Protokoll:
12052

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 52

  • date_rangeDatum: 30. Oktober 1991

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:26 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/52 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 52. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 Inhalt: Verzicht der Abgeordneten Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) und Lothar de Maizière auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 4271 A Eintritt der Abgeordneten Sigrun Löwisch und Dr. Else Ackermann in den Deutschen Bundestag 4271 A Austausch von ordentlichen und stellvertretenden Mitgliedern im Vermittlungsausschuß (Abgeordneter Wolfgang Roth als ordentliches und Abgeordnete Anke Fuchs als stellvertretendes Mitglied) 4271 B Nachträgliche Überweisung des 13. Tätigkeitsberichts des Bundesbeauftragten für den Datenschutz an den Ausschuß für Gesundheit 4271 B Tagesordnungspunkt 2: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991) (Drucksache 12/1300) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 — StÄndG 1992) (Drucksache 12/1368) c) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Hubert Doppmeier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Horst Friedrich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes (Drucksache 12/1359) 4271 C Tagesordnungspunkt 3: a) Erste, zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 12/1363) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/1154, 12/1387, 12/1392, 12/1388) c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/1155, 12/1387, 12/1392) Bernhard Jagoda CDU/CSU 4272 C Klaus Kirschner SPD 4274 A Dr. Bruno Menzel FDP 4276A Horst Peter (Kassel) SPD 4277 A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 4277 D Horst Peter (Kassel) SPD 4278 D Dr. Dieter Thomae FDP 4279 D Bernhard Jagoda CDU/CSU . . 4280B, 4281A Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin BMG 4281 C Peter Conradi SPD (Erklärung nach § 31 GO) 4284 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 Tagesordnungspunkt 4: Beratung ohne Aussprache Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Entwurf einer Verordnung der Bundesregierung über befreiende Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte von Mutterunternehmen mit Sitz in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, zur Durchführung des Artikels 11 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 (Konzernabschlußbefreiungsverordnung — KonBefrV) (Drucksachen 12/1237, 12/1375) 4285D Tagesordnungspunkt 5: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut (Drucksachen 12/939, 12/1370, 12/1372) Siegrun Klemmer SPD 4286B, 4291 A Rudolf Kraus CDU/CSU 4286 B Dr. Michael Luther CDU/CSU 4286 D Dr. Uwe Jens SPD 4288 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP 4288 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4289 B Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi 4290 A Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 4292 A Tagesordnungspunkt 6: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 29. Juni 1990 beschlossenen Änderung und den am 29. Juni 1990 beschlossenen Anpassungen zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (Drucksachen 12/1232, 12/1371, 12/1373) Klaus Harries CDU/CSU 4292 D Monika Ganseforth SPD 4293 C Marita Sehn FDP 4294 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 4295 C Tagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt — Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft" (Drucksache 12/1290) Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 4297B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 4299A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 4300C Dr. Jürgen Starnick FDP 4301 C Dr. Immo Lieberoth CDU/CSU 4302 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 4303 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 4305 C Tagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/ Linke Liste: Einstellung der Mitarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes aus der „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" (KGT) mit dem Ziel der Auflösung der KGT (Drucksache 12/1158) Andrea Lederer PDS/Linke Liste 4307 D Joachim Clemens CDU/CSU 4308 C Günter Graf SPD 4309 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 4310A Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 4310C Zusatztagesordnungspunkt: Aktuelle Stunde betr. Entwicklung der Lehrstellenbilanz in den neuen Bundesländern Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 4311B Doris Odendahl SPD 4312 B Dirk Hansen FDP 4313A Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 4314 A Maria Eichhorn CDU/CSU 4315A Günter Rixe SPD 4316A Dr. Karlheinz Guttmacher FDP 4317 A Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU 4317C Evelin Fischer (Gräfenhainichen) SPD . 4318C Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 4319C Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 4320C Eckart Kuhlwein SPD 4321 C Josef Hollerith CDU/CSU 4322 C Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde — Drucksachen 12/1380 vom 25. Oktober 1991 und 12/1391 vom 29. Oktober 1991 — Behandlung der kurdischen Minderheit durch die Türkei DringlAnfr 2 Hans Wallow SPD Antw StMin Helmut Schäfer AA 4324 A ZusFr Hans Wallow SPD 4324 A ZusFr Norbert Gansel SPD 4324 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 III ZusFr Manfred Opel SPD 4325 B ZusFr Rudolf Bindig SPD 4325 C ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 4325 D ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 4326 B Maßnahmen zur sofortigen Beendigung des Bürgerkrieges in Kroatien DringlAnfr 1 Claus Jäger CDU/CSU Antw StMin Helmut Schäfer AA 4326 C ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 4326C ZusFr Norbert Gansel SPD 4327 A ZusFr Rudolf Bindig SPD 4327 A ZusFr Stefan Schwarz CDU/CSU . . . 4327 B ZusFr Gernot Erler SPD 4327 C ZusFr Albert Deß CDU/CSU 4327 D Umwandlung der Technischen Hochschule Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) zu einer Technischen Universität MdlAnfr 4, 5 Dr. Christine Lucyga SPD Antw PStSekr Dr. Norbert Lammert BMBW 4328C, 4329 B ZusFr Dr. Christine Lucyga SPD . . . 4329A, D Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Bundesregierung vorn Inhalt der Stasi-Akte von Lothar de Maizière MdlAnfr 6, 7 Dr. Eberhard Brecht SPD Antw StS Franz Kroppenstedt BMI . . 4330A, D ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . 4330B, D ZusFr Manfred Opel SPD 4331 A ZusFr Freimut Duve SPD 4331 A Aussagen von Bundeskanzler Dr. Kohl vor der Industrie- und Handelskammer Bonn am 16. Oktober 1991 über die Lösung von Problemen im Zuge des Umzugsbeschlusses des Bundestages noch in dieser Wahlperiode MdlAnfr 8 Hans Wallow SPD Antw StS Franz Kroppenstedt BMI . . . . 4331 D ZusFr Hans Wallow SPD 4331 D Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Weitergabe von Rüstungsmaterial aus NVA-Beständen an Uruguay MdlAnfr 14 Manfred Opel SPD Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi . . 4332 B ZusFr Manfred Opel SPD 4332 C ZusFr Freimut Duve SPD 4332 D ZusFr Norbert Gansel SPD 4333 A Export von Munition aus NVA-Beständen an Finnland und andere Staaten MdlAnfr 15 Norbert Gansel SPD Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi . 4333 B ZusFr Norbert Gansel SPD 4333 B ZusFr Freimut Duve SPD 4333 D ZusFr Hans Wallow SPD 4333 D ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 4334 A ZusFr Manfred Opel SPD 4334 B ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 4334 B Änderung der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom Mai 1982 angesichts der notwendigen Aussonderung von Beständen der ehemaligen NVA MdlAnfr 16 Walter Kolbow SPD Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi . 4334 D ZusFr Walter Kolbow SPD 4334 D ZusFr Margitta Terborg SPD 4335 A ZusFr Gernot Erler SPD 4335 A ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 4335 B ZusFr Dieter Heistermann SPD 4335 C ZusFr Norbert Gansel SPD 4335 C Interfraktionell vereinbarte Aussprache über den Versuch der Lieferung von Panzern und anderer Geräte durch den Bundesnachrichtendienst an Israel Norbert Gansel SPD 4335 D Michael Glos CDU/CSU 4336 D Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE . 4337 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 4338 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste 4339 C Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär BMVg 4340 B Peter Paterna SPD 4341 B Bernd Wilz CDU/CSU 4342 B Gernot Erler SPD 4343 B Peter Kittelmann CDU/CSU 4344 b Dr. Lutz G. Stavenhagen, Staatsminister BK 4345 C Günther Friedrich Nolting FDP 4346 B Dr. Peter Struck SPD 4347 C Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 4348 C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . 4349 B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 Nächste Sitzung 4350 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4351* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Herbert Lattmann, Hansjörgen Doss, Dr. Rudolf Sprung, Carl-Detlef Freiherr von Hammerstein, Hartmut Büttner (Schönebeck), Klaus Harries, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Dr. Hermann Pohler, Dr. Winfried Pinger, Elke Wülfing (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) 4351* D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Pätzold, Ernst Hinsken, Dr. Hermann Schwörer und Dr. Bernd Protzner (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) . 4352* C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) . . . 4352* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste) zu Tagesordnungspunkt 6 (Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut) (Tagesordnungspunkt 6) 4353* C Anlage 6 Für Israel bestimmte Rüstungsgüter im Hamburger Freihafen DringlAnfr 3 Wolfgang Roth SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 4353 D Anlage 7 Waffen- und Rüstungsgüter aus ehemaligen Beständen der NVA DringlAnfr 5 Hermann Bachmaier SPD SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4354* A Anlage 8 Geplante Transaktion von Wehrmaterial nach Israel DringlAnfr 6 Dr. Peter Struck SPD SchrAntw StM Dr. Lutz G. Stavenhagen BK 4354* D Anlage 9 Konsequenzen aus Waffenverkäufen des BND DringlAnfr 7 Wolfgang Roth SPD SchrAntw StM Dr. Lutz G. Stavenhagen BK 4355* A Anlage 10 Austausch von Wehrmaterial zwischen BND und befreundeten Nachrichtendiensten; Falschdeklaration von militärischen Transportgütern DringlAnfr 8, 9 Gernot Erler SPD SchrAntw StM Dr. Lutz G. Stavenhagen BK 4355* B Anlage 11 Ausfuhr von Waffen und Rüstungsgütern DringlAnfr 10 Hermann Bachmaier SPD SchrAntw StM Dr. Lutz G. Stavenhagen BK 4355* C Anlage 12 Frauenanteil an geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen seit Einführung der Meldefrist im Januar 1990; Umwandlung sozialversicherungspflichtiger in versicherungsfreie Beschäftigungen MdlAnfr 1, 2 — Drs 12/1380 — Elke Wülfing CDU/CSU SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . . 4355* C Anlage 13 Angebote deutscher Firmen zum Löschen der brennenden Ölquellen in Kuwait MdlAnfr 3 — Drs 12/1380 — Monika Ganseforth SPD SchrAntw PStSekr Bernd Neumann BMFT 4356* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 V Anlage 14 Entschädigung für Zwangsumsiedlungen in der ehemaligen DDR MdlAnfr 9 — Drs 12/1380 — Klaus Harries CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 4356' C Anlage 15 Äußerungen des katholischen Militärbischofs Dyba auf der 36. GesamtseelsorgeKonferenz der katholischen Militärpfarrer MdlAnfr 17, 18 — Drs 12/1380 — Jürgen Koppelin FDP SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4357* A Anlage 16 Bewachung der auszusondernden Waffenbestände der ehemaligen NVA; Kosten für die Bewachung MdlAnfr 19 — Drs 12/1380 — Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4357* C Anlage 17 Zivile Nutzung oder Verschrottung der nicht mehr nutzbaren Bestände der ehemaligen NVA MdlAnfr 20 — Drs 12/1380 —Norbert Gansel SPD SchrAntw PStSekr Dr. Ottfried Hennig BMVg 4357* D Anlage 18 Beurteilung von Crash-Tests bei Pkw's zur Verbesserung der Verkehrssicherheit; obligatorische Durchführung von Crash-Tests bei neuen Modellen MdlAnfr 21, 22 — Drs 12/1380 — Klaus Kirschner SPD SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 4358* B Anlage 19 Maßnahmen zur Entspannung der Situation an den Grenzübergängen zur CSFR; Aufnahme von Regelungen für die Grenzübergänge in das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz MdlAnfr 23, 24 — Drs 12/1380 — Ludwig Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 4358* C Anlage 20 Einrichtung von Endlagern für radioaktive Abfälle in Greifswald oder Morsleben MdlAnfr 25 — Drs 12/1380 — Klaus Harries CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU 4359* A Anlage 21 Gewährleistung der Sicherheit für die Transporte von Kernbrennstoffen und radioaktiven Stoffen auf der B 207 und auf der OstseeFährlinie nach Dänemark MdlAnfr 26, 27 — Drs 12/1380 — Antje-Marie Steen SPD SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU 4359* A Anlage 22 Vernichtung aller französischen HADES- Raketen auf Grund der Resolution der Nordatlantischen Versammlung über die Abschaffung der atomaren Kurzstreckenwaffen in Europa MdlAnfr 28, 29 — Drs 12/1380 — Jürgen Augustinowitz CDU/CSU SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 4359* D Anlage 23 Abstimmung mit verbündeten Regierungen oder internationalen Gremien über die Abgabe von Waffen aus NVA- bzw. Bundeswehrbeständen MdlAnfr 30 — Drs 12/1380 — Manfred Opel SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 4360* B Anlage 24 Export bzw. Vernichtung von Waffensystemen der ehemaligen NVA im Hinblick auf die KSE-Rüstungsbegrenzungen MdlAnfr 31 — Drs 12/1380 — Walter Kolbow SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 4360* B Anlage 25 Revision des NATO-Truppenstatuts zur Gleichstellung der Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften MdlAnfr 32 — Drs 12/1380 — Horst Sielaff SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 4360* C VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 Anlage 26 Revision des NATO-Truppenstatuts zur Gleichstellung der Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften MdlAnfr 33, 34 — Drs 12/1380 —Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 4360* D Anlage 27 Erörterung der Menschenrechtsverletzungen beim Besuch des chinesischen Vizepremierministers MdlAnfr 35, 36 — Drs 12/1380 —Dr. Klaus Kübler SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 4361* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4271 52. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 30. 10. 91 Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 30. 10. 91 Becker, (Nienberge), SPD 30. 10. 91 Helmuth Belle, Meinrad CDU/CSU 30. 10. 91 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 30. 10. 91 * Wilfried Braband, Jutta PDS 30. 10. 91 Brandt, Willy SPD 30. 10. 91 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 30. 10. 91 Dörflinger, Werner CDU/CSU 30. 10. 91 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 30. 10. 91 Ehlers, Wolfgang CDU/CSU 30. 10. 91 Eimer (Fürth), Norbert FDP 30. 10. 91 Ferner, Elke SPD 30. 10. 91 Fischer (Homburg), SPD 30. 10. 91 Lothar Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 30. 10. 91 Fuchs (Köln), Anke SPD 30. 10. 91 Gattermann, Hans H. FDP 30. 10. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 30. 10. 91 Grünbeck, Josef FDP 30. 10. 91 Heise, Manfred Harald CDU/CSU 30. 10. 91 Heinrich Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 30. 10. 91 Hilsberg, Stephan SPD 30. 10. 91 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 30. 10. 91 Dr. Hoyer, Werner FDP 30. 10. 91 Jäger, Renate SPD 30. 10. 91 Dr. Jahn (Münster), CDU/CSU 30. 10. 91 Friedrich-Adolf Jung (Düsseldorf), Volker SPD 30. 10. 91 Klose, Hans-Ulrich SPD 30. 10. 91 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 30. 10. 91 Hans-Ulrich Koltzsch, Rolf SPD 30. 10. 91 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 30. 10. 91 Koschnick, Hans SPD 30. 10. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 30. 10. 91 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 30. 10. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 30. 10. 91 Leidinger, Robert SPD 30. 10. 91 Lintner, Eduard CDU/CSU 30. 10. 91 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 30. 10. 91 Erich Meinl, Rudolf Horst CDU/CSU 30. 10. 91 Mischnick, Wolfgang FDP 30. 10. 91 Möllemann, Jürgen W. FDP 30. 10. 91 Molnar, Thomas CDU/CSU 30. 10. 91 Neumann (Gotha), SPD 30. 10. 91 Gerhard Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nolte, Claudia CDU/CSU 30. 10. 91 Otto (Frankfurt), FDP 30. 10. 91 Hans-Joachim Dr. Pohl, Eva FDP 30. 10. 91 Rawe, Wilhelm CDU/CSU 30. 10. 91 Rempe, Walter SPD 30. 10. 91 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 30. 10. 91 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 30. 10. 91 Erich Rother, Heinz CDU/CSU 30. 10. 91 Sauer (Salzgitter), Helmut CDU/CSU 30. 10. 91 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 30. 10. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 30. 10. 91 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 30. 10. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 30. 10. 91 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 30. 10. 91 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 30. 10. 91 Schuster, Hans Paul FDP 30. 10. 91 Hermann Dr. Schuster, Werner SPD 30. 10. 91 Seidenthal, Bodo SPD 30. 10. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 30. 10. 91 ** Sothmann, Bärbel CDU/CSU 30. 10. 91 Steiner, Heinz-Alfred SPD 30. 10. 91 ** Verheugen, Günter SPD 30. 10. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 30. 10. 91 Gert Dr. Wieczorek, Norbert SPD 30. 10. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 30. 10. 91 ** Zywietz, Werner FDP 30. 10. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Herbert Lattmann, Hansjörgen Doss, Dr. Rudolf Sprung, Carl-Detlef Freiherr von Hammerstein, Hartmut Büttner (Schönebeck), Klaus Harries, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Dr. Hermann Pohler, Dr. Winfried Pinger, Elke Willfing (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) Dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch stimmen wir trotz erheblicher Bedenken zu, weil die Erfahrungen mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 sowie die darin enthaltene Regelung der Zuzah- 4352* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 lung für Arznei- und Verbandmittel Änderungen notwendig machen. Unsere Bedenken beziehen sich u. a. auf die zeitliche Verdoppelung und Erweiterung bei der Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder (§ 45 Sozialgesetzbuch V). Eine solche Maßnahme ist grundsätzlich wünschenswert, kann aber nur verantwortet werden, soweit die damit verbundene Mehrbelastung für die gesetzliche Krankenversicherung die im Gesetzentwurf vorgesehenen Kosten von jährlich 80 Millionen DM nicht übersteigt. Unsere erheblichen Zweifel, daß dieser Umfang deutlich überschritten wird, konnten nicht ausgeräumt werden. Ebenfalls untauglich ist das praktizierte System einer gespaltenen Selbstbeteiligung bei Arznei- und Verbandmitteln, das mit dem vorgelegten Entwurf fortgeschrieben wird. Es führt zu erheblichen gesundheitspolitischen, medizinischen, wirtschaftlichen und forschungspolitischen Verwerfungen. So werden Schwerstkranke, die oft auf nicht festbetragsfähige Arzneimittel angewiesen sind, finanziell erheblich belastet, während beispielsweise Bezieher leichter Schmerzmittel ohne Zuzahlungen auskommen. Dies stellt die medizinischen Erfordernisse auf den Kopf. Bedenklich ist auch, daß neue, den medizinischen Fortschritt sichernde Medikamente, für die es noch keinen Festbetrag geben kann, nur gegen erheblichen Aufwand genutzt werden können, während ältere, unter Umständen bereits obsolete Arzneimittel zuzahlungsfrei erhältlich sind. Auch ist zu befürchten, daß die Regelung einen erheblichen Anreiz zur Verschwendung darstellt. Der Patient, der die Höchstgrenze der Zuzahlung bereits erreicht hat, ist gut beraten, wenn er vorsichtshalber die größtmögliche Menge bezieht, auch wenn er diese zunächst nicht voll benötigt. Nur so kann er eine zwar nicht wahrscheinliche, aber von ihm nicht völlig auszuschließende zweite und dann erneut zuzahlungspflichtige Verschreibung vermeiden. Es muß in diesem Zusammenhang auch damit gerechnet werden, daß nicht durch Festbetrag erfaßte, aber kostengünstige Präparate nur deswegen durch teurere Festbetragsmedikamente der gleichen Indikationsgruppe ersetzt werden, um dem Patienten die Zuzahlung zu ersparen. Das mit der Festbetragsregelung angestrebte Ziel einer höheren Wirtschaftlichkeit wird so konterkariert. Grundsätzlich bejahen wir das Instrument der Selbstbeteiligung. Im Interesse einer dauerhaften Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung halten wir sie sogar für unverzichtbar. Sie kann allerdings nur wirksam werden, wenn sie nicht von Marktzufälligkeiten abhängt und den Betroffenen eine Reaktion erlaubt. Diese Voraussetzungen erfüllt das gegenwärtige System nicht. Die Zustimmung wird uns nur durch die Zusage der Bundesministerin für Gesundheit erlaubt, nach der die Frist bis zum Inkrafttreten der Zuzahlungsregelung am 1. Oktober 1992 genutzt werden soll, in der Zwischenzeit nach besseren und zukunftsgerechteren Lösungen zu suchen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Petzold, Ernst Hinsken, Dr. Hermann Schwörer und Dr. Bernd Protzner (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) Obwohl wir den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1363 überwiegend akzeptabel finden, können wir der Verdoppelung der Bezugsdauer beim Kinderkrankengeld und der Heraufsetzung der Altersgrenze von 8 auf 12 Jahre nicht zustimmen. Begründung: Zwar sind die vorgesehenen Verbesserungen durch die Verdoppelung der Bezugsdauer beim Kinderkrankengeld und die Heraufsetzung der Altersgrenze von 8 auf 12 Jahre im Sinne einer zielgerichteten Familienpolitik wünschenswert, aber im Gegensatz zur Bundesregierung gehen wir, die unterzeichnenden Abgeordneten, davon aus, daß die Verlängerung der Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder (§ 45 SGB V) auf der Grundlage der den Krankenkassen zur Verfügung stehenden Unterlagen im Jahre 1992 die gesetzliche Krankenversicherung voraussichtlich nicht mit 80 Millionen DM, sondern mit einem vielfach höheren Betrag zusätzlich belasten wird. Wir bitten die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag über die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistungen nach § 45 SGB V im Jahre 1992 und in den folgenden Jahren und über die dafür gemachten Aufwendungen der Krankenkassen jeweils bis zum 1. Juni des nachfolgenden Jahres zu berichten. Sollten die Ausgaben der Krankenkassen für Leistungen nach § 45 SGB V im Jahre 1992 250 Millionen DM übersteigen, fordern wir die Bundesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Leistungen so eingrenzt, daß das vorgenannte Ausgabenvolumen nicht überschritten wird. Schließlich handelt es sich um Gelder, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern als Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung je zur Hälfte erbracht werden müssen. Dadurch werden die höchsten Lohnzusatzkosten der Welt noch weiter aufgebläht mit dem Ergebnis, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit die Sicherheit vieler Arbeitsplätze langfristig zusätzlich gefährdet werden. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 3) Dem Entwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des 5. Buches Sozialgesetzbuch stimme ich trotz erhebli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4353* cher Bedenken zu, weil die Erfahrungen mit dem Gesundheits-Reformgesetz vorn 20. Dezember 1988 sowie die darin enthaltene Regelung der Zuzahlung für Arznei- und Verbandsmittel Änderungen notwendig machen. Nach meiner festen Überzeugung ist das im Augenblick praktizierte System einer gespaltenen Selbstbeteiligung bei Arznei- und Verbandsmitteln, das mit dem vorgelegten Entwurf fortgeschrieben wird, für den Leistungsanbieter und Verbraucher nicht zumutbar und für die Reduzierung der Kosten im Gesundheitswesen langfristig unbrauchbar. Dieses System führt zu erheblichen gesundheitspolitischen, medizinischen, wirtschaftlichen und forschungspolitischen Verwerfungen. So werden Schwerstkranke, die oft auf nicht festbetragsfähige Arzneimittel angewiesen sind, finanziell erheblich belastet, während beispielsweise Bezieher leichter Schmerzmittel ohne Zuzahlung auskommen. Dies stellt die medizinischen Erfordernisse auf den Kopf. Nicht akzeptabel ist auch, daß neue, den medizinischen Fortschritt sichernde Medikamente, für die es noch keinen Festbetrag geben kann, nur dann vom Verbraucher genutzt werden können, wenn er zu einer Selbstbeteiligung an den Kosten bereit ist. Demgegenüber sind ältere, unter Umständen bereits obsolete Arzneimittel zuzahlungsfrei erhältlich. Auch ist zu befürchten, daß die Regelung einen erheblichen Anreiz zur Verschwendung darstellt. Der Patient, der durch die Verschreibung eines Medikaments in kleinerer Packungseinheit die Höchstgrenze der Zuzahlung bereits erreicht hat, ist gut beraten, wenn er vorsichtshalber die größtmögliche Menge verschreiben läßt, auch wenn er diese zunächst nicht benötigt. So kann er eine zwar nicht wahrscheinliche, aber von ihm nicht völlig auszuschließende zweite und erneut zuzahlungspflichtige Verschreibung vermeiden. Es muß in diesem Zusammenhang auch damit gerechnet werden, daß nicht durch Festbetrag erfaßte, aber kostengünstige Präparate nur deswegen durch teurere Festbetragsmedikamente der gleichen Indikationsgruppe ersetzt werden, uni dem Patienten die Zuzahlung zu ersparen. Das mit der Festbetragsregelung angestrebte Ziel einer höheren Wirtschaftlichkeit wird so konterkariert. Grundsätzlich bejahe ich das Instrument der Selbstbeteiligung. Im Interesse einer dauerhaften Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung halte ich sie sogar für unverzichtbar. Sie muß sozialverträglich gestaltet werden, indem der chronisch Kranke für lebenserhaltende Medikamente von der Zuzahlung befreit wird. Die Zustimmung zu diesem Gesetz wird mir dadurch erleichtert, daß die Frist zum Inkrafttreten am 1. Oktober 1992 die Möglichkeit gibt, über die von mir aufgezeigten Mißstände neu zu beraten und nachzudenken, um zu sachgerechten und in die Zukunft weisenden Lösungen zu kommen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 6 (Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut) (Tagesordnungspunkt 6) Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Wir beschäftigen uns heute mit der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes. Die Argumente sind ausgetauscht. Trotzdem bleibt die PDS/Linke Liste bei ihrer Kritik, daß es angesichts der wirklich dramatischen Zerstörung der Erdatmosphäre nicht genügt, sich in Sachen Klimaschutz in Appellen oder — wie hier geschehen — in halbherzigen Versuchen zu ergehen. Wir haben des öfteren darauf hingewiesen, daß die Industriestaaten ihrer Verantwortung für das Klima nur gerecht werden, wenn sie umsteuern, d. h. ihre Produktions- und Lebensweise ändern. Hierzu gehören unverzichtbar die Energieeinsparung und die Verkehrsreduzierung. Dazu nur ein Beispiel: Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland 30 Millionen Autos. Das sind genauso viel wie in Südamerika, Afrika und Asien — und ohne Japan — vorhanden sind. Ferner gehört dazu eine Umkehr in der Chemiepolitik. hiervon wird noch die Rede sein. Schließlich gehören dazu ein naturverträglicher Landbau und die Wiederaufforstung im eigenen Land. Aber ein weiteres liegt in der Verantwortung der Industriestaaten: die Schaffung einer gerechten Wirtschaftsordnung, damit endlich Schluß ist mit der ökonomischen und ökologischen Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt, also der Länder, die durch uns seit den Kolonialzeiten his heute zum Raubbau an der Natur gezwungen werden und auf deren Kosten wir leben. Bundeskanzler Kohl hätte, anstatt in Brasilien Versprechungen zu machen, lieber Herrn Waigel dazu bringen sollen, in London den Schuldenstreichungen für die Länder der Dritten Welt zuzustimmen. Wir werden dem Gesetzentwurf trotz seiner Unzulänglichkeiten unsere Zustimmung geben, da wir jeden Schritt in dieser Richtung unterstützen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die dringliche Frage des Abgeordneten Wolfgang Roth (SPD) (Drucksache 12/1391 Frage 3): welche Rüstungsgüter werden derzeit im Hamburger Haien mit Frachtpapieren für Israel testgehalten, und woher stammen diese Rüstungsgüter? 4354* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 In der angesprochenen Angelegenheit ist ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig. Die Staatsanwaltschaft Hamburg als Herrin des Verfahrens hat sich jegliche Auskunftserteilung vorbehalten. Anlage 7 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die dringliche Frage des Abgeordneten Hermann Bachmeier SPD (Drucksache 12/1391 Frage 5): Welche Waffen und sonstige Rüstungsgüter aus ehemaligen Beständen der NVA sind noch im Besitz der Bundeswehr, und wo sind die Waffen und sonstigen Rüstungsgüter verblieben, die am 3. Oktober 1990 zum Bestand der NVA gehörten, jetzt aber nicht mehr zum Bestand der Bundeswehr gehören? 1. Bei der NVA handelte es sich um eine sowohl qualitativ als auch quantitativ hoch gerüstete Armee. Mit dem Beitritt der neuen Länder war von der Bundeswehr Material in folgenden Mengen zu übernehmen, wobei hier nur der Umfang skizziert werden kann: ca. 15 500 verschiedene Waffensysteme, Großgeräte/Geräte mit ca. 1 Million Katalogpositionen (vergleichbar Versorgungsnummer). Dabei unter anderem: 2 300 Kampfpanzer 7 800 gepanzerte Fahrzeuge 2 500 Artilleriegeschütze 420 Kampfflugzeuge 50 Kampfhubschrauber 100 000 Radfahrzeuge aller Art (incl. Anhänger und Motorräder) 1 200 000 Handfeuerwaffen mit der zugehörigen Peripherie. Dazu kamen alleine ca. 300 000 t Munition. 2. Die vollständige Identifizierung und Erfassung dieses Materials sowie die Einteilung, welches Material in der Bundeswehr weiterbenutzt wird und welches auszusondern und zu verwerten ist, wird bis Ende 1991 abgeschlossen sein. Dabei zeichnet sich derzeit ab, daß ca. 40 % der Gerätearten in der Bundeswehr weiter genutzt werden. 3. Das übrige Material gilt als ausgesondert und ist zu verwerten. Die Durchführung der Verwertung erfolgt unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) und des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) sowie der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 20. April 1982. Die Verwertung muß außerdem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und mit größtmöglichem Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland geschehen. Grundlage hierfür bilden die „Bestimmungen über das Aussondern und Verwerten von Material der Bundeswehr". Daher wird das Material zunächst auf Abgabemöglichkeiten in folgender Reihenfolge geprüft: — Unentgeltliche Abgabe an Gebietskörperschaften in den neuen Ländern — Abgabe an andere Ressorts, insbesondere an das BMI für Bundesgrenz- und Katastrophenschutz — NATO-Verteidigungshilfe Griechenland, Türkei, Portugal — Verkauf von Regierung zu Regierung, unter Beachtung der Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung vom 20. April 1982 — Ausstattungshilfe für befreundete Staaten der 3. Welt — Humanitäre Hilfe — Unentgeltliche Abgabe an Hilfsorganisationen, z. B. DRK. Zusammenfassend ergibt sich z. Z. folgender Stand der Abgaben von Waffen und anderem Wehrmaterial: — 20 000 Radfahrzeuge wurden den Gebietskörperschaften der neuen Bundesländer zur unentgeltlichen Überlassung für den Aufbau der Kommunal- und Länderverwaltungen angeboten. — 7 800 Radfahrzeuge sind bereits oder werden für Zwecke der humanitären Hilfe abgegeben (Rußland-Hilfe, Tschernobyl-Hilfe, Hilfe für Rumänien, Hilfe für Bulgarien). — Für die Unterstützung im Golfkrieg wurden den USA und anderen befreundeten, am Konflikt beteiligten Staaten Material in größeren Mengen und in Einzelfällen auch zur Technischen Auswertung zur Verfügung gestellt. Die Abwicklung dieser Lieferungen dauerte zum Teil über die Beendigung des Golfkrieges hinaus. — NATO-Partner haben Material für Auswerte- und Ausbildungszwecke angefordert, die Auslieferungen sind zum Teil abgeschlossen. — Im Rahmen der NATO-Verteidigungshilfe wurden Verträge zur Übernahme von NVA-Material mit Griechenland und der Türkei geschlossen (Materialhilfe III). — Anfragen liegen auch von Staaten außerhalb der NATO vor. Mögliche Abgaben werden geprüft und wurden teilweise bereits durch BSR-Beschluß genehmigt. Dabei liegen auch Anfragen dieser Staaten nach Material in geringen Stückzahlen für die Technische Auswertung vor. In diese Rubrik gehören auch die Anfragen Israels. Anlage 8 Antwort des Staatsministers Dr. Lutz G. Stavenhagen auf die dringliche Frage des Abgeordneten Dr. Peter Struck (SPD) (Drucksache 12/1391 Frage 6): War über die Transaktion des Wehrmaterials von der Bundesrepublik Deutschland nach Israel das Bundeskanzleramt vorher informiert? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4355* Nein, das Bundeskanzleramt war vorher nicht informiert. Anlage 9 Antwort des Staatsministers Dr. Lutz G. Stavenhagen auf die dringliche Frage des Abgeordneten Wolfgang Roth (SPD) (Drucksache 12/1391 Frage 7): Welche Konsequenzen will die Bundesregierung aus Waffenverkäufen des BND an den israelischen Geheimdienst für die Struktur der Dienste und ihre Überwachung ziehen? Es handelt sich nicht um einen Verkauf, sondern um eine leihweise Überlassung zu Untersuchungszwekken mit Rückgabeverpflichtung. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes hat bereits Anordnung getroffen, die den Entscheidungsvorbehalt der Leitung sicherstellen. Damit wird auch die Leitung des Bundesnachrichtendienstes in die Lage versetzt, ihren bereits bestehenden Unterrichtungspflichten gegenüber dem Bundeskanzleramt nachzukommen. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Dr. Lutz G. Stavenhagen auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache 12/1391 Fragen 8 und 9): Ist es richtig, daß der BND auch in der Vergangenheit mit befreundeten Nachrichtendiensten Wehrmaterial ausgetauscht hat („branchenübliches Vorgehen"), und in welchen Fällen ist dies geschehen? Ist es auch in der Vergangenheit dabei zur Falschdeklarierung von militärischen Transportgütern gekommen, und beabsichtigt die Bundesregierung zuzulassen, daß der BND auch in Zukunft an dieser Praxis festhält? Der Bundesnachrichtendienst hat auch in der Vergangenheit mit befreundeten Nachrichtendiensten Informationen über fremdes Wehrmaterial, das die jeweiligen eigenen Streitkräfte bedroht, ausgetauscht. Dies geschieht auch in der Form der gegenseitigen leihweisen Überlassung solchen Materials zur wehrtechnischen Untersuchung, wie es im gegebenen Fall vorgesehen war. Über die Einzelfälle kann die Bundesregierung nur die für die Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages unterrichten. Aus Gründen der Geheimhaltung und der Transportsicherung ist auch in der Vergangenheit Wehrmaterial beim Transport nicht immer als solches deklariert worden. Die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß solche Transporte künftig nur unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und nicht ohne Kenntnis der politisch Verantwortlichen stattfinden können. Anlage 11 Antwort des Staatsministers Dr. Lutz G. Stavenhagen auf die dringliche Frage des Abgeordneten Hermann Bachmaier (SPD) (Drucksache 12/1391 Frage 10): Haben der BND oder andere Bundesbehörden über den jetzt bekanntgewordenen illegalen Rüstungsexportfall hinaus in der Vergangenheit Waffen und Rüstungsgüter ohne Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz bzw. dem Außenwirtschaftsgesetz nach Israel oder in andere Staaten ausgeführt? Der Bundesnachrichtendienst hat in der Vergangenheit mit befreundeten Partnerdiensten Wehrmaterial für Zwecke der wehrtechnischen Untersuchung ausgetauscht. Nach Auskunft des Bundesnachrichtendienstes ist dieser dabei davon ausgegangen, sich außenwirtschaftsrechtlich auf § 19 Absatz 1 Nr. 13 der Außenwirtschaftsverordnung berufen zu können. Kriegswaffenrechtlich hielt er die Vorgänge aufgrund der Tatsache, daß es sich um Material der Bundeswehr handelte und die Abgabe dieses Materials jeweils im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung stattfand, durch § 15 des Kriegswaffenkontrollgesetzes abgedeckt. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen der Abgeordneten Elke Wülfing (CDU/CSU) (Drucksache 12/1380 Fragen 1 und 2): Wie hoch ist nach Einführung der Meldepflicht für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse seit dem 1. Januar 1990 die Zahl der versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, und wie hoch ist der Frauenanteil? Wie viele sozialpflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind seit dem 1. Januar 1990 durch sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse ersetzt worden? Nach den jetzt vorliegenden Mikrozensus-Ergebnissen waren in der Berichtswoche im April 1990 1,55 Millionen Personen geringfügig beschäftigt. Der Frauenanteil lag bei 65 %. Im Mikrozensus 1990 wurde in der 3. Leitfrage zur Beschäftigung gefragt: „Haben Sie in der Berichtswoche eine geringfügige (Neben- oder Aushilfs-)Beschäftigung ausgeübt?". Die Ergebnisse werden in Kürze in „Wirtschaft und Statistik" vom Statistischen Bundesamt erläutert. Aus den Daten des neuen Meldeverfahrens lassen sich keine statistisch gesicherten Aussagen über den Umfang der geringfügigen Beschäftigung machen. Dies ist das Ergebnis intensiver Untersuchungen, die von der Bundesanstalt für Arbeit mit dem verfügbaren Datenmaterial durchgeführt wurden. Die Gründe liegen zum einen in der Konzeption des Meldeverfahrens, das die Aufdeckung von Mißbrauch zum Ziel hat und nicht die Erstellung von Statistiken, zum anderen liegen sie in Mängeln bei der praktischen Umsetzung des Meldeverfahrens, von denen nicht die Mißbrauchsaufdeckung, wohl aber die statistischen Auswertungen tangiert sind. Beides führt dazu, daß die bisher ermittelten Zahlen über geringfügig Beschäftigte und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weitaus überhöht sind, daß Stichtagsabfragen des Bestandes zwangsläufig zu irreführenden Ergebnissen 4356* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 kommen und daß auch Zeitraumberechnungen infolge fehlender Informationen praktisch nicht möglich sind. Die Bundesanstalt für Arbeit kommt daher zu dem Schluß, daß es aus statistisch-methodischer Sicht nicht zu vertreten ist, die derzeit vorliegenden Zahlen zu veröffentlichen. Sie wird in einem Bericht, der in diesen Tagen dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zugehen soll, das Ergebnis der Untersuchungen näher erläutern und Ergänzungsvorschläge zum Meldeverfahren machen, die eine aussagefähige Statistik ermöglichen sollen. Zu Ihrer zweiten Frage liegen keinerlei statistische Informationen vor. Es gibt jedoch auch Gründe zu der Annahme, daß es im Zusammenhang mit der Einführung der Meldepflicht eher zur Umwandlung sozialversicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gekommen ist, dies insbesondere im Bereich der Mehrfachbeschäftigung. Die hohen Zunahmen im Bestand der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Jahresverlauf 1990 von fast 1 Million Personen würde diese Annahme eher stützen, denn widerlegen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Frage der Abgeordneten Monika Ganseforth (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 3): Waren die Angebote der deutschen Firmen zum Löschen der brennenden Ölquellen in Kuwait zu teuer, technisch nicht ausreichend oder welches sind nach Meinung der Bundesregierung die Gründe, aus denen die deutschen Firmen im Gegensatz zu beispielsweise Teams aus Ungarn, Rumänien, China oder Argentinien — nicht zum Zuge gekommen sind, obwohl sich nach Aussagen von Minister Riesenhuber, die kuwaitische Regierung an einem deutschen Angebot sehr interessiert zeigte? Während der Delegationsreise von Experten nach Kuwait Mitte Juni zeigte sich die kuwaitische Seite interessiert an einem deutschen umfassenden, technisch hochwertigen, von örtlichen Hilfeleistungen unabhängigen, insbesondere für schwierige, auch in Ölseen gelegene Mittel- und Hochdruckquellen geeignetem Angebot, das bis Mitte Juli vorglegt werden sollte. Zu dieser Zeit waren vier Teams aus USA und Kanada seit etwa 4 Monaten bemüht, brennende Ölquellen zu löschen und zu sanieren. Der Erfolg war durchaus mäßig und entsprach in keiner Weise den Voraussagen der Löschtrupps und den Erwartungen der Kuwait Oil Company. Die Gründe hierfür sind nach diversen Pressemeldungen in ungenügender Vorbereitung und Abstimmung, insbesondere bei der Materialbeschaffung, zu suchen. Daher hatte die kuwaitische Regierung international um Hilfe nachgesucht und aus den zahlreichen Angeboten Mitte Juni etwa 16 Teams unter Vertrag genommen. Bei Vorlage und Verhandlung des deutschen Angebots Mitte bis Ende August hatten sich die Löschergebnisse, insbesondere durch die Mehrzahl der Löschteams und die bessere Materialausstattung erfreulicherweise drastisch zum Positiven verändert. Zu dieser Zeit brannten noch etwa 300 Ölquellen bei einer monatlichen Löschrate von etwa 80. Das deutsche Angebot war wegen der geforderten hohen Qualität teurer als das anderer Nationen, jedoch in dieser Qualität nicht erwünscht, zumal die Arbeit der Löschteams wesentlich schneller voranging, als ursprünglich angenommen. Angesichts des raschen Löschfortschritts wurde dann auch ein neues Angebot mit geringerem technischen Aufwand und dadurch deutlich reduzierten Kosten nicht mehr weiter verfolgt, da nur noch über eine zur Kostendeckung nicht ausreichende Anzahl Ölquellen verhandelt werden konnte. Nach Meinung der Bundesregierung war das Angebot aus heutiger Sicht zu teuer, da technisch sehr aufwendig, wie sich zwischenzeitlich herausgestellt hat. Am 13. Oktober 1991 brannten nach Kenntnis der deutschen Botschaft in Kuwait noch ca. 120 Sonden. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/CSU) (Drucksache 12/1380 Frage 9): Wie ist der Überlegensstand der Bundesregierung, den seinerzeit in der Deutschen Demokratischen Republik zwangsumgesiedelten Bürgern an der damaligen Elbgrenze und in anderen Bereichen für die erlittenen Vermögensschäden eine angemessene Entschädigung zu leisten? Die Bundesregierung weiß um das Unrecht, das den Zwangsausgesiedelten angetan wurde. In Vorarbeiten zu dem Gesetzentwurf zur verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung wird auch dieser Personenkreis mit einbezogen. Bei einer rechtlichen Lösung muß allerdings der Gesamtkomplex Verwaltungsunrecht in der ehemaligen DDR im Auge behalten werden. Die DDR hat verwaltungsrechtliche Instrumentarien in vielfältiger Weise eingesetzt, um Mißliebige zu drangsalieren oder um wirtschafts- oder gesellschaftspolitisch als wünschenswert angesehene Zustände durchzusetzen. Deshalb muß allen Personen, die von Unrechtsmaßnahmen in vergleichbarer Weise betroffen wurden, in eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung einbezogen werden. Im Bereich der Enteignungen besteht gemäß Artikel 3 Abs. 1 GG eine Bindung an die Vorgaben des Vermögensgesetzes, das nicht auf die Rückgängigmachung der Enteignungen angelegt ist, die in den letzten vierzig Jahren nach den allgemein geltenden innerstaatlichen Regelungen der DDR vorgenommen und entschädigt worden sind. Dies bedeutet, daß Ansprüche auf Restitution oder Entschädigung nur dann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4357* in Betracht kommen, wenn die früher gezahlte Entschädigung geringer war, als sie Bürgern der ehemaligen DDR in vergleichbaren Fällen zustand. Die Bundesregierung wird deshalb für die Zwangsausgesiedelten nach Regelungen suchen, die systemgerecht sind, dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen und den besonderen Bedürfnissen der Betroffenen angemessen Rechnung tragen. Hierzu ist eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern gebildet worden, die auch die Erfahrungen der Betroffenen einbeziehen wird. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Drucksache 12/1380 Fragen 17 und 18): Wie beurteilt das Bundesministerium der Verteidigung die Äußerungen des katholischen Militärbischofs Johannes Dyba auf der 36. Gesamtseelsorge-Konferenz der katholischen Militärpfarrer, und hält das Bundesministerium der Verteidigung den katholischen Militärbischof Dyba noch tragbar für die Militärseelsorge? Hat es das Bundesministerium der Verteidigung für notwendig angesehen, mit der katholischen Kirche Gespräche über die Äußerungen des Militärbischofs zu führen, und wird das Bundesministerium der Verteidigung der katholischen Kirche eine Abberufung des Militärbischofs Dyba empfehlen? Zu Frage 17: Der katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Erzbischof Dr. Dr. Johannes Dyba, Bischof von Fulda, hat wie jeder andere Bürger der Bundesrepublik Deutschland das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Sollte sich Ihre Frage auf in der Presse wiedergegebene Äußerungen des katholischen Militärbischofs zu katholischen Theologen beziehen, so muß ich darauf hinweisen, daß es sich um eine innerkirchliche Angelegenheit handelt, die der Bundesminister der Verteidigung nicht zu bewerten hat. Das gilt auch für die in der Presse wiedergegebene Äußerung des katholischen Militärbischofs, die er in Fulda machte. Es ist Sache des Erzbischofs Dyba als Bischof von Fulda, wie er auf eine massive Störung des Gottesdienstes der katholischen deutschen Bischöfe im Dom zu Fulda reagiert. — Auch die Äußerung des katholischen Militärbischofs zu Einsätzen der Bundeswehr, wie sie in der Presse wiedergegeben worden ist, ist eine Stellungnahme aus kirchlicher Sicht. Dies macht sein Hinweis auf die Verlautbarungen des 2. Vatikanischen Konzils zur Sicherung des Friedens besonders deutlich und folgt aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Zu Frage 18: Nein. Der katholische Militärbischof setzt die gute Zusammenarbeit seiner Vorgänger mit der Bundesregierung, insbesondere mit dem Bundesminister der Verteidigung und der militärischen Führung fort. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die Frage des Abgeordneten Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 19): Wer bewacht zur Zeit die Bestände der zur Aussonderung vorgesehenen Waffen und Ausrüstungsgegenstände der ehemaligen NVA, und welche Kosten sind für diese Bewachung im laufenden Haushaltsjahr entstanden bzw. für das kommende Haushaltsjahr voraussichtlich erforderlich? Die Bestände werden zur Zeit zum Teil durch die Truppe und zum Teil durch gewerbliche Unternehmen bewacht. Die Bewachung durch die Truppe verursacht keine besonderen zusätzlichen Kosten. Für die Bewachung durch gewerbliche Unternehmen werden 1991 ca. 11,5 Millionen ausgegeben. Es ist vorgesehen, die Bewirtschaftung und Bewachung der Verwertungslager für ausgesondertes NVA-Material der bundeseigenen Material-DepotService-Gesellschaft MDSG zu übertragen. Im Haushaltsplan 1992 sollen hierfür insgesamt 85 Millionen DM im Kapitel 1409 Titel 68-501 veranschlagt werden. Der Bewachungsbedarf wird entsprechend den Erfordernissen aus diesem Gesamtansatz anteilig gedeckt (voraussichtlich bis zu 50 Millionen DM). Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ottfried Hennig auf die Frage des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 20) : In welchen Zeiträumen will die Bundesregierung die Bestände der ehemaligen NVA, die nicht von der Bundeswehr zur Nutzung übernommen werden können, einer zivilen Nutzung zuführen oder verschrotten? Das Bundesministerium der Verteidigung beabsichtigt, das ausgesonderte Wehrmaterial der ehemaligen NVA sobald wie möglich einer zivilen Nutzung zuzuführen oder zu verschrotten. Es wird angestrebt, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen bis zum Ende des nächsten Halbjahres zu schaffen. Derzeit werden weiterhin die Befüllung der Verdichtungslager, die Bestandsaufnahme und die Kategorisierung des Wehrmaterials durchgeführt. Diese Arbeiten sollen bis zum 31. Dezember 1991 abgeschlossen werden. Um Zeitverluste zu vermeiden, werden bereits parallel zu diesen Maßnahmen Ausschreibungen durch die VEBEG zum Verkauf und für die Verschrottung von Gerät der ehemaligen NVA durchgeführt. Die VEBEG führt in den neuen Bundesländern mehrere Verkaufsaktionen durch, bei denen sich die Käufer das Material ansehen und unmittelbar im Verwertungslager erwerben können. Der Bundesminister der Verteidigung hat Anfang September den Gebietskörperschaften im Beitrittsgebiet ca. 20 000 Fahrzeuge zurrt unentgeltlichen Erwerb für den Aufbau der Kommunal- und Länderver- 4358* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 waltungen angeboten. Die Antworten der Länder auf dieses Angebot gehen derzeit ein. Ebenfalls parallel dazu wurden und werden aus dem zur Aussonderung heranstehenden Material Kfz, Gerät und Sanitätsmaterial für humanitäre Hilfe herausgezogen und z. T. bereits zum Versand gebracht, z. B. Tschernobylhilfe (ca. 400 Kfz), russische Kirche (ca. 200 Kfz) sowie Hilfe für Bulgarien (ca. 200 Kfz). Ein wesentlicher Faktor für die Zerstörung und Verschrottung von Kampfpanzern, Artilleriegeschützen und gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, von Hubschraubern und Flugzeugen ist der Abschluß der Ratifizierung des KSE-Vertrages durch alle Vertragsstaaten. Erst danach kann die Zerstörung bzw. Verschrottung dieses Gerätes beginnen. Der vorgesehene Zerstörungszeitraum umfaßt 48 Monate, so daß nach derzeitiger Erwartung diese Maßnahmen im Jahre 1994 abgeschlossen werden können. Im Hinblick auf die große Menge an Munition, die zur Delaborierung bzw. Entsorgung heransteht, wurden die Kapazitäten im Jahre 1991 gesteigert. Der Bundesminister der Verteidigung geht davon aus, daß die Kapazität im Jahre 1992 weiter gesteigert werden. Die Delaborierung bzw. Entsorgung der Munition der ehemaligen NVA wird ca. noch weitere 4 Jahre beanspruchen. Die zur Verwertung und Konzentrierung des Materials genutzten Liegenschaften werden nach Abschluß der Verwertung dem allgemeinen Grundvermögen des Bundes zugeführt. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Klaus Kirschner (SPD) (Drucksache 12/1380 Fragen 21 und 22): Wie beurteilt die Bundesregierung Crash-Tests hei PKW, um daraus Erkenntnisse zur Verbesserung der Sicherheit von Fahrer und Mitfahrer zu gewinnen? Gibt es Überlegungen bei der Bundesregierung, solche Crash-Tests nach standardisierten Methoden den Automobil-Herstellern für neue Modelle vorzuschreiben und die Ergebnisse zu veröffentlichen? Zu Frage 21: Crash-Tests werden in der Regel durchgeführt, um Fahrzeuge hinsichtlich der Einhaltung vorgegebener Schutzkriterien beim Frontal-, Seiten- oder Heckaufprall zu prüfen. In der Bundesrepublik werden Sicherheitsanforderungen an Fahrzeugkomponenten gestellt und entsprechende Komponententests durchgeführt. Die Prüfung eines kompletten Pkw in einem „Crash"-Test ist bisher nicht vorgeschrieben. Die Bundesregierung ist aber daran interessiert, zur Erlangung von Typgenehmigungen für Fahrzeuge Frontal- und Seitenaufprallprüfungen zu ermöglichen. Eine diesbezügliche Regelung muß international eingeführt werden. Entsprechende Arbeiten der ECE und EG werden von der Bundesregierung aktiv unterstützt. Zu Frage 22: Sobald eine ECE-Regelung bzw. EG-Richtlinie verabschiedet ist, wird sich die Bundesregierung für eine Anwendung im Rahmen von Typgenehmigungsverfahren für Fahrzeuge in der Bundesrepublik einsetzen. Die Ergebnisse dieser Crash-Tests sollen auch die Information liefern, um Verbrauchern die Bewertung von Pkw hinsichtlich des Insassenschutzes zu ermöglichen. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 12/1380 Fragen 23 und 24): Was wird die Bundesregierung unternehmen, um zusammen mit der Tschechoslowakei Regelungen und Abhilfen zu finden, die die unerträgliche Situation an den Grenzübergängen zur Tschechoslowakei kurzfristig erleichtern? Wird die Bundesregierung dafür eintreten, daß in das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz Regelungen für die Grenzübergänge zur Tschechoslowakei aufgenommen werden, und wird sie für die Beratungen entsprechende Formulierungshilfen vorlegen? Zu Frage 23: Die Situation an den Grenzübergängen zur Tschechoslowakei läßt sich kurzfristig nur eingeschränkt und nur durch organisatorische Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den örtlichen tschechoslowakischen Stellen verbessern. Derzeit (29./30. Oktober) suchen die Zollverwaltungen beider Länder nach diesen Lösungen organisatorischer Art. Die Situation an der Grenze ist darüber hinaus Thema von bilateralen und multilateralen Gesprächen am Rande der Paneuropäischen Verkehrskonferenz (29./30. Oktober in Prag). Die Bundesregierung wird außerdem nochmals an Importeure und Grenzspediteure herantreten, damit Lkw-Standzeiten an der Grenze, die nicht abfertigungsbedingt sind, im Interesse einer besseren Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten vermieden werden. Zu Frage 24: Der Entwurf des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes bezweckt eine Beschleunigung der Planungen für Bundesverkehrswege in den neuen Bundesländern sowie im Land Berlin durch ein bis Ende 1995 befristet geltendes vereinfachtes Planungsrecht. Das Gesetz findet somit auch auf Planungen für grenzüberschreitende Verkehrswege des Bundes zwischen den neuen Bundesländern und der CSFR bis zur Bundesgrenze Anwendung. Die Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereiches auf die neuen Bundesländer ist insbesondere durch den immensen Nachholbedarf zur grundlegenden Verbesserung des vernachlässigten Verkehrswegenetzes, den dringenden Handlungsbedarf zur Beseitigung von Investitionshemmnissen sowie durch die schwierige Situation der noch im Aufbau befindli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4359* chen Bauverwaltungen in den neuen Bundesländern begründet. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf die Frage des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/ CSU) (Drucksache 12/1380 Frage 25): Sieht die Bundesregierung konkrete Möglichkeiten oder sogar Notwendigkeiten, und gibt es bereits deshalb entsprechende Planungen, in Greifswald oder in Morsleben Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vorzusehen und einzurichten? Die Bundesregierung verfolgt zwei Endlagerprojekte, und zwar die ehemalige Eisenerzgrube „Schachtanlage Konrad" in Salzgitter und den Salzstock Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Seit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 verfügt die Bundesregierung über ein funktionsbereites Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Morsleben bei Helmstedt. Darüber hinaus gehende Planungen für weitere Endlager, z. B. in Greifswald, bestehen nicht und sind auch nicht erforderlich. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf die Fragen der Abgeordneten Antje-Marie Steen (SPD) (Drucksache 12/1380 Fragen 26 und 27): Kann die Bundesregierung Auskunft geben über Art und Unifang von Transporten von Kernbrennstoffen und radioaktiven Stoffen auf der B 207 sowie der Fährlinie Puttgarden—Rödby (Dänemark)? Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen, um die Sicherheit für die Bevölkerung bei diesen Transporten und deren Umschlag auf der am meisten befahrenen Wasserstraße in der westlichen Ostsee sowie auf der stark belasteten A 1/B 207 zu gewährleisten? Zu Frage 26: Über die Fährlinie Puttgarden-Rodby (Dänemark), die Bundesstraße B 207 und den Eisenbahnanschluß zum Fährhafen wurden 1990 bzw. 1991 folgende Transporte durchgeführt: 1. Kernbrennstoffe auf Grund einer Genehmigung nach § 4 Atomgesetz 1990 wurden drei Transporte von Meßgeräten, Proben und kernbrennstoffhaltigen Detektoren durchgeführt, davon zwei Transporte auf der Schiene und ein Transport auf der Straße. 1991 wurden zwei Transporte von Probenmaterial in der Form von bestrahlten Brennstäben als Schienentransporte ausgeführt, bei einem Transport handelte es sich um einen Transittransport von Frankreich über Deutschland nach Dänemark. 2. Großquellen auf Grund einer Genehmigung nach § 8 Strahlenschutzverordnung 1990 wurden zwei Transporte von Großquellen — dabei handelte es sich um Strahlenquellen für die Medizin bzw. Forschung — und 1991 ein Großquellentransport auf der Straße durchgeführt. 3. Sonstige radioaktive Stoffe Transporte von sonstigen radioaktiven Stoffen auf der Straße bedürfen der Genehmigung gemäß § 8 Strahlenschutzverordnung, Transporte sonstiger radioaktiver Stoffe mit der Eisenbahn bzw. mit Seeschiffen sind gemäß § 9 Strahlenschutzverordnung genehmigungsfrei, unterliegen aber — wie alle anderen Transporte — der Aufsicht der jeweils zuständigen Behörde. Für Transporte sonstiger radioaktiver Stoffe bestehen keine sicherheitstechnischen Gründe, Art und Umfang derartiger Transporte statistisch zu erfassen. Das wäre nur mit einem unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand möglich. Auf die Erfassung wird deshalb verzichtet. Zu Frage 27: Transporte von Kernbrennstoffen, Großquellen und sonstigen radioaktiven Stoffen werden gemäß den atomrechtlichen und verkehrsrechtlichen Vorschriften durchgeführt. Rechtsgrundlagen sind das Atomgesetz, die Strahlenschutzverordnung sowie das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter und die danach erlassenen Rechtsverordnungen. Für die Beförderung gefährlicher Güter auf Roll on/Roll off- Schiffen (Fährschiffen) gelten die Vorschriften des International Maritim Dangerous Goods Code (IMDG- Code) und speziell für den Ostseeverkehr das „Memorandum of Understanding" in der Fassung von Visby vom 18./20. September 1989. Die verkehrsrechtlichen Vorschriften basieren auf den weltweit geltenden Empfehlungen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) für die sichere Beförderung radioaktiver Stoffe. Diese IAEO-Empfehlungen gewähren ein so hohes Maß an Sicherheit, daß nach menschlichem Ermessen Unfälle mit Gefahren für die Umwelt und Bevölkerung ausgeschlossen werden können. Dies zeigt sich auch in folgendem: Seit 1981 sind die Aufsichtsbehörden der Bundesländer angehalten, über besondere Vorkommnisse/ Unfälle bei der Beförderung radioaktiver Stoffe unverzüglich zu berichten. Seit Beginn der Berichtspflicht hat es auf der genannten Beförderungsstrecke keine besonderen Vorkommnisse/Unfälle beim Transport radioaktiver Stoffe gegeben. Anlage 22 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU) (Drucksache 12/1380 Fragen 28 und 29): Wird die Bundesregierung die von der Nordatlantischen Versammlung in Madrid am 22. Oktober 1991 verabschiedete Resolution zur Abschaffung aller atomaren Kurzstreckenwaffen in Europa zum Anlaß nehmen, von der französischen Regierung nachdrücklich die Vernichtung aller HADES-Raketen zu verlangen? 4360* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 Warum ist der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker bisher nicht von der Sowjetunion an Deutschland überstellt worden? Zu Frage 28: Angesichts der grundlegend veränderten politischen und militärischen Lage in Europa sind landgestützte nukleare Kurzstreckenwaffen ein Anachronismus. Die Bundesregierung begrüßt daher die Entscheidung der Präsidenten Bush und Gorbatschow, diese Waffenkategorie weltweit zu beseitigen. Auch die von Ihnen angeführte Entschließung der Nordatlantischen Versammlung entspricht der Haltung der Bundesregierung. Es ist jedoch Sache der französischen Regierung zu entscheiden, welche Folgerungen sie für das Hades-Programm zieht. Zu Frage 29: Die sowjetische Führung beruft sich zur Begründung ihrer Haltung zur Rücküberstellung Honeckers bekanntlich auf „medizinische und humanitäre" Erwägungen. Etwaige weitere Motive der sowjetischen Führung sind der Bundesregierung nicht bekannt geworden. Die Bundesregierung sieht insoweit auch keinen Anlaß zu Spekulationen. Bundesminister Genscher hat im übrigen die Haltung der Bundesregierung auch bei seinem jüngsten Besuch in Moskau gegenüber der sowjetischen Führung erneut deutlich gemacht und den Anspruch auf Rücküberstellung Honeckers bekräftigt. Anlage 23 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Manfred Opel (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 30): Hat sich die Bundesregierung seit dem 3. Oktober 1990 mit verbundeten Reigerungen oder mit Gremien der NATO, der WEU oder anderen Organisationen (z. B. UNO) vor ihren Entscheidungen zur Abgabe von Waffen und Ausrüstungsgegenständen der ehemaligen NVA bzw. der Bundeswehr abgestimmt? Die Bundesregierung hat entschieden, daß die bisher geltenden rüstungsexportpolitischen Grundsätze und Richtlinien in vollem Umfang auch auf das Rüstungsmaterial der ehemaligen NVA Anwendung finden. Eine Änderung dieser Grundsätze ist nicht beabsichtigt. Anlage 24 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Walter Kolbow (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 31): Beabsichtigt die Bundesregierung hei den sogenannten Treaty Limited Equipments (TLE) die KSE-Vertragsbegrenzungen zu erfüllen und diese Waffensysteme zu vernichten, oder wird sie solche Waffensysteme auf Antrag in Länder außerhalb des Anwendungsgebietes exportieren? Die Bundesregierung wird die erforderlichen Reduzierungen von vertragsbegrenztem Gerät im Einklang mit Artikel VIII des KSE-Vertrages vornehmen. Die Reduzierungen, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat und die innerhalb von 40 Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages abgeschlossen sein müssen, werden in den Hauptwaffenkategorien in etwa folgenden Umfang haben: 2 800 Kampfpanzer, 5 500 gepanzerte Kampffahrzeuge, 1 900 Artilleriewaffen und 120 Kampfflugzeuge. Der Export in Länder außerhalb des Anwendungsgebietes ist keine der Möglichkeiten, die der Vertrag zur Reduzierung vertragsbegrenzter Waffensysteme unter Anrechnung auf die Reduzierungsverpflichtung vorsieht. Die durch die Frage implizierte Alternative zur Erfüllung der KSE-Vertragspflichten — Vernichtung oder Export in Länder außerhalb des Anwendungsbereiches — existiert daher nicht. Anlage 25 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Horst Sielaff (SPD) (Drucksache 12/1380 Frage 32): Welche Chancen für ein positives Ergebnis der Verhandlungen über die Revision des NATO-Truppenstatuts zur Gleichstellung der Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften sieht die Bundesregierung, und wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen? Es ist das Ziel der deutschen Seite, auf eine weitgehende rechtliche Gleichstellung der zivilen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften mit denen bei der Bundeswehr hinzuwirken. Die Verhandlungen über die Revision des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (nicht des NATO-Truppenstatuts selbst, das für alle Bündnispartner gilt) haben am 5. September 1991 in einer guten und vertrauensvollen Atmosphäre begonnen. Sie sollen so schnell wie möglich zu Ergebnissen führen. Angesichts der umfassenden Verhandlungsgegenstände können konkrete Angaben über ein voraussichtliches Ende der Verhandlungen und über zu erwartende Ergebnisse in einzelnen Fragen nicht gemacht werden. Anlage 26 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Albrecht Müller (Pleisweiler) (SPD) (Drucksache 12/1380 Fragen 33 und 34): Mit welchen Vorstellungen und Zielen in bezug auf die Gleichstellung der Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften geht die Bundesregierung in die Verhandlungen über die Revision des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4361* Warum hat die Bundesregierung nicht nach Artikel 82 c des Zusatzabkommens den Antrag auf eine Revision des Artikels 56 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut gestellt? Zu Frage 33: Es ist das Ziel der deutschen Seite bei den Verhandlungen über die Revision des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, die weitgehende rechtliche Gleichstellung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften mit denen bei der Bundeswehr zu erreichen. Wir werden gemeinsam mit den Entsendestaaten nach Lösungen suchen, wie wir dieses Ziel im einzelnen umsetzen. Nähere Angaben kann ich beim gegenwärtigen Stand der Verhandlungen nicht machen. Zu Frage 34: Die Bundesregierung hat im Juni 1991 nach Artikel 82 des Zusatzabkommens einen Antrag auf Revision des Zusatzabkommens gestellt. Sie hat in den Verhandlungen, die am 5. September 1991 begonnen haben, eine größere Anzahl von Artikeln genannt, die Gegenstand dieser Überprüfung sein sollen. Dazu gehört auch Artikel 56. Neben der Gleichstellung der Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften mit denen bei der Bundeswehr dürfen wir auch die Erhaltung der Arbeitsplätze nicht aus den Augen verlieren. Wie diese Ziele im einzelnen erreicht werden können, ist Gegenstand der Verhandlungen mit den Entsendestaaten. Darüber kann ich Ihnen beim gegenwärtigen Stand der Verhandlungen keine Zwischenergebnisse mitteilen. Anlage 27 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) (Drucksache 12/1380 Fragen 35 und 36): Wie vereinbart die Bundesregierung die Einladung an den chinesischen Vizepremierminister zu einem Besuch in die Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 29. Oktober 1991 bis 2. November 1991 mit den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom Juni 1989, nach dem hochrangige Kontakte bis auf weiteres ausgesetzt bleiben sollen, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich die Politik der chinesischen Regierung in Fragen der Menschenrechte und gegenüber der Demokratiebewegung seit 1989 liberalisiert hat? Wird die Bundesregierung beim Besuch des chinesischen Vizepremierministers deutlich und öffentlich die andauernden Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China einschließlich Tibets und die nach wie vor totale Unterdrückung der Demokratiebewegung zur Sprache bringen und die chinesische Regierung auffordern, eine Verbesserung der Menschenrechtssituation herbeizuführen und die Demokratiebewegung nicht länger zu unterdrücken? Zu Frage 35: Der Europäische Rat hat am 22. Oktober 1990 beschlossen, Kontakte zur Volksrepublik China auf Ministerebene wieder aufzunehmen. Die Bundesregierung hat diesen Beschluß mitgetragen, weil sie der Auffassung ist, daß auch Menschenrechtsfragen nur wirksam angesprochen werden können, wenn auf politisch verantwortlicher Ebene ein Dialog besteht. Dem Geist der vom Bundestag unmittelbar nach Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 ausgesprochenen Empfehlung wurde bis heute durch den Verzicht auf Staatsbesuche und Regierungschefkontakte voll entsprochen. In Einzelbereichen zeigen sich durchaus Erfolge westlicher Dialogpolitik, die mit beharrlicher Ansprache von Menschenrechtsfragen gepaart ist. Als Beispiel ist die Ausreisegenehmigung für den Physiker Fang Lizhi (spr. Fang Lidschö), die offensichtlich vorsichtigere Behandlung bekannter Führer der Demokratiebewegung wie Wang Juntao (spr. Wang Dschüntao) und Chen Ziming (spr. Tschen Tseming) und die Einreiseerlaubnis für Menschenrechtsdelegationen westlicher Staaten zu nennen. Bundesminister Genscher hat im September d. J. mit dem chinesischen Außenminister am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Einrichtung eines ständigen Dialogs zu anstehenden Menschenrechtsfragen auf Botschafterebene vereinbart. Auch dies ist ein Erfolg der Dialogpolitik. Was die Verurteilung von Anhängern der Demokratiebewegung anbetrifft, so appelliert die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern an die chinesische Regierung, sich in ihrem eigenen Interesse zu einer baldigen umfassenden Amnestie zu entschließen. Zu Frage 36: Die Bundesregierung wird auch diesen Besuch wie alle vorangegangenen wichtigen Gesprächskontakte nutzen, um diese Fragen mit Nachdruck anzusprechen.
Gesamtes Protokol
Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205200000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Der Abgeordnete Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) hat am 20. Oktober 1991 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Seine Nachfolgerin, die Abgeordnete Sigrun Löwisch, hat am 21. Oktober 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.

(Beifall im ganzen Hause)

Am 15. Oktober 1991 hat der Abgeordnete Lothar de Maizière auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Dr. Else Ackermann am 22. Oktober 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sie ist noch nicht anwesend!)

Ich begrüße beide Kolleginnen sehr herzlich und wünsche ihnen fruchtbare Arbeit.
Im Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes soll auf Wunsch der Fraktion der SPD folgende Änderung vorgenommen werden: Der Abgeordnete Wolfgang Roth — bisher stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß — soll ordentliches Mitglied werden. Die Abgeordnete Anke Fuchs (Köln), die bisher ordentliches Mitglied war, soll nunmehr stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß werden. Sind Sie damit einverstanden?

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, sehr, Herr Präsident!)

— Sie schon, Herr Kollege Struck. Sie haben es ja vorgeschlagen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Der Ausschuß für Gesundheit hat gebeten, ihm nachträglich zur Mitberatung den 13. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Drucksache 12/553, zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? — Dies ist offensichtlich der Fall. Es ist so beschlossen.
Wir treten in die Tagesordnung ein.
Ich rufe Punkt 2 a bis c der Tagesordnung auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991)

— Drucksache 12/1300 —Überweisung : Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 — StÄndG 1992)

— Drucksache 12/1368 —
Überweisungsvorschlag : Finanzausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß
Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau EG-Ausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hubert Doppmeier, Dirk Fischer (Hamburg), Helmut Rode (Wietzen) weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Horst Friedrich, Ekkehard Gries, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
— Drucksache 12/1359 —
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr



Vizepräsident Hans Klein
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Die Überweisungen sind so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 a bis c der Tagesordnung auf:
a) Erste, zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
— Drucksache 12/1363 —
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
— Drucksache 12/1154 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksachen 12/1387, 12/1392 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker Karl-Hermann Haack
Dr. Bruno Menzel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses

(8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

— Drucksache 12/1388 —
Berichterstatter: Abgeordnete Uta Titze
Arnulf Kriedner
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)


(Erste Beratung 42. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
— Drucksache 12/1155 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksachen 12/1387, 12/1392 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker Karl-Hermann Haack
Dr. Bruno Menzel

(Erste Beratung 42. Sitzung)

Interfraktionell ist vereinbart, den Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in erster, zweiter und dritter Beratung zu behandeln; er ist inhaltsgleich mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP.
Darf ich davon ausgehen, daß Sie mit diesem Verfahren einverstanden sind? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Es erhebt sich kein Widerspruch. — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Jagoda.

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1205200100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Gesetzesinitiative entwickeln wir das Krankenkassenrecht fort. Wir bekennen uns zum GesundheitsReformgesetz und zur Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese zu garantieren ist eine große Herausforderung und bedarf des guten Willens aller Beteiligten. Die positiven Ergebnisse der Gesundheitsreform versetzen uns in die Lage, diese Initiative heute zu beschließen.
Wir hätten uns gewünscht, daß die Umsetzung des Gesundheits-Reformgesetzes zügiger und umfassender vorgenommen worden wäre. Aber wir erkennen auch an, daß die Selbstverwaltung auf diesem Gebiet schon spürbare Schritte nach vorne gegangen ist.
Ich möchte darauf hinweisen, daß die Festbetragsarzneimittel bereits jetzt zu einer spürbaren Entlastung der Versicherten von jährlich ca. einer halben Milliarde DM und zu einer gleich hohen Einsparung jährlich bei der Krankenversicherung geführt haben. Deshalb ist es möglich, die Zuzahlungsregelung für Arzneimittel abzumildern, die nicht unter die Festbetragsregelung fallen.
Wir verlängern das jetzige Zuzahlungsrecht um neun Monate bis zum 1. Oktober 1992. Wir senken die Obergrenze der Zuzahlung um ein Drittel auf 10 DM. Wir verbessern die Härtefallregelung für das Beitrittsgebiet; die Härtefallgrenze West für Arznei- und Verbandsmittel gilt ab 1. Oktober 1992 auch in den neuen Bundesländern.
Mit der prozentualen Zuzahlung führen wir gleichzeitig eine Mindestzuzahlung von 1 DM je verordnetem Arzneimittel ein. Letzteres bedeutet, daß für 47 % der verordneten Arzneimittel eine geringere Zuzahlung zu leisten ist als bisher. Unser Ziel heißt auch weiterhin, mit den Instrumenten der Festbeträge das, was medizinisch notwendig ist, möglichst ohne Zuzahlung dem Versicherten zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Änderung der Härtefallregelung für Arzneimittel im Beitrittsgebiet bedeutet, daß zum Zeitpunkt der Einführung rund 80 % der Versicherten von der Zuzahlung für nicht festbetragsfähige Medikamente völlig befreit sind. Nur Versicherte mit einem höheren Einkommen zum Lebensunterhalt als 1 400 DM für Alleinstehende bzw. 1 925 DM für ein Ehepaar oder 2 975 DM für eine Familie mit drei Kindern müssen zuzahlen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, daß der Anspruch auf Freistellung von der Arbeit zur



Bernhard Jagoda
Pflege kranker Kinder verdoppelt wird. Statt bisher fünf sollen künftig zehn Tage für jeden Ehepartner bzw. 20 Tage für Alleinerziehende gewährt werden. Die Altersgrenze der zu pflegenden Kinder wird von acht auf zwölf Jahre angehoben.

(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)

Diese familienfreundliche Maßnahme ist ein weiterer Beitrag für Eltern und Alleinerziehende, Familie und Beruf miteinander zu verbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier muten wir der Solidargemeinschaft, der gesetzlichen Krankenversicherung und den Arbeitgebern eine Mehrbelastung zu. Wir werden die Ausgabenentwicklung aufmerksam beobachten. Wir glauben aber, daß sich die Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums erfüllen werden.
Mit dem Gesundheits-Reformgesetz hat der Gesetzgeber in § 119 SGB V auch nicht ärztliche Leistungen als Kassenleistungen anerkannt, wenn sie in sozialpädiatrischen Zentren, die unter medizinischer Leitung stehen, erbracht werden. Bei der Umsetzung dieser Vorschrift ist es zum Streit zwischen den Sozialhilfeträgern und den Krankenkassen gekommen. Damit dieser Streit nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird, lösen wir aus dem bisherigen § 119 Abs. 2 die Bestimmung heraus und fügen sie in den Leistungsteil dieses Gesetzes als § 43a ein.

(Horst Peter [Kassel] [SPD]: Echte Reform!)

— Das ist ein großer Fortschritt, Herr Kollege Peter. Sie haben in Ihrer Regierungszeit nie daran gedacht, für die Kinder etwas zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen damit sicherstellen, daß in der Zukunft die Krankenkassen unstrittig die Kosten übernehmen, die erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Das bedeutet konkret, daß das versicherte Kind für die Diagnosephase auch auf nicht ärztliche sozialpädiatrische Leistungen einen Rechtsanspruch hat. Für die Therapiephase gilt dann das Krankenkassenrecht.
Eine weitere Verbesserung im Gesundheits-Reformgesetz erbringen wir, indem wir die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen für Schwerstpflegebedürftige erweitern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, daß es bei der Bewilligung von Leistungen bei Schwerstpflege zu Ablehnungen kommt, weil ein Teil der Antragsteller die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Der Gesetzgeber wollte 1988 mit dieser neuen Leistung für Schwerstpflegebedürftige nur die langjährig Versicherten erfassen. Mit der neuen Regelung erfüllen Schwerstpflegebedürftige auch dann die versicherungsrechtliche Voraussetzung, wenn sie mindestens 180 Kalendermonate — das sind 15 Jahre — Versicherungszeit nachweisen. Mit dieser Verbesserung wird vielen Antragstellern geholfen.
Eine weitere Hilfe zur Verbesserung für die Versicherten bedeutet die Flexibilisierung der Zuzahlung für Zahnersatz. Bisher gab es bei der Versorgung mit Zahnersatz nur die Möglichkeit der vollständigen Befreiung nach § 61 dieses Gesetzes. Ein Versicherter, dessen monatliches Einkommen zum Lebensunterhalt unter der Härtefallgrenze lag, blieb von der Zuzahlung des erforderlichen Zahnersatzes vollständig befreit. Überschritt sein monatliches Bruttoeinkommen diese Grenze, so wurde er voll zuzahlungspflichtig. In der Zukunft wird es so sein, daß die Krankenkasse auch dann die berechnungsfähigen Kosten für die Versorgung mit Zahnersatz für den Versicherten übernimmt oder teilweise übernimmt, wenn diese das Dreifache der Differenz zwischen dem monatlichen Einkommen zum Lebensunterhalt und der zur vollständigen Befreiung maßgebenden Einkommensgrenze übersteigen.
Ich möchte das an einem Beispiel darstellen. Nehmen wir einmal an, ein Versicherter habe nach altem Recht zum Zahnersatz 2 000 DM zuzuzahlen. Er selbst habe ein Alterseinkommen von 2 215 DM. Ich bilde den Fall mit einem Rentnerehepaar. Dann bedeutet das, daß er bisher seine Zuzahlung voll bezahlen muß, weil die Härtefallgrenze von 1 925 DM mit seinem Einkommen überschritten ist. Nach dem neuen Recht wird es so sein, daß die Differenz zwischen der Grenze in Höhe von 1 925 DM und seinem Einkommen von 2 215 DM, also 290 DM, maßgeblich ist. Diese Differenz wird verdreifacht, so daß sein Eigenanteil in der Zukunft nicht 2 000 DM, wie das heute der Fall ist, sondern 870 DM beträgt. An diesem Beispiel sehen Sie, daß wir mit dieser Flexibilisierung gerade denen, deren Einkommen kurz über der bisherigen Härtefallgrenze liegt, entgegengekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Klaus Kirschner [SPD]: Da werden nur die Giftzähne etwas gekürzt!)

— Ich freue mich bei der guten Besetzung dieses Hauses, daß Sie heute morgen überhaupt hier sind.

(Klaus Kirschner [SPD]: Ich bin seit 9 Uhr hier!)

Ich begrüße den Abgeordneten Kirschner sehr herzlich und freue mich, daß er sich heute morgen im Protokoll verewigt hat. Aber wir machen keine Giftzähne. Hier geht es nicht um Abschleifen, sondern um Zahnersatz. Davon habe ich gerade gesprochen, Herr Kollege.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205200200
Herr Kollege Jagoda, der Abgeordnete Kirschner steht auch noch auf der Rednerliste. Er kommt auf jeden Fall ins Protokoll.

(Heiterkeit)


Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1205200300
Herr Präsident, herzlichen Dank für diesen Hinweis. Es ist immer gut, wenn die Abgeordneten vom Präsidium gut informiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch den vorliegenden Entwurf zur Änderung des Gesundheits-Reformgesetzes wird dieses noch sozialverträg-



Bernhard Jagoda
licher gemacht. Notwendige Klarstellungen werden aufgenommen. Der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers wird zum Ausdruck gebracht; Leistungsverbesserungen werden vorgenommen.
Ich will zum Schluß aber noch einen Satz sagen. Dieses Gesundheits-Reformgesetz wird dann eine gute Grundlage sein, um in der Zukunft die Leistungen für die Versicherten auf hohem Niveau zu garantieren, wenn alle Beteiligten — nicht nur die Politiker, auch die Krankenkassen, auch die Leistungserbringer, auch die Versicherten — den Geist dieses Gesetzes umsetzen, damit es in der Zukunft weiter Fortschritte gibt.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Deswegen mein Appell von dieser Stelle an alle Beteiligten: Kommen Sie aus Ihren Schmollwinkeln heraus! Hören Sie mit den überzogenen Kritiken auf! Setzen Sie dieses Gesetz im positiven Sinne um. Dann haben wir den Versicherten am besten geholfen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205200400
Ich erteile dem Abgeordneten Klaus Kirschner das Wort.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205200500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Jagoda, ich denke, der Lack ist ab.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wo ist der Lack ab? — Zurufe von der CDU/CSU)

Keine noch so beschönigende Wortkosmetik kann darüber hinwegtäuschen, daß die Gesundheitsreform — das sage ich deutlich an die Damen und Herren von der Koalition und an die Bundesregierung — nach noch nicht einmal drei Jahren Geltung gescheitert ist. Das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung wächst, obwohl Sie die Versicherten — das trifft vor allem Ältere, chronisch Kranke und Behinderte —jährlich durch erhöhte Selbstbeteiligung in Milliardenhöhe schamlos geschröpft haben.

(Dieter-Julius Cronenberg [FDP]: Nicht schamlos!)

Dieses Jahr werden die Kassen ein Minus von mindestens 5 Milliarden DM zu verzeichnen haben, im kommenden Jahr noch mehr. Ich will Ihnen dazu ein paar Zeitungsschlagzeilen vorlesen: „Die Selbstbeteiligung der Versicherten ist ein fragwürdiger Weg aus der Misere", „Leere Kassen", „Kassen droht Milliardendefizit" , „Ein Fehlschlag", „Die HasselfeldtPleite". Dies sind einige der Überschriften aus Zeitungen der letzten Tage und Wochen.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Aus dem „Vorwärts" lesen Sie vor! — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Das sind kaum SPD-Zeitungen!)

Selbst die Bundesgesundheitsministerin hat in der Zwischenzeit registriert, daß das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz, das sie von ihrem Vorgänger Norbert Blüm als Erblast übernommen hat, am Ende ist. Auf Vorschläge aus dem Ministerium, wie die ausgabentreibenden Ursachen angegangen werden können und wie ihnen Einhalt geboten wird, wartet man bisher jedoch vergeblich.
Die Ausgabensteigerungen müssen doch alle Alarmglocken läuten lassen. Bei Arzneimitteln handelt es sich beispielsweise um 9 % Ausgabensteigerungen, bei Heil- und Hilfsmitteln um 11,1 % und bei den Kuren gleich um 23,8 % im ersten Halbjahr dieses Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Welche Antwort, Frau Ministerin, haben Sie auf die permanent steigende Zahl von sich niederlassenden Ärzten? Allein in der ersten Jahreshälfte beträgt der Nettozuwachs 2,8 %, wobei der Trend zum Facharzt, der den Kassen besonders teuer zu stehen kommt, ungebrochen ist. Das bedeutet: zur Jahrtausendwende fast 50 % mehr Kassenärzte, verbunden mit hoher Einkommenserwartung, Konkurrenzdruck und daraus resultierendem, in vielen Fällen medizinisch oft nicht notwendigem, jedoch kostentreibendem Verordnungsverhalten.
Frau Ministerin, ich denke, die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie Sie die Probleme angehen wollen. Es genügt nicht, eine Kommission zu bilden.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Aber das ist die Voraussetzung!)

Handeln ist schnellstens gefordert. Allerdings möchten wir Sie vor einer Neuauflage des von Ihrem Vorgänger hinterlassenen Abkassierungsgesetzes — das sage ich sehr deutlich — warnen.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Drehen Sie doch einmal die Platte um!)

Ich fordere Sie auch auf, unmißverständlich zu den Forderungen Ihres CDU-Wirtschaftssprechers, Herrn Wissmann, Stellung zu beziehen, der Einschnitte in die gesetzliche Krankenversicherung und in die Rentenversicherung zu Lasten der Versicherten gefordert hat.
Das gleiche gilt für den Kollegen Dr. Thomae. Sie fordern als angebliches Heilmittel eine zusätzliche Selbstbeteiligung von 1 000 DM bei einem Einkommen von 50 000 DM von allen Versicherten und tun gleichzeitig Wirtschaftlichkeitskontrollen als ungeeignet und planwirtschaftlich ab.
Meine Damen und Herren, mit dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf gesteht die Koalition unfreiwillig das Scheitern ihres mit heißer Nadel gestrickten Gesundheits-Reformgesetzes — es wurde als Jahrhundertwerk angepriesen — ein.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Erstmals seit drei Jahren kein Anstieg der Beiträge!)

Die Festbeträge sollten angeblich das Herzstück dieses Gesetzes sein. Statt der versprochenen oder zugesagten und im Raum stehenden 80 % bis 90 % sind es gerade ein Drittel aller Arzneimittel — das wird hier niemand bestreiten — , die auf einer Festbetragsliste stehen. Wenn Sie nun das Inkrafttreten der höheren Selbstbeteiligung um ein dreiviertel Jahr hinausschieben, dann tun Sie dies nur, um über die Landtagswahltermine in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zu kommen;

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Ausdruck der Unsicherheit!)




Klaus Kirschner
denn Sie halten doch an Ihrem Ziel der 15 %igen Zuzahlung bis zu 10 DM je Arzneimittel fest.

(Dr. Dieter Thomae [FDP] : Modifiziert!) Daran ändern Sie doch nichts.


(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Ja, sicher ändern wir das! Wir ändern das doch von 15 % auf 10 DM)

— Das habe ich doch gerade gesagt, lieber Kollege Hoffacker. Sie müssen nur zuhören.
Warum sind Sie nicht bereit, andere Vorschläge objektiv zu prüfen? Wann werden Sie endlich dazu bereit sein? Wir Sozialdemokraten haben Ihnen eine konstruktive Zusammenarbeit angeboten. Warum lehnen Sie denn eigentlich den Vorschlag von Positivlisten so rundherum ab? Warum müssen Patienten denn eigentlich 15 % zuzahlen? Geben Sie doch darauf einmal eine Antwort. Genügt Ihnen denn der Beitrag, den jeder Versicherte mit seinem Krankenversicherungsbeitrag zu leisten hat nicht?
Sie haben unseren Gesetzentwurf im Gesundheitsausschuß abgelehnt, der ein dreijähriges Moratorium vorschlägt, damit wir gemeinsam — ich betone: gemeinsam — Zeit haben, den Arzneimittelmarkt neu zu ordnen. Die öffentliche Sachverständigenanhörung, die wir zu diesen beiden Gesetzentwürfen durchgeführt haben, hat doch die Untauglichkeit Ihres Konzeptes bestätigt, und zwar von allen Seiten her. Es gab keine positive Stellungnahme, die Ihren Gesetzentwurf unterstützt hat. Wollen Sie eigentlich solche Sachverständigenanhörungen zur Farce machen? Wofür führen wir sie denn durch, wenn wir nicht bereit sind, die dort vorgebrachten Argumente einer ernsthaften und vorurteilsfreien Prüfung zu unterziehen?

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Herr Kirschner, im Ausschuß waren Sie sachlicher!)

— Ich bitte Sie!
Das gleiche gilt für die Jahr für Jahr vom Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vorgebrachten Vorschläge zur Reform und Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens. Sie haben diese Gutachten, die seit 1987 jährlich vorgelegt werden, ebenso wie die beiden Berichte der Enquete-Kommission zur Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung in den Regalen verstauben lassen.
Die Quittung für das Außerachtlassen all dieser Reformvorschläge und der Ergebnisse der Sachverständigenbefragungen liegen nun auf dem Tisch, nämlich das Eingeständnis des Scheiterns Ihres Gesetzes. Wie Sie, liebe Frau Staatssekretärin, vor diesem Hintergrund bei den Beratungen im Bundesrat am 18. Oktober 1991 allen Ernstes behaupten konnten, das Gesetz habe sich insgesamt bewährt und Erfolge seien für jedermann erkennbar,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

ist mir — sicherlich nicht nur mir, sondern allen, die sich mit der Gesundheitspolitik ernsthaft befassen —sehr schleierhaft.
Ihr sogenanntes Gesundheits-Reformgesetz ist darauf angelegt, durch höhere Selbstbeteiligung der Versicherten die Ausgaben der Kassen — das werden Sie doch wohl nicht bestreiten wollen — zu senken. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf verfolgt das gleiche Ziel, nämlich bei den Kranken abzukassieren. Es wird so sein, daß die höheren Arzneimittelzuzahlungen 600 Millionen DM jährlich betragen werden, die Sie den Patienten zumuten.
Ich will es deutlich machen — ich komme dabei zu etwas anderen Zahlen als Sie, Herr Kollege Jagoda — : Dies bedeutet im Schnitt eine Steigerung der Zuzahlung je Versicherten von jetzt 23,50 DM auf 34 DM, wobei die Rentner nach den Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen
— das haben wir bei der Sachverständigenanhörung gehört — noch wesentlich stärker als die übrige Bevölkerung betroffen sind. Die Rentner werden nämlich in Zukunft jährlich im Schnitt rund 75 DM an Arzneimittelzuzahlungen zu leisten haben.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Rechnung basiert noch auf 15 % und nicht auf 10 DM!)

— Das trifft sehr wohl zu. Das WIdO hat seine Berechnungen auf der Basis Ihres Gesetzentwurfes vorgenommen.
Das heißt: Ihre Politik der Ausgabensenkung durch Umverteilung zu Lasten der Patienten — nichts anderes ist es — geht unverdrossen weiter.
Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wo bleiben die Aktivitäten in puncto Umsetzung des GRG, beispielsweise zum Abbau der Fehlbelegungen in den Krankenhäusern und der möglichen Kürzung der Verweildauer? Wo bleiben Ihre Bemühungen zur besseren Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung, der Richtgrößen, um damit die überhöhten und zu hohen Arzneimittelverordnungen zu reduzieren? Wo bleiben Ihre Bemühungen zur Einführung wirksamer Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern zur Verbesserung der Kosten- und Leistungstransparenz?
Ich sage deutlich: Wenn Sie von seiten der Regierung oder der Koalition der Selbstverwaltung oder dem Bundesausschuß die Schuld für das Scheitern oder die mangelhafte Umsetzung des Gesetzes geben, so ist dies falsch. Sie wissen genau, daß die im Gesetz vorgesehenen Umsetzungsmechanismen unzureichend sind und deshalb an der Blockade der Leistungserbringer bisher weitestgehend gescheitert sind.
Ich frage Sie, Frau Ministerin: Was tun Sie? Schaffen Sie endlich wirksame Instrumente zur Konfliktlösung, oder greifen Sie, wenn Sie das nicht wollen oder wenn Sie dafür bisher keine Mehrheiten in Ihrer Koalition gefunden haben, zur zweiten Lösung, nämlich zur Ersatzvornahme. Aber tun Sie endlich etwas. Man kann nicht nur die Selbstverwaltung oder den Bundesausschuß schelten.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205200600
Herr Kollege Kirschner, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1205200700
Herr Präsident, vielen Dank.



Klaus Krischner
Meine Damen und Herren, ich glaube, aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden, daß Sie endlich umkehren sollten. Wir werden deshalb Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Wir bieten Ihnen nochmals die Chance: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu; denn mit dem dreijährigen Moratorium hätten wir Zeit, zu einer wirklichen Neuregelung, zu einer Reform zu kommen, die diesen Namen verdient.

(Beifall bei der SPD — Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir arbeiten schneller! Wir brauchen nicht drei Jahre!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205200800
Das Wort hat der Abgeordnete Bruno Menzel.

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1205200900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesundheitswesen ist in den letzten Wochen erneut in die Schlagzeilen geraten. Für dieses Jahr wird in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit in der Größenordnung von 5 Milliarden DM erwartet. Für das mit dem Gesundheits-Reformgesetz festgelegte Ziel der Beitragssatzstabilität bestehen damit offensichtlich ernsthafte Gefährdungen.
Die Kritiker des seinerzeitigen Reformwerkes sehen dies als Beweis seines Scheiterns an. Die Kritik in dieser Form ist nicht berechtigt und zum Teil falsch. Falsch, weil wir ohne dieses Reformwerk wahrscheinlich bereits heute die Belastungsgrenze unseres Krankenversicherungssystems überschritten und Beitragssätze von ca. 14 % zu verzeichnen hätten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Die Alternative war doch nicht, nichts zu tun! Die Alternative war Strukturreform!)

Unberechtigt, Herr Kollege, ist die Kritik aber auch, weil sie einerseits den Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen zum Anlaß nimmt, vom Scheitern der Gesundheitsreform zu reden, andererseits aber auf die steuernde Arzneimittelzuzahlung verzichten möchte. Dies ist inkonsequent und läßt die Vermutung aufkommen, daß manche Kritik gar nicht aus echter Sorge um die Ausgabensituation der GKV formuliert ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich denke, das Gesundheits-Reformgesetz war als solches unverzichtbar. Wenn wir heute Änderungen beschließen, dann tun wir dies, weil kein Reformwerk so gut sein kann, daß es nicht noch verbesserungsfähig wäre.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Klaus Kirschner [SPD]: Darin sind wir uns einig, daß es noch verbesserungsfähig ist!)

— Das ist aber schön, daß wir uns darin einig sind.
Dazu gehört die Veränderung bei Vorversicherungszeiten für Pflegeleistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit ebenso wie die gleitende Härtefallregelung beim Zahnersatz. Das wurde schon gesagt. Dazu gehört — das ist ganz wichtig — der festgeschriebene Anspruch für Kinder auf nicht ärztliche sozialpädiatrische Leistungen ebenso wie die Verdoppelung der Krankengeldzahlungen im Fall der Erkrankung der
Kinder, bei Alleinerziehenden sogar die Vervierfachung.
Dazu gehört aber auch im Arzneimittelbereich die Zuzahlung bei nicht in der Festbetragsregelung enthaltenen Arzneimitteln. Dies ist zwingend geboten, weil wir davon überzeugt sind, daß dies eine Möglichkeit ist, Versicherte durch eine sozial ausgewogene Selbstbeteiligung zu einem sparsamen und wirtschaftlichen Umgang mit Arzneimitteln zu motivieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Selbstbeteiligung dient der Steuerung. Sie dient nicht der Umverteilung und schon gar nicht, wie die SPD immer wieder glauben machen möchte, der Umlage von Kosten auf private Haushalte.

(Klaus Kirschner [SPD]: Nichts anderes, Herr Kollege! — Horst Peter [Kassel ] [SPD]: Das ist eine Krankensteuer!)

Ich darf an dieser Stelle an die Ausführungen des nordrheinwestfälischen Sozialministers Heinemann erinnern, der gerade in der letzten Woche öffentlich von einer Pillengläubigkeit und Übermedikalisierung von etwa 5 bis 6 Milliarden DM gesprochen hat.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das bestreiten wir doch gar nicht! — Dr. Paul Hoffacker [CDU/ CSU]: Das ist ein Sozialdemokrat, der Heinemann!)

— Wir haben darüber im Gesundheitsausschuß schon gesprochen.
Auch wir wissen dabei natürlich um die Probleme all jener Patienten, die auf Arzneimittel angewiesen sind, die nicht unter die Festbetragsregelung fallen. Wir sehen auch die Probleme, die dadurch auf die Ärzte und die Apotheker zukommen. Deshalb sollte die vorgesehene Verschiebung der Zuzahlungsregelung bis Oktober 1992 intensiv genutzt werden, um weitere unverzichtbare Medikamente in die Festbetragsregelung hineinzubekommen.
Aus all diesen Gründen — das darf ich hier besonders betonen — wäre der FDP zweifelsohne eine gleichmäßige Zuzahlung von 10 % auf alle Arzneimittel lieber gewesen als die jetzt vorgesehene Regelung, die zu einem gespaltenen Arzneimittelmarkt führt. Die jetzige Entscheidung ist uns dabei nicht leichtgefallen. Wir tragen sie aber mit, weil wir die steuernde Selbstbeteiligung für unverzichtbar halten.
Unverzichtbar waren auch weitreichende Sozialklauseln, die Bürger mit niedrigem Einkommen und chronisch Kranke vor übermäßigen Belastungen schützen. Mit unserem Gesetzentwurf kommen wir damit auch und in besonderem Maße den Bürgern in den neuen Bundesländern entgegen, indem wir die Härtefallgrenze in allen Bundesländern gleich ansetzen. Dies wiederum führt zu dem Ergebnis, daß der größere Teil der Bevölkerung in den neuen Bundesländern zur Zeit von jeder Zuzahlung im Arzneimittelbereich befreit ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir werden darüber hinaus in den nächsten Monaten sehr intensiv — Herr Kollege Kirschner, da gebe ich Ihnen völlig recht — über weitere gesund-



Dr. Bruno Menzel
heitspolitische Maßnahmen beraten müssen — dazu brauchen wir schon die Kommission; das ist ja die Voraussetzung dafür, daß man entsprechend beraten kann —; denn auch wir sind davon überzeugt, daß die im Gesundheits-Reformgesetz implementierten Instrumentarien — Richtgrößen, Wirtschaftlichkeitsprüfung und Deckelung der Arzthonorare mit zwangsläufigem Punktwerteverfall — auf Dauer nicht geeignet sind, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen wirkungsvoll zu bekämpfen. Die anstehenden politischen Entscheidungen müssen weg von Dirigismus und Reglementierung und hin zu mehr ökonomischer Vernunft und Marktwirtschaft.

(Klaus Kirschner [SPD]: Auch bei den Leistungsanbietern!)

Es hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens das Bestreben gegeben, den einheitlichen Beitragssatz in den neuen Ländern über das Jahr 1991 hinaus per Gesetz festzuschreiben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205201000
Herr Kollege Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peter?

Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1205201100
Bitte sehr.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205201200
Herr Kollege Menzel, Sie haben den Handlungsbedarf u. a. im Bereich der Richtgrößen zugestanden. Können Sie auch etwas über die zeitlichen Dimensionen sagen: noch in dieser Legislaturperiode, in der nächsten, in der übernächsten?

(Klaus Kirschner [SPD]: Was soll denn das? In der nächsten regieren doch wir!)


Dr. Bruno Menzel (FDP):
Rede ID: ID1205201300
Sie kennen unsere Koalitionsvereinbarung und wissen, welche Ziele wir uns in der Gesundheitspolitik vorgenommen haben. Wir können mit Sicherheit nicht bis zur nächsten Legislaturperiode warten. Das geht auch aus dem hervor, was ich eingangs schon gesagt habe.
Nebenbei gesagt: Auch der Bundesrat hat den einheitlichen Beitragssatz in den neuen Ländern über 1991 hinaus gefordert, weil angeblich bei einer Reihe von Krankenkassen Beitragsanhebungen zu erwarten seien.
Die FDP wendet sich gegen die Bestrebungen der weiteren Beitragsfestschreibung. Wir haben uns deshalb dafür eingesetzt, daß die Beiträge — wie im Einigungsvertrag auch vorgesehen — zum Januar 1992 freigegeben werden. Wir sind überzeugt, mehr Wettbewerb führt auch hier zu günstigeren Ergebnissen als eine staatliche Vorgabe. Es gehört nämlich zur Logik der Planwirtschaft, daß sich mehr Wirtschaftlichkeit nicht per Verordnung erzwingen läßt. Wer dies will, löst in der Regel eine Welle kostenintensiver Kontrollen aus, die letztendlich zu nichts führen. Es gehört dazu, daß, wenn man etwas verordnet, die Kontrollen entsprechend ausgeweitet werden müssen. Außerdem erreicht man damit permanente Gegen- und Ausweichreaktionen, die man vorher nicht absehen kann.
Deshalb sind auch Überlegungen, Beitragssätze per staatlicher Verordnung einzufrieren, der falsche Weg;
denn sie führen in der Konsequenz früher oder später zu einem verstaatlichten Gesundheitswesen.
Wir Liberalen lehnen solche plandirigistischen Maßnahmen ab. Wer mehr Wirtschaftlichkeit will, der kann dies nur mit ökonomischer Vernunft, d. h. mit einer Politik der Anreize, erreichen. Deshalb will die FDP endlich die dringend erforderliche Krankenhausreform angehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gefragt sind dabei auch vernünftige Konzepte, um Leistungen aus dem Krankenhausbereich in die ambulante Versorgung zu verlagern. Dies ist nicht nur kostengünstiger, sondern schafft auch eine Entlastung für das chronisch überlastete Krankenhauspersonal. Die FDP wird bei der weiteren Diskussion auch darauf drängen, das Instrument der Kostenerstattung dort, wo es sinnvoll ist, in verantwortungsvoller Weise einzubauen.
Meine Damen und Herren, wir sollten die gesundheitspolitische Diskussion in den nächsten Monaten in aller Offenheit führen; da gebe ich Ihnen völlig recht. Unser Ziel muß sein, durch mehr marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen den hohen Versorgungsstandard zu finanzierbaren Kosten aufrechtzuerhalten. Dies schulden wir den Patienten, die ein Anrecht auf bestmögliche Versorgung haben. Dies schulden wir aber auch den Beitragszahlern, die ein Anrecht darauf haben, daß ihr Bruttoeinkommen nicht durch erhöhte Sozialversicherungsbeiträge übermäßig reduziert wird. Dies schulden wir nicht zuletzt auch den Leistungserbringern, die den hohen medizinischen Standard in unserem Lande gewährleisten.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205201400
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Ursula Fischer.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1205201500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sozialgesetzgebung und Reformansprüche erwecken zunächst einmal Hoffnung, Hoffnung darauf, daß der Gesetzgeber zugunsten der Sozietät Verbesserungen festschreibt. Nun bin ich nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre beileibe keine allzu große Optimistin in dieser Beziehung und schon gar keine Träumerin mehr. Aber ich habe zumindest eines verstanden: Wenn es um Veränderungen innerhalb der Sozialpolitik geht, dann betreffen diese sogenannten Reformen die Mehrheit der Bevölkerung, d. h. insbesondere diejenigen, die nicht zu den oberen Zehntausend zählen. Deshalb, so denke ich, müssen wir uns schon genauer ansehen, was die Gesetzesnovelle dem Bürger und der Bürgerin bringt, wohin die Entwicklung mit solchen Entscheidungen gelenkt wird und welche Tendenzen aufgezeigt werden.
Beginnen wir mit den heiß umstrittenen Zuzahlungen zu den festbetragsfreien Medikamenten. Die Regierung versprach u. a. über die Festbetragsregelung für fast 80 % der Medikamente eine Entlastung bzw. Kosteneinsparung, also eine Verbesserung. Abgesehen davon, daß bisher nur 32 % der mit Festbeträgen



Dr. Ursula Fischer
zu versehenden Medikamente geregelt sind, stellt sich die Frage, für wen sich eine Kosteneinsparung ergeben soll: erst einmal für die Kassen und damit, der Logik folgend, vielleicht auch für den Beitragszahler?
Wie geht es nun? Die Realität sieht derzeit folgendermaßen aus: Es gibt eine Zuzahlungspflicht in Höhe von 3 DM im Westen und 1,50 DM im Osten. Das erscheint normal, bedeutet allerdings schon jetzt: Derjenige, der viele Medikamente braucht — das sind vorrangig alte und multimorbide Menschen — zahlt auf Grund seines Alters eine Menge mehr.
Herr Präsident, ich sehe mich außerstande, unter den Bedingungen, die hier im Saal herrschen, zu reden. Ich finde, es ist auch eine Unverschämtheit.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205201600
Verehrte Frau Kollegin, eine mittlere Unruhe wie im Augenblick gehört eher zur Normalität.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1205201700
Das ist keine mittlere Unruhe. Aber gut, ich rede weiter.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205201800
Verzeihung, ich möchte an die Adresse der Kollegen sagen: Munterkeit, Heftigkeit und auch einmal schärfere Reaktionen auf den Redner sind eine Sache. Aber allgemeines Volksgemurmel, das überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, was von der Rostra herunter gesagt wird, ist eine andere, die ich nicht gut finde. Also, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit.

(Beifall des Abg. Horst Peter [Kassel] [SPD])


Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1205201900
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Die erwähnte Zuzahlungspflicht erscheint normal, bedeutet allerdings schon jetzt: Derjenige, der viele Medikamente braucht — das sind ja vorrangig alte und multimorbide Menschen — zahlt auf Grund seines Alters oder seiner Erkrankung eine Menge mehr als Junge und Gesunde. Das heißt, der Versicherte zahlt seine Krankenkassenbeiträge und leistet zusätzlich eine Zuzahlung für die medikamentöse Therapie im Krankheitsfall.
Die Novellierung beinhaltet mit einer für mich nicht begründbaren Zeitverschiebung um genau neun Monate für 1992 schon angekündigte und langsame, aber sicher vorbereitete Beitragssatzerhöhungen und entsprechend der Diktion der Koalition eine „Erhöhung der Eigenverantwortung des Patienten" über eine „sinnvolle Eigenbeteiligung" an den Arzneimittelausgaben. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Kosten auf dem sogenannten Gesundheitsmarkt immer mehr auf die Patienten umgelagert werden. Durch die Änderung des § 31 Abs. 3 SGB V wird zwar die gesetzliche Krankenversicherung finanziell entlastet; aber den Part der Belastungen bekommt insbesondere der chronisch Kranke, zumeist der Alte und Multimorbide, der auf Grund seiner Erkrankung nun „sinnvoll" und „eigenverantwortlich" viel mehr Geld ausgeben darf. Das verstehe ich aber nun nicht unter sozial.
Im übrigen ist seit langem klar, daß Selbstbeteiligung und Zuzahlung, in unserem Fall 10 DM Höchstbetrag pro Medikament, mindestens aber 1 DM, weder zu einer Veränderung der Kostenentwicklung der Kassen noch zu einer Veränderung der sogenannten Arzneimittelkonsumhaltung der Verbraucher führt; oft haben diese ja auch gar keinen Einfluß darauf. Das heißt, wider besseres Wissen gibt die Koalition vor, über eine prozentuale Selbstbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten ein marktwirtschaftlich orientiertes Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen zu installieren. Das bedeutet aber lediglich, daß die Arbeitnehmer neben den 6,4 %, die sie von ihrem Einkommen für den Krankenkassenbeitrag aufwenden müssen, im Durchschnitt noch mindestens weitere 2 % des Einkommens für Gesundheitsausgaben privat werden aufwenden müssen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht! — Höchstens! — Lesen Sie doch einmal das Gesetz! — Da gibt es Überforderungsklauseln! — Immer bei der Wahrheit bleiben!)

Dazu käme dann noch die Beitragszahlung für die zu erwartende Pflegeversicherung. Das kommt ebenfalls noch hinzu und zeigt auch die Tendenz an. Da können Sie mir sagen, was Sie wollen. Es wird zu einer Explosion der Kosten kommen!
Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß diese Strategie im Interesse Ihrer Wähler liegt. Im Interesse meiner Wähler liegt sie nicht, zumal der CDU-Wirtschaftsexperte Wissmann

(Zuruf von der SPD: Wo ist der eigentlich?)

gleichzeitig laut über weitere Einsparungen im Sozialbereich nachdenkt.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Da hat er völlig recht!)

Dies betrifft z. B. eingeschränkte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber. 1992 wird also ein Jahr weiterer Streichungen bzw. Schröpfung der Kranken werden

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— das werden wir sehen — , was zu einer vertieften Entsolidarisierung zwischen Gesunden, Alten und Kranken führen wird; und Sie sprechen dann von Moral.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unser Gesundheitssystem ist ein bißchen besser, als das der DDR war, liebe Frau!)

In diesem Sinne verstehen wir diesen Teil der von der CDU/CSU geplanten Änderung, den wir grundsätzlich ablehnen.
Ich bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das tut ja weh!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205202000
Das Wort hat der Abgeordnete Horst Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205202100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es bedauerlich, daß die Kronzeugen für das politische Klima, in dem diese



Horst Peter (Kassel)

Gesetzesänderung zustande kommt, nicht anwesend sind. Es fehlt Frau Schwaetzer, es fehlt Herr Lambsdorff, es fehlt Herr Wissmann.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Die drücken sich alle! Die haben nur Angst!)

Gut, daß Herr Thomae hier ist.

(Heiterkeit bei der SPD)

Wir diskutieren hier ja über die Schnittstelle der Streitigkeiten innerhalb der Koalition. Herrn Lambsdorffs präzise Beschreibung derselben Personen, die seit Jahren mit denselben Argumenten agitieren, die sich gegenseitig zu überzeugen suchen und die in der Sache nicht weiterkommen, kann ja direkt auf die Diskussion innerhalb der Koalitionsfraktionen im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik übertragen werden. Alle, die an der letzten Sitzung des Gesundheitsausschusses teilgenommen haben, durften als Zeugen beeindruckt erleben, wie das mit dieser Uneinigkeit ist.
Das ist auch die Ursache dafür, daß auf alle Fragen, wann denn nun etwas durchgesetzt wird, was in der berühmten Koalitionsvereinbarung steht, geantwortet wird: Wir wissen es nicht. Es gibt nun immerhin eine konkrete Zusage von Herrn Dr. Menzel, es solle noch in dieser Legislaturperiode geschehen. Das ist immerhin schon wesentlich konkreter als das, was man von der Bundesregierung hört. Darüber könnte sich die Opposition zwar freuen, aber wenn das alles auf den Schultern der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgetragen wird, wenn diese Opfer der Uneinigkeit und der Koalitionsstreitigkeiten werden, dann ist das sozialpolitisch unverantwortlich. Das muß einmal gesagt werden.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, ist Ausdruck der Unfähigkeit, das reformpolitisch Erforderliche zu tun. Einerseits die Angst der CDU, irgend jemandem im Gesundheitswesen an die Privilegien zu gehen, und andererseits die Absicht der FDP, Solidarprinzip und Sachleistungsprinzip der sozialen Krankenversicherung auszuhöhlen und damit die gesetzliche Krankenversicherung den Prinzipien der Privatversicherung anzupassen und ihr dadurch die sozialpolitische Funktion zu nehmen, stehen dem entgegen, daß im Gesundheitswesen eine Strukturreform gemacht werden kann. Es liegt also an der Unfähigkeit und daran, daß auf Ihrer Seite der Wille, sich zu einigen, fehlt.
Weil dieser Wille, sich zu einigen, fehlt, weil der Wille, eine Strukturreform in Angriff zu nehmen, fehlt, wird auch alle Bereitschaft der SPD abgelehnt, ähnlich wie bei der Rentenversicherungsreform gemeinsam an die Probleme heranzugehen

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Weil Sie keine vernünftigen Vorschläge machen! Daran liegt das!)

und eine Gesundheitsreform durchzuführen, die diesen Namen wirklich verdient. Es ist in der Tat viel zu reformieren; es gibt da viel zu tun. Der Kollege Kirschner hat es vorhin im einzelnen aufgezeigt.
Bringen Sie endlich einmal die Bereitschaft auf, zuzugeben, daß es damals nicht um die Alternative ging, eine Kostendämpfung vorzunehmen oder nichts zu tun. In der letzten Legislaturperiode, Herr Dr. Menzel, ging es vielmehr um die Alternative, eine Kostendämpfung vorzunehmen — von der man vorher wußte, daß sie nichts Wesentliches bringen würde, daß es nach einer Phase von Blüm-Bäuchen und -Dellen wieder zu Kostensteigerungen kommen würde — oder tatsächlich an die kostentreibenden Strukturdefizite des Gesundheitswesens heranzugehen,

(Klaus Kirschner [SPD]: Sehr richtig!)

wie die Sozialdemokraten es damals beantragt haben und wie es von Ihnen wider bessere Einsicht abgelehnt wurde.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Als Patentrezept die Selbstbeteiligung zu wählen, worauf sich die „gesundheitspolitischen Experten" Wissmann, Lambsdorff und Möllemann — auch er hat sich jetzt sehr intensiv dazu geäußert — geeinigt haben, ist ein ideologisch begründeter Irrweg. Beim Zahnersatz, wo wir im Gesundheitsreformgesetz gegen die Stimmen der SPD die Selbstbeteiligung verdoppelt haben, hat das dazu geführt, daß in diesem Bereich die Kostenentwicklung nicht unterhalb des Durchschnitts, sondern oberhalb der durchschnittlichen Steigerungsrate liegt.

(Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)

Dann, meine Damen und Herren, höre ich immer, wir benötigten marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente. Man sollte sich doch einmal vor Augen führen, daß im Gesundheitswesen einer der Eckpunkte und Kernpunkte die vertragliche Einigung zwischen unterschiedlichen Interessenten ist. Diese vertragliche Einigung hat in der Regel funktioniert. Die Einführung zusätzlicher marktwirtschaftlicher Elemente geht hier immer auf Kosten der Versicherten, der Schwachen. Der Markt löst nicht alle Probleme!

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205202200
Herr Kollege Peter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Thomae?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205202300
Aber selbstverständlich.

Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1205202400
Herr Kollege Peter, haben Sie festgestellt, in welchem Umfang die Ausgaben für Zahnersatz in den letzten drei Jahren gesunken sind

(Klaus Kirschner [SPD]: Das war die BlümDelle!)

und wie hoch der Anstieg in diesem Jahr war, und wie teilen Sie die Kosten auf prophylaktische Leistungen und Zahnersatz auf? Könnten Sie diese Prozentsätze hier einmal angeben?




Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205202500
Ich gestehe Ihnen zu, daß diese Ausgaben in den letzten Jahren gesunken sind.

(Dr. Dieter Thomae Klaus Kirschner [SPD]: Nachdem sie vorher hochgegangen sind!)

— Ich habe die Prozentzahlen jetzt nicht vor mir liegen. Ich lasse mich da gerne von Ihnen belehren. Die Senkung, die zu erwarten war, ist übrigens durch den Blüm-Bauch begründet, d. h. durch die Möglichkeit, sich noch vor Toresschluß den notwendigen Zahnersatz zu besorgen. Hinterher ist natürlich eine Nachfragelücke entstanden, eine Delle. Aber wir sind jetzt in der Phase, wo es weitergeht wie vorher. Unsere These wird bestätigt, daß eine Kostendämpfung durch Selbstbeteiligung nicht zu dauerhaften strukturellen Veränderungen führt. Das ist offensichtlich die unterschiedliche Einschätzung der Situation.
Vor diesem Hintergrund ist das Herzstück des neuen Gesetzes, das von Herrn Jagoda vorhin mit Herzblut dargestellt wurde, eine Mißgeburt. Die Verschiebung der Selbstbeteiligungsregelung für Arzneimittel, für die es keine Festbeträge gibt, um neun Monate mit der Begründung,

(Klaus Kirschner [SPD]: Landtagswahl!)

daß in dieser Zeit der Anteil der Selbstbeteiligung wächst, gleichzeitig aber Ihr Verzicht auf die Möglichkeiten, die in der Anhörung angeboten wurden — dort gab es fertige Formulierungsvorschläge für eine Gesetzesnovelle — , gemahnen mich an jemanden, der einen befristeten Bauauftrag für neun Monate ausschreibt, aber noch gar nicht weiß, was gebaut werden soll. Von daher stimmt das alles hinten und vorne nicht. Für Sie müßte eigentlich die logische Konsequenz sein, den Zeitgewinn zu nutzen, den die SPD mit ihrem Gesetzentwurf anbietet, den Arzneimittelmarkt bis zum Ende der Legislaturperiode gemeinsam neu zu ordnen, dabei aber auch interessante Vorschläge aufzugreifen — selbst die Pharmaindustrie geht ja in Richtung Positivlisten — , um eine Spaltung des Arzneimittelmarktes zu überwinden. Das wäre der seriöse Umgang mit dem in der Anhörung deutlich gewordenen Problem, nicht aber Ihre Neunmonatsregelung, diese gesetzgeberische Mißgeburt.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205202600
Herr Kollege Peter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jagoda?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205202700
Ja, wenn das alles nicht angerechnet wird.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205202800
Vielleicht darf ich das zur allgemeinen Kenntnisnahme noch einmal vortragen: Zwischenfragen werden grundsätzlich nicht angerechnet. Die Uhr ist ausgeschaltet, solange gefragt und geantwortet wird. — Bitte!

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1205202900
Herr Kollege Peter, wenn Sie von der Positivliste so überzeugt sind, können Sie mir dann sagen, warum Sie diese Positivliste
in Ihrer Regierungszeit von 1969 bis 1982 nicht eingeführt haben?

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Da verschlägt es ihm die Sprache!)


Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205203000
Ich habe es Ihnen schon im Ausschuß gesagt,

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Sie hatten doch zwölf Jahre Zeit!)

und Sie wissen ja auch, seit Sie Staatssekretär geworden sind, daß es im gesundheitspolitischen Bereich Diskussionsprozesse und, wie ich zugestehe, auch Lernprozesse gibt.

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Die unterstellen Sie auch uns? — Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Gleiches Recht für alle, Herr Peter!)

— Das gilt sicherlich für beide Seiten. Ich werfe Ihnen nur die fehlende Lernbereitschaft vor. Das ist ja das Problem.

(Beifall bei der SPD — Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: Pädagoge!)

Es ist inzwischen schon deutlich geworden, daß Festbeträge, beschränkt zwar, kostendämpfend wirken können, daß aber die Qualität der Arzneimittelversorgung durch Festbetragsregelungen nicht erfaßt wird. In intensiven Diskussionen mit den Fachleuten sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Positivliste möglicherweise als Ergänzung zu Festbetragsregelungen eine sinnvolle Weiterentwicklung wäre.

(Bernhard Jagoda [CDU/CSU]: „Als Ergänzung", sehr gut!)

Gemeinsam einen solchen Lernprozeß im Interesse der Versicherten zu vollziehen, das ist das Angebot, das wir Ihnen schon seit Monaten machen. Wenn Sie das auch Herrn Thomae erklärten, der ja mit dem anderen Thomae nichts zu tun hat — das will ich hier betonen, denn man merkt es ja nicht immer —,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Vorsicht!)

könnten wir das gemeinsam machen. Darüber wäre ich froh.
Dieses Gesetz enthält — Herr Jagoda hat das hier angesprochen — einige im Prinzip begrüßenswerte Ansätze. Dabei meine ich allerdings, daß die Bereitschaft, eine der Hürden im Bereich der Pflege bei Schwerstpflegebedürftigkeit niedriger zu machen, das Problem nicht löst. Wenn es ein erster Schritt zu einer solidarischen Pflegeversicherung sein sollte, würde es mir allerdings Mut machen. Aber — siehe Einleitung: Wissmann und Lambsdorff usw. — ich glaube nicht daran. Da liegt der Grund, der unsere Zurückhaltung bei der Einschätzung dieser Verbesserung bestimmt.
Auch die Klarstellung im Bereich der pädiatrischen Zentren ist sicherlich begrüßenswert, wird aber den Bedürfnissen der gegenwärtigen Praxis der ärztlich geleiteten pädiatrischen Zentren nicht gerecht.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Warum denn nicht?)




Horst Peter (Kassel)

Wir haben in der Anhörung gehört — wir haben auch einen entsprechenden Änderungsantrag im Ausschuß eingebracht — , daß hier die Abgrenzung, die „Endstation", wie Sie es genannt haben

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Welche Endstation? — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So etwas würden wir nie machen!)

— Endstation bei dem Behandlungsplan; damit sei Ende, wie Sie im Ausschuß wörtlich gesagt haben —, kontraproduktiv wirken könnte.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205203100
Herr Kollege Peter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Jagoda?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205203200
Aber natürlich.

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1205203300
Herr Kollege Peter, da wir uns kennen und beide der Auffassung sind, daß wir gerade in diesem sensiblen Punkt nicht zu einer Legendenbildung beitragen sollten: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich im Ausschuß und auch überall sonst gesagt habe, daß mit dem § 43 a die Rechtsrundlage für die Phase der Diagnostik und den Behandlungsplan geschaffen wird und daß sich das, was an Therapie gegeben wird, nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung richtet, wie es auch bisher der Fall gewesen ist? Ich frage Sie das, damit nicht der Eindruck entsteht, da werde einfach Schluß gemacht. Das habe ich nämlich sehr ausführlich gesagt.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205203400
Daß da nicht Schluß gemacht wird, ist richtig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben es aber eben gesagt! — Dr. Dieter Thomae [FDP]: „Endstation" !)

— Ich habe gesagt, daß das die Endstation bei der Klarstellung sei. Aber ich gebe Ihnen recht: Sie haben immer gesagt, das, was dann an Behandlung komme, werde durch die Krankenkassen geregelt. Wir haben aber in der Anhörung gehört, daß die sozialpädiatrischen Zentren diese in der Klarstellung vorgenommene konkrete Abgrenzung im Sinne ihrer Arbeit als nicht hinreichend empfinden.

(Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Doch, die ist gegeben!)

Wenn man das alles zusammenfaßt — zu unserem Antrag über die Einführung eines Sterbegeldes beim Tod eines Säuglings während des ersten Lebensjahres wird der Kollege Conradi nachher noch eine Erklärung zur Abstimmung abgeben — , dann kommt man zu dem Ergebnis: Das Kernstück Ihres Gesetzentwurfs, die Selbstbeteiligungsregelung und, damit verknüpft, die Hoffnung, daß sich naturwüchsig der Anteil der festbetragsgeregelten Arzneimittel ausweite, wurde in der Anhörung durch die pharmazeutische Industrie, durch die Apotheker, durch die Kassenärzte, durch die Kassen, durch die Arbeitnehmerorganisationen und durch die anwesenden Vertreter der Wissenschaft abgelehnt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205203500
Herr Kollege Peter, Ihre Redezeit ist jetzt aber endgültig abgelaufen.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1205203600
Sie werden sich nicht wundern, wenn sich die sozialdemokratische Fraktion dieser fachkundigen Ablehnung anschließt. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf nicht annehmen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205203700
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Gesundheit, Gerda Hasselfeldt.

Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1205203800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf bringt ausschließlich Verbesserungen für die Versicherten:

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Verbesserungen für behinderte Kinder und deren Eltern, Verbesserungen für Schwerpflegebedürftige, Verbesserungen für Familien und Alleinerziehende, Verbesserungen für die Versicherten beim Zahnersatz und Verbesserungen bei der Zuzahlung zu Arzneimitteln dadurch, daß nicht das in Kraft tritt, was ohne dieses Gesetz in Kraft treten würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn sich die SPD diesem Gesetzentwurf verweigert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wundert mich nicht!)

dann verweigert sie sich Verbesserungen für die Versicherten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Ja, so ist es!)

Im Laufe der Debatte ist schon zum Ausdruck gekommen, daß die gesetzliche Krankenversicherung wieder die Schlagzeilen beherrscht. Trotz aller Erfolge im Gesundheitswesen, trotz aller Erfolge der Gesundheitsreform

(Zurufe von der SPD)

steigen seit Mitte letzten Jahres die Ausgaben wieder deutlich stärker als die Einnahmen.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Die Koalition hat gehandelt. Sie hat eine Kommission eingesetzt,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

die sich mit der Lösung dieser Frage befaßt. Die Aufgaben, die sich dabei stellen, sind nicht im Handumdrehen, nicht im Schnellverfahren zu lösen, sondern bedürfen einer intensiven, ausgiebigen Erörterung und eines sorgfältigen Abwägens aller Maßnahmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Horst Peter [Kassel] [SPD]: In neun Monaten?)

Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, will ich darauf hinweisen, daß das auf jeden Fall schon wesentlich mehr ist als das, was Sie zu bieten haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)




Bundesministerin Gerda Hasselfeldt
Ich habe in den letzten Tagen Ihr neues Schwerpunkt-, Grundsatz- und Maßnahmenprogramm gelesen. Dort wird vollmundig eine — ich zitiere — „wirkliche Reform im Gesundheitssektor" gefordert. Wenn man sich die Mühe macht, dieses Pamphlet, in dem die Schwerpunkte der Arbeit der Opposition zum Ausdruck kommen,

(Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist noch geschmeichelt!)

einmal durchzulesen, dann wird einem deutlich, daß in dem ganzen Maßnahmenkatalog nicht der geringste, aber auch nicht der allergeringste Hinweis darauf zu finden ist, wie dieses sogenannte politische Schwerpunktprogramm verwirklicht werden soll. Kein einziger Satz, kein einziges Wort wird darauf verwendet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, allein daraus wird klar, welchen Stellenwert die Gesundheitspolitik in ihrer Politik insgesamt hat.

(Horst Peter [Kassel] [SPD]: Sie schaffen das mit der FDP ja noch nicht einmal in der Regierung!)

Es wird deutlich, wie wenig wir auf Ihre Programme zurückgreifen können, wenn es darum geht, konkrete Vorschläge zu machen.
Wir alle wissen, meine Damen und Herren, daß die anstehenden Probleme nicht im Eilverfahren zu lösen sind.

(Horst Peter [Kassel] [SPD]: Neun Monate!)

Mit der hier diskutierten Novelle geht es zunächst darum, die prozentuale Zuzahlung bei Arzneimitteln sozialverträglicher zu gestalten. Es geht darum, zu verhindern, daß die Versicherten ab 1. Januar 1992 15 % bzw. bis zu 15 DM pro Medikament zuzahlen müssen. Dies gilt es zu diesem Zeitpunkt insbesondere deshalb zu verhindern, weil die Umsetzung der Festbeträge nicht in dem Maße erfolgt ist, wie es zunächst vermutet wurde. Dies wird mit der vorliegenden Novelle erreicht.
Nun kann man sich über den Zeitraum der Verschiebung natürlich unterhalten. Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein. Aber ausschlaggebend ist: Welche Zielsetzung verfolgen wir? Welche Beweggründe haben wir?
Meine Zielsetzung — ich sage Ihnen das ganz deutlich — ist folgende:
Erstens. Wir brauchen so viele Festbeträge wie möglich. Das System hat sich bewährt. Es hat zu deutlichen Entlastungen der Versicherten und der Krankenkassen geführt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein zweiter Grundsatz: Die Arzneimittel mit Festbeträgen bleiben zuzahlungsfrei. Auf diese Arzneimittel hat der Versicherte nichts zuzuzahlen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das wäre ja noch schöner!)

Zum Dritten: Für den Rest muß eine sozialverträgliche, eine für alle nachvollziehbare und eine praktikable Zuzahlungsregelung gefunden werden. Das ist die Zielsetzung.

(Horst Peter [Kassel] [SPD]: Das ist doch eine Krankensteuer, sagen Sie es doch!)

Was ergibt sich daraus? Erstens. Trotz anderer Bemühungen und trotz vieler Vorschläge aus allen möglichen Kreisen wurde erreicht, daß die Versicherten für etwa ein Drittel der Arzneimittel, nämlich die Festbetragsarzneimittel, weiterhin nichts zuzahlen müssen.
Ein zweites: Die Zeit der Verschiebung muß genutzt werden, um mehr Medikamente als bisher mit Festbeträgen zu belegen. Das ist ein ganz wichtiges Ziel.
Dies schließt — drittens — auch Überlegungen ein, wie die Bildung von Festbeträgen erleichtert bzw. beschleunigt werden kann. Deshalb bringt auch eine rein zeitliche Verschiebung ohne diesen Gedanken, wie lang dieses auch immer sein mag — selbst Ihre Überlegungen mit drei Jahren, meine Damen und Herren von der Opposition — das Problem nicht weiter, weil die jetzige gesetzliche Regelung, wenn wir im Gesetz nichts ändern, wenn wir die Bildung von Festbeträgen nicht erleichtern oder beschleunigen, auch in drei Jahren nicht mehr an Festbeträgen bringen wird als in einem Jahr. Dies muß man ganz offen und ehrlich sagen. Es wäre Augenwischerei, wenn wir den Versicherten etwas anderes erzählen wollten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das haben wir auch gesagt!)

Viertens muß und wird die Zeit genutzt werden, für den dann verbleibenden Rest eine sozialverträgliche praktikable Zuzahlung zu finden. Wir werden in der Koalition auch dazu eine Lösung erarbeiten und Ihnen vorlegen.
Meine Damen und Herren, mit der Verschiebung wird die bisherige feste Zuzahlung von 3 DM je Mittel in den alten Ländern und 1,50 DM in den neuen Ländern weiter gelten. Ab 1. Oktober 1992 soll es dann in ganz Deutschland eine einheitliche Regelung für die Arzneimittelzuzahlung geben.
Ich will hier nur an einigen Punkten darstellen, daß dies nicht, wie es immer oberflächlich behauptet wird, in jedem Fall zu höhren Zuzahlungen der Versicherten führt.
Erstens. Die Untergrenze für die Zuzahlung wird bei einer Mark, die Obergrenze bei 10 DM liegen. Der Zuzahlungshöchstbetrag ist damit 5 DM niedriger, als bisher vorgesehen.
Zweitens. Die Neuregelung entlastet die Versicherten bei allen Arzneimitteln, die bis zu 20 DM kosten, gegenüber der derzeit gültigen Regelung. Damit ist die Zuzahlung für fast die Häfte der Arzneimittel geringer als bisher. Auch dies sollte einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wichtig ist mir dabei aber auch folgendes: Bei den Medikamenten, die im Alter besonders häufig verwendet werden, gibt es mittlerweile für fast alle Indikationsgruppen Festbetragswirkstoffe. Es ist unredlich, ständig zu behaupten, daß die älteren Menschen, die sozial schwächeren Menschen durch diese Rege-



Bundesministerin Gerda Hasselfeldt
lungen stärker belastet werden. Dies stimmt so nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Die Realität ist doch gänzlich anders! Gehen Sie mal hin! — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Sie hätten mal in die Anhörung kommen sollen!)

Außerdem sorgen die geltenden Härtefallregelungen dafür, daß Versicherte durch die Zuzahlung finanziell nicht überfordert werden. Herr Kollege Jagoda hat dies in seinem Beitrag schon deutlich zum Ausdruck gebracht: Alle jene mit geringem Einkommen, Kinder und Jugendliche sind von Zuzahlungen vollständig befreit. Dies waren im letzten Jahr immerhin 3,7 Millionen Menschen. Auch dies muß einmal ganz deutlich gesagt werden und zum Ausdruck gebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu kommt, daß die Versicherten in den neuen Bundesländern durch eine bundesweite Anpassung der Härtefaliklausel, der Überforderungsklausel, der Befreiungsklausel im Arzneimittelbereich zusätzlich entlastet werden. Etwa die Hälfte der Versicherten dort, darunter vor allem Rentnerinnen und Rentner, brauchen auch bei der vorgesehenen Neuregelung gar nichts zuzuzahlen. Auch dieses gilt es den Menschen einfach zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die intensiven Diskussionen der letzten Wochen und Monate, über die Arzneimittelzuzahlung haben die weiteren Verbesserungen, die mit dieser Gesetzesnovelle verbunden sind, leider in den Hintergrund treten lassen. So wird im sozialpädiatrischen Bereich — dies ist vorhin schon angedeutet worden — klar festgelegt, welche nichtärztlichen Leistungen von den Krankenkassen bezahlt werden müssen. Damit wird der Streit um den richtigen Kostenträger, der auf dem Rücken behinderter Kinder und deren Eltern ausgetragen wurde, endlich beendet.
Außerdem wird die Vorversicherungszeit für Schwerpflegebedürftige humaner gestaltet, und die bisherige Regelung über die Eigenbeteiligung am Zahnersatz wird verbessert. Bei einem nur geringfügigen Überschreiten der Härtefallgrenze wird es nicht mehr zu einem sprunghaften Anstieg der Eigenbeteiligung kommen, wie dies bisher der Fall war, sondern zu einem sozialverträglicheren gleitenden Übergang. Außerdem verbessern wir das Kinderkrankengeld.
All diese Verbesserungen im Leistungsrecht, meine Damen und Herren, sind eine Antwort auf das, was in den letzten zwei, drei Jahren an Härtefällen bekannt wurde, sind eine Antwort auf die Situationen, in denen Verbesserungen im Gesundheits-Reformgesetz notwendig waren. Gerade hier wird wiederum deutlich: Der vorliegende Gesetzentwurf bringt ausschließlich Verbesserungen für die Versicherten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun wissen wir alle, daß die Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens keine Aufgabe ist, die einmal angepackt werden muß und dann erledigt ist, sondern daß sie wirklich eine permanente Aufgabe
aller am Gesundheitswesen Beteiligten ist, nicht nur der Politiker. Die Weiterentwicklung beschränkt sich nicht auf das Gesetz von 1988, und sie ist beileibe nicht mit dieser Novelle beendet. Sie wissen, daß wir intensiv an der Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung arbeiten, nicht zuletzt auch an der Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen der Krankenversicherungen.
Herr Kollege Kirschner, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Ihre Überlegungen und Ihre Bitte, doch im Krankenhausbereich voranzukommen, nicht nur hier in diesen heiligen Hallen äußerten, sondern wenn Sie dies auch Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und den Herren Ministerpräsidenten deutlich machten.

(Klaus Kirschner [SPD]: Da machen wir jederzeit mit! Da sind wir permanent dran!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205203900
Frau Ministerin, „Hohes Haus" genügt; es brauchen keine „heiligen Hallen" zu sein.

(Heiterkeit)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1205204000
Ich habe dies zur Kenntnis genommen, Herr Präsident.
Uns allen geht es darum, die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen insgesamt auszuschöpfen. Dazu gehört auch der Krankenhausbereich. Mit der Ausschöpfung der vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven und einer Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung gibt es im Grundsatz keine Probleme. Wir wissen aber auch, daß es bei diesen Fragen nur dann zu sinnvollen Ergebnissen kommen wird, wenn die Länder, die für die Krankenhausplanung zuständig sind, voll und ganz mit dem Bund an einem Stück ziehen. Wir werden die Länder mit in die Verantwortung einbeziehen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist die Kornmission, die ich vorhin angesprochen habe, nicht nur gebildet worden, sondern sie hat ihre Arbeit aufgenommen. Sie hat die Aufgabe, Maßnahmen zur Eindämmung der steigenden Krankenkassenausgaben zu erarbeiten. Bei diesen Arbeiten geht es darum, das, was im Gesetz steht, zunächst einmal so umzusetzen, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden.
Es geht auch darum, deutlich zu machen, daß eine Weiterentwicklung nur dann sinnvoll ist, wenn alle am Gesundheitswesen Beteiligten bei ihrem Handeln in eigener Verantwortung den Geist des GesundheitsReformgesetzes berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns den Herausforderungen auf diesem Gebiet stellen. Wenn wir dies nicht tun, wird die Ausgabenlawine unser freiheitliches Gesundheitswesen überrollen. Unser Ziel ist es, das freiheitliche Gesundheitswesen auf hohem Niveau zu sichern und es sozialverträglich zu gestalten und weiterzuentwickeln. Auf dieses Ziel werden wir auch weiter hinarbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205204100
Ich schließe die Aussprache.



Vizepräsident Hans Klein
Bevor wir nun zur Einzelberatung und Abstimmung über die vorliegenden Gesetzentwürfe kommen, erteile ich dem Abgeordneten Peter Conradi das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1205204200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Verabschiedung des Gesundheits-Reformgesetzes hat eine Stuttgarter Krankenhausdiakonin, Frau Annegret Braun, uns allen einen Brief geschrieben. Sie hat uns eine Folge dieses Gesundheits-Reformgesetzes geschildert, die wir wohl alle nicht bedacht hatten. Mit dem Gesetz ist nämlich das Sterbegeld beim Tod kleiner Kinder nach der Geburt weggefallen.
Frau Braun hat uns geschildert, was das für eine Mutter, für ein junges Ehepaar heißt, die sich auf ein Kind freuen, die die Ausstattung kaufen und dann, wenn das Kind stirbt, kein Sterbegeld bekommen, sondern bis zu 2 000 DM Bestattungskosten selbst bezahlen müssen. Sie hat uns geschrieben, welche Belastungen den betroffenen Familien daraus entstehen.
Ich habe ihr damals geantwortet — viele von Ihnen haben ihr freundlich geantwortet — und ihr geraten, den Petitionsausschuß damit zu befassen. Der Petitionsausschuß des Hauses hat mit Zustimmung aller Fraktionen gesagt, es sei unzumutbar, daß eine Mutter, die ein Kind erwartet, daß Eltern, die ein Kind erwarten, neben dem Kauf der Ausstattung auch noch Vorsorge für den Fall treffen sollen, daß das Kind nicht überlebt, also Rücklagen für die Bestattung bilden sollen. Der Petitionsausschuß hat weiter gesagt, hier liege eine außergewöhnliche Härte vor, und er hat die Bundesregierung aufgefordert, etwas Positives zu tun. Das hat sie leider nicht getan.
Ich habe Frau Braun damals versprochen, daß ich, wenn das Sozialgesetzbuch hier im Plenum wieder einmal behandelt wird, einen Änderungsantrag stellen und versuchen würde, für Abhilfe zu sorgen. Ich habe dann bei vielen von Ihnen Unterstützung gefunden. Ich bedanke mich vor allem beim Ausschuß für Gesundheit, der mich dort hat vortragen lassen; denn normalerweise befasse ich mich nicht mit Gesundheitspolitik. Ich habe gemerkt, daß Sie im Ausschuß auch von dem betroffen waren, was Frau Braun uns geschrieben hat, und daß Sie nach einer Änderung suchen.
Wir haben uns — das will ich hier ausdrücklich würdigen — um einen gemeinsamen Antrag bemüht. CDU/CSU und FDP legen nun einen Entschließungsantrag vor, der das Problem über das Erziehungsgeld regeln soll. Das Erziehungsgeld soll, wenn ein Kind im ersten Lebensjahr stirbt, zwei Monate länger gezahlt werden, damit die Kosten für die Bestattung bezahlt werden können.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205204300
Verzeihung, Herr Kollege Conradi: Ich bin dafür, daß Sie das noch zu Ende führen. Nur, § 31 unserer Geschäftsordnung ,,Erklärung zur Abstimmung" behandelt nicht die Begründung eines Antrags, sondern betrifft das Abstimmungsverhalten. Sie begründen hier sehr ausführlich einen Änderungsantrag; das aber entspricht nicht § 31 unserer Geschäftsordnung.
Ich bitte Sie, nun zum Schluß zu kommen. Ich glaube, die Kollegen haben verstanden, was Ihr Anliegen ist und warum Sie sich so zu diesem Änderungsantrag stellen.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1205204400
Ich begründe hier mein Abstimmungsverhalten. Ich begründe insbesondere, warum ich auch dem Entschließungsantrag der CDU/ CSU und FDP zustimmen werde, weil er in die richtige Richtung geht. Ich teile hinsichtlich meines Abstimmungsverhaltens mit, daß ich zuerst dem Änderungsantrag meiner Fraktion zustimme, der weiter geht; denn der in Ihrem Antrag gewählte Weg über das Erziehungsgeld regelt nur einen Teil der Fälle. So bekommen z. B. alle berufstätigen Mütter, die nach der Geburt im Schwangerschaftsurlaub sind, kein Erziehungsgeld, also keine Hilfe. Das sind viele, vor allem alleinerziehende Mütter. Deswegen sollten wir hier eine gemeinsame Lösung finden.
Die Bundesregierung — das wird mein Abstimmungsverhalten, Herr Präsident, auch beeinflussen —

(Heiterkeit)

hat durch ihren Beamten im Ausschuß vortragen lassen, die betroffenen Eltern, die betroffenen Mütter sollten sich vor der Geburt doch für den Fall, daß das Kind stirbt, privat versichern.
Frau Ministerin, diesen Beamten sollten Sie befördern. Mindestens sollten Sie ihm den Orden des kalten Herzens am Bande verleihen.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie der Abg. Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU])

Nicht nur ich, sondern auch viele von Ihnen im Ausschuß haben gefroren, als das vorgetragen worden ist.
Wir sollten Müttern und jungen Ehepaaren, die Kinder erwarten — und deswegen, Herr Präsident, werde ich dem weitergehenden Antrag meiner Fraktion zustimmen — , in dieser schwierigen Lage helfen.
Ich appelliere an Sie: Vergessen Sie, daß ich Sozialdemokrat bin;

(Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Das kann man bei Ihnen nicht vergessen!)

vergessen Sie, daß auf dem Antrag „SPD" steht; helfen Sie vielmehr, daß wir gemeinsam als Parlament etwas Vernünftiges machen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205204500
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie haben ja gemerkt, daß ich versucht habe, so verständnisvoll und duldsam, wie es möglich ist, zu reagieren. Nur, es geht nicht, daß wir mit Hilfe des § 31 unserer Geschäftsordnung hier noch einmal einen umfangreichen politischen Beitrag leisten.

(Peter Conradi [SPD]: Fünf Minuten sind nach der Geschäftsordnung zugelassen!)

— Entschuldigung! In der Form, wie Sie Ihr Abstimmungsverhalten in diesen Beitrag eingebracht haben,



Vizepräsident Hans Klein
könnte natürlich jede politische Rede hier als Begründung für das eigene Abstimmungsverhalten gebracht werden.
Aber was ich — Entschuldigung! — in dem Zusammenhang für nicht ganz problemfrei halte, ist, daß in den letzten Sekunden eines Beitrags eine Behauptung in Richtung auf wen auch immer — in dem Fall war es die Bundesregierung — aufgestellt wird und der Betreffende dann gar keine Chance mehr hat, das in dem Zusammenhang klarzustellen.

(Peter Conradi [SPD]: Die Regierung muß immer das Wort erhalten!)

— Da die Ministerin auf der Regierungsbank sitzt, hat sie keine Möglichkeit zur Kurzintervention.

(Peter Conradi [SPD]: Doch! Natürlich! Sie kann runterkommen! Sie darf überhaupt jederzeit reden!)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch auf den Drucksachen 12/1154 und 12/1387.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 12/1394, 12/1395 Nr. 1 und 12/1396 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Ich bitte diejenigen, die den Änderungsanträgen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen.

(Peter Conradi [SPD]: Einzeln, bitte! — Zurufe von der SPD: Allen!)

— Allen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —Bei einer Enthaltung sind die Änderungsanträge abgelehnt.

(Peter Conradi [SPD]: Das ist sehr unfair! Das ist eine Abwicklung, die ich nicht billige! Das kann er nicht machen!)

Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die auf gerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 1 a bis 1 f in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/1395 in Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Art. 2 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 a bis 2 c in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/1395 in Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte
alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich
zu erheben. — Das gleiche für die, die dagegen sind.
— Und für diejenigen, die sich zu enthalten wünschen. — Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP ist angenommen. Damit erübrigt sich eine Abstimmung über den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Ich muß zum vorherigen Abstimmungsverfahren noch sagen, daß eine Reihe von Kollegen eine Erklärung zur Abstimmung zu Protokoll gegeben haben *).
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1155. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 12/1387 unter Nr. 1, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Wer enthält sich? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 12/1393. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Entwurf einer Verordnung der Bundesregierung über befreiende Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte von Mutterunternehmen mit Sitz in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, zur Durchführung des Artikels 11 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 (Konzernabschlußbefreiungsverordnung — KonBefrV)
— Drucksachen 12/1237, 12/1375 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Ludwig Stiegler
*) Anlagen 2 bis 4



Vizepräsident Hans Klein
„Konzernabschlußbefreiungsverordnung" : Es tut mir leid — ich muß das heute zum zweitenmal sagen —, aber das ist diese Sprache, die wir den Bürgern zumuten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was lehrt uns das?)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1375, gegen die Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 12/1237 keine Bedenken zu erheben. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut
— Drucksache 12/939 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 12/1370 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Michael Luther Peter W. Reuschenbach
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1372 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)

(Erste Beratung 41. Sitzung)

Zur Geschäftsordnung hat die Kollegin Siegrun Klemmer um das Wort gebeten.

Siegrun Klemmer (SPD):
Rede ID: ID1205204600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte bitten, diesen Tagesordnungspunkt heute hier nicht zu behandeln. Es liegt gegen die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Wismut und im Zusammenhang mit einigen Artikeln dieses Gesetzes eine Verfassungsbeschwerde vor. Ich möchte Sie bitten, das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und erst dann in diesem Hause zu behandeln. Ich bitte Sie, meinem Vorschlag zuzustimmen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205204700
Herr Abgeordneter Rudolf Kraus, Sie haben das Wort.

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1205204800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns ist dieser Absetzungsantrag natürlich völlig unverständlich. In
allen Phasen des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens hat die SPD die Bedenken, die sie jetzt vorträgt, offensichtlich nicht gesehen. Wir sind deshalb der Meinung, daß dieses Gesetz heute verabschiedet werden soll. Es gibt dafür mindestens drei sehr gewichtige Gründe.
Erstens. Dieses Gesetz muß deshalb so schnell verabschiedet werden, damit das Abkommen mit der UdSSR endlich in Kraft treten kann und der jetzige Interimszustand beendet wird.
Zum zweiten unterliegt dieses Unternehmen derzeit noch nicht dem deutschen Gesellschaftsrecht, mit all den nachteiligen Folgen, die daraus entstehen.
Zum dritten ist der jetzige Generaldirektor noch vom alten Regime eingesetzt worden. Wir denken, daß es richtig wäre, hier eine Änderung herbeizuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit anderen Worten: Wer trotz all dieser Punkte nicht will, daß wir die Umwandlung jetzt durchführen können, und wer z. B. eben auch will, daß das alte Regime im Unternehmen erhalten bleibt, der muß für eine Absetzung stimmen. Wer die Änderungen will, muß dafür sein, daß wir dieses Gesetz heute verabschieden.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das geht nun doch ein bißchen zu weit, Herr Kollege!)

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205204900
Begründung und Gegenbegründung sind ausgetauscht. Ich lasse über den Antrag der Kollegin Klemmer abstimmen. Wer stimmt für den Absetzungsantrag der Kollegin Klemmer? — Wer stimmt dagegen? — Das zweite war die Mehrheit.
Dann gebe ich bekannt, daß nach einer im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen ist. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Michael Luther.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1205205000
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es — das ist vielleicht vorwegzuschicken — für äußerst richtig, daß wir das Gesetz heute verabschieden. Ich komme aus der betroffenen Region, und ich weiß um die Bedenken der Kommunen und der Bürgermeister in dieser Sache. Aber ich glaube, daß es wesentlich wichtiger ist, dieses Gesetz zu verabschieden, damit die Wismut in deutsches Gesellschaftsrecht überführt werden kann und damit dort eine ganze Menge Dinge getan werden können, die den Menschen in dieser Region nutzen. Dazu gehört beispielsweise, daß man bei der Wismut personelle Veränderungen vornehmen kann und die Bundesregierung bei der Wismut endlich voll handlungsfähig wird.
Neben der Zustimmung zu dem Regierungsabkommen vom 16. Mai 1991 regelt das vorliegende Gesetz die Umwandlung der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Wismut in ein Unternehmen deutschen Ge-



Dr. Michael Luther
sellschaftsrechts, einer GmbH im Aufbau. Damit wird die Wismut in Unternehmen aufgeteilt, die zum einen Sanierungsarbeiten bei den Altlasten vornehmen und zum anderen wettbewerbsfähige Unternehmensteile bilden wie Maschinenbau- und Montagebetriebe.
Ein Umstrukturierungskonzept sieht vor, von den im April 1991 vorhandenen 23 500 Arbeitsplätzen langfristig etwa 18 000 zu erhalten. Durch die Umstrukturierungsmaßnahmen und die Altlastensanierung wird der Bundeshaushalt im Jahr 1991 mittelbar durch 1,13 Milliarden DM belastet. Auch für die Folgejahre werden Mittel in ähnlicher Größenordnung notwendig sein.
Ich stelle nochmals fest, daß es für die Weiterführung, Umstrukturierung, Sanierung und Abwicklung der Wismut wichtig ist, daß die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundeswirtschaftsminister, Eigentümer der Wismut und damit voll handlungsfähig wird.
Meine Damen und Herren, nun zu einigen Problemen der Bürger und der Kommunen der betroffenen Region: Die besondere Situation der DDR und die Sonderrolle der Wismut haben im Zusammenleben von Wismut und Bürgern Mißtrauen geprägt. Der sächsisch-thüringische Raum wurde als Rohstoffquelle für die sowjetische und für die DDR-Atomindustrie mißbraucht.
Die vielen Sonderrechte der Wismut haben Fakten geschaffen, die, wenn man damals das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland angewendet hätte, als rechtsstaatswidrig eingestuft worden wären. So wurde den Kommunen und den Privateigentümern auf verschiedene Art und Weise Land entzogen. Es ist zu vermuten, daß sich die Wismut Flächen bevorratet hat, die nicht betriebsnotwendig sind.
Die Kommunen fordern, daß die Flächen, bei denen sie im Grundbuch eingetragen sind, nicht in WismutEigentum übertragen werden.
Dem Sonderstatus der Wismut ist es zuzuschreiben, daß die Abteilung für Wismut-Angelegenheiten Grundstücke von Privatpersonen gegen eine wie auch immer zustande gekommene Entschädigungsleistung und von den Kommunen mittels Verwaltungsakt unentgeltlich erwarb. Anschließend wurden bei diesen Flächen insgesamt als Eigentümer die Kommunen in das Grundbuch eingetragen.
Es ist nicht gerechtfertigt, wenn die Kommunen alle eingetragenen Grundstücke für sich beanspruchen, weil die ursprünglichen Eigentümer oft Privateigentümer waren.
Grundstücke privater Eigentümer, die unrechtmäßig, etwa auf Grund unzulässigen Drucks, oder ohne Entschädigung erworben wurden, unterliegen den Grundsätzen des Vermögensgesetzes. Für die Kommunen gibt es in diesem Gesetz allerdings keine Möglichkeiten, ursprünglich eigene Flächen zurückzuerhalten.
Deshalb hat der Wirtschaftsausschuß in dem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß Grundstücke und Gebäude, die vor ihrer Zuweisung durch die Räte der Bezirke in kommunalem Eigentum standen, unentgeltlich an die Kommunen zurückübertragen werden, vorausgesetzt, sie sind nicht kontaminiert und gehören nicht zu dem Betriebsgelände.

(Klaus Lennartz [SPD]: Was würde unter diesen Voraussetzungen zurückübertragen?)

— Wenn Sie dies in der Region beobachten, bleibt da, denke ich, allerhand übrig.

(Klaus Lennartz [SPD]: Können Sie das einmal spezifizieren?)

— Die genauen Zahlen kann ich allerdings nicht festlegen, weil der jetzige Zustand der Wismut insbesondere durch die Besitzverhältnisse nicht genau zu erkennen ist. Es steht aber zu vermuten, daß dann einige Flächen für die Kommunen übrigbleiben.

(Zuruf von der SPD: Vermutung!)

Meine Damen und Herren, sehr wichtig sind außerdem vertrauensbildende Maßnahmen, die für die betroffene Bevölkerung als Zeichen des Neuanfangs notwendig sind. Man identifiziert die Personen der Unternehmensleitung als Verantwortliche für die katastrophale Umweltschädigung und für die Willkürakte des Handelns der Wismut. Deshalb versteht niemand, wenn die einstigen Umweltzerstörer die Sanierer von morgen sein sollen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD — Klaus Lennartz [SPD]: Wer ist denn der Sanierer von morgen?)

Deshalb möchte ich betonen, daß die Unternehmensstruktur und zum Teil die Personalstruktur der Unternehmensleitung erneuert werden muß, um das Mißtrauen in der Bevölkerung abzubauen. Ich glaube, daß das eindeutig im Wirtschaftsausschuß so zum Ausdruck gekommen ist.

(Siegrun Klemmer [SPD]: Das kann ja sein, aber im Gesetz steht es nicht!)

— Dann lesen Sie das Gesetz bitte richtig.
Ich begrüße es, daß ab 1. Dezember, laut Aussage des BMW, in Chemnitz ein Vertrauensbevollmächtigter der Bundesregierung stationiert werden soll, der diesbezüglich konkrete Hinweise der Bevölkerung aufnehmen soll.
Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß noch einige Bemerkungen machen: Die Bundesrepublik muß schnellstens Eigentümer der Wismut werden, damit saniert, umstrukturiert und personell verändert werden kann. Deshalb empfiehlt der Wirtschaftsausschuß die Annahme des Gesetzes und des Entschließungsantrages. Die Sanierung der WismutFolgen wird alle politischen Ebenen noch eine Weile beschäftigen; denn hier findet auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung statt.
Ich werde wie bisher als Ansprechpartner für die betroffenen Kommunalpolitiker der Region zur Verfügung stehen. Ich bin optimistisch, daß wir dann gemeinsam die Probleme, die anstehen, lösen können.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205205100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uwe Jens.




Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1205205200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat unseren Vertagungsantrag leider nicht akzeptiert. Aber meine Fraktion wird diesem Gesetzentwurf dennoch, wenn auch zähneknirschend, zustimmen.
Wenn wir heute über ein Gesetz zur Beendigung der Tätigkeit der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Wismut beraten, so machen wir einen Schritt auf dem Wege zur Bewältigung einer drückenden, ja bedrückenden Hinterlassenschaft des Kalten Krieges, die unfaßbare menschliche und materielle Dimensionen hat.
Die Aktiengesellschaft, über deren Beendigung heute Beschluß gefaßt werden soll, hat in den Zeiten, in denen sie über viele Jahre Material für den Atombombenbau in der Sowjetunion produziert hat, in verantwortungsloser Weise Natur und Menschen ausgebeutet und eine schwere Hypothek für die Zukunft hinterlassen. Es wird Jahrzehnte dauern und zweistellige Milliardenbeträge kosten, um sträfliche Versäumnisse nachzuholen. Gleichzeitig gilt es, für die Menschen in den betroffenen Gebieten Sachsens und Thüringens neue Perspektiven zu eröffnen.
Die Bundesregierung hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der meine Partei nicht zufriedenstellt. Sie hat das Ratifizierungsabkommen, dem wir, wie ich eben sagte, in der Sache voll zustimmen, mit der Festlegung von Weichenstellungen für die Zukunft der betroffenen Regionen verbunden, die sorgfältiger hätten getroffen werden können.
Da auch wir an einem raschen Übergang der vollen Verantwortung für die Wismut auf die deutsche Seite interessiert sind, müssen wir unsere Zustimmung mit folgenden Forderungen an den zuständigen Bundeswirtschaftsminister verbinden : Erstens. Sicherstellung der sozialen Absicherung der freizusetzenden Arbeitnehmer. Zweitens. Ablösung der alten, noch von der Modrow-Regierung eingesetzten Geschäftsleitung. Drittens. Enge Zusammenarbeit mit der neuen Geschäftsleitung, mit den betroffenen Kommunen. Viertens. Grundstücke, die der Wismut AG zur Nutzung überlassen worden sind, sollen den Kommunen bzw. den Privaten, denen sie vorher gehört haben, in der Regel altlastenfrei zurückgegeben werden. Fünftens. Die Bundesregierung soll durch eine aktive Strukturpolitik die Sanierung der früheren Zulieferbereiche sicherstellen, ohne einzelne sogenannte Filetstücke vor der Gesamtsanierung zu verkaufen.
Insbesondere vom Umweltminister erwarten wir kompromißlose Sanierungsmaßnahmen, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Dies schließt direkte Eingriffsmöglichkeiten auf das Sanierungsmanagement und umfassende Kontrollen der einzelnen Sanierungsmaßnahmen durch international qualifizierte Fachleute ein.
Außerdem gehen wir davon aus, daß auf jeden Fall erstens eine Wiederaufnahme des Uranbergbaus und zweitens die Nutzung der Wismut-Anlagen zur Zwischenlagerung radioaktiver Materialien völlig, ein für allemal ausgeschlossen sein müssen.
Wir erwarten im übrigen, daß die Bundesregierung in Zukunft statt unveröffentlichter Geheimstudien für
durchgängige Transparenz in allen Umweltfragen des Wismut-Bereichs sorgt. Wie bereits gesagt, stimmen wir dem Ratifizierungs- und Überleitungsgesetz trotz erheblicher Bedenken zu, weil wir eben nicht wollen, daß dringend notwendige Maßnahmen verzögert werden.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205205300
Herr Kollege Dr. Heinrich Kolb, Sie haben das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1205205400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Annahme des heute in zweiter und dritter Beratung zu beratenden Gesetzes stimmt der Deutsche Bundestag dem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der SDAG Wismut zu. In diesem Abkommen wird am Beispiel der SDAG noch einmal deutlich, welch große Herausforderung der Strukturwandel auf dem Gebiet der neuen Bundesländer bedeutet und welche besonderen Schwierigkeiten im Einzelfall zu bewältigen sind.
Ausdrücklich begrüße ich für die FDP-Fraktion, daß mit dem Gesetzentwurf und damit der Übertragung des 50 %igen Aktienanteils der UdSSR an der Wismut der Weg für die Aufarbeitung der Altlasten und für die Einleitung des Strukturwandels in diesem Unternehmen frei wird, das wie kein anderes in der ehemaligen DDR, die es aufnehmenden Regionen, vor allem Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, dominiert hat.
Diese Dominanz war nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch gesellschaftlicher Natur, womit ich sagen will, daß die Folgen des 40jährigen Uranbergbaus der Wismut, deren Tätigkeit in der früheren DDR tabuisiert und geheimgehalten worden war, in der Bevölkerung mit großer Besorgnis und mit großem Mißtrauen beobachtet und registriert wurden. Es wird daher kaum einer der Bewohner der Region der anachronistischen Unternehmenskonstruktion SDAG eine Träne nachweinen, wenn diese durch das zu verabschiedende Gesetz in eine GmbH mit Sitz in Chemnitz umgewandelt wird.
Die Gesetzesvorlage markiert Ende und Neuanfang zugleich. Beendet wird die Förderung und Verarbeitung von Uran. Der Gesetzentwurf sieht zum 1. Januar 1992 die Abspaltung desjenigen Vermögensteils der Wismut GmbH im Aufbau vor, der die Stillegung der Bergbaubetriebe, die Sanierung und Rekultivierung der Bergbaualtlasten des Unternehmens durchführen soll.
Die Abwicklung dieses auch als Uran-Wismut oder Wismut I bezeichneten Unternehmens wird für die Sanierung unvorstellbar verseuchter Flächen enorme Mittel verschlingen. Man spricht zur Zeit — ich nenne diese Zahlen mit aller gebotenen Vorsicht — von 13 bis 15 Milliarden DM. Das erscheint angesichts einer ersten Schätzung, nach der eine Fläche von ca. 100 km2 kontaminiert und sanierungsbedürftig ist, nicht überzogen.



Dr. Heinrich L. Kolb
Die nach der Abspaltung verbleibende Wismut II — das sind die Restkernbereiche — soll als Holding, deren Kapital sich zu 100 % im Besitz der Bundesrepublik Deutschland befinden wird, das Dach für fünf überlebensfähige Sparten — Consulting und Engineering, Maschinen- und Stahlbau, Bauwesen, Logistik sowie Services — bilden. Damit übernimmt der Staat, für jedermann sichtbar, die Verantwortung für einen Neuanfang in den von der SDAG beherrschten Regionen.
Die von der Bundesregierung zu leistende Anschubfinanzierung von rund 400 Millionen DM weist auf die Ernsthaftigkeit hin, mit der der Strukturwandel in den Wismut-Regionen betrieben werden soll. Wir begrüßen dieses Engagement ausdrücklich, zumal in den betroffenen Regionen der neuen Bundesländer bereits Sorge laut wurde, daß Investoren aus den westlichen Bundesländern von Neuansiedlungen an den belasteten Wismut-Standorten absehen könnten.
Ich füge allerdings bereits heute hinzu, was Sie von einem liberalen Wirtschaftspolitiker zu Recht erwarten: Langfristiges Ziel bei der jetzigen Umgestaltung muß die Wirtschaftlichkeit aller Unternehmensaktivitäten sein, die zugleich eine wesentliche Voraussetzung für eine zukünftig anzustrebende Privatisierung darstellt.
Ein Letztes. Die Entwicklungsfähigkeit vieler betroffener Kommunen und die Ansiedlung möglichst vieler neuer Unternehmen in dieser Region werden davon abhängen, ob und in welchem Umfang diese Kommunen wieder in das Eigentum von Flächen kommen werden, die im Zuge einer Art Zwangsrequirierung durch die Räte der Bezirke der SDAG zur Nutzung zugewiesen wurden.
Wir unterstützen deshalb nachdrücklich das Bemühen, solche Grundstücke und Gebäude, die vor ihrer Zuweisung durch die Räte der Bezirke in kommunalem Eigentum standen, unbeschadet der Regelungen des Einigungsvertrages an die Kommunen zurückzuübertragen, vorausgesetzt, die Flächen sind nicht kontaminiert gewesen und weder für die Wismut-Sanierungsgesellschaft noch für die sich neu strukturierenden Wismut-Zulieferbetriebe betriebsnotwendig.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird den Wismut-Regionen die Chance für eine bessere Zukunft eröffnet. Ich bitte Sie hierfür um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205205500
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205205600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bevölkerung in der Umgebung der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut ist es gewöhnt, hingehalten und mit Halbwahrheiten abgespeist zu werden. Es ist aber mehr als ärgerlich, wenn das jetzt so weitergeht. Soviel Kontinuität ist schon beängstigend.
Wir sind mit dem Verfahren der Bundesregierung überhaupt nicht einverstanden. Wir sollen hier der Auflösung der SDAG Wismut und der Neugründung einer entsprechenden GmbH zustimmen. Wir sollen
die Bergbauberechtigung und vermögensrechtliche Zuordnung für die neue Wismut verabschieden, ohne daß im geringsten klar ist, wohin die Reise geht.
Zuerst einmal brauchen wir ein Konzept für die Sanierung und Abwicklung der Wismut. Wie sollen die gewaltigen Altlasten, die strahlenden Schlammteiche und Halden, kontaminierte Grundstücke und Gebäude saniert und, soweit möglich, unschädlich gemacht werden? Welche Kosten wird das erfordern? Welche Zeit wird das in Anspruch nehmen? Wie kann eine optimale Bürgerbeteiligung bei der Sanierung gesichert werden? Wie kann die Durchsetzung der Wismut-Geschäftsleitung mit Stasileuten aufgearbeitet und beendigt werden? Wie kann vor allen Dingen verhindert werden, daß dieselben Leute, die in der Wismut jahrelang für eine menschenverachtende Politik verantwortlich waren, nun, ohne je zu ihrer eigenen Verantwortung stehen zu müssen, mit der Aufarbeitung der Hinterlassenschaften betraut werden? Diese Fragen müssen geklärt werden. Dann können wir hier über die künftige Rechtsform der Wismut und derartige Dinge entscheiden.
Der Bundesregierung liegt, wie Sie sicher wissen, seit Monaten ein nach Angaben der Wismut-Geschäftsleitung umfassendes Sanierungskonzept vor. Aber darüber wird hier nicht diskutiert. Das hat Herr Möllemann eilends zur Verschlußsache gemacht. Dieses Sanierungskonzept muß endlich auf den Tisch. Das Verhalten des Wirtschaftsministers muß doch mißtrauisch machen. Ich kann hier nicht in die Details gehen; aber wir haben die allergrößten Befürchtungen hinsichtlich der Sanierungsabsichten der Bundesregierung. Nichts Gutes verheißen auch die jüngst bekanntgewordenen Pläne für die Lagerung von Atommüll auf Wismut-Gelände.
Der vorliegende Gesetzentwurf bietet eine Reihe von Anhaltspunkten für solche Befürchtungen: Erstens. Der Unternehmenszweck der zu gründenden GmbH wird im Gesetzentwurf nicht definiert. Das wird einem künftigen Gesellschaftsvertrag und damit wohl der Bundesregierung überlassen.
Zweitens. Die Bergbauberechtigung des Unternehmens soll nach den Vorstellungen von Bundesregierung und SPD fortgelten. Dies legt jedoch den Verdacht nahe, daß auch der Uranbergbau weitergehen soll.

(Zustimmung der Abg. Siegrun Klemmer [SPD])

Drittens. Es muß vermutet werden, daß mit der Behandlung der Wismut nach Bergrecht auch auf die Umweltsanierung bergrechtliche Vorschriften angewandt werden. Die Folge wäre der weitgehende Ausschluß der Beteiligung von Bürgern und Anliegergemeinden.
Viertens. Die atom- und strahlenschutzrechtlichen Sonderregelungen zum Nachteil der betroffenen Bevölkerung, gegen die mittlerweile auch Verfassungsbeschwerden angestrengt werden, sollen nach dem Regierungsentwurf noch über ein Jahr hinaus Geltung haben.
Fünftens. Die großzügige Zuordnung von Vermögen, auch des Vermögens, das der Wismut lediglich



Werner Schulz (Berlin)

zur Nutzung überlassen war, schränkt die Mitspracherechte der Anliegergemeinden ein weiteres Mal ein und hebt deren Eigentumsrechte letztendlich zugunsten des Bundes auf. Das ist überhaupt nicht einzusehen.
Sechstens. Im Zuge der Umwandlung — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205205700
Herr Kollege Schulz, seit Punkt vier sind Sie über Ihre Redezeit hinaus.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205205800
Gut, Herr Präsident; vielleicht noch einen abschließenden Satz: Meine Damen und Herren, diesem Gesetz können wir nicht zustimmen, und wir sind doch sehr erstaunt, daß dies für die anderen Fraktionen in diesem Hause offenbar überhaupt kein Problem ist.

(Beifall der Abg. Siegrun Klemmer [SPD])


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205205900
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, unser Kollege Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1205206000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die DDR war bis 1990 einer der größten Uranproduzenten der Welt. Es wurde dort seit Kriegsende mehr Uran produziert als in der gesamten Sowjetunion. Insbesondere in den Anfangsjahren wurde der Abbau ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt betrieben. Ergebnis nach 45jähriger Tätigkeit sind viele Quadratkilometer kontaminierter Flächen, auf denen sich Abraumhalden, Aufbereitungsrückstände, Bergwerks- und Aufbereitungsanlagen befinden, und dies nicht in abgeschiedener Einsamkeit wie beispielsweise bei Uranbetrieben in Kanada oder Australien, sondern mitten im dichtbesiedelten Thüringen und Sachsen.
Da die Urangewinnung unter Marktbedingungen weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt war, wurde der aktive Bergbau Ende des Jahres 1990 eingestellt und mit der Stillegung der Bergbaubetriebe, mit der Sanierung kontaminierter Flächen und mit den Rekultivierungsarbeiten begonnen.
Wie in planwirtschaftlich geführten Ländern üblich, waren keinerlei finanzielle Rückstellungen für diese Tätigkeiten vorhanden, so daß nunmehr der Bund als künftiger Alleineigentümer des Unternehmens Wismut durch umfangreiche Mittel die Finanzierung sicherstellen muß. Die Höhe der Mittel ist eben schon angedeutet worden.
Der Bundeswirtschaftsminister hat am 16. Mai dieses Jahres ein Regierungsabkommen mit der Sowjetunion unterzeichnet, das die Übertragung der sowjetischen 50 % an der Gesellschaft auf die Bundesrepublik Deutschland vorsieht, bei gleichzeitiger Freistellung der Sowjetunion von der finanziellen Beteiligung an diesen — ich nenne es einmal so — Aufräumungsarbeiten. Auf Grund der von der DDR früher eingegangenen Vereinbarung mit der UdSSR war diese finanzielle Beteiligung in den Verhandlungen nicht durchsetzbar.
Durch dieses Abkommen, das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung ratifiziert werden soll, wird nun der Weg für zwei wesentliche
Elemente frei, die für die ökonomische und ökologische Entwicklung der betroffenen Regionen in Sachsen und Thüringen von entscheidender Bedeutung sind.
Erstens. Die Stillegungs- und Sanierungsarbeiten können nunmehr nach westlichem Standard in vollem Umfang in Angriff genommen werden. Ziel muß es dabei sein, für die dort lebende Bevölkerung akzeptable Umweltverhältnisse herzustellen, gleichzeitig aber auch regional- und beschäftigungspolitische Wirkungen zu entfalten.
Wir sind bemüht, für die Sanierungsarbeiten international bestes Know-how einzukaufen, um den vorhandenen Sachverstand zu bündeln und ein Optimum zwischen Finanzierbarkeit und Umweltnutzen zu erreichen. Ich bin sicher, daß dadurch in den kommenden Jahren im Unternehmen Wismut Erfahrung auf dem Gebiet der Wachstumsbranche Altlastensanierung heranwächst, die sich dem internationalen Wettbewerb erfolgreich stellen kann.
Zweitens. Die ostdeutsche Uranindustrie hatte als Staat im Staate eine Vielzahl von Zulieferbetrieben außerhalb des eigentlichen Uranbergbaus, wie z. B. Bau- und Montagebetriebe. Diese sind als Ergebnis der hohen Priorität, die die Wismut als sowjetisch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen genoß, zum Teil hervorragend ausgestattet. Es ist also naheliegend, Betriebe, die unter Wettbewerbsbedingungen am Markt bestehen können, zu erhalten und damit weitere Arbeitsplätze in der Region zu sichern.
Ich gehe nach heutigem Erkenntnisstand davon aus, daß die außerhalb der Bergbaustillegung befindlichen Unternehmensteile nach einer umfassenden Unternehmensumstrukturierung in den kommenden Jahren schwarze Zahlen schreiben und mittelfristig auch privatisiert werden können.
Es ist klar, daß eine Umwelteinheit der gesetzlichen Rahmenbedingungen zweier vorher völlig unterschiedlicher Systeme in der Praxis über Jahre unvermeidliche Verwerfungen zu überwinden hat. Ich glaube aber, daß gerade das Beispiel Wismut zeigt, daß auf dem Wege zu einer Umwelteinheit der alten und neuen Bundesländer wirtschaftlicher und ökologischer Fortschritt miteinander verknüpft werden kann, wenn wir bereit sind und uns auch bemühen, geistige wie finanzielle Ressourcen optimal zu nutzen.
Meine Damen und Herren, das Unternehmen unterliegt gegenwärtig noch nicht deutschem Gesellschaftsrecht. Alle unternehmerischen Entscheidungen, auch auf dem Gebiet der Altlastensanierng ebenso wie auf dem Gebiet der Umstrukturierung der Wismut-Zulieferbetriebe mit dem Ziel, wettbewerbsfähige Unternehmensteile und damit Arbeitsplätze zu erhalten, müssen derzeit noch im deutsch-sowjetischen Aufsichtsgremium förmlich gebilligt werden. Für die Bundesregierung ist daher die unverzügliche Ratifizierung des Vertrages mit der Sowjetunion von größter Bedeutung, weil allein hierdurch die Grundlage für eine in ihrer Größenordnung weltweit einmalige Sanierungsaufgabe gelegt wird.
Ich bitte daher das Haus um Zustimmung. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205206100
Frau Kollegin Klemmer, Sie haben das Wort.

Siegrun Klemmer (SPD):
Rede ID: ID1205206200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist vor einer halben Stunde von den Fraktionen von CDU/CSU und FDP dem Geschäftsordnungsantrag, die Beratung des Gesetzentwurfs zur Tätigkeit der Wismut von der Tagesordnung zu nehmen, nicht stattgegeben worden.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Das war richtig, Frau Kollegin!)

Wir bedauern das sehr. Es ist nicht nur deshalb bedauerlich, weil von dem Vorgang stark betroffene Gemeinden ein Recht darauf haben, daß auch wir uns mit ihren Bedenken ernsthaft befassen; es ist vielmehr auch deshalb bedauerlich, weil die Politik der Bundesregierung im Hinblick auf die SDAG Wismut einigen Anlaß zu Mißtrauen und Beängstigungen gibt, weshalb erst recht die Verpflichtung bestanden hätte, den Gesetzentwurf nochmals zu bearbeiten.
Grundsätzlich — daran soll es gar keinen Zweifel geben — ist natürlich zu begrüßen, daß mit dem deutsch-sowjetischen Abkommen die Verantwortung für die Angelegenheit und die Befugnisse ganz auf die Seite der Bundesrepublik gelegt werden. Auch haben die Menschen in der betroffenen Region, nicht zuletzt die bei der Wismut Beschäftigten, ein Anrecht darauf, daß ihre Probleme mit diesem größten Altlastenfall, Probleme, die die Zukunft der Region entscheidend beeinflussen werden, zügig angegangen werden. Das bisherige Verhalten der Bundesregierung und auch der vorliegende Gesetzentwurf geben aber zu der Befürchtung Anlaß, daß verfassungsrechtlich unzureichend abgesichert und mit halbherzigen Billiglösungen über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden wird.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Diese Befürchtungen werden genährt, wenn auch in Zukunft eine Weitergeltung von Vereinbarungen der ehemaligen DDR mit der Sowjetunion auf dem Gebiet des Atom- und Strahlenschutzrechts aufrechterhalten wird und damit genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was Sie soeben vorgetragen haben, nämlich daß keine Gleichbehandlung, sondern dezidiert eine Ungleichbehandlung der ostdeutschen Region auf diesem sensiblen Gebiet gegenüber ungleich schärferen Bestimmungen im übrigen Bundesgebiet bestehenbleibt.

(Klaus Lennartz [SPD]: So ist es!)

Auch der Antrag der Fraktionen der Regierungsparteien bezüglich der Zuweisung von Grundstücken und Gebäuden kommt den Anliegen der betroffenen Gemeinden leider nur teilweise entgegen.

(Klaus Lennartz [SPD]: Auch der deutschen Wirtschaft kommt es nicht entgegen!)

Zwar ist es begrüßenswert, daß nicht sanierungsnotwendige Grundstücke und Gebäude den Gemeinden zurückgegeben werden sollen. Das ist gar keine Frage. Doch wollen diese auch Einfluß auf die Sanierung derjenigen Gebiete haben, die nun ganz in die
Hand der Wismut übergehen und auf denen dadurch eine Sanierung nach Bergrecht durchgeführt werden kann — wenn Sie das Gesetz gründlich durchgelesen haben, werden Sie wissen, was das bedeutet — , die ohne die gebotene Beteiligung der umliegenden Gemeinden und die ohne Bürgerbeteiligung ablaufen kann.
Daß dabei Billiglösungen anstehen, beweisen Vorgänge aus jüngster Zeit. Demnach soll nach immer noch geheimgehaltenen Konzepten — das ist einer der Skandale in diesem Zusammenhang: die Geheimhaltung der Sanierungskonzeption — ein großes mit Abfallschlämmen radioaktiv und chemisch belastetes Absetzbecken mit weiteren kontaminierten Materialien und Böden aufgefüllt werden. Dies beeinträchtigt eine spätere gründliche Sanierung, die nicht nur wegen Gefahren für das Trinkwasser dringend geboten ist. Damit gibt das BMU — Herr Minister Töpfer, das gilt für Sie insbesondere — seine eigenen Vorgaben auf, die ja zumindest bisher besagten, daß künftige Sanierungsvorhaben nicht durch laufende Maßnahmen erschwert werden dürfen.
Die Desinformationspolitik der Bundesregierung macht das Mißtrauen bei den betroffenen Gemeinden und in der gesamten Region nur zu verständlich.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205206300
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Töpfer?

Siegrun Klemmer (SPD):
Rede ID: ID1205206400
Herr Kollege, vielleicht sollte ich meine Ausführungen erst zu Ende führen; vielleicht haben Sie dann noch eine zweite Frage. Ich werde sodann versuchen, es im Zusammenhang zu beantworten. Ich möchte erst einmal fortfahren.
Untersuchungen und Sanierungskonzepte werden unter Verschluß gehalten und selbst Abgeordneten trotz entsprechender Zusage nicht vorgelegt. Im Hinblick auf diese Politik gegenüber der Öffentlichkeit und im Hinblick auf eine Sanierung allein in der Hand der Wismut muß für die Zukunft so etwas wie eine „geheime Sanierung" befürchtet werden, eine Sanierung, die der Verursacher selbst quasi ohne öffentliche Kontrolle nach eigenen Vorgaben durchführen darf, zumal wichtige Positionen bei der Wismut immer noch von denselben Personen eingenommen werden, die schon unter dem DDR-Regime nicht gerade für Offenheit bekannt waren.
Meine Damen und Herren, seit der Unterzeichnung des Abkommens nimmt die Bundesregierung die unternehmerische Führung wahr. Es bestand ausreichend Gelegenheit, auf personellem Gebiet einen Beitrag zum Abbau des Mißtrauens zu leisten, das in der Bevölkerung zu Recht gegen die Wismut gehegt wird. Des vorliegenden Gesetzentwurfs hätte es für eine solche Personalpolitik nicht bedurft.
Das Gesetz schließt in seiner vorliegenden Form weiterhin nicht die Möglichkeit aus, daß auf dem Gebiet der Wismut End- oder Zwischenlager für Atommüll auch anderer Herkunft als der des dortigen Erzabbaus entstehen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205206500
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.




Siegrun Klemmer (SPD):
Rede ID: ID1205206600
Ich komme zum Schluß. — Auch für die immer noch anhaltende Produktion von sogenanntem yellow cake — darauf haben wir schon einmal hingewiesen — gibt es weder eine Begründung noch schafft der Gesetzentwurf Klarheit über Dauer und Notwendigkeit des Abbaus.
Wir werden die betroffenen Bürgerinnen und Bürger und die Gemeinden in ihrem berechtigten Anliegen nach Information und Mitsprache auch in Zukunft unterstützen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD — Klaus Lennartz [SPD]: Jetzt kann der Herr Minister fragen!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205206700
No tricks! Die Redezeit ist abgelaufen.

(Zurufe von der SPD)

— Entschuldigung! Die Kollegin hat die Frage während ihrer Rede nicht zugelassen. Ich kann sie nicht nach der Rede zulassen.
Herr Dr. Töpfer hat das Wort zu einer Kurzintervention.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1205206800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Frau Kollegin noch darauf aufmerksam machen, daß es geltendes Recht ist, daß der für die Sanierung Verantwortliche ein Sanierungskonzept zu entwickeln hat und daß dieses Konzept dann zu genehmigen ist. Wenn ein Konzept vorgelegt wird, ist es von den Länderbehörden und dann auf sichtlich durch mein Ministerium zu genehmigen.
Deswegen ist es völlig richtig, ja es ist geradezu eine der entscheidenden vertrauensbildenden Maßnahmen, das nicht der Bundesumweltminister dieses Konzept entwickelt, sondern daß es vom Bundeswirtschaftsminister und von den betroffenen Unternehmen entwickelt wird und daß dann überprüft wird, ob es so genehmigt werden kann oder nicht. Ich behalte mir jegliche Intervention in bezug auf das Sanierungskonzept selbstverständlich vor.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205206900
Frau Kollegin, wünschen Sie zu antworten? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, das Instrument der Kurzintervention ist natürlich nicht dazu da, nach Abschluß der Debatte eine Verlängerung herbeizuführen. Wenn wie in diesem Fall eine Frage, die aufgekommen ist, durch eine Kurzintervention klargestellt werden kann, ist das etwas anderes. Ich kann jetzt aber nicht der gleichen Fraktion nochmals das Wort zu einer Kurzintervention geben. Dafür bitte ich um Verständnis.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Vertragsgesetzentwurf zur Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut, Drucksachen 12/939 und 12/1370. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält
sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt weiterhin unter Ziffer II seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 29. Juni 1990 beschlossenen Änderung und den am 29. Juni 1990 beschlossenen Anpassungen zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
— Drucksache 12/1232 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß)

— Drucksache 12/1371 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Klaus Harries Monika Ganseforth
Marita Sehn
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1373 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Michael von Schmude
Ina Albowitz

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Klaus Harries.

(V o r sitz : Vizepräsidentin Renate Schmidt)


Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1205207000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesem Ratifizierungsgesetz setze ich voll auf die höhere Einsicht unserer Opposition. Es ist noch keine drei Wochen her, daß wir in erster Lesung dieses wichtige Gesetz hier diskutiert haben, ein Gesetz, das die Grundlage dafür schafft, daß die ganz wichtige und verschärfende Änderung zum Montrealer Abkommen weltweit ratifiziert wird. Ich sehe in der schnellen Beratung im zuständigen Umweltausschuß und in der dort erfolgten einstimmigen Empfehlung, heute hier zuzustimmen, ein positives Zeichen, ein positives Zeichen vor allen Dingen dafür, daß die Bedeutung dieses internationalen Gesetzes voll erkannt wird, meine Damen und Herren.
Die Ergänzung zum Montrealer Abkommen und die internationale Abstimmung sind für mich auch ein Beweis dafür — ich habe das anläßlich der ersten Lesung hier schon gesagt; ich sage es bewußt noch



Klaus Harries
einmal —, daß das auf eine wachsende und zunehmende internationale Zusammenarbeit und wirksame Abstimmung weltweit und auf der Ebene der Vereinten Nationen hoffen läßt. Das läßt insbesondere für Rio hoffen, für die bevorstehende Konferenz; daß es trotz aller erkennbaren Schwierigkeiten, die sicher noch zunehmen werden, gelingt, zu einer weltweiten Abstimmung in wichtigen Themen zu kommen.
Meine Damen und Herren, wenn ich eben die internationale Abstimmung und das internationale Einvernehmen gerühmt habe, so habe ich hier doch wieder zu sagen, daß es unverständlich ist, daß dieses wichtige Gesetz von noch nicht einmal 20 Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden ist. Ich appelliere von dieser Stelle aus insbesondere an die EG-Staaten, an unsere Nachbarn im Westen, hier sehr schnell und zügig, soweit noch nicht geschehen, das Ratifizierungsverfahren einzuleiten.
Wir haben im Umweltausschuß, meine Damen und Herren, auf Anregung der SPD einvernehmlich eine Resolution verabschiedet, die heute ebenfalls zur Annahme ansteht. Dort haben wir formuliert, daß wir die Regierung, Herr Bundesminister, dringend bitten, alles zu tun, damit die Mitgliedstaaten der EG und andere Industrieländer hier zu einem zügigen Ratifizierungsverfahren kommen, damit das Montrealer Ergänzungsabkommen wie vorgesehen und erhofft zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, in dieser zitierten Resolution haben wir weitere Forderungen im Zusammenhang mit der anstehenden Ratifizierung erhoben. Ich darf sie ganz kurz nennen. Auf diesem wichtigen Gebiet besteht Handlungsbedarf; darüber sind wir uns einig. Handlungsbedarf besteht deswegen, weil, wie vor kurzem wieder zu lesen war, in der Wissenschaft Einvernehmen über die traurige Feststellung besteht, daß das Ozonloch weiterhin zunimmt. Es muß etwas geschehen.
Von daher bitten wir die Bundesregierung zweitens, Herr Minister, alles zu tun, um international, zumindest auf EG-Ebene, zu einer weiteren Harmonisierung zu kommen.
Wir bewegen uns ja auf drei Ebenen, meine Damen und Herren. Das Montrealer Ergänzungsabkommen sieht die Reduzierung von FCKW und Halonen bis zum Jahre 2000 auf etwa 5 % vor — die EG bisher bis 1997. Wir sind Vorreiter und streben dieses Ziel bereits 1995 an — und wir werden es mit Sicherheit auch erreichen. Die berühmte Spraydose haben wir bereits völlig entschärft. Es geht hier also darum, schneller zu einer Harmonisierung und zu einer Verkürzung der Fristen zu kommen.
Eine letzte Forderung dieser Resolution darf ich ansprechen: Wenn es denn zu der Harmonisierung kommt und wenn diese internationalen Absprachen greifen sollen, ist mit Sicherheit nötig, daß sie auch kontrolliert werden. In den Ländern, wo es Produktion gibt, muß kontrolliert werden, ob die Produktion eingestellt wird und ob es wirklich auch zu einer Einstellung der Nutzung dieser schädlichen chemischen Stoffe kommt.
Alles in allem, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, haben wir Anlaß, dieses Gesetz heute und damit sehr schnell zu ratifizieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205207100
Als nächste hat unsere Kollegin Monika Ganseforth das Wort.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1205207200
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig, daß etwas getan werden muß. Die Ergebnisse des NASA- Meßprogramms hab en eine dramatische Abnahme der Ozonschutzschicht auch über den dichtbesiedelten nördlichen Teilen unseres Planeten erwiesen. Zu denselben Ergebnissen kommt die UNO-Studie, die jetzt in New York vorgestellt wurde. Es ist also nicht mehr nur das Ozonloch über der Antarktis, sondern eine weltweite Ozonausdünnung, und zwar über das gesamte Jahr, auch ein Sommerschwund.
In der Bundesrepublik hat sich, wie das Bundesamt für Strahlenschutz schon in diesem Sommer mitteilte, die Zahl der Hautkrebserkrankungen in weniger als zehn Jahren auf über hunderttausend verdoppelt.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr bedenklich!)

Die Ursache ist die zunehmende ultraviolette Strahlung. Das Bundesgesundheitsamt hat dann auch empfohlen, das Sonnenbaden einzuschränken.
Aber wir müssen auch an einer ganz anderen Stelle anfassen. Schon seit etwa 20 Jahren vermutet man, daß FCKW und Halone dazu beitragen, das Ozon abzubauen oder die Ursache für den Ozonschwund auf unserem Planeten sind. Seit fast 20 Jahren weiß man, daß die gefährlichen langwelligen ultravioletten Strahlungen dadurch his auf die Erde vordringen können. Sie haben beim Menschen verheerende Folgen, Hautkrebs — ich habe es angesprochen — , Augenleiden, Immunschwächeprobleme. Für die Landwirtschaft ist es schlimm. Es gibt und wird Ernteverluste geben, die landwirtschaftlichen Kulturen werden geschädigt. Aber auch sonstige Ökosysteme wie das Phytoplankton usw. werden durch die zunehmende ultraviolette Strahlung geschädigt.
Das Schlimmste aber ist: Der Zusammenhang von Ozonschwund und Zunahme der Strahlung auf der Erdoberfläche ist nicht proportional, sondern die Strahlung verdoppelt sich. Also eine bestimmte Zunahme der ultravioletten Strahlung oder eine bestimmte Abnahme der Ozonschicht führt auf der Erdoberfläche zu einer viel stärkeren Zunahme der ultravioletten Strahlung. Eine Zunahme der ultravioletten Strahlung führt dann zu einer überproportionalen Zunahme der Hautkrebsrate. Insofern weiß man: Wenn 3 % weniger Ozon vorhanden sind, wird der Hautkrebs um 10 % zunehmen; diese Zusammenhänge sind sehr beängstigend.
Wo brauchen wir die FCKW und Halone? Wir haben oft genug darüber gesprochen: in Spraydosen, in Kühlschränken, zum Aufschäumen von Kunststoffen und als Reinigungs- und Lösungsmittel sowie in Feuerlöschern; aus allen diesen Anwendungen müssen wir aussteigen.
4294 Deutscher Bundestag — l2. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991
Monika Ganseforth
Wir sprechen heute über die Anpassung des Montrealer Protokolls. Wir schließen uns dieser Anpassung an. Die Frage ist aber: Ist es die notwendige Beendigung der FCKW- und Halonproduktion, die überall bejubelt wird? Ich meine, wir sind weit von einer Lösung dieses Problems entfernt.
Was sagt die Anpassung aus? Bis zum Jahr 2000 — d. h. noch zehn Jahre weiter — dürfen FCKW und Halone produziert und verbraucht werden; und das, obwohl die Lebensdauer dieser Chemikalien rund 100 Jahre beträgt.

(Zuruf von der SPD: Skandal!)

In den Entwicklungsländern verlängert sich die Produktion sogar noch um zehn Jahre, also bis zum Jahr 2010. Die Obergrenzen liegen höher als bei uns; also gibt es noch fast 20 Jahre lang die Produktion und Anwendung von FCKW und Halonen in den Entwicklungsländern. So sieht das aus, was wir heute verabschieden.
Drittens. Die Ersatzstoffe sind fast das schlimmste Schlupfloch. Inzwischen gibt es eine Auflistung dieser Stoffe — 23 Ersatzstoffe —, die einschränkend in der Anpassung an das Montrealer Protokoll nur noch „Übergangsstoffe" genannt werden, d. h. sie sollen nicht auf ewig eingesetzt werden, sondern für eine Übergangszeit. Besonders gefährlich sind dabei die teilhalogenierten F 22 bzw. R 22. Ein Reduktionsplan für diese Chemikalien ist nicht vorgesehen.
Es ist richtig, diese Ersatzstoffe oder Übergangsstoffe zerstören die Ozonschicht nicht in dem Maße wie die vollhalogenierten; aber 5 % Ozonzerstörungspotential sind noch 5 % zuviel.
In der Anlage, die wir hier heute verabschieden, wird die Produktion noch bis zum Jahre 2020 bzw. 2040 — d. h. über 30 bis 50 Jahre — vorgesehen. Das ist ein Skandal. Da haben sich die Produzenten voll durchgesetzt. Sie wollen Sicherheit darüber haben, daß ihre Produktionsanlagen über einen jahrzehntelangen Zeitraum hinweg rentabel genutzt werden können. Die chemische Industrie und die Anwender müssen sich fragen lassen, wie sie das an Hand der Fakten, die wir kennen, verantworten wollen.
Wir beantragen heute und fordern die Bundesregierung auf, hier weiter zu verhandeln, zu kürzeren Fristen zu kommen und auch die Ersatzstoffe einzubeziehen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich habe immer die Schwierigkeit — ich weiß nicht, wie es den anderen Kolleginnen und Kollegen geht —, wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern, vor allem mit jungen Leuten spreche, auf die Fragen zu antworten: Warum dauert das so lange? Warum ist es nicht möglich, wenn die Fakten so lange auf dem Tisch liegen und bekannt sind, da sofort auszusteigen? Warum ist es nicht möglich, nicht erst in eine Ersatzstoffproduktion einzusteigen? Es gibt Ersatzstoffe. Für Feuerlöscher, für Kühlschränke, für das Aufschäumen von Kunststoffen und andere Dinge hat es früher andere Materialien gegeben. Wir haben die FCKW und Halone erst seit wenigen Jahrzehnten; und vorher haben wir auch leben können und sogar besser leben können, weil uns die Zerstörung der Ozonschicht keine Probleme bereitet hat.
Nebenbei tragen diese Stoffe natürlich auch noch erheblich zum Treibhauseffekt und zur Veränderung unseres Klimas bei. Sagen Sie mir, wie man den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen soll, daß weiter über Jahrzehnte in der Atmosphäre, in der Stratosphäre diese Chemikalien angereichert werden!
Das Chlor und das Brom, die sich in der Atmosphäre befinden, reichen bereits heute aus, um die Ozonschicht völlig zu zerstören. Es bedarf nur bestimmter Bedingungen, um diese Wirkung zu entfalten.
Die Luftmassen über der arktischen Stratosphäre — also über unseren Bereichen — sind im Winter stark gestört und verändert, wie die Messungen ergeben haben. Es ist davon auszugehen, daß das dort vorhandene zerstörerische Potential unter den entsprechenden Bedingungen sehr schnell wirksam wird, z. B. führen Vulkanausbrüche dazu, daß dieses Potential sehr schnell aktiviert wird.
Ich meine, für unsere Fraktion sagen zu können: Wir müssen dem Antrag zustimmen, es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er geht nicht weit genug. Wir müssen sofort aussteigen und dürfen vor allen Dingen keinen Einstieg in die Übergangsstoffe, in die Ersatzstoffe vornehmen, die genauso zur Schädigung der Ozonschicht und zum Treibhauseffekt beitragen. — Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205207300
Als nächste hat die Kollegin Marita Sehn das Wort.

Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1205207400
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abbau der stratosphärischen Ozonschicht in der Antarktis zeigt ohne Zweifel, welch enormen Einfluß die durch die Menschheit verursachte Freisetzung von klimarelevanten Spurengasen auf globale Prozesse der Umwelt hat. Ohne den hochwirksamen Schutzschild Ozonschicht wäre die Entwicklung des Lebens auf der Erde in der uns bekannten Weise mit Sicherheit nicht möglich gewesen. Seit Jahrzehnten wird dieser empfindliche Schutzschild durch die weltweite Freisetzung von FCKW, Halonen und anderen ozonschichtschädigenden Chlorverbindungen zerstört. In jüngster Zeit von der NASA veröffentlichte Ergebnisse zeigen, daß der Ozonabbau in weitaus größerem Maße fortschreitet, als bislang erwartet wurde.
Wenn wir das Problem des Ozonabbaus mit seinen globalen Folgen realistisch einschätzen wollen, so müssen wir uns darüber im klaren sein, daß der Ozonabbau seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht hat. Betrug der Gehalt an FCKW in der Stratosphäre im Jahre 1968 gerade 1,3 Millionen Tonnen, so war die FCKW-Menge im Jahre 1989, nach nur 21 Jahren, um dem Faktor 10 auf 13,3 Millionen Tonnen angewachsen. Eine beachtliche Zahl, insbesondere unter Berücksichtigung der langen Aufstiegszeit der FCKW durch die Troposphäre bis zu ihrem eigentlichen Wirkungsort, der Stratosphäre, die rund zehn Jahre beträgt.



Marita Sehn
Bei einer Abschätzung der stratosphärischen FCKW-Altlast müssen aber neben der langen Lebensdauer der FCKW und Halone weitere entscheidende Faktoren Berücksichtigung finden. So erfolgt der Verbrauch ozonschichtschädigender Stoffe häufig nicht im selben Jahr wie ihre Produktion. Durch das Gebundensein von FCKW in verschiedenen Produkten, z. B. Klimaanlagen, Kühlaggregaten, aber auch Schaumstoffen, verschiebt sich die Freisetzung dieser Stoffe durchschnittlich um 10 bis 15 Jahre. Diese Faktoren erklären, warum trotz eines sofortigen weltweiten Produktionsstopps aller ozonschichtschädigenden Stoffe ein Zeitraum von 300 Jahren nötig wäre, um den vergleichsweise unbedenklichen FCKW-Gehalt aus dem Jahre 1968 in der Stratosphäre wiederzuerlangen.
Angesichts dieser ozonschichtschädigenden Altlast für zukünftige Generationen ist weltweites Handeln dringend erforderlich. Die im Montrealer Protokoll festgeschriebenen Maßnahmen reichen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bei weitem nicht aus. Die am 29. Juni 1990 beschlossene Anpassung und Änderung zum Montrealer Protokoll, die eine Erweiterung der geregelten Stoffe sowie einen verschärften Reduzierungsplan vorsieht, ist sicherlich eine Verbesserung, aber angesichts der bereits heute gravierenden Schädigung der Ozonschicht unzureichend. Der Ausstiegstermin 1. Januar 2000 ist immer noch zu weit gesteckt.
Die Bundesrepublik Deutschland hat auf nationaler Ebene mit der FCKW-Halon-Verbotsverordnung die Reduktionsfristen des Montrealer Protokolls deutlich verkürzt. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß national begrenzte Maßnahmen nicht ausreichen. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten zu drängen, die Änderung des Montrealer Protokolls so rechtzeitig zu ratifizieren, daß sie wie vorgesehen zum 1. Januar 1992 in Kraft treten kann.
Weiterhin halte ich für dringend erforderlich, Reduktionsziele für teilhalogenierte FCKW sowie klimawirksame Fluorchlorkohlenwasserstoffe auf der Grundlage der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" in einer zweiten Fortschreibung des Montrealer Protokolls umzusetzen. Um eine wirkungsvolle Umsetzung der vereinbarten Reduktionspläne zu sichern, müssen geeignete Kontrollinstrumente auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen werden. Die Errichtung eines multilateralen Fonds, der den Ländern der Dritten Welt bei der Erfüllung ihrer Reduzierungsverpflichtungen und der Einführung FCKW-freier Technologien helfen soll, begrüße ich sehr.
Um dem Abbau der Ozonschicht wirkungsvoll Einhalt zu gebieten, müssen auch in den Entwicklungsländern und insbesondere in den Schwellenländern angesichts des bestehenden großen Nachholbedarfs umweltschützende Maßnahmen frühzeitig ergriffen werden.
Der große Unsicherheitsfaktor aller politischen Bemühungen zum Schutz der Ozonschicht ist die Herbeiführung der für das Inkrafttreten erforderlichen Ratifikationen. Deshalb lassen Sie uns, meine Damen
und Herren, in allen Fraktionen ein zustimmendes Votum für den Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Entschließung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit abgeben und damit EG-weit ein Signal setzen, sich diesem Weg zum Schutz der Ozonschicht anzuschließen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205207500
Nun hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Töpfer, das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1205207600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, am Ende dieser Debatte und am Ende der Gesetzgebungsarbeit zunächst einmal allen herzlich dafür zu danken, daß dieses Gesetz so schnell verabschiedet werden kann. Dies ist eine wichtige Tatsache. Vor wenigen Tagen war der UNEP-Exekutivdirektor, der Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, hier bei uns in Deutschland und hat uns mitgeteilt, daß bisher nur zwei Länder — ich wiederhole: zwei Länder — die Ratifizierung vorgenommen haben. Es ist dringlich notwendig, daß wir als eines der führenden Industrieländer hier ein Zeichen setzen. Es ist gut, daß dieses Gesetz heute verabschiedet werden kann.
Ein Zweites: Keiner von uns, Frau Kollegin Ganseforth, jubelt über das Gesetz. Wir wissen, daß es ein ganz wichtiger Schritt ist. Wir wissen genauso, daß wir, ginge es nur nach uns, auch international schneller vorangingen. Wir haben eine wesentliche Beschleunigung erreicht. Ist man 1987 in Montreal noch von einer Halbierung der FCKW-Produktion bis zum Jahre 2000 ausgegangen, so ist es uns auf der Nachfolgekonferenz in London geglückt, eine vollständige Beendigung bis zum Jahre 2000 zu erreichen. Ich gehe davon aus, daß wir mit diesem Erfolg noch nicht am Ende dessen sind, was wir zu erreichen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Beifall des Abg. Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Deswegen werden wir bei der nächsten Konferenz, im Herbst des kommenden Jahres in Kopenhagen, alles daransetzen, um international langsam zu dem Fahrplan zu kommen, der bei uns Gesetz ist. Es wäre eine hervorragende Sache, kämen wir auch international so voran, wie wir es bereits entschieden haben. Das wäre eine deutliche Entlastung.
Es muß natürlich darauf ankommen, möglichst viele Nationen einzubeziehen. Gegenwärtig haben — Sie wissen es — 71 Staaten, darunter nur 13 Entwicklungsländer, das ursprüngliche Montreal-Protokoll gezeichnet. Es macht keinen Sinn, wenn wir sehr schnell gesetzliche Regelungen umsetzen, aber international nicht gefolgt wird. Deshalb müssen wir beides miteinander verbinden. Es ist bei den großen Problemen ein sehr schwieriges Verfahren.
Wir sind froh, daß der Zeitplan verkürzt wurde, daß die Produktion von FCKW im Jahre 2000 beendet ist. Wir sind sehr froh darüber, daß zehn weitere Ersatz-



Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Stoffe in die Regelungen einbezogen wurden. Ich halte das für ganz wichtig.
Wenn hier beklagt wird, daß beispielsweise R 22, einer der teilhalogenierten Stoffe, keinen internationalen Regelungen unterworfen ist, sollte man zumindest hinzufügen, daß wir in Deutschland eine diesbezügliche Regelung haben. Wir haben diese Entscheidung getroffen, und zwar gegen erhebliche Schwierigkeiten. Man sollte aufhören, immer nur von der Industrie und ihren Interessen zu sprechen.
Ich sage Ihnen ganz konkret — fragen Sie doch einmal bei Ihrem Kollegen Hermann Rappe nach — : Wir haben in Deutschland ein internationales Zweigunternehmen, das den Stoff 1,1,1-Trichlorethan, auch bekannt als Methylchloroform, herstellt, und zwar in größeren Mengen. Die Produktion dieses Stoffes ist international bis zum Jahre 2005 stufenweise auf Null zu reduzieren. Bei uns ist diese Produktion bereits ab 1. Januar 1992 nur noch eingeschänkt möglich und ab 1. Januar 1993 endgültig verboten.
Das Unternehmen stellt natürlich die Frage: Welchen Sinn macht es, daß unsere ganz neue Technik hier zu einem Ende kommt, wenn man nicht international aussteigt, sondern die Produktion woanders stattfindet, wo dieses Produkt womöglich schlechter hergestellt wird als bei uns? Hier handelt es sich doch nicht um ein vordergründiges Industrieinteresse. Die Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik mit Hermann Rappe an der Spitze wird das exakt genauso werten. Entsprechende Gespräche führen wir.
Lassen Sie doch bitte die dauernden Verdächtigungen aus dem Spiel, als setze sich nur das Industrieinteresse durch! Wir haben in Deutschland die Industrie auf den Pfad geführt, daß wir bei uns die Ersatzstoffe herstellen, die wir auf der internationalen Ebene brauchen, um schneller aussteigen zu können. Das ist der klare Zusammenhang.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen ist es gut und richtig und keine Ausrede, daß wir — das müßte gerade von der Opposition massiv befürwortet werden — ein Ersatzstoffsymposion durchführen, das wir nicht für uns brauchen, sondern um international zu belegen: Jawohl, es gibt diese Stoffe, und diese können auch als Alternative eingesetzt werden. Wir müssen einen Technologietransfer, eine Zurverfügungstellung dieser Techniken für andere schaffen, damit sie diese Möglichkeiten aufgreifen.
Das sind die Zusammenhänge, an denen man wirklich nicht vorbeigehen darf, wenn man andere nicht ausgrenzen, nicht vor den Kopf stoßen will. Wir wollen andere einbinden, wollen dazu beitragen, daß sie diesen Weg mit uns gemeinsam weitergehen — und dies gerade deswegen, weil es natürlich besorgniserregende Fakten gibt, vor denen wir uns nicht verstekken. Vielmehr haben wir durch eigene Forschungsarbeiten bei Problemlösungen mitgewirkt und hoffen, daß andere ebenfalls Derartiges auf den Weg bringen.
Daß wir hier schnell vorankommen, meine Damen und Herren, zeigen auch die jüngsten Zahlen: Wir
haben allein im Zeitraum von 1990 bis 1991 nach den Halbjahresdaten, die wir ganz neu vorliegen haben, die FCKW-Produktion erneut um 12,5 % zurückgeführt. Wir werden Ende dieses Jahres möglicherweise nur noch etwa 50 % dessen haben, was wir im Beschlußzeitraum, nämlich 1986/87, gehabt haben.

(Monika Ganseforth [SPD]: 50 % zuviel sind das!)

Um die Hälfte haben wir dann schon reduziert.
Meine Damen und Herren, vorhin ist gesagt worden, das sei doch ganz einfach; denn vorher hätten wir Fluorchlorkohlenwasserstoff in Kühlschränken auch nicht gehabt. Hier müssen Sie allerdings dazusagen, daß die Kühlschränke, die wir vorher gehabt haben, bis zu etwa 60 % mehr Energie verbraucht haben und daß wir das doch nicht solchen Ländern als Lösung anbieten können, die jetzt massenhaft Kühlschränke produzieren,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

während wir gleichzeitig erwarten, daß wir bei der CO2-Minderung vorankommen.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Manche begreifen es nie!)

Deswegen ist es gut und richtig, daß wir nach solchen Ersatzstoffen forschen — und sie dann auch einsetzen — , die beide Ziele erreichen, nämlich die Umweltbelastung durch FCKW abbauen und gleichzeitig keinen Zuwachs an Energienachfrage zur Folge haben. Das ist etwas schwieriger, als nur plakative Behauptungen aufzustellen.
Wir haben diesen Stoff — ich sage es noch einmal — bei uns in Jahresfrist um 12,5 % zurückgeführt; wir werden dies fortsetzen. Wir werden bis zum Ende des Jahres schon in die Nähe der Halbierung gekommen sein, so daß nicht der Eindruck entsteht, als würden wir ohne jede Änderung bis 1995 weiterproduzieren und dann auf Null gehen. Nein, wir haben eine Kurve, die die Anpassung an die Zielvorgaben sehr deutlich macht, und wir werden hier weiter beschleunigen — in guter Zusammenarbeit mit denen, die nach Ersatzstoffen forschen, mit denen, die sie in der Industrie einsetzen.
Die Bundesregierung ist froh darüber, daß wir diesen Schritt international gemacht haben. Wir werden uns mit diesem Schritt nicht zufriedengeben. Ich danke dem Hohen Hause dafür, daß wir das Gesetz so schnell verabschieden konnten. Ich danke Ihnen sehr herzlich!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205207700
In Abweichung von unserer Geschäftsordnung bittet der Kollege Gysi darum, seinen Redebeitrag zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist so beschlossen *).
Die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist damit beendet.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
*) Anlage 5



Vizepräsidentin Renate Schmidt
12/1232. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/1371, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen und Gruppen einstimmig angenommen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlußempfehlung weiterhin die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung auch hinsichtlich ihrer Ziffer II einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt — Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft"
— Drucksache 12/1290 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Wir haben im Ältestenrat eine Aussprache von einer Stunde dazu vereinbart. Gibt es gegenteilige Äußerungen dazu? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege Harald B. Schäfer das Wort.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1205207800
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft bleibt, auch wenn wir gegenwärtig in der Umweltpolitik einen Aktualitätsverlust festzustellen haben,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

für uns Sozialdemokraten Kernstück unserer Politik, Kernstück sozialdemokratischer Industriepolitik.
Zwar erweist sich gerade in den letzten zwei, drei Jahren das System der sozialen Marktwirtschaft als das überlegene System. Aber gleichzeitig nimmt die richtige Erkenntnis zu, daß unsere Art, zu produzieren und zu konsumieren, unser gegenwärtiges Wirtschafts- und Wohlstandssystem nicht weltweit exportiert werden kann.
Das knappe Viertel der Weltbevölkerung, das unter industriellen Bedingungen lebt, nutzt mehr als 75 % der weltweit kommerziell eingesetzten Energie und über 80 % der weltweit eingesetzten Rohstoffe. Würde man unseren Rohstoffverbrauch, unseren Energieverbrauch, den der Industrieländer insgesamt, auf die
gesamte Welt übertragen, so wäre der ökologische Zusammenbruch unseres Planeten die Folge.
Das heißt, die Weiterentwicklung und die Reform auch der sozialen Marktwirtschaft sind eine Überlebensaufgabe, buchstäblich global gesehen, aber auch Voraussetzung dafür, daß die Industriegesellschaften überhaupt zukunftsfähig bleiben oder werden können.
Vor diesem Hintergrund muß sich wirtschaftliches Handeln heute einem ökologischen Imperativ unterwerfen.

(Karl Deres [CDU/CSU]: Dabei sind wir längst!)

Güter und Dienstleistungen — und zwar ein Optimum, kein Maximum — müssen mit einem Minimum an Energieverbrauch, Rohstoffverbrauch und Umweltbelastung erbracht werden. Das ist die eigentliche Aufgabe, vor der wir stehen. Um es mit unseren Worten zu sagen: Wir müssen die soziale Marktwirtschaft zur ökologisch-sozialen Marktwirtschaft entwickeln, weil dies auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft ist.

(Dr. Immo Lieberoth [CDU/CSU]: Das sagt auch der Umweltminister!)

Die bisherige Umweltpolitik war überwiegend dadurch gekennzeichnet, daß die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden getrennt voneinander betrachtet wurden. Durch diese einseitige, nicht hinreichend medienübergreifende Politik wurden und werden Umweltbelastungen häufig einfach nur von einem Medium auf das andere verlagert.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Produktion in Papierfabriken wurde nach Inkrafttreten des Abwasserabgabengesetzes so umgestellt, daß die Hauptstofffracht nicht mehr im Wasser, sondern nunmehr im Klärschlamm landet. Damit liegt das Problem jetzt bei der Entsorgung des Klärschlamms. Gelöst ist es nicht, weil keine vorbeugende, vorsorgende Umweltpolitik hier begonnen worden ist und betrieben wird.
Dies alles macht deutlich — ich meine, darüber kann es im Ernst in diesem Hause keinen Streit geben — , daß wir zu einer stoffbezogenen Umweltpolitik kommen müssen.
Diese hat sich bislang im wesentlichen auf den Bereich Umweltchemikalien und hier hauptsächlich auf Neuzulassungen sowie auf Schadstoffgrenzwerte beschränkt. Eine integrierte Stoffpolitik fehlt jedoch völlig.
Wir brauchen aber eine ökologische Produktpolitik. Voraussetzung hierfür sind vergleichende Ökobilanzen. Produktionsprozesse und Produkte müssen von vornherein so gestaltet werden, daß negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit minimiert werden. Voraussetzung hierfür ist u. a. daß die Verträglichkeit der Produkte und Produktionsverfahren über ihren gesamten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung über die Zwischen- und Nebenprodukte, die Herstellung des Endprodukts und den Gebrauch bis hin zur Abfallentsorgung erfaßt und bewertet werden müssen, also von der Wiege bis zur Bahre.



Harald B. Schäfer (Offenburg)

Dazu freilich ist es notwendig, daß wissenschaftlich plausible und gesellschaftlich konsensfähige Bewertungskriterien entwickelt und standardisiert werden. Dies ist eine der zentralen Aufgaben der EnqueteKommission, deren Einsetzung meine Fraktion heute beantragt.
Bis heute gibt es noch keine allgemein anerkannten Standardmethoden und es wird noch viel Mühe kosten, hier zu einem Konsens zu kommen, wie man eigentlich Risiken bewertet, wie man Risiken vergleichbar macht, wie man Entscheidungsgrundlagen auf Grund von anerkannten ökologisch-ökonomischen, gesellschaftlich akzeptierten Kriterien schaffen kann. Wie sollten z. B. die Umweltbelastungen der Luft, z. B. durch Schwefeldioxid und Stickoxide mit Belastung des Wassers oder des Bodens z. B. durch chlororganische Stoffe verglichen werden?
Um ein anderes Beispiel zu nennen: Wie machen wir die Risiken der Nutzung der Kernenergie mit unabsehbaren Risikopotentialen, mit ungelöster Entsorgung, mit über Jahrhunderte reichende Bedrohungspotentialen, was den radioaktiven Müll angeht, vergleichbar? Wie macht man dieses Risiko bewertbar und vergleichbar mit dem Risiko des Treibhauseffektes? Letztlich fehlen hierbei noch hinreichende Bewertungskriterien. Letztlich, sage ich, wird es dann — in dieser Frage jedenfalls — auf eine qualitative Bewertung ankommen. Da muß sich jeder dann die Frage der Risikobewertung selbst zur Entscheidung vorlegen.
Kurzum: Die Ergebnisse solcher vergleichender Ökobilanzen für Produkte sollen zukünftig die Produktgestaltung sowie die Entwicklung neuer Stoffe beeinflussen. Bereits die chemische Herstellung von neuen Stoffen muß ökologische Gesichtspunkte stärker als bisher berücksichtigen. Bereits im Gehirn des Wissenschaftlers, des Ingenieurs, des Technikers, des Facharbeiters, des Chemikers, der sich die Synthese und die Ausarbeitung neuer Stoffe ausdenkt, müssen neben produktorientierten Gesichtspunkten von Anfang an auch umwelt- und gesundheitspolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, und zwar eine zentrale Rolle. Was das im Detail bedeutet, dazu können Produktlinienanalysen einen wichtigen Beitrag leisten. Dies ist — ich sage es noch einmal — eine der wichtigen, zentralen Aufgaben der Enquete-Kommission. Dies ist eine Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit und Weiterentwicklung unserer Industriegesellschaft.
Die Bedeutung der heute zur Diskussion stehenden Enquete-Kommission, meine Damen und Herren, ist vergleichbar mit der Aufgabe, die die Enquete-Kommissionen „zukünftiger Kernenergiepolitik" oder jetzt die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" haben. Wir müssen — darüber besteht jedenfalls in der Theorie Übereinstimmung — zu einer vorsorgenden Umweltpolitik gelangen. Vorsorgepolitik bedeutet Gefahrenabwehr und nicht Schadensbegrenzung. Dabei ist es wichtig, daß vorsorgende Umweltpolitik und das Wirtschaftswachstum zusammengeführt werden. Es wäre sicher falsch, Wirtschaftswachstum generell zu verteufeln oder generell für unvereinbar mit dem Umweltschutz zu erklären. Aber wirtschaftliches Wachstum ist so zu gestalten, daß es dem Minimierungsprinzip, von dem ich zuvor sprach, folgt und damit in Bahnen verläuft, die mit der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen vereinbar sind.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Da sind wir aber gespannt!)

Kurzum: Das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens muß zentrale Gestaltungspolitik einer zukunftsfähigen Industriegesellschaft werden. Wir sind von diesem Ziel, verehrter Herr Zwischenrufer, noch weit, weit entfernt. Noch immer nimmt auch in der Bundesrepublik die Umweltbelastung mit zunehmender Bruttosozialproduktentwicklung zu. Einige wenige Teilbereiche, wo es anderslautende Entwicklungen gibt, widerlegen nicht den Grundkonsens.
Meine Damen und Herren, ich tue einen Blick auf die Uhr und raffe deswegen, was ich mir hier festgehalten habe, zusammen.

(Zuruf des Bundesministers Dr. Klaus Töpfer)

— Vielen Dank für den Zwischenruf, Herr Kollege Töpfer. Er war beim Friseur und ist deswegen etwas schneller als sonst.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie müßten einmal rasiert werden!)

Das Parlament stellt sich, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, der Herausforderung. Meine Fraktion hat nun eine Bitte an alle Fraktionen dieses Hauses, vor allem aber auch an die chemische Industrie als Hauptbetroffene Branche und an die Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, diese Enquete-Kommission nicht als „Kampfansage" mißzuverstehen, sondern als Chance zu begreifen. Nur im Konsens gemeinsam mit den Hauptbetroffenen können Modelle und Vorschläge erarbeitet werden, wie eine zukunftsverträgliche, zukunftsfähige Stoffpolitik und damit Industriepolitik möglich gemacht werden kann. Der vermeintliche Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie muß aufgelöst werden, damit wir dann in der Tat eine ökologische Industriegesellschaft haben, die dem Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens nahekommt.
Unsere Bitte an alle gesellschaftlichen Gruppierungen, von den Naturschutzverbänden bis zu den Organisationen, die ich genannt habe, und vor allen Dingen auch an alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses ist also, diese Enquete-Kommission als eine große Chance zu begreifen, wie das Parlament, der Deutsche Bundestag, in einer entscheidenden Frage konsensorientiert einer Zukunftsherausforderung gerecht werden kann.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205207900
Herr Kollege Schäfer, die Sitzungsleitung war sich jetzt nicht ganz klar darüber, ob wir Sie wegen einer sexistischen Äußerung zur Ordnung rufen sollen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wieso? Weswegen?)




Vizepräsidentin Renate Schmidt
Aber da Sie nicht weiblichen, sondern männlichen Geschlechts sind, empfinden wir die Bemerkung zum Friseurbesuch, der ja zweifelsohne stattgefunden hat, als ein Kompliment.

(Heiterkeit — Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Dazu muß ich eine persönliche Erklärung abgeben!)

— Herr Kollege Schäfer, dazu können Sie keine Kurzintervention abgeben.
Als nächster hat der Kollege Dr. Klaus Lippold das Wort.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1205208000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, vorab ein Wort zu Ihnen. Sie haben gesagt, es gebe einen „Aktualitätsverlust bei der ökologischen Orientierung unserer Wirtschaft". Da kann ich nur sagen: Wahrnehmungsverlust bei Ihnen!

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Denn das, was in den letzten Jahren stattfindet, ist die Umorientierung von der Sozialen Marktwirtschaft — was an und für sich schon sinnvoll ist — zur ökologisch orientierten Sozialen Marktwirtschaft, was besser ist. Ich sage das so, weil wir dies nicht nur für die Bundesrepublik vertreten, sondern weil die christdemokratischen Parteien dies auch in ihre europäische Programmatik übernommen haben. Wir, Herr Kollege Schäfer, übernehmen das nicht nur in unserer Programmatik, sondern richten auch das Regierungshandeln an dieser Orientierung entsprechend aus.
Nur glaube ich, der Umweltschutz muß als Zielfunktion in die volkswirtschaftliche Rechnung, aber auch in die Unternehmensentscheidung eingehen. Sonst werden wir nicht die notwendige Wirtschaft bekommen, die es erlaubt, daß wir auch in Zukunft nachhaltig ökologisch verantwortlich wirtschaften können. Nur so kann es gehen.
Ich sage gleich auch noch einiges andere, Herr Kollege Schäfer, weil die Punkte, von denen Sie gesprochen haben, zum Teil schon verwirklicht sind. Auch das gehört dazu.
Eine Enquete-Kommission ist ein sehr sinnvolles Instrument des Parlaments, wenn sie sich mit den Aufgaben beschäftigt, die ansonsten nicht wahrgenommen werden. Deshalb wollen wir auch bei der Aufgabenstellung noch einmal sehr sinnvoll abarbeiten, was bereits in Angriff genommen ist, woran gearbeitet werden muß und wo mit dieser Enquete-Kommission noch Querbezüge hergestellt werden müssen, die bislang nicht in der notwendigen Form aufgegriffen wurden.
Nehmen Sie das Beispiel Stoffpolitik, von der Sie gesagt haben, hier fehle noch zuviel. Ich bitte Sie, zur Konzeption zur Stoffpolitik einmal zurückzudenken. Dazu gab es eine Unterrichtung durch die Bundesregierung am 19. September 1986. Das war ja nicht erst gestern, als wir das gemacht haben. Ferner kann ich aufzählen: Konzeption der Stoffpolitik, orientiert an den Schutzzielen Leben, Gesundheit des Menschen, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme — damit wurde der Querverbund hergestellt — , medienübergreifende Betrachtung — auch die haben Sie angesprochen —,
Luft, Wasser, Boden, Klima. Auch das Thema Klima war ein medienübergreifender Ansatz.
Sehen Sie, Herr Schäfer: Das ist alles nicht so neu, wie Sie es darstellen. Wenn man sich intensiv mit diesen Problemen auseinandersetzt — nicht nur darüber redet, sondern auch das, was hier erarbeitet wird, mitverfolgt — , dann kennt man das und muß es nicht als Defizit der Arbeit hier oder als Defizit innerhalb dieser Gesellschaft darstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, daß wir in der Orientierung wesentlich weiter sind, als Sie es zugeben wollen.
Wir sollten ein weiteres tun, wenn wir jetzt an diese Enquete-Kommission herangehen, bei der mitzuarbeiten wirklich sinnvoll sein wird; das stelle ich überhaupt nicht in Abrede. Wir werden uns einer konstruktiven Mitarbeit natürlich nicht verweigern. Dann sollten wir im vorhinein aber auch sagen, daß wir, ausgehend von einem richtigen Punkt, nicht nur, wie es manchmal akzentuiert wird, über Risiken von Stoffen sprechen, sondern ganz deutlich machen, daß es auch einen Nutzen der Stoffe gibt.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Nur wenn man beide Seiten der gleichen Medaille sieht, kann man zu einem abgewogenen und sachgerechten Urteil kommen.
Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation in den letzten zwei Jahrhunderten ist eng verbunden mit den Erfolgen von Naturwissenschaft und Technik beim Umgang mit Stoffen. Das ist die andere Seite der Medaille. Es ist der Verdienst der chemisch-medizinischen Forschung, daß es im Gesundheitsbereich vieles gibt, was heute seinen Schrecken verloren hat, daß z. B. Hungersnöte heute keine Hungersnöte mehr sind.
Nur wenn wir zu einer integrierten Gesamtbetrachtung kommen, Herr Kollege Schäfer, erliegen wir nicht der Versuchung, uns in vorgefaßten Meinungen zu ergehen und sie gegebenenfalls auch über Enqueten bestätigen lassen zu wollen. Deshalb wird es für uns wichtig sein, daß der Ansatzpunkt stimmt.
Ich will noch einmal deutlich machen, daß wir in weiten Bereichen einige wesentliche Punkte umgesetzt haben. Mit der Chemikaliengesetzesnovelle haben wir die Orientierung, Herr Kollege Schäfer, die Sie bei der Stoffbetrachtung haben wollen, nämlich das vorbeugende Abgreifen, ob Risiken für die Umwelt entstehen können, toxikologische Tests, damit wir wissen, ob Einflüsse drohen, hineingenommen.
Wir haben auch eine Altstoffkonzeption, um uns mit der Problematik alter Stoffe auseinanderzusetzen, die weltweit in dieser Form nicht existiert. Daß wir diese Altstoffkonzeption jetzt z. B. mit Japan und den USA vernetzen, ist ein wichtiges Element internationaler Umweltpolitik, Herr Schäfer, das Sie in Ihren Ausführungen bedauerlicherweise etwas vernachlässigt haben.
Wir wollen deutlich machen, daß wir nicht nur diese ökologisch orientierte Betrachtung haben wollen, sondern daß wir von einem neuen Konzept von Sicherheitskultur in der Industriegesellschaft ausgehen, das



Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

gerade in diesem Bereich, der Wirkung der Stoffe auf Mensch und Umwelt, schon von der Entwicklung her berücksichtigt, was daraus werden kann. Dies ist doch keine neue Erfindung, Herr Schäfer, bei der Sie sagen könnten: Das muß jetzt alles geleistet werden.
Der Umweltminister wird vielleicht einmal auf die Idee eingehen, wie das Auto gestaltet wird, damit hinterher der Recycling-Zyklus geschlossen werden kann — wegen Zeitmangels werde ich darauf nicht eingehen können.
Weiter ist natürlich Ihr Bild — Herr Schäfer, das kann ich mir nicht verkneifen — falsch: Es geht nicht von der Wiege bis zur Bahre; das würde ja bedeuteten, es würde hinterher versenkt. Es ist vielmehr wieder einsatzfähig. Selbst die Bilder, die Sie wählen, stimmen manchmal im Ansatz nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Schäfer, man muß mit Worten schon sehr genau umgehen, damit man das zum Ausdruck bringt, was gemeint ist.
Ich sage: Zur Sicherheitskultur der Industriegesellschaft gehört auch, daß wir bereits existierende Chemikalien im Sinne der Altstoffkonzeption untersuchen, daß wir sie prüfen. Wir müssen aber auch deutlich machen, daß alles getan wird, um für den Fall bereits eingetretener Schäden hier handeln zu können.

(Abg. Ernst Schwanhold [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205208100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1205208200
Nein, weil ich noch einen Satz unterbringen will. Ich gehe aber gerne auf eine Zusatzfrage am Ende meiner Rede ein.

(Zuruf des Abg. Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD])

— Herr Schäfer, Sie wissen doch, da scheue ich mich wirklich nicht.
Deshalb werden wir auch in der Enquete-Kommission sehr deutlich prüfen — Sie greifen eine Fülle von Themen auf — , ob das wirklich ausreichend strukturiert ist, ob wir damit auch wirklich zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
Sie haben eine ganze Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen, die Sie mit hineinnehmen: Sozialverträglichkeit, Friedensverträglichkeit, sozialer Nettonutzen. Wissen Sie, es kann uns nicht nur darum gehen, bestehenden Philosophien unterschiedlichster Art neue Philosophien hinzuzufügen. Was wir brauchen, sind konkrete Handlungserfordernisse, Herr Kollege Schäfer, die wir erarbeiten müssen.

(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Das geht aber nicht, wenn wir mit verschwommenen
Begriffen, jeweils interpretierbar nach eigener Wertvorstellung, an die Arbeit gehen; das werden wir noch
abklären. In der Grundkonzeption sind wir mit Ihnen einig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden aber deutlich machen, daß wir für eine sinnvolle Umsetzung Mitverantwortung tragen wollen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205208300
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205208400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat aus dem Sondergutachten „Abfallwirtschaft" des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen von 1990 beginnen, und zwar handelt es sich um die Ziffer 138 der Kurzfassung. Dort heißt es:
Produzenten und Verbraucher treffen mit ihren laufenden wirtschaftlichen Entscheidungen über Art und Menge der herzustellenden bzw. zu verwendenden Güter und Dienste praktisch zugleich grundsätzliche ökologische bzw. Umweltentscheidungen. Mit ihnen wird über Stoffhaushalte, d. h. über den Fluß, die Verteilung und Vermischung von Stoffen entschieden. Auf Grund des Gesetzes der Erhaltung der Materie ist die allgemeine und spezielle Stoffökologie von größter umweltpolitischer, aber bisher unterschätzter Bedeutung. Eine gezielte Betrachtung und Bewertung der Stoffströme trägt dazu bei, Maßnahmen zur Abfallvermeidung und -verwertung systematischer und wirkungsvoller einzuleiten und durchzuführen. Insofern liefert die Stoffökologie wichtige Beiträge zu einer vorausschauenden Umweltpolitik.
Soweit das Zitat. Ich glaube, dem kann man nur zustimmen.
Man muß hinzufügen, daß weltweit, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet bisher sicherlich zuwenig gemacht worden ist. Die alte DDR ist ja für ihre Umweltsünden bekannt. Was die Chemieindustrie anbetrifft — ich nenne nur Bitterfeld, und es gibt andere Orte — , sieht es wirklich ziemlich katastrophal aus.

(Klaus Harries [CDU/CSU]: Das bringen wir in Ordnung, Herr Gysi!)

— Das ist auch bitter nötig. Es ist völlig klar: Wenn man sich so ein Gebiet holt, muß man auch dafür sorgen. Das eine zieht das andere nach sich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt denn „ein Gebiet holen"? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die unbewältigte Vergangenheit!)

Das ganze Problem besteht darin: Wenn wir nur dort Umweltprobleme hätten, wäre es leicht zu lösen. Aber auch in den alten Bundesländern gibt es eine Fülle von Umweltproblemen. Das zusammen ist schon komplizierter.
Noch schwieriger ist, daß die Ökologie natürlich ein globales Problem ist, daß also auch die Wirtschafts-



Dr. Gregor Gysi
und Austauschbeziehungen in die Dritte Welt hinein einer grundlegenden Veränderung bedürfen, wenn etwas für die Zukunft wirksam verändert werden soll.
Aber in einer Beziehung, was nämlich die Stoffökologie betrifft, gab es natürlich auch positive Erfahrungen. Ich stehe der Umweltpolitik der ehemaligen DDR sehr kritisch gegenüber; das ist gar keine Frage. Aber ich bedaure, daß die Sekundärrohstofferfassung und alles, was damit in der früheren DDR verbunden war, so leichtfertig vernichtet worden ist, obwohl es gerade bei der Abfallbeseitigung und -wiederverwendung gute Ansätze gab, die man hätte nutzen können und bei denen man darüber hätte nachdenken können, was davon gesamtdeutsch verwertbar ist. Das einfach, nur weil es aus der ehemaligen DDR kam, über Bord zu werfen, halte ich für ausgesprochen kurzsichtig, für ideologisch geprägt und für völlig überflüssig; denn da hätte eine Menge gemacht werden können.
Wenn es vielleicht auch Ausdruck der Schwäche der Industrie war, daß wir viel weniger Abfallprodukte hatten, hätte das nun nicht beseitigt werden müssen, mit der Folge einer Schwemme von Verpakkungsmaterial, Büchsen und sonstigem und gleichzeitiger Zerstörung der Sekundärrohstofferfassung und -verwertung. Ich halte das für sehr bedauerlich und hoffe, daß diese Kommission einen Beitrag dazu leistet, daß da wieder einiges geradegerückt und verbessert werden kann. Das wäre, wie ich meine, sehr sinnvoll.
Begrüßenswert ist, daß sich in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion über Chemie mittlerweile ein umfassendes Denken durchzusetzen scheint. Die Chemiepolitik ist sozusagen nach der Energiepolitik ein großes Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung um lebenswerte Zukunft geworden.
Es ist wichtig, daß statt einer Einzelstoffbetrachlung zu einer Betrachtung von Stoffgruppen und ganzer Stoffkreisläufe übergegangen wird. Allerdings gibt es natürlich nach wie vor erhebliche Bedenken. Ich will hier nur auf einige Momente der Kritik eingehen. Das Positive muß ich — das wissen Sie selbst — hier nicht wiederholen. Zum Kritischen ist folgendes zu sagen.
In dem vorliegenden Antrag kommt der Herstellung der gesellschaftlichen Akzeptanz eine zentrale Rolle zu. So wichtig dies ist, beschreibt es die Herausforderung der ökologischen Debatte nur unzureichend, und zwar da, wo offene Interessengegensätze der gesellschaftlichen Gruppen bestehen.
Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über das Was, Wie und Wo der Produktion und ein kurz- und mittelfristiges struktur- und ordnungspolitisches Handeln der Politik. Wir brauchen eine Chemiepolitik, die die Entgiftung von Produkten und Produktion als ihr oberstes Ziel definiert.
Da möchte ich auf Widersprüche aufmerksam machen, von denen ich meine, daß wir sie nicht länger zulassen können. Es handelt sich um die völlig unterschiedlichen zulässigen Grenzen der Belastung am Arbeitsplatz einerseits und in anderen Bereichen andererseits.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205208500
Herr Kollege Gysi, kommen Sie bitte zum Schluß!

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1205208600
Lassen Sie mich dazu nur zwei Beispiele nennen — das ist ganz schnell geschehen: Am Arbeitsplatz sind nach der geltenden Gefahrstoffverordnung 250 000 Asbestfasern in einem Kubikmeter Luft zulässig, während ansonsten nur 400 Fasern zulässig sind.
Ähnliche enorme Unterschiede gibt es bei der Ozonkonzentration, zum einen nämlich 180 Mikrogramm — bei 180 Mikrogramm wird schon vor Sport im Freien gewarnt —; zum anderen aber sind 18 000 Mikrogramm pro Kubikmeter am Arbeitsplatz eines Schutzgasschweißers zulässig.
Ich finde, daß diese ungeheure Gefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Arbeitsplatz beseitigt werden muß. Wir können nicht für öffentliche Gebäude ganz andere Kriterien als für Arbeitsplätze finden. Das sagt etwas über die Gesellschaft aus. Dieser Zustand muß schnellstens beseitigt werden.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205208700
Als nächster hat der Kollege Dr. Jürgen Starnick das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (FDP):
Rede ID: ID1205208800
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß erfreulicherweise einmal feststellen, daß ich mit Herrn Gysi in dem, was er zu diesem Punkt ausgeführt hat, übereinstimmen kann und daß der Antrag der SPD-Fraktion, eine Enquete-Kommission zum Thema „Schutz des Menschen und der Umwelt" einzusetzen, von uns ebenso positiv bewertet wird wie von meinen Vorrednern. Das will ich hie: betonen.
Wir begrüßen diese Initiative grundsätzlich; denn die Bundesrepublik ist in der Umweltpolitik an einem Punkt angelangt, an dem man erkennen muß, daß nachsorgende Umweltmaßnahmen mit „end of the pipe" -Technologien nur noch geringe Verbesserungen des Umweltschutzes mit sich bringen. Die Bundesrepublik hat sich mit der konsequenten Ausnutzung der Möglichkeiten, die durch solche Technologien gegeben sind, im Umweltschutz an die Spitze der europäischen Länder und beim Emissionsschutz sogar weltweit an die Spitze der Bemühungen um einen erfolgreichen Umweltschutz gestellt.
Der Vergleich mit den östlichen Ländern offenbart uns immer wieder aufs neue, wie kraß das Gefälle bei einem wirksamen Umweltschutz im internationalen Vergleich geworden ist. Immer mehr kommen wir dadurch aber auch zu der Erkenntnis, daß bei uns Verbesserungen im nachsorgenden Umweltschutz mit der Drehung an der Mikrometerschraube mit verhältnismäßig hohem Aufwand zu vergleichen sind. Der nachsorgende Umweltschutz oder, wie er vielfach auch bezeichnet wird, der additive Umweltschutz bringt uns nicht mehr sehr viel weiter.
Wir müssen heute unsere Aufmerksamkeit dem integrierten Umweltschutz zuwenden, also nicht der Reparatur durch zusätzliche Verfahrensschritte, sondern der Optimierung von gesamten Produktionspro-



Dr. Jürgen Starnick
zessen mit dem Ziel, die günstigsten Umweltparameter zu erreichen, die da insbesondere lauten: Minimierung der Emissionen und zugleich Einsparung von Rohstoffen und Energie. Diese Ziele sind zweifellos nur zu erreichen, wenn bislang offene Stoffkreisläufe geschlossen werden. So hoffnungsvoll es sein mag, wesentliche Fortschritte in der Zukunft von einem solchermaßen integrierten Umweltschutz erwarten zu können, so muß man sich aber auch eingestehen, daß die Umweltpolitik hierbei vor einem schwierigen und langfristigen Prozeß steht.
Im Gegensatz zu nachsorgenden Umweltschutzmaßnahmen, für die man heute Technologien in Form von Universalanlagen praktisch von der Stange kaufen kann, verlangt der integrierte Umweltschutz die Neustrukturierung ganzer Produktionszweige. In Anbetracht der Investitionsvolumina, die dabei im Raume stehen, und der Intensität von Forschung und Entwicklung, die hierfür zunächst noch geleistet werden müssen, wäre ein solcher Umweltpolitikansatz wohl zum Scheitern verurteilt, würde die Politik für sich in Anspruch nehmen, integrierten Umweltschutz von oben herab durchsetzen zu können.
Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, daß uns bislang jegliche objektive Bewertungsmaßstäbe für einen integrierten Umweltschutz fehlen. Wir müssen sie uns erst erarbeiten. Wir müssen sie in einem offenen Prozeß des Dialoges zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erarbeiten. Um einen solchen Prozeß zu fördern, ist eine Enquete-Komission, wie sie die SPD vorgeschlagen hat, ein durchaus geeignetes Mittel.
Die FDP wird deshalb diesen Antrag vom Grundsatz her unterstützen. Der notwendige Dialog allerdings zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft würde erheblich gestört werden, wenn der Versuch unternommen würde, eine solche Enquete-Kommission als Tribunal über einzelne Branchen der Industriegesellschaft zu mißbrauchen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sollte diese Absicht erkennbar werden, wird sich die FDP — ich nehme nach Ihrem Beifall an, auch die CDU — solchen Bestrebungen vehement widersetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! Richtig!)

Wir können uns auch nicht einiger Kritik am vorliegenden Antrag enthalten. Hierzu möchte ich folgende Punkte nennen:
Erstens. Die Kommission darf nicht mit Aufgaben und Fragen so überfrachtet werden, daß letztendlich der Erfolg einer solchen Enquete-Kommission in Frage gestellt werden müßte. Dies wäre der Fall, wenn man den untauglichen Versuch machen würde, mit einer Enquete-Kommission eine ganze Generation von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern zu überholen, um den Begriff eines sozialen Nettonutzens auszufüllen.
Dieses wäre ebenso der Fall, wenn man sich auf den schlabberigen Boden der Spekulation darüber begibt, welche Stoffkreisläufe sozial- und friedensverträglich sind und welche nicht. Ich betrachte die Prüfung der Sozialverträglichkeit als einen integralen Bestandteil
einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Abschätzung der verschiedenen Wege eines integrierten Umweltschutzes.
Zweitens. Es kann nicht Aufgabe einer EnqueteKommission sein, das zu leisten, was uns in Behördenkompetenz zu langsam voranzukommen scheint. Die Enquete-Kommission ist nicht dafür da, das Chemikaliengesetz auszufüllen und sich in die Niederungen der Bewertung einzelner stoffbezogener Regelungen oder gar einzelner Stoffe zu begeben. Sie sollte sich darauf beschränken, zu prüfen, ob die Struktur, mit der man bislang zu einer solchen Bewertung zu gelangen versuchte, nach den vorliegenden Erfahrungen weiter hinreichend dafür geeignet erscheint.
Drittens. Die Grenzen der Bereiche der Stoffwirtschaft, deren Entwicklungslinien in die Betrachtung durch die Enquete-Kommission einbezogen werden sollen, dürfen nicht zu eng gezogen werden. Es kann keineswegs nur um Entwicklungslinien der chemischen Industrie gehen. Andere stoffproduzierende und -verarbeitende Industrien wie solche der metallerzeugenden oder insbesondere der nichteisenmetallerzeugenden Branchen sind hierin einzubeziehen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das steht doch drin, Herr Starnick!)

Schon diese wenigen beispielhaft aufgeführten Punkte zeigen, daß es notwendig ist, den Antrag der SPD in den zuständigen Ausschüssen, insbesondere im Umweltausschuß, eingehend zu beraten. Nur so können wir einen konkreten Auftrag an die Enquete-Kommission erarbeiten, der diese in die Lage versetzt, innerhalb einer Legislaturperiode einen Bericht vorzulegen, der die Grundlage einer Konzeption für einen integrierten Umweltschutz sein kann.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205208900
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Immo Lieberoth.

Dr. Immo Lieberoth (CDU):
Rede ID: ID1205209000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Opposition gestellte Antrag für eine neue EnqueteKommission enthält eine Reihe von Vorschlägen, über die es sich lohnt nachzudenken.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr gut!)

Im Grundsatz kann man der Bildung einer solchen Kommission zustimmen. — Das ist übrigens eine der seltenen annähernden Übereinstimmungen zwischen den Fraktionen.
Natürlich kann man die fast wie in einem Warenhauskatalog aufgelisteten Aufgaben nicht alle bearbeiten.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Na, mal sehen!)

Das wäre ein Programm für mindestens zehn Jahre. Die Ausführungen des Kollegen Schäfer vorhin haben das nochmals bestätigt. Das ist — um ein ganz profanes Beispiel zu nennen — , als ob man in einen Sirup-



Dr. Immo Lieberoth
topf greift und — im übertragenen Sinne — alle Umweltfragen daran hängenbleiben.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber nur beispielhaft! — Wolfgang Roth [SPD]: Das Bild lassen wir durchgehen!)

Aber wenn eine Eingrenzung z. B. auf umweltverträgliche Stoffkreisläufe vorgenommen würde, könnte ich mir eine sinnvolle gemeinsame Arbeit vorstellen.
Unter diesem Aspekt möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Medium lenken, welches das wichtigste Transformationsglied im Stoffkreislauf darstellt, nämlich auf den Boden. Nicht nur, daß auf ihm — wie es so schön im Volksmund heißt — alles kreucht und fleucht; auch wir Menschen können nur über den Boden unsere Nahrung schöpfen. Das gleiche gilt für die gesamte Tierwelt. Den Pflanzen ist der Boden großflächig Standort. Nur aus ihm können sie Wasser und Nährstoffe entnehmen. Beim Boden beginnen und enden alle Stoffkreisläufe. Das erklärt die zentrale Stellung dieses Naturkörpers auch und gerade für den Schutz des Menschen und die Steuerung des Umweltschutzes. Die Vorsorgepolitik muß nicht zuletzt hier ansetzen. Man kann sich eigentlich nur wundern, daß hier im Bundestag in dieser Legislaturperiode so wenig Konkretes über den Boden gesagt wurde. Vielleicht bedarf es erst eines Pedologen bzw. Bodenkundlers, um das zu verbessern.
Doch zurück zu unserem Thema. Ich könnte mir vorstellen, daß der Boden für die Perspektiven einer umwelt- und gesundheitsverträglichen Stoffwirtschaft einen wichtigen Bezugsrahmen darstellt.
Daher gilt es, die Transformationsprozesse im Boden zu beachten. Vom Boden aus führt der Stoffkreislauf über die Pflanze und das Grundwasser zum Tier und zum Menschen und von diesen über verschiedene Zwischenstufen zum Boden zurück. Deshalb lohnt es sich, den Boden als einen der Mittelpunkte in der Arbeit der zur Diskussion stehenden EnqueteKommission zu sehen. Daher sind Fragen einer angemessenen Nutzung und Bewirtschaftung des Bodens, seiner Belastbarkeit und Belastungsdisposition vordringlich zu klären. Der ökologische Landbau ist standortbezogen zu definieren. Bis heute gibt es dafür noch keine klare Abgrenzung. Die Nutzungsformen der Land- und Forstwirtschaft spielen im Kreislauf eine, wenn nicht gar die wichtigste Rolle.
Die Ziele des Bodenschutzes sind klarer zu formulieren, um die Abfassung des Bodenschutzgesetzes zu beschleunigen. Flächennutzungs-, Boden- und Belastungskataster sind voranzubringen.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Der Bodenforschung sind bezüglich der Stoffumsetzungen im Boden und der Transformationsprozesse unter Berücksichtigung der Abbindung von Schadstoffen weitere Impulse zu vermitteln. Was wir unbedingt brauchen, ist eine neue, auf den ökologischen Stoffkreislauf bezogene Bewertung des Bodens.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr gut!)

Das ist die Voraussetzung für die Aufstellung von Ökobilanzen, wie sie in dem vorliegenden Antrag gefordert werden.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Eine erfrischende Rede! Sehr gut!)

Die zur Zeit gültige Reichsbodenschätzung ist völlig überholt.
Schließlich sind die Arbeiten zu den Informationsgrundlagen zum Thema Boden und Bodenschutz, wofür es eine Sonderarbeitsgruppe der Umweltministerkonferenz des Bundes und der Länder gibt, verstärkt und beschleunigt fortzusetzen. Die bodenkundlichen Einrichtungen an den Universitäten und in den Anstalten und Ämtern der Bundesrepublik sind bereit, zur Lösung der von mir angetragenen Probleme einen Beitrag zu leisten.
Wenn die vorgeschlagene Enquete-Kommission nützliche Arbeit leisten soll, dann müssen zu den angeführten Themen Innovationen vermittelt und Leitgedanken formuliert werden.

(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr gut!)

Gleichzeitig wollte ich mit diesen Ausführungen eine Anregung zur Überarbeitung der Aufgabenstellung geben, wenn eine Überweisung an die Ausschüsse zur endgültigen Formulierung des Antrages erfolgen sollte.
Ich selbst bin bereit, unter einer präzisierten und eingegrenzten — Herr Schäfer, bitte hören Sie genau zu — Zielvorgabe in der vorgeschlagenen EnqueteKommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" mitzuarbeiten. Zu einer gezielten und im Bundestag noch nicht behandelten Querschnittsbearbeitung im Sinne des Kollegen Lippold kommen wir in der neuen Enquete-Kommission nur, wenn die Ballastfragen abgeworfen werden und eine klare, abgestimmte Konzeption vorgelegt wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205209100
Als nächster hat der Kollege Michael Müller das Wort.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1205209200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß durch die Art und den Umfang der Energieumwandlung und des Energieeinsatzes erhebliche ökologische Probleme verursacht werden, ist heute allgemein bekannt. Wir wissen beispielsweise, welche Auswirkungen die Energieströme auf die Gesundheit, auf das Waldsterben etc. haben. Ich gehe davon aus, daß hier das entscheidende Defizit eher in der Kluft zwischen dem, was wir darüber wissen, und den Konsequenzen die wir daraus ziehen, liegt.
Anders sieht es auf dem Feld der Stoffströme aus. Hier muß man in der Tat sehen, daß eine nicht minder weitreichende Aufgabe die umweltverträgliche Neuordnung von Stoffströmen ist. Da stehen wir erst am Anfang.
Es gibt dabei zwei zentrale Zielsetzungen: erstens das bessere Verständnis von Stoffströmen und ihren



Michael Müller (Düsseldorf)

Wechselwirkungen mit dem natürlichen Stoffhaushalt — das muß man immer mit beachten — und zum zweiten die umweltverträgliche Gestaltung und Begrenzung der Emissionen und der industriellen Eingriffe in die Stoffhaushalte.
Meine Damen und Herren, wenn man von diesem Ansatzpunkt ausgeht, Herr Kollege Starnick, kann man es nicht auf Chemie reduzieren; ich glaube, das wird auch deutlich. Wir wollen sozusagen nicht eine Reduktion auf die synthetischen Stoffe, sondern überhaupt auf die Veränderung von Stoffströmen, wobei die synthetischen Stoffe natürlich einen ganz entscheidenden Anteil haben; das ist klar. Aber die Aufgabenstellung ist weiter. Wir haben das übrigens aus der Arbeit in der Klima-Enquete gelernt. Wir können auch eine Klima-Enquete nicht auf Energieströme reduzieren, sondern wir müssen endlich die Natur als System und eben auch die Stoffströme innerhalb der Natur als System begreifen.
Von daher gehe ich davon aus, daß wir insbesondere über vier Hauptbereiche von Stoffströmen reden müssen: erstens über die Nutzung heute weitgehend immobiler Giftstoffe, die durch industrielle Eingriffe mobilisiert werden — Beispiele sind Quecksilber, Cadmium, Blei u. ä. — und die bei ihrer Mobilisierung die Öko-Systeme in erheblichem Umfang schädigen; zweitens über Stoffe, die sich zusätzlich in Naturspeichern und Natursystemen anreichern — ein Beispiel hierfür ist die Veränderung von Chemie und Dynamik der Atmosphäre, beispielsweise durch die Freisetzung des im Boden gebundenen Kohlenstoffs etc. —; drittens über die synthetischen Stoffe, und zwar vor allem unter dem zentralen Gesichtspunkt, daß sie sozusagen evolutionsunerprobt sind, d. h. daß wir gar nicht die Erfahrung haben und auch gar nicht haben können, welche Konsequenzen langfristig beispielsweise synthetische Stoffe für die Öko-Systeme haben; viertens über die Veränderung von Nährstoffen, von Strukturstoffen wie beispielsweise Phosphor, Stickstoff und anderen, die durch eine zunehmende Mobilisierung die Ökosysteme instabil machen. Es wird also deutlich: Hier geht es nicht um Einzelbereiche oder um die verengte Betrachtung chemischer Stoffe, sondern es geht um die Wechselwirkung zwischen künstlichen und natürlichen Stoffen auf den Stoffhaushalt der Natur insgesamt. Das ist eigentlich die Herausforderung, der wir uns zu stellen haben. Insofern geht es nicht um ein Tribunal, sondern darum, daß wir endlich das ernst nehmen, was wir in jeder Sonntagsrede sagen, nämlich vorsorgende Umweltpolitik. Wer vorsorgende Umweltpolitik will, muß — wie bei der Energiepolitik — Stoffströme bewerten und von vornherein nach umweltpolitischen Kriterien zu gestalten versuchen.
Meine Damen und Herren, insofern ist die Aufgabe, die wir uns stellen, der Versuch zu einer vorsorgenden Umweltpolitik und damit ein Bruch mit den heute üblichen und — das haben Sie völlig zu Recht gesagt — unzureichenden Mustern. Es gilt also: vorsorgend statt reaktiv, systematisch statt zufällig und, was für uns ganz besonders wichtig ist, unter Beteiligung wichtiger gesellschaftlicher Gruppen statt in kleinen Zirkeln.
Alles das kommt bei uns zusammen. Deshalb sage ich Ihnen klar: Wir wollen kein Tribunal, wir wollen aber auch nicht die Gegenposition. Wir wollen auch nicht, daß sozusagen nur relativ beengte Einzelinteressen meinen, die Stoff- und Chemiepolitik der Bundesrepublik bestimmen zu dürfen. Das wird nicht mehr gehen, will man eine Akzeptanz der Industriegesellschaft auf Dauer sichern.
Meine Damen und Herren, eine solche Aufgabe der Chemiepolitik steht natürlich in einer bestimmten Diskussionsentwicklung, vor allem im Zusammenhang mit dem Chemikaliengesetz in der Bundesrepublik. Sie wissen, daß seit Anfang der 80er Jahre die Diskussion über Chemikalien durch die EG-Richtlinie und später durch die nationalen Chemiekaliengesetze in Gang gekommen ist. Wir sehen darin einen positiven Ansatz, der jetzt weitergeführt werden muß.
Dieser Ansatz war jedoch bisher vor allem unter folgenden vier Gesichtspunkten unzureichend: Der erste Ansatz ist, daß wir neben den akuten toxischen Gefahren bislang Langzeitwirkungen, indirekte Gefahren zu wenig beachtet haben. Zweitens haben wir bisher Entwicklungslinien und vor allem die frühzeitige Entwicklung von Entwicklungsalternativen viel zuwenig beachtet, drittens wurden die gesamten Produktlinien, und zwar von der Inanspruchnahme von Ressourcen über die Emissionen und Produktionsgefahren bis hin zur Entsorgung, zuwenig im Auge behalten, und viertens müssen wir natürlich auch die Frage von Risiken und Nutzen, von Chancen und Risiken insgesamt abwägen. Auch da stimme ich dem Kollegen zu: Wer sagt, wir kämen ohne Chemie aus, verkennt die Wirklichkeit. Aber auch derjenige, der sagt, wir kämen nur mit Chemie aus, verkennt die Wirklichkeit. Insofern geht es hier um eine klare Abwägung, um einen Abwägungsprozeß.
An dieser Stelle muß ich allerdings schon deutliche Kritik anmelden, übrigens auch an Ihren eigenen Beschlüssen. Sie sagen hier, Begriffe wie Sozialverträglichkeit u. ä. seien verschwommen, unbrauchbar etc. Entschuldigung, Sie haben sie beispielsweise zuletzt in unserem Klimabericht mit beschlossen. Auch darin steht so etwas. Ich halte das auch für richtig. Politik muß sich an Leitlinien orientieren. Wie Sie das nennen, ist eine zweite Sache. Darüber brauchen wir uns nicht groß zu streiten. Aber wenn Politik nur auf Maßnahmen und Instrumente reduziert wird und keine übergeordneten Leitbilder existieren — Sozialverträglichkeit beispielsweise ist ein solches Leitbild; Sie können es anders nennen — , wird die Politik auf Dauer nicht bestehen können. Insofern finde ich es völlig Rechtens, daß wir seit 1980, seit der ersten Enquete über Kernenergie, solche Begriffe zu definieren und in die Politik einzuführen versuchen. Wir können uns über die Definition streiten, darüber, was wir darunter verstehen. Aber wer meint, wir könnten beispielsweise Umweltpolitik ohne solche Leitbilder machen, der verkennt aus meiner Sicht die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das liegt vielleicht auch daran, daß in vielen Bereichen zu wenig erkannt ist, daß Umweltpolitik ganzheitliches Denken voraussetzt, systematisches Denken, wie das heute heißt. Das ist ein Denken, das sich nicht auf Einzelausschnitte reduziert, das einen übergeordneten Zusam-



Michael Müller (Düsseldorf)

menhang im Hinterkopf hat und ihn zu erfassen versucht. Genau das wollen wir.
Meine Damen und Herren, die SPD will mit einer derartigen Enquete-Kommission so etwas wie eine Umweltpartnerschaft über ein schwieriges Thema beginnen. Das heißt für uns: Dialog statt Monolog. Das heißt aber auch: Offenheit statt Herrschaftswissen. Das heißt auch: Transparenz statt Abschottung. Wir wollen sozusagen den offenen Dialog beginnen, weil ein solches Thema nur so anzupacken ist. Wir wollen zu einer konstruktiven und konsensorientierten Zusammenarbeit kommen, dabei aber nicht — das wäre völlig falsch — vorhandene Unterschiede verschleiern. Die Unterschiede sind da. Man sollte sie ausdiskutieren. Wir haben das in der Klima-Enquete sehr erfolgreich gemacht. Aber trotzdem kann man — ich würde sogar sagen: das ist die Voraussetzung dafür — zu vernünftigen Vorschlägen für eine Weiterentwicklung der Politik kommen.
Aus meiner Sicht müssen im Hintergrund einer solchen Enquete-Kommission vor allem vier Leitbilder stehen.
Das erste Leitbild haben Sie genannt: die Forderung nach geschlossenen Kreisläufen, soweit es geht. Man muß aber wissen: Wir werden nicht in allen Bereichen geschlossene Kreisläufe hinbekommen. Das ist schon naturgesetzlich nicht möglich. Das liegt beispielsweise auch daran, daß viele der Probleme im Produkt selbst liegen.
Das zweite Leitbild ist das Hinterfragen des Bedarfs. Auch das halte ich für ein notwendiges Leitbild. Wir müssen uns in vielen Bereichen der Idee öffnen, die Frage nach der Umweltverträglichkeit der Dienstleistungen der Chemie zu debattieren. Wir diskutieren mittlerweile über Energiedienstleistungen, weil wir wissen: Energiebereitstellung alleine kann es nicht sein. Es geht vielmehr um eine bestimmte, eine gewünschte Nutzung, also um eine Dienstleistung. Ich glaube, daß man diese Idee auch auf die Bewertung von Stoffströmen übertragen kann.
Drittens. Wir kommen nicht daran vorbei, über Chlorchemie zu reden. Bestimmte Segmente der Chlorchemie bündeln in signifikanter Weise ökologische Fehlentwicklungen, beispielsweise beim Trinkwasserschutz. Deshalb müssen wir aus meiner Sicht über die Frage der Kuppelproduktion am Beispiel Chlor sehr intensiv reden. Ich halte das für unverzichtbar.
Das vierte Leitbild, das wir haben — ich komme damit zum Schluß — , ist das Thema nachhaltige Entwicklung. Wir haben eine Zukunftsverantwortung. Wir haben die Verantwortung, unserer nachkommenden Generation menschenwürdige Lebensbedingungen zu hinterlassen. Diese Frage stellt sich ganz entscheidend bei der Veränderung der Stoffströme.
Meine Damen und Herren, an der Ausformulierung unseres Antrags haben nicht nur wir SPD-Politiker gearbeitet, sondern wir haben Umweltverbände, Gewerkschaften und die chemische Industrie einbezogen. Insofern ist dieser Entwurf — das will ich Ihnen sehr frühzeitig sagen — nicht sozusagen spontan aus dem Kreis der SPD gekommen, sondern er ist das Ergebnis sehr intensiver Abstimmungsprozesse — da-
mit das klar ist und uns nicht unterstellt werden kann, wir hätten einfach etwas heruntergeschrieben.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste])


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205209300
Das Wort hat nun der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1205209400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine der herausragenden Möglichkeiten des Parlaments, in einer Enquete-Kommission einen komplexen Sachverhalt aufzuarbeiten. Die Bundesregierung hat diese Bemühungen in der Vergangenheit außerordentlich geschätzt. Wir haben sie, wo immer möglich, unterstützt. Wir werden das bei dieser Enquete-Kommission ganz genauso machen. Ich biete der Enquete-Kommission, aber selbstverständlich auch den anderen Kollegen und ihren Mitarbeitern bereits jetzt die intensive Mitarbeit meines Ministeriums und der nachgeordneten Behörden an.

(Gudrun Weyel [SPD]: Das ehrt Sie!)

Die Frage ist außerordentlich bedeutsam. Lassen Sie mich die Möglichkeit aufgreifen, das in einen breiteren Zusammenhang zu stellen. Pro Jahr nimmt die Weltbevölkerung netto um 200 000 Menschen zu. Diese 200 000 Menschen erwarten gerade auch von uns, daß wir ihnen die Ernährungsbasis mitsichern, daß wir sie mit Energie versorgen, daß wir sie gesund erhalten, daß wir ihnen insgesamt ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Dies ist eine gewaltige Herausforderung, eine Herausforderung, die wir sicherlich bei den begrenzten Möglichkeiten und Rohstoffen dieses schönen blauen Planeten Erde nur bewältigen können, wenn wir das Kapital nutzen, das nach wie vor nicht voll ausgenutzt ist, nämlich das geistige Kapital in den Köpfen unserer Menschen. Die Weltbevölkerung wächst mit steigenden Wachstumsraten. Deswegen muß unsere Fähigkeit ebenfalls exponentiell ansteigen, die mit diesem Wachstum verbundenen Probleme zu bewältigen. Wir können und wir dürfen uns auch nicht mit dem Motto des Club of Rome der 70er Jahre zufrieden geben, mit den Grenzen des Wachstums, sondern unsere Aufgabe wird es wohl sein, ein Wachstum der Grenzen zu ermöglichen, das aber umweltverträglich ist, das dieser Menschheit auch in der Zukunft Existenzmöglichkeiten gibt.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU])

Immer und immer wieder, meine Damen und Herren, ist diese Grenze umweltverträglich verändert worden. Vor fast 200 Jahren hat der britische Wissenschaftler Malthus prognostiziert, das die Menschheit verhungern müsse, weil die Bevölkerung in einer exponentiellen und die Nahrungsmittelproduktion nur in einer linearen Entwicklung ansteige. Die großartigen Erkenntnisse eines Forschers wie Liebig haben seine Prognose zu Makulatur gemacht; denn die Produktivität desselben Hektars Fläche für Nahrungsmittel ist durch seine Erkenntnisse dramatisch angestie-
4306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, rien 30. Oktober 1991
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
gen. Wir können also über die Nutzung geistigen Kapitals Grenzen umweltverträglich verändern.
Unsere Kenntnisse von den Bausteinen des Lebens und der Natur werden immer umfassender. Damit werden die Eingriffe, die wir machen, in der Wirkung natürlich auch langfristiger. Deswegen steigt unsere Verantwortung in der Nutzung.
Dieser Verantwortung, meine Damen und Herren, werden wir aber ganz sicherlich nicht gerecht, wenn wir aus diesem Prozeß technologischen Fortschritts aussteigen, sondern wir können ihr wohl nur dadurch begegnen, daß wir frühzeitig die unmittelbaren und mittelbaren Folgen dieses technischen Fortschritts erfassen — nach bestem Wissen und Gewissen, wohlwissend auch, daß das nie eine vollkommene Information sein kann.
Die Chemie und der Zuwachs an Wissen über chemische und biologische Strukturen und Prozesse sind unverzichtbar angesichts der weltweiten Probleme. Ich würde es als ein großartiges Ergebnis auch einer solchen Enquete-Kommission ansehen, wenn sich dieses Bewußtsein besser in unserer Bevölkerung verankerte, daß wir dieses Risiko technischen Fortschritts weitergehen müssen, wie Hans Jonas es gesagt hat, wenn wir den Problemen dieser Welt gerecht werden wollen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, wie ich meine. Es ist die Verpflichtung der hochindustrialisierten, technologisch führenden Staaten dieser Welt, sich dieser Aufgabe zu stellen.
Wir brauchen die Chemie, wir brauchen die Fortschritte der Chemie, und wir brauchen diese Fortschritte und diese Chemie gerade auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland — dies, meine Damen und Herren, nicht nur mit Blick auf die damit verbundenen Arbeitsplätze und den Wohlstand, den wir damit verbinden, sondern auch deswegen, weil eine solche Industriegesellschaft wie in der Bundesrepublik Deutschland bessere Voraussetzungen hat als manch andere, mit solch schwierigen Techniken umzugehen.
Wir haben bei uns eine Sicherheitskultur entwikkelt, die es ermöglicht, mit schwierigen Techniken verantwortlich umzugehen. Diese Sicherheitskultur, meine Damen und Herren, ist fortzuentwickeln. Sie bezieht sich eben nicht nur auf die Sicherheitstechnik, so wichtig sie ist.
Wir haben in der Umweltpolitik, wenn Sie so wollen, bereits drei Jahresringe festzustellen: Wir haben die Umweltpolitik begonnen mit einer Politik der hohen Schornsteine. Wir haben die Emissionen nicht vermindert, sondern wir haben sie höher abgeleitet und besser verteilt. Das war der erste Ansatzpunkt der Umweltpolitik.
Wir haben im zweiten Ansatzpunkt versucht, am Ende des Prozesses einen Filter einzuschalten, um die Schadstoffe herauszuholen; „end of the pipe" wird das genannt. Wir wissen, daß wir damit die Probleme nur von einem Stoff in den anderen verlagern.
Wir sind jetzt in die Zeit des integrierten Umweltschutzes gegangen. Wir sind, Herr Kollege Schäfer, nicht mehr der Meinung, daß Abwasserpolitik erst in der Kläranlage beginnt, sondern daß sie in die Indu-
strieprozesse hineingehen muß. Deswegen haben wir 1986 das Wasserhaushaltsgesetz geändert. § 7 a bezieht jetzt den Stand der Technik ein. Deswegen haben wir eine Indirekteinleiterverordnung gemacht, um dieses alles zu bewältigen.
Es gibt also gute Beispiele, daß wir im integrierten Umweltschutz deutlich vorangekommen sind. Das ist auch deswegen wichtig, weil damit moderne Techniken entwickelt werden, die wir heute brauchen, bis hin zur Weiterentwicklung der Feuerungstechniken, der Nutzung von Kohle. Haben wir in der letzten umweltpolitischen Handlungsebene versucht, die Rauchgasentschwefelung am Ende des Prozesses zu machen, erhöhen wir jetzt die Wirkungsgrade von Kohlekraftwerken, um damit aus dem gegebenen Rohstoff Kohle mehr Energie zu erzeugen.
Meine Damen und Herren, Sicherheitskultur heißt auch, daß wir uns darüber klar sein müssen, daß bei uns bei den Arbeitnehmern, bei den Arbeitern und bei Technikern, bei Ingenieuren über viele Generationen hinweg Verständnis für den Umgang mit Technik entstanden ist und daß Strukturen entstanden sind, die wir weiter entwickeln müssen. Deswegen gehört dazu der Hinweis, daß wir bei uns z. B. durch die Verantwortung der Gewerkschaften Risiken am Arbeitsplatz ganz anders bewältigt haben, als der nach seiner Rede bereits entfleuchte Herr Gysi jemals zur Kenntnis nehmen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wäre ganz gut, wenn er nicht nur reden, sondern auch hierbleiben würde, damit man sich mit ihm auseinandersetzen kann. Das ist aber angesichts dessen, was er gesagt hat, mit diesem Hinweis auch bereits geschehen.
Mir ist es jedenfalls ganz wichtig, auch darauf hinzuweisen, welch eine großartige Leistung es ist, daß wir in unserer Gesellschaft Berufsgenossenschaften haben, die diese Risiken aufgreifen; daß wir die MAK-
Werte-Kommission haben, die maximale Arbeitsplatzkonzentrationen im gesellschaftlichen Konsens sozialverträglich festlegt. Dies, meine ich, sollten wir weiterführen.
Dazu gehört auch die Sicherheitskultur für die gewachsenen Strukturen unserer Behörden bei Genehmigung und Kontrolle. Dazu gehört die Gewerbeaufsicht, dazu gehören die Technischen Überwachungsvereine und viele andere. Ich meine, dazu gehört auch die Tatsache, daß es bei uns kritische unabhängige Medien gibt, die uns immer wieder auf die von der Industriegesellschaft eingegangenen Risiken aufmerksam machen.
Das alles führt mich zu dem Ergebnis, daß gerade wir in einem so hochindustrialisierten, technologisch führenden Land die Verantwortung übernehmen müssen, um Technik voranzubringen.
Ich halte das für den Arbeitsauftrag dieser EnqueteKommission für außerordentlich wichtig. Da wir in Deutschland dieser Sicherheitskultur in der Industriegesellschaft bereits in hohem Maße entwickelt haben, ist eine breite Grundlage für die Beurteilung der Chemie und der chemischen Stoffe, der Lebenszyklen von Stoffen und Produkten gegeben. Ich erinnere Sie



Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
daran, daß diese Grundlage weit zurückreicht, nämlich bis zu der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition; denn von der sozialliberalen Koalition ist das Chemikaliengesetz gemacht worden. Das haben wir richtigerweise jetzt neu gefaßt; nun haben wir die Chance, neue Stoffe zu untersuchen, bevor sie in den Verkehr kommen. Das müssen wir im Vorgriff auf das tun, was die Europäische Gemeinschaft macht, weil wir als führende Chemienation diese Verantwortung natürlich auch weltweit haben. Wir tun es in der Abstimmung mit unseren Partnern in der OECD. Herr Kollege Lippold hat auf die Zusammenarbeit mit Japan, mit den USA aufmerksam gemacht. Dazu gehört auch die Überprüfung der Altstoffe, die wir vorangebracht haben und von der wir glauben, daß es dabei durchaus auch zu Verboten kommen kann. Beispiele dafür sind die Verbote von PCB, von Teerölen, von Chloraliphaten und anderem.
Das müssen wir weiterführen bis zu der Frage bezüglich der Störfallvorsorge; auch dort ist nach solchen dramatischen Ereignissen wie z. B. in Seveso gehandelt worden. Ich glaube, daß wir das auch in die Verhandlungen der Enquete-Kommission einbringen müssen. Dies müssen wir nicht nur beim Stoff betrachten, sondern auch beim Ablauf der verschiedenen Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungsstufen. Dabei sprechen wir von einer neuen Produktverantwortung, die wir nicht nur genannt, sondern in der Zwischenzeit auch umgesetzt haben. Vor kurzer Zeit haben wir darüber gesprochen, daß neue Produktverantwortung etwa darin besteht, daß wir Rücknahmepflichten haben, was für die Verpackung von langlebigen Konsumgütern gilt. Ich halte das für extrem wichtig; und ich bin deswegen auch der Meinung, daß wir gerade dies im neuen Abfallgesetz berücksichtigen müssen. Die Initiative des Bundesrats greift daher unserer Meinung nach zu kurz.
Wir gehen natürlich auch davon aus, daß dieses Kreislaufdenken und die neue Produktverantwortung eine Rückwirkung auf die Produkte selbst hat. Das ist die Dynamisierung unserer Überlegungen. Ich halte es für sehr, sehr wichtig, daß wir sehen, daß das Interesse hierfür auch in der Wirtschaft gegeben ist. Wir werden das allein durch bürokratische Entscheidung nicht bewältigen können.
Natürlich freuen wir uns, daß wir mit Ihnen gemeinsam über die Frage der Ökobilanzen zu diskutieren haben. Wir haben die Ökobilanzen beim Fraunhofer Institut in Auftrag gegeben. Wir wissen, wie extrem schwer es ist, hier zu abschließenden Wertungen zu kommen. Wir sind der Meinung, daß wir Umweltprobenbanken weiter ausbauen können; die Ansätze in Jülich und Münster sind gut, sie können weiterentwickelt werden und werden es.
Wir haben die ökologische Umweltbeobachtung, wir brauchen die Pionierarbeit im Bereich des UNESCO-Programms „Mensch und die Biosphäre" nur aufzugreifen und weiter zu nutzen.
Insgesamt: Die Bundesregierung begrüßt eine Enquete-Kommission, über deren genaue Arbeit das Parlament zu entscheiden hat, von der wir aber wissen, daß wir eine ganze Reihe von wichtigen Impulsen bereits einbringen können, und wir werden, genau wie bisher immer, nicht nur als Zaungast dabei sein, sondern wir werden uns bemühen, mit Sachverstand mitzuwirken, aber auch die da erarbeiteten Ergebnisse möglichst bald in unsere Arbeit einzubeziehen, wo immer das möglich ist.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205209500
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1290 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste Einstellung der Mitarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes aus der „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" (KGT) mit dem Ziel der Auflösung der KGT
— Drucksache 12/1158 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Fünfminutenrunde vereinbart worden. Besteht damit Einverständnis? — Dies scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Andrea Lederer.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1205209600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ganz harmlos und unscheinbar soll es sein, dieses jüngste Produkt der inneren Sicherheit. Beim Zustandekommen der Koordinierungsgruppe „Terrorismusbekämpfung", kurz KGT, sei weder gegen Bestimmungen des Grundgesetzes noch gegen Vorschriften des einfachen Rechts verstoßen worden. So jedenfalls will es die Bundesregierung verstanden wissen, wie sie in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage schreiben ließ.
Gegen diese Darstellung spricht allerdings einiges. Ständige Mitglieder sind das BKA, der Generalbundesanwalt, das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die für die jeweiligen Koordinationssachverhalte zuständigen Länderbehörden von Polizei und Verfassungsschutz. Wesentliches Ziel sei die Intensivierung der anlaßbezogenen Zusammenarbeit und des rechtmäßigen Informationsaustauschs. Eigene Befugnisse und Weisungsrechte stünden der KGT nicht zu.
Gegen diese verharmlosende Darstellung steht aber eine Äußerung des Innenministeriums selbst. Zitat:
Da die Koordinierungsgruppe auf der Grundlage gemeinsamer einstimmiger Beschlußfassung der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern tätig wird, wird ihren Vorschlägen, ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Zuständigkeitsregeln, eine gewisse Verbindlichkeit zukommen.



Andrea Lederer
In einem Vorläuferpapier ist laut „Spiegel" sogar die Rede von einem wöchentlich tagenden Koordinationsgremium, in dem ein rechtlich und tatsächlich größtmöglicher Informationsaustausch organisiert werden soll.
Die Bundesregierung wird mir zustimmen: Es handelt sich um einen über die bisher praktizierte Zusammenarbeit weit hinausgehenden Ansatz. Es bedeutet die Herstellung von verbindlichen Strukturen zwischen Polizei und Geheimdiensten an den Parlamenten vorbei. Vor allem aber ist es die Aushebelung föderalistischer Prinzipien durch Geheimkabinette der inneren Sicherheit. Es ist also ein weiterer einschneidender Schritt zur Aufhebung eines Prinzips, das im Grundgesetz auf Grund der grausamen Erfahrung mit der Gestapo verankert wurde, des Prinzips der Trennung von Geheimdiensten und Polizei und der Dezentralisierung dieser Behörden.
Es ist sicher nicht ganz zufällig, daß diese Vereinheitlichung vorgenommen wird, bevor alle neuen Bundesländer über Polizei- und Verfassungsschutzgesetze abgestimmt haben. Schon 1984 sah die Bürgerrechtsorganisation „Humanistische Union" die Polizei damals auf dem Wege zu einer halbkriminellen Geheimpolizei. Die von den Innenministern außerhalb der Verfassung geschaffene Ebene sei ein Sog der Vereinheitlichung, dem sich die Landtage schwer entziehen könnten.
Die KGT ist unmittelbares Produkt dieser außerhalb der Verfassung entwickelten Instrumentarien. Vom Parlament ist hier mehr gefordert als der bloße Verweis auf Selbstkontrolle der Sicherheitsbehörden. Die Auflösung der KGT ist notwendig, um zu verhindern, daß aus diesem Gebilde ein Zentralapparat wird, notwendig auch deshalb, weil beispielsweise im Verlauf der letzten Auseinandersetzung um die Rolle der Anwälte politischer Gefangener eine offene Information der Medien eben nicht gegeben war. Gezielt wurden damals bestimmte Magazine, vermutlich auch bestimmte Journalisten mit bestimmten Materialien versorgt, um in der Öffentlichkeit ein polizeilich und juristisch handhabbares Bild herzustellen. Angesichts der jüngsten Gesetze und Entwürfe, die alle eine ungeheure Erweiterung der Befugnisse und Eingriffsermächtigungen gerade des Geheimbereichs der Polizei gebracht haben, darf eine weitere Zentralisierung nicht hingenommen werden.
Leider sind die Kritiken auch aus liberalen Kreisen verstummt, die diese Entwicklung nicht nur als Entwicklung zum modernen Polizeistaat charakterisieren, sondern zur Kennzeichnung dieser Entwicklung auf die Gefahren und auf die Rolle von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt hinweisen. Das Verstummen dieser Kritiken spricht nicht gerade für das demokratische antifaschistische Bewußtsein in diesem Land.
Ihre Zustimmung zu unserem Antrag wäre ein Zeichen dafür, daß sich das Parlament dieser Problematik bewußt geworden ist. Folge dieses Antrags müßte die Entflechtung der undemokratischen, außerhalb der Verfassung installierten Konzeptküchen der Sicherheitsexperten sein. Gerade im Bereich der inneren Sicherheit müßten die Länderparlamente in ihre Rechte eingesetzt werden sowie parlamentarische
und außerparlamentarische Kontrollinstanzen funktionieren.
Ich danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205209700
Als nächster hat der Kollege Joachim Clemens das Wort.

Joachim Clemens (CDU):
Rede ID: ID1205209800
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die anhaltend hohe Bedrohung durch die terroristische Rote Armee Fraktion, zuletzt der Anschlag auf die Botschaft der Vereinigten Staaten im Februar dieses Jahres bzw. die kaltblütige Ermordung von Herrn Dr. Karsten Rohwedder am 1. April in Düsseldorf verpflichten nicht nur Justiz und Sicherheitsbehörden, sondern auch alle, die politische Verantwortung tragen — dazu rechne ich Sie von der PDS nicht — , alle Anstrengungen zu unternehmen, weitere Terrorakte zu verhindern und die bislang nicht ermittelten Täter der jüngsten Anschläge der Strafverfolgung zuzuführen.
Die CDU/CSU und die Bundesregierung stellen sich dieser Verantwortung ebenso wie die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, die ihre Entschlossenheit, alle rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Mittel — ich möchte besonders betonen: alle re c h t s sta a t l i c h zur Verfügung stehenden Mittel — auszuschöpfen und gegen die Bekämpfung des Terrorismus einzusetzen, in ihrem Beschluß vom 3. Mai 1991 bekräftigt hat. Danach hält die Innenministerkonferenz eine weitere Koordinierung, Konzentration und Bündelung der Bekämpfungsmaßnahmen in Gemeinsamkeit von Bund und Ländern sowie die konsequente bundesweite Durchführung aller Maßnahmen für erforderlich. Um dies zu bewirken, hat sie eine Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung — kurz KGT genannt — beschlossen und eingesetzt. Diese ist beim Bundeskriminalamt eingerichtet; dorthin gehört sie auch. Ihr gehören als weitere Mitglieder das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Generalbundesanwalt sowie Vertreter von Polizei und Verfassungsschutz der Länder, die vom jeweiligen Koordinierungssachverhalt betroffen sind, an.
Bisher hat diese KGT erfolgreich gearbeitet. Der Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern ist intensiviert worden. Im übrigen ist eine verbesserte Abstimmung der einzelnen Maßnahmen erreicht worden. Dies gilt sowohl im präventiven Bereich, d. h. um weitere Anschläge zu verhindern — die Erfolge kann man insoweit nicht messen — , als auch in dem repressiven Bekämpfungsansatz, der dann aber erst mittel-und langfristig greifen wird. Die gesetzlich normierte Aufgabenverteilung im Bereich der Sicherheitsbehörden des Bundes auf der einen Seite und der Länder auf der anderen Seite sowie zwischen Justiz und Sicherheitsbehörden wird durch die Einrichtung der KGT nicht berührt. Die Rechtsstaatlichkeit ist also voll gewahrt.
Auf Grund ihrer Aufgabenstellung und Zielsetzung ist die KGT entgegen der Annahme der PDS/Linke Liste keine neue Organisation oder, wie Sie sagten, ein Zentralapparat; sie ist insbesondere keine solche
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 52. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4309
Joachim Clemens
Organisation, die die Bereiche Polizei, Verfassungsschutz und Justiz zu einer neuen Struktur zusammenbringt. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Ihr Vorwurf -- das muß ich deutlich sagen — , diese Gemeinschaftseinrichtung der KGT verstoße gegen das Prinzip des Föderalismus, der Gewaltenteilung und der Trennung von Polizei und Verfassungsschutz, geht absolut ins Leere. Dies trifft alles nicht zu.
Lassen Sie mich aber noch folgendes sagen. Wissen Sie, ich habe nichts dagegen, wenn sich die Parteien hier im Hause als Gralshüter der Rechtsstaatlichkeit darstellen. Aber ausgerechnet Sie, die PDS als Nachfolgeorganisation der SED, von der wir wissen, daß sie die ganzen Jahre hindurch die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten hat, stellen sich hierhin und wollen einigen Leuten etwas vorwerfen und erklären, die Rechtsstaatlichkeit werde hier nicht gewahrt. Nehmen Sie es mir nicht übel: Das, was Sie hier betreiben, ist mehr als Anmaßung. Ich finde das unmöglich. Hier wird der Versuch unternommen, die rechtsstaatliche Arbeit von Polizei- und Justizbehörden in Bund und Ländern zur Bekämpfung des Terrorismus zu diskreditieren; das machen Sie öfter.

(Widerspruch bei der PDS/Linke Liste)

— Sie, die SED — und Sie sind die Nachfolgeorganisation — , haben damals in der DDR die ganze Zeit eines deutlich gemacht: Sie haben die RAF maßgeblich unterstützt, haben den Tätern dort Unterschlupf gewährt. Sie stellen sich hier nun hin und versuchen, diese Arbeit, nämlich die RAF zu bekämpfen, zu untergraben. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Lassen Sie mich deutlich sagen: Alle sind dazu berufen, auf Rechtsstaatlichkeit zu achten. Sie wären es an und für sich auch, aber in diesem Falle absolut nicht.
Es ist überhaupt keine Frage: An einem rechtsstaatlichen Handel der KGT ist nicht zu zweifeln. Die Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern klappt gut, sie ist notwendig, sie ist rechtsstaatlich. Deswegen kann Ihr Antrag nur abgelehnt werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205209900
Als nächster hat nun der Kollege Günter Graf das Wort.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1205210000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich ein sehr schwieriges Thema, über das wir hier heute morgen zu sprechen haben. Ich bedaure, daß es in einer Kurzrunde mit Fünf-Minuten-Beiträgen behandelt werden muß, in der es nicht einmal andiskutiert werden kann. Es wäre besser gewesen, eine längere Debattendauer dafür vorzusehen oder aber ganz auf eine Diskussion darüber zu verzichten. Dennoch möchte ich mich bemühen, einige grundsätzliche Bemerkungen zu der Thematik zu machen.
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in der jüngsten Vergangenheit, z. B. auf Dr. von Braunmühl, auf Staatssekretär Dr. Tietmeyer, auf Herrn Dr. Herrhausen, auf Herrn Staatssekretär Neusel und zuletzt auf Herrn Dr. Rohwedder, wurde durch Beschluß der Innenministerkonferenz am 3. Mai 1991 die ,,Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden angesiedelt. Aufgabe der KGT ist es — darauf hat der Kollege Clemens soeben schon hingewiesen — , die Zusammenarbeit — das möchte ich betonen — der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zur Bekämpfung des Terrorismus zu intensivieren und den gesetzlich zulässigen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden zu fördern.
Dabei ist anzumerken, daß eine spezielle gesetzliche Grundlage für die Einrichtung dieser Koordinierungsgruppe auf Grund fehlenden Behördencharakters sowie mangelnder eigener Zuständigkeiten und Befungnisse nicht erforderlich war. Nach einer ersten Einschätzung verstößt die Einrichtung der Koordinierungsgruppe weder gegen grundgesetzliche Vorschriften noch gegen solche des einfachen Rechts. Auch kann kein Verstoß gegen föderale Prinzipien gesehen werden, da die polizeilichen Befugnisse nicht zentralisiert, sondern von den jeweiligen Bundes- und Landesbehörden nach wie vor in eigener Zuständigkeit wahrgenommen werden. Dabei, verehrte Kollegin, erscheint mir der Hinweis wichtig — darauf hat auch der Kollege Clemens nachdrücklich hingewiesen; ich unterstützte ihn da ganz ausdrücklich — , daß die Trennung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit aus den gleichen Gründen gewährleistet ist. Sie wissen, daß gerade wir Sozialdemokraten, wenn es dort Mängel gibt, sehr sorgfältig und peinlich genau auf deren Beseitigung achten. Das haben wir in der Vergangenheit getan, und das werden wir auch weiterhin tun.
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen: Trotz der Einrichtung der ,, Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" bleibt festzuhalten, daß es Fahndungserfolge im Bereich der Terroristenbekämpfung im letzten Jahrzehnt nicht gegeben hat. Bemerkenswert scheint mir jedoch die Tatsache zu sein, daß angesichts des Ausbleibens von Fahndungserfolgen bei den Koalitionsparteien insgesamt so etwas wie Funkstille eingetreten ist. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wird dem meiner Ansicht nach selbstgerechten Anspruch der Union, gewissermaßen Gralshüter — das Wort wurde vom Kollegen Clemens auch schon benutzt, aber in einem anderen Zusammenhang — der inneren Sicherheit zu sein, in keiner Weise gerecht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine Feststellung, weniger Kritik; das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen. Ich sage das nur deshalb, weil ich mich sehr gut daran erinnern kann, wie von der damaligen Opposition, der Union, die damalige sozial-liberale Regierungskoalition angegriffen wurde, da Fahndungserfolge, obwohl sie damals in weit größerem Umfang vorhanden waren, ausblieben.
Was das Ausbleiben von Fahndungserfolgen angeht, darf ich nochmals an die gemeinsame Sitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 17. April 1991 nach dem Mordanschlag auf den Chef der Treuhandanstalt, Dr. Rohwedder, erinnern. Ich habe seinerzeit den Bundesinnenminister Dr. Schäuble gefragt, ob die ausbleibenden Fahndungserfolge auch damit zu tun haben könnten, daß



Günter Graf
verstärkt festzustellen ist, daß eine Bereitschaft breiter Kreise der Öffentlichkeit zur Mithilfe bei der Aufklärung von Verbrechen seit längerem rückläufig ist. Herr Dr. Schäuble hat mir damals geantwortet, das sei ein Punkt, über den es sich lohne nachzudenken, und er werde darauf zurückkommen.
Leider ist er bis zum heutigen Tag nicht darauf zurückgekommen — was ich außerordentlich bedaure, weil ich meine, das ist sicher eine sehr wichtige Frage im Zusammenhang mit der Terroristenbekämpfung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die vereinbarte Redezeit verbietet es, weitere Ausführungen zu dem schwierigen und sicher sehr sensiblen Bereich der Terroristenbekämpfung zu machen. Dem Vorschlag des Ältestenrats folgend, werden wir dies bei der Beratung im Innenausschuß und im Rechtsausschuß nachholen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205210100
Nun hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1205210200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der besonderen Zeitnot heute und des bis zum Platzen vollbesetzten Hauses beschränke ich mich auf wenige Bemerkungen,

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das liegt an den Vorlagen!)

zumal da die Kollegen Clemens und Graf eigentlich alles Wichtige gesagt haben.
Diese Koordinierungsgruppe geht ja auf einen Innenministerbeschluß zurück. Alle Länder haben zugestimmt — mit Ausnahme Bayerns, dem das, wie auch sonst, nicht weit genug geht. In der Sache gab es völlige Übereinstimmung.
Dann hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Jelpke in allen Einzelheiten geantwortet. Ich zitiere einfach aus der Vorbemerkung:
Die „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung" (KGT) ist keine neue Behörde oder entsprechende Organisationseinheit. Sie hat die Aufgabe, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des Terrorismus zu intensivieren und den gesetzlich zulässigen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden zu fördern. Eigenständige Befugnisse oder Weisungsrechte gegenüber anderen Stellen stehen der KGT nicht zu. Die Zuständigkeit der beteiligten Stellen bleibt unberührt.
In der Tat trifft es zu, daß wir in der Terrorismusbekämpfung seit den Morden an Zimmermann und Bekkurts keine Aufklärungserfolge mehr haben. Es sind also besondere Anstrengungen notwendig und angebracht. Wir sind der Überzeugung, daß die Polizei und der Verfassungsschutz unserer besonderen Hilfe und Unterstützung da bedürfen, wo sie sich rechtmäßig verhalten und eine notwendige Aufgabe erfüllen.
Wir werden darum den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Günter Graf [SPD])


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205210300
Als letzte hat zu diesem Tagesordnungsordnungspunkt die Frau Kollegin Ingrid Köppe das Wort.

Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205210400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung", die, wie erwähnt, nach dem Attentat auf Herrn Rohwedder eingerichtet worden ist, soll die Arbeit aller Sicherheitsbehörden und der Justiz noch stärker vernetzen. Absprachen zwischen den für ähnliche Aufgaben zuständigen Behörden können nützlich und notwendig sein. So viel ist uns allen klar.
Eine solche Zusammenarbeit ist aber an den Grenzen des Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts, zu messen. Da ist zunächst das Bundesverfassungsschutzgesetz, welches verbietet, das Bundesamt einer Polizeidienststelle anzugliedern. Gesetzliche Kooperationsbeschränkungen dürfen jedoch nicht auf das bloße Verbot verkürzt werden, Nachrichtendienst- und Strafverfolgungsorgane unter einem Behördendach organisatorisch zusammenzufassen, was, soweit ich es überblicke, ja auch niemand will. Nein, viel gefährlicher ist im Zeitalter der modernen und schnellen Informationstechnologie für die Bürgerrechte ein umfassender Austausch der mit nachrichtendienstlichen und exekutiven Mitteln gewonnenen Erkenntnisse zur wechselseitigen Verfügung durch die formal eigenständig bleibenden Behörden. Genau das findet heute zwischen den Sicherheitsbehörden hierzulande und weltweit immer umfassender statt, u. a. im Rahmen bzw. auf Veranlassung der KGT.
Lassen Sie mich dies heute belegen nicht mit Verweis auf die bereits allseits bekannte Praxis, sondern durch deren am 3. Mai 1990 von der Innenministerkonferenz beschlossene Erweiterung im Zusammenhang mit der Errichtung der KGT. Danach sollen die Erkenntnisse „sämtlicher Sicherheitsbehörden sowie des Justizbereichs" künftig „möglichst umfassend" verwertet werden. Da wurde ferner die „vollständige Erfassung, koordinierte Auswertung und schnelle Weiterleitung an alle zuständigen Sicherheitsbehörden" beschlossen bezüglich „sämtlicher zur Bekämpfung des Terrorismus relevanten Informationen".
Wer die uferlos weiten Terrorismus-Definitionen hierzulande kennt, wird schon zutreffend ahnen, was alles zu dessen Bekämpfung für relevant gehalten werden kann,

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Sind Sie denn dafür?)

denn da soll auch „das weitere terroristische Umfeld" mit „verdeckten und systematischen Fahndungsmaßnahmen" sowie mit „nachrichtendienstlichen Mitteln durch den Verfassungsschutz" und gar mit verdeckten Ermittlern „aufgeklärt" werden, „besonders in den Rekrutierungsfeldern". Zu solchen Rekrutierungsfeldern werden bekanntlich, in dem eine Handvoll RAF-Biographien pauschal verallgemeinert werden, üblicherweise z. B. auch Hausbesetzer gerechnet, ja sogar solche Menschen, denen nur ein politi-



Ingrid Köppe
sches Motiv für ihr abweichendes Verhalten unterstellt wird und die deshalb zusammen mit RAF-Leuten in der bundesweiten Datei APIS gespeichert werden. Jüngstes und absurdes Beispiel: die zahlreichen Protestierer gegen Raserei und überfahrene Kinder auf Hamburgs Straßen.
Auch diese Datensammlung soll noch perfektioniert werden durch Einrichtung einer bundesweiten sogenannten Spurendokumentationsdatei — ein Typ, vor dessen Gefahren Datenschützer aus schlechter Erfahrung beständig warnen. Eine solche Praxis läßt jedoch auch die gesetzliche Regelungszuständigkeit sowie die Kontrollmöglichkeiten der beteiligten Parlamente unbeachtet und höhlt diese aus. Wir alle kennen dies bereits unter anderem aus dem Zusammenhang der deutschen IMK sowie der europäischen Trevi-Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Ebenso werden durch eine solche Praxis und durch die KGT die rechtlichen Grenzen ausgehöhlt. Unsere ostdeutschen Erfahrungen mit einem unbändig wissensdurstigen Repressionsapparat sind noch sehr frisch. Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN lehnt eine solche Praxis ab.
Wir schließen uns dem hier beratenen Antrag an. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205210500
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1158 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Bei wenigen Gegenstimmen ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt auf: Aktuelle Stunde
Entwicklung der Lehrstellenbilanz in den neuen Bundesländern
Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Jork.

Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1205210600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir eine Ehre, daß ich diese Diskussion eröffnen darf. Gestatten Sie, daß ich als Ingenieur und Regelungstechniker so eine Art Soll-Ist-Vergleich mache. Ich beziehe mich dabei auf diese letzte Zuarbeit der Bundesanstalt für Arbeit und darf einen Satz vorlesen:
Zum 30. September waren bei den Arbeitsämtern in den neuen Bundesländern und im Ostteil Berlins noch 6 700 unbesetzte Ausbildungsstellen und 2 400 noch nicht vermittelte Bewerber gemeldet.
Noch ein Satz, der mir wichtig erscheint:
Im Osten gibt es keine Ausbildungsnot, auch wenn nicht jeder Jugendliche die Lehrstelle seiner Wahl gefunden hat.
Damit ist also die Frage der Qualität angesprochen.
Wenn wir zu dem Ergebnis sprechen, sollten wir uns daran erinnern, welche Ausgangssituation wir hatten. Das wertet die Gesamtsituation. Erinnern wir uns, daß die volkseigene Industrie in den östlichen Bundesländern zusammengebrochen war und ist, daß völlig neue Berufe gebraucht werden, daß das Netz von Handwerk, Gewerbe und Kleinindustrie nicht oder nur in geringem Umfang vorhanden ist, daß die Wirtschaft umzustrukturieren ist und war, daß personelle Verunsicherungen in hohem Maße dadurch auftraten, daß die Verwaltung erst neu aufgebaut werden mußte — das betrifft auch die Arbeitsämter — , daß das duale System einzuführen war und daß letztlich erstmalig so eine Situation aufgetreten ist. Es gab kein Modell. Ich darf auch darauf hinweisen, daß in den Ländern Osteuropas natürlich eine ähnliche Situation auftreten kann.
Bei der Lösung des Problems — das Ergebnis habe ich mir kurz vorzulesen erlaubt — gab es eine Menge Mitwirkende, denen auch in diesem Zusammenhang Dank zukommt. Das betrifft die Wirtschaft, die Verwaltungen, das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, die Landesregierungen, die Treuhandanstalt — die nach einer zögernden Phase sehr wohl dafür gesorgt hat, daß die Ausbildungsplätze nicht abbrechen — , die Industrie- und Handelskammern, bestimmte westdeutsche Betriebe — auch sie, das möchte ich sagen, haben durchaus einen positiven Einfluß gehabt — und das Bundesinstitut für berufliche Bildung. Ganz besonders möchte ich darauf hinweisen, daß die Arbeitsämter bei uns in den neuen Bundesländern in diesem Zusammenhang eine hervorragende Arbeit geleistet haben. All denen, die ich eben nannte, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.
Die Arbeitsgruppe „Bildung und Wissenschaft" unserer Fraktion war gestern in dem Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer in Halle. Dabei ist uns deutlich gemacht worden, daß zuwenig Bewerber da sind und die Mittel nicht ausgenutzt wurden. Ganz deutlich wurde darauf hingewiesen — das halte ich für besonders wichtig — , daß die Horrorzahlen, die hinsichtlich der Erwartung der Lehrstellensituation verbreitet worden waren, ganz erheblich geschadet haben. Sie haben zu einem Abzug qualifizierter Leute geführt; es sind auch Prozentzahlen genannt worden. Es hat sich hier um einen der größten politischen Fehler überhaupt gehandelt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist ein gewaltiger Aderlaß junger Leute erfolgt, die vertrieben worden sind. Ich meine, daß das in diesem Zusammenhang heute ein wesentliches Thema ist.
Es ist wichtig, daß wir uns gemeinsam Sorgen machen, gemeinsam überlegen, wie wir die Probleme lösen. Was für Probleme anstehen, wird sicher noch Gegenstand der Beratungen sein. Wir haben auch das kollegial im Ausschuß besprochen. Ich meine, daß dazu die Qualität der Ausbildung gehört.
Ein wesentlicher Punkt scheint mir zu sein, daß wir die Betroffenen nicht verunsichern dürfen. Es geht darum, daß wir helfen, Ratschläge geben. Dabei scheint mir das Miteinander, auch über die Parteigrenzen hinweg, bedeutend wesentlicher und wichtiger zu sein als der Wunsch einzelner, sich zu profilie-



Dr.-Ing. Rainer Jork
ren und auf Differenzen abzuheben. Ich meine, daß das eine zu wichtige Aufgabe ist.
Ist meine Zeit um?

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205210700
Noch nicht ganz. Sie haben noch 48 Sekunden.

Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1205210800
Gut. — Dann kann ich noch etwas zu den Aufgaben, die zu bewältigen sind, sagen. Es geht nicht um Schönfärberei. Ich meine, daß die Qualität der Ausbildung zu sichern ist. Ich meine auch, daß wir uns um die berufliche Weiterbildung zu bemühen haben; denn angesichts der aktuellen Situation ist in Relation zu der akademischen Ausbildung eine gewisse Diskriminierung der beruflichen Weiterbildung zu beobachten. Ich meine, daß die besondere Situation des Jahres 1992 zu beachten ist. Dort sind neue und weitere Maßnahmen notwendig, vor allem aber eine Unterstützung und der Einsatz von Handel, Gewerbe und Kleinindustrie. Ich bin der Überzeugung, daß wir gemeinsam die Probleme konstruktiv anpacken können, wenn wir nur wollen.
Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1205210900
Herr Kollege Jork, es freut mich, daß Sie sich geehrt fühlen, daß Sie diese Debatte eröffnen durften. Es ist aber eine übliche Ehre, daß die Fraktion, die eine Aktuelle Stunde beantragt, auch den ersten Redner stellt.

(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Dann war es sicher ein Lernvorgang für mich!)

Deshalb freut es uns, daß Sie den Plenarsaal noch rechtzeitig erreicht haben.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Frau Doris Odendahl.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1205211000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Während der Bildungsminister von einem „Bombenereignis" spricht,

(Bundesminister Dr. Rainer Ortleb: Na! Na!)

— doch, so steht die Überschrift da, Herr Minister Ortleb; das ist nun einmal so —,

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Das ist ein Reservistenausdruck: „Bomben"!)

meldet sich die Bundesanstalt für Arbeit zur gegenwärtigen Situation auf dem Ausbildungsmarkt mit sehr viel bescheideneren Worten. Sie meldet: „Keine Ausbildungsnot in den neuen Ländern". Das Bundesinstitut für berufliche Bildung sprich von „Licht und Schatten".

(Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Ich kann gut verstehen, daß die Bundesregierung angesichts der düsteren und besorgniserregenden Arbeitsplatzsituation in den neuen Ländern und im Vergleich mit der sich dadurch noch im Frühjahr dieses Jahres abzeichnenden Ausbildungsplatzsituation jetzt Erleichterung verspürt.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat gerne dazu beigetragen, alle Kräfte zu mobilisieren, daß die Jugendlichen in den neuen Ländern wirklich ein Ausbildungsplatzangebot bekommen. Dies ist bedingt gelungen. Allen, die sich dabei eingesetzt haben, gebührt Dank und Anerkennung.
Wir sind gerne bereit, diesen Erfolg anzuerkennen und zu loben;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

nur muß der, der Erfolge feiert, sie zumindest auch erklären können. Wenn ich also sage „bedingt gelungen", so verweise ich darauf, daß die endgültigen Zahlen erst im Dezember dieses Jahres vorliegen und ausgewertet werden können. Es wäre gut gewesen, Sie hätten sich dann einer Diskussion in diesem Hause gestellt.
Ihre Erfolgsmeldung — Verzeihung, Herr Minister, den Bomben-Vergleich halte ich nicht ganz für angemessen — besteht in einem statistischen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Auch dabei haben Sie sich noch verrechnet: Vorhanden und gezählt waren nach Ihren eigenen Angaben als Ausbildungsplatzsuchende rund 145 000 Jugendliche. Inzwischen wurden 99 686 Jugendliche in betriebliche bzw. überbetriebliche Ausbildungsplätze vermittelt. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit gibt es derzeit noch 2 400 nicht vermittelte Bewerber. Also tauchen rund 45 000 Jugendliche, immerhin fast ein Drittel, in Ihren Berechnungen gar nicht mehr auf. Ich meine, es wäre verantwortungslos, nun nicht nachzufragen, was denn mit diesen Bewerberinnen und Bewerbern in der Zwischenzeit geschehen ist.
Genauso verantwortungslos wäre es, wenn Sie sich heute auf Ihren Lorbeeren ausruhen wollten. Wir erwarten von Ihnen Auskunft darüber, in welchen Berufen die nunmehr als versorgt geltenden Jugendlichen ausgebildet werden. Erste Nachfragen zeigen nämlich schon heute, daß sich dabei viele sogenannte Werker- und Helfer- bzw. Helferinnenberufe befinden, also Ausbildungen, die der zukünftige Arbeitsmarkt, der ständig höhere Qualifikationen erfordert, laufend aussortiert.
Die heute ausgebildeten Jugendlichen sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von morgen. Sie stehen am Beginn ihres Arbeitslebens und müssen mit ihrer Ausbildung die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft ein Leben lang behaupten zu können. Es darf doch nicht so kommen — um einen Vergleich meines Parteivorsitzenden Björn Engholm zu gebrauchen — , daß in den neuen Ländern die Ausbildung in der Holzklasse erfolgt, während in den alten Bundesländern zum Glück schon längst in der Polsterklasse gefahren wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Um solche Entwicklungen zu verhindern, hat die SPD-Bundestagsfraktion vor einigen Monaten ein Programm zur Sicherung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern gefordert. Sie haben es abgelehnt und wollen nun den Eindruck erwecken, als ob sich alle darin aufgezeigten Maßnahmen durch die ausgeglichene Lehrstellenstatistik erledigt hätten.



Doris Odendahl
Sie werden von der Wirklichkeit eingeholt werden, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die beruflichen Schulen in den neuen Ländern auf Grund ihrer fehlenden Ausstattung kaum in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, daß die Ausbilder auf die neuen Ausbildungsordnungen nicht genügend vorbereitet wurden, daß die Berufsberatung vielfach nur Plätze besetzt, statt wirklich beraten zu können, und daß ein Zusammenhang zwischen den künftigen Anforderungen der Wirtschaft in den verschiedenen Regionen der neuen Länder und den angebotenen Ausbildungen überhaupt noch nicht erkennbar ist.

(Uwe Lambinus [SPD]: Das ist sehr richtig!)

Ihr sogenannter Bombenerfolg kann sich also als trügerisch erweisen.
Ich fordere Sie, wie wir es im Frühjahr schon getan haben, heute noch einmal auf, endlich das Notwendige zu tun, um allen Jugendlichen nicht irgendeinen Ausbildungsplatz zuzuteilen, sondern ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt und das Bestehen auf ihm sichert.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205211100
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1205211200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn momentweise im Hohen Hause die Stimmung bombig zu sein scheint, überrascht dies nicht. Es ist kein Wunder; auch für Sie kann es das nicht sein. Wir alle haben Grund, uns zu freuen.
Der Antragsteller, Herr Dr. Jork, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Lehrstellenbilanz in den fünf neuen Bundesländern als ausgesprochen erfolgreich zu bezeichnen ist. Die Opposition versucht nun — wenn sie schon nicht das Gegenteil beweisen kann, weil die Materie das nicht hergibt — , jedenfalls daran herumzumäkeln.

(Günter Rixe [SPD]: Ihr macht es euch zu einfach! — Doris Odendahl [SPD]: Ich habe nicht gemäkelt!)

Ich habe vor einigen Tagen im Ausschuß schon darauf hingewiesen, meine Damen und Herren von der Opposition: Kassandra hat nicht recht behalten.

(Doris Odendahl [SPD]: Aber sie hat gesehen!)

Die Unkenrufe der Opposition, daß sich in den neuen Bundesländern ein großes Lehrstellendefizit entwickle, sind ins Leere gegangen.
Es ist nicht das politische Motiv der Kassandra, aber ihre Funktion — und insofern ist Ihnen dafür zu danken, daß Sie mit Ihren Unkenrufen dazu beigetragen haben, wenn auch wahrscheinlich nur unbeabsichtigt — , dafür zu sorgen, daß das Vorhergesagte nicht eintritt und hier auch nicht eingetreten ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei dank!)

Viele Lehrstellen blieben sogar unbesetzt. Die Bilanz ist ausgesprochen positiv.
Die Regierungsparteien und Minister Ortleb mit seinem Hause haben insgesamt wesentlich dazu beigetragen, das gesteckte Etappenziel zu erreichen. Die
letzten Zahlen von Ende Oktober: 122 000 Ausbildungsplätze sind als verfügbar gemeldet worden, davon 62 800 betriebliche und 37 000 außerbetriebliche — darauf gehe ich noch ein —; 6 700 sind — Herr Jork hat es schon gesagt — insgesamt nicht besetzt; der Überschuß beträgt rund 2 400.

(Zuruf von der SPD: Komische Rechnung!)

Ein zweiter Hinweis: Ost und West haben hier gleichgezogen; es gibt mehr freie Stellen als Lehrlinge. Alle Anstrengungen von Wirtschaft und Politik, nicht zuletzt das spezielle Sonderprogramm der Regierung, Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten mit 5 000 DM zusätzlich einen Anreiz zu geben, einen Lehrling einzustellen, sind erfolgreich verlaufen. An diesem erfreulichen Ergebnis kommt man grundsätzlich nicht vorbei. Mäkeln hilft hier nicht.
Dennoch sind — das muß zugegeben werden — spezifische Probleme nicht zu verkennen. Es ist ein Angebotsdefizit bei bestimmten Berufsgruppen — Berufe im kaufmännischen, im sozialen und im Baubereich — zu sehen. Andererseits gibt es einen Angebotsüberschuß bei anderen Berufen, etwa im Metallbereich und bei den Elektrikern und überhaupt bei den technischen Berufen. Insofern ist — da gebe ich Frau Odendahl gerne recht — qualitativ manches noch offen, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt, jedem eine Lehrstelle zu vermitteln, die er sucht; vielmehr muß auch eine größere Ausgewichtung innerhalb der verschiedenen Branchen erreicht werden.
Die Wirtschaftspolitiker haben aber quantitativ in jedem Fall hervorragend gearbeitet. Die Bundesländer, in denen die mittelständische Wirtschaft eigentlich erst im Aufbau begriffen ist, die öffentlichen Hände, die Treuhandanstalt — Sie haben das zu Recht erwähnt — , die Kammern, der Bund mit seinen verschiedenen Möglichkeiten haben dazu beigetragen, daß das duale System seine Chancen erhält. Das ist die zweite Lehrstellenmeldung des Jahres. Denn es darf darauf hingewiesen werden, daß das duale System anerkannt und respektiert worden ist, daß es auch in den neuen Bundesländern seine Chancen gefunden hat. Sich informieren, sich orientieren, sich selber um den eigenen Lebensweg kümmern — mit Verlaub nenne ich noch einmal diesen Ausdruck von drüben — , das ist akzeptiert und als Aufgabe erkannt worden. Die Menschen, junge Leute, ihre Eltern und die Ansprechpartner auf der Arbeitgeberseite, kümmern sich darum.
Ein Problem dürfte sicherlich auch sein, daß es beim dualen System immer noch insofern knirscht, als die Gleichrangigkeit von schulischer Bildung und praktischer Ausbildung noch nicht erreicht ist. Die Kommunen sind aufgefordert, ihre Aufgaben mit den Milliardensummen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost zu erfüllen. Wir werden im nächsten Jahr ganz besonders darauf zu achten haben, daß sich die große Anzahl der über- und außerbetrieblichen Stellen, die jetzt zu verzeichnen ist, nicht fortsetzt, perpetuiert und festsetzt. Die Anabolika sind zwar, wie ich neulich schon einmal gesagt habe, kurzfristig heilend gewesen, aber sie dürfen sich nicht auf Dauer etablieren. Suchtgefahr — das sage ich hier ausdrücklich — ist nicht zu verkennen.



Dirk Hansen
Die Verselbständigung solcher Provisorien und die Eigendynamik im Besitzstandswahren dessen, was 1991 durch ein Überlastprogramm eingerichtet worden ist und was wir sicherlich auch noch 1992 brauchen, dürfen sich nicht verstetigen, sondern müssen abgebaut werden. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß wir immer der Gefahr unterliegen, daß sich solche Provisorien auf Dauer etablieren.
Bei aller Freude über die Erfolge des Jahres 1991 sind die Probleme für 1992 insofern nicht zu verkennen.

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Also doch ein bißchen mäkeln!)

Aber wer die Probleme erkannt hat,

(Doris Odendahl [SPD]: Er entschärft die Bombe!)

der ist darauf aus, auf der Erfolgsschiene dieses Jahres wiederum erfolgreich zu sein. Ich bin ganz sicher, daß Sie wieder unrecht behalten werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205211300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1205211400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nichts dagegen, daß die Koalition von einem Bombenergebnis spricht. Das Bedauerliche ist nur, daß Bomben explodieren und Schaden hinterlassen. Das hoffe ich nicht, und ich wünsche es Ihnen nicht;

(Dr. Rainer Jork [CDU/CSU]: Eigene Erfahrung!)

aber ich kann mich nicht damit einverstanden erklären, daß unsere Freude zum Maßstab der Bewertung von Politik wird. Wir müssen vielmehr die Frage beantworten: Sind die, die jetzt eine Lehrstelle bekommen haben, auch glücklich?

(Zurufe von der CDU/CSU: Vorher waren sie es mit den Zwangszuweisungen sicher nicht! — Mit Ihrem System waren sie mit Sicherheit nicht glücklich!)

Haben sie sozusagen an diesem entscheidenden Punkt ihres Lebens eine Entscheidung treffen können, die für ihr ganzes Leben wichtig ist?

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist fast unanständig, wie Sie hier argumentieren!)

Nein, nein! Es ist nicht die Frage, ob man überhaupt eine Ausbildungsstelle hat. Entschuldigen Sie bitte, lesen Sie das Grundgesetz. In Art. 12 des Grundgesetzes steht:
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Das wollen wir, bitte, als eine Zielstellung erhalten.

(Alois Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]: Nicht erhalten, sondern schaffen!)

— Ich bin froh, daß Sie damit einverstanden sind, daß das Ziel, das Sie jetzt erreicht haben, noch nicht das Endziel ist.

(Dirk Hansen [FDP]: Endziele gibt es nie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich darf darauf verweisen, daß unter den Lehrstellenbewerbern 30 000 sogenannte Konkurslehrlinge sind, die jetzt etwas anderes machen müssen als das, wofür sie sich in ihrem Leben einmal entschieden haben. Diesen Tatbestand schafft auch die Notbremsung der Treuhand mit ihrem Rundbrief vom 6. August nicht aus der Welt. Ich halte es eher für ein beschämendes Eingeständnis der Treuhand, wenn sie in diesem Brief auf die Gesetzwidrigkeit der Kündigung von Ausbildungsverträgen hinweist, die sie bis dato selbst betrieben hat.
Ich darf Sie auch darauf verweisen, daß die Rechnung nicht aufgegangen ist, daß die betriebliche Ausbildung Priorität erhält. Bei 145 693 Lehrstellenbewerbern und einem Angebot von 62 659 betrieblichen Ausbildungsplätzen ist diese Zielstellung verfehlt.
In Westdeutschland, in den alten Ländern, firmiert eine aufierbetriebliche Ausbildung nach § 40 c des Ausbildungsförderungsgesetzes zu Recht unter „Benachteiligtenprogramm". In den alten Ländern dürften etwa 5 % der Lehrstellenbewerber diese Benachteiligtenausbildung in Anspruch nehmen. Im Osten Deutschlands machen solche Plätze immerhin 40 % des gesamten Angebots aus. Wenn hinter den betrieblichen Ausbildungsplätzen geringe Chancen auf spätere Beschäftigung stehen, so stehen hinter den außerbetrieblichen sehr gute Chancen, sich nach der Ausbildung ins Millionenheer von Erwerbspersonen ohne Erwerbstätigkeit einreihen zu dürfen.
Die Struktur der außerbetrieblichen Ausbildung entspricht in etwa der Ausbildungsstruktur in den früheren Großbetrieben der DDR, also einer Struktur, aus der im Augenblick die meisten Erwerbslosen kommen. Es wird überwiegend in Berufen ausgebildet, für die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestehen, in Ostdeutschland schon gar nicht. Als Mädchen kann man sich allerdings bevorzugt in Hauswirtschaft ausbilden lassen. Ob alle Mädchen damit glücklich werden, weiß ich nicht.
Ich sage auch, daß mir die Rechnung nicht ganz gefällt, wenn man immer nur davon spricht, daß 2 421 unvermittelte Bewerber auf der einen Seite und 6 659 offene Stellen auf der anderen Seite stehen. Fakt ist, daß von den 145 000 etwa 45 000 in der Bilanz übrigbleiben.

(Doris Odendahl [SPD]: Ein Drittel!) Das ist schon eine beachtliche Zahl.


(Doris Odendahl [SPD]: Ja, wo sind sie denn?)

Was ist aus ihnen geworden?

(Günter Rixe [SPD]: Wo sind sie geblieben?)

Wo sind sie geblieben?
Ende Mai 1991 hatten sich nach einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 37 800 ostdeutsche Jugendliche auch oder ausschließlich um eine Lehrstelle in Westdeutschland beworben. Wie viele sind dort angekommen? Sicher mehr als 10 000, wie die Bundesregierung selber im Frühjahr eingeschätzt hat. Wie hoch ist eigentlich die „Ein-



Dr. Dietmar Keller
schaltquote" der Arbeitsämter? Wie viele Jugendliche sind nicht den Weg über das Arbeitsamt gegangen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank! — Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wie gut, daß sie das bei uns nicht müssen!)

und was ist aus diesen „Verschwundenen" geworden?
Es stehen eine Reihe von Fragen im Raum. Ich freue mich, daß viele Jugendliche eine Ausbildungsstelle bekommen haben. Aber ich denke, wir haben keinen Grund zum Jubeln, sondern Grund zur vernünftigen, guten Arbeit auch im Ausschuß für Wissenschaft und Bildung.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205211500
Nun spricht die Abgeordnete Frau Eichhorn.

Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1205211600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Ausbildungsplatzsuchende in den neuen Bundesländern erhält eine Lehrstelle, auch wenn es nicht unbedingt die von ihm gewünschte ist. Im Gegenteil, es gibt mehr Ausbildungsplatzangebote als Bewerber in den neuen Bundesländern. Dies ist die aktuelle Lehrstellenbilanz, die wir Ihnen heute präsentieren können, eine hervorragende Bilanz, wie uns die Zahlen zeigen und wie auch Sie bestätigt haben.
Als wir am 27. Februar dieses Jahres in einer von der SPD beantragten Aktuellen Stunde über die Ausbildungsplatzsituation in den neuen Bundesländern diskutierten, wurden von der Opposition nur Horrorgemälde an die Wand gemalt.

(Doris Odendahl [SPD]: Das haben Sie so empfunden! Wir haben Sie auf Trab gebracht!)

Frau Kollegin Odendahl, Sie hatten an jenem Tag
gesagt — ich zitierte aus dem Bundestagsprotokoll — :
Die Menschen in Deutschland erleben in diesen Tagen auf sehr bedrückende Art, wie leichtfertig die Bundesregierung mit ihren Versprechungen, die sie vor der Wahl gegeben hat, umgeht.

(Doris Odendahl [SPD]: Ja, das war die Arbeitsmarktsituation, Frau Kollegin!)

— Dies war Panikmache, verehrte Frau Kollegin.

(Doris Odendahl [SPD]: Nein!)

Sie müssen heute gestehen, daß die Bundesregierung ihre Zusage, 1991 allen Schulabgängern ein Ausbildungsplatzangebot zu machen, auch eingehalten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit Ihren Aussagen im Frühjahr und Sommer dieses Jahres haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die jungen Menschen in den neuen Bundesländern verunsichert und ihnen Angst gemacht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Auch heute haben Sie das wieder getan, Frau Odendahl.

(Doris Odendahl [SPD]: Nein, Sie haben vielleicht Angst gekriegt!)

Dies ist nicht die richtige Politik. Politiker müssen, so meine ich, den Menschen Mut machen. Nur dies hilf weiter.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Daß wir heute eine hervorragende Lehrstellenbilanz vorweisen können, verdanken wir dem Zusammenspiel vieler Kräfte. Maßgeblichen Anteil daran hatte die Bundesregierung vor allen Dingen mit dem Ausbildungsplatzförderungsprogramm Ost.

(Dirk Hansen [FDP]: Ortlebs Idee!)

Dies hat gegriffen; denn ohne das 250-Millionen-DM-
Programm des Bundes säßen viele Bewerber wohl heute noch auf der Straße.
Die angekündigten 10 000 Ausbildungsplätze im Bereich der Bundesverwaltung in den neuen Bundesländern wurden zur Verfügung gestellt. Die Treuhand hat nicht nur durch die Fortführung bestehender Ausbildungsverhältnisse , sondern auch durch zusätzlich eingeräumte Lehrstellen einen erheblichen Beitrag geleistet. Außerbetriebliche Maßnahmen haben vor allem Konkurslehrlinge aufgefangen. Dies ist vor allen Dingen für den Übergang begrüßenswert. Aber unser Ziel ist, diese außerbetriebliche Ausbildung in betriebliche Ausbilungsverhältnisse überzuführen. Angesichts offener Lehrstellen wird das kein Problem sein, wie uns gestern von Vertretern der Handwerkskammer in Halle versichert wurde.
Das Angebot von Ausbildungsplätzen und Ausbildungsverbünden in den alten Bundesländern wurde nicht ausgeschöpft. Ich denke, dies ist positiv. Es ist richtig, wenn die jungen Menschen in ihrer Heimat bleiben; denn dort werden sie dringend zum Aufbau gebraucht. Dort werden auch heute schon zum Teil Fachkräfte dringend gesucht.
Wenn wir die Besetzung der Ausbildungsplätze näher betrachten, müssen wir feststellen, daß sich in den neuen Bundesländern dasselbe abzeichnet, was wir auch in den alten Bundesländern feststellen müssen: In manchen Bereichen finden sich keine Lehrlinge, in anderen Bereichen dagegen gibt es mehr Nachfrage als Angebot.
Dies gilt besonders für die weiblichen Auszubildenden. In den neuen Bundesländern stellen wir dieselbe Entwicklung wie in den alten Bundesländern fest: Frauen konzentrieren sich auf wenige Berufe. Dieser Entwicklung müssen wir von Anfang an entgegensteuern. Die bereits laufende Informationskampagne der Bundesregierung zur Erweiterung des Berufsspektrums für Frauen muß deswegen in den neuen Bundesländern mit Nachdruck betrieben werden.
Im März dieses Jahres hat Bundeskanzler Helmut Kohl im Hinblick auf die Situation in den neuen Bundesländern gesagt — ich zitiere — :
Kein Jugendlicher darf ohne Ausbildungsplatz bleiben.
Heute können wir mit Stolz feststellen: Die hervorragende Lehrstellenbilanz 1991 eröffnet den Jugendli-



Maria Eichhorn
chen in den neuen Bundesländern gleich gute Chancen wie den Jugendlichen in den alten Bundesländern.

(Doris Odendahl [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Ich denke, dies gibt berechtigte Hoffnung auch für die Situation im kommenden Jahr.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205211700
Das Wort hat der Abgeordnete Rixe.

Günter Rixe (SPD):
Rede ID: ID1205211800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Aktuellen Stunde zur Ausbildungssituation in den neuen Bundesländern im Februar dieses Jahres habe ich gesagt, daß ich für alles dankbar bin und allem zustimmen werde, was den jungen Menschen in den fünf neuen Ländern hilft. Ich habe viele Zweifel daran gehabt — das gebe ich ehrlich zu — , ob es Ihnen gelingen würde, Herr Minister, für alle jungen Menschen in den neuen Bundesländern zum 1. September oder 1. Oktober einen Ausbildungsplatz zu schaffen.
Nun haben Sie zumindest zahlenmäßig — und das nur nach Ihrer Rechnung; dazu komme ich gleich noch — ein Ergebnis hinbekommen, zu dem ich sagen muß: Na ja, gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daß Sie das allerdings gleich als „Bombenergebnis" titulieren — diese Formulierung aus Ihrer Presseerklärung werden Sie nicht mehr los — , paßt mir schon allein wegen der militärischen Anspielung nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dirk Hansen [FDP]: Das war bestimmt ein Redakteur!)

— Nein, das war die Erklärung des Ministers selber.
Es gibt aber doch noch sehr viele Ungereimtheiten. Ich will das Ergebnis hier nicht in den Keller rechnen, aber wenn Sie, Herr Minister, sagen, daß rund 145 000 junge Leute vermittelt worden seien, davon mehr als 62 000 in betriebliche Ausbildungsstellen und 37 500 in außerbetriebliche, dann frage ich mich wirklich: Was ist eigentlich mit den 46 000 immer noch Übrigbleibenden? Ich habe keine Mengenlehre gelernt und bekomme es vielleicht deshalb nicht zusammen. Wieso ist denn da eigentlich von einem Erfolg zu sprechen, wenn nur 62 000 in eine betriebliche Ausbildung und etwa 50 % der restlichen Jugendlichen in eine außerbetriebliche Ausbildung gegangen sind? Ich möchte auch gerne irgendwann von Ihnen wissen, wozu denn die anderen Ausbildungsträger, etwa die Treuhand oder Bundes- und Landesbehörden, zählen. Gehören die eigentlich auch zu den Einrichtungen, die betrieblich ausbilden? Zählen die dort ausgebildeten Jugendlichen zu den 62 000, oder werden sie obendrauf gerechnet? Ich kann rechnen, wie ich will; ich komme nicht auf die genannten Zahlen.

(Dirk Hansen [FDP]: Die kommen von Herrn Franke!)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Frage nach der Qualität der Ausbildung ist natürlich von ganz enormer Wichtigkeit für die jungen Menschen; das müssen wir wissen. Es ist doch sehr wichtig, in einem Beruf ausgebildet zu werden, der auch Zukunft hat, und nach der Ausbildung hoffentlich einen Arbeitsplatz zu finden. Darüber kann man diskutieren, und dazu kann man nachfragen.
Die außerbetriebliche Ausbildung macht heute 40 % aus. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, daß wir von diesen 40 % herunterkommen müssen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen zu einem Anteil von 5 % wie hier in den alten Ländern gelangen. Daher erwarte ich vom Bildungsminister eine langfristige Konzeption, wie wir von den 40 % auf 5 % kommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Langfristig!)

Ich habe aber die Sorge, daß sich die 40 % verfestigen, daß man sich daran gewöhnt und daß die betriebliche Ausbildung in den neuen Bundesländern dann nicht so funktioniert wie bei uns, weil man nämlich Steuergelder bekommt.
Ich war in der vorigen Woche in Wittenberge — dieser Ort liegt in Brandenburg an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt — und habe dort ein außerbetriebliches Ausbildungszentrum besucht. So wie Sie in Halle war ich dort bei einem Ausbildungsverein. Die Leute dort denken gar nicht darüber nach, was in sechs oder sieben Jahren mit ihrem Ausbildungsverein passiert. Sie sagen: Die öffentlichen Mittel laufen und laufen. Ich habe ihnen gesagt: Ihr müßt darüber nachdenken, wie ihr denn in vier oder fünf Jahren noch existieren wollt. Daraufhin haben sie geantwortet: Wieso? Es gibt doch zig Programme, beim Bildungsminister und beim Arbeitsamt; das wird immer so weiterlaufen.

(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Sie haben sie doch gewiß aufgeklärt!)

— Herr Dr. Lammert, wir müssen gemeinsam versuchen, sie aufzuklären.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Denn sie haben natürlich den Ausbildungsverein gegründet, um ihren Arbeitsplatz auch noch zu sichern, wenn sie 60 Jahre alt sein werden. Die gesamten Ausbilder waren zwischen 52 und 60 Jahre alt. Wir müssen ihnen sagen : Das ist nicht der endgültige Arbeitsplatz, den ihr habt; das ist eine Übergangslösung. Das müssen wir klären. Denn sonst habe ich die Sorge, daß alle in den außerbetrieblichen Ausbildungszentren drüben — ich habe mehrere besucht — sagen: Das läuft immer so weiter. Ich entgegne ihnen dann immer: Irgendwann werden die betriebliche Ausbildung und das duale System auch bei euch Platz greifen. — Das müssen wir in der Tat noch in die Köpfe hineinbringen, Herr Minister. Dabei müssen wir uns gemeinsam anstrengen.

(Alois Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]: Nicht in unsere! In unseren ist es schon drin!)




Günter Rixe
— Nein, nein; das ist eben nicht darin. Wenn das so schlecht ist wie die Zahlen, die wir serviert bekommen haben, dann prost Mahlzeit!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/ CSU: Das hängt doch von der Wirtschaft ab, Herr Rixe!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205211900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Guttmacher.

Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP):
Rede ID: ID1205212000
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag der CDU/CSU, der die erfolgreiche Lehrstellenbilanz in den neuen Bundesländern zum Inhalt hat, stimme ich in vollem Umfang zu. Gestatten Sie mir, daß ich dies mit den Ergebnissen des Landes Thüringen, die ich gestern abend erhalten habe, noch etwas untersetze.
Nach dem Beschluß des Bundeskabinetts zur Förderung der Berufsausbildung haben die Länder die Initiative aufgegriffen und durch ihre eigenen regional orientierten Programme das Konzept der Bundesregierung unterstützt. So hat sich das Ausbildungsplatzangebot in Thüringen seit Juni von ursprünglich 14 835 auf nunmehr 24 528 Ausbildungsplätze permanent erhöht. Bis heute sind 23 562 Lehrstellen besetzt. Eine Reserve von 1 000 Ausbildungsplätzen steht noch zur Verfügung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Toll!)

Sehr erfreulich ist auch die Tatsache, daß inzwischen 2 500 Auszubildende, die vor der Sommerpause ein Ausbildungsverhältnis mit Firmen in den alten Bundesländern eingegangen waren, nach der Sommerpause die additiv bei den Arbeitsämtern hinzugekommenen Ausbildungsmöglichkeiten genutzt haben.
Neben den durch die Bundesregierung aufgelegten Förderprogrammen hat die thüringische Landesregierung die Unternehmen, die zwischen 20 und 150 Beschäftigte haben, dahin gehend gefördert, daß sie für jeden zusätzlich eingestellten Lehrling eine einmalige Zuwendung von 3 500 DM für einen männlichen und 4 000 DM für einen weiblichen Azubi erhalten.
Ein weiteres Programm sieht die Förderung der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung mit bis zu 90 % vor. Dieses Programm umfaßt auch die Möglichkeit der Bezuschussung beim Erwerb von Kleingeräten für die Kabinettausstattung bzw. die Bezuschussung kostenaufwendiger Zwischen- und Facharbeiterprüfungen durch die Kammern. Die Mittel für diese Förderprogramme werden von der EG bereitgestellt und müssen mit Komplementärmitteln des Landes in gleicher Höhe aufgestockt werden.
Für die Förderung zusätzlich bereitgestellter Ausbildungsplätze durch Unternehmen wurden in Thüringen bisher 2,5 Millionen DM — das entspricht etwa 700 Ausbildungsplätzen — vorgegeben. Zur Förderung der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung sollen noch in diesem Jahr 13,5 Millionen DM an Fördermitteln vergeben werden.
Neben der quantitativen Absicherung muß der Schwerpunkt nun mehr auf die qualitative Seite der Ausbildung gelegt werden, wie dies heute von allen Vertretern der Fraktionen angesprochen worden ist. Es ist erforderlich, daß die Qualität der Lehrlingsausbildung in den neuen Bundesländern dem Standard des Berufsbildungsgsetzes, der Handwerksordnung und der Ausbilder-Eignungsverordnung entsprechend angeglichen wird.
Die Bundesregierung und die Landesregierungen haben sich ferner schon jetzt darauf einzustellen, daß im kommenden Jahr in vier der neuen Bundesländer zwei Schulentlaßjahrgänge Ausbildungsstellen benötigen. Daher scheint mir an dieser Stelle der Hinweis notwendig, daß wir bereits jetzt eine wirkungsvolle Lehrstellenbeschaffungsaktion starten sollten, um den gleichen Erfolg zu haben, der hier heute von der CDU/CSU-Fraktion dargestellt worden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205212100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Päselt.

Dr. Gerhard Päselt (CDU):
Rede ID: ID1205212200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den neuen Ländern steht uns eine schwierige Übergangsphase bevor. Nach der Schaffung der staatsrechtlichen Einheit Deutschlands gilt es nun, die innere Einheit zu gestalten und zu meistern. Die Entwicklung beider Teile Deutschlands war zu unterschiedlich, als daß dies von heute auf morgen gelingen könnte. Ich hätte mir gewünscht, Herr Keller, daß Sie heute einige Bemerkungen dazu machen, wie wir in den vierzig Jahren eigentlich zur Holzklasse gekommen sind. Frau Odendahl hat ja recht. Daß wir keine Polsterklasse haben, können wir nicht der Bundesregierung anlasten. Die Ursachen liegen woanders.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)

Es wäre sehr schön gewesen, wenn Herr Keller dazu Stellung genommen hätte, was sich dort abgespielt hat.

(Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste]: Wir haben Politik gemacht und keinen Geschichtsunterricht! — Eckart Kuhlwein [SPD]: Geschichte sollte man trotzdem nicht vergessen!)

In der DDR war die Berufsbildung Teil des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems. Das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, das durch die Grundsätze Berufsausbildung und Aus- und Weiterbildung ergänzt wurde, ist die gesetzliche Grundlage für das gesamte schulische und berufsschulische System gewesen. Die Berufsberatung war in diesem Sinne eine Lenkung der Arbeitskräfte.
In der DDR war das duale System in der Berufsausbildung weitgehend durchbrochen. Die überwiegende Mehrheit der Lehrlinge wurde in sozialistischen Großbetrieben ausgebildet, die über eigene Betriebsberufsschulen verfügten. Die Ausbildung der übrigen Lehrlinge — wozu Lehrlinge aus dem privaten und genossenschaftlichen Handwerk zählten — erfolgte in herkömmlichen Systemen. Die Praxis wurde im Betrieb vermittelt, während der theoretische Unterricht in der Berufsschule erteilt wurde. Für das Handwerk



Dr. Gerhard Päselt
gab es keine Sonderregelungen, auch nicht bei dieser Ausbildungsordnung. Für Absolventen der zehnten Klasse betrug die Ausbildung zwei bis zweieinhalb Jahre, für Absolventen der Klasse 8 drei Jahre. Das konnte natürlich nicht so bleiben, als im Jahre 1990 die Einheit Deutschlands angepeilt war.
Um keine Zeit zu verlieren, hat man dieses System bereits 1990 umgestellt. Es gab die Verlängerung der Ausbildungszeiten, andere Charakteristika der Ausbildungsberufe, die Kommunalisierung der Berufsschulen und die Ausweitung des dualen Systems. Ob das zu jener Zeit immer geglückt ist, ist eine ganz andere Frage. Aber zumindest ist der Versuch unternommen worden, und er ist aller Ehren wert geweswen.
Ich höre oft, die Ausbilder in den neuen Bundesländern können das alles nicht. Wenn wir das an Ort und Stelle sagen, wären alle Parteien sehr enttäuscht. Alle geben sich gegenwärtig die größte Mühe. Das sollten wir anerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Das Ausbildungsjahr 1990/91 konnte gesichert werden. Dann stand das Ausbildungsjahr 1991/92 auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung hat sich von Anfang an das Ziel gesteckt: „In den neuen Ländern wird allen Schulentlassenen, die dies wünschen, ein Ausbildungsplatz angeboten" . Sie hat sich konsequent an die Verwirklichung dieser Aufgabe gemacht. Im zurückliegenden Zeitraum wurde von verschiedenen politischen Interessenvertretern von unterschiedlichen Erfolgsaussichten ausgegangen. Horrorgemälde u. a. der SPD über Zehntausende von Unversorgten waren vor Ort wenig hilfreich und haben nicht zur Lösung des Problems beigetragen. Die Zahl der in Handwerksbetrieben offenen Stellen sollte uns zu denken geben. In Halle wurde gestern eindeutig gesagt, daß das Handwerk zwar Stellen anbiete, sich aber zu wenig Bewerber gemeldet hätten. Die Handwerksbetriebe bedauern das am meisten, weil sie zum Aufbau der neuen Länder benötigt werden.
Wir können heute feststellen, daß Ende September 2 421 unvermittelte Bewerber rund 6 500 offenen Stellen gegenüberstehen. Die Zahlen wurden bereits genannt. Dieses Ergebnis wurde durch das massive Engagement aller Beteiligten, der Wirtschaft, der Bundesregierung, der Länderregierungen, der Bundesanstalt für Arbeit, der Treuhand und der Kammern erreicht. Wir sollten dieses hervorragende Ergebnis nicht abwerten. Ich kann den Herrn Bundesbildungsminister Professor Dr. Ortleb verstehen, wenn er von einem Bombenergebnis spricht.

(Zurufe von der SPD: Na! Na! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist kein schönes Wort!)

— Bei uns würde man noch sagen: Ich hätte noch einen Purzelbaum gemacht. Aber das kann man vom Minister nicht erwarten.

(Zuruf von der SPD: Das wäre besser gewesen!)

Die einzelnen Maßnahmen zur Erreichung des Zieles waren das BMBW-Sonderprogramm, die 10 000
Ausbildungsplätze im Bereich der öffentlichen Verwaltung, die Aktivitäten der Treuhand, die Förderung der außerbetrieblichen Maßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit, die Förderung der Ausbildungsverbände durch Westbetriebe und schließlich die qualitative Förderung der Berufsausbildung zur Sicherung einer überbetrieblichen Ausbildung in Berufsbildungszentren wie z. B. in Halle und Rudolphstadt. Die Handwerkskammern sind der Meinung, daß sie in den nächsten Jahren — das ist eine Frage der finanziellen Ausstattung — ein flächendeckendes System an Ausbildungszentren in der gesamten alten DDR aufbauen können. Natürlich gibt es noch Probleme. Die sind angesprochen worden, und ich möchte sie hier nicht noch einmal zusammenfassen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205212300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer (Gräfenhainichen).

Evelin Fischer (SPD):
Rede ID: ID1205212400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den bisher bekanntgewordenen Ergebnissen der Berufsausbildungsstatistik zeichnet sich ein globaler Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage im betrieblichen wie auch im außerbetrieblichen Bereich ab, obwohl — Sie haben es schon gehört — es doch 46 000 Jugendliche gibt, die irgendwie mysteriös nicht erfaßt worden sind. Trotzdem gilt es all denen Dank zu sagen, die daran beteiligt waren. Ich glaube, daß nicht zuletzt die SPD mit ihrem Aktionsprogramm zur Sicherung der beruflichen Bildung rechtzeitig die Gefahr erkannt

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

und dadurch Aktivitäten auch bei Ihnen ausgelöst hat.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Überhaupt nichts Neues!)

Dieser Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage in der Statistik sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob den Jugendlichen in der Realität auch ein ausreichend auswahlfähiges Angebot gegenüberstand. Ich mache dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft keinen Vorwurf, wenn jetzt noch keine Aussagen darüber getroffen werden können, wie viele Jugendliche die Möglichkeit hatten, sich in ihrem Wahlberuf ausbilden zu lassen, und wie viele Schulabgänger einfach nur einen beliebigen Beruf ergriffen haben, um überhaupt eine Ausbildung zu erhalten. Verständlich ist auch, daß es noch keine grundsätzlichen Aussagen über regionale Unterschiede in bezug auf eventuelle Angebotsdefizite oder auf eine übergroße Nachfrage gibt.
Aber — und das möchte ich hier betonen — ein quantitativer Ausgleich in der Ausbildung Jugendlicher sagt noch nichts über die Qualität der Ausbildung.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP: Das hat auch niemand bestritten!)




Evelin Fischer (Gräfenhainichen)

Als Abgeordnete eines neuen Bundeslandes kenne ich die ehemaligen Betriebsberufsschulen, die in kommunale Verwaltung übergingen, sehr wohl. Ich kenne diese Berufsschulen nicht nur von außen. Die Betriebe haben dort wirklich manchmal nur die Kreide und die Tafel als Inventar übergeben. Die Kommunen sind mit der Neuausstattung der Berufsschulen einfach noch überfordert. Dort qualitativ hohe Ausbildung zu erreichen, ist jetzt kaum möglich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber es wird!) — Ich hoffe.

Qualität bedeutet auch, Jugendliche in Berufen auszubilden, die wirklich Beschäftigungsperspektiven bieten. Ich komme aus dem Raum Bitterfeld/ Halle. Es kann doch nicht sein, daß man in diesem Raum Chemielaborantinnen ausbildet — die es dort ohnehin genügend gibt —, obwohl man weiß, daß die chemische Industrie in diesem Raum stark abgebaut wird. Niemand sollte sich wundern, wenn es da ein Nachfragedefizit gibt. Die Jugendlichen sind gar nicht so unwissend und so unsicher bei der Einschätzung der Chancen und Perspektiven ihres zukünftigen Beruf es.

(Zuruf von der SPD: Der Bundeskanzler will die Chemie doch erhalten!)

Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Situation der Mädchen zu sprechen kommen. Dazu gibt es eine wirklich magere Statistik der Bundesanstalt für Arbeit, und daraus muß man sich die Zahlen dann auch noch heraussuchen. Da gibt es in der Berufsgruppe Körperpflege, Gästebetreuung, Hauswirtschaft und Reinigung ca. 4 300 Angebote, aber 14 800 Nachfragen. Überwiegend sind das wahrscheinlich Mädchen. Bei Waren- und Dienstleistungskaufleuten — ich dachte immer, nur wir in der ehemaligen DDR hatten so tolle Berufsbezeichnungen — gibt es ca. 9 500 Angebote, aber 20 000 Bewerber. Auch hier sind das erfahrungsgemäß vorwiegend Mädchen. Laut einer Sonderauswertung des Bundesinstituts für berufliche Bildung gibt es auch in den Gesundheits-, Sozial- und Erziehungsberufen ein Angebotsdefizit von 35 %. Gerade diese Berufe sind es, die vorwiegend von Mädchen ergriffen werden. In diesem Bereich ist das Problem noch nicht einmal quantitativ gelöst, von der Qualität möchte ich hier gar nicht reden. Ich frage Sie: In welchen Berufen sind die Mädchen wohl untergekommen?
Grundsätzlich steht also die Beantwortung der Frage nach der Qualität von Ausbildungsplätzen noch aus. Die laut Statistik 37 % außerbetrieblichen Ausbildungsplätze sind zwar besser als überhaupt keine, aber eine Ausbildung, die nicht praxisorientiert ist, zieht nach der Lehrzeit automatisch entweder einen fehlenden Arbeitsplatz oder eine notwendige zusätzliche Qualifizierung nach sich.
Ich weiß nicht, ob man jetzt schon, da es in vielen Bereichen noch keine gesicherten Zahlen über Berufsstruktur, Aufteilung der Plätze zwischen Jungen und Mädchen, „Konkurslehrlinge" usw., gibt, Herr Minister Ortleb, von einem Bombenerfolg sprechen kann. Aber vielleicht haben Sie, Herr Minister, mit Ihrer Formulierung des Bombenerfolgs ein ganz treffendes Bild entworfen; denn eine Bombe wirbelt ja
bekanntlich Staub auf, und anschließend wird alles gleichmäßig verteilt. Es gibt eine kreisförmige Vertiefung.

(Doris Odendahl [SPD]: Einen Krater!)

Ich weiß aber aus meinem Designstudium: Ein Kreis ist ein richtungsloses Gebilde, d. h. die Richtung fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die SPD gibt sich erst dann zufrieden, wenn Sie auch in Richtung der Qualität von Ausbildungsplätzen nachzudenken beginnen.
Ich danke.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205212500
Das Wort hat der Abgeordnete Meckelburg.

Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1205212600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben allen Grund dazu, offensiv, mutig und erfreut mit der Lehrstellenbilanz 1991 umzugehen. Mehr als 145 000 junge Menschen hatten sich in den vergangenen zwölf Monaten bei den Arbeitsämtern in den neuen Bundesländern als Ausbildungsplatzbewerber gemeldet. Das ist mehr, als wir erwartet haben. Wir waren überrascht über die hohe Quote. Unversorgt geblieben sind noch knapp 2 500 bei gleichzeitig rund 6 600 offenen Ausbildungsplätzen.
Eine beachtliche Bilanz, ein beachtlicher Erfolg, zu dem Engagement und die unterschiedlichen Maßnahmen aller Beteiligten beigetragen haben: Bundesregierung, Länderregierungen, Bundesanstalt für Arbeit, Treuhandanstalt, Wirtschaft, Handwerk usw. Die Bilanz steht, und wir wissen, wessen Verdienst sie ist.
Horrorszenarien, meine Damen und Herren von der SPD, sind nicht in Erfüllung gegangen.

(Zurufe von der SPD: Na! Na!)

— Ich kann mich an das erinnern, was wir hier im Februar erlebt haben. Das waren in der Tat Horror-szenarien. Im Frühjahr 1991 erwartete beispielsweise auch der Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß 50 % der ostdeutschen Ausbildungsplatzbewerber bei der Suche nach einer Lehrstelle auf der Strecke bleiben würden. Das ist doch alles nicht eingetreten. Und Anfang Juni hat die SPD-Bundestagsfraktion das große Lehrstellenfiasko geradezu herbeigeredet; sie sprach von unzähligen Jugendlichen, die im Herbst ohne Ausbildungsplatz auf der Straße stehen würden.
Das ist ein unseriöses Zahlenspiel. So hat es auch der Bonner „General-Anzeiger" bezeichnet. Die Opposition hat sich damit auf ein gefährliches Glatteis begeben, auf dem sie jetzt auch im Sturzflug ausgerutscht ist. Eine verdiente Quittung, meine ich, für jemanden, der Prognosen zu einem Zeitpunkt abgibt,



Wolfgang Meckelburg
wo sich eine Entwicklung noch in vollem Gang befindet.

(Günter Rixe [SPD]: Sie rutschen auf Ihren Zahlen aus! Das ist das Problem!)

Das war ein bißchen zu früh. Da haben Sie zu scharf geschossen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Im Sommer 1991 war noch gar nicht abzusehen, wie sich die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft tatsächlich entfalten würde und welche Konturen das Bildungsverhalten der jungen Leute in der ehemaligen DDR annehmen würde. Das sind ja Dinge, über die wir häufig geredet haben. In diesem Zusammenhang muß ich sagen: Das Aktionsprogramm der SPD ist eine Mogelpackung gewesen; denn die Dinge waren längst in Gang gekommen. Sie wollten nur, daß der Name SPD auf dem Beipackzettel erscheint. Aber da waren Sie ein bißchen zu spät dran.

(Beifall bei der CDU/CSU) Richten wir den Blick nach vorn.


(Zurufe von der SPD: Ja!)

Nichts anderes sind wir den jungen Menschen in unserem Lande schuldig. Bei aller Freude über die Lehrstellenbilanz, die die CDU/CSU-Fraktion heute natürlich gerne zur Kenntnis nimmt, reicht es nicht, mit Hauruckparolen über die Probleme, die es noch gibt und die auch noch entstehen werden, hinwegzutönen. Wir werden weiterhin aktiv bleiben müssen; denn 1992 wird ein weiteres schweres Jahr auf dem Ausbildungsmarkt werden.
Wir müssen erstens darauf achten, daß in den neuen Bundesländern in den richtigen Berufen ausgebildet wird, d. h. wir müssen fragen — vielleicht schaffen wir im nächsten Jahr mehr Gemeinsamkeit —:

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wie wird in Branchen und Gewerben ausgebildet, deren Ausbildung auf eine entsprechende Nachfrage trifft?
Wir müssen zweitens darauf achten, daß die Ausbildung in den neuen Ländern qualitativ gewinnt — auch da stimmen wir, glaube ich, überein — und sich immer mehr an die Standards, die in Westdeutschland herrschen, angleicht. Dafür wird ein beständiges Streben nach technischer Innovation notwendig sein.
Wir müssen drittens darauf achten, daß die derzeit hohe Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze reduziert und durch Lehrstellen in den Betrieben und Verwaltungen ersetzt wird. Da bin ich dankbar, Herr Rixe, daß Sie das in der Deutlichkeit hier gesagt haben.
Lassen Sie uns deswegen 1992 mit derselben Energie wie 1991 an die Lösung der Probleme herangehen. Ich erwarte von Ihnen ein bißchen mehr aktive Unterstützung und nicht das Rummäkeln und Kritisieren.

(Lachen bei der SPD — Dr. Margret FunkeSchmitt-Rink [FDP]: Mehr Gelassenheit wollen wir von der SPD!)

— Natürlich Gelassenheit. Das wäre vielleicht der erste Schritt.
Lassen Sie uns zweitens den Schwerpunkt stärker als bisher auf das duale System legen, und lassen Sie uns von hier aus heute auch den Appell an alle Beteiligten richten — das ist wichtig — , genauso intensiv und engagiert mitzumachen wie in diesem Jahr. Dann bin ich sicher, Frau Odendahl, daß wir im Jahre 1992 zu einem ähnlich guten Ergebnis kommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205212700
Nun erteile ich dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Professor Ortleb, das Wort.

(Doris Odendahl [SPD]: Jetzt kommen die 45 000!)


Prof. Dr. Rainer Ortleb (FDP):
Rede ID: ID1205212800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Odendahl ist in voller Erwartung, woher ich die 45 000 hole. Ich habe das beim Herlaufen hier vernommen. Aber lassen Sie mich zunächst bitte bei meiner Linie der Darstellung bleiben. Natürlich bin ich meiner Presseabteilung sehr dankbar, daß sie mir geraten hat, „Bombenerfolg" zu formulieren, weil dann wenigstens deutlich wird, daß „Erfolg" das wichtigste Wort dabei gewesen ist. Den etwas militanten Vergleich finde ich selbst nicht sehr glücklich; das gebe ich hier unumwunden zu.

(Beifall und Zurufe von der SPD)

Aber ansonsten möchte ich mir den Erfolg nicht wegreden lassen, Herr Rixe, da sind wir uns völlig einig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe bei dieser Gelegenheit auch nicht die Absicht, mich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen; ich werde abschließend noch nennen, worin eigentlich die gravierenden Probleme bestehen. In der alten DDR sagte man, ein marxistisch-leninistischer Philosoph sei jemand, der in einem dunklen Zimmer eine schwarze Katze sucht, obwohl er genau weiß, daß diese Katze gar nicht da ist.

(Günter Rixe [SPD]: Es gibt sie!)

— Herr Rixe, wenn Sie sie mir bringen, können wir nämlich über die Problemlage im einzelnen sprechen. Meine erst ein Dreivierteljahr alte Erfahrung als Minister ist nämlich, daß der Betroffene nicht so schnell den Mund hält, sondern auch an den Zuständigen schreibt. Ich habe viele, viele Briefe zu ganz anderen Themen bekommen, aus denen ich weiß: Der noch so junge deutsche Bundesbürger versteckt sich nicht mit seinen Problemen, sondern tritt damit vor den, den er dafür verantwortlich machen kann und will.
Ich bin mir also völlig dessen bewußt: Wenn ich diese Klage von Betroffenen derzeit nicht spüre, dann muß ich davon ausgehen, daß die Situation entschärft ist, was zur „Bombe" ganz gut paßt.
Ich komme damit zu einem kleinen Schlaglicht: Qualität. Ich war vorige Woche in Waren, Partnerstadt im Westen ist Warendorf. Man hat sich wegen der Namensähnlichkeit gefunden. Dort ist ein Verbund in der Ausbildung entstanden, der derzeit außerbetrieblich ist. Ich habe die jungen Leute dort besucht, und



Bundesminister Dr. Rainer Ortleb
ich hatte das Gefühl, sie sind in ihrer Ausbildung vergnügt gewesen, froh, weil sie keine perspektivlose Ausbildung hatten. Die Ausbildung einer jungen Frisöse ist, weil die Köpfe nachwachsen werden, eine sichere Investition.

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Gucken Sie mal Herrn Guttmacher an oder mich! — Die Perspektiven des Alters will ich hier nicht weiter debattieren! — Heiterkeit)

Bei der Aufklärung — dieses Stichwort ist vorhin genannt worden — ist deutlich geworden, daß sich die dortige Kreishandwerkerschaft völlig bewußt ist, daß sie derzeit außerbetrieblich, sozusagen initialisierend, ausbildet, aber den überbetrieblichen Gedanken längst im Hinterkopf hat.
Hier ist genau das geschehen — ich komme zu einer gewissen Auflistung der Dinge — was wir tun müssen, nämlich wie in der alten Bundesrepublik überbetriebliche Ausbildungsstätten gefördert worden sind, muß das natürlich im Osten genauso geschehen. Damit entsteht automatisch, daß manche außerbetrieblich angelegte Ausbildung wohlüberlegt in eine überbetriebliche Ausbildung übergeführt werden kann. Es muß nur von unten die Wirtschaftsstruktur nachwachsen. Unsere Erfahrung: Wirtschaft und Ausbildungsangebot sind ein und dasselbe. Wenn das eine gesund, ist auch das andere gesund.
Ich bin sehr dankbar, daß es in dieser schwierigen Phase auch gelungen ist, daß die Treuhandanstalt Disziplin — wenn ich das harte Wort mal verwenden darf — gezeigt und dadurch dieses Konkurslehrling-Gespenst weitestgehend in Grenzen gehalten hat.

(Zuruf von der SPD: Da haben wir Ihnen aber schon helfen müssen!)

— Ich bin Ihnen für Ihre weite Vorausschau immer sehr dankbar; Sie erkennen ja alles rechtzeitig, und aus diesem Grund würde ich mich freuen, wenn Sie die 45 000 „Schwarzlehrlinge" eher finden als ich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt zu den ernsten Problemen. Wir müssen die Quote der derzeit außerbetrieblich Ausgebildeten günstiger gestalten. Das heißt mit anderen Worten, auch im Laufe dieses Jahres müssen wir versuchen, dort, wo betriebliche Strukturen nachwachsen, zum Wechseln anzuregen. Ich warne aber vor der Gefahr, daß als Ausbildung zweiter Klasse darzustellen. Das ist eine psychologische Belastung für die betroffenen Jugendlichen, die wir nicht hinnehmen können.
Ich denke wieder an Waren. Dort habe ich Ausbilder gesehen, die qualifiziert ausgebildet haben. Wir dürfen den Jugendlichen nicht erneut etwas einreden, was vielleicht dazu führt, daß man seinen Weg im Westen sucht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dieser Weg kann für die weitere wirtschaftliche Entwicklung im Osten nicht tragfähig sein.
Unsere Bemühungen waren nicht richtungslos. Als Mathematiker werde ich natürlich immer zum Rechnen angeregt. Wenn man die absolute Kreisgleichung untersucht, stellt man fest, daß alle Kreise die Eigenschaft gemeinsam haben, daß sie sich in der Ferngeraden in den Punkten 1 ± i schneiden. Da es aber nicht meine Aufgabe ist, das hier zu erklären, möchte ich für die Aufmerksamkeit danken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205212900
Nun hat der Abgeordnete Kuhlwein das Wort.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1205213000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Ortleb, ich erkläre es Ihnen gern noch einmal, obwohl ich nicht Mathematiker bin, wie es sich mit den 45 000 verhält. Uns liegt eine Statistik vor, wonach die Zahl der gemeldeten Bewerber 145 000 beträgt. Diese Zahl haben Sie selber verwendet. Nach dieser Statistik sind 122 000 Ausbildungsstellen gemeldet. Davon sind 22 000 verschwunden; es bleiben noch ungefähr 100 000 Ausbildungsstellen übrig. Am Ende kommen Sie aber zu einer Zahl der unvermittelten Bewerber von nur 2 000, d. h. 45 000 sind irgendwo anders verschwunden. Um diese werden wir uns kümmern müssen. Das werden wir vielleicht noch erfahren und lernen.
Wir wollen nicht unbedingt recht behalten, daß alles ganz mies wäre, sondern wir wollen mit dazu beitragen, daß alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen. Wenn in der Statistik 45 000 fehlen, dürfen wir als Opposition doch wohl Aufklärung darüber verlangen, ob die Bundesregierung dazu schon etwas sagen kann,

(Beifall bei der SPD)

ob das welche sind, die gar nichts mehr lernen wollen,

(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)

die vielleicht in den Fußballstadien nur noch Randale machen, weil sie sich nicht melden.
Wir sind der Meinung: Die Bundesregierung muß mit suchen. Da sind wir anderer Meinung als Sie. Sie haben nämlich eben gesagt, es sei nicht Aufgabe der Bundesregierung, danach zu suchen. Wir sind aber dieser Meinung. Vielleicht sind einige in Vollzeitberufsschulen gegangen, die anderen sind vielleicht nach Westen gegangen. Wahrscheinlich werden wir eine volle Aufklärung darüber erst im Dezember bekommen. Ich hoffe, daß das Bild dann noch so gut aussieht, wie Sie es hier an Hand der allerersten Zahlen vom 30. September dargestellt haben.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den größten Modellversuch auf dem Gebiet der Berufsausbildung. Von rund 100 000, die in Ausbildungsplätze vermittelt wurden, sind 37 000 in außerbetrieblicher Ausbildung. Herr Rixe hat gesagt: rund 40%. Das ist der größte Modellversuch im Bereich der Berufsausbildung in der Geschichte. Ich bin ebenfalls der Meinung: Auch außerbetrieblich kann sehr gute Arbeit geleistet werden. Aber wir waren nach langen Diskussionen in diesem Hause schließlich alle zu dem Schluß gekommen: Das System der dualen Ausbildung mit einer ordentlich funktionierenden Berufsschule, mit einer ordentlich funktionierenden überbetrieblichen Ausbildung ist wahrscheinlich für die meisten Berufe — ich sage das ganz vorsichtig — besser als eine voll-



Eckart Kuhlwein
zeitschulische oder voll außerbetriebliche Ausbildung.
Damit hängt natürlich das Problem zusammen, daß Sie eine Ausbildungsmoral vermitteln müssen. Damit müssen Sie morgen beginnen, damit sich nicht die neuen Unternehmer in den neuen Bundesländern
— Herr Rixe hat darauf hingewiesen — an eine Unter „nehmer "mentalität gewöhnen, die bedeutet: Der Staat richtet es schon, er bezahlt auch, wir brauchen diese Verpflichtung gar nicht wahrzunehmen.
Denjenigen, die eine solche Auffassung vertreten, sollte man sagen, daß es seit 1980 dazu eine einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt, die eindeutig aussagt, daß es im gewachsenen System der Bundesrepublik — nun auch im Osten —Aufgabe der Arbeitgeber ist, allen Jugendlichen, die das wollen, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/ CSU])

— Herr Kollege Lammert, wir haben alle gemeinsame Diskussionsprozesse mitgemacht. Wir sind am Ende zu dem Ergebnis gekommen, daß das duale System prinzipiell vernünftig ist, allerdings auch reformwürdig und -bedürftig. Das gilt auch für die Erfahrungen, die wir im westlichen Teil der Bundesrepublik bisher gemacht haben.

(Zuruf der Abg. Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU])

— Ja, Frau Kollegin.
Ich will noch zwei Fragen nach der Qualität aufwerfen. Die erste Frage lautet: Wie kommt es eigentlich, daß diese 37 000 außerbetrieblichen Ausbildungsplätze nicht irgendwie in regionale Entwicklungskonzepte mit eingebaut worden sind?
Der Kollege Rixe hat uns berichtet, daß er sich mit seiner Maßnahme, die er in Magdeburg mitentwickelt hat, darum bemüht hat, Bauhandwerker auszubilden
— Bauhandwerker werden in den neuen Ländern in den nächsten zehn Jahren in hohem Umfang gebraucht; da sind wir uns wahrscheinlich einig — , daß aber das Arbeitsamt ihm das verweigert hat. Statt dessen sind zweijährige Metallwerkerausbildungen genehmigt worden, von denen wir heute schon wissen, daß sie dort nicht nur regional, sondern generell höchstwahrscheinlich in die Arbeitslosigkeit führen werden.
Meine Damen und Herren, es gibt Verwerfungen im System Ost. Herr Pütz, der stellvertretende Generalsekretär des Bundesinstituts für Berufsbildung, Graf Waldburg, der Ihnen besonders nahesteht, hat vor Bildungspolitikern von CDU und CSU Anfang Oktober auf Verwerfungen zwischen Dienstleistungsbereich und gewerblich-technischem Bereich hingewiesen. Es gibt in den neuen Ländern viel zuwenig Angebote in Dienstleistungsberufen — ein Problem, daß wir in den alten Bundesländern auch kannten, aber in einer geringeren Dimension. Da muß etwas getan werden, da müssen auch die 37 000 außerbetrieblichen Plätze genutzt werden.
Auch müssen wir — das erwarten wir von der Bundesregierung — beim Ausbau der überbetrieblichen
Ausbildungsstätten sehr viel mehr tun. Da brauchen wir endlich ein Konzept, damit „drüben" mit unserem Entwicklungsstand der überbetrieblichen Ausbildungsplätze gleichgezogen werden kann.
Schlußbemerkung — denn hier vorne leuchtet schon die rote Lampe auf — : Wir mäkeln nicht, sondern wir erlauben uns als Opposition, notwendige Fragen zu stellen: nach der Qualität, nach der Zukunftsfähigkeit von Ausbildung, nach dem Verbleib aller Jugendlichen; denn wir wollen Ausbildung für alle Jugendlichen. Und wir erlauben uns, die Frage nach den Vorstellungen über die Strukturen der Zukunft zu stellen.
Kassandra freut sich manchmal, wenn sie am Ende nicht recht behält. Sie haben noch nicht ganz bewiesen, daß unsere Warnungen umsonst gewesen wären.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205213100
Nun erteile ich als letztem dem Abgeordneten Hollerith das Wort.

Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1205213200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde zeigt: Der Erfolg der Bundesregierung,

(Günter Rixe [SPD]: Nicht der Bundesregierung!)

der Erfolg des Ausbildungsplatzförderprogramms Ost, der Erfolg der Ausbilder in den Betrieben der neuen Bundesländer ist eingetreten. Die SPD hat uns im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft im Frühjahr die Zukunft in grauen, düsteren Farben negativ ausgemalt. Die Wirklichkeit heute ist hell. Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern haben Ausbildungsplätze erhalten.

(Günter Rixe [SPD]: Sie waren noch nicht „drüben", Sie waren noch nicht in Sachsen!)

Wir haben 2 400 Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, und 6 700 unbesetzte Ausbildungsstellen in den neuen Ländern.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können den Erfolg des Ausbildungsprogramms der Bundesregierung, der Länder, die Leistungen der Wirtschaft, der Ausbilder nicht dadurch zerreden,

(Günter Rixe [SPD]: Das tun wir auch gar nicht!)

daß Sie jetzt, nachdem Sie gesehen haben, daß Sie hinsichtlich der Quantität nicht recht bekommen haben, die Qualitätsdiskussion beginnen wollen.
Allerdings, meine Damen und Herren, haben wir im nächsten Jahr weitere Aufgaben zu bewältigen.

(Zuruf von der SPI): Sehr gut!)

Erstens. Es geht weiter darum, die Qualifizierung der Meister und Ausbilder zu leisten. Es wird darum gehen — in diesem Punkt stimme ich mit der Opposition ausdrücklich überein —, daß wir die Verwerfung



Josef Hollerith
zwischen überbetrieblicher und betrieblicher Ausbildung beseitigen, daß wir wieder zu einer stärkeren Orientierung hin zu der Ausbildung in den Betrieben kommen.
Wir haben — zweitens — die Aufgabe, zu versuchen, das Ungleichgewicht, das sich zu Lasten der Mädchen eingestellt hat, zu beseitigen. Von den nicht vermittelten Bewerbern in den neuen Bundesländern sind 56 % Mädchen.
Der Umstand, daß sich die Mädchen, die einen Ausbildungsplatz haben, nur auf zehn Berufsfelder konzentrieren, bedeutet für uns ein weiteres Arbeitsfeld. Das ist offensichtlich eine Auswirkung aus der Zeit der sozialistischen Planwirtschaft, als die Mädchen in die gewerblichen Berufsbilder gedrängt wurden. Diese Entwicklung ist ein Rückschlag, auch deshalb, weil sie heute kaufmännische, hauswirtschaftliche Fächer und Berufsbilder bevorzugen.
Schließlich drittens: Meine Damen und Herren, ich meine, daß wir auch in den neuen Bundesländern in wichtigen Branchen und Berufsfeldern keinen Mangel an Ausbildungsstätten, an Ausbildungsplätzen, wohl aber einen gravierenden Mangel an Lehrlingen, an Ausbildungswilligen in wichtigen Bereichen haben werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich nenne aus der Sparte der Handwerker die Zimmerer, die Maurer, die Klempner, die Installateure, die Dachdecker, die wir alle dringend benötigen, um das Land aufzubauen, die Wohnungen, die dringend notwendig sind, zu schaffen und die alten Wohnungen, die alten Plattenbauten, zu sanieren.

(Zuruf des Abg. Günter Rixe [SPD]) Auch darum muß es gehen.

Der Markt und die Bezahlung der Meister und der Facharbeiter, die besser als die mancher Akademiker sein wird, werden einen wichtigen Beitrag leisten, übrigens auch in den alten Bundesländern.

(Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink [FDP]: Auch da haben wir abzugeben!)

Es ist eine Aufgabe auch der Politik und der Gesellschaft, diejenigen, die eine Berufsausbildung in praktischen Fächern absolvieren, in der gesellschaftlichen Anerkennung und der Wertschätzung zumindest denen gleichzustellen, die eine akademische Ausbildung an der Universität betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD — Günter Rixe [SPD]: Sehen Sie: Dafür bin auch ich! Da kommen wir einander entgegen!)

Dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen; man darf sie nicht nur dem einen oder dem anderen zuschieben.
Es wurde die Frage gestellt: Wo sind denn die 45 000? — Sie leben!

(Heiterkeit bei der FDP)

Sie leben, und sie freuen sich ihres Lebens in Freiheit und in der Sozialen Marktwirtschaft. Sie freuen sich, daß sie endlich die sozialistische Kommandowirtschaft und die Situation, in der DDR eingesperrt zu
sein, hinter sich lassen konnten. Sie leben vielleicht auch im Westen.
Aber im Ernst: Ich meine, von diesen 45 000 verschwinden Tausende aus der Statistik, weil sie doppelt und dreifach gezählt wurden, da sich diese jungen Leute mehrfach beworben hatten.

(Günter Rixe [SPD]: Nein, die Zahlen stimmen! Die Schulabgänger sind nicht weniger geworden!)

Viele verschwinden, weil sie weiterführende Schulen besuchen werden,

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Es geht um die Zahl der Schulabgänger, und die sind statistisch erfaßbar!)

da die Restriktionen weggefallen sind, die sie vorher gehindert hatten, eine weiterführende Schule zu besuchen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

Sicher sind einige von ihnen in die alten Bundesländer übergesiedelt.

(Zuruf von der FDP: Grenzgänger!)

Das werden wir am Jahresende sehen. Es sind Grenzgänger dabei. Ich bin froh, daß diese jungen Menschen in den alten Bundesländern Arbeit finden und Lohn erwirtschaften.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205213300
Herr Abgeordneter, da sich alle Redner eigentlich relativ gut an die Redezeit gehalten haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir nicht zum Schluß noch Arger bereiten würden.

Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1205213400
Ich komme nach dieser Ermahnung zum Schluß.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Günter Rixe [SPD]: Er hat zur Aufklärung beigetragen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205213500
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache 12/1380 —
Ich rufe zunächst die dringlichen Fragen auf.
Hierfür steht uns der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, zur Verfügung.
Der Staatsminister sollte jetzt eigentlich die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Claus Jäger beantworten. Aber der Abgeordnete Jäger ist nicht anwesend.

(Günter Rixe [SPD]: Das ist auch nicht so schlecht!)

— Ich bitte, sich dieser Bewertung zu enthalten.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Wallow auf:



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit der letzten Sitzungswoche des Bundestages bilateral gegenüber der Türkei oder über das NATO-Bündnis bzw. die UNO ergriffen und wird sie noch ergreifen, um die gewaltsame Bekämpfung und Unterdrückung der kurdischen Minderheit durch die Türkei zu verhindern?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1205213600
Die Bundesregierung nutzt generell alle Mittel, um auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage und des Minderheitenschutzes in der Türkei hinzuwirken.
Ihre Frage zielt offensichtlich konkret auf die sogenannten Vergeltungsaktionen im Nordirak. Bundesminister Genscher hat sich hierzu deutlich und öffentlich geäußert. Die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit in zahlreichen Gesprächen mit der türkischen Regierung wiederholt auf diese Erklärung und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien hingewiesen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205213700
Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Wallow.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205213800
Herr Staatsminister, liegen dem Auswärtigen Amt Informationen vor, daß die sogenannten Vergeltungsaktionen, wie Sie das nennen, 36 Einsätze der türkischen Luftwaffe gegen vier kurdische Dörfer waren, die mit Napalm und Phosphor diese vier Dörfer, die ich Ihnen alle namentlich nennen kann, bombardiert hat?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Meldungen über zivile Opfer sind unbestätigt.

(Hans Wallow [SPD]: Die Frage danach habe ich nicht gestellt!)

— Sie haben danach gefragt, ob Dörfer in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Enschuldigung!

(Hans Wallow [SPD]: Ich habe nach Bombardierungen gefragt!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205213900
Wir wollen erst einmal die Antwort abwarten.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Die Bundesregierung — das darf ich noch einmal sehr ausdrücklich sagen — besteht mit Nachdruck darauf, daß bestehende Zweifel, inwieweit zivile Ziele betroffen sind, restlos aufgeklärt werden. Die türkische Regierung ist dieser Forderung hinsichtlich der letzten Militäraktionen weitgehend nachgekommen. Außerdem steht die Bundesregierung in Kontakt mit irakisch-kurdischen Organisationen. Der Bundesminister hat am 21. Oktober ein ausführliches Gespräch mit dem irakischen Kurdenführer Talabani auch zu diesem Thema geführt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205214000
Herr Abgeordneter Wallow, bitte schön.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205214100
Herr Staatsminister, das NATO-Land Türkei lieferte uns in diesem Jahr 18 700 Asylbewerber. Bis zum 25. Oktober waren es in diesem Monat 2 090. Wenn man sich aus politisch-ethischen Motiven heraus nicht in der Lage sieht, die Militäreinsätze zu kritisieren, kann die Bundesregierung dann wenigstens aus eigenem Interesse heraus für
den Wegfall der Fluchtursachen, die ganz offenkundig die Repressionen und die militärischen Angriffe sind, sorgen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe Sie akustisch nicht verstanden. Sie sagten: Die Türkei liefert uns pro Jahr . . ., und dann nannten Sie eine Zahl. Aber dann war das Mikrophon offensichtlich aus.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205214200
Es gibt allein in diesem Jahr bisher 18 700 Asylbewerber aus der Türkei. Die meisten davon sind Kurden. Sie werden bei uns auf Grund der politischen Situation in der Türkei, einem NATO- Land, als Flüchtlinge anerkannt.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann hier schlecht, weil ich nicht das Innenministerium vertrete, nachprüfen,

(Hans Wallow [SPD]: Das sind Zahlen des Innenministeriums!)

ob es sich vorwiegend um Kurden handelt, die aus politischen Gründen hier um Asyl nachsuchen. Ich kann dazu nur sagen, daß die Angelegenheit, die Sie in der ersten Frage sehr deutlich herausgestellt haben, uns beschäftigt, daß wir der Türkei gegenüber deutlich gemacht haben, daß wir Angriffe dieser Art nicht für richtig halten, daß die Türkei andererseits bemüht ist, deutlich zu machen, daß die Angriffe ausschließlich — die Türkei bezieht sich zum Teil auf Photographien, die sie den Botschaftern vorgelegt hat — Lagern der sogenannten PKK im Nordirak gelten, von denen aus systematisch und dauernd Angriffe terroristischer Art auf die Türkei, auf ihr Militär, vorgenommen werden. Ich muß in diesem Zusammenhang auch sehr deutlich sagen: Wir beklagen natürlich auch die Opfer, die die Türkei durch die Terrororganisation PKK zu beklagen hat. Wir sollten das bitte nicht übersehen. Trotz allem vertreten wir den Standpunkt, daß die Türkei sich an die von uns allen in Europa als menschenrechtliche Fundamente angesehenen Rechte zu halten hat und daß andererseits fortgesetzte Angriffe auch gegenüber der Türkei zur Sprache gebracht werden müssen, daß wir auch bemüht sein müssen, daß derartige Angriffe aufhören, und daß eine Lösung des Grundproblems auf andere Weise versucht wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205214300
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205214400
Herr Präsident, erlauben Sie mir einen kurzen Vorspruch, weil ich etwas richtigstellen möchte. Ich hatte in der letzten Fragestunde in einer Form gefragt, bei der ich behauptet habe, daß die Bundesregierung von der türkischen Seite vorab über die bevorstehenden Angriffe auf irakisches Territorium informiert worden sei. Sie, Herr Staatsminister, haben mir mitgeteilt, daß das nicht der Fall gewesen sei. Unser Botschafter sei von der türkischen Regierung informiert worden — wie auch die Presse — von der zeitgleich stattfindenden Bombardierung von Zielen auf dem irakischen Territorium durch die türkische Luftwaffe. Ich möchte deshalb das, was ich damals gesagt habe, zurücknehmen. Es war offenbar falsch. Aber jetzt komme ich zu meiner Frage.



Norbert Gansel
In demselben Brief haben Sie mir mitgeteilt, daß bei dieser zeitgleichen Information Botschafter Eickhoff zum Ausdruck gebracht habe, daß die Bundesregierung davon ausgehe, daß diesmal keine zivilen Ziele im Irak bombardiert würden. Bedeutet das, daß die Bundesregierung es akzeptiert, daß die Türkei unter Verletzung der irakischen Souveränität — wozu nur die UNO berechtigt ist — andere Ziele im Irak bombardiert? Wenn die Bundesregierung das nicht akzeptiert, in welcher Form hat die Bundesregierung dagegen protestiert?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe versucht, klarzumachen, daß die Türkei bei ihrer Argumentation betreffend die Angriffe auf, wie sie sagt, ausschließlich terroristische Lager der PKK, die im Nordirak angesiedelt sind und bei denen es sich ausschließlich um türkische Kurden und nicht etwa um irakische Kurden handele, von dem Recht ausgeht, sich gegen diese Übergriffe vorn Territorium des Irak aus auf die Türkei zu wehren. Das ist im einzelnen nicht nachzuprüfen. Wie Sie wissen, ist das sehr schwierig.
Die Türkei ist von uns immer wieder darauf hingewiesen worden, daß unsere Einstellung zu den möglichen Auswirkungen klar ist, die das Vorgehen der türkischen Streitkräfte auch auf die Zivilbevölkerung haben kann. Ich gehe davon aus, daß unsere Einlassungen gegenüber der Türkei sehr deutlich gemacht haben, daß wir auch unter Berücksichtigung dessen, daß Angriffe einer Terrororganisation auch auf türkische Streitkräfte und türkische Dörfer mit Tausenden von Toten im Laufe der letzten Jahre — auch das muß man hier sehen — stattgefunden haben, die Frage stellen müssen, ob die Mittel, die die Türkei wählt, berechtigt sind. Wir haben über unsere Meinung dazu keinen Zweifel gelassen.
Wir haben auch die Frage der völkerrechtlichen Auswirkungen durch die Erklärung von Bundesaußenminister Genscher schon sehr früh angesprochen. Ich kann nur sagen, daß wir in dieser Frage durchaus Ihren Vorstellungen folgen, die Türkei darauf hinzuweisen, daß derartige fortgesetzte Angriffe natürlich zu internationalen Konsequenzen führen werden, z. B. auch zu Diskussionen im Deutschen Bundestag.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205214500
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Opel.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1205214600
Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal nach den Aktivitäten der Bundesregierung in der NATO fragen. Die NATO behauptet von sich immer — und das sicherlich zu Recht — , sie sei das Bündnis freier Nationen und lege Wert darauf, Rechtsstaatlichkeit zu pflegen und alles zu unternehmen, um Völkerrechtsverletzungen zu unterbinden oder zu unterlassen. Wenn das so ist, müßte dann nicht die Bundesregierung noch mehr, als Sie es bereits dargestellt haben, die NATO auffordern, die Türkei zu zwingen, diese ganz offensichtlich völkerrechtswidrigen Maßnahmen zu unterlassen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich darf ergänzend zu dem bilateralen Verhältnis, das hier angesprochen worden ist — ich nehme Bezug auf
die Einlassungen von Botschafter Eickhoff —, darauf hinweisen, daß die Türkei bei den Briefings im Zusammenhang mit diesen Vorgängen die NATO-Botschafter eingeladen hat. Sie hat den NATO-Botschaftern Material vorgelegt, mit dem sie ihre Angriffe begründet und das den Anschein erweckt hat, daß es sich nicht um zivile Ziele handelt. Aber ich glaube, es gibt zwischen den NATO-Verbündeten keinen Dissens in der Frage, daß sich auch die Türkei an die in der NATO geltenden Werte und Völkerrechte zu halten hat. Das ist bei den Gesprächen, die die NATO- Botschafter im türkischen Außenministerium geführt haben, zum Ausdruck gebracht worden.

(Manfred Opel [SPD]: Kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung das auch tut?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205214700
Jetzt stellt Abgeordneter Bindig eine Zusatzfrage.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1205214800
Da sich die Türkei nun seit längerer Zeit trotz vielfältiger Hinweise und Ermahnungen, die sie erhält — auch von seiten der Bundesregierung — , offensichtlich nicht anschickt, den Grundwerten, die wir in Europa gemeinsam tragen und pflegen wollen, gerecht zu werden, frage ich Sie: Meinen Sie nicht, daß jetzt doch allmählich der Zeitpunkt gekommen ist, wo von der Bundesrepublik Deutschland aus eine Initiative ergriffen werden sollte, bei den anderen europäischen Staaten zumindest einmal nachzufragen — insbesondere bei den Europaratsstaaten —, ob man nicht eine Staatenbeschwerde nach der Europäischen Menschenrechtskonvention gegen die Türkei in Gang bringen sollte? Wie Sie wissen, habe ich Sie dazu auch schon schriftlich befragt. Meinen Sie nicht, daß jetzt endlich der Zeitpunkt zu einer solchen Initiative gekommen ist?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Wir haben uns vor 14 Tagen mit dieser Angelegenheit befaßt. Wir haben in der Türkei inzwischen erneut interveniert. Ich gehe davon aus, daß der Türkei bewußt ist, daß eine Fortsetzung solcher Angriffe zu solchen Schritten führen kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205214900
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205215000
Herr Staatsminister, Sie sind vorhin davon ausgegangen, daß die Ziele, die die türkische Luftwaffe angegriffen hat, ausgewiesenermaßen militärische Ziele sind. Kann man in einem Guerillakrieg, wie es dieser wohl ist, überhaupt von statischen Zielen ausgehen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin nicht davon ausgegangen, daß das der Fall ist. Ich habe lediglich die türkische Begründung zitiert, die den NATO-Botschaftern und Botschafter Eickhoff gegeben worden ist, wobei Materialien — Luftaufnahmen und andere Details — vorgelegt wurden, aus denen nach türkischer Einschätzung hervorgeht, daß die Türkei eben nicht zivile Ziele angegriffen hat, sondern Lager der türkischen Organisation PKK, die von dem Territorium des benachbarten Irak aus Angriffe auf die Türkei unternimmt und die man nur dort bekämp-



Staatsminister Helmut Schäfer
fen kann, wo sie stationiert ist. In diesem Gebiet gibt es keine Kontrollen, auch nicht des irakischen Militärs, so daß die Lage relativ unübersichtlich ist.
Die Türkei leitet also ihre Maßnahmen von den Übergriffen ab, die von diesen Lagern aus auf die Türkei erfolgen und die zu großen Opfern unter der türkischen Zivilbevölkerung und auch unter dem türkischen Militär geführt haben.
Ich will das im einzelnen hier nicht bewerten. Wir haben der Türkei sehr deutlich gemacht, daß es auch hier im Deutschen Bundestag Zweifel gibt.
Ich hatte auf andere Fälle hingewiesen; es gab über lange Zeit hinweg — fast wöchentlich — ähnliche Vorfälle im Libanon. Auch hier wurde behauptet, es habe sich ausschließlich um Ziele von terroristischen Organisationen gehandelt. Es ist bekannt, daß dort auch die Zivilbevölkerung betroffen wurde. Es ist sehr schwer zu glauben, daß die Zivilbevölkerung nach solchen Angriffen ohne jeden Schaden davonkommt. Wir müssen aber zunächst einmal die Argumentation der Türkei und auch die Tätigkeit dieser türkischen Organisation, die vom Irak aus operiert, zur Kenntnis nehmen.
Ich kann wiederum nur sagen: Wir bemühen uns bei der Türkei um Verständnis dafür, daß wir über diese Vorgänge besorgt sind. Wir und auch Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages können eben nicht ausschließen, daß die Zivilbevölkerung darunter leidet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205215100
Zusatzfrage des Abgeordneten Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1205215200
Herr Staatsminister, bedauert die Bundesregierung, daß sie sich in ihren Bemühungen gegenüber der Türkei, wie Sie es gerade sagten, möglicherweise von anderen Partnern westlicher Demokratie nicht ausreichend unterstützt fühlt, und haben Sie den Eindruck, daß es in dieser Frage überhaupt keine einheitliche Politik der NATO-Verbündeten gegenüber der Türkei gibt, und was wollen Sie dagegen tun?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, bei 16 Staaten, die einem Bündnis angehören, gibt es immer wieder verschiedene Auffassungen, wie man in bestimmten Fällen handeln soll. Ich kann hier aber nicht sagen, daß dies eine singuläre Auffassung der Deutschen sei. Es ist richtig, daß die Angelegenheit bei uns im Vergleich zu anderen NATO-Staaten ganz besonders häufig zur Sprache gekommen ist. Ich kann aber nicht sagen, daß wir uns bemühen wollen, andere NATO-Staaten von der Richtigkeit unserer moralischen Einstellung zu überzeugen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205215300
Herr Staatsminister, der Abgeordnete Jäger hat mir mitgeteilt, daß er unglücklicherweise im Aufzug steckengeblieben ist. Ich nehme an, daß Sie nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ich mir erlaube, Frage 1 nunmehr aufzurufen:
Wird die Bundesregierung die EG-Mitgliedstaaten noch in dieser Woche auffordern, energische Maßnahmen für eine sofortige Beendigung des Blutvergießens in Kroatien und der Zerstörung zahlreicher kroatischer Städte zu ergreifen, da die serbisch kontrollierte jugoslawische Armee Waffenstillstandszusagen zum wiederholten Male nicht eingehalten hat?

(Norbert Gansel [SPD]: Es kommt darauf an, wohin er mit dem Aufzug wollte! Wenn er in die Kantine wollte, gilt das nicht!)

— Herr Abgeordneter Gansel, das werde ich jetzt hier nicht vertiefend untersuchen. Ich werde vielmehr den Staatsminister bitten, die Beantwortung der Frage 1 des Abgeordneten Jäger vorzunehmen.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Präsident, ich gehe mit Ihnen einig, daß ich anerkenne, daß Herr Jäger im Aufzug steckengeblieben ist. Ich bin deshalb gerne bereit, ihm nachträglich, nach diesem Zwischenfall, auf die Frage zu antworten.
Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben am 28. Oktober Serbien aufgefordert, seine Verweigerungshaltung aufzugeben und konstruktiv am Haager Verhandlungsprozeß teilzunehmen. Für den Fall, daß Serbien seine Haltung bis zum nächsten Plenum der Friedenskonferenz am 5. November nicht revidiert, muß es sich auf die Verhängung von Sanktionen einstellen. Die Entscheidung hierüber wird von den Außenministern der EG am 7. November in Rom gefällt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205215400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205215500
Herr Staatsminister, können Sie schon etwas darüber sagen, welche Vorschläge die Bundesregierung im Hinblick auf eine nach den letzten serbischen Äußerungen zu erwartende Weigerung Serbiens machen wird, um die EG zu solchen Sanktionen zu veranlassen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich hier nicht alle Vorstellungen, die zur Zeit erörtert werden, schon offenlegen kann. Es handelt sich um Sanktionen, die sicher Wirkung zeigen werden; dabei ist eine ganze Reihe von einzelnen Sanktionen gemeint. Natürlich werden deren Auswirkungen auf die Nachbarstaaten überprüft. Wir stehen zur Zeit im Gespräch mit den anderen EG- Staaten, damit wir rechtzeitig in der Lage sind, eine solche Liste von Sanktionen vorzulegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205215600
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1205215700
Herr Staatsminister, wird zu diesen Sanktionen auch die völkerrechtliche Anerkennung derjenigen Republiken, die sich selbst für unabhängig erklärt haben, gehören, was die Möglichkeit eröffnen würde, die ganze Sache vor dem Forum der Vereinten Nationen wirkungsvoll zur Sprache zu bringen und damit vielleicht von dort her zusätzliche Sanktionen in Gang zu bringen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es ist keineswegs so, daß sich die Vereinten Nationen erst nach der völkerrechtlichen Anerkennung der um Anerkennung bittenden Republiken mit dieser Angelegenheit befassen können. Im Gegenteil: Wir sind sogar der Meinung, daß wir, wenn die EG Sanktionen



Staatsminister Helmut Schäfer
verhängt, die UN bitten sollten, solche Sanktionen zu übernehmen. Dazu bedarf es keiner völkerrechtlichen Anerkennung, wenn ich das recht verstehe. In dieser Angelegenheit gab es ja schon Diskussionen bei den Vereinten Nationen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205215800
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205215900
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung Informationen bestätigen oder dementieren, daß die jugoslawische Bundesregierung und die serbische Regierung Guthaben bei deutschen Banken in Erwartung von Sanktionen nach außerhalb Europas, insbesondere nach China und nach Kuba, in Sicherheit bringen, und wenn ja, wie können Ansprüche der Bundesrepublik oder deutscher Gläubiger gegen die jugoslawische Bundesregierung und gegen Serbien gesichert werden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann diese Frage bedauerlicherweise nicht beantworten, weil mir diese Informationen nicht vorliegen, insbesondere keine Informationen darüber, daß Geld von europäischen oder deutschen Banken verlagert wird. Ich gehe der Angelegenheit gerne nach und kann Sie dann schriftlich informieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216000
Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1205216100
Angesichts der besonders schwierigen Situation in der Region um Dubrovnik möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung — auch im Rahmen der EG — Überlegungen anstellt, wie dieser Stadt und den Menschen dort aktuell geholfen werden kann.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Die Frage Dubrovnik hat natürlich gerade in den letzten Tagen bei den Interventionen der Europäischen Gemeinschaft eine große Rolle gespielt. Wie Sie wissen, haben die für diese Angriffe Verantwortlichen die Angriffe inzwischen eingestellt, weil es ganz heftige Proteste gegeben hat und weil auch ganz offensichtlich deutlich geworden ist, daß die Weltöffentlichkeit noch mehr als bisher mit diesen Vorgängen befaßt wurde, auch außerhalb unserer Medien.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216200
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwarz.

Stefan Schwarz (CDU):
Rede ID: ID1205216300
Herr Staatsminister, wie gedenkt sich die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einzusetzen, um dem Eindruck entgegenzutreten, daß die Europäer zwar mahnend Kommentare geben, um Völkermord zu verhindern, aber insgesamt doch recht wehrlos sind, und wie wird das mit den Anstrengungen zur Belebung und Intensivierung der Europäischen Politischen Union koordiniert, bei der wir ja auch viel über die Frage der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im Rahmen der EG reden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich nicht sagen, ob diese Bewertung der Haltung der Europäischen Gemeinschaft nun weltweit vorhanden ist oder sich insbesondere auf deutsche Kreise reduziert, die schon seit langem, von Anbeginn an, die sofortige Anerkennung Kroatiens und Sloweniens gefordert haben, wobei sie die Minderheitenfrage zum Teil außer acht gelassen haben. Wir müssen in der Europäischen Gemeinschaft davon ausgehen, daß es in der ganzen Beurteilung dieses Konfliktes durchaus begründete unterschiedliche Meinungen gegeben hat, daß sich der Konsens aber mehr und mehr herstellt.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß man die Europäische Gemeinschaft nicht für diese Entwicklung schuldig sprechen sollte, die nicht von ihr ausgelöst worden ist. Es geht darum, in kurzer Zeit den Frieden angesichts von nationalistischen Auswüchsen wiederherzustellen, die es hier gegeben hat und die es sicher nicht nur einseitig gegeben hat; sie sind bedauerlicherweise in den verschiedensten Teilen dieses Landes entstanden.
Ich habe in den Antworten an Ihren Kollegen deutlich gemacht: Die Stunde ist jetzt gekommen, in der — in der nächsten Woche auf dem nächsten Treffen der europäischen Außenminister — etwas geschehen wird. Es sind ganz klare Bedingungen gestellt worden. Wenn sie bis zum 15. November nicht eingehalten werden, gibt es Sanktionen. Ich sagte vorhin bereits: Diese Sanktionen werden für die, die sie treffen, durchaus schmerzhaft sein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216400
Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205216500
Herr Staatsminister, der Kollege Jäger hatte ja nach der Meinungsbildung der Bundesregierung hinsichtlich der Sanktionen gefragt und dabei auf die Brüche der Waffenstillstandsvereinbarungen durch die serbische Seite hingewiesen.
Meine Frage lautet: Liegen der Bundesregierung auch Informationen über den Bruch von Waffenstillstandsvereinbarungen durch kroatische Einheiten, darunter auch eine solche, die sich als HSO bezeichnet und die in der Tradition der Ustascha-Verbände steht, vor?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216600
Ich stelle Ihnen frei, das zu beantworten. Der direkte Zusammenhang, Herr Abgeordneter Erler, ist aber nicht mehr gegeben. Bitte sehr.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Ganz zweifellos, Herr Kollege, hat es solche Vorkommnisse gegeben. Es sind trotz der Versicherung der kroatischen Seite Kasernen über längere Zeit weiter blockiert geblieben. Ich will das jetzt im einzelnen nicht untersuchen und bewerten. Aber ganz zweifellos muß man, glaube ich, bei der Berichterstattung über die Ereignisse natürlich auch dieser Organisation besondere Aufmerksamkeit schenken, da sie an unselige und schlimme geschichtliche Momente in Kroatien anknüpft. Ich meine, wir müssen auch das im Auge behalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216700
Bitte sehr.

Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1205216800
Herr Staatsminister, warum kann die Bundesregierung ihre wiederholt eingenom-



Albert Deß
mene Position, daß man ab einem bestimmten Zeitpunkt Slowenien und Kroatien diplomatisch anerkennen soll, innerhalb der EG nicht durchsetzen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe heute bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß es in der EG dazu verschiedene Auffassungen gab und daß die Anerkennung angesichts der Lage in der Europäischen Gemeinschaft nur als letzter Schritt erfolgen kann. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß sich die Standpunkte angesichts des Verhaltens der serbisch kontrollierten jugoslawischen Volksarmee und der Übergriffe von Serbien aus inzwischen angenähert haben. Aber das war ein sehr schwieriger Prozeß.
Ich darf sagen, daß von Anfang an auch die Konsequenzen einer solchen Anerkennung für die Minderheiten nicht nur in Kroatien bedacht werden mußten. Das heißt, daß — wenn schon auf die Minderheiten in Kroatien keine Rücksicht genommen würde — sich die Frage stellt, was möglicherweise den Minderheiten passiert, die in dem Gebiet leben, das Serbien jetzt für sich beansprucht. Ich denke dabei an den Kosovo und an andere Gebiete.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205216900
Danke schön, Herr Staatsminister, für die Beanwortung der Fragen. Herr Abgeordneter Deß, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß auch bei Ihrer Frage der direkte Zusammenhang mit der Ausgangsfrage nur noch äußerst schwer zu erkennen war. Es geht mir nicht darum, das Fragerecht einzuschränken. Sie schränken durch eine Erweiterung des Fragenkomplexes das Fragerecht der anderen Kollegen insofern ein, als es nicht mehr zur Beantwortung von deren Fragen kommt. Das ist meine Sorge, und insofern bin ich ein wenig restriktiv.
Damit sind die Dringlichkeitsfragen beantwortet.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen brauche ich nicht aufzurufen, weil der Abgeordnete Roth die dringliche Frage 3 auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet bekommt. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung braucht ebenfalls nicht aufgerufen zu werden, weil die dringliche Frage 4 des Abgeordneten Dr. Struck und die dringliche Frage 5 des Abgeordneten Bachmaier nach Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Nun komme ich zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Hier werden nach Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien die dringliche Frage 6 des Abgeordneten Dr. Peter Struck und die dringliche Frage 7 des Abgeordneten Wolfgang Roth ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch die dringlichen Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Erler und die dringliche Frage 10 des Abgeordneten Bachmaier werden nach diesem Verfahren schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung werden die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Elke Wülfing ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche trifft für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie zu. Frage 3 der Abgeordneten Monika Ganseforth wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Frau Dr. Lucyga auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß gegenwärtig im Land Mecklenburg-Vorpommern ernsthaft die Umwandlung der Technischen Hochschule Wismar zu einer Technischen Universität angestrebt wird, obwohl der Wissenschaftsrat sich unter Einbeziehung aller Gesichtspunkte eindeutig dafür ausgesprochen hat, daß die universitären Ingenieurwissenschaften an der Universität Rostock zu konzentrieren sind, und wie beurteilt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Zuständigkeit bejahendenfalls diese Pläne?

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1205217000
Frau Kollegin, aus Presseberichten ist der Bundesregierung bekannt, daß der Magistrat der Landeshauptstadt Schwerin, der Senat der Hansestadt Wismar und der Senat der dort angesiedelten Technischen Hochschule dein Landtag und der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern kürzlich den Vorschlag unterbreitet haben, in West-Mecklenburg eine Technische Hochschule mit universitärem Charakter zu etablieren.
Der Bundesregierung ist ferner bekannt, daß die Fraktion der SPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommern den Antrag eingebracht hat, noch in diesem Jahr eine eigenständige Technische Hochschule in Mecklenburg-Vorpommern zu gründen.
Sie wissen, daß nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes die Errichtung einer Hochschule Sache des Landes und nicht des Bundes ist. Der Bund wirkt allerdings an der Finanzierung von Hochschulen im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes mit. Hierfür ist dann eine gutachtliche Stellungnahme des Wissenschaftsrates erforderlich, nach der sich auch Art und Reichweite der Beteiligung des Bundes an Hochschulbaumaßnahmen oder Erweiterungsmaßnahmen der Länder orientieren.
Der Wissenschaftsrat hat am 5. Juli 1991 für den Hochschulstandort Wismar die Errichtung einer Fachhochschule und die Konzentration der universitären Ingenieurausbildung an der Universität Rostock empfohlen.
Die Bundesregierung hat diese Empfehlung mitgetragen, zumal nach den Feststellungen des Wissenschaftsrates die in den drei ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen an der Technischen Hochschule Wismar bisher betriebenen Forschungsarbeiten von ihren Fragestellungen und vom methodischen Grundansatz her gesehen nicht einer Grundlagenforschung entsprechen, wie sie an Technischen Universitäten



Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
üblich ist, sondern sich auf anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsfragen konzentrieren, wie es für die Forschung an Fachhochschulen charakteristisch ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205217100
Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Dr. Lucyga.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1205217200
Welchen Stellenwert hat eigentlich die Empfehlung des Wissenschaftsrates für die praktische Umsetzung dieser Empfehlung? Sie haben gerade die Problemlage selber beschrieben. Wie würde sich beispielsweise die Finanzierung verteilen?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Wenn es zu Hochschulbauentscheidungen von Ländern kommt, die mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates übereinstimmen, dann gibt es ein geregeltes Verfahren für die Anmeldung solcher Maßnahmen in die jährlich fortzuschreibenden Rahmenpläne, in denen nach dem Stand der Planungsvorbereitungen auch Prioritätsentscheidungen auf dem Hintergrund des Einsatzes der verfügbaren Mittel von Bund und Ländern getroffen werden. Aber dann ist unstreitig — das würde selbstverständlich auch für diesen Fall gelten — , daß sich der Bund in einem solchen Fall mit 50 % an den Investitionskosten beteiligt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205217300
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1205217400
Heißt das, der Bund würde sich an den Investitionskosten der Technischen Universität Wismar im vorgegebenen Maße beteiligen, auch wenn diese universitäre Einrichtung entgegen den Empfehlungen des Wissenschaftsrates aufgebaut würde?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Eben nicht. Ich habe gerade darauf hingewiesen, daß sich der Bund regelmäßig dann an dieser Finanzierung beteiligt, wenn es entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrates eine einvernehmliche Aufnahme solcher Maßnahmen in den Rahmenplan von Bund und Ländern gibt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205217500
Dann rufe ich die Frage 5 der Abgeordneten Frau Dr. Lucyga auf :
Wie hoch wären im Falle einer Umwandlung der Technischen Hochschule Wismar in eine Technische Universität die vom Land Mecklenburg-Vorpommern bzw. vom Bund aufzubringenden Kosten, und wie lange würde es dauern, his eine Technische Universität Wismar über ein interdisziplinäres wissenschaftliches Potential verfügen könnte, wie es an der Universität Rostock bereits gegeben ist?
Dr. Norbert Lammert Parl. Staatssekretär: Die Kosten, die im Falle einer Umwandlung der Technischen Hochschule Wismar in eine Technische Universität entstehen, lassen sich naturgemäß von hier aus nicht exakt quantifizieren; das werden Sie gewiß auch nicht erwartet haben. Das Land ist gegenwärtig damit befaßt, entsprechende Schätzungen vorzunehmen, um eigene Planungen und mögliche Entscheidungen darauf zu begründen.
Entscheidend ist, daß für eine breite universitäre Ingenieurausbildung eine voll ausgebaute mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät mit den entsprechenden Labors und Studiengängen unverzichtbar ist. — Das ist übrigens auch der Stand der Beratungen in der Planungsgruppe des Landes selbst, diesen Sachverhalt und diesen Zusammenhang nicht auseinanderreißen zu können und zu wollen.
In Rostock ist diese Infrastruktur vorhanden, in Wismar müßte sie zusätzlich geschaffen werden. Das gleiche gilt für die notwendigen, zumindest wünschenswerten nichttechnischen Studieninhalte in der universitären Ingenieurausbildung, z. B. Recht, Wirtschaft, Sprachen und anderes, die an der Universität Rostock vorhanden sind und in Wismar zusätzlich geschaffen werden müßten.
Insofern ist davon auszugehen, daß die Errichtung einer Technischen Universität in Wismar erheblich kostenaufwendiger wäre als die Konzentration und Weiterentwicklung der universitären Ingenieurausbildung in Rostock.
Eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für eine Technische Universität im Raum Wismar/Schwerin setzt, wie ich vorhin schon in der Antwort auf Ihre Zusatzfrage gesagt habe, eine positive Empfehlung des Wissenschaftsrates voraus. Der Wissenschaftsrat hat bislang die genau gegenteilige Empfehlung gegeben, nämlich am Standort Wismar eine Fachhochschule zu errichten. Sollte sich das Land für die Errichtung einer Technischen Universität in Wismar entscheiden — was natürlich denkbar ist — , dann müßte es die Kosten nach der gegenwärtigen Rechtslage allein tragen.
Wie lange es unter diesen Voraussetzungen dauern würde, bis eine Technische Universität Wismar über ein interdisziplinäres wissenschaftliches Potential verfügen könnte, wie es zumindest im Kern an der Universität Rostock bereits verfügbar ist, kann die Bundesregierung nicht, schon gar nicht verläßlich beurteilen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205217600
Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1205217700
Ich möchte nicht verhehlen, daß mich Ihre Antwort außerordentlich zufriedenstellt. Ich möchte aber einmal nachfragen: Wie sähe denn die Zukunft der technischen Fakultät an der Universität Rostock aus, gesetzt den Fall, das Land würde eine derartige Entscheidung zugunsten Wismars treffen?
Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, zunächst darf ich Ihnen meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie die Auskünfte der Bundesregierung zufriedenstellen. Das wird uns nicht immer in dieser Weise ausdrücklich vorgetragen. Insofern ist unsere Begeisterung eine wechselseitige.
Frau Kollegin, es ergeben sich für die technischen Fächer und die technischen Fakultäten der Universität Rostock nicht notwendigerweise unmittelbare Folgen in dem angenommenen Fall einer Entscheidung der Landesregierung für die Errichtung einer Technischen Universität in Wismar. Aber richtig ist wohl



Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
— das vermute ich auch als Hintergrund Ihrer Frage —, daß man angesichts der Leistungskraft und der Größe des Landes und des voraussichtlichen Bedarfs nicht an beiden Stellen zwei volle Kapazitäten und Infrastrukturen wird aufrechterhalten oder errichten wollen, so daß unter diesem Gesichtspunkt die Spekulation zumindest naheliegend ist, daß der volle Ausbau einer solchen Fakultät am Standort Wismar mit entsprechenden Reduzierungs- oder Abbaumaßnahmen an der Universität Rostock verbunden sein könnte. Aber ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Das hatte die Bundesregierung weder zu entscheiden, noch will ich eine denkbare, im Augenblick aber hypothetische Entwicklung kommentieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205217800
Ihre Zusatzfragen sind verbraucht, Frau Abgeordnete Lucyga.
Ich bedanke mich beim Staatssekretär und rufe den Geschäftsbereich des Innenministers auf. Hier steht uns der Staatssekretär Kroppenstedt zur Verfügung.
Ich rufe zunächst einmal die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Brecht auf:
War die Bundesregierung vor der Volkskammerwahl in der Deutschen Demokratischen Republik am 18. März 1990 über den Inhalt der Stasi-Akte von Lothar de Maizière informiert?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205217900
Herr Präsident! Nein. Die Bundesregierung hatte keine Kenntnis von einer StasiAkte über Herrn Lothar de Maizière.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205218000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205218100
Ich habe das erwartet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205218200
Dann brauchten Sie es eigentlich nicht zu fragen.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205218300
Darf ich trotzdem nachfragen, ob denn der „Spiegel"-Bericht vom 14. Oktober 1991 zutreffend ist, demzufolge das Bonner Kanzleramt bereits im Februar 1990 Erkenntnisse über die vermeintliche Stasi-Verstrickung des späteren Ministerpräsidenten Lothar de Maizière hatte?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Hier darf ich Bezug nehmen auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Waffenschmidt vom 28. März 1991:
Die Bundesregierung hat seit Frühjahr 1990 aus Mitteilungen früherer Mitarbeiter der Staatssicherheit und aus der Presse Hinweise auf mögliche MfS-Verbindungen von Politikern verschiedener Parteien in der damaligen DDR erhalten. Diese Hinweise bezogen sich auch auf Herrn de Maizière. Sie waren nicht konkret und beruhten auf Hörensagen und nicht überprüfbaren Verdächtigungen. Herr de Maizière hat sich öffentlich dazu geäußert. Eine Karteiprüfung durch Mitglieder des Bürgerkomitees und der evangelischen Kirche brachte keine Erkenntnisse. Vor diesem Hintergrund bestand für die Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt keine Veranlassung zu reagieren.
Ich kann dieser Antwort heute nichts Ergänzendes hinzufügen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205218400
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205218500
Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, daß der Bundeskanzler die Informationen über die mögliche Stasi-Verstrickung Lothar de Maizières, die Sie eben erwähnten, in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler und nicht als Parteivorsitzender erhalten hat, wie ist es dann zu erklären, daß laut „Spiegel" der für die Koordination der Geheimdienste zuständige Kanzleramtsminister Stavenhagen in einer Besprechung mit dem BND am 28. Februar 1990 verlangt hat, man solle sich mehr um Stolpe und nicht um de Maizière kümmern?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Ich sehe hier keinen Zusammenhang mit Ihrer Frage.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205218600
Dem beizupflichten fällt mir nicht schwer.

(Zuruf von der SPD: Eine politische Verantwortung gibt es hier wohl nicht beim Bundeskanzler!)

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Brecht auf:
Kann die Bundesregierung erklären, auf welchem Weg sie in den Besitz des Inhalts der vom Staatssicherheitsdienst der Deutschen Demokratischen Republik angelegten Akte über den ehemaligen Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik gelangt ist?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Die Bundesregierung war und ist nicht im Besitz des Inhalts einer vom Staatssicherheitsdienst der Deutschen Demokratischen Republik angelegten Akte über den ehemaligen Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205218700
Zusatzfragen?

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205218800
Trifft es zu, daß die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland prinzipiell die Möglichkeit hatten, sich Zugang zu Stasi-Unterlagen zu verschaffen?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Diese Frage kann ich ebenfalls nicht beantworten; auch hier sehe ich keinen Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205218900
Ich gebe mich damit nicht zufrieden; der Zusammenhang ist hier ganz eindeutig hergestellt.
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Ob die Geheimdienste prinzipiell die Möglichkeit hatten, in Akten des Staatssicherheitsdienstes Einsicht zu nehmen, ist eine ganz allgemeine Frage, die mit der ursprünglichen Frage nicht in Verbindung steht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219000
In der Tat, Herr Dr. Brecht. Es bedarf schon einer sehr großzügi-



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
gen Auslegung. Herr Dr. Brecht hat noch eine Zusatzfrage.

(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Danke!)

Dann hat der Abgeordnete Opel die Möglichkeit zu fragen.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1205219100
Ich möchte Sie auf Grund Ihrer Antwort gerne fragen, ob dies bedeutet, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, die Stasi-Akten, die sie als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen DDR bekommen hat, zu lesen und aufzunehmen.
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Diese Akten, wenn sie überhaupt vorhanden waren — die Aktendeckel, die man im Zusammenhang mit der Untersuchung gefunden hat, sprechen vielleicht dafür —, sollen im Januar 1990 vernichtet worden sein. Zu dieser Zeit hatte die Bundesregierung keinerlei Einflußmöglichkeiten auf das Verhalten des Mf S.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219200
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1205219300
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben die Frage meines Kollegen nach der prinzipiellen Möglichkeit, ob westdeutsche Geheimdienste Zugang zu Aktenmaterial der DDR-Geheimdienste hätten bekommen können, mit einer prinzipiellen Antwort beiseite geschoben und gesagt: Prinzipiell kann man darüber nicht reden. Darum frage ich Sie jetzt: Gibt es denn faktisch und in der Wirklichkeit der letzten 24 Monate Vorgänge, bei denen westdeutsche Geheimdienste in der Lage waren, Einsicht zu nehmen oder die Akten der ehemaligen Stasi an sich zu nehmen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219400
Herr Abgeordneter Duve, bei aller Fairneß, aber Dr. Brecht hat gefragt, ob der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vorliegen, wie eine ganz bestimmte Akte, nämlich die des Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, in ihren Besitz gelangt ist und ob sie Kenntnisse über deren Inhalt hat. Darauf ist eine Antwort erfolgt. Ich stelle es dem Staatssekretär frei, auf Ihre Frage, die sich ja nun auf ganz andere Sachverhalte bezieht, zu antworten oder nicht zu antworten. Ich wäre wirklich dankbar, wenn der Sachzusammenhang immer beachtet würde, denn sonst könnte über jede Frage eine Debatte initiiert werden, ohne daß die Kollegen, die noch weitere Fragen haben, je eine Antwort bekommen.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1205219500
Herr Präsident! Da Sie mich direkt angesprochen haben, habe ich das Recht, Ihnen jetzt direkt zu antworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219600
Sie dürfen, ja.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1205219700
Ich bin seit elf Jahren Mitglied dieses Hauses und habe an unzähligen Fragestunden teilgenommen. Es ist gute Praxis unserer parlamentarischen Arbeit, auf Grund einer sehr konkreten Frage eine allgemeine Frage zu stellen, wenn die Antwort der Regierung es nahelegt. Wir haben hier manchmal
ein bis zwei Stunden damit verbracht — auch in Zeiten, als Sie, Herr Präsident, noch in der Opposition waren —,

(Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Das kann nicht sein!)

um dann wirklich zum Kern der Sache zu kommen, und dieses Recht nehme ich auch für mich in Anspruch.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219800
Herr Abgeordneter Duve, deswegen stelle ich es dem Staatssekretär ja auch frei zu antworten.

(Freimut Duve [SPD]: Ich habe soeben etwas Falsches gesagt: Sie waren noch nie in der Opposition! — Heiterkeit bei der SPD)

— Es ist sehr liebenswürdig, daß Sie es mir erspart haben, diese Korrektur von mir aus vorzunehmen.

(Heiterkeit — Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: So sind wir nun mal!)

Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Die Antwort der Bundesregierung bezüglich der Akte, die Gegenstand der ursprünglichen Frage war, bezieht sich auch auf die Nachrichtendienste.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205219900
Der Abgeordnete Wallow hat jetzt das Recht, eine Antwort auf die von ihm eingebrachte Frage 8 zu bekommen. Ich rufe diese Frage auf:
Welche Problembereiche des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991, nach dein Parlament und Teile der Regierung nach Berlin umziehen, sollen entsprechend den Ankündigungen des Herrn Bundeskanzlers vor der Industrie- und Handelskammer Bonn am 16. Oktober 1991 konkret gesetzlich in dieser Legislaturperiode geregelt werden?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: In dem vom Bundeskabinett eingesetzten interministeriellen Arbeitsstab Berlin/Bonn und in seinen Arbeitsgruppen werden Modelle und Konzeptionen zu allen umzugsrelevanten Fragen in Abstimmung mit den Ländern Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wie auch mit den betroffenen Städten und Landkreisen erarbeitet.
Die Frage der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von gesetzlichen Regelungen in den verschiedenen Bereichen ist Bestandteil der laufenden Prüfungen. Daneben sind für andere Teilbereiche staatsvertragliche Vereinbarungen in Erwägung zu ziehen.
Der dem Bundeskabinett am 30. September 1991 vorgelegte erste Zwischenbericht stellt klar, daß konkrete Aussagen zu erforderlichen gesetzlichen oder staatsvertraglichen Regelungen erst in künftigen Berichten getroffen werden können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205220000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205220100
Meine Frage ist nicht beantwortet. Ich habe nach den Äußerungen des Bundeskanzlers gefragt, der sich vor der Industrie- und Handelskammer in Bonn bereits festgelegt hat, daß gesetzliche Regelungen erfolgen sollen. Ich wollte nun



Hans Wallow
wissen, welche Problembereiche gesetzlich geregelt werden sollen. Das ist eine völlig andere Frage.
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Es wird sicher zu gesetzlichen Regelungen kommen. Auf welche Problembereiche sich die gesetzlichen Regelungen im einzelnen beziehen, kann man heute noch nicht sagen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205220200
Ihnen verbleiben zwei Zusatzfragen.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205220300
Herr Staatssekretär, ist es möglich, aus dem Beschluß heraus — in dem es heißt, daß die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Bonn verbleibt — jetzt schon zu sagen, was die Berechnungsgrundlage sein wird: Parlamentsbedienstete und Bedienstete der Regierung? Was gehört alles dazu?
Franz Kroppenstedt, Staatssekretär: Berechnungsgrundlage des Beschlusses sind, wenn man sich den Wortlaut der einzelnen Ziffern ansieht, die Ministerien. Von den Ministerien soll der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn verbleiben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205220400
Keine weiteren Zusatzfragen. — Herr Staatssekretär, dann bedanke ich mich bei Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Die Frage 9 des Abgeordneten Harries wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten de With. Er ist nicht im Saal. Dann können die Frage 10 und auch seine Frage 11 nicht beantwortet werden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Beckmann steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Jens auf. Hier ergibt sich das gleiche Problem. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Auch seine Frage 13 wird nicht beantwortet.
Ich rufe sodann die Frage 14 des Abgeordneten Opel auf:
Welche „vitalen Interessen" der Bundesrepublik Deutschland gemäß den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom 5. Mai 1982 sprechen für die Weitergabe von Rüstungsmaterial und Ausrüstungsgegenständen aus NVA-Beständen an Uruguay, und welches Material wurde bzw. wird in diesem Zusammenhang konkret abgegeben?

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1205220500
Herr Kollege Opel, die gesetzlichen Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes sowie die „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern " vom 28. April 1982 gelten uneingeschränkt auch für die Überlassung von NVA-Material an andere Staaten.
Die Regierung Uruguays hat gegenüber der Bundesregierung ihr Interesse am Kauf von bestimmtem
NVA-Material geäußert. Diese Wünsche bezogen sich auf verschiedene Kategorien von Heeres-, Luftwaffen- und Marinematerial. Dieses Material wird teilweise Ende dieses Jahres ausgeliefert. Dabei handelt es sich um Marinematerial, für das die Bundesregierung die Genehmigung erteilt hat. Im übrigen werden die Bestände und die Abgabemöglichkeiten noch ermittelt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205220600
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Opel.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1205220700
Herr Präsident, zunächst möchte ich mich beim Staatssekretär dafür bedanken, daß er das Datum richtiggestellt hat. Wir haben jetzt die freie Auswahl, weil es zwei Unterlagen gibt, die entsprechende Daten nennen.
Darf ich Ihre Antwort so interpretieren, Herr Staatssekretär, daß die Zustimmung der Bundesregierung vorher im Bundessicherheitsrat abgeglichen wurde?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Das ist der Fall. Ich glaube, das habe ich eben auch angedeutet. Im übrigen haben unsere exportpolitischen Grundsätze, die wir traditionell zugrunde legen, eine maßgebliche Rolle gespielt, ebenso die Überlegungen, die wir auch bei sonstigen Exportsituationen anstellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205220800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Opel.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1205220900
Darf ich aus der Antwort schließen, daß die Bundesregierung Uruguay nicht zu einem Spannungsgebiet irgendwelcher Art zählt?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Beurteilung des Sachverhalts hat auch auf der Grundlage der exportpolitischen Richtlinien von 1982 stattgefunden. Nach Auffassung der Bundesregierung sind damit die notwendigen Kriterien erfüllt worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221000
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1205221100
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf meinen Kollegen Opel gesagt, die Regierung von Uruguay sei auf die Bundesregierung zugegangen und habe Interesse geäußert. Ist der Bundesregierung bekannt, ob es irgendwelche Akquisitionsbestrebungen seitens der Bundesrepublik, privat oder staatlich, gibt, um solches Interesse anderer Länder an den NVA-Beständen zu provozieren oder zu evozieren? Gibt es also irgendeine Tätigkeit, diese Dinge irgendwo loszuwerden, oder ist das immer ein ganz autonomer Vorgang seitens der fremden Regierungen?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Es gibt, Herr Kollege Duve, keine Akquisitionsbemühungen der Bundesregierung im herkömmlichen Sinne. Es gibt allerdings auf der anderen Seite — das wissen gerade auch die Verteidigungspolitiker sehr gut — die Vorschriften und Regelungen zur Verwertung, z. B. durch die bundeseigene Verwertungsgesellschaft. Diese benutzen wir seit vielen Jahren, um auch Material der Bundeswehr zu verwerten.


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221200
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205221300
Darf ich der Klarheit halber noch einmal nachfragen: Trifft es zu, daß es sich bei den Rüstungslieferungen an Uruguay nicht um Kriegswaffen und nicht um Munition handelt?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Das habe ich in meiner Antwort nicht zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Gansel. Ich habe gesagt, daß das Marinematerial ist und daß über andere Bestandteile dieser Lieferung noch nachgedacht wird.

(Norbert Gansel [SPD]: Weil Kriegswaffen und Munition nur geliefert werden dürfen, wenn es um vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland geht! Sie müßten dann begründen, wo die in Uruguay liegen!)

— Das verstehen Sie jetzt als Frage?

(Lachen bei der SPD)

Ich habe Herrn Kollegen Opel darauf geantwortet, daß die üblichen exportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung bei der Entscheidung zugrunde gelegt worden sind. Dazu zählen auch die Überlegungen, die Sie angesprochen haben.

(Norbert Gansel [SPD]: Haben wir nun vitale Interessen oder nicht?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221400
Er hat ja nun offen gelassen, ob überhaupt.
Herr Abgeordneter Gansel, Sie können stehenbleiben, denn ich rufe nunmehr die Frage 15 auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung den Export von mehreren tausend Tonnen Munition aus NVA-Beständen an Finnland genehmigt hat, und beabsichtigt sie, auch andere Kriegswaffen und Rüstungsgüter an Staaten zu exportieren, die nach den rustungs-exportpolitischen Grundsätzen der Bundesregierung vom 28. April 1982 als Empfänger bisher ausgeschlossen waren?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hat im August 1991 mit Finnland die Abgabe von NVA-Material vertraglich vereinbart. Wegen der auf finnischen Wunsch festgelegten Vertraulichkeit kann die Bundesregierung nähere Auskünfte nicht erteilen. Entgegen allerdings — und das möchte ich hier noch betonen — der Darstellung in Ihrer Frage war Finnland bislang nicht als Empfänger von Rüstungsgütern von vornherein ausgeschlossen. In ihrer Genehmigungspraxis hat die Bundesregierung jedoch die besondere politische Situation Finnlands berücksichtigt. Der Vorwurf, die Bundesregierung habe gegen ihre eigenen exportpolitischen Grundsätze verstoßen, geht deswegen fehl.

(Freimut Duve [SPD]: Finnlandisierung der NVA! — Heiterkeit bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221500
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205221600
Da auch in diesem Fall die Lieferung von Kriegswaffen und Munition an Finnland nach den rüstungs-exportpolitischen Grundsätzen der Bundesrepublik nur erfolgen dürfte, wenn dabei vitale Interessen der Bundesrepublik Deutsch-
land auf dem Spiel stehen, frage ich Sie, um welche vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland es sich handelt. Ich kann mir vorstellen, daß die vitaler sind als im Falle Uruguay, aber Sie müssen trotzdem begründen, wo die vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland bei der Versorgung Finnlands mit Kriegswaffen und Munition liegen.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat es angesichts der bekannten außenpolitischen Situation für richtig gehalten und insofern auch als im vitalen Interesse der Bundesrepublik liegend gesehen, Finnland mit diesen entsprechenden Rüstungsgütern auszustatten, die sich im übrigen in sehr beschränktem Größenmaßstab halten.

(Lachen bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221700
Zweite Zusatzfrage.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205221800
Bedeutet das, daß die Bundesregierung überall vitale Interessen auf dem Spiel sieht, wohin sie Kriegswaffen und Rüstungsmaterial geliefert hat?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Nein, das bedeutet es nicht, Herr Kollege Gansel, ganz im Gegenteil. Die Bundesregierung prüft ja in jedem Einzelfall auf der Grundlage ihrer rüstungsexportpolitischen Grundsätze von 1982 die anstehenden Fragen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205221900
Herr Abgeordneter Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1205222000
Es ist bekannt, daß Opposition und Regierung völlig unterschiedliche Maßstäbe für das Prinzip der Vitalität ansetzen. Aber, Herr Staatssekretär, ich möchte Sie doch gerne fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist und sie darüber etwas sagen kann, wer denn dieses Finnlandgeschäft, was es ja doch wahrscheinlich ist, initiiert hat und ob staatliche Stellen bei den Vorgesprächen, die einem solchen Handel vorausgehen müssen, in irgendeiner Weise beteiligt waren, etwa die deutsche Botschaft oder wer auch immer oder gar die Treuhand, die möglicherweise in Verwaltung dieser Bestände auch tätig geworden ist.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, da Ihnen ja auch bekannt ist, daß der Bundeswirtschaftsminister nicht selbst mit Waffen handelt, bin ich gerne bereit, bei den zuständigen Stellen der Bundesregierung Auskünfte hierüber einzuholen und Ihnen schriftlich Bescheid zu geben.

(Freimut Duve [SPD]: Ich danke Ihnen für die Bereitschaft, Herr Staatssekretär!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205222100
Herr Abgeordneter Wallow.

Hans Wallow (SPD):
Rede ID: ID1205222200
Herr Staatssekretär, „vitale Interessen" ist ja kein feststehender Rechtsbegriff. Es müßte also bei den beiden Ländern Uruguay und Finnland differenziert werden. Wie differenzieren, umschreiben oder definieren Sie die vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber diesen beiden Ländern?



Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Das kommt auf die konkrete außenpolitische Einschätzung an, die zu jedem Einzelfall durch das Auswärtige Amt gegeben wird und die dann Grundlage der entsprechenden Beschlußfassung des Bundessicherheitsrates ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205222300
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1205222400
Herr Staatssekretär, Sie gehen von einer Bedrohungssituation Finnlands aus.

(Norbert Gansel [SPD]: Durch Uruguay! — Heiterkeit bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205222500
Ich wäre dankbar, wenn die Fragen 14 und 15 nicht völlig durcheinander geworfen würden.
Herr Abgeordneter Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1205222600
Ich darf trotzdem bei meiner Frage bleiben: Herr Staatssekretär, von welcher Bedrohungssituation geht die Bundesregierung bei Finnland aus?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meinen verschiedenen Antworten zu diesem Themenkomplex von einer Bedrohungssituation Finnlands nicht gesprochen, sondern von einer Einschätzung der außenpolitischen Situation.
Ich möchte aber gleich noch am Rande darauf hinweisen, daß es sich hier nicht um die Lieferung von militärischem Großgerät handelt, sondern um die Lieferung von Handfeuerwaffen und Munition.

(Norbert Gansel [SPD]: Bei Handfeuerwaffen vitale Interessen? Ihr tickt ja wohl nicht richtig!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205222700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Opel.

Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1205222800
Herr Staatssekretär, ich möchte mich auf den zweiten Teil der Frage konzentrieren und Ihre Antworten dahin gehend hinterfragen, ob Sie bei der Einzelfallprüfung vor dem Hintergrund der rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung und der offensichtlichen Qualitätsbezogenheit des Einzelfalles auch bereit sind, eine Ausweitung dahin gehend zu wagen, entsprechende Wünsche früherer Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes wie beispielsweise Ungarns, der Tschechoslowakischen Föderativen Republik oder Polens auch positiv zu prüfen.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Opel, Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich am heutigen Nachmittag nicht in hypothetischen Erwägungen ergehen möchte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205222900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205223000
Ich darf noch einmal nach den vitalen Interessen fragen, die Sie vorhin angesprochen haben. In den politischen Grundsätzen der Bundesregierung wird nur von Ausnahmeregelungen in wirklich ernsten Situationen gesprochen.
Ich möchte von Ihnen einfach noch einmal hören, welche bedrohliche Situation vorliegt.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Diese Ausnahmesituationen müssen nicht unbedingt bedrohliche Situationen sein, Herr Kollege Dr. Brecht. Auch andere Situationen können einen Ausnahmefall darstellen, die dann ein Entscheidungskriterium für die Bundesregierung in einem solchen Fall sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205223100
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann haben wir die Frage 15 abgewickelt.
Die Frage 16 des Abgeordneten Kolbow wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet.

(Walter Kolbow [SPD]: Ich bin hier, Herr Präsident)

— Ich habe eine Mitteilung von Ihnen, daß Ihre Frage schriftlich beantwortet werden soll.

(Walter Kolbow [SPD]: Das ist durch aktuelles Erscheinen überholt, Herr Präsident! — Heiterkeit)

— Ich bin damit einverstanden.
Ich rufe also die Frage 16 des Abgeordneten Kolbow auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts des großen internationalen Interesses an von der Bundesregierung zur Aussonderung vorgesehenen Waffen und Ausrüstungsgegenständen der ehemaligen NVA die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom 5. Mai 1982 zu ändern?
Herr Staatssekretär, ich muß Ihnen zumuten, auch diese Frage noch zu beantworten.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, das ist mir ein ganz besonderes Vergnügen.
Herr Kollege Kolbow, Ihre Frage kann ich mit einem schlichten Nein beantworten. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Wortlaut der exportpolitischen Grundsätze von 1982 zu ändern. Diese Grundsätze und die darauf aufbauende Genehmigungspraxis der Bundesregierung werden bei der möglichen Abgabe von NVA-Material uneingeschränkt angewandt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205223200
Eine Zusatzfrage.

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1205223300
Ist sichergestellt, Herr Staatssekretär, daß die im Zusammenhang mit Wünschen anderer Länder, insbesondere im östlichen europäischen Bereich gelegener Länder, wohl im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung vorbereiteten Kaufverträge diesen von Ihnen gerade ausgesprochenen Intentionen Rechnung tragen?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kolbow, ich gehe davon aus, daß sich die Bundesregierung — hier der von Ihnen angesprochene Bundesminister der Verteidigung — im Rahmen der geltenden Rechtsordnung und der Geschäftsordnung der Bundesregierung bewegt.

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1205223400
Aktuelle Ereignisse, die wir heute auch miteinander zu behandeln haben, Herr



Walter Kolbow
Staatssekretär, lassen Sie unerschütterlich an dieser Meinung festhalten?

(Heiterkeit bei der SPD)

Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kolbow, man ist ja immer von aktuellen Ereignissen sehr stark beeindruckt, sollte gleichzeitig aber in seinen Grundsätzen nicht wanken.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205223500
Abgeordnete Frau Terborg.

Margitta Terborg (SPD):
Rede ID: ID1205223600
Können Sie mitteilen, Herr Staatssekretär, in wieviel Fällen das Verteidigungsministerium Waffenkollektionen aus den NVA-Beständen dem Bundesnachrichtendienst zur Weitervermittlung übergeben hat?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Darüber liegen mir, Frau Kollegin, keine Zahlen vor.

Margitta Terborg (SPD):
Rede ID: ID1205223700
Könnten Sie die nachreichen?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich werde das gern überprüfen lassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205223800
Der Herr Abgeordnete Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205223900
Herr Staatssekretär, bei dem weltweiten auffälligen Interesse an Waffen „Made in GDR" , die Sie uns hier auch vorgetragen haben, ergibt sich eine Überzeichnung sozusagen des zur Verhandlung stehenden Bestandes. Welche Kriterien wird denn die Bundesregierung anlegen, wenn mehr Nachfrage vorliegt als lieferbare Waffenbestände, um das hier im einzelnen zu entscheiden?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224000
Darf ich noch einmal in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß der Abgeordnete Kolbow gefragt hat, ob die Regierung die Richtlinien zu ändern wünscht. Darauf wurde geantwortet. Wenn Sie jetzt den Zusammenhang mit Ihrer Frage herstellen, dann müssen Sie schon sehr, sehr viel Phantasie entwickeln.
Herr Staatssekretär, ich bin bereit, wenn Sie wollen, zuzulassen, daß Sie das beantworten. Sie müssen das nicht.
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen aufrichtig versichern, Herr Kollege, daß die Bundesregierung für den Fall einer Überzeichnung der Bestände nicht daran denkt, bei den ursprünglichen Lieferanten nachzubestellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224100
Herr Dr. Brecht, Sie haben die Möglichkeit einer Zusatzfrage.

Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1205224200
Wir haben eben über diese Grundsätze diskutiert, und das war wohl auch Gegenstand der Frage vom Abgeordneten Kolbow. Wird bei der Auslegung der Grundsätze das AA jedesmal mit eingeschaltet?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich wird das Auswärtige Amt in allen Fällen, die hier angesprochen werden, mit eingeschaltet, sofern sie bekannt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224300
Eine weitere Zusatzfrage.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1205224400
Herr Staatssekretär, ich darf aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie nicht nachbestellen wollen. Aber darf man daraus schließen, daß Sie auch nicht die Absicht haben, die entsprechenden Waffensysteme selbst herzustellen, also nicht die Absicht besteht, daß die Bundesregierung selbst produziert?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Auch das, verehrter Herr Kollege, ist der Fall. Da kann ich Sie beruhigen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224500
Dann lasse ich die letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel zu. Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205224600
Herr Staatssekretär, in Anbetracht des Wortlauts der Ziffer 9 der rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung, die da lauten — ich zitiere — :
Der Export von Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, daß auf Grund besonderer politischer Erwägungen Ausnahmen allgemeiner Art
festgelegt werden oder im Einzelfall vitale Inter-
essen der Bundesrepublik Deutschland für eine
ausnahmsweise Genehmigung sprechen. Vitale
Interessen sind außen- und sicherheitspolitische
Interessen der Bundesrepublik Deutschland un-
ter Berücksichtigung der Bündnisinteressen.
Ich frage Sie: Wäre es nicht ehrlicher, wenn man „vitale Interessen unter Berücksichtigung des Bündnisinteresses" für Uruguay annimmt, um dorthin Waffen zu liefern oder Munition zu liefern, die Bundesregierung würde ihre rüstungsexportpolitischen Grundsätze ändern, wenn sie nicht schon ihre Praxis ändern will?
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung ist jederzeit gern bereit, über entsprechende Anregungen der Opposition hier zu diskutieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224700
Damit sind wir am Ende unserer Fragestunde.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich nunmehr auf:
Aussprache über den
Versuch der Lieferung von Panzern und anderer Geräte durch den Bundesnachrichtendienst an Israel
Ich erteile das Wort zunächst dem Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1205224800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn im Staate Israel die Überlebenden des deutschen Rassenwahns mit Krieg bedroht werden, muß Deutschland Hilfe zu ihrer Verteidigung leisten. Deshalb hat die SPD die Lieferung von Patriot-Raketen zur Abwehr der mörderischen Scud-



Norbert Gansel
Raketen Saddam Husseins während des Golfkrieges befürwortet. Wir sind aber nicht verpflichtet, uns an der Aufrüstung Israels zu beteiligen. Der Satz eines ehemaligen israelischen Botschafters in Bonn bleibt richtig: Der Nahe Osten braucht mehr Frieden und nicht mehr Waffen.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Satz ist an dem Tag besonders wichtig, an dem in Madrid die Nahost-Friedenskonferenz beginnt, der wir einen glücklichen Ausgang wünschen.
Aus diesem Grunde haben wir die von der Bundesregierung schon beschlossene Lieferung von zwei hochmodernen und für nukleare Missionen geeigneten U-Booten an Israel abgelehnt; nicht aus finanziellen Gründen, weil dieses Rüstungsgeschäft mit 1 Milliarde DM aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, sondern aus politischen Gründen. Dieses Rüstungsgeschäft ist politisch falsch, aber es ist rechtlich zulässig, und die Bundesregierung hat die erforderlichen rechtlichen Genehmigungen erteilt.
Rechtlich zulässig wäre auch die Lieferung von Kriegsfahrzeugen und Rüstungsmaterial sowjetischer Bauart an Israel gewesen. Deshalb fragen wir uns, deshalb fragen wir Sie: Warum ist ein von der Bundesregierung verantwortbarer Rüstungsexport so durchgeführt worden, daß aus ihm ein Waffenschmuggel im Staatsauftrag geworden ist?

(Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Das ist eine Übertreibung! Viel Lärm um nichts!)

Die SPD hat über viele Jahre die Bundesregierung vor legalen und illegalen Rüstungsexporten an den Hauptfeind Israels, Saddam Hussein, gewarnt. Wir haben davor gewarnt, daß Privatfirmen Giftgasfabriken als Düngerfabriken für die Landwirtschaft getarnt haben, und wir haben davor gewarnt, daß Schwertransporter für Panzer als Transportfahrzeuge für die Landwirtschaft getarnt wurden.
Welcher Zyniker ist auf die Idee gekommen, nach genau der gleichen Methode den Export von Panzern nach Israel durch den Bundesnachrichtendienst als den Export von landwirtschaftlichen Geräten zu tarnen? Das ist wie ein schlechter Film, und wir wollen, daß die dafür Verantwortlichen — die Regisseure und nicht die Statisten — zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Der Versuch, ein Dutzend Kriegsfahrzeuge und anderes Gerät ohne die formelle Zustimmung des Bundeswirtschaftsministeriums, ohne die Konsultation des Auswärtigen Amts, ohne die politische Grundsatzentscheidung des Bundessicherheitsrats, ohne die erforderliche Beförderungs- und Überlassungsgenehmigung, ohne die Zustimmung des Haushaltsausschusses und ohne die korrekte Deklarierung nach Israel auszuführen, ist ein schwerer Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, gegen das Außenwirtschaftsgesetz, gegen das Strafgesetzbuch und gegen die Bundeshaushaltsordnung. Normale Sterbliche müssen damit rechnen, daß sie dafür Jahre hinter Gitter kommen.
Das zu ermitteln ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Unsere Aufgabe ist es, nach den politisch Veranwortlichen und nach den politischen Konsequenzen zu fragen. Dafür gibt es einen Maßstab; denn als Lehre aus einer langen Kette von Rüstungsexportskandalen, von Gaddafis Giftgasfabrik über die U- Boot-Affäre, Herr Stoltenberg, bis zur Beteiligung an Saddam Husseins Raketenrüstung, hat die Bundesregierung endlich, endlich beschlossen, für Rüstungsexportfirmen eine sogenannte Zuverlässigkeitsprüfung einzuführen. Die Minister Stoltenberg und Stavenhagen haben dem Beschluß zugestimmt. Danach werden Rüstungsexportanträge von Firmen nicht mehr entschieden — ich zitiere — , wenn der Antragsteller nicht willens oder in der Lage ist, den ihm obliegenden kriegswaffen- oder außenwirtschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Diesen Grundsatz wollen wir jetzt auf die Bundesregierung angewendet haben. Ob Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, ob Bundesnachrichtendienstminister Stavenhagen von dem Waffenschmuggel nach Israel gewußt haben oder nicht, ist nicht entscheidend. Es reicht aus, daß sie offenbar nicht in der Lage waren, den ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen.

(Beifall bei der SPD)

Die beiden Minister reden sich jetzt damit heraus, daß sie Vorkehrung getroffen haben, daß sich solche Vorgänge nicht wiederholen werden. Das wollen wir wohl hoffen.
Aber in den Grundsätzen der Bundesregierung für Privatfirmen heißt es: „Eine Umverteilung der Zuständigkeit in der Geschäftsführung reicht in Anbetracht der Gesamtverantwortung der geschäftsführenden Organe in der Regel nicht aus, Zweifel an der Zuverlässigkeit auszuräumen. " So ist das.
Deshalb verlangen wir, daß Herr Stoltenberg und Herr Stavenhagen gegenüber Prokuristen von sündigen Rüstungsfirmen nicht privilegiert werden. Sie haben keine mildernden Umstände verdient. Ihre Zuverlässigkeit bemißt sich daran, ob die Kontrolle der Geheimdienste und der Kriegswaffen in ihren Verantwortungsbereichen funktioniert. Sie haben in eklatanter und für die Bundesrepublik beschämender Weise versagt. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden!

(Beifall bei der SPD — Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Nun mal langsam an!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205224900
Da es verschiedentlich schon Wünsche nach Zwischenfragen gegeben hat, möchte ich das Haus darauf aufmerksam machen, daß ich vorhin gesagt habe: Die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt findet nach den Regeln der Aktuellen Stunde statt. Das heißt, es gibt im Rahmen dieser Fünf-Minuten-Beiträge nicht die Möglichkeit, Zwischenfragen zu stellen. Ich bitte um Ihr Verständnis.
Nunmehr hat der Abgeordnete Michael Glos das Wort.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1205225000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute versucht, aus den Akten des Haushaltsausschusses



Michael Glos
herauszusuchen, wann genau der Besuch des Ausschusses auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager stattgefunden hat, bei dem ich dabeigewesen bin. Da aber die Akten vor 1980 weggeräumt sind, war das nicht möglich. Das war jedenfalls zur Zeit der sozialliberalen Koalition. Der Finanzminister hieß Apel, wenn ich es richtig weiß.
Wir haben damals im Zusammenhang mit der Beschaffung des Leopard II eine Vorführung bekommen, und zwar ein Vergleichsschießen und einen Vergleichstest zwischen dem deutschen Panzer Leopard I, dem russischen T 72 und einem, wenn ich mich recht entsinne, Prototyp des Leopard II. Damals ist demonstriert worden, wie die Bedrohungslage aussieht, mit welchen Waffen wir aus dem Osten zu rechnen haben und was als deutsche Verteidigungsantwort geplant ist. Und da ist beiläufig gesagt worden: Der Panzer T 72 stammt von den Israelis. — Die Israelis haben uns damals, als wir von diesen Waffen bedroht waren, also auch geholfen, um zu zeigen, um welche Bedrohung es geht und welche Abwehrmaßnahmen dagegen getroffen werden können. Darum geht es im Kern in dieser Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU) Bei allen künstlichen Aufgeregtheiten,


(Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Aufgeblasenheiten sind das!)

die hier produziert werden: Es gibt viele berechtigte Fragen. Auch wir wollen, daß die geklärt werden. Aber fest steht doch: Es liegt kein kommerzieller Rüstungsexport vor. Ein Vergleich mit Lieferungen von Rüstungsgütern — wie der Kollege Gansel ihn vorgenommen hat — mit Irak oder Libyen ist deshalb unzulässig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es handelt sich um Lieferungen an ein befreundetes Land, gegenüber dem wir besondere historische Verpflichtungen haben. Auch ist ganz klar, daß die zur Diskussion stehenden Rüstungsgüter nach Art und Menge nicht geeignet sind, militärische Auseinandersetzungen zu bestreiten — nicht nur deshalb, weil sie als Landmaschinen deklariert worden sind. Es handelt sich vielmehr — so der derzeitige Kenntnisstand — um wehrtechnische Hilfe im Rahmen der üblichen Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten befreundeter Länder.
Das heißt aber nicht, daß gesetzliche Vorschriften deshalb mißachtet werden dürfen. Der Zweck darf auch und gerade bei Rüstungsexporten nicht die Mittel heiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist meiner Ansicht nach falsch gewesen, daß man sich hier auf der unteren Ebene auf dem „kleinen Dienstweg" verständigt hat. Es ist eben etwas anderes, ob man Regimentsehrenzeichen oder Waffen untereinander austauscht.
Insofern gilt es, zu untersuchen, was falsch gemacht worden ist. Dabei empfiehlt sich meiner Meinung nach folgender Weg: erstens sorgfältige Prüfung, zweitens öffentlicher Rechenschaftsbericht, drittens
Ziehen von Konsequenzen daraus. Vorverurteilungen und übereilte politische Rücktrittsforderungen helfen meiner Ansicht nach in der Sache nicht weiter.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! — Manfred Opel [SPD]: Aber das war doch ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz!)

— Auch das wird zu untersuchen sein.

(Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Das ist heute schon zugegeben worden!)

Meines Wissens ermittelt die Staatsanwaltschaft auch schon in dieser Richtung. Wenn es ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz war, dann wird die Staatsanwaltschaft das aufklären und Anklage erheben oder auch nicht.
Trotz möglicher Ungereimtheiten beim Wie der Lieferungen von Rüstungsfahrzeugen aus NVA-Beständen sollte — hieran möchte ich keinen Zweifel lassen — das Ob der Lieferungen an Israel, wie ich meine, außer Frage stehen. Nach meinem Verständnis hätte man das sogar öffentlich tun können. Wir erinnern uns alle an das negative Bild, das uns Deutschen in Israel im Rahmen des Golfkonflikts entgegengeschlagen ist.
So berechtigt der Wunsch nach Aufklärung der Zusammenhänge jetzt ist, so notwendig ist es aber auch, unnötiges politisches Getöse zu vermeiden. Es geht darum, weder das deutsch-israelische Verhältnis zu stören noch den Fortgang der heute in Madrid beginnenden Nahost-Friedenskonferenz mit kurzsichtigen, aus politischen Opportunitäten herrührenden Äußerungen zu belasten.
Ich wiederhole am Schluß: Wir sind ebenso wie Sie daran interessiert, daß genau aufgeklärt wird, welche gesetzlichen oder, allgemein, rechtlichen Vorschriften möglicherweise verletzt worden sind. Wir sollten dies aber ohne Hektik und Aufgeregtheit tun.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205225100
Ich erteile der Abgeordneten Frau Wollenberger das Wort.

Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1205225200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir in den letzten Tagen erlebt haben, eignet sich als Drehbuch für einen mittelprächtigen Polit-Thriller:

(Dr. Joseph-Theodor Blanck [CDU/CSU]: Sie haben noch nie einen gesehen!)

Das Bundesministerium der Verteidigung überläßt dem BND Kettenfahrzeuge der ehemaligen NVA. Der BND deklariert diese als Landwirtschaftsgeräte. Die Wasserschutzpolizei Hamburg findet wohl mehr aus Zufall Landwirtschaftsgeräte mit Ketten und Tarnanstrich. Als Empfänger entpuppt sich dann der legendäre israelische Geheimdienst Mossad. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Der Koordinator der Geheimdienste im Bundeskanzleramt hielt es anfangs mit den berühmten drei Affen: „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen". Und der Regierungssprecher gar fand diesen geheim-



Vera Wollenberger
dienstlich organisierten Waffenhandel erst einmal völlig normal.
Heute dagegen mußte BND-Präsident Porzner im Verteidigungsausschuß zugeben, daß mindestens drei der feldgrau getarnten Geräte keine Exportgenehmigung hatten und es sich mindestens in diesem Fall um einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz handelt.
Staatsminister Stavenhagen bestand vor dem Verteidigungsausschuß darauf, daß das Kanzleramt mit der Sache nicht befaßt war.
Nun gibt es aber seit dem 11. September 1971 eine seither gewiß immer wieder aktualisierte Rahmenvereinbarung zwischen dem Chef des Bundeskanzleramtes und dem Bundesminister der Verteidigung über die Zusammenarbeit von BND und Bundeswehr, die vorschreibt, daß sich Bundeswehr und BND, erforderlichenfalls der Verteidigungsminister und der Chef des Bundeskanzleramts, miteinander abstimmen müssen. Die zuletzt Genannten haben die für die Vereinbarung nötigen Detailanweisungen zu treffen.
Das Bündnis 90/GRÜNE möchte deshalb wissen, ob neben dem Kriegswaffenkontrollgesetz auch die Rahmenvereinbarung verletzt wurde oder ob die Behauptung von Staatsminister Stavenhagen unwahr ist.
Der jüngste Versuch des BND, Kriegsgerät dem israelischen Geheimdienst Mossad für Testzwecke zur Verfügung zu stellen, steht in einer langen Tradition bilateraler Geheimbeziehungen und Austauschprozesse zwischen dem BND und dem Mossad.
Es ist gerade erst ein knappes Jahr her, daß die GRÜNEN im Bundestag einen Untersuchungsausschuß beantragten, um diese Beziehung aufzudecken. Die Notwendigkeit des von den GRÜNEN geforderten Untersuchungsausschusses, die Bündnis 90/GRÜNE heute ausdrücklich erneuern, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß es seit Jahren Koordinierungsgruppen für die Zusammenarbeit vom BMVg und BND gibt, die sich u. a. mit Wehrmaterial fremder Staaten befassen.
Es ist nach den jüngsten Entdeckungen unumgänglich, diese Gruppen einer strikten parlamentarischen Kontrolle zu unterziehen. Über mehrere Jahre hin wurde am Parlament vorbei ein Stör- und Täuschsender für den Jagdbomber Tornado mit dem Namen Cerberus entwickelt, dessen Technologie durch die Kooperation zwischen BND und Mossad ohne Wissen des amerikanischen Partners aus den USA „entliehen" war.
Bei ihren Ermittlungen stieß die Staatsanwaltschaft Bonn allerdings auf ein weiteres BND-Geheimprojekt namens Pamir, bei dem moderne Elektronik zur Spionage gegen die Sowjetunion in die Volksrepublik China gebracht wurde.
Der Untersuchungsausschuß kam seinerzeit nicht zustande, zumal diese Verwicklung bis in die SPD-Regierungsverantwortung hineinreichte. Auch die SPD hat Übung im Umgang mit heiklen Geheimdienstaktivitäten. Verweigerte doch ihr damaliger Kanzleramtsminister Ehmke den gegen den BND ermittelnden Staatsanwälten die Akteneinsicht, „weil das Bekanntwerden des Inhalts dieser Unterlagen dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde".
Es ist kein Wunder, daß bei solch einer traditionell bewährten Großen Koalition die Aufdeckung von Waffengeschäften erschwert wird. Nach der Rede von Kollege Gansel heute ist allerdings zu hoffen, daß sich die SPD nicht länger den notwendigen Untersuchungen verweigert. Denn dieser Waffendeal offenbart in geradezu grotesker Weise, daß Geheimdienste, egal, ob Ost oder West, keiner wirklichen Kontrolle unterworfen werden können.
Zu deutlich wird an der erneuten Operation des BND, daß am Kanzleramt, am Bundessicherheitsrat und selbst am BND-Präsidenten vorbei die Geheimdienstler ihre eigenen unkontrollierbaren Beziehungen unterhalten. Es ist kein Wunder, daß ein Regierungssprecher dann lediglich konstatieren kann, daß man diesen verdeckten Deal für einen normalen Informations- und Austauschprozeß hält.
Dieses Verständnis für illegale Machenschaften ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Ist es doch vielmehr geübte Praxis der Bundesregierung, solche rechtswidrigen Geschäfte nicht nur augenzwinkernd zu dulden, sondern auch zu fördern zum Wohle des Bundes. Im schlimmsten Fall weiß man von nichts.
Nachdem man die Normalität geheimdienstlicher Waffentauschprojekte proklamiert hat, gilt es jetzt nur noch den Schwarzen Peter, der zur Zeit vom Kanzleramt zur Hardthöhe, von da nach Pullach weitergereicht wird, loszuwerden. Mit Sicherheit wird es nicht Herrn Stavenhagen, auch nicht Herrn Porzner oder Herrn Stoltenberg treffen. Da ist es doch viel wahrscheinlicher, daß man den Postboten in Pullach mit dem Schwarzen Peter alleinläßt. Ausgetrickst werden und nichts wissen wollen reicht als Entschuldigung für mangelhafte und dilettantische Kontrolle nicht aus. Deshalb fordern wir den Rücktritt von BND-Präsident Porzner und von Geheimdienstkoordinator Stavenhagen.
Dieser erneute Versuch des BND, in einer langen Kette von Bemühungen, seine eigene Außenpolitik nach selbst gesetzten Kriterien zu gestalten, zeigt außerdem, daß es endlich an der Zeit ist, dem Bündnis 90/GRÜNE einen Sitz in der PKK einzuräumen. Ansonsten werden die Herren in Bonn und Pullach wohl kaum auf ihre zwielichtigen Methoden verzichten.
Vielen Dank.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205225300
Nun erteile ich dem Abgeordneten Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1205225400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist manchmal schwierig, nicht satirisch zu werden, selbst wenn man die Ausführungen des erbarmungswürdigen Sprechers der Bundesregierung mit einbezieht; er ist in dieser Beziehung schwer zu überbieten gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP — Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)




Dr. Burkhard Hirsch
Ich möchte eher an das erinnern, was ich draußen von einem Journalisten gehört habe, der mich an einen Apokryphen erinnert hat — Micha 4 — wonach versucht worden ist, aus Schwertern Pflugscharen zu machen in einer Weise, die uns alle etwas überrascht hat.
Der Waffenexport ist zweifellos eine außerordentlich sensible Angelegenheit, nicht nur, aber besonders bezogen auf den Nahen Osten, und zwar nicht nur deswegen, weil wir dort eine besondere historische Verantwortung haben, sondern auch wegen der krisenhaften Situation in diesem Gebiet.
Ich bin ganz sicher, wenn der Vorgang, der hier zur Rede steht, in politisch richtiger Form behandelt worden wäre, hätten wir nicht dieses schreckliche Ergebnis, daß alle Seiten mit unglaublich gutem Willen gehandelt haben

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und trotzdem das Ergebnis ein Desaster ist, das so nicht stehen bleiben kann und das natürlich Folgen haben muß.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte von dem, was ich an anderer Stelle gesagt habe, eines berichtigen. Ich habe in einer Erklärung gesagt, daß ich mir denken könnte, daß das Material, was dort geliefert worden ist, unmittelbar für den Einsatz zu militärischen Zwecken bestimmt war. Ich glaube, daß ich diese Bemerkung nicht aufrechterhalten kann. Aber wenn es Material gewesen ist, das im Rahmen eines Informationsaustausches behandelt worden ist — zu wehrtechnischen oder anderen Untersuchungen — , und wenn man sagt, diese Tätigkeit gehört zu den Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes, dann muß man genauso deutlich sagen, daß die Erfüllung dieser Aufgabe natürlich nicht von der Beachtung der gesetzlichen Regelungen entbindet.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Das heißt also, von der Beachtung des Kriegswaffenkontrollgesetzes, des Waffengesetzes und der Beachtung der Beteiligung des Bundessicherheitsrates und natürlich — gerade in einem solchen Gebiet, nicht befreit von der unmittelbaren politischen Beteiligung — der politischen Leitung sowohl des Bundesnachrichtendienstes wie des Verteidigungsministeriums.
Hier sind Fragen offengeblieben. Offengeblieben ist, warum diese Benachrichtigung nicht erfolgt ist. Offengeblieben ist, wer die Verantwortung trägt. Offengeblieben ist, ob die Organisation in diesem Bereich in Ordnung ist. Ich glaube, sie ist nicht in Ordnung. Ich denke, man muß sagen, daß es sich hier um einen Vorgang handelt, der geeignet ist, das Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik zu berühren.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Richtig!)

Darum denke ich, daß ich dem, was wir bisher gehört haben, auch das, was ich hier an Reden gehört habe, in Teilen nicht zustimmen kann.
Aber ich denke doch, daß wir einen Weg finden müssen, um das Informationsinteresse des Hauses,
nicht nur der Palamentarischen Kontrollkommission, zu befriedigen. Darum werden wir zwischen den Fraktionen unmittelbar Gespräche darüber beginnen müssen, in welcher Weise sich der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß, der ja besondere parlamentarische Rechte hat, mit dieser Angelegenheit weiter beschäftigen müssen, damit sowohl ein Teil der bestehenden Verdächte überzeugend ausgeräumt werden kann, als auch das ganze Haus sicher sein kann, daß sich Vorgänge dieser Art nicht wiederholen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205225500
Nun spricht die Abgeordnete Lederer.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1205225600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der aufgeflogene Waffenschmuggel des BND ist nicht der erste Geheimdienstskandal in der Bundesrepublik. Andere sind vorausgegangen, auch den BND betreffend. Diverse Affären, die auch den Namen BND führten, führten auch den Namen Strauß.
Nun wird wieder nach gewohnter Methode heruntergespielt und Verantwortung abgestritten. In der Bundesregierung hat ohnehin niemand etwas gewußt. Herr Porzner in Pullach ist ahnungslos. Stavenhagen vermutet die Verantwortlichen auf Referatsebene, Stoltenberg in nachgeordneten Stellen. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, daß jemand auf die Unterabteilung 73 des Landwirtschaftsministeriums verweist, weil die ganze Lieferung ja zu Mähdreschern verklärt wurde.

(Bernd Wilz [CDU/CSU]: Es fehlt der Hinweis auf die SED!)

Was wollen Sie uns hier eigentlich noch zumuten? Es ist doch merkwürdig, daß die Regierung nie etwas weiß, wenn es brenzlig wird. Wollen Sie uns etwa mitteilen, daß das Bundeskanzleramt gar keine Kontrolle über die geheimen und nicht das erste Mal ungesetzlichen Aktivitäten des BND hat? Fällt Ihnen eigentlich nicht selbst auf, daß Ihre Ausflüchte die Angelegenheit keineswegs besser machen? Die gewollten Bagatellisierungen dieses Waffenschmuggels bekräftigen die Notwendigkeit, daß die gesamte Grauzone zwischen Bundesregierung und BND durch einen Untersuchungsausschuß aufgeklärt werden muß.
Wir haben einen Antrag eingereicht. Wir werden ihn diese Woche noch einmal zurückstellen, weil wir gehört haben, daß andere Fraktionen noch darüber nachdenken wollen, wieweit sie diesen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unterstützen wollen. Wir wollen wissen, welche Rolle der BND im Zusammenhang mit Waffenexporten und militärischer Ausstattungshilfe an Drittländer spielt, und welches Wissen und welche Verantwortlichkeiten darüber in der Bundesregierung existieren.
Dieser Skandal offenbart allerdings noch zwei weitere interessante Aspekte:
Erstens. Die Praxis des BND im Verbund mit dem Verteidigungsministerium hat schon lange bestan-



Andrea Lederer
den. Verstärkt wurde sie aber nach vorliegenden Informationen, seit der Bundeswehr die Waffen der NVA in die Hände gefallen sind. Die Bundesregierung betreibt damit operative Außenpolitik über Ausstattungshilfe und Waffenhandel und die Förderung zahlreicher Folterpolizeien in der Dritten Welt.
Zweitens. Wenn die Bemühungen der Bundesregierung auch noch nicht so weit sind, daß die Bundeswehr „out of area mit oder ohne Grundgesetzänderung eingesetzt werden kann, finden der Waffenhandel und die damit verbundene politische Einflußnahme über den BND längst „out of area statt. Da gibt es keine falsche Scheu vor Spannungs- oder Kriegsgebieten, keine Hemmung vor Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz, dafür aber enorme Anstrengungen, hierüber ja nichts in der Öffentlichkeit verlauten, geschweige denn diese Machenschaften kontrollieren zu lassen.
Das Ganze findet zum Auftakt der Nahost-Friedenskonferenz in Madrid statt und ist damit ein prima Signal an die Völker im Nahen Osten, insbesondere an das palästinensische Volk, wie ernst eine der Weltmächte, auf deren Vermittlung Hoffnung gesetzt wurde, ihre außenpolitischen Erklärungen selbst nimmt. Genau das ist es nämlich, was die Bundesregierung unter der vielbemühten neuen internationalen Verantwortung versteht. Es ist schlicht die Weiterentwicklung der Großmachtpolitik mit Waffen, mit Geheimdiensten bei gleichzeitig schönfärberischen Reden in gefühlsschwanger veranstalteten historischen Stunden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie eigentlich?)

Vor diesem Deutschland allerdings kann nur nachhaltig gewarnt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vor Ihnen auch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Noch nicht einmal Beifall von der eigenen Partei! — Die PDS ist gar nicht da!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205225700
Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Wimmer das Wort.

(Norbert Gansel [SPD]: Jetzt werden die Zeltplanen weggezogen!)


Willy Wimmer (CDU):
Rede ID: ID1205225800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hirsch, ich darf zunächst einmal zwei Worte von Ihnen aufgreifen. Sie sprachen von einem abschließenden Bericht nicht nur für die PKK und haben etwas zu den offenen Fragen gesagt. Ich biete Ihnen ausdrücklich an, daß wir nach entsprechender sachlicher Vorarbeit in unserem Hause zu unserem Verantwortungsbereich einen umfassenden Bericht erstellen und ihn nicht nur im Verteidigungsausschuß präsentieren, sondern auch den damit betrauten Mitgliedern des Hauses zur Verfügung stellen werden.
Seit 1967 arbeiten Israel und die Bundesrepublik im Bereich der Auswertung fremden Wehrmaterials zusammen. Hieran hatte vor allem die Bundeswehr Interesse, da Israel Waffen sowjetischen Ursprungs bzw.
die Leistungsdaten solcher Waffen zur Verfügung stellen konnte. Auf deutscher Seite war und ist der Bundesnachrichtendienst der Ansprechpartner für diese Vorgänge.
Israel hat auf Grund seiner Erfahrung mit sowjetischem Kriegsmaterial auf dem Gefechtsfeld und bei der Auswertung von Beutematerial außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt. Die Bundeswehr hat daraus in der Vergangenheit großen Nutzen gezogen. Sie hat von Israel über viele Jahre unentgeltlich wichtiges Gerät zur eigenen technischen Auswertung erhalten.
Es mußte daher — und nicht nur im Sinne einer Unterstützung gegen mögliche Aggressionen, sondern auch im Sinne einer fairen Zusammenarbeit — gerechtfertigt erscheinen, als Israel im Zusammenhang mit der Golf-Krise seinerseits um Überlassung von Material der ehemaligen Nationalen Volksarmee zur technischen Auswertung bat, zumal es Teilhabe an deren Ergebnissen zusicherte, die auch für uns und unsere NATO-Partner von Bedeutung waren.
Die Bundesregierung — das ist der andere Weg — verfolgt bekanntermaßen eine restriktive Exportpolitik in bezug auf Rüstungsgüter. Das gilt auch für Material der ehemaligen NVA. Sie hält allerdings in begründeten Ausnahmefällen Regelungen, wie z. B. für die technische Auswertung einzelner Geräte, für erforderlich. So war es aus Sicht der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Golf-Krise und dem GolfKrieg nur natürlich, daß wir von einer solchen Ausnahmesituation ausgegangen sind, als der Staat Israel existenzgefährdend bedroht war.

(Manfred Opel [SPD]: Das heißt: Wenn kein Golf-Krieg gewesen wäre, hätten sie nichts bekommen!)

Ausnahmegenehmigungen bedeuten auf keinen Fall eine generelle Öffnung der Exportpolitik. So hat der Bundessicherheitsrat in seiner Sitzung am 27. Februar 1991 zwar die Lieferung von Material für den Zivil- und Katastrophenschutz sowie des Spürpanzers Fuchs an Israel gebilligt, auf Grund der Empfehlungen von Minister Stoltenberg jedoch jegliche Weitergabe von Panzern und Munition an Israel abgelehnt.

(Walter Kolbow [SPD]: Das war im Ausschuß noch vertraulich!)

Bei dem hier fraglichen Gerät handelt es sich um insgesamt 19 Geräte, von denen zwei Flugabwehrsysterne, ein Abschußfahrzeug für Flugabwehrraketen und ein Flugzielerfassungs- und -verfolungsradar als Kriegswaffen im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes gelten. Das übrige Gerät fällt nicht unter diese Bestimmungen. Es umfaßt elf Kraftfahrzeuge verschiedener Typen und anderes.

(Manfred Opel [SPD]: Und Ersatzteile!)

Es handelt sich hierbei nicht um den Export einsatzfähiger Rüstungsgüter in ein Krisengebiet, sondern um eine Maßnahme wehrtechnischer Zusammenarbeit. Das Empfängerland wurde ausdrücklich zur Rückgabe des Gerätes verpflichtet.



Parl. Staatssekretär Willy Wimmer
Seit vielen Jahren arbeiten Israel und die Bundesrepublik bei der Auswertung fremden Wehrmaterials zusammen. Hieran hatte und hat die Bundeswehr Interesse. Die Einschaltung des Bundesnachrichtendienstes entspricht dem für diese Zusammenarbeit festgelegten Verfahren. Er erhält das Gerät von der Bundeswehr und ist für die Weitergabe an den israelischen Partnerdienst verantwortlich.
Dennoch — ich stimme dem zu, was der Kollege Hirsch gesagt hat — : Im vorliegenden Fall sind Fehler gemacht worden. Für das Bundesministerium der Verteidigung hat Bundesminister Dr. Stoltenberg Maßnahmen angeordnet, die eine Wiederholung solcher Vorfälle ausschließen sollen.

(Zuruf von der SPD: Das heißt, vorher war es falsch!)

Es ist grundsätzlich den Bestimmungen der Rahmenvereinbarungen zwischen dem Chef des Bundeskanzleramtes und dem Bundesministerium der Verteidigung aus dem Jahre 1979 und hausinternen Erlassen Rechnung zu tragen.
Die praktische Durchführung und die politische Kontrolle werden jedoch verschärft. So bedarf auch nach unserer Ansicht die Abgabe von Wehrmaterial im Rahmen der wehrtechnischen Zusammenarbeit für die Auswertung von fremdem Wehrmaterial der Zustimmung der politisch Verantwortlichen;

(Zuruf von der SPD: Vor alle Dingen des Bundessicherheitsrates!)

das wird in unserem Hause sichergestellt. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205225900
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Paterna das Wort.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1205226000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Regierungssprecher, zuständige Minister und der Chef des BND konzentrieren ihre Erklärungen auf die Behauptung, von nichts gewußt zu haben. Sie unterstellen damit, daß, wer nichts gewußt hat, auch nicht politisch verantwortlich sei für das, was passiert ist. Genau das ist der Punkt, auf den ich mich hier konzentrieren möchte. Das sind Ablenkungsmanöver, die sich das Parlament nach meiner Überzeugung nicht gefallen lassen darf.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE] und Wolfgang Lüder [FDP])

Ein demokratischer Rechtsstaat darf es sich nicht gefallen lassen, daß Beamte aus Geheimdiensten und Ministerien gemeinsam illegale Handlungen zum Schaden der Bundesrepublik Deutschland durchführen. Genau das ist hier der Fall. Geheimdienste sind in einem demokratischen Rechtsstaat nur dann erträglich, wenn sie den in der Regierung politisch Verantwortlichen nicht außer Kontrolle geraten und wenn die Verantwortlichkeit der Regierung durch das Parlament kontrollierbar bleibt.
Gerade die Einlassungen des Verteidigungsministers und des für die Kontrolle der Dienste zuständigen Kanzleramtsministers, sie hätten nichts gewußt, machen ihre Entlassung durch den Bundeskanzler um so notwendiger.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

Spätestens nach den Erfahrungen mit den Ursachen und Folgen des Golfkrieges können sich weder Unterabteilungsleiter noch Regierungsmitglieder darauf herausreden, sie hätten nicht hinreichend um die Brisanz legaler, scheinlegaler oder illegaler Exporte von Rüstungsgütern gewußt.
Wenn diese Regierung einen Gesetzentwurf betreibt — das tut sie im Augenblick — , mit dem sie sich über alle rechtsstaatlichen Bedenken hinwegsetzt, und Briefe- und Fernmeldekontrolle durch das Zollkriminalinstitut auch im Vorfeld von Ermittlungsverfahren für unabweisbar hält, weil der Zweck, illegale Rüstungsexporte zu verhindern, fast jedes Mittel rechtfertige, dann bringt sich diese Regierung um den Rest ihrer Glaubwürdigkeit, wenn sie gleichzeitig zuläßt, daß Beamte des BND und des Verteidigungsministeriums gemeinsam agieren, um gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz , gegen das Außenwirtschaftsgesetz und gegen das Strafgesetzbuch zu verstoßen und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gerade in diesem äußerst sensiblen Bereich weiter zu schädigen.
Wie soll das denn nach Ihrem Gesetzentwurf in Zukunft gehen? Soll das Zollkriminalinstitut den BND und das Verteidigungsministerium abhören, um gegen solche illegalen Maßnahmen tätig zu werden, oder wie geht das eigentlich?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Dann sind Sie plötzlich dafür!)

Der Bundeskanzler bringt sich um seine Glaubwürdigkeit, wenn er zuläßt, daß Minister ihre politische Verantwortlichkeit leugnen, indem sie sich auf Unwissenheit berufen. Das ist ein völlig unerträgliches Amtsverständnis, das hier an den Tag gelegt wird. Ich bitte, das zu klären.
Deswegen ist das, was im Hamburger Hafen ans Licht gekommen ist, eben nur ein Teil des Skandals. Der größere Teil des Skandals liegt in der Art und Weise begründet, wie die Bundesregierung die Aufklärung dieses Falles gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament behandelt. Da schwadroniert der Regierungssprecher, die Zahl der angeblichen Panzer sei nicht ausreichend, um damit einen Angriffskrieg zu führen, als ob die Auslegung des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes von der Zahl der Kriegswaffen abhinge. Da stehen einem ja sämtliche Haare zu Berge.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Vera Wollenberger [Bündnis 90/ GRÜNE])

Es ist entlarvend, daß der Verteidigungsminister, wie gestern abend im ZDF geschehen, dem BND allein die Verantwortung zuschiebt. Ich kann daraus nur schließen, daß der Verteidigungsminister, wenn der BND Waffen — gleich welcher Art — haben will, sie ihm überläßt, ohne überhaupt nur zu fragen, wer



Peter Paterna
Empfänger ist, geschweige denn, sich um die Einhaltung von Zweckbestimmungen, Endverbleib und sonst etwas zu kümmern. Das ist offensichtlich alles allein Sache des BND.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Sie wissen doch selber, daß das falsch ist!)

Der Verteidigungsminister, jetzt durch seinen Staatssekretär hier bestätigt, erklärt, er habe nun das Notwendige für die Zukunft veranlaßt. Gleichzeitig sagt der Regierungssprecher aber, das sei ein völlig normaler Fall von Zusammenarbeit; ich nehme an: der dauernd praktiziert wird. Dann muß man eben für solche Fälle Vorsorge und nicht Nachsorge treffen.
Ich füge hinzu: Der Skandal besteht nicht nur aus dem, was gesagt worden ist, sondern auch aus dem, was nicht gesagt worden ist. Wo bleibt der Herr Bundeskanzler und äußert sich einmal zu den Aktivitäten seiner Regierungsmitglieder? Was ist denn mit dem Außenminister im Vorfeld der Nahostkonferenz? Wo bleibt die Bewertung? Wo ist der Herr Möllemann, der bekanntlich sonst nicht aufs Maul gefallen ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der Herr Porzner?)

aber für das Außenwirtschaftsgesetz und dessen Einhaltung zuständig ist?
Alle sind auf Tauchstation, offenbar in einem illegal beschafften U-Boot.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der PDS/ Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205226100
Nun spricht der Abgeordnete Wilz.

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1205226200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU ist völlig klar: Wir wollen eine zügige und lückenlose Aufklärung aller Tatbestände und aller rechtlichen Bewertungen.

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wann denn?)

Wir haben deshalb im Verteidigungsausschuß einen umfassenden Fragenkatalog eingebracht und gehen davon aus, daß er am kommenden Mittwoch beantwortet wird.
Lassen Sie mich zweitens zur Frage, ob es sich hier um Rüstungsexport handelt, sagen: Alles, was uns an Erkenntnissen vorliegt, bestätigt: Hier geht es nicht um Rüstungsexporte, sondern ganz eindeutig um wehrtechnische Zusammenarbeit.

(Manfred Opel [SPD]: Diese Worte werden Sie einholen, Herr Wilz!)

Diese Feststellung stützt sich erstens darauf, daß das, was geliefert werden sollte, der Menge nach auf ganz wenige Systeme begrenzt war, und zweitens darauf, daß sich die Israelis verpflichtet hatten, das gesamte Gerät und alle Systeme zurückzugeben. Im übrigen weise ich nur darauf hin, daß die Beamten des Bundesnachrichtendienstes an die Zollbehörde gemeldet hatten, worum es hier geht und was in Wahrheit geliefert werden soll.

(Norbert Gansel [SPD]: Ich denke, das war vor einer Stunde noch vertraulich!)

— Deshalb, Kollege Gansel, ist das, was Sie hier betrieben haben, nämlich von Waffenschmuggel zu reden, übelste Demagogie und Polemik. Sie sollten dies zurücknehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich drittens feststellen, daß ich glaube, daß sich die gute Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland im wehrtechnischen Bereich seit 1967 über die von der SPD geführten Regierungen hinaus bewährt hat. Ich erinnere daran, daß Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber Israel hat.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Deutschland hatte — auch dies ist klar — seit 1967 in vielen Fällen Hilfen durch Israel bekommen: Wir haben Panzer, Haubitzen und Mehrfachraketenwerfer erhalten, um selber technisch in die Lage versetzt zu werden, uns gegen die damalige objektive Bedrohung durch den Warschauer Pakt verteidigen zu können. Dafür gebührt den Israelis Dank und Anerkennung. Wir haben heute ein Stück der Bringschuld gegenüber den israelischen Freunden abzutragen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Manfred Opel [SPD]: Aber doch nicht illegal! — Norbert Gansel [SPD]: Sie haben doch zugelassen, daß Israel bedroht wurde! — Peter Paterna [SPD]: Warum dann die guten Taten im Verborgenen?)

— Wenn Sie hier glauben, ein bißchen Krach machen zu können — das ist Ihr gutes Recht — , darf ich Sie fragen: Welchen außenpolitischen Beitrag hätten wir eigentlich sonst gegenüber Israel in der harten Stunde des Golfkrieges und danach leisten sollen?

(Norbert Gansel [SPD]: Sie haben die illegalen Waffenexporte verharmlost! Sie haben doch die Kriegsursachen mit geschaffen!)

Auch wenn Sie noch so schreien, lassen Sie mich viertens feststellen: Es ist unbestritten, daß es hier verfahrensmäßige Fehler gegeben hat. Sie mögen zunächst vor allen Dingen auf der Ebene des Bundesnachrichtendienstes gelegen haben, und zwar deshalb, weil in der Tat bei drei Systemen eine Genehmigung hätte eingeholt werden müssen.

(Peter Paterna [SPD]: Das hätte doch das Verteidigungsministerium wissen müssen!)

Es ging dabei um zwei Flugabwehrsysteme und eine Transport- und Starteinrichtung für Flugabwehrraketen. Diese Punkte scheinen wirklich vernachlässigt worden zu sein.
Nur, lassen Sie mich zu dem, was der Kollege vor mir hier eben erwähnt hat,

(Peter Paterna [SPD]: „Paterna" heiße ich!)

sagen: Es ist geradezu ein Märchen, was Sie hier verbreiten wollten, als ob die Offiziere, die im Koordinierungsausschuß sitzen, nicht informiert gewesen wären. Natürlich ist das gemeinsam erörtert worden.



Bernd Wilz
Lassen Sie mich fünftens feststellen: Es mag sein, daß man hier dienstrechtliche Konsequenzen ziehen muß.

(Norbert Gansel [SPD]: Auf unterster Ebene!)

Aber eines muß klar sein: Ich möchte nicht, daß dies unter dem Motto geschieht: Den letzten beißen die Hunde. Dies sage ich in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich abschließend feststellen: Ich begrüße außerordentlich, daß Verteidigungsminister Stoltenberg angeordnet hat, eine neue Weisung zu erarbeiten, damit zwingend sichergestellt wird, daß die politische Führung in alle Vorgänge eingebunden ist, selber entscheidet und dies mit allen Ministerien abstimmt.

(Peter Conradi [SPD]: Abenteuerlich!)

Dies soll in einer Weise geschehen, die für uns parlamentarisch den richtigen Weg darstellt. Ich glaube wir sollten Herrn Stoltenberg

(Zuruf von der SPD: Dankbar sein!)

auf diesem Weg ermutigen. Ich lade Sie von der Opposition ein und fordere Sie auf: Tun Sie wie wir ihre Pflicht

(Lachen bei der SPD)

in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch. Wir wollen aufklären und entscheiden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Alaaf!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205226300
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1205226400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik hat in den letzten Tagen Schaden genommen. Die Verantwortung dafür liegt ganz klar bei der Hardthöhe, beim Bundeskanzleramt und in Pullach.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Bei uns besteht keinerlei Freude über diesen Schadensfall, gemeinhin auch Schadenfreude genannt, sondern uns trägt eine gewisse Fassungslosigkeit in dieser Auseinandersetzung. Wir sind froh darüber, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir uns hier darüber verständigen müssen, daß es zu einem solchen Schaden nicht mehr kommen darf. In der Tat, es darf nicht mehr passieren, daß sich Aktionen im Rahmen wehrtechnischer Zusammenarbeit der politischen und parlamentarischen Kontrolle entziehen.

(Beifall bei der SPD)

Es darf nicht mehr dazu kommen, daß monatelange
Bemühungen auch der deutschen Außenpolitik, den
Friedensprozeß im Nahen Osten nach dem Golfkrieg
wieder aufzunehmen, jetzt durch eine solche Aktion zur Unzeit geradezu torpediert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, dies ist auch ein Schaden für Israel. Er wiegt schwerer als die möglichen Vorteile, die durch die Zerlegung veralteten NVA- Materials zur Sicherheit Israels entstehen könnten. Es ist doch grotesk, daß die Bundesrepublik jetzt geradezu auf den guten Willen der Interpretation angewiesen ist, um den Verdacht abzuwehren, daß wir vielleicht, zumindest fahrlässig, ein positives Ergebnis von Madrid in Frage stellen könnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt blasen Sie sich doch nicht so auf! — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Jetzt reden Sie doch nichts herbei! Es ist schon schlimm genug, was passiert ist!)

Es darf ferner nicht mehr passieren — darüber waren wir uns heute auch im Ausschuß einig — , daß höchste Organe unserer Demokratie zu Methoden greifen, die den Eindruck erwecken, sie betrieben Waffenschmuggel im Staatsauftrag.
Herr Wilz, Sie haben eben den Falschen beschimpft. Herr Gansel hat hier die Titelzeile der „Stuttgarter Zeitung" zitiert. Sie vermittelt einen Begriff davon, wie das heute in der Öffentlichkeit aufgenommen wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dadurch wird es auch nicht besser!)

Es ist völlig klar: Das ganze Verfahren ist unwürdig. Ich sage Ihnen einmal in einem anderen Zusammenhang: Wir reden ja häufig über die neue Weltgeltung der Bundesrepublik oder zumindest über die Rolle einer europäischen Mitführungsmacht. Eine Regierung, die solche Peinlichkeiten wie diese nicht vermeiden kann, sollte sich — so finde ich — am besten einmal für einige Monate aus der gesamten internationalen Politik zurückziehen und erst einmal ihre internen Abläufe klären; dann kann sie zurückkommen.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott, so stellt sich Fritzchen die große Politik vor!)

Meine Damen und Herren, es gibt hier noch einen anderen Punkt zu klären. Am 10. Oktober habe ich in der Fragestunde des Deutschen Bundestages gefragt: Welche Länder haben bisher ihr Interesse an welchen Waffen und Ausrüstungsgegenständen der ehemaligen NVA gezeigt? Eine eindeutige Frage. Ich habe eine eindeutige Antwort bekommen, nämlich eine Aufzählung von insgesamt 27 Ländern, die ein solches Interesse gezeigt haben. Heute haben wir im Verteidigungsausschuß erfahren, daß bereits im Oktober letzten Jahres auch Israel ein solches Interesse gezeigt hat.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: War das in der Liste nicht dabei?)

Es fehlt in der Antwort des Staatssekretärs Hennig vom 10. Oktober in dieser Auflistung.

(Peter Conradi [SPD]: Frech genug!)




Gernot Erler
Das bedeutet, daß hier erneut ein Mitglied des Deutschen Bundestages getäsucht worden ist. Herr Stoltenberg hat mir zugesagt, daß dies aufgeklärt wird.
Aber in diesem Zusammenhang ist nicht nur die Klärung dieser Frage, sondern auch noch die einer anderen notwendig,

(Norbert Gansel [SPD]: Es ist eine Entschuldigung fällig!)

nämlich: Was ist eigentlich der Bundesregierung so peinlich daran, sich dazu zu bekennen, daß sie Israel bei der Lösung eigener Verteidigungsprobleme hilft, so peinlich, daß sie es riskiert, einen Abgeordneten in diesem Hause falsch zu informieren,

(Zuruf von der CDU/CSU: Damit unterstellen Sie die Absicht!)

so peinlich, daß sie entsprechende Lieferungen mit dieser Maskerade versieht, wie wir gehört haben?
Ich sage hier für meine Fraktion — das sage ich auch noch einmal ausdrücklich nach Ihrem Beitrag, Herr Wilz —: Wir sind durchaus jederzeit bereit, bei der Lösung der Probleme der Verteidigung Israels zu helfen.

(Bernd Wilz [CDU/CSU]: Das ist ja schon etwas!)

Aber wir sagen Ihnen dazu: Erstens muß das nicht mit der Lieferung von veraltetem NVA-Material geschehen. Da gibt es andere, wichtigere Dinge. Zweitens schaden wir so, wie es jetzt passiert ist, dem Empfängerland mehr, als wir ihm nützen. Deswegen darf das nicht noch einmal passieren.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP — Bernd Wilz [CDU/CSU]: Das müssen die Israelis selber wissen! Die haben es erbeten!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205226500
Nun spricht der Abgeordnete Kittelmann.

(Norbert Gansel [SPD]: Da muß sich die Regierung doch entschuldigen für die Falschauskunft an Gernot Erler!)

— Herr Abgeordneter Gansel, zunächst einmal hat der Abgeordnete Kittelmann das Wort.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID1205226600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Ausführungen noch einmal betonen: In der vorliegenden Sache sind wir uns einig, daß es einer lückenlosen Aufklärung aller offenen Fragen bedarf. Wir sind sicher, daß sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesnachrichtendienst dies leisten wird. Ich gehe davon aus, daß sowohl Herr Porzner als auch die Bundesregierung diesen Erwartungen entsprechen werden.
Im Rahmen dieser Klärung geht es aber nicht nur um Fragen des hier vorliegenden konkreten Falles, sondern es geht auch um allgemeine Verfahrensfragen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel, dem Bundesnachrichtendienst und dem Verteidigungsministerium. Schließlich wird auch im Rahmen der außenwirtschaftlichen Regelungen viel abzuklären sein. Solche Gelegenheiten sind an sich immer die Stunde der Opposition.

(Dieter Heistermann [SPD]: Es ist die Stunde des Parlaments!)

Es ist Ihr gutes Recht, all das zu sagen, was Sie hier gesagt haben. Daß Sie allerdings die Chance genutzt hätten, hier drängende Fragen zu stellen, sehe ich bisher nicht. Sie haben bisher sehr bissig polemisiert. Damit hat die Opposition eine Chance verpaßt.

(Manfred Opel [SPD]: Die Antworten sind entscheidend, nicht die Fragen! — Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wir haben keine Antworten gekriegt!)

— Wir befinden uns im Zeitalter der Abrüstung. Es wäre ganz gut, wenn Sie sich auch bei Ihrer Polemik etwas auf diese Linie begeben würden.
Ich möchte kurz auf die wesentlichen Komplexe des außenwirtschafltichen Bereichs eingehen. Wir Deutschen haben zu Israel ein besonderes Verhältnis, das sich zu unser aller Zufriedenheit heute sehr positiv und freundschaftlich ausnimmt. Diese freundschaftlichen Beziehungen dürfen natürlich nicht dazu führen, daß bestehende Regelungen oder Gesetze unterlaufen werden. Dies gilt auch für den Bereich der möglichen Auswertung fremden Wehrmaterials. Insofern stimme ich den Sozialdemokraten, die vor mir gesprochen haben, zu, daß wir mit der Art und Weise, wie der betreffende Fall abgewickelt wurde, sicher nicht zum Nutzen dieser Beziehungen beigetragen haben. Meine persönliche Meinung ist: Man hätte das offen abwickeln können, und man wäre überrascht gewesen, daß es dann keinerlei Probleme gegeben hätte.
Mir kommt es vor allen Dingen auf die Beantwortung der Frage an, ob in dem bekanntgewordenen Fall Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes, der Außenwirtschaftsverordnung oder des Kriegswaffenkontrollgesetzes verletzt worden sind. Man wird wohl davon ausgehen können, daß von deutscher Seite in bezug auf das Wehrmaterial die möglicherweise geäußerten Wünsche Israels einer Überprüfung unterzogen worden sind und daß nach international gängigen Regelungen kein rüstungsrelevantes Material vorlag, was nicht bedeutet, daß nach unseren gesetzlichen Regelungen keine Genehmigung erforderlich war.
Dabei sind zwei Aspekte hervorzuheben:
Erstens. § 15 des Kriegswaffenkontrollgesetzes sieht in einer Regelung für die „Bundeswehr und andere Organe" folgendes vor — ich zitiere — :
Die übrigen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zuständigen Behörden oder Dienststellen sowie die Behörden des Strafvollzugs bedürfen keiner Genehmigung

(Norbert Gansel [SPD]: Der Bundesnachrichtendienst ist doch kein Strafvollzug!)

— wir sind doch in aller Ruhe dabei, Fragen zu stellen und diese Fragen in den nächsten Wochen miteinander zu klären; wollen Sie bereits hier in dieser Aussprache alles erledigen?; die CDU/CSU wird auch nach dieser Aussprache weiterhin Fragen stellen und das Thema auf der Tagesordnung halten —



Peter Kittelmann
1. für den Erwerb der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen,
2. für die Überlassung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen an einen anderen zur Instandsetzung oder zur Beförderung und
3. für die Beförderung von Kriegswaffen in den Fällen des § 3 Abs. 2.
Dies alles ist im Gesetz nachzulesen. Was den Bereich des Wehrmaterials anbelangt, so gilt eine Ausnahmegenehmigung für die Bundesbehörden gemäß dem zitierten Absatz des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Danach liegt wahrscheinlich nach den mir bisher aus der Presse bekannten Erkenntnissen kein Verstoß im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes vor. Das ist aber nur der eine Bereich.
Zweitens. Sollte sich tatsächlich solches Gerät wie Kettenfahrzeuge unter dem abgegebenen Material befunden haben, sind solche Geräte natürlich genehmigungsbedürftig.

(Zuruf von der SPD: Die Liste liegt doch vor, Herr Kittelmann! Sie sind von vorgestern!)

— Hören Sie doch einmal in Ruhe zu! Das ist für Sie vielleicht von vorgestern. Betreiben Sie keine Polemik, wir führen hier eine Sachdebatte.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die betreffenden Güter bedürfen dann der Genehmigung, wenn sie zum Transport außerhalb des eigenen Geländes verbracht werden. In diesem Fall hätte, wenn diese Genehmigung nicht erteilt wurde, wahrscheinlich ein Verstoß vorgelegen.
Meine Damen und Herren, wir fragen also, ob die Regelungen eingehalten worden sind und ob die vorgesehenen Kontrollinstanzen beteiligt waren. Vor allen Dingen müssen wir Klarheit darüber erhalten, ob das Bundesamt für Wirtschaft über eine solche Weitergabe informiert war, ebenso wie das Bundeswirtschaftsministerium oder das Auswärtige Amt.
In diesem Zusammenhang werden wir unter Umständen noch über eine erneute Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes und der anderen gesetzlichen Regelungen nachdenken.
Darüber hinaus müssen wir erfahren, ob im Rahmen solcher Ausfuhren, die den Regelungen der Außenwirtschaftsverordnung, des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes unterliegen, die Deklarierung als „landwirtschaftliche Güter" der Regelfall war.
Dieser Fragenkatalog bedarf aus außenwirtschaftlichen Perspektiven heraus besonders dringend der Beantwortung. Wir sind demnach alle daran interessiert, möglichst zügig an einer zufriedenstellenden Aufklärung zu arbeiten, und sind zuversichtlich, daß sowohl der Bundesnachrichtendienst unter seinem Präsidenten Porzner als auch die Bundesregierung den notwendigen Beitrag dazu leisten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205226700
Nun erteile ich dem Staatsminister Dr. Stavenhagen das Wort.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID1205226800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, wie man Nachrichtendienste, die ja etwas andere Behörden sind, richtig kontrolliert, ist eine Frage, die mich schon lange bewegt, nicht aus der Motivation des Mißtrauens gegen die Dienste heraus,

(Wolfgang Lüder [FDP]: Schade!)

sondern aus der Motivation heraus, wie man sicherstellt, daß politische Meinungs- und Willensbildung in
das Tun bzw. Lassen von solchen Diensten einfließt.

(Dr. Burkhard Hirsch [FDP]: Einfließt! Die sitzen doch drauf, verdammt noch mal!)

— Lieber Herr Hirsch, ich darf meine Worte so setzen, wie ich das für richtig halte. Sie setzen Ihre so, wie Sie es für richtig halten.
Deswegen ist es nicht als Ausweichen vor der Verantwortung zu verstehen, sondern es bedrückt mich, daß weder im Bundesnachrichtendienst der Präsident noch im Bundeskanzleramt der Koordinator für die Dienste — das bin ich —, noch im Verteidigungsministerium die politische Ebene,

(Peter Paterna [SPD]: Das scheinen Sie aber vor dem BND geheimzuhalten! — Gegenruf des Abg. Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Nun hören Sie doch mal zu!)

noch die politische Leitungsebene im Bundeskanzleramt mit dieser Frage befaßt war. Daraus haben wir natürlich Schlüsse zu ziehen.
Der erste Schluß, der gezogen werden muß, ist, daß ein Gremium wie der Koordinierungsausschuß, der in der Vergangenheit zwischen Verteidigungsministerium und Bundesnachrichtendienst diese Dinge entschied, der politischen Aufsicht unterstellt werden muß, weil er vieles, was er in gutem Wollen in einer gewissen Routine der Vergangenheit getan hat, nicht einfach in die Zukunft übertragen kann, die sich völlig verändert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich will als zweites sagen, meine Damen und Herren: Ich bitte wirklich darum, daß wir in der Wortwahl etwas behutsam sind. Es ist nicht Rüstungsexport, es ist nicht Waffenschmuggel im Staatsauftrag, sondern was hier geschehen ist, ist eine Maßnahme im Bereich wehrtechnischer Zusammenarbeit mit einem Land — auch das will ich hier allerdings klar sagen —, mit dem wir diese Zusammenarbeit seit langen Jahren betreiben, ob wir regiert haben oder ob Sie regiert haben, seit 1967. Es gab Phasen, wo dieses Land auf Grund der Erfahrungen, die es gemacht hat, uns viel



Staatsminister Dr. Lutz G. Stavenhagen
an Geräten oder Erkenntnissen über Waffen geliefert hat, die uns damals unmittelbar bedrohten.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Als landwirtschaftliche Geräte?)

— Das ist nicht das Thema, gnädige Frau. Das Thema ist doch, daß wir jetzt eine Gelegenheit hatten, im Umfeld des Golfkrieges und der Monate davor, wo Israel in höchster Bedrängnis war, denen Geräte zur Untersuchung und Erprobung zur Verfügung zu stellen, und zwar solche Geräte, die ihre Gegner auf sie gerichtet haben. Das ist doch die Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU — Manfred Opel [SPD]: Aber wenn das so ist, warum machen Sie es konspirativ? — Norbert Gansel [SPD]: Warum haben Sie es nicht ganz legal gemacht? — Gegenruf des Abg. Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Nun hören Sie doch mal zu!)

— Damit, Herr Kollege, bin ich bei meinem dritten Punkt: Es gibt überhaupt keinen Grund, so etwas konspirativ zu machen. Das halte ich für einen Fehler.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin vielmehr der Meinung, daß das offen gemacht werden muß und daß es auch in der Zukunft politisch entschieden gemacht werden kann. Das will ich ausdrücklich dazu sagen.
Wichtig ist, daß sichergestellt wird im Kanzleramt, im Bundesnachrichtendienst, im Verteidigungsministerium — und da sind die ersten Weisungen ergangen — , daß die jeweiligen Leitungen einzuschalten sind, weil man den Akteuren, die in diesen gemeinsamen Arbeitsgruppen sitzen, diese politische Entscheidung einfach nicht zumuten darf; man darf sie damit nicht so belasten. Dafür ist die politische Ebene da.
Die Bundesregierung sagt eine umfassende Aufklärung zu. Wir haben heute, nachdem uns der Komplex seit Montag bekannt ist, einen ersten Bericht in den Gremien gegeben. Hier sind natürlich Fragen offengeblieben. Wir werden weiter an der umfassenden Aufklärung arbeiten. Und wir werden daraus selbstverständlich auch politische und organisatorische Schlüsse zu ziehen haben, organisatorische Veränderungen zu machen haben. Wir werden das aber in Ruhe machen und das auch mit Ihnen umfassend diskutieren.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205226900
Das Wort hat der Abgeordnete Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1205227000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung vorab, vor allen Dingen nach dem, was wir hier teilweise heute schon gehört haben. Ich denke, wir wollen alle das Geschehen nicht unnötig dramatisieren.

(Georg Gallus [FDP]: Sehr gut!)

Wir wollen, glaube ich, alle dazu beitragen, daß es
sachlich bewertet wird. Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen dieses Geschehen, diesen Vorfall,
auch nicht verniedlichen und einfach links oder rechts abtun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Hier handelt es sich nicht nur um ein innenpolitisches Problem, hier handelt es sich auch um ein außenpolitisches Thema. Hier wurde aus unserer Sicht, aus der Sicht der FDP, politischer Schaden angerichtet, da auch hier die sensible Frage des Rüstungsexports tangiert wurde.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb muß es im Interesse der Regierung und natürlich des gesamten Parlaments liegen, die Vorgänge schnell und vorbehaltlos aufzuklären.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will deshalb für die FDP Fragen stellen — und ich denke, Sie können sich diesen Fragen anschließen — : Inwieweit war das Bundesministerium der Verteidigung über die Pläne und Handlungen des BND informiert, und, vor allem, welche Ebene war im BMVg informiert? Wer war beim BND informiert, und wer waren die Handelnden? Wer hat im BMVg die Weitergabe der Waffen veranlaßt? ln welchen Bereichen hat das BMVg den Transport des Geräts vorgenommen, und wer war hier dafür verantwortlich? Wie war es möglich, daß der Zoll umgangen werden konnte?

(Manfred Opel [SPD]: Der wurde doch gar nicht umgangen! Wissen Sie doch!)

Hat sich das BMVg vergewissert, ob die erforderlichen Genehmigungen vorlagen? Wurde das Kriegswaffenkontrollgesetz verletzt?

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Hätte der Bundessicherheitsrat befaßt werden müssen? Hat es auch in zurückliegenden Zeiten, Herr Kollege, Übergaben von Gerät und Waffen durch das BMVg an den BND gegeben? Wenn ja, in welchen Größenordnungen ist bisher militärisches Material an den BND übergeben worden, und in welche Staaten sind bisher außerdem noch Lieferungen gegangen? Warum ist das Gerät vom BND als landwirtschaftliches Gerät deklariert worden? Hat es diese Deklaration schon früher gegeben oder vielleicht andere? Hier muß man einmal ironisch fragen: Kann es eine wehrtechnische Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichem Gerät geben, so wie es hier gerade dargestellt wurde?

(Georg Gallus [FDP]: Das ist der Zusammenhang von Nährstand und Wehrstand!)

Meine Damen und Herren, eine letzte Frage — ich glaube, das ist eine der wichtigsten — : Waren die Bundesregierung und die BND-Spitze von zurückliegenden Geschäften dieser Art informiert? Ich meine, gerade diese Frage muß gestellt werden und muß beantwortet werden, da in dem vorliegenden Fall das Kanzleramt und der Bundessicherheitsrat nicht informiert waren und selbst der Präsident des BND, Herr Porzner, nicht wußte, was in seinem Hause passierte. Deshalb muß gefragt werden, inwieweit sich der BND
Deutscher Bundestag — l2. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Oktober 1991 4347
Günther Friedrich Nolting
mittlerweile verselbständigt hat und unkontrolliert von der Leitung des Hauses arbeitet.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, bei allem Verständnis dafür, daß Nachrichtendienste auch im geheimen arbeiten, muß hier eine Kontrolle gewährleistet sein. Hier ist auch der Präsident des BND gefordert.
Für die FDP kann ich feststellen, daß diejenigen, die aufklären und letztendlich auch unsere Grundordnung schützen sollen, hier stattdessen vernebelt und offensichtlich eklatant gegen das Gesetz verstoßen haben. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist gefordert, hier für Ordnung zu sorgen.

(Beifall bei der FDP)

Ich denke, Herr Staatsminister, Kontrolle mit ein bißchen Mißtrauen kann nicht schaden.
Doch auch einzelne Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums haben hier offensichtlich an der Spitze des Hauses vorbei gehandelt. Ich erwarte, daß diejenigen Vorgesetzten, daß aber auch die politische Leitung, die in diesem Fall umgangen wurden, die geeigneten Maßnahmen ergreifen, um eine Wiederholung dieses oder eines ähnlichen Falles auszuschließen.
Ich will keine Vorverurteilung. Ich denke, das will niemand von uns. Die Fragen müssen aber umfassend beantwortet werden. Es müssen Konsequenzen gezogen werden, notfalls auch personelle Konsequenzen.
Meine Damen und Herren, zum Abschluß: Es mag gute Gründe geben, daß Nachrichtendienste zusammenarbeiten. Es mag auch gute Gründe geben, daß sogar Waffen zu Testzwecken weitergegeben werden. Uns ist aber unverständlich, daß hier vertuscht und verschleiert wurde und Genehmigungsverfahren umgangen wurden. Das gilt uni so mehr, wenn ich auch heute wieder höre, daß doch angeblich alles in Ordnung war.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir richtigerweise die Gesetze für den Rüstungsexport und die Kontrolle verschärfen und die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, muß das für den Staat und erst recht für seine Organe ebenfalls gelten.

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Nur eine Institution hat in diesem Zusammenhang Lob verdient.

(Norbert Gansel [SPD]: Die Wasserschutzpolizei!)

Das ist die Wasserschutzpolizei — genau —, durch deren Aufmerksamkeit es überhaupt erst zur Aufdekkung dieses Vorfalls gekommen ist.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Herr Präsident, ich bitte noch um ein bißchen Aufmerksamkeit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205227100
Herr Kollege, an der Aufmerksamkeit mangelt es nicht, nur an der Zeit. Ich bitte um Kürze.

Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1205227200
Ich bitte auch den Präsidenten um ein bißchen Geduld.
Herr Kollege Paterna, wenn Sie das Fehlen des Wirtschaftsministers ansprechen, kann ich Ihnen sagen: Der Minister befindet sich zu Wirtschaftsgesprächen in Moskau, um so auch zur Stabilisierung in Europa beizutragen. Auch das kann nur in unserem gemeinsamen Interesse sein. Außerdem sind Sie mit mir bestimmt der Meinung, daß das BMWi durch den Parlamentarischen Staatssekretär Beckmann gut vertreten ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205227300
Das Wort hat der Abgeordnete Peter Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1205227400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Affäre, über die wir gerade diskutieren, kommt mir so vor wie die Geschichte von den drei Affen, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Der erste Affe ist Staatsminister Stavenhagen, der zweite Affe ist Minister Stoltenberg, und der dritte Affe ist der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Konrad Porzner.

(Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Das ist hier doch kein Affentheater!)

Es tut mir leid, daß ich das so sagen muß. Aber mir ist völlig unerklärlich, daß sich ein Behördenleiter oder ein Minister hier hinstellt und sagt, er wisse von diesen Vorgängen nichts, die eine derartige politische Brisanz haben. Das ist für mich unverständlich. Das muß Konsequenzen haben.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist: Es scheint sich bei dieser Regierung einzubürgern, daß man dem Parlament unwahre Auskünfte gibt. Ich sage einmal: Wenn ich Journalist wäre, würde ich nicht unwahre Auskünfte sagen, sondern: Die Parlamentarier werden von dieser Bundesregierung belogen. Das, Herr Kollege Wimmer, geben Sie bitte an Minister Stoltenberg weiter. Der Kollege Erler stellt eine Frage. Die wird von Ihnen falsch beantwortet, wie heute nachgewiesen worden ist. Nun erwarte ich von Ihnen — bei Herrn Stavenhagen hat das ein bißchen länger gedauert; unter tätiger Mithilfe des ersten Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion — , daß Sie das unverzüglich korrigieren und sich bei dem Kollegen dafür entschuldigen, daß Sie ihm eine falsche Auskunft gegeben, daß Sie ihn belogen haben. Das darf nicht mehr so lange dauern.

(Beifall bei der SPD)

Hier geht es auch um die Frage des Selbstverständnisses des Parlaments.
Der dritte Punkt ist: Wir sitzen seit 13.15 Uhr in der Parlamentarischen Kontrollkommission und müssen uns erzählen lassen — in einem vorläufigen Bericht —, was alles sehr geheim ist. Jetzt höre ich im Plenarsaal des Deutschen Bundestages die Dinge, die

Dr. Peter Struck
dort — Kollege Hirsch, Sie waren dabei — noch als streng geheim deklariert worden sind, aus dem Munde eines Staatsministers. Allmählich reicht es mir. Ich habe die Schnauze voll. Das sage ich ganz deutlich. Entweder berichtet die Regierung jetzt lückenlos und sagt, was wir haben, das kriegt ihr, daß ist nicht geheim, wir werden darüber später im Parlament berichten, oder Sie lassen uns mit einem solchen Mist in Ruhe. Ganz konkret, Herr Stavenhagen: So geht es nicht weiter. Herr Hirsch, ich denke, ich spreche da wirklich in Ihrem Namen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn wir die Bewertung dessen vornehmen wollen, was wir wissen, die Mitglieder der PKK, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses und andere, die sich mit diesen Fragen noch zu beschäftigen haben, ziehe ich jedenfalls für mich persönlich folgendes Fazit. Dieser vorläufige Bericht, der da abgeliefert worden ist, ist mit der heißen Nadel gestrickt worden, in 48 Stunden, wie Staatssekretär Wiechert erzählt hat, wobei ich mich wundere, was daran alles so kompliziert ist, denn die Hardthöhe ist ja schließlich ein großes Hans.

(Zuruf von der FDP: Zu groß!)

— Zu groß. Sofort einverstanden. Vor allen Dingen an der Spitze müßte sofort aufgeräumt werden.

(Ulrich Irmer [FDP]: Ohne Minister geht es nicht!)

— Das müßte dann schon ein bißchen sorgfältiger gemacht werden. Nun weiß ich aber, daß das gar nicht so einfach ist. Aber ich prophezeie Ihnen eines, Herr Kollege Wimmer: Wenn die Zusage von Herrn Wiechert, in vier Wochen einen lückenlosen Bericht vorzulegen, abgestimmt mit dem Kanzleramt und abgestimmt mit anderen zuständigen Behörden,

(Norbert Gansel [SPD]: Was wollen die denn in vier Wochen noch alles exportieren?)

nicht eingehalten werden, dann ist der Ofen aus. Dann ist es wirklich so weit, daß wir sagen: Jetzt lassen wir uns das nicht mehr gefallen.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sehr sorgfältig überlegen, ob das Instrumentarium, das wir haben
— das PKK-Instrumentarium reicht nicht aus, vor allen Dingen nicht nach den dünnen Auskünften heute —, dadurch verbessert wird, daß wir den Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß bitten, diese Angelegenheit zu überprüfen. Das werden wir sehr sorgfältig untersuchen. Es gibt dann nämlich auch die Möglichkeit, die Beamten, die auf mittlerer Ebene gehandelt haben — wie jetzt behauptet wird, ohne Wissen der Spitze des Hauses —, zu befragen, ob es wirklich ohne Wissen der Spitzen der Häuser geschehen ist. Darauf legen wir großen Wert.
Fazit: Das ganze ist ein außerordentlich peinlicher Vorgang, der dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland deutlichen Schaden zugefügt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205227500
Es spricht nun der Abgeordnete Dr. Olderog.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1205227600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wundere mich, wie schnell einige Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Urteil fertig sind, und natürlich nach dem parteipolitischen Schema insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Ich war genauso wie der Kollege Struck eben in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Ich wundere mich auch, wie der Kollege Struck, der eben ganz sachlich und konstruktiv dort mitgearbeitet hat und sich eigentlich ganz verständnisvoll gab, plötzlich hier eine sehr platte und demagogische Polemik entfaltet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da lief auch keine Fernsehkamera!)

Das scheint ein Zwang zu sein, wenn man vor der Öffentlichkeit spricht.
Meine Damen und Herren, als ich die ersten Presseinformationen las, war ich entsetzt. Ich muß nach dieser Sitzung sagen, daß sich offensichtlich alles erheblich weniger dramatisch darstellt. Von Waffenschmuggel kann nun wirklich keine Rede sein. Eher wirkt das Ganze wie eine unfreiwillige Selbstkarikatur des Bundesnachrichtendienstes. Ohne jetzt abschließend mein Urteil zu sagen, denke ich, daß es sich zunächst wohl so darstellt: Niemand kann ernsthaft die Meinung vertreten, daß wir Israel die gewünschte Unterstützung hätten versagen sollen. Ob der Zeitpunkt richtig ist, ist allerdings eine Frage, die zu Recht aufgeworfen werden muß.
Es ist offensichtlich im Bundesverteidigungsministerium formal alles korrekt abgelaufen, aber die Frage ist, ob die Regelung, die dort besteht, hinreichend sensibilisiert ist für diese Fragen des Umgangs mit Waffen. Es scheint uns allen, glaube ich, unvertretbar zu sein, daß diese Entscheidungen nicht auf der obersten politischen Ebene, sondern auf einer mittleren Ebene gefällt werden. Wir haben heute in der PKK den Mann gehört, der die Entscheidungen getroffen hat, der die Waffen freigegeben hat für die Ausfuhr nach Israel. Ich habe den Eindruck, daß das alles formal korrekt war, daß das aber jedenfalls politisch besser und verantwortungsbewußter organisiert werden muß.

(he Bewerkstelligung des Transports. Aber dabei hat er offensichtlich gravierende Fehler gemacht; nicht nur, daß sein Versuch, das geheimzuhalten, dazu geführt hat, daß er in der Öffentlichkeit, in der Presse mit Hohn und Spott übergossen wird, sondern es ist leider auch eine offensichtlich erforderliche Genehmigung des Bundeswirtschaftsministers nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz nicht eingeholt worden. In meinen Augen wirklich das Schlimmste ist, daß der Präsident des Bundesnachrichtendienstes und der Koordinator für die Geheimdienste im Bundeskanzleramt nicht unterrichtet worden sind. Das ist ein völlig unmöglicher Zustand. Das zeigt, wie wenig trotz der seit Monaten über diese Fragen geführten Diskussionen die Mitarbeiter des BND für dieses Problemfeld sensibilisiert sind. Es taucht die Frage auf, der man weiter nachzugehen haben wird: War das eine Panne, vielleicht eine einmalige Panne, oder gibt es tatsächlich das, was vorhin angesprochen worden ist, nämlich eine gewisse Dr. Rolf Olderog Verselbständigung der Leute beim BND, die glauben, daß sie unter dem Schutzmantel des Geheimdienstes eine eigene Politik, auch ein bißchen jenseits von Recht und Gesetz, machen können? Das ist die Frage, die wir mit ganz großem Ernst weiterzuverfolgen haben, und das werden wir tun. Die Mitarbeiter des BND müssen wissen, daß sie, gerade weil sie einem Geheimdienst angehören, in besonderer Weise verpflichtet sind, Recht und Gesetz peinlich genau zu beachten, daß im Zweifelsfall solche Dinge zu unterbleiben haben und daß in jeder Phase einer wichtigen Operation eine Rückkoppelung mit der politisch verantwortlichen Führung stattzufinden hat. Ich darf hier etwas zum Thema BND und Umgang mit Waffen sagen. Ich darf dies tun, weil ich das selbst mit angeregt habe. Schon vor längerer Zeit haben wir in der PKK die Bitte an die Bundesregierung und an den BND gerichtet, daß sich der BND, weil er als Geheimdienst immer einer besonderen Kritik ausgesetzt ist und mit besonderen Verdächtigungen begleitet wird, aus dem Transport, der Lieferung und dem Geschäft mit Waffen heraushält. Das ist teilweise geschehen, aber, wie wir jetzt erfahren, nicht vollständig. Wir richten noch einmal die dringende Bitte an Sie, Herr Stavenhagen, und an den BND, unserer Auffassung zu folgen. Meine Damen und Herren, ein Nachrichtendienst wie der BND macht auch Fehler, wird auch in Zukunft weiter Fehler machen. Ich sage Ihnen: Nach meiner persönlichen Überzeugung hat Staatsminister Stavenhagen bisher — jedenfalls subjektiv — uns immer ehrlich Informationen und Auskünfte gegeben. Ich habe auch das volle Vertrauen, daß Präsident Porzner diejenige Persönlichkeit darstellt, die mit uns gemeinsam die notwendigen Korrekturen leisten kann, damit wir als Politiker, als Kontrollinstitution noch wirkungsvoller als bisher den BND politisch führen. Schönen Dank. Das Wort hat der Abgeordnete Gerster. Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es gibt Anlässe, bei denen man gern im Bundestag redet, und es gibt Anlässe, bei denen man hier nicht so gerne redet. Für mich geht es heute um die zweite Kategorie. Das ist schon deshalb so, weil auch für mich nicht alles aufgeklärt ist, was aufzuklären ist. Aber es ist klar: Wenn wir eine Aufklärung fordern, muß Bedarf vorhanden sein. Er existiert auch in dieser Frage noch. Wir sollten zwei Dinge unterscheiden. Das erste ist — das möchte ich auch für die CDU/CSU-Fraktion in aller Deutlichkeit betonen — : Es kann nicht sein und darf sich auf keinen Fall wiederholen, daß eine staatliche Behörde unter dem Motto „landwirtschaftliche Geräte" Rüstungsgegenstände ins Ausland verbringt. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)





(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205227700
Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205227800
Wir können vom Bürger nicht Rechtstreue verlangen, wenn wir den Eindruck erwecken, wir bugsierten irgend etwas unter Umgehung von Vorschriften.
In keinem Fall darf das Recht gebrochen werden. Wenn das Recht nicht ausreicht, um gewisse Aufgaben erfüllen zu können, müssen wir das Recht ändern. Aber wir können es nicht brechen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Sie können sicher sein: In der Abstellung solcher Dinge wird sich die CDU/CSU-Fraktion nicht übertreffen lassen. Wir werden darauf dringen, daß klargestellt wird: Wer hat hier was verantwortet? Warum ist das so gemacht worden? Warum ist das an der politischen Führung verschiedener Häuser vorbeibugsiert worden? Wer trägt dafür die Verantwortung?

(Zuruf des Abg. Norbert Gansel [SPD])

— Nur, Herr Gansel, das Fazit ziehen wir am Ende, nicht wie Ihr Parteifreund Paterna, der innerhalb von drei Stunden weiß, wer zurückzutreten hat. Also, so einfach machen wir es uns nicht,

(Friedrich Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

und zwar nicht, weil wir irgend etwas verdunkeln wollten — wir wollen die Aufklärung — , sondern weil wir es ein bißchen seriöser machen wollen. Ich bitte also um ein bißchen mehr Seriosität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der zweite Punkte, den ich hier ganz deutlich ansprechen will: Ich bekenne mich — da hat die Opposition noch ein bißchen Erklärungsbedarf zu befriedigen —

(Gernot Erler [SPD]: In der Sache nicht!)

nachdrücklich und in vollem Umfang dazu: Solange des Existenzrecht des Staates Israel bedroht ist — —Hoffentlich braucht man diesen Satz in ein paar Monaten nicht mehr zu sagen. Derzeit ist das Existenzrecht noch bedroht, der Staat ist von seinen arabischen Nachbarn nicht anerkannt, mit Ausnahme von Ägypten. Dieser Staat befand sich 40 Jahre im Kriegszustand, ist es faktisch heute noch. Dieser Staat ist Minderheit in einer Region, die Konflikte — ich sage es vorsichtig — nicht nach mitteleuropäischen Regeln, sondern, wie wir wissen, auf andere Weise löst. Solange dieser Staat in Gefahr ist, sind wir — ich rede nicht von Angriffswaffen — nach meiner Meinung moralisch und politisch verpflichtet — aus einer Reihe von Gründen, die ich im einzelnen nicht dartue —, ihm zu helfen, die Gefahr, die ihm durch mögliche Angriffe droht, zu verringern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gernot Erler [SPD]: Da haben wir keinen Nachholbedarf! )

— Ich freue mich, wenn wir uns einig sind. Dann können Sie auch gern Beifall klatschen. Warum eigentlich nicht? Seien Sie doch nicht so verklemmt! Ich habe vorhin auch Sozialdemokraten Beifall geklatscht.
Nur, wenn das so ist, daß Sie keinen Nachholbedarf haben, dann sagen Sie bitte, ob das, was geliefert worden ist, Ihrer Meinung nach zuviel ist, ob etwas von



Johannes Gerster (Mainz)

dem, was geliefert worden ist — wenn die Aufklärung voll erfolgt ist —, falsch war.

(Walter Kolbow [SPD]: Es war doch gerade vom Recht die Rede!)

Ich habe den Eindruck, daß es so, wie es gemacht worden ist, rechtlich nicht in Ordnung war.

(Walter Kolbow [SPD]: Aha!)

Das heißt aber noch nicht, daß ich nicht politisch wollen kann, daß es gemacht wird. Das müssen wir klären, und da wird für Sie die Nagelprobe kommen.

(Gernot Erler [SPD]: Die Nagelprobe muß woanders kommen! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Natürlich, sie wird da kommen. Denn es langt nicht, mit großen Worten zu sagen, wir stehen an der Seite Israels, um dann, wenn die Stunde der Wahrheit kommt und wenn es darum geht, Israel in Not beizustehen, die Kurve zu kratzen.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205227900
Der Abgeordnete Gerster hat das Wort.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205228000
Vielleicht darf ich Sie, weil Ihr Gedächtnis da etwas kurz ist, an einen nachweisbaren Vorgang erinnern: Israel war im Jom-Kippur-Krieg in allergrößter Existenznot. Die Regierung Schmidt hat den Amerikanern damals untersagt, Hilfsmaterialien in Ramstein zwischenzulanden, um Israel zu helfen. Dieses Verhalten der damaligen Bundesregierung habe ich nie geteilt.

(Norbert Gansel [SPD]: Ohne Information der Bundesregierung, darum ging es!)

Ich bin der Meinung, daß diese in der Vergangenheit von Ihnen getragene Regierung in dieser konkreten Situation versagt hat.

(Norbert Gansel [SPD]: Das ist doch nicht wahr! — Weitere anhaltende Zurufe von der SPD)

Deswegen sage ich: Wir werden alles, was hier geschehen ist, genau überprüfen: Auf Rechtmäßigkeit, auf das, was möglicherweise falsch gemacht worden ist, ohne daß Recht verletzt worden ist. Wir werden sowohl die Aufklärung als auch die Konsequenzen ganz klar mit einfordern.

(Gernot Erler [SPD]: Das andere lassen wir weg?!)

— Nein, das andere ist auch wichtig. Nur bitte ich, wenn es um unser Verhältnis zu Israel geht, das mit der gebotenen Vorsicht abzuhandeln.
Ich will hier nur ein Beispiel nennen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205228100
Herr Abgeordneter Gerster, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß ich Ihnen seit einiger Zeit signalisiere, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205228200
Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. — Ich bin dafür, daß das alles öffentlich geliefert wird. Nur, die Wahrheit ist auch, daß Israel das teilweise nicht öffentlich will. Das heißt: Ich bitte — bei allem, was wir einfordern — , daß wir uns zumindest auf folgenden Nenner verständigen: Wir helfen einem befreundeten Staat — zu dem wir ein besonderes Verhältnis haben — , wenn er in Not ist. Wir wollen ein Höchstmaß an Offenheit und Öffentlichkeit und in jedem Fall die Gesetzmäßigkeit. Im Rahmen dieser Bindung helfen wir aber aus vollem Herzen und aus Überzeugung diesem mit uns befreundeten Staat.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205228300
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Mir bleibt nur noch die Aufgabe, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. November 1991, 10 Uhr einzuberufen.
Die Sitzung ist geschlossen.