müssen darüber hinaus reale Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein allgemeines Informationszugangsrecht ist anzustreben. Der Umweltbereich, wo die Diskussion meines Erachtens insbesondere auf Europaebene am weitesten vorangeschritten ist, kann hier eine Vorreiterrolle spielen. Jetzt muß es darum gehen, bestimmte Mindeststandards, bestimmte Rechtsansprüche der Einzelnen und bestimmte Informationspflichten festzulegen, wobei grundsätzlich Entscheidungen auf der jeweils untersten Ebene angesiedelt sein sollen (Subsidiaritätsprinzip). Zu nennen wäre hierbei: — grundsätzliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei allen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Vorhaben, Verbesserung der Mitwirkungsrechte Einzelner, erleichterter Zugang zu Rechtsmitteln (Klagemöglichkeit); — Offenlegung von Umweltdaten, Schadstoffen und Abfällen durch die Firmen; — umfassende Information durch entsprechende Umweltberichte mit aufbereiteten Daten; — Akteneinsichtsrecht für jeden und — umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen im Zuge eines vorausschauenden Umweltschutzes. Lassen Sie mich abschließend sagen, daß ich im Gegensatz zur Auffassung der Bundesregierung die Einrichtung eines Ombudsmannes oder einer Ombudsfrau für sehr sinnvoll halte. Mit der Schaffung eines Informationszugangsrechts würde rechtspolitisches Neuland betreten, der Einzelne hätte die Möglichkeit, eine vermittelnde Instanz zwischen Exekutive und Legislative anzurufen. Dr. Hans de With (SPD): In Seminaren ebenso wie in Stammtischgesprächen wird über die Selbstherrlichkeit von Politik und Verwaltung räsoniert. Die einen sagen: Das Entstehen der immer komplexer werdenden Regelungen unserer Lebensvorgänge sei weder zugänglich noch kontrollierbar, womit sich ein Teil der Staatsverdrossenheit begründe. Die anderen behaupten schlicht und einfach: Die da oben machen doch, was sie wollen. Mag diesen zugespitzten Äußerungen auch mit einer gewissen Distanz begegnet werden, so läßt sich doch zweierlei kaum leugnen: 1. Eine Demokratie lebt vom Prinzip der Öffentlichkeit. 2. Ohne Wissen um die öffentlichen Vorgänge können daraus resultierende Entscheidungen nur schwerlich verstanden und kaum akzeptiert werden. Als Anselm von Feuerbach 1821 seine „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege " schrieb, lebte der Strafprozeß noch im Sinne der Demagogenverfolgungen verborgen hinter den verschlossenen Türen der Amtsstuben im Sinne des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses. Einer der Mentoren unserer Strafrechtspflege, Eberhard Schmidt, schrieb dazu: Indem der politische Liberalismus des 19. Jahrhunderts eine Beteiligung des Volkes an den wichtigsten Angelegenheiten des öffentlichen Lebens anstrebte, wollte er auch die Strafrechtspflege, deren hochpolitische Bedeutung durch die Demagogenverfolgung jedermann begreiflich geworden war, der Mitwirkung und dem Miterleben des Volkes zugänglich machen. Und es bedurfte noch der Bewegungen der Paulskirche, des reformierten Strafprozesses und der Beispiele außerhalb unserer Grenzen, ehe das Öffentlichkeitsprinzip 50 Jahre später Eingang in unsere Rechtspflege fand. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4581* Heute ist das alles selbstverständlich, wobei wir natürlich auch wissen, daß es sich dabei nur um ein Prinzip handelt und der Öffentlichkeit im Einzelfall schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen können, worauf ebenso selbstverständlich Bedacht genommen wird. Im Verwaltungsverfahren kam es zum ersten großen Einbruch im Sinne einer Herstellung von Öffentlichkeit durch den Anspruch auf Akteneinsicht der Beteiligten mit der Formulierung des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, das allerdings erst seit dem 1. Januar 1977 in Kraft ist. Dabei aber sind zwei Umstände bedeutsam: 1. Der grundsätzliche Anspruch auf Akteneinsicht für die Beteiligten war weder im Musterentwurf noch im Entwurf 1970 enthalten. Erst der Entwurf aus dem Jahre 1973 nahm nach der entsprechenden öffentlichen Kritik Abschied vom Grundsatz des Aktengeheimnisses zugunsten der Parteiöffentlichkeit des Verfahrens. Dritte haben ein solches Aktenzugangsrecht nicht. 2. Für das Planfeststellungsverfahren modifiziert der § 72 eben dieses Verwaltungsverfahrensgesetzes die Möglichkeit auf Akteneinsicht dahin gehend, daß diese nunmehr nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren ist, also kein Anspruch mehr besteht. Nun ist es keineswegs so, daß der Unbeteiligte und damit die Öffentlichkeit schlechthin von jedem Verwaltungsverfahren ausgeschlossen sind. Einmal gibt es entsprechende presserechtliche Bestimmungen, die allerdings diverse Einschränkungen enthalten. Zum anderen existiert seit 7. Juni 1990 die Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, der die Bundesregierung zugestimmt hat. Danach sind die Behörden verpflichtet, jedermann ohne Prüfung von dessen Interesse Auskunft über Informationen zur Umwelt zur Verfügung zu stellen. Und natürlich gibt es Einsichtsrechte und Verpflichtung zur Offenlegung anderswo, beispielsweise im Raumordnungsverfahren. Dennoch bleibt die Frage: Ist genügend Öffentlichkeit hergestellt? Oder besser gesagt: Hat die Öffentlichkeit genügend Zugang zu Eingriffsvorhaben, Planungsabsichten und Genehmigungswerken der öffentlichen Hand? Ganz sicher nicht. Wäre es nicht von Interesse, rechtzeitig zu wissen, wenn jemand einen Bauantrag im Naturschutzgebiet stellt? Kennen nicht einige von uns Beispiele, bei denen sogenannte Mächtige oder Prominente wider Erwarten ganz plötzlich eine Baugenehmigung in einem Naturschutzgebiet erhalten haben, wobei zur Überraschung aller der erforderliche staatliche Dispens erteilt worden war? Ist es nicht ein geflügeltes Wort, daß alle nasenlang die Straßen aufgerissen werden, weil eine Hand nicht weiß, was die andere tut? Könnte hier die offene Information für die Öffentlichkeit nicht in dem einen oder anderen Fall bewirken, daß eben nur einmal aufgegraben wird? Nun haben wir gehört und wissen wir seit geraumer Zeit, daß Demokratien, die älter sind als die unseren, den nächsten Schritt schon gewagt haben, nämlich schlechthin ein Akteneinsichtsrecht für jedermann — unter gewissen Bedingungen — zu gewähren. Wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Kanada und Schweden. Und die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß damit keineswegs die Verwaltung ineffizient geworden ist. Deswegen war es an der Zeit, daß diese Frage einmal im Deutschen Bundestag behandelt wird. Wenn ich nun auf die Große Anfrage der SPD die Antwort der Regierung anschaue, fällt mir zweierlei auf: Im Umweltbereich — sicherlich auf Grund der zitierten „Euro”-Richtlinie über den freien Zugang zur Information über die Umwelt — antwortet und verfährt die Bundesregierung weitgehend großzügig. Generell aber lehnt sie eine Öffnung der Verwaltungsvorgänge für die Öffentlichkeit ab mit Begründungen, die nicht frei von Überlegungen sind, wie sie bloße Bürokratien pflegen, und die — lassen Sie mich das offen sagen — nicht ohne verfassungsrechtliche Pikanterie sind. Da wird nämlich das allgemeine Akteneinsichtsrecht unter Hinweis auf das „Demokratieprinzip" abgeblockt, weil der einzelne keine „Mitentscheidungsbefugnis” habe und kein „durch das Gesamtvolk Legitimierter" sei. Wörtlich heißt es weiter: ... kann eine generalisierte Ermöglichung der Teilhabe der Allgemeinheit an der den staatlichen Organen zugewiesenen Ausübung demokratischer Kontrolle gravierende verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Wenn das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung schon vom mündigen und auch informierten Bürger ausgeht, muß man sich wirklich fragen, warum er nicht grundsätzlich die Möglichkeit haben sollte, sich über alle die Öffentlichkeit interessierende Vorgänge zu informieren, um daraus im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten Überlegungen und Handlungsweisen abzuleiten. Sei es, daß er gar nichts tut, sei es aber auch, daß er Leserbriefe schreibt, Interessengruppen bildet, eine Parteimeinung zu bilden versucht oder sonstige legale Einflußmaßnahmen ausübt, um den Karren in eine andere Richtung zu bewegen. Die Kenntnis allein kann schon gar nicht verfassungsrechtlich negativ relevant sein. Und warum sollte ein aus dieser Handlung gewonnenes Tun im Sinne einer Einwirkung nach bisherigen legalen Möglichkeiten verfassungsrechtlich bedenklich sein? Fragen darf ich deshalb schon: Schwingt hier nicht eine nicht mehr in unsere Welt passende Tendenz nach dem Motto mit: Wenn die zuviel wissen, stören sie nur. Was in den Vereinigten Staaten nicht das Demokratieprinzip berührt und nicht zu einem Partizipationsverbot führt, dürfte doch auch bei uns verfassungsrechtlich nicht problematisch sein. Wir Sozialdemokraten hätten uns gewünscht, und dazu wäre Anlaß gewesen, daß sich die Bundesregierung offener gegeben und Wege aufgezeigt hätte, ein Mehr an Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Bundesregierung sei daran erinnert, wie lange sie sich gesträubt hat, mehr Öffentlichkeit für die Par- 4582* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 lamentarische Kontrollkommission — also bei der Kontrolle der Dienste — zu gewähren. Beim Verkehrswegebeschleunigungsgesetz geht die Bundesregierung — wenn auch auf andere Weise — einen ebenso engherzigen Weg. Alles in allem: Im Kern ist es eine Antwort im alten Geist. Ich frage mich, wo bei der Beschlußfassung über diese Antwort der Bundesminister der Justiz geblieben war. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Mit der Großen Anfrage „Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger" fordert die SPD-Fraktion die Einführung eines allgemeinen Informationszugangsrechtes zu allen Datenbeständen der Verwaltung. Es wird behauptet, daß die bestehenden gesetzlichen Einsichts- und Auskunftsrechte dem Informationsbedürfnis der Bürger nicht gerecht werden. Daher müsse das Informationsübergewicht der Verwaltung abgebaut werden. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß diese Forderung im Umweltbereich — was den Fragestellern offensichtlich nicht bekannt war - bereits realisiert ist. Denn seit dem 7. Juni 1990 ist die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt in Kraft. Sie muß bis zum 31. Dezember 1992 in deutsches Recht umgesetzt sein. Entsprechende Vorbereitungen sind im Hause des Kollegen Töpfer und in den Ländern im Gange. Im übrigen sieht das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland keinen allgemeinen Informationszugang für jedermann ohne Nachweis eines berechtigten Interesses vor. Dem interessierten Bürger steht jedoch ein Geflecht von spezifischen Zugangs- und Informationsrechten zur Verfügung. Ich nenne hier beispielsweise das Akteneinsichtsrecht der am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, das Einsichtsrecht der Betroffenen in Gerichtsakten nach den verschiedenen Prozeßordnungen sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen von Planfeststellungsverfahren für Großprojekte wie Abfallentsorgungsanlagen und Atomkraftwerke. Diese Methode der Information der Öffentlichkeit durch besondere Rechtsvorschriften, die sich entweder auf eine bestimmte Person beziehen — z. B. die Beteiligten des Verwaltungsverfahrens — oder für bestimmte Sachgebiete gelten — z. B. im Recht des Handelsregisters — , hat sich nach Auffassung der Bundesregierung bewährt. Das geltende Prozeßrecht bietet dem einzelnen zudem ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung dieses Rechtsanspruches auf Information. Die Fragesteller verweisen ferner auf die Gesetzeslage in verschiedenen ausländischen Staaten wie den USA, Kanada, Norwegen und Schweden, die zum Teil auf eine lange Tradition eines freien Zugangsrechts zu Datenbeständen der Verwaltung zurückblicken können. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, daß die Regelungen des deutschen Rechts jenen Vorschriften in ihrer Effektivität in keiner Weise nachstehen. Denn das deutsche Recht sichert — wie ausgeführt — die angemessene Information der Öffentlichkeit durch besondere Gesetzesvorschriften, die bereits entgegenstehenden Interessen Dritter Rechnung tragen. Hier ist zum Beispiel der Anspruch anderer Personen auf Achtung ihrer Privatsphäre, der von Firmen auf Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und die Notwendigkeit des Schutzes bestimmter militärischer Daten zu nennen. Die ausländischen Rechtsordnungen, die den einzelnen ein allgemeines Informationszugangsrecht einräumen, sehen dagegen eine schier unübersehbare Anzahl von Ausnahmetatbeständen vor, um jenen Interessen Dritter ausreichend Rechnung zu tragen. Dies halte ich für wenig bürgerfreundlich, was sich auch in Erhebungen über die Inanspruchnahme des Zugangsrechtes niederschlägt: es wird in erster Linie von Wirtschaft, Industrie und Presse und nur zu einem kleinen Prozentsatz von Einzelpersonen wahrgenommen. Ferner begegnet die Einräumung eines Informationszugangsrechts für jedermann mit dem Ziel einer wirksamen Kontrolle der Verwaltung — wie es die Fragesteller verstehen — verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn der Abbau des vermeintlichen „Informationsübergewichts" der Verwaltung bringt eine Mitwirkung der Allgemeinheit an Verwaltungsentscheidungen mit sich. Diese hat jedoch Entscheidungen eigenverantwortlich zu fällen und unterliegt dabei nur der Kontrolle durch die Gerichte. Ferner besteht natürlich zwangsläufig die Gefahr einer Verzögerung von Verwaltungsentscheidungen durch die Notwendigkeit, jedermann in den Amtsräumen Akteneinsicht zu gewähren. Dies bedeutet jedoch nicht, daß im gesamten Administrativbereich ein allgemeiner Informationszugang ausgeschlossen wäre. Dieses Recht kann eingeräumt werden, wenn in bestimmten Verwaltungsbereichen eine allgemeine Einsichtnahme in Entscheidungsunterlagen sachlich gerechtfertigt ist. Eine derartige Beteiligung der Öffentlichkeit hält die Bundesregierung im Bereich des Umweltrechts für geboten. Denn ein effektiver Umweltschutz ist nur zu erreichen, wenn jeder einzelne hierzu beiträgt und sich umweltgerecht verhält. Deutliche Fortschritte im Umweltschutz sind nur bei einem hohen Umweltbewußtsein und einem entsprechenden Engagement der Bürger zu erzielen. Hierzu ist die umfassende Information der Öffentlichkeit über den Zustand der Umwelt, über die Folgen umweltbeeinträchtigenden Verhaltens und über das Handeln der Verwaltung notwendige Voraussetzung. Die Bundesregierung hat daher der eingangs erwähnten Richtlinie der EG zugestimmt und hält die Umsetzung dieses Regelwerkes in nationales Recht für vereinbar mit den bewährten Strukturen des deutschen Verwaltungsrechts. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die Fragen der Abgeordneten Claire Marienfeld (CDU/ CSU) (Drucksache 12/1447 Fragen 10 und 11): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4583* Treffen die Pressemitteilungen zu, daß der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Gerhard Stoltenberg, mit dem britischen Verteidigungsminister, Tom King, vereinbart hat, sämtliche britischen Militärbewegungen in der Lüneburger Heide bis 1994 schrittweise einzustellen, und hat der Bundesminister der Verteidigung danach den britischen Streitkräften eingeräumt, die Übungsmöglichkeiten auf Truppenübungsplätze der Bundeswehr zu verlagern? Trifft es zu, daß die britischen Streitkräfte ihre Ausbildungs- und Übungstätigkeit in einem Drei-Stufen-Plan vollständig auf die bestehenden Truppenübungsplätze der Bundeswehr Munster, Bergen-Hohne und Sennelager verlegen, und wenn ja, mit wie vielen zusätzlichen Truppenübungen auf dem bestehenden Truppenübungsplatz Senne muß die lippische Bevölkerung, die jetzt schon erheblichen Belastungen ausgesetzt ist, rechnen? Zu Frage 10: Bundesminister Dr. Gerhard Stoltenberg und sein britischer Kollege Tom King haben am 17. Oktober 1991 eine Regelung vereinbart, die der britischen Armee schrittweise einen vollständigen Verzicht auf Übungen im Gebiet Soltau-Lüneburg ab Mitte 1994 erlaubt. Die britische Armee erhält dafür Übungsmöglichkeiten auf bestehenden Truppenübungsplätzen der Bundeswehr. Zu Frage 11: Die vereinbarte Regelung sieht vor, daß die britischen Streitkräfte ihre Ausbildungs- und Übungstätigkeit in drei Phasen von Soltau—Lüneburg auf die Truppenübungsplätze Bergen, Münsingen, Grafenwöhr und Putlos verlagern werden. Die britischen Streitkräfte stellen der Bundeswehr dafür aus ihrem Nutzungsanteil von 16 Wochen auf dem Truppenübungsplatz Sennelager 4 Wochen zur Nutzung zur Verfügung. Zusätzliche Truppenübungen entstehen dadurch nicht. Die Aufgabe des Soltau-Lüneburg-Gebiets ist wie folgt geplant: — 1992: Aufgabe eines größeren Geländes südwestlich Lüneburg und Verlängerung der Sommerpause. — 1993: Aufgabe des Gebietes ostwärts der Bundesautobahn 7 und Beibehaltung der verlängerten Sommerpause. — 1994: Einstellung der gesamten Ausbildung/ Übungen im Raum Soltau-Lüneburg ab Mitte 1994. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die Frage des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (FDP) (Drucksache 12/1447 Frage 12): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß im Zusammenhang mit dem kanadischen Truppenabzug aus Söllingen und Lahr sowie der Auflösung des Aufklärungsgeschwaders Immelmann in Bremgarten die TRA 206A (Temporary Restricted Area) mit der TRA 206B zusammengelegt wird, und wenn ja, ist aufgrund der Zusammenlegung der TRA mit einer Reduzierung der neuen TRA und damit auch mit einer Verringerung des militärischen Flugbetriebes über Baden-Baden, dem Murgtal und dem Schwarzwald zu rechnen? Im Rahmen einer einvernehmlich mit dem Bundesminister für Verkehr beschlossenen Neuordnung der Luftraumstruktur im Bereich des Schwarzwaldes werden ab Mitte November 1991 die Temporary Restricted Areas 206 a und 206 b zusammengelegt und verkleinert. Die nördliche Grenze der neuen Temporary Restricted Area 206 verläuft dann auf einer Linie Lahr—Schramberg. Diese Maßnahme und die Strukturmaßnahmen im Bereich der alliierten und eigenen Streitkräfte lassen eine Verminderung der Fluglärmbelastung über Baden-Baden, dem Murgtal und dem nördlichen Schwarzwald erwarten. Anlage 13 Antwort der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Frage des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (FDP) (Drucksache 12/1447 Frage 30): Welchen Beitrag will und kann die Bundesregierung im Hinblick auf die am 30. Oktober 1991 in Madrid eröffnete NahostFriedenskonferenz für den Nahost-Friedensprozeß leisten, und welche Rolle wird sie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft bei der Lösung der damit verbundenen Probleme wie der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, der Grenzfragen zwischen Israel und dem Libanon (israelische 5-Meilen-Schutzzone im Südlibanon) und zwischen Israel und Syrien (israelische Annexion der Golanhöhen), einer regionalen Abrüstung und Rüstungskontrolle, der Wasserfrage und der regionalen Wirtschaftsförderung übernehmen? Die Europäische Gemeinschaft war durch die Präsidentschaft bei der Madrider Konferenz vertreten. Zur Delegation der Gemeinschaft gehörte auch ein Beamter des Auswärtigen Amtes. Die Bundesregierung hat an der inhaltlichen Vorbereitung der europäischen Teilnahme, insbesondere an der Rede der Präsidentschaft, aktiv mitgearbeitet. Sie ist dabei von den Grundsätzen ausgegangen, die die deutsche wie die europäische Nahostpolitik seit Jahren leiten. Der niederländische Außenminister van den Broek hat am 30. Oktober 1991 in Madrid vor der NahostFriedenskonferenz auch im Namen der Bundesregierung die Haltung der Zwölf zu dem durch die Konferenz eingeleiteten Verhandlungsprozeß im Nahen Osten eingehend dargelegt. Er hat dabei bekräftigt, daß die EG und ihre Mitgliedsstaaten sich in konstruktiver Partnerschaft an allen Phasen des Verhandlungsprozesses beteiligen werden. In dieser Erklärung, über die in den Medien berichtet wurde, hat der niederländische Außenminister auch die Prinzipien hervorgehoben, welche unverändert die Position der Zwölf bestimmen: Die Entschlie- 4584* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Rungen des Sicherheitsrates 242 und 338, der Grundsatz von „Land für Frieden", das Recht aller Staaten der Region einschließlich Israels, in sicheren und anerkannten Grenzen zu leben und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Zum Libanon hat AM van den Broek auf die Sicherheitsratsentschließung 425 hingewiesen. Aus der Sicht der Bundesregierung ist es von großer Bedeutung, daß die Konfliktparteien bei der NahostFriedenskonferenz in Madrid ihre Bereitschaft zu einem Verhandlungsprozeß wie vor allem von den USA vorgeschlagen bekräftigt haben: Direkte Verhandlungen auf der Grundlage der Entschließungen 242 und 338, zwischen Israel und den Palästinensern auf der einen Seite, zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn andererseits. Diese politischen Verhandlungen sollen ergänzt und unterstützt werden durch multilaterale Verhandlungen über regionale Zusammenarbeit in Bereichen gemeinsamen Interesses, etwa Rüstungskontrolle und regionale Sicherheit, Wasser, Umwelt, Flüchtlingsfragen, wirtschaftliche Entwicklung. Die Bundesregierung wird zusammen mit ihren europäischen Partnern diese Bemühungen in den verschiedenen Bereichen entschlossen und konstruktiv fördern. Anlage 14 Antwort der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) (Drucksache 12/1447 Fragen 33 und 34): Hat der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Brasilien innerhalb der Erörterung zur Rettung der Regenwälder auch den Schutz der dort lebenden Minderheitsvölker angesprochen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, mit dafür Sorge zu tragen, daß bestimmte Indio-Minoritäten vor dem Aussterben bewahrt werden? Welche Resultate haben hinsichtlich der Menschenrechte die Gespräche mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik China, Zou Jiahua, erbracht, und wird der Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen W. Möllemann, bei seinem bevorstehenden Besuch in China die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber Dissidenten wie Wei Jingsheng, Bao Zunxin, Wang Dan, Liu Gang und Zhang Ming ansprechen? Zu Frage 33: Der Bundeskanzler hat gegenüber seinen brasilianischen Gesprächspartnern die Notwendigkeit zur Achtung der Menschenrechte — und damit auch der Rechte der Indianer — sowie den gemeinsamen Willen zur Bewahrung der Umwelt unterstrichen. Dieses ist die Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Bewahrung der tropischen Regenwälder im Amazonasgebiet. Die Erhaltung der tropischen Regenwälder und damit der Lebensräume der ansässigen Indianergruppen ist der beste Indianerschutz. Hierfür wird die Bundesregierung im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit 250 Millionen DM beitragen. Darüber hinaus ist es jedoch notwendig, daß die brasilianische Regierung die Lebensräume der Indianer konkret durch Einrichtung von Indianerreservaten gesetzlich absichert. Daher ist bei den politischen Gesprächen mit der brasilianischen Regierung und den Vertretern brasilianischer Indianervölker die Erwartung der Bundesregierung unterstrichen worden, daß die brasilianische Regierung ihrer Verantwortung zum Schutz der Indianer nachkommt und ihre Verf assungsvorschriften zur Einrichtung von Indianerschutzgebieten zügig umsetzt. Zu Frage 34: Alle Gesprächspartner in der Bundesregierung haben die Politik der chinesischen Führung in Menschenrechtsfragen angesprochen. Dies ist besonders deutlich in den politischen Gesprächen geschehen, die Bundesminister Genscher und Bundesminister Seiters geführt haben. Die chinesische Regierung wurde aufgefordert, die nach den Tiananmen-Demonstrationen verurteilten Vertreter der Demokratiebewegung zu begnadigen. Auch die Frage der freien Entfaltungsmöglichkeiten der Religionsgemeinschaften wurde zur Sprache gebracht. Darüber hinaus wurde die Bedeutung der Menschenrechtsfrage für die Weiterentwicklung des bilateralen Verhältnisses betont. Zou hat seinerseits sehr deutlich bekundet, daß die chinesische Regierung bereit ist, den Dialog in diesen Fragen fortzuführen. Bundesminister Möllemann wird das Menschenrechtsthema anläßlich der siebten Tagung des deutsch-chinesischen gemischten Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Peking erneut ansprechen. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Gerd Wartenberg (Berlin) (SPD) (Drucksache 12/1447 Frage 40): Wann legt die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung vor? Die gesetzgeberische Umsetzung der Zielvorstellungen erfordert tiefgreifende und umfassende Änderungen des Asylverfahrensrechts, die komplizierte und schwierige Fragen aufwerfen. Etwa 80 % der asylrechtlichen Regelungen sind von den Änderungen betroffen. Es bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung der Gesetzesänderungen — ggf. kommt auch eine Neufassung des Asylverfahrensgesetzes in Betracht — , wenn ein praxisgerechtes Ineinandergreifen der asylrechtlichen Verfahren auf Feststellung der politischen Verfolgung und der ausländerrechtlichen Verfahren auf Aufenthaltsbeendigung und zudem eine reibungslose Zusammenarbeit von Bundes- und Landesbehörden gewährleistet werden und Mißbrauchsmöglichkeiten, die dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung zuwiderlaufen, im Rahmen des Möglichen ausgeschlossen werden sollen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4585* Die Bundesregierung ist um eine schnelle Erstellung des Gesetzentwurfs bemüht. Sie wird in den gesetzgeberischen Vorarbeiten in Kürze die Länder beteiligen. Ein genauer Termin kann derzeit noch nicht angegeben werden. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) (Drucksache 12/1447 Frage 43): Welche Leistungen wurden aus öffentlichen Haushalten, einschließlich Zahlungen aus Hermes-Bürgschaften und unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Pariser Clubs bis einschließlich September 1991 an die Republik Polen erbracht? Die Bundesrepublik Deutschland hat an die Republik Polen umfangreiche finanzielle Unterstützungen geleistet. Das sind für Leistungen, die bis zum 15. November 1989 erfolgt sind, rd. 7,5 Milliarden DM. Für neue Leistungen seit dem 15. November 1989 rd. 4,8 Milliarden DM, wovon 2,5 Milliarden DM auf neue Hermes-Deckungen entfallen. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Fragen des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 12/1447 Fragen 44 und 45): Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die sich zuspitzende und zunehmend chaotischer werdende Verkehrssituation an den Grenzübergängen zur Tschechoslowakei in den Griff zu bekommen, und wie ist der Stand der Bemühungen, eine gemeinsam betriebene Grenzabfertigung zeitlich vorzuziehen? Was ist der Grund dafür, daß die Zollverwaltung zwar alle vom Parlament bewilligten B7-Dienstposten besetzt, längst aber nicht alle Beförderungsmöglichkeiten für den mittleren Dienst ausgeschöpft hat? Zu Frage 44: Eine kurzfristige Behebung der schwierigen Verkehrs- und Zollabfertigungsverhältnisse an der deutsch-tschechischen Grenze ist nicht erreichbar. Die Grenzabfertigungsanlagen müssen zum größten Teil wesentlich erweitert oder neu gebaut werden. Die deutsche und die tschechische Zollverwaltung haben angesichts der kritischen Situation eine Reihe von Vereinfachungen abgesprochen, die bis zum 30. November 1991 organisatorisch umgesetzt sein werden. Bei den Grenzübergängen in Neugersdorf, Zinnwald, Schönberg, Schirnding, Waidhaus, Furth im Wald und Philippsreuth werden Abfertigungsschnell-spuren eingerichtet. Diese sind rund um die Uhr geöffnet und bestimmt für Leerfahrzeuge, Lkw, die Waren im durchgehenden Carnet TIR-Verfahren befördern und Lkw, die beim Grenzübergang keine Dienstleistungen der Spediteure in Anspruch nehmen. Damit wird ein schnelles Abfließen eines Teils des erheblichen Verkehrsaufkommens erwartet. Nach hiesiger Einschätzung sind davon bis zu 40 % des Aufkommens umfaßt. Die getroffenen Absprachen sollen ein pragmatisches Zusammenwirken beider Seiten herbeiführen. Für gemeinsame Grenzabfertigungen müssen noch die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Vertragsverhandlungen dafür sind weitgehend abgeschlossen. Mit der Ratifizierung ist in Kürze zu rechnen. Zu Frage 45: Derzeit können im mittleren Zolldienst nicht alle Beförderungsmöglichkeiten ausgenutzt werden. In der Zollverwaltung werden die Beamten aller Laufbahnen und Funktionsgruppen nach einer bundeseinheitlichen Beförderungsreihenfolge befördert. Diese wird nach Leistung und Eignung sowie nach dem Beförderungsdienstalter aufgestellt. Planstellen von Funktionsgruppen bleiben zwangsläufig unbesetzt, wenn keine dieser Funktionsgruppen angehörenden Beamten nach der Beförderungsreihenfolge mehr zur Beförderung anstehen. Hierdurch tritt dann die von Ihnen geschilderte Situation ein. Abhilfe wird in Kürze durch das Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 1991 geschaffen werden, das für die Zollverwaltung eine „Öffnungsklausel" vorsieht. Die „Öffnungsklausel" ermöglicht es dann, Zollbeamte des mittleren Dienstes auf nicht ausgenutzten Stellen der Funktionsgruppe „mittlerer Grenzzolldienst" zu befördern. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Frage des Abgeordneten Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE) (Drucksache 12/1447 Frage 48): Inwieweit vereinbart sich die Erhöhung der Kfz-Kilometerpauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zum 1. Januar 1991 bzw. die Erhöhung der Kfz-Pauschale für Geschäftsreisen zum 1. Oktober 1991 mit verbalen Äußerungen der Bundesregierung, dem Schienenverkehr Priorität einzuräumen, wenn durch die geplante Erhöhung der Bahntarife der Abstand der Kosten zwischen Bahn- und Autobenutzung vergrößert wird, und damit eindeutig der individuelle Kfz-Verkehr bevorzugt wird? Die Erhöhung des steuerlichen Kilometer-Pauschbetrags je Entfernungskilometer für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte mit dem eigenen Kraftfahrzeug berücksichtigt vor allem die Kostenerhöhung aufgrund der angehobenen Mineralölsteuer. Damit sollen bekanntlich die Nachteile für Fernpend- 4586* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 ler vermieden werden, denen häufig öffentliche Verkehrsmittel für die Fahrt zur Arbeitsstätte nicht zur Verfügung stehen. Bekanntlich deckt vor allem dieser Pauschbetrag regelmäßig nicht die tatsächlich entstandenen Kosten für die Kraftfahrzeug-Benutzung, Insofern sieht die Bundesregierung keinen Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik. Mit der Anhebung des Kilometersatzes für Dienst-und Geschäftsreisen sollen je gefahrenen Kilometer die tatsächlichen Aufwendungen für die Kraftfahrzeugbenutzung abgegolten werden. Diese Regelung knüpft an die Wegstreckenentschädigung im öffentlichen Dienst an. Die Anhebung war ebenfalls wegen der gestiegenen Kosten notwendig. Auch hier sieht sich die Bundesregierung nicht im Widerspruch. Im übrigen verweise ich auf die Antwort des Bundesministers für Verkehr auf Ihre Frage, inwieweit die geplante Erhöhung der Tarife der Deutschen Bundesbahn einen Beitrag zur Minderung des Treibhauseffektes sein kann. Diese Frage ist bereis abgehandelt worden. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) (Drucksache 12/1447 Frage 49): Wer bezahlt die aufwendigen und teuren Annoncen, z. B. in der Zeitschrift Stern vom 24. Oktober 1991, „Europas Vorteile bleiben überall haften", die u. a. auch auf einen Aufkleber hinweisen, auf dem sich, zusammen mit Bundesadler und den 12 Sternen des Europarats der Aufdruck „Jürgen W. Möllemann, Bundeswirtschaftsminister" befindet und die wörtlich unterzeichnet ist: „Die Europa-Initiative von Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann"? Diese Anzeige, die über den Europäischen Binnenmarkt informiert und weitere Informationsangebote enthält, wird aus dem Einzelplan 09 (Titel 902-53185/ Eurofitneßprogramm) des Bundesministers für Wirtschaft finanziert. Eine aufmerksamkeitsstarke Gestaltung der Anzeige ist Voraussetzung dafür, daß sie Breitenwirkung erzielen kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Kosten-/Nutzenverhältnis zu sehen. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga (SPD) (Drucksache 12/1447 Fragen 54 und 55): Ist der Bundesregierung bekannt, nach welchen Kriterien die Gesamtsumme aus der „Perifra” -Förderung für deutsche Randgebiete für den Raum Mecklenburg-Vorpommern nach Neubrandenburg vergeben wurde, und wo wurde diese Entscheidung letztendlich getroffen? Ist der Bundesregierung bekannt, ob eine Fortführung des Programms Perifra über das Jahr 1991 hinaus vorgesehen ist, und wenn ja, welche Projekte werden in Mecklenburg-Vorpommern als vorrangig förderungswürdig angesehen? Zu Frage 54: Die Kriterien für die Bereitstellung von Finanzmitteln im Rahmen des PERIFRA-Programms wurden von der EG-Kommission festgelegt und der Bundesregierung in einer Mitteilung vom 21. März 1991 übermittelt. Sie betreffen insbesondere den Förderbedarf, der sich aus Konversionsproblemen ergibt. Die Entscheidung über die für Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern bereitgestellte Summe wurde letztendlich von der EG-Kommission in Brüssel getroffen. Grundlage dieser Entscheidung war jedoch ein Antrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern, den Standort Neubrandenburg zu fördern. Zu Frage 55: Der Bundesregierung ist derzeit nicht bekannt, ob eine Fortführung des PERIFRA-Programmes über das Jahr 1991 hinaus vorgesehen ist. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Erich Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD) (Drucksache 12/1447 Fragen 59 und 60): Ist der Bundesminister für Wirtschaft bereit, in den von ihm monatlich veröffentlichten internationalen Vergleich der Verbraucherpreise für Deutschland auch die Zahlen für die neuen Bundesländer aufzunehmen? Ist der Bundesminister für Wirtschaft bereit, in den von ihm monatlich veröffentlichten internationalen Vergleich der Arbeitslosenquoten für Deutschland auch die Zahlen aus den neuen Bundesländern aufzunehmen? Zu Frage 59: Die Aufnahme der neuen Bundesländer in den internationalen Vergleich der Verbraucherpreise ist bisher nicht erfolgt, weil bis zum Berichtsmonat Juni 1991 noch keine Preisveränderungen zum entsprechenden Vorjahreszeitraum ermittelt werden konnten, die sich ausschließlich auf Preise in D-Mark bezogen. Nachdem dies mit Vorliegen des Berichtsmonats Juli nunmehr der Fall ist, werden die Angaben für die neuen Bundesländer in Zukunft mit berücksichtigt. Allerdings ist zu beachten, daß es hinsichtlich der Aussagefähigkeit dieser Zahlen bis auf weiteres gleichwohl erhebliche Einschränkungen gibt: Die Gewichtungsstruktur des Verbraucherpreisindex stammt noch aus dem Jahre 1989, also aus der Zeit der sozialistischen Mangelwirtschaft, und trägt nicht dem Umstand Rechnung, daß sich die Verbrauchsgewohnheiten der Bevölkerung inzwischen total verändert haben. Die ausgewiesene Preisrate dürfte daher erheblich verzerrt sein. Die Arbeiten für die notwendige Aktualisierung des Warenkorbes laufen, sie benötigen aber wegen des damit verbundenen großen technischen Aufwandes noch einige Zeit. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 4587* Die zur Zeit ausgewiesenen Preissteigerungsraten für Ostdeutschland sind noch aus einem zweiten Grunde irreführend: Sie werden zu einem großen Teil durch die Umstellung von der Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft geprägt. Dabei ist die Heranführung vieler vom Staat jahrelang künstlich extrem niedrig gehaltener Preise an marktwirtschaftliche Bedingungen — insbesondere an die tatsächlichen Kosten — erforderlich, damit diese Preise ihre wichtige Rolle als Knappheitsindikator und Steuerungssignal am Markt erfüllen können. Die derzeit registrierte Preissteigerungsrate ist deshalb kein Anzeichen für inflationäre Tendenzen. Dies ist insbesondere zu beachten, wenn die Preisentwicklung in den neuen Bundesländern mit der in anderen Staaten, in denen dieser strukturelle Sondereinfluß nicht wirksam ist, verglichen werden soll. Zu Frage 60: Die nationalen Angaben der verschiedenen Staaten über ihre Arbeitslosenquote sind aufgrund der bei der Ermittlung bestehenden erheblichen methodischen Unterschiede nicht miteinander vergleichbar. Deswegen müssen sie zunächst nach einem einheitlichen Verfahren aufbereitet werden. Dies geschieht für die EG-Staaten regelmäßig durch das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften (SAEG). Für die neuen Bundesländer ist eine solche Berechnung derzeit aber noch nicht möglich. Hierzu müssen zunächst die Ergebnisse einer Arbeitskräftestichprobe abgewartet werden, die das SAEG im Frühjahr 1991 durchgeführt hat. Sobald für die neuen Bundesländer eine nach dem standardisierten Konzept berechnete Arbeitslosenquote vom SAEG vorgelegt wird, was voraussichtlich im Herbst 1992 der Fall sein wird, wird das BMWi diese in seinen internationalen Vergleich aufnehmen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Georg Gallus auf die Fragen des Abgeordneten Helmut Lamp (CDU/CSU) (Drucksache 12/1447 Fragen 61 und 62): Liegen der Bundesregierung Angaben über Restbestände von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Atrazin vor, deren Anwendung im Frühjahr 1991 in der Bundesrepublik Deutschland verboten wurde und heute als Sondermüll entsorgt werden muß? Ist es rechtens und empfehlenswert, daß mögliche Restbestände dieses Pflanzenschutzmittels in benachbarte Länder, z. B. Frankreich oder die Niederlande, in denen die Anwendung des Atrazins nach wie vor erlaubt ist, exportiert werden? Zu Frage 61: Die Menge der vorhandenen Lagerbestände in den alten Bundesländern ist unbekannt. Die Länder berichteten in einer Umfrage, daß in der Regel keine Probleme in der Entsorgung der meist nur geringfügigen Restbestände gesehen werden. Die Bundesregierung führt dies darauf zurück, daß sie bereits frühzeitig über das beabsichtigte Verbot informiert hat. Nach Angaben der neuen Länder vom April 1991 waren im Beitrittsgebiet 94,6 t atrazinhaltige Pflanzenschutzmittel vorhanden, die als Abfall zu entsorgen sind. Zu Frage 62: Die Bundesregierung hält es grundsätzlich nicht für empfehlenswert, daß Pflanzenschutzmittel mit Wirkstoffen, deren Anwendung verboten ist, exportiert werden. Es ist jedoch die Souveränität anderer Staaten zu respektieren. Die Bundesregierung weist darauf hin, daß Pflanzenschutzmittel nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn diese nach den Vorschriften der §§ 11 bis 15 des Pflanzenschutzgesetzes zugelassen sind. Für die Ausfuhr bestimmte Pflanzenschutzmittel bedürfen nicht der Zulassung. Bei der Ausfuhr sind jedoch die Vorschriften des § 23 des Pflanzenschutzgesetzes zu beachten. Danach sind u. a. Exporteure von Pflanzenschutzmitteln verpflichtet, auch internationale Vereinbarungen, insbesondere den Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln der FAO zu berücksichtigen. Durch das dort geforderte Notifizierungsverfahren wird sichergestellt, daß die Einfuhr bestimmter Stoffe nur mit Zustimmung des Empfängerlandes erfolgen kann. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Georg Gallus auf die Frage der Abgeordneten Ulrike Mehl (SPD) (Drucksache 12/1447 Frage 63): Wie wirkt sich die EG-Entscheidung zum Verbot der großflächigen Treibnetzfischerei auf geschützte Tierarten, wie Meeresschildkröten, Delphine, Robben und Seevögel, aus, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, den notwendigen Artenschutz dieser Tiere sicherzustellen? Das von der EG erlassene Verbot der großflächigen Treibnetzfischerei, das am 01. 06. 1992 in Kraft treten wird, bedeutet einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der in der Anfrage genannten Tierarten. Die EG setzt damit die UNO-Resolution 44/225 um, die ein solches Verbot weltweit in allen Gewässern der „Hohen See" verfügt hat. Die EG geht über diese Resolution noch hinaus, da sich das von ihr ausgesprochene Verbot nicht nur auf die „Hohe See", sondern auch auf das „EG-Meer" bezieht. Für eine begrenzte Übergangszeit bis zum 31. 12. 1993 gestattet die EG Fischern, die bereits vor dem 01. 06. 1990 Treibnetzfischerei im Nordost-Atlantik betrieben haben, ein oder mehrere Netze zu benutzen, deren Gesamtlänge nicht über 5 km liegen darf. Danach gilt auch für diese Fischer die Begrenzung der Netzlänge auf maximal 2,5 km. Auch diese 4588* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1991 Übergangsregelung bedeutet eine wesentliche Reduzierung des bestehenden Fischereiaufwandes und hält sich an die genannte Entschließung der UNO. Sie wurde von der Bundesregierung im Rahmen eines Gesamtkompromisses zur Erhaltung der Fischbestände und anderer lebender Meeresschätze angenommen. Die EG hat die Ostsee, die von der UNO-Resolution nicht erfaßt wird, von ihrer Regelung zunächst ausgenommen, weil dieses Gebiet der Regelungsbefugnis der internationalen Ostsee-Fischereikommission unterliegt, in der alle Anrainer der Ostsee vertreten sind. In dieser Kommission wird sich die EG für eine Übernahme der Gemeinschaftsbestimmungen einsetzen. Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen zum Schutz der in der Anfrage genannten Tierarten auf nationaler und internationaler Ebene fortsetzen, insbesondere im Rahmen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens und des Übereinkommens zum Schutz der wandernden wildlebenden Tierarten (Bonner Konvention). Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Georg Gallus auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim (SPD) (Drucksache 12/1447 Fragen 64 und 65): Kann die Eintragung einer neuen Rechtsform nach § 69 Abs. 3 Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAG) verweigert werden, weil die Prüfung der Bilanz oder anderer für eine ordnungsgemäße Anmeldung notwendigen Unterlagen nicht fristgerecht erfolgt ist, wobei die Verzögerung jedoch nicht vom Antragsteller zu vertreten ist? Wenn ja, folgt dann zwangsläufig eine Auflösung der LPG per Gesetz nach § 69 Abs. 3 LAG? Die Eintragung einer neuen Rechtsform nach § 69 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes muß verweigert werden, wenn nicht dem zuständigen Registergericht bis einschließlich 31. 12. 1991 eine ordnungsgemäße Anmeldung zugegangen ist. Eine Anmeldung ist ordnungsgemäß, wenn sie alle Voraussetzungen erfüllt, die gesetzlich für die Eintragung in das Handels- oder Genossenschaftsregister vorgeschrieben sind, also vom Registergericht lediglich noch die Eintragung zu verfügen ist. Dies setzt voraus, daß zum einen nach § 29 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes alle nach dem für die neue Rechtsform geltenden Gründungsrecht vorgeschriebenen Urkunden und zum anderen die in § 32 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes genannten Urkunden der Anmeldung beigefügt sind. Die erforderlichen Unterlagen müssen dem Registergericht bis spätestens zum 31. 12. 1991 vollzählig und vollständig zugegangen sein. Sofern nach § 26 Abs. 2 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes dem Umwandlungsbeschluß eine geprüfte Abschlußbilanz beizufügen ist, die bei Beschlußfassung bereits vorliegen muß, gehört diese Bilanz zu den einzureichenden Unterlagen. Die Prüfung einer Bilanz bzw. eines Jahresabschlusses ist nur in den in gesetzlichen Vorschriften für die neue Rechtsform ausdrücklich genannten Fällen, differenziert nach Größenklassen der Unternehmen, erforderlich. Liegt dem Registergericht bis spätestens zum 31. 12. 1991 eine in dem oben beschriebenen Sinne ordnungsgemäße Anmeldung der neuen Rechtsform nicht vor, ist die LPG nach § 69 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes kraft Gesetzes aufgelöst. Bei der Frist nach § 69 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes handelt es sich um eine Ausschlußfrist, die unabhängig von einem Verschulden der Antragsteller grundsätzlich nicht verlängert werden kann. Ob registerverfahrensrechtlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unverschuldeter Fristsäumnis möglich ist, kann wegen Fehlens einer ausdrücklichen verfahrensrechtlichen Vorschrift für die Fälle des § 69 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes nicht abschließend beurteilt werden; die Bundesregierung neigt jedoch zu der Auffassung, daß bei Versäumung der Ausschlußfrist des § 69 Abs. 3 eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht kommen dürfte.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205400000
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Weisung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an das Land Hessen: Aufhebung der Stillegungsverfügung für die Plutoniumverarbeitung in Hanau vor Fertigstellung der Schwachstellen-analyse (In der 53. Sitzung bereits erledigt.)

2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes — Drucksache 12/1467 —
3. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes — Drucksache 12/1468 —
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren — Drucksache 12/1469 —
5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, Jürgen Türk und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flächenstillegungsgesetzes 1991 — Drucksache 12/1470 —
6. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht und zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes — Drucksache 12/1483 —
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Hans Modrow und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Initiative zur nuklearen Abrüstung — Drucksache 12/1443 —
8. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Kohlepolitik
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll abgewichen werden, soweit dies bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist.
Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 13 — Renten-Überleitungsgesetz — ohne Debatte zu beraten. Dieser Tagesordnungspunkt wird zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? —

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1205400100
Ich möchte Widerspruch einlegen gegen die Behandlung des Renten-Überleitungsgesetzes ohne Aussprache.
Wir haben mit Erleichterung aufgenommen, daß es zu dem Renten-Überleitungsgesetz bereits einen Anderungsgesetzentwurf gibt. Doch das nähere Hinsehen brachte eine herbe Enttäuschung: Es handelt sich nur um redaktionelle und formelle Korrekturen und eine weitere Ausdehnung der fragwürdigen Art und Weise der „Vergangenheitsbewältigung" mit Rentenkürzungen bei Personen, die mit der Staatssicherheit zu tun hatten und bisher noch nicht erfaßt waren. Der grundgesetzwidrige Mißbrauch von Sozialrecht als Strafrecht geht also weiter.

(Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)

Offenbar hat sich die Regierungskoalition mit der SPD abgestimmt, die Sache heute heimlich, still und leise über die Bühne des Bundestags gehen zu lassen und damit einer erneuten Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit des Renten-Überleitungsgesetzes aus dem Wege zu gehen.
Wir beantragen eine Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205400200
Wir stimmen über diesen Antrag ab, bevor wir zu Tagesordnungspunkt 3 kommen.
Wer stimmt für den von der PDS/Linke Liste soeben gestellten Antrag, das Renten-Überleitungsgesetz mit Debatte zu beraten? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag der PDS/Linke Liste abgelehnt; es wird ohne Debatte beraten.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung und die Zusatzpunkte 2 bis 6 auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erstreckung von gewerb-



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
lichen Schutzrechten (ErstreckungsgesetzErstrG)

— Drucksache 12/1399 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. April 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze in der Sektion III des Grenzabschnittes „Scheibelberg-Bodensee" sowie in einem Teil des Grenzabschnittes „DreieckmarktDandlbachmündung" und des Grenzabschnittes „Saalach-Scheibelberg"
— Drucksache 12/1242 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Dr. Walter Franz Altherr, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Dr. Werner Hoyer, Dr. Sigrid Semper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Privatisierung der Heimbetriebsgesellschaft mbH der Bundeswehr
— Drucksache 12/1292 —
Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes
— Drucksache 12/1467 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes
— Drucksache 12/1468 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Finanzausschuß
ZP 4 Erste Beratung des von Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren
— Drucksache 12/1469 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
ZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, Jürgen Türk und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flächenstillegungsgesetzes 1991
— Drucksache 12/1470 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht und zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/1483 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Es handelt sich auch bei den Zusatzpunkten um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Ich höre keinen Widerspruch.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag)

— Drucksachen 12/1133, 12/1243, 12/1445 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

— Drucksache 12/1491 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Katrin Fuchs (Verl)

Dr. Olaf Feldmann
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1493 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose
Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe

(Erste Beratung 40. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag vom 19. November 1990 über konventionelle



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) (Ausführungsgesetz zum KSE-Vertrag)
— Drucksachen 12/1135, 12/1244, 12/1445 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

— Drucksache 12/1492 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kurt Würzbach
Katrin Fuchs (Verl)

Dr. Olaf Feldmann

(Erste Beratung 40. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem erteile ich dem Abgeordneten Würzbach das Wort.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1205400300
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion begrüßt außerordentlich das heute zur Verabschiedung anstehende Abrüstungsgesetz und das vorgelegte Ausführungsgesetz.
Ich will noch einmal, wie schon bei der ersten Beratung, uns alle fragen: Wer hätte vor rund einem Jahr geglaubt, daß wir ein solch inhaltsreiches, wirklich Abrüstung einleitendes Gesetz heute verabschieden? Das ist eine großartige Sache für uns alle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir begrüßen, daß der Deutsche Bundestag dieses Gesetz jetzt verabschiedet. Wir liegen damit in der vordersten Spitze aller Staaten, die dies tun. Dieser Zeitpunkt — mit der Bitte an alle Staaten, ebenfalls schnell zu ratifizieren — ist deshalb politisch wichtig, damit die Sowjetunion in ihrer neuen Form, in der sich zu finden sie dabei ist, auf dem schwierigen Weg mit den neuen Republiken ebenfalls dazu kommt, dieses Gesetz so, wie es vorliegt, zu verabschieden.
Wir stimmen heute einem Gesetz zu, das eines Tages als das erste, umfassendste und bedeutendste in den Geschichtsbüchern stehen wird. Ich finde, wir alle, egal, welcher Fraktion wir angehören, sollten unseren Bürgern klarmachen, daß hiermit Zehntausende großer Waffensysteme der Teilstreitkräfte der Luftwaffe und des Heeres beseitigt werden.
Militärisch wird das Ungleichgewicht beseitigt. Militärisch schafft dieser Vertrag Parität auf einem niedrigen Niveau. Militärisch nimmt er den verschiedenen Seiten die Möglichkeit zu einem überraschenden, raumgreifenden Angriff, zum Überraschungsangriff. Und er schafft militärisch lange Vorwarnzeiten.
Dennoch will ich die politische Würdigung voranstellen, nämlich daß dieser Vertrag die gewaltigen politischen Umwälzungen, die Abkehr von Konfrontation zu Kooperation in den letzten Jahren verdeutlicht; das ist ein abrüstungspolitisch, sicherheitspolitisch und außenpolitisch bedeutsamer Schritt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist ein großer Schritt, ein Schritt — das dürfen wir
als Deutsche sagen — , an dem wir entscheidenden
Anteil haben, daß er so und daß er so schnell zustande gekommen ist. Im Namen meiner Fraktion möchte ich all denen danken, die daran mitgearbeitet haben: denen im Auswärtigem Amt, denen im Verteidigungsministerium, denen in Bonn und denen in Wien.
Wenn wir diesen großen Schritt anerkennen und loben, will ich doch hinzufügen, daß dies ein erster Schritt ist. Diesen schon zu realisieren bedeutet eben auch, noch viele, viele schwieriger gewordene Schritte zu gehen. Die unstabile Lage in der Sowjetunion ist ein besonderes Beispiel dafür.
In der ersten Lesung haben wir oft die Vokabel „Flexibilität" bemüht. Es gilt, auch dieses Mal festzustellen, daß wir für Zusätze unterschiedlicher Art in bezug auf das Baltikum, in bezug auf die Ukraine und in bezug auf andere Gebiete hohe Beweglichkeit an den Tag zu legen haben.
Auf der Grundlage dessen, was wir heute ratifizieren, ist es ein gutes Beispiel für Flexibilität, daß im Bereich des Baltikums die Region der drei selbständig gewordenen Länder ausgeklammert, daß dort aber weiter stationiertes sowjetisches Material dem Vertrag unterworfen bleibt. Ich hoffe, daß wir das auch bei anderen Staaten bei all den Schwierigkeiten, die dort absehbar sind, ähnlich beweglich und erfolgreich regeln werden.
Ich will einen Begriff bemühen, den wir aus der rüstungskontrollpolitischen Debatte kennen. Ich wünsche, daß es uns gelingt, daß in diesem Zusammenhang rüstungskontrollpolitisch keine Grauzonen in der früheren Sowjetunion entstehen. Das muß unser Anliegen sein.
Vor dem Hintergrund der bedeutenden Vorschläge, die Bush und Gorbatschow zur weiteren Abrüstung besonders auch im nuklearen Bereich gemacht haben — das sind großartige Ziele — , will ich sagen: Den rüstungskontrollpolitischen Alltag läuten wir mit der Ratifizierung dieses Vertrages ein. Hier muß sich beweisen, daß wir alle miteinander wirklich in der Lage sind, große, gute Ziele nicht nur zu beschreiben, sondern trotz all der Widrigkeiten die praktischen Schritte wirklich zu realisieren.
Neben der Flexibilität und — auf Grund der Änderung in der Sowjetunion — hoher Sensibilität sind auch zwei weitere Punkte gefragt, die ich ansprechen will, nämlich Geduld und auch Geld, und von beidem eine ganze Menge. Wenn wir die Folgen dieses Vertrages betrachten — wenn die Sowjetunion wahr macht, was sie angekündigt hat — , nämlich nach den Waffen auch Personal — was auch in unserem Interesse ist — gravierend zu verringern — wir wissen, es handelt sich dabei um Hunderttausende von Soldaten, die allein die Sowjetunion zu reduzieren hat —, wird das Problem der beiden Punkte, die ich nannte, deutlich: Wo sollen sie wohnen? Wer soll sie ernähren? Wo sollen sie arbeiten?
Um die Dimension zu verdeutlichen, genügt ein kurzer Blick auf unser Land, auf unser dagegen kleines Problem mit der Reduzierung unserer Bundeswehr, mit der Verkleinerung vieler Standorte und mit denen sich daraus ergebenden Problemen für manche Regionen. Dennoch lohnt es sich für alle, diese Anstrengungen unter den Bedingungen, die ich nannte,



Peter Kurt Würzbach
mit Geduld und Geld auf sich zu nehmen, weil es einem großartigen, einem wichtigen Ziel dient.
Ich weiß, daß heute einige Offiziere des Zentrums des Bundeswehramtes für Verifikation diese Debatte verfolgen. Ich wünsche Ihnen und damit uns, daß Sie recht schnell Ihre erworbene Qualifikation zur Beobachtung und zur Überprüfung der verabschiedeten Verträge einbringen können. Ich wünsche, daß Sie in allen Teilen des Vertragsgebietes diese neue, interessante und anspruchsvolle Aufgabe wahrnehmen können, der Sie sich als Offiziere und Beamte unserer Bundeswehr zu unterziehen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Ziel muß es sein, die durch den Vertrag erreichte Parität in sicherheitspolitische Stabilität umzusetzen. Ich wünsche mir, daß der in den letzten Jahren spürbare, dieses Ergebnis überhaupt erst herstellende politische Wille so stark erhalten bleibt, daß die Verhandlungsdynamik, mit der diesmal an diesen Vertrag herangegangen wurde, auch bestehen bleibt, um die Folgeverhandlungen für das Personal zu erreichen. Es gibt ja schlimme, abschreckende Beispiele: Bei dem Vorgänger dieses Vertrages, den MBFR-Verhandlungen, wurde nicht wie hier rund 20 Monate, sondern fast 20 Jahre — und dann noch erfolglos — verhandelt.
Es muß unser Interesse sein, daß nach Inkrafttreten dieses Vertrages ähnlich gravierende Schritte bei den Streitkräfteumfängen, bei der Personalstärke der Soldaten sehr schnell erreicht werden. Hier haben wir als Deutsche als einziger Staat in Ost und West ganz große Vorleistungen erbracht, indem wir uns völkerrechtlich verbindlich festgelegt haben, auf 370 000 Soldaten zu reduzieren.
Ich möchte in diesem Zusammenhang vor dem Deutschen Bundestag auf eines hinweisen, wo wir — nicht rechtlich festgeschrieben, aber politisch-moralisch — eine große Verpflichtung übernommen haben, nämlich die Sicherheit der neuen Demokratien im Osten — ich nenne als Beispiele die Ungarn, die Tschechen und die Polen — in diesem Zusammenhang deutlich mit zu beachten. Hier haben wir eine ganz besondere Verpflichtung, die ich auch deutlich beim Namen nennen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich stelle mit Genugtuung und — ich glaube, ich darf das tun — mit Stolz fest, daß in der Regierungszeit der Union Deutschland zum abrüstungspolitischen Führungsstaat geworden ist und daß wir vom früheren Frontstaat, wie das während des Kalten Krieges und der Konfrontation der Fall war, jetzt zum Verbindungsglied zwischen Ost und West und damit zum Vorreiter und zum Wegbegleiter für Stabilität und für einen Frieden in Kooperation auf einem in bezug auf die Waffen niedrigen Niveau geworden sind.
Dabei können wir zukünftig von einem Sicherheitsbegriff ausgehen und uns an diesem orientieren, der nach den schönen außerordentlichen Veränderungen im Bild der militärischen Bedrohung in Zukunft mehr als vorher nicht nur die militärische Situation, sondern immer auch die politische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Situation einzubeziehen hat. Der
Vertrag, der heute verabschiedet wird, ist eine gute Grundlage, um in dieser Region ähnliche Verträge zu verabschieden. Ich hoffe, er ist ein gutes Beispiel für andere Regionen in der Welt — auch in der Dritten Welt — , um zu ähnlich vernünftigen Abmachungen zu kommen.
Ich rufe die verehrten Kolleginnen und Kollegen aller Parteien auf, diesem Vertrag heute zuzustimmen. Wir ratifizieren ihn. Wir wollen hoffen, daß er dann schnell von allen Staaten realisiert wird und zur Kontrolle immer wieder verifiziert werden kann.
Ich freue mich — so wurde es in den Ausschüssen deutlich — , daß es hier Einmütigkeit zwischen den Fraktionen dieses Hauses gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205400400
Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Hermann Scheer das Wort.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1205400500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Vertrag. Wir werden ihn heute ratifizieren. Welche Bedeutung er hat, kann man an den 15 Jahre dauernden MBFR-Verhandlungen von 1973 bis 1988 ermessen, die seinerzeit mit einer völligen Ergebnislosigkeit endeten. Gemessen daran ist dieser Vertrag in der Tat ein großer Schritt.
Zur Abrüstungspolitik gehört, daß man weiter drängt. Deswegen sollte man nicht vergessen hervorzuheben, was bei diesen Verhandlungen alles nicht zustande kam. Das sind Punkte wie die sehr, sehr unbefriedigende Behandlung der gesamten Luftrüstung. Bei der Luftrüstung sind als Höchstgrenzen Margen festgelegt worden, die über dem liegen, was die NATO gegenwärtig hat, die die NATO also gar nicht einhalten will. Hier ist also mehr an die alte Methode der Festlegung von Rüstungsobergrenzen, die teilweise noch nicht einmal erreicht worden sind, angeknüpft worden. Hier war sehr viel Verhandlungsdogmatismus im Spiel; dies muß sich ändern. Dies ist ein Hinweis auf das, was künftig auf der Agenda stehen muß.
Bei den Verhandlungen ist völlig außer acht gelassen worden — aus Gründen, die ich jetzt nicht kritisieren will, aber es ist wichtig, das festzustellen —, daß im Bereich der maritimen Rüstung, also der Seerüstung, auch ein Abrüstungserfordernis besteht, und zwar erheblicher Art; ein Abrüstungserfordernis übrigens, das in besonderer Weise auf die Überlegenheit des Westens bei der maritimen Rüstung gerichtet ist. Das heißt, hier ist vor allem der Westen gefordert.
Hier sind Dinge für die Tagesordnung der Abrüstungspolitik der 90er Jahre genannt. Daß das alles bei den Wiener Abrüstungsgesprächen noch nicht berücksichtigt wurde, daß wir, obwohl wir das immer wieder gefordert haben, schließlich gesagt haben, nun gut, wenn es denn jetzt nicht anders geht, dann beschränkt euch einmal auf diese Materien, hing damit zusammen, daß wir die Verhandlungen nicht unbedingt mit Dingen aufladen wollten, mit denen die Verhandlungsteilnehmer zu diesem Zeitpunkt vielleicht überfordert gewesen wären, wer auch immer




Dr. Hermann Scheer
sich da in besonderer Weise überfordert fühlte. Dies muß man aber hervorheben.
Auf dem Sektor konventioneller Waffen wird es also erstmals zu einer vereinbarten Rüstungsreduzierung kommen. Wir müssen aber gleichzeitig feststellen, daß der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages fast der letzte denkbare Zeitpunkt gewesen ist, so etwas noch zustande kommen zu lassen. Das ist ein Vertragswerk zwischen NATO- und Warschauer-Pakt-Staaten. Wenige Monate danach löste sich der Warschauer Pakt auf. Schon zum Zeitpunkt des Verabschiedens des Vertrages waren die politischen Entwicklungen zur Auflösung des Warschauer Paktes, zum Abzug sowjetischer Truppen so weit gediehen, daß es die Abzüge, die es auf östlicher Seite gibt, wahrscheinlich sowieso gegeben hätte. Insofern beinhaltet der Vertrag jetzt mehr eine Selbstverpflichtung des Westens, obwohl der Westen gar nicht soviel hergeben muß.
Der Vertrag hat darüber hinaus eine andere Bedeutung. Er beinhaltet nämlich eine Regionalisierung der jeweiligen westlichen und früheren östlichen Verpflichtungen. Dies kann jetzt dazu beitragen, aus Motiven, die es möglicherweise in bestimmten Teilen Europas gibt — ich denke, auch in Osteuropa — , erneut — aus völlig anderen Gründen als früher und nicht gegen den Westen gerichtet — irgendwelche Rüstungsanstrengungen zu unternehmen und damit das Klima und die Konflikte in Osteuropa oder Ostmitteleuropa militärisch aufzuheizen. Ich meine Konflikte zwischen ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten oder innenpolitische Konflikte in ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Deswegen ist es wichtig, daß man diesen Vertrag gerade vor diesem Hintergrund betrachtet, obwohl die Autoren dieses Vertrages an diese Entwicklung nicht haben denken können.
Zum Vertrag gehört aber auch die Absicht, daß jeder Beteiligte vertrauensbildende Verteidigungsstrukturen entwickelt, d. h. daß durch die Art seiner eigenen Bewaffnung nicht Mißtrauen in seine möglichen Absichten oder Fähigkeiten gegenüber anderen geweckt wird. Dies ist wesentlich schwieriger auszuhandeln als das, was im bestehenden Vertragswerk ausgehandelt werden konnte. Aber es war ein ausdrückliches Versprechen, daß auch dies auf die Tagesordnung der künftigen Abrüstungsverhandlungen und politischen Bemühungen über europäische Sicherheitsstrukturen kommt.
Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Absicht des Nordatlantischen Bündnisses zur Bildung schneller Eingreiftruppen gleichbedeutend mit einer größeren, gesteigerten Fähigkeit, zu operativen Überraschungsangriffen ist. Das heißt, die Absicht, schnelle Eingreiftruppen zu bilden, ist im Grunde das Gegenteil dessen, was versprochen worden ist. Auch wenn die Absicht, die hinter der Bildung schneller Eingreiftruppen steht, vielleicht eine andere ist, so fördern sie doch die operative Fähigkeit zu Überraschungsangriffen. Das ist eindeutig. Versprochen wurde noch im letzten Jahr, daß man sich genau um das Gegenteil bemüht. Darauf sollte man auch aufmerksam machen, gerade weil am heutigen Tage beim NATO-Gipfel in Rom möglicher-
weise eine gegenteilige Richtung eingeschlagen wird, als im letzten Jahr versprochen worden war.
Was hat sich politisch geändert? Politisch geändert hat sich seit dem letzten Jahr, daß mit der Auflösung des Warschauer Paktes die Zeit bilateraler Abrüstungsverhandlungen in Europa vorbei ist. Es wird nie mehr Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt geben. Es wird unsinnig sein, Verhandlungen irgendwelcher künstlichen zwei Pole, die miteinander verhandeln und Potentiale gegenrechnen, noch einmal aufzuwärmen. Es werden völlig neue Abrüstungskriterien notwendig sein, Abrüstungskriterien, die sich mehr an nationalen Verpflichtungen statt an Bündnisverpflichtungen orientieren.
Aber die geographischen Bedingungen, die Größe der verschiedenen Länder, alles das ist so unterschiedlich, daß es keinen zu simplen Maßstab geben kann. Es gibt Länder, die lange Küsten haben, und es gibt Länder, die gar keine Küsten haben. Alles dies sind so unterschiedliche Bedingungen, daß die Maßstäbe , wenn man weiter Abrüstungsverhandlungen führt, noch zu entwickeln sein werden. Das heißt, Abrüstungsverhandlungen in der Zukunft werden verhandlungstechnisch, vertragstechnisch schwieriger. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Das bedeutet aber gleichzeitig, daß wir nicht mehr so starr wie bisher unser ganzes Augenmerk nur auf Verhandlungen richten dürfen. Insofern ist auch eine Änderung eingetreten — das hat ja schon bei den Vorschlägen von Bush und Gorbatschow auf dem atomaren Sektor begonnen — , als man eben nicht jeden Schritt nur von langwierigen Verhandlungen und Verträgen abhängig macht, sondern Schritte für sich unternimmt in der Hoffnung, daß der andere nach-oder mitzieht, ohne daß man das lange und mühselig vertraglich ausgehandelt hat.
Damit ist auf dem Sektor der strategischen Nuklearwaffen jetzt begonnen worden. Das gleiche wird für die konventionellen Waffen in Europa auch gelten müssen.
Ich will darauf aufmerksam machen, daß auf Grund der Beratungen im Unterausschuß Zahlen präsentiert worden sind, die nicht vertraulich sind und an Hand derer einmal verglichen worden ist, wieviel Militärpotential auf dem konventionellen Sektor denn jetzt die NATO in Europa und wieviel die Sowjetunion noch hat, die ja keine Verbündeten mehr hat. Wenn man davon ausgeht, daß vielleicht der Maßstab der eigenen Rüstung das maximale Potential des größten Gegenüber oder Nachbarn ist und die Kriterien vom Atlantik bis zum Ural berücksichtigt, dann kommen wir zu dem überraschenden Ergebnis, daß die NATO in Europa mittlerweile auch numerisch, d. h. auch bei den Zahlen der Rüstung, haushoch überlegen ist.
Die NATO hat — ohne Marine — 2,9 Millionen Soldaten in Europa. Das, was in der Sowjetunion übriggeblieben ist und, soweit es im Rahmen einer Sowjetunion bleibt, eher noch weniger als mehr werden wird, sind 1,9 Millionen Soldaten.

(Zuruf des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])




Dr. Hermann Scheer
— Die Zahlen mögen überholt sein, Herr Kollege Solms, aber es sind die allerjüngsten, von den Experten des Verteidigungsministeriums ausgearbeitet. Wenn hier etwas überholt ist, dann sind es die Zahlen auf der Seite der Sowjetunion, weil man dort eher weiter demobilisiert.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205400600
Herr Scheer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1205400700
Ich bin sofort fertig.
Bei den Panzern gibt es heute bei der NATO schon 6 000 mehr, als bei der Sowjetunion, wenn man die Wiener Verpflichtungen berücksichtigt. Ausgehend von dem, was vertragliche Grundlage ist, gibt es eine eindeutige NATO-Überlegenheit.
Das heißt, der nächste Schritt können nicht nur Verhandlungen sein, die so schwierig sind, wie ich es angedeutet habe. Der nächste Schritt muß darin bestehen, daß die NATO aus dieser Situation die Konsequenz zieht und einseitig konventionell abrüstet. Es hieß immer: Wer mehr hat, muß mehr geben. Das ging lange an die Adresse der Sowjetunion und des Warschauer Paktes. Jetzt geht es an die Adresse der NATO.
Ein Punkt davon wäre, daß es jetzt im Grunde genommen angemessen wäre, wenn die NATO 1 Million Soldaten einseitig abbaut.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205400800
Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1205400900
Von einem militärischen Sicherheitsverlust könnte dabei keine Rede sein.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205401000
Als nächster hat der Abgeordnete Olaf Feldmann das Wort.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1205401100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An sich hatte ich angenommen, daß die SPD diesem wichtigen KSE-Vertrag zustimmt. Aber bei so viel Kritik und so wenig Lob habe ich da gewisse Zweifel. Die FDP-Fraktion stimmt jedenfalls diesen beiden von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfen mit Freuden zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Günter Verheugen [SPD]: Wir auch!)

— Dann hätten Sie das auch zum Ausdruck bringen sollen. Wenn man so viel kritisiert, dann hätte man wirklich ein Wort des Lobes über diejenigen sagen können, die daran mitgewirkt haben. Wir jedenfalls danken allen, die hieran mitgewirkt haben.

(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Warten Sie ab! — Norbert Gansel [SPD]: Herr Scheer konnte ja nicht alles sagen, was er wollte!)

Wir hoffen, daß der KSE-Vertrag überall schnell ratifiziert und wie geplant umgesetzt wird. Denn dieser KSE-Vertrag ist das wichtigste Rüstungskontrollabkommen, dem Deutschland bisher zugestimmt hat.
Dieser Vertrag ist auch ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der Spaltung Europas. Zu Beginn der Verhandlungen, im Frühjahr 1989, gab es noch zwei Militärblöcke, die sich gegenüberstanden. Heute gibt es den einen Block nicht mehr. Der andere, die NATO, ist dabei, seine Verantwortung neu zu definieren.
Bereits heute liest sich der KSE-Vertrag wie ein Stück aus dem Geschichtsbuch. Denn das Tempo der Verhandlungen hat mit dem Tempo der Veränderungen in Europa nicht Schritt halten können. Dieses Abkommen ist ein erster wichtiger Schritt zur Beseitigung der Altlasten von mehr als vier Jahrzehnten militärischer Konfrontation. Aber es wird von entscheidender Bedeutung sein, daß und wie dieser Vertrag umgesetzt wird.
Darüber hinaus ist eine zügige und flexible Anpassung an die politischen Veränderungen immer wieder notwendig. Die FDP begrüßt daher die Klarstellung des sowjetischen Verhandlungsführers hinsichtlich der baltischen Staaten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zugleich richten wir einen dringenden Appell an die souveränen Republiken der Sowjetunion, in vollem Umfang in die von Moskau im KSZE-Vertrag eingegangenen Verpflichtungen einzutreten. Dieser Vertrag ist ein Stabilitätsrahmen, der gerade für die Neuordnung der sowjetischen Union und die Einbeziehung der Republiken in eine gesamteuropäische Friedensordnung unverzichtbar ist.
Beim KSZE-Folgetreffen in Helsinki im nächsten Frühjahr muß das Mandat für Verhandlungen im Rahmen aller Mitgliedstaaten der KSZE erteilt werden. Bisher wurden nur Vereinbarungen über die Reduzierung von Waffen und Geräten getroffen. In der nächsten Verhandlungsphase wird es darum gehen, Truppenstärken drastisch zu reduzieren.
Die Bundesrepublik hat mit der verpflichtenden Erklärung vom 30. August 1990 als erster Staat eine Reduzierung ihrer Streitkräfte beschlossen. Sie hat damit einen wesentlichen Beitrag zum Zustandekommen des KSE-Abkommens geleistet. Deutschland hat eine Vorreiterrolle im Abrüstungsprozeß übernommen. Für die FDP ist dies auch für die Zukunft Verpflichtung.

(Beifall bei der FDP)

Für die FDP war Friedenssicherung immer und vor allem eine Aufgabe der Politik. Streitkräfte, Waffensysteme und Strategien sind nur Instrumente dieser Politik. Bei KSE 2 wird es darum gehen, Streitkräfte in Europa auf den zur Selbstverteidigung notwendigen Umfang zu reduzieren. Wir können es uns nicht leisten, unsere begrenzten Finanzmittel für ein Übermaß an Streitkräften und Waffen zu verschleudern.
Um das neue, friedliche Europa zu schaffen, müssen wir uns darauf konzentrieren, unsere wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Ressourcen für die Verstärkung der Zusammenarbeit in Europa und weltweit einzusetzen. Europa kann auf die Friedensdividende nicht verzichten.
Aber auch Abrüstung kostet Geld. In der ersten Lesung wurde — ich glaube, von Ihnen, Herr Kollege Würzbach — darauf hingewiesen, daß im Verteidi-



Dr. Olaf Feldmann
gungsetat 265 Millionen DM für Rüstungskontrolle und Verifikation eingesetzt sind. Aber was sind 265 Millionen DM gegenüber einem Verteidigungsetat von 42, Entschuldigung, 52 Milliarden DM?

(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: 42 wären aber besser!)

— Da stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin Fuchs. — Diese 265 Millionen DM sind wahrlich keine Riesensumme. Bundesaußenminister Genscher hat in der verpflichtenden Erklärung vom 30. August 1990 darauf hingewiesen, daß Vertrauensbildung und konventionelle Abrüstung einander ergänzen. Das heißt, daß auch die Höhe und die Struktur eines Verteidigungsetats Signale für Vertrauensbildung sein müssen.

(Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Ja!)

Das bedeutet, daß alle Beschaffungs- und Modernisierungsprojekte auf den Prüfstand müssen.

(Günter Verheugen [SPD]: Richtig!)

— Das freut mich. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, das deutlich zu sagen.

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Da dürfen Sie aber nicht stehenbleiben! — Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Ja, da dürfen Sie nicht stehenbleiben!)

Wir müssen bereits heute unseren Blick über KSE 1 hinaus auf KSE 2 richten. Die neuen Herausforderungen — der wiedererwachende Nationalismus, der Krieg in Jugoslawien, die Veränderungen in der Sowjetunion und die Verantwortung für die jungen Demokratien Osteuropas — verlangen ein gesamteuropäisches Handlungs- und Krisenkonzept unter dem Dach der KSZE.
Diese Herausforderungen, denen wir uns stellen werden, dürfen aber nicht zum Vorwand genommen werden, um die laufende Diskussion über eine Verfassungsänderung — die wir von der FDP ja wollen — zur Beteiligung der Bundeswehr an UN-Friedenstruppen unter unangemessenen Zeitdruck zu setzen; denn gerade in Jugoslawien können deutsche Soldaten keine guten Dienste leisten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205401200
Als nächster hat der Abgeordnete Christian Schmidt das Wort.

Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1205401300
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bedeutung des KSE-Vertrages, der heute dem Hohen Hause zur Ratifizierung vorliegt, für die Zukunft unseres Landes und für die Zukunft Europas kann außen-und sicherheitspolitisch nicht hoch genug eingeschätzt werden. 15 Jahre lang — es wurde sogar gesagt, 20 Jahre lang; die Wahrheit liegt wohl dazwischen — war in Wien im Rahmen der früheren MBFRVerhandlungen erfolglos debattiert worden. West und Ost, die NATO und der Warschauer Pakt standen sich trotz der damaligen Entspannungsphase unversöhnlich gegenüber und fanden nicht die Kraft zu einem Kompromiß.
Heute ist diese dunkle Phase der Ost-West-Beziehungen schon fast wieder vergessen. Die revolutionären Veränderungen in der politischen Landschaft Europas vor allem im Jahr 1989 haben den Neubeginn der Verhandlungen ermöglicht und in weniger als zwei Jahren zu einem Vertragswerk geführt, das zu Recht die Bezeichnung „historisch" verdient.
Im übrigen wird hierbei deutlich, daß nicht Waffen Spannungen produzieren, wie uns die Friedensbewegung vor zehn Jahren einzureden versuchte, sondern daß aus Ideologie und Freiheitsunterdrückung Spannungen entstehen, die wiederum Waffen produziert haben.

(Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Heute symbolisiert der KSE-Vertrag die eingetretene Veränderung vom Kalten Krieg zu einem freien und ungeteilten Europa. Nie zuvor in der europäischen Geschichte konnte ein so tiefgreifender Wandel so friedlich vollzogen werden. Rüstungskontrolle und Abrüstung und das geduldige Verhandeln im Rahmen des KSZE-Prozesses haben dabei eine wichtige Rolle gespielt.
Das eigentliche Fundament für die Stabilität der europäischen Sicherheit in dieser schwierigen Phase des Übergangs war jedoch die Atlantische Allianz. Es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, daß wir heute, am Tag des NATO-Gipfels in Rom, die Ratifizierung dieses KSE-Vertrages vornehmen.

(Beifall des Abg. Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU])

Die Stabilität der NATO, ihre Wachsamkeit und ihre Festigkeit waren wichtige Wegbereiter für das neue Denken in der Sowjetunion. Der NATO-Doppelbeschluß von 1979 und das Festhalten an der Nachrüstung durch Kohl und Strauß 1983 waren wesentliche Voraussetzungen für diesen späteren Erfolg.

(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Das durfte ja nicht fehlen! — Gegenruf des Abg. Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Das ist aber wahr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Genau! — Sehr richtig!)

— Das ist sehr wichtig und wird in der Geschichte mehr Bedeutung erlangen als Ihr Vorschlag einer Europolizei, zu der Sie die NATO umfunktionieren wollten, Herr Scheer.

(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Vor allem gegen Strauchdiebe ist das ganz wichtig!)

An diese Erfolge von 1983 sollten wir anknüpfen. Nur mit der NATO wird es weitere Abrüstungserfolge geben. Nur mit der NATO lassen sich stabile und berechenbare Sicherheitsbeziehungen in Europa aufbauen und läßt sich ein politisches Umfeld gestalten, das zur endgültigen Überwindung der Konfrontation und zum Schutz der aufstrebenden Demokratien in Osteuropa — Kollege Würzbach hat bereits ausdrücklich darauf hingewiesen — gebraucht wird. Die westliche Abrüstungspolitik ist eine Erfolgsstory, deren letztes Kapitel hoffentlich noch nicht geschrieben ist.
Im KSE-Vertrag ist festgeschrieben, daß die Vernichtung der zu reduzierenden Waffensysteme inner-



Christian Schmidt (Fürth)

halb eines Zeitraums von 40 Monaten abgeschlossen sein soll. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Staaten die, bezogen auf die Größe ihrer Streitkräfte und bedingt durch die Übernahme der Nationalen Volksarmee, mit das meiste Kriegsgerät zu vernichten hat: Rund 2 900 Kampfpanzer, über 6 000 gepanzerte Fahrzeuge, 1 900 Artilleriegeschütze und 160 Kampfflugzeuge werden nach dem Inkrafttreten des KSE-Vertrages zerstört werden. Hier wird sichtbar, daß die vielzitierte Friedensdividende tatsächlich eingelöst wird.
Mit besonderer Genugtuung können wir feststellen, daß die Auszahlung dieser Friedensdividende einhergeht mit einer Verbesserung unserer äußeren Sicherheit. Auf dem Weg zu einem Frieden mit immer weniger Waffen ist diese Bundesregierung ein großes Stück vorangekommen, wie sie es bei ihrem Regierungsantritt versprochen hatte.
Auch ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, den zahlreichen Soldaten im Bundesministerium der Verteidigung und den Diplomaten im Auswärtigen Amt, die sich teilweise seit 20 Jahren mit der zähen Abrüstungsmaterie befaßt haben, meinen aufrichtigen Dank zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben in aufopferungsvoller Weise um einen Erfolg am Verhandlungstisch zäh gerungen. Politische Absichtserklärungen verlaufen im Sande, wenn sie nicht zuverlässig, umsichtig und pflichtbewußt umgesetzt werden. Ich glaube, wir können sehr zufrieden sein mit dem, was hier von unserer Exekutive geleistet worden ist.
Danken möchte ich auch den Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr, die persönlich von dem KSE-Vertrag betroffen sind, indem sie ihre Arbeitsplätze verlieren oder denen ein Umzug wegen Auflösung des angestammten Truppenteils bevorsteht. Wir alle haben als Abgeordnete in den letzten Monaten einen nachhaltigen Eindruck von den persönlichen Problemen gewinnen können, die für viele Soldaten und Zivilbedienstete durch diese Umstrukturierung zwangsläufig entstehen.
Wer eine umfassende Abrüstung will, muß auch bereit sein, die sich daraus ergebenden sozialen Härten für die Betroffenen abzufangen. Ich trete daher nachdrücklich für eine rasche Verabschiedung des Personalstärkegesetzes, des Beamtenanpassungsgesetzes und für ergänzende Maßnahmen im Bereich der Arbeitsförderung sowie für Angebote zur Weiterbeschäftigung im zivilen Bereich ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Sehr gut! Das gehört nämlich als praktische Sache auch dazu!)

Diejenigen, die uns durch ihren Dienst in der Bundeswehr den Frieden erhalten haben und die die jetzt eingetretenen positiven Entwicklungen in Europa ermöglichten, dürfen dadurch keine Nachteile erleiden.
Die Ratifizierung des KSE-Vertrages ist die Voraussetzung für weitere Abrüstungsschritte. Bis zur nächsten KSZE-Folgekonferenz im Frühjahr 1992 in Helsinki soll ein Entwurf zur Begrenzung der Personalstärken vorliegen. Die Bundesrepublik Deutschland hat hier bereits Vorleistungen durch die Zusage erbracht, gemäß den Zwei-plus-Vier-Vereinbarungen und den Vereinbarungen mit der Sowjetunion den Personalbestand der Bundeswehr auf 370 000 Mann zu begrenzen. Wir werden sehr sorgfältig darauf achten und zu achten haben, daß die anderen KSZE-Teilnehmerstaaten ihr Militärpersonal um eine vergleichbare Größenordnung kürzen. Dabei bleibt zu hoffen, daß der anvisierte KSE- 1a-Vertrag noch ausgehandelt werden kann, bevor der Auflösungsprozeß in der Sowjetunion weiter voranschreitet und bevor sich möglicherweise auch auf dem Balkan neue staatliche Einheiten gebildet haben. Die hier notwendige Flexibilität hat Kollege Würzbach bereits ausführlich angesprochen.
Zu den großen Erfolgen des KSZE-Prozesses gehört, daß er die Verhandlungsteilnehmer zum Nachdenken über die Kriterien ihrer eigenen Sicherheit geführt hat. Der KSZE-Prozeß hat die Erkenntnis gefördert, daß Sicherheit im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert nur noch zu einem geringen Teil durch Waffen, zum größeren Teil aber durch Dialog, Öffnung und Zusammenarbeit erreicht werden kann. Angesichts des Krieges auf dem Balkan und angesichts der Möglichkeit neuer Krisenherde in Osteuropa müssen diese Prinzipien noch nachdrücklicher als bisher vertreten werden.
Befremden muß in diesem Zusammenhang die Meldung hervorrufen, daß die Republik Ukraine beabsichtigt, eigene Streitkräfte in der Größenordnung von 450 000 Mann aufzustellen. Eine solche Maßnahme wäre ein krasses Beispiel für das alte Denken, das wir überwunden glaubten.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Sehr wahr!)

Die Aufstellung neuer Streitkräfte in dieser Größe dient weder den Interessen der Ukraine noch den Interessen seiner neuen Nachbarn. Es wäre fatal, wenn sich die Konfrontation, die 40 Jahre in Mitteleuropa bestanden hat, jetzt in einem anderen Teil Europas neu entwickeln würde. Alle vernünftigen Kräfte müssen ein Interesse daran haben, den Erfolg, den der KSE-Vertrag markiert, durch KSE 1 a und KSE 2 weiter auszubauen und Europa endgültig zu einem Kontinent des Friedens und der Zusammenarbeit zu machen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205401400
Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Hans Modrow das Wort.

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1205401500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unterzeichnung des Vertrages über konventionelle Abrüstung in Europa ist vor einem Jahr weltweit mit Zustimmung aufgenommen worden. Seine Ratifizierung ist, glaube ich, überfällig.



Dr. Hans Modrow
Wenn hier von Dank die Rede war, sei auch vermerkt, daß Diplomaten der DDR an diesem Vertragswerk noch aktiv und konstruktiv mitgearbeitet haben. Jeder Zeitverlust verzögert nicht nur das Inkrafttreten des Vertrages, sondern macht auch die Bedingungen für seine Ratifizierung infolge der sich schnell verändernden Situation in einigen Vertragsländern schwieriger.
Die PDS/Linke Liste stimmt der in diesem Haus mehrheitlich vertretenen Auffassung zu, daß die instabile und beträchtliche Risiken in sich bergende Lage in der Sowjetunion kein Grund für eine Hinhaltetaktik ist, sondern für alle Vertragspartner Anlaß sein muß, die Ratifizierung und Verwirklichung des Vertrages zügig voranzutreiben. Jedes andere Herangehen gefährdete diesen Vertrag und würde zwangsläufig auch Wien 2 benachteiligen und darauf Auswirkungen haben.
Wir treten dafür ein, daß die neue Etappe in den Bemühungen aller 38 KSZE-Teilnehmerstaaten um Abrüstung, Vertrauen und Sicherheitsbildung zu umfassenderen Ergebnissen führt. Bei aller Genugtuung über das erreichte Abkommen ist nicht zu übersehen, daß auch nach seiner Verwirklichung Europa ein von Waffen starrender Kontinent, ja, ein atomares Pulverfaß bleibt. Es ist deshalb ein Gebot der Selbsterhaltung, auf dem eingeschlagenen Weg weiter und mit größeren Schritten voranzugehen. Die NATO muß zur ursprünglichen Zielsetzung der Wiener Verhandlungen, nämlich zum Abbau der Fähigkeit zu einem Überraschungsangriff und zum Aufbau defensiver Militärstrukturen, konsequenter zurückkehren.
Für die Bundesrepublik, deren Verpflichtung zur personellen Reduzierung ihrer Streitkräfte kein Akt selbstlosen Verzichtes, sondern Bestandteil der Regelung der äußeren Aspekte der deutschen Einheit ist, muß es daher heißen: eindeutiges Verbot des Einsatzes deutscher Soldaten außerhalb des nationalen Territoriums, weitere schrittweise Verringerung der Bundeswehr bis zum Jahr 2000 auf eine Personalstärke von 100 000, radikale Verringerung der Militärausgaben. Für das kommende Jahr sieht der aufgeblähte Verteidigungsetat, nach Kriterien der NATO berechnet, Ausgaben von weit über 68 Milliarden DM vor. Begründet wird das vor allem mit den Erfordernissen einer kostenaufwendigen Modernisierung. Mit anderen Worten: Waffensysteme sollen reduziert, Streitkräfte verringert, ihre Schlagkraft jedoch erhöht werden.
Natürlich kostet auch Abrüstung Geld. Die Regierungskoalition versäumt es nie, darauf hinzuweisen, so auch heute. Deshalb wurden im Verteidigungsetat im Kapitel Rüstungskontrolle und Abrüstung für 1992 265 Millionen DM eingesetzt. Im Vergleich zum Gesamtverteidigungsetat ist das jedoch nur eine sehr geringe Summe. Höchst begrüßenswert wäre es, wenn der Betrag für Abrüstung verzehnfacht und dafür die Rüstungsausgaben wenigstens halbiert würden. Statt im bodenlosen Faß der Rüstung zu verschwinden, könnten die eingesparten Mittel sinnvoll und wirksam für die Beseitigung des ökonomischen und sozialen Notstands im Osten Deutschlands,

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

für die Sicherung von Arbeitsplätzen im ganzen Land, vor allem an Rhein und Ruhr, sowie für die Überwindung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Katastrophen in der Welt eingesetzt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Immer noch die alte Leier!)

Auf die Dauer macht die Verringerung der konventionellen Streitkräfte nur dann einen Sinn, wenn sie von atomarer Abrüstung begleitet wird. Sosehr die von Bush und Gorbatschow angekündigten Reduzierungen auf diesem Gebiet auch zu begrüßen sind, so laufen sie letztendlich doch nur auf eine Einschränkung des quantitativen nuklearen Rüstungswettlaufs hinaus. Ohne Schritte zur Einstellung jeglicher hochtechnologischer Rüstung und zur globalen Beseitigung aller Kernwaffen bleibt die Welt von einem wirklichen Durchbruch zu einem gesicherten Frieden noch immer entfernt.
Wenn die Bundesrepublik nach all dem, was namhafte Vertreter der Koalition namentlich der CDU/ CSU, hier kürzlich erklärten, nun wirklich die Position eines abrüstungspolitischen Führungsstaates einnehmen will, dann muß sie bisherige selbstmörderische Verteidigungskonzepte aufgeben und ihr Territorium von allen Kernwaffen befreien. Nicht neue Pläne für Streitkräftemodernisierung und globalen Truppeneinsatz, sondern entschlossene Schritte zu einem atomwaffenfreien Staat

(Zuruf von der CDU/CSU: Zu einem PDSfreien Staat!)

entsprechen der besonderen Friedensverantwortung des vereinigten Deutschland.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205401600
Als nächster spricht der Staatsminister Helmut Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205401700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über die Ratifizierung eines Vertrages, den der Bundeskanzler vor diesem Hause am 22. November vergangenen Jahres das umfassendste und weitreichendste Abkommen in der Geschichte der Rüstungskontrolle und Abrüstung bezeichnet hat. Herr Kollege Würzbach hat das heute wiederholt. Wir alle sehen das genauso.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Vertrag tritt in Kraft, wenn alle 22 Unterzeichnerstaaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben. Drei ehemalige Mitglieder des früheren Warschauer Paktes, Herr Modrow, nämlich die CSFR, Ungarn und Bulgarien, haben diesen Vertrag bereits ratifiziert. Sie haben damit deutlich gemacht, welch einen hohen Stellenwert dieser Vertrag für sie im Hinblick auf eine neue kooperative Sicherheitsordnung in Europa hat. Gerade für die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa ist dieser Vertrag, wie ihre Vorreiterrolle bei der Ratifikation unterstreicht, besonders wichtig, weil er wesentlich dazu beiträgt, dem Entstehen eines Sicherheitsvakuums nach dem Zerfall des Warschauer Pakts entgegenzuwirken.
Die erste Lesung des Zustimmungs- und Durchführungsgesetzes zum KSE-Vertrag am 18. September



Staatsminister Helmut Schäfer
1991 und die anschließenden Ausschußberatungen haben gezeigt, daß alle Fraktionen dieses Hauses diesen Vertrag voll mittragen und sich einmütig für ein rasches Inkrafttreten aussprechen. Die Bundesregierung dankt für diese Unterstützung. Ich persönlich danke auch für die freundlichen Worte an die Diplomaten des Auswärtigen Amtes, die in langen Jahren in diesen sehr zähen Verhandlungen gerungen und mit dazu beigetragen haben, daß dieser Vertrag erfolgreich abgeschlossen worden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung sieht in diesem Votum eine Bestätigung ihrer konsequenten Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Dies ist für sie zugleich auch Ansporn, auf dem Weg zu weiteren Vereinbarungen in der Rüstungskontrolle und Abrüstung zielstrebig voranzugehen.
Meine Damen und Herren, der KSE-Vertrag ist in Zeiten tiefgreifender historischer Veränderungen entstanden. Die Überwindung der mehr als 40 Jahre währenden Ost-West-Konfrontation hat die Ausarbeitung dieses Vertragswerkes entscheidend beflügelt. In einer Zeitspanne von 20 Monaten entstand ein Abkommen, das den politischen Wandel in Europa und die Abkehr vom früheren Antagonismus der Blöcke rüstungskontrollpolitisch absichert.
Mit der Umsetzung der Bestimmungen dieses Vertrages oder, wie es so schön in der Vertragssprache heißt, mit der Implementierung gestalten sich die Sicherheitsbeziehungen in Europa völlig neu. Sie werden gekennzeichnet sein durch ganz neue Formen der Kooperation in der Sicherheitspolitik, nämlich der Zusammenarbeit beim Abbau früherer konventioneller Überrüstung, bei der Einhaltung einvernehmlich festgelegter Waffenobergrenzen und bei der gemeinsamen Überwachung der vereinbarten Begrenzungen und Reduzierungen konventionellen Großgeräts.
Durch die Anwendung und Umsetzung der Vertragsbestimmungen wird kooperative Sicherheit in Europa konkret. Sie werden dazu beitragen, daß Sicherheit und Stabilität zunehmend auf Zusammenarbeit statt — wie bisher — auf wechselseitiger Abschreckung aufbauen.
Schon während der Ausarbeitung des Vertrages konnte der Vertrag an ein sich rasch wandelndes politisches Umfeld angepaßt werden. Er ist einmal als Instrument zur Herstellung gleicher Obergrenzen zwischen zwei Staatengruppen konzipiert. Gleichzeitig gelang es, im Zuge der Auflösung des Warschauer Pakts nationale Obergrenzen für die wichtigsten Kategorien konventioneller Militärmacht festzulegen.
Für uns Deutsche boten die KSE-Verhandlungen überdies einen bei ihrem Beginn von niemandem vorhergesehenen Nutzen, indem sie einen geeigneten Rahmen für die sicherheitspolitische Einbindung der Vereinigung Deutschlands schufen. Die KSE-Verhandlungen bieten den multilateralen Rahmen, um einen zentralen Punkt der äußeren Aspekte der deutschen Einigung, nämlich die Begrenzung des Umfangs unserer Streitkräfte auf 370 000 Mann, in einer uns nicht diskriminierenden Weise zu regeln.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Das war der Durchbruch!)

Auch nach der Unterzeichnung hat der Vertrag eine weitere Probe seiner Fähigkeit zur Anpassung an gewandelte Umstände bestanden. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands, Lettlands und Litauens stellte sich die Frage nach der Auswirkung dieses Vorgangs auf den Vertrag. Die 22 Unterzeichnerstaaten haben diese Frage einvernehmlich und rechtlich verbindlich gelöst. In ihrer Erklärung vom 18. Oktober 1991 stellten sie fest, daß zwar das Territorium der baltischen Staaten nicht zum Vertragsgebiet gehört, die dort vorübergehend verbleibenden sowjetischen Streitkräfte jedoch den Bestimmungen des Vertrages unterworfen bleiben. Das bedeutet vor allem: Auch die in den baltischen Staaten noch stationierten sowjetischen Streitkräfte unterliegen allen Verpflichtungen aus dem Vertrag, einschließlich der Pflichten der Sowjetunion zur zahlenmäßigen Begrenzung und Reduzierung ihrer konventionellen Hauptwaffensysteme.
Mit Blick auf die radikalen Umwälzungen in der Sowjetunion gewinnt der Vertrag eine völlig neue Bedeutung. Das ist hier schon mehrfach deutlich geworden. Angesichts des Entstehens neuer Streitkräfte in einigen der früheren Sowjetrepubliken wächst dem KSE-Vertrag und den durch ihn festgelegten Obergrenzen eine ursprünglich nicht vorgesehene Funktion zu. Er wird zusammen mit der jetzt verhandelten KSE-la-Vereinbarung den Ordnungsrahmen zur rüstungskontrollpolitischen Einbindung der neuen konventionellen Streitkräftekulturen bilden, die auf dem Boden der alten UdSSR entstehen. Gerade auch im Hinblick auf diese neue Aufgabe ist das rasche Inkrafttreten des KSE-Vertrages ein dringliches Gebot der Stunde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Gorbatschow hat wiederholt den Willen der Sowjetunion zur Ratifizierung und vollen Implementierung des KSE-Vertrages bekräftigt. Er hat das auch gegenüber Bundesaußenminister Genscher bei dessen jüngsten Gesprächen in Moskau eindeutig zum Ausdruck gebracht. Angesichts der fundamentalen Machtverschiebung in der Sowjetunion hängen jedoch Ratifizierung und Implementierung von Rüstungskontrollvereinbarungen wie dem KSE-Vertrag inzwischen nicht mehr nur vom Willen der Zentrale in Moskau, sondern auch vom Zusammenwirken der früheren Sowjetrepubliken ab. Dementsprechend hat sich der Bundesaußenminister bei seinen jüngsten Besuchen in Alma-Ata und Kiew mit Nachdruck für die Mitwirkung dieser Staaten beim Inkrafttreten des KSE-Vertrages eingesetzt. Die ukrainischen Gesprächspartner versicherten, die Ukraine wolle die Verpflichtungen der Sowjetunion aus dem KSE-Vertrag übernehmen und suche noch nach Mechanismen zur Teilnahme an der Vertragsratifizierung. Auch beim bevorstehenden Besuch des russischen Präsidenten Jelzin in Bonn wird das ein wichtiges Thema sein.



Staatsminister Helmut Schäfer
Meine Damen und Herren, in den vergangenen zwei Jahren waren wir Zeugen dynamischer Umbrüche in Europa. Zwischen dem politischen Wandel und den Fortschritten in Abrüstung und Rüstungskontrolle bestand eine enge Wechselwirkung. Der KSE-Vertrag ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen dauerhaften Friedensordnung in Europa. Um die in diesem Vertrag zum Ausdruck kommende neue Sicherheitspartnerschaft zwischen den einstigen Gegnern des Kalten Krieges konkrete Wirklichkeit werden zu lassen, kommt es jetzt darauf an, diesen Vertrag umgehend zu ratifizieren und seine Bestimmungen in die Tat umzusetzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205401800
Als letzter zu diesem Tagesordnungspunkt spricht der Herr Abgeordnete Günter Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1205401900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer würde sich nicht freuen, Herr Kollege Feldmann, wenn ein Rüstungskontrollvertrag ratifiziert werden kann, der zum ersten Mal wirklich Abrüstung, Rüstungsverminderung, bedeutet? Das ist ganz selbstverständlich.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Das wollten wir von Ihnen hören!)

Aber wer würde nicht auch verstehen, wenn sich in diesem freudigen Moment auch Sorge mischt über das, was uns die Zukunft bringen mag, und wenn wir diesen freudigen Moment mit Erwartungen über das verbinden, was in der Zukunft geschehen soll?

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Das klingt schon anders!)

Es ist ja wohl notwendig, hier noch einmal ganz klar zu machen, daß dieser Vertrag in einer ganz einmaligen historischen Situation zustande gekommen ist. Es hatte sich — um einen bekannten Begriff aus der Abrüstungsdiskussion zu benutzen — ein Fenster der Gelegenheit geöffnet. Das neue Denken in der Sowjetunion hatte bereits begonnen. Einige übrigens — das muß ich hier schon sagen — haben die Ernsthaftigkeit dieses neuen Denkens etwas früher begriffen als andere; das gilt auch für Mitglieder der Bundesregierung.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Aber wir waren dabei!)

Aber es hat ja gerade noch gereicht, solange die Sowjetunion noch handlungsfähig war, diesen Vertrag abzuschließen.
Die neue Situation, meine Damen und Herren, macht aber Abrüstung nicht etwa weniger wichtig, weil jetzt die Blockkonfrontation vorbei ist. Daß der Kalte Krieg überwunden ist, heißt nicht, daß wir uns nicht mehr um Abrüstung kümmern müßten, ganz im Gegenteil. Es ist auch nicht so, daß die konventionelle Seite der Abrüstung, die in der internationalen Diskussion gern auch als die weniger bedeutsame dargestellt worden ist, etwa an Bedeutung verloren hätte. Auch hier sage ich: Im Gegenteil, die konventionelle Abrüstung gewinnt an Gewicht, mehr noch als früher,
weil die Gefahren, mit denen wir heute in Europa konfrontiert sind — wenn ich einmal von der Frage der zukünftigen Kontrolle über die auf dem Gebiet der bisherigen Sowjetunion stationierten Atomwaffen absehe — , eher durch die konventionelle Seite bedingt sind. In Jugoslawien haben wir es ja zum Glück nicht mit Atomraketen zu tun, aber eben mit einer konventionellen Rüstung.
Meine Damen und Herren, die zufällige Übereinstimmung der Ratifizierungsdebatte heute mit dem Beginn des NATO-Gipfels in Rom veranlaßt mich, ein paar Wünsche und Forderungen auszusprechen. Von diesem Gipfel in Rom muß ein sehr deutliches und starkes Signal im Hinblick darauf ausgehen, wie der Abrüstungsprozeß in Europa weitergehen soll. Wir haben doch schon erhebliche Differenzen gehabt — das darf man doch nicht verschweigen, und ich will das hier nicht verschweigen — , als es um die Bestimmung des Mandates für die KSE-Konferenz ging. Ich will hier noch einmal sagen, daß sich die sozialdemokratische Partei wesentlich mehr gewünscht hätte, ein wesentlich weitergehendes Mandat. Das muß jetzt geschehen! Es muß jetzt darum gehen, zu erreichen, daß die quantitative Abrüstung nicht zu einer qualitativen Rüstungsverbesserung führt, daß der Rüstungswettlauf jetzt nicht etwa in die Forschungsstätten und in die Laboratorien verlegt wird.
Kollege Feldmann hatte darauf hingewiesen, daß Programme, Projekte, Neuentwicklungen auf den Prüfstand gehörten — das ist richtig — , aber mit der klaren Tendenz, daß wir auf Dinge, die heute von uns gefordert werden, in Zukunft verzichten wollen.
Wir sind der Meinung, daß die Luft- und Seestreitkräfte jetzt vollständig in die Abrüstungsverhandlungen einbezogen werden müssen und daß wir bei all dem, was jetzt in Europa geschieht, noch stärker als bisher den Grundsatz der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit aller Mitgliedsländer der KSZE zum Prinzip der Abrüstungsverhandlungen machen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann vielleicht ein bißchen darüber streiten, ob das mit der Abrüstung der NATO und ihrer Führerschaft in der Abrüstung wirklich eine große Erfolgsstory ist.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU] : Nur kein Neid!)

Wenn ich sehe, daß die NATO-Staaten zur Zeit allein 600 Milliarden Dollar für die Rüstung aufwenden — das sind weit über 60 To der gesamten Rüstungsaufwendungen in der Welt — , fällt es mir schwer, einer solchen Einschätzung zuzustimmen.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sehr richtig!)

Hier sind entschiedene Schritte von seiten der NATO notwendig, nachdem der Vertrag, den wir jetzt ratifizieren werden, im wesentlichen Konzessionen der Sowjetunion zur Grundlage hat.
Ich will in diesem Zusammenhang auf einen Punkt hinweisen, der uns besonders wichtig ist: Die jetzt eingetretene abrüstungspolitische Situation, die ja im Grunde dem Vertrag vorauseilt, verlangt strukturelle



Günter Verheugen
Anpassungen bei uns selber. Die Tatsache, daß die Bundeswehr in ihrer Truppenstärke vermindert wird, hat zunächst einmal nichts mit dem KSE-Vertrag zu tun — das wissen wir —; sie ist vielmehr das Ergebnis der Vereinbarungen zwischen dem Bundeskanzler und dem sowjetischen Präsidenten vom vergangenen Jahr und hat etwas mit der deutschen Einheit zu tun. Aber nichtsdestoweniger gehört es in den Zusammenhang.
Ich möchte hier als ein Wort an die Angehörigen der Bundeswehr sehr deutlich sagen, daß wir uns der Schwierigkeit der strukturellen Anpassung sehr wohl bewußt sind und daß wir von der Bundesregierung erwarten, daß sie die Sorgen der Offiziere und Soldaten ernst nimmt, daß sie ihre soziale Verantwortung für diejenigen, die in der Bundeswehr Dienst tun, begreift und im Deutschen Bundestag ein klares Konzept vorlegt, wie der versprochene Abbau der Truppenstärken ohne soziale Härten und ohne daß im Einzelfall Unrecht geschieht, vollzogen werden kann. Dazu gehört übrigens auch — —

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205402000
Herr Abgeordneter Verheugen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1205402100
Aber sehr gern.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1205402200
Herr Kollege Verheugen, kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie in der nächsten Woche an der Verabschiedung des Personalstärkegesetzes und des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes nicht nur teilnehmen werden, sondern daß Sie diesen beiden Gesetzen auch zustimmen werden?

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1205402300
Sie werden die Stellungnahme der SPD-Bundestagsfraktion zu diesen beiden Gesetzen hören, wenn sie hier aufgerufen sind.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Der macht es aber heute spannend!)

— Wenn Sie es hören wollen. Meine Meinung ist ganz eindeutig, daß es ohne Frühpensionierung nicht gehen wird in diesem Fall. Aber es gibt wohl kaum jemanden, der das anders sieht. Ich weiß nicht, welche Kontroverse Sie hier versuchen aufzubauen.
Der Punkt ist klar: Abrüstung kann nicht auf dem Rücken derjenigen betrieben werden, die sich in den Dienst der Verteidigung unseres Landes gestellt haben, übrigens auch nicht auf dem Rücken derjenigen, die regionale Wirtschaftsstrukturen im Interesse der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes entwickelt haben. Auch hier ist ein klares Wort notwendig, wie denjenigen geholfen werden soll, die Standorte und damit wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will noch ganz kurz auf ein paar Probleme hinweisen. Es ist schon gesagt worden — ich unterstreiche das — : Es muß sichergestellt sein, daß die Sowjetunion, die auf der Unionsebene den Ratifizierungsprozeß eingeleitet hat, die Abrüstungsverpflichtungen des Vertrages verbindlich garantiert, ganz gleich, wie sich das Verhältnis zwischen den Republiken entwickelt. Es sind ja immerhin vier Republiken, die von dem Vertrag betroffen sind, die aber, im Augenblick
jedenfalls, weil sie im Obersten Sowjet nicht mehr mitwirken, am Ratifizierungsprozeß nicht beteiligt sind: Ukraine, Georgien, Moldavien und Armenien.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Wiener Verhandlungen das Ziel hatten, ein konventionelles Gleichgewicht zwischen zwei Staatengruppen in Europa zu schaffen. Das ist nun wahrlich erreicht, aber seit der Auflösung des Warschauer Paktes wieder in Frage gestellt. Es gibt keine konventionelle Überlegenheit des Ostens mehr, weil es den Osten in dem Zusammenhang nicht mehr gibt. Was es aber gibt, ist eine konventionelle Überlegenheit des Westens. Ich unterstreiche, was mein Kollege Hermann Scheer gesagt hat: Dieses muß korrigiert werden: Die nächsten Abrüstungsleistungen sind westliche Leistungen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir verstehen die Ratifizierung des Abkommens nicht als Endpunkt konventioneller Abrüstungsbemühungen. Auch nach der Verwirklichung der Abrüstungsverpflichtungen aus dem Vertrag bleibt Europa eine Hochrüstungsregion. Die Chancen, dies zu ändern und sowohl bei der Zahl des Militärpersonals als auch bei den Waffen drastisch herunterzugehen, sind heute objektiv günstiger als je zuvor. Es kommt jetzt auf den politischen Willen insbesondere der NATO an, daß wir dieses Ziel anstreben und auch erreichen.
Der KSE-Vertrag ist zwar von allen europäischen Staaten auf der Pariser KSE-Konferenz unterzeichnet worden, er betrifft aber unmittelbar nur eine begrenzte Zahl mitteleuropäischer Staaten. Jugoslawien war z. B. nicht beteiligt. Wir brauchen für die Zukunft Sicherheitsregelungen, die regionale Gleichgewichte auf möglichst niedrigem Niveau festschreiben. Ich glaube, daß das Sicherheitsbedürfnis der südosteuropäischen Staaten durch vertrauensbildende Maßnahmen und durch ein Ausbalancieren der militärischen Kräfte in der Region selber sinnvoll ist, weil es mit kooperativen Mitteln realisiert werden kann, jedenfalls sinnvoller, als wenn wir versuchen wollten, es mit der Ausweitung militärischer Sicherheitsinstitutionen, wie NATO, WEU oder durch Ausweitung von Beistandsverpflichtungen zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage, was man tun kann, wenn ein Staat den anderen angreift, darf sich in Europa nicht mehr stellen. Es bleibt unser Ziel, Angriffsfähigkeiten zu reduzieren, um einen Krieg in Europa auch praktisch unmöglich zu machen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205402400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung, und zwar zunächst über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum KSE-Vertrag auf den Drucksachen 12/1133, 12/1243 und 12/1445. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1491, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs auf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum KSE-Vertrag — Drucksachen 12/1135, 12/1244 und 12/1445 —. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1492, auch diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.

(Norbert Gansel [SPD]: Frau Präsidentin, Sie sollten Staatssekretär Würzbach wieder auf der Regierungsbank begrüßen! — Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Die Schleswig-Holsteiner werden schon wieder nervös!)

— Ich habe seinen neuen Platz wahrgenommen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a) bis f) und 13 auf:
5. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes
— Drucksache 12/1259 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksache 12/1489 —Berichterstattung:
Abgeordnete Anneliese Augustin (Erste Beratung 50. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften
— Drucksache 12/1254 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 12/1481 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Romer (Erste Beratung 47. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter
— Drucksache 12/625 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 12/1440 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Bertold, Reinartz, Ludwig Stiegler

(Erste Beratung 31. Sitzung)

d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvH 4/91
— Drucksache 12/1298 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Helmrich
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 34 zu Petitionen
— Drucksache 12/1358 —
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 35 zu Petitionen
— Drucksache 12/1453 —13. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜGÄndG)

— Drucksache 12/1275 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 12/1479 — Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mascher
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1480 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes auf den Drucksachen 12/1259 und 12/1489 — Tagesordnungspunkt 5a —. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Frau Präsidentin, wir haben eine kleine Verwirrung!)

— Ich wiederhole die Abstimmung. Es geht um die Umsetzung von EG-Recht in nationales Recht bei Diätetikvorschriften. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Darf ich noch einmal fragen: Enthaltungen? — Keine.
Damit sind die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Heimkehrergesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften auf Drucksache 12/1254 — Tagesordnungspunkt 5b — . Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/1481, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nun — TOP 5c — zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durchführung der 12. EG-Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, Drucksache 12/625. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1440, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt — TOP 5 d — zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 12/1298 zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen.
Wir stimmen jetzt — TOP 5 e und f — über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf Drucksachen 12/1358 und 12/1453 ab. Das sind die Sammelübersichten 34 und 35.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei drei Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen jetzt noch — TOP 13 — über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes — Drucksachen 12/1275 und 12/1479 — ab. Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN vor.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei drei Gegenstimmen der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Gruppe der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1482. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag bei Gegenstimmen und Enthaltungen abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 a und b und Zusatzpunkt 7 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Beseitigung der französischen HADESAtomraketen
— Drucksache 12/1212 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Abrüstung taktischer Atomwaffen — Drucksache 12/1213 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Hans Modrow und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Initiative zur nuklearen Abrüstung — Drucksache 12/1443 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Wir beginnen die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Katrin Fuchs.

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1205402500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Drei Tage vor der Bush-Initiative hatte meine Fraktion einen Antrag zur weltweiten Beseitigung aller taktischen Atomwaffen eingebracht. Das haben wir seit Jahren getan. Dieser Antrag ist durch die weitreichenden Vorschläge von Präsident Bush und die Beschlüsse des Bündnisses nicht hinfällig geworden. Natürlich ist es ein Fortschritt, daß jetzt alle landgestützten taktischen Atomwaffen der USA und der Sowjetunion nicht nur abgezogen, sondern auch vernichtet werden. Aber jeder wird zugeben müssen, daß dieses „Opfer" so groß nicht ist angesichts der Tatsache, daß es für diese Waffen außer dem Selbstmord keine Einsatzoptionen mehr gibt.
Es ist auch ein Fortschritt, daß die seegestützten taktischen Atomwaffen in Friedenszeiten von den Schiffen, U-Booten und Marineflugzeugen abgezogen werden. Dies kann die überaus notwendige Einbeziehung der Seestreitkräfte in Abrüstungsverhandlungen in der Zukunft erleichtern. Noch besser wäre es gewesen, der Anregung Gorbatschows zu folgen, diese Waffen nicht nur auf Land zu lagern, sondern sie vollständig zu vernichten; denn so bleibt die Tür offen, um Kriegsschiffe im Bedarfsfall neuerlich nuklear zu bewaffnen.
Mit dieser Entscheidung, weiterhin Atomwaffen in Europa bereitzuhalten, hat das Bündnis allerdings eine historische Chance, von der ja immer gesprochen wird, vertan. Die 700 oder 800 Atombomben, die jetzt bleiben sollen, sind schließlich keine Kleinigkeit. Auf Hiroshima und Nagasaki wurden zwei Atombomben abgeworfen. Das Ergebnis ist bekannt.
Mir drängt sich der Eindruck auf, daß diese Bomben Platzhalter sein sollen für eine neue Generation luftgestützter Atomraketen, der sogenannten Abstandswaffen. Zwar hat Bush bekanntgegeben, daß er das gegenwärtige Programm für eine neue luftgestützte Atomrakete beendet hat. Herr Stoltenberg hat daraus gleich den Schluß gezogen, daß das Problem damit insgesamt vom Tisch sei. Andererseits schließen aber weder der Verteidigungsminister noch der Präsident der Vereinigten Staaten noch die NATO den Bau neuer luftgestützter Atomraketen aus. Ich frage nun: Was gilt eigentlich? Gibt es Pläne in den USA, neue Atomraketen für Europa zu bauen oder gibt es sie nicht? Verfolgt die NATO solche Planungen oder tut sie es nicht? Die Auskunft, daß sie das auf lediglich absehbare Zeit nicht tue, genügt keineswegs. Hier wird eine Menge Nebel geworfen. Ich meine, nicht nur das Parlament, sondern auch die Bevölkerung unseres Landes, hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, was wir zu erwarten haben. Ich fordere Sie auf, endlich Klarheit zu schaffen, ob es solche Pläne für neue Atomwaffen gibt, Herr Staatsminister,

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Da müssen Sie eine Große Anfrage stellen!)

und wenn ja, heute zu erklären, daß die Bundesrepublik niemals bereit sein wird, diese Waffen auf deutschem Boden zu stationieren.
Ich möchte verhindern, daß das alte Spiel wiederaufgenommen wird, das wir ja nun aus der Vergangenheit kennen, wo die Bundesregierung in der Öffentlichkeit unwissend tut, während sie in NATO-Gremien allen amerikanischen Wünschen entgegenkommt. Denn nicht nur ich habe in der Zeitung gelesen, daß in den USA schon längst wieder neue Atomraketen für Europa erarbeitet werden; nur der Name soll geändert werden. Hier besteht Klärungsbedarf.
Das Grundproblem bleibt, daß die NATO immer noch an der atomaren Abschreckung festhält und damit verdammt ist zu dem ewigen Teufelskreis aus Drohung, Gegendrohung und Aufrüstung, den wir seit Jahrzehnten kennen. Nur, wen wollen wir noch abschrecken, wo es ringsherum nur noch Freunde und keine Gegner gibt?
Die Atomwaffen, die die NATO jetzt behalten möchte, sind Ausdruck des alten konfrontativen Denkens. Sie sind das falsche Signal an die früheren Mitglieder der Warschauer Vertragsstaaten und an die jungen Republiken aus der Sowjetunion gerade jetzt, wo diese Staaten im Umbruch sind und ihre endgültige Orientierung noch suchen. Wir selbst haben es in der Hand, ob das vielfach beschworene Restrisiko kleiner wird oder ob es auch durch das Festhalten an konfrontativen Militärkonzepten wächst.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Wo ist denn ein konfrontatives Militärkonzept?)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte jetzt einen Aspekt ansprechen, der nur scheinbar und auf den ersten Blick nichts mit dem heutigen Thema zu tun hat. Ich meine die neuen Pläne des amerikanischen Präsidenten für ein Raketenabwehrsystem. Dabei geht es, wie der Sprecher des Weißen Hauses, Fitzwater, sagte, um die Neuorientierung der strategischen Verteidigungsinitiative SDI. Diese Neuauflage von SDI hat nicht nur mit dem Verhältnis der Supermächte zueinander zu tun, von denen es ja nur noch eine gibt, sondern auch mit dem Bündnis und mit unserem Land. Schon die offizielle Bezeichnung dieses neuen SDI — globaler Schutz gegen begrenzte Raketenangriffe — deutet darauf hin. Der Zweck dieses Systems liegt nicht mehr primär in der Abwehr eines sowjetischen Raketenangriffs, sondern in der Abwehr nichtautorisierter Raketenabschüsse und solcher von dritten Staaten. Konventionelle Spreng-



Katrin Fuchs (Verl)

köpfe sollen ebenso wie atomare, chemische und biologische abgefangen werden.
Der amerikanische Chefunterhändler bei den Genfer Weltraumverhandlungen, David Smith, hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Freunde und Verbündete einbezogen werden sollen. Damit sind die NATO und die Bundesrepublik direkt angesprochen.
Das neue SDI muß nicht erst aus der Taufe gehoben werden, wie man meinen möchte. Drei Komponenten zeichen sich ab und sind sozusagen schon unterwegs: Landgestützte Raketen zum Schutz der Vereinigten Staaten vor strategischen Raketenangriffen, weltraumgestützte Systeme und taktische Raketenabwehr als Weiterentwicklung des Patriot-Luftabwehrsystems, das wir ja kennen. Patriot wird gerade bei der Bundeswehr eingeführt. Die in Europa stationierten Einheiten sind genauso wie die amerikanischen zur Raketenabwehr befähigt. Die Bundesrepublik arbeitet dabei seit Jahren mit den USA zusammen. Seit Jahren werden dafür Haushaltsmittel ausgegeben. Wir sind also jetzt schon an der Entwicklung von Komponenten für das neue SDI beteiligt.
Zusätzliche sicherheitspolitische Brisanz liegt darin, daß die USA, entgegen einigen Presseberichten, dieses neue SDI ausdrücklich nicht in Kooperation mit der Sowjetunion aufbauen wollen. Man habe, so der amerikanische Chefunterhändler in Genf, lediglich Gespräche über einen neuen völkerrechtlichen Rahmen für die neue Raketenabwehr angeboten. Auf deutsch: Man will Gespräche mit der Sowjetunion über die Beerdigung des ABM-Vertrages.
15 Jahre lang hat es in diesem Haus Übereinstimmung gegeben, daß dieser Vertrag einen Eckpfeiler von Stabilität darstellt und daß die Einführung einer Raketenabwehr nur ein neues Wettrüsten zwischen Raketen und Raketenabwehr-Raketen nach sich ziehen würde. Dieser Zusammenhang ist heute noch richtig, auch nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation.
Wer jetzt meint, daß wir mit einer neuen Raketenbedrohung aus Nahost konfrontiert sein könnten, wäre besser beraten, nicht auf militärische Lösungen zu setzen. Statt dessen sollten verstärkte Anstrengungen bei Rüstungsexport-Kontrollen, bei der Nichtweiterverbreitung und bei UNO-Inspektionen unternommen werden, wenn nötig, mit zusätzlichen Instrumenten für die UNO.
Meine Fraktion sieht mit Sorge — ich möchte dies hier ausdrücklich festhalten — daß die Bundesregierung seit gut zwei Jahren von der gemeinsamen Position, die Einhaltung des ABM-Vertrages zu unterstützen, abgerückt ist. Seit zwei Jahren nennt sie dieses Ziel nicht mehr in ihren Abrüstungsberichten. Niemand aber kann sich auf die Position zurückziehen, daß uns der ABM-Vertrag nichts angehe, weil er ein Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion sei. Wenn wir schweigend zusehen, wie die USA eine fast handlungsunfähige Sowjetunion zur Aufgabe des ABM-Vertrags drängen, und wenn wir gleichzeitig beim neuen SDI mitarbeiten, machen wir uns mitschuldig an der Beseitigung dieses Vertrages, mitschuldig an der Beseitigung eines der wenigen übergreifenden Stabilitätselemente, die in den vergangenen 20 Jahren gelungen sind.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Kommt man dafür in den Hades oder in die Hölle? — Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Wer arbeitet da bei SDI nicht mit?)

— So hören Sie doch zu!
Die Beibehaltung der Atomwaffen und der Einstieg in ein neues SDI, das sind zwei Seiten derselben Medaille auf einem grundlegend falschen sicherheitspolitischen Kurs.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Festreden über das Ende der Ost-West-Konfrontation haben wir genügend gehört. Niemand sieht mehr Gegner oder Feinde in Europa, nur noch Partner und Freunde.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Bis auf die Serben!)

Völlig im Gegensatz dazu hält das Bündnis an Atomwaffen fest und plant die westliche Führungsmacht eine Raketenabwehr. Darin liegt die Gefahr einer neuen Spaltung, neuen Mißtrauens und neuer Rüstung nicht nur in Europa.

(Zuruf des Abg. Dr. Olaf Feldmann [FDP])

Das alte militärisch dominierte Denken ist leider nicht mit der Ost-West-Konfrontation untergegangen. Für Europas Zukunft brauchen wir aber weder Atomwaffen noch ein neues SDI, sondern umfassende soziale und ökologische Reformen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die brauchen wir weltweit, nicht nur in Europa!)

Solange das nicht begriffen ist, können wir uns alles Gerede über historische Stunden sparen.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste — Ulrich Irmer [FDP]: Verhaltener Beifall!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205402600
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1205402700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Hauptthema heute ist, wenn ich es richtig sehe, nicht ABM und nicht SDI, sondern taktische Atomraketen und die französische Rakete Hades. Damit wollten wir uns beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte mit dem Hades-Thema beginnen, das uns alle nicht erst seit Ihrem Antrag, sondern schon seit geraumer Zeit beschäftigt.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Jetzt bin ich aber gespannt!)

Frankreich ist unser Partner und Freund, Herr Kollege Feldmann. De Gaulle und Adenauer, Pompidou und Brandt, Giscard und Schmidt, Mitterrand und Kohl — diese Namenspaare stehen für die immer enger werdende deutsch-französische Zusammenarbeit seit Abschluß des Elysée-Vertrages. Über alle Parteigrenzen hinweg ist es gelungen, zwischen Deutschland und Frankreich Freundschaft zu begründen und zu vertiefen.



Dr. Friedbert Pflüger
Als 15jähriger bin ich 1970 mit einer Gruppe Jugendlicher aus meinem Heimatort Hannover-Anderten zu unserer Partnergemeinde Oissel-sur-Seine gefahren. Schon damals waren wir uns einig, daß wir uns gar nicht mehr vorstellen können, uns gegenseitig zu bedrohen oder Krieg zu führen. Heute wohne ich in Hannover in der Oisseler Straße. Französische Bekannte von mir wohnen in der Rue d'Anderten in Oissel.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Und was ist mit Hades?)

Deutsche und Franzosen sind zusammengewachsen. Inzwischen haben wir sogar beschlossen, nach der Bildung einer deutsch-französischen Brigade im Jahr 1988 nun sogar ein deutsch-französisches Corps zu bilden.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich natürlich die Frage: Warum brauchen die Franzosen Hades,

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

gegen wen richtet sich diese Waffe? Sofern sie von Frankreich gestartet würde, könnte sie mit einer Reichweite von ca. 480 Kilometern ja fast nur deutsches Territorium erreichen, Polen und die Tschechoslowakei noch dazu.

(Norbert Gansel [SPD]: Belgien, Holland! — Zuruf von der CDU/CSU: Spanien!)

Wozu soll das eigentlich gut sein?
Natürlich müssen wir über diese Frage offen und freundschaftlich mit den Franzosen sprechen. Sie wissen, daß wir das in der Vergangenheit immer wieder getan haben, z. B. der Bundesverteidigungsminister am 9. September bei seinem Besuch in Frankreich oder die Abgeordneten Voigt und Lamers am 31. Oktober gemeinsam in Paris. Den Franzosen sind die deutschen Bedenken seit langem bekannt. Wir sind uns also alle einig darüber, daß wir über Hades mit den Franzosen ernsthaft sprechen müssen.
Jetzt aber einen formalen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, und zwar mit der nach allen diplomatischen Regeln unfreundlichen Formulierung, die Bundesregierung solle die Abschaffung der Hades-Atomraketen fordern, das halte ich für einen Fehler. Unter Freunden redet man über solche Fragen diskret. Man „gibt zu bedenken" oder man „regt an",

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Wir sind Politiker, Parlamentarier, keine Diplomaten! — Günter Verheugen [SPD]: Das macht man im Präsidialamt, aber nicht im Bundestag!)

aber man fordert nicht gegenüber befreundeten Staaten. Vor allen Dingen tut man es dann nicht, Herr Kollege Verheugen, wenn man kurz vor einem EG-Gipfel in Maastricht steht, wo wir alles andere gebrauchen können, nur nicht einen zusätzlichen öffentlich ausgetragenen Konflikt über diese Waffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In einer solchen Situation dieses Thema hochzuziehen und Frankreich an den Pranger zu stellen, ist nicht sachdienlich. Es könnte Gegenreaktionen hervorrufen. Es verhärtet die Fronten, die sich doch, wie Sie wissen, gerade aufweichen. Das ist keine gute Idee
und vor allen Dingen nicht so kurz vor wichtigen europäischen Entscheidungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen das Korps unterlaufen! Das ist es!)

Wie genau ist der Sachverhalt? Müssen wir uns wirklich so viel Sorgen machen, wie uns einige versuchen einzureden? Frankreich ersetzt veraltete Plutondurch moderne Hades-Raketen. Ursprünglich planten die Franzosen, 120 Waffen dieses Typs zu bauen. Davon sind nach heutigen Planungen noch 30 Systeme übriggeblieben. Sie sollen nicht an einem bestimmten Ort disloziert werden, sondern sie sollen in Bunkern eingelagert werden. Sie sind also nicht schußbereit. Da das System darüber hinaus mobil ist, kann von der Lagerung der Waffen im Frieden keineswegs auf mögliche Einsatzorte geschlossen werden. Darauf hat übrigens die Bundesregierung, zuletzt in einer Antwort auf die Frage des Kollegen Augustinowitz am 25. September 1991, hingewiesen.
Auf die Frage, warum Hades dann überhaupt noch gebraucht würde, hat der französische Präsident François Mitterrand in einer Presseerklärung am 11. September 1991 folgendes erklärt: „Frankreich besitzt einige hundert Nuklearsprengköpfe, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben noch 13 000 bis 14 000. Sie haben versprochen, ihr Arsenal erheblich zu reduzieren. Wenn sie dabei auf einem gewissen Niveau sind, dann wird Frankreich sich an den Verhandlungen beteiligen. Es wird nicht unnütz sein, dann über Verhandlungsmasse zu verfügen."
Das ist doch ein sehr erfreuliches Umdenken, das sich hier dokumentiert. Hades ist für die Franzosen kein Instrument der Bedrohung mehr, sondern ein Faustpfand für Verhandlungen. Das ist doch ein Fortschritt, den wir bei aller Kritik, die fortbesteht, Herr Kollege Gansel, doch würdigen sollten. Es i s t ein Fortschritt! Es ist in der gesamten deutschen Presse als ein Abrücken von der Hades gewertet worden.

(Norbert Gansel [SPD]: Herr Pflüger, Sie sollten sich um landwirtschaftliche Geräte kümmern!)

Seit den Äußerungen Mitterrands — ich habe leider Ihren .Zwischenruf nicht verstanden, sonst wäre ich gerne darauf eingegangen — —

(Norbert Gansel [SPD]: Sie sollten sich um landwirtschaftliche Geräte kümmern!)

— Herr Kollege Gansel, landwirtschaftliche Geräte sind das sicherlich nicht. Wir sind doch auch der Auffassung, daß wir die Hades loswerden müssen. Dennoch, so finde ich, sollten wir die Bewegung in der französischen Position erkennen und auf diese Bewegung eingehen, anstatt jetzt neue Fronten zu bauen und die Franzosen in die Ecke zu stellen.
Seit den Äußerungen Mitterrands sind nur wenige Wochen vergangen. Dennoch ist inzwischen viel passiert. Kollegin Fuchs hat eben auf die Bush-Gorbatschow-Initiative hingewiesen. Der Bestand von Atomwaffen wird um 80 % verringert. Was Politik und Diplomatie unter entscheidender Mitwirkung der Deutschen in den letzten Jahren erreicht haben, hätte sich auch der kühnste Vertreter der Friedensbewe-



Dr. Friedbert Pflüger
gung Anfang der 80er Jahre kaum ausmalen können.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Sehr richtig!)

Daß die Bush-Gorbatschow-Vorschläge ohne Auswirkungen auf das französische Sicherheitsdenken bleiben werden, ist kaum vorstellbar. Wir sollten die von den Franzosen zugesagte Überprüfung im Lichte der jüngsten Initiativen in freundschaftlichem Geist konstruktiv begleiten, auch weiter mahnen und auf sie einwirken, aber wir sollten auf keinen Fall durch Forderungen oder Belehrungen das deutsch-französische Klima vergiften.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Sehr diplomatisch!)

Auch in Frankreich wachsen die Stimmen — gerade auch aus der Sozialistischen Partei — , die Hades vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen völlig zu Recht als anachronistisch ansehen und die die Abrüstung aller landgestützten Nuklearwaffen befürworten. Auch in Frankreich gibt es niemanden, der Hades in den Himmel hebt.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Dafür ist die Reichweite zu kurz!)

Meine Damen und Herren, mit Frankreich und mit unseren anderen NATO-Partnern vertritt die Bundesregierung völlig zu Recht die Auffassung — das jetzt zu dem zweiten Antrag der SPD — , daß wir in Zukunft leider weiterhin ein Mindestmaß an Nuklearwaffen benötigen werden. Auf der Ministertagung der Nuklearen Planungsgruppe in Taormina Mitte Oktober ist Einigkeit darüber erzielt worden, daß der Umfang der für Flugzeuge vorgesehenen Abwurfwaffen in Europa drastisch reduziert wird. Zusätzlich zu der völligen Abrüstung der landgestützten Nuklearwaffen in Europa wird es also auch eine Abrüstung im Bereich der luftgestützten Nuklearwaffen geben.
Die Initiatve des amerikanischen Präsidenten schließt ferner den Verzicht auf die Entwicklung luftgestützter nuklearer Abstandswaffen ein. Frau Kollegin Fuchs, Bush widerlegt damit alle Mutmaßungen hinsichtlich einer angeblich bevorstehenden Stationierung solcher Systeme.

(Abg. Norbert Gansel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich gehe auf den Punkt ein, den Sie jetzt wahrscheinlich ansprechen wollen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205402800
Ich darf trotzdem fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel gestatten.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1205402900
Selbstverständlich gern.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205403000
Wenn die Erklärung von Bush in bezug auf die Nichteinführung und Nichtweiterentwicklung von atomaren Abstandswaffen mit einer Reichweite bis zu 500 km so eindeutig wäre, warum könnte die Bundesregierung auf unsere Fragen und Bitten dann nicht klipp und klar erklären, daß sie sich an keinerlei Überlegungen zur Einführung solcher nuklearer Abstandswaffen beteiligt? Darum haben wir immer wieder gebeten. Wenn sie in diesem
Punkt Klarheit schaffen könnte, wären wir einen großen Schritt weiter.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Jetzt warten Sie doch einmal ab! So etwas kann man nicht von heute auf morgen machen!)

Deshalb die Bitte an den Vertreter der Bundesregierung, sich so zu äußern, und die Bitte an Sie, das zu unterstützen, wenn Sie die Bush-Initiative so verstehen.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1205403100
Herr Kollege Gansel, ich habe die Bush-Initiative so verstanden. Man kann sie nur so verstehen; denn Bush hat das expressis verbis so formuliert. Wenn sich die Bundesregierung zu einem Thema äußern soll, dann müssen Sie diese Frage in der Tat an die Bundesregierung richten. Für uns ist nach der Initiative des amerikanischen Präsidenten klar, daß niemand vorhat, diese TASMs einzuführen.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Sehr gut!)

Ich finde an dem Vorschlag der Sozialdemokraten, den Sie hier eingebracht haben, aber eines wirklich falsch, Frau Kollegin Fuchs. Sie schreiben:
Der Deutsche Bundestag fordert darüber hinaus die Bundesregierung auf, gegenüber ihren Bündnispartnern zu erklären, daß sie unter keinen Umständen die Stationierung neuer atomarer Waffen auf deutschem Territorium dulden wird.
Dazu kann ich nur sagen: Da können wir nicht zustimmen. Wissen wir, wie die Welt in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren aussieht? Wollen wir für alle Zeiten solche Waffen — gleich, welcher Bedrohung wir ausgesetzt sind —von vornherein ausschließen? Ich glaube, es war ein Fehler, diese Formulierung in Ihren Antrag aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, es wäre wirklich falsch, wenn wir den Versuch unternähmen, Europa zum jetzigen Zeitpunkt in eine nuklearwaffenfreie Zone zu verwandeln. Niemand will Nuklearwaffen einsetzen. Aber unsere Partner und wir sind uns darüber einig, daß letztlich nur Nuklearwaffen das Risiko eines Eingriffs für jeden möglichen Aggressor wirklich unkalkulierbar machen. Nuklearwaffen schützen vor jeder Versuchung, Vorteile aus der Androhung militärischer Gewalt gegen NATO-Staaten gewinnen zu können. Der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, hat auf die Notwendigkeit einer strategischen Verbindung zwischen Amerika und Europa hingewiesen. Wir erhalten nuklearen Schutz nur, wenn wir auch nukleare Lasten teilen. In der Tat, eine begrenzte Anzahl luftgestützter atomarer Waffen scheint als Rückversicherung gegen eventuelle Drohpotentiale in einem sich radikal wandelnden Europa geboten. Das mag unpopulär sein, aber es ist wahr. Wer für Europa und gegen nationale Sonderwege ist, der sollte hier nicht Forderungen stellen, die der Haltung des Bündnisses so entscheidend zuwiderlaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die nukleare Minimalversicherung gegen militärische Restrisiken ist auch deshalb so wichtig, weil in



Dr. Friedbert Pflüger
einem sich wandelnden Europa neue Risiken entstehen. Das ist nicht Ausdruck von altem Denken. Die Mehrheit der Menschen in Mittel- und Osteuropa erleben die neue Freiheit zunächst als Armut und Not. Was bedeutet das für das Vertrauen dieser Menschen in die Demokratie? Was hätte der Putsch in der Sowjetunion, wäre er erfolgreich gewesen, für außenpolitische Folgen gehabt? Wie hätten die Teilrepubliken auf den gewaltsamen Umsturz in Moskau reagiert? Wir sehen eine große instabile Situation mit der furchtbaren Gefahr, daß Kontrolle und Verfügung über die in allen Republiken verteilten Atomwaffen beeinträchtigt werden.

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Deshalb müssen sie weg!)

Die Lage ist sehr schwierig, und deshalb rüsten wir auch ab. Aber niemand kann dafür garantieren, daß in einem solchen Klima der Unsicherheit, Herr Kollege Ullmann, nicht plötzlich irgendwo Nuklearwaffen auftauchen, wo sie nicht hingehören, oder daß sie nicht weiterverkauft werden.

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Deshalb müssen sie weg, alle!)

Ich bin ja sehr dafür, sie abzurüsten, aber es dauert noch einige Zeit, bis wir das umgesetzt haben.
Wir wissen nicht, wie sich die Weiterverbreitungsproblematik entwickeln wird; da hat die Kollegin Fuchs ganz recht. Die Hauptantwort auf die Instabilität muß sein — —

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205403200
Herr Kollege Pflüger, Ihre Redezeit ist beendet.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1205403300
Ich bin beim letzten Gedanken.
Der Hauptpunkt dessen, was wir machen müssen, Frau Kollegin Fuchs, ist natürlich, für ökonomische und soziale Sicherheit in Osteuropa zu sorgen. Aber darüber hinaus können wir auf diese Restversicherung im militärischen Bereich nicht verzichten.
Ich glaube nicht, daß sich die Menschen am Ende des Kalten Krieges verändert haben. Das Prinzip Hoffnung brauchen wir wie das tägliche Brot. Aber der Frieden entsteht mehr durch die Skepsis, nicht durch die Illusion von einer endgültig friedlicheren Welt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205403400
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1205403500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tage der taktischen Nuklearwaffen in Europa sind gezählt. Vor vier Wochen haben wir im Deutschen Bundestag die einseitigen Abrüstungsinitiativen von Präsident Bush und Präsident Gorbatschow begrüßt. Diese Ankündigung der Abschaffung aller land- und seegestützten nuklearen Kurzstreckenwaffen in Europa und weltweit ist ein Meilenstein in der Geschichte der Abrüstung. Die wechselseitigen Abrüstungserklärungen der USA und der Sowjetunion sind auch eine Politik des guten
Beispiels, und diese Politik des guten Beispiels sollte auch bei anderen Nuklearmächten Schule machen.

(Beifall bei der FDP)

Sie sind aufgefordert, sich der amerikanisch-sowjetischen Initiative anzuschließen. Das gilt auch für unsere europäischen Sicherheitspartner und vor allem für unseren Nachbarn Frankreich. Die französischen Hades-Atomraketen passen nicht mehr in unsere europäische sicherheitspolitische Landschaft.

(Beifall im ganzen Hause)

Mit ihrer Reichweite von fast 500 km bedrohen sie uns und die jungen Demokratien Osteuropas genauso wie die bisher hier stationierten und jetzt abzuziehenden und zu vernichtenden Nuklearwaffen der USA und der Sowjetunion.
Die FDP begrüßt daher, daß Präsident Mitterrand zugesagt hat, die Hades-Raketen nicht aufzustellen und keine weiteren Hades-Systeme mehr zu produzieren.

(Beifall bei der FDP und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

Es bleibt aber trotzdem Tatsache, daß 30 % dieser straßenmobilen Systeme an der deutsch-französischen Grenze in Bunkern eingelagert sind. Warum werden diese Atomwaffen in Bunkern eingelagert, wenn man sie nicht mehr braucht? Als deutscher Parlamentarier, Herr Kollege Pflüger, fordere ich eine andere Regierung natürlich nicht auf, vielmehr appelliere ich an die französische Regierung, das Hades-Programm einzustellen und die Systeme abzubauen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Wir in Europa müssen jetzt die Signale für eine globale Abrüstung aller taktischen Nuklearwaffen setzen. Die bei uns abgerüsteten Atomwaffen dürfen auch nicht neue Abnehmer im Nahen Osten, in Asien, im Balkan, in Afrika oder in einer sonstigen krisengeschüttelten Region dieser Welt finden. Dort bedeuten sie noch eine viel größere Gefahr als in Europa.
Die konsequente Umsetzung des Nichtverbreitungsziels ist Aufgabe aller Staaten, vornehmlich derer, die diese Waffen entwickeln und bauen. Dies ist ein weiterer Grund dafür, Hades-Raketen abzuschaffen. Wir Liberale würden es begrüßen — der Kollege Gansel ist leider schon gegangen —

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Er kommt gleich wieder!)

wenn die SPD ihren Einfluß auf ihre sozialistischen Freunde in Frankreich stärker geltend machen würde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der FDP: Sehr gut!)

Sie haben direkten Einfluß. Nutzen Sie, liebe Kollegen von der SPD, nutzen Sie, Herr Kollege Gansel, stärker diese Möglichkeiten auf die französischen Sozialisten Einfluß zu nehmen, und helfen Sie uns, dieses Hades-Programm endgültig zu stoppen.

(Beifall bei der SPD)





Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205403600
Herr Feldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1205403700
Dem Kollegen Gansel natürlich immer. Ich freue mich, daß er wieder aufgetaucht ist.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205403800
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Feldmann.
Stimmen Sie mit mir darin überein, daß es sinnvoll war, daß wir als SPD-Fraktion, bevor wir unseren Antrag zur Abschaffung der Hades-Raketen im Bundestag eingebracht haben, durch die Kollegen Voigt und Fuchs versucht haben, mit der Sozialistischen Partei Frankreichs darüber zu sprechen, und wäre es nicht genauso sinnvoll, wenn z. B. der Bundeskanzler zusammen mit dem französischen Präsidenten eine Vertragsänderung zum WEU-Text und die Bildung eines deutsch-französischen Korps vorschlägt, wobei er dann auf die Idee kommen müßte, daß dies auch etwas mit der französischen Nuklearstrategie zu tun haben könnte, so daß die Bundesregierung in diesem Zusammenhang aufgefordert wäre, unter tätiger Mitwirkung des Außenministers —

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205403900
Machen Sie eine Kurzintervention, oder stellen Sie eine Frage?

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205404000
— die Franzosen dazu zu bewegen, die Hades-Raketen nicht weiter zu produzieren und zu stationieren?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1205404100
Zunächst einmal, lieber Herr Kollege Gansel, freue ich mich, daß Sie diesen langen Satz noch zu Ende gebracht und eine vernünftige Frage daraus gemacht haben.

(Beifall bei der FDP)

Ich stimme Ihnen zu, daß es sinnvoll war, einen Versuch zu unternehmen, mit den französischen Sozialisten über Hades zu sprechen, bevor Sie eine solche Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet haben. Leider muß ich Ihnen aber auch sagen, daß Ihr Versuch, wie wir bisher gesehen haben, offensichtlich nicht sehr erfolgreich war. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie weiterhin solche Versuche mit den französischen Sozialisten, die ja an der Regierung sind, unternehmen würden, um das Hades-Programm zu stoppen.

(Beifall bei der FDP — Norbert Gansel [SPD]: Was ist mit der Bundesregierung und dem Außenminister? Sollen wir sie beim nächstenmal mitnehmen?)

— Ich habe Ihren Zuruf nicht verstanden.

(Nobert Gansel [SPD]: Darf ich eine zweite Frage stellen?)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205404200
Da müßte Herr Feldmann zustimmen, wenn Sie eine weitere Zusatzfrage stellen wollen. — Er stimmt zu.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205404300
Herr Kollege Feldmann, ist Ihr Kompliment für die Initiativen der SPD-Fraktion so zu verstehen, daß Sie vorschlagen, daß der Bundesaußenminister und der Bundeskanzler uns beim nächstenmal begleiten bei unseren Bemühungen,

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Wenn schon, dann umgekehrt!)

nachdem sie im Hinblick auf die deutsch-französische Verteidigungs- und außenpolitische Zusammenarbeit keine eigenen Bemühungen zustande gebracht haben?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1205404400
Herr Kollege Gansel, da kann ich Ihnen absolut nicht zustimmen. Sie wissen genausogut wie ich, daß sowohl der Außenminister als auch der Bundeskanzler in ihren Bemühungen sehr erfolgreich sind

(Norbert Gansel [SPD]: Für neue Waffen!)

— nein! —, in unserem Sinne auf die französische Regierung einzuwirken. Aber ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Bemühungen bei den französischen Sozialisten, die ja — im Gegensatz zu Ihnen — an der Regierung sind, zu verstärken,

(Zuruf von der SPD: Wie die FDP!)

damit auch von der Opposition der Beitrag geleistet wird, den sie leisten kann, wirken Sie auf die französischen Sozialisten in diesem Sinne ein. Wenn dann unsere Regierung und Sie als Opposition einwirken, dann — dessen bin ich sicher — werden wir im Hinblick auf das gemeinsam von uns angestrebte Ziel auch Erfolg haben.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben keine weiteren Fragen mehr. Das freut mich, denn auch die einseitigen Abrüstungsinitiativen von Bush und Gorbatschow lassen noch viele Fragen offen, Herr Kollege Gansel. Ungewiß ist vor allem, ob die Gorbatschow-Initiative und die Abrüstungspläne konsequent umgesetzt werden können. Sie wissen: Da gibt es noch einige Fragezeichen. Noch ist nicht völlig klar, wie viele sowjetische taktische Nuklearsysteme wirklich zerstört werden, wie viele wo eingelagert werden, wo sie zerstört werden sollen und wer in Zukunft die Kontrolle über die noch vorhandenen Waffen haben soll. Es wäre gut, wenn sich die Zentralregierung in Moskau mit den betroffenen Teilrepubliken schnell über die notwendige geordnete Abrüstung, zentrale Lagerung und kontrollierte Vernichtung der betroffenen Waffensysteme einigen könnte.
Dafür sollten wir der Sowjetunion auch unsere Hilfe anbieten. Nur so können wir dauerhaft sicherstellen, daß dieses neue Kapitel der nuklearen Abrüstung, das wir alle begrüßen, auch erfolgreich abgeschlossen werden kann.
In der Frage der schnellen Umsetzung der jetzt auf dem Tisch liegenden Abrüstungsinitiativen ist unsere Politik der konsequenten, kooperativen, wenn auch noch etwas kleinen Schritte die beste Lösung, Frau Kollegin Fuchs.
Ich darf aber trotzdem zum Schluß noch anmerken: Mittelfristig sollten wir auch vor einer Abrüstung der noch verbleibenden luftgestützten taktischen Atomwaffen in Europa nicht zurückschrecken. Eine Mo-



Dr. Olaf Feldmann
dernisierung dieser Systeme kommt jedenfalls nicht in Frage.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205404500
Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Hans Modrow das Wort.

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1205404600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Initiative von Präsident Bush und die weitergehenden Vorschläge von Präsident Gorbatschow zur Verringerung und zum Abbau taktischer Kernwaffen gilt es nicht nur zu begrüßen, sondern auch als Herausforderung für die Bundesrepublik zu betrachten. Es erwächst damit die Möglichkeit, alle nuklearen Waffen vom Territorium der Bundesrepublik zu beseitigen, die nicht ungenutzt bleiben darf. Dies ist der Hintergrund für den Antrag der Abgeordnetengruppe der PDS/Linke Liste, den wir Ihnen heute unterbreiten. Der Vorschlag der SPDFraktion zur Abrüstung der taktischen Kernwaffen weist auch in diese Richtung.
Die NATO erklärt sich zu einer deutlichen Verringerung ihrer luftgestützten Atomwaffen bereit, nicht aber zum völligen Verzicht, wie ihn der sowjetische Präsident vorgeschlagen hat.
Als Begründung müssen zynischerweise Atomwaffen herhalten, die zum Teil durch den Export waffenfähiger Technologien auch seitens der Bundesrepublik in andere Länder gebracht wurden. Auf dem Territorium der Bundesrepublik wird in Ramstein eine neue Generation spezialgehärteter unterirdischer Bunkerkammern zur Lagerung neuer flugzeuggestützter atomarer Abstandsraketen und Bomben errichtet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen es ja wissen!)

— Dann soll die Bundesregierung doch dazu Stellung nehmen.
Die Bundesregierung muß sich fragen lassen, ob sie meint, damit einen Beitrag zur nuklearen Abrüstung zu leisten. Die Bundesrepublik schnellstmöglich von Kernwaffen freizumachen wäre das richtige Zeichen für nukleare Abrüstung in Europa und des erklärten Wandels in der NATO.
Die Geschichte der nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik hat bisher noch immer andere Zeichen gesetzt. Mit den nuklearen Kampfflugzeugen und ihrer atomaren Bewaffnung bleiben die gefährlichsten, modernsten und destabilisierendsten Kernwaffen ausgeklammert. Immer noch hält die Bundesregierung am Projekt Jäger 90 fest, der eigentlich als Gegengewicht zur Mig 29 und deren Nachfolgemodellen geschaffen werden sollte und der mithelfen sollte, der NATO die Luftüberlegenheit zu sichern.
Abgesehen davon, daß die Bundeswehr durch die Einverleibung der NVA auch über die Mig 29 verfügt: Wem gegenüber soll denn nun noch eine Luftüberlegenheit hergestellt werden, wenn sie in diesem Sinne entfällt?

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Die NVA haben wir nicht übernommen!)

Dem Jäger 90 ist die Aufgabe abhanden gekommen. Aber die Deutschen sollen alles in allem rund 90 Milliarden DM für das Gesamtprogramm zahlen.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Sprechen Sie doch mal zum Thema!)

Die Bundesregierung hat im Haushalt 1991 8,9 Milliarden DM und für 1992 890 Millionen DM dafür vorgesehen — fürwahr Beiträge, die gerade jetzt in Deutschland für Nützlicheres eingesetzt werden könnten.
Wir fordern deshalb als Beitrag der Bundesrepublik zur weiteren Abrüstung ein Verbot und die vollständige Abrüstung aller offensivfähigen Kampfflugzeuge bis zum Jahre 1996, darunter als ersten Schritt die sofortige Einstellung der Entwicklung des Jägers 90 und als nächsten Schritt die Abrüstung aller doppelt verwendbaren Kampfflugzeuge unter entsprechender internationaler Kontrolle.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205404700
Herr Dr. Modrow, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting?

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1205404800
Bitte schön.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1205404900
Herr Modrow, Ihre Vorgängerpartei SED,

(Günter Verheugen [SPD]: Muß das denn immer wieder sein!)

der Sie lange angehört haben, ist für die Verelendung in der ehemaligen DDR zuständig. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich dagegen getan?

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1205405000
Sie gehen auf einen Zeitpunkt zurück, der die beiden Blöcke in ihrer Gegenüberstellung charakterisierte. Sie möchten mir, bitte, hier aus Ihrer Sicht beantworten, ob es so war, daß die Bundesrepublik Deutschland in ihren Medien stets ein sehr freundliches Bild über die Sowjetunion und über den Warschauer Vertrag verbreitet hat und wir demzufolge in einer Situation waren, daß wir nur einem Phantom nachgelaufen sind, oder ob es in der Zeit des Kalten Krieges nicht so war, daß auf beiden Seiten, was die atomaren Waffen angeht, immer die Frage gegenseitiger Bedrohung und des Gleichgewichts die Grundlage der Politik gewesen ist.
Zugleich sollte die Bundesregierung auf ein Verbot aller taktischen Kernwaffen einschließlich der luft- und seegestützten und ihrer Trägersysteme sowie ein umfassendes und globales Verbot aller Rüstungs- und Technologieexporte mit direkter Relevanz für taktische Kernwaffen und Trägermittel jeglicher Art hinwirken. Wenn hier die Frage der Hades noch einmal zur Diskussion steht und vor allem darüber polemisiert wird, wieweit das für deutsche und französische Verhältnisse mit der Reichweite zusammenhängt, will ich eines mit Deutlichkeit sagen: Es geht vor allem um Zeichen für weltweite nukleare Abrüstung in diesem Zusammenhang. Das ist auch die Frage, die natürlich in Verbindung mit der Initiative von Bush und den weitgehenden Vorschlägen Gorbatschows zu sehen ist.



Dr. Hans Modrow
Für uns Deutsche ergibt sich doch offensichtlich eine neue Situation, die wir gemeinsam — Sie wie wir — zur Kenntnis nehmen. Mitten in Europa ist das vereinigte Deutschland erstmals in seiner langen Geschichte von wohlgesinnten Nachbarn umgeben. So charakterisieren wir die Situation ja. Es hängt von der Friedensinitiative der Deutschen und wohl auch von manchen Reden ab, Kollege Pflüger, die man hält, ob es dabei bleiben wird.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205405100
Als nächster spricht der Staatsminister Helmut Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205405200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade einstimmig den KSE-Vertrag gebilligt. Das wichtigste Ergebnis des Jahres 1990 in der konventionellen Rüstungskontrolle wurde also mit allen Stimmen dieses Parlamentes gutgeheißen. Wir haben gesagt, daß dies ein Meilenstein auf dem Weg zu einer dauerhaften und stabilen Friedensordnung ist. Aber im Zusammenhang mit der anschließenden Debatte ist zu sagen, daß auch das Jahr 1991 einen Durchbruch markiert hat, nämlich eine drastische Verringerung amerikanischer und sowjetischer Nuklearpotentiale.
Ich darf sagen: Wenn hier nun schon wieder im Blick auf das, was gerade erreicht worden ist, gesagt wird, das sei nicht genug, es müsse mehr sein, dann haben Sie doch bitte die heute morgen mehrfach geforderte Geduld, da das alles Schritt für Schritt gehen muß. Diejenigen, die im Abrüstungsgeschäft inzwischen hinlänglich Übung gewonnen haben, wissen, daß man das Klima der Verhandlungen nicht mit permanent neuen, zusätzlichen Forderungen verbessern kann, sondern daß man für Fortschritte Zeit braucht.
Meine Damen und Herren, nach achtjährigen Verhandlungen ist am 31. Juli dieses Jahres in Moskau der START-Vertrag unterzeichnet worden. Auch das sollten Sie nicht übersehen.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Ein weiterer Meilenstein!)

Damit werden erstmals in der Geschichte der nuklearen Rüstungskontrolle strategische Nuklearwaffen nicht nur auf hohem Niveau begrenzt, sondern deutlich verringert.

(Beifall bei der FDP)

Politisch — das darf man doch nicht übersehen — hat dieser Vertrag eine solide Basis für den Ausbau der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion gebracht.
Sicherheitspolitisch hat dieser Vertrag die strategische Stabilität gefördert. Das kommt auch uns in Europa zugute; denn ohne strategische Stabilität kann es auch keine stabilen neuen Sicherheitsstrukturen in Europa geben. Am 27. September — das ist hier mehrfach erwähnt worden; das ist genau das Datum Ihrer vorliegenden Entschließungsanträge — hat nämlich Präsident Bush eine umfassende Abrüstungsinitiative verkündet. Sie sieht wiederum drastische Reduzierungen in allen Bereichen der amerikanischen Nuklearwaffenbestände vor und geht damit über das
START-Abkommen hinaus. Die Ankündigung einseitiger Abrüstungsschritte wurde begleitet von einem Angebot zu einer engen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zur Stärkung des Vertrauens und der Stabilität auf dem Gebiet der nuklearen Rüstungen. Präsident Gorbatschow hat am 5. Oktober positiv reagiert und seinerseits weitreichende weitere Abrüstungsschritte angekündigt, die der amerikanischen Initiative entsprechen, so daß wir davon ausgehen können, daß all das, was heute hier debattiert wird, weiter verfolgt wird.
Der für uns in Deutschland und Europa wichtigste Teil der beiden Abrüstungsinitiativen ist die übereinstimmende Entscheidung der USA und der Sowjetunion, ihre nukleare Artilleriemunition und die Gefechtsköpfe für nukleare Kurzstreckenraketen weltweit zu beseitigen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205405300
Herr Minister Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205405400
Nein, ich möchte Herrn Gansel nicht die Gelegenheit geben, da er zu diesen beiden Themen heute nicht spricht, in Form von Zwischenfragen die Debatte zu verlängern.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Sehr gut, Herr Minister!)

Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Feldmann hat Ihnen vorhin ausführlich Gelegenheit zu einem fast schon platonischen Dialog gegeben.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP — Norbert Gansel [SPD]: Die Regierung kneift mal wieder! — Gerlinde Hämmerle [SPD]: Was ist denn ein platonischer Dialog?)

Diese Entscheidung geht weit über den vorliegenden Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, Herr Kollege Gansel, zur Abrüstung taktischer Atomwaffen hinaus. Sie bedeutet nicht nur den Abzug nuklearer Kurzstreckenwaffen aus Europa, sondern ihre weltweite Eliminierung. Damit wird doch einem der wichtigsten deutschen Anliegen Rechnung getragen, einem Anliegen, das nicht nur von der Regierung, sondern auch von Ihnen kam und für das sich die Bundesregierung — das wird man uns nicht nehmen können — von Anfang an sehr intensiv eingesetzt hat.
Nach der Beseitigung der Mittelstreckenraketen wird eine weitere Kategorie amerikanischer und sowjetischer Nuklearwaffen vollständig beseitigt. Zugleich wird damit eine gravierende Lücke im nuklearen Abrüstungsprozeß geschlossen. Die beiden Initiativen sehen auch die Einstellung von Rüstungsprogrammen, die Einbeziehung seegestützter Systeme und die Erweiterung des Verhandlungsgegenstandes bei strategischen Waffen über den STARTVertrag hinaus vor. Diese Abrüstungsinitiativen der Präsidenten Bush und Gorbatschow haben den Weg zu einer neuen Kooperation eröffnet und dem Prozeß der Abrüstung und Rüstungskontrolle insgesamt neue Impulse gegeben.
Nun darf ich auf das eingehen, was mir Herr Pflüger im wesentlichen schon vorweggenommen hat, näm-



Staatsminister Helmut Schäfer
lich auf die Erklärung des Präsidenten Mitterrand, der am 11. September angekündigt hat, das ursprünglich auf 120 Flugkörper angelegte Hades-Programm auf 30 Raketen zu reduzieren,

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Das war ein guter erster Schritt!)

diese Raketen nicht zu dislozieren, also in der Sprache der Bevölkerung, die das alles nicht mehr ganz versteht — ich stelle immer wieder fest, die langen Verhandlungen in diesem Bereich haben auch zu einer Deformation unserer Sprache geführt — : diese Raketen, jetzt muß ich wieder ein Fremdwort bringen: nicht zu stationieren — ich glaube, das ist verständlicher —

(Günter Verheugen [SPD]: Aufstellen tut man die!)

— nicht aufzustellen; vielen Dank, Herr Verheugen, das ist noch besser. Vielmehr sollen diese Raketen in Depots verwahrt werden.
Präsident Mitterrand hat in diesem Zusammenhang betont, daß Frankreich keinerlei Absicht verfolge, deutschen Interessen zu schaden. Der Sinn des Hades-Systems liege vorrangig darin — Herr Pflüger hat darauf hingewiesen — , als Verhandlungsgegenstand für künftige nukleare Abrüstungsverhandlungen zu dienen, nämlich dann, wenn die Nuklearpotentiale der USA und der Sowjetunion auf ein mit Frankreich vergleichbares Niveau abgebaut seien.
Die Entscheidung, wann Frankreich diesen Zeitpunkt für gekommen hält, hat sich die französische Regierung verständlicherweise vorbehalten. Ich darf aber in diesem Zusammenhang sehr deutlich sagen: Die Bundesregierung hat immer wieder erklärt, daß landgestützte nukleare Kurzstreckenwaffen ein Anachronismus sind und in neuen europäischen Sicherheitsstrukturen keinen Platz haben.
Eine 80%ige Reduzierung des Bestandes an Nuklearwaffen wurde auf der letzten Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe innerhalb des Atlantischen Bündnisses beschlossen. Neben der weltweiten Beseitigung landgestützter Kurzstreckenwaffen wird auch die Zahl der luftgestützten Nuklearwaffen deutlich verringert. Zwar steht — das ist hier von Frau Fuchs bemängelt worden — eine Entscheidung über luftgestützte Abstandswaffen in der NATO derzeit nicht an; doch ist auf Initiative von Präsident Bush die amerikanische Entwicklung des Systems beendet worden, das Grundlage einer luftgestützten Abstandswaffe hätte werden können. Von einer Absicht zur Stationierung neuer luftgestützter Atomraketen in Europa kann daher keine Rede sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


(Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Meine Damen und Herren, das nach Durchführung der erwähnten Abrüstungsschritte verbleibende, drastisch reduzierte Potential an luftgestützten Nuklearwaffen des Bündnisses dient mehr denn je ausschließlich dem politischen Ziel der Wahrung des Friedens und der Verhinderung von politischer Pression sowie jeder Art von Krieg. Ich finde, wir sind in Europa in einer Lage, in der wir nicht so ganz oberflächlich mit einer Bewegung der linken Hand sagen können: Alle Probleme beseitigt, alle Waffen weg, Herr Kollege
Modrow, alle Nuklearwaffen überflüssig! So schnell geht es leider nicht. Wir hoffen, daß es am Ende dazu kommen kann. Aber dazu bedarf es, glaube ich, auch einer sehr sorgsamen Beobachtung dessen, was sich zur Zeit in Europa abspielt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich sollte sagen: Wir halten auch an der im Bündnis gemeinsam festgelegten Regelung fest, was die im Entschließungsantrag angesprochene Frage der Bekanntgabe nuklearer Lagerorte betrifft. Danach werden Aussagen zu Lagerorten nuklearer Waffen — das galt auch schon für eine frühere Regierung, Frau Kollegin Fuchs — auch künftig weder bestätigt noch dementiert. Dies liegt im Interesse der Sicherheit solcher Waffen, die auch in Friedenszeiten vor unbefugtem Zugriff geschützt werden müssen.
Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß die angekündigten Initiativen und Durchführungen den Anstoß zu weiteren Abrüstungsschritten in Europa und auch weltweit geben. Ich darf noch einmal ausdrücklich betonen, daß die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ein vorrangiges Ziel unserer Regierung bleibt. Daher ist es für uns auch von größter Bedeutung, daß die derzeitigen und gegebenenfalls auch zukünftigen Staaten in Mittel-, Ost-und Südosteuropa und ebenso auf dem Gebiet der heutigen Sowjetunion dieses Ziel unterstützen. Das gilt in gleicher Weise für die Mitgliedschaft im Atomwaffensperrvertrag, für die C-Waffen-Verbotskonvention, die 1992 abgeschlossen werden soll, und für das Übereinkommen über bakteriologische Waffen, wobei die dritte Konferenz zu seiner Überprüfung gerade eine Intensivierung der begleitenden vertrauensbildenden Maßnahmen beschlossen hat.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind ein großes Stück weitergekommen, und wir sollten diesen Tag, der so etwas gemütlich verläuft — diesen Eindruck hat man, wenn man die Mienen der Abgeordneten sieht — vielleicht doch nicht als einen unbedeutenden Tag ansehen, nachdem wir uns jahrelang alle gemeinsam um solche Schritte bemüht haben,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und heute nicht die Stunde verpassen, froh zu sein bzw. auch einmal gemeinsam hier etwas freudigere Gesichter zu zeigen, statt das alles in einer Art Routinedebatte ablaufen zu lassen.
Vielen Dank

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205405500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1205405600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zwei Vorbemerkungen. Herr Kollege Pflüger, finden Sie die Bemerkungen des Kollegen Dregger sehr diplomatisch, daß die kurze Reichweite der französischen Pluton bzw. auch der Hades im Konfliktfalle das Dilemma mit



Dr. Hartmut Soell
sich brächten, dem Verbündeten und Freund in den Rücken zu schießen?

(Norbert Gansel [SPD]: Wörtliches Zitat Dregger!)

Ist das besonders diplomatisch?
Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier gesagt, das Projekt der luftgestützten Abstandswaffen sei durch die Bush-Initiative erledigt. Wir haben andere Informationen. Die Frage ist: Welche gelten? Wir haben die Information, daß dieses Projekt fortgesetzt wird und daß die Entscheidung über die Stationierung nur einige Jahre später fallen soll.
Nun aber zu unserem Antrag auf Drucksache 12/1212. Er ist im Wortlaut und in der Sache unmißverständlich:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, von der französischen Regierung die Abschaffung der Hades-Atomraketen zu fordern.
Im Hinblick auf die Forderung nach Abschaffung der französischen Kurzstreckenraketen hat es in diesem Hause in den letzten Jahren eine gewisse Übereinstimmung gegeben. Das galt sowohl für die Kurzstreckenraketen vom Typ Pluton mit 120 km Reichweite, die 1993 und 1994 ausgemustert werden sollen, als auch für die jüngst produzierten Hades-Raketen mit einer Reichweite von 480 km, die von Frankreich aus weitgehend nur deutsche Ziele und Ziele im Westen der Tschechoslowakischen Föderation treffen können.
Die Forderung nach Abschaffung auch der Hades kann man insbesondere dann vertreten, wenn man
— wie ich — in den vergangenen Jahren Verständnis für den Ausgangspunkt und für die prinzipielle Überlegung, die der französischen Nuklearstrategie zugrunde liegt, hatte. Der historische Ausgangspunkt ist klar: Frankreich sollte nie mehr in eine demütigende Lage wie im Jahre 1940 kommen. Die prinzipielle, wenn auch sehr abstrakte Überlegung, die der französischen Nuklearstrategie zugrunde liegt, war für mich
— jedenfalls für sich genommen — einleuchtender als die NATO-Strategie der sogenannten flexiblen Antwort und der angeblich kontrollierbaren Eskalation auch mit sogenannten taktischen Atomwaffen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eigene Erfahrungen als Wehrpflichtiger in der Reserveoffiziersausbildung Anfang der 60er Jahre. Damals galten natürlich noch sehr viel großzügigere Einsatzgrundsätze: Jeder Brigadekommandeur konnte damals, falls der Gegner durchgebrochen wäre, eigenständig einen Atomschlag mit atomarer Artillerie anfordern. Als uns im Hörsaal, eine solche Aufgabe gestellt worden ist, haben wir unisono gesagt, wir würden unsere besten Leute nehmen und uns auf die Batterie nach hinten werfen, diese besetzen und im Notfall eben die weiße Flagge hissen. Ich glaube, das war in diesen Jahren in dem Bewußtsein von Tausenden von Offizieren verankert.
Inzwischen hat die NATO einiges dazugelernt, wenn der Lernprozeß — das machte meine zweite Vorbemerkung deutlich — auch um einiges schneller sein könnte, als es tatsächlich der Fall ist. Jedenfalls die „Flexibilität" bei der Antwort an die Adresse eines möglichen Gegners hätte bei einem Einsatz das in Mitteleuropa zerstört, was zu verteidigen sie vorgab: das Leben und die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen.
Die französische Nuklearstrategie wollte durch ihre Drohung mit dem sofortigen Einsatz strategischer Nuklearwaffen die Abschreckung im Kopf eines möglichen Gegners erzielen und dadurch den Krieg verhindern. Nur waren die Mittel, insbesondere die Raketen kurzer und kürzester Reichweite, die als sogenannte letzte Warnung vor dem Einsatz der strategischen Waffen dienen sollten und teilweise immer noch dienen, diesem Ziel nie dienlich. Sie hatten nicht nur einen hohen Grad an Selbstabschreckung — die Wiederholung der Sicherheitsillusion der Maginot-Linie der 30er Jahre, diesmal nuklear organisiert —, sondern sie behandelten das Territorium der nächsten Nachbarn, der Bündnispartner und Freunde, insbesondere das der Deutschen, als Sicherheitsglacis, dessen Zerstörung in Kauf genommen worden wäre. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie sich die Deutschen im Falle eines großen militärischen Konflikts verhalten hätten. Deswegen habe ich hier vorhin auch meine eigenen Erfahrungen dargestellt.
Daher waren die französischen Kurzstreckenraketen immer fehl am Platze. Dabei helfen auch nicht Hinweise — das sage ich ausdrücklich im Lichte der Diskussion in den letzten Wochen — auf die Mobilität der Hades und die mögliche Verlagerung an die deutsche Ostgrenze. Das würde nur neues Mißtrauen bei unseren östlichen Nachbarn säen.
Inzwischen können wir — jedenfalls hier in Europa — von den hochalarmistischen Bedrohungsbildern und den Hochreizungszuständen der Nuklearstrategie Abstand nehmen. Die Risiken, denen sich Franzosen und Deutsche heute und in den nächsten Jahren gegenübersehen, sind nur noch zum geringsten Teil militärischer Natur. Falls solche vorhanden sind, taugen dazu am wenigsten Nuklearwaffen. Für die Bekämpfung der ökologischen und wirtschaftlichen Großrisiken, denen wir alle uns gemeinsam gegenübersehen, taugen überhaupt keine Waffen. Das Gegenteil ist vielmehr richtig: Substantielle Abrüstung läßt finanzielle Mittel frei werden, die die Chance vergrößern, diesen Risiken zu begegnen.
Wir begrüßen es, daß die intensiven Gespräche, die sowohl von der Opposition als auch von der Regierung mit unseren französischen Freunden in den letzten Jahren geführt wurden, schon die Zahl der Hades verringert und die Stationierungsart — sie wurden bisher nicht aufgestellt, sondern in Depots gelagert — positiv beeinflußt haben. Es wäre noch besser, wenn die französische Regierung auch die vorhandenen Hades-Raketen abschaffen würde. Die Bundesregierung ist jedenfalls aufgefordert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit dies bald geschieht und damit ein wichtiges Signal für die weltweite Abrüstung von Nuklearwaffen und aller Arten von Waffen überhaupt gegeben wird.
Ich betone, Herr Kollege Schäfer, daß es in der Zusammenarbeit mit Frankreich sinnvoll wäre, auch was die neuen Ideen des deutsch-französischen Korps an-



Dr. Hartmut Soell
geht, zunächst einmal nicht auf integrierte Streitkräfte zu setzen, sondern erst einmal die Einsatzgrundsätze, und zwar die taktischen wie die operativen, anzugleichen, Stabsrahmenübungen in dieser Richtung zu veranstalten und auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zu einer neuen Art von Stabilität hier in Europa und zu militärischer Zusammenarbeit zu leisten und natürlich auch Verifikation von Abrüstungsmaßnahmen im weitesten Sinne und auch den Einsatz von Friedensstreitkräften nach dem Muster der Blauhelme zu üben. Das wäre vor allen anderen die gemeinsame Aufgabe französisch-deutscher Rüstungs- und Militärkooperation.
Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit beim Zuhören.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205405700
Nun erteile ich dem Abgeordneten Lummer das Wort.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1205405800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein wenig resümieren. Das erste, was auffällt — der Kollege Schäfer hat das schon angedeutet —, ist die ganz besondere Atmosphäre heute. Ich freue mich in Wahrheit aufrichtig darüber, daß wir dieses Thema in so großer Gelassenheit diskutieren, daß die Aufgeregtheiten vergangener Monate und Jahre vorbei sind. Das ist schön. Das ist gut. Was ist der Hintergrund? Der Hintergrund ist der Erfolg, den wir auf diesem Gebiet gehabt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Sorgen, die wir hatten, müssen wir nun nicht mehr haben.

(Norbert Gansel [SPD]: Oder die Ruhe vor dem Sturm!)

Zweitens. Ich glaube, es ist eindeutig und auch wichtig festzustellen: Niemand mag Atomraketen und schon gar nicht Hades-Raketen.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Und schon gar nicht im Rücken!)

Es ist richtig festzustellen, daß eine Änderung der Lage auch eine Änderung der Strategie verlangt. Das wird in Rom gegenwärtig diskutiert. Das alles ist im vollen Gange. Auch Frankreich zieht zu einem Teil seine Schlüsse daraus, bisher nicht in dem Umfang, wie wir das gewünscht haben. Aber nichtsdestoweniger meine ich feststellen zu dürfen: Zu Eile oder zum Hetzen haben wir keine Veranlassung, sondern wir können es auf Grund der gegebenen Situation in aller Ruhe machen, notfalls auch, wie Willy Brandt gesagt hat, in kleinen Schritten. Aber bisher haben wir ganz erklecklich gute Schritte auf diesem Gebiete geleistet.
Bei Ihnen werden Forderungen gestellt. Kollege Feldmann hat von „appellieren" geredet. Kollege Dregger hat gelegentlich einmal Bitten geäußert. Ich will auf eines hinweisen: Nicht nur gegenüber Kindern bewirken Forderungen gelegentlich das Gegenteil dessen, was man erreichen will. Wenn es sensible, kritische Freundschaften sind — darum geht es hier im Zweifelsfall —, dann kommt es darauf an, daß man jemanden überzeugt, daß er aus eigenem Antrieb und eigenem Willen das Richtige tut. Zu Überzeugungsarbeit gehört in erster Linie — das sei in aller Entschiedenheit gesagt; darüber darf keine Unklarheit bestehen — : Wir wollen die Hades weghaben, auch wenn inzwischen eine Umdeutung erfolgt ist: von „taktischen Atomwaffen" zu „prästrategischen Waffen" im Sinne der letzten Warnung. Wir möchten auch nicht, daß diese Waffen gegen Dritte als letzte Warnung auf unsere Kosten eingesetzt werden. Kosten wäre in diesem Falle nicht einfach nur Geld. Das Zeug muß also weg.
Insofern darf keine Unklarheit entstehen. Diese Waffen sind anachronistisch, und sie sind überflüssig. Wie gesagt: Sie müssen weg.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie taugen auch nichts!)

Es gibt in diesem konkreten Fall aber auch Erfolge. Zunächst einmal haben wir festgestellt: In Frankreich gibt es über dieses Thema parteiübergreifend und parteiintern eine intensive kritische Diskussion. Nicht alle sind der Meinung, daß man diese Waffen braucht. Man spürt allenthalten die inneren Zweifel, ein zähes Festhalten an einer Sache, die man eigentlich schon längst abgeschrieben hat. Das ist erfreulich, meine ich.
Zweitens. Wenn man sich die Zahlen anguckt, denkt man an die Geschichte von den kleinen Negerlein. Erst waren es 120, dann waren es 50, dann 40 und dann 30. Davon war noch gestern die Rede. Wenn der Kollege Karsten Voigt da wäre, könnte er sich daran erinnern: Er hat in der letzten Woche in Paris mit den Franzosen geredet. Sie haben gesagt, wir sollten uns freuen, jetzt liegt die Zahl schon unter 30. Sie haben nicht genau gesagt, wie viele, aber jedenfalls unter 30. Sie sehen also bei der zahlenmäßigen Entwicklung einen ganz beachtlichen Fortschritt. Das sollten wir mit Genugtuung registrieren.

(Norbert Gansel [SPD]: Aber drei reichen, um aus Deutschland eine Wüste zu machen!)

— Ja, das wissen wir. Wir wissen das doch alles. Wir lächeln uns gemeinsam an und wissen, wovon wir reden.
Drittens muß man doch sehen: keine Dislozierung, sondern Deponierung. Ja, was heißt denn diese Art von Deponierung? Normalerweise höre ich diesen Begriff immer im Zusammenhang mit Müll.

(Günter Verheugen [SPD]: Genau!)

Ich will durchaus einmal den Propheten riskieren und sagen: Diese Art von Deponierung bedeutet Verbringung als Müll. Das wird man eines Tages feststellen, das getraut man sich jetzt aber noch nicht zu sagen. Das ist die Wahrheit. Und das ist gut so.

(Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/ CSU])

Nun wollen wir diese Themen insgesamt, die Sie in den beiden Anträgen drinhaben, nach dem Motto an-



Heinrich Lummer
gehen — weil es ja um Verbündete geht —, hart in der Sache, aber in der Form verständnisvoll.

(Dr. Olaf Feldmann [FDP]: Sehr richtig!)

Diese Entscheidung zugunsten von Hades ist vor etwa zehn Jahren von Herrn Mitterrand getroffen worden. Das war seine erste gravierende militärpolitische Entscheidung. Es ist doch ganz klar: Wenn einer so etwas gemacht hat, hat er den Kopf angestrengt, seine Gefühle angespannt. Und nun ist das auf einmal alles Kappes. Man muß verstehen, wie es nun bei ihm aussieht.
Wir kennen doch unsere Freunde: Souveränität, Selbstwertgefühl, Autonomie, Nationalstolz, das reimt sich nicht immer mit Logik. Wir reden hier in der Sache ganz logisch, ganz nüchtern, auch aus eigener Interessenlage natürlich, aber die haben damit an solchen Stellen ein bißchen Schwierigkeiten.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Logik! Descartes!)

— Ja, die haben damit an solchen Stellen ein bißchen Schwierigkeiten. Ich weiß, daß da viel Logik entdeckt worden ist. Aber wir wissen auch, daß im modernen Frankreich die Politik gelegentlich nicht mehr logisch verlaufen ist.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Überall!)

Hier sind solche Punkte, wo das gewisse Schwierigkeiten bereitet. Da wollen wir Verständnis haben.
Insgesamt gesehen wissen wir genau: Das Entscheidende sind hier nicht einfach die Waffen, sondern der Geist, der entstanden ist. Ich glaube, da sind wir doch wirklich auf einem Wege, der positiv ist.
Es ist doch wirklich eine böse Sache — Herr Gansel hat das mit dem Zwischenruf noch einmal deutlich gemacht — , was nur eine Hades an unendlichem Schaden anrichten kann. Aber es gibt keine Hades, die schon einen Schaden angerichtet hätte.

(Kathrin Fuchs [Verl] [SPD]: Gott sei Dank!)

Meine Damen und Herren, diese atomare Rakete hat noch keinen getötet. Aber eine billige konventionelle Kalaschnikow tötet jeden Tag in Jugoslawien.
Deshalb möchte ich diese Gelegenheit benutzen, darauf hinzuwirken, daß wir den Blick für das Wesentliche nicht verlieren. Ich sage: Jugoslawien ist im Moment wesentlicher als Hades, ob Sie es wollen oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen möchte ich ein Ceterum censeo anfügen — das sollten wir alle mal wieder sagen — : Es wird höchste Zeit, daß unsere Regierenden begreifen, daß Slowenien und Kroatien anerkannt werden müssen,

(Staatsminister Helmut Schäfer: Ach!)

damit die chauvinistischen Serben auf den Teppich kommen.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Jugoslawien als Karthago? — Günter Verheugen [SPD]: Esse delendam?)

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205405900
Damit sind wir am Ende der Debatte.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/1212, 12/1213 und 12/1443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zu den Möglichkeiten der Verringerung der Belastungen für die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg durch militärische Ausbildungs- und Übungsaktivitäten
— Drucksache 12/463 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsauschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. — Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden.
Dann darf ich die Debatte eröffnen und zunächst dem Abgeordneten Bargfrede das Wort erteilen.

Heinz-Günter Bargfrede (CDU):
Rede ID: ID1205406000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Durchbruch ist erzielt. Dies ist die erste Bundestagssitzung zum Thema Soltau-Lüneburg-Abkommen, zu der wir ein eindeutiges Verhandlungsergebnis der Bundesregierung auf dem Tisch haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die seit über 30 Jahren im Soltau-Lüneburg-Raum stattfindenden Übungen der britischen Streitkräfte werden bis spätestens Mitte 1994 vollständig abgebaut. Nach dem langen und mühevollen Bohren dikker Bretter ist dies für mich zunächst einmal eine wirklich erfreuliche Tatsache.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die in den verschiedenen Fachausschüssen dieses Hauses an diesem guten Ergebnis mitgewirkt haben. Ich danke vor allem Verteidigungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg. Er hat im März dieses Jahres mit seinem britischen Kollegen Tom King die gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt und die Verlagerung der Übungen auch zu seinem ganz persönlichen Anliegen gemacht.
Dank gebührt vor allem den Bürgern des SoltauLüneburg-Raumes, die in über 30 Jahren diese ungewöhnlichen Belastungen mit sehr viel Geduld ertragen haben und sich in den letzten Jahren auch ganz engagiert für die Auflösung dieses SLA eingesetzt haben. Möglich wurde diese Rahmenvereinbarung durch die konsequente Friedens- und Abrüstungspolitik dieser Bundesregierung.



Heinz-Günter Bargfrede
Helmut Kohls erfolgreiche Friedenspolitik unter dem Motto „Frieden schaffen mit weniger Waffen" zeigt hier ganz konkrete Ergebnisse. Mein besonderer Wunsch in dieser Stunde: Wenn in spätestens zweieinhalb Jahren der letzte britische Panzer sich aus der Lüneburger Heide verabschiedet, dann möchte ich, daß dieses als ein Abschied unter Freunden gefeiert wird, daß sich dann wirklich alle Beteiligten mit freundschaftlichen und guten Gefühlen voneinander verabschieden. Dazu wird es aber nur kommen, wenn sich jetzt alle Beteiligten ganz besonders besonnen verhalten. Es ist z. B. psychologisch verheerend, daß ausgerechnet in diesen Tagen die britischen Truppen intensiver und brutaler üben als jemals zuvor. So darf es nicht weitergehen. Die aktuelle Übungspraxis muß dringend geändert werden.
Ich warne in diesem Zusammenhang aber auch vor unüberlegten Aktivitäten. Ich habe von einigen Überlegungen der Bürgerinitiativen in diesem Raum gehört. Ungesetzliche Handlungen sind in jedem Fall der falsche Weg. Jetzt geht es darum, den vereinbarten Rahmen vernünftig auszufüllen und gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort eine gute Zukunft ohne Panzer zu planen.
Dazu gehört erstens, sich im Rahmen der weiteren Abrüstung ergebende Möglichkeiten für eine schnellere Verlagerung konsequent zu nutzen. Die vereinbarten Zeiten sind ja als Enddaten anzusehen; eine Vorverlegung müßte jederzeit möglich sein.
Zweitens. Die 1992 und 1993 vorzunehmende Freigabe von Teilflächen darf auf keinen Fall zu einer Intensivierung der Übungen im Raum Schneverdingen führen, der leider als letzter Abschnitt geräumt werden soll.
Drittens. Die zeitlich noch festzulegende verlängerte Sommerpause ab 1992 sollte auf jeden Fall die gesamte Zeit der Heideblüte erfassen

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)

und auch die Weihnachts- und Osterzeit mit einbeziehen.
Viertens. Britische Fahrzeuge haben sich strikt an die deutsche Straßenverkehrsordnung zu halten. Am 9. Oktober dieses Jahres geschah in Soderstorf auf Grund eines unzureichend beleuchteten britischen Panzers ein schrecklicher Verkehrsunfall. Es gab vier Tote. Dieser Unfall muß der letzte Unfall dieser Art gewesen sein.
Fünftens. Bei den Zukunftsplanungen sollte den Landkreisen, den Städten und Gemeinden jede gewünschte mögliche Hilfe gewährt werden.
Sechstens. Die Renaturierung der freigemachten Flächen hat in Abstimmung mit den betroffenen Gebietskörperschaften zu erfolgen.
Siebtens. Der Sanierungsbedarf ist eingehend festzustellen. Notwendige Maßnahmen sind unter Aufbringung der erforderlichen Kosten durchzuführen; der Verein „Naturschutzpark" erhält zur Zeit von den Briten jährlich 360 000 DM Entschädigung.
Achtens. Der Härtefonds SLA muß weiterbestehen, solange es Belastungen gibt und solange Schäden beseitigt werden müssen.
Neuntens — das ist nicht der unwichtigste Punkt — : Die bei den britischen Streitkräften seit vielen Jahren beschäftigten deutschen zivilen Angestellten und Arbeiter haben Anspruch auf Fürsorge.
Ich fasse zusammen: Der wichtige Durchbruch ist erzielt. Es kommt jetzt darauf an, diesen Rahmen mit vernünftigen Vereinbarungen zu füllen. Es bleibt noch viel zu tun. Ich bitte alle Beteiligten, diese wichtigen Aufgaben mit großer Verantwortungs- und Einsatzbereitschaft zu erfüllen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205406100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205406200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zu den Möglichkeiten der Belastungen für die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg durch militärische Ausbildungs- und Übungsaktivitäten zeigt schon in seiner Überschrift, worum es der Bundesregierung bisher ging: lediglich Reduzierung und Verringerung der Ausbildungs- und Übungsaktivitäten. Lassen Sie mich das hier aktuell einfügen: Die Blaßheit und Unverbindlichkeit dieses Berichtes ist allerdings eine Zumutung. Aus diesem Bericht ist wahrlich nichts zu entnehmen.
Schon in der Debatte am 30. Oktober 1990 haben wir diese Position der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen für falsch gehalten, nämlich nur zu reduzieren. Denn diese Haltung der Bundesregierung beinhaltete, daß der Raum Soltau-Lüneburg weiterhin militärisch genutzt werden sollte. Das ist falsch gewesen, Kollege Harries, im Hinblick auf das, was die Bürgerinitiativen und die Parteien im Raum Soltau-Lüneburg an Meinungsbildung herbeigeführt haben.
Seit Jahren hat die SPD die Bundesregierung aufgefordert, mit der britischen Regierung Verhandlungen darüber zu führen, das Soltau-Lüneburg-Abkommen aufzuheben. Die SPD wußte sich bei ihrer politischen Position immer einig mit den vielen Bürgern, die in diesem militärisch so schwer belasteten Gebiet wohnen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die gemeinsame deutsch-britische Vereinbarung zwischen Bundesverteidigungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg und dem britischen Verteidigungsminister Tom King, die bis 1994 einen vollständigen Verzicht auf Übungen im Gebiet Soltau-Lüneburg zur Folge haben soll.
Es bleibt hier festzustellen: Ohne den öffentlichen Druck der betroffenen Bevölkerung und ohne unsere parlamentarischen Initiativen wäre die Bundesregierung sicherlich noch nicht so weit, wie es in der Vereinbarung zwischen den beiden Verteidigungsministern zum Ausdruck kommt.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Das kann man auch anders sehen!)

— Wir haben kein Verständnis dafür aufbringen können, daß die Belange der deutschen Bevölkerung gegenüber den britischen Militärinteressen immer nachrangig behandelt wurden. Hier bleibt ein bitterer Nachgeschmack zurück.



Dieter Heistermann
Daß es vor Ort weiter Protest geben wird, hängt damit zusammen, Herr Kollege Harries, daß die Bundesregierung die deutschen Interessen gegenüber den Briten mehr als vernachlässigt hatte.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Widerspruch!)

Bei der ersten Beratung dieses Berichts geht es hier nicht um ein Nachkarten oder das Aufzeigen von überholtem Denken und überholten Positionen der Bundesregierung; es geht heute darum, daß die Hoffnungen der Menschen, die mit dieser neuen Vereinbarung verbunden sind, nicht wiederum enttäuscht werden. Es muß nämlich ein für allemal Schluß sein mit der militärischen Nutzung des Soltau-LüneburgGebiets. So, wie es bisher im Abkommen geregelt war, ging es nicht und geht es nicht weiter.

(Zustimmung des Abg. Norbert Gansel [SPD] — Klaus Harries [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Ich denke, das ist die politische Aufgabe. Dieses geschundene Gebiet muß endlich wieder das werden, was es über viele Jahrzehnte vorher war, nämlich ein Naturschutz- und Erholungsgebiet für Tausende von Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Bundestagsfraktion hätte sich natürlich gewünscht, daß die Aufgabe des Soltau-LüneburgGebiets als militärisches Übungsgebiet noch schneller realisiert wird, als es jetzt geplant ist. Wir schließen auch nicht aus, daß sich vor Ort weiterer politischer Druck entwickeln wird, wenn die jetzt erklärten Zielsetzungen nicht erreicht werden oder aber — mein Vorredner hat darauf hingewiesen — der Übungsbetrieb weiterhin so abläuft, daß die Bürger keine Verbesserung erkennen können.
Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung einige Antworten, die den Bürgern Rechtssicherheit über die Frage verschaffen, wie die Vereinbarung zwischen den beiden Verteidigungsministern zu werten ist. Wir fragen die Bundesregierung erstens, welche rechtliche Qualität und Verbindlichkeit die Ministervereinbarung vom 17. Oktober 1991 hat. Hat diese Vereinbarung die Rechtskraft, das bestehende SoltauLüneburg-Abkommen aufzuheben, oder welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, das Soltau-Lüneburg-Abkommen im Sommer 1994 tatsächlich und endgültig außer Kraft zu setzen?
Zweitens haben wir zu fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, auf die britische Regierung dahin gehend einzuwirken, daß im Übungsgebiet des SoltauLüneburg-Abkommens nur noch jene britischen Einheiten üben, die hier in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, und nicht wie bisher alle britischen Panzereinheiten. Eine solche Regelung würde bereits jetzt zu einer wirksamen Entlastung des betroffenen Übungsgebiets führen.
Drittens ist zu fragen: Welche konkreten Ersatzlösungen hat der Bundesminister der Verteidigung der britischen Regierung angeboten? Aus der gemeinsamen deutsch-britischen Presseerklärung ist lediglich zu ersehen, daß der britischen Armee alternative
Übungsmöglichkeiten auf bestehenden Truppenübungsplätzen der Bundeswehr eingeräumt werden.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist doch im Ausschuß gesagt worden!)

Der Bundestag hat sicherlich ein Recht darauf zu erfahren, in welchem Umfang, mit wieviel Soldaten und mit welchem Gerät die Truppenübungsplätze künftig in Anspruch genommen werden sollen.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist im Verteidigungsausschuß alles gesagt worden!)

— Kollege Koppelin, da dieser Bericht erst heute dem Verteidigungsausschuß zugewiesen wird, kann ich nicht nachvollziehen, woher Ihre Weisheit rührt. Das muß ich ehrlich sagen, Kollege Koppelin.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist mündlich vorgetragen worden! — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Vielleicht waren Sie auch nicht im Ausschuß! Das kommt ja häufiger vor!)

Aus der Sicht der SPD-Fraktion hat die Bundesregierung die Chance verpaßt, wichtige Einzelheiten der deutsch-britischen Vereinbarung in einem ergänzenden Bericht vorzulegen. Bisher ist diesem Haus nur eine Presseerklärung der Bundesregierung bekannt. Es ist mehr als bedauerlich, daß die Bundesregierung nicht von selbst darauf kommt, diesem Parlament alle notwendigen Informationen umgehend zuzuleiten.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Stimmt überhaupt nicht!)

Spätestens bei den Beratungen im Verteidigungsausschuß erwarten wir diese Informationen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag eingebracht hat, der die Verminderung der Anzahl der Truppenübungsplätze in der Bundesrepublik Deutschland und die Erstellung eines künftigen Truppenübungsplatzkonzepts für die Streitkräfte zum Ziel hat. Es ist an der Zeit, daß nach der Verminderung des Umfangs der Bundeswehr, nach dem Teilabzug alliierter Streitkräfte und nach dem Abzug der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte ein neues Nutzungskonzept für Truppenübungsplätze erarbeitet wird.
Mit der Umgliederung der Bundeswehr und den neuen Stationierungsentscheidungen besteht die große Chance, bisherige Brennpunkte bei den Nutzungskonzeptionen zu vermeiden. Die Menschen in den betroffenen Gebieten werden diese Bundesregierung zu Recht daran messen, ob sie trotz der internationalen Entwicklung nach wie vor gewillt ist, militärischen Forderungen Vorrang vor berechtigten Interessen der Bürger einzuräumen.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist langsam reiner Populismus!)

Den Menschen im Raum Soltau—Lüneburg können wir von dieser Stelle aus schon jetzt sagen, daß sie in der SPD-Bundestagsfraktion einen bewährten Partner behalten werden, der anstrebt, daß das Soltau-Lüneburg-Abkommen endgültig aufgehoben wird.



Dieter Heistermann
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der FDP: Mit Speck fängt man Mäuse! — So ein wirres Zeug!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205406300
Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Hansen.

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1205406400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr erfreulich, daß Herr Heistermann gesagt hat, er wolle nicht nachkarten, und an dem Bericht nichts auszusetzen hat; denn er hat ihn ja begrüßt. Sie sollten sich insgesamt an diesen Stil halten und ganz sachlich zur Kenntnis nehmen, was die Bundesregierung mit dem Bericht heute vorgelegt hat. Auch mit Blick auf den von Ihnen vorhin erwähnten Antrag, mit dem Sie ein Gesamtkonzept für die Nutzung von Truppenübungsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland vorlegen wollen, können Sie ermessen, wie erfolgreich die Bundesregierung hier gehandelt hat. Sie ist nämlich unabhängig davon schon jetzt gewillt, das Soltau-Lüneburg-Abkommen außer Kraft zu setzen — mit einer Perspektive, die ausgesprochen erfreulich ist —,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

obwohl im Bericht selber darauf hingewiesen wird
— insofern gehen Sie dann doch fehl, Herr Heistermann —, wo der Schlüssel zur Aufhebung des SoltauLüneburg-Abkommens liegt, nämlich beim Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. Das Soltau-Lüneburg-Abkommen wird also in der Zeit zwischen 1992 und 1994 aufgehoben. Das ist für die Bewohner im Raum Soltau-Lüneburg, in einem Siedlungsgebiet
— das weiß sonst kaum jemand — , das als militärischer Übungsraum seit Jahrzehnten genutzt, mißbraucht und geschädigt worden ist, die positive Meldung des Jahres.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat es in diesem Jahr endlich erreicht, daß ein Einvernehmen zwischen dem Bundesverteidigungsminister Dr. Stoltenberg und dem britischen Verteidigungsminister Tom King erzielt wurde. Das Ende der militärischen Übungen ist absehbar.
Die Aufgabe des Gebietes als eines militärischen Übungsgebiets soll bis Mitte 1994 erreicht werden. Die Bewohner der Heide von Lüneburg über Amelinghausen bis Schneverdingen sind froh, sie atmen auf. Endlich ist es erreicht, das Unikum militärischer Nutzungen bewohnter Gebiete zu beenden.

(Zustimmung bei der FDP)

Es war nicht länger akzeptabel, daß britische Truppen ihre Übungen in normal besiedelten Gebieten, d. h. außerhalb offizieller Truppenübungsplätze, das ganze Jahr über vornahmen — und das angesichts europaweiter Entspannung und Abrüstung. Dabei ist zu betonen und zuzugestehen, daß im Laufe der vergangenen Jahre Einschränkungen des Übungsbetriebs durchgesetzt werden konnten: in der Sommerpause, an Wochenenden, an Feiertagen usw. Auch das war ein Erfolg dieser Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren.
Dennoch ist zu betonen — das ist, wenn man so will, ein bißchen die Kehrseite dieser glänzenden Medaille — , daß es weiterer Bemühungen und Gespräche zwischen den Regierungen bedarf, um die in Aussicht gestellte stufenweise Verringerung und Einstellung der Übungen zu beschleunigen und schon vor dem avisierten Jahr 1994 zu erreichen.
Auf die erhebliche Entlastung muß sehr bald die vollständige Einstellung des militärischen Übungsbetriebs folgen. Die sicherheitspolitische Landschaft in Deutschland und in Europa hat sich verändert. Was bei dem Soltau-Lüneburg-Abkommen erreicht wurde, ist der erste unmittelbare Erfolg in der Region, wo das für alle deutlich wird.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundeswehr wird reduziert, wie alle wissen. Die britische Rheinarmee wird um mehr als 50 % verringert. Von daher konnte es auch gar nicht anders sein, als daß mit diesem Anachronismus des Jahres 1959 Schluß gemacht wurde. 1991 ist niemandem mehr einsehbar zu machen, daß außerhalb von Truppenübungsplätzen dauerhaft über das Jahr hinweg genutzte Übungsräume für das Militär zur Verfügung stehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205406500
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten, Herr Abgeordneter Hansen?

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1205406600
Ja.
Vizepräsident Dièter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205406700
Herr Kollege Hansen, können Sie mir nach Ihrer Einleitung jetzt erklären, warum Sie dann am 30. Oktober vorigen Jahres einen Antrag der SPD abgelehnt haben, das Soltau-Lüneburg-Abkommen aufzukündigen, was Sie heute hier als große Leistung Ihrer Koalitionsfraktion und dieser Regierung abfeiern?

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1205406800
Herr Heistermann, Sie wissen sogar besser als ich — denn Sie waren vor einem Jahr in der 11. Wahlperiode dabei — , daß es gar nicht um die Kündigung des Soltau-Lüneburg-Abkommens geht und gehen kann, und zwar aus juristischen Gründen. Insofern ist es vor Ort und möglicherweise auch in der Debatte am 30. Oktober, von der Sie sprechen, immer ein falsches Spiel gewesen. Der Bevölkerung ist etwas vorgemacht worden, wenn von Ihrer Seite von Kündigung gesprochen worden ist. Es ging darum, daß in dem Raum tatsächlich nicht mehr geübt wurde; aber juristisch gesehen war es sehr viel schwieriger. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut den Weg gewiesen hat, eine Revisionsklausel — nicht eine Kündigungsklausel — in Anspruch zu nehmen, um im Felde diplomatischer Beziehungen insgesamt etwas für Soltau-Lüneburg herauszubekommen. Insofern karten Sie mit Ihrer Frage leider doch nach, obwohl Sie vorhin dementiert haben, es tun zu wollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205406900
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Koppelin? — Bitte sehr.




Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1205407000
Herr Kollege Hansen, können Sie mir erklären, warum sich der Kollege Heistermann nicht genauso freut wie — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205407100
Die Frage lasse ich nicht zu. Das ist eine Dreiecksfrage, Herr Abgeordneter Koppelin.
Herr Hansen, fahren Sie in Ihrer Rede fort.

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1205407200
Es ist gewissermaßen die Rolle der Opposition, ihre eigene Enttäuschung über den tatsächlichen Erfolg hier nicht zum Ausdruck bringen zu dürfen.

(Beifall bei der FDP — Dieter Heistermann [SPD]: Wir freuen uns auch für die Menschen dort!)

Die FDP-Fraktion — das unterscheidet sie eben doch von Ihnen, und das nicht nur des Rollenspiels, sondern auch der Sache wegen — dankt der Bundesregierung ausdrücklich, d. h. dem Bundesverteidigungsminister einerseits und besonders auch dem Außenministerium andererseits.

(Beifall bei der FDP)

Ich verweise einfach einmal darauf, daß Staatsminister Schäfer nicht erst vor einem halben Jahr — ich blicke in eine bestimmte Richtung — mit allen Abgeordneten aller drei Fraktionen aus dem Raum SoltauLüneburg gesprochen hat, als die Unterschriften der Bürgerinitiativen überreicht worden sind, sondern sich, seit er im Amt ist, um das Thema Soltau-Lüneburg immer und intensiv bemüht hat.

(Beifall bei der FDP)

Sie werden es mir zugestehen, dem Staatsminister Schäfer ausdrücklich auch unseren persönlichen Dank in diesem Zusammenhang noch einmal auszudrücken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Regierung insgesamt hat — und es ist, wie Sie ja zu Ihrem eigenen Bedauern bestätigen müssen, eine erfolgreiche Bemühung gewesen — ergebnisorientiert, kontinuierlich und konstant auf den jetzigen Erfolg hingearbeitet. Die roten Flächen — diese Einmaligkeit in der Landkarte der Republik — können verschwinden. Dennoch werden zusätzliche Anstrengungen erforderlich sein — Herr Bargfrede hat schon kurz darauf hingewiesen — , die Regeneration verseuchten Bodens und die Rekultivierung der von Panzern zerstörten Flecken selbst zu betreiben. Auch eine Lösung der Frage der Entschädigung — sie ist schon angesprochen worden — der betroffenen Kreise und Gemeinden in dem Raum wird nicht zu umgehen sein. Dennoch sollte man jetzt hier keinen Forderungskatalog aufstellen, aber die Frage auch nicht negieren; denn sie wird zunehmend gestellt.
Die Heidjer — ich wiederhole mich insofern — atmen auf. Der Unfall, von dem Herr Bargfrede schon gesprochen hat, hat in den letzten Wochen deutlich gemacht, daß die Zustände hier nicht weiter tragbar waren.
Der Bündnispartner Großbritannien ist immer wieder darauf hingewiesen worden. Der Verbindungsoffizier am Ort, den wir ja alle kennen, hat immer ein
Spiel zwischen Diplomatie und Eigeninteresse vollbringen müssen. Mr. Keeney war insofern durchaus nicht ungeschickt bei der Vertretung seiner Regierung. Man wird auch sagen müssen: Der Bündnispartner Großbritannien hat sich nicht immer in der gleichen diplomatischen Weise von, wenn man so sagen will, der Queen abwärts bis zum letzten Sergeanten in der Heide aufgeführt. Die Besuche der Prinzessin Anne waren immer sehr erfreulich. Aber die Besuche mancher Panzer mit ihren Besatzungen waren weniger erfreulich, nicht nur hinsichtlich der Zerstörung und der erwähnten Unfälle, sondern auch hinsichtlich des Verhaltens. Dennoch wird man anerkennen müssen, daß immer wieder — damit meine ich den Verbindungsoffizier — versucht wurde, einen Interessenausgleich zu betreiben. Dafür ist letztlich bei allem Verständnis für die Probleme, die anstanden, auch ihm zu danken.
Der Bericht der Bundesregierung, über den wir heute sprechen, hat den Weg gewiesen.
Die FDP-Fraktion stimmt der Überweisung an die Ausschüsse natürlich zu.
Vielen Dank, Herr Präsident.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205407300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Braband.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205407400
Guten Morgen! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe, Sie freuen sich schon ungeheuer. — Die Abgeordneten der Gruppe PDS/Linke Liste begrüßen, daß die Bundesregierung mit ihrem Bericht zu den Möglichkeiten der Verringerung der Belastungen für die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg durch militärische Ausbildungs- und Übungsaktivitäten das Problem der Tiefflüge in diesem Land aufgegriffen hat und daß Verhandlungen mit der britischen Regierung geführt werden, die die Aufgabe dieser Übungsplätze in Soltau-Lüneburg zum Ziel haben.
Das entspricht, denke ich, den Bedürfnissen der Menschen und der Natur in dieser Region und trägt den vielfältigen Forderungen von betroffenen Menschen und politischen Initiativen, etwa der GRÜNEN und der SPD, im vergangenen Jahr Rechnung, die seit vielen Jahren auf die Folgen für die physische und die psychische Gesundheit der Menschen hinweisen.
Es ist bekannt, welche umfassenden Schäden für die Natur solche Übungsplätze anrichten und wie speziell die Region Soltau-Lüneburg auch in ihrer Infrastruktur geschädigt wurde.

(Karl Deres [CDU/CSU]: Sind Sie mal dort gewesen?)

— Nein. Ich hatte dazu leider noch keine Gelegenheit.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Die weiß gar nicht, wo das liegt!)

Dieses Land, in das ich, ohne es zu wollen, hineingeworfen wurde, ist sehr groß, und ich brauche ein bißchen Zeit.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Sie sind trotzdem aufgefordert, in die Heide zu kommen!)




Jutta Braband
Die Bewohnerinnen von Soltau atmen auf, wie Sie gerade gesagt haben. Was aber ist mit den Bewohnerinnen in Laage in Mecklenburg und anderen Orten dieses Landes,

(Bernd Wilz [CDU/CSU] : Ja!)

die mit genau dem gleichen Problem konfrontiert sind?

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Zechlin zum Beispiel!)

Denn die Tatsache, daß der Standort zwar aufgegeben wird, die Tiefflüge aber an andere Orte verlegt werden, wodurch die Belastung angeblich gerechter verteilt werden soll,

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Nun verwechseln Sie aber nicht Äpfel mit Birnen! — Gegenruf des Abg. Franz Müntefering [SPD]: Laßt sie doch mal reden; mein Gott noch mal!)

zeigt, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, dieses Problem grundsätzlich zu behandeln.
Das ist um so erstaunlicher, als in einer gemeinsamen deutsch-britischen Presseerklärung die Verteidigungsminister beider Länder feststellen, daß die vollständige Einstellung des militärischen Übungsbetriebs bis Mitte 1994 in diesem Raum möglich wurde — ich zitiere — „durch Umplanungen und eine Verringerung des Umfangs der Streitkräfte der NATO in einer veränderten sicherheitspolitischen Landschaft in Europa". Ich stelle fest, daß diesen konstatierten veränderten sicherheitspolitischen Bedingungen durch eine Verlagerung der Übungsplätze und der dazugehörenden Tiefflüge eben nicht Rechnung getragen wird.
Nebenbei bemerkt, zeigt der Jacobson-Bericht als zukunftsorientiertes Papier genauso, daß diese neuen Bedingungen und damit Chancen für eine umfassende Abrüstung auch in Zukunft keine Rolle spielen werden und daß Abrüstungsschritte, sei es der Abzug von Waffen, die Verringerung von Streitkräften oder eben die Aufgabe von Truppenübungsplätzen, lediglich einer höheren militärischen Effizienz dienen, statt daß qualitativ abgerüstet wird, weil die Erkenntnis, daß Kriege im Zeitalter von Hochtechnologie nicht mehr führbar sind und kein einziges Menschheitsproblem lösen, endlich auch diese Regierung erreicht hätte; das Gegenteil ist der Fall.
Ich finde, der Golf-Krieg bleibt mit seinen verheerenden Folgen für die Menschen dort für lange Zeit ein furchtbares Beispiel dafür. Es muß hier gefragt werden, wie Tiefflug als Bestandteil einer offensiven Kriegsführungsoption — das scheint hier niemandem aufzufallen — , die verteidigungspolitisch keinen Sinn macht, eigentlich noch begründet werden soll in einer Zeit, da keine Bedrohung ausgemacht werden kann. Mit welchen Kriegsszenarien rechnet eigentlich die Bundesregierung? Das möchte ich wissen. Welche Radaranlagen müssen unterflogen werden?
Wir fordern die Bundesregierung auf Grund des Dargelegten auf, sofortige Anstrengungen zu unternehmen im Interesse aller Menschen dieses Landes, aber auch beispielsweise der Bürgerinnen und Bürger Kanadas, wo ich denke, daß in dessen Himmel bundesdeutsche Flieger schon gar nichts zu suchen haben, die Tiefflüge für die gesamte Bundesrepublik sowohl hier als auch in Kanada sofort einzustellen und sich darüber hinaus Gedanken zu machen, wie wir der veränderten Situation in Europa durch andere Überlegungen, durch Überlegungen, die wir in Richtung auf eine ganz andere Art von Sicherheitsdoktrin anstellen — ich denke, hier ist Phantasie gefragt — , tatsächlich Rechnung tragen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205407500
Nun erteile ich dem Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205407600
Meine Damen und Herren! Abrüstung und Soltau-Lüneburg hängen zusammen. Das ist heute morgen deutlich geworden, nachdem ich zu zwei abrüstungspolitischen Erfolgen sprechen durfte. Da ich auch noch zu einem Erfolg in Soltau-Lüneburg sprechen darf,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Alle guten Dinge sind drei!)

wird mir schon langsam angst und bange, trotz der bitteren Miene von Herrn Heistermann so viele Erfolge vorzustellen.

(Zuruf von der FDP: Er kann es nur nicht zeigen!)

Meine Damen und Herren, wir sind sehr froh, und Herr Kollege Heistermann, wir sind wahrscheinlich zusammen sehr froh, daß es nun endlich gelungen ist, eine Entlastung der Bevölkerung dieses Gebiets auf Grund der Absprachen, die getroffen worden sind, möglich zu machen.

(Zuruf von der FDP: Heistermann freut sich! Er darf es nur nicht zeigen!)

Ich glaube, daß das natürlich im Zusammenhang steht mit der ganzen Entwicklung in Europa, mit der Möglichkeit, Truppen zu reduzieren. Aber man kann nun einmal nicht, wie Sie es dargestellt haben, Herr Heistermannn, sagen, das hätte alles schon wesentlich besser, früher, intensiver geschehen sollen, man hätte die Engländer mehr unter Druck setzen müssen. Sie hatten 13 Jahre Gelegenheit dazu. Damals waren Sie wahrscheinlich noch nicht im Deutschen Bundestag, aber auch der Kollege Schmidt (Hamburg) — wie viele Hamburger, die dort ihren Urlaub verbringen — hätte damals die Briten nicht dazu bringen können. Ich glaube, er hatte andere Interessen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Ich bin Herrn Hansen dankbar, daß er mich hier auf einmal gelobt hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das passiert sonst nur dem Bundesaußenminister. Aber das ist ja auch ganz nett.
Meine Damen und Herren, es ist doch sicher so, daß wir die Probleme der Bevölkerung des Raumes Lüne-



Staatsminister Helmut Schäfer
burg immer sehr ernst genommen haben. Der Versuch, das so darzustellen, als hätte es nur die SPD getan, kann natürlich nicht ernst genommen werden.
Ich kann nur sagen, lieber Herr Heistermann, ich habe von Anfang an, und zwar gleich zu Beginn meiner Amtszeit, die Gelegenheit gehabt, mir vor Ort die Probleme anzusehen. Aber ich hatte auch von Anfang an die Probleme bei den Gesprächen mit unseren britischen Freunden, die mir gesagt haben: Wenn Sie uns einen neuen Übungsplatz zur Verfügung stellen möchten, können und wollen, dann können wir darüber reden.
Aber da nun freundlicherweise keine deutsche Gemeinde in Versuchung geraten ist, die Belastung der Lüneburger Heide zu übernehmen, war das nicht möglich, und es gab und gibt immer noch die NATO. Und das heißt — ich bin sehr dankbar, daß der Bundesverteidigungsminister mit seinen britischen Kollegen hier den letzten Durchbruch geschafft hat — , daß es für die verbleibenden Streitkräfte noch Übungsmöglichkeiten geben muß, Frau Kollegin. Wenn die nun dorthin verlagert werden, wo sowjetische Einheiten abziehen, kann man nicht davon sprechen, daß es zusätzliche Belastungen sind, sondern es sind Belastungen, die über die ganze Bundesrepublik verteilt werden müssen.
Aber eines ist klar — Herr Hansen hat darauf hingewiesen — : Angesichts der erfreulichen Ergebnisse der Gespräche ist für eine bloße Überprüfung des Abkommens Soltau-Lüneburg kein Rahmen mehr, sondern es geht jetzt als Ziel unserer weiteren Verhandlungen — hier hat Kollege Hansen den richtigen Ausdruck gewählt — um die einvernehmliche Aufhebung des Soltau-Lüneburg-Abkommens. Das ist die Zielsetzung und dazu werden wir auch kommen, und ich bin sehr froh darüber.
Herr Kollege Heistermann, um die Sache abzukürzen: Ich hätte heute eigentlich etwas anderes erwartet als die merkwürdige Unterscheidung, die Sie in Ihrer Rede zwischen Menschen einerseits und der Bundesregierung andererseits gemacht haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich hätte doch erwartet, daß Sie gesagt hätten ich springe über meinen Schatten einmal, obwohl ich hier eine Wahlrede halten muß, drei Jahre vor Ihrer Wiederwahl; es ging um eine eindeutige Wahlrede, die auf die Lüneburger Heide gezielt war — : Wir alle, die wir uns ein bißchen um Soltau-Lüneburg bemüht haben, sollten uns einmal an einem Abend in der Heide zu einem Heidschnuckenessen treffen. Ich gehe davon aus, Herr Kollege Heistermann, daß Sie mir, der Frau Kollegin Braband, die noch nie da war, und weiteren verdienten Persönlichkeiten noch privat eine Einladung überreichen. Das wäre doch einmal ein Stil, der uns allen Vergnügen machen würde angesichts der Erfolge, die hier erzielt worden sind.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205407700
Herr Staatsminister, ich weiß nicht, ob jetzt eine Einladung
kommt. Aber zumindest bittet der Abgeordnete Heistermann um das Wort. Es muß dann nicht unbedingt eine Frage sein.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205407800
Auch der Bundestagsvizepräsident liebt diese Gegend, darf ich feststellen.

(Heiterkeit)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205407900
Herr Abgeordneter Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205408000
Herr Staatsminister Schäfer, ich nehme die Einladung natürlich für die gesamte Arbeitsgruppe „Sicherheitsfragen" der SPDBundestagsfraktion an.

(Staatsminister Helmut Schäfer: Das ist zuwenig! — Zuruf von der CDU/CSU: Alle, die heute dabei sind, werden eingeladen!)

Ich denke, wenn die Bundesregierung eine so nette Einladung überbringt, stünde es uns nicht an, diese abzulehnen. Im Gegenteil, wir freuen uns, demnächst eine gemeinsame Terminabsprache treffen zu können.
Vielen Dank.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205408100
Ich befürchte, daß hier ein grobes Mißverständnis vorliegt

(Heiterkeit)

zwischen dem Einladenden und den Einzuladenden. — Herr Minister, Sie haben das Wort.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205408200
Ich stelle fest: Wenn es darauf ankommt, zahlt die Bundesregierung immer die Essen. Das ist mir bekannt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205408300
Der Abgeordnete Harries hat das Wort.

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1205408400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, wir greifen Ihr Angebot auf. Ich empfehle nur dringend, daß alle, die die Heide nicht kennen, morgen anfangen, Heidelikör zu trinken und das Überstehen zu üben. Das ist sonst etwas schwierig.
Herr Staatsminister, ich darf Sie zu Beginn gleich noch einmal zitieren. Es ist kein Dreivierteljahr her, daß die Abordnung einer Bürgerinitiative aus dem Gebiet Soltau-Lüneburg bei Ihnen im Auswärtigen Amt vorsprach, ihre Sorgen dargelegt hat und auf die Belastung des Übungsraumes konkret hingewiesen hat. Insbesondere — das fand ich damals gut — haben Ihnen die Sprecher dieser Bürgerinitiative vorgetragen, daß sie im Grunde eine Perspektive sichtbar gemacht haben wollen, wie es mit Soltau-Lüneburg ausgeht.
Meine Damen und Herren, wir haben es inzwischen mehrfach gehört: Diese Perspektive ist vorhanden, und zwar nicht als lockeres, unverbindliches Gebilde, sondern mit ganz konkreten zeitlichen Absprachen. In



Klaus Harries
drei Jahren, so die heutige Abmachung, verlassen die britischen Panzer endgültig den Übungsraum SoltauLüneburg. Dafür sagen wir Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Parallel dazu — auch das ist bereits gesagt worden — laufen im Auswärtigen Amt erfolgversprechende Verhandlungen, um das Soltau-LüneburgAbkommen — das ist ja die rechtliche Grundlage für die Benutzung durch Panzer und Streitkräfte gewesen — endgültig aufzuheben.
Damit geht nun ein Kapitel auch dieses Hauses zu Ende. Mehr als dreißig Jahre lang hat sich der Bundestag — ganz egal, welche Regierung die Verantwortung trug — um die Belastung der Bevölkerung gekümmert, hat sich bemüht, Verbesserungen anzustreben, und hat diese im Verfolg der Tage und Jahre auch erreicht. Der Verteidigungsausschuß und eigens gebildete Unterausschüsse sind wiederholt vor Ort gewesen

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Wohl wahr!)

und haben sich mit den Nöten und Problemen der Bevölkerung dort befaßt.
Denn, meine Damen und Herren, Soltau-Lüneburg war und ist noch etwas Besonderes, nicht nur in unserem Lande, sondern im Grunde in ganz Westeuropa. Es gibt nicht ein Gebiet, was rund um das Jahr und rund um die Tagesuhr militärisch intensiv genutzt werden kann und wo gleichzeitig Leute wohnen. Es gibt blühende Dörfer, blühende Städte; das hier so leicht angedeutete Katastrophenbild, Herr Heistermann, stimmt aber nicht. An den Belastungen ist gar nichts zu rütteln und zu deuteln. Aber es als ein Katastrophengebiet zu bezeichnen, was nicht lebenswert sei, ist eben auch verkehrt.
Das Gebiet war etwas Besonderes: Die Bevölkerung dort lebte mit Umweltbelastungen, obwohl diese in keiner Weise mit denen zu vergleichen sind, die wir nicht ganz weit entfernt auf der anderen Seite der Elbe zu erleiden und aufzuarbeiten haben. Da gibt es eben wirklich riesengroße strukturelle Unterschiede. Aber die Bevölkerung lebt mit Lärmbelästigungen; sie lebt mit viel zuviel Verkehrsunfällen, die zu tödlichen Unfällen — das ist hier mit Recht vorgetragen worden — geführt haben.
Ich darf hier aber auch eine andere Seite ganz bewußt und gewollt ansprechen: Die intensive Belastung und Nutzung dieses Raumes hat nie zu Feindschaft zwischen der dort lebenden Bevölkerung und den britischen Soldaten geführt — trotz der Übergriffe, die wir immer bedauert haben, die wir immer moniert haben und die wir abgestellt wissen wollten.
Es hat trotz dieser einmaligen Situation partnerschaftliche, freundschaftliche Begegnungen gegeben; das darf ich auch einmal herausstellen. Auch das spricht eben für ein funktionierendes Bündnis zwischen uns, den Briten, den Kanadiern und den anderen Streitkräften, die wir zur Bewahrung von Frieden und Freiheit hier hatten und noch haben und weiterhin pflegen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf eine andere Seite ansprechen, die auch nicht vergessen werden sollte. Jahrelang hat die Bundesrepublik, haben Bundestag — ich glaube, es waren sogar einstimmige Beschlüsse — und Bundesregierung Millionenbeträge in diesen Raum gegeben. Das war nötig, um die Belastungen zu minimieren, um Schäden zu beseitigen. Es sind Straßen, Fußwege, Wanderwege, Radwege und Kindergärten gebaut worden. Das waren keine Bestechungsmittel, sondern Entschädigungsleistungen für zu ertragende Belastungen.
Ich sagte, jetzt ist eine Perspektive da: In drei Jahren ist das Ende erreicht, und das ist gut so. Die Opposition hat in diesem Punkt für meine Begriffe immer, wie so oft, auf dem falschen Fuß hurra geschrien, indem Sie, Herr Heistermann, die Kündigung verlangt haben. Sie wollten den Briten, einem Bündnispartner, unserem NATO-Partner, unserem Freund in Europa, im Grunde den Stuhl vor die Tür setzen. So geht man nicht mit Freunden um, so geht man nicht mit Partnern um. Das war absolut der verkehrte Weg. Der richtige Weg ist von der Bundesregierung mit Erfolg begangen worden. Man hat in der faktischen Lösung, die jetzt Gegenstand unserer Debatte ist, Einvernehmen dahin erzielt, daß in drei Jahren die letzten britischen Panzer das Soltau-Lüneburg-Gebiet verlassen; die Verhandlungen sind erfolgversprechend eingeleitet. Das ist der richtige Weg, weil er das NATO-Bündnis pflegt. Hier ist in fairer Weise gezeigt worden, wie man mit einem Verbündeten umgeht. Dabei sind die Interessen der Bevölkerung — das sage ich ausdrücklich — nicht zu kurz gekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205408500
Sind Sie bereit, eine Frage zu beantworten? — Herr Abgeordneter Heistermann, Sie haben die Möglichkeit. Bitte sehr.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205408600
Herr Kollege Harries, darf ich Sie an unseren Antrag erinnern, der aus zwei Punkten bestand: erstens Aufkündigung und zweitens die Übungsaktivitäten auf Truppenübungsplätze zu verlegen. Das ist genau das, was die Vereinbarung der beiden Verteidigungsminister heute beinhaltet. Was ist daran, was die deutsch-britische Freundschaft betrifft, eigentlich schädlich? Wie können Sie da von „vor die Tür setzen" und ähnlichem sprechen?

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1205408700
Lieber Herr Heistermann, ich meine, meine Kollegen hätten zu dieser Frage schon Stellung genommen und sie beantwortet. Ich darf es wiederholen: Sie haben beantragt zu kündigen. Ich habe hier dargelegt, daß eine Kündigung vom Abkommen her gar nicht möglich ist. Man hätte natürlich politisch ein Zeichen setzen können. Das wäre aber — das habe ich dargelegt — politisch ein falsches Zeichen gewesen. Man verhandelt und strebt eine Aufhebung an. Das ist das Ziel und der erfolgversprechende Weg. So geht man mit Freunden, Verbündeten und Partnern um.
Meine Damen und Herren, zum Abschluß sage ich dem Verteidigungsminister danke für dieses erfolgreiche und richtig erzielte Ergebnis. Ich wünsche dem Auswärtigen Amt Erfolg für die angelaufenen Ver-



Klaus Harries
handlungen. Ich bitte — das gilt vor allen Dingen für
den Soltauer Bereich, Herr Bargfrede — , auch zu bedenken, daß man gerade als Folge der Abrüstung
— das ist doch unsere Politik — eher auf freie Kapazitäten auf Übungsplätzen verweisen kann, um auch in diesem Bereich eine Beseitigung der größeren Belastungen, die — das gestehe ich zu — bei Ihnen immer geherrscht haben, zu erreichen. Ich bitte die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, daß eingetretene Schäden mit Mitteln des Bundes rechtzeitig beseitigt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205408800
Nun erteile ich dem Abgeordneten Fuhrmann das Wort.

Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1205408900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zuerst möchte ich mich dafür bedanken, daß so viele noch hier sind und ich nicht ausschließlich leere Sitze sehe. Ich weiß, dieses Thema berührt im Grunde nur ganz wenige; denn der Bereich, um den es geht, der Bereich des Soltau-Lüneburg-Abkommens, ist ein landschaftlich kleiner Bereich.
Nachdem nun die Koalitionsparteien kräftig gefeiert haben

(Zuruf von der FDP: Zu Recht!)

— ich kann gut verstehen, daß Sie das getan haben; wenn ich mich in Ihre Lage versetze, dann habe ich dafür Verständnis — , wollen wir doch wieder zurückkommen zum Alltag, zu der Realität in diesem Heidebereich.
Ich muß vorher aber noch sagen: Bis auf ein paar merkwürdige Schlußfolgerungen, Herr Kollege Hansen, haben Sie letztlich ja ein ganz gutes Plädoyer gehalten,

(Zuruf von der FDP: Das ist auch ein guter Mann!)

zwar fein abgestimmt, aber doch so, daß ich mich an manchen Punkten wiederfinden konnte; das ist ganz schön.

(Zuruf von der FDP: Ich bin gespannt darauf, was Sie jetzt sagen!)

Wir befassen uns heute mit einer Unterrichtung, an der exemplarisch deutlich wird, wie sehr Politik ein Tagesgeschäft ist und wie schnell Dinge durch Erledigung, durch Änderung auf die Ablage geraten können.
Erstaunlich bei der ganzen Geschichte ist für mich, daß die Bundesregierung, vorrangig an handelnder Stelle der Herr Bundesminister der Verteidigung, die Gunst der Stunde und die bereits in Aktion umgesetzte Truppenreduzierung der Briten in der Bundesrepublik nicht dazu genutzt hat

(Maus Harries [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

— Herr Harries, nicht mit Ketten rasseln wie die britischen Panzer, sondern zuhören! — , durch aktive und überzeugende Verhandlungsführung in dem Gespräch mit seinem britischen Kollegen eine sofortige spürbare Verringerung der militärischen Belastung im
Soltau-Lüneburg-Bereich hinzukriegen. Hinter dem lapidaren Kürzel SLA — ich sage es noch einmal in Worten: Soltau-Lüneburg-Abkommen — verbirgt sich ein überflüssiges Relikt aus der Vergangenheit. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, es ist ein Paradoxon jeglichen Umweltschutzgedankens in unserer Zeit, der Besinnung z. B. auf Ruhe, Verkehrsberuhigung, Erholungsgebiete, schützenswerte Natur, Artenschutz, Frieden und Entspannung. Das SLA ist geradezu ein Symbol für Rückschritt, Militarismus, Vandalismus und ewiggestrige Wertewelt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205409000
Herr Abgeordneter Fuhrmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting zu beantworten?

Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1205409100
Im Grunde meines Herzens bin ich dazu nicht bereit; ich denke, es ist besser, ich fahre in meinen Ausführungen fort und lasse mich nicht aus dem Konzept bringen.

(Günter Friedrich Nolting [FDP]: Springen Sie über die Hürde!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205409200
Ist das ein klares Nein?

Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1205409300
Das ist ein ganz klares Nein. Wissen Sie, es macht mir richtig Spaß, dabei zuzusehen, wie die Feierstunde, in der Sie sich gerade befunden haben, nun doch ein bißchen zurückgedreht wird. Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden; dann würden Sie nämlich auch begreifen, was die Bewohner im Bereich Soltau-Lüneburg im Grunde ihres Herzens erwarten, nämlich nicht eine Feier- und Jubelstunde der Regierenden, sondern ein Auf-sie-Eingehen.

(Zuruf von der FDP: Wie üblich, Sie übertreiben!)

In einer der schönsten, von Hermann Löns weithin gepriesenen Heidegebiete nicht nur — das haben wir ja schon festgestellt — Deutschlands, sondern Europas tobt seit der Besatzungszeit — festgeschrieben 1959 und durch das Änderungsabkommen von 1970 noch einmal — ein dauernder, durch Lärm, Gestank und permanente Betroffenheiten von Menschen, Tieren, Pflanzen, Wasser und Luft gekennzeichneter Krieg; zumindest empfinden die Bewohner dieser Region, die in ihrer Entfaltungsmöglichkeit eingeengt sind, diesen Zustand als Krieg.
Keine andere Region in Westeuropa wird durch eine ähnliche Vielfalt an militärischen Einrichtungen auch nur annähernd so stark belastet wie der nördliche Teil der Lüneburger Heide. Eine absurde Einmaligkeit dabei sind die ganzjährigen Panzerübungen der britischen und kanadischen Streitkräfte in großen Teilen des Naturschutzparks Lüneburger Heide, in dem es Feriengästen und Bewohnern verboten ist, die Wege zu verlassen. Sie wissen das doch genausogut wie ich, Herr Harries; Sie waren da lange genug OKD.
Es ist kaum zu glauben, daß nach einer so kurzen, für die Region nun wirklich kurzen Zeit, in der die Briten nicht anwesend waren, was ein Geschenk für die Bevölkerung war, daß nach dieser kurzen Besinnungspause nach dem Krieg am Golf am 16. September dieses Jahres bereits wieder 1 000 Soldaten und



Arne Fuhrmann
200 Fahrzeuge im wahrsten Sinne wie mit Pauken und Tropeten über diese geschundene Gegend hergefallen sind. Die Bevölkerung im Bereich des Übungsgebiets Soltau-Lüneburg hat keinerlei Verständnis dafür, daß die Übungstätigkeit nach der Rückkehr der britischen Truppen wieder neu begonnen hat.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Sie sprechen doch nicht für die ganze Bevölkerung!)

In Anbetracht des von Herrn Stoltenberg formulierten Zieles, bis Ende 1994 abschließende Verhandlungen hinzukriegen, sind die Heidekreise jetzt natürlich davon ausgegangen, daß im Vorgriff auf diese Verhandlungen die Übungstätigkeit eingestellt oder zumindest spürbar reduziert wird.
Natürlich kam alles völlig anders. Zur Zeit muß sich die Region mit solchen Dingen wie mehr Umweltverträglichkeit, mehr deutsche Mitsprache und weniger Belästigung der Anwohner herumschlagen. Das beruhigt die Menschen in der Region kaum. Fakt ist: Die Panzer rollen; die Flugzeuge donnern über Menschen, Tiere, Pflanzen und die Landschaft hinweg.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Der begreift überhaupt nichts!)

— Herr Koppelin, ich glaube, Sie begreifen gar nichts. Wenn Sie mit solchen Zwischenrufen versuchen wollen, in irgendeiner Form Ihre Meinung deutlich zu machen, dann tun Sie das vernünftig!

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Können Sie sich nicht freuen? — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Jawohl, Herr Oberlehrer!)

Neben der Landschaftszerstörung und der Gefährdung von Menschen und Tieren in diesem Zusammenhang ist noch einmal daran erinnert, daß wir durch Schlagzeilen wie „Panzer überfuhr spielende Kinder" oder „Unbeleuchtetes Kettenfahrzeug wurde zum tödlichen Hindernis" auch in diesem Bereich des SLA eine eigene und sehr traurige Geschichte haben. Es geht mir heute im Prinzip überhaupt nicht darum, einen ideologischen Kampf darum zu führen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann lassen Sie das auch! Sie tun das doch gerade!)

wer sich wann, wo und in welchem Maße besonders um die Aufhebung des SLA verdient gemacht hat. Unstrittig ist, daß sich in den betroffenen Gebieten Menschen mit höchst unterschiedlichen politischen Zugehörigkeiten zu Bürgerinitiativen gegen militärische Belastung zusammengeschlossen haben.
Ich zitiere da einen Satz eines Schneverdinger Bürgers, der mich heute erreicht hat: „Das einzige, was wir zur Zeit hier nicht haben, sind U-Boote und Zerstörer. " Dies mag im Prinzip auch darüber Auskunft geben, wie die Empfindung bei den Menschen in dieser Region im Augenblick ist.
Tatsache ist — das ist ja einige Male zumindest von meinen Kollegen Harries und Hansen gesagt worden — , daß bereits im März Staatsminister Schäfer 13 500 Unterschriften vorgelegt wurden und daß in der Zwischenzeit durch Resolutionen der Kreistage Soltau, Fallingbostel sowie Lüneburg die sofortige
Aufhebung des SLA gefordert wird. Dies sind also nun keineswegs Punkte, die ausschließlich bei uns, bei der Bundestagsfraktion, landen.
Es ist in höchstem Maße bedauerlich, daß die derzeit verfügbaren Verhandlungsergebnisse nicht den objektiven Schluß zulassen, daß im SLA-Bereich vor 1994 merkliche Entlastungen zu erwarten sind und daß in absehbarer Zeit die ersten elementaren Forderungen erfüllt werden.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles gar nicht!)

— Was heißt: Das stimmt nicht? — Wir wissen, daß die Briten im Augenblick, genauso wie alle anderen, mit mehr militärischer Belastung um sich schlagen als je zuvor.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205409400
Herr Abgeordneter Fuhrmann, sind Sie denn bereit, eine Frage des Herrn Abgeordneten Koppelin zuzulassen?

Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1205409500
Nein, ich beantworte keine Frage von Herrn Koppelin.

(Dirk Hansen [FDP]: Sie sind ohne Maß und intolerant!)

Wir fordern die Beendigung des täglichen Panzerkrieges, der immer noch vor den Haustüren und auf den Grundstücken Heidjer Bürger stattfindet. Wir fordern die Beendigung der sinnlosen Zerstörung einer Kulturlandschaft und der Verseuchung des Bodens mit Olen, Kadmium, Blei und Quecksilber. Wir fordern die Beendigung der Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung, der Gäste und selbst der übenden Soldaten auf Grund des Einatmens giftiger Stäube. Wir fordern die Beendigung eines Zustandes, der einer ganzen Generation im Heidebereich Soltau, Schneverdingen, Bispingen und Amelinghausen keine Chance zu einer friedlichen und ruhigen Zeit der eigenen Entwicklung und damit ihrer Sozialisation gegeben hat.
Die hier vorgelegten und durch meine Fraktion wiederholt gestellten Forderungen sind in ihrem Umfang minimal und entsprechen dem grundgesetzlich zugesicherten Gleichheitsgebot für alle Bürger, auch diejenigen im SLA-Gebiet. Seit 1985 hat sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Warum nicht vorher?)

intensiv mit den aus dem Übungsbetrieb für Menschen und Umwelt erwachsenden schwersten Belastungen befaßt und bereits 1989 im Bundestag die Beendigung aller militärischen Übungen in diesem Gebiet gefordert.
Sie konnte sich damit nicht gegen die Regierungskoalition durchsetzen, die sich noch im Jahre 1990 nur für eine Verringerung der Manöver einsetzen wollte.

(Dirk Hansen [FDP]: Stimmt doch gar nicht! Das ist überhaupt nicht wahr!)

Wir erneuern unsere Forderung. Das Gebot der Stunde heißt für den Bundesverteidigungsminister: neue und zielstrebige Verhandlungen mit der Ab-



Arne Fuhrmann
nicht, nicht nur verbale Kraftakte in die Öffentlichkeit zu lancieren,

(Dirk Hansen [FDP]: Wie Sie z. B. jetzt!)

sondern Ergebnisse und greifbare Verbesserungen für die SLA-Region zu erzielen. — Herr Hansen, ich freue mich unheimlich darüber,

(Dirk Hansen [FDP]: Endlich freuen Sie sich!)

daß Sie so intensiv zuhören. Dies ist ein Grund der Freude für mich. Ansonsten war die bisherige Debatte nicht sehr erfreulich.

(Dirk Hansen [FDP]: Das erste Mal: Er freut sich! — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Bei Ihrer Rede ist es auch schwer zuzuhören!)

Das heißt im Klartext auch Antwort auf die Frage nach konkreten Maßnahmen zur Regeneration der verseuchten Landschaft, zu Aufforstaktionen und zur Renaturierung der als Truppenübungsplätze mißhandelten Heideflächen. Es heißt außerdem, klare Leitlinien der Regierung zu formulieren, wie und in welcher Höhe Entschädigungs- und Ausfallzahlungen für die betroffenen Kreise und Gemeinden von seiten des Bundes festgeschrieben und gesichert werden.
Nach über 30 Jahren zusätzlichen Belastungen, regelrechten Kriegseinwirkungen,

(Dirk Hansen [FDP]: Gott sei Dank wissen Sie, was Kriegseinwirkungen sind! Es ist unglaublich!)

haben die Bewohner des Heideraums endlich einen Anspruch darauf, in ihrem Anspruch auf Frieden ernst genommen zu werden.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Sie werden nicht ernst genommen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205409600
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Nolting das Wort.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1205409700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Fuhrmann eine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, habe ich mich hier zu einer Kurzintervention gemeldet, um auf einige Punkte kurz einzugehen.
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Fuhrmann, daß Sie hier fürwahr einen ideologischen Kampf führen, der uns allerdings in der Sache nicht weiterbringt und nicht weiterbringen kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich denke, der Weg, der hier heute aufgezeigt wurde, ist der einzig richtige und führt uns zu den Erfolgen, die wir offensichtlich alle gemeinsam wollen.
Ich habe ferner den Eindruck, Herr Kollege Fuhrmann, daß Sie offensichtlich nicht für die Mehrheit der Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg sprechen. Allein schon Ihr Wahlergebnis spricht dagegen.
Ich möchte Sie aber noch auf einen Punkt hinweisen. Die SPD hat hier im November 1989 einen Antrag vorgelegt, in dem es in der Überschrift heißt: „Überprüfung und Aufhebung des Soltau-Lüneburg-Abkommens" . Unter II heißt es u. a. — ich zitiere — :
Ziel dieser Überprüfung soll die Verlegung der Übungen auf dafür geeignete Truppenübungsplätze innerhalb der nächsten zehn Jahre sein.

(Zuruf von der FDP: Aha!)

Wir erreichen dies jetzt innerhalb von drei Jahren. Deshalb bitte ich Sie, das was Sie hier heute an unrichtigen Dingen gesagt haben, wenigstens bei der Protokollüberprüfung richtigzustellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Offensichtlich ärgern Sie sich über den Erfolg, den wir hier gemeinsam mit der Regierung erzielt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dies kann und darf doch wohl nicht der politische Stil sein, in dem wir hier miteinander umgehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205409800
Da ich annehme, daß die Herren Abgeordneten Heistermann und Fuhrmann um eine Kurzintervention bitten, muß ich sie darauf aufmerksam machen, daß auf Grund des Rundschreibens der Präsidentin vom 19. März vereinbart wurde, daß .auf eine Kurzintervention nicht mit einer Kurzintervention geantwortet werden kann, und ich mich deswegen außerstande sehe, ihren Wünschen nachzukommen.
Deswegen erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Hennig das Wort.

(Norbert Gansel [SPD]: Aber danach können die Kollegen intervenieren!)

— Die Kollegen haben nach der Geschäftsordnung selbstverständlich das Recht zu einer persönlichen Erklärung.

(Norbert Gansel [SPD]: Nein, eine Kurzintervention nach dem Staatssekretär!)


Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID1205409900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist das dann nicht mehr nötig, lieber Herr Kollege Gansel. Ich glaube, wir sollten zu dem Wesentlichen zurückkommen. Ich bin dem Kollegen Nolting dankbar, daß er seine Bemerkungen hier gemacht hat, die dringend waren, weil der Jargon, in dem hier gesprochen wurde, zutiefst zu mißbilligen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Grunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt es am Prozeß der deutschen Einheit, daß wir jetzt auch zu einer Neugestaltung der Rechtsbeziehungen, auch des Stationierungsrechtes kommen können und daß wichtige rechtliche Signale bereits gesetzt wurden, die unsere wiedergewonnene Souveränität verdeutlichen.
Die Wiedervereinigung mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität erfordert auch eine Anglei-



Parl. Staatssekretär Dr. Ottfried Hennig
chung des Stationierungsrechts im Sinne von mehr internationaler Normalität, Gegenseitigkeit und Gleichheit im westlichen Bündnis. Diese positive Entwicklung ist gemeinsam und einvernehmlich auf dem Wege von Verhandlungen, wie dies unter befreundeten Staaten üblich ist, zu fördern. Als ein besonders gelungenes Beispiel solcher partnerschaftlichen Verhandlungen ist das Einvernehmen über das in absehbarer Zeit bevorstehende Ende militärischer Übungen im Soltau-Lüneburg-Gebiet hervorzuheben.
Meine Damen und Herren, am 17. Oktober 1991 haben Gerhard Stoltenberg und sein britischer Kollege Tom King eine Regelung vereinbart, die der britischen Armee schrittweise bis Mitte 1994 einen vollständigen Verzicht auf Übungen im Raum SoltauLüneburg erlaubt. Die Aufgabe des Gebietes ist wie folgt geplant. 1992 erfolgt die Aufgabe eines größeren Geländes südwestlich von Lüneburg und die Verlängerung der bisher vierwöchigen Sommerpause. Dabei werden sicher die Heideblüte und ähnliche Anliegen der ortsansässigen Bevölkerung zu berücksichtigen sein. 1993 erfolgt die Aufgabe des Gebietes ostwärts der Bundesautobahn 7 und die Beibehaltung der verlängerten Sommerpause. 1994 erfolgt die vollständige Einstellung der gesamten Übungstätigkeit in diesem Raum ab Mitte des Jahres.
Als Ausgleich für diesen Verzicht der britischen Streitkräfte stellt die Bundeswehr aus ihren Nutzungsanteilen auf verschiedenen anderen Truppenübungsplätzen den britischen Streitkräften die erforderlichen Nutzungskapazitäten zur Verfügung. Diese Vereinbarung wurde durch die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa und die daraus abgeleiteten Truppenreduzierungen möglich.
Beide Seiten, die britische wie die deutsche, haben erhebliche Zugeständnisse gemacht, um die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg zu entlasten. Die britischen Streitkräfte haben eine Rechtsposition aufgegeben, die ihnen das Abkommen aus dem Jahre 1959 einräumte. Ich meine, dies verdient ganz einfach Anerkennung, — wenn es geht, von allen Seiten dieses Hauses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es muß auch anerkannt werden, daß die Bevölkerung dieser Region in ganz besonderer Weise über 30 Jahre lang die Belastungen des militärischen Übungs- und Ausbildungsbetriebes getragen hat. Trotz der Reduzierung bleibt ein Teil der britischen Rheinarmee in Niedersachsen stationiert, so daß auch weiterhin dort ausgebildet werden muß — nicht an diesem Ort, aber im Lande Niedersachsen. Denn auch in Zeiten der Entspannung brauchen wir gut ausgebildete Streitkräfte in Europa.
Lieber Kollege Heistermann, ich weiß, daß Sie dies normalerweise akzeptieren. Wer dies nicht akzeptiert, wer die NATO in Frage stellt, wer mittelfristig ganz auf die Bundeswehr verzichten will, wie dies gelegentlich andere Mehrheiten tun, der ist in meinen Augen ein völliger Illusionist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese erhebliche Entlastung für den Raum SoltauLüneburg schon ab 1992 und die vollständige Einstellung des militärischen Übungsbetriebes bis Mitte 1994 ist ein Ergebnis erfolgreicher Bemühungen der Bundesregierung und der beiden Verteidigungsminister King und Stoltenberg im besonderen. Das Ziel, die militärischen Übungen der britischen Rheinarmee in Soltau-Lüneburg zu reduzieren und mittelfristig zu beenden, wie es zu Recht gefordert wurde, ist damit erreicht.
Mit den kanadischen Streitkräften wird noch eine entsprechende Vereinbarung geschlossen werden. Da die kanadischen Streitkräfte von ihrem Übungsrecht im Raum Soltau-Lüneburg wenig Gebrauch gemacht haben, erwarten wir hier keine Schwierigkeiten.
Meine Damen und Herren, die Regierung Kohl schafft wirklich Frieden mit weniger Waffen. Ich glaube, dies ist unser gemeinsamer Erfolg.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205410000
Bevor ich nun dem Abgeordneten Heistermann zu einer Kurzintervention das Wort erteile möchte ich noch folgendes feststellen: Ich hätte in der Tat die Möglichkeit gehabt, dem Abgeordneten Fuhrmann zu erlauben, auf die Kurzintervention des Abgeordneten Nolting als Redner zu antworten. Diese Möglichkeit hätte ich gehabt. Insofern habe ich eben falsch informiert. Ich bitte um Nachsicht. — Herr Abgeordneter Heistermann, Sie haben das Wort.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205410100
Ich möchte den Kollegen Nolting bitten, den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion auf Drucksache 11/8361 noch einmal nachzulesen. Dieser Antrag vom 29. Oktober 1990 enthält zwei Punkte, die ich vorlesen möchte, damit das auch im Protokoll richtig steht:
„Die Anträge in den Drucksachen 11/5665 und 11/6804 werden in folgender Fassung angenommen:
1. Gemäß Artikel 7 Abs. 2 SLA in Verbindung mit Artikel 82 Buchstabe b bzw. Artikel 82 Buchstabe c Doppelbuchstabe ii des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut ist durch die Bundesregierung von der Regierung des Vereinigten Königreichs eine Überprüfung des SoltauLüneburg-Abkommens mit dem Ziel seiner Aufhebung zu verlangen.
2. Die Ausbildungs- und Übungsvorhaben der britischen Rheinarmee sind unverzüglich in das System der dafür vorbehaltenen Einrichtungen und Truppenübungsplätze einzugliedern. ”
Bonn, den 29. Oktober 1990 Dr. Vogel und Fraktion
Das, was Sie hier vorgebracht haben, ist ein überholter Antrag. Um Ihr Wissen aufzufrischen, wollte ich das hier einmal zitieren.
Zweitens sage ich: Ich möchte den Herrn Staatssekretär Hennig bitten, Begriffe wie „Jargon" gegenüber einem Abgeordneten hier nicht zu benutzen. Es



Dieter Heistermann
steht dem Staatssekretär nicht zu, einen Abgeordneten zu klassifizieren.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Er wurde ja nicht selbst qualifiziert, sondern die Art seines Ausdrucks!)

Drittens darf ich dem Kollegen Nolting noch einmal sagen: Wer hier Wahlergebnisse als Qualifikation einführt — —

(Ulrich Irmer [FDP]: Unterstützung der Bevölkerung! — Günther Friedrich Nolting [FDP]: Zuhören!)

— Das Wahlergebnis in Soltau-Lüneburg bestätigt nicht, daß Sie für die Mehrheit sprechen, haben Sie geäußert. Ich sage: Da müßte man auch einmal auf die eigene Position zurückschauen und müßte fragen, ob man als FDP-Abgeordneter hier dann die Mehrheit für sich in Anspruch nehmen darf, Kollege Nolting.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205410200
Meine Damen und Herren, damit sind wir nun am Ende der Debatte über diesen Bericht der Bundesregierung.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage auf Drucksache 12/463 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch erhebt sich nicht. So ist es beschlossen, und ich kann den Tagesordnungspunkt 8 aufrufen:
a) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/ Linke Liste
Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei
— Drucksache 12/987 —
Überweisungsvorschlag :
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Vera Wollenberger und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Zur aktuellen Situation der Kurden am 16. März 1991, dem 3. Jahrestag von Halabja
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Lage der Kurden nach dem Golfkrieg
zu dem Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung
Die Lage im Irak und die Situation der irakischen Flüchtlinge, insbesondere der Kurden
— Drucksachen 12/279, 12/282, 12/373, 12/1362 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinrich Lummer Freimut Duve
Dr. Olaf Feldmann
Gerd Poppe
Der Ältestenrat schlägt Ihnen folgendes Verfahren vor: Es soll eine Aussprache mit einer Fünf-MinutenRunde stattfinden, wobei der Gruppe PDS/Linke Liste siebeneinhalb, d. h. acht Minuten — anders können wir es ja nicht einstellen — , zugebilligt werden. Von dieser Zubilligung, Frau Abgeordnete Jelpke, können Sie jetzt Gebrauch machen.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205410300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern im Innenausschuß gab es leichten Unmut, weil zwei Entschließungsanträge vom Februar dieses Jahres behandelt werden mußten. Nicht nur die Geschwindigkeit der Arbeit des Bundestages wird deutlich, wenn ich sage, daß es um die sowjetische Initiative zur Beendigung des Golfkrieges ging. Aufschlußreich ist bei der Lektüre dieser alten Anträge, daß die Probleme an Aktualität eher gewonnen als verloren haben.
Genauso ist es mit den heute zur Debatte stehenden Anträgen. Weder wurden die Minderheitenrechte der Kurden von der Bundesregierung im letzten Dreivierteljahr politisch oder praktisch unterstützt, noch wurde die dort geforderte humanitäre Unterstützung für die kurdischen Opfer des Golfkrieges geleistet, im Gegenteil: Die Menschenrechtssituation in der Türkei, speziell die der Kurden, hat sich dramatisch verschlechtert. Seit August hat die türkische Armee mehrfach tagelang kurdische Dörfer und Flüchtlingslager im Irak bombardiert. Gegenüber der Presse haben Vertreter der türkischen Regierung geäußert, daß die Bundesregierung vor den Bombardierungen informiert worden sei.
Die Tatsache, daß die türkische Armee gegen die Zivilbevölkerung mit Napalmbomben einen mörderischen Krieg führt, wird in der Presse nachgewiesen. Die Bundesregierung will bis heute diese Tatsachen nicht anerkennen und daraus keine Konsequenzen ziehen. Sie wolle erst prüfen, ob von den Bombardierungen im Irak auch die Zivilbevölkerung betroffen sei.
Fakt ist, daß trotz militärischer Verfolgung der Kurden von seiten der Türkei und trotz Vernichtungskrieg gegen die kurdische Bevölkerung die Bundesregierung an der diplomatischen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit festhält. Fakt ist, daß die Bundesregierung über Waffenlieferungen im Rahmen der NATO und über Polizeihilfe mit die materielle Voraussetzung für diesen Staatsterror gegen die kurdische Bevölkerung schafft.
Öffentliche Protesterklärungen aus dem Außenministerium in Richtung türkische Regierung, die mit keinerlei Konsequenzen verbunden sind, sollen das Einverständnis verschleiern. Während im Falle Jugoslawiens täglich öffentliche Überlegungen über Sanktionen, Beobachtergruppen und politische Konsequenzen angestellt werden, gibt es im Falle der Türkei nichts.
Meine Damen und Herren, im Juli dieses Jahres war ich anläßlich des Mordes an dem Vorsitzenden der kurdischen Oppositionspartei HEP, Vedat Aydin, und des Massakers gegenüber dem Trauerzug, an dem über 100 000 Menschen beteiligt waren, mit einer Delegation in der Türkei. Politische Verfolgung, Folter und Mord gehören in der Türkei zum Staatsgeschäft. In Diyarbakir berichtet uns die Augenzeugin



Ulla Jelpke
und Frau von Vedat Aydin, wie die politische Polizei ihren Mann entführte. Nur wenige Tage später wird Aydin schwer gefoltert und ermordet gefunden. Trotz Vermißtenmeldung — auch in der Zeitung — wird er nur wenige Stunden später als Unbekannter in Maden auf dem Friedhof verscharrt. Eine Autopsie der gefolterten Leiche fand gar nicht erst statt, geschweige denn eine Spurensicherung am Fundort der Leiche. Ein Verantwortlicher der türkischen Regierung sagt dazu kaltblütig: „Die Polizei war es nicht, denn die hätte die Leiche verschwinden lassen ... ”
Nicht weniger widersprüchlich sind die Ereignisse einige Tage später um das Massaker gegen den Trauerzug von über 100 000 Menschen in Diyarbakir. Maskierte Sonderheiten der Polizei schießen auf unbewaffnete Demonstranten. Mindestens sieben Menschen sterben, und über 500 Menschen werden schwerverletzt in Krankenhäuser gebracht, darunter auch Abgeordnete der HEP. Die Angehörigen kommen tagelang nicht in die Krankenhäuser, weil die Polizei diese zu Verhör- und Verhaftungszwecken belagert. Mehrere hundert Menschen werden verhaftet; bis heute werden einige festgehalten und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigt.
Meine Damen und Herren, wir selbst haben dort erlebt, daß die staatlichen Stellen in der Türkei alle erdenklichen Maßnahmen getroffen hatten, um eine Aufklärung zu verhindern. Daß die Mörder geschützt wurden, muß als indirektes Schuldeingeständnis gewertet werden. Die europäische und deutsche Öffentlichkeit hat diese Menschenrechtsverletzungen leider kaum zur Kenntnis genommen.
Unsere Delegation will sich damit nicht zufriedengeben. Medico hat bereits eine Dokumentation über diese Reise mit Augenzeugenberichten herausgegeben, und unsere Delegation hat eine internationale Untersuchungskommission gebildet, die sich weiter für die Aufklärung der Ereignisse um den Mord an Vedat Aydin und die Bestrafung der Verantwortlichen einsetzen will.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich unterstützen wir alle humanitären Maßnahmen, selbstverständlich unterstützen wir alle Maßnahmen, die hellen können, das Selbstbestimmungsrecht der Kurden zu verwirklichen. Selbstverständlich fordern wir, daß es keine Abschiebungen der Kurden in die Türkei geben darf. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, daß die Bundesregierung die Türkei bei ihrer Politik gegen die kurdische Bevölkerung nicht weiter unterstützt.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag, daß die Bundesregierung über ihre politischen, wirtschaftlichen, militärischen und polizeilichen Beziehungen zur Türkei einen genauen Bericht vorlegen muß. Weiter fordern wir, daß die Bundesregierung ausführlich darlegen muß, welche Anstrengungen sie unternommen hat, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu untersuchen, und zu welchen Ergebnissen sie dabei gekommen ist. Für die Bürgerinnen und Bürger der BRD wäre diese Transparenz wichtig, um nachzuvollziehen, wie sich die Zusammenarbeit zwischen der BRD und der Türkei exakt gestaltet. 1984 ließ sich die Bundesregierung von der bloßen Versprechung
des türkischen Regimes nach Demokratisierung verleiten, auf jährliche Berichte zur Situation der Menschenrechte in diesem NATO-Partnerland zu verzichten.
Deshalb denken wir, daß Sanktionen gegen die Türkei dringend nötig sind und daß keine Militärhilfe geleistet und keine Polizeiausbildungsprogramme gefördert bzw. daß keine Gelder für solche Zwecke zur Verfügung gestellt werden sollten.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205410400
Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1205410500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Punkt 8 b der Tagesordnung liegt eine Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vor. Dieser Beschlußempfehlung werden wir ausdrücklich zustimmen. Sie bezieht sich auf die drei Drucksachen, die die Lage der Kurden im ersten Halbjahr dieses Jahres zum Gegenstand haben.
Ich möchte mich zu Punkt 8 a der Tagesordnung äußern, nämlich zur Wiederaufnahme der Berichterstattung über die Lage in der Türkei. Der Deutsche Bundestag hatte am 5. Juni 1981 unter dem Eindruck des Militärputsches in der Türkei regelmäßige Berichte der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei erbeten. Die Bundesregierung hat am 2. Dezember 1982 und am 10. Februar 1984 entsprechende Berichte vorgelegt. Wir werden in den Ausschußberatungen darauf drängen — das ist unsere Position — , daß die Berichterstattung über die Lage in der Türkei wiederaufgenommen wird. Uns schwebt auch vor, daß der Bundesregierung für diese Berichterstattung eine bestimmte zeitliche Frist gesetzt wird.
Unsere Einschätzung ist, daß die gegenwärtige Lage in der Türkei außerordentlich schwierig ist. Es gibt systematisch Folter, Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit und im Gegensatz zur Zusage von Präsident Özal die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur und die Unterdrückung demokratischer Rechte insbesondere im Osten der Türkei.
Ein Hintergrund dafür ist sicherlich die schwierige Lage, die wir hier vorfinden. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß es in der Tat terroristische Übergriffe der PKK gibt und daß sich daraus eine innenpolitische Lage ergibt, die dazu führt, daß sich die Gruppierungen gegeneinander hochschaukeln. Die Aktivitäten der PKK führen zu Aktivitäten von Sondereinheiten und ähnlichem. Wenn man mit Freunden aus der Türkei spricht, wird einem erklärt: In dieser Region herrscht schlicht Krieg, und im Krieg gelten bestimmte innere Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten, die üblicherweise gelten, nicht. Ich will dazu sagen: Sie galten auch vorher unter dem Militärregime nicht. Auch kann eine solche Position keine Begründung dafür sein, alles an menschlicher Selbstbestimmung und an Schutz der Menschenrechte außer Kraft zu setzen.



Gerd Andres
Man muß festhalten, daß die Türkei eine ganze Reihe von internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet hat, daß sie Mitglied im Europarat ist, daß sie Mitglied des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses ist und daß sie als assoziiertes Mitglied der EG Antrag auf die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft gestellt hat. Es ist vor dem Hintergrund dieser Tatsachen für uns bedeutsam, daß wir unseren Einfluß wahrnehmen und die Bundesregierung auffordern, auf die Türkei einzuwirken, daß einerseits die Herstellung von Demokratie und Menschenrechten gewährleistet wird und daß andererseits völkerrechtswidrige Übergriffe auf andere Staatsgebiete im Zusammenhang mit der Kurdenfrage unterlassen werden.
Ich will als zusätzliche Position festhalten, daß nicht zu verkennen ist, daß es seit 1981 auch Entwicklungen gegeben hat. Beispielsweise die Zusage durch Özal im Frühjahr dieses Jahres, die kurdische Sprache zuzulassen,

(Ulla Jelpke [PDS/Linke Liste]: Aber nicht die politische!)

halten wir für einen wichtigen Schritt und für ein wichtiges Zeichen. Dennoch gehört für unsere Begriffe zur Identität und zur Selbstbestimmung von Minderheiten etwas mehr. Deswegen wäre es notwendig — darüber muß gestritten und diskutiert werden — , daß erstens der Entwicklungsprozeß, der hier stattgefunden hat, nicht gestoppt und umgedreht wird und daß man zweitens überlegt, wie man das Bündnisland Türkei in vielfältiger Hinsicht dazu bewegen kann, die eingeschlagene Entwicklung fortzusetzen.
Ich will einen letzten Aspekt nennen, weil er für uns wichtig ist. Ich denke, man muß zur Kenntnis nehmen, daß wir es mit einem dramatischen Anstieg der Asylbewerber aus der Türkei zu tun haben und daß das ein Reflex auf die innenpolitische Lage in der Türkei ist. Die Bundesregierung muß in diesem Zusammenhang zur Kenntnis nehmen, daß die Anerkennungsquote bei türkischen Asylbewerbern Stück für Stück angestiegen ist. Das ist ein Hinweis darauf, daß wir es hier nicht mit Menschen zu tun haben, die so einsortiert werden können, wie das in den tagespolitischen Debatten üblicherweise der Fall ist, sondern daß wir es in ganz, ganz erheblichem Ausmaß mit Menschen zu tun haben, die aus politischen, kulturellen, ethnischen oder sonstigen Gründen in ihrem Herkunftsland, der Türkei, verfolgt werden und damit einen Anspruch darauf haben, bei uns Asyl zu finden.
Unsere Kernposition in diesem Zusammenhang ist, mit der Zahl der Asylbewerber in der Art und Weise umzugehen, daß wir in den Herkunftsländern dafür sorgen, daß die Menschen erst gar nicht vor der Notwendigkeit stehen, bei uns Asyl zu suchen. Auch das ist ein Hinweis darauf, daß die Bundesregierung, daß die Bundesrepublik Deutschland sehr genau überlegen muß, wie sie in diesem Zusammenhang mit unserem Bündnispartner, mit dem Land Türkei umgeht. Die Einzelschritte und die Maßnahmen seien dem Ausschuß vorbehalten. Wir unterstützen nachdrücklich die Wiederaufnahme der Berichterstattung.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205410600
Nun erteile ich dem Abgeordneten Gerhard Reddemann das Wort.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1205410700
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Auswärtige Ausschuß legt dem Haus eine mit großer Mehrheit verabschiedete Beschlußempfehlung vor, in der unmißverständlich der im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte verbriefte Menschenrechtsschutz für die Kurden angemahnt wird. Die Mahnung richtet sich an den Irak, an den Iran, an Syrien, an die Türkische Republik und an die Sowjetunion, also an alle jene Staaten, in denen Kurden seit Jahrhunderten leben.
Die Aufzählung der Staaten allein verdeutlicht aber bereits, daß das Kurdenproblem nicht nur ein Problem dieses geteilten Volkes ist, sondern ein Problem einer ganzen Region, ein Problem, das wir mit einer Reihe von Staaten gemeinsam lösen müssen.
Ich gestehe, daß ich im Augenblick außer in der hier wieder so stark kritisierten Türkischen Republik keine Bereitschaft bei den anderen Regierungen finde, überhaupt über die Kurden zu sprechen. Ich habe das in der letzten Woche erst wieder in Teheran erlebt.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben eben immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Staaten der Region stattgefunden, bei denen sich die Kurden instrumentalisieren ließen und einmal für die eine und einmal für die andere Regierung gegen den jeweiligen Nachbarstaat gekämpft haben. Der Haß, der uns in den Gesprächen über die Menschenrechte für die Kurden oft genug entgegenschlägt, besitzt in diesen Kriegen seinen Ursprung. Ich stelle das nur fest und werte es nicht, aber ich meine, wir müssen ein bißchen mehr über die Sache nachdenken als bei nur tagespolitischen Auseinandersetzungen.

(Staatsminister Helmut Schäfer: So ist es!)

Ich weiß nicht — und das sage ich ganz offen —, wie andere Völker reagiert hätten, wenn sie wie das kurdische Volk nach dem Ersten Weltkrieg in ihrem Siedlungsgebiet plötzlich in fünf Staaten aufgeteilt worden wären.
Aber die Aufforderung in der Beschlußempfehlung, meine Damen, meine Herren, daß sich der Europarat speziell um das kurdische Problem kümmern solle, nehme ich gern sehr ernst. Wir haben im Europarat bereits seit Jahren versucht, auf Gesprächsebene mit den verschiedenen Regierungen das Thema der Kurden nicht nur in der Öffentlichkeit publik zu machen, sondern vor allem auch lösbar zu machen, was ich für viel wichtiger halte als demonstrative Erklärungen im Bundestag, in Zeitungen oder im Fernsehen.
Ich begrüße wie mein Vorredner ausdrücklich, daß sich die türkische Regierung in der letzten Zeit entschieden hat, die kurdische Identität nicht mehr zu bestreiten, und wenigstens den Anfang gemacht hat, die kurdische Sprache wieder zu akzeptieren, damit nicht nur den kulturellen Zusammenhang dieses Vol-



Gerhard Reddemann
kes zu akzeptieren, sondern das auch als eine zukunftsweisende Möglichkeit anzusehen. Aber ich füge ausdrücklich hinzu: Dies ist nur der richtige Weg, es ist noch nicht das Ziel, das wir anstreben.
Ich möchte nicht, daß wir uns in einer merkwürdigen Demonstration über die Kurden unterhalten, sondern ich möchte, daß wir mit den Kurden über die Möglichkeiten sprechen. Ich darf dem Hause mitteilen, daß ich als Vorsitzender des Politischen Ausschusses im Europarat für Januar die verschiedenen Gruppierungen der Kurden zum Europarat eingeladen habe, damit wir gemeinsam mit Vertretern der Nachbarstaaten das Problem angehen können.

(Staatsminister Helmut Schäfer: Sehr gut!)

Meine Damen, meine Herren, ich habe seit dem damaligen Militärputsch die Entwicklung in der Türkischen Republik im Sonderausschuß Türkei des Europarats intensiv verfolgt. Wir haben als Gremium des Europarats damals Schritt für Schritt mit den seinerzeitigen Machthabern die Rückkehr zur Demokratie vorbereitet und auch die Rückkehr zur Achtung der Menschenrechte. Ich füge hinzu: Wir wollen diesen Weg weitergehen, weil wir feststellen, daß er eine Fülle von Möglichkeiten bietet.
Deswegen darf ich Ihnen heute empfehlen, der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zuzustimmen, aber auf der anderen Seite nicht die Wiederaufnahme der Berichterstattung, die seinerzeit im Zusammenhang mit dem Militärputsch eingeführt worden war, zu akzeptieren.
Ich füge hinzu: Ich würde lieber neuere Berichte über den GULag der Genossen Zaisser, Wollweber und Mielke hören als propagandistische Debatten, die zu nichts führen, auch wenn sie von dem einen oder anderen möglicherweise guten Herzens geführt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205410800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poppe.

Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205410900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorab eine kurze Bemerkung zum Stellenwert dieser Debatte. Wir halten es nicht gerade für eine glückliche Idee, zwei solche Themenkomplexe, wie die verzweifelte Lage der Kurden im Irak und in der Türkei einerseits und die allgemeine Menschenrechtssituation in der Türkei andererseits mal eben kurz vor der Mittagspause in Fünf-Minuten-Beiträgen abzuhandeln.

(Gerd Andres [SPD]: Sehr richtig! — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Einverstanden!)

Weder den Kurden im Irak, die im Oktober zum dritten Mal von der türkischen Luftwaffe bombadiert wurden, noch ihren Landsleuten in den kurdischen Provinzen der Türkei, denen seit Jahrzehnten elementarste Menschenrechte vorenthalten werden, noch den Millionen von Türken, die ohnmächtig zusehen müssen wie sich ihre Machteliten auf Kosten der individuellen Freiheitsrechte erfolgreich als treue NATO-Verbündete verkaufen, werden wir mit dieser Form der Auseinandersetzung gerecht.
In der gemeinsamen Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zur Lage der Kurden sind wichtige Forderungen enthalten, die die Haltung der Bundesregierung gegenüber dem kurdischen Volk wohl positiv beeinflussen können, wenn sie sich in praktische Politik umsetzen lassen. Daß wir der Beschlußempfehlung gleichwohl nur mit Vorbehalten zustimmen, werden Sie sicher verstehen, wenn Sie sich die erheblich weitergehenden Forderungen unserer ursprünglichen Anträge zum Vergleich heranziehen. Diese Anträge wurden am 19. März bzw. am 16. April eingebracht und haben natürlich inzwischen einen erheblichen Teil ihrer Aktualität eingebüßt. Damals waren die Kurden auf der Flucht, und was wir befürchteten, hat sich leider bestätigt. Nach der Rückkehr in ihre Wohngebiete hat sich die Lage der Kurden nicht verbessert. Es gibt Anzeichen dafür, daß ihnen die nächste Fluchtwelle bevorsteht. Die Hilfsorganisation Cap Anamur hat vor einigen Tagen vermutet, daß ein weiterer irakischer Angriff auf die Kurden bevorstehen könnte. So ist wohl Skepsis angebracht, auch wenn der Bundestag heute mit großer Mehrheit der Beschlußempfehlung zustimmen wird. Uns ist bewußt, daß unsere Forderungen an ein skurpelloses Regime im Irak gerichtet sind, das an einer wirklichen Lösung der Kurdenproblematik gänzlich uninteressiert ist.
Andererseits ist aber auch der andere Ansprechpartner, die Türkei, in keiner Weise bereit, auch nur die elementarsten Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Türken und Kurden innerhalb des türkischen Staatsgebietes friedlich miteinander oder doch wenigstens unter Gewaltverzicht nebeneinander leben können. Das wird durch die skandalösen Äußerungen in einem „Spiegel"-Interview belegt, mit denen Präsident Özal kürzlich den Kurden in der Türkei schlicht das Existenzrecht als eigenständige Kulturnation bestritten hat. Das sage ich gerade Ihnen, Herr Vorredner, weil es nicht so ist, daß die eigenständige kurdische Identität in der Türkei akzeptiert wird.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Das ist inzwischen überholt, Herr Kollege!)

— Dieses Interview ist nicht sehr alt; es ist vor wenigen Wochen entstanden, und es wird sich wahrscheinlich an der Auffassung von Herrn Özal nichts Wesentliches verändert haben.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Wie lange ist Herr Özal noch im Amt?)

— Herr Özal steht damit nicht allein. Es gibt nicht nur den Präsidenten, sondern es gibt Anzeichen dafür, daß die Kreise, die statt seiner an die Macht kommen, keine wesentlich andere Position haben werden. Herr Özal würde wahrscheinlich für sein Interview auch von einer Mehrheit in der Türkei Beifall bekommen, selbst von vielen Demokraten, die ihrerseits wieder mutig für die Verbesserung der Menschenrechtssituation gekämpft haben. Minderheitenrechte und Minderheitenschutz sind in der kemalistischen Staatsideologie gänzlich unbekannt, und deshalb wird die Türkei noch auf lange Zeit ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit europäischer Menschenrechtspolitik bleiben.
Gerade in jüngster Zeit ist von der Bundesregierung und von Politikern aller Parteien immer wieder der



Gerd Poppe
hohe Stellenwert betont worden, den die Einhaltung der Menschenrechte und ein damit unauflöslich verbundener aktiver Minderheitenschutz für die bundesdeutsche Außenpolitik hat. Von daher sollte es eigentlich kein Problem sein, auch dem Antrag zu folgen, der die Wiederaufnahme einer regelmäßigen Berichterstattung zur Menschenrechtssituation in der Türkei zum Inhalt hat.
Nicht genug damit: Die Bundesregierung sollte gegenüber der Türkei nun endlich einmal unmißverständlich klar machen, daß die Mißachtung der Menschenrechte nicht länger hingenommen wird. Wie uns der Krieg in Jugoslawien beweist, bleibt das bloße Nachdenken über Sanktionen völlig wirkungslos.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205411000
Nun spricht der Abgeordnete Zurheide.

Burkhard Zurheide (FDP):
Rede ID: ID1205411100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male besteht Anlaß für den Deutschen Bundestag, sich mit der Situation der Kurden zu beschäftigen, die als ethnische, sprachliche und religiöse Minderheit in insgesamt fünf Staaten leben: in der Türkei, im Irak, im Iran, in Syrien und in der Sowjetunion. Das Bemühen der Kurden, als Nation mit eigener Kulturgeschichte anerkannt zu werden, ist in der Vergangenheit immer wieder in teilweise brutaler Form unterdrückt und bekämpft worden.
Das Augenmerk der Weltöffentlichkeit wurde auf die Situation der Kurden gelenkt, als Saddam Husseins Streitkräfte am 16. März 1988 massiv gegen kurdische Aufständische vorgingen und dabei sogar Giftgas einsetzten, dem kurdische Zivilbevölkerung zum Opfer fiel.
Drei Jahre nach Halabja ließ Saddam Hussein erneut Kurden bekämpfen, und zwar noch zu einem Zeitpunkt, als diese sich auf der Flucht befanden. Der Versuch Saddam Husseins, die irakischen Kurden zu vertreiben, um das Problem auf diese Weise zu lösen, ist zum Glück gescheitert.

(Beifall bei der FDP)

Gleichwohl sind die Kurden noch heute weit davon entfernt, in den Ländern, in denen sie leben, die durch internationale Abkommen verbrieften Minderheitenrechte genießen zu können.
Es muß mit Entschiedenheit auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen und mit allen zulässigen Mitteln dafür gesorgt werden, daß die kurdischen Minderheiten in allen Ländern, in denen sie beheimatet sind, gleiche Rechte haben wie die dort lebenden Mehrheiten.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

Der freie Gebrauch der eigenen Sprache ist dabei von elementarer Bedeutung. Es ist aber nicht genug, wenn nur der Gebrauch der kurdischen Sprache gestattet wird. Es muß die Möglichkeit geschaffen werden, die kurdische Sprache in der Schule oder in anderen Bildungseinrichtungen zu erlernen. Gebrauch
der Sprache bedeutet auch immer ihre Anwendung im täglichen Leben. Die Kurden müssen die Möglichkeit erhalten, z. B. Zeitungen in ihrer eigenen Sprache herauszugeben. Einen ersten bescheidenen Schritt hat die Türkei durch die ersatzlose Abschaffung ihres Sprachengesetzes am 12. April dieses Jahres vollzogen.
Formal haben die Kurden in der Türkei gleiche Rechte wie die übrigen türkischen Staatsbürger. Rechtlich existiert keine ethnische Diskriminierung, die etwa durch Gesetz festgeschrieben wäre. Auch dies sollten wir zur Kenntnis nehmen.
Gleichwohl ist es an der Zeit, an die Türkei als Bündnispartner klare Worte zu richten. Wir erkennen an, daß sich die Türkei auf Grund der zunehmend als militärisch zu bezeichnenden Gewaltaktionen der Kurdischen Arbeiterpartei, der PKK, besonderen Herausforderungen ausgesetzt sieht. Wir verkennen auch nicht, daß es das Ziel der marxistisch orientierten PKK ist, auf lange Sicht durch Einsatz militärischer Gewalt die Schaffung eines kurdischen Nationalstaats zu erzwingen. Die Türkei hat das Recht, sich terroristischer Angriffe zu erwehren und die territoriale Integrität des Staates zu schützen.
Dies alles — ich meine, das sollte auch angesprochen werden — rechtfertigt natürlich nicht Luftangriffe, die das türkische Militär in den letzten Wochen hat fliegen lassen und bei denen offensichtlich auch Zivilbevölkerung zu Schaden gekommen ist. Ich meine, daß die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gegeben gewesen ist.

(Beifall bei der FDP)

Der Bundesaußenminister hat diese Aktionen der Türkei verurteilt. Wir unterstützen ihn dabei ausdrücklich. Diese Haltung, die sich an den Menschenrechten orientiert, kann nicht dadurch relativiert werden, daß sich die Türkei in der Vergangenheit als zuverlässiger Partner erwiesen hat und den irakischen Flüchtlingen humanitäre Hilfe zuteil werden ließ.
Gleichwohl — das möchte ich bei dieser Gelegenheit nochmals betonen — ist die Situation der Kurden in der Türkei von allen in Frage kommenden Ländern rechtlich noch am besten. Auch das muß an dieser Stelle gesagt werden.
Eine Lösung des Problems der kurdischen Minderheiten in den fünf Staaten, in denen sie leben, kann nur auf friedlichem Wege erreicht werden. Allen Beteiligten muß deutlich gemacht werden, daß Gewalt, insbesondere militärische Gewalt, die berechtigten Forderungen der Kurden, deren politische Repräsentanten überwiegend kooperations- und gesprächsbereit sind, nicht durchsetzen kann. Solange — in welcher Form auch immer — Gewalt ausgeübt wird, ist ein friedliches Miteinander nicht möglich, denn Gewalt — egal, von welcher Seite — erzeugt immer wieder Gegengewalt und führt zu einer eskalierenden Repression. Es ist zu hoffen, daß der internationale Druck auf alle Seiten verstärkt werden kann, so daß das kurdische Volk schon bald unter Achtung seiner kulturellen Identität sicher und unbehelligt leben kann.



Burkhard Zurheide
Ich empfehle Ihnen daher, die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses anzunehmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205411200
Ich erteile zum Schluß Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205411300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in diesem Hause in letzter Zeit zu dieser Frage wiederholt Stellung genommen. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß die Bundesregierung ausweicht. Wir vollführen auch keine „Eiertänze", wie ein Journalist heute in der „Zeit" feststellt, den ich im Deutschen Bundestag bisher selten gesehen habe,

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Das ist ein „Zeit”-Genosse!)

der aber die Protokolle offensichtlich wenig sorgsam liest und falsche Schlüsse daraus zieht.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr wesentlich, daß noch einmal zusammengefaßt wird, was zu diesem Thema gesagt werden muß.
Es kann kein Zweifel daran sein — das ist mehrfach zum Ausdruck gekommen — , daß die Menschenrechtslage in der Türkei in vielen Bereichen nach wie vor bedrückend ist;

(Gerd Andres [SPD]: Richtig!)

daß der Polizei immer wieder vorgeworfen wird, daß sie Personen in ihrem Gewahrsam foltert; daß solche Vorwürfe international und national untersucht werden, z. B. im Europarat — darauf hat Kollege Reddemann dankenswerterweise hingewiesen —; daß Aufklärung und strafrechtliche Ahndung von Einzelfällen durch die türkischen Behörden nicht immer unseren Erwartungen entsprechen.
Bedauerlich, meine Damen und Herren — das müssen Sie bei der Beschäftigung mit diesem Lande aber auch zur Kenntnis nehmen —, ist sicher auch, daß der zunehmende Druck der linksextremen, des kurdischradikalen und auch des fundamentalistischen Terrorismus reformfeindliche Kräfte in der Türkei stärkt

(Gerd Andres [SPD]: Richtig!)

und die Entwicklung eines für Reformen günstigeren politischen Klimas behindert.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Das ist leider so!)

Zu den Fortschritten, die wir in der Türkei sehen und anerkennen müssen — sonst wird die Türkei langsam zum einzigen Prügelknaben der Deutschen; das muß man hier einmal sagen —, gehören die Abschaffung der Todesstrafe bei bestimmten Delikten — was in einer ganzen Reihe von anderen Staaten noch nicht der Fall ist — sowie die Abschaffung einer ganzen Reihe von Strafnormen, wie z. B. der sogenannten Gesinnungsstraftatbestände, mit denen die Bildung staatsfeindlicher Vereinigungen sowie staatsfeindliche und religiöse Propaganda früher unter Strafe gestellt waren; das gibt es jetzt nicht mehr.
Es sind zwei Verfahren, die uns in der Vergangenheit sehr beschäftigt haben, durch Freisprüche beendet worden: zum einen der Massenprozeß gegen 264 Funktionäre des Revolutionären Gewerkschaftsbundes, DISK, zum anderen das Verfahren gegen die Führer der Türkischen Kommunistischen Partei. Eine Amnestie für politische Straftaten ist schätzungsweise 46 000 Häftlingen zugute gekommen. Ich bitte, das auf der Positivseite eines immerhin demokratischen Staates, der gerade sein Parlament neu gewählt hat, zu vermerken. Sämtliche in der Türkei verhängten rechtskräftigen Todesurteile wurden inzwischen in Haftstrafen umgewandelt.
Zur Kurdenproblematik: Es kann kein Zweifel daran sein — Herr Zurheide hat das noch einmal sehr klar dargestellt — : Wir wollen — dafür haben wir uns immer eingesetzt —, daß die kulturelle, die sprachliche Identität der kurdischen Minderheit in der Türkei berücksichtigt wird. Im übrigen dürfen Sie aber nicht immer nur die Minderheit sehen, sondern müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Türkei heute eine Bevölkerung mit 10 Millionen Kurden hat. Das heißt: Ein Fünftel der türkischen Bevölkerung ist kurdisch, und zwar keineswegs nur im kurdischen Sprachraum, sondern längst integriert in der Türkei.

(Monika Ganseforth [SPD]: Aber der Vorwurf trifft niemanden hier im Haus!)

— Wir reden hier von den Kurden, die in dem Gebiet Ostanatolien leben, wo die schlimmen Auseinandersetzungen stattfinden; das ist richtig.
Die Hindernisse, die einer freien Entfaltung dieser Identität entgegenstehen, werden nur sehr zurückhaltend abgebaut; das wissen wir. Entscheidend für uns bleibt — ich sage das noch einmal in aller Deutlichkeit — : Die im Grundsatz berechtigte Abwehr von Terrorismus und Separatismus darf die Grenzen des Rechtsstaates nicht verletzen und auch nicht das Völkerrecht brechen. Das ist vollkommen klar.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Aber wir wissen, daß Liberalisierungsansätze in der Kurdenpolitik nicht nur in der Türkei umstritten sind. Auch in benachbarten Staaten — Herr Zurheide hat darauf hingewiesen, daß Kurden nicht nur in der Türkei leben — stoßen sie auf große Skepsis. Es gibt nicht mehr das osmanische Reich, in dem die Kurden zusammenleben konnten, ohne durch Grenzen getrennt zu sein. Es gibt auch kein — wie manche deutsche humanistische Organisation sich das vorstellt — Kurdistan — ich werde oft angeschrieben, ich solle mich für die Freiheit Kurdistans einsetzen —, das gibt es nur bei einem berühmten Schriftsteller.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Der nie da war!)

— Gut, ich will das jetzt nicht fortsetzen.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Wir haben immer wieder zu den türkischen Militäraktionen kritisch Stellung genommen. Sie müssen bitte auch anerkennen, daß es intensive diplomatische Bemühungen in Ankara gegeben hat — die keineswegs allein vom deutschen Botschafter ausgegangen sind — und daß wir der Türkei wiederholt deutlich



Staatsminister Helmut Schäfer
gemacht haben, daß wir — auch im Interesse einer langen deutsch-türkischen Freundschaft — die Türkei davor gewarnt haben, durch solche Übergriffe eine ganz schwierige Lage heraufzubeschwören und sich zu Recht international zu isolieren.
Das möchte ich aber auch noch einmal sagen, meine Damen und Herren: wenn sich in Deutschland im Gegensatz zu allen unseren europäischen Nachbarstaaten die Kritik an der Türkei mehr und mehr in ständigen öffentlichen Attacken und in einer Politik der Ausgrenzung erschöpft, tun wir den Kurden keinen Gefallen.

(Ulla Jelpke [PDS/Linke Liste]: Das fordern Sie doch selber!)

Ich würde dringend darum bitten — und möchte das noch einmal sehr unterstreichen — , daß wir uns sowohl von Regierung zu Regierung, aber auch von Parlament zu Parlament darum bemühen, unsere Sorgen und unsere Kritik anzubringen, und daß dies nicht in der Form der öffentlichen Anklage geschieht, sondern in der permanenten unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Türken selbst und uns nahestehenden türkischen Parteien. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß seit der letzten Wahl im Oktober 23 Abgeordnete der Kurden im Parlament sitzen und zum erstenmal auch die Möglichkeit haben, ihre Rechte in ihrem Parlament sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen. Worum es uns nur geht — und das ist eben kein „Eiertanz" — : Wir sollten bei der Auseinandersetzung vorsichtig sein mit Begriffen wie, es würde ein „Vernichtungskrieg" gegen die Kurden geführt. Meine Damen und Herren, das ist einfach so nicht richtig.
Ich darf Ihnen darüber hinaus folgendes sagen, nachdem Sie behauptet haben, wir hätten für die Kurden nichts getan. Die deutsche Kurdenhilfe im Zusammenhang mit der Verfolgung der Kurden durch den Irak hat über 80 Millionen DM betragen. Ich bitte Sie, dies einmal mit der Unterstützung zu vergleichen, die andere Staaten geleistet haben. Ich warne davor, auf Grund miserabler Kenntnisse hier Behauptungen aufzustellen, die in keiner Weise zutreffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im übrigen beantworten wir gerade Ihre Große Anfrage.
Eine letzte Bemerkung noch zu Herrn Andres. Es tut mir leid — ich bin wirklich Ihrer Meinung, Herr Poppe — , wir hätten vielleicht doch ein bißchen länger zur Türkei als zu Soltau-Lüneburg sprechen müssen. Herr Andres, ich wollte nur sagen, es ist nicht ganz zutreffend, daß sich die Asylantenzahl durch die Kurden so dramatisch verstärkt habe; das stimmt nicht.

(Gerd Andres [SPD]: Habe ich nicht gesagt!)

Es ist bislang und auch jetzt noch nur etwa 4 % der türkischen Bewerber um Asyl aus politischen Gründen Asyl gewährt worden. Es ist also nicht zutreffend, daß Menschenrechtsverletzungen im Irak dazu geführt hätten, daß die Asylantenzahl hier beträchtlich gestiegen sei.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205411400
Weitere Wortmeldungen, meine Damen und Herren, liegen nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/987 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich kann das als beschlossen feststellen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 12/1362. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Gruppe PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.
Wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgeführt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 12.58 Uhr bis 14.00 Uhr)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205411500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 12/1447 —
Zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern liegen noch drei Fragen vor, nämlich die Frage 40 des Abgeordneten Gerd Wartenberg (Berlin) und die Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Ingrid Köppe. Die Fragesteller haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der eingereichten Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Ottfried Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Monika Ganseforth auf:
Welches sind die Gründe und die Rechtsgrundlage, nach der den Beschäftigten des Lufttransportgeschwaders (LTG) 62 in Wunstorf auch bei einer Versetzungsbereitschaft im Rahmen der Verlegung des Transportgeschwaders nach Briest/Brandenburg die Übernahme an den neuen Standort verweigert wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID1205411600
Frau Kollegin, für das Zivilpersonal des Lufttransportgeschwaders 62 liegen zur Zeit noch keine konkreten Umsetzungsplanungen vor, zumal sich die Organisationsmaßnahmen bis Ende 1994 erstrecken. Die Feststellung jedoch, daß versetzungsbereiten Mitarbeitern die Übernahme an den neuen Standort Brandenburg/Briest verweigert wird, ist ebenso wenig bekannt wie Rechtslagen, die einer Versetzung entgegenstehen. Vielmehr ist die



Parl. Staatssekretär Dr. Ottfried Hennig
Versetzung von Mitarbeitern der betroffenen Dienststelle an den neuen Dienstort mit Priorität zu betreiben.
Hinzu kommt, daß mit der geplanten Stationierung des Flugzeugmusters Transall C 160 in Brandenburg/ Briest ein Bedarf an zivilen Mechanikern auf allen Gebieten der Luftfahrzeugtechnik entsteht, der mit dem vor Ort vorhandenen Personal bei weitem nicht gedeckt werden kann.
Die Bereitschaft des in Wunstorf tätigen Personals, sich nach Brandenburg/Briest versetzen zu lassen, ist daher ausdrücklich zu begrüßen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205411700
Frau Ganseforth, eine Zusatzfrage, bitte.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1205411800
Herr Staatssekretär, was spricht dagegen, diese Information auch dem Personalrat des Lufttransportgeschwaders und den Beschäftigten vor Ort zu geben, die mich gebeten haben, diese Frage zu stellen?
Dr. Ottfried Hennig, Parl. Staatssekretär: Nichts, Frau Kollegin. Im Gegenteil, ich werde das umgehend veranlassen, wenn es noch nicht geschehen sein sollte. Dies ist in der Tat ein wichtiger Teil eines sozialverträglichen Umsetzens dessen, was beschlossen worden ist.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205411900
Noch eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1205412000
Sie sagten, daß über die Umsetzung der Planung noch nachgedacht werde. Auch dazu habe ich die Frage — die eine Bitte enthält — , ob die Beschäftigten selber, aber auch die betroffenen Kommunen bei diesem Vorgang besser einbezogen und früher informiert werden, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Dr. Ottfried Hennig, Pari. Staatssekretär: Frau Kollegin, von Vergangenheit kann insofern kaum die Rede sein, als erst im August die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung ergangen ist, was wo stationiert wird. Wir sind jetzt am Anfang der dreieinhalbjährigen Umsetzungsphase. Ich habe gesagt, daß sich diese Maßnahmen bis Ende 1994 erstrecken werden. Wir können also im Augenblick noch nicht für die einzelnen Betroffenen sagen, wie sie umgesetzt werden. Aber die Tendenz ist so, wie ich sie Ihnen beschrieben habe. Wir wollen das natürlich mit den Betroffenen besprechen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205412100
Ich rufe die Frage 9 der Frau Abgeordneten Monika Ganseforth auf:
Wie soll das Gelände des Fliegerhorstes Wunstorf einschließlich der Gebäude nach der Verlegung des LTG 62 nach Briest/Brandenburg genutzt werden, bzw. wird es zu einer sinnvollen zivilen Nutzung durch die Stadt Wunstorf oder zur Rückführung in die ursprüngliche landwirtschaftliche Nutzung freigegeben?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Ottfried Hennig, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auf dem Gelände des Fliegerhorstes verbleiben nach der Verlegung des LTG 62 weiterhin die Luftwaffenwerft 21 und die Luftwaffenwerft 22, die unverändert ihre Unterkunftsbereiche nutzen werden. Die Flugbetriebsflächen sollen erhalten bleiben, um den Platz im Bedarfsfall — nach einer dann allerdings längeren Vorbereitungszeit — wieder fliegerisch betreiben zu können. Konkrete Anfragen hinsichtlich einer zivilen Nutzung von Einrichtungen der Liegenschaft werden im Bundesministerium der Verteidigung geprüft werden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205412200
Eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1205412300
Wenn die Flächen für einen eventuellen Bedarf eingemottet werden — wie ich mit meinen Worten sagen würde — , bedeutet das für die betroffenen Kommunen und für die Region, die ja durch die Freisetzung einer großen Zahl von Mitarbeitern ziemlich belastet sind, eine schwierige Situation. Wäre es nicht eine Möglichkeit, den Kommunen und der Region entgegenzukommen, indem Liegenschaften für die zivile Nutzung, etwa für Gewerbeansiedlung, zur Verfügung gestellt würden?
Dr. Ottfried Hennig, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dies werden wir, wenn es soweit ist, sehr gerne prüfen. Ich kann Ihnen jetzt nur in groben Zügen sagen, daß die beiden Werften dort bleiben und daß auch die Flugbetriebsflächen, d. h. die Rollbahnen im eigentlichen Sinne, zumindest nach mittelfristiger Vorbereitungszeit benutzbar bleiben sollen. Eine zivile Nutzung oder Teilnutzungen von Einrichtungen der Liegenschaft werden zu prüfen sein, wenn wir mit der Planung ein Stück weiter sind.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205412400
Frau Ganseforth, eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1205412500
In der Region bestehen Befürchtungen, daß der Flughafen in der vorübergehenden Zeit für zivile Hubschrauber, für Hobbyflieger und ähnliches zur Verfügung steht, nicht aber für Dinge, die der Region — außer Belastungen — konkret etwas bringen. Können Sie diese Gefahr ausschließen?
Dr. Ottfried Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur auf meine Antwort verweisen, daß wir alle Anfragen in bezug auf eine zivile Nutzung zu gegebener Zeit prüfen werden. Dies alles ist aber bis zur Stunde noch nicht entschieden. Ich kann Ihnen dazu definitiv nichts sagen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205412600
Herr Staatssekretär Dr. Hennig, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Die Frage 10 und die Frage 11 der Abgeordneten Claire Marienfeld und die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Wir begrüßen unter uns zur Beantwortung Frau Staatsministerin Ursula SeilerAlbring.



Vizepräsident Helmuth Becker
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Jochen Welt auf:
Was hat die Bundesregierung nach dem Parteiengespräch unternommen, um die Ausländerbehörden bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber dahin gehend zu unterstützen, daß die Beschaffung fehlender Reisepapiere auf diplomatischem Wege beschleunigt wird?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205412700
Herr Kollege, die Bundesregierung unterstützt nicht erst seit dem Spitzengespräch vom 10. Oktober 1991 die zuständigen Behörden der Bundesländer bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer, die zur Ausreise verpflichtet sind. Wenn die Ausländerbehörden auf Schwierigkeiten stoßen und das Auswärtige Amt um Unterstützung ersuchen, interveniert das Auswärtige Amt nachdrücklich bei der betreffenden Botschaft in dem Bestreben, die offenen Fragen zu klären und die baldige Ausstellung von Heimreisepapieren zu erreichen.
Dies geschieht ständig und in einer Vielzahl von Fällen. Die Interventionen betreffen sowohl einzelne Personen als auch Personengruppen sowie Rechts- und Verfahrensfragen. Das Auswärtige Amt bemüht sich ständig und intensiv darum, daß sich die ausländischen Botschaften in solchen Fällen kooperativ verhalten und die Identität der Staatsangehörigen, der Ausländer auch bei unvollständigen oder unzuverlässigen Angaben über die Personendaten möglichst unbürokratisch und zügig prüfen.
Diese Intervention geschieht je nach Lage des Falles in den Formen, die für Kontakte zwischen dem Auswärtigen Amt und den Botschaften gebräuchlich sind, einschließlich der Einbestellung des Botschafters.
Auch die deutschen Auslandsvertretungen werden in diese Bemühungen einbezogen. Das Auswärtige Amt bietet den Behörden der Bundesländer seine Unterstützung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten bei jeder geeigneten Gelegenheit an. Ich wiederhole dieses Angebot auch an dieser Stelle.
Die Ministerkonferenz vom 30. und 31. Oktober 1991 in Berlin hat gezeigt, daß unter den teilnehmenden europäischen Staaten Konsens darüber besteht, daß die Heimatstaaten verpflichtet sind, ihre Staatsangehörigen, die illegal in andere Staaten eingereist sind, zurückzunehmen. Hierzu gehört auch die Ausstellung von Heimreisepapieren.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205412800
Herr Abgeordneter Welt, eine Zusatzfrage.

Jochen Welt (SPD):
Rede ID: ID1205412900
Frau Staatsministerin, wie hat sich die Praxis der Visaerteilung an Ausländer aus den Herkunftsländern seit dem Parteiengespräch am 10. Oktober verändert?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205413000
Herr Kollege, genaue Zahlen kann ich Ihnen im Moment nicht vorlegen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich Ihnen eine Darstellung dazu gerne zustellen.

Jochen Welt (SPD):
Rede ID: ID1205413100
Ja, damit bin ich einverstanden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205413200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Welt.

Jochen Welt (SPD):
Rede ID: ID1205413300
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Katalog der visapflichtigen Länder zu erweitern?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205413400
Auch diese Frage würde ich Ihnen gerne in der schriftlichen Beantwortung erläutern.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205413500
Nunmehr rufe ich die Frage 28 unseres Kollegen Gernot Erler auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die aktive Beteiligung deutscher Staatsangehöriger an den kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien?
Frau Staatsministerin, bitte.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205413600
Herr Kollege Erler, der Bundesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, daß einzelne deutsche Staatsangehörige an den Kämpfen in Jugoslawien beteiligt sind. Eine Beteiligung von deutschen Staatsangehörigen an den Kämpfen kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205413700
Herr Kollege Erler, eine Zusatzfrage.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205413800
Frau Staatsministerin, können Sie dem Haus erklären, in welcher Weise Sie diese Erkenntnisse geprüft haben? Sie sagen, es liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Heißt das, daß Sie Nachrichten darüber haben, daß sich deutsche Staatsangehörige an diesen Kämpfen beteiligen?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205413900
Herr Kollege Erler, uns liegen — sicherlich wie Ihnen — Pressemeldungen darüber vor, daß z. B. ein bestimmter deutscher Staatsbürger an solchen Aktionen beteiligt sein soll. Im Falle dieses einzelnen Staatsbürgers hat, weil er der Wehrüberwachung unterliegt, das zuständige Ministerium den Fall an die zuständigen Stellen abgegeben.
Darüber hinaus, Herr Kollege, versuchen wir natürlich im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Informationen, auch im Lande diesen Dingen nachzugehen. Aber einstweilen liegen uns keine gesicherten Daten und Zahlen darüber vor, ob deutsche Staatsangehörige an den Kämpfen dort tatsächlich teilnehmen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205414000
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Erler, bitte.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205414100
Frau Staatsministerin, in diesem Zusammenhang interessiert mich, mit welchen jugoslawischen bzw. serbischen oder kroatischen Stellen Sie Kontakt haben, um über solche Fragen zu sprechen.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205414200
Herr Kollege, diese Fragen werden in Bonn an der geeigneten Stelle, mit den uns zugänglichen Kollegen bei den Vertretungen, erörtert und dann selbstverständlich auch in Jugoslawien durch die Botschaft und das zuständige Generalkonsulat.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205414300
Nunmehr rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Gernot Erler auf:



Vizepräsident Helmuth Becker
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über deutsche Waffenlieferungen in das jugoslawische Kriegsgebiet seit Beginn der offenen Kämpfe?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205414400
Herr Kollege Erler, die Bundesregierung hat seit der krisenhaften Zuspitzung der Ereignisse im Frühjahr dieses Jahres, also 1991, Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter jeder Art nach Jugoslawien nicht mehr erteilt. Die Bundesregierung ist allen Hinweisen über mögliche illegale Lieferungen von Waffen aus Deutschland nach Jugoslawien intensiv nachgegangen. Bisher haben sich keine konkreten Hinweise dafür ergeben, daß deutsche Firmen an der Lieferung von Waffen nach Jugoslawien beteiligt sind.

(Wolfgang Roth [SPD]: Nachrichtendienste!)

— Ich habe Ihre Frage nicht verstanden, Herr Kollege.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205414500
Eine Zusatzfrage des Kollegen Erler, bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205414600
Frau Staatsministerin, Ihre Aussage beruht sicherlich auf intensiven Nachforschungen. Mich interessiert, ob sich diese Nachforschungen bei diesem Konflikt unterscheiden von den normalen Nachforschungen oder ob sie in besonderer Weise auf diesen Konflikt angewendet werden.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205414700
Herr Kollege Erler, sie unterscheiden sich deshalb nicht von anderen Nachforschungen auf diesem Gebiet, weil wir immer äußerst intensiv nachforschen. Das tun wir auch in diesem Falle.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205414800
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Soell, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1205414900
Frau Staatsministerin, liegen Ihnen Informationen darüber vor, ob andere NATO-Staaten — ich denke da an Meldungen über Griechenland — am Aufbau der Rüstungsindustrie in Serbien beteiligt sind, und, falls Ihnen diese Informationen nicht präsent sind, würden Sie sie mir schriftlich nachreichen?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205415000
Das tue ich sehr gerne, Herr Kollege. Mir sind Nachrichten über den von Ihnen genannten Gegenstand im Moment nicht bekannt.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205415100
Meine Damen und Herren, die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen nun zur Frage 31 des Abgeordneten Claus Jäger:
Treffen Presseberichte zu, nach denen in Straflagern der Sowjetunion noch immer politische Häftlinge eingekerkert sind und Haftpraktiken unterliegen, die massiv gegen die VN-Menschenrechts-Pakte und gegen die KSZE-Beschlüsse verstoßen, und welche Abhilfemaßnahmen wird die Bundesregierung gegebenenfalls ergreifen?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205415200
Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung sind die Presseberichte über schlechte Haftbedingungen in sowjetischen Gefängnissen bekannt. Eine Vertreterin der deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte besuchte Ende September ein Straflager im nordrussischen Archangelsk und berichtete darüber im Rahmen des dritten Treffens über die Menschliche Dimension der KSZE, das vom 10. September bis zum 4. Oktober dieses Jahres in Moskau stattfand. Die niederländische KSZE-Delegation schilderte ihren Besuch zweier Gefangenenlager in der Nähe von Perm am Rande desselben Treffens.
Die Bundesregierung tritt für die Förderung und Unterstützung des Reformprozesses in der Sowjetunion ein. Dies betrifft auch Reformvorhaben auf dem Gebiet des Rechts- und Strafwesens.
Der KSZE-Prozeß, der sich die Durchsetzung der Menschenrechte zur Aufgabe gemacht hat, muß weiter vorangebracht werden. Die Bundesregierung wird sich dafür wie bisher auch gegenüber der Sowjetunion einsetzen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205415300
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jäger, bitte.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205415400
Frau Staatsminister, darf ich noch einmal auf einen speziellen Teil meiner Frage zurückkommen, auf den Sie noch nicht eingegangen sind, nämlich ob sich in diesen Straflagern oder in einigen davon noch immer politische Gefangene befinden? Ist der Bundesregierung z. B. der Fall Jefimov bekannt, der durch die Presse gegangen ist? Er wurde nur dafür bestraft, daß er ein Lenin-Plakat aus Protest angezündet hat, und verbüßt eine langdauernde Strafe in einem dieser Straflager.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205415500
Herr Kollege Jäger, gestatten Sie mir die grundsätzliche Bemerkung, daß jeder, der den Bericht gelesen hat — ich habe dies getan —, der Ansicht sein muß, daß die dort herrschenden Zustände mit unseren Vorstellungen eines menschenwürdigen Haft- und Strafvollzuges nicht vereinbar sind.
Es gibt in der Tat Hinweise darauf, daß noch eine gewisse Zahl von Gefangenen aus politischen Gründen inhaftiert ist. Ich kann Ihnen aber exaktes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung verfügt nicht über ein exaktes Zahlenmaterial.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205415600
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Jäger bitte.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205415700
Frau Staatsminister, nachdem Ihnen diese Berichte bekannt sind, möchte ich mich danach erkundigen, ob die Bundesregierung diese Berichte sowjetischen Stellen zur Nachprüfung und gegebenenfalls Abhilfe übermittelt hat?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205415800
Herr Kollege Jäger, dieser Bericht wurde ja in Moskau veröffentlicht. Ich gehe davon aus, daß die betroffenen Stellen in der Sowjetunion diese Berichte sehr genau prüfen und im Rahmen der Verpflichtungen, die sich aus



Staatsministerin Ursula Seiler-Albring
dem KSZE-Prozeß ergeben, auch entsprechend weiterverfolgen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205415900
Ich rufe Frage 32 des Kollegen Claus Jäger auf:
Wie viele Straflager des bisherigen Archipels GULAG sind in der Sowjetunion noch in Betrieb, und unter wessen Verantwortung und Kontrolle stehen diese Lager?
Bitte sehr, Frau Kollegin Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205416000
Herr Kollege, auch in diesem Bereich liegen uns keine präzisen Angaben vor. Die Bundesregierung wird, wie ich das vorhin schon in Beantwortung Ihrer ersten Frage gesagt habe, die angesprochene Problematik weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgen und im Rahmen der EPZ und im Rahmen der KSZE mit ihren Partnern erörtern.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205416100
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger, bitte.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205416200
Frau Staatsminister, nachdem ich Verständnis dafür bekunde, daß Sie zum ersten Teil meiner Frage keine genauen Zahlen angeben können, möchte ich noch einmal nach dem zweiten Teil fragen. Unter wessen Kontrolle und Verantwortung stehen diese Lager? Liegt das immer noch beim KGB, der als solcher inzwischen bekanntlich aufgelöst worden ist, oder bei irgendwelchen Nachfolgeorganisationen, oder ist das inzwischen in Landeshoheit, also in die Hoheit der einzelnen Republiken übergegangen? Dies hängt ja mit der Frage des Ansprechpartners zusammen.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205416300
Herr Kollege Jäger, ich würde Ihnen diese Beantwortung gerne sehr exakt und daher schriftlich übermitteln.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205416400
Herr Kollege Jäger, eine weitere Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205416500
Ich hätte noch eine Zusatzfrage mit der Bitte, auch sie gegebenenfalls schriftlich zu beantworten, wenn es jetzt nicht geht: Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob es Bestrebungen gibt — etwa von seiten der russischen Regierung, wofür es Andeutungen gibt — , diese Lager samt und sonders zu schließen, oder sind das voreilige Hinweise?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1205416600
Herr Kollege Jäger, ich kenne diese Hinweise nicht. Ich gehe aber davon aus, daß es Bestandteil der Reformpolitik der verschiedenen Republiken in der früheren Sowjetunion sein muß, diese Art von Lagern in Zukunft aufzulösen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205416700
Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister, wir danken Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Manfred Carstens zur Verfügung.
Die Frage 43 des Abgeordneten Ortwin Lowack und die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Ludwig Stiegler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 46 der Frau Abgeordneten Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast:
Welche Verhandlungen zwischen den einzelnen Ressorts sowie mit den Ländern und Gemeinden sind seit dem Parteiengespräch vom 10. Oktober 1991 geführt worden, um die Zurverfügungstellung der notwendigen Anzahl an Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber zu erreichen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1205416800
Es haben bisher Gespräche der Innen- und Justizminister der Länder und des Bundes am 17. und am 25. Oktober 1991 stattgefunden. Dabei hat man sich darauf geeinigt, daß die Länder dem Bund den notwendigen Raumbedarf benennen. Der Bund stellt im Rahmen seiner Möglichkeiten auf diese Anforderungen hin den Ländern frei gewordene militärische Objekte entgeltlich zur Verfügung. Dabei ist an Gemeinschaftsunterkünfte von durchschnittlich nicht mehr als 500 Personen gedacht. Der Bund geht von einvernehmlichen Lösungen aus, insbesondere von einer Einigung der Länder, die für die Standortentscheidung zuständig sind, mit den Gemeinden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205416900
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Sonntag-Wolgast, bitte.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1205417000
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Bereitschaft der Länder, in dieser Frage mitzuarbeiten mit dem Ziel, zügig und effektiv zu einem Ergebnis zu kommen? Denn man hörte ja gelegentlich, daß die Bereitschaft sehr unterschiedlich ist, hier wirklich mitzutun?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Uns liegt erst eine sehr bescheidene Zahl von Anträgen vor. Wir müssen wohl die nächsten Tage und Wochen abwarten, um beurteilen zu können, wie die Bereitschaft der Länder ist, in dieser Frage weiterzukommen. Ich glaube nicht, daß es mir ansteht, hier eine bewertende Beurteilung über die Länder abzugeben.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205417100
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1205417200
Gibt es nicht doch Möglichkeiten für die Bundesregierung, im Hinblick auf die Bereitschaft der Länder etwas motivierend und anschiebend zu wirken? Denn wir wissen ja, unter welchem Zeitdruck wir bei dieser Problematik stehen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Den Ländern sind die Kasernen des Bundes — in den meisten Fällen sind es ja Kasernen — bekannt, die frei werden. Es hat darüber ja viel Schriftverkehr und Gespräche gegeben. Da die Länder die Standortent-



Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
scheidungen zu fällen haben, liegt es in der Tat in der Hand der Länder, nun zügiger voranzukommen, als es Ihrer Meinung nach offensichtlich der Fall ist.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205417300
Eine Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205417400
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, Sie wollten keine Bewertung vornehmen; die wollen wir von Ihnen auch nicht hören. Sagen Sie uns doch einfach, welche Länder besonders aktiv an den Bund herangetreten sind, damit Kasernen bereitgestellt werden, und bei welchen Ländern es bisher eine Fehlanzeige gegeben hat. Das ist doch keine Bewertung, sondern einfach eine Tatsachenfeststellung, die aber das Parlament nach der heftigen Debatte sehr interessiert.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, ich habe davon gesprochen, daß die letzte Besprechung mit den Ländern am 25. Oktober 1991 gewesen ist. Allzuviel Zeit ist noch nicht ins Land gegangen. Wir haben von einem Bundesland, nämlich von Hessen, eine Anfrage gehabt; es hat bereits eine vorübergehende Überlassung einer Kaserne in Butzbach gegeben.
Ein weiterer Abschluß steht unmittelbar bevor, und zwar mit Baden-Württemberg, im Regierungsbezirk Freiburg. Zumindest hat die OFD von uns die Ermächtigung bekommen, dort einen Abschluß zu tätigen.
Weitere konkrete Fälle sind mir im Moment nicht bekannt, so daß Sie die in Abwicklung befindlichen Anträge, die auf den Tisch des Bundesfinanzministers gekommen sind, hiermit kennen, es sei denn, in den letzten Stunden ist noch etwas hinzugekommen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205417500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Claus Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205417600
Herr Kollege Carstens, ist Ihnen bekannt, daß der baden-württembergische Innenminister Schlee bereits eine rege Tätigkeit zur Ermittlung geeigneter Objekte — darunter z. B. in meinem Wahlkreis, in der Stadt Göppingen — entfaltet und daß von daher gesehen zu erwarten ist, daß aus Baden-Württemberg eine ganze Reihe von konkreten Hinweisen kommen wird?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Der Regierungspräsident von Freiburg, den wir ja alle als ehemaligen Kollegen gut kennen, hat mir bestätigt, daß die Aktivitäten in Baden-Württemberg so sind, Herr Kollege Jäger, wie Sie es gesagt haben.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205417700
Nun rufe ich die Frage 47 der Abgeordneten Dr. Cornelie SonntagWolgast auf:
Welche Objekte sind konkret in Aussicht genommen?
Ein Teil der Frage ist schon beantwortet worden. Aber bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: In der Tat ist ein Teil dieser Frage schon mitbeantwortet worden, Frau Kollegin. Aber ich trage vor, was ich zur Beantwortung dieser Frage vorbereitet hatte.
Da die Länder nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes für die Unterbringung der Asylbewerber zuständig sind, hat der Bund keinen Einfluß auf die Auswahl der in Betracht kommenden Objekte. Bisher haben erst einige Länder Liegenschaften angefordert. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Deshalb kann ich noch keine konkreten Objekte benennen.
Ich habe eben bei der Antwort auf die Zusatzfrage zu Frage 46 von Butzbach gesprochen, jedoch hinzugefügt, daß es noch keine endgültige vertragliche Vereinbarung, sondern nur eine vorübergehende Überlassung gegeben hat, die aber in eine endgültige einmünden soll.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205417800
Eine Zusatzfrage der Frau Cornelie Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1205417900
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der doch dünnen Lage die Aussichten, zum Jahresbeginn in allen Teilen der Bundesrepublik ein gutes Angebot an Unterkünften machen zu können?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wie gesagt, das liegt an den Bundesländern. Aber es sieht durchaus so aus, daß auch aus anderen Ländern Anfragen kommen. Nur ist es für mich schwierig, das konkret zu beantworten, da ich mich dafür in die Lage der Bundesländer versetzen müßte, was ich nicht kann. Die Gespräche im Oktober hatten aber bei uns den Eindruck vermittelt, daß hier Bedarf besteht und wir mit weiteren Anträgen rechnen können.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205418000
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Gernot Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205418100
Herr Staatssekretär, Ihre Äußerungen über die rege Tätigkeit zur Erreichung des Ergebnisses des Parteiengesprächs sind nicht sehr hoffnungsspendend. Wird die Bundesregierung, dieses Parteiengespräch ernst nehmend, innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes die Öffentlichkeit über die Zwischenergebnisse hinsichtlich der Erfüllung dieses Parteiengesprächs unterrichten?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Das wollen wir gerne tun. Das Sicherste, dies zu klären, ist eine Anfrage im Parlament. Dann könnten Sie sogar den Termin bestimmen, an dem das geschehen soll. Aber es wird wohl richtig sein, die Frage weiter zu diskutieren, so daß es sich anbietet, das einmal in der Öffentlichkeit darzulegen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205418200
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Claus Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205418300
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die im Augenblick zum Teil noch unvollständigen Ergebnisse der Umfrage darauf beruhen, daß die jeweils zuständigen Kommunen gefragt werden müssen, in deren Gemeinderäte, wenn man das näher betrachtet, meistens eine genau umgekehrte große Koalition fast aller Fraktionen gegen die Einrichtung solcher Sammelunterkünfte besteht, weshalb sie nicht besonders beschleunigt auf die Wünsche des jeweiligen Landes eingehen?



Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Das könnte einer der Gründe sein.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205418400
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1205418500
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den Gemeinden bei den sicherlich vorhandenen Sorgen, Nöten und Fragen, wie sie denn an das Gelände herankommen können, bei der preislichen Gestaltung noch weiter entgegenzukommen? Sind Sie also bereit, noch weitere Zugeständnisse im Hinblick auf eine preisgünstige Übergabe dieser Gelände zu machen?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wir haben das Paket der Verbilligung von Grundstücken zwischenzeitlich beraten. Nachdem der Haushaltsausschuß sein Votum dazu abgegeben hat, geht die Bundesregierung davon aus, daß das nun Festgesetzte die Grundlage für alle Verhandlungen mit den Ländern ist.
Es gibt ja erhebliche Verbilligungen, zum Teil bis zu 75 %. Die Bundesregierung meint, daß sie damit wirklich die Grenze dessen erreicht hat, was man auch aus der Sicht der Bundesfinanzen vertreten kann. Weitergehendes möchte ich hier nicht signalisieren.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205418600
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, weil die Frage 48 des Abgeordneten Werner Schulz (Berlin) schriftlich beantwortet werden soll. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Erich Riedl zur Verfügung.
Die Frage 49 des Abgeordneten Ortwin Lowack soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 50 des Abgeordneten Klaus Kirschner auf:
Ist die in dem Magazin „Stern" veröffentlichte Anzeigenaktion „Europas Vorteile bleiben überall haften" vom Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen W. Möllemann, nach Auffassung der Bundesregierung mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vereinbar, und sieht sie hier nicht eine unzulässige Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einer einzelnen politischen Gruppe oder Person?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1205418700
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Anzeige im Magazin „Stern" zum Thema „Europas Vorteile bleiben überall haften" vom Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann,

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Wer war das?)

die über den europäischen Binnenmarkt informiert und auf weitere Informationsmöglichkeiten hinweist, hält sich an die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung.
Eine — wie Sie, Herr Abgeordneter, es formulieren — Parteinahme zugunsten einer einzelnen politischen Gruppe oder Person erfolgt damit natürlich nicht.
Wenn ich den Zwischenruf des Herrn Abgeordneten richtig verstanden habe: Es ist unbestreitbar, daß eine Anzeige des Bundesministers für Wirtschaft auch mit dessen Namen, Amtstitel und Amtsbereich bezeichnet werden muß.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205418800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205418900
Herr Staatssekretär, wer hat denn geprüft und entschieden, daß diese Parteinahme nicht erfolgt?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Wir halten uns Herr Abgeordneter, an das vor einigen Jahren ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wir prüfen das selbst. Sie können davon ausgehen, daß diese Anzeige nicht erschienen wäre, wenn die Prüfung nicht so verlaufen wäre, wie ich das hier gesagt habe.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419000
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205419100
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß Broschüren und entsprechende Schriften aus Ihrer Sicht selbstverständlich auch mit dem Namen des Bundeswirtschaftsministers gekennzeichnet werden müßten, sind Sie dann der Auffassung, daß dies auch für einen Aufkleber notwendig ist, den der Bundeswirtschaftsminister mit seinem Namen anbietet und auf dem ausdrücklich steht „Ich kenne keine Grenzen — Europa 92, Jürgen W. Möllemann, Bundeswirtschaftsminister"? Was hat dies denn eigentlich mit Aufklärung zu tun?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist doch ganz klar, daß die politische Aussage, die hinter diesem Spruch steht, personifiziert werden muß. Jedermann kennt den Namen Jürgen Möllemann. Er garantiert Klarheit, Offenheit und Verständlichkeit.

(Heiterkeit — Wolfgang Roth [SPD]: An dieser Stelle rufe ich immer: Hipp, hipp, hurra! — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Herr Riedl spricht in vollem Brustton der Überzeugung!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419200
Eine Zusatzfrage unseres Kollegen Herrn Reddemann.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1205419300
Herr Kollege Riedl, würden Sie mir zustimmen, daß diese Art der Öffentlichkeitsarbeit des Wirtschaftsministeriums in der Zeit des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller eingeführt wurde?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Karl Schiller ist mir noch heute wegen seines ausgeprägten Dranges zur Öffentlichkeitsarbeit in lebhafter Erinnerung. Er war schlechthin ein Vorbild für den Plum, den der Plisch so schön an der Hand geführt hat. Plisch und Plum, Schiller und Strauß, sie sind unvergessen, ein Paradebeispiel für deutsche Öffentlichkeitsarbeit.




Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419400
Eine Zusatzfrage des Kollegen Gernot Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205419500
Herr Staatssekretär, wenn wir uns schon jetzt an Anzeigen und Aufklebern dieser Art Ihres Chefs erfreuen können, können Sie uns dann darüber aufklären, mit welchen Steigerungen wir in einem Wahljahr zu rechnen haben werden?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Steigerungsraten werden sich im Verhältnis seiner Bereitschaft, noch höhere Ämter als bisher zu erklimmen, nach oben entwickeln.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419600
Eine Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205419700
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wie lange Ihre Erinnerung zurückreicht,

(Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl: Noch nicht so lange!)

aber ich möchte Ihnen jedenfalls die Frage stellen: Erinnern Sie sich daran, daß Karl Schiller niemals bezahlte Anzeigen nötig hatte, um sich bekanntzumachen?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Daß er geizig war, das weiß ich.

(Heiterkeit)

Aber daß man ihm Anzeigen geschenkt hat, das halte ich für unwahrscheinlich. Er war — das gebe ich Ihnen gerne zu — ein Meister der Darstellung, der Selbstdarstellung und damit auch der Öffentlichkeitsarbeit.

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Durch seine Sacharbeit!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419800
Nach diesem Intermezzo rufe ich nun die Frage 51 des Abgeordneten Klaus Kirschner auf.
In welchen anderen Zeitungen bzw. Zeitschriften ist diese Anzeige noch geschaltet worden, und wie hoch belaufen sich die Gesamtkosten für diese Anzeigenaktion?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Anzeige, von der wir soeben gesprochen haben, im „Stern" erschienen, ist außerdem in der Zeitschrift „Spiegel" geschaltet worden. Die Gesamtkosten für diese Anzeige betragen rund 265 000 DM. Insgesamt sind fünf Anzeigenmotive geschaltet worden. Die Kosten für die gesamte Anzeigenaktion betragen rund 3,5 Millionen DM.

(Wolfgang Roth [SPD]: Aua!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205419900
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner, bitte.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205420000
Herr Staatssekretär, da die Selbstdarstellungskünste des Herrn Bundeswirtschaftsministers sicherlich keine Grenzen kennen, auch nicht in der Luft, wie uns ja bekannt ist, frage ich: Was ist in Zukunft im Hinblick auf Europa '92 noch geplant?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, je näher wir der Vollendung des europäischen Binnenmarktes kommen, je näher wir der europäischen Währungsunion kommen, um so dringender wird es sein, die deutsche Öffentlichkeit über diesen sehr wichtigen Teil der Bundespolitik zu informieren. Ich verhehle nicht, daß wir auch in der Zukunft Öffentlichkeitsaktionen — PR-Aktionen, wie es so schön heißt — gestalten und durchführen wollen. Herr Abgeordneter, das war zu Zeiten der sozialliberalen Koalition genauso. Das gehört notwendigerweise zu einer offenen und aufrichtigen Öffentlichkeitsarbeit.
Wir halten die Kosten ja in Grenzen. Sie bekommen heute im „Stern" und im „Spiegel" für 1 000 DM keine Anzeige. Die Frage von Ihnen zielt ja auf die Kosten ab. Die Kosten sind heute, wenn Sie das Fernsehen mit hineinnehmen, halt nicht mehr ein- oder zweistellig, sondern liegen eben in dieser Dimension. Die Beamten des Wirtschaftsministeriums verhandeln — darauf können Sie sich verlassen — so, daß die Preise ein Minimum an Belastung für uns darstellen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205420100
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205420200
Herr Staatssekretär, ist zu erwarten oder ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung in Zukunft von jedem Ressort solche Aufkleber, Buttons oder vielleicht Luftballons anfertigen läßt, wo dann jedesmal möglicherweise der Name des zuständigen Ressortministers aufgedruckt und der Öffentlichkeit angeboten wird?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich würde jetzt meine Kompetenzen überschreiten, wenn ich in andere Ressorts hineinredete. Für das Bundeswirtschaftsministerium können Sie nicht ausschließen, daß wir noch mit anderen interessanten Öffentlichkeitsaktionen aufwarten.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Sehr gut!)

Allein dadurch, daß wir heute darüber reden, wird die Aktion bekanntgemacht; die Öffentlichkeit erfährt wieder etwas. Der Werbewert dieser Anzeige vergrößert sich durch diese Fragestunde um mindestens ein Drittel. Ich bin Ihnen dafür außerordentlich dankbar, Herr Abgeordneter.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das ist besser als eine Anzeige im „Spiegel"!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205420300
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205420400
Vorweg will ich sagen: Herr Staatssekretär, Sie müßten sich eigentlich bei uns dafür bedanken, daß wir Ihnen umsonst so viel Hilfe geben.

(Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl: Wenn Sie nicht Sozialist wären, würde ich sagen: Vergelt's Gott!)

Aber abgesehen davon lautet meine Frage: Halten Sie den Binnenmarktgedanken und die Information über den Binnenmarkt für so gefährdet in der Bundesrepublik, daß Sie dafür 3,5 Millionen DM in einer Situation



Wolfgang Roth
ausgeben, wo die ostdeutsche Industrie immer noch stark gefährdet ist z. B. Standortwerbung für Ostdeutschland nach unserer Bewertung viel wichtiger wäre?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie schneiden hier eine prinzipielle Frage an — und wenn Sie es gestatten, will ich auch so grundsätzlich antworten — , nämlich die nach dem Wert von PRAktionen dieser Art.

(Wolfgang Roth [SPD]: Nein, ich setze andere Prioritäten! Keine Unterstellungen!)

— Herr Abgeordneter, nehmen Sie doch die Anzeigenkampagnen der politischen Parteien in den Wahlkämpfen. Auch dazu wird von vielen Wählern gesagt: Das Geld dafür ist zum Fenster hinausgeworfen. Trotzdem werden diese Anzeigen geplant, durchgeführt und finanziert, weil sie notwendig sind.
Der europäische Binnenmarkt ist längst noch nicht in den Köpfen aller Menschen so verwirklicht, wie wir uns das vorstellen. Für viele Menschen ist der europäische Binnenmarkt noch recht weit weg.
Ich stehe nicht an, die Frage vielleicht auch an Sie zu richten, ob es nicht noch mehr an Werbeaufwand bedürfen sollte, um diese schwierigen Zusammenhänge durch plakativ eindrucksvolle Werbekampagnen darzustellen und verständlich zu machen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205420500
Die Frage ist zwar gestellt, aber es ist eine rhetorische Frage, denn die Fragestunde läßt ihre Beantwortung nicht zu.
Nun hat zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Gerhard Reddemann das Wort.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1205420600
Herr Staatssekretär, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Anzeigen in den Zeitschriften „Stern" und „Spiegel" deswegen geschaltet, weil sich die Redaktionen dieser Zeitschriften permanent gegen eine vernünftige Entwicklung im europäischen Raum aussprechen, oder aus welchen Gründen sind diese beiden Zeitschriften vom Wirtschaftsministerium bedacht worden?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir wenden uns mit diesen Anzeigen an den Leserkreis dieser Zeitschriften, nicht etwa an einzelne Redakteure. Der Leserkreis und die Auflagen von „Stern" und „Spiegel" sind für solche Anzeigen — der Preis sagt dies ja schon aus — natürlich außerordentlich interessant. Wer in diesen beiden Illustrierten so plakativ schaltet, wie wir es mit dieser Anzeigenkampagne gemacht haben, kann davon ausgehen, daß sich das eingesetzte Geld wirklich bezahlt macht.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Sehr gut!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205420700
Ich rufe nunmehr ohne weiteren Kommentar die Frage 52 des Abgeordneten Wieland Sorge auf:
Ist dem mit Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft vom 14. Oktober 1991 — Gesch.-Z.: Z C 2 - 1101 - 12/91 — verfügten Ausschluß der Angehörigen der Heilberufe von den ERP-Darlehen für die Existenzgründung zu entnehmen, daß die Bundesregierung bei Ärzten und Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern, Krankengymnasten und Physikalischen Therapeuten die Niederlassung in freier Praxis nicht mehr für erforderlich und förderungswürdig hält?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Präsident, dafür bedanken, daß Sie meine Antworten ernst nehmen, und darf dem Herrn Abgeordneten Sorge die Frage 52 folgendermaßen beantworten.
Für die Bundesregierung hat die Niederlassung von Angehörigen der Heilberufe in den neuen Bundesländern unverändert große Bedeutung. Lediglich aus der ERP-Förderung mußten wegen der überaus starken Nachfrage nach den ERP-Krediten die Heilberufe nunmehr herausgenommen werden. Ihre Berücksichtigung im Rahmen der ERP-Förderung hatte ohnehin nur Ausnahmecharakter. Im Westen, also in den alten Bundesländern, konnten sie nie ERP-Kredite erhalten.
Den Angehörigen der Heilberufe in den neuen Bundesländern stehen aber die Investitionszulage und die Kreditprogramme der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau und die diversen steuerlichen Hilfen weiterhin zur Verfügung. Das sind Hilfen mit insgesamt erheblichem — jetzt darf ich dieses Wort einmal verwenden — Subventionsgehalt.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205420800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sorge, bitte.

Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1205420900
Herr Staatssekretär, wenn die Möglichkeiten, die Sie eben genannt haben, bei den Heilberufen die Chance eröffneten, daß man sich privat niederlassen kann, wären ja die Klagen nicht so groß. Sind Sie nicht doch der Meinung, daß man durch diese Maßnahme die Entwicklung dieser Berufe behindert oder gar gefährdet?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das ist im Kern die Frage, vor die wir immer gestellt waren. Wir haben z. B. auch heute im Haushaltsausschuß über dieses Thema diskutiert und haben Konsens über die von mir vorgetragene Lösung herbeigeführt. Es gibt ja Kompensationen, die ich aufgeführt habe. Nach allen Erfahrungen, die wir haben, reichen diese aus.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205421000
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sorge?

(Wieland Sorge [SPD]: Nein!)

— Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 53 des Abgeordneten Wieland Sorge:
Ist die Anweisung des Bundesministers für Wirtschaft vom 14. Oktober 1991 — Gesch.-Z.: Z C 2 — 1101 — 12/91 — an die Kreditinstitute des Bundes, „ab sofort auf neu eingehende Anträge von Angehörigen der Heilberufe keine ERP-Darlehen mehr zuzusagen", mit anderen Ressorts der Bundesregierung und mit den Regierungen der neuen Bundesländer abgestimmt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Entscheidung ist vom Bundesministerium der Finanzen und vom Bundesministerium für Wirtschaft gemeinsam getroffen worden. Die neuen Bun-



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
desländer wurden über diese Entscheidung selbstverständlich informiert. Eine Abstimmung mit den Ländern war der Sache nach nicht erforderlich und ist auch nicht erfolgt. Die Länder praktizieren diese Regelung.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205421100
Herr Kollege Sorge, eine Zusatzfrage, bitte.

Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1205421200
Herr Staatssekretär, gleichzeitig wurde mit diesem Schreiben aber auch signalisiert, daß man an eine Änderung der ERP-Förderung gedacht hat. Ist dieser Plan in die Realität umgesetzt worden, und erfolgt die geänderte ERP-Förderung schon?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist in der Tat in dieser Richtung der Fall, weil wir, wenn ich das noch etwas ausführlicher darlegen darf, in diesem Bereich angesichts der Vielzahl von Anträgen an finanzielle Grenzen stoßen. Die Nachfrage nach ERP-Krediten nimmt immer stärker zu; das ist ja außerordentlich erfreulich. Es sind bereits 133 000 Einzelanträge mit einem Kreditvolumen von fast 15 Milliarden DM eingereicht worden. Ohne Einschränkung der Förderung, wie es bei dem Beispiel, das ich genannt habe, der Fall war, hätten die insgesamt verfügbaren Mittel weder 1991 ausgereicht, noch würden sie 1992 ausreichen. Um die Förderung des ERP-Sondervermögens im gesetzlich vorgegebenen Kernbereich ohne Beeinträchtigung fortführen zu können, blieb zur Beendigung der Förderung der Heilberufe — ich sagte es schon — leider keine Alternative.
Das Volumen der Förderung für die Heilberufe — vielleicht interessiert Sie das ebenfalls noch — hat einen Umfang von mehr als 2 Milliarden DM angenommen. Damit ist auch ein wesentlicher Beitrag zur medizinischen Grundversorgung geleistet worden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205421300
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Sorge, bitte.

Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1205421400
Herr Staatssekretär, die Vielzahl der Anträge, die Sie soeben genannt haben, zeigt doch, daß die Heilberufe mit den Möglichkeiten, die Sie in der Antwort auf meine erste Frage genannt haben, doch nicht auskommen. Es besteht also ein Finanzierungsproblem, so daß das Ministerium nicht davon ausgehen kann, daß die anderen Kreditmöglichkeiten, die Sie genannt haben, ausreichen.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig. Vielleicht ist das in meiner Antwort etwas zu kurz gekommen. Aber wir haben auch nur einen Finanzrahmen von 15 Milliarden DM, den wir nicht überschreiten können. Das läßt der Gesetzesbeschluß zum ERP-Kreditprogramm leider nicht zu. Die Kompensationsmöglichkeiten, die wir haben, sind nach unserer Meinung allerdings ausreichend.
Wenn die Heilberufe im Kreis der Anspruchsberechtigten verblieben wären, Herr Abgeordneter, dann hätte es mit Sicherheit Ablehnungen in anderen Bereichen gegeben. Das ist ganz klar. Wir haben eben nur 15 Milliarden DM zu vergeben. Dieser Rahmen ist entsprechend ausgefüllt worden.
Das ist schon ein finanzielles Problem; da gebe ich Ihnen nochmals ausdrücklich recht. Wenn wir 20 Milliarden oder 25 Milliarden DM zur Verfügung hätten, dann bräuchten wir im Prinzip keine Einschränkungen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205421500
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Clemens Schwalbe, bitte.

Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1205421600
Herr Staatssekretär, gilt diese Regelung nur für die neu eingehenden Anträge oder auch für die bereits in der Bearbeitung befindlichen Anträge?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Sie galt von Anfang an.

Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1205421700
Nur für die neu eingereichten?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Nein.

Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1205421800
Also für alles, was im Moment nicht bearbeitet ist?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Das wurde unter der Maßgabe dieser Regelung vom Zeitpunkt des Erlasses dieser Bekanntmachung an so behandelt.

(Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Danke!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205421900
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205422000
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß diese Entscheidung im Hinblick auf künftige Ertragserwartungen dieser Berufe vertretbar war?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich sage es noch einmal: Wenn wir die Heilberufe total im Kreis der Anspruchsberechtigten belassen hätten, dann wären andere Berufe nicht zum Zuge gekommen, denn der Rahmen von 15 Milliarden DM darf nicht überschritten werden.

(Wolfgang Roth [SPD]: Herr Präsident, der Herr Staatssekretär hat meine Frage nicht verstanden!)

— Wir konnten mit dieser Beschränkung, mit dieser Einschränkung allerdings die Qualität eines größeren Fördervolumens erreichen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Sie haben meine Frage nicht verstanden!)

— Sie können sie gerne wiederholen.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205422100
Ich sage es noch deutlicher: Da ich der Auffassung bin, Herr Staatssekretär, daß wir begrenzen mußten, glaube ich — stimmen Sie mir darin zu? — , daß hinsichtlich der Ertragserwartungen in den Heilberufen in diesem Zusammenhang nicht die größte Notwendigkeit der Förderung bestand. Da ich an dem Entscheidungsprozeß beteiligt war, erlaube ich mir, die Frage zu stellen: Freuen Sie sich, daß ich Sie unterstütze?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Frage mit Ja beantworten. Nur, ich war der Meinung,



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
daß ich vorhin genauso konkret geantwortet habe. Ich bitte um Nachsicht. Ich bin nicht so flexibel wie Sie. Ich bin in Bayern zur Schule gegangen. Da hat man gewisse Probleme.

(Heiterkeit)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205422200
Nachdem die Frage doppelt beantwortet worden ist, hält das auch besser.
Die Fragen 54 und 55 der Frau Abgeordneten Dr. Christine Lucyga sollen auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 56 des Abgeordneten Wolfgang Roth auf:
In welcher Höhe hat die Firma AEG für die AEG Olympia Office GmbH in der Vergangenheit Mittel aus der Regionalförderung des Bundes erhalten, und inwieweit leitet die Bundesregierung hieraus eine Verpflichtung der Firma AEG ab, den Produktionsstandort Wilhelmshaven zu erhalten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich hoffe, es gelingt mir, Sie nun besser zu verstehen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt ist es ja schriftlich! — Heiterkeit)

— Ja, jetzt kann ich es lesen.

(Erneute Heiterkeit)

Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Weitergabe von Daten und Informationen darüber, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Firma AEG für die Firma AEG Olympia Office GmbH Fördermittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erhalten hat, würde gegen das Gebot der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses gemäß den §§ 30 Verwaltungsverfahrensgesetz und 203 Strafgesetzbuch verstoßen und ist daher — Herr Abgeordneter, es tut mir leid — leider unzulässig.
Wenn ein privater Investor Fördermittel der Gemeinschaftsaufgabe annimmt, verpflichtet er sich, die dem Antrag zugrunde liegenden und im Bewilligungsbescheid des Landes enthaltenen Fördervoraussetzungen zu erfüllen. Eine weitergehende Verpflichtung wie etwa die Erhaltung des Produktionsstandortes übernimmt er nicht.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205422300
Zusatzfrage des Kollegen Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205422400
Ich habe volles Verständnis für Ihre Antwort, weil sie auf der Basis des Gesetzes gegeben worden ist.
Ich habe daran anschließend eine Frage zur Bewertung des Vorganges. Da wir beide wissen, daß regionale Förderungsmittel in erheblichem Umfang an die entsprechende Firma — AEG — geflossen sind, frage ich Sie: Halten Sie es für moralisch vertretbar, wenn ein Großkonzern aus der Bundesrepublik Deutschland so kurzfristig regionalwirtschaftlich derart verheerende Entscheidungen trifft?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Moralische Kriterien, sosehr man an ihnen Interesse hat, Herr Abgeordneter, können hier keine Rolle spielen. Die Bundesregierung hat auch nicht die Möglichkeit, die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit von Betriebsschließungen dieser Art nachzuprüfen. Dafür ist sie nicht da. Ich bitte um Verständnis, wenn ich mich einer Wertung — die in Ihrer Frage liegt — enthalten muß. Ich kann allerdings verstehen, daß ein Politiker und Parlamentarier Zusammenhänge sieht: hie ein beachtliches Fördervolumen und da Entlassungen von Menschen, die auf Grund dieses Fördervolumens geraume Zeit einen, wie sie meinten, sicheren Arbeitsplatz hatten.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205422500
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Roth, bitte.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205422600
Sie haben jetzt eine Antwort gegeben, die einen Weltkonzern dieses Umfangs von jeder regionalen Wirtschaftsverantwortung freistellt. Wollen Sie das wirklich ernsthaft vertreten? Gestern ist in diesem Zusammenhang nach den Zuschüssen für Forschung und Entwicklung gefragt worden; heute wird nach den Zuschüssen für Regionalförderung gefragt. Möchten Sie wirklich behaupten, daß ein derartiger Konzern nach den Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums von jeder Wirtschaftsethik befreit ist?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Schon die Differenzierung in Ihrer Frage — Sie beziehen sich auf einen Konzern und lassen die anderen Größenordnungen in unteren Kategorien außer acht — zeigt, daß Sie eine Wertung vornehmen, Herr Abgeordneter. Der kann sich die Bundesregierung nicht anschließen. In den Förderbescheiden ist — das habe ich schon gesagt — keine Verpflichtung enthalten, die lautet: Wir verpflichten uns, den Produktionsstandort, der gefördert worden ist, auf Dauer sicher zu erhalten. Das kann auch niemand verlangen. Eine solche Förderung würde auch niemand annehmen.
Ich überlasse es Ihnen, im gesellschaftspolitischen Bereich diese Auffassung zu vertreten. Aber den Vertreter der Bundesregierung bringen Sie nicht dazu, von der Linie, die ich hier vertrete, abzugehen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205422700
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß wir uns im Augenblick haargenau an der Grenze dessen bewegen, was die Geschäftsordnung nicht mehr zuläßt, nämlich Wertungen oder entsprechende Auffassungen und Feststellungen in eine Frage zusätzlich hineinzubringen.
Nun hat zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Arne Börnsen das Wort.

Arne Börnsen (SPD):
Rede ID: ID1205422800
Hoffentlich ohne unzulässige Wertung darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, welche Initiativen die Bundesregierung ergriffen hat, um die Vorgehensweise der niedersächsischen Landesregierung gegenüber dem betroffenen Konzern zu unterstützen, in der betroffenen Region Ausgleichsmaßnahmen vorzunehmen, wenn die Entscheidung hinsichtlich des Standorts selber nicht in Frage gestellt werden konnte.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, jetzt bin ich in einer Geschäftsordnungsproblematik,



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
die wir aber lösen können. Die Antwort auf die Frage 57 würde auch diese Zusatzfrage beantworten. Soll ich diese Antwort jetzt geben?

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205422900
Ja, ich würde sie bitten, zuerst die Frage 57 zu beantworten. Danach könnten Sie die Zusatzfrage erneut stellen, Herr Kollege Börnsen.

(Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Aber gern!)

Dann rufe ich Frage 57 des Kollegen Roth auf:
Steht die Bundesregierung hinter dem VEBA-Projekt eines Importkohleverstromungszentrums, und ist sie bereit, die Ansiedlung eines Importkohleverstromungszentrums am Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven zu unterstützen, um der Region bei der Überwindung ihrer struktur- und arbeitsmarktpolitischen Krise (Arbeitslosenquote nach der Stillegung von AEG Olympia Office GmbH ca. 25 %) zu helfen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön, Herr Präsident.
In einem Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen und dem Vorstandsvorsitzenden der VEBA AG am 17. Oktober 1991 ist vereinbart worden, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzusetzen, die untersuchen soll, wie langfristig gesicherte Stromerzeugungskapazitäten im Land Niedersachsen erhalten werden können. Diese Arbeitsgruppe soll geeignete Standorte für Gas- und Kohlekraftwerke prüfen und insbesondere klären, ob Wilhelmshaven als Standort für ein großmaßstäbliches Importkohleverstromungszentrum in Betracht kommt.
Die Bundesregierung begrüßt — Herr Abgeordneter Börnsen, das war Ihre Frage an mich — , daß zwischen dem Land Niedersachsen und der VEBA AG rechtzeitig geeignete Standorte für Kraftwerke ausfindig gemacht werden sollen. Allerdings bleiben konkrete Ergebnisse dieser Prüfung abzuwarten — die Zeit war noch zu kurz — , bevor bewertet werden kann, ob für ein solches Projekt Fördermöglichkeiten in Betracht kommen. Die Bundesregierung ist aber hierzu jederzeit gesprächsbereit.
Ich verrate hier kein Geheimnis, weil es auf die Initiative von Abgeordneten zurückgeht: Ich werde in den nächsten Tagen sowohl mit der zuständigen Industriegewerkschaft als auch mit dem zuständigen Christlichen Gewerkschaftsbund hierüber erste Gespräche führen.
Sie sind im übrigen, Herr Abgeordneter, ebenfalls herzlich eingeladen, mit mir im Bundeswirtschaftsministerium die Dinge zu besprechen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423000
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 58 der Frau Kollegin Gabriele Iwersen auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ein Zusammenhang zwischen der positiven Entwicklung des DaimlerBenz-Konzerns und der durch den „Haussmannerlaß" möglich gewordenen Fusion mit MBB zu sehen ist, und erwartet die Bundesregierung, daß hohe staatliche Zuwendungen an Unternehmen eine entsprechende wirtschafts- und sozialpolitische Verantwortung für einen ohne konzerninterne Umstrukturierung
gefährdeten Standort in einer strukturschwachen Region wie im Falle der AEG Olympia Office GmbH, Wilhelmshaven, zur Folge haben sollten?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß zwischen der Entwicklung des Daimler-Benz-Konzerns und der seinerzeitigen Ministererlaubnis für den Zusammenschluß von Daimler-Benz und MBB ein Zusammenhang besteht. Die Ministererlaubnis wie auch Entscheidungen über gegebenenfalls gezahlte Fördermittel des Bundes dienen jeweils besonderen wirtschaftspolitischen Zielen. So wird durch den Zusammenschluß der beiden Firmen gewährleistet, daß mittel- und langfristig die Subventionen für den Airbus abgebaut werden können und das Absatzrisiko schrittweise privatisiert werden kann.
Soweit Mittel beispielsweise zur Forschungsförderung geflossen sind, dienen sie dem Ausgleich spezifischer Kosten in innovativen, als förderungswürdig anerkannten Produktionsbereichen. Weitergehende Ansprüche an das Unternehmen können daraus nicht abgeleitet werden, insbesondere nicht eine Verpflichtung der Firma AEG, den Produktionsstandort Wilhelmshaven zu erhalten.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423100
Zusatzfrage, Frau Kollegin Iwersen.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1205423200
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob vielleicht schon einmal ein Konzern in irgendeiner Weise auf eine Form der Intervention durch die Regierung, durch einen Minister oder gar durch den Bundeskanzler reagiert und sich dadurch zum Erhalt oder zur Sanierung gefährdeter Arbeitsplätze bereitgefunden hat?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, es ist ganz selbstverständlich, daß sich Parlamentarier, Politiker aller Gruppierungen und Kategorien in solchen Fällen engagiert einsetzen. Wenn Sie sich aber — das habe ich auch als Abgeordneter schon selbst erlebt — bei entsprechenden Unternehmen für die Arbeitsplatzerhaltung einsetzen, wird an Sie die Frage gerichtet: Welche Möglichkeiten haben Sie, uns zu helfen, aus den roten Zahlen herauszukommen? — Dann kommt immer die Frage an die Politik: Wie wollen Sie das Defizit ausgleichen, das Minus abdecken? Dann schweigen auf Politikerseite meistens die Flöten. Das ist doch das große Problem! Natürlich habe ich Verständnis für AEG Wilhelmshaven. Ich kenne die Problematik seit Jahren.
Frau Abgeordnete, wenn Sie mir noch eine Ergänzung gestatten, weil Sie den Airbus und die Fusion von Daimler-Benz und MBB angesprochen haben: Mit dieser Fusion konnte das Airbus-Programm mit den Modellen A 330 und A 340 auf eine sichere finanzielle Basis gestellt werden, was gerade im norddeutschen Raum, im Bereich zwischen Bremen und Hamburg, Tausende von Arbeitsplätzen sichert. Ich sage immer: Das Airbus-Programm ist das beste Werften-Programm. Wenn es uns nicht gelungen wäre, den Airbus in die industrielle Verantwortung von Daimler-Benz zu überführen, würden in Norddeutschland noch an



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
ganz anderen Stellen die Lichter ausgehen. Diesen Zusammenhang bitte ich zu sehen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423300
Wir kommen von der Frage natürlich immer weiter weg; trotzdem eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Iwersen.

(Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl: Entschuldigung, Herr Präsident, das hängt schon damit zusammen!)


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1205423400
Stimmt das Gerücht, daß sich der Bundeswirtschaftsminister in schriftlicher Form an den Vorstandsvorsitzenden von DaimlerBenz mit der Bitte um Erhalt der Arbeitsplätze bei AEG-Olympia gewandt hat, und kann es sein, daß die Tatsache, daß die Airbusproduktion im norddeutschen Raum sehr erfolgreich ist, zu der Überlegung hätte führen können oder sollen, eine neue Produktlinie für AEG-Olympia zu finden? Denn dort hängt keiner an den Schreibmaschinen, sondern nur an dem Standort.
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ob das mit dem Brief stimmt, müßte ich nachschauen. Wir tauschen in der Leitungsebene des Ministeriums zwar gegenseitig all die Briefe aus, aber Sie werden verstehen, daß ich bei den riesigen Stößen, die da jeden Tag rauslaufen, nicht den Überblick habe.
Ich werde sofort veranlassen, daß gesucht wird. Wenn der Brief gefunden wird und das Briefgeheimnis gewahrt wird, werde ich Ihnen den Inhalt mitteilen. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob es rechtlich in Ordnung ist, weil ich auch in diesem Fall an Initiativen, die vor allen Dingen Ihre Fraktion immer ergriffen hat, nicht rütteln möchte.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423500
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1205423600
Herr Staatssekretär, als damals die Fusion Daimler Benz-AEG geschah, ist dies in der Öffentlichkeit unterstützt worden mit der Feststellung, damit würden insbesondere in strukturschwachen Regionen Arbeitsplätze gesichert. Können Sie verstehen, daß jetzt nach den fünf bis sechs Jahren erfolgter Fusion die Enttäuschung in Wilhelmshaven doppelt so schwer wiegt, weil dort genau mit dem Argument, das heute enttäuscht wird, die Fusion verkauft worden ist, übrigens unter Einschluß des Wirtschaftsministeriums?
Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kenne die Sache von damals auch noch ganz genau. Wenn es damals dieses Zusammengehen von Daimler Benz und AEG nicht gegeben hätte, wären damals in Wilhelmshaven — entschuldigen Sie, wenn ich es nochmal sage — schon die Lichter ausgegangen. Sie können doch nicht sagen, daß eine damals als richtig erkannte Entscheidung, die einige Jahre gehalten hat, auf ewig hätte halten können, wenn die Produktlinien, die Produktion und der gesamte betriebliche Ablauf auf Dauer zu immer größeren roten Zahlen führen. Das kann niemand vertreten und schon gar nicht in einem völlig privat geführten Unternehmen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423700
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen und der Zusatzfrage.
Die Fragen 59 und 60 aus Ihrem Geschäftsbereich müssen schriftlich beantwortet werden, weil wir am Ende der Fragestunde sind. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dasselbe gilt für die Fragen 61 bis 65 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Auch diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir bedanken uns trotzdem, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus, daß Sie hier waren.
Wir fahren nun in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften
— Drucksachen 12/1125, 12/1288 —'
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuß)

— Drucksache 12/1495 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Link (Diepholz) Hildegard Wester
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1496 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Irmgard Karwatzki Dr. Sigrid Hoth
Dr. Konstanze Wegner

(Erste Beratung 50. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Frau Kollegin Erika Reinhardt das Wort.

Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1205423800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften ist die Folge einer konsequenten Familienpolitik der CDU/CSU. Diese Regierung hat gehandelt und 1986 das Erziehungsgeld gegen die Stimmen der SPD eingeführt und eine schrittweise Verbesserung angestrebt und auch erreicht.
In diesen fünf Jahren hat sich gezeigt, daß das von der Koalition beschlossene und bis heute fortgeschriebene Gesetz ein Kernstück der Familienpolitik in Deutschland geworden ist. Seit dem Inkrafttreten haben rund 97 % der Eltern Erziehungsgeld beantragt, bis heute rund 3 Millionen. Dafür wurden bis Ende 1990 16,5 Milliarden DM aufgewendet, und für die jetzt vorgesehene Veränderung, Verlängerung wer-



Erika Reinhardt
den die Mittel um 2,7 Milliarden DM erhöht. Diese Zahlen sprechen für sich und bestätigen unsere Politik.
Die SPD hat während ihrer Regierungszeit aus finanzpolitischer Krise heraus, in der sie sich damals befand, eine Reihe von wichtigen familienpolitischen Leistungen, z. B. auch das Kindergeld, gekürzt. Auch wir hatten nach der Regierungsübernahme — das muß man sehen — mit dieser Finanzsituation unsere Probleme. Um Verbesserungen im familienpolitischen Bereich anbieten zu können, war es notwendig, dafür systematisch wieder Boden zu schaffen. Forderungen allein genügen eben nicht. Die Umsetzung muß realisierbar sein, d. h. wirtschaftlich vertretbar, finanzierbar.
Innerhalb des Pakets von familienpolitischen Maßnahmen waren und sind Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub für die CDU/CSU die Herzstücke. Sie ermöglichen den Erziehungsberechtigten — dem Vater oder der Mutter — , sich ohne unzumutbare Einschränkungen der Erziehung des Kindes zu widmen. Da gerade die ersten drei Lebensjahre — darin sind sich die Wissenschaftler übrigens einig — für die Entwicklung des Kindes entscheidend und prägend sind, ist der systematische Ausbau von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub der richtige Ansatz zum Wohl des Kindes.
Entscheidend bezüglich des Erziehungsurlaubs ist es, daß die volle soziale Absicherung, insbesondere der Erhalt des Arbeitsplatzes, gewährleistet ist, damit die Wiedereingliederung problemlos möglich ist. Gleichzeitig haben wir uns auch für die Bezeichnung „Berufsbildung" statt „Berufsausbildung" entschieden, denn nur so sind Fortbildung und Weiterbildung wirklich gewährleistet.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes werden wichtige Verbesserungen erreicht. So wird für Kinder, die nach dem 31. Dezember 1991 geboren werden, ein dreijähriger Erziehungsurlaub gewährt. Die Gewährung von Erziehungsgeld wird ab 1993 von derzeit 18 Monaten auf dann 24 Monate ausgedehnt, wobei die soziale Sicherung voll erhalten bleibt. Obwohl der Bezug von Erziehungsgeld ab dem siebten Monat einkommensabhängig ist, erhalten 82 Prozent der Eltern den vollen Betrag auch nach dieser Zeit.
Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Einkommensgrenze wäre sicher wünschenswert, aber auch hier bleibt die Frage der Finanzierbarkeit. Die CDU/CSU ist der Überzeugung, daß es zunächst vorrangig ist, den Kindern in ihrer entscheidenden Lebensphase die bestmögliche Fürsorge zukommen zu lassen. Sie hat sich deshalb für die Verlängerung der Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub entschieden.
Das in einigen Bundesländern, so in Rheinland-Pfalz — noch unter der CDU-Regierung — , in Baden-Württemberg, in Berlin und Bayern eingeführte Familien- oder Landeserziehungsgeld ist, wie wir glauben, eine wichtige Ergänzung. In Baden-Württemberg gibt es auf diese Weise ab 1993 neben dem Erziehungsurlaub auch ein Erziehungsgeld, das für drei Jahre gewährt wird.
Meine Damen und Herren, das ist Familienpolitik. Es wäre daher ein Zeichen von aktiver Familienpolitik, wenn endlich auch die SPD-regierten Länder diesem Beispiel folgen würden. Doch sie haben sich bisher geweigert, jungen Familien in gleicher Weise Unterstützung zu gewähren. Fordern ist eben die eine, die Durchführung die andere Seite.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Frauengesetz, wie aus den Reihen der Opposition behauptet wird. Die Entscheidung, ob die Mutter oder der Vater die Leistungen in Anspruch nimmt, muß bei der Familie liegen. Zweifellos ist es bedauerlich, daß die Resonanz bei den Vätern bisher schwach war. Es kann und darf aber nicht Aufgabe des Staates sein, eine solche Entscheidung vorwegzunehmen. Die stärkere Einbeziehung auch der Väter in die Betreuung und Erziehung der Kinder kann nur durch eine Bewußtseinsbildung in der Gesellschaft erreicht werden.
Dieses Gesetz schafft die Voraussetzungen dazu, indem es das Angebot auch für die Väter eröffnet. Auch die Stellung der Väter nichtehelicher Kinder erfährt durch den vorliegenden Entwurf eine entscheidende Verbesserung. War die Inanspruchnahme bisher allein an das Sorgerecht geknüpft, so besteht in Zukunft die Möglichkeit für den Vater, der mit dem nichtehelichen Kind zusammenlebt, Erziehungsgeld zu beantragen, wenn die Mutter zustimmt.
Ich möchte noch zwei weitere — ich glaube, wesentliche — Änderungen nennen: die Nichtanrechnung — zumindest teilweise — des Mutterschaftsgeldes und die Härtefallregelung im Falle des Todes oder einer schweren Krankheit oder einer schweren Behinderung des Sorgeberechtigten.
Alle diese Leistungen, meine Damen und Herren, können den ideellen Wert der Erziehungsarbeit nicht aufwiegen, die Väter und Mütter leisten. Sie sind aber Hilfe und Ansporn, besonders für junge Menschen. Diesen Ansporn zu geben war für die CDU/CSU immer Ziel und Aufgabe. Das ist auch die Aufgabe dieses Entwurfs, über den wir heute hier abstimmen. Wir entscheiden zum Wohle der Familien, die das wesentliche Element unseres Staates sind und bleiben werden.
Ich bitte Sie daher, diesem Gesetzentwurf gemäß der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren zuzustimmen.
Ich danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205423900
Ich erteile nunmehr das Wort der Kollegin Hildegard Wester.

Hildegard Wester (SPD):
Rede ID: ID1205424000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der gestrigen Sitzung des federführenden Ausschusses mußte ich mich belehren lassen: Bei der Änderung eines Gesetzes ist eine grundsätzliche Diskussion über Ziele und Wirkungsweisen desselben nicht angebracht; mit anderen Worten: Thema verfehlt.



Hildegard Wester
Daß es aber schwierig ist, die sogenannte Philosophie eines Gesetzes außer acht zu lassen, zeigte sich dann im Fortlauf der Debatte immer wieder, wenn es nämlich um die Diskussion einzelner Änderungsanträge ging. Es wurde deutlich, daß Koalitionsparteien und Opposition von verschiedenen Wertvorstellungen ausgehen, kurz Philosophie genannt. Das verwundert ja nicht weiter, weil es zeigt, daß man aus gutem Grund verschiedenen Parteien angehört.
Es sollte aber doch so sein, daß sich diese Philosophie wie ein roter Faden durch das Werk zieht und die einzelnen Bestimmungen begründet. Es geht dann logischerweise nicht, daß man seine Philosophie je nach Lage verändert.
So kann ich z. B. bei der Begründung der einen Bestimmung nicht das Wohl des Kindes, bei einer anderen die Erziehungsleistung des Erziehenden in den Vordergrund stellen, dann wiederum den Bezug von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub von der Einheit der Familie abhängig machen.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Sehr richtig!)

Auf der einen Seite wird das Anrecht auf Erziehungsgeld vom Besitz des Sorgerechtes abhängig gemacht, auf der anderen Seite wird beim Vater eines nichtehelichen Kindes von diesem Prinzip abgewichen.
Sosehr ich begrüße, daß die Bundesregierung einen wesentlichen Schritt in Richtung Gleichstellung des nichtehelichen Vaters mit einem ehelichen Vater tut, so muß ich doch darauf aufmerksam machen, daß es sich hier um einen Bruch in der Logik des Gesetzes handelt, der u. a. dazu führt, daß der geschiedene eheliche Vater, der für eine gewisse Zeit die Betreuung seines Kindes übernimmt, schlechter dasteht als der soeben zitierte nichteheliche Vater.
Hat man also den Eindruck, daß die Regierung bei der Einbeziehung des nichtehelichen Vaters in die Anspruchsberechtigung hinsichtlich Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub die Lebensrealität in unserer Gesellschaft vor Augen hat, so reagiert sie bei der Frage des geschiedenen Vaters nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Denn der geschiedene Vater hat gegenüber dem nichtehelichen Vater ein erhebliches Manko: Er lebt nicht in Gemeinschaft mit seiner Familie.
Ich bin froh, daß es uns in der gestrigen Sitzung gelungen ist, den nichtehelichen Vater und den geschiedenen Vater in der Anspruchsberechtigung gleichzustellen, und daß der geschiedene eheliche Vater, der für eine Zeit die Betreuung seines Kindes übernimmt, in Zukunft Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub hat.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Bei der Frage der Bemessung des Erziehungsgeldes wird argumentiert, daß die Erziehungsleistung honoriert wird und nicht etwa der ausgefallene Lohn oder das ausgefallene Gehalt ersetzt werden sollen. Bei der Einbeziehung der Pflegekinder in das veränderte Gesetz mußten wir aber wieder feststellen, daß hier nicht die Erziehungsleistung honoriert werden soll.
Hier soll den Pflegeeltern Erziehungsgeld und -urlaub verwehrt werden, weil sie nicht leibliche Eltern sind. Diese Entscheidung erscheint völlig unverständlich; denn die Aufnahme eines Pflegekindes in eine Familie erfordert eine hohe Leistung von der Person des oder der Erziehenden. Zudem bietet sie auch eine Entlastung der öffentlichen Hand, da Heimunterbringung verhindert wird. Ich frage mich, welche Philosophie dieser Entscheidung zugrunde liegt. Es kann doch wohl nicht die sein, daß die Leiblichkeit der Elternschaft alleine ausreicht, um ein glückliches Leben zu ermöglichen.
Es gibt noch weitere Brüche in der Logik des Gesetzes. Ich sprach eben schon davon, daß das Erziehungsgeld die Erziehungsleistung anerkennen will. Dies gilt aber nur für die ersten sechs Monate des Bezugs — Frau Reinhardt sprach es eben auch an —; denn ab dem siebten Monat ist das Erziehungsgeld für den Rest der Laufzeit in seiner Höhe vom Familieneinkommen abhängig. Hier wird also nicht mehr die Erziehungsleistung als solche bewertet, sondern eine Sozialleistung gewährt, die nur den Familien zugute kommt, die über ein geringes Einkommen verfügen.

(Erika Reinhardt [CDU/CSU]: So ist es gedacht!)

Die Bemessungsgrundlage für die Höhe des Erziehungsgeldes nach dem sechsten Monat hat sich seit dem Jahr 1986 nicht geändert. Löhne und Gehälter sind aber in der Zeit von 1986 bis 1990 um 14,9 % gestiegen. Mit einer geschätzten Wachstumsrate von 4 % ergibt sich bis 1992 eine Erhöhung von 23,9 %. Es wäre also, wenn man die Belastungen der Familie insgesamt als Bemessungsgrundlage für die Höhe des Erziehungsgeldes zugrunde legt, nicht mehr als recht, wenn der Freibetrag von 29 400 DM entsprechend um mindestens 20 % auf 38 280 DM erhöht würde.
Einen entsprechenden Antrag brachten wir gestern in den Ausschuß ein und mußten zu unserem Erstaunen feststellen, daß wir uns in voller Übereinstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen befanden, die die Regierung stellen. Dennoch gelang es nicht, diesem Antrag zu einer Mehrheit zu verhelfen; denn, wie wir hören mußten, hatte der Vorsitzende der CSU und Finanzminister, Herr Waigel, diesem Vorhaben einen Riegel vorgeschoben. Er hat verhindert, daß Familien, die Erziehungsarbeit leisten, an der allgemeinen Entwicklung der Löhne und Gehälter im entsprechenden Maße Anteil haben. Ich kündige hier an, daß wir zu diesem Punkt initiativ werden; denn diese Tatsache ist für uns nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Einen letzten unserer Anträge im Ausschuß möchte ich noch ansprechen, nicht zuletzt deswegen, weil er im mitberatenden Ausschuß für Frauen und Jugend eine Mehrheit gefunden hat. Dem Ausschuß Familie und Senioren lag dieses Votum zum Zeitpunkt der Beschlußfassung noch nicht vor,

(Zuruf von der SPD: Das ist allerhand!)

ein Umstand, den ich hier deutlich erwähnen möchte
und der Anlaß geben muß, über die Abläufe und Koor-



Hildegard Wester
dination von parlamentarischer Arbeit nachzudenken.

(Beifall bei der SPD)

Es geht darum, daß Adoptiveltern für Kinder Erziehungsgeld beantragen können, wenn sie sie bis zum siebten bzw., wie von uns gefordert, bis zu ihrem 14. Lebensjahr adoptieren. Wir verfolgten damit die Absicht, älteren Kindern eine größere Chance auf Adoption zu geben.
Wir wissen alle, daß die Aussicht eines Kindes, Adoptiveltern zu finden, um so geringer wird, je älter es ist, weil man natürlich davon ausgehen kann, daß ein Kind — aus welchen Gründen es auch immer zur Adoption freigegeben wurde — unter erheblichen Problemen leidet, die entweder auf Grund seiner Sozialisation in einem Heim oder etwa durch traumatische Ereignisse eines plötzlichen Verlustes beider Elternteile entstanden sein können. In jedem Fall wäre es für ein solches Kind ausgesprochen positiv, Adoptiveltern zu finden, die sich in dem nötigen Umfang und mit der entsprechenden zeitlichen und auch finanziellen Zuwendung diesem Kind widmen können.
Im Ausschuß Frauen und Jugend wurde von den Kritikern dieser vorgesehenen Änderung das Finanzargument angeführt. Ich frage mich nur, wie man behaupten kann, eine Maßnahme sei zu teuer, wenn man noch nicht einmal exakt festgestellt hat, um wie viele Fälle es sich eigentlich handeln könnte.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Alles in allem haben die Beratungen gestern gezeigt, daß das Änderungsgesetz mit der heißen Nadel gestrickt wurde, daß

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Sehr bedauerlich!)

ihm eine brüchige Philosophie zugrunde liegt und daß auch dieses Gesetz mit Sicherheit wieder reformbedürftig ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205424100
Ich erteile unserem Kollegen Norbert Eimer das Wort.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1205424200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr erfreulich, daß wir bereits heute, also weniger als einen Monat nach der ersten Beratung, in die zweite und die dritte Beratung eintreten und zur Schlußabstimmung kommen. Damit kann das Gesetz am 1. Januar 1992 in Kraft treten.
Meines Wissens wird die SPD, auch wenn sich meine Vorrednerin nicht dazu geäußert hat, trotz der hier geübten Kritik dem Gesetz zustimmen. Die Fraktionen sind sich einig. Die Details sind bereits in der ersten Beratung ausführlich dargestellt worden. Wir könnten es heute eigentlich kurz machen.
Ich wende mich deshalb zuerst an den Ältestenrat und frage, warum man für diesen Gesetzentwurf eine Debattenzeit von 90 Minuten einräumt, aber z. B. bei
dem sehr wichtigen Tagesordnungspunkt der Kinderkonvention — der ja inzwischen abgesetzt und auf die nächste Woche verschoben worden ist — nur 30 Minuten vorgesehen hat.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Richtig! Aber ist nicht auch dieser Punkt wichtig?)

— Ich habe soeben gesagt, daß er wichtig ist. Aber wenn man sich einig ist, braucht man dafür doch nicht unnötig Zeit aufzuwenden, die wir für andere Punkte nötiger haben.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Punkt betrifft zwar — damit komme ich auf die Kinderkonvention zurück — federführend den Justizbereich, aber thematisch den Ausschuß für Familie und Senioren und viele Gesetze, die Einfluß auf das Familienleben haben.
Ich richte deshalb an den Ältestenrat die Bitte, etwas mehr Sorgfalt bei der Zuordnung der Debattenzeiten aufzuwenden. Mindestens zwei Stunden wären für die Kinderkonvention angemessen.
Eine zu lange Redezeit verführt auch hier, obwohl oder gerade weil wir weithin einig sind, dazu, unnötig und krampfhaft nach Gegensätzen zu suchen, deren Erörterung die Redezeit ausfüllt.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, die Öffentlichkeit wäre ganz froh, wenn wir bei manchen Gesetzen mehr Gemeinsamkeit dokumentieren würden.
Ich will der geschilderten Gefahr nicht erliegen und deshalb nur kurz die Verbesserungen aufzählen, die auch in der ersten Beratung schon genannt wurden: Der Erziehungsurlaub wird auf drei Jahre verlängert. Das Erziehungsgeld wird auf zwei Jahre verlängert. Der Wechsel im Erziehungsurlaub zwischen Vater und Mutter wird erleichtert. Nicht Sorgeberechtigte, z. B. nichteheliche Väter, werden einbezogen. Ich halte es insgesamt für wichtig, daß wir in dem ganzen Bereich auch bei geschiedenen Eltern etwas tun. Wir werden auf Grund der erwähnten Kinderkonvention sowieso einiges ändern müssen. In der Beziehung gebe ich meiner Vorrednerin recht. Teilzeitarbeit bei einem anderen Arbeitgeber, wenn der eigene sie nicht anbieten kann, wird erleichtert. Dies alles sind deutliche Verbesserungen.
Die Freien Demokraten stimmen dem Gesetz zu.
Da in dieser Debatte noch Zeit ist, will ich einige grundsätzliche Kritikpunkte, die ich bereits bei der ersten Beratung als Merkposten aufgeführt habe, in Erinnerung rufen und ergänzen.
So schafft die Garantie des Arbeitsplatzes Probleme für Frauen, weil sie damit schlechtere Marktchancen haben. Die Einkommensgrenzen führen zu einer Brutto-Netto-Umkehrung. Die Nichtanrechnung des Erziehungsgelds auf die Sozialhilfe führt dazu, daß es sich für niedrige Einkommensbereiche nicht mehr lohnt, zu arbeiten.

(Widerspruch bei der SPD)

— Weil hier etwas Unruhe auftritt, füge ich hinzu:
Natürlich trifft das im Grundsatz auch für die Väter zu;



Norbert Eimer (Fürth)

nur, das tun, wie wir wissen, im Moment noch viel zu wenige Väter.

(Zurufe von der SPD: So ist es!)

Ich habe gesagt, daß es sich für niedrige Einkommensbereiche nicht mehr lohnt, zu arbeiten. Dazu hat das Ministerium auf meine Anfrage zwei Beispiele errechnet. Ich will heute einen vierten Punkt anführen. Nach der Systematik dieses Gesetzes erhalten Erziehungsgeld nur die Personen, die nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind. Die FDP war für eine andere Systematik, nämlich daß das Erziehungsgeld unabhängig von der Erwerbstätigkeit gezahlt werden soll.
Wir wissen aus Erfahrung, daß ohnedies Frauen, die Erziehungsgeld bekommen, in dieser Zeit nicht mehr erwerbsfähig sein wollen und dies — dies belegen Beispiele — auch nicht waren.
Bei der Beratung hat sich gezeigt, daß die Beschränkung auf Nichterwerbstätige des Gesetz immer komplizierter macht und es zum Teil zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten kommt. So haben wir Halbtagstätigkeit erlauben müssen — wie ich meine, aus gutem Grund. Als Folge mußten wir Änderungen in den §§ 6 und 7 vornehmen, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die entstehen, wenn eine Frau während des Erziehungsurlaubes Mutterschaftsgeld erhält und Arbeitslosenhilfe gezahlt wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns schon schwertun, Zusammenhänge zu verstehen — wie geht es erst dem ganz normalen Bürger? Ich frage mich insgesamt, ob nicht für den gesamten Bereich der Sozialpolitik eine ordnungspolitische Erneuerung stattfinden müßte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD — Zurufe von der SPD)

— Ich werde Sie beim Wort nehmen.
Die Rechtspolitik geht streng nach ordnungspolitischen Gesichtspunkten vor. Die Wirtschaftspolitiker reden und handeln meistens danach. Die Ordnungspolitik in der Sozialpolitik ist kaum zu erkennen. Diese Kritik richtet sich auch an die uns begleitende Wissenschaft.
Meine Damen und Herren, der Markt ist meiner Meinung nach für soziale Belange blind, und wer ihm die Effizienz erhalten will, muß ihm auch die Blindheit lassen. Sozialpolitik ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Die Sozialgesetze, die wir gestalten, sollten sich nach Marktgesetzen richten. Die Sozialgesetze nehmen aber nur in wenigen Fällen Rücksicht auf diese Marktgesetze, und so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Auswirkungen dieser Gesetze nicht so gut sind, wie wir uns das vorstellen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, daß sich alle Träume der Sozialisten mit marktwirtschaftlichen Methoden besser, schneller, sozial gerechter und billiger erreichen lassen als mit planwirtschaftlichen Methoden oder mit unkoordinierten Aktivitäten, wie wir dies leider oft haben.

(Zuruf von der SPD: Das sind doch jetzt Sprüche!)

Die Folge unseres Handelns ist kein soziales Netz, nicht, wie Kritiker sagen, eine soziale Hängematte, sondern ein soziales Mobile, ein filigranes Gewebe, das durcheinander tanzt, wenn man an einer Stelle etwas ändern will.
Gerade die neuen Kollegen, die bei meinen Worten jetzt so murmeln, werde ich in Zukunft öfter daran erinnern, welche Schwierigkeiten es gibt, ein bestehendes Gesetz zu ändern, weil die Gesichtspunkte, die ich gerade angeführt habe, nicht berücksichtigt worden sind.

(Zuruf von der SPD: Er hat Recht! Das ist sehr schwer!)

Ich wiederhole: Wir brauchen eine ordnungspolitische Erneuerung der Sozialpolitik.
Nach dieser Abschweifung wiederhole ich zum vorliegenden Gesetz: Die FDP stimmt dem vorliegenden Gesetz zu. Selbstverständlich stimme auch ich dem vorliegenden Gesetz zu. Es ist, auch vor dem Hintergrund meiner grundsätzlichen Überlegungen, noch ein gutes Gesetz.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205424300
Herr Kollege Eimer, Sie haben darüber gesprochen, daß der Ältestenrat diese Debattenzeit festgelegt hat. Zu diesem Verfahren will ich folgendes sagen: Im Ältestenrat sitzt das Präsidium des Bundestages, also der Präsident und die Vizepräsidenten, die Geschäftsführer sowie noch weitere Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen und Gruppen. Dieses Gremium berät zusammen, welche Redezeit vereinbart werden soll. In diesem Fall war vorgesehen, in einer Debattenzeit von 90 Minuten zu diskutieren. Das ist das Ergebnis der soeben angesprochenen Diskussion im Ältestenrat.
Keiner der Redner muß seine Redezeit voll ausschöpfen. Bei Ihnen, Herr Eimer, ist beispielsweise eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet gewesen. Sie haben aber nur 8 Minuten gesprochen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei der Frau Kollegin Reinhardt ist ebenfalls eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet gewesen. Sie hat 7 Minuten gesprochen. Bei der Frau Kollegin Wester ist eine Redezeit von 10 Minuten angemeldet gewesen. Sie hat 1 Minute weniger gesprochen.
Wir können so fortfahren. Dann sind wir in einer Stunde fertig.

(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Erika Simm.

Erika Simm (SPD):
Rede ID: ID1205424400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf vorab ein Wort zu dem Einwand von Herrn Eimer, den er hier in bezug auf die Redezeit erhoben hat, sagen. Ich bin der Meinung, daß das Thema — auch wenn es sich um die zweite Beratung handelt — durchaus so wichtig ist,



Erika Simm
daß wir uns die 90 Minuten mit Recht zugebilligt haben.

(Norbert Eimer [Fürth] [FDP]: Nicht bestritten!)

Ich halte allerdings — darin bin ich mit Ihnen einig — auch die Kinderkonvention für ein ungeheuer wichtiges Thema. Wenn dem nicht genügend Raum eingeräumt werden sollte, dann fände ich das bedauerlich.
Ich halte es — auch wenn wir vom Grundsatz her dieses Gesetz mittragen werden — durchaus für wichtig, daß wir hier unsere Bedenken, die wir haben, noch einmal vortragen; dies insbesondere deswegen, weil wir in der Beratung unter solchen Zeitdruck gesetzt wurden, daß wir dies in den Ausschüssen angemessen kaum noch tun konnten, oder weil, wie schon erwähnt worden ist, der widersinnige und meines Erachtens auch geschäftsordnungswidrige Umstand eingetreten ist, daß das Votum des Ausschusses für Frauen und Jugend, der in diesem Zusammenhang ja nicht ganz unwichtig ist, überhaupt nicht mehr Eingang in die Beratungen des Ausschusses für Familie und Senioren gefunden hat. Ich fand es sehr ärgerlich, daß das passiert ist, und ich denke, damit wird das auch noch nicht sein Bewenden haben.
Nun zur Sache. Ich bin der Meinung, der große familienpolitische Wurf, als der er von Frau Ministerin Rönsch ständig dargestellt wird, ist der vorliegende Entwurf zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes nicht. Er vermag nicht aus familienpolitischer Sicht und schon gar nicht aus frauenpolitischer Sicht zu überzeugen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Vor dem Hintergrund eines konservativen Familienmodells favorisiert er weiterhin die Nichterwerbstätigkeit der Frau und die Familie als alleinige Erziehungsinstanz während der Kleinkinderphase. Die vorhandenen strukturellen Mängel der bestehenden Regelung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld werden nicht beseitigt.
Aus dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung, den wir im Frühjahr dieses Jahres hier behandelt haben, werden, wenn überhaupt, höchst unzulänglich Konsequenzen gezogen. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, daß gegenwärtig 53 % der Frauen nach einem Erziehungsurlaub nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, mithin dauernd oder zumindest für längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Ich will ja nicht so böswillig sein, zu behaupten, der Erziehungsurlaub in der jetzigen Form sei ein gewolltes Instrument, um Frauen aus dem Erwerbsleben zu drängen.

(Zuruf von der SPD: Vermuten kann man das schon!)

Dieser unbestreitbare Nebeneffekt scheint mir jedoch nicht ganz unerwünscht zu sein.

(Norbert Eimer [Fürth] [FDP]: Der SPD-Vorschlag, der uns einmal gemacht worden ist, hat den gleichen Effekt gehabt!)

— Wir reden über den jetzt zu beratenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Immerhin ist festzustellen, daß auch in dem vorliegenden Entwurf gezielte Maßnahmen, die Frauen die Parallelführung von Erwerbstätigkeit und Familie bzw. die Rückkehr ins Erwerbsleben erleichtern würden, fehlen. Solche Maßnahmen können z. B. sein: die Möglichkeit, den Erziehungsurlaub nicht nur in der zeitlichen Reihenfolge, sondern gleichzeitig zwischen den Eltern zu teilen, so daß beide Elternteile einer sozial abgesicherten Teilzeitbeschäftigung während des Erziehungsurlaubs nachgehen könnten,

(Beifall bei der SPD)

oder aber die gesetzliche Verankerung eines umfassenden Angebotes an Qualifizierungs-, Fortbildungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen.
Der vorliegende Entwurf zieht auch nicht wirklich Konsequenzen aus der Tatsache, daß es praktisch nur Frauen sind, die von den Angeboten Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld Gebrauch machen, die Männer sich also an der gerade auch von Unionspolitikern — ich erinnere an die letzte Debatte, die wir zu diesem Thema hatten — so hochgelobten und gewinnbringenden Erziehungsarbeit faktisch nicht beteiligen.

(Zuruf von der SPD: Weil es keinen Gewinn bringt!)

Ich denke, daß die jetzt mögliche dreimalige Aufteilung hieran auch nichts ändern wird.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf die Untersuchung von Margarete Landenberger zu den Wirkungen des Erziehungsurlaubs auf Arbeitsmarktchancen und soziale Sicherung von Frauen, die vom Oktober 1990 datiert und zutreffend feststellt, mit dem Erziehungsurlaub sei die Entscheidung gegen die Parallelführung von Erwerbstätigkeit und Familie gefallen. Hierzu kann ich nur feststellen: Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird diese Entscheidung verfestigt.
Die mit der Rückkehr in die Erwerbstätigkeit nach einem Erziehungsurlaub auftretenden Schwierigkeiten werden die Frauen in den neuen Bundesländern besonders schmerzhaft zu spüren bekommen. Die Erwerbsquote betrug bei ihnen vor der Wende immerhin 90 %. Erwerbstätigkeit und daraus resultierende wirtschaftliche Unabhängigkeit sind bei den Frauen in den neuen Bundesländern ganz wesentlich bestimmend für ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensplanung. Das wird durch die im Auftrag des BMFJ durchgeführte Umfrage vom Februar 1991 eindrucksvoll belegt. Danach ist für die übergroße Mehrheit der befragten Frauen in den neuen Bundesländern die Erwerbstätigkeit ein selbstverständliches und unverzichtbares Element ihrer Lebensplanung. Ganze 3 % sehen zur Zeit überhaupt eine sinnvolle Möglichkeit darin, sich voll und ganz der Familie zu widmen, auch wenn die Kinder aus dem Haus sind. Dies ist nicht etwa — das halte ich für ganz wichtig festzuhalten; dies kommt auch in der Würdigung der Ergebnisse



Erika Simm
der Befragung zum Ausdruck — ideologisch begründet, sondern beruht darauf, daß die Frauen in der DDR ihre Berufstätigkeit durchaus positiv erfahren und erlebt haben.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Dem trägt die Regelung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der jetzt vorliegenden Fassung in keiner Weise Rechnung.

(Zuruf der Abg. Erika Reinhardt [CDU/ CSU])

— Frau Kollegin, wenn Sie es bezweifeln, dann empfehle ich Ihnen, diese Befragung einmal nachzulesen.

(Erika Reinhardt [CDU/CSU]: Sie müssen sich einmal mit Frauen unterhalten!)

Es stammt nicht von mir, aber es leuchtet mir ein, da ich selbst sehr viele Kontakte habe.

(Erika Reinhardt [CDU/CSU]: Nicht nur Sie!)

600 DM Erziehungsgeld, ab dem siebenten Monat, möglicherweise einkommensgemindert, sind kein Äquivalent für eigenes Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Unkündbarkeit und Arbeitsplatzgarantie gewährleisten die Rückkehrmöglichkeit in den Beruf nicht, wo Betriebe in großem Umfang schließen und Frauen vorrangig vom Arbeitsmarkt verdrängt werden.
Wie wenig ernst es der Bundesregierung damit ist, den Frauen in den neuen Bundesländern die Chance zur eigenen Erwerbstätigkeit zu erhalten, zeigt die Weigerung, sich über den 30. Juni 1991 hinaus an der Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen zu beteiligen.
Sehr ärgerlich finde ich im übrigen auch, daß sich die gegenwärtige Regelung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, an der ja grundsätzlich nichts geändert werden soll, in der Praxis als eklatante Ungleichbehandlung von Frauen, die ganz überwiegend betroffen sind, auswirkt. Diese Ungleichbehandlung ist die logische Konsequenz daraus, daß die Bundesregierung ihren eigenen Anspruch einer familienpolitischen Absicherung der Erziehungsarbeit in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes erklärtermaßen selbst nur teilweise zu erfüllen gewillt ist und im übrigen die Länder mit der Forderung nach einem Landeserziehungsgeld in die Pflicht nimmt. Sie tut dies ohne Rücksicht auf die Finanzsituation in den Bundesländern, zu deren ständiger Verschlechterung sie im übrigen auch selbst beigetragen hat. So gibt es bisher nur in vier Bundesländern, nämlich Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin, ein Landeserziehungsgeld.

(Erika Reinhardt [CDU/CSU]: Alle CDU!)

— Ich freue mich, daß Sie diesen Zwischenruf machen. Wenn Ihrerseits ständig mit Stolz darauf hingewiesen wird, diese Regelungen seien jeweils unter

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Sie bleiben nämlich sämtlich bezüglich der Höhe des Erziehungsgeldes hinter dem Bundeserziehungsgeld zurück und sind somit noch unzulänglicher, als es das Bundeserziehungsgeld mit 600 DM im Monat schon ist.
Eklatante Ungleichheit auch hier: Die Landeserziehungsgelder schwanken hinsichtlich ihrer Höhe, sind zum Teil noch einkommensgemindert, werden über unterschiedlich lange Zeiträume gewährt und unterscheiden sich auch sonst gravierend in den Anspruchsvoraussetzungen. So wird in Bayern, Berlin und Baden-Württemberg grundsätzlich für jedes Kind Landeserziehungsgeld gewährt, in Rheinland-Pfalz jedoch nur ab dem dritten Kind. Vor dem Hintergrund dessen, daß grundsätzlich jedes Kind den gleichen Betreuungsbedarf hat, halte ich die bestehenden Unterschiede in den Regelungen für nicht vertretbar.
Ungleichbehandlung aber auch je nachdem, wo Frauen beschäftigt sind. Während kleine Betriebe kaum in der Lage sind, Maßnahmen zu treffen, die die Rückkehr an den Arbeitsplatz erleichtern, oder gar dazu Anreize zu bieten, gibt es das sehr wohl in großen Unternehmen, dort durch Betriebsvereinbarungen abgesichert, die die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen während des Erziehungsurlaubs, wiederholte kurzfristige Beschäftigung im Betrieb, z. B. als Urlaubsvertretung, ermöglichen sowie auch versorgungsrechtliche Anreize für eine Rückkehr in den Betrieb vorsehen. Ich bin der Meinung, daß diese Ungleichheiten ein eindeutiges Zeichen dafür sind, daß die vorliegenden bundesrechtlichen Regelungen auch in dem Bereich, den sie zu regeln vorgeben, unzureichend sind.
Darüber hinaus hätten wir es uns als SPD-Fraktion anläßlich der beabsichtigten Neuregelung gewünscht, das Instrumentarium Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub nochmals grundsätzlich zu diskutieren mit dem Ziel, Regelungen zu finden, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Daß uns diese Möglichkeit nicht gegeben wurde, halte ich für ein schwerwiegendes Versäumnis. Zu verantworten hat es diese Bundesregierung, zuallererst, so meine ich, die zuständige Ministerin.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205424500
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Bernd Protzner.

Dr. Bernd Protzner (CSU):
Rede ID: ID1205424600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes ist ein großes Ziel erreicht, ein mit viel Staunen und offensichtlich auch Ungläubigkeit betrachtetes Ziel, ein Ziel in der Familienpolitik, das in unserem Land von ganz großer Bedeutung ist. Es wird die gesetzliche Anerkennung der Erziehungsleistung der Familie in den entscheidenden drei ersten Jahren eines Kindes gewährleistet,



Dr. Bernd Protzner
und es wird für zwei Jahre aus Bundesmitteln Erziehungsgeld garantiert.
Ich weiß, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie seit 1986 andere Auffassungen hatten, daß Sie damals meinten, dieses Gesetz würde nicht akzeptiert werden, dieses Gesetz hätte keinen Erfolg. Sie meinten auch nicht, daß wir die Gesetzgebung in diesem Bereich konsequent und kontinuierlich ausbauen würden. Deshalb tun Sie sich offensichtlich etwas schwer mit Ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu diesem Gesetz. Sie versuchen, hier etwas mit einer Vielzahl von kleinlicher Kritik an einzelnen Punkten des Gesetzes zu verbrämen.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Die Familienverbände sind auch unglücklich über dieses Gesetz!)

— Herr Böhme, ich gehöre einer Partei an, die es nicht bei frommen Sprüchen und schöngeistigen Aufsätzen beläßt, die hier nicht immer nur klagt und auch nicht nur Sonntagsreden hält, sondern die auch handelt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen fällt es offensichtlich schwer zu glauben — Ihre Rednerin, Frau Wester, hat ja auch unseren Bundesfinanzminister kritisiert — , daß wir trotz aller finanziellen Schwierigkeiten, die wir haben, im Familienbereich zusätzliche Mittel einsetzen — und das mit dem Wissen und mit dem ausdrücklichen Willen des Bundesfinanzministers.
Es ist natürlich für Sie sehr leicht, eine einzelne Maßnahme aus der Familienförderung herauszugreifen und zu sagen, dort wäre noch etwas unzureichend, und das gesamte andere Paket zu vergessen. Familienförderung wird ja nicht nur mit Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld betrieben, sondern Familienförderung wird auch durch Kindergelderhöhungen, durch Erhöhung der Kinderfreibeträge, durch Maßnahmen im Baukindergeldbereich, durch die Anerkennung der Erziehungszeiten im Rentenrecht, durch die Kindergartenplatzgarantie und vielleicht auch im Familiengeldbereich betrieben. Sie müssen hier immer den Zusammenhang sehen. Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, das dazu beiträgt, die Situation der Familien zu verbessern. Erst dieses ganze Bündel von Maßnahmen kann Grundlage für die Beurteilung sein, was für die Familie insgesamt geleistet wird. Es ist jedenfalls mehr, als Sie jemals zuwege gebracht haben, und es ist mehr, als Sie uns in Ihren kühnsten Träumen zugetraut haben.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Das ist nicht wahr! Das ist falsch!)

Und es ist erfolgreich. Ich sage es noch einmal: Es ist erfolgreich.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Es wird in einer Größenordnung angenommen, wie Sie es sich 1986 niemals haben vorstellen können.
Eines muß ich aber zum Grundsätzlichen sagen: Bei allen Diskussionen über einzelne Punkte zur Umgestaltung und Ausgestaltung dieses Erziehungsgeldgesetzes werden wir an einer Position nicht rütteln lassen, nämlich daran, daß dieses Erziehungsgeldgesetz dazu beiträgt, die Familienleistungen anzuerkennen. Ich meine damit die Anerkennung der Leistungen der Familie und der Teilfamilie. Wir sind aber nicht bereit, über die Familie hinauszugehen und irgendwelche Lebensgemeinschaften oder sonstige Verhältnisse anzuerkennen.

(Zurufe von der SPD: Igitt!)

Wir sind nur bereit, den Bereich der Verwandten ersten und zweiten Grades und ihrer Ehegatten zu berücksichtigen. Wir verweisen Sie ansonsten auf den Bereich der Personensorge.
Wir müssen das auch im Interesse der Kinder tun: Denn wir müssen die Kinder schützen, da wir nicht wissen, wer in solchen Lebensgemeinschaften und sonstigen Dingen Erziehungsleistungen erbringen soll.
Wir sind auch bereit, mit Ihnen über die Verteilung von Rollen zu reden, aber nur über die Verteilung von Rollen zwischen Vätern und Müttern, nicht einfach nur über die Verteilung der Rollen von Frau und Mann. Denn die Begriffe Frau und Mann schließen das Kind nicht ein. Allein die Begriffe Vater und Mutter schließen das Kind mit ein. Hier bewegt sich langsam etwas. Ich bitte Sie, hier ganz einfach auf die Entwicklung zuzuwarten und uns gleichzeitig zu helfen, diejenigen zu aktivieren, die sich in diesem Bereich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren sehr zurückgehalten haben, nämlich die Tarifparteien.
Weder von Arbeitgeber- noch von Arbeitnehmerseite habe ich in den letzten zwanzig Jahren bei den Tarifverhandlungen erhebliche strukturelle Verbesserungen gerade hinsichtlich der Erleichterung von Erziehungsleistungen festgestellt. Man hat alles Mögliche verbessert: Man hat die Löhne prozentual sehr stark angehoben. Aber wenn es darum geht, bei strukturellen Verbesserungen etwas Phantasie walten zu lassen, so war man in den 60er Jahren schon viel weiter als heute, zu Beginn der 90er Jahre. Ich sage ganz klar: Eine ganze Reihe von Unternehmen ist hier viel weiter als die großen Tarifverbände.
Sie hätten sich durchaus darauf einstellen können. Wie gesagt, unser Gesetzesvorhaben ist seit Beginn der 80er Jahre bekannt gewesen. Die Regierungskoalition hat damals erklärt, daß sie das konsequent und nacheinander verwirklichen will. Es hätte in vielen Tarifverhandlungen durchaus Möglichkeiten und Chancen für den Rollenwechsel gegeben, von dieser Seite Wahlmöglichkeiten zu eröffnen.
Ich bin jedenfalls nicht bereit, den Gesetzgeber für all das einstehen zu lassen, wenn andere, die sonst immer sehr viel von Tarifautonomie reden, sich zu fein oder zu schade sind, in diesen Bereichen etwas zu tun. Der Politik das Unangenehme, das Schwierige, das Komplizierte zu überlassen und sie danach immer zu kritisieren, wenn es nicht ganz so gelungen ist, das ist der leichtere Weg.
Ich warne Sie auch, dieses Erziehungsgeldgesetz in der Frage der Qualifikation, der Wiedereingliederung und anderer Dinge mehr zu überfrachten. Hier gibt es andere Gesetze und Gesetzesvorhaben, bei denen wir eventuell Veränderungen und Korrekturen vornehmen sollten. Wir haben ja vorhin vom Kollegen Eimer



Dr. Bernd Protzner
gehört, daß sich die Gesetzgebung in diesem Lande nicht durch besondere Klarheit auszeichnet.

(Zuruf von der SPD)

— Das sage ich ganz offen.
Darum soll man die Dinge in den einschlägigen Gesetzen regeln und nicht versuchen, in ein Gesetz allzuviel hineinzupacken. Dieses Gesetz ist ein Gesetz für Erziehungszeiten und für Erziehungsurlaub.
Ich freue mich natürlich, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie initiativ werden wollen. Ich wünsche mir, daß sich Ihre erste Initiative auf Ihre Kollegen vom Bundesrat richtet, die ja heute durch Abwesenheit glänzen.

(Widerspruch bei der SPD — Zurufe von der SPD: Das ist ein Witz! — Die Anwesenheit bei euch ist auch nicht viel besser!)

— Die stimmen unseren Vorstellungen ja auch zu.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205424700
Herr Kollege Dr. Protzner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Bernd Protzner (CSU):
Rede ID: ID1205424800
Bitte.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205424900
Bitte, Herr Kollege Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1205425000
Herr Kollege, nachdem Sie sich dahin gehend äußern, daß sich die Arbeitgeber an den einschlägigen Tarifverhandlungen nicht beteiligen: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Arbeitgeber jährlich weit über 30 Milliarden DM an freiwilligen Leistungen im Sozialbereich aufbringen?

Dr. Bernd Protzner (CSU):
Rede ID: ID1205425100
Herr Kollege Grünbeck, das nehme ich gern zur Kenntnis.

(Josef Grünbeck [FDP]: Ich danke Ihnen sehr!)

Ich wünschte mir nur, daß diese freiwilligen Leistungen dafür eingesetzt würden, im Bereich der Familienförderung etwas zu tun und nicht nur in anderen Bereichen. Ich bleibe bei meiner Aussage, daß man etwas zuwenig Phantasie walten läßt.

(Beifall bei der SPD)

Aber vielleicht können wir versuchen, das gemeinsam zu ändern.
Ich darf zum Thema zurückkommen. Bei den Kollegen meiner Fraktion weiß ich, daß sie dem Gesetz zustimmen, insbesondere der Regelung, daß vom 25. bis zum 36. Monat die Länder in der Pflicht sind. Bei Ihren Kollegen von der Bundesratsbank bin ich mir nicht so sicher. Es gibt auch in den Ländern, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, Diskussionen. Ich würde mir wünschen, daß Sie hier initiativ werden und das Erziehungsgeld in diesen Ländern einführen.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Statten Sie die Länder finanziell vernünftig aus!)

— Die Ausrede mit der Finanzlage zählt nicht.
Ich habe Ihnen vorhin gesagt, Herr Böhme, daß auch bei uns im Bund die Finanzlage — angesichts der großen Veränderungen in Deutschland und in
Zentral- und Osteuropa — nicht die beste ist. Trotzdem wenden wir erhebliche Beträge für die Familienförderung auf. Ich meine, auch in Ihren Bundesländern müßte es möglich sein, die entsprechenden Beträge zusammenzubekommen. Seit 1986 sind viele Jahre vergangen, in denen man sich haushaltsmäßig hätte darauf vorbereiten können.
Ich wünschte mir, daß Sie hier initiativ werden. Dann könnten Sie durchaus in den Wettstreit mit den CDU-Ländern eintreten und die Leistungen hinsichtlich dessen, was bislang die CDU- und CSU-regierten Länder getan haben, wesentlich verbessern. Wir werden uns im Interesse der Sache diesem Wettstreit sehr gern stellen. Ich hoffe, daß wir in diesem Sinne mit dem Gesetzgebungsvorhaben in der Familienpolitik gemeinsam doch ein Stück weitergekommen sind.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205425200
Meine Damen und Herren, ich rufe als nächste Rednerin unsere Kollegin Frau Brigitte Lange auf. Ich gratuliere nachträglich herzlich zum Geburtstag. Sie hatte nämlich gestern Geburtstag.

(Beifall im ganzen Hause)


Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1205425300
Dafür kann ich gar nichts.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich überlege die ganze Zeit, ob die überwältigende Abwesenheit von Kollegen der CDU/CSU ein Mangel an Halleluja für dieses Gesetz ist oder ein Protest gegen die Art und Weise, wie dieses Gesetz beraten worden ist. Ich vermute einmal beides.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Rudolf Kraus [CDU/CSU]: Ihr braucht euch bei der Sache wirklich nicht so aufzuführen! Die paar Leute bei euch! Es sind zufällig einige wenige mehr!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205425400
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Kollegin Lange, darf ich einen Satz sagen. Es hat wenig Sinn, daß wir hier gegenseitig Abwesenheit kritisieren oder uns Anwesenheit bestätigen. Sie wissen alle, daß die Kollegen in einer Vielzahl von Ausschüssen tätig sind. Der Haushaltsausschuß hat Bereinigungssitzung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es tagen eine Reihe von Kommissionen, die mit wichtigen Aufgaben befaßt sind. Deswegen hat das ganze Hin und Her keinen Sinn. Es ist zu begrüßen, daß jeder, der es ermöglichen kann, hierherkommt, um bei der zweiten und dritten Lesung eines Gesetzes, das in der Sache strittig, aber in der Abstimmung nicht mehr strittig ist, hierzusein. Das ist sehr zu begrüßen. Aber dieses Hin und Her hat keinen Sinn.
Frau Kollegin Lange, bitte.

Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1205425500
Das war's. Ich glaube, wir haben einen Nachholbedarf an Auseinandersetzung.



Brigitte Lange
Worum geht es? Um das Erziehungsgeld. Es wird angenommen, natürlich! Warum nicht? Warum sollte man auf 600 DM, die man bekommen kann, verzichten? Aber was passiert dann? So meine ich, daß das Erziehungsgeld für viele ein hübsches Bonbon ist. Es wird etwas größer, es erhält eine gefälligere Verpakkung, ist aber eben ein Bonbon. Die Wirkung ist zu Ende, wenn es geschmolzen ist, und der Geschmack wird bitter.
Erziehungsgeld als Sackgasse? Welche Zielsetzung steckt dahinter? Darüber wollten wir mit Ihnen nachdenken, und darüber wollten wir beraten. Aber die Regierung wollte das nicht. Eile war angesagt. Die Regierung hustete, und die Koalitionsabgeordneten bekamen einen Schal um den Hals und waren sprachlos.
Frau Verhülsdonk hatte uns in der letzten Debatte versprochen, daß wir uns im Ausschuß damit noch einmal ausführlich beschäftigen würden. Sie hatte „wir" gesagt, und damit hatte sie auch recht; denn nicht nur wir hatten Beratungsbedarf, sondern die Regierung auch. Aber obwohl es der federführende Ausschuß war, waren in diesem Ausschuß weder Feder noch Führung erkennbar, sondern nur Chaos. Weder lagen die Anträge rechtzeitig auf dem Tisch, noch konnten wir die Ergebnisse der mitberatenden Ausschüsse verwerten. Keiner wußte, was der andere tat. Der Vorsitzende blieb freundlich. Der Regierung kam die Philosophie abhanden. Insgesamt waren die Artisten unter der Zirkuskuppel ratlos.
Fazit: Vielleicht ein Vorschlag an Frau Ministerin Rönsch, doch unserer Kollegin Frau von Renesse wenigstens einen Blumenstrauß zu schicken, als Dankeschön dafür, daß sie die Regierung davon abgehalten hat, fast in die Nähe der Verletzung des Grundgesetzes zu geraten. Frau Wester hat das vorhin erläutert: Es handelt sich um die geschiedenen Väter. Was man dort vorgesehen hatte, war schon schlimm.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Ansonsten diente die Beratung nicht dem vielbeschworenen Wohl der Familie. Sie war weder sorgfältig noch angemessen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ich meine Aufgabe als Abgeordnete verstehe, und das bei einem Gesetz mit einem nicht geringen finanziellen Volumen und einer erheblichen Auswirkung auf die Lebensplanung junger Menschen.
Schauen wir uns das noch einmal an. Was ist beabsichtigt? Im Gesetzentwurf wird genannt: Die Absicherung der Eltern in der ersten Lebensphase ihrer Kinder soll weiter ausgebaut werden. Das ist ein wahrlich weites Feld und verlockt mich zu allerhand Bemerkungen. Ich nenne nur die Reizvokabeln: gerechter Familienlastenausgleich, vernünftiges Kindergeld für alle. — Aber das ist halt die Schwierigkeit.
Frau Verhülsdonk sprach von der Anerkennung der Erziehungsleistung. Anerkennung — da beschleichen nicht nur mich komische Muttertagsgefühle.
Der Herr Kollege Link erklärte die Entwicklung des Erziehungsgeldes als einen Zug, der 1985 auf das Gleis gesetzt wurde. Mir scheint nur, daß Sie seitdem die Türen verschlossen haben, um keine neuen Ideen zuzulassen, und daß Sie die Vorhänge fest zugezogen haben, um die Lebenswirklichkeit auszusperren.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Mütter und Väter von heute und zunehmend von morgen wollen beides: Beruf und Leben mit Kindern. Die Freiheit für Frau und Mann, zu wählen, wie er oder sie dieses beides sinnvoll miteinander verbindet, die Freiheit, die sie sich von diesem Gesetz versprechen, existiert nicht, nicht einmal ansatzweise. Es bleibt beim Entweder-Oder, und zwar für die Frau.

(Beifall bei der SPD)


(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

Die Benachteiligung der Frau nimmt nicht ab, wenn einzelne Männer zeitweise die benachteiligte Rolle der Frau übernehmen. Solange für die berufliche Entwicklung und für die Arbeitsplatzqualität die totale Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt, für den Arbeitgeber Voraussetzung ist, bleibt der private Bereich, nämlich der Familienbereich, ausgesperrt und den Frauen zugewiesen, zum Schaden für alle.
Für die schöne Möglichkeit, Kinder zu kriegen, werden Frauen bestraft. Unabhängig von der eigenen Entscheidung werden sie im Erwerbsleben von Anfang an als zukünftige Mütter behandelt, nämlich als Arbeitnehmerinnen, die wahrscheinlich bald ausscheiden oder zumindest vorübergehend ausscheiden. Das wirkt sich auf ihre Ausbildung und auch auf ihre Arbeitsplatzqualität aus. So werden berufliche Perspektiven vermindert oder sogar abgeschnitten. Es ist so.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, da weder wir zur Zeit eine Mehrheit noch Sie ein Einsehen in unsere Vorstellungen haben — jedenfalls jetzt noch nicht — , stimmen wir dem Entwurf zu. Wir haben nichts gegen Bonbons und gegen Muttertage. Aber wir wollen mehr, nämlich einen strukturell anderen Rahmen für das Erziehungsgeld.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen Regelungen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen gewährleisten, ohne Sanktionen, und wir laden Sie dazu ein, sich an diesen Beratungen konstruktiv zu beteiligen.
Danke.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205425600
Frau Abgeordnete Dr. Barbara Höll, Sie haben das Wort.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205425700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes beinhaltet begrüßenswerte Vorschläge und reale Verbesserungen für Mütter und Väter, die ihr Kind in den ersten Lebensjahren häuslich betreuen wollen. Insbesondere der verwirklichte Kündigungsschutz für Väter, welche Erziehungsurlaub beantragen, führt hoffentlich dazu, daß mehr Männer von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.



Dr. Barbara Höll
Für sehr problematisch halte ich jedoch bereits die im Text des Gesetzentwurfs verwendete Bezeichnung „Erziehungsurlaub". Jeder, der selbst Kinder betreut hat, wird zugeben, daß dies Arbeit ist, Arbeit, die im gesellschaftlichen Gesamtgefüge eine grundlegende Aufgabe erfüllt, nämlich die Sicherung unserer gemeinsamen Zukunft. Als solche sollte sie auch von der Gesellschaft anerkannt werden.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD)

Eben hierin begründet sich meine grundlegende Kritik an diesem Gesetzentwurf. Er suggeriert die Annahme, daß mit der Zahlung selbst des Höchstsatzes von 600 DM Erziehungsgeld pro Monat der Sicherung der Existenz des bzw. der Erziehungsarbeit Leistenden Genüge getan wäre. Wenn die Gesellschaft Erziehungsarbeit als Arbeit anerkennt, so folgt daraus für mich mit zwingender Notwendigkeit, daß sich die Erziehungsarbeit Leistenden dieser Arbeit auch widmen können müssen. Vater und Mutter sein ist in diesem Sinne ein Beruf, auf den die Menschen oft nur unzureichend vorbereitet sind. Um in diesen Beruf hineinwachsen zu können und ihn zu bewältigen, bedarf es wenn schon keiner realen Vergütung, so doch wenigstens der Sicherung der eigenen Existenz.
Die vorgeschlagenen Finanzmittel in Höhe von maximal 600 DM, die Erziehenden zugesprochen werden, sichern eben nicht die selbständige materielle Existenz des Erziehenden und implizieren Abhängigkeiten, entweder über die Sozialhilfe vom Staat oder vom Ehepartner, selten von der Ehepartnerin, was auch sexuelle Abhängigkeiten beinhaltet.
Die geleistete gesellschaftlich notwendige Arbeit wird finanziell nur sehr unzureichend anerkannt, im Gegenteil: Das Erziehungsgeld wird nicht über den gesamten Zeitraum von drei Jahren gezahlt. Im dritten Betreuungsjahr erfolgt keine finanzielle Anerkennung mehr, und ab dem siebten Monat wird noch angerechnet, z. B. die Sozialhilfe oder das Einkommen des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin.
Die tatsächliche Anerkennung der geleisteten Arbeit durch die Gesellschaft und die Sicherung der Erziehungsaufgabe, befreit vom unmittelbaren Druck der Existenzsicherung des Erziehenden, sind nur über eine nettolohnorientierte Zahlung von Erziehungsgeld möglich. Erst damit wäre es auch für Väter real möglich, den Erziehungsurlaub in Anspruch zu nehmen, weil dann ein solcher Entschluß nicht mehr den absoluten finanziellen Einbruch für das Familieneinkommen bedeuten würde.
Wenn auch die Gehälter der Männer in unserer Gesellschaft um ein Drittel über dem Einkommen der Frauen liegen, so wären bei der Zahlung von z. B. 70 % des Nettoeinkommens auch mehr Väter zu einer Inanspruchnahme oder Teilung des Erziehungsurlaubs bereit. Auch auf dieser Basis würde in der Regel eine solche wünschenswerte Entscheidung der Väter eine stärkere finanzielle Einbuße für das Familienbudget bedeuten, als wenn sich die niedrig verdienenden Mütter dafür entschieden. Doch ich denke, viele Männer sind eigentlich dazu bereit. Nicht jeder Mann wünscht sich eine nur auf Haus, Kind und ihn fixierte Gefährtin. Das längere alleinige Ausscheiden aus dem Berufsleben, der für Frauen leider typische
Karriereknick, eine spezifische Einschränkung des erfahrenen Lebenszusammenhangs, wären durch eine solche nettolohnorientierte Regelung auch für Mütter in stärkerem Maße zu umgehen.
Es ist zu hoffen, daß die im vorliegenden Gesetzentwurf geschaffene Möglichkeit des dreimaligen Wechsels der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs unbürokratisch ermöglicht wird und im gelebten Alltag nicht nur auf sogenannte schwerwiegende Gründe beschränkt ist. Für Erziehende, die nicht berufstätig sind, müßte durch die Zahlung eines nicht anzurechnenden Betrages ebenfalls die eigenständige Existenz gesichert werden.
Eine weitere Kritik an diesem Gesetzesantrag begründet sich in dem nicht komplexen Herangehen an die Schaffung von durch die Gesellschaft zu garantierenden Bedingungen für ein Leben mit Kindern.
Der Vorschlag eines Erziehungsurlaubes von drei Jahren ohne die gleichzeitige Möglichkeit einer nicht ausschließlich häuslichen Betreuung vor bzw. ab drei Jahren heißt einerseits, den Vätern und Müttern real die Entscheidungsmöglichkeit über die Art und Weise der Erziehung zu nehmen. Dies ist für mich eine staatliche Bevormundung ähnlich der in der ehemaligen DDR, nur mit entgegengesetzter Zielstellung. Das Parlament und die Regierung sollten den Eltern wohl zutrauen, selbst entscheiden zu können, welche Form der Kindererziehung für ihren Lebensentwurf und ihre Kinder die angemessene ist.
Andererseits geht eine solche eindeutige Option für die ausschließlich häusliche Kindererziehung auch in anderer Beziehung an der Realität des Lebens vorbei: Genau wie in der früheren DDR ist auch in den alten Bundesländern die Mehrzahl der Familien auf zwei Einkommen angewiesen, um auch mit Kindern ein zumindest materiell abgesichertes Leben führen zu können. Dies erfordert ein breit gefächertes Netz verschiedener Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in gut ausgestatteten und von ausgebildeten Erzieherinnen geführten Tagesstätten.
Insbesondere die nicht kleine Gruppe von alleinerziehenden Menschen ist bereits heute auf ein bedarfsdeckendes Netz von Krippenplätzen angewiesen. Es wäre meines Erachtens bereits im Zusammenhang mit der gesetzlichen Neuregelung des Erziehungsurlaubes und der Zahlung von Erziehungsgeld gut gewesen, wenn die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern das Parlament darüber informiert hätte, wie erstens das aus der früheren DDR übernommene bedarfsdeckende Netz von Kindertagesstätten — Krippen, Kindergarten- und Hortbetreuung — erhalten und qualitativ verbessert werden soll und wie zweitens die in den alten Bundesländern vorhandenen Strukturen zur Kinderbetreuung auf ein bedarfsdeckendes, für alle bezahlbares Niveau gehoben werden soll. Der auch in der Regierungserklärung angestrebte Rechtsanspruch des Kindes auf mögliche Betreuung in Tagesstätten — und damit auch ein Anspruch auf Zusammensein mit anderen Kindern — bleibt sonst wohl bis zum Ende der Legislaturperiode eine bloße Absichtserklärung.
Aus all diesen Gründen ergeben sich für die PDS/ Linke Liste hinsichtlich der Gestaltung von Rahmen-



Dr. Barbara Höll
bedingungen für ein Leben mit Kindern folgende Forderungen:
Erstens. Ausbau des Bundeserziehungsgeldes von einer staatlichen Sozialleistung zum existenzsichernden nettolohnorientierten Entgelt für Erziehungsarbeit und damit zur wirklichen Grundlage für Wahlfreiheit der Eltern hinsichtlich der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen.
Zweitens. Der Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub muß für alle in der Bundesrepublik lebenden Menschen mit Kindern Geltung erlangen.
Drittens. Sozialpolitische Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen mit Kindern dürfen kein Stückwerk für die ersten drei Lebensjahre sein, sondern müssen als Komplex bis zum 14. Lebensjahr greifen.
Viertens. Diese Maßnahmen müssen zugleich konkrete Schritte staatlicher Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einschließen und sich entsprechend der Realität besonders an Frauen richten. Ich nenne Maßnahmen wie Wiedereinstiegsförderung von Frauen, Anschlußqualifizierung, Begünstigung von Wiedereinsteigerinnen beim beruflichen Aufstieg.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205425800
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, da ich davon ausgehe, daß sich die Frau Ministerin, die gleich sprechen wird, im Rahmen der von ihr angemeldeten Redezeit von zehn Minuten halten wird, stelle ich fest, daß wir ein bißchen vor der Zeit sind. Ich sage das jetzt auch für diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte am Fernsehgerät in ihrem Büro folgen. Das heißt: Der nächste Tagesordnungspunkt, die Aktuelle Stunde, wird also ein paar Minuten früher aufgerufen. Die Kollegen, die es darauf anlegen, erst auf die Sekunde genau zu kommen, obwohl sie womöglich noch als Redner vorgesehen sind, sollten das wissen und möglichst bald im Plenum sein.
Ich erteile der Bundesministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1205425900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich will noch einmal das leidige Thema der Präsenz kurz ansprechen.

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Wir sind heute mehr!)

In diesem Haus weiß eigentlich jeder, daß momentan die verschiedensten Ausschüsse, u. a. auch der Sonderausschuß zu § 218, tagen. Deshalb sollten wir dieses Thema wirklich beenden. Wir wissen, wo die Kolleginnen und Kollegen sind.

(Zustimmung bei der FDP — Zurufe von der SPD)

— Nein, Frau Kollegin, Sie waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Hause. Es war hier fast permanent Gegenstand der Diskussion. — Ich meine, wir wissen, daß die Kolleginnen nicht am Rhein spazierengehen,
sondern daß sie ganz einfach ihre Sacharbeit leisten. Deshalb sollten wir das jetzt sein lassen.
Ich bin auch gar nicht so traurig darüber, denn ich vertrete hier diese Gesetzesänderung sehr, sehr gerne, war allerdings ein wenig erstaunt. Ich hatte mir vorgestellt, daß dieses Gesetz auf etwas weniger Mäkeleien aus der Opposition stoßen würde. Ich war der Kollegin Lange ausgesprochen dankbar dafür, daß sie noch einmal deutlich gemacht hat, daß die Opposition diesem Gesetz zustimmt. Denn ich hatte das bisher gar nicht erkennen können. In der Vergangenheit klang es so.
Frau Kollegin Simm, Sie haben mir die Verantwortung für diese Gesetzesänderung zugewiesen. Ich darf Ihnen sagen: Ich übernehme diese Verantwortung ungeheuer gerne. Denn diese „Zumutungen", die wir Männern und Frauen, die wir Familien, die wir Müttern aufbürden, werden mittlerweile von 97 % in der Bundesrepublik (alt) und — hören Sie bitte genau zu — von 80 % in den fünf neuen Bundesländern wahrgenommen. Ich meine, daß das ein Zeichen dafür ist, daß dieses Gesetz eine hohe Akzeptanz erfährt.

(Zurufe von der SPD)

— Ich verstehe ja Ihre Unruhe. Ich hätte mir aus meiner früheren politischen Tätigkeit gewünscht, daß Sie damals mit einem solchen Gesetz übergekommen wären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich vielleicht noch ein paar Anmerkungen zu Ihren Änderungswünschen machen. Es ist immer sehr schön, wenn man hier vorne steht und die Opposition vertritt. Man kann ins Blaue fordern und hat nachher den Haushalt nicht zu vertreten. Es nimmt einen dann aber schon wunder, wenn Sie, wie eben von der Kollegin Simm geschehen, Leistungen von CDU-geführten Landesregierungen kritisieren, wo SPD-Landesregierungen überhaupt nicht in der Lage sind, solche Leistungen zu erbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da, meine ich, sollten Sie sich ausgesprochen zurückhalten. Wenden Sie sich an Ihre Landesregierungen, damit endlich nach Möglichkeiten, welcher Art auch immer, gesucht wird — Saarland wird sicher weniger tun können, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen auch — , Familienpolitik zu unterstützen und ein Landeserziehungsgeld zu bezahlen.

(Erika Simm [SPD]: Sagen Sie, wie Bayern die Kindergärten finanziert!)

Sie sprechen die Finanznot der Bundesländer an. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern denken über ein Landeserziehungsgeld nach.

(Brigitte Lange [SPD]: Das ist ja rührend!)

Wie groß ist dann die finanzielle Not in den anderen sozialdemokratisch geführten Bundesländern?
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will gar nicht noch einmal all die sozialpolitischen Leistungen ansprechen, die mit der Erweiterung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Kraft treten, weil wir dazu im Bundestag schon mehrfach Gelegenheit gehabt haben. Ich will aber doch noch auf etwas auf-



Bundesministerin Hannelore Rönsch
merksam machen und von dieser Stelle aus an die Väter appellieren. Momentan nehmen nur 0,4 % der Väter Erziehungsgeld bzw. Erziehungsurlaub in Anspruch. Im Hinblick darauf haben wir in dem neuen Gesetz eine Änderung vorgenommmen: sie können dreimal mit der Mutter abwechseln. Ich meine, das ist eine ganz beachtliche Leistung.
Jetzt müssen wir alles dazu tun, daß auch die gesellschaftliche Akzeptanz eintritt, und die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch Väter gesellschaftlich entsprechend aufzuwerten. Ich meine, das sind vollkommen neue Möglichkeiten für die Väter. Es kommt jetzt für uns alle darauf an, daß wir ein entsprechendes Bewußtsein entwickeln.
Ich hätte mir gewünscht, der Kollege Grünbeck wäre jetzt da, weil er etwas Gutes über die Unternehmer hören wollte. Das möchte ich von dieser Stelle aus sagen. Ich bin in diesem Sommer bei vielen bundesdeutschen Unternehmen gewesen und habe mir Tarifverträge und Tarifvereinbarungen zeigen lassen, die abgeschlossen worden sind. Ich muß sagen: Es hat sich Erstaunliches getan. Denn viele Betriebe bieten weit über die drei Jahre hinaus, die jetzt gesetzlich möglich sind, Erziehungsurlaub an, nämlich fünf oder sogar zehn Jahre.

(Brigitte Lange [SPD]: Es lohnt sich doch auch!)

— Ja, natürlich. Diese Betriebe haben Vereinbarungen abgeschlossen, daß Mütter oder Väter wahlweise in Erziehungsurlaub gehen können. Sie werden staunen: Die Mütter werden dazu nicht gezwungen, sie machen es freiwillig, weil sie Freude an der Kindererziehung haben. Es gibt auch Väter, die das tun.

(Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: 0,4 %!)

— 0,4 %, Herr Dr. Böhme, ja.
An dieser Stelle möchte ich noch etwas zur Frau Kollegin Dr. Höll sagen: Ich kann dieses permanente Nachtrauern nach Einrichtungen der Kinderbetreuung in der ehemaligen DDR eigentlich nicht mehr verstehen. Ich habe das hier von Ihnen schon verschiedentlich gehört, Frau Dr. Höll. Ich bitte Sie: Sehen Sie sich einfach einmal die Erziehungspläne an, die schon Krippenerzieherinnnen in der ehemaligen DDR umsetzen mußten.

(Zuruf von der SPD: Wir reden über Einrichtungen!)

— Zu diesen Einrichtungen gehören auch die Krippen.

(Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ein weiteres, Frau Dr. Höll — darauf können Sie vielleicht in Ihrer Frage gleich auch noch eingehen — , will ich Ihnen sagen: Kindererziehung ist nicht nur Last und Arbeit — ich habe auch das von Ihrer Gruppierung verschiedentlich schon gehört — , sondern sie macht auch Freude.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Glauben Sie mir, Kindererziehung kann auch ungeheuer viel Freude machen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205426000
Frau Bundesministerin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Kollegin Höll zu beantworten?

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1205426100
Ja.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205426200
Bitte sehr.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205426300
Frau Ministerin, darf ich Sie darauf hinweisen — um das als Frage zu formulieren — , daß es mir darum ging, Vätern und Müttern reale Entscheidungsmöglichkeiten zu schaffen? Es geht nicht um ein Nachtrauern nach Einrichtungen in der DDR. Ich glaube, unsere Arbeit hier im Parlament macht uns sicher auch mehr oder weniger Spaß, aber trotzdem ist es Arbeit.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1205426400
Ich meine schon, daß wir niemanden zur Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld zwingen sollten. Mir kommt es ganz besonders darauf an, daß man die Wahlfreiheit hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Hat man doch!)

Offensichtlich machen von diesem Angebot sehr, sehr viele Gebrauch. Ich sage Ihnen noch einmal die Zahlen: 97 % in der alten Bundesrepublik und momentan 80 % in den fünf neuen Bundesländern. Ich wünsche mir, daß mehr Männer und Frauen auch in den fünf neuen Bundesländern Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen.
Ich empfinde es unter gar keinen Umständen als eine Last, wenn man entscheiden muß, ob man zu Hause bleibt und Kinder erzieht oder berufstätig bleibt. Ich bin ausgesprochen dankbar, daß sich viele dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben und die Kinder zu erziehen.
Ich möchte noch ein Wort auf die Idee der Kollegin Wester verwenden, die hier verschiedentlich geäußert hat, daß das Erziehungsgeld als volle Lohnersatzleistung gezahlt werden solle.

(Unruhe bei der SPD)

— Frau Kollegin Wester, ich habe mich gerade an Sie gewandt. Sie hatten in der ersten Lesung und eben noch einmal — ich glaube, auch die Kollegin Höll — gefordert, Erziehungsgeld als volle Lohnersatzleistung zu zahlen.

(Zuruf der Abg. Hildegard Wester [SPD])

— Ja, in der ersten Lesung war es.
Ich will Ihnen noch einmal ganz deutlich sagen: Das kann man alles fordern, wenn man Opposition ist. Allein dieser eine Punkt würde 15 Milliarden DM kosten. Das ist die Hälfte meines Haushaltes. Das ist nicht zu erbringen. Ich gestehe Ihnen offen zu, daß wir Erziehungsgeld auch in der Zukunft weiter im Auge halten und ausbauen müssen, mit Sicherheit. Trotzdem muß alles finanzierbar bleiben. Es hilft uns nichts, wenn wir, wie z. B. 1982, angesichts drohender Haushaltslücken familienpolitische Leistungen zurückschrauben müssen und dann an gar keiner Stelle mehr in der Lage sind, Sozialpolitik zu gestalten. Ich möchte, daß auch weiterhin Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit herrschen, daß wir in der Lage



Bundesministerin Hannelore Rönsch
sind, weiter zu finanzieren. Ich werde mich deshalb für dieses Erziehungsgeldgesetz und für diesen Erziehungsurlaub voll einsetzen.
Ich danke Ihnen, daß deutlich geworden ist, daß auch die SPD zustimmt. Ich bitte Sie jetzt nur noch, Einfluß darauf zu nehmen, daß nicht noch im Bundesrat eine Bremse angezogen wird; denn es wäre ausgesprochen schlimm, wenn die, die ab dem 1. Januar 1992 Mütter und Väter werden, die Ausweitungen dieses Gesetzes nicht in Anspruch nehmen könnten, weil der Bundesrat blockiert hat.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205426500
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/1125, 12/1288 und 12/1495.
Ich rufe die Art. 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte
alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich
zu erheben. — Wer dagegen ist, der möge aufstehen.
— Das ist niemand. Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Kohlepolitik
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zum genannten Thema verlangt.
Das Wort dazu hat der Herr Abgeordnete Harald Schäfer.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1205426600
Wer jetzt rausgehen will, möge bitte gleich rausgehen, damit ich hier in Ruhe anfangen kann.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Das gilt auch für den Minister Blüm, meine Damen und Herren.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Da gehen doch nur die Genossen raus!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205426700
Darf ich Sie einen Moment unterbrechen? Herr Kollege Schäfer, normalerweise werden solche Aufforderungen von diesem Platz aus gemacht. Aber wenn Sie um die nötige Ruhe für sich selbst bitten, ist das in Ordnung. Im wesentlichen haben Sie im Augenblick mit Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion zu tun.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Endlich mal was Neues, Herr Kollege Schäfer!)

Es sind inzwischen so gut wie alle, die den Saal verlassen wollten, weil sie zu dem anderen Thema hergekommen waren, draußen.
Sie haben das Wort.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1205426800
Herr Präsident, ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie so dankbar meine Amtshilfe entgegengenommen haben.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach der Kohlerunde vom Montag dieser Woche besteht leider kein Anlaß zur Entwarnung. Im Gegenteil, noch immer fehlt ein verbindliches, ein klares, ein langfristig sicheres und gesichertes kohlepolitisches Gesamtkonzept der Bundesregierung.
Noch immer fehlen eindeutige Planungs- und Entscheidungsgrundlagen für den Kohlebergbau. Noch immer schwebt — das ist vielleicht aktuell das Schlimmste — kurzfristig jedenfalls, wie wir hoffen — über den Bergleuten das „Möllemannsche Damoklesschwert" einer ungewissen und unsicheren Zukunft.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das ist das Möllemann-Schwert!)

Noch immer drohen den Bergleuten Massenentlassungen.
Die Bergleute wissen: Wir Sozialdemokraten lassen die Bergleute nicht ins Bergfreie fallen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden auch weiterhin der Möllemannschen Politik des gebrochenen Wortes Paroli bieten, und zwar mit Erfolg.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Lauter Sprüche!)

Möllemann wollte Kohlepolitik mit der Brechstange auf dem Rücken der Bergleute in Ost und West machen. Eine solche Politik muß scheitern. Möllemann gibt vor, einen energiepolitischen Konsens zu suchen, während er gleichzeitig mit seiner Politik die Voraussetzungen für einen solchen Konsens zerstört.
Wer wie Möllemann blindwütig Attacken gegen die heimische Steinkohle reitet und gleichzeitig die unbeschränkte Nutzung der Kernenergie betreibt, mit dem kann es keinen energiepolitischen Konsens geben. Das sollten Sie auch Ihrem Kollegen, Herr Blüm, mitteilen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten wollen eine Verständigung in der Kohlefrage. Es kann doch nicht sein, daß hier Konflikte auf dem Rücken der Bergleute ausgetragen werden!

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Wie hätten Sie es denn gern?)

Wir wollen eine Verständigung in der Kohlefrage. Ich
bin froh, daß zumindest die Kolleginnen und Kollegen
der CDU aus Nordrhein-Westfalen in dieser Frage die



Harald B. Schäfer (Offenburg)

gleiche Auffassung vertreten wie wir. Eine solche Verständigung kann es nur geben, wenn die geltenden Verträge eingehalten werden und konkrete Anschlußregelungen zum Jahrhundertvertrag und zum Hüttenvertrag verbindlich vereinbart werden.
Neben der Mengenfestlegung muß die Bundesregierung dabei verläßliche Finanzierungsregelungen garantieren, die auch von der EG-Kommission quergeschrieben sein müssen. Mit schieren Erklärungen und Ankündigungen ohne Verbindlichkeit muß es jetzt in dieser Frage endgültig vorbei sein.

(Beifall bei der SPD)

Von der dritten Kohlerunde erwarten wir Sozialdemokraten: Es darf keine Massenentlassungen geben; im Falle einer Rückführung der Förderung müssen Anpassungshilfen und öffentliche regionalpolitische Hilfsmaßnahmen verbindlich vereinbart werden. Die Kokskohlebeihilfe darf im Haushalt 1992 gegenüber 1991 nicht gekürzt werden. Es muß eine klare Finanzierungsgarantie vereinbart werden. Die längerfristige Finanzierung könnte dabei über die auch von der EG-Kommission vorgeschlagene Energiesteuer erfolgen.
Der Steinkohlebergbau, meine Damen und Herren, die Bergleute und ihre Familien und Kohlereviere insgesamt brauchen jetzt vor allem eines: eine klare und verläßliche Zukunftsperspektive. Die Bundesregierung muß endlich ihre Bringschuld in diesem Zusammenhang nachkommen. Das erwarten wir von der Kohlerunde am kommenden Montag.
Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205426900
Herr Abgeordneter Dr. Peter Paziorek, Sie haben das Wort.

Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1205427000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kohlerunde befindet sich in ihrer entscheidenden Phase. Die Zielvorstellungen der CDU/CSU-Fraktion für diese Runde sind: erstens Sicherung eines langfristig lebensfähigen Bergbaus in Deutschland und zweitens Zeit für sinnvolle strukturpolitische Anpassungen. Nach dem bisherigen Verhandlungsstand ist davon auszugehen, daß am kommenden Montag über diese kohlepolitischen Zielvorstellungen für das Jahr 2005 Einvernehmen erzielt wird.
Die bisher angedachte Größenordnung der Kohleförderung liegt nur knapp unter der von der Mehrheit der Mikat-Kommission angepeilten Effizienzgrenze von 55 Millionen Tonnen im Jahre 2005. Das würde der vom Bundeskanzler und auch von Arbeitsminister Norbert Blüm gemachten Zusage entsprechen, wonach die Steinkohle auch zukünftig zur sicheren Energieversorgung Deutschlands beitragen soll, wenn auch auf niedrigerem Niveau als bisher.
Wir würden heute sehr gerne von der SPD erfahren, wie die revierfernen SPD-Länder wie Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu diesem möglichen Verhandlungsergebnis stehen. Wo ist denn die gemeinsame Linie der SPD-Länder zur Kohlepolitik? Das würden wir heute hier sehr gern hören.
Noch eines: Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt einen energiepolitischen Konsens zwischen Kohle und Kernenergie ab. Aber an einem sinnvollen wirtschaftlichen Nebeneinander zwischen Kohle und Kernenergie führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit ihrer Haltung ist die SPD letztlich, auch wenn Sie das nicht wollen, kohlefeindlich.
Wir begrüßen es, daß sich der Bundeswirtschaftsminister morgen bei der EG für eine positive Lösung zum Jahrhundert-Vertrag für die Zeit bis 1995 einsetzen wird. Wir begrüßen es, daß er sich bei der Kokskohlebeihilfe im Interesse der Kohle bewegt hat.
Nur muß ich dem Bundeswirtschaftsminister vorhalten: Das hätte man schon früher haben können. Es war wenig hilfreich, von Interview zu Interview immer dieselben Attacken gegen den Bergbau zu reiten. Die Bergleute haben in den vergangenen Jahrzehnten enorm viel zur wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes beigetragen. Sie haben es somit nicht verdient, zu Prügelknaben der Nation gemacht zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wer die Kohlepolitik nur unter Almosengesichtspunkten sieht und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Subventionsabbaus diskutiert, verkennt, daß es in Wirklichkeit um viel mehr geht. Hier geht es jetzt um den Willen, Gegenwartsprobleme und Zukunftsperspektiven im energiepolitischen und gesellschaftspolitischen Konsens zu lösen.
Es geht auch um Grundsatzfragen staatlicher Daseinsvorsorge im Bereich Energie und Umwelt, was mir als Mitglied der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" ganz besonders am Herzen liegt, und nicht zuletzt um das Schicksal von Menschen; das will ich ganz besonders herausstellen.
Natürlich wird es bis zum Jahr 2005 zu einem Abbau von Arbeitsplätzen im Bergbau kommen. Hierbei darf es aber nicht zu bruchartigen Entwicklungen kommen, die ganze Regionen destabilisieren. Wir brauchen vielmehr eine offensive Strukturpolitik, die es den Bergwerksunternehmen ermöglicht, neue unternehmerische Felder für sich zu erschließen. Warum soll es bei den Unternehmen nicht neben dem schwarzen Standbein im Bergbau auch ein neues, weißes Standbein im Sektor Umweltschutz geben? Hier könnten die Bergleute mit ihrem guten Ausbildungsstand neue Arbeitsplätze finden, ohne in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden.
Diese Strukturpolitik ist regionalpolitisch attraktiv, weil Arbeitsplätze am Ort gehalten werden, und auch ökonomisch sinnvoll, weil es hierdurch zu einer weiteren Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch kommen wird.
Zu einer solchen Politik sind auch die betroffenen Bundesländer, insbesondere Nordrhein-Westfalen, dringend aufgefordert. Wir wollen einen langfristig wirtschaftlichen Bergbau. Wir wollen einen effektiven Bergbau, was auch Kostensenkungen im Bergbau bedeutet. Wir wollen den Menschen in den Revieren



Dr. Peter Paziorek
eine Perspektive und den Bergbaubetrieben verläßliche Rahmenbedingungen geben.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir halten unser Wort. Es ist nun Aufgabe der SPD-geführten Bundesländer, ihren Anteil an einer solchen Politik der sinnvollen Strukturveränderung zu erbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205427100
Das Wort hat der Abgeordnete Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1205427200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Debatte über die zukünftige Kohlepolitik haben wir uns erst einmal die Situation vor Augen zu führen, in der sich die Steinkohle zur Zeit befindet. Im vereinten Deutschland hat die Steinkohle ihren Rang als wichtigster heimischer Energieträger — ob man das nun wahrhaben will oder nicht — an die Braunkohle verloren. Die EG-Kommission drängt verstärkt auf eine Reduzierung der Subventionen für die deutsche Steinkohle.
Die deutsche Wirtschaft ist auf weltoffene Märkte angewiesen. Die Offenheit muß aber auch für heimische Märkte gelten. Eine Kontingentierung von Importkohle ist damit nicht zu vereinbaren. Außerdem ist die Lage der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik äußerst angespannt. Eine deutliche Entlastung der Haushalte durch Subventionskürzungen ist erforderlich. Und: Die Verbraucherentlastungen haben ein solches Maß erreicht, daß sich für die deutschen Unternehmen im Rahmen des europäischen Binnenmarkts Wettbewerbsnachteile ergeben: durch den höheren Energiepreis, durch die Subventionierung der Kohle.
Vor diesem Hintergrund, der allen beteiligten Parteien bekannt ist, müssen wir versuchen, einen Konsens über die zukünftige Gestaltung der Kohlepolitik zu finden, um dem deutschen Bergbau überhaupt eine langfristige Perspektive geben zu können.
Meine Damen und Herren, es hilft der deutschen Steinkohle überhaupt nicht, die Kohlepolitik des Wirtschaftsministers zu diffamieren, sie als Kahlschlagpolitik zu bezeichnen

(Zuruf von der SPD: Das ist doch so!)

oder dem Minister Roßtäuschermethoden vorzuwerfen, wie wir das in letzter Zeit lesen konnten.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Zum Teil ist er aber selbst schuld, zum Teil zumindest!)

Wenn man einmal nachliest, was Herr Möllemann in seiner Erklärung im Reichstag in Berlin gesagt hat — er hat dort deutlich gemacht, wo er steht —,

(Günter Rixe [SPD]: Immer daneben!)

kann man nicht von Kahlschlagpolitik reden. Im Gegenteil: Der Bundeswirtschaftsminister ist dem Steinkohlebergbau in beiden Kohlerunden sehr weit entgegengekommen.
Aber das Problem läßt sich sicher nicht im Wirtschaftsministerium oder in den Kohlerunden lösen.
Das Problem der deutschen Steinkohle sind nicht die Fördermengen, sondern die hohen Förderkosten im Bergbau und die Subventionen, mit denen die Förderung der Kohle derzeit bezuschußt wird. Jeder Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau — ich wiederhole das hier — kostet im Moment pro Jahr 79 000 DM. Darin sind die Kosten für die Knappschaft nicht eingerechnet, die fast die gleiche Größenordnung ausmachen,

(Zuruf von der SPD: Unsinn!)

so daß man, wenn man beides zusammenzieht, auf fast 150 000 DM pro Jahr und Arbeitsplatz kommt. Daran können Sie nicht vorbeigehen!
Diese hohen Förderkosten des deutschen Bergbaus werden aber nur zum Teil durch die geologischen Bedingungen, wie immer behauptet wird, verursacht. Sie sind auch Folge mangelnden betriebswirtschaftlichen Verhaltens der Unternehmen des Bergbaus

(Norbert Formanski [SPD]: Das ist eine unverschämte Unterstellung!)

und auch vieler dort heute noch vorhandener Privilegien, die den im Bergbau Beschäftigten nach wie vor gewährt werden — und das auf Kosten des Steuerzahlers.

(Widerspruch bei der SPD)

Diese Privilegien werden von Tarifvertragsparteien ausgehandelt, die sich nur wenig Gedanken über die Konsequenzen der Vereinbarungen machen müssen. Steuerzahler und Verbraucher kommen für die verursachten Kosten auf. Und hier trägt die IG Bergbau und Energie doppelte Verantwortung: Die Tarifverträge werden von ihr mit den von ihr über die Montanmitbestimmung ernannten Vorständen ausgehandelt.
Meine Damen und Herren, um dem deutschen Bergbau langfristig eine Perspektive zu bieten und somit rentable Arbeitsplätze zu sichern, hilft es nicht, daß wir immer wieder neue, garantierte Fördermengen festschreiben und darüber diskutieren.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wie wollen wir Deutschen diese denn in Europa durchsetzen? Die einzige Begründung für die Unterstützung der deutschen Steinkohle ist deren jederzeitige Verfügbarkeit. Damit ist eine Versorgungssicherheit vorhanden, die bei anderen Energieträgern nur über zusätzliche Kosten erreicht werden kann. Diese zusätzlichen Kosten sind das Maß für die Höhe der gerechtfertigten Bezuschussung.
Meine Damen und Herren, jedermann ist klar, daß die Subventionen nicht schlagartig entfallen können, da auch die tarifvertraglichen und betriebswirtschaftlichen Maßnahmen nicht sofortige Kostendegression hervorrufen. Auch der Wirtschaftsminister erkennt das klar an. Langfristig kann eine Umorientierung in der Kohlepolitik — weg von der Kostenerstattung für vorher vorgebenene Fördermengen und hin zu Marktbedingungen — dem deutschen Bergbau das Überleben ermöglichen. Alles andere ist — davon bin ich fest überzeugt — Träumerei und führt ins Aus der deutschen Steinkohle.



Paul K. Friedhoff
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Erwin Marschewski [CDU/ CSU]: Das war keine gute Rede! — Zurufe von der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205427300
Frau Abgeordnete Bläss, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205427400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Protestaktionen der Bergleute von den Schachtanlagen Loberg, Sophia Jacoba, Alsberg bei Aachen und anderswo kennzeichnen die Stimmung im Revier unter den betroffenen Bergleuten; sie haben die Nase voll von der ständigen Sorge um ihre Arbeitsplätze und um die Zukunft der Regionen rund um die noch verbliebenen Schachtanlagen. Ihr Protest gilt den von Bundeswirtschaftsminister Möllemann vorgeschlagenen sogenannten Anpassungsleistungen im Steinkohlebergbau, Vorschlägen, die auf eine Reduzierung der Kohleförderung und neuen, damit verbundenen Massenentlassungen hinauslaufen.
Bergleute und Bevölkerung wehren sich gegen eine weitere rücksichtslose Zerstörung gewachsener Strukturen in den Bergbaurevieren und eine Perspektive in Arbeitslosigkeit und Not. Sie wehren sich gegen die unsoziale Möllemannsche Kahlschlagpolitik, die ihre Zukunft den Dividenden der Energiekonzerne opfern will.
Die Energiepolitik der Bundesregierung ist nichts anderes als Sachwalterpolitik der großen Energiekonzerne.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Davon haben Sie keine Ahnung, weil Sie nie im Leben richtig gearbeitet haben!)

Zehntausend Arbeitsplätze sollen vernichtet werden, damit sie Ihre Gewinnerwartungen realisieren. Deshalb muß der friedliche Protest auch von vor die Zentralen der VEBA, der RWE, des Bayernwerks und anderer getragen werden, die an Atomstrom und Importkohle auf Kosten von Umwelt und Menschen profitieren.
Alle Beteuerungen Möllemanns, daß es hauptsächlich um den Abbau von Subventionen gehe, lassen sich leicht entkräften. Die Subventionen für die Atomenergieforschung und die Kosten für die Entsorgung der Kernkraftwerke übertreffen die Subventionen der Steinkohle bei weitem. Die sozialen Folgekosten einer um ihre Existenzgrundlage beraubten Region fehlen in der aufgemachten Rechnung völlig. Es geht bei der jetzigen Kohlerunde also nicht nur um strukturpolitisch fatale, volkswirtschaftlich unsinnige, sondern auch um ökologisch verhängnisvolle Entscheidungen.
Auch wenn die IG Bergbau und Energie Optimismus verbreitet und Möllemanns Einlenken in der ersten Runde am Montag als Erfolg feiert, bleiben Skepsis und Wachsamkeit ebenso geboten wie die Bereitschaft zum Widerstand. Schluß gemacht werden muß mit der Schwachsinnsformel „Kohle und Atom" , die schon lange „Atom verdrängt Kohle" heißt.
Wir brauchen eine Energiepolitik ohne Atomstrom und ohne Entscheidung zugunsten der Atomstromlobby. In modernen umweltfreundlichen Heizkraftwerken mit Kraft-Wärme-Koppelung hat die heimische Steinkohle ihren Platz. So eingesetzt, unterbietet sie jeden Atomstrom in Preis und Umweltfeindlichkeit.
Drittlandsimportkohle ist keine Lösung. Der niedrige Preis kommt fast ausschließlich durch rücksichtslose Ausbeutung von Menschen und Umwelt zustande.
Der Welthandelspreis für Steinkohle wird außerdem durch Dumping künstlich niedrig gehalten. Importkohle würde sofort teurer, wenn große Teile des EGSteinkohlebergbaus stillgelegt würden, wie die britische Bergarbeitergewerkschaft NUM nachgewiesen hat.
Energieversorger, Stadtwerke und Industrie in den neuen Bundesländern müssen umgehend Zugang zu verbilligter Steinkohle aus dem Jahrhundertvertrag erhalten. Wenn in den Kohlerunden etwas verhandelt werden sollte, dann dies. Die großen westdeutschen Elektrizitätsunternehmen müssen ihren Verpflichtungen zur Verstromung heimischer Steinkohle auch im Osten nachkommen. Es kann nicht angehen, daß ein von dem Jahrhundertvertragspartner Preußen Elektra in Rostock errichtetes Heizkraftwerk mit Drittlandsimportkohle betrieben wird.
Meine Damen und Herren, die PDS/Linke Liste fordert, daß Mengengerüst des Jahrhundertvertrags und die Kokskohlenbeihilfe bis zum Vertragsende beizubehalten und eine sozial- und umweltverträgliche Anschlußregelung zu erarbeiten.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205427500
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, unser Kollege Dr. Erich Riedl, hat das Wort.

(Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Jetzt kommt endlich mal was Vernünftiges!)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1205427600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die politische Basis der Kohlepolitik des Bundesministers für Wirtschaft ist die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 31. Januar 1991. Heimische Steinkohle und Braunkohle müssen im vereinigten Deutschland zu einer sicheren Energieversorgung beitragen, allerdings auf einem niedrigeren Niveau als bisher.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Seit der Kohlerunde 1987 haben sich die Rahmenbedingungen für die deutsche Steinkohle entscheidend verändert. Kohlepolitik ist heute nicht mehr nur national möglich. Wir müssen uns auch in der Kohlepolitik auf den kommenden gemeinsamen Markt einstellen. Wir brauchen daher den Konsens mit der EG-Kommission. Das ist heute schon, auch von Ihnen, Herr Schäfer, gefordert worden. Die Bundesregierung bemüht sich um eine Verhandlungslösung. Wir sind,



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
Herr Kollege Schäfer, pausenlos in Verhandlungen mit der EG-Kommission.
Die These der Steinkohle, die Sicherheit der Energieversorgung erfordere die von ihr verlangten Mengen, trägt nicht. Bei einem künftigen Primärenergieverbrauch von vielleicht 500 Millionen t pro Jahr im vereinten Deutschland kann man bei strittigen Mengen von 5 bis 10 Millionen t Steinkohle nicht mehr mit Energiesicherheit argumentieren.
In den neuen Bundesländern muß die Braunkohle ihre Kapazität binnen weniger Jahre halbieren. Angesichts dieses harten Strukturwandels im Osten können wir im Westen nicht so tun, als könnte alles so bleiben wie bisher. Wir können uns so unterschiedliche Standards bei der Steinkohle hier und der Braunkohle dort auf Dauer nicht leisten.
Das Energiekonzept muß eine Brücke zwischen den Zielen der Klimavorsorge und der Energiepolitik bauen. Das Ziel einer CO2-Reduzierung um 25 bis 30 % wird zu einschneidenden Konsequenzen für alle fossilen Energieträger führen. Natürlich ist damit neben der deutschen Kohle die Importkohle betroffen. Auch dies muß im Kohlekonzept berücksichtigt werden.
Stärker denn je muß die Kohlepolitik das Kriterium der Finanzierbarkeit berücksichtigen. Die vielfältigen finanziellen Risiken, die Sie alle kennen — Mittel- und Osteuropa, Entschädigungen, Umweltlasten sind die wichtigsten Blöcke —, sind nicht geringer geworden. Der Subventionsabbau ist — diese Einsicht scheint mir auch im Deutschen Bundestag zunehmend Platz zu greifen — dringend erforderlich. Die Steinkohle als einer der ganz großen Subventionsempfänger kann — das muß ausgesprochen werden — nicht verschont bleiben.
Vor diesem Hintergrund führt Bundesminister Jürgen Möllemann Gespräche über das Kohlekonzept mit dem Steinkohlebergbau, mit der IG Bergbau und Energie, mit den Bergbauländern, mit der Stromwirtschaft und mit allen zusammen mit dem Ziel, möglichst — möglichst, Herr Kollege Schäfer — eine Konsenslösung herbeizuführen. Das ist der Wille der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist der beste Weg!)

Es geht dabei um den künftigen Beitrag der deutschen Steinkohle für die Zeit bis 2005, und es geht dabei um Ausmaß und Zeitraum der Förderanpassung bis dann.
Jeder in diesem Land weiß, daß weitere Zechenstillegungen unvermeidbar sind. Das weiß auch die IG Bergbau und Energie. Die gebotenen Strukturanpassungen wird die Bundesregierung selbstverständlich — das unterstreiche ich ausdrücklich — wie in der Vergangenheit regionalpolitisch begleiten und sozialpolitisch flankieren.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Geben Sie eine verbindliche, unterschriebene Erklärung!)

— Herr Kollege Schäfer, wenn ich hier für die Bundesregierung spreche, ist dies verbindlich. Wenn Sie für
die Opposition sprechen, habe ich manchmal den Eindruck, daß das charmant unverbindlich ist. Das darf ich Ihnen doch einmal sagen. Bei Ihnen spricht doch jeder in einer solchen Bandbreite und Vielfalt zu diesem Thema, daß ich nicht weiß, ob Sie vorhin in Ihrer Rede verbindliche Erklärungen abgeben konnten.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Bei Ihnen macht der Wirtschaftsminister einen Vorschlag, und der Umweltminister und der Sozialminister demonstrieren öffentlich dagegen; das nennen Sie Verbindlichkeit!)

— Herr Kollege Schäfer, hier entsteht ein Problem mit der Zeit. Wenn mir keine Redezeit abgezogen würde
— was leider nicht möglich ist — , dann würde ich gern mit Ihnen darüber diskutieren. Ich bitte um Verständnis.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205427700
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sollte sich der Kollege Schäfer dazu bereit finden, um eine Zwischenfrage zu bitten, die Sie dann genehmigen, wird sie Ihnen auf Ihre Redezeit nicht angerechnet. Wenn Sie aber private Dialoge führen, läuft die Uhr weiter.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1205427800
Leider ist es innerhalb der Aktuellen Stunde laut Richtlinien nicht möglich, eine Zusatzfrage zu stellen; sonst hätte ich sie Ihnen schon eingeräumt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stand der bisherigen Gespräche, also der Stand nach der zweiten Kohlerunde vom Montag, ist folgender; ich darf diesen Stand in sieben Punkten zusammenfassen; er ist die Botschaft an alle Menschen, die in Deutschland mit der Kohle direkt oder indirekt zu tun haben, davon leben und die Kohle als ihre Existenz ansehen:
Erstens. Die vom Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagene Gesamtmenge subventionierter deutscher Steinkohle in Höhe von 50 Millionen t — rund 35 Millionen t zur Verstromung, rund 15 Millionen t zur Verhüttung — für das Jahr 2005 erscheint konsensfähig. Die Rückführung der derzeitigen Förderung von fast 70 Millionen t auf diese 50 Millionen t kann bis zum Jahre 2000 erreicht werden. Der Abbau auf 65 Millionen t bis 1995 ist bereits in der Kohlerunde des Jahres 1987 beschlossen worden. Bei diesen Zahlen kann deshalb von Kahlschlag keine Rede sein.

(Zuruf von der SPD: Sie sind von anderen Zahlen ausgegangen!)

Zweitens. Bisher gibt es mit der EG-Kommission — das ist bekannt — noch keine Verständigung über die Verstromungsmenge bis 1995. Zwar ist der EG-Vizepräsident, Sir Leon Brittan, nach ersten Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsminister inzwischen bereit, den Jahrhundertvertrag grundsätzlich kartellrechtlich bis 1995 zu genehmigen; für das Jahr 1995 hält er aber bisher an einer Absenkung auf 34,4 Millionen t fest. Herr Minister Möllemann wird morgen, am 8. November 1991, erneut mit Sir Leon Brittan über dieses Thema intensiv verhandeln; und zwar mit



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
dem Ziel, die 40,9 Millionen t auch für 1995 zu erhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Auch der Bundeskanzler ist im gleichen Sinn gegenüber der EG-Kommission erneut aktiv geworden.
Behauptungen aus den Reihen der Opposition, der Bundeswirtschaftsminister agiere zusammen mit der EG-Kommission gegen die Erhaltung der 40,9 Millionen t bis Ende 1995, entsprechen nicht den Tatsachen. Sie sind im übrigen auch nicht geeignet, meine Damen und Herren von der Opposition, die Position der Bundesregierung in Brüssel zu stärken; ganz im Gegenteil, Sie fallen uns damit ganz klar in den Rükken.
Drittens. Die Verstromungsmenge soll im Jahre 2000 35 Millionen t betragen und in dieser Höhe bis zum Jahr 2005 weitergelten. Öffentliche und industrielle Kraftwirtschaft sind nach 1995 nicht mehr bereit, die finanziellen Lasten der Verstromung deutscher Kohle über den Strompreis zu tragen. Sie begründen dies vor allem mit den von ihnen erwarteten veränderten Wettbewerbsbedingungen, sowohl für die Stromwirtschaft als auch für die Industrie im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt. Sie bestehen auf der Lieferung deutscher Steinkohle zum Importkohlepreis. Unter diesen Voraussetzungen gehen sie davon aus, daß die Stromerzeuger 35 Millionen t per annum abnehmen können. Maßgeblich hierfür seien aber auch die sonstigen Rahmenbedingungen, z. B. die CO2Steuer für den Einsatz deutscher Kohle.
Viertens. Bei Kokskohle ist die Bundesregierung bereit, den derzeitigen Haushaltsansatz um 550 Millionen DM für den Plafond der Jahre 1992, 1993 und 1994 zu erhöhen. Die Bundesregierung trägt damit den Einwendungen der Kohle Rechnung, die wegen des noch laufenden Anpassungsprozesses aus der Kohlerunde 1987 eine Streckung der Förderrücknahme in diesem Bereich erbeten hat. Es bleibt aber bei dem Rückgang des subventionierten Absatzes, wenn auch in abgeschwächter Form. Dieser Prozeß soll in dem Plafondzeitraum 1995 bis 1997 fortgesetzt werden. Die Konsequenzen dieser Lösung für die Mengen und die zeitliche Abwicklung werden derzeit noch im Detail mit der Kohle erörtert.
Fünftens. Bei der sozialen und regionalen Flankierung ist die Bundesregierung bereit — Herr Kollege Schäfer, das ist eine verbindliche Erklärung — , das sogenannte Anpassungsgeld ab 1995 bis 1999 zu verlängern. Durch das Anpassungsgeld wird das Ausscheiden der über 50jährigen Arbeitnehmer, die mindestens 20 Jahre unter Tage gearbeitet haben, sozial flankiert. Im Hinblick auf das Durchschnittsalter der Bergleute von 33 Jahren prüfen wir, wie bei stillzulegenden Zechen durch Qualifizierungsangebote oder Abfindungen für jüngere Mitarbeiter der beim Abbau von 20 Millionen t unvermeidbare Anpassungsprozeß personell erleichtert werden kann.
In der regionalen Flankierung werden die Kohleregionen bereits jetzt dadurch unterstützt, daß sie alle in die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Förderungen" aufgenommen sind. Wir prüfen zur Zeit auch, wie weit in den Regionen mit konkreten Zechenstillegungen eine Verstärkung der regionalen Fördermittel durch
Sonderprogramme und besondere Hilfen bei der Verbesserung der Infrastruktur durch Investitionen, z. B. in den Bereichen Verkehr und Post, möglich ist. Mehr kann man in diesem Bereich sozial gar nicht flankieren.
Sechstens. Vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme und dem daraus folgenden politischen und wirtschaftlichen Zwang, die Kohleförderung zurückzunehmen, ist es nicht vertretbar, den von der Zeche Sophia Jacoba gestellten Antrag auf weitere Sonderhilfe zum Aufschluß eines neuen Kohlefeldes positiv zu entscheiden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205427900
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, verzeihen Sie bitte, aber Sie haben den vereinbarten Zeitrahmen weit überschritten. Ich weise Sie nur darauf hin. Ich kann Ihnen als Mitglied der Regierung die Redezeit nicht beschneiden.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1205428000
Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluß. Aber ich glaube, daß das eine wichtige Mitteilung ist, die ich Ihnen hier noch zu machen habe. Ich werde mich sehr um Kürze bemühen.
Die vom Steinkohlebergbau erstellte Optimierungsrechnung zeigt, daß Sophia Jacoba die teuerste Zeche ist. Nach den vorgelegten Rechnungen würde der Aufschluß einerschaubarem Zeitraum zum Ende
ändern.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß diese Entscheidung in überschaubarem Zeitraum zum Ende der Zeche Sophia Jacoba führen wird. Über die hierzu erforderliche regionale und soziale Flankierung, die angesichts der generellen Situation der Region von besonderer Bedeutung ist, werden noch in dieser Woche Gespräche mit der Unternehmensleitung geführt.
Siebtens und schlußendlich: Die unvermeidbare Anpassung der deutschen Steinkohle ist mit erheblichen Belastungen für die betroffenen Bergleute verbunden. Die Bundesregierung hat Verständnis für die Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze. Diese Sorge hat auch dazu geführt, den Anpassungsprozeß trotz der knappen Haushaltsmittel so weit wie möglich zu strecken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung geht mit dieser Konzeption in die nächsten Kohlerunden, und Sie können sich darauf verlassen, daß wir letztendlich zu einer Konsenslösung kommen, die der deutschen Volkswirtschaft, dem Bergbau und damit dem Ganzen dienlich sein wird.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205428100
Das Wort hat der Abgeordnete Hans Berger.

Hans Berger (SPD):
Rede ID: ID1205428200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den heftigen Auseinandersetzungen der letzten Tage und Wochen an Rhein, Ruhr und Saar geht es nicht allein um einige Tonnen Kohle mehr oder weniger. Es geht auch nicht nur um die Arbeitsplätze von Bergleuten, so wichtig dies auch für sich



Hans Berger
genommen ist. Es geht vielmehr um die langfristige Sicherung des deutschen Steinkohlebergbaus und damit um die Bewahrung der Grundlagen unserer Energiepolitik für die Zukunft.
Die sozialliberalen Regierungen der Kanzler Brandt und Schmidt haben mit ihren Energieprogrammen ein erfolgreiches Instrumentarium entwickelt:

(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben Sie über Bord geschmissen!)

breite Streuung der Risiken durch ausgewogenen Einsatz aller verfügbaren Energieträger sowie Vermeidung von Abhängigkeiten durch den Schutz der heimischen Energievorräte, also vor allem der deutschen Braun- und Steinkohle.
Dieses energiepolitische Einmaleins ist bis heute bewahrt worden. Es gilt nun, dies für morgen und übermorgen fortzuschreiben. Denn es ist unsere eigentliche, zentrale energiepolitische Aufgabe, die Sicherheit unserer Energie- und Stromversorgung bei einem dramatisch steigenden Weltenergiebedarf und bei gleichzeitig immer knapper werdenden Energievorräten auch nach der Jahrtausendwende zu sichern.

(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Das ist lebenswichtig!)

Zu dieser lebenswichtigen Aufgabe hat der Bundeswirtschaftsminister bis heute noch keinen konstruktiven Beitrag geleistet.

(Beifall bei der SPD — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber der Staatssekretär gerade!)

Statt dessen hat er mit seinen schlimmen Attacken gegen Bergbau und Bergleute die Menschen in helle Aufruhr versetzt,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber Riedl war gut, da gibt es nichts!)

den sozialen Frieden in den Revieren gefährdet und die Verhandlungen über ein Kohlegesamtkonzept belastet und erschwert.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider wahr!)

Minister Möllemann — dies habe ich ihm schon oft sagen müssen — ist blind für die Krisengefahren der enger werdenden Weltenergiemärkte. Der Minister behauptet, wir könnten uns auf Dauer mit billiger Importkohle in jeder beliebigen Menge versorgen.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das hat er nie gesagt!)

Eine solche Einstellung ist nicht nur naiv und leichtsinnig, sondern sie ist lebensgefährlich für die Sicherheit unserer Energieversorgung.

(Beifall bei der SPD)

Mehr noch: Es wäre eine besonders schlimme Form von Ausbeutung, wenn wir unsere Zukunft allein auf Kohle aus anderen Ländern bauen wollten, an denen viel zu oft Blut hängt.
Es ist auch keine solide Energiepolitik, mehr auf die Panzer am Persischen Golf zu vertrauen als auf die Arbeit der Bergleute.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Dabei verlangen wir von Herrn Möllemann doch nur, daß er endlich Arbeitsergebnisse der Mikat-Kommission ernst nimmt, die diese Bundesregierung selbst eingesetzt hat. Doch statt dessen wird diese Kommissionsarbeit in dem Entwurf zum Energiekonzept nicht einmal erwähnt. Dieser Entwurf ist noch weit, weit davon entfernt, ein richtiges Energiekonzept zu werden.
Ich denke, es wird nie ein solides Energiekonzept werden können, wenn Minister Möllemann weiter die Finanzpolitik über die Energiepolitik stellt und die Forderung nach Subventionsabbau zum alleinigen Maßstab für die energie- und kohlepolitischen Entscheidungen macht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit vor diesem Hohen Hause und vor der Öffentlichkeit ausdrücklich den Beitrag von Dr. Norbert Blüm und Professor Klaus Töpfer in den Kohleverhandlungen hervorheben und würdigen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

weil sie genauso wie die Wirtschaftsminister der Kohleländer auf einen Konsens bedacht sind und weil sie spürbar helfen, einen vernünftigen, für alle tragbaren und belastbaren Kompromiß zustande zu bringen. Wir wollen und fordern handfeste Festlegungen und keine unverbindlichen Kommuniqués.
Wir alle, meine Damen und Herren, brauchen diesen Kompromiß, nicht nur Bergbau und Bergleute, nein, auch die Bundesregierung und alle 16 Bundesländer. Deshalb ist die kohlepolitische Erklärung der neun Ministerpräsidenten, die der SPD angehören, vom 4. November so wichtig und hilfreich. Ich fordere die Ministerpräsidenten der CDU auf, diesem guten Beispiel zu folgen.

(Beifall bei der SPD)

Ich werbe jedenfalls weiter für verläßliche und belastbare energie- und kohlepolitische Rahmenbedingungen. Ich setze mich dafür wie meine Vorgänger mit der ganzen Kraft unserer Organisation ein.
Dabei bin ich ganz sicher: Der Kompromiß ist dann zu erreichen, wenn sich alle Beteiligten, vor allem der Bundeswirtschaftsminister und die Stromwirtschaft, so weit bewegen würden, wie ihnen die IG Bergbau und Energie bereits entgegengekommen ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung, damit am kommenden Montag der Konsens gelingt.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205428300
Herr Abgeordneter Dr. Albert Probst, Sie haben das Wort.

(Zuruf von der SPD: Kohleland Bayern!)


Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1205428400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Kohleland Bayern"



Dr. Albert Probst
— wenn Sie dieses Stichwort geben — , diese Struktur haben wir lange bereinigt, und wir sind froh, daß es so gut gelungen ist.

(Beifall des Abg. Dr. Rupert Scholz [CDU/ CSU])

Ich bin jetzt viele Jahre im Deutschen Bundestag und habe alle Kohledebatten mit angehört. Es hat sich nichts geändert. Da ist die SPD und hier besonders die Kohlefunktionäre, die die Regierung anklagen, aber nie sagen, wie sie es wirklich wollen, und da ist die Bundesregierung, die sich mit dieser Frage natürlich sehr, sehr schwertut, weil es sich hier um eine sensible, die Familien und ihre Existenzen betreffende Angelegenheit handelt, die auch noch wirtschaftspolitisch außerordentlich diffizil ist.
Ich möchte Ihnen deshalb, lieber Kollege Riedl, auch jemand aus einem Land, in dem die Kohlepolitik bewältigt worden ist, besonders herzlich dafür danken, daß Sie nach vielen Jahren heute wirklich einen neuen Ansatz gebracht haben, in aller Mäßigkeit, aber auch in aller Entschiedenheit. Hier könnte wirklich etwas Neues geschehen.
Meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungen haben sich doch geändert; das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Die Versorgungssicherheit wird stark beeinflußt durch die Entspannungspolitik in Europa. Der europäische Binnenmarkt hat die Landschaft deshalb verändert, weil wir eine andere Konkurrenzsituation haben, insbesondere in bezug auf den Strompreis. — Lieber Herr Kollege Schäfer, wenn Sie ein bißchen Konsens mit Ihren französischen Genossen herbeiführen könnten, dann wäre das eine außerordentlich hilfreiche Angelegenheit. — Erschwerend kommt hinzu, daß wir im gesamten Ostblockbereich massive Stillegungskapazitäten haben, insbesondere im Bereich der Kernenergie, die aufgefangen werden müssen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Meinen Sie, bei der Braunkohle ist das anders?)

Die Frage ist, wie wir dieses Energiekonzept insgesamt bewältigen vor dem Hintergrund der CO2-Problematik. — Dieses Thema haben Sie, Herr Schäfer, heute gar nicht angesprochen, was mich sehr gewundert hat. Das ist sehr schwierig. Ich sehe ja ein, daß Sie sich da außerordentlich schwertun. Wissen Sie, was notwendig wäre? — Werfen Sie Ihre ganzen alten Ideologien einschließlich des Brettes vor Ihrem Kopf in Richtung Kernenergie in den Ofen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und machen Sie mit uns in einem diffizilen Bereich eine gemeinsame Energiepolitik! Dann werden wir alle die Schwierigkeiten zwar nicht leicht, aber im Sinne der Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Riedl lösen können. Bitte gehen Sie so ans Werk! Dann handeln Sie nicht nur gescheit, sondern auch verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205428500
Ich erteile das Wort dem Minister für Wirtschaft des Saarlandes, Reinhold Kopp.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205428600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein anderer Industriezweig hat in den letzten Jahrzehnten ein solches Wechselbad erlebt wie die deutsche Steinkohle.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

In der Aufbauphase der Bundesrepublik konnten nicht genug Sonntagsschichten gefahren werden, um den Energiehunger der revierfernen Länder zu befriedigen. In den 60er und 70er Jahren führte das Zechensterben zu einem erheblichen Schrumpfkurs in den Kohlerevieren. Auf den Schock der beiden weltweiten Energiekrisen folgte Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre die Aufforderung der Politiker an die Kohleproduzenten, kräftig in Förderkapazitäten zu investieren und junge Bergleute einzustellen und auszubilden. — Es sind dieselben jungen, qualifizierten und leistungsfähigen Bergleute, die Herr Möllemann jetzt zu überflüssigen Almosenempfängern erklärt. — Auch die Europäische Gemeinschaft hat vor zehn Jahren den Bergbau aufgefordert, einen größeren Anteil zur Versorgungssicherheit der Energiedienstleistungen beizutragen.
Der Bergbau hat dazu die Vorleistungen erbracht. Er hat sich auch nach dem Kurswechsel der Kohlerunde 1987 und 1989 als anpassungsfähig erwiesen, und dies bei großer Leistungsfähigkeit und — entsprechend den geologischen Bedingungen — hoher Produktivität.
Dies ist nicht belohnt worden durch Verläßlichkeit der politischen Rahmenbedingungen, durch Investitionssicherheit und Stabilität. Nichts fehlt dem Bergbau so sehr wie langer Atem der Politik. Es waren in kurzer Folge Bundeswirtschaftsminister am Werk, die unverantwortliche Entscheidungen für Zeiträume getroffen haben, in denen sie selbst keine politische Verantwortung mehr zu tragen haben werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich muß leider feststellen: Auch der kürzlich bekanntgewordene Entwurf eines gesamtdeutschen Energiekonzeptes gibt keine verläßliche Antwort auf die Frage, wie der wachsenden Importabhängigkeit der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft wirksam begegnet werden soll. Ich kann nicht einsehen, daß die deutsche Steinkohle der einzige Energieträger ist, dessen Anteil an der Energieversorgung der Bundesrepublik ständig dramatisch heruntergefahren wird.
Angesichts der Leistungsfähigkeit, der umweltfreundlichen Förderung und Veredelung, angesichts hoher Wirkungsgrade in der Verstromung und der sozial- und strukturpolitischen Bedeutung in den Kohlerevieren ist ein solches Sonderopfer der Kohle nicht zu rechtfertigen. Die Kohlepolitik muß von den energiepolitischen Notwendigkeiten bestimmt werden. Sie ist kein Steinbruch zur wohlfeilen Subventionseinsparung.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ein starkes Bild! Ein tolles Bild!)

Es gäbe andere Felder genug, wo Herr Möllemann sich wirklich Sporen verdienen könnte.
Wir sind weiterhin um einen Konsens bemüht. Aber die Kohle-Runden 1987 und 1989 haben uns gelehrt,



Minister Reinhold Kopp (Saarland)

daß auf das Versprechen: „Dieses Mal ist es das letzte Mal" kein Verlaß ist.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Wie wollen Sie es denn?)

Zu einem Kompromiß in der Kohlefrage kann es nur kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jetzt kommt es!)

wenn in allen Eckpunkten verläßliche Garantien der Bundesregierung vorliegen und wir sicher sein können, daß diese Linie auch von der Europäischen Gemeinschaft genehmigt werden wird.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Verstromung kommt es darauf an, daß die Abnahme der heimischen Kohle durch die Energieversorgungsunternehmen zu wettbewerbsfähigen Preisen geschieht und die Finanzierung verläßlich geklärt wird.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sie wollten doch was zum Beitrag des Saarlandes sagen!)

Der Kohlepfennig ist bewährt und wird von der Bevölkerung als Beitrag zur Versorgungssicherheit akzeptiert. Wer ihn aufgeben will, muß gute Alternativen haben. Eine reine Haushaltsfinanzierung läßt mich dagegen nicht ruhig schlafen. Wir sind dann jedes Jahr von neuem in einem Dilemma.
Im übrigen ist nicht klar, welche substantiellen Beiträge die Energieversorgungsunternehmen leisten sollen. Sie dürfen nicht alleine ungerupft davonkommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei der Kokskohle muß es bei der Vollversorgung der deutschen Stahlindustrie auf der Basis von heimischer Steinkohle bleiben. Auf dieser Basis ist im übrigen der Hüttenvertrag durch Brüssel genehmigt worden.
Auch die Bergbauunternehmen müssen sparen — wer will das bestreiten? —; aber der Selbstbehalt in einer Höhe von fast einer Milliarde DM muß auch durch Einsparungen und höhere Produktivität ausgleichbar sein. Sonst ist das nämlich ein Spiel mit gezinkten Karten.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Wie wollen Sie es denn?)

Eine soziale Flankierung ist unverzichtbar, aber sie hat notwendigerweise defensiven Charakter. Wir brauchen eine echte regionale Flankierung der Energiebeschlüsse.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das bestreitet doch niemand!)

Ein offensiver Strukturwandel verlangt erhebliche öffentliche Vorleistungen.
Jeder neue Arbeitsplatz bindet hohe staatliche Zuschüsse. Wir müssen vermeiden, daß uns politisch verordnete Stillegungskosten, Kapitalzuführungen zur Vermeidung der Überschuldung von Saarwerk und notwendige Kosten der sozialen Abfederung die Ressourcen rauben, die wir brauchen, um in zukunftssichere Strukturen zu investieren.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Dann muß man anfangen!)

Ein Kohlestandortprogramm muß daher hinreichend ausgestattet sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was tut das Saarland dazu?)

Die Erfahrungen der Länder mit dem angekündigten Konversionsprogramm sind enttäuschend und lassen uns auch für das angekündigte Montanstandortprogramm Schlimmes ahnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schwierige Verhandlungen liegen noch vor uns. NRW und das Saarland erwarten konstruktive und faire Unterstützung der deutschen Steinkohle durch den Bund.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Der schwächste Ministerbeitrag seit langem!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205428700
Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Werner Müller.

Hans-Werner Müller (CDU):
Rede ID: ID1205428800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schade: Da hält der Wirtschaftsminister des Saarlandes seine Jungfernrede vor dem Deutschen Bundestag und erwähnt noch nicht einmal einen einzigen perspektivischen Satz über das, was in diesem Bundesland strukturell passieren muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

Dabei würde ich ihm ja zustimmen, wenn er sagte, daß die Steinkohle nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch emotional im Saarland eine große Rolle spielt.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Natürlich!)

Am 14. Juni war die Demonstration: 25 000 Menschen, die Freunde des Bergbaus, die Bergleute, die Zulieferer. Ich war auch dabei. Viele Kollegen waren dabei. Es war die größte Demonstration, die das Saarland je gesehen hat. Am vergangenen Mittwoch sind 10 000 Menschen im Fackelzug durch Saarbrücken marschiert. Das bedeutet, mit anderen Worten, hochgerechnet: Ein Viertel der saarländischen Familien war irgendwie an diesen Demonstrationen beteiligt.
Der Bergbau hat bei uns einen wesentlich höheren Stellenwert als in anderen Regionen. Wenn Herr Möllemann nächste Woche auf den Landesparteitag der FDP geht, so hoffe ich, daß man ihm das noch einmal deutlich vor Augen führt.
Diese Demonstrationen sind ja nur der Höhepunkt einer Diskussion und eines Streites, der mit Überschriften umschrieben ist, die wir da lesen: „Neuer Streit in der Kohlepolitik" , „Es droht ein Gewitter", „Quadratur des Kohlekreises”, „Der Teppichhandel geht weiter" , „Möllemann feilscht", usw.



Hans-Werner Müller (Wadern)

Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Kampagne war nicht notwendig.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Welches Ergebnis am Montag auch immer herauskommt: Es wäre auch ohne diesen Streit und ohne diese Verunsicherung klar erreichbar gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser Streit war so unnötig wie ein Kropf. Ich meine auch, daß das Vertrauen in die Politik schlechthin dadurch wieder etwas gesunken ist.
Für unser Bundesland bleibt der Bergbau nach wie vor ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor. Jeder siebte Arbeitsplatz ist im Bergbau. 5 000 Arbeitsplätze gibt es in der Zulieferindustrie. Anstatt sich um Industrieansiedlungen zu kümmern, Herr Wirtschaftsminister, haben Sie hier wiederum den Eindruck erweckt, als ob sich die saarländische Landespolitik ausschließlich darin erschöpfen würde, beim Bundesfinanzminister die Kontonummer der Landeshauptkasse anzugeben, damit das Geld überwiesen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte hier einmal ganz deutlich sagen: Seitens des Bundes wird nun weiß Gott viel getan. Ein Drittel der Kokskohlenbeihilfe und ein Sechstel der Kosten für den sogenannten Revierausgleich übernimmt eh der Bund. 1992 werden 50 Millionen DM Cash an Saarberg fließen, 23 Millionen DM aus der Schuldbuchforderung, und vieles andere mehr.
Nur, es gehört zur Wahrhaftigkeit: Wenn wir dem Bergbau gerade an der Saar noch mehr Kosten aufbürden und die Werke das in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung nicht realisieren können, muß letztlich doch der Eigentümer bezahlen. Das ist die öffentliche Hand. Wir sollten uns also nichts in die Tasche lügen.
Meine Damen und Herren, der Kompromiß vom nächsten Montag muß lange halten und EG-fest sein. Er muß Planungssicherheit und Perspektive bieten. Stop und Go ist eine Politik, die dem Bergbau nicht bekommt. Sie ist tödlich.
Es ist doch selbstverständlich, daß ein angemessener Sicherheitssockel aus heimischer Energie und damit auch heimischer Kohle Grundlage eines jeden Energiekonzeptes von Verantwortung sein muß.
Die Saarbergwerke tun einiges. Sie haben schon einiges getan: drei Förderstandorte, Rückgang der Kosten um 51 DM je Tonne. Ich meine, meine verehrten Damen und Herren, die Hängepartie, die wir seit Monaten erleben, muß endlich aufhören. Wir sind es den Bergleuten, den Familien und all den anderen Betroffenen schuldig, daß dieser Streit jetzt aufhört.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Der Mann hat Perspektiven! Schade, daß der nicht Minister ist! — Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Warum sind nicht Sie Minister für Wirtschaft des Saarlandes?)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205428900
Herr Abgeordneter Werner Schulz, Sie haben das Wort.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205429000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint der Stil des Bundeswirtschaftsministers zu sein, mit vollmundigen Ankündigungen und angedrohtem Vorschlaghammer an das Zerschlagen von Subventionstöpfen zu gehen. Schon beim erstenmal, Anfang dieses Sommers, konnte Herr Möllemann, bei dem Versuch, 10 Milliarden DM zusammenzustreichen, trotz großspuriger Auftritte nur ein allzu klägliches Resultat präsentieren.
Es ist natürlich leicht, gegen die zugegebenermaßen sehr kostspielige Subventionierung westdeutscher Steinkohle zu polemisieren. Auch wir glauben nicht, daß eine strukturerhaltende Subvention im Umfang von 10 Milliarden DM pro Jahr auf Dauer vertretbar ist. Ich kann sehr gut nachvollziehen, daß Bürger aus den ostdeutschen Braunkohlerevieren wenig Verständnis für die auffallende Ungleichbehandlung haben. Im Westen werden mit Milliardenaufwand Arbeitsplätze erhalten, während im Osten der Zusammenbruch in Kauf genommen wird.
Anstatt aber nun ostdeutsche gegen westdeutsche Bergarbeiter auszuspielen, sind heute politische Konzepte für die Entwicklung dieser Regionen gefragt. Zugunsten ihrer eigenen Entwicklungschancen können ostdeutsche Bergarbeiter von ihren Westkollegen in puncto Kampfbereitschaft sicher einiges lernen.
Es nützt also wenig, den Kahlschlag — auch wenn dieser Begriff jetzt etwas abgemildert ist — im Osten zum Modell für den westdeutschen Kohlebergbau zu machen. Immerhin ist es nicht so, daß in Westdeutschland keine Strukturanpassung betrieben würde. Im Gegenteil: 50 000 Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren abgebaut worden. Weitere 30 000 sollen im Bereich der Steinkohle bis zum Jahre 2005 wegfallen.
Wer also gegen den Jahrhundertvertrag bzw. gegen die Subventionierung der einheimischen Kohle debattiert, muß zunächst einmal ein überzeugendes energiepolitisches Gesamtkonzept vorlegen, das wirklich in das nächste Jahrtausend hineinreicht.
Das neue energiepolitische Gesamtkonzept des Wirtschaftsministers wird dem nicht gerecht. Im Gegenteil: Es ist rückwärts gewandt, an die 70er Jahre angelehnt.
Eine sinnvolle Kohlepolitik dagegen muß in folgende energiepolitische Grundforderungen eingebunden sein: Erstens Ausstieg aus der unveranwortlichen Atomenergienutzung, zweitens schnellstmöglicher Ausbau von umweltverträglichen Einsatzmöglichkeiten für die Steinkohle, vor allem in modernsten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, drittens progressive Anhebung des allgemeinen Energiepreisniveaus, um die Umweltschäden in die Marktpreise einzubinden und damit die Energieeinsparung zu fördern, viertens Bereitstellung von Ersatzarbeitsplätzen in den Steinkohlerevieren ; freiwerdende Kohlesubventionsmittel sind für den regionalen Umbau zu verwenden.
Der viel zitierte Energiemix, der Konsens zwischen Kohle und Atomenergie, der auch im neuen Konzept von der Regierung vertreten wird, hat in der Vergan-



Werner Schulz (Berlin)

genheit zum Ausbau der Atomstromerzeugung, zur Verdrängung der Kohle und zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt sowie gleichzeitig Energiesparmaßnahmen bzw. den Ausbau regenerativer Energie verhindert. Die drohende Klimakatastrophe erzwingt eine schnelle und spürbare Reduzierung der Verbrennung fossiler Energieträger. Dazu ist ein tiefgreifender Strukturwandel unseres Energiesystems hin zu dezentralen und damit wesentlich effizienteren Erzeugungsstrukturen dringend erforderlich.
Das neue Konzept des Bundeswirtschaftsministers verkennt dies. Kohle selbst kommt in diesem Zusammenhang in sehr langfristiger Sicht nur als Übergangsenergie in Betracht. Deshalb fordern wir ein regional- und energiewirtschaftliches Gesamtkonzept für die Steinkohle, das beschäftigungspolitische Maßnahmen sowie einen umweltverträglichen Steinkohleeinsatz insbesondere in der Kraft-Wärme-Kopplung vorsieht. Wir wollen den Jahrhundertvertrag nach 1995 durch einen Kraft-Wärme-Kopplungsvertrag ersetzen, der die Steinkohlesubventionen an einen umweltverträglichen Steinkohleeinsatz bindet. Wir wollen den Kohlepfennig zugunsten einer allgemeinen Primärenergieabgabe abschaffen und das Energiepreisniveau anheben, um damit Energiesparmaßnahmen noch lohnender zu machen.
In dem von den GRÜNEN Anfang des Jahres vorgelegten Energiewendeszenario wird aufgezeigt, daß auch die Kohlendioxidbilanz einer solchen Energiepolitik — wohlgemerkt ohne AKWs — mehr als überzeugend ist. In 20 Jahren kann der Ausstoß an Kohlendioxid um fast die Hälfte reduziert werden.
Also abschließend an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers: Statt ostdeutsche gegen westdeutsche Bergarbeiter auszuspielen, sollte Herr Möllemann besser ein wirklich ökologisches Energiekonzept erarbeiten. Nur ein solches hat Zukunft und wird uns selber die Zukunftsaussicht nicht verstellen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU: Aber 2 mal 2 wird nie 13! — Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Kein Mensch vom Bündnis 90 ist da außer den Rednern!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205429100
Herr Abgeordneter Professor Karl-Hans Laermann, ich erteile Ihnen das Wort.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1205429200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in 5-Minuten-Redebeiträgen zur Aktuellen Stunde nicht über ein Energieprogramm auslassen. Ich glaube, das würde in diesem Zeitrahmen nicht zu schaffen sein. In dieser Aktuellen Stunde geht es um die Kohlerunde.
Ich möchte hier feststellen, daß die Gespräche in der Kohlerunde noch nicht abgeschlossen sind. Deshalb können wir heute sicherlich weder zu dem bisherigen Ergebnis, zu den Ergebnissen insgesamt abschließend Stellung nehmen, noch können wir die Ergebnisse beurteilen. Ich finde es schon interessant, daß eine Reihe derjenigen, die an dem Tisch sitzen, an dem diese Gespräche geführt werden, hier heute ihre Positionen darlegen. Ich hoffe, Sie werden Ihre Energien deutlicher und nachdrücklicher in dieser Runde verwenden.
Wir hier im Parlament, meine ich, sollten uns in der Tat einmal darüber auslassen, was wir tun können, was wir tun müssen, und unsere Positionen hier einmal austauschen. Sicherlich wird das Einfluß auf die nächste Kohlerunde haben; so sollte es auch sein. Ich gehe davon aus, daß auch diese Debatte Berücksichtigung findet.
In der Kohlerunde geht es doch wohl grundsätzlich darum, die Rahmendaten der Kohlepolitik innerhalb eines nationalen Energiekonzeptes festzulegen. Ich gehe davon aus, daß die Reduzierung der Fördermenge im Prinzip wohl unstrittig ist. Die Frage lautet aber: Wieviel und in welchem Zeitrahmen soll reduziert werden?
Schließlich muß natürlich auch sichergestellt werden, daß nicht nur der Konsens im nationalen Rahmen herbeigeführt wird, sondern daß die Ergebnisse dieser Kohlerunde und die nationalen Beschlüsse auch von der EG-Kommission akzeptiert werden. Sie muß ja schließlich dieses Kohlekonzept mittragen.
Wir kennen alle — ich glaube, das ist ebenfalls unstreitig — die Positionen und die Vorbehalte der EG-Kommission zu unserer Kohlepolitik, die Vorbehalte, die seitens der Internationalen Energieagentur vorgebracht werden, und auch die Forderungen der GATT-Runde. Wir befinden uns nun einmal in einem internationalen Beziehungsgeflecht und können uns sicherlich nicht so ohne weiteres von diesen Vorstellungen und diesen Positionen lösen. Hier gilt es dann, unsere Vorstellungen umzusetzen und sie einzubringen.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich die Feststellung des saarländischen Wirtschaftsministers, Herrn Kopps, vom Montag, daß die Ergebnisse aus der Kohlerunde von der EG-Kommission akzeptiert werden müssen. Darin kommt ja wohl — Gott sei Dank endlich — die Einsicht zum Ausdruck, daß die Kohlepolitik nicht allein in nationaler Zuständigkeit festgelegt werden kann. In seinem Beitrag heute habe ich von dieser Einsicht allerdings überhaupt nichts gehört. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dies doch weiterhin berücksichtigen würden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber normalerweise hören Sie doch zu, Herr Laermann!)

— Ja, ich habe auch zugehört. Davon kam nichts
VOL
Als besonders wichtig möchte ich die Notwendigkeit der sozialen und regionalen Flankierung von unvermeidbaren Kapazitätsreduzierungen und Zechenstillegungen und dem damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen im Bergbau herausstellen. Die in der letzten Kohlerunde am Montag gemachten Vorschläge — Verlängerung des Anpassungsgeldes, Abfindungen, Überlegungen für ein Sonderprogramm zur Erhöhung der Mittel für regionale Wirtschaftsförderung und besondere Hilfe zur Verbesserung der Infrastruktur — sind nachdrücklich zu begrüßen. Sie



Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
müssen festgelegt werden. Aber ich denke, es ist noch viel wichtiger, in Anbetracht des Durchschnittsalters der Beschäftigten neue Arbeitsplätze zu schaffen und dazu Gewerbe- und Industrieansiedlung zu fördern. Die betroffenen Regionen dürfen nicht wirtschaftlich veröden.
Der Feststellung des DIHT ist zuzustimmen, daß die Entscheidungen zur Steinkohlepolitik sozial friedlich verlaufen müssen, daß dabei weniger an Sozialpläne und mehr an die Schaffung von Arbeitsplatzalternativen zu denken ist und daß sich der zeitliche Ablauf der Rückführungen im Bergbau an einer realistischen Einschätzung der Bereitstellung solcher Alternativen orientieren muß. Aber der Appell an die Verantwortlichen auf Länder-, Bundes- und EG-Ebene, an die Politik, alleine genügt nicht. Hier sind auch die Wirtschaftsverbände selbst aufgerufen, ihre Unternehmen zu motivieren, durch Ansiedlung neuer Betriebe im Umfeld der betroffenen Regionen solche Arbeitsplatzalternativen anzubieten. Sie können sich nicht der Verantwortung entziehen, den notwendigen Wandlungsprozeß aktiv zu unterstützen. Sie wären gut beraten, wenn sie mit ihrer Forderung nach einer Änderung der Kohlepolitik konkrete Vorschläge dazu vorlegen würden.
Die Schwierigkeiten werden nicht verkannt. Deshalb ist es um so notwendiger, daß die Verantwortlichen aus Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft und nicht nur die Bergbautreibenden gemeinsame Lösungsstrategien und Konzepte für einen kontinuierlichen Prozeß der Umstrukturierung entwickeln und umsetzen. Dies muß unverzüglich geschehen. Aus meinen konkreten Erfahrungen aus dem Aachener Revier weiß ich, daß ein solcher Umstrukturierungsprozeß sehr zäh anläuft, bis neue Konturen deutlich erkennbar werden.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich ganz besonders nachdrücklich und eindringlich auf die Entwicklung solcher Konzepte und ihrer Umsetzung für die Region Hückelhoven hinweisen und sie einfordern. Wie immer auch die endgültigen Entscheidungen für die Zukunft der Zeche Sophia-Jacoba ausfallen mögen — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205429300
Herr Kollege Laermann, Sie sprechen schon ein gutes Stück über Ihre Zeit hinaus.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1205429400
Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident; danke schön.
Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, den Menschen dort in der Region Perspektiven für ihre zukünftige Existenz sichtbar und konkret zu vermitteln und ihnen Unsicherheit und Sorgen für die Zukunft zu nehmen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend eine persönliche Feststellung. Es macht schon Mühe und ist schwer verständlich, wenn man in Hückelhoven sagt, die Steinkohle werde nicht mehr gebraucht, und die Zeche stillgelegt wird, wenn 30 km südöstlich davon ein Dutzend Dörfer abgebaggert werden, das Grundwasser in erheblichem Maße abgesenkt wird und großflächige Umwelteinflüsse — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205429500
Verzeihung, Herr Kollege Laermann; aber diese Schilderung hätten Sie in die fünf Minuten packen müssen. Sie sind jetzt bei sechs.

(Beifall bei der SPD)


Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1205429600
Ich meine, das ist schwer zu vermitteln, und das müssen wir bei all diesen Überlegungen und politischen Ansätzen bedenken.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205429700
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Formanski.

Norbert Formanski (SPD):
Rede ID: ID1205429800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde zur Kohlepolitik vor sechs Monaten in Berlin begann ich meinen Redebeitrag mit den Worten: „In den Bergbaurevieren rumort es. " Die Beschreibung der damaligen Situation vor Ort wurde von einigen belächelt und von Herrn Möllemann nicht ernst genommen. Jetzt lächelt keiner mehr, und jeder weiß, es ist sehr ernst.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Heute trifft es nicht mehr zu, daß es in den Bergbaurevieren nur rumort. Als Betriebsratsvorsitzender einer Schachtanlage weiß ich, daß die Stimmung unter den Bergleuten noch nie zuvor so bedrohlich, explosiv und gereizt war wie heute. Bergleute waren in der Vergangenheit immer bereit, mit demokratischen Mitteln friedlich für ihre Interessen zu streiten. Keinem Bundeswirtschaftsminister vor Herrn Möllemann ist es gelungen, uns so zu provozieren. Herr Möllemann drohte nicht nur mit Kahlschlagplänen und Massenentlassungen, sondern stellte die Bergleute sogar — bewußt oder unbewußt — als Schmarotzer der Nation dar.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Unerhört! — Weitere Zurufe von der SPD)

Das ist mit das Schlimmste, was man einem schwer arbeitenden Bergmann antun kann.
Bei den immer wieder genannten Subventionen wird bewußt verschwiegen, daß diese öffentliche Leistungen enthalten, die dem lebenden Bergbau nicht zuzurechnen sind. Sie dienen der Abdeckung von Altlasten und der Abwicklung einer bis jetzt noch sozialverträglichen politisch gewollten Anpassung im Bergbau.
Seit über 33 Jahren werden im Bergbau permanent Arbeitsplätze abgebaut. Entlassungen in den Arbeitsmarkt, wie jetzt gefordert, hat es aber in den zurückliegenden 25 Jahren nicht gegeben. Das war der entscheidende Grund, warum diese Maßnahmen ohne soziale Unruhen bewältigt werden konnten.
Wenn man das alles weiß und dennoch solche Behauptungen aufstellt wie Herr Möllemann, erzeugt man ein Klima der Demokratieverdrossenheit. Ich habe den Eindruck, Herr Möllemann spielt mit Menschen und spielt mit der Demokratie.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [FDP]: Unerhört, das zu sagen!)




Norbert Formanski
Ich gebe gerne zu, daß nicht jeder — auch nicht der Wirtschaftsminister — den Produktionsablauf im Bergbau kennen kann oder muß. Aber glauben Sie mir, wenn ich sage: In unseren Bergwerken wird auf dem höchsten technischen Stand der Welt produziert. Die Schichtleistungen pro Mann und Tag steigen ständig. Allerdings werden die hochspezifizierten Qualifikationen der Bergleute fast nur im Bergbau und eben nicht in anderen Wirtschaftsbereichen nachgefragt. Ihre Aussichten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, in anderen Wirtschaftsbereichen sind deshalb relativ gering. Zudem ist der Arbeitsmarkt gerade in den Bergbauregionen immer noch überdurchschnittlich stark belastet. Der langsam greifende Strukturwandel würde in vielen Städten um Jahre zurückgeworfen.
Darum kam in den letzten Wochen deutlich zum Ausdruck, daß nicht nur die Bergleute und ihre Familien, sondern alle Bürgerinnen und Bürger in den Bergbauregionen berechtigte Angst um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft haben. Deshalb sind die Ängste der Bergleute, die sich bisher in friedlichen Aktionen ausgedrückt haben, sehr ernst zu nehmen. Allerdings gibt es — das ist die Meinung aller, die die Stimmung vor Ort kennen — keine Garantie mehr dafür, daß, wenn die Verunsicherungen und Verunglimpfungen der Bergleute fortgesetzt werden, diese Aktionen auch weiterhin in friedlichen Bahnen gehalten werden können.
Der soziale Friede in den Bergbauregionen steht auf des Messers Schneide. Ihn zu retten, bleibt nicht mehr viel Zeit, und Politiker, die das erkannt haben und den Brand löschen wollen, müssen sich von Herrn Möllemann noch als Brandstifter beschimpfen lassen.
Bruchartiges, unsoziales und verantwortungsloses Vorgehen werden wir nicht tatenlos hinnehmen, denn niemand kann die Bergleute so weit erniedrigen, daß sie den Kakao, durch den sie gezogen werden sollen, auch noch trinken. Glück auf!

(Beifall bei der SPD, bei der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205429900
Ich muß hier erst eine kurze Klärung herbeiführen: Hat sich der nordrhein-westfälische Abgeordnete Norbert Blüm oder der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zu Wort gemeldet?

(Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Beides!) — Davon hängt die Redezeit ab.


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1205430000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bergleute und ihre Familien sind in großer Sorge. Unsere Pflicht ist es, für Klarheit und Sicherheit zu sorgen — Sicherheit für die Bergleute, Sicherheit aber auch für unsere Energieversorgung. Dafür ist wie bisher der Konsens die beste Voraussetzung. Er ist ein ganz hoher Wert für Verläßlichkeit und Sicherheit. Deshalb muß von allen Seiten guter Wille in diesen Konsens eingebracht werden, für die Bergleute, allerdings auch für unsere Energiesicherheit.
Wir brauchen ein europäisches Energiekonzept. Denn der Binnenmarkt steht vor der Tür. Die nationalen Energieversorgungen sind in ein europäisches Konzept einzubringen. In diesem nationalen wie dem europäischen Konzept muß auch die Kohle ihren Platz haben. Wir sind ein nicht sehr energiereiches Land. Wir sind auf Energieimport angewiesen. Dann wäre es geradezu dumm, auf jene Energiequelle zu verzichten, die wir im Lande haben: die Kohle —

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie Beifall bei der SPD)

auch um der langfristigen Sicherheit willen.
Freilich: Wir leben in einer einigen Welt. Es gibt Importkohle. Aber auch ich warne vor der Rechnung, daß sie immer so billig bleibt, wie sie jetzt ist. Denn richtig ist auch, daß ein Teil der Importkohle auf Arbeitsbedingungen basiert, die unmenschlich sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es kann ja wohl nicht eine Weltmarktchance sein, auf Ausbeutung zu setzen. Was andere Energiequellen anbelangt, die uns nicht zur Verfügung stehen, die wir importieren müssen, hat uns das Beispiel Öl Anschauungsunterricht gegeben.
Ich bin dafür, daß unser Energiekonzept auf vielen Füßen steht. Auf einem Fuß zu stehen ist immer sehr instabil. Deshalb: Öl, Gas, Kohle, alternative Formen, Kernenergie. Auch letztere muß Teil des Energiemix sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die Aufgabe der jetzigen Kohlerunde. Wir wollen einen langfristig lebendigen Kohlebergbau in Deutschland. Energiepolitik und Kohlepolitik kann man nicht von der Hand in den Mund betreiben. Eine Zeche ist etwas anderes als ein Regenschirm, den man aufmachen und wieder zumachen kann. Deshalb brauchen wir einen langfristig verläßlichen Kohlebergbau.
Ich sage noch einmal: Die Verläßlichkeit wird um so größer sein, je besser wir uns auf einen solchen Kohlesicherheitssockel verständigen können, über Parteigrenzen hinaus. Wie jedermann weiß, bin ich für jeden Streit zu haben. Das ist ein Teil des demokratischen Spaßes. Aber es muß auch Dinge geben, wo wir zum Konsens fähig sind. Ich glaube, gerade die Energiepolitik ist ein solches Feld, wo wir uns um Konsens bemühen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es bahnt sich eine Verständigung an, wenn auch mit großen Anstrengungen. Zwar soll man den Tag nicht vor dem Abend loben, aber es bahnt sich eine Verständigung an:

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Möllemann ist nicht da! Geben Sie acht!)

50 Millionen Tonnen für das Jahr 2000 und die folgenden Jahre, zusammengesetzt aus einer Verstromungsmenge von 35 Millionen Tonnen — das ist im übrigen die Obergrenze aus dem Mikat-Gutachten — und 15 oder 16 Millionen Tonnen Kokskohle für die Hütte. Das ist die öffentlich flankierte Kohlemenge. Hinzu kommt die Kohle für den Wärmemarkt, die auf den Verbraucher angewiesen ist.



Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Es gilt — auch das will ich festhalten — der Jahrhundertvertrag. Das ist ein gegebenes Wort: 40,9 Millionen Tonnen bis 1995.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Verläßlichkeit ist eines der wichtigsten Güter in der Politik. Das gilt nicht nur für die Kohle, aber es gilt auch für die Kohle. Das hat die Regierung in der Regierungserklärung angekündigt. Wir stehen zu diesem Wort. Ich will im übrigen ausdrücklich anerkennen, daß Bundesminister Möllemann in Brüssel für diese Menge kämpft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber sehr spät!)

Auch der Bundeskanzler setzt sich in Brüssel mit seinem ganzen politischen Gewicht für die Bergleute ein. Wenn ich schon dabei bin, will ich auch meinem Kollegen Töpfer ausdrücklich danken.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der wird sich selber noch loben!)

— Das werden Sie noch tun, wie ich annehme. Aber heute bin ich nicht aufgelegt, auf Ihre Späßchen einzugehen.
Ich will mich bei allen bedanken, die am Konsens mitwirken. Wenn wir das jetzt in Meine parteipolitische Packungen tun, wenn wir hier die kleinlichen Spiele machen, wer da ein paar Pluspunkte mehr sammelt, kommt er nie zustande. Am Schluß zählt nur, was den Bergleuten hilft. Daran soll jeder, der guten Willen hat, mitwirken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Zielmenge, nennen wir mal unter Vorbehalt 50 Millionen Tonnen, müssen wir uns mit einem sozialverträglichen Strukturwandel nähern. Wir wollen Soziale Marktwirtschaft, nicht Urwaldwirtschaft. Das Wort „sozial" ist nicht nur ein schmückendes Beiwort. Deshalb muß wie bisher der Strukturwandel sozial flankiert werden, das Anpassungsgeld länger gezahlt werden, MuV-Hilfen zur Verfügung gestellt werden. Ich teile ausdrücklich die Meinung jener, die sagen: Wir dürfen nicht nur sozialpolitisch flankieren, wir brauchen auch neue Arbeitsplätze. Das ist auch eine regionalpolitisch wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch der IG Bergbau meinen großen Respekt sagen. Der Vorsitzende sitzt ja hier.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist nämlich nicht leicht, was dieser Gewerkschaftsvorsitzende, was die IG Bergbau mit hoher Verantwortung vollbringen. Es ist kein leichter Weg. Es ist viel leichter, die Menschen auf die Barrikaden zu jagen, ohne zu fragen, ob diese ganze Übung Erfolg hat.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Möllemann!)

Ich sage: Der kooperative Weg der IG Bergbau verdient Anerkennung. Auch die Politik muß akzeptieren, daß sich hier eine Gewerkschaft für das Gesamtwohl einsetzt. So selbstverständlich ist das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sozialer Frieden ist ein hoch zu bewertender Produktionsfaktor, ein hohes Gut. Er hat unsere Sozialkultur ausgezeichnet. Deshalb will ich ausdrücklich anerkennen, daß sich die IG Bergbau immer in dieser Pflicht gesehen hat.
Die Kohlebergleute brauchen jetzt Sicherheit. Ich teile die Ansicht derjenigen, die sagen, daß wir nicht Jahr für Jahr oder in regelmäßigen Abständen Kohlerunden durchführen können.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ist ja schrecklich!)

Nein, ich glaube, das können wir den Bergleuten nicht zumuten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD — Zuruf von der SPD: Ihr Wort in Gottes Ohr!)

Deshalb muß jetzt eine Anstrengung gemacht werden, die nicht nur für heute und morgen gilt, die nicht nur für eine Legislaturperiode gilt, die nicht nur für einen Wahlkampf gilt, sondern die langfristige Energiesicherheit anstrebt und verläßliche Sockel auch für die Kohle einräumt. Dazu lade ich alle ein.
Ich will auch nicht vergessen — das ist keine sentimentale Romantik: Die Bergleute waren es, die in der Nachkriegszeit unser Land vor dem Verhungern

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [FDP]: Das haben wir eben schon mal gehört! Das bestreitet niemand!)

— man kann es trotzdem noch einmal sagen — und Erfrieren bewahrt haben.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Wenn Solidarität keine Einbahnstraße ist, dann gilt es, jetzt in schweren Zeiten zu den Bergleuten so zu stehen, wie die damals für das ganze Volk eingetreten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205430100
Ich erteile das Wort dem Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Günter Einert.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205430200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war im Laufe der letzten acht Jahre in verschiedenen Funktionen als Mitglied des Bundesrates häufig Gast dieses Hohen Hauses und hatte hier zu sprechen. Ich gestehe: Sternstunden sind selten. Aber heute war es eine solche, in der die Sprecher verschiedener Fraktionen Politik, Einstellung und Argumente der jeweils anderen so deutlich gelobt haben. Das habe ich, wie gesagt, bisher nur selten in diesem Hohen Hause erlebt.
Kollege Blüm, ich bedanke mich auch, daß Sie die IGBE und ihre verantwortungsvolle Tätigkeit so gelobt haben. Wenn ich sehr viel Rabulistik aufwendete, würde ich sagen: Schönen Dank für das Kompliment.



Minister Günter Einert (Nordrhein-Westfalen)

Die Maulschellen, die Sie damit gleichzeitig an einen anderen verteilt haben, haben wir alle wohl gehört.

(Beifall bei der SPD)

Ich begrüße es, daß wir diese Diskussion so führen. Wir stehen hier auch vor wichtigen Entscheidungen, die auf Jahre hinaus prägend für die Wirtschafts- und Energiestruktur eines Landes sind.
Auch wir als Landesregierung Nordrhein-Westfalen treten für einen solchen Konsens ein. Ich habe das mehrfach in der Öffentlichkeit und in den bisherigen Kohlerunden gesagt. Wir haben ihn aber noch nicht. Ich weiß auch noch nicht, ob wir ihn kriegen. Aber eines weiß ich ziemlich sicher: Wenn wir ihn nicht bekommen, dann wird es in dieser zentralen Frage keine Sieger und Besiegten geben, sondern wir werden alle den Schaden davontragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU — Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das ist eine gute Erkenntnis!)

— Aber nicht neu. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Aber gut!)

Deshalb sind die Anstrengungen groß. Wir haben es bisher erreicht, die dramatischen und gewaltigen Arbeitsplatzverluste bei der Kohle durch Konsens, durch Strukturpolitik und begleitende Sozialpolitik aufzufangen und zu kompensieren. Da Sie vielleicht nicht alle mit den Interna des Strukturwandels vertraut sind, sage ich Ihnen nur eine Zahl: In Nordrhein-Westfalen hatten wir einmal weit über 500 000 Arbeitnehmer in der Steinkohle. Davon sind über 400 000 Arbeitsplätze abgebaut worden.

(Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [FDP]: Wie ist das in der Textilindustrie?)

— Ich könnte auch darüber reden; wir sind heute bei der Steinkohle. Ich wollte damit nur allen etwas voreiligen Kritikern, die immer beklagen, wir hätten bisher keinen Strukturwandel gehabt, deutlich machen, daß sie darüber mal ein bißchen nachdenken sollten.
Wir wollen, daß dieser Prozeß der Strukturveränderung so bleibt. Wir wollen verhindern, daß es bruchartige Entwicklungen im Bergbau gibt. Das haben wir bisher geschafft. Die Eckpunkte dieser gegenwärtigen Auseinandersetzung habe ich mehrfach formuliert. Ich kann das beinahe im Telegrammstil noch einmal wiederholen: Die Fördermenge bis zum Jahr 2000 war viele Wochen lang umstritten, und das hat auch dazu beigetragen, daß die emotionalen Widerstände so hochgeschäumt sind, wie das nunmal der Fall ist. Da müssen sich die Verursacher dieser Interview- und PR-Aktionen mal fragen lassen, ob sie wirklich noch alle Sinne beisammen gehabt haben, das zu betreiben.

(Beifall bei der SPD)

Wir hätten uns einen Teil des zerbrochenen Porzellans sparen können.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Völlig richtig!)

Die zweite Frage ist: Daß der Jahrhundertvertrag bis 1995 erhalten bleiben soll, das scheint heute weit-
gehend gesichert zu sein. Das war es lange Zeit nicht. Aber es muß hinzugefügt werden, daß die Anschlußregelung ab 1996 noch nicht in trockenen Tüchern ist. Insoweit füge ich hinzu — das sage ich hier sehr deutlich — : Ich erwarte, daß auch die Elektrizitätswirtschaft einen Beitrag dazu leistet.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Von der Politik ständig zu verlangen, daß wir in Brüssel gegen Common Carrier und für die Aufrechterhaltung ihrer Demarkationsgrenzen auf die Barrikaden gehen, um ihnen sozusagen sichere Einnahmen frei Haus zu garantieren, das kann auch nicht im Sinne des Erfinders sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch die EVUs müssen eingebunden sein in eine solche gemeinsame Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Da darf man sich nicht davonstehlen, wie das in den letzten zwei Kohlerunden leider zum Teil zu beobachten war.

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Welche sind das denn? — Dr. Klaus Töpfer [CDU/CSU]: Wer sind denn die EVUs?)

— Das sind unterschiedliche Strukturen, und ich meine damit alle, damit wir uns ganz richtig verstehen.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sind Sie selbst mit dabei?)

Als weiteres füge ich hinzu: Wenn wir dann über Anschlußregelungen und Finanzierung reden, dann gehört das auch mit zum Paket. Wir können uns keine scheibchenweise Lösung erlauben, sondern es muß ein Paket erreicht werden, und dazu gehört auch die Finanzierung der nachfolgenden Lösung. Das wird nicht einfach sein, aber es gehört dazu; sonst machen wir, glaube ich, den Leuten ein X für ein U vor, und wir betrügen sozusagen die Bergleute, die wir hier ständig in ihrer Interessensituation beschwören, aufs neue, wenn wir das nicht gleichzeitig mit in Angriff nehmen.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich habe es begrüßt, daß die Bundesregierung positiv auf unsere Forderungen in bezug auf sozial und regional verträgliche Flankierungen reagiert hat. Ich füge hinzu: Diese allgemeine Zusage muß natürlich noch konkretisiert werden. Ich hoffe, daß uns das gelingen wird.
Eine letzte Bemerkung: Das Land Nordrhein-Westfalen wird zu seiner Mitverantwortung stehen
— daran lassen wir überhaupt keinen Zweifel — , wie wir es in der Vergangenheit getan haben, und wird nicht nur mit Erklärungen, sondern auch richtig mit Geld in die Frage einsteigen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.
Nun noch eine letzte Bemerkung zu Sophia-Jacoba. Ich glaube, das muß man einfach sagen. Der Bundeswirtschaftsminister hat entschieden, keine zusätzlichen Investitionsmittel zur Realisierung des sogenannten Wildenrath-Konzeptes zu gewähren. Ich muß



Minister Günter Einert (Nordrhein-Westfalen)

diese Entscheidung zur Kenntnis nehmen. Ich verstehe aber, daß die Bergleute, ihre Familien und die Regionen davon stark betroffen sind. Ich denke, das verstehen wir alle. Deshalb müssen wir alles tun, damit auch die Menschen in Hückelhoven in dieser Region das Gefühl haben, nicht im Stich gelassen worden zu sein. Sie brauchen strukturpolitische Initiativen, die auf die besonderen Probleme dieser Region zugeschnitten sind. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit und vor allem Zeit, denn strukturelle Veränderungen brauchen einen langen Atem.
Das bedeutet: Wir müssen versuchen, eine Lösung mit Sophia Jacoba und nicht ohne Sophia Jacoba zu realisieren. Ich erwarte auch vom Unternehmen ein Konzept bis zum Jahr 2000. Es kann sich zusammensetzen aus maximal auslaufender Förderung und anschließenden — auch alternativen — Tätigkeiten. Aber es muß ein für diese Region strukturell sinnvolles Konzept beinhalten.
Ich hoffe insgesamt auf ein Ergebnis, das den Menschen in den Bergbauregionen wieder klare Zukunftsperspektiven eröffnet, und zwar für längere Zeit, damit wir das tägliche Hickhack wirklich ad acta legen können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205430300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Karl Fell.

Dr. Karl H. Fell (CDU):
Rede ID: ID1205430400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meinem Wahlkreis liegt Sophia Jacoba, das Bergwerk, von dem hier jetzt schon mehrfach die Rede war, das inzwischen fast jeder in Deutschland kennt, weil die Bergleute mit ihrem Protest unter Tage — auch jetzt, in der Zeit, in der wir hier diskutieren, sind mehr als 300 Bergleute unter Tage vor Ort und machen auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam —, weil die Verbände, die Organisationen, die Fraueninitiative das Problem publik gemacht haben.
Das, was hier zur Notwendigkeit von Mengenreduzierungen, zu einer langfristigen Konzeption, zu sozialer Flankierung gesagt worden ist, hört sich alles gut an. Nur: In meinem Wahlkreis, im Kreis Heins-berg, ist die Frage der Regionalverträglichkeit noch wesentlich wichtiger. Es ist nicht damit getan, daß der einzelne Arbeitnehmer, vielleicht der einzelne Bergmann einen neuen Arbeitsplatz bei der Ruhrkohle AG fern im Ruhrgebiet findet. Damit verlagern wir Arbeitsplätze aus der Region weg, und in der Region fehlen sie dann. In der Region fehlt dann die Nachfrage in Höhe von über 400 Millionen DM pro Jahr, die von Sophia Jacoba ausgeht, nämlich die Investitionsnachfrage aus dem Unternehmen selbst und die Nachfrage aus der Lohnsumme, die dort gezahlt wird.
Die betroffenen Menschen können nicht verstehen, daß sie gnadenlos Opfer einer volkswirtschaftlichen Teilrechnung werden sollen, die allein auf die Förderkosten schielt und die wesentlich höheren Kosten einer zu finanzierenden Arbeitslosigkeit einfach beiseite läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Mehr als 8 000 Menschen sollen als Folge einer kurzfristigen Schließung von Sophia Jacoba im Kreis Heinsberg arbeitslos werden. Selbst die Kosten einer Aufschließung von Wildenrath reichen nicht aus, Herr Staatssekretär Riedl, um ein Gleichgewicht zwischen den Förderfinanzierungen und der Finanzierung von Arbeitslosigkeit herbeizuführen. Schon deshalb ist die Schließung unsinnig.
So kann man vor allen Dingen nicht mit den Bergleuten, mit den Familien umgehen. Wir brauchen in der Region Zeit für die notwendige Umstrukturierung. Beim EBV ist nächstes Jahr Schluß. Die Gesamtregion Aachen kann nicht verkraften, daß jetzt auch noch nahezu zeitgleich Sophia Jacoba zugemacht werden soll.
Der Kreis Heinsberg zählt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, zu den schwächsten im Land Nordrhein-Westfalen. Er ist übrigens immer noch nicht ganz in die Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufgenommen, Herr Staatssekretär. Das Nachfragevolumen — darauf hatte ich hingewiesen — ist für die künftige Entwicklung dieses Bereichs unverzichtbar.
Wenn jetzt angedacht wird, daß vielleicht Rheinbraun helfen könne, indem Bergleute von Sophia Jacoba nach Rheinbraun übernommen werden, kann ich nur sagen: Wie wollen wir den Menschen klar machen, daß auf der einen Seite Sophia Jacoba dichtgemacht wird und dort die Arbeitsplätze verlorengehen und daß auf der anderen Seite der Tagebau mit seinen ökologischen Problemen — Herr Kollege Laermann wies darauf hin — und seinen sozialen Problemen — für 8 000 Menschen soll die Heimat verschwinden — , der auch Arbeitsplätze vernichtet, gewissermaßen als „Ausgleich" dienen soll? Das ist einfach nicht zu vermitteln, das ist nicht verständlich zu machen.
Deshalb, meine Damen und Herren: Die Region Heinsberg kann die Umstrukturierung ohne Sophia Jacoba nicht schaffen. Wir brauchen Zeit, wir brauchen aus regionalpolitischen Gründen noch viele Jahre — mindestens 15 Jahre, sage ich mal; ich gehe über Ihre Vorstellungen hinaus, Herr Minister Einert —, um durch die Weiterfinanzierung dieses Bergwerks eine Chance für die Zukunft zu eröffnen. Noch mehr brauchen wir — und da bin ich gespannt, was die Landesregierung Nordrhein-Westfalens dazu beiträgt, was sie auf den Tisch legt, wenn es konkret um die Umstrukturierung geht, wenn es um die Regionalförderung geht —,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und zwar zeitgleich, sofort, Geld dafür. Hier darf nicht gekleckert, sondern muß geklotzt werden. Nur so können wir den Menschen eine Perspektive eröffnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205430500
Herr Kollege Volker Jung, Sie haben das Wort.




Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1205430600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man alles, was in dieser Debatte gesagt worden ist, ernst nimmt — und das tue ich, Herr Fell und Herr Bundesarbeitsminister Blüm —, dann müßte man zu dem Schluß kommen, daß es im Bundestag eine satte Mehrheit gibt,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Gibt es ja auch!)

die der heimischen Steinkohle weiterhin die Möglichkeit einräumen will, einen wichtigen Beitrag zu unserer Energieversorgung zu leisten. Und diese Mehrheit reicht von der SPD über das Bündnis 90 und die Linke Liste bis in die CDU und sogar in die Bundesregierung hinein.

(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Bis auf die Reihenfolge war das richtig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Es stellt sich daher die Frage, meine Damen und Herren, warum sich das Parlament so schwertut, diesem Mehrheitswillen zum Durchbruch zu verhelfen.

(Beifall bei der SPD)

Offensichtlich deswegen, weil die Regierungskoalition tief gespalten ist, weil der Riß durch die CDU/ CSU-Fraktion geht und weil sich die Koalition seit 1983 in steter Kontinuität Wirtschaftsminister aus den Reihen der FDP leistet, die ihre wichtigste Aufgabe offensichtlich darin sehen, der heimischen Steinkohle den Garaus zu machen.
Bangemann hat da Pionierarbeit geleistet, indem er den Verstromungsfonds mutwillig in die Verschuldung getrieben und die Europäische Kommission gegen unsere nationalen Interessen mobilisiert hat.

(Lachen und Widerspruch bei der FDP)

Haussmann hatte da schon ein leichteres Spiel, meine Damen und Herren, weil er Bangemann inzwischen als Mitspieler in der Kommission hatte. Und Möllemann muß gar nicht mehr über Bande spielen, weil die Europäische Kommission inzwischen aus eigenem Willen gegen uns spielt.

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Ob er das selbst glaubt?)

Wenn es den FDP-Wirtschaftsministern bis heute nicht gelungen ist, die heimische Steinkohle plattzumachen, dann ist das auch und nicht zuletzt dem Widerstand der Bergleute zu verdanken.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Widerstand, Herr Müller, war bitter notwendig. Jeder, der die Bedingungen unter Tage kennt, wird ermessen können, was es bedeutet, wenn die Männer in Hückelhoven und zuvor auch auf Lohberg nicht mehr ausfahren, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. Für die SPD spreche ich ihnen unsere volle Solidarität aus.

(Beifall bei der SPD)

Auch die zweite Kohlerunde am vergangenen Montag hat keine Einigung gebracht — das ist vielfach betont worden — , weil der Bundeswirtschaftsminister nicht in der Lage ist, ein kohlepolitisches Gesamtkonzept, wie es nicht nur von uns, sondern auch von der Europäischen Kommission verlangt wird, vorzulegen.
Die vage Zusage, im Jahre 2005 eine Fördermenge von 50 Millionen t politisch zu stützen, ist so lange nichts wert, wie nicht entschieden ist, ob der laufende Jahrhundertvertrag bis 1995 Bestand hat; ob die Stromwirtschaft ihren Widerstand aufgibt, eine Anschlußregelung zu vereinbaren, oder die Verstromung heimischer Steinkohle auf eine andere Weise sichergestellt ist; ob der Hüttenvertrag verlängert und weiter staatlich gestützt wird; ob der Anpassungsprozeß bei der erzwungenen Mengenreduzierung sozial und regional verträglich gestaltet und ob dies alles von der Europäischen Kommission gebilligt wird.
Die nunmehr vorgeschlagene Kürzung der Kokskohlenbeihilfe von 550 Millionen DM für den kommenden Dreijahresplafond, die ja nicht durch die Sache, nämlich durch das Bedarfsdeckungsprinzip, gerechtfertigt ist, sondern nur dazu dient, daß Möllemann, der sich ohnehin auf dem Rückzug befindet, sein Gesicht wahren kann, und der verlangte Selbstbehalt des Bergbaus machen eine Förderkürzung um 2 bis 3 Millionen t und die Entlassung von 4 000 bis 6 000 Bergleuten bereits im nächsten Jahr notwendig. Das werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das dürften auch die Koalitionsparteien, wenn sie ihren Beschluß vom Juli ernst nähmen, einer Kürzung der Kokskohlenbeihilfe ohne ein kohlepolitisches Gesamtkonzept nicht zuzustimmen, nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Alles offene Fragen, die bis zur dritten Runde am kommenden Montag beantwortet werden müßten, wenn die nicht scheitern sollte.
Eigentlich hätte der Bundeswirtschaftsminister nachsitzen müssen, um seine Schulaufgaben zu machen. Während es an Ruhr und Saar brennt, wobei Herr Möllemann selbst das Feuer gelegt hat, fährt er seelenruhig nach China. Möglicherweise will er den dortigen Machthabern beibringen, daß aus Gründen des Klimaschutzes eine Reduzierung der Steinkohleförderung notwendig ist.
Meine Damen und Herren, spätestens am kommenden Montag muß der Wirtschaftsminister in diesen Fragen Klarheit schaffen, damit in letzter Minute ein Kompromiß in der Kohlepolitik zustande gebracht wird, den Möllemann fast schon selbst verspielt hat. Ohne einen kohlepolitischen Kompromiß wird es mit uns Sozialdemokraten — ich sage das genauso deutlich wie bei der Nutzungsdauer der Kernenergie — keinen neuen energiepolitischen Konsens geben.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205430700
Der Abgeordnete Ulrich Petzold hat das Wort.

Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1205430800
Verehrter Herr Vorsitzender! Meine verehrten Damen und Herren! „Wir fallen ins Bergfreie", dieser Hilferuf der Steinkohlekumpel aus dem Ruhrgebiet hat mich als ehemaligen Beschäftigten der mitteldeutschen Braunkohlenindustrie schon betroffen gemacht. Der Verlust des Arbeitsplatzes, des gewohnten Umfeldes ist eine bedrückende Erfahrung, die viele Menschen aus meiner



Ulrich Petzold
Region, die in der hochsubventionierten Braunkohlenindustrie der DDR arbeiteten, jetzt bei der wirtschaftlichen Umgestaltung machen. Nun sollen auch noch an Ruhr und Saar subventionierte Arbeitsplätze abgebaut werden. Doch hier treten plötzlich gravierende Unterschiede zutage.
Während in der Steinkohle der „Fall ins Bergfreie" eine Überführung in andere Industriezweige bezeichnet, bedeutet es im Osten für viele Arbeitslosigkeit, Vorruhestand, günstigstenfalls ABM. In den neuen Ländern sind innerhalb eines Jahres 70 000 Bergleute aus der Braunkohlenindustrie entlassen worden. Die Entlassung von weiteren 40 000 Beschäftigten erfolgt degressiv in den nächsten Jahren.
Das beispiellose Gesundschrumpfen des Braunkohlenbergbaus im Osten geschieht bei einer wesentlich geringeren sozialen Absicherung als in den Steinkohlengebieten. Trotzdem werden wir alles daransetzen, einen wirtschaftlichen Braunkohlenbergbau — natürlich in wesentlich geringerem Umfange als bisher — zu gestalten. Wie sonst als bei lebendem Bergbau sind die ungeheuren Altlasten aus mehr als 40jähriger Vergangenheit einigermaßen ökonomisch vertretbar zu beseitigen? Wie sonst sind drohende Schäden im Wasserhaushalt zu korrigieren? Bergbau kann nicht von heute auf morgen ohne Schaden abgebrochen werden. So sind technische und soziale Auslaufmodelle zu entwickeln, die das Überleben der Berbauregion möglich machen.
In einem Argumentationspapier des Bundesministers für Wirtschaft zur Kohlepolitik im August dieses Jahres wird die Kohlepolitik fast ausschließlich auf die Steinkohle begrenzt. Eine Erwähnung der Braunkohle erfolgt nur kurz. Dabei wird eine für mich nicht nachvollziehbare Behauptung aufgestellt, daß durch die Stromerzeugung aus Braunkohle der Steinkohle eine Konkurrenz entstehe. Ostdeutsche Braunkohle und westdeutsche Steinkohle können durchaus ohne Konkurrenz bestehen, da sie beide einen ganz anderen Markt beliefern.
In den Straßen von Leipzig marschierten von 1989 auch viele Braunköhler des Leipziger Reviers und riefen: „Wir sind ein Volk! " Wie wollen wir uns heute vor sie hinstellen und ihnen verkünden, daß wir die Steinkohle — wie gehabt — weiter subventionieren, während wir bei der Braunkohle rigoros die Wirtschaftlichkeit durchsetzen!

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Jetzt nicht gegeneinander ausspielen!)

Der Landkreis, aus dem ich stamme, ist energiewirtschaftlich einseitig auf die Braunkohle orientiert. In zwei Braunkohlekraftwerken, einem Braunkohletagebau und einem zentralen Tagebaugeräteinstandsetzungswerk sind über 50 % der Arbeitnehmer des Kreises beschäftigt. Die beiden Kraftwerke werden auf Grund fehlender Rentabilität und wegen Überalterung stillgelegt. Die Braunkohlegrube läuft aus. Das Instandsetzungswerk verliert jetzt auch noch die Ersatzaufträge aus dem Eisenbahnbau.
Trotzdem gibt es dort noch keinen Massenstreik. In einer konzertierten Aktion versuchen wir in Bund und Land sowie auf kommunaler Ebene, auf dieses Problem aufmerksam zu machen und Abhilfe durch gezielte Neuinvestitionen zu schaffen.
Wir sind uns in diesem Parlament, glaube ich, alle einig, daß wir auf Grund der Haushaltslage Subventionen zurückführen müssen. Zu viele Menschen in der Bundesrepublik weigern sich, zur Kenntnis zu nehmen, daß die deutsche Wirtschaft mit der Wiedervereinigung die größte Bewährungsprobe seit 1948 auf sich genommen hat. Ich wehre mich jedoch gegen die unverantwortliche Aussage, die Steinkohlenarbeiter seien Opfer der Einheit. Nein, ich glaube, sie sind Opfer einer bedenklichen Subventionspolitik, die wir in der Braunkohlenindustrie im Osten auf jeden Fall vermeiden wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205430900
Wir nähern uns nach gut eindreiviertel Stunden dem Ende der Aktuellen Stunde.
Ich gebe dem Kollegen Jung jetzt für eine kurze Erklärung zu einem Vorgang das Wort, den er erwähnt hat, aber vorhin noch nicht voll überschauen konnte.
Anschließend wird die Zeit, die der CDU/CSUFraktion bleibt, nämlich gute zwei Minuten, der Abgeordnete Töpfer in Anspruch nehmen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sind für Töpfer wirklich noch zwei Minuten übrig?)

— Herr Schäfer, Sie sollen die Worte des Präsidenten nicht anzweifeln.
Herr Kollege Jung.

Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1205431000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe erst soeben erfahren, daß sich der Bundeswirtschaftsminister für seine Abwesenheit entschuldigt hat. Unsere Fraktion hat das zur Kenntnis genommen. Ich bedauere daher die Äußerung, die ich in dem Zusammenhang gemacht habe, möchte aber dabei bleiben, daß es unbedingt notwendig ist, daß die Bundesregierung in der Zwischenzeit ihre Schulaufgaben macht.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205431100
Herr Abgeordneter Professor Klaus Töpfer, Sie haben das Wort.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ist das seine Jungfernrede als Abgeordneter?)


Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1205431200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß ich in zwei Minuten noch meine Position klarstellen kann.
Was ich für wichtig halte, ist dies: In einer Aktuellen Stunde besteht immer die Gefahr, daß mehr Fronten aufgebaut als abgebaut werden. Ich glaube, daß das dieser Sache überhaupt nicht zugute kommt.
Herr Kollege Jung, wenn es notwendig gewesen wäre zu klagen, dann darüber, daß der Wirtschaftsmi-



Dr. Klaus Töpfer
nister des Saarlands nicht bis zum Ende dieser Aktuellen Stunde hier geblieben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er hat sich bei uns entschuldigt, weil er einen anderen Termin hat! Sie hätten vorher fragen können!)

Ich bin der Meinung, daß wir das zumindest ansprechen sollten.
Aber ich will ja gerade Gegensätze abbauen und dazu beitragen, Gemeinsamkeiten herauszufiltern. Denn wer es mit der so häufig beschworenen Tatsache ernst meint, daß wir für die Bergleute und ihre Familien Sicherheit bekommen wollen, der darf nicht nur darauf sehen, daß er seine Maximalforderungen vorträgt, sondern muß darauf achten, Kompromisse zu ermöglichen, die auch dem gerecht werden, was, glaube ich, mit großer Ernsthaftigkeit der Kollege Petzold gerade vorgetragen hat. Respekt vor seiner Position.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn das richtig ist, dann fasse ich zusammen, daß wir auf einem Weg sind, der zu dem Kompromiß hinführen kann.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Renate Schmidt)

Deswegen sollten wir nicht Maximalpositionen aufbauen, sondern diese Vermittlungsposition ernsthaft anstreben. Wir sollten sehen, daß sich beide Seiten bewegt haben, daß sie aufeinander zugegangen sind und daß wir unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Kohleförderung mit 50 Millionen t plus Wärmemarkt eine Größe haben, die wir wirklich sozial verträglich in die Anpassung hineinbringen können, daß es die Möglichkeit gibt, soziale Anpassung und regionale Anpassung vorzunehmen.
Hier sei hinzugefügt: Die Anpassung der regionalen Strukturen kann ja wohl nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung sein, sondern muß von den Ländern entwickelt und im Diskurs mit der Bundesregierung umgesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dies gehört doch ganz sicher zusammen. Auch hier wäre es gut gewesen, wir hätten diese Gemeinsamkeit gehört und nicht nur Maximalpositionen.
Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß wir diese Bewegung aufeinander zu als Signal von dieser Aktuellen Stunde ausgehen lassen sollten, damit in den Revieren tatsächlich wieder Sicherheit einkehrt, nicht nur für morgen und übermorgen, sondern bis zum Jahre 2000 und weit darüber hinaus. Wir brauchen den lebendigen Bergbau, wir brauchen ihn im Konsens dieser Wirtschaft und der in diesem Parlament Vertretenen. Deswegen macht es keinen Sinn, sich gegeneinander auszuspielen, sondern man muß miteinander nach einem vernünftigen Weg suchen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205431300
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1991 — BBVAnpG 91)

— Drucksache 12/732 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/1455 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Regenspurger Fritz Rudolf Körper
Heinz-Dieter Hackel
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1456 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps

(Erste Beratung 33. Sitzung)

Dazu liegt ein Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1473 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu gegenteilige Meinungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort dazu hat als erster der Kollege Johannes Gerster.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205431400
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der zweiten und dritten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes werden wir rückwirkend zum 1. März 1991 die Bezüge der Beamten, Soldaten und Versorgungsempfänger linear um 6 % erhöhen.
Man wird fragen: Warum kommt das so spät? Die Erklärung ist einfach: Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde entscheidend verändert und verbessert. Das hat zugegebenermaßen Zeit gekostet. Aber es hat sich gelohnt; denn wir haben eine Reihe von Verbesserungen einführen können und müssen, um die Beamten nicht schlechterzustellen als z. B. die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst.
Die Beamten haben dadurch keinen Nachteil, weil es natürlich Abschlagszahlungen gibt. Inzwischen wurde unter Vorbehalt bereits das geleistet, was ihnen nach diesem Gesetz zustehen wird.
Lassen Sie mich nur wenige Gesichtspunkte dieses Entwurfs ansprechen. Zunächst muß man ganz klar sagen, daß die Beamten einen Solidarbeitrag für den Aufbau in den neuen Bundesländern leisten; denn im Gegensatz zu den Angestellten und Arbeitern werden ihre Bezüge zwei Monate später erhöht, d. h. insofern gibt es einen gerechten Ausgleich. Aber — ich möchte das in aller Deutlichkeit sagen — wir haben Einspar-



Johannes Gerster (Mainz)

summen zugleich benutzen können, um erhebliche Strukturverbesserungen durchzuführen.
Entgegen den Aussagen, die in einer bekannten Zeitung zu lesen waren, muß Wert darauf gelegt werden, daß wir die gesamten Strukturverbesserungen dem einfachen und mittleren Dienst zugute kommen lassen. So wie für Arbeiter, Meister, Techniker und Ingenieure durch den Tarifvertrag eine Reihe von Verbesserungen durchgeführt wurden, so haben wir — um nur einige Beispiele zu nennen — die Grundgehälter der Besoldungsgruppen bis A 8 entweder erhöht oder durch andere Dienstaltersstufen die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Gehaltssteigerungen schneller möglich sind. Dies war aber auch sozial geboten, weil wir es nicht zulassen können, daß die Beamten des einfachen Dienstes ungefähr den Sozialhilfesatz erhalten; es kann ja nicht wahr sein, daß diejenigen, die arbeiten, nicht mehr bekommen als die, die Sozialhilfe erhalten. Wir müssen diesbezüglich also jährlich etwas tun und haben es auch getan.
Für den einfachen Dienst haben wir das Spitzenamt auf A 6 angehoben. Wir haben — was auch sehr wichtig ist — die Schicht- und Wechselschichtdienstzulagenregelung auf die Feuerwehr ausgedehnt. Damit ist die Feuerwehr in die Zulage für die Polizei, die Justiz und andere Sicherheitsdienste eingezogen.
Niemand kann bestreiten, daß im Bereich der technischen Verwaltungen und im Bereich der Steuerverwaltung ein erheblicher Wettbewerb zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst stattfindet. Qualifizierte Leute werden ständig abgeworben. Um dem entgegenzuwirken, wurden Stellenobergrenzen zum Teil verbessert; hier wurden neue Beförderungsmöglichkeiten geschaffen. Aber ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, daß wir damit nicht alle Nachwuchsprobleme gelöst haben; Nachwuchsprobleme, die z. B. durch den Einsatz von Bediensteten in den neuen Bundesländern im Westen verschärft wurden und im Osten natürlich zusätzlich bestehen.
Wir werden diese strukturverbessernden Maßnahmen in den nächsten Jahren fortsetzen müssen. Das heißt, Konsequenzen aus dem Strukturbericht der Bundesregierung, die wir bereits im letzten Jahr in einer ersten Stufe gezogen haben, müssen wir durch dieses Gesetz nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den folgenden Jahren speziell und punktuell ziehen.
Wir haben für die Versorgungsempfänger eine wichtige Neuregelung in diesem Gesetz. Der Anpassungszuschlag für Versorgungsempfänger wird ab 1993 wieder eingeführt. Im Vorgriff darauf wird für die Jahre 1991 und 1992 eine um 0,4 % höhere lineare Anhebung der Versorgungsbezüge eingeführt. Ich finde dies ebenso gerecht und billig, wie es wichtig ist, daß wir die Mindestversorgung statt wie bisher aus der Besoldungsgruppe A 3 in Zukunft aus der Besoldungsgruppe A 4 berechnen.
Selbstverständlich wurden nicht alle Forderungen der Beamtengewerkschaften erfüllt. Dann wären die Gewerkschaften im übrigen in Zukunft auch überflüssig. Natürlich wird es weitere Forderungen geben. Wir haben eine Kette von wichtigen Maßnahmen, die immer wieder eingefordert werden, zunächst einmal
überprüft. Wir müssen mit Sicherheit auf Dauer endlich zu einer Lösung der Ballungsraumproblematik kommen. Man kann vor allen Dingen Beamte des mittleren und des einfachen Dienstes kaum mehr in Ballungsräume versetzen, weil es ihnen dort die Mietpreisgestaltung fast unmöglich macht, ihrem Dienst nachzukommen. Die bisherige Regelung war ein Versuch. Ich sage aber ganz deutlich: Dieser Versuch war weder ausreichend noch passend. Wir müssen hier zu neuen Überlegungen kommen.
Wir müssen eine Neukonzeption für Möglichkeiten der Beurlaubung und der Teilzeitbeschäftigung schaffen. Auch im öffentlichen Bereich ist die Arbeitszeit flexibler zu gestalten, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Wir müssen die Problematik des unregelmäßigen Wechselschichtdienstes aufgreifen und entsprechend lösen; ein Dienst übrigens, der besonders schwierig und besonders problematisch ist. Deswegen müssen wir auch hier Neuregelungen treffen.
Wir haben schließlich in diesem Gesetz eine ganz entscheidende Neuregelung im Beamtenrecht insgesamt. In Zukunft können Bürger aus EG-Mitgliedstaaten ebenfalls Beamte werden, allerdings unter den Bedingungen des Grundgesetzes und der Beamtengesetze. Damit entsprechen wir dem Freizügigkeitsgebot des Art. 48 Abs. 4 des EWG-Vertrags, d. h. auch hier eine Öffnung im Sinne einer Europäischen Union. Europäische Arbeitnehmer können auf Dauer leichter bei uns Beamte werden.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Dürfen die denn wählen?)

— Ich persönlich bin schon lange der Meinung, lieber Willfried Penner, daß wir im Rahmen der Europäischen Union auf Dauer auch zur Übertragung von Staatsangehörigkeitsrechten auf diese Union kommen werden. Ich stelle mir eine Europäische Union vor, in der es nicht nur für das Europaparlament, sondern auch für andere Ebenen auf Dauer ein gemeinsames Wahlrecht geben kann. Daran werde ich mit Sicherheit im Sinne der europäischen Integration mitwirken.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Hoffentlich dauert das nicht zu lange!)

Wir haben die Beamten — ich möchte das in aller Deutlichkeit sagen — in diesem Gesetz gleichbehandelt mit den Arbeitern und Angestellten des öffentlichen Dienstes, allerdings im Rahmen des Systems, also systemkonform. Der öffentliche Dienst hält damit Schritt mit der allgemeinen Einkommensentwicklung in der privaten Wirtschaft. Sonderopfer sind nicht verlangt worden.
Lassen Sie mich, meine Damen, meine Herren, zum Abschluß zwei Bemerkungen machen. Erstens. Ich finde, wir haben auch anläßlich dieses Gesetzentwurfes Veranlassung, den Beamten zu danken, insbesondere den über 20 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst, die sich am Aufbau in den fünf neuen Bundesländern beteiligen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Johannes Gerster (Mainz)

Hier wird eine gute und wichtige Aufbauarbeit geleistet.
Zweitens. Ich bin der Meinung, daß auch bei allen Diskussionen über die Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechtes klar sein muß: Natürlich ist der öffentliche Dienst keine statische Veranstaltung, sondern wie bei allem in der Gesellschaft ist auch hier die eine oder andere Neuerung im Laufe der Zeit durchaus notwendig. Aber man sollte doch festhalten, daß insgesamt sich das öffentliche Dienstrecht in der Bundesrepublik Deutschland wirklich bewährt hat, daß es insgesamt einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht und daß wir deswegen auch diesem Teil unserer Beschäftigten das zukommen lassen sollten, was ihnen zukommt.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) Das haben wir mit diesem Gesetz gemacht.

Daß wir den Entschließungsantrag der SPD ablehnen, Herr Kollege Penner, wird Sie nicht verwundern. Hier kommt wieder die alte Vorstellung, der alte Hut mit dem Anpassungszuschlag und anderen Dingen. Ich finde es nicht so gut, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen wieder einzukassieren. Das hat sich nicht bewährt. Allgemein bekannt ist auch, daß nach Berechnungen des Rechnungshofes und von privaten Instituten — das muß man bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen — Beamte in der Regel billiger zu haben sind als Arbeiter und Angestellte. Zu diesem Ergebnis kommt, wer das fair betrachtet. Deswegen bin ich der Meinung, daß dieser Entschließungsantrag nicht nur ein alter Hut ist, sondern auch schlecht in die Zeit paßt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205431500
Ich möchte bei dieser Gelegenheit einmal an die Zeit erinnern.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205431600
Frau Präsidentin, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bis zu meinem letzten Satz gewartet haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Großmut, was die Zeit angeht, und allen Kollegen für die Aufmerksamkeit.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205431700
Nun hat der Kollege Bernd Reuter das Wort.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1205431800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Gesetzentwurf geht es zunächst darum, die Beamten- und Versorgungsbezüge der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung anzupassen. Wir stimmen diesem Gesetz zu, weil wir damit dokumentieren wollen, daß wir eine solche Anpassung der Bezüge für notwendig halten. Wir sehen auch keinen Grund, den Beamten und Versorgungsempfängern die strukturellen Verbesserungen vorzuenthalten, die durch dieses Gesetz eingefügt werden sollen.
Dennoch fällt uns die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf äußerst schwer. Es gibt dafür mehrere Gründe, die ich vortragen möchte.
Erstens. Die Anpassung der Beamtenbezüge erfolgt gegenüber dem Tarifbereich zeitversetzt zwei Monate
später. Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs haben wir dazu unsere Kritik und Ablehnung verdeutlicht. Wir bleiben dabei. Es ist der falsche Weg, von den Beamten einen Solidarbeitrag für den Aufbau der neuen Bundesländer einzufordern; denn von den Beamten wird damit ebenso wie von den Angestellten und Arbeitern, die erhöhte Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu zahlen haben, im Vergleich zu den Selbständigen und anderen Gruppen ein ungerechtfertigtes Sonderopfer verlangt.
Gerechtigkeit kann nur über Steuern und eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe erreicht werden, wobei finanzielle Lasten entsprechend dem wirtschaftlichen Leistungsvermögen zu verteilen sind.

(Beifall bei der SPD)

Zwei Drittel der Beschäftigten im öffentlichen Dienst — da stimme ich Johannes Gerster zu — gehören dem einfachen und mittleren Dienst und vergleichbaren Lohn- und Vergütungsgruppen an. Sie gehören nicht zu den Wohlhabenden unserer Gesellschaft.

(Günter Graf [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Deutlicher gesagt: Manche Einkommen im einfachen Dienst sind nicht sehr weit von dem entfernt, was als Sozialhilfesatz zugebilligt wird.
Auch von den unteren Einkommensgruppen ebenso wie von den Versorgungsempfängern wird jetzt der Solidarbeitrag gefordert, während andere, besser verdienende Gruppen von der zusätzlichen Belastung verschont werden. Ich sage in diesem Zusammenhang ganz deutlich: Wer die kleinen Leute einseitig belastet und die starken Schultern schont, zerstört das wichtigste Kapital, das wir in die Einheit Deutschlands einbringen müssen, nämlich die Solidarität in unserem Volke.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Grund, warum es uns schwerfällt, zuzustimmen: Sicher, in diesem Gesetzentwurf sind Strukturverbesserungen enthalten. Diese bleiben aber einerseits in weiten Teilen hinter den Strukturtarifverträgen für Angestellte und Arbeiter zurück. Andererseits fällt es von Mal zu Mal schwerer, in den strukturellen Besoldungsmaßnahmen dieser Bundesregierung auch nur irgendeine Systematik zu erkennen. Kurz: Es fehlt ein klares, nachvollziehbares Konzept.
Wir haben im Beratungsverfahren versucht, den mangelhaften Gesetzentwurf wenigstens in einigen Teilen zu korrigieren. Wir wollten z. B. erreichen, daß die Schicht- und Wechselschichtzulage ungekürzt gezahlt wird und daß für den unregelmäßigen Wechseldienst eine angemessene Regelung getroffen wird, die den besonderen Belastungen Rechnung trägt. Wir haben beantragt, die Polizeizulage auch für Versorgungsempfänger, die vor dem 1. Januar 1990 in den Ruhestand getreten sind, ruhegehaltsfähig zu machen. Diese und die anderen von uns gestellten Anträge wurden bedauerlicherweise allesamt von der Koalitionsmehrheit abgelehnt.

(Günter Graf [SPD]: Ohne Begründung!)

Dies gilt auch für unseren Antrag, den Versorgungsanpassungszuschlag künftig im Zusammen-



Bernd Reuter
hang mit allgemeinen Anpassungen durch Bundesgesetz festzulegen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Ermächtigungsnorm für die Zahlung des Anpassungszuschlages auf Grund von Rechtsverordnungen ist nach unserer Auffassung nicht hinreichend bestimmt. Das Parlament ist schlecht beraten, wenn es anstelle klarer Regelungen einen solchen Blankoscheck ausstellt und damit die Möglichkeit aus der Hand gibt, über die künftigen konkreten Anpassungszuschläge jeweils selbst zu entscheiden.
Auch dieses Besoldungsgesetz gibt uns Anlaß, dringend ein Gesamtkonzept zur strukturellen Fortentwicklung des öffentlichen Dienstes anzumahnen. Ein solches Konzept muß dem Aufgabenwandel und Aufgabenzuwachs in weiten Bereichen des öffentlichen Dienstes gerecht werden, insbesondere im Bereich der Leistungsverwaltung die Konkurrenzfähigkeit des öffentlichen Dienstes im Vergleich zur Wirtschaft sichern und die Grundsätze einer anforderungs- und funktionsgerechten Bezahlung beachten.
In vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes gibt es heute zweifellos einen erheblichen Problemstau, der nur durch eine Reform beseitigt werden kann. Aber durch die lähmende Untätigkeit fördert die Bundesregierung die ideologiegefärbte Privatisierungsdiskussion als einzige Alternative zu der notwendigen Reform des öffentlichen Dienstes. Das wird im Ergebnis zu Lasten der Handlungsfähigkeit des Staates und zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger gehen.
Als drittes nenne ich folgenden Punkt: Auf erhebliche Bedenken stößt die vorgesehene Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes und des Bundesbeamtengesetzes, die der Forderung von Art. 48 des EWG-Vertrags zur Gewährleistung der Freizügigkeit auch im Bereich des öffentlichen Dienstes nur unzureichend Rechnung trägt. Klar ist, daß nach Art. 48 des EWG-Vertrags der Kernbereich staatlicher Tätigkeit von der Freizügigkeit ausgeschlossen werden kann. Für alle anderen Bereiche der staatlichen Tätigkeit muß aber Freizügigkeit gewährleistet sein. Nach meiner Auffassung bleibt die vorgesehene Regelung hinter dem zurück. In jedem Fall ist zu erwarten, daß die Praxis des Bundes und der Länder auf der Grundlage dieser Regelung auseinanderlaufen wird.
Darüber hinaus muß geprüft werden, inwieweit Anderungen im Laufbahnrecht, im Versorgungs- und Beihilferecht sowie hinsichtlich einer angemessenen nachträglichen Absicherung in der gesetzlichen Kranken- und Arbeitslosenversicherung notwendig sind. Wir haben deshalb im Innenausschuß eine Sachverständigenanhörung beantragt, die jedoch von der Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde. Ich komme eigentlich zu dem Ergebnis, Herr Kollege Gerster: Da die Koalitionsmehrheit dies abgelehnt hat, kann von einer gründlichen Beratung nicht mehr die Rede sein.

(Beifall bei der SPD)

Das Eilverfahren, mit dem die Regelung verabschiedet werden soll, ist aus meiner Sicht schlicht unerträglich. Keine Entschuldigung ist nach meiner Auffassung der Hinweis, daß die EG-Kommission dränge und eine Frist zur Anpassung des innerstaatlichen Rechts an Art. 48 des EWG-Vertrags gesetzt habe; denn die Bundesregierung war bisher in sträflicher
Weise untätig. Sie hat es versäumt, rechtzeitig einen eigenen Gesetzentwurf in das normale Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Statt dessen hat sie einen Formulierungsvorschlag vorgelegt. Es kann nicht hingenommen werden, daß der Termindruck, in den sich die Bundesregierung durch ihre Untätigkeit gebracht hat, jetzt zu Lasten einer sachgerechten parlamentarischen Beratung geht.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ist denn unsere Entscheidung falsch? Sie ist doch richtig!)

— Die Gewerkschaften hatten bisher keine Gelegenheit, Herr Kollege Gerster, zur Neuregelung des Beamtenrechts Stellung zu nehmen.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die sind alle dafür!)

Damit komme ich zu meinem vierten Kritikpunkt: Es besteht der Verdacht, daß dieses Beratungsverfahren auch von der Überlegung der Bundesregierung, der Koalitionsmehrheit beeinflußt ist, die gewerkschaftliche Beteiligung zu umgehen und eine umfangreiche inhaltliche Diskussion mit den Gewerkschaften zu vermeiden.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Entschuldigung, hier gibt es doch überhaupt keine Kritik!)

Das Ergebnis zeichnet sich denn auch dadurch aus, daß über entscheidende gewerkschaftliche Positionen überhaupt nicht reflektiert wurde, Herr Kollege.

(Abg. Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Wir werden, Herr Kollege Gerster, im Ausschuß noch genug Zeit haben, darüber zu diskutieren.
Wir nehmen dies erneut zum Anlaß, einen Ausbau des Beteiligungsverfahrens nach § 94 des Bundesbeamtengesetzes zu fordern. Das Recht der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen, bei der Vorbereitung beamtenrechtlicher Regelungen beteiligt zu werden, muß endlich konkretisiert, und die Positionen der Spitzenorganisationen müssen gestärkt werden.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205431900
Herr Kollege Reuter, würden Sie eine Frage des Kollegen Gerster gestatten?

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1205432000
Ich habe eben schon einfließen lassen, daß ich mich mit dem Kollegen Gerster im Ausschuß auseinandersetze und nicht hier.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Warum denn nicht hier? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Beteiligungsrechte sind nach unserer Auffassung in Richtung von Verhandlungsrechten fortzuentwickeln.
Wir haben die wesentlichen Punkte unserer Kritik in einem Entschließungsantrag zusammengefaßt, den wir zur dritten Lesung des Gesetzentwurfes zur Abstimmung stellen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihren Bekenntnissen zum öffentlichen Dienst endlich Taten folgen zu lassen und ihre Reformabstinenz endlich aufzugeben.



Bernd Reuter
Die zu Beginn der 70er Jahre in Angriff genommene Dienstrechtsreform ist doch zum Stillstand gekommen. Ich halte es für notwendig, daß diese Entwicklung kritisch, aber auch selbstkritisch aufgearbeitet wird, um neue Ansätze für eine Fortentwicklung des öffentlichen Dienstes zu finden. Ohne eine laufende Korrektur der Strukturen des öffentlichen Dienstes ist nicht zuletzt ein wachsender Problemstau mit einem enormen Leistungsabfall zu befürchten.
Zudem wird die Gefahr einer überzogenen und unsachlichen öffentlichen Kritik hervorgerufen, und zwar nicht nur an den Verantwortlichen, sondern vor allem auch an den Beschäftigten. Diese haben im öffentlichen Meinungsbild auszubaden, was anderswo versäumt wurde.
Wir bieten Ihnen, Herr Kollege Gerster, unsere Mitarbeit bei dem notwendigen, schwierigen Vorhaben einer Reform des öffentlichen Dienstes und des Dienstrechtes an. Es liegt aber nun an Ihnen, konkrete Konzepte auf den Tisch zu legen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205432100
Nun hat unser Kollege Manfred Richter das Wort.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1205432200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe bei Herrn Reuter immer darauf gewartet, daß er sagt: Darum lehne ich das Gesetz ab. So hat er jedenfalls geredet. Direkt logisch war das Ganze nicht.
Dieses Gesetz kommt spät, aber natürlich nicht zu spät. Deshalb, Herr Reuter, kann auch überhaupt keine Rede davon sein, daß dieses Gesetz nicht gründlich beraten worden sei. Es ist sehr gründlich beraten worden. Sie haben sich ja auch im Ausschuß dazu geäußert.
Lassen Sie mich aber gleichwohl eingangs zwei kritische, vielleicht auch selbstkritische Bemerkungen machen. Erstens. Wir haben das Gesetz ja zusätzlich mit einigen Strukturmaßnahmen angereichert. Das war gewollt; das ist auch gut so. Wir haben die Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung verlängert. Auch das ist politisch so gewollt; auch das ist gut so.
Wir haben darüber hinaus einen sehr wichtigen und weitreichenden Schritt für die Einbeziehung des öffentlichen Dienstes, und zwar insbesondere der Beamtenschaft, in die europäische Integration unternommen. Das ist unerläßlich, politisch so gewollt; das ist richtig.
Allerdings berühren diese Schritte nicht nur den Bund, sondern gravierend auch die Interessen der Länder und Gemeinden. Es ist ungut, daß bei solch wichtigen Vorhaben der erste Durchgang im Bundesrat ausgespart wird. Mir wäre es lieber gewesen, die Bundesregierung hätte frühzeitig von sich aus die entsprechenden Vorlagen eingebracht. Wenn es denn sein muß, können die unterschiedlichen Gesetzesvorhaben im Innenausschuß durchaus noch zu einem einheitlichen Gesetz zusammengefügt werden.
Zweitens. Von Gewerkschaftsseite wird kritisiert, daß das Beteiligungsverfahren für die Spitzenverbände, so wie es im Beamtenrecht vorgeschrieben ist,
zu einem bloßen Formalakt verkommt. Das erschwert die Sacharbeit des Parlaments und berücksichtigt auch nicht die vom Parlament gewollte Einbeziehung der Betroffenen in die Gesetzgebungsarbeit. So sollte man mit den Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes nicht umgehen.
Nun zu dem Guten, das wir mit diesem Gesetz machen und über das man natürlich auch reden muß. Wir erhöhen die Beamtenbesoldung wie im Tarifbereich um linear 6 %. Natürlich — das wird Sie nicht überraschen — lehnen wir die von der SPD geforderte Arbeitsmarktabgabe ab.
Die Beamtenschaft leistet ihren Beitrag zur Entlastung der Haushalte und damit zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland durch die zeitliche Verschiebung der Anpassung von Besoldung und Versorgung um zwei Monate. Dies ist vergleichsweise mehr als die Belastung der Einkommen der tarifgebundenen Arbeitnehmer durch die veränderten Beitragssätze in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
Zusätzlich führen wir den 1984 ausgesetzten Versorgungsanpassungszuschlag für die Versorgungsempfänger ab 1993 mit dem gebotenen Automatismus, wie er im Rentenrecht üblich ist, wieder ein. Als Vorwegleistung wird bereits dieses Jahr ein Anpassungszuschlag von 0,4 % gewährt. Natürlich lehnen wir auch in diesem Punkt den Entschließungsantrag der SPD ab.
Die jährliche Entscheidung über die Gewährung eines Versorgungsanpassungszuschlags trägt nur Unsicherheit über die Gehaltsentwicklung in die Reihen der Versorgungsempfänger. Wir wollen, daß die Pensionäre ihren Ruhestand mit der Gewißheit verleben können, zukünftig voll nicht nur an linearen, sondern auch an strukturellen Verbesserungen der Einkommenssituation im öffentlichen Dienst teilhaben zu können.
Das Gesetz enthält — teilweise auf Vorschlag der Bundesregierung, zu einem erheblichen Teil auf Vorschlag der Koalitionsfraktionen — wesentliche strukturelle Verbesserungen für die Beamtenschaft. Der Großteil der Kosten wird durch die Übernahme von Strukturtarifverträgen für die Arbeitnehmerschaft verursacht; darüber hinaus ist es aber auch gelungen, besondere Probleme der Beamtenbesoldung zu bereinigen.
Für beide Felder hat die FDP eine klare Meinung: Der Gleichklang von Tarif und Besoldung ist nicht auf die linearen Anpassungen begrenzt. Er muß auch bei Strukturverbesserungen so weit wie möglich durchgesetzt werden. Außerdem muß der öffentliche Dienst, muß speziell die Berufstätigkeit als Beamter attraktiv bleiben. Wenn qualifizierter Nachwuchs nicht oder nur schwer zu gewinnen ist, sogar Abwanderungen aus dem öffentlichen Dienst in die freie Wirtschaft unübersehbar sind, sind das untrügliche Zeichen dafür, daß die Bezahlung im öffentlichen Dienst nicht mehr stimmt.
Aber nicht alle Wünsche der Opposition und der Interessengruppen können berücksichtigt werden, Herr Reuter. Wenn wir alles erfüllen würden, was die



Manfred Richter (Bremerhaven)

Opposition fordert, wäre der Staat pleite. Das will keiner.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist eine polemische Bemerkung, Herr Richter!)

In der FDP werden durchaus ernsthafte Überlegungen angestellt, die Probleme des öffentlichen Dienstes grundsätzlich zu durchdenken und nach globaleren Ansätzen für eine neue Konzeption der Besoldungspolitik zu suchen. Nur brauchen wir — deswegen lehnen wir auch in diesem Punkt den Entschließungsantrag der SPD ab — keinen neuen Bericht zur strukturellen Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts. Den haben wir vor wenigen Jahren erhalten.
Meine Damen und Herren, ich meine, für das erste gesamtdeutsche Jahr haben wir mit diesem Gesetz ein ordentliches Stück Berufspolitik für den öffentlichen Dienst geleistet, ein Stück, das sich sehen lassen kann, und zwar, weil es Nutzen für den öffentlichen Dienst in ganz Deutschland gleichermaßen bringt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205432300
Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1205432400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 1991 sollen, wie bereits mehrfach betont, die Bezüge der Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger in Bund und Ländern an die Entwicklung der allgemeinen finanziellen Verhältnisse angepaßt werden. Dies ist für die Bundesregierung nicht nur die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung, sondern auch ein wichtiges politisches Anliegen.
Die Bundesregierung nimmt dabei ihre Verantwortung für den öffentlichen Dienst sehr ernst; denn Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sind für eine moderne Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft unabdingbare Voraussetzungen. Wie wichtig, meine Damen und Herren, eine effizient arbeitende Verwaltung besonders auch für das Funktionieren der Wirtschaft ist, zeigt sich für alle eindrucksvoll sichtbar bei der Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern. Die Bedeutung des öffentlichen Dienstes und seine hohe Verantwortung für Staat, Gesellschaft und Bürger sind dabei für alle wieder sichtbar und sehr deutlich geworden.
Die Leistungen der Angehörigen des öffentlichen Dienstes tragen entscheidend dazu bei, daß wir die für unser Gemeinwesen wesentlichen Aufgaben der Zukunftssicherung bewältigen. Hier liegt auch der Grund, warum sich unsere Verfassung für das Berufsbeamtentum entschieden hat. Dies war und ist eine Entscheidung für eine gleichbleibende Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des Staates in besonders sensiblen und wichtigen Bereichen gegenüber seinen Bürgern sowie für die Stabilität und das
Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Daran, Herr Reuter, läßt die Bundesregierung nicht rütteln.
Das vergangene Jahr hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, daß die Beamtenschaft und der deutsche öffentliche Dienst insgesamt leistungsstark sind und auch Vergleiche, beispielsweise im internationalen Rahmen, nicht zu scheuen haben. Hohe Sachkunde und Einsatzbereitschaft seiner Mitarbeiter zeichnen ihn nach wie vor aus. Die Bundesregierung ist deshalb zuversichtlich, daß die schwierigen und vielfältigen Herausforderungen nicht zuletzt bei der Umgestaltung der Verwaltungsstrukturen im östlichen Bundesgebiet zügig und auch erfolgreich bewältigt werden können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge für das alte Bundesgebiet vorgeschlagen, das Tarifergebnis für den öffentlichen Dienst aus dem Frühjahr dieses Jahres mit demselben Erhöhungssatz zu übernehmen. Die vorgeschlagene Anhebung um 6 % kann auch im Verhältnis zur gewerblichen Wirtschaft als solide und befriedigend bezeichnet werden.
Die Erhöhungen sollen jedoch zwei Monate später als der Tarifabschluß in Kraft treten. Mit der Verschiebung des Inkrafttretens vom 1. Januar auf den 1. März wird der Handlungsspielraum der öffentlichen Haushalte erheblich erweitert. Dieser Einsparungsbeitrag berücksichtigt, daß Arbeitnehmer und Angestellte in ähnlicher Größenordnung von den Veränderungen der Beitragssätze zur Sozialversicherung betroffen sind.
Mit der Gleichbehandlung aller Statusgruppen im öffentlichen Dienst hält die Bundesregierung auch an bewährten Grundsätzen fest. Das bisherige Verhältnis der aktiven Nettoeinkommen im Besoldungs- und Tarifbereich bleibt damit grundsätzlich unverändert. Beamte und Arbeitnehmer werden bei den Nettozuwächsen ebensowenig auseinanderdividiert wie aktive Beamte und Ruhestandsbeamte. Damit wird der öffentliche Dienst auch in seiner Gesamtheit, wie wir meinen, wieder gefestigt und gestärkt.
Ausgewogenheit und Gerechtigkeit bei Belastungen und Verbesserungen sind oberstes Gebot unserer Dienstrechtspolitik. Deshalb hat die Bundesregierung die vom Bundesrat vorgeschlagene Streichung der Wiedereinführung des Anpassungszuschlages für Versorgungsempfänger abgelehnt. Die Beteiligung der Versorgungsempfänger an strukturellen Veränderungen im Besoldungsbereich ist notwendig und dringlich. Mit dem Anpassungszuschlag ab 1. Januar 1993 soll ein fairer finanzieller Ausgleich erfolgen. Als Vorwegmaßnahme ist ein Strukturausgleich von 0,4 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge bereits ab 1. März 1991 vorgesehen.
Neben den Regelungen der Linearanpassung sieht der Gesetzentwurf eine Übertragung der im Tarifbereich vereinbarten strukturellen Verbesserungen vor. Die Bundesregierung hat dabei auf eine möglichst gleichwertige Übernahme der tariflichen Regelungen Wert gelegt. Auf Grund der systembedingten Unterschiede waren hierzu ergänzende fachliche Vorarbeiten und Abstimmungen notwendig. Die Ergeb-



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
nisse konnten aber noch rechtzeitig in die Ausschußberatungen eingebracht werden.
Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich, daß der federführende Innenausschuß entsprechende zusätzliche, über die Regierungsvorlage hinausgehende Strukturverbesserungen beschlossen hat. Im Vordergrund dabei stehen Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes, besonders im Bereich der Nachwuchsgewinnung, und zur funktions- und leistungsgerechten Fortentwicklung des unteren und mittleren Bereichs.
Hier und jetzt ist es nicht möglich, auf die zahlreichen Verbesserungen im einzelnen einzugehen. Gleichwohl möchte ich einige wenige Punkte ganz kurz herausgreifen, um die Zielsetzung dieser Verbesserungen deutlich zu machen.
Hervorzuheben sind insbesondere die Einkommensverbesserungen im einfachen und im mittleren Dienst, zugleich auch als Kompensation für tariflich vereinbarte Strukturverbesserungen gedacht. Mit der gestaffelten Anhebung von Grundgehaltssätzen bis einschließlich Besoldungsgruppe A 8 und der Ausbringung des Spitzenamtes A 6 für den einfachen Dienst wird das Bezahlungsniveau leistungsbezogen angehoben. Mit dieser Verbesserung können diese Einkommen noch stärker von der staatlichen Fürsorge für Nichtbeschäftigte abgesetzt werden, was dringend erforderlich ist.
Notwendig und dringlich sind auch die empfohlenen zusätzlichen Maßnahmen für die Erhaltung und die Gewinnung qualifizierten Personals, dies um so mehr, als der Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs zunehmend schärfer wird. Deshalb ist es wichtig, daß die Beförderungschancen dort, wo der Konkurrenzdruck am stärksten ist, etwa bei den Technikern im gehobenen und höheren Dienst und im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung, deutlich verbessert werden.
Beides zusammen, Regierungsvorlage und Ausschußempfehlungen, ergeben insgesamt ein Strukturpaket, das sich, wie ich meine, sehen lassen kann. Unser bisheriger Weg, die Probleme Schritt für Schritt anzugehen, wird damit zielstrebig und erfolgreich fortgeführt. Es handelt sich ohnehin um eine ständig aktuelle Aufgabe. Falsch wäre es, zu erwarten, daß deshalb alles angehalten werden kann, bis die Dinge abgeschlossen sind, Herr Reuter. Deshalb war es selbstverständlich auch aus unserer Sicht richtig, so, wie geschehen, zu verfahren.
Von erheblicher Bedeutung sind auch die empfohlenen statusrechtlichen Änderungen. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen konnte die Gesetzesänderung zur generellen Öffnung des Beamtenverhältnisses für Staatsangehörige anderer EG-Staaten in das Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz einbezogen werden.
Der bis jetzt erreichte Grad der europäischen Integration und der vorgegebene Weg zur Europäischen Union rechtfertigen es im übrigen, für die Berufung in das Beamtenverhältnis die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EG Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gleichzustellen. Dies ist ein weiterer
bedeutsamer Schritt für das Zusammenwachsen in einem Europa ohne Grenzen, wie wir es anstreben.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen ihren erfolgreichen Kurs fort, durch eine aktive und konstruktive Dienstrechtspolitik zum einen den öffentlichen Dienst an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung angemessen zu beteiligen, zum anderen seine Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit auch unter erschwerten Arbeitsmarktverhältnissen zu sichern und schließlich, meine Damen und Herren, seine Strukturen im Wandel der Aufgaben und der Entwicklung in Europa entsprechend zukunftsorientiert fortzuentwickeln.
Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205432500
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/732 und 12/1455.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit einstimmig bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1473. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag mit knapper Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
— Drucksache 12/1282 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

— Drucksache 12/1398 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Joachim Hörster



Vizepräsidentin Renate Schmidt
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1446 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen Borchert Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Esters

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat der Kollege Jürgen Rüttgers das Wort.

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1205432600
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am 10. Oktober dieses Jahres in erster Lesung über die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung beraten. Ich glaube, daß das Echo auf diese Debatte, auf die Fakten und Argumente, die wir in dieser Debatte hier intensiv vorgetragen haben, wohl niemanden überrascht hat. Ich will darüber auch nicht lamentieren. Ich meine, Kritik am Parlament und auch Kritik an den Bezügen von Abgeordneten sind keine Majestätsbeleidigungen, sondern gutes demokratisches Recht.
Aber ich glaube, man kann und man muß auch hier in dieser Debatte heute sagen, daß manche Kritik über das Ziel deutlich hinausschießt. So hat bekanntermaßen eine Boulevardzeitung mit dicken Lettern den Bundestagsabgeordneten ein Monatseinkommen aus ihrem Mandat von 27 000 DM bescheinigt. Des Rätsels Lösung:

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die haben den Chefredakteur mit uns verwechselt!)

Das Blatt hat schlicht zu Diäten und Kostenpauschale die Mitarbeitervergütungen hinzuaddiert.
Ich weiß nicht, ob zu den Bezügen des Chefredakteurs auch das Gehalt seiner Sekretärin gehört, obwohl ich zugebe, daß der Anteil in diesem Fall wahrscheinlich nur minimal ins Gewicht fällt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber es darf wohl vermutet werden, daß hier nicht nur Unwissenheit im Spiel war. Es ist klar, daß solche Meldungen auch nicht ohne Wirkung bleiben.
Ein Bürger aus Solingen hat in einem Brief an mich folgerichtig gerechnet und auf Grund dieser Zeitungsmeldungen das Jahreseinkommen eines Abgeordneten mit netto 300 000 DM berechnet. Man kann nur sagen: schön wär's. Besagter Chefredakteur wird dafür wahrscheinlich gar nicht erst mit der Arbeit anfangen.
Aber wir haben bei der Anpassung der Diäten nichts zu verbergen. Das Verfahren ist durchschaubar, das Ergebnis ist nachvollziehbar. Wir brauchen, so meine ich, die öffentliche Auseinandersetzung über
dieses Thema auch nicht zu scheuen und uns hier nicht zu verstecken. Ich will keine Medienschelte betreiben, weil die überwiegende Zahl der Berichte über diese Debatte und die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung durchaus sachbezogen ist.
Seit der ersten Beratung habe ich eine Reihe von Meinungsäußerungen und Anfragen von Bürgern erhalten. So schreibt mir ein Landwirt aus Norddeutschland, daß er persönlich über die von ihm als Selbstbedienung bezeichnete Diätenerhöhung deshalb enttäuscht sei, weil zuwenig für die Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe getan werde. Ein langjähriger Sozialarbeiter, der Ende dieses Jahres in den Ruhestand geht, beklagt vor dem Hintergrund der Diätenerhöhung die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen, die Bezahlung seiner Berufsgruppe zu verbessern.
Wir sind gut beraten, solche Stimmen ernst zu nehmen und der Diskussion nicht aus dem Wege zu gehen. Aber man muß auch sagen: Die Probleme in dieser Gesellschaft lassen sich eben nicht auf die Frage „Ja oder Nein zur Diätenerhöhung?" reduzieren.
Niemand wird und niemand kann leugnen, daß die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland eine Leistungsgesellschaft ist. Vergütung, Belastung und Verantwortung stehen in einem engen Zusammenhang. Dieses Prinzip setzt sich offenbar auch dort durch, wo es geleugnet wird. Ich denke z. B. an die beträchtlichen Kämpfe innerhalb der hier früher vertretenen Fraktion DIE GRÜNEN um die Einkommen ihrer Abgeordneten. Ich denke aber auch daran, daß in diesen Tagen der Einheitslohn bei der linksalternativen „taz" gescheitert ist.
Das Leistungsprinzip muß auch für Abgeordnete des Deutschen Bundestages gelten. Ihre Arbeit ist mit einem hohen Maß an persönlichem und zeitlichen Einsatz verbunden. Um dies zu belegen, braucht man keine eindrucksvolle Auflistung von 70 Wochenarbeitsstunden und mehr zusammenzutragen.
Der Vorwurf der Selbstbedienung ist beim Bundestag an der falschen Adresse. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts zwingen uns dazu, über die Höhe unserer Entschädigung selbst zu entscheiden. Ich bin sicher, daß das Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit anstehenden Verfahren die Gelegenheit nutzen wird, diesen Grundsatz seiner Rechtsprechung zu überprüfen. Ich meine, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wären sicherlich die letzten, die etwas gegen die Koppelung ihrer Bezüge z. B. an die Einkommen der Verfassungsrichter einzuwenden hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die vorliegenden Gesetzentwürfe, werte Kolleginnen und Kollegen, zeigen, daß wir — anders als manche unserer Kritiker — maßhalten. Die vorgesehene Erhöhung liegt deutlich unter der durchschnittlichen Steigerung der tariflichen Einkommen. Sie liegt deutlich unter der Anhebung der Beamten- und Versorgungsbezüge. Sie liegt deutlich unter der Steigerung des Volkseinkommens und unter der Anhebung der Mindestregelsätze der Sozialhilfe. Diese Tatsachen haben in der öffentlichen Diskussion bisher leider we-



Dr. Jürgen Rüttgers
nig Berücksichtigung gefunden. Das ist auch eine kritische Anfrage an die Öffentlichkeitsarbeit unseres Hauses.
Es ist gut und richtig, daß sich das Parlament der Diskussion mit den Bürgern und den gesellschaftlichen Kräften über diese Entscheidung stellt. Dies entspricht unserem Verständnis von Kontrolle in einer parlamentarischen Demokratie. Dies gilt um so mehr, als Glaubwürdigkeit der Politik und persönliche Integrität der politisch Handelnden auf der Tagesordnung stehen. Aber auch nach Prüfung der kritischen Anmerkungen denke ich, daß der heute vorliegende Vorschlag einer Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung maßvoll ist, der Kritik standhält und die richtige Entscheidung beinhaltet.
Deshalb werden wir, die CDU/CSU-Fraktion, diesem Gesetz zustimmen und den Antrag des Bündnisses 90/GRÜNE ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205432700
Als nächster. hat nun unser Kollege Dieter Wiefelspütz das Wort.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1205432800
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Deutsche Bundestag über die Gehälter der Abgeordneten berät und beschließt, können wir der besonderen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicher sein, auch der besonderen Kritik. Ich finde, das ist in Ordnung. Denn selbstverständlich muß über Geld und über Politik, über das Gehalt von Politikern öffentlich und, wo das gewünscht wird, kritisch geredet werden.
Es kann allerdings nicht schaden, vielleicht ist es sogar hilfreich, wenn diese Diskussion sachlich geführt wird. Vor allem könnte es hilfreich sein, wenn wir uns von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes leiten lassen.
Die Bundesrepublik Deutschland gibt es seit 1949. Bei allen Sorgen und Nöten, die es in unserem Land gibt, bei allen Fehlern und Fehlentwicklungen: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben Beachtliches, ja, sie haben Erstaunliches geleistet, seitdem es die Bundesrepublik Deutschland gibt. Sie haben eine stabile, freiheitliche, demokratische, soziale, rechtsstaatliche Bundesrepublik Deutschland aufgebaut. An dieser Leistung haben auch die Politiker wesentlichen Anteil: die Mitglieder in den Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen, die Landtagsabgeordneten und auch die Bundestagsabgeordneten. Mit Recht erwarten die Bürger von den Bundestagsabgeordneten eine erstklassige Leistung. Uns ist deswegen nicht notwendigerweise eine erstklassige Bezahlung sicher.
Aber ich denke, daß die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ein wohlverstandenes Interesse daran haben, daß ihre Vertreterinnen und Vertreter eine der Aufgabe und dem Amt angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung erhalten. Fast wortgleich steht es so im Grundgesetz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Vorurteile, die wegen ihrer Hartnäckigkeit imponieren. Die Bundestagsabgeordneten entscheiden bekanntlich über ihr Gehalt selber. Wer kann das schon? Wer würde da nicht der Versuchung erliegen? Die Wahrheit lautet:
Der Bundestag muß über die Bezahlung der Abgeordneten selber entscheiden. Dazu zwingen uns das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht. Herr Rüttgers hat darauf zu Recht hingewiesen. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 heißt es wörtlich:
Das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip verlangt, daß der Willensbildungsprozeß im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen führt, für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird.
Mit der ungeliebten Aufgabe, das eigene Gehalt beschließen zu müssen, sind die Mitglieder des Bundestages ausgesprochen verantwortungsbewußt umgegangen. Als im Jahre 1976 über das Abgeordnetengesetz parlamentarisch beraten wurde, hatte der Bundestag die schwierige Frage zu beantworten, wie hoch die Entschädigung festzusetzen sei. Damals fehlte zunächst ein überzeugender Vergleichsmaßstab. Abgeordnete sind keine Arbeitnehmer, keine Freiberufler, keine Unternehmer, keine Beamtinnen oder Beamte. Sie waren das alles vielleicht, bevor sie in den Bundestag gewählt wurden. Sie sind es vielleicht wieder, wenn sie aus dem Bundestag ausscheiden.
Bei den Beratungen im Jahre 1976 zog man als Vergleichsmaßstab einen hauptamtlich tätigen kommunalen Wahlbeamten heran, beispielsweise den Landrat in Hessen in einem Landkreis, der etwa so groß ist wie ein Bundestagswahlkreis, oder den Oberbürgermeister in einer Stadt in Baden-Württemberg, die so viele Einwohner hat wie ein Bundestagswahlkreis im Regelfall.
Diesen Vergleich, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich immer noch für überzeugend. Das monatliche Bruttoeinkommen lag bei diesen Ämtern je nach Einwohnerzahl von Landkreis oder Stadt im Jahre 1976/77 bei 7 000 DM bis 8 000 DM brutto monatlich. Folgerichtig setzte der Bundestag im Jahre 1977 die Entschädigung für Bundestagsabgeordnete auf 7 500 DM monatlich fest. Vierzehn Jahre später, im Jahre 1991, beläuft sich die Entschädigung für Bundestagsabgeordnete auf 9 664 DM brutto im Monat. Das ist eine Steigerung um rund 28 %. Im gleichen Zeitraum sind die Löhne und Gehälter, die Renten und Versorgungsbezüge um 50 % bis 60 % gestiegen. Bei den freiberuflich oder gar unternehmerisch Tätigen fiel die Steigerung erheblich höher aus.
Woran liegt das? Es liegt daran, daß in den Jahren 1977 bis 1983 die Entschädigung für Abgeordnete nicht angehoben wurde. Nullrunden gab es damals. In den Jahren danach ist die Entschädigung ausgesprochen maßvoll angehoben worden. Die Tarifabschlüsse in der Wirtschaft lagen häufig über den Steigerungssätzen für Abgeordnete.
Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen Prozentsätze nicht alles aus. Aber nicht nur die niedrigen oder durchschnittlichen Einkünfte sind um 50 bis 60 % gestiegen; dies ist auch bei den Einkünften derjenigen der Fall, die schon im Jahre 1977 höhere oder gar erheblich höhere Einkünfte als Abgeordnete



Dieter Wiefelspütz
hatten. Der Landrat in Hessen und der hauptamtliche Oberbürgermeister in Baden-Württemberg haben inzwischen längst ein deutlich höheres Einkommen als die Bundestagsabgeordneten. Im Jahre 1977 war das noch gleich. Soeben ist für den Personenkreis, von dem ich gesprochen habe, praktisch eine Anhebung der Besoldung um 6 % beschlossen worden. Nein, meine Damen und Herren, in eigenen Angelegenheiten sind die Mitglieder des Bundestages bislang zurückhaltend, beinahe zaghaft gewesen.
Dabei sollte eines klar sein: Mitglieder des Bundestages sollten nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Bürgerinnen und Bürger behandelt werden. Bundestagsabgeordnete haben einen Anspruch darauf, an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilzuhaben. Exakt davon zeugt die diesjährige Anhebung der Entschädigung um 4,8 %.
Die Kostenpauschale ist seit 1977 um rund 21 gestiegen; die Preissteigerungsrate war in diesem Zeitraum erheblich höher, etwa doppelt so hoch.
Wir reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, erstmals gesamtdeutsch über das Gehalt der Abgeordneten. Selbstverständlich gibt es Kritik an der vorgeschlagenen Anhebung der Entschädigung und der Pauschale für Mitglieder des Bundestages. Diese Kritik ist sehr verständlich, soweit sie aus den neuen Bundesländern kommt. Die Einkommenssituation in den neuen Ländern ist noch erheblich schlechter als die im alten Bundesgebiet. Für die gleiche Arbeit, für die gleiche Leistung gibt es vorläufig noch in vielen Fällen eine ungleiche Entlohnung.
Unser großes innenpolitisches Thema ist die innere Einheit unseres Landes, sind gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Deswegen kümmern sich die Mitglieder dieses Hauses in besonderem Maße um die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den neuen Ländern, auch um die Anhebung der Löhne, Gehälter und Renten.
Die Mitglieder des Bundestages haben bei der gesetzlichen Regelung ihrer Einkünfte bislang stets Augenmaß bewiesen. Heute abend ist das nicht anders.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205432900
Als nächste hat Frau Kollegin Jutta Braband das Wort.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205433000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir kommen fast die Tränen bei den Worten, die ich hier zu hören kriege.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Uns auch!)

Der einzige Antrag, der mir bisher in diesem Haus begegnet ist, bei dem von der Antragstellung bis zur Beschlußfassung noch nicht 30 Tage vergangen sind, ist ausgerechnet ein Antrag, der sich mit der Erhöhung unserer eigenen Bezüge befaßt.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist die Unwahrheit!)

Ich bin befremdet über die Eile, mit der das hier forciert wird, und in diesem Zusammenhang extra wütend darüber, daß so viele Anträge aus der gesamten Opposition, die die Verbesserung der Lebensbedingungen vor allem der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger zum Inhalt hatten,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die habt ihr versaut!)

monatelang liegen bleiben, um dann mit den sattsam bekannten Mehrheiten auch noch abgelehnt zu werden. Es zeigt sich hier, daß es bei der Aufbesserung des eigenen Budgets auch anders gehen kann.
Die Abgeordneten der PDS/Linke Liste lehnen die Erhöhung der Bezüge für die Mitglieder des Bundestages und die Europaabgeordneten ab.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Habt ihr die Bezüge von Honecker auch abgelehnt? Oder wie war das?)

Wir halten es für unvereinbar mit der hier vor allem von CDU/CSU und FDP immer wieder eingeforderten

(Zuruf von der CDU/CSU: Gebt die PDS-Milliarden raus!)

— die hat die Treuhand doch längst —

(Lachen bei der CDU/CSU)

Solidarität jedes und jeder einzelnen mit den Menschen in den neuen Bundesländern, die durch erhöhte Steuerzahlungen aller geleistet werden soll.
Mitglieder der Bundesregierung fordern angesichts der Schwierigkeiten, in die die Bundesrepublik durch den Anschluß der DDR gekommen ist, sogar Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einer maßvollen Tarifpolitik auf und versuchen ganz massiv, z. B. Subventionsabbau durchzusetzen.
Für ebenso unvereinbar halten wir eine Erhöhung der Diäten und der Kostenpauschale mit dem Wissen darüber, daß der überwiegende Teil der Menschen im Anschlußgebiet nur einen Bruchteil dessen für ihre Arbeit erhalten, unabhängig davon, wie gut sie ausgebildet sind und wie viele Dienstjahre sie haben, von den vielen arbeitslosen Frauen und Männern, die monatlich 600 DM erhalten, ganz zu schweigen.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist berechtigt, wenn Sie sich schämen! Aber Ihrer Vergangenheit sollten Sie sich schämen!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205433100
Frau Kollegin Braband, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen — —

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205433200
Nein, ich möchte gern zu Ende sprechen.
Ich schäme mich zutiefst, daß sich Abgeordnete dieses Hauses am 10. Oktober erregte Debatten über die gestiegenen Kosten der politischen Arbeit geliefert haben im Bestreben, eine Akzeptanz für die Notwendigkeit dieser Erhöhung zu diesem Zeitpunkt zu erreichen. Natürlich können Sie einwenden, daß wir es sehr leicht haben, dieser Erhöhung nicht zuzustimmen, denn diese Mehrheiten, in die sogar die SPD einbezogen ist, was ich zutiefst enttäuschend finde,



Jutta Braband
werden schon dafür sorgen, daß auch wir zu mehr Geld kommen.
Ich habe Ihnen dazu zu sagen, daß die Abgeordneten meiner Gruppe seit Beginn ihrer Tätigkeit in diesem Bundestag nicht nur vielfältige Projekte in den Wahlkreisen unterstützen, sondern monatlich zahlt jede und jeder Abgeordnete noch extra in einen Solidarfonds mindestens 1 500 DM, um damit politische Initiativen zu unterstützen, die sich z. B. einsetzen für die Belange von Ausländerinnen in diesem Land, die hier leben und arbeiten. Es geht aber auch um soziale Projekte wie die Durchführung von Kinderferienlagern von Arbeitslosen, für die dieser Staat kein Geld hat oder nicht genug wie für die Kinder von Tschernobyl.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205433300
Frau Kollegin, würden Sie dann bitte zum Schluß kommen. Sie sind schon weit über Ihre Redezeit.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205433400
Für den Fall, daß Sie hier wirklich so schamlos sein sollten und diese Erhöhung beschließen, werden wir auf jeden Fall das, was zusätzlich dazukommt, in einen solchen Solidarfonds einzahlen.
Ich fordere damit jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten auf, die nicht damit übereinstimmen, daß das hier so beschlossen wird, das ebenso zu tun.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205433500
Jetzt hat das Wort unser Kollege Manfred Richter.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1205433600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Braband versucht hier, den Eindruck zu erwecken, als wäre das Procedere mit diesem Gesetz etwas ganz Exzeptionelles. Das ist einfach nicht wahr, meine Damen und Herren. Das Bundeserziehungsgeld, die Heimkehrer und Kriegsgefangenenentschädigung, das sind Gesetze, die wir hier innerhalb von drei Wochen behandelt haben, und wir haben sie ordentlich behandelt. Niemand soll hier einen Popanz aufbauen! Wollen wir uns doch zur Sache unterhalten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

„Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. " So steht es in unserem Grundgesetz. Über die Erhöhung der Diäten ist in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden, und Hauptstreitpunkt war dabei, ob die Erhöhung angemessen ist. Je nach Blickwinkel kann man bei Höhe der Abgeordnetendiät zu unterschiedlichen Wertungen kommen. Ich denke dabei ganz besonders an die Kollegen aus den neuen Bundesländern. Aber bei der Diätenerhöhung gilt grundsätzlich das Gleiche wie bei jedem anderen Gesetz auch. Wir sollten uns davor hüten, subjektive Kriterien zum Maßstab unserer gesetzgeberischen Tätigkeit zu machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist unbestreitbar, daß die Diskussion über die Diätenerhöhung in der Öffentlichkeit geführt werden muß. In einem demokratischen Rechtsstaat muß der Willensbildungsprozeß im Parlament für den Bürger durchschaubar sein. Nicht hinnehmbar ist aber, daß von einigen Medien, aus welchen Gründen auch immer, ein Keil zwischen Parlament und Bevölkerung getrieben und der Eindruck erweckt wird, die Abgeordneten bereicherten sich ungerechtfertigt und die Last trage die Bevölkerung, und zwar durch die Steuererhöhungen. Mit dieser unsachlichen Diskussion muß Schluß sein.

(Beifall bei der FDP)

Die Abgeordneten zahlen wie jeder andere Bürger auch den Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der deutschen Einheit.
Ich hätte mir etwas mehr Objektivität in der gesamten Diskussion schon gewünscht. Das Bundesverfassungsgericht hat objektive Kriterien für die Auslegung des Begriffs der „Angemessenheit" aufgestellt, und daran haben sich die Diäten der Abgeordneten zu orientieren, an der Verantwortung, an der Belastung und an ihrem verfassungsmäßigen Rang. Eigentlich gut gemeinte Vorschläge, die Diätenerhöhung an die Besoldungserhöhung im öffentlichen Dienst zu koppeln, sind leider unrealistisch, weil die Regelungen nach geltender Rechtsauffassung leider keine Anwendung auf Abgeordnete finden können, so sehr man sich das auch wünschen mag.
Lassen Sie mich folgendes feststellen: Ich teile die Auffassung der Präsidentin des Deutschen Bundestages, die auf der Grundlage einer Empfehlung unabhängiger, fachkundiger und erfahrener Persönlichkeiten aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen die Erhöhung der Entschädigung um 4,8 % und die Erhöhung der Kostenpauschale um 5,9 % als eine maßvolle Erhöhung bezeichnet hat. Die Erhöhung liegt nicht nur nominal unterhalb der durchschnittlichen tariflichen Einkommensverbesserungen, sie tritt darüber hinaus auch zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft.
Lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Anmerkung zum Schluß machen: Die Unabhängigkeit und die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten werden unter anderem durch die Höhe seiner Bezüge sichergestellt. Die Höhe der Bezüge muß aber auch sicherstellen, daß sich in gewissen Grenzen die soziale Struktur der Bevölkerung im Parlament widerspiegelt und nicht einzelne gesellschaftliche Gruppen von vornherein ausgeschlossen werden, sich politisch zu engagieren. Wenn es sich für einen Ministerialrat in einem Bundesministerium, wenn es sich für einen Universitätsprofessor, wenn es sich für einen Prokuristen in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich finanziell genausowenig lohnt wie für den Bezirksleiter einer größeren Sparkasse oder den Filialleiter der Dresdner Bank oder der Deutschen Bank in Bonn, Berlin, Dresden, Hamburg oder wo auch immer, so ist das nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielleicht kann man einmal, um die Größenordnung deutlich zu machen, miteinander vergleichen,



Manfred Richter (Bremerhaven)

was denn im öffentlichen Dienst einerseits und hier andererseits verdient wird.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)

In der Besoldungsgruppe A 16 mit Ministerialzulage — hier in Bonn ja nicht unüblich — kommt der Beamte auf Jahresbezüge von 115 465,18 DM. Der Abgeordnete kommt auf ein Jahreseinkommen von 115 968,00 DM. Das ist heute die Bezugsgröße, wenn wir unsere Einkommen mit dem öffentlichen Dienst vergleichen. Herr Kollege Wiefelspütz hat auf die Historie der Festsetzung hingewiesen; ich kann dem nur lebhaft zustimmen.
Fazit: Die Erhöhung ist äußerst maßvoll. Wir können sie guten Gewissens mitmachen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205433700
Nun hat die Kollegin Ingrid Köppe das Wort.

Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205433800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Würfel über die Diätenerhöhung sind gefallen — in einer großen Koalition über alle scheinbaren Parteigrenzen hinweg. Ich kann dabei nicht erkennen, daß die Kritik, die von unserer Seite, aber auch von vielen besorgten Bürgerinnen und Bürgern gekommen ist, überhaupt richtig verstanden oder ernstgenommen wurde.
Was bedeutet diese Diätenerhöhung konkret in Zahlen? 1991 sollen 4,2 Millionen DM, 1992 gar 8,4 Millionen DM zusätzlich an die Abgeordneten des Bundestages und des Europäischen Parlaments ausgeschüttet werden. Die Zuwendung an jeden Abgeordneten steigt dabei um 786 DM auf insgesamt 15 893 DM.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Aus gestiegenen Diäten folgen auch höhere Versorgungsaufwendungen und Übergangsgelder für ausgeschiedene Abgeordnete. Damit werden aus 8,4 Millionen DM schnell mehr als 10 Millionen DM pro Jahr. Wenn wir die zu erwartenden Sprünge ab 1993 hinzunehmen, werden wir den Steuerzahlern weit über 100 Millionen DM bis zum Jahre 2000 allein durch diese „kleine" Erhöhung zusätzlich aufbürden. Ferner sollte nicht unerwähnt bleiben, wieviele Abgeordnete Nebeneinkünfte haben und wie umfangreich die Privilegien gegenüber normalen Arbeitnehmern und Angestellten sind.
Aber darum geht es nicht allein, wenn wir die besondere Verantwortung der Politik einklagen. Es geht vor allem um ein politisches Signal, daß es Abgeordnete fertig bringen, real und symbolisch einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Umverteilung von Vermögen zu leisten, insbesondere wenn die Armutsspirale so dramatisch zunimmt wie in den neuen Bundesländern.
Es ist schon merkwürdig, wenn für notwendige sozialpolitsche Maßnahmen, etwa ein garantiertes Mindesteinkommen oder die Anpassung der Ost-WestEinkommen, immer das Standardargument der Nichtfinanzierbarkeit kommt.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ich bin neugierig, was Sie mit Ihren Diäten machen!)

Wenn es aber um Ihre eigenen Interessen geht, wo Sie vor allem ein politisches Signal setzen könnten, wird kleinkariert mit gestiegenen Lebenshaltungskosten jongliert. Sie verlieren dabei aus den Augen, daß Sie damit erneut Politikverdrossenheit im Land erzeugen.
Wir kündigen an, daß die Abgeordneten von Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Erhöhung an unterstützenswerte Projekte in den neuen Bundesländern umleiten werden. Es ist aus unserer Sicht sehr anerkennenswert, aber nicht hinreichend, wenn einige Kolleginnen und Kollegen individuell unserem Vorschlag folgen. Es wäre die Aufgabe des Bundestages insgesamt, hier ein deutliches Signal zu setzen und diese Diätenerhöhung abzulehnen.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205433900
Das Wort hat nun der Kollege Horst Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1205434000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! 1982 verdiente ich nach 19jähriger beruflicher Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar 230 000 DM brutto. 1983 wurde ich — sozusagen als politischer Späteinsteiger — in den Bundestag gewählt. 1989 betrugen meine jährlichen Diäten gut 109 000 DM. Da ich nach wie vor — wenn auch in stark verringertem Maße — in meinem Beruf tätig war, hatte ich daraus ein Bruttoeinkommen von 78 000 DM. Die Summe lag somit um gut 40 000 DM niedriger als 1982. Würde ich mit dem Bundesverfassungsgericht mein Mandat als Vollzeitbeschäftigung betrachten, hätte sich mein Einkommen mehr als halbiert.
Würden andere Bundestagskollegen, insbesondere die außerhalb des öffentlichen Dienstes, ihre Einkommensverhältnisse offenlegen, würde sich zeigen, daß ich kein Einzelfall bin. Aber es hat ja in unserer Gesellschaft seine Gründe, weshalb es als höchst unklug und gefährlich gilt, die Höhe seines Einkommens bekanntzugeben.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich bin selbstverständlich bereit, bei einer Mandatsübernahme Einkommensverluste hinzunehmen. Die Frage ist allerdings, wo die Opfergrenze liegt, und zwar nicht für mich, sondern allgemein für Selbständige und Freiberufler.
Im Kommissionsbericht des letzten Jahres heißt es, die Diäten der Bundestagsabgeordneten lägen 30 bis 40 % unter dem — ich zitiere — „eigentlich verfassungsrechtlich angemessenen Betrag". Der vorliegende Gesetzentwurf greift nicht einmal den Vorschlag der Kommission auf, diesen Rückstand in Raten aufzuholen. Ich stelle deshalb ohne Übertreibung fest: Die Bezüge der Bundestagsabgeordneten entspre-



Horst Eylmann
chen auch nach der Erhöhung nicht dem, was verfassungsrechtlich angemessen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was die Kommission unabhängiger Persönlichkeiten — und nicht etwa das angeblich zur Selbstbedienung neigende Parlament — im letzten Jahr für verfassungsrechtlich angemessen gehalten hat, auch nicht annähernd erreichen, wenn wir Abgeordnete uns weiterhin so in die Defensive drängen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir erzeugen durch unser ängstliches, ja leisetreterisches Auftreten jedes Jahr erneut selbst den Eindruck des schlechten Gewissens.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD])

Typisch dafür war das plötzliche, ja fast heimliche Aufsetzen der ersten Lesung auf die Tagesordnung des Plenums am 10. Oktober 1991. Man mag das ja für taktisch geschickt halten. Aber es hat uns nicht davor bewahrt, von der Boulevardpresse und von anderen geprügelt zu werden. Geprügelt werden wir immer, wenn es um Diäten geht.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!)

Meine Geduld ist jedenfalls erschöpft. Ich bitte Sie dringend darum, im nächsten Jahr eine grundsätzliche und gründliche Debatte zu diesem Thema zu führen. Wir müssen nämlich einmal darüber diskutieren, ob das Leitbild des bundesdeutschen Parlamentariers der Abgeordnete aus dem öffentlichen Dienst ist,

(Ingrid Köppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Genau!)

oder ob das Parlament auch noch für den späteren Seiteneinstieg von Persönlichkeiten offen sein soll, die sich nicht als Berufspolitiker auf Lebenszeit betrachten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Man kann auf der einen Seite nicht wortreich beklagen, daß sich der öffentliche Dienst auch im Parlament immer mehr ausbreite, andererseits aber die Besoldung eines Oberstudienrats zur Begründung dafür nehmen, daß die Diäten doch reichlich bemessen seien. Man kann nicht auf der einen Seite bejammern, im Parlament säßen immer mehr Abgeordnete, denen jegliche Berufserfahrung fehle, andererseits aber bestimmten Berufsgruppen die Bemühung um ein Mandat faktisch von vornherein verleiden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Im Bericht der Kommission heißt es, die Bezüge der Abgeordneten seien ein Gradmesser dafür, welchen Rang ein politisches Gemeinwesen der Volksvertretung einzuräumen bereit sei. Ich bin deshalb nicht bereit, mir von Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses einreden zu lassen, daß ich mich ob meiner Diäten zu schämen hätte. Ich halte dieses Äußern der Scham für eine reine Show. Denn wenn man sich schämt, ist
man ja im allgemeinen still und redet nicht lautstark darüber.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im übrigen kann jedem, der sich schämt, leicht geholfen werden. Er mag nämlich das, von dem er meint, daß es ihm nicht zukommt, für wohltätige Zwecke spenden. Und wenn er glaubt, daß es seinem Renommee nützt und daß sein Renommee es auch nötig habe, dann kann er seine Wohltätigkeit auch an die große Glocke hängen.

(Zustimmung bei der FDP)

Spenden Sie doch Ihr überflüssiges Geld für die arbeitslosen Mitarbeiter der Stasi!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt allerdings in diesem Haus auch manche, die viel spenden, aber nicht viel darüber reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Debatte, für die ich hier werbe, meine Damen und Herren, wird sich nicht auf die Diätenfrage beschränken lassen. Wir werden z. B. auch darüber reden müssen, in welchem Umfange ein Abgeordneter über sein Mandat hinaus noch andere Beschäftigungen haben darf. Es wird überhaupt um das Selbstverständnis dieses Parlaments gehen, dessen Ansehen ja nicht dadurch verbessert wird, daß wir ab und zu an der Geschäftsordnung herumbasteln, sondern dessen Gewicht davon abhängt, welche Bedeutung und welche Verantwortung wir uns selbst beimessen. Ich habe neulich schon in der Presse ein niederdeutsches Sprichwort zitiert: „Keen sick för'n Pannkoken holt, ward dor för opfreten" , in das umständlichere Hochdeutsch übersetzt: Wer meint, daß er ein Pfannekuchen sei, muß sich nicht wundern, wenn er Gefahr läuft, als ein solcher verspeist zu werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte alle Fraktionen des Hauses, mich in meiner Forderung nach einer Grundsatzdebatte über diese Themen im nächsten Jahr zu unterstützen und die Debatte selbstbewußt und in einem Stil zu führen, der einen Vergleich des Parlaments mit einem Pfannekuchen ausschließt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205434100
Es liegen einige Wortmeldungen nach § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung vor und einige schriftliche Erklärungen zur Abstimmung ebenfalls nach § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung, und zwar von den Kollegen Beucher, Brecht, der Kollegin Ferner, der Kollegin Wetzel, der Kollegin Barbe, dem Kollegen Scheffler und dem Kollegen Günter Graf. * )
Zur mündlichen Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung hat sich als erster der Kollege Wolf-
*) Anlagen 2 bis 8



Vizepräsidentin Renate Schmidt
gang Lüder gemeldet. Die Redezeit — das weiß jeder — beträgt maximal fünf Minuten.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1205434200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann in diesem Jahr der Erhöhung unserer Diäten nicht zustimmen

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

und begründe dies abweichend von dem, was bisher von den Diätenerhöhungsgegnern gesagt worden ist, wie folgt.
Erstens. Die Vorlage — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie hoch ist die Senatorpension, die Sie kriegen? Sagen Sie das mal!)

— Das können Sie nachlesen, null, Herr Kollege, bisher. Also, wissen Sie, wenn Sie sich auf diese Art einlassen, was wir an Nebeneinnahmen bekommen
— ich bekomme bisher als früherer Senator null Pension — , dann müssen wir mal die Frage aufwerfen, wieso wir als Abgeordnete eigentlich meinen, unsere Diäten seien unsere einzigen Einnahmen. Ich kenne Hunderte von Kollegen, die mehr Einnahmen aus Nebentätigkeit, aus Vermietung und anderem bekommen, so wie es in der Bundesrepublik insgesamt auch üblich ist. Wenn wir sagen, wir hätten zu 100 % Einkommen aus den Diäten, von dem wir armen Leute im Gegensatz zu den reichen Bundesbürgern leben müssen, die ihre Mieten, ihre Zinsen und anderes nebenbei einnehmen, dann sind wir schon mal auf dem falschen Dampfer. Aber das gehört in die Grundsatzdebatte, die Herr Eylmann mit Recht gefordert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE)


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/ CSU])

— Herr Bötsch, über das, was wir für Berlin machen müssen und für Deutschland machen werden, werden wir uns an anderer Stelle zu einem anderen Zeitpunkt unterhalten.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Zur Sache erkläre ich folgendes. Es wird hier in dieser — —(Zurufe)

— Ich verstehe gar nicht die Polemik, die Sie da hereinbringen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

— Lesen Sie doch die Vorlage! In der Vorlage steht, daß wir als Bezugsgröße nur westdeutsches Einkommen nehmen. Deutsches Einkommen ist Einkommen aus West und Ost. Wenn wir sagen, wir betrachten das Einkommen aus Ost nicht, dann werden wir den Maßstäben, die ich an redliche Berechnung deutscher Einkommenssituation lege, nicht gerecht.
Drittens. Wenn wir schon auf westdeutsches Einkommen Bezug nehmen, verstehe ich nicht, wieso wir zur Erhöhung der steuerfreien Auslagenpauschale ausgerechnet auch noch darauf Bezug nehmen, daß unsere Wahlkreisausgaben angeblich wegen der Einheit Deutschlands gestiegen sind. Lesen Sie das doch einmal nach. Zur Begründung der Erhöhung unserer Ausgaben wird angegeben, jeder von uns habe höhere Wahlkreisausgaben wegen der Einheit Deutschlands. Dies vermag ich besonders vor dem Hintergrund der Nr. 2 überhaupt nicht zu akzeptieren; nein.
Ich bin dafür, daß wir anständig bezahlt werden; ich bin dafür, für unsere harte Arbeit angemessen entschädigt zu werden. Aber ich bin dagegen, daß wir durch falsche Bezugsgrößen die Bodenhaftung zur Einkommensrealität in Ost- und Westdeutschland verlieren.
Da die Frage angesprochen worden ist, Herr Eylmann, was wir mit dem Geld machen, sage ich: Ich werde in diesem Jahr den Erhöhungsbetrag der KarlHamann-Stiftung zuwenden, die nach dem LDP-Vorsitzenden benannt ist, der der Zwangsvereinigung von LDP und SED Widerstand geleistet hat, wofür er mit lebenslangem Zuchthaus bestraft worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205434300
Als nächster hat zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung der Kollege Klaus-Dieter Feige das Wort.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205434400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe keine Nebeneinnahme. Mein Name ist Feige; aber ich bin keineswegs ängstlich und leisetreterisch, und ich bin auch nicht scheinheilig. Ich lasse mich nicht durch Boulevardpresse beeinflussen, sondern folge meinem Gewissen.
Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit der, wie ich erfahren habe, zweithöchsten Arbeitslosenquote. In meiner Kommune wird zum Jahresende ein Betrieb aufgelöst, in dem bisher 1 400 Menschen für die Forschung tätig waren. Sie können nichts dafür; das ist im Staatsvertrag so festgelegt. Die Arbeitslosigkeit in meiner Kommune wird 50 % erreichen. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind z. T. bereits im Ansatz hoffnungslos.
Auch wenn ich der Opposition angehöre, werde ich in den neuen Bundesländern an dem gemessen, was der Bundestag, was die Bundesregierung leistet. In dieser Hinsicht muß die Bundesregierung, muß der Bundestag für den Aufschwung Ost und die wirkliche Vollendung der Vereinigung erst die Hausaufgaben machen. Wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, können wir uns von mir aus sicher eine Erhöhung spendieren.
Ich stimme dagegen, weil wir unsere Aufgaben noch lange nicht erfüllt haben.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste)





Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205434500
Als nächster hat zu einer Erklärung zur Abstimmung der Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205434600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme aus Brandenburg, einem Bundesland, wo die Verhältnisse ganz ähnlich wie die sind, die mein Kollege Klaus-Dieter Feige soeben geschildert hat. In Ostdeutschland leben meine Kollegen — Künstler, Filmemacher — in einer schwierigen Situation. Maler müsse ihre Ateliers verlassen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Schriftsteller bekommen ihre Bücher nicht mehr abgenommen und leben im Grunde genommen von einem Satz, der geringer als die Sozialhilfe ist. In Ostdeutschland gibt es zahllose Menschen, die sich als Rentner jetzt weniger als vor der Einheit leisten können, weil die Lebenshaltungskosten viel, viel höher sind, als sie vor der Einheit waren.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Es ist schlimm, daß Sie das alles glauben!)

— Ich glaube das, weil ich Tag für Tag, wenn ich in meinem Wahlkreis bin, Gespräche mit Menschen führe, die zu mir kommen. Ich kann Ihnen diese Leute gern schicken. Aber darum geht es gar nicht.
Ich habe Verständnis dafür, daß Arbeit angemessen bezahlt werden soll. Ich mache überhaupt kein Geheimnis daraus, daß auch ich gern Geld verdiene und gern Geld ausgebe.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das hätte man gar nicht geahnt!)

Aber in einer Situation wie der unsrigen, wenige Monate nach der Vereinigung, anderthalb Jahre nach der Währungsunion, wo die Menschen in Ostdeutschland wirklich Not leiden — es gibt Menschen in Ostdeutschland, die Not leiden —, finde ich es wirklich schamlos — hier stimme ich ausnahmsweise einmal der PDS zu —, wenn sich der Deutsche Bundestag die Diäten erhöht.
Ich begreife mein Mandat nicht als ein Profitmandat, sondern als einen Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern.

(Uta Würfel [FDP]: Wir auch!)

Ich kann nicht akzeptieren, daß wir jetzt unsere Diäten um einen monatlichen Betrag erhöhen, der für viele in Ostdeutschland unerreichbar ist.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ich bin neugierig, ob Sie das spenden werden!)

Viele, viele Rentner bekommen diesen Betrag, um den wir die Diäten erhöhen wollen, nicht. Ich könnte Ihnen auch viele Arbeitslose nennen, und ich kann Ihnen auch Arbeiter und halbtagsbeschäftigte Frauen nennen, die dieses Einkommen auch nicht haben, um das wir unsere Diäten erhöhen wollen.
Ich, meine Damen und Herren, stimme gegen diese Erhöhung; ich werde diesen Betrag — wie alle meine Kolleginnen und Kollegen der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE — in einen gemeinsamen Fonds eingeben,
um es wohltätigen Zwecken zugute kommen zu lassen.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205434700
Zur Erklärung der Abstimmung hat als letzter der Kollege Gerd Poppe das Wort.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist doch schon alles gesagt!)


Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205434800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht ganz alles gesagt.
Ich habe heute auch interessante Erkenntnisse mitgenommen; ich habe heute von Ihnen erfahren, was Chefredakteure, Verfassungsrichter, Universitätsprofessoren, Bürgermeister bekommen. Beim letztenmal war von Fußballstars und Schauspielern die Rede. Ich frage mich, wenn das alles so lohnend ist, warum sind Sie nicht das eine oder andere geworden.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das waren wir ja vorher! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Ich würde einen anderen Vergleich ziehen. Wenn ich einen Vergleich wage, so möchte ich mich mit den Menschen in den neuen Bundesländern, in Ost-Berlin, die mich gewählt haben, vergleichen. Das ist die Basis, auf die ich mich beziehe; das sind die Menschen, mit denen ich mich vergleiche.
Ich stelle fest, daß die versprochene Annäherung der Lebensbedingungen — worauf sich natürlich auch Entscheidungen dieses Bundestages beziehen — bis heute nicht annähernd erreicht worden ist. Ich appelliere an Sie, diese Entscheidung auszusetzen, bis eine Annäherung der Lebensbedingungen der Bürger in den neuen Bundesländern gegenüber den Bürgern in den alten Bundesländern auch nur teilweise erreicht ist.
Herr Eylmann, ich finde es geradezu zynisch, daß Sie hier den Vorschlag machen, die Spenden an arbeitslose ehemalige Stasi-Mitarbeiter zu geben; ich meine, das ist Zynismus gegenüber den tatsächlich Arbeitslosen in den neuen Bundesländern.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die ehemaligen Stasi-Größen haben es zum Teil gar nicht so schlecht; denken Sie einmal an den Herrn Schalck, den Sie täglich sehen.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Zurufe von der CDU/CSU: Das war doch die PDS, nicht Sie!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205434900
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Werner Schulz das Wort erbeten.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205435000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Gruppe, die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE stellt den Geschäftsordnungsantrag auf namentliche Abstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf. Das mö-



Werner Schulz (Berlin)

gen Sie bitte nicht als Brüskierung dieses Parlaments betrachten.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

— Nein, Herrn Eylmann und allen anderen, die sich jetzt aufregen, sei gesagt: Wir wollen Sie nicht zum Pfannekuchen machen. Das ist nicht unsere Absicht, sondern es ist eigentlich das gute Recht einer Fraktion oder einer Gruppe, eine solche Forderung zu stellen. Wir wollen Sie damit nicht demütigen, wir wollen Sie damit nicht in die Enge treiben.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

— Nein! Die Demütigung, meine Damen und Herren, liegt darin, daß uns dieses übliche Mittel der Geschäftsordnung verweigert ist, daß wir uns hier hinstellen müssen und eigentlich für einen interfraktionellen Antrag werben müssen, der es uns möglich macht, in einer solchen Frage, die in der Öffentlichkeit ganz anders diskutiert wird als in diesem Parlament, unsere Meinung einbringen zu können; das wollen wir doch einmal festhalten.
Glauben Sie ja nicht, daß Sie in dieser Frage die Mehrheit unseres Volkes repräsentieren. Nein! Aber ich glaube, es besteht ein gutes Recht auf Offenlegung derjenigen, die meinen, daß sie diese Erhöhung benötigen; und es besteht auch ein gutes Recht zu wissen, welche darauf verzichten können. Wenn hier etwas vor den Augen der Öffentlichkeit entschieden werden soll — da stimme ich Ihnen zu, Herr Wiefelspütz —, dann sollte das auch öffentlich geschehen.
Offenlegung ist das Kriterium, das uns hier vorschwebt. Wir wissen, daß Sie jetzt kommen und sagen „Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht ...” — Sie können dieses Zitat fortsetzen — , allerdings ist das Parlament in diesem Punkt leider kein Glashaus. Wir wünschen es uns, daß das Wasserwerk transparent und durchsichtig ist. Wir werfen hier auch nicht mit Steinen, sondern es ist eine freundliche Papiertaube, die Sie aufnehmen und freundlich mit Ihrer Adresse zurückschicken sollten, damit wir wissen, wer in dieser Frage wie stimmt.
Ich glaube, das ist ganz entscheidend. Das Parlament wird dadurch nicht ramponiert, sondern dieses Parlament kann dadurch an Ansehen gewinnen. Ich glaube, das ist die Nagelprobe für dieses Parlament.

(Widerspruch)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205435100
Kollege Schulz, würden Sie bitte zum Ende kommen.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205435200
Es geht Ihnen allen sehr flüssig über die Lippen, daß wir die Teilung durch Teilen überwinden müssen. Wenn das nicht zur Wasserpredigt bundesdeutscher Weintrinker werden soll, dann können Sie das jetzt entscheiden.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht zur Geschäftsordnung! Sie sprechen nicht zur Geschäftsordnung! )


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205435300
Kollege Schulz, Sie haben jetzt nicht mehr das Wort.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205435400
Ich möchte das gern noch abschließen.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205435500
Nein, wirklich nicht mehr.
Kollege Schulz, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie jetzt hier den Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt und haben deutlich gemacht, daß Sie nicht die 34 Stimmen, die dafür notwendig sind, haben, und haben mich gebeten, festzustellen, ob 34 Abgeordnete, die Ihren Antrag unterstützen, hier im Parlament anwesend sind. Ist das so?

(Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ GRÜNE)

um Zustimmung!)
— Danke schön.
Nun hat zur Geschäftsordnung der Kollege Rüttgers das Wort. — Nein, er wünscht es nicht mehr. Auch sonst keine Wortmeldungen mehr zur Geschäftsordnung? — Dann darf ich über diesen Antrag abstimmen lassen.
Wer für den Antrag auf namentliche Abstimmung über diesen Gesetzentwurf ist, den bitte ich um sein Handzeichen. — Ich kann ohne große Schwierigkeiten feststellen, daß dies insgesamt 14 Stimmen sind. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.
Wir kommen deshalb zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksachen 12/1282 und 12/1398.
Ich rufe den Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/1485 Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Art. 1 in der Ausschußfassung?
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Art. 1 ist damit angenommen.
Ich rufe nun den Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/1485 Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Art. 2 in der Ausschußfassung?
— Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Art. 2 ist bei einer erheblichen Anzahl von Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe den Art. 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Wir treten nun in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt außerdem unter Ziffer 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? —

(Unruhe — Zuruf von der CDU/CSU: Worum geht es?)

— Es scheint im Moment eine gewisse Unsicherheit vorzuliegen. Es geht darum, daß der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung unter Ziffer 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung empfiehlt. Ich fragte Sie gerade und bitte Sie deshalb um Ihr Handzeichen, wer für diese Beschlußempfehlung zu stimmen gedenkt. Ist das jetzt klar? — Wunderbar.

(Heiterkeit)

Nun frage ich, wer dagegen stimmt. — Nun frage ich auch, wer sich der Stimme enthält. — Damit ist diese Beschlußempfehlung, wie es der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen hat, angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz)

— Drucksache 12/1092 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Verkehrsausschusses (16. Ausschuß)

— Drucksache 12/1474 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Gibtner

(Erste Beratung 39. Sitzung)

b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verkehrsausschusses (16. Ausschuß) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern
— Drucksachen 12/1118, 12/1474 —
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Gibtner
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Daubertshäuser, Robert Antretter, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Effektive Planungsbeschleunigung im Verkehrswegebau für ganz Deutschland statt einseitigen Rechtsabbaus in den neuen Bundesländern
— Drucksache 12/1328 — (Unruhe)

— Soll ich einen Moment Pause machen, oder können Sie den Saal ein bißchen ruhiger verlassen? — Ich habe nicht die Absicht, eine längere Pause einzulegen, und bitte Sie, jetzt entweder ganz schnell und ruhig zu gehen oder sich zu setzen und den Beratungen zu folgen. Allmählich werde ich nämlich grantig.

(Gudrun Weyel [SPD]: Aber Frau Präsidentin!)

— Auch Präsidentinnen werden hin und wieder grantig.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN acht Minuten erhalten soll. — Ich sehe zu diesem Vorschlag im Moment keinen Widerspruch, falls irgend jemand registriert haben sollte, was ich eben gesagt habe. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesverkehrsminister Günther Krause.

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205435600
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Notwendigkeit, die Planungsverfahren beim Verkehrswegebau zu straffen, brauche ich nicht mehr in aller Ausführlichkeit zu referieren. Hier besteht ein breiter Konsens nicht nur durch den einstimmigen Beschluß der Länderverkehrsministerkonferenz aus dem Jahre 1990 oder auch die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP.
Uns allen ist bewußt, daß der Auf- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin eine wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung auch in diesen Ländern ist und damit unentbehrlich wird. Denn bei jeder Investitionsentscheidung stellt sich für jedes Wirtschaftsunternehmen sofort die Frage nach der Verkehrsanbindung. In einer DIHT-Umfrage bezeichnen von je 100 westdeutschen Unternehmern 24, also fast ein Viertel, die mangelhafte Infrastruktur in den neuen Bundesländern gegenwärtig als ein entscheidendes Investitionshindernis. Auch können wir den jahrzehntelang nicht erfüllten Wunsch der Bürger im Osten Deutschlands nach Mobilität und damit nach einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur nicht einfach ignorieren oder auf die lange Bank schieben. Ohne eine zügig ausgebaute Verkehrsinfrastruktur blieben Bürger in Ostdeutschland Deutsche zweiter Klasse. Ich hoffe, daß wir über diesen Punkt nicht nur in der Diätendiskussion, wie sie eben geführt wurde, diskutieren. Die Stärkung des Aus- und Aufbaus in Ostdeutschland sollte unser gemeinsames Anliegen sein.
Wem es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland ernst ist, wird um einen beschleunigten Ausbau der Verkehrswege nicht umhinkommen. Planungszeiten von bis zu 20 Jahren, wie in den alten Bundesländern keine Seltenheit, sind für die neuen Bundesländer — auch da sind wir uns einig — nicht akzeptabel.



Bundesminister Dr. Günther Krause
Diesem Umstand trägt der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin voll Rechnung. Das Gesetz dient der Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren, ändert aber nicht die materiellen Prüfungsmaßstäbe. An der Qualität der Planung werden daher keine Abstriche gemacht. Belange der Raumordnung und Umwelt werden weiterhin Maßstäbe sein. Die Einbeziehung der Bürger in die Planung ist gesichert.
Der Gesetzentwurf konzentriert die Linienbestimmung für alle Verkehrsträger beim BMV. Die Länder haben die Möglichkeit, auf ein formelles Raumordnungsverfahren zu verzichten.
Meine Damen und Herren, ich bin den Ausschüssen des Deutschen Bundestages dankbar, daß sie durch neue Formulierungsvorschläge im Gesetzentwurf folgende Zusammenhänge noch deutlicher zum Ausdruck gebracht haben. Erstens. Es wird wie bisher in jeder Verfahrensstufe der Planung eine materielle Prüfung der Umweltverträglichkeit geben. Zweitens. Der Gesetzentwurf untersagt den Ländern nicht, förmliche Raumordnungsverfahren durchzuführen. Die Entscheidung darüber, wie die raumordnerischen Belange geprüft werden, bleibt ausschließlich den Ländern vorbehalten.
Ich gehe davon aus, daß diese Regelung den Interessen der Länder gerecht wird und auch diejenigen Länder dem Gesetzentwurf nun im Bundesrat zustimmen können, die ihm bisher ablehnend gegenübergestanden haben. Ich bin davon überzeugt, daß die nunmehr vorliegende Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung der Planung der Verkehrswege im Bundestag eine breite Zustimmung finden kann.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205435700
Als nächste hat die Kollegin Margrit Wetzel das Wort.

Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1205435800
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es scheint, als sollten die neuen Bundesländer eine Experimentierwiese der Politik werden, eine Experimentierwiese für die Beantwortung der Frage, ob dieselben Fehler dieselbe Wirkung erzielen.
Sowohl die Anhörung der Sachverständigen als auch die weitere Beratung in den Ausschüssen haben bestätigt, daß die Konzeption des Planungsbeschleunigungsgesetzes grundlegend verfehlt ist.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das Gegenteil! Das ist selektive Wahrnehmung!)

Es leistet weder etwas für den Ausbau noch für die Sanierung, vor allem aber nichts für den Erhalt des umfangreich vorhandenen Straßen- und Bahnnetzes in den neuen Bundesländern.

(Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

Im Gegenteil, es zielt einzig und allein auf Planung für Neubaumaßnahmen.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist Ihnen nicht gelungen, Ihr Vorurteil zu beherrschen!)

Während im Osten Nebenstrecken und Gleisanschlüsse der Reichsbahn stillgelegt werden, bekommen im Westen private Planungsgesellschaften Aufträge in Hülle und Fülle. Zu einem raschen Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern trägt das Gesetz nicht bei. Im Gegenteil, es behindert die eigenständige regionale Entwicklung auf Jahre hinaus. Statt den Bestand der Verkehrswege zu sichern, erhält der Verkehrsminister ein Ermächtigungsgesetz und damit einen Blankoscheck auf die verkehrspolitische Zukunft, und dieser Blankoscheck ist auch noch ungedeckt.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Hier wird nämlich ein Sonderrecht nicht zugunsten, sondern zu Lasten der Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern geschaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)

Weder die technische Qualität der Planungen noch die wirksame Umweltvorsorge noch die Rechtssicherheit und der Rechtsschutz der Bürger werden gewährleistet. Das Gesetz läßt erheblich mehr Fragen offen, als es überhaupt löst.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist falsch!)

Die Bundesregierung kann noch nicht einmal sagen, wie sie dieses Betongesetz handhaben will. Umweltverträglichkeitsprüfungen, die an Verfahren gebunden sind, werden ausgehebelt, indem die Verfahren weitgehend abgeschafft werden. Verfahrensverkürzungen erfolgen dort, wo Öffentlichkeit beteiligt ist, wo Planung transparent werden kann. Die Bundesregierung dokumentiert damit ihre Angst vor der Beteiligung der sachkundigen und interessierten Öffentlichkeit. Wer aber Öffentlichkeitsbeteiligung verweigert, kann für seine Planungen keine Akzeptanz erwarten.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Das Umwelt- und Rechtsbewußtsein der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern soll zubetoniert und übergewalzt werden. Ihr Gesetz leistet damit fehlerhaften und rechtlich angreifbaren Billigplanungen Vorschub.

(Ekkehard Gries [FDP]: Alles nicht wahr!)

Das Ergebnis wird sein — hören Sie ruhig zu, was das Ergebnis sein wird —,

(Zuruf von der FDP: Wir hören Ihrem Schwachsinn zu!)

daß wir in wenigen Jahren eine riesige Fülle formal baureifer, aber drittklassiger Straßenplanungen haben, Planungen, die aus dem hohlen Bauch des Ministeriums ohne Vorlauf, ohne wirtschaftliche Zielkonzeption, ohne Diskussionen in den politischen und kommunalen Gremien, ohne detaillierte Ortskenntnis,



Dr. Margrit Wetzel
ohne Abstimmung mit Verbänden und regionaler Raumordnung durchgepeitscht werden. Dieses Gesetz inszeniert damit eine beschleunigte Rückkehr in die Planungsqualität der 50er Jahre.

(Ekkehard Gries [FDP]: Die Fachleute sagen genau das Gegenteil!)

Es enthält den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern genau die rechtsstaatlichen, demokratischen Beteiligungsrechte vor, die ihnen der SEDStaat über 40 Jahre verweigert hat.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Zuruf von der SPD: Sehr wahr! — Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Wohlstand ist mehr als staufreier Warentransport von West nach Ost. Mehr Straßen bedeuten nicht automatisch mehr Wohlstand und Wirtschaftswachstum, mehr Lebensqualität. Dieser Glaube ist mit dem zunehmenden Wissen und dem zunehmenden Bewußtsein um die globale Bedrohungen unserer Erde zusammengebrochen, die zu einem ganz erheblichen Teil aus der falschen Verkehrspolitik der Industrieländer resultieren.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider wahr!)

Hier wird nicht Verkehrspolitik gemacht, sondern hier geht es um Autoschlangenbeschwörung unter dem Tempodrang des Verkehrsministers, der vorgestern vor dem Verband des Deutschen Einzelhandels auch schon einen Nachholbedarf beim Straßenbau in den alten Bundesländern ausgemacht hat.

(Dr. Walter Hitschler [FDP]: Wollen Sie dem widersprechen?)

Der Besitz des westlichen Autos hat im Osten eine Stellvertreterfunktion für Wohlstand. Ich kann den Nachholbedarf der Menschen in den neuen Ländern sehr gut verstehen. Aber der Irrglaube an das Auto als Symbol für Fortschritt, Individualität und Unabhängigkeit wird von diesem Gesetz und von diesem Minister politisch verantwortungslos benutzt.

(Ekkehard Gries [FDP]: Das ist ja unerhört!)

— Das ist nicht unerhört. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Entscheidungen, die in den nächsten zwei bis drei Jahren fallen, den modal split des Jahres 2010 bestimmen. Darum geht es Ihnen in Wirklichkeit.
Der Regierung geht es auch darum, vor den nächsten Bundestagswahlen sagen zu können: Wir haben hier fertige Planungen für neue Straßen. Wenn die neue Straße da ist, bekommt ihr auch die Wirtschaftskraft in eurer Region.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) — „Sehr richtig! " haben Sie gesagt. — Danke.

Das heißt, die Absicht dieses Gesetzes ist zugleich, die Menschen über die tatsächlichen Mängel im Aufschwung Ost über die nächste Wahl hinweg zu täuschen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Hören Sie mal, für wie doof halten Sie die eigentlich? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ach du mein Gott!)

Unser Beschleunigungsprogramm basiert darauf, die Effizienz auf den vorhandenen Verkehrswegen abzusichern und zügig zu erweitern. Die aktuelle Entwicklung zeigt uns doch, wie wichtig gerade die Sanierung und die Absicherung der Nebenstrecken der Reichsbahn sind.
Wir haben außerdem eine Fülle von Maßnahmen und Instrumenten aufgezeigt, mit denen Planungen für notwendige neue Verkehrswege auf die Hälfte der Zeit verkürzt werden können, ohne daß Qualitätsabstriche gemacht werden müssen. Dafür sind ein verbindliches Raumordnungsverfahren, eine frühzeitige Umweltverträglichkeitsprüfung und echte, d. h. verbindlich einforderbare Öffentlichkeitsbeteiligungen unverzichtbar.
Die Prozesse der Umstellung auf die neue Wirtschaftsordnung sind schwerfällig. Die Sachzwänge der Zukunft erfordern aber, daß auch der bundesdeutsche Verkehrsminister die Notwendigkeit einer ökologischen Wirtschafts- und Verkehrspolitik erkennt. Diese muß von Anfang an durch Raumordnungs- und Kommunalpolitik unterstützt werden. Gerade hier liegen die Chancen für einen wirklich tragfähigen Neubeginn in den neuen Bundesländern.
Diesen Neubeginn be- und verhindert die Bundesregierung, indem sie die falschen Weichen auf dem falschen Gleis stellt. Während weltweit der Zug zur Förderung der Bahn und des ÖPNV auf Geschwindigkeit kommt, führt die Bundesregierung die neuen Länder im Rückwärtsgang in die verkehrspolitische Einbahnstraße.
Das Beschleunigungsgesetz ist so kurzfristig und so kurzsichtig angelegt, daß es das beschleunigte Nachholen aller Fehler und Unzulänglichkeiten vergangener Straßenplanung ebenso wie die Verhinderung fortschrittlicher Verkehrspolitik garantiert.
Es ist so demokratiefeindlich, daß es Fronten zwischen dem Beschleunigungsregime und den Menschen in den neuen Bundesländern aufbauen wird. Es ist so rückwärtsgewandt, daß es verkehrsträgerübergreifende Konzepte im Rahmen integrierter Verkehrsentwicklungspläne, wie sie z. B. die Klima-EnqueteKommission verlangt, schon vor jedem Ansatz im Keim erstickt.
Ihr Verkürzungsgesetz ist vor allem geeignet, das Vertrauen der Menschen in die Verkehrspolitik und in die Demokratie unter die Räder kommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205435900
Frau Kollegin Wetzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1205436000
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das, was Sie ausführen, so abstrus und abwegig ist, daß ich nicht bereit bin, mich darüber länger aufzuregen?

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wir dachten, Sie hätten das zumindest in Ansätzen verstanden! — Weitere Zurufe von der SPD)





Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1205436100
Das bestätigt eine Passage, die ich eigentlich in meiner Rede unterbringen wollte, die ich aber aus Zeitgründen streichen mußte und in der ich darauf hinweisen wollte, daß es im Ausschuß tatsächlich überhaupt keine sachliche Beratung z. B. unserer Vorschläge gegeben hat, sondern daß die politischen Mehrheiten im voraus feststanden. Man hat offensichtlich die Auseinandersetzung mit unseren Argumenten gescheut, wahrscheinlich, weil sie zu stichhaltig und sachgerecht sind.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich muß das einfach annehmen. Diese Ihre Frage bestätigt mir genau meine Eindrücke, die ich im Ausschuß gehabt habe.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie mir bitte hier an dieser Stelle eine Schlußbemerkung, die ein bißchen emotionaler ist als die sachlichen Ausführungen, die ich gemacht habe. Wenn es stimmt, Herr Minister, daß Sie — das habe ich der Presse entnommen — gesagt haben, die Forderung nach autofreien Innenstädten hielten Sie für eine verkehrte Verkehrspolitik, dann fordere ich Sie an dieser Stelle auf, daß Sie von dem Amt des Verkehrsministers schleunigst zurücktreten.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205436200
Nun hat der Kollege Dr. Klaus Röhl das Wort.

Dr. Klaus Röhl (FDP):
Rede ID: ID1205436300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum eigentlichen Text meiner kurzen Rede komme, möchte ich erst einmal grundsätzlich feststellen: Ich komme aus den neuen Bundesländern — im Gegensatz zur Kollegin Wetzel, die aus den alten Bundesländern, aus Hamburg, kommt. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wir wollen ein Deutschland, kein geteiltes! Das ist aber ein starkes Stück, wenn Sie Ost und West gegeneinander ausspielen wollen! Das ist unerhört!)

— Richtig.
Demzufolge ist meine Sicht der Dinge vollkommen anders als die Sicht der Kollegin Wetzel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Rückwärtsgewandte Spalterphilosophie! Wir wollen ein Deutschland!)

Nach dem für uns alle so glücklichen und wunderbaren Erreichen der politischen und staatlichen Einheit Deutschlands — Sie können ruhig zuhören —,

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Doch, doch!)

stellt sich nun die unabweisbare Aufgabe, die Einheit auch in allen Fakten und Umständen des täglichen Lebens unserer Menschen zu erreichen.
Die unübersehbaren großen Unterschiede im Lebensniveau unserer Menschen in den neuen Bundesländern im Vergleich zu dem in den alten Bundesländern abzubauen ist eine zwingende Aufgabe und Herausforderung an uns. Ein zügiger, durchgreifender Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern ist der allein erfolgssichernde Weg zu diesem Ziel.
Unabdingbare Voraussetzung für diesen Wirtschaftsaufschwung sind leistungs- und funktionsfähige Verkehrswege aller Art, besonders der Bahn, in den neuen Bundesländern. Ohne leistungsfähige Verkehrswege keine Investitionen, kein Zuwachs an Arbeitsplätzen und kein Sinken der Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Unruhe bei der SPD)

— Das scheint die Kollegen von der SPD überhaupt nicht zu interessieren.
Ohne leistungsfähige Wirtschaft keine Mittel für soziale und kulturelle Zwecke.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Das glauben Sie!)

Diese Zusammenhänge dürfen bei der Beurteilung und Begründung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes auch nicht für einen Moment übersehen werden.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es ist aber nicht nur das Erfordernis, die Lebensverhältnisse anzuheben und anzugleichen, sondern auch das Anliegen, unsere Menschen aus den verschiedenen Regionen und Bundesländern, ohne Hindernisse zueinander kommen zu lassen, was ihnen 28 Jahre — teilweise noch länger — mit Gewalt verwehrt wurde, und unbekannte oder lange Jahre verschlossene Teile unseres gemeinsamen Deutschlands ohne Hindernisse wiederzusehen oder neu kennenzulernen. Das ist die unmittelbare, den Menschen zugewandte Aufgabe der Verkehrswege.
Das ist ganz besonders wichtig für unsere jüngeren Menschen, die Deutschland nur mit Mauer und Grenzanlagen kennengelernt haben.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Das ist doch nicht den Menschen, sondern den Autos zugewandt!)

Die spezielle Aufgabe des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ist es, die Planungszeiten in den neuen Bundesländern gegenüber den in den alten Bundesländern üblichen — teilweise bis zu 20 Jahre lang — drastisch zu verkürzen und trotzdem Öffentlichkeitsbeteiligung, Beachtung der Umwelterfordernisse und die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung zu sichern, wie es im einzelnen in den §§ 2 bis 6 des Gesetzestextes bestimmt wird.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205436400
Herr Kollege Röhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Dr. Klaus Röhl (FDP):
Rede ID: ID1205436500
Bitte.




(Berlin Herr Kollege Weiß, die Menschen, die drüben leben, sind für mich ebenfalls unsere Menschen, selbst wenn es das „Neue Deutschland" so beschrieben hat. Die Worte „unsere" und „Menschen" sind ganz normale Worte der deutschen Sprache. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


(Widerspruch bei der FDP)

Dr. Klaus Röhl (FDP):
Rede ID: ID1205436600
Die unerläßliche Anbindung der neuen oder der auf den neuesten Stand gebrachten alten Verkehrswege an die gleichrangigen, gleichwertigen Verkehrswege und nächsten Knotenpunkte der alten Bundesländer ist mit § 1 vorgeschrieben. Wesentliche Planungsbefugnisse werden in das Ermessen der neuen Länder gelegt, die vor Ort am besten entscheiden können, wo Planungsschritte erforderlich oder verzichtbar sind, und die damit auch in die Lage versetzt werden, entsprechend ihrem eigenen Vermögen und ihren Möglichkeiten zu handeln.
Sollte aus Gründen, über die die Länder selber entscheiden, auf ein vorangestelltes Raumordnungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung usw. verzichtet werden, so ist die Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren durchzuführen.

(Zuruf von der SPD: Das bringt doch überhaupt nichts mehr! Das wissen Sie doch ganz genau!)

Diese Verfahren sind in vier Monaten plus zwei Monate Verlängerung, also zügig abzuarbeiten. Um die Bürger und Öffentlichkeitsbeteiligung ist uns nicht bange; da steht man allerorts in den Startlöchern; das wissen Sie ja selber.
Die durch das Gesetz eingeführte erst- und gleichzeitig letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht nur sinnvoll, sondern wegen des noch unzureichenden Ausbauzustandes der Gerichte in den neuen Bundesländern auch nicht anders möglich. Da auch der Bundesratsentwurf diese Regelung enthält, sollte ihr nicht widersprochen werden. Die zeitliche Begrenzung des Gesetzes läßt einerseits in diesen Belangen den Weg in die Zukunft offen, andererseits steht mit der Arbeitsaufnahme der zu bildenden Oberverwaltungsgerichte einem Übergang zum üblichen Rechtsweg nichts entgegen.
In der Beratung der beteiligten Ausschüsse und in 'der Anhörung von Verkehrsfachleuten und Juristen wurde festgestellt: Das Gesetz ist sinnvoll, notwendig und verfassungsrechtlich einwandfrei.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Da waren wir aber in unterschiedlichen Anhörungen!)

Im Gegensatz zum Regierungsentwurf enthält der Antrag des Bündnisses 90/GRÜNE nur einen Katalog von Forderungen ohne einen praktikablen konstruktiven Vorschlag, wie man das von einer qualifizierten Opposition eigentlich erwarten sollte.
Der Antrag der SPD-Fraktion weist einige erörterungswürdige Anregungen für die Beschleunigung im Planungs-, Verwaltungs- und Ausführungsbereich auf.

(Klaus Daubertshäuser [SPD]: Vielen Dank, Herr Oberlehrer!)

Ansonsten beschränkt man sich neben dem Aufzählen von bekannten Dingen auf das Ausbessern von vorhandenen Verkehrswegen; auf dringend notwendige Neuanlagen wird nicht eingegangen.

(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das stimmt nicht! Da haben Sie das nicht gut gelesen!)

— Ich habe es mir angesehen, Wort für Wort. — Sehr deutlich wird aber eine Mittelerhöhung und der Ausbau von Behörden gefordert. Hierzu erübrigt sich auf Grund der gegebenen Haushaltslage jede Kommentierung.

(Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Gestatten Sie mir am Schluß als Vertreter der FDPFraktion, der aus den neuen Bundesländern kommt, noch drei wichtige Markierungen hervorzuheben: Das Angleichen der Lebensbedingungen brauchen wir schnell, wie es die Mehrheit der Menschen bei uns auch will und wie es der Verfassungsauftrag vorschreibt. Deshalb ist ein schneller wirtschaftlicher Aufschwung gefordert. Deshalb brauchen wir schnell neue und bessere Verkehrswege als unverzichtbare Hilfe für diese Aufgaben.
Die FDP-Fraktion stimmt deshalb dem Gesetzentwurf der Regierung zu und lehnt die beiden anderen unverwertbaren bzw. unzulänglichen Anträge ab.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205436700
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205436800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Beschleunigungsminister! — Im übrigen, Herr Kollege, auch ich komme aus einem der neuen Bundesländer und habe trotzdem eine andere Sichtweise als Sie.
Stellen Sie sich einmal vor, daß sich alle 31 Millionen in der Bundesrepublik zugelassenen PKW zur gleichen Zeit auf der Straße befinden. Dann würden bei gegenwärtig 501 000 km Straße jedem einzelnen Auto nicht mehr und nicht weniger als 16 m Straße zur Verfügung stehen — so berechnet im „Stern". Das ist



Dr. Dagmar Enkelmann
eine Horrorvision angesichts des jetzt bereits total überlasteten Straßennetzes.
Nach einer Shell-Studie — auch das war eine Meldung der letzten Wochen — sollen im Jahre 2010 in der Bundesrepublik mindestens 41 Millionen, wahrscheinlich aber über 45 Millionen Pkw zugelassen sein. Wollte man nun den 41 Millionen Pkw weiterhin die bereits erwähnten 16 Meter gewährleisten, dann müßten etwa 155 000 km Straße mit einem Flächenaufwand von mehr als 1 000 qkm neu gebaut werden. Soweit die nüchternen Zahlen.
Völlig ausgeklammert bleiben dabei aber die gleichzeitig wachsende enorme Umweltbelastung, die Gefährdung menschlichen Lebens, die Zunahme von Streß und Aggressivität. All das sind Probleme, die schon heute für jeden immer offenkundiger und zu einem deutlichen Warnsignal werden. Für jeden? Anscheinend nicht so für Herrn Krause & Co. Dort, wo verantwortungsbewußtes Handeln dringend angezeigt ist, fährt Herr Verkehrsminister Krause einen Crash-Kurs. Mit Volldampf in die Sackgasse!

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie früher die PDS!)

Dabei offenbart der Minister auch, daß ihm demokratische Spielregeln offenbar fremd sind. Sollten diejenigen, die ihn einen Betonstalinisten nennen, doch recht haben? Wie anders ist es sonst zu verstehen, daß durch den Gesetzentwurf die rechtzeitige Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Gebietskörperschaften und Naturschutzverbänden spürbar beschnitten werden soll?
Der vorgesehene Rechtsweg mit lediglich einer Instanz widerspricht zudem einem Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit. Unter dem Deckmantel der Hilfe für die neuen Bundesländer sollen quasi per Gesetz zentralistische Elemente en gros in die Regierungspolitik eingeführt werden. Herr Krause ließ dieser Tage die Katze vollständig aus dem Sack: Die neuen Bundesländer spielen die Versuchskaninchen für die alten. Was sich dort künftig bewähren sollte, ist reif für die gesamte Bundesrepublik.
Um nicht mißverstanden zu werden: Ich bin selbst oft genug im Land Brandenburg unterwegs und weiß, daß und in welchem Unfang etwas getan werden muß. Kurzfristig kann die Situation durch die Sanierung des vorhandenen Straßen-, Wege- und Schienennetzes spürbar entschärft werden.

(Zuruf von der FDP: Ist doch nicht wahr!)

Für die Zukunft dagegen ist ein völlig neues Verkehrskonzept erforderlich. Der Grundstein für ein solches Konzept muß aber heute gelegt werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann haben wir 20 Jahre Zeit mit dem Bau?)

wenn die eingangs geschilderte Horrorvision von über 41 Millionen Pkw auf völlig verstopften Straßen verhindert werden soll. Die Proteste in Hamburg und in anderen Städten sollen den verantwortlichen Politikern Anlaß sein, über Ursachen des Chaos auf unseren Straßen und notwendige Schlußfolgerungen stärker nachzudenken.
Eckpunkte eines neuen Verkehrskonzepts müßten meines Erachtens sein:
Erstens Primat der Verkehrsvermeidung, also kurze Wege, Senkung der Zahl der Leerfahrten, Verringerung der gesellschaftlichen Mobilitätsanforderungen und anderes,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ruhestand!)

zweitens Minimierung des Alltagsverkehrs, des Berufs-, Einkaufs- und Freizeitverkehrs,

(Zuruf von der FDP: Zentrale Unterbringung!)

insbesondere durch eine Veränderung des Städtebaus und der Raumordnung. So ist es doch unvertretbar, daß statt gut erreichbarer Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Wohnnähe Supermärkte in 15 bis 20 km Entfernung vor den Städten entstehen, die tatsächlich nur mit dem Auto zu erreichen sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum gab es das im Sozialismus nicht?)

Der dritte Eckpunkt ist der Ausbau und die Bevorzugung des ÖPNV im Zusammenhang mit einer Preisgestaltung, die den öffentlichen Personennahverkehr zu einer tatsächlichen Alternative zum Individualverkehr werden läßt, also das System Parken & Reisen, Busspuren, Halbpreispaß, Umwelttickets und anderes.
Der vierte Eckpunkt ist die Bevorzugug des nicht motorisierten Verkehrs, also Fußgänger und Radfahrer.
Fünftens gehört dazu eine konsequente Verlagerung des Güterfernverkehrs auf Schienen und Wasserwegen und sechstens die Einstellung des Binnenflugverkehrs.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind die brauchbaren Schienen in der ehemaligen DDR? Ihre Partei war doch dort 40 Jahre führend! Wo sind denn Ihre Schienenwege? Jetzt wird hier großartig geredet!)

Die Abgeordneten der PDS werden den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. Wir wollen nicht dafür schuldig werden, daß die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer in weniger als fünf Jahren die Fehler nachholen sollen, die in mehr als 20 Jahren in der Bundesrepublik gemacht wurden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205436900
Nunmehr hat der Abgeordnete Schwalbe das Wort.

(Zuruf von der SPD: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer!)


Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1205437000
Ja, das stimmt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Dienstag dieser Woche ereignete sich in meinem Wahlkreis in einem Chemiewerk ein schweres Unglück mit einem Toten und mehreren Verletzten. Als ich versuchte, den Ministerpräsidenten von SachsenAnhalt zu erreichen, bekam ich zur Antwort: Er steckt



Clemens Schwalbe
zwischen Halle und Magdeburg im Stau, und man weiß nicht, wann er vor Ort ist.
Wenn ich freitags nach Hause fahre und die Autobahn A 5 zwischen Homberg (Ohm) und Alsfeld erreiche, dann ist es fast jedes Wochenende üblich, daß ich wegen eines Staus von der Autobahn abfahren und eine Umleitungsstrecke benutzen muß.

(Rudolf Bindig [SPD]: Sie sollten Zug fahren! Fahren Sie mit dem Zug!)

— Ja, auch dazu kommen wir noch.
Auf der Strecke ist eine Ortsdurchfahrt. An dieser hängt ein großes Schild: „10 000 Autos am Tag sind zuviel! Wir fordern eine Ortsumgehung! " Ich glaube dies, aber wenn ich das mit meiner Heimatstadt Weidenfels, wo in der letzten Verkehrszählung 30 000 Autos gezählt wurden und für die in den nächsten Jahren 50 000 bis 60 000 Autos prognostiziert werden, vergleiche, dann sind das einfache Beispiele dafür, daß wir die erforderlichen Baumaßnahmen etwas beschleunigen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Verkehrsstau ist so dramatisch, daß das viel beschworene Verkehrschaos in den neuen Bundesländern längst unmittelbar vor der Tür steht. Die Horrorzahlen vom Wochenende — zwölf Stunden Dauerstau auf der A 9 zwischen Nürnberg und Berlin — verdeutlichen dies allzugut. In einem Jahr nach der deutschen Einheit, von Oktober 1990 bis Oktober 1991, sind im gesamten Bundesgebiet rund 4,5 Millionen neue Pkw zugelassen worden, davon in den neuen Bundesländern allein über 1 Million. Der Spitzenmonat, November 1990 — also gleich nach der Einheit —, ergab für das Gebiet der ehemaligen DDR rund 260 000 Neuzulassungen.
Auch die Unfallstatistik in den neuen Bundesländern beweist — sie weist die Zahl von 3140 Verkehrstoten im letzten Jahr und die Zahl von 2375 Verkehrstoten bis August dieses Jahres aus — , daß es notwendig ist, etwas am Straßenzustand zu tun. Der Straßenzustand in den neuen Bundesländern entspricht dem Stand der 30er Jahre; vielerorts ist der Straßenzustand noch weitaus schlechter, und das bei der hohen Verkehrsdichte heutzutage!
Nach all diesen Zahlen können wir nur zu einem Schluß kommen: Wir brauchen sehr schnell den Ausbau und die Sanierung der Verkehrswege.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD und der PDS/Linke Liste)

— Frau Enkelmann, wir können natürlich auch zu dem Beschluß kommen, wie wir es ja früher in der DDR gemacht haben: Wir verkaufen keine Autos mehr; dann brauchen wir auch keine Straßen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste):

Es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit!)
Meine Damen und Herren, wenn wir ohne ein Beschleunigungsgesetz weiterarbeiten wollen und eine Planungszeit von 15 bis 20 Jahren für den Einzelfall voraussetzen wollen

(Zuruf von der SPD: Darum geht es nicht!)

— genau darum geht es! —, dann ist das Fortschreiten des Verkehrschaos' in den neuen Bundesländern festgeschrieben. Durch das Beschleunigungsgesetz wollen wir erreichen, daß die Planungszeiten auf dreieinhalb bis fünf Jahre heruntergehen. Dies ist für mich der einzig sinnvolle Weg, um zu verhindern, daß die neuen Bundesländer das Armenhaus Deutschlands werden. Wir wissen — der Verkehrsminister hat darauf hingewiesen — , wie wichtig der Ausbau des Verkehrsnetzes für die wirtschaftliche Erschließung ist.
Dazu gehört auch das Schienennetz. Es ist vorgesehen, daß das Schienennetz in den neuen Bundesländern — dort existiert ein sehr dichtes Schienennetz — saniert wird und daß die vorhandenen Strecken ausgebaut werden.
Wer behauptet, durch das Beschleunigungsgesetz könnten Bürgerrechte beschnitten werden, der darf nicht vergessen, daß das Bürgerrecht nicht nur aus Einspruchsmöglichkeiten besteht, sondern daß die Bürger in den neuen Bundesländern auch ein Recht darauf haben, die gleichen Lebensverhältnisse zu haben wie die Bürger in den alten Bundesländern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Gleiches Recht für alle!)

Liebe Frau Kollegin Wetzel, eines würde ich Ihnen gern mit auf den Weg geben — das sollten Sie sich merken — : Sie leben in einer heilen Welt bzw. Sie haben in einer heilen Welt gelebt; dann sollten Sie sich auch einmal in die Verhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern hineinversetzen, denn mir scheint manchmal, daß die Menschen in den neuen Bundesländern manchmal für etwas dumm gehalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das kann sie nicht! So sensibel ist sie nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich namens der CDU/ CSU-Fraktion abschließend sagen: Wir werden dem Verkehrswegeplanbeschleunigungsgesetz zustimmen, und wir sind uns sicher, daß das Verkehrswegeplanbeschleunigungsgesetz zum Erfolg führt.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205437100
Nun erteile ich dem Abgeordneten Feige das Wort.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205437200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zensuren haben wir schon bekommen: Feige: 6, Wetzel: 4, Bundesverkehrsminister: 1. Das ist früher bei mir in der Schule genauso gewesen: Der Lehrer hatte immer recht; bei abweichenden Meinungen gab es schlechte Zensuren.
Jawohl, Herr Krause, ich stimme mit Ihnen überein: Die Menschen in den neuen Ländern sollen keine Bürger zweiter Klasse sein. Aber solange wir noch darüber reden, gibt es ja tatsächlich noch Differenzen. Das war ja wohl der Sinn Ihrer sehr kurzen Rede, die, glaube ich, darüber hinweghelfen soll.



Dr. Maus-Dieter Feige
Aber wenn ich einmal darüber nachdenke, stelle ich fest: Es sind möglicherweise über 600 Abgeordnete, die später darüber beschließen müssen. Die haben vielleicht nicht alle an Verkehrsausschußsitzungen, an Anhörungen oder an der ersten Lesung teilgenommen, obwohl sie gerade dafür besonders gut honoriert werden. Es wäre wichtig gewesen, noch einmal intensiv zu begründen, warum heute ein Gesetz in Windeseile durchgepeitscht werden soll, das die Bürger in den neuen Ländern erst zu Bürgern zweiter Klasse macht: Es schafft Sonderrechte.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Für diese Hektik kommen möglicherweise zwei Gründe in Frage: vielleicht ein tatsächlicher Beschleunigungsbedarf oder aber der Versuch, mittels einer Überrumpelungstaktik ein ganz anderes Ziel der Bundesregierung voranzutreiben. Dieses Ziel heißt Einschränkung der Mitspracherechte der Bevölkerung in ihren ureigenen Angelegenheiten. Wenn Sie jetzt auch dagegen protestieren — dieses Vorhaben läßt sich durchaus beweisen. Wenn die Koalition nämlich der Mehrzahl der Gutachter in der Anhörung gefolgt wäre, hätte sie der Regierung empfohlen, dieses Gesetz stillschweigend zurückzuziehen.

(Ekkehard Gries [FDP]: Das ist einfach gelogen! )

— Waren Sie in einer anderen Anhörung als ich? Und Lügen liegt mir beim besten Willen nicht. Aber eine Meinung möchte ich vertreten.

(Ekkehard Gries [FDP]: Eine Meinung können Sie haben! Dann müssen Sie aber den Inhalt richtig wiedergeben und nicht einfach umdrehen!)

Ich habe an genau der gleichen Anhörung teilgenommen wie Sie.
Dr. Krause behauptet also, daß das Verkehrschaos in den neuen Ländern unverzüglich und sofort einer Sonderlösung bedürfe. Dazu müsse man neue Straßen, aber auch Schienenwege bauen. Ich frage mich aber, wo gegenwärtig der Unterschied zwischen Ost und West in Sachen Verkehrschaos liegt. Sind nicht viele Autofahrer der vielen Staus nicht nur in den neuen Ländern überdrüssig? Wo sind denn die Rekordstaus? In Bayern, nicht unbedingt in den neuen Ländern. Mir tun schon eher die Anlieger in den betroffenen Straßen leid. Für die Menschen im Osten sind die Stauprobleme vielleicht nur neu. Sie brauchen morgens nur die Nachrichten zu hören, dann hören Sie die Katastrophenmeldungen über die Staus, z. B. hier in Nordrhein-Westfalen. Auch mancher Abgeordneter kommt morgens mit dem Auto vom Fahrdienst oder seinem eigenen hierher und weiß, was hier los ist, Da gibt es überhaupt keinen Unterschied.
Es ist nur bedauerlich, daß Sie daraus immer wieder den Schluß ziehen, daß man ständig neue Straßen bauen muß. Irgendwann ist physikalisch das Ende erreicht. Dann ist die Republik zubetoniert. Dann können Sie es wie in Japan machen und eine zweite oder dritte Etage draufknallen.
Ich bestreite nicht, daß die Qualität des Verkehrsnetzes im Osten einer Sanierung bedarf. Die läuft auch. Bitte, das akzeptiere ich. Ich bestreite auch nicht, daß Vorhaben zur Verkehrsberuhigung notwendig sind. Nur für den vom Bundesminister vorgeschlagenen Weg, einen Aufschwung Ost damit zu verbinden, taugt dieses Gesetz überhaupt nicht. Einige Minister glauben selbst nicht an den Erfolg.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Diesen Minister möchte ich sehen! Den gibt es überhaupt nicht!)

Der Bundesumweltminister sagte vor zwei Wochen in Leipzig — Sie mögen es vielleicht nicht hören — :
Ich bin von der Beschleunigungswirkung des Beschleunigungsgesetzes nicht überzeugt.
Herr Krause selbst schrieb in seiner Kabinettvorlage:
Durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz kann die Planung auf die Hälfte der bisherigen Dauer reduziert werden. Auch dadurch würde sich an der bestehenden verkehrlichen Situation in absehbarer Zeit nichts Wesentliches ändern. Der notwendige Beitrag zum kurzfristigen Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern ist damit nicht möglich.
Auch Maßnahmegesetze werden daran nichts ändern, so diese überhaupt jemals rechtskräftig werden.
Also hat sich Ihr Hauptargument schon erledigt. Die Einschränkung der Anwendung der Umweltverträglichkeitsprüfung und die praktische Ausschaltung der Öffentlichkeit sind ein weiteres Ziel Ihres Gesetzes, auch wenn sich der Bundesumweltminister tierisch freut, daß noch nie so viel über das Thema Umweltverträglichkeit geredet wurde. Dieser Angriff auf die UVP ist für mich völlig unverständlich. Ich möchte es mir nicht nehmen lassen, den Kollegen Lippold, CDU, zu zitieren, der vor einem Jahr zum damaligen Abgeordneten Stratmann hier ausführte:
Bei Ihnen steht, daß die Leute in den Umweltministerien zunächst prüfen, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll. Das sollen ein paar Minister prüfen, ob wir dies denn tun. Herr Stratmann, wir sind doch viel weiter. Wir haben das für alles obligatorisch gemacht. Es wird nicht nur gemacht, wenn die Jungs meinen, das sei notwendig, sondern das wird generell gemacht, wenn eingegriffen wird.

(Abg. Dr. Günther Krause [Börgerende] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205437300
Herr Feige, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205437400
Herr Krause, Sie hatten doch schon Gelegenheit, hier zu sprechen. Warum haben Sie diese Chance nicht wahrgenommen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205437500
Der Abgeordnete Krause hat das Recht. Ich rechne es Ihnen auch nicht an. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.




Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205437600
Herr Dr. Feige, geben Sie mir recht, daß Sie durch das Weglassen der Möglichkeit der kurzfristigen Realisierung von Investitionsmaßnahmegesetzen, die in der entsprechenden Kabinettsvorlage mit erwähnt worden sind, die Vorlage verfälscht zitiert haben?

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das war ein langer Satz!)


Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205437700
Ich stimme Ihnen zu, daß diese Erklärung für mich sowieso unverständlich ist.

(Heiterkeit beim Bündnis 90/GRÜNE, der SPD und der PDS/Linke Liste)

Das Problem bei der ganzen Geschichte ist, warum Sie, wenn Sie ein Gesetzespaket vorbereiten wollen, dieses trennen. Sie wissen von dem zweiten Gesetz überhaupt noch nicht, ob es einmal wirksam werden kann. Wenn Sie diesen Zusammenhang hier begründet hätten, hätte ich dieses durchaus verstanden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205437800
Der Herr Abgeordnete Krause bittet um die Möglichkeit einer weiteren Frage.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205437900
Bitte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205438000
Herr Abgeordneter Dr. Feige, Sie können versichert sein: Ich habe die Uhr hier angehalten und mache das ganz korrekt. — Nun, Herr Abgeordneter Krause, können Sie Ihre Frage stellen.

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205438100
Herr Kollege Dr. Feige, könnten Sie mir dahin gehend recht geben, daß es in einer verkehrspolitischen Konzeption wichtig ist, kurzfristige und mittelfristige Maßnahmen schrittweise zu planen, um die Folgen des Verkehrsinfarkts in Deutschland in Form einer vernünftigen Rehabilitation zu beseitigen?

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205438200
Ja, ich stimme Ihnen zu, Herr Krause, genau das,

(Heiterkeit beim Bündnis 90/GRÜNE und bei der SPD)

wenn wir die Chance hätten, daß die Bürgerinnen und Bürger, die das wirklich betrifft, frühzeitig an diesen Sachen mitarbeiten könnten. Die fordern ja teilweise Umgehungsstraßen. Wenn wir sie von vornherein mit integrieren, werden Sie überhaupt keinen Widerstand bekommen. Aber Ihr Entwurf verhindert genau dieses; denn er setzt die Beteiligung der Verbände ganz hinten an, auf einen Zeitpunkt, zu dem es viel zu spät ist.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Genau nicht richtig!)

Meine lieben Kollegen, früher in der DDR war es normal, daß zwischen Natur- und Umweltschützern und den Räten der Kreise oder Bezirke praktisch feindliche Beziehungen herrschten. Gerade aus dieser Situation wollten die Bürgerinnen und Bürger in der DDR erst einmal herauskommen. Jetzt werden die neuen Brücken zwischen Verwaltung und Bürgern wieder abgerissen. Ich glaube, bald wird keiner der
Betroffenen mehr den reißenden Strom zum Bundesverkehrsminister überqueren können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kollege Feige, wollen Sie weiter mit der Postkutsche fahren?)

— Ich würde froh sein, wieder mal mit einer Postkutsche fahren zu können.
Die vielzitierte Verträglichkeit des Gesetzes mit EG-Normen — das war auch in der Anhörung sehr deutlich zu hören —, wird sich noch als schwerer Fehler herausstellen; denn Herr di Meana hat bereits deutlich signalisiert, daß für neue Projekte, Autobahnneubau — das ist wirklich keine Altlast mehr — , ein Abweichen von der UVP-Richtlinie nicht hingenommen wird. Ein juristisches Gutachten ist erst in Arbeit. Schon allein das zeigt, daß das, was Sie immer zitiert haben, wahrscheinlich nicht einmal das Papier wert ist, auf das es im Frühjahr geschrieben wurde.
Bündnis 90/DIE GRÜNEN werden dieses Gesetz ablehnen. In unserem Antrag haben wir längst einen besseren Weg vorgeschlagen. Wir fordern von der Bundesregierung, endlich in einem abgestuften Verfahren gemeinsam mit den Bundesländern, den Kommunen sowie den Umwelt- und Naturschutzverbänden das integrierte Verkehrskonzept für die neuen Länder zu erarbeiten und bis zum 31. März 1992 vorzulegen.
Priorität haben dabei die Verkehrsvermeidung und die Verkehrsverlagerung auf die Schiene sowie die Abstimmung der Verkehrsträger untereinander. Der Schutz der natürlichen Lebensbedingungen und -grundlagen muß im Vordergrund stehen. In den ostdeutschen Bundesländern besteht wirklich die Chance, die Fehler der alten Länder zu vermeiden und eine Verkehrsinfrastruktur aufzubauen, die wirtschaftliche und ökologische Aspekte integriert.
Demokratieabbau aber wäre wirklich das letzte, dem wir zustimmen würden.
Der Bundesverkehrsminister und seine Politik erinnern mich an einen Hamster in einem Laufrad: Mal geht es rechts rum, mal zurück, mal ein bißchen schneller, wie es jetzt gerade vorgekommen ist, mal wieder etwas langsamer. Bei den Geschwindigkeitsbegrenzungen sollte er sich vielleicht durchringen. Aber alles bleibt auf der Stelle stehen; es rührt sich absolut nichts. Herr Krause, ich glaube, es wird höchste Zeit, daß Sie aus diesem Laufrad herauskommen. Man kann sonst, glaube ich, leicht den Halt verlieren, sich gar das Genick brechen.
Schönen Dank.

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/ GRÜNE, der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205438300
Nun erteile ich dem Abgeordneten Gibtner das Wort.

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205438400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit niemand die Sorge hat, daß ich hier nur meine Meinung sage oder gar nur die des Bundesverkehrsministers, zitiere ich aus zwei Presseorganen der neuen Bundesländer. „Leipziger Volkszeitung" von vorgestern:



Horst Gibtner
Hier im Osten wächst ein neuer Druck der Straße; denn hier bedeuten neue Straßen und Gleise nicht nur Arbeitsmöglichkeiten und Wirtschaftsentwicklung, sondern ganz schlicht Menschenleben.
Zweites Zitat vom gleichen Tag, „Dresdner Neueste Nachrichten" :
Aus der Sicht der Betroffenen hilft es nun wenig, auf ferne alternative Verkehrskonzepte zu warten. Sie sind wichtig im Interesse unserer Umwelt, der aber jetzt durch das Fehlen durchlaßfähiger Autobahnen, Landstraßen und Ortsumgehungen auch ein erheblicher Schaden zugefügt wird.
Meine Damen und Herren, meine Vorredner haben zu Recht darauf hingewiesen, daß der Zustand der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern eine Ausnahmesituation darstellt. Diese Situation rechtfertigt eine befristete gesetzliche Sonderregelung, um nämlich den Verfassungsauftrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse zügig realisieren zu können. Diesem Anliegen trägt der Gesetzentwurf der Bundesregierung Rechnung.
Die in der öffentlichen Sitzung des Verkehrsausschusses am 30. Oktober befragten Experten haben bestätigt: Er ist verfassungskonform. Die Mehrheit im Verkehrsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen unterstützt das Anliegen der Bundesregierung, den im übrigen Bundesgebiet eingebürgerten vielstufigen Planungsablauf für die neuen Bundesländer auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Dieses Maß wird durch das Grundgesetz und die EGRichtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vorgegeben.
Die beteiligten Ausschüsse setzen sich dafür ein, auf eine verbindliche Vorgabe für die Planungsbehörden der neuen Länder zu verzichten, formelle Raumordnungsverfahren durchführen zu müssen. Dies soll den neuen Ländern freigestellt werden, wie es auch den alten Bundesländern bis zum Ende des vergangenen Jahres freigestellt war. Es dürfte Sie vielleicht interessieren, daß Nordrhein-Westfalen, welches allein so groß ist wie die ganze Ex-DDR zusammen, und auch Schleswig-Holstein bis zum 31. Dezember 1990 auf formelle Raumordnungsverfahren verzichtet haben. Schon das zeigt, daß nicht etwa beabsichtigt ist, in den neuen Bundesländern schlechtere Planungen mit geringerer Bürgerbeteiligung durchzuführen als in der übrigen Bundesrepublik, es geht nur darum, die noch weniger leistungsfähige Verwaltung von entbehrlichem Arbeitsaufwand zu entlasten, um in wesentlich kürzerer Zeit einen wesentlich höheren Arbeitsumfang bewältigen zu können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205438500
Herr Abgeordneter Gibtner, würden Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Feige beantworten?

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205438600
Ja, gern.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205438700
Herr Kollege Gibtner, halten Sie dieses neue Planungsrecht, falls dieses Gesetz durchkommen wird, dann auch für besonders günstig für die Planungsverfahren
in den alten Bundesländern, und halten Sie das geltende Recht für überholt und nicht mehr geeignet?

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205438800
Herr Dr. Feige, ich komme noch dazu; darüber wird der Bundestag zu befinden haben, wenn die Zeit gekommen ist. Ob es nun dieses Gesetz wird, ist nicht entscheidend, aber eine Reform des bestehenden Planungsrechtes halte ich für die ganze Bundesrepublik durchaus für angezeigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205438900
Sind Sie bereit, eine weitere Frage zu beantworten?

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205439000
Ja, bitte.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205439100
Herr Gibtner, glauben Sie auch, daß die, wie ich glaube, mit Verkehrsplanung etwas erfahrenere Bevölkerung in den alten Bundesländern die Akzeptanz für Ihr Vorhaben aufbringen wird?

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205439200
Ich bin davon überzeugt, Herr Dr. Feige. Ich bin auch davon überzeugt, daß wir es schaffen werden, was Sie vorhin in Ihrer Frage gesagt haben: den Zeitraum, bis dieses Beschleunigungsgesetz wirksam wird, in den neuen Bundesländern für die dringendsten Vorhaben mit den Verkehrsmaßnahmegesetzen zu überbrücken.
Meine Damen und Herren, man muß sich wirklich generell die Frage stellen — das ist für heute kein Thema — , ob das Planungsrecht für die alten Bundesländer so komfortabel, um nicht sagen zu müssen, so kompliziert und umständlich ausgestaltet bleiben muß, denn schließlich gilt überall die alte Lebensweisheit: Zeit ist Geld. Deshalb gilt auch der Grundsatz, für die Stellungnahmen von Behörden sowie für die Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen Regelungen zu treffen und Fristen zu setzen, die den Ablauf in der notwendigen, aber auch zusätzlichen Weise beschleunigen. Dies ist nach Auffassung der Mehrheit in den beteiligten Ausschüssen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen.
Es ist mir völlig klar, meine Damen und Herren, daß alle prinzipiellen Gegner des Verkehrswegebaus, die den Bau, wenn sie ihn schon nicht endgültig verhindern können, so doch mit allen Tricks unerträglich zu verzögern suchen, jetzt einige ihrer Felle wegschwimmen sehen und lauthals protestieren. Aber die entscheidende Aussage bleibt: Der Gesetzentwurf ist verfassungskonform und verstößt nicht gegen EG-Recht.
Und noch ein entscheidender Gesichtspunkt: Für die Bürger in den neuen Bundesländern ergibt sich keinerlei Einschränkung von Beteiligungsrechten, sondern ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der Rechtslage in der Ex-DDR. Sie haben erstmalig, unbeschadet des Beschleunigungsgesetzes, meine Damen und Herren, das Recht, sich als Betroffene zur Verkehrswegeplanung und zur Umweltverträglichkeitsprüfung justitiabel zu äußern.
Sie wollen, daß die Eisenbahn bald ein attraktives Verkehrsmittel wird, das künftig nicht mehr auf Strekken aus dem vorigen Jahrhundert halb so schnell wie



Horst Gibtner
das Auto dahinkriechen muß. Sie wollen Mobilität — auch unter Nutzung des eigenen Autos —, aber Sie wollen nicht in kilometerlangen Staus die Umwelt verpesten und ihre Zeit vergeuden. Sie wollen nicht in engen Ortsdurchfahrten der anwohnenden Bevölkerung zur Last fallen oder an den zahlreichen Gefahrenstellen im Straßennetz verunglücken.
Sie wollen eine zügige Wirtschaftsentwicklung, für die eine funktionsfähige Verkehrsinfrastruktur eine der Grundvoraussetzungen darstellt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen nicht mehr länger Menschen zweiter Klasse bleiben. Ich bin davon überzeugt, daß das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz unter Berücksichtigung der von CDU/CSU und FDP eingebrachten Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses dem Willen der Mehrheit der neuen Bundesbürger entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun zu den ebenfalls zur Debatte stehenden Anträgen der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/1118 und der SPD auf Drucksache 12/1328. Der Antrag des Kollegen Dr. Feige und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE trägt die Überschrift „Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern", aber er will eigentlich das Gegenteil erreichen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist aber unchristlich!)

Die Vermeidung überflüssigen Verkehrs ist ein interessantes Ziel. Aber dort, wo bereits jetzt die Verkehrsströme kriechen und überall die Leute in den Startlöchern sitzen, sich in den Stau einzureihen, ist man mit Verkehrsverweigerungsstrategien auf dem Holzweg. Ich fürchte, Herr Dr. Feige, Ihr Holzweg ist äußerst wurmstichig. Der Traum von der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ist ein Wunschtraum. Verkehrsexperten aller Länder sind sich einig, daß es schon gewaltiger Anstrengungen bedarf, wenigstens einen erheblichen Anteil des Verkehrszuwachses auf die Schiene zu lenken und dann dort auch zu bewältigen.
Das Kraftfahrzeug hat sich längst als unentbehrliches Verkehrsmittel erwiesen. Deshalb hat es den Markt erobert. Oder möchten Sie, Herr Dr. Feige, in Wirklichkeit die vorsintflutlichen Zustände der Ex-DDR bewahren? Dies würde allerdings dem Grundgesetz widersprechen, welches uns die Angleichung der Lebensverhältnisse in Auftrag gibt.
Nun einige Bemerkungen zum SPD-Antrag, der die verführerische Überschrift trägt: „Effektive Planungsbeschleunigung im Verkehrswegebau für ganz Deutschland statt einseitigen Rechtsabbaus in den neuen Bundesländern".

(Beifall bei der SPD)

Zu dem unberechtigten Vorwurf des Rechtsabbaus habe ich mich bereits geäußert. Allein dieser Teil der Überschrift beweist, daß es Ihnen nur um totale Verweigerung geht und daß Ihnen dazu auch demagogische Formulierungen gerade recht sind.
Daß Sie der Bundesregierung ausschließlich die Sanierung der vorhandenen Verkehrswege in den neuen Bundesländern empfehlen, kann mich nur wundern. Ich hatte bisher eine ganze Reihe von Ihnen als Verkehrsexperten geschätzt.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205439300
Meine Damen und Herren, Sie nehmen sich selber die Möglichkeit, den Redner zu verstehen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn der Geräuschpegel wieder auf Normalmaß zurückginge.

Horst Gibtner (CDU):
Rede ID: ID1205439400
Ich hoffe, mich mit Hilfe der Technik durchsetzen zu können.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen doch selbst, daß Reichsbahn und Straßenbauverwaltungen die Sanierung als vorrangige Aufgabe längst selbst erkannt haben, mit Hochdruck betreiben und dafür Milliardenbeträge aus dem Verkehrshaushalt und dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost einsetzen. Außerdem wissen Sie, daß die bloße Sanierung bestenfalls den Ausbauzustand der dreißiger Jahre wiederherstellen kann, der die heutigen und die künftigen Verkehrsströme überhaupt nicht bewältigen kann.
Was Sie in Punkt 2 Ihres Antrages an konkreten Vorschlägen zur Reform

(Zuruf von der SPD: Das ist sehr gut!)

des überkomplizierten und überlangen Planungsrechts bzw. der Verwaltungsvorschriften vorbringen, ist allerdings interessant und läßt mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit hoffen,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

auf eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Novellierung des gesamtdeutschen Planungsrechts. Aber Sie wissen selbst, daß Ihr Antrag keine Alternative zum Beschleunigungsgesetz ist, sondern bestenfalls eine Ergänzung.

(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Es ist besser, viel besser!)

Mir tut es leid, daß Sie sich im Hinblick auf das Beschleunigungsgesetz in verzögernder Blockadepolitik geübt haben.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD)

Die SPD-regierten Länder im Bundesrat haben deutlich mehr Verantwortungsbewußtsein gezeigt.

(Zuruf von der FDP: Genau!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Die von der SPD und vom Bündnis 90/GRÜNE vorgelegten Anträge sind schlicht und einfach Ablenkungsmanöver.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein, nein! — Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Sie gehen in die richtige Richtung!)

Sie wurden deshalb von den beteiligten Ausschüssen bereits mehrheitlich abgelehnt. Dies empfehle ich auch dem Plenum.



Horst Gibtner
Ich bitte den Deutschen Bundestag, sich der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz anzuschließen und dieses Gesetz zu verabschieden.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Und der Punkt 2 unseres Antrags?)

Ich danke, daß Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205439500
Nun haben Sie die Möglichkeit, dem Abgeordneten Schütz zuzuhören.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1205439600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gibtner, ich glaube, Sie verstehen uns nicht oder wollen uns nicht verstehen.

(Klaus Daubertshäuser [SPD]: Er kann nicht!)

— Oder er kann uns nicht verstehen. Daran wird es, glaube ich, liegen. Sie bauen hier einen Popanz auf, als wären wir gegen Beschleunigungseffekte, obwohl wir sie ernsthaft einbauen wollen.
Die Absicht des vorliegenden Gesetzes, bei der Planung der Verkehrswege in den neuen Ländern Beschleunigungseffekte zu erreichen, ist vernünftig und von uns immer nachhaltig gefordert worden.

(Beifall bei der SPD — Friedrich Bohl [CDU/ CSU]: Ihr seid doch die Bremser! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Keiner von uns ist gegen diese Absicht zu Felde gezogen. Wir sind darin einig, daß in den neuen Ländern die Bahn- und Wasserwege schleunigst ausgebaut und auch Umgehungsstraßen gebaut werden müssen. Das hat sogar Bündnis 90/GRÜNE gesagt.

(Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Nein, das haben die nicht gesagt, das stimmt nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Eine vernünftige Infrastruktur ist — das wissen wir — Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern, sie ist unerläßlich. Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse auch hinsichtlich der Mobilität wollen wir ebenfalls. Aber wir wollen sie nicht mit diesem Gesetz,

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Ach so, weil es von uns ist, deshalb!)

das einen Rechts- und vor allen Dingen einen Demokratieabbau nach sich zieht; das ist eigentlich der Punkt. Und wir brauchen, Herr Kollege Gibtner, keine Sonderregelung durch Gesetz.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Mit Beschleunigungseffekten setzt man am besten an den Stellen an, an denen bei den Planungen und Realisierungen von Bauvorhaben nach unserer Erfahrung bisher die nachhaltigsten Verzögerungen aufgetreten sind.

(Beifall bei der SPD — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie sollten einmal zuhören, Herr Gibtner!)

Die Anhörungen haben gezeigt, daß es hierfür keine verläßlichen empirischen Daten gibt. Aber keiner von Ihnen kann ernstlich widersprechen, daß die Gründe für die langen Planungsphasen und Zeitverluste in den behördeninternen Vorplanungen und sehr häufig in den schwierigen Abstimmungen der Behörden untereinander und der Behörden mit den Gutachtern gelegen haben. Das muß geändert werden!
Natürlich gibt es auch Verzögerungseffekte durch Öffentlichkeitsbeteiligung und während des Klageverfahrens. Aber diese haben — im Gegensatz zu den internen Verzögerungen — in keiner Weise die gleiche zeitliche Dimension.
Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung selbst belegt. Sie hat eine unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung unter der Leitung von Staatssekretär Waffenschmidt — die Waffenschmidt-Kommission — eingesetzt,

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr gut! Gut zuhören, Herr Gries!)

zwar nicht zu Beschleunigungseffekten beim Bau von Verkehrswegen, aber zu Beschleunigungseffekten bei anderen Verfahren. Diese Vorschläge müssen Sie einmal aufmerksam lesen, damit Sie wissen, wie Sie Beschleunigungseffekte einsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Beschleunigungseffekte haben wir in unsere Vorschläge eingebaut, und sie sind wirksam. Sie liegen auf jeden Fall nicht darin, daß man Bürgerrechte leerlaufen läßt. Unser Antrag zu einer effektiven Planungsbeschleunigung hat all das aufgenommen. Sie sollten das aufmerksam lesen, damit Sie wissen, wie man das erreicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mich nun, meine Damen und Herren, mit der Grundsatzphilosophie des Referentenentwurfs auseinandersetzen, nämlich mit der Philosophie, daß in der Begrenzung von öffentlicher Beteiligung ein entscheidender Beschleunigungseffekt liege. Meine Meinung will ich vorab klar sagen: Eine Beschneidung des Beschleunigungs ... — —

(Heiterkeit)

— Es ist immer schwierig, wenn man als Mann von Beschneidung reden muß; ich sehe das ein. — Also, eine Beschneidung der Öffentlichkeitsbeteiligung können wir nicht zulassen, und sie hat auch keinen Beschleunigungseffekt.
Die Koalitionsparteien beantragen jetzt eine Änderung in der Weise, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren stattfindet. Dies wäre — auch nach dem Referentenentwurf — sowieso der Fall. Zudem wird es den Ländern freigestellt, ein Raumordnungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Dieses jetzt fakultative öffentliche Raumordnungsverfahren dürfen also alle neuen Länder — und nur für diese gilt das Gesetz — anwenden. Diese Länder haben aber anfangs erklärt, sie könnten ein öffentliches Verfahren gar nicht durchführen. Ich kann deshalb jede Wette eingehen, daß von der fakultativen Möglichkeit eines Raumordnungsverfahrens durch die neuen Länder, etwa durch



Dietmar Schütz
die Hereinnahme in die Landesplanungsgesetze, gar kein Gebrauch gemacht wird.
An dieser Einschätzung ändert auch die jüngste Verlautbarung von Frau Schwaetzer nichts, die Landesplanungsgesetze der neuen Länder, soweit sie vorlägen und in Kürze verabschiedet würden, ordneten Raumordnungsverfahren an. Mir sind bisher — trotz Nachfragens — keine bekanntgeworden. Ich frage Sie: Welche Länder sollen das denn sein?

(Klaus Daubertshäuser [SPD]: Das weiß Frau Schwaetzer auch nicht!)

— Das weiß Frau Schwaetzer nicht, und wir hier wissen es auch nicht.
An dieser Einschätzung ändert auch der Entschließungsantrag nichts, den Sie, meine Damen und Herren, im Umweltausschuß eingebracht haben. Sie haben dort geäußert, daß auf die Durchführung von Raumordnungsverfahren mit integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung und mit Beteiligung der Öffentlichkeit in jedem Fall und von vornherein nicht verzichtet werden könne. Diese Formulierung ist das verbalisierte schlechte Gewissen von Kollegen, die vernünftigerweise der Auffassung sind, eine Beteiligung der Öffentlichkeit müsse am Anfang des Verfahrens liegen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das haben Sie im Ausschuß aber nicht gesagt!)

Die Einschätzung, daß solche Öffentlichkeitsverfahren durchgeführt werden, wird von Ihnen offensichtlich nur so weit vertreten, daß Sie dies hier fordern; in den Ländern wird dies aber nicht durchgeführt.

(Beifall bei der SPD)

Wir können nicht nur in Sonntagsreden propagieren, daß Demokratie vom Prinzip Öffentlichkeit lebt, sondern müssen es in unseren Gesetzen auch absichern, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Die frühzeitige Bürgerbeteiligung in den Verfahrensrechten ist ein erst jüngst erworbenes Recht der Bürger und der Umweltverbände. Es kann nicht angehen, daß wir die Erfahrungen und Einsichten, die zur rechtlichen Absicherung dieses Bürgerrechts führten, bei der ersten umfangreichen Anwendung für das Gebiet der ehemaligen DDR wieder über Bord werfen. Das entscheidende Motiv für die demokratische Revolution in der DDR war doch, daß die Bürger die Ausgrenzung von der Mitgestaltung ihrer ureigenen Angelegenheiten und die Geheimhaltung von staatlichen Maßnahmen aufgebrochen und aktive Bürgerbeteiligung für sich eingefordert haben.

(Beifall bei dem Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Die werden doch gar nicht in Frage gestellt!)

Den Bürgern, die damals in Organisationen wie Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, Neues Forum und den später im Bündnis 90 aufgegangenen
anderen Gruppen für mehr Glasnost — sprich: Transparenz— kämpften, muß es wie Hohn vorkommen

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Bauen Sie doch keinen Popanz auf!)

wenn wir jetzt fast ausschließlich für das Gebiet der ehemaligen DDR Teile der von uns erkämpften Mitwirkungs- und Bürgerbeteiligungsrechte nicht mehr zwingend anwenden wollen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Tun Sie doch nicht so, als ob das verweigert würde!)

Rechte, die wir uns im Gebiet der alten Bundesrepublik natürlich und selbstverständlich nehmen.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die es bei uns noch nie gegeben hat!)

— Umgekehrt, Herr Fischer, wird eher ein Schuh daraus. Weil die Bürgerbeteiligungsrechte so lange unterdrückt waren,

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen oder wo?)

müssen die Bürger und die Umweltverbände in der ehemaligen DDR an die Mitwirkung bei Planungen herangeführt werden.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Für sie gilt doch erst recht unsere Argumentation, daß Planungen und deren Umsetzung höhere Akzeptanz erhalten, wenn sie von Anfang an zusammen mit den Bürgern gemacht werden.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Warum soll, meine Damen und Herren von der CDU, nach der Vereinigung plötzlich falsch sein, was noch im September 1989 auf dem CDU-Parteitag in Bremen als richtig erachtet und beschlossen wurde, nämlich — so die CDU wörtlich in ihrem Programm — :
Die CDU setzt sich für die verstärkte Einbindung des Sachverstandes der Umweltverbände ein. Die Einbeziehung muß so früh wie möglich erfolgen, so daß eine Offenheit der Entscheidungen noch gegeben ist und damit die Genehmigungsverfahren nicht verlängert werden.
Warum lassen Sie diese richtige Erkenntnis vom Verkehrsminister, der diesen Entwurf vorgelegt hat, wieder wegschweißen?
Die FDP hat durch ihren Vorsitzenden Graf Lambsdorff noch am 16. September 1991 an den BUND geschrieben, daß sich die FDP-Fraktion vor allem für ein obligatorisches Raumordnungsverfahren parallel zum Linienbestimmungsverfahren einsetze. Damit würden auch die Umweltverträglichkeit und die Beteiligung der Verbände an diesem Verfahrensabschnitt erhalten. Insofern schließe sich die FDP dem Votum des Bundesrates an.
Der Bundesrat hat die Streichung des § 2 Abs. 2 beantragt und dadurch die zwingende Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und eines Raumordnungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung als wirksam festschreiben wollen. Dem sollten



Dietmar Schütz
wir jetzt folgen. Die Reden von CDU/CSU und FDP nützen uns wenig, wenn Sie auf Parteitagen und in Briefen an BUND das eine sagen und in Ihren Gesetzen das andere formulieren. Sie sollten jetzt Ihr Gesetz mit der zwingenden Öffentlichkeitsbeteiligung verabschieden.

(Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Das ist ein Widerspruch, den es nicht gibt!)

— Das ist ein Widerspruch, den es gibt. Sie haben keinen Zwang zum Raumordnungsverfahren vorgesehen, und die Länder werden es nicht machen.

(Horst Gibtner [CDU/CSU]: Das heißt nichts anderes, als daß die Umweltverträglichkeitsprüfung — —)

— Nehmen Sie, Herr Gibtner, die Wette an, ob Sie es tun oder nicht tun. Ich biete Ihnen diese Wette hier an.
Wir dürfen hier nicht nach der Parole verfahren: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!
Die sogleich einsetzende Abstimmung läßt sich nicht mehr aufhalten. Das Kind fällt in den Brunnen. Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung wird nicht durchgesetzt.

(Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Ach was!)

Die Philosophie, auf Grund vermeintlicher Verzögerung auf frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu verzichten, ist — lassen Sie mich das abschließend feststellen — falsch. In den neuen Ländern müssen die Grundsätze von Öffentlichkeit und Teilnahme der Bürger überall Geltung haben, wenn wir unsere neuen Mitbürger ernst nehmen. Demokratieabbau können wir nicht akzeptieren.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205439700
Damit sind wir am Ende der Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zu der angekündigten Abstimmung. Es handelt sich um die Drucksachen 12/1092 und 12/1474.
Ich rufe die §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur
dritten Beratung
und treten in die Schlußabstimmung ein.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer das Gegenteil kundtun will, den bitte ich, sich zu erheben.
— Das Gesetz ist mit derselben Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung, den Antrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1118 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist anderer Meinung? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP die Beschlußempfehlung angenommen.
Unter der Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß für Verkehr die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen den Rest des Hauses angenommen.
Wir stimmen noch über den Antrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/1328 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist dieser Antrag abgelehnt.
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt. Ich rufe den Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung
— Drucksache 12/921 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor.

(Unruhe)

Trotz der Unruhe im Haus frage ich, ob das Haus damit einverstanden ist. — Da sich kein Widerspruch erhebt, stelle ich dies als beschlossen fest.

(Anhaltende Unruhe)

Bevor ich der Frau Abgeordneten Dr. Hartenstein das Wort erteile, möchte ich diejenigen, die den Saal verlassen wollen, bitten, dies möglichst schnell zu tun. Denn nach der jetzigen Planung nähert sich das Ende der heutigen Sitzung erst um 23 Uhr; das ist für das Personal und auch für das Präsidium eine leichte Zumutung. Deswegen bitte ich, nicht durch allzu langes Verweilen im Saal den Betrieb aufzuhalten.
Ich glaube, Frau Dr. Hartenstein, jetzt kann ich Ihnen das Wort geben.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1205439800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch um die Jahrhundertwende bestanden 40 % der gesamten Waldfläche der Erde aus tropischen Regenwäldern. Heute ist bereits die Hälfte davon unwiederbringlich zerstört. Der größte Teil wurde in den letzten 20 bis 30 Jahren vernichtet. Prognosen besagen, daß



Dr. Liesel Hartenstein
dann, wenn sich der gegenwärtige Vernichtungstrend fortsetzt, im Jahr 2000 nur noch kümmerliche Reste übrigbleiben werden. Schon 1989 haben Fachleute vorausgesagt, daß z. B. die Regenwälder der Philippinen in zehn Jahren und die Malaysias innerhalb von acht Jahren abgeholzt sein werden. Leider ist dieses düstere Bild nicht nur für Südostasien typisch, es gilt auch für Afrika und sogar für Lateinamerika.
Im Amazonas-Gebiet hat der Forschungssatellit NOAA-11 in diesem Sommer bis zu 80 000 Brandstellen pro Woche registriert.
In einer Studie der FAO ist vor kurzem festgestellt worden, daß allein im Jahr 1991 eine Tropenwaldfläche zerstört worden ist, die so groß ist wie Österreich und die Niederlande zusammen.
Meine Damen und Herren, diesem Wahnsinnsraubbau muß schnellstens ein Ende gesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen von allen Seiten, waren sich in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" alle Wissenschaftler und alle Parlamentarier einig, und darüber war sich auch der Deutsche Bundestag einig. Am 26. Oktober 1990 hat er eine Beschlußempfehlung angenommen, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, „schnell und gezielt" — so wörtlich — auf nationaler und internationaler Ebene Maßnahmen zu ergreifen, die der Tropenwaldvernichtung Einhalt gebieten.

(Maus Harries [CDU/CSU]: Wir sind dabei!)

— Wenn man heute, lieber Kollege Harries, also ein Jahr später, die Frage stellt, was denn in der Zwischenzeit geschehen sei, dann lautet die Antwort leider: Herzlich wenig, so gut wie nichts. Das ist blamabel und kann nicht hingenommen werden.
Daß die Bundesregierung mit fast allen Aufträgen im Verzug ist, kann ich an wenigen Beispielen dokumentieren.
Erstens. Noch immer liegt kein Aktionsprogramm zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei Waldschutzmaßnahmen vor. Dieses Programm hätte u. a. Initiativen für bilaterale Modellprojekte zum Tropenwaldschutz, für Aufforstungsprogramme, für die Einrichtung von Naturreservaten und ähnliches enthalten können. Der Verabschiedungstermin war übrigens der 30. November 1990. Ich frage: Wo bleibt dieses Aktionsprogramm? Vielleicht bekommen wir darauf heute eine Antwort.
Zweitens. Es fehlen die ebenso dringend geforderten Initiativen auf EG-Ebene, um z. B. den Transfer umweltfreundlicher Technologien bei der Energieversorgung, insbesondere bei der Nutzung der Solarenergie, voranzubringen, um die EG-Finanzmittel zur Tropenwalderhaltung zu erhöhen und eine schärfere Prüfung der Umweltverträglichkeit der Projekte der Europäischen Gemeinschaft durchzusetzen, übrigens auch deshalb, um die Lebensrechte der indianischen Bevölkerung besser zu schützen. Diese Forderungen dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden.

(Beifall bei der SPD)

Ein drittes Beispiel. Noch immer beteiligt sich die Bundesregierung an der Finanzierung der waldzerstörerischen Tropenforstwirtschaftsaktionspläne der FAO. Das ist besonders bedauerlich; denn dabei wird der größte Teil der Gelder für die industrielle Nutzung der tropischen Wälder verwendet. Das ist unverantwortlich.
Erst kürzlich hat die EKD in ihrer Studie — Fallbeispiel: Amazonen — darauf hingewiesen, daß Kolumbien zwar einerseits eine beispielhafte Schutzpolitik für die Wälder und auch für die indigenen Bevölkerungsgruppen betreibe, andererseits aber die Realisierung eines Tropenforstwirtschaftsaktionsplans in Aussicht genommen habe, der die übrigen Waldgebiete am Amazonas der Industrialisierung preisgeben würde.
Der Bundestagsbeschluß fordert eindeutig, daß die Tropenforstwirtschaftsaktionspläne in Tropenwaldschutzpläne umzuwandeln seien und daß sich die Bundesregierung energisch für eine gründliche Reform einzusetzen habe. Der Abfluß der Finanzmittel — das steht in Ihrem eigenen Antrag, Herr Kollege Schmidbauer — sei an die Bedingung zu knüpfen, daß die bereits bestehenden oder in Planung befindlichen Tropenforstwirtschaftsaktionspläne so reformiert würden, daß der Schutzgedanke Priorität erhalte. Bisher werden in der Regel nur 8 % der Finanzmittel für Schutzzwecke verwendet. Ich frage Sie: Wo bleiben denn die energischen Schritte der Bundesregierung zur Durchsetzung dieser Reform?
Ein viertes Beispiel. Weit und breit ist nicht zu erkennen, welche neuen und wirksamen Initiativen zum Schuldenabbau unternommen worden sind, gerade bei den Tropenwaldländern. Diese Initiativen sollten laut Parlamentsbeschluß bis hin zum Schuldenerlaß gehen. Im Gegenteil, wenn Pressemeldungen zutreffen, dann hat ausgerechnet Bundesfinanzminister Waigel jüngst zusammen mit dem britischen Finanzminister einen Vorschlag der EG-Kommission für einen Schuldenerlaß der AKP-Länder gegenüber der EG abgeblockt. Ein rascher Schuldenabbau ist jedoch gerade für die ärmsten Tropenländer lebensnotwendig, denn der Zwang zur Devisenerwirtschaftung führt in vielen Tropenländern unmittelbar zur Regenwaldzerstörung. Nicht zufällig gehören ja die fünf wichtigsten Tropenwaldländer auch zu den größten Schuldnerländern dieser Erde. Hier muß gehandelt werden.
Übrigens ist es nicht uninteressant, daß diese Forderung nach einem großzügigen Schuldenerlaß zugunsten der armen Länder auch von der Jungen Union unterstützt wird,

(Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik: Sehr gut!)

beispielsweise neulich auf ihrem Deutschlandtag in Trier. Nehmen Sie sich das einmal zu Herzen, Herr Repnik!

(Zuruf von der CDU/CSU: Der war ja da!)

Meine Damen und Herren, die Latte der größtenteils nicht erfüllten Anforderungen ist 20 Punkte lang. Kein Wunder, daß exakt die Erfüllung des Punktes 20 auch noch aussteht, nämlich die Vorlage eines Berichts, in dem die Bundesregierung Auskunft darüber



Dr. Liesel Hartenstein
geben soll, welche Maßnahmen sie auf internationaler, EG-weiter und nationaler Ebene ergriffen hat und wie weit die Empfehlungen der Enquete-Kommission umgesetzt wurden. Dieser Bericht ist überfällig. Er hätte bereits bis zum 1. März 1991 vorliegen müssen. Aber wo nichts geschehen ist, gibt es natürlich auch schlecht etwas zu berichten. Wir fordern Sie auf, diesen Bericht nun endlich bis zum 1. Dezember dieses Jahres vorzulegen. Insoweit muß übrigens das Datum in unserem Antrag unter Nr. 1 geändert werden.
In auffallendem Gegensatz zu den nicht gemachten Hausaufgaben steht die Aktivität der Bundesregierung, voran auch des Bundeskanzlers, auf dem internationalen Parkett. Es trifft zu: hier hat die Bundesrepublik als erstes und einziges Land einen Vorstoß unternommen

(Zuruf des Abg. Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU])

und ein Pilotprogramm für Brasilien bereitgestellt, das zum Schutz der Amazonaswälder eingesetzt werden soll. Diese Initiative ist begrüßenswert und verdient Anerkennung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Allerdings sind ein paar dicke Fragezeichen zu setzen.

(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Immer noch? — Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

Denn es zeigt sich immer mehr, daß die Rahmenbedingungen bei der Umsetzung dieses Projekts alles andere als optimal sind. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung intensiv dafür verwenden würde, daß diese Rahmenbedingungen besser gestaltet würden. Bisher finden die Planungen fast ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt. Ein offener Dialog mit den Betroffenen — eine unerläßliche Voraussetzung für das Gelingen des Projekts — wird nicht geführt. Es sind keine Initiativen zur Wahrung der Rechte der Indianervölker Amazoniens ergriffen worden. Auch eine Einbeziehung der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen, erfolgt nicht, wie sie die zahlreichen Umweltverbände dringend fordern.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, geht gleichzeitig die wirtschaftliche Ausbeutung der amazonischen Regenwälder unvermindert weiter, auch unter Beteiligung deutscher Firmen. Hier wäre auf eine rasche Änderung zu drängen. Hier läge eine wichtige Aufgabe, eine wichtigere jedenfalls als das ständige, zugegebenermaßen öffentlichkeitswirksame Vorzeigen des Brasilien-Projekts.
Es ist unter diesen Bedingungen nicht verwunderlich, daß bisher erst, wenn die Informationen stimmen, knapp zwei Fünftel der Finanzmittel abgeflossen sind und nicht eindeutig klar ist, ob und inwieweit sie wirklich zum Tropenwaldschutz verwendet werden.
Meine Damen und Herren, wir bedauern — und ich denke, wir bedauern alle —, daß das von der Enquete-Kommission vorgeschlagene Sofortprogramm der sieben größten Industrienationen in Höhe von 750 Millionen DM, das einen exemplarischen Durchbruch hätte bewirken können, sowohl bei dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston 1990 als auch bei dem diesjährigen in London gescheitert ist. Damit haben die sieben reichsten Länder die Chance vertan, den Willen zur gemeinsamen Verantwortung zu dokumentieren und mit gutem Beispiel zur Rettung dieses Ökosystems voranzugehen. Aber um so dringlicher sind nunmehr bilaterale und EG-weite Maßnahmen sowie der Abschluß einer internationalen Klimakonvention und einer Waldkonvention auf der UN-Konferenz 1992 in Brasilien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man braucht die Situation nicht zu dramatisieren — sie ist dramatisch. Minute für Minute verschwinden 38 ha Tropenwald. Die Zerstörung führt nicht nur zu erheblichen Klimaauswirkungen, sondern auch zu schweren sozialen, ökonomischen und ökologischen Schäden. Regionale Klimaveränderungen sind bereits heute spürbar. Je nach Region nehmen die Niederschlagsmengen um bis zu 30 % ab. Die Trockenzeiten verlängern sich, die Gefahr von Waldbränden wächst, die Trinkwasserversorgung ist teilweise nicht mehr gewährleistet, z. B. in Teilen Indiens.
Die tropischen Wälder beherbergen 50 bis 70 To aller Tier- und Pflanzenarten. Einige Wissenschaftler sprechen sogar von 90 %. Aber jede Stunde wird eine Art ausgerottet. Ich frage: Wie lang wollen wir uns das noch leisten? Hier geht ein riesiges genetisches Potential unwiederbringlich verloren. Wir bräuchten es dringend, z. B. für Nachzüchtungen von Kulturpflanzen, zur Gewinnung von Substanzen für Arzneimittel, für neue Werkstoffe usw. Wir verwüsten die Vorratskammern der Erde, bevor wir überhaupt erkundet haben, was sie enthalten. Das ist ein Frevel am Lebensrecht der kommenden Generationen.
Von der UNESCO wurden die Tropenwälder als gemeinsames Erbe der Menschheit eingestuft. Ihre Rettung ist daher eine Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. Wenn die Chancen jetzt nicht genutzt werden, dann sind sie später auch durch die ehrgeizigsten Aufforstungsprogramme nicht mehr zurückzuholen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Deshalb muß alles getan werden, um eine schnelle Eindämmung der Vernichtungsrate zu erreichen und um die Ursachen für die Tropenwaldzerstörung wenn nicht zu beseitigen, so doch wenigstens zu mindern.
Diese Ursachen liegen aber zu einem nicht geringen Teil auch im Verhalten der Industrieländer; denn die meisten der industriellen Großprojekte, z. B. der Bau von Riesenstaudämmen, große Straßenbauvorhaben, Bergbauprojekte, werden erst durch die Bereitstellung von Krediten der Weltbank und der internationalen Entwicklungsbanken möglich gemacht. Wir finanzieren vermeintlichen Fortschritt und fragen zu wenig danach, wem er eigentlich zugute kommt. Auch bei diesen Kreditzusagen müssen neue Entscheidungsrichtlinien gefunden werden. Wir wecken Hoffnung auf Wohlstand und haben in Wahrheit einen Teufelskreis in Gang gesetzt, der die meisten DritteWelt-Länder in Verschuldung, in noch tiefere Armut und Verwüstung ihrer Lebensgrundlagen führt.
Grundsätzlich ist festzuhalten, daß — erstens — die Industrieländer als Hauptverursacher der Klimaveränderungen auch den Hauptteil der Finanzmittel zur Rettung des Tropenwaldes aufbringen müssen. Dazu



Dr. Liesel Hartenstein
sollte entweder ein spezieller Tropenwaldfonds oder aber ein allgemeiner Umweltfonds bei den Vereinten Nationen eingerichtet werden. Es ist auch festzuhalten, daß die Industrieländer größere Anstrengungen zur Erhaltung ihrer eigenen Wälder unternehmen müssen; sonst verlieren wir die moralische Basis, anderen Forderungen zu stellen.
Ferner, denke ich, bleiben wir dabei, daß der baldigen Lösung der Schuldenkrise eine Schlüsselfunktion für die Tropenwalderhaltung zukommt.
Schließlich ist eine Neuorientierung unserer gesamten Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik sowie unserer Energie- und Agrarpolitik unerläßlich; denn lange genug sind ökologische und soziale Aspekte vernachlässigt worden.
Lassen Sie mich zum Schluß aus gegebenem Anlaß ein Wort zu den Praktiken des internationalen Tropenholzhandels sagen. Es wird immer wieder mit getürkten Zahlen die Mär verbreitet, der kommerzielle Holzeinschlag trage nicht oder nur unerheblich zur Tropenwaldvernichtung bei, weil — so sagt man —86 % der Tropenholzes als Brennholz und nur 14 % als Nutzholz verwendet würden. Dabei unterschlägt man, daß der allergrößte Teil des Brennholzes eben nicht aus Regenwäldern, also aus Primärwäldern, stammt, sondern aus Trockenwäldern und Buschsavannen, wo das Holz gesammelt wird. Man unterschlägt ferner, daß gerade der kommerzielle Holzeinschlag durch den Bau von Wegenetzen den Primärwald aufreißt und dadurch landlose Siedler eindringen können. Man unterschlägt auch, daß beim Fällen und Abtransport großer Stämme ein Vielfaches des tatsächlich genutzten Holzes zerstört wird. Zurück bleiben verwüstete Flächen, deren Böden der Erosion preisgegeben sind. Es kann von einer nachhaltigen und umweltschonenden Bewirtschaftung, für die sich Bundeswirtschaftsminister Möllemann kürzlich in einem Brief an die Initiative „Rettet den Regenwald" eingesetzt hat, überhaupt keine Rede sein. Deshalb fordern wir ein Importverbot für Tropenhölzer aus Primärwäldern und eine klare Kennzeichnung für Importe aus Sekundärwäldern. Wir fordern dies übrigens in Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Europäischen Parlaments.
Wenn wir fortfahren, Fensterrahmen, Türen, Parkettböden, Wandverkleidungen samt Parkbänken und Frühstücksbrettchen aus tropischen Hölzern zu kaufen, machen wir uns unmittelbar mitschuldig an der Vernichtung des Regenwaldes. Deshalb verdienen die vierhundert Städte und Gemeinden in unserem Lande große Anerkennung, die durch Beschluß einen Verzicht auf Tropenhölzer im gesamten öffentlichen Bereich durchgesetzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist mir bewußt, meine Damen und Herren, daß wir sowohl in der Enquete-Kommission als auch im Parlament verschiedene Schwerpunkte setzen und verschiedene Wege vorgeschlagen haben. Das ist aber nicht der Kernpunkt. Der Kernpunkt ist, daß überhaupt gehandelt wird und daß schnell gehandelt wird. Dazu fordern wir die Bundesregierung auf. Ein weiteres Verzögern ist nicht zu verantworten.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205439900
Nun erteile ich dem Abgeordneten Kampeter das Wort.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt haben Sie es schwer, Frau Hartenstein hat Maßstäbe gesetzt!)


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1205440000
Herr Präsident, wieso habe ich nur fünf Minuten Redezeit? Ich soll sechs Minuten reden.

(Heiterkeit — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er fängt schon an zu feilschen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205440100
Wenn Sie einen Moment nachdenken würden, dann würden sie feststellen: Die fünfte Minute läuft jetzt ganz durch, so daß es in der Addition sechs sind.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1205440200
Herr Präsident, ehrfurchtsvoll verneige ich mich vor Ihnen. Als junger Parlamentarier habe ich das nicht gewußt. Ich lerne aber gerne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205440300
Sehen Sie, auf diese Weise werden Sie heute abend zu später Stunde noch etwas schlauer. Dies geht aber auf Kosten Ihrer Redezeit.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1205440400
Das weiß ich; deswegen fange ich jetzt auch an und sage: Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hartenstein hat vorhin die richtungweisenden Beschlüsse des Deutschlandtages der Jungen Union von der vergangenen Woche angeführt. Ich danke, daß selbst die Opposition schon die Jugendorganisation der großen deutschen Volkspartei hier zitiert.
Zwei Dinge hierzu: Der Staatssekretär aus dem Entwicklungshilfeministerium war anwesend und von daher maßgeblich inhaltlich an der Vorbereitung dieser Beschlüsse beteiligt.

(Zuruf des Abg. Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Zum zweiten wünsche ich Ihnen, daß der Bundeskanzler einmal die Beschlüsse der Jungsozialisten als so richtungweisend wie die Beschlüsse der Jungen Union charakterisieren könnte. — Aber die Junge Union ist sicherlich nicht die einzige Organisation, die sich mit dem Tropenwald beschäftigt.
Vor einigen Wochen durfte ich eine von Schülern der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule in Minden initiierte Ausstellung über die Vernichtung der Tropenwälder eröffnen. Schon bei Schülern ist das Bewußtsein für dieses Thema derart stark, daß die Fragen in der Diskussion außerordentlich sachkundig und schon sehr kritisch waren. Dies zeigt: Dieses Thema berührt Menschen aller Altersstufen zutiefst.
Nicht nur deshalb haben die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion in diesem Bereich Druck gemacht und waren zumeist die ersten, die auf internationaler Ebene Ideen, Perspektiven und konkrete Vorschläge entwickelt haben.
Ganz besonders möchte ich die Bemühungen des Bundeskanzlers hervorheben, der dieses Thema mit



Steffen Kampeter
großem Engagement auf die Tagesordnung der Weltwirtschaftsgipfel gesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der ist nicht da!)

— Herr Kollege Schäfer, wenn Ihre kontinuierlichen Zwischenrufe auf eine Zwischenfrage deuten, müssen Sie sich, wenn ich das richtig sehe, an den Präsidenten wenden. Ansonsten würde ich mich freuen, wenn ich ein bißchen weiter vortragen könnte.
Die Partnerländer sollen weiterhin für ein Sofortprogramm in Höhe von 750 Millionen DM gewonnen werden. Wir haben uns bereit erklärt, unseren Beitrag von allein 250 Millionen DM schon jetzt bereitzustellen. Auch der Bundeskanzler wird sich als der zukünftige Präsident der G-7-Länder dafür einsetzen, sinnvolle Soforthilfe für den Schutz der tropischen Regenwälder durch die Industrienationen zu leisten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205440500
Herr Abgeordneter Kampeter, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Schäfer zu beantworten?

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1205440600
Aber selbstverständlich.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205440700
Ich rechne Ihnen das nicht an; auch das ist in Ordnung. Bitte schön.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1205440800
Herr Kollege, da sie mich liebenswürdigerweise gebeten haben, will ich aus Respekt vor Ihnen der Bitte nachkommen.
Wie erklären Sie sich denn die Tatsache, daß trotz der in der Tat auch aus meiner Sicht guten Beschlüsse der Jungen Union, was die Notwendigkeit der Steigerung der Entwicklungshilfemittel angeht, die Leistungen der Bundesrepublik für die Entwicklungshilfe in den letzten Jahren zurückgehen und, was die Verpflichtungsermächtigungen angeht, weiter zurückgegangen sind?

(Michaela Geiger [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr!)

— Doch, gemessen am Anteil am BSP. — Bitte schön, Sie sollen die Frage beantworten können.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1205440900
Herr Kollege Schäfer, selbstverständlich will ich das gerne machen. Da ich als Umweltpolitiker spreche, will ich mich gerne auf meinen Bundesumweltminister beziehen, der als saarländischer Landesvorsitzender die Einhaltung des Anteils der Entwicklungshilfe am BSP in Höhe von 0,7 % für die nächsten Jahre als Perspektive eingefordert hat. Ich sehe eigentlich kein Hindernis, daß wir gemeinsam im Deutschen Bundestag bei den Haushaltsberatungen die entsprechenden Mittel werden bereitstellen können.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wir rufen dann Ihre Zustimmung ab!)

— Ich habe da wenig Sorge. Aber jetzt wollen wir erst einmal über die Umweltzusammenhänge und den Tropenwald sprechen.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wenn über den Schutz der Tropenwälder diskutiert wird, taucht häufig die Forderung nach einem generellen Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer auf. Dieser sei angeblich die Grundvoraussetzung zur Lösung auch der Entwicklungsprobleme. Dabei werden jedoch gerne die schwerwiegenden Nachteile einer solchen Scheinlösung vernachlässigt.
Ein genereller Schuldenerlaß ist ungerecht gegenüber Ländern, die sich in der Vergangenheit unter großen Opfern bemüht haben, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Ineffiziente und damit zumeist auch umweltschädigende Regime werden durch die vermeintliche Wohltat Schuldenerlaß ermuntert, ihre Mißwirtschaft fortzuführen. Ein Schuldenerlaß wird bei den betroffenen Ländern nur dann zu direktem und wirksamem Einfluß auf den Schutz des Regenwaldes führen, wenn er eindeutig an Gegenleistungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes gekoppelt ist.
Bei der konkreten Ausgestaltung der Idee Schuldentausch gegen Umweltschutz müssen auch unkonventionelle Wege gegangen werden. So könnten auch internationale Umweltschutzorganisationen in diese Maßnahmen integriert werden. Die Bundesregierung sollte daher vorurteilsfrei prüfen, in welcher Weise sich solche Maßnahmen, die allen dienen, der Umwelt, den verschuldeten Ländern und den Gläubigern, unterstützen lassen.
Viele der Tropenwaldstaaten benötigen unsere Unterstützung nicht nur für Umweltschutzmaßnahmen. Die Industrienationen müssen sich endlich dazu durchringen, den Welthandel umfassender zu liberalisieren und den Protektionismus auf allen Ebenen zu beseitigen. Gerade was den Handel mit Agrarprodukten angeht, tun die Industrienationen vielen Tropenwaldstaaten großes Unrecht, indem durch Abschöpfung, Subventionen und nichttarifäre Handelshemmnisse die Konkurrenzfähigkeit für die Produkte dieser Länder künstlich behindert wird.
Als wichtigem Partner im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit kommt der Weltbank eine wesentliche Rolle zu. So hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Franzosen bereits 1989 die Initiative zur Schaffung eines neuen Finanzierungsinstruments der globalen Umweltfazilität in Höhe von 2,2 Milliarden DM zur Bekämpfung des Treibhauseffektes und zum Schutz der Artenvielfalt bereitgestellt. Herr Kollege Rieder wird zu den Fragen der Arten gleich noch umfassend Stellung nehmen.
Ich möchte noch einiges zu den Strukturanpassungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds sagen. Sie müssen aus meiner Sicht unter dem Stichwort „Grüne Konditionalität" fortentwickelt werden. Der Währungsfonds war in der Vergangenheit oft der Kritik auf Grund seiner Strukturanpassungsprogramme ausgesetzt. Wir werden aber zukünftig beim IWF unter ökologischen Gesichtspunkten nicht umhinkommen, Aspekte wie Energieentwicklung, Rolle des ländlichen Raumes oder die Politik für die Forstwirtschaft bei der Konditionalität zu berücksichtigen.
Experten schätzen allein die jährlichen fiskalischen Verluste wegen falscher ökonomischer Anreize in tropenwaldbewirtschaftenden Ländern wie Brasilien



Steffen Kampeter
oder Indonesien auf über 1,5 Milliarden DM. Wir können den Währungsfonds diesen ökologischen Schaden nicht dauerhaft finanzieren lassen.
Da die rote Lampe leuchtet, möchte ich Sie abschließend bitten, die entschlossene Politik der Bundesregierung zum Erhalt der tropischen Regenwälder auch auf außenwirtschaftlichem und ökologischem Gebiet zu unterstützen. Dies sollten wir vor allem für die Generation der heutigen Schülerschaft tun, die sich auch in Ihrem Heimatkreis sicherlich sehr, sehr dafür interessiert.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205441000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Sehn.

Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1205441100
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jährlich geht nach einer niedrig angesetzten Schätzung der FAO eine Fläche von 16,8 Millionen Hektar tropischen Regenwaldes unwiederbringlich verloren. Aber können wir das Ausmaß dieser Zerstörung wirklich erfassen? Beschränken wir uns nicht vielmehr darauf, solche Zahlen zu registrieren, ohne uns über die Dimensionen wirklich im klaren zu sein? — Die Fläche von 16,8 Millionen Hektar entspricht in etwa den Territorien der Niederlande, Dänemarks und Österreichs zusammen. In weniger als einem Tag wird in den Tropen beispielsweise eine Fläche Regenwalds zerstört, die der Größenordnung der Stadt Köln entspricht.
Daß die ökologischen Folgen des zerstörerischen Umganges mit der Natur in den Ländern der Dritten Welt nicht nur regionaler Art sein werden, haben wir in der Bundesrepublik Deutschland bereits deutlich vor Augen gehabt, ohne allerdings einen direkten Bezug zur Zerstörung der Vegetation in den Ländern der Dritten Welt herzustellen.
Im Frühjahr 1989 — manche von Ihnen, meine Damen und Herren, erinnern sich vielleicht — bemerkten erstmals viele Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen Sand auf ihren Autos, Sand, der durch den Wind aus Westafrika in die Bundesrepublik Deutschland getragen worden war. Wir haben dies als schönes Naturereignis zur Kenntnis genommen, ohne jeodch nach den Ursachen zu fragen.
Die extreme Brennholzknappheit und die Übernutzung der Ressourcen in den trockenen Tropen Westafrikas führen zur Zerstörung der Vegetation, zum Absinken des Wasserspiegels und schließlich zur Austrocknung der Böden. Der Boden ist der Winderosion ungeschützt ausgesetzt. Auf diese Weise gehen allein in Westafrika jährlich 400 bis 600 Millionen t fruchtbaren Oberbodens unwiederbringlich für diese Region verloren. Je nach Klimaverhältnissen gelangen davon 10 Millionen t nach Europa und werden von uns staunend, vielleicht auch ärgerlich als Schmutz auf unseren gepflegten Autos bemerkt.
Die Wälder haben wichtige Funktionen für den Bodenschutz, für die Klimaentwicklung, den Wasserhaushalt und dienen als Lebensraum für die Hälfte aller bekannten rund 5 Millionen Lebensarten auf unserer Erde. Durch Abholzen, Überschwemmen und
Brandroden wurde bereits ein großer Teil dieser Arten vernichtet.
Scheinbare Patentlösungen wie die Forderung nach einem Importverbot für tropische Hölzer sind angesichts der geringen Abnahme von nur 3 % durch die Bundesrepublik Deutschland keinesfalls geeignet, der Tropenwaldzerstörung wirkungsvoll zu begegnen. Dies würde nur zu einer intensiveren Umwandlung des Tropenwaldes in landwirtschafliche Nutzflächen führen und zusätzlich den Dialog mit den Tropenwaldländern massiv beeinträchtigen.
Ohne die Bereitschaft der Tropenwaldländer zum Dialog und zu einer aktiven Beteiligung an der Realisierung von Schutzmaßnahmen sind alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Der ablehnenden Haltung gegenüber einer internationalen Zusammenarbeit vor allem in den Provinzen muß durch Aufklärung und Einbindung der dort lebenden Bevölkerung unter Berücksichtigung ihres traditionellen Wissens entgegengewirkt werden. Das häufig kritisierte Tropenwaldaktionsprogramm soll diese Möglichkeiten schaffen. Es kann aber nur dann effektiv sein, wenn es konzeptionell weiterentwickelt und auch stärker durch die Tropenwaldländer selbst geprägt wird.
Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" hat in ihrem zweiten Bericht eine umfassende Sachstandsaufnahme und sinnvolle Empfehlung zum Schutz der tropischen Wälder erarbeitet. Es ist nun Aufgabe der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag zu berichten, welche dieser Empfehlungen auf nationaler, EG-weiter und internationaler Ebene umgesetzt worden sind bzw. in naher Zukunft umgesetzt werden. Dabei interessiert besonders, welche Initiativen zum Schutz der Tropenwälder im Rahmen des UN-Umweltprogrammes in Angriff genommen worden sind und wie der Verhandlungsstand vor allem mit Blick auf die UN-Umweltkonferenz 1992 ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205441200
Nunmehr erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1205441300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Stratosphärischer Ozonabbau, der zusätzliche Treibhauseffekt und die Vernichtung der tropischen Wälder gefährden in der Tat die Menschheit und die gesamte Biosphäre der Erde. Diese globale Umweltsituation erfordert gemeinsames und entschlossenes Handeln. Die Herausforderung an die internationale Politik ist sicher einzigartig.
Allerdings ist kein Staat, keine Regierung hierzu alleine in der Lage. Wir brauchen daher eine verstärkte internationale Zusammenarbeit sowie eine enge umwelt- und entwicklungspolitische Partnerschaft zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd.



Parl. Staatssekretär Bernd Schmidbauer
Diese Partnerschaft, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird aber nur dann gelingen, wenn die Industriestaaten bereit sind, jenen Beitrag zu leisten, der ihren besonderen finanziellen und technologischen Möglichkeiten entspricht. Darin liegt die Bedeutung für unsere bilateralen Maßnahmen im Verhältnis zu den einzelnen Tropenwaldländern.

(Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU])

Dem Schutz der tropischen Wälder kommt nicht nur vor dem Hintergrund des Treibhauseffektes, zu dem die Waldvernichtung etwa 15 % beiträgt, eine große Bedeutung zu. Es geht vor allen Dingen um die Erhaltung dieses weltweit artenreichsten Ökosystems.
Bereits heute sind die Auswirkungen erkennbar. Die Experten sind sich einig, daß weit über die Hälfte aller Arten in den tropischen Wäldern beheimatet sind. Diese Arten sind durch die Vernichtung der Tropenwälder vom Aussterben bedroht. Die Lebensräume der Eingeborenen und anderer ethnischer Minderheiten sind gefährdet.
Besonders wichtig ist, daß regionale Klimaveränderungen und der Verlust des Waldes kurzfristig in ihren sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen für die Menschen in den Tropenwaldländern schwerwiegender sind als die Folgen der globalen Erwärmung.
Was die Entwicklung auf der internationalen politischen Ebene angeht, so hat der Bundeskanzler in den vergangenen Jahren die Führungsrolle übernommen. Es ist gut, daß dies auch von der SPD so gesehen wird. Auf Initative des Bundeskanzlers hat die Gruppe der sieben großen Industrienationen deutlich auf die Bedeutung dieses Problems hingewiesen und Lösungswege aufgezeigt. Der Wirtschaftsgipfel von Houston hat die Weltbank 1990 ersucht, in enger Zusammenarbeit mit der brasilianischen Regierung und der EG-Kommission ein Pilotprogramm zur Erhaltung der brasilianischen Regenwälder auszuarbeiten.
Der Gipfel von London im Sommer dieses Jahres hat noch einmal die Bedeutung dieses Pilotprogramms hervorgehoben und die Bereitschaft der G 7 signalisiert, sowohl multilateral wie auch bilateral die erforderlichen Mittel aufzubringen. Dies muß nun so rasch wie möglich realisiert werden.
Bilateral hat die Bundesregierung für dieses Pilotvorhaben insgesamt 250 Millionen DM vorgesehen. Der Kollege Repnik hat ein entsprechendes Abkommen vor wenigen Tagen in Brasilia unterzeichnet. Damit wird deutlich, daß wir mit unserer bilateralen Hilfe im Zuge dieses Pilotprojekts ernst machen. Alle anderen G-7-Mitglieder stehen nun ebenfalls in der Pflicht, ihren Beitrag entsprechend einzubringen. Der Bundeskanzler hat sich dieser Sache persönlich angenommen. — Ich will hier klar sagen: Wir müssen deutlich machen, daß die Bundesrepublik alleine nicht der Zahlmeister sein kann, sondern daß es in der Tat auf das gemeinsame Vorgehen aller reichen Industrieländer ankommt.
Die Bundesregierung nutzt alle ihr in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, in den Tropenwaldländern das Bewußtsein für diese komplexe und schwierige Thematik zu fördern und weltweit die Bereitschaft zur Finanzierung und Durchführung tropenwalderhaltender Maßnahmen zu erhöhen. Dies war auch Gegenstand der Gespräche, die der Bundeskanzler in Brasilien sowohl mit dem Präsidenten wie auch mit den Gouverneuren der betreffenden Bundesstaaten geführt hat. Im übrigen werden diese Gespräche fortgeführt, damit das gegenseitige Verständnis für diese Problematik wächst. Nach Angaben der Welternährungsorganisation ist Deutschland mit 15 % der international für Tropenwalderhaltung bereitgestellten Mittel wichtigstes bilaterales Geberland für diesen Zweck.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß für die multilaterale Hilfe die bei der Weltbank eingerichtete globale Umweltfazilität grundsätzlich das geeignete Instrument ist. Wir halten jedenfalls nichts von der Einrichtung einer Vielzahl von Fonds für globale Umweltaufgaben. Neue Bürokratien müssen vermieden werden. Die GEF befindet sich noch in der Pilotphase. Schon jetzt aber liegt ein Schwerpunkt der Mittelvergabe auf dem Schutz der Artenvielfalt und dem Schutz des Tropenwaldes. Wir werden diese positive Entwicklung weiter fördern und unterstützen.
Die internationalen Maßnahmen zur Erhaltung der Tropenwälder sind sicherlich — das ist ebenfalls unstrittig — noch nicht befriedigend organisiert und koordiniert. Derzeit befassen sich mehrere Organisationen mit den Tropenwäldern. Künftig muß aber mehr als bisher sichergestellt werden, daß alle Bemühungen in dieselbe Richtung gehen und letztlich dem Schutz des Tropenwaldes dienen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn durch geeignete Verfahren sichergestellt ist, daß die Umweltverträglichkeit aller Projekte im Tropenwald und in seinem Umfeld außer Zweifel steht.
Die Bundesregierung setzt sich insbesondere dafür ein, daß die erforderlichen Änderungen beim Tropenwaldaktionsprogramm vorgenommen werden. Auf UN-Ebene muß eine effiziente Koordination und Bündelung aller Bemühungen sichergestellt sein.
Obwohl kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Tropenwaldrückgang und der Auslandsverschuldung der Tropenwald besitzenden Länder erkennbar ist, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Verschuldung vieler dieser Länder zu den strukturellen Einflußgrößen der Tropenwaldzerstörung gehört. Die Bundesregierung hat daher seit 1978 Schulden aus der finanziellen Zusammenarbeit in Höhe von 9 Milliarden DM erlassen. Sie wird einen weiteren Schuldenerlaß zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder prüfen und beabsichtigt, ihn auch künftig mit der Maßgabe zu verbinden, daß die hierdurch freiwerdenden Mittel für besondere Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt, insbesondere der Tropenwälder, eingesetzt werden.
Außer den am wenigsten entwickelten Ländern gewährt die Bundesregierung für Maßnahmen der Tropenwalderhaltung auch solchen Entwicklungsländern Zuschüsse, die üblicherweise nur Kredite erhalten.



Pari. Staatssekretär Bernd Schmidbauer
Auf den Punkt internationale Verhandlungen, den Frau Hartenstein angesprochen hat, will ich noch eingehen. Hier wird deutlich, daß wir diejenigen sind, daß wir zu der Pressuregroup gehören, die für die 1992 in Brasilien stattfindende UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung die notwendigen Vorschläge einbringt. Ich will dabei nennen: erstens, daß im Rahmen der Weltklimakonvention so rasch wie möglich völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen zum Schutz und Erhalt der Wälder getroffen werden, sowie zweitens, daß eine globale Übereinkunft im Hinblick auf Bewirtschaftung, Schutz und Erhaltung der Wälder aller Klimazonen verabschiedet wird, die in zunächst noch unverbindlicher Form wesentliche Elemente einer Waldkonvention enthalten und Festlegungen zu Verfahren und Zeitplan internationaler Regierungsverhandlungen für eine solche Waldkonvention treffen soll.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr allgemein ist das!)

Um eine grundsätzliche Lösung der Probleme zu erreichen, müssen die Ursachen der Armut beseitigt werden, integrierte Landnutzungskonzepte erarbeitet sowie wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, um der Waldvernichtung entgegenzusteuern.
Die Bundesregierung hat bei den internationalen Klimaverhandlungen und bei den Vorbereitungen der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung die entsprechenden Initiativen ergriffen und konkrete Vorschläge, Herr Kollege Schäfer, für die geplanten Vereinbarungen und Übereinkünfte eingebracht. Einen Durchbruch bei diesen Verhandlungen wird es nur geben, wenn es uns gelingt, die Entwicklungsländer von der Ernsthaftigkeit unserer eigenen Politik zu überzeugen und sie finanziell und technologisch zu unterstützen, um die notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Änderungen zu ermöglichen. Zur Glaubwürdigkeit unserer Position gehört insbesondere, daß wir in jenen Bereichen entschlossen handeln, in denen die Ursachen globaler Umweltbedrohungen in erster Linie von unserem Gebiet ausgehen.
Es wird nicht einfach sein, den Tropenwald rasch und effizient zu schützen. Die positiven Erfahrungen mit dem Montrealer Protokoll wie auch mit der Errichtung der globalen Umweltfazilität zeigen aber, daß die notwendigen Fortschritte in der internationalen Umweltpolitik erreichbar sind, wenn sie wirklich gewollt werden.
Zum Schluß, Frau Kollegin Hartenstein: Der Bericht wird Ihnen in Kürze zugehen. Er wird so gehaltvoll sein, daß sich hoffentlich alle Ihre Wünsche in diesem Bericht wiederfinden. Gut Ding will Weile haben. Insofern bitten wir auch hier für die Verzögerung um Entschuldigung, liebe Frau Kollegin Hartenstein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205441400
Das Wort hat der Abgeordnete Zurheide.

Burkhard Zurheide (FDP):
Rede ID: ID1205441500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Umweltpolitische Aspekte spielen in der Debatte über entwicklungspolitische Ziele eine immer stärkere Rolle. Der Schutz und die Erhaltung der tropischen Regenwälder sind dabei von besonderer Wichtigkeit. Unter den Industrieländern gibt es allerdings kaum ein Land, das daraus so weitreichende Konsequenzen gezogen hat, wie die Bundesrepublik. Seit 1958 hat die Bundesrepublik Deutschland mehr als 100 Projekte gefördert, die Maßnahmen der Walderhaltung und der forstwirtschaftlichen Entwicklung darstellen. Da auch die betroffenen Entwicklungsländer ein verstärktes Interesse an Projekten dieser Art haben, bestehen derzeit 120 bilateral geförderte Entwicklungsvorhaben. Auch im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit fördert die Bundesrepublik Deutschland Programme zur Tropenwalderhaltung, so z. B. durch die Bereitstellung von Treuhandmitteln für die UNESCO, die FAO und vor allem für die globale Umweltfazilität bei der Weltbank, für die die Bundesrepublik erhebliche Beiträge zahlt.
Alle diese Bemühungen, für die zu Recht erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt werden, werden jedoch vergebens bleiben, wenn es uns nicht gelingt, den Teufelskreis zu durchbrechen, der sich aus Armut, Bevölkerungswachstum, zunehmendem Druck auf die natürlichen Ressourcen, Umweltzerstörung und verschärfter Armut zusammensetzt. Wenn die Bevölkerung wächst, so werden, um wenigstens die elementaren Lebensbedürfnisse befriedigen zu können, immer größere Waldflächen beansprucht. Auf Brandrodung will ich in diesem Zusammenhang nur hinweisen.
Darüber hinaus schlagen die Menschen wegen der völlig unzureichenden individuellen Energieversorgung Brennholz ein, wovon auch wegen des steigenden Bevölkerungsdrucks immer mehr benötigt wird. So hoffe ich, daß sich auch die im nächsten Jahr in Brasilien stattfindende UN-Konferenz Umwelt und Entwicklung mit diesem so häufig vernachlässigten Zusammenhang zwischen Tropenwaldvernichtung und Überbevölkerung auseinandersetzen wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist bezeichnend und erschreckend, daß dieser Zusammenhang, der so elementar wie offenkundig ist, von einigen durchaus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nicht akzeptiert wird. Die einen wollen diesen Zusammenhang deswegen nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie glauben, dadurch würde die angebliche alleinige Verantwortlichkeit des Nordens für die Regenwaldzerstörung verwischt werden; die anderen können diesen Zusammenhang nicht wahrnehmen, weil es nach ihrer Auffassung Überbevölkerung gar nicht geben kann. Es bleibt aber dabei, daß nach dem Weltbevölkerungsbericht der UN 80 % der Waldvernichtung auf das Bevöllkerungswachstum zurückgeführt wird.
Genausowenig zutreffend ist allerdings die Behauptung, der Export von Tropenholz sei die alleinige oder überwiegende Ursache für die Abholzung des tropischen Regenwaldes. Ein Importverbot bzw. ein Nutzungsverzicht für tropische Hölzer hätte kontraproduktive Folgen. Das Eigeninteresse der Tropenwaldländer am Erhalt ihrer Waldressourcen würde untergraben, statt es zu stärken. Wegen der in einem solchen Fall zu erwartenden Überführung großer Tropenwaldflächen in andere Nutzungsformen würde



Burkhard Zurheide
dies erst recht eine vermehrte Tropenwaldvernichtung zur Folge haben.
Es kommt mithin entscheidend darauf an, die noch vorhandenen Primärwälder unter Schutz zu stellen und die übrigen Tropenwaldnutzflächen nachhaltig zu bewirtschaften, d. h. immer nur so viel Holz einzuschlagen, wie nachwächst. Die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland beim Schutz des Tropenwaldes hat auch das Ziel, gemeinsam mit den Tropenwaldländern Lösungen zum Schutz dieser natürlichen Ressourcen zu finden. Soweit es in diesen Ländern an den notwendigen Techniken, an Umsetzungsstrategien und an Finanzmitteln fehlt, sind diese Länder bei der ökologisch notwendigen Umstrukturierung und Sicherung einer auf Dauer tragfähigen Entwicklung nachhaltig zu unterstützen.
Einseitige Schuldzuweisungen führen überhaupt nicht weiter. Weder der industrialisierte Norden noch die Länder der Dritten Welt tragen die alleinige Verantwortung für den Zustand der tropischen Regenwälder. Nur ein partnerschaftliches Miteinander der Länder des Nordens und des Südens, bei dem man sich nicht gegenseitig bösen Willen bzw. Bevormundung vorwirft, ist in der Lage, die Probleme zu lösen. Die deutsche Entwicklungspolitik hat hier die richtigen Weichen gestellt. Sie kann, muß und wird allerdings ihre Bemühungen noch weiter verstärken.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205441600
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1205441700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur drei Bemerkungen machen.
Erstens. Zumindest bis jetzt hat die Bundesregierung auf keine der konkreten Fragen eine konkrete Antwort gegeben, weder hinsichtlich des Aktionsprogramms und der fehlenden EG-Initiativen noch auf die Frage, warum die Reform des Tropenforstwirtschaftsaktionsplans nicht vorangetrieben worden ist. Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn immer wieder nur gesagt wird: Die Bundesregierung beabsichtigt ... Das wird seit anderthalb Jahren verkündet, und ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß wir keine Zeit mehr haben, all dies vor uns herzuschieben.
Zweiter Punkt. Kollege Kampeter, man sollte — auch wenn man neu ist — niemandem etwas unterstellen, was er nicht gesagt und auch nicht geschrieben hat. In keinem der Papiere und auch nicht in meiner Rede ist ein genereller Schuldenerlaß gefordert worden, sondern ein durchaus differenzierter Schuldenerlaß. In Ihrem eigenen Antrag steht:
Die Bundesregierung sollte dabei Schuldenerleichterungen bis hin zum Schuldenerlaß für die ärmsten Länder mit Gegenleistungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes in Betracht ziehen.
Ich gebe Ihnen gerne die Drucksache 11/8009.
Meine dritte Bemerkung betrifft den internationalen Tropenholzhandel. Frau Kollegin Sehn hat schon
gesagt, wir hätten ja nur eine Abnahmequote von 3 %. Frau Kollegin Sehn, das sind immerhin 1,8 Millionen m3 Jahr für Jahr, und zwar mit steigender Tendenz. In der Zwischenzeit ist die Quote einmal zurückgegangen. In zehn Jahren sind das 18 Millionen m3.
Wir halten den Raubbau in Schwung; das muß man wissen. Die Importeure selbst sagen uns: Was sie in die Bundesrepublik einführen können, ist nur das Feinste vom Feinen. Wir sind wirklich involviert; wir können uns gar nicht aus dieser Verstrickung herausmogeln.
1950 betrug der Tropenholzexport insgesamt 4,3 Millionen m3; 1980 betrug er bereits 81 Millionen m3. Das ist eine Verzwanzigfachung in wenigen Jahrzehnten. Ich denke, das sollten wir uns vor Augen halten. In diesem Punkt appelliere ich ganz ausdrücklich an Sie, an die Mehrheitsfraktion, und auch an die Bundesregierung: Hier ist sofortiges Handeln am dringendsten erforderlich.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205441800
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Rieder das Wort.

Prof. Dr. Norbert Rieder (CDU):
Rede ID: ID1205441900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keiner der hier Anwesenden — und das haben ja alle Vorredner deutlich gemacht — wird daran zweifeln, daß die Erhaltung und die Ausweitung der tropischen Wälder eine der wichtigsten Aufgaben ist, die die Menschheit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu bewältigen hat. Doch wie bei vielen anderen vergleichbaren Aufgaben sowohl aus dem Umweltbereich als auch aus anderen Bereichen — ich denke hier etwa an die Bewältigung des Nord-Süd- bzw. Ost-West-Gefälles oder die weltweite Friedenssicherung — müssen wir sehr genau überlegen, welcher Weg zur Erreichung dieses Zieles der richtige ist.
Nicht immer ist der scheinbar einfache Weg der beste. Staatliche Beschäftigungsprogramme oder — anders genannt — Sofortprogramme müssen sehr genau überlegt werden, auch wenn sie unter einem etwas anderen Namen außerhalb der eigenen Landesgrenzen eingesetzt werden sollen. Denn in der Regel werden sie von den Empfängern gerne akzeptiert. Wer würde schon geschenktes Geld ablehnen? Das Geld aber landet irgendwo. Eine Bewußtseinsänderung ist nicht festzustellen. Die alten kontraproduktiven Strukturen bleiben erhalten, ja, werden sogar noch stabilisiert. Der Ruf nach dem nächsten Programm wird um so lauter.
Wie aber kann nun eine wirkungsvolle Hilfe zur Erhaltung der Tropenwälder aussehen? Welche Randbedingungen müssen erfüllt sein, um das zu erreichen, was wir alle möchten?
Die wichtigsten sind folgende:
Erstens. Die tropischen Regenwälder müssen nicht nur bei uns, sondern vor allem in den Tropen in ihrem Wert erkannt werden. Noch ist es doch so, daß in weiten Bereichen der Wald als nutzlos oder gar als Feind angesehen wird, der am besten dadurch genutzt wird, daß man ihn abbrennt oder abschlägt, um die Fläche



Dr. Norbert Rieder
für eine anderen Nutzung, die mehr Gewinn verspricht, freizumachen. Wenn man weiß, daß etwa in Brasilien nur 3 % des gefällten Holzes als wertvolles Rundholz genutzt wird, der Rest aber mehr oder weniger sinnlos verbrannt wird, die Brandrodung also im Vordergrund steht, mag das diesen wesentlichen Aspekt ausreichend charakterisieren.
Es ist deshalb unabdingbar nötig, als zweite Randbedingung die Bevölkerung selbst in die Nutzung und Erhaltung der Tropenwälder einzubinden.
Drittens. Der Tropenwald ist nicht nur als Faktor des Klimaschutzes zu erhalten, sondern vor allem auch als bisher nur oberflächlich wissenschaftlich erforschtes, ungeheuer vielfältiges Ökosystem und als Reservoir von Pflanzen und Tieren mit einem gigantischen, kaum erschlossenen Potential für die menschliche Ernährung und die medizinische Forschung.
Wenn man sich diese Randbedingungen nun genauer und vor allem ohne Vorurteile durch den Kopf gehen läßt, stellt man sehr schnell fest, daß viele der häufig gemachten Vorschläge nicht nur nutzlos sind, sondern sogar schädlich. Das gilt z. B. für die weitverbreitete Forderung nach dem Verbot der Nutzung von Tropenholz in den Industrieländern. Wäre diese Forderung erfolgreich, würde die Nutzung des Tropenholzes noch weniger Gewinn als bisher bringen, wäre der Tropenwald für die Eigentümer noch wertloser als bisher. Die Brandrodung wäre nicht mehr zu stoppen. Oder glaubt jemand, daß unsere deutschen Wälder gesichert würden, wenn man die Nutzung einheimischen Holzes verbieten würde? Am Tage nach dem Erlaß eines solchen Gesetzes, vor dem uns Gott bewahren möge, würde die Ausstockung, die Vernichtung der Wälder beginnen.

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Herr Rieder, ich bitte sie!)

— Mit Sicherheit. — Zur Erhaltung der Tropenwälder müssen wir sogar die Nutzung tropischen Holzes verbessern,

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie haben so vernünftig angefangen!)

allerdings zu einem angemessenen Preis, der nicht nur das Fällen der Bäume vergütet, also den Raubbau, sondern der auch die Neuanlage von Wäldern und die Waldpflege bis zur Nutzung enthält. Solch ein System schafft gleichzeitig sinnvolle Arbeitsplätze für eine Bevölkerung, die über ihren Arbeitsplatz das nötige Verständnis für den Wald entwickelt.

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Das stimmt alles schlicht nicht!)

Erst so läßt sich dann erreichen, daß auch völlig ungenutzte Wälder erhalten bleiben.

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Fragen Sie Ihre Kollegen!)

nach der einfachen Formel: ohne Verständnis kein Waldschutz.
Wir kommen deshalb hier sehr schnell zu Erkenntnissen, die eigentlich banal sind, Herr Schäfer, aber offensichtlich immer wieder neu verkündet werden müssen, da sie einem beachtlichen Teil von Parlamentariern, der derzeit allerdings nicht in der Mehrheit ist, nicht bekannt sind.
Diese Erkenntnisse sind folgende:
Erstens — Herr Schäfer, das gilt auch für Sie — : Was nichts kostet und keinen Gewinn verspricht, wird nicht geschätzt. — Auch Sie sind manchmal zu billig.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Viel besser als jedes wie auch immer genannte Beschäftigungsprogramm ist die Anwendung der Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft; denn nur so werden die grundlegenden Strukturen geschaffen, die auf lange Sicht die tropischen Wälder erhalten helfen.
Im Prinzip das gleiche, was für die tropischen Wälder gesagt wurde, gilt natürlich auch für die Masse der außertropischen Wälder; denn auch in Nordamerika, in Rußland, aber auch im Mittelmeerraum — um nur wenige Beispiele zu nennen — , sind wir noch weit von einer echten Forstkultur, von einer nachhaltigen Nutzung entfernt.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber nicht nur dort, auch bei uns!)

— Richtig, auch bei uns, ohne Zweifel. Ich habe ausdrücklich gesagt: „um nur wenige Beispiele zu nennen".
Wenn Sie sich nun anschauen, was die derzeitige Bundesregierung in den letzten neun Jahren alles in dieser Richtung zustande gebracht hat,

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Angekündigt!)

dann verstehe ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, die Sie den Antrag, über den wir heute debattieren, gestellt haben, nicht so recht, wird doch in der Antwort sehr deutlich werden — Herr Schmidbauer hat es zum großen Teil schon vorweggenommen — , daß die Bundesrepublik auch auf diesem Gebiet, wie überhaupt im Umweltschutz, weltweit die Führungsrolle, um nicht zu sagen: die Antreiberrolle übernommen hat — und das nicht nur in Vorschlägen, sondern auch im Durchsetzen und Finanzieren hervorragender und weiterführender Programme zum Waldschutz auf der ganzen Welt. Ich denke, es ist gut, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, durch Ihren Antrag erreicht haben, daß eben das wieder einmal deutlich gemacht wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205442000
Meine Damen und Herren, als letzten habe ich den Parlamentarischen Staatssekretär Repnik auf der Rednerliste, dem ich jetzt das Wort erteile.

Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1205442100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, Sie haben vorher recht gehört, als der Kollege Kampeter darauf hingewiesen hat, daß ich auf dem Deutschlandtag der Jungen Union war. Sie haben sich erstaunt umgehört. Ich war in der Tat



Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik
als Gast und nicht als Mitglied der Jungen Union dort. Ich bin leider diesem Alter entwachsen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ich dachte Sie haben die Altersgrenze nach oben verschoben!)

— Nein.
Aber ich habe viel gelernt und viel mit den jungen Leuten diskutiert. Ich darf hinzufügen, daß ich mich in der Tat darüber freue, daß sich die Nachwuchsorganisation meiner Partei in einer Zeit, in der alle Welt eurozentriert denkt, handelt und argumentiert, diesem Zukunftsthema „Dritte Welt — eine Welt", wie der Deutschlandtag hieß, und dem Erhalt der Schöpfung zugewandt hat.

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Herr Repnik, bei Ihnen ist noch nicht alle Hoffnung verloren!)

— Danke schön, Frau Hartenstein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bedeutung des globalen Umweltschutzes und insbesondere des Tropenwaldes wurde heute erneut deutlich, und sie ist unbestritten. Dies haben auch alle Beiträge meiner Vorredner deutlich gemacht. Die Debatte hat, glaube ich, auch darüber hinaus gezeigt, daß — und dies ist wichtig zu betonen — es in der Grundsatzfrage zwischen allen Parteien keinen Dissens gibt, sondern vielmehr ein gemeinsames Ringen darum, wie wir in den Industrieländern unserer besonderen Verantwortung in diesem Zusammenhang gerecht werden können.
Ich glaube schon, Frau Hartenstein — und ich nehme Ihnen persönlich das auch ab — , daß wir um gemeinsame Ansätze ringen sollten. Deshalb war ich etwas erstaunt, daß sie heute zum Teil mit Fakten argumentiert haben — das erschwert mir die Linie in meiner Rede zu halten, weil ich einfach darauf eingehen muß — , die so zum Teil nicht mehr oder nicht ganz stimmen.
Ich würde Sie schon gerne fragen, woher Sie die Erkenntnis haben, daß auch in diesem Jahr wieder 80 000 ha — ich zitiere Sie jetzt — Tropenwald in Brasilien eingeschlagen wurden.

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Nein, nein, 80 000 Brandstellen!)

— 80 000 Brandstellen festgestellt wurden, richtig. Entschuldigung.
Ich habe in der vergangenen Woche mit dem Umweltminister Lutzenberger zwei Tage verbracht. Ich konnte den Kanzler in Brasilien begleiten. Lutzenberger — ich kenne ihn seit Jahren und habe mehrere Begegnungen mit ihm gehabt — hat gesagt, sie hätten noch keine Satellitenauswertung über die Brände
— die würde irgendwann im März/April nächsten Jahres vorliegen — , aber eines wüßten sie: daß zum erstenmal die Zahl der Brände ganz nachdrücklich zurückgegangen sei. Er habe zum erstenmal Hoffnung, daß nur noch ein Bruchteil der Verluste aus dem Jahr 1990 in 1991 in Brasilien zu beklagen sei. Er habe damit auch zum erstenmal die Hoffnung, daß der Schutz des tropischen Regenwaldes gewährleistet sei. Ich sage das deshalb, weil ich meine, trotz der Sorge,
die wir alle haben, sollten wir auf die Hoffnung dort, wo sie sich abzeichnet auch hinweisen. Wir sind, glaube ich, hier schon ein Stück weiter, als heute häufig in der Öffentlichkeit noch argumentiert wird.
Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe nicht geantwortet. Kollege Schmidbauer hat im Hinblick auf den Bericht Ihnen schon eine Antwort gegeben. Ich möchte auf andere Punkte noch kurz eingehen, die Sie angesprochen haben. Tropenwaldaktionspläne. Wir wissen, daß es ein paar Ausreißer beim Tropenwaldaktionsplan gab, und wir sind die Regierung und der Mitgliedstaat, der am stärksten und am nachhaltigsten an der Reform dieser Pläne gearbeitet hat. Alles in allem, glauben wir aber — dies ist eine allgemeine Erkenntnis — , sollten wir sie nicht stoppen, sollten wir sie nicht abbrechen, sondern wir sollten sie reformieren, das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Zur EG-Position. Bundeskanzler Helmut Kohl hat auf dem EG-Gipfel in Dublin hier eine entsprechende Beschlußfassung herbeigeführt. Ein Ergebnis dieses EG-Gipfels, im Einvernehmen dann mit Toronto und Houston im Weltwirtschaftsgipfel, war dann das Pilotprogramm „Brasilien zum Schutz der Tropenwälder". Es gibt zwischenzeitlich mehrere Entschließungen auch der EG-Entwicklungsministerräte. Ein ganz wichtiger internationaler Schritt nach vorn auf Grund der Initiative des Bundeskanzlers!
Drittens. Im Hinblick auf das Tropenholz teile ich Ihre Sorge — das möchte ich ausdrücklich sagen —, was den Import von Tropenholz angeht. Aber auch da sollten wir das Positive herausstreichen. Die ITTO hat beschlossen, mit unserer Hilfe und Unterstützung, daß bis zum Jahr 2000 nur noch aus bewirtschafteten Beständen Tropenholz exportiert und zu uns in die jeweiligen Importländer importiert werden kann. Auch dies ist doch ein wichtiger Schritt nach vorn. Ich weiß, daß es Probleme mit der Kennzeichnungspflicht gibt. Es wird diskutiert, aber ich glaube, auch hier sind wir auf dem Weg zu einem guten Ergebnis.
Sie haben den Schuldenerlaß eingefordert. Bernd Schmidbauer hat darauf hingewiesen, wir haben über 9 Milliarden DM — wir sind das einzige Land in dieser Größenordnung weltweit — Schuldenerlaß den ärmsten und sechs afrikanischen hochverschuldeten Ländern gewährt, dabei die letzten vier Schuldenerlaßmaßnahmen gegen Aufrechnung im Umweltbereich. Das Stichwort „debt for nature swap " haben wir in Afrika in einem ganz erheblichen Umfang umgesetzt, und auch in einem asiatischen Staat, in Laos. Alles in allem glaube ich doch, das ist eine Entwicklung, die sich sehen lassen kann.
Auf all die anderen Zahlen, die ich gern vorgetragen hätte, kann ich leider nicht mehr eingehen.
Zu der Reise des Bundeskanzlers nach Brasilien. Hinsichtlich unserer Leistungen darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Helmut Kohl hat dieses Reiseziel bewußt gewählt. Er wollte mehrere Botschaften überbringen: erstens daß wir auch in der jetzigen Zeit den Süden, die Entwicklungsländer nicht vergessen, trotz der Probleme in den neuen Ländern und trotz der Probleme in Osteuropa.



Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik
Zweitens wollte er durch den Besuch in Brasilien, im Amazonasbereich deutlich machen, welch prioritäre Rolle bei uns die Erhaltung der Tropenwälder einnimmt und wie politisch wichtig dies für uns ist.
Drittens — dies scheint mir wichtig zu sein, und das sollten wir nicht vergessen — wollte er eines deutlich machen. Wir haben Gespräche geführt — für mich war es die zweite Gesprächsrunde — mit Vertretern der sogenannten indigenen Völker, Indianervertreter, Sammlervertreter und dergleichen mehr. Ich habe fast zwei Stunden wieder mit ihnen gesprochen. Wir wollten deutlich machen, daß es uns nicht nur auf den Wald ankommt, sondern auch auf die Menschen, die im Wald und vom Wald leben. Wald schützen heißt eben auch, die Menschen schützen, ihnen eine Zukunft geben. Auch diese Botschaft wollte Helmut Kohl übermitteln.
Der vierte Punkt ist ganz wichtig: Er wollte durch den Besuch in Brasilien auch auf die UNCED-Konferenz in Rio im nächsten Jahr hinweisen. Er ist bisher der erste und einzige international anerkannte Staatsführer, der sich bereit erklärt und angekündigt hat, daß er an der Konferenz in Brasilien im nächsten Juni teilnehmen will. Auch da wollte er eine Initialzündung geben — er wird die G 7-Präsidentschaft im Januar übernehmen — und deutlich machen, daß die UNCED-Konferenz, daß ihr Erfolg für den Erhalt der Schöpfung schlechthin wichtig ist.
Herr Präsident, bitte gestatten Sie mir zum Schluß noch ein Zitat. Ich weiß, die rote Lampe leuchtet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205442200
Herr Staatssekretär, Sie haben dazu sogar das verfassungsmäßige Recht. Ich kann Sie nur bitten, aber ich kann Ihnen nicht das Wort entziehen.

(Dr. Hans de With [SPD]: Sie müssen das ja nicht so deutlich sagen!)

Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Das freut mich. Vielen Dank, Herr Präsident. Ich möchte mich dennoch in die Disziplin einfügen und die Kolleginnen und Kollegen, die so lange ausgeharrt haben, nicht durch eine zu lange Rede bestrafen.

(Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das ist sehr interessant! Eine gute Rede!)

Daß das, was ich jetzt vorgetragen habe, nicht nur unserer Überzeugung entspricht, sondern auch in Brasilien so gesehen wird, möchte ich durch zwei Zitate belegen.
Ich habe darauf hingewiesen: Ich habe mit Vertretern der indigenen Völker ein langes, ausführliches Gespräch gehabt; vor zwei Jahren das erstemal, jetzt das zweitemal. Ich erwähne das, weil Sie gesagt haben, wir würden das ohne diese Völker machen. Wir haben ausdrücklich — dies auch abgestimmt mit Präsident Collor de Mello — beschlossen, diese Völker in unsere Maßnahmen einzubeziehen. Wir werden auch die Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Bereich tätig sind, unterstützen. Wir haben entsprechende Dinge in Aussicht genommen.
Der Vertreter der Indianer in Amazonien hat gesagt: Wir sind dem Bundeskanzler dankbar, daß er zu
uns an den Amazonas gekommen ist. Dies ist mindestens genauso wichtig wie das Geld, das Sie zur Verfügung stellen, weil er der erste Staatsmann ist, der sich um unser Schicksal persönlich vor Ort kümmert. Ich glaube, auch dies ist ein wichtiges Signal.
Ein zweites Zitat:

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das war doch kein Zitat! Das war eine Vorlesung!)

— Das war ein sinngemäßes Zitat.

(Heiterkeit)

Ich kann Ihnen das Zitat aber nachliefern. Herr Schäfer, es steht sogar im Botschaftsbericht. Ich kann es nachliefern.
Ein zweites Zitat, in dem Fall von der größten brasilianischen Zeitung, nämlich von „O Globo".

(Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Jetzt ist es ein richtiges Zitat?)

— Ich könnte noch viele Zitate bringen. Ich habe viele da.

(Heiterkeit)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205442300
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen: Überstrapazieren Sie bitte nicht die Geduld. Wir haben Ihren Hinweis eben als eine Art Versprechen aufgefaßt. Daran möchte ich Sie erinnern.

(Heiterkeit)

Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht meine Absicht. Aber Sie haben mir Mut gemacht, Herr Präsident. Ich verspreche jedoch: Jetzt folgt mein letzter Hinweis.
Zitat von „O Globo" — im Zusammenhang, echt wörtlich —
Deutschland ist das einzige Land der Welt, das die moralische Autorität hat, Brasilien in Umweltfragen Lehren zu erteilen. Ausgestattet mit einer rigorosen Gesetzgebung ist Deutschland das beste Beispiel für Umweltschutz weltweit.
Dies wollen wir auch in der Zukunft bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205442400
Meine Damen und Herren, die Abgeordnete Frau Braband hat mir ihre Rede zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben.* ) Ich nehme an, daß das Haus gern dies zustimmend zur Kenntnis nimmt, womit der Geschäftsordnung Genüge getan ist.
Dies vorausgeschickt kann ich Sie bitten, der Überweisung des Ältestenrates auf Vorlage 12/921 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuzustimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist also der Fall.
*) Anlage 9



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 15:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dietmar Schütz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger
— Drucksachen 12/752, 12/1273 —
Ich habe dem Haus die erfreuliche Mitteilung zu machen, daß mir die Bereitschaft signalisiert worden ist, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.*) Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, so daß ich der Geschäftsordnung auch in diesem Punkte Genüge getan habe.
Meine Damen und Herren, nachdem wir dies alles erledigt haben, kann ich Ihnen mitteilen, daß die heutige Tagesordnung zu Ende ist und ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. November 1991, 9.00 Uhr einberufe.
Ich wünsche den Damen und Herren, die so geduldig ausgeharrt haben, einen angenehmen Restabend und stelle fest: Die Sitzung ist geschlossen.