Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle miteinander ganz herzlich im Wasserwerk. Probieren Sie die alten und die neuen Stühle aus und fühlen Sie sich, auch wenn es beengter werden sollte, wohl.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Ihnen in der Zusatzpunkteliste vorliegenden Punkte zu erweitern.
5. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes — Drucksachen 11/8023, 11/8079, 11/8081 —
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes — Drucksachen 11/8033, 11/8079, 11/8080 —
6. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland — Drucksachen 11/8024,11/8078 —
7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes — Drucksachen 11/7781, 11/7840, 11/7858, 11/7976, 11/7995 —
8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Augustin, Böhm , Börnsen (Bönstrup), Breuer, Buschbom, Clemens, Engelsberger, Fischer (Hamburg), Glos, Harries, Hauser (Krefeld), Frau Dr. Hellwig, Hinsken, Frau Hoffmann (Soltau), Jäger, Jung (Limburg), Kossendey, Krey, Lenzer, Lummer, Magin, Müller (Wesseling), Nelle, Frau Rönsch (Wiesbaden), Schemken, Dr. Stark (Nürtingen), Uldall und der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP: Unterstützung des Aufnahmeantrages Taiwans in das GATT — Drucksache 11/7941 —
9. Erste Beratung des von den Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil, Oswald, Daweke, Schemken, Dr.-Ing. Kansy, Magin, Schwarz, Seesing, Jäger, Nelle, Frau Augustin, Dr. Blank, Börnsen , Carstensen (Nordstrand), Fuchtel, Ganz (St. Wendel), Dr. Grünewald, Günther, Hedrich, Frau Dr. Hellwig, Herkenrath, Hinsken, Hornung, Jung (Limburg), Keller, Krey, Frau Limbach, Lowack, Maaß, Regenspurger, Frau Rönsch (Wiesbaden), Ruf, Frau Schätzle, Spilker, Dr. Uelhoff, Frau Dr. Wisniewski und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Dr. Thomae, Dr. Laermann, Nolting und der Fraktion
der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 11/7940 —
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen — Drucksache 11/8011 —
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen — Drucksache 11/8016 —
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vierten AKP-EWG-Abkommen von Lome vom 15. Dezember 1989 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen — Drucksache 11/8014 —
13. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtsdauer der Organmitglieder in der sozialen Selbstverwaltung — Drucksache 11/8022 —
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 29. Mai 1990 — Drucksache 11/7997 —
Zugleich soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Außerdem soll Punkt 3 d der Tagesordnung abgesetzt werden.
Darüber hinaus bittet der Verteidigungsausschuß um die nachträgliche Überweisung des Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 11/7390 zur Mitberatung.
Bevor ich Sie frage, ob Sie mit diesen Änderungen einverstanden sind, erteile ich dem Abgeordneten Wüppesahl das Wort zur Geschäftsordnung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie können sicher sein, daß mich solche Unmutsäußerungen, im besonderen von der rechten Seite des Hauses,
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18086 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Wüppesahlnatürlich nicht beeindrucken, weil das nur motivierend sein kann.
Wenn von dieser Seite des Hauses, wo meine ärgsten politischen Gegner sitzen, Unmut geäußert wird, dann kann das nicht der Maßstab für mich sein, ob es Sinn macht oder nicht, hier nach vorn zu gehen.Ich habe den Antrag auf Absetzung der zweiten und dritten Beratung eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes gestellt.Ich habe ferner den Antrag auf Durchführung einer Aussprache gestellt, die die Selbstreflexion des Bundestags im Zusammenhang mit der Tatsache zum Inhalt hat, daß in diesem Hause ein verfassungswidriges Gesetz mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde.Dieses Nachdenken trat, so meine ich, während der Herstellung der politischen Einheit nur allzuoft in den Hintergrund, wodurch leider auch, wie mein Kollege Peter Conradi von der SPD in einer persönlichen Erklärung im Anschluß an die Abstimmung über den Einigungsvertrag gleich für mehrere Abgeordnete der SPD feststellte, der Parlamentarismus negativ betroffen wurde.
Die Bewertung des zweiten Staatsvertrags über die Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl zum Deutschen Bundestag durch das Bundesverfassungsgericht ist meines Erachtens nur ein sehr augenfälliges Indiz dafür, daß vergleichbar qualitativer Sprengstoff in diesem Vorgang der deutschen Einigung steckt.Ich habe den Antrag auf Absetzung der zweiten und dritten Beratung sowie den Antrag auf Durchführung der erwähnten Aussprache heute eingebracht, und darüber ist selbstverständlich vor Eintritt in die Tagesordnung zu befinden. So sieht es die Geschäftsordnung des Bundestags vor. Trotzdem wurde gestern anders verfahren.Es stellt sich natürlich die Frage: Wann gilt die Geschäftsordnung? Wann gilt sie nicht? Wenn man von der Geschäftsordnung abweichen will, dann ist zu fragen, warum man als Instrument nicht § 126 GO BT benutzt, statt irgendwelche Heckenschützen aus dem Hintergrund diese Arbeit bewerkstelligen zu lassen. Dieser Vorgang läßt sich auch damit nicht beschönigen, daß man sagt, daß es eine besonders wichtige Debatte im Reichstag gewesen sei oder ähnliches.Meine Damen und Herren, wie derzeit die Verfassung weichgespült wird, zeigt sich auch an der Zusammensetzung dieses Übergangsparlaments. Dem Bundestag werden 144 Abgeordnete der Volkskammer zugesellt, die von den Fraktionen ausgewählt werden. So ist es im Einigungvertrag verabredet; so steht es aber nicht in der Verfassung.Es ist im Einigungvertrag verabredet, als gäbe es Art. 38 des Grundgesetzes gar nicht, der nicht ohne Grund die unmittelbare Wahl der Abgeordneten durch den Wähler fordert; denn nur, wenn die Wähler das letzte Wort haben, haben sie auch das entscheidende Wort, wie das Bundesverfassungsgericht den Artikel interpretiert hat.In diesem Abschnitt der Geschichte haben sie aber kein Wort mehr, die Wähler dieses Landes, also der sogenannte Souverän. Ihr Votum bezog sich auf die Volkskammer der DDR. Nun verlängern es die Fraktionen auf das Nachbarparlament. Wenn es auch nur zwei Monate sind, die Gesetze dieser Zeit sind von der Verfassungssystematik her als verfassungswidrig einzustufen; denn ein Art. 41 des Einigungsvertrages ersetzt noch nicht den Art. 38 des Grundgesetzes.Meine Damen und Herren, das ist nur ein weiterer Aspekt dessen, was notwendig wäre, bevor man die zehnte Änderung des Bundeswahlgesetzes vornimmt. Art. 38 des Grundgesetzes führt aus:Die Abgeordneten ... werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.Hinter jedem dieser konstituierenden Attribute „allgemein", „unmittelbar", „frei", „gleich" und „geheim" stehen historische Kämpfe um ein demokratisches Staatswesen — der vorerst letzte dieser Kämpfe führte mit dem 9. November 1989 in der DDR zu einem glücklichen Ende — , die das Leben vieler Menschen kosteten. Doch diese Geschichte, die Wurzel und die Entstehungsbedingungen unseres Staates wurden im Wahlgesetz mit einer Unbekümmertheit beiseite geräumt, die nur jemand an den Tag legen kann, der im Geschichtsunterricht geschlafen hat.Dies und noch viele andere Gesichtspunkte sind die Gründe, weshalb ich es für notwendig erachte, daß wir heute nicht wirklich alberne 45 Minuten in zweiter und dritter Lesung ein solch konstituierendes Gesetz diskutieren, sondern uns zunächst zwei Stunden lang über die Tatsache unterhalten, daß der Bundestag mit überwältigender Mehrheit ein solch bedeutsames Gesetz verfassungswidrig ausgeformt hat.Ich bitte um Zustimmung.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Frau Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wüppesahl macht's möglich:
Ich habe hier die besondere Ehre, nicht nur für die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion, nein, auch für die SPD-Fraktion zu sprechen. Wir lehnen den Antrag des Herrn Wüppesahl ab und stimmen heute dem Wahlgesetz zu.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für diese Geschäftsordnungsanträge? — Zwei Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Anträge sind mit überwältigender Mehrheit bei einigen Enthaltungen abgelehnt.Ich frage Sie nunmehr, ob Sie mit den von mir eingangs angesprochenen Änderungen der Tagesord-
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Präsidentin Dr. Süssmuthnung einverstanden sind. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.Dann rufe ich Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes— Drucksache 11/8023 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/8079 —Berichterstatter: Abgeordnete Krey Dr. NöbelDr. HirschSuchbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/8081 —Berichterstatter:Abgeordnete Walther DeresEstersDr. Weng
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 11/8033 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/8079 —Berichterstatter: Abgeordnete Krey Dr. NöbelDr. HirschSuchbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/8080 —Berichterstatter:Abgeordnete Walther DeresEstersDr. Weng
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 45 Minuten vorgesehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben gestern die ersteLesung gehabt und uns zu dem vorliegenden Entwurf geäußert. Mir ist seit gestern keine neue Erkenntnis gekommen. Ich will mich darum darauf beschränken, einiges von dem, was ich gestern ausgeführt habe, zu akzentuieren.Ich darf vorausschicken, daß sich der Innenausschuß gestern abend mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und ihn beraten hat. Ihnen liegt heute morgen eine Empfehlung des Innenausschusses vor, die darin mündet, daß Ihnen empfohlen wird, dem Gesetzentwurf in der vom Innenausschuß beschlossenen Fassung — ich erörtere gleich noch zwei oder drei kleinere Änderungen — zuzustimmen. Die Begründung zur Empfehlung enthält einen kleinen Fehler. Auf Seite 9 haben wir ausdrücklich gesagt, der Ausschuß ist einem Antrag der Fraktion der GRÜNEN nicht gefolgt. Es heißt dann in der Begründung auf Seite 8 umgekehrt, wir hätten dem Antrag zugestimmt. Hier muß das Wörtchen „zugestimmt" durch das gewichtigere Wort „abgelehnt" ersetzt werden.
Ich bitte das noch zu vermerken. — Darüber freut sich Frau Dr. Vollmer. Das sind die Fehler, die den Kollegen in der Eile dann gelegentlich unterlaufen.
Meine Damen, meine Herren, ich habe gestern gesagt, es sind vor dem Hintergrund des Urteils des Verfassungsgerichts und des vorliegenden Entwurfs die unterschiedlichen Meinungen noch einmal festzustellen. Sie müssen gewichtet, wenn nötig, zusammengeführt werden. Wir haben sie zusammenführen können. Wir waren im Innenausschuß auch in der Lage, sozusagen aus dem Stand zu beraten, weil der Innenausschuß mit der Wahlrechtsmaterie vertraut ist. Es ist zum einen seine ständige Aufgabe, auf die er sich ständig vorbereitet. Zum anderen haben wir in diesem Jahr im Innenausschuß das Wahlrecht schon wochen-, wenn nicht monatelang beraten. Somit haben wir die notwendigen Änderungen und Anpassungen vornehmen können, damit wir für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag ein dem Urteil entsprechendes Wahlrecht bekommen. Es war möglich, unverzüglich in diese Beratungen einzusteigen und die dichte Folge zwischen erster, zweiter und dritter Lesung zu verantworten.Wir haben vor dem Hintergrund der Einwände, die wir gestern in der ersten Lesung bekommen haben, zwei wesentliche Änderungen in den Gesetzentwurf aufgenommen.Erstens. Der Bundesminister des Innern hat unter dem Eindruck unserer Begründungen ausdrücklich erklärt, daß er sich in der Lage sieht, die Frist, binnen derer die Absicht zu einer Listenvereinigung dem Bundeswahlleiter zu erklären ist, zu verlängern. Jetzt wird im Gesetzentwurf in Art. 1 Nr. 3 Ziffer 1 die Passage „bis spätestens zum vierundvierzigsten Tage vor der Wahl" ersetzt durch „bis spätestens zum vierzigsten Tage vor der Wahl" . Damit sind vier Tage gewonnen. Ich kann das gleich noch im einzelnen begründen.
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BernrathZweite Änderung. Um das Verfahren für das Einreichen von Wahlvorschlägen, auch von Wahlvorschlägen innerhalb von Listenvereinigungen, zu vereinfachen, ist eine Ergänzung aufgenommen worden: Nicht nur für die im Bundestag oder die in der bisherigen Volkskammer vertretenen Parteien, sondern auch für die Parteien, die ab 14. Oktober in den Länderparlamenten der DDR vertreten sein werden, soll das vereinfachte Verfahren für die Anmeldung von Wahlvorschlägen oder Listenvereinigungen gelten, nämlich der Verzicht auf Unterschriften. Somit kann innerhalb der verfügbaren Frist sehr zügig gearbeitet werden. Es ist unter den veränderten rechtlichen Bedingungen auch noch möglich, beispielsweise Listenvereinigungen zu verabreden und anzumelden, sie vorzubereiten und dann der Entscheidung des Wählers zugrunde zu legen.Wir haben alle wohl übereinstimmend darauf hingewiesen, daß das Wahlrecht eines der empfindlichsten juristischen Verfahren und juristischen Mittel in der Demokratie ist.
Mit dem Wahlrecht werden Verfahren für die Durchführung der Wahl, für die Wählerentscheidungen vorgegeben. Hier hat sich der Gesetzgeber auch bewußt selbst Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt, die wir ausfüllen müssen. Der Wahlrechtsgesetzgeber hat diese verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten ganz unbestritten vorgegeben und erlaubt. Wir müssen sie ausfüllen.Wir müssen uns dabei bewußt sein, daß eine vollständige Ergebnisneutralität unterschiedlicher Wahlrechtssysteme völlig ausgeschlossen ist. Die Unterschiedlichkeit wird immer da sein.
Von daher, Herr Häfner, ist das, was Sie gestern von sich gegeben haben, nun wirklich Luft. Im Grunde ist das, was Sie ausgeführt haben, nichts anderes als eine massive Gerichtsschelte gewesen. Sie haben sich einerseits auf das Gericht bezogen, andererseits aber völlig übersehen, daß auch das, was das Gericht vorgibt, dieser Ergebnisneutralität, die ich angedeutet habe, in keiner Weise entspricht. Ich will das nicht vertiefen. Auch darauf haben wir gestern hingewiesen.Man kann z. B. auch unter dem Gesichtspunkt, den Sie angeführt haben, nämlich der Wahlgleichheit für Bürger und Parteien, die Einteilung in Bezugsgebiete durchaus in Frage stellen. Denn sie geben ganz massiv Ergebnisse vor.
Darüber gibt es doch wohl überhaupt keinen Zweifel. Von daher bedaure ich, Herr Häfner, daß Sie sich dazu haben hinreißen lassen, nun so massive Gerichtsschelte zu verbreiten und damit Ihre eigene Ernsthaftigkeit in Frage zu stellen.
Ich möchte zunächst sagen, daß die Unruhe im Saal zu groß ist. Das ist für den Redner nicht hinnehmbar.
Herr Bernrath, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Bitte.
Haben Sie im Innenausschuß auch überprüft — worum ich gestern gebeten habe —, wie es mit einer Partei aussieht, die erstmalig antritt?
Sie haben vorhin lediglich gesagt: Wer sich an den Landtagswahlen in der DDR beteiligt, soll keine Unterschriften beibringen müssen. Wie sieht das jetzt z. B. mit einer ganz neu gegründeten Partei aus, die in der Bundesrepublik Deutschland alle juristischen Vorschriften erfüllt hat?
Sie hat die gleichen Chancen wie die anderen, wenn sie die Unterschriften beigebracht hat.
Denn sie kann natürlicherweise noch in keinem Parlament vertreten sein. Sie tritt ja zum ersten Mal an. Wenn Sie Ihre eigene Partei oder Gruppierung meinen: Diesbezüglich bin ich überzeugt, daß Sie bei Ihrer Mobilität keine Schwierigkeiten haben werden, Frau Unruh.
Ich habe gestern darauf hingewiesen, welche Eckpunkte bei den Beratungen für uns maßgebend waren. Nach dem Ergebnis der Beratungen in der ersten Lesung sind wir im Innenausschuß gestern im wesentlichen bei unseren Eckpunkten geblieben, insbesondere was die Klausel angeht — jetzt natürlich unter Berücksichtigung der Einteilung in zwei Bezugsgebiete.Aber auch hier ist noch einmal ausdrücklich auf das Urteil zu verweisen, in dem sehr ausführlich dargestellt wird, daß die Sperrklausel bis zu einer Höhe von 5 % gerechtfertigt bleibt — auch unter dem Gesichtspunkt der Regionalisierung gerechtfertigt bleibt —, weil durch die Möglichkeit der Bildung von Listenvereinigungen durch im bisherigen Gebiet der DDR tätige Parteien und politische Vereinigungen deren Chancen gewahrt bleiben. Durch die Entscheidung, daß die Klausel von 5 % im jeweiligen Bezugsgebiet gilt, wird eine Entsprechung der Empfehlungen — hier handelt es sich um Empfehlungen der Richter — erreicht.Ich bin überzeugt, daß wir auch in Verbindung mit den anderen Regelungen im Gesetz die Chancengleichheit an einen Punkt gebracht haben, der von allen, die sich bei der Wahl um Wählerstimmen bewerben, akzeptiert werden kann.Damit führt kein Weg daran vorbei, dieses Quorum von 5 % für die erste gesamtdeutsche Wahl zu erhalten, insbesondere nachdem es jetzt auf getrennte Bezugsgebiete, also die ehemalige DDR und die frühere Bundesrepublik Deutschland, angewendet werden kann.Die GRÜNEN sind in Sachen Sperrklausel sehr schnell eingeschwenkt, nachdem ihr Gesetzentwurf im Innenausschuß abgelehnt wurde. Sie haben dann sozusagen aus dem Augenblick heraus bei der Bera-
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Bernrathtung des Gesetzentwurfs der Koalition eine Sperrklausel von 3 % gefordert.
Sie akzeptieren also die Sperrklausel. Uns bleibt dann nur noch die Frage: Wenn Sie aus dem Augenblick heraus eine Sperrklausel von 3 % fordern, warum dann eigentlich nicht 2 % oder 4 %? Damit hätten Sie wohl keine Schwierigkeiten gehabt. Sie wollten auf jeden Fall dokumentieren, daß Sie die Sperrklausel für in Ordnung halten und mit ihr — unter Einteilung in zwei Wahlgebiete — leben können. Ihre rasche Abweichung von Ihrem früheren Antrag bestätigt das ausdrücklich.Was die Listenvereinigung angeht, möchte ich hier noch mal ausdrücklich betonen, daß sie es den kleinen Parteien im früheren Gebiet der DDR erleichtert, in den Wettbewerb um Wählerstimmen einzutreten. Ich glaube, daß sie äußerstenfalls jetzt klären müssen, ob sie nach ihrem politischen Standort zu Listenvereinigungen überhaupt in der Lage sind, ob sie in der Lage sind, einen Listenpartner für eine Listenvereinigung zu finden. Wenn die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Parteien oder Gruppierungen so groß sind, daß eine Listenvereinigung nicht zustande kommt, dann müssen sie, wie alle anderen, natürlich auch die Konsequenzen aus der Sperrklausel in ihrem jeweiligen Wahlgebiet hinnehmen. Auch das ist unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit jetzt so gefügt, daß es in Ordnung ist und auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts standhält.Ich möchte hiermit schließen, wiederhole aber die Empfehlung des Innenausschusses, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Meine Fraktion hat dieser Empfehlung im Innenausschuß ebenfalls zugestimmt. Dabei war das wesentliche Motiv nicht nur die Verfassungsgemäßheit des Entwurfs, sondern auch unsere gemeinsame Absicht, am 2. Dezember zu wählen, um auf diese Weise schnell zu einer gleichen Legitimation für alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag zu kommen. Damit wird dann auch dem Petitum von Herrn Wüppesahl entsprochen, der sich diese gleiche Legitimation wünscht. Wir erreichen sie durch die Wahl am 2. Dezember auf der Grundlage des jetzt vorliegenden Wahlgesetzentwurfs.Im übrigen weise ich ausdrücklich darauf hin, daß das Wahlrecht, das wir heute beschließen, nur für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag gilt.
Das entnehmen Sie § 53 des Wahlgesetzes. Nach der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag gelten wieder die alten, bewährten Wahlregeln mit einer bewährten Sperrklausel
und damit Bedingungen eines Wettbewerbs, der dazu geführt hat, daß Parteien auf der Grundlage einer soliden Organisation, eines soliden, demokratisch gefügten Programms Chancen haben, in den Deutschen Bundestag einzukehren, und der auch die Arbeitsfähigkeit des Parlaments — wie in der Vergangenheit — sichert. Das ist mindestens so wichtig, wie
die Überlegung, wie die unterschiedlichen Bewertungen der Sperrklausel begründet werden können. Die Chancengleichheit muß für alle Gruppierungen, die sich bewerben, gesichert werden.
In dem Sinne schließen wir uns der Empfehlung des Innenausschusses an und werden für das Wahlrecht nach dem jetzt vorliegenden Entwurf stimmen.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Herr Kraus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich den Mitgliedern des Innenausschusses für die äußerst zügige Beratung dieses Gesetzes recht herzlich danken. Wir sind ja der Meinung, daß dieses Gesetz unbedingt erforderlich ist.Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat eine Änderung gebracht, die von der CSU ursprünglich beabsichtigt worden ist.
Wir sind von Anfang an dafür eingetreten, daß in getrennten Wahlgebieten mit gleichen Sperrklauseln gewählt werden soll.
Seien Sie doch froh, daß wir es uns mit unserer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf so leicht machen können.Die neue Sperrklausel trägt nach unserer Auffassung den Interessen aller neuen Parteien — auch denen in den fünf neuen Bundesländern — ausreichend Rechnung. Mit der Möglichkeit, Listenvereinigungen einzugehen, wird zudem die besondere Situation erst nach dem Zusammenbruch des Unrechtssystems auf deutschem Boden neu entstandener Gruppierungen berücksichtigt.Die Fünfprozentklausel hat sich in der Verfassungswirklichkeit bewährt. Sie hat sich weitgehend als Sperre für extreme Randgruppen erwiesen, und sie hat unsere Demokratie bis heute vor einer Zersplitterung der politischen Parteienlandschaft im Deutschen Bundestag bewahrt.Der von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachte Gesetzentwurf, der eine völlige Streichung der Sperrklausel zum Ziel hatte, leugnet diese in den letzten vier Jahrzehnten gemachten positiven Erfahrungen. Die stabilisierende Wirkung der Sperrklausel ist heute allgemein anerkannt.Soweit die Fraktion DIE GRÜNEN in der Begründung ihres Gesetzentwurfs das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. September 1990 heranzieht und behauptet, der Zweite Senat habe in seiner Entscheidung im Ergebnis die Abschaffung einer Sperrklausel mit ins Auge gefaßt, hat sie unrecht. Der Innenausschuß hat den Gesetzentwurf der GRÜNEN gestern mit großer Mehrheit abgelehnt.Um die Chancen für die auf dem Gebiet der fünf neuen Bundesländer neu gegründeten Parteien wei-
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Krauster zu verbessern, hat der Innenausschuß, wie wir finden, richtigerweise eine weitere Verkürzung der Anmeldefrist beschlossen. Damit ist die Frist im Einverständnis mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Statistik im Verhältnis zu den Vorschriften im Einigungsvertrag um insgesamt sieben Tage hinausgeschoben worden. Dies wird den Parteien für ihre Arbeit und für ihre Verhandlungen im Hinblick auf Listenvereinigungen zugute kommen.Wünsche der CSU im einzelnen sind offengeblieben. Jedoch liegt es, so glauben wir, im wohlverstandenen Interesse aller unserer Bürger, wenn wir diesen Kompromiß trotzdem voll mittragen.
Wir müssen dafür sorgen, daß die notwendigen Entscheidungen für den Aufbau der neuen fünf Bundesländer und für die weitere Regierungsarbeit sofort ermöglicht werden. Es ist jetzt Zeit, zu regieren und nicht endlos lang Wahlkampf zu führen, denn je früher neue Investitionen getätigt und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, desto besser kann der Arbeitslosigkeit begegnet werden und desto eher kann der unterschiedliche Lebensstandard wenigstens etwas angenähert werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist daher in unseren Augen ein vernünftiger Kompromiß zwischen den Interessen der neuen Parteien und den zeitlichen Notwendigkeiten bei der inneren Umsetzung der Einheit Deutschlands. Wer den großen Berg von Aufgaben sieht, der im Bereich der Umwelt-, Sozial-, Wirtschafts- und Innenpolitik vor uns liegt, dem muß einfach daran gelegen sein, die Bundestagswahl so schnell wie möglich abzuhalten und dem neuen Parlament möglichst bald die Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, um so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung zu haben.Nach unserer Auffassung wäre ein noch früherer Wahltermin sicher zweckmäßig gewesen. Das wäre von den außenpolitischen Gegebenheiten her, die so natürlich nicht vorausgesehen werden konnten, möglich gewesen. Offensichtlich war es aus wahltaktischen Gründen aber nicht möglich, eine entsprechende Mehrheit zu bekommen. Wir bedauern das nach wie vor.
Herr Kraus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege, können Sie mich bitte aufklären, wie das mit den Stimmen in der ehemaligen DDR ist, ob sie, falls dort keine 5 % erreicht werden, mitgezählt werden oder nicht?
Wenn die 5 % in der ehemaligen DDR nicht erreicht werden, dann kommt diese Partei, wenn sie nur dort kandidiert, nicht in den Bundestag.
Sie haben mich nicht verstanden. Es war doch einmal in den Raum gestellt, daß
die Stimmen mitgezählt würden, wenn z. B. in der BRD — in der ehemaligen oder wie man das nennt —5 % erreicht sind, aber in der DDR nicht. Ist das so?
Ja. Das ist eindeutig und klar.
Die ursprünglichen Überlegungen von uns waren, daß der Wahltermin — ich sage es noch einmal — vorgezogen werden sollte im Interesse einer raschen Regierungsbildung und um die gegebenen Verhältnisse möglichst bald zu verbessern. Dies ist damals aus wahltaktischen Gründen im Bundestag gescheitert. Ich möchte das noch einmal ausdrücklich bedauern. Wir finden, daß dadurch wertvolle Zeit verlorengegangen ist; übrigens nicht nur die sieben Wochen, die wir jetzt noch bis zum Wahltermin haben. Vielmehr ist durch die Gegebenheiten — Lage der Feiertage, Weihnachten usw. — in Wahrheit sogar noch wesentlich mehr Zeit verlorengegangen.
Zusammenfassend möchte ich, nachdem meine Zeit abgelaufen ist, sagen: Unsere Auffassung hat sich in dieser Frage zwar nicht in allen Punkten durchgesetzt. Im Interesse einer zügigen Regierungsarbeit glauben wir aber, diesen Kompromiß mittragen zu können und sind deshalb für die sofortige und rasche Verabschiedung dieses Gesetzes.
Ich bedanke mich.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast beiläufig wird durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zum Wahlvertrag den Bürgerbewegungen Verfassungskompetenz bescheinigt. Ich bräuchte dies nicht hervorzuheben, wenn es nicht so beflissen übergangen würde.Immerhin hat man diesem fraglichen Wahlvertrag zwei Sondersitzungen in der Volkskammer gewidmet, um ihn dann doch — gegen unsere verfassungsrechtlichen Bedenken — zu beschließen. Wir haben ihn ja nicht aus irgendwelchen Gründen abgelehnt, sondern weil wir ihn für verfassungswidrig hielten.Für uns ist das Karlsruher Urteil ein später Durchbruch von Gerechtigkeit, der die ursprünglichen Intentionen der friedlichen und gewaltlosen Revolution in Erinnerung bringt, z. B. den Anspruch einer demokratischen Verfassung, die ohne Barrieren allen gesellschaftlich relevanten Kräften gleiche Chancen für die politische Willensbildung einräumt und nicht per Wahlgesetz einengt.Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß wir schlecht beraten waren, die nationale von der konstitutionellen Frage zu trennen und die nationale Einheit gefühlsmäßig und zeitlich vor die Verfassung gesetzt zu haben.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18091
SchulzDie Art, in der die Vereinigung vollzogen wurde, sagt über die demokratische Reife der Deutschen eben wesentlich mehr aus als all Ihre Beteuerungen über ihre endgültige und unwiderrufliche Einbindung in die Familie der europäischen Verfassungsstaaten.
Kaum ist die staatliche Einheit formal vollzogen, wird das Bundesgebiet wieder in zwei Zählgebiete zerlegt. Dies folgt der logischen Aufteilung in zwei Wirtschaftsgebiete, zwei Sozialgebiete und zwei Umweltgebiete. Schon jetzt fallen die ersten Puzzleteile aus dem Luftschloß „Deutschland eilig Vaterland" heraus.
Der vorliegende Gesetzentwurf folgt diesem Verhängnis. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen: Wir hatten ein Wahlgesetz, das demokratischen Prüfungen durchaus standgehalten hat, ohne Sperrklausel und dem Element der Listenvereinigung. Wir wären gut beraten gewesen, vielleicht diese demokratischen Elemente zu übernehmen, wenn wir schon von einem neuen und modernen Deutschland sprechen, das wir gestalten. Es ist eben nicht damit getan, daß Sie die Bürgerbewegung rhetorisch permanent mit Streicheleinheiten bedenken, aber dann, wenn es interessant wird, politische Kopfnüsse verteilen.
Herr Abgeordneter Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wiefelspütz?
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben vorhin das Bundesverfassungsgericht gelobt und kritisieren jetzt den vorliegenden Gesetzentwurf. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Gesetzentwurf eine Realisierung, einen millimetergenauen Nachvollzug der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes darstellt?
Da bin ich eben ganz und gar nicht Ihrer Auffassung. Vielmehr denke ich, daß es um die Chancengleichheit geht. Man kann sich z. B. auf ein Wahlgebiet und gleiches Wahlverfahren verständigen. Das würden wir sofort erreichen, wenn wir auf die Sperrklausel verzichteten.
Dann haben wir eine natürliche Selektivität. Es werden immerhin 70 bis 80 000 Stimmen benötigt, um ein Mandat zu bekommen.
— Das ist sehr wohl eine Antwort. Im Grunde genommen geht es um die Einigkeit. Gerade Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben das ja hauptsächlich betrieben. Ihre Argumentation ist doch darauf hinausgelaufen: ein Wahlgebiet und ein Wahlverfahren. Warum rücken Sie denn jetzt von dieser Argumentation ab? Das verstehe ich überhaupt nicht.
— Doch. Sie haben das gemacht, weil Sie die PDS aus dem Parlament schlenzen wollten. Aber das kann man nicht mit einem Wahlgesetz machen.
Bei einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie ist es wichtig, daß alle politisch relevanten Kräfte vertreten sind und daß wir hier die Auseinandersetzung führen, sowohl mit der PDS als auch mit Altstimmen, die sich schon wieder artikulieren. Auch diese Vergangenheit sollte hier aufgearbeitet werden.
Sie liefern mir kein stichhaltiges Argument für Ihre Sperrklausel, die sich in der Bundesrepublik so gut bewährt hat. Bitte schön, ich gestehe Ihnen das zu. Aber vielleicht wäre doch heute der Tag, einmal zu rekapitulieren, ob sie noch Bestand und Sinn hat.
Wir haben es in der DDR geschafft, ohne Sperrklausel eine arbeitsfähige Volkskammer zu haben.
— Nein. Keine Zerfaserung der politischen Kräfte ist eingetreten. Schauen Sie sich doch bitte Ihre eigene Geschichte an: Regierungskrisen werden doch nicht durch kleine Kräfte im Parlament ausgelöst.
Herr Abgeordneter Schulz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Elmer?
Auf Ihre Frage, wir lieferten Ihnen kein einziges Argument: Halten Sie es wirklich für kein Argument für die Sperrklausel, daß ebendiese Sperrklausel den Bundestag bis heue davor bewahrt hat, Neofaschisten in seinen Reihen zu haben?
Ich sprach von stichhaltigen Argumenten.
— Wissen Sie: Faschistoide Verhaltensweisen äußern sich nicht nur in der Parteizugehörigkeit.
Ich bezweifel ganz und gar nicht, daß es in der Anfangsphase der Bundesrepublik ein Erfolg war— das gestehe ich Ihnen gerne zu — , diese Sperrklausel einzubringen. Aber man ist heute gut beraten, darüber nachzudenken, weil wir in der Volkskammer ganz andere Erfahrungen gemacht haben.Schauen Sie: 25 Parteien sind angetreten. Wie viele sind denn wirklich ins Parlament gekommen? Sie haben ja noch dafür gesorgt, daß sie dort fusioniert wor-
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18092 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Schulzden sind. Es sind ja noch weniger übriggeblieben, als ursprünglich dort saßen.
Es überzeugt in keinster Weise, daß diese Sperrklausel aufgebaut werden muß.Insofern bestehen wir sehr wohl darauf, daß das, was wir am Runden Tisch erkämpft haben, noch einmal deutlich gemacht wird. Ich halte das für einen Erfolg. Ich halte dieses Wahlgesetz so, wie Sie es vorlegen, für ein Verhängnis.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben sehr viel über Chancengleichheit gesprochen und gehört. Ich möchte mit einer Randbemerkung beginnen: Wenn ein Fernsehteam im Plenum herumläuft, gehört es eigentlich zur Chancengleichheit aller, daß alle Photoberichterstatter und Fernsehteams in derselben Weise hier herumlaufen können. Das würde unsere Beratungen in der Tat wesentlich verändern.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung äußerst weitgehende Vorgaben gemacht. Es hat bestimmte Bezugsgrößen für die Sperrklausel vorgeschrieben. Es hat vorgeschrieben, daß die Sperrklausel in beiden Bezugsgrößen gleich hoch sein sollte. Es hat im einzelnen ausgeführt, wie ein weiterer Ausgleich in Form einer gemeinsamen Liste aussehen müsse. Es hat schließlich seine Erwartung ausgedrückt, daß die Wahl am 2. Dezember 1990 stattfinden könne.
Das ist eine jener Entscheidungen, in denen das Gericht nicht nur die Entscheidung des Gesetzgebers aufhebt, sondern gleichzeitig auch sagt, was nach seiner Meinung geschehen müsse. Unter anderen Bedingungen wäre das eine verfassungsrechtliche Diskussion wert
zu der Frage, was zum Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zu sagen wäre, und zwar nicht um das Verfassungsgericht anzugreifen, sondern um es davor zu bewahren, in die politische Arena hinunterzusteigen und sich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es trotzdem hilfreich, anhand der sehr engen Vorgaben des Gerichtes Entscheidungen treffen zu können, von denen wir wissen, daß sie die Zustimmung des Gerichtes finden können. Es ist keine Zeit zu verlieren, und alle Beteiligten brauchen rechtliche und tatsächliche Klarheit für ihre Entscheidung.
Es handelt sich um drei Grundentscheidungen. Die wichtigste ist die der Fünfprozent-Sperrklausel, wenn auch mit unterschiedlichen Bezugsgrößen. Wir halten diese Sperrklausel für außerordentlich wichtig, um eine Zersplitterung des Parlamentes zu verhindern.
Ich kann verstehen, wenn sich jemand, der fürchtet, unter die Fünfprozentklausel zu fallen, leidenschaftlich gegen dieselbe wehrt. Wir als Liberale haben uns ihr immer wieder gestellt. Ich selbst bin in einer wichtigen Wahl einmal an ihr gescheitert. Aber wir wollen an ihr festhalten, weil sie sich in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik bewährt hat
und weil sie von der überwältigenden Mehrheit der Wähler auch als richtig und gerecht akzeptiert wird.
Ich bin nicht der Meinung, daß die Weimarer Republik überlebt hätte, wenn es eine Fünfprozentklausel gegeben hätte. Aber ich bin ziemlich sicher, daß die Fünfprozentklausel zur Kontinuität und -Berechenbarkeit der Politik der Bundesrepublik wesentlich beigetragen hat.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Vollmer?
Ja.
Herr Abgeordneter Hirsch, halten Sie es für ausgeschlossen, daß es vom Jahre 1949 bis heute oder von Weimar bis heute eine Entwicklung in Demokratie und eine größere Haltbarkeit demokratischen Bewußtseins in der Bevölkerung gegeben hat?
Frau Vollmer, natürlich hat es eine Entwicklung an Demokratie gegeben. Zu dieser Entwicklung gehört aber auch die Erkenntnis, daß ein Parlament nicht zersplittert werden darf und daß es für unser heutiges politisches Leben wichtig ist,
Entscheidungen berechenbar, in einer Kontinuität zu haben. Deswegen ist diese Klausel für uns alle von großer Bedeutung.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Ich könnte Frau Unruh beim besten Willen nichts abschlagen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18093
Herr sehr angenehmer Kollege Dr. Hirsch,
ich habe vorhin zur Kenntnis genommen, daß Landtagswahlen dann auch zählen, wenn man hineinkommt. Meine Frage: Wer ist für die Landtagswahlen in der ehemaligen DDR zuständig? Auch unser Bundeswahlleiter?
Ich meine ab dem 3. Oktober.
Die Landtagswahlen in den fünf Ländern folgen jeweils den dortigen Gesetzen. Zuständig ist der Wahlleiter, der in dem jeweiligen Land bestellt wird. Das ist nicht eine Aufgabe des Bundeswahlleiters. Für uns ist lediglich von Bedeutung, ob eine Partei in einem der Landtage der fünf neuen Länder vertreten ist, weil sie dann das Unterschriftenquorum nicht mehr benötigt.
Die zweite wichtige Entscheidung ist die der gemeinsamen Liste. Hierzu hat Herr Bernrath dargestellt, daß wir die Frist auf 40 Tage verlängert haben.
Die dritte Entscheidung ist die zum Wahltermin. Dazu ist verschiedentlich die Urteilsbegründung ausführlich zitiert worden, in der das Verfassungsgericht davon ausgeht, daß wir die entscheidenden Änderungen so schnell vornehmen können, daß der Wahltermin 2. Dezember 1990 gehalten werden kann.
Ich bin sicher, daß sich der neue Deutsche Bundestag mit den Fragen des Wahlrechtes bald erneut befassen wird. Es ist eine Materie, die Kontinuität verlangt und die nicht nach den jeweiligen Opportunitäten immer wieder neu entschieden werden sollte.
Die Besonderheiten, die wir mit dem heutigen Gesetz beschließen, können und sollen keinen dauerhaften Bestand haben. Wir denken aber, daß das neue und endgültige Wahlgesetz bald in die Beratung des neuen Deutschen Bundestages eingeführt werden sollte, damit frühzeitig Klarheit besteht und sich alle Beteiligten dann auf ein dauerhaftes fortgeltendes Wahlrecht einstellen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht ist die Information nicht durchgängig verbreitet worden: Wir hatten im September genehmigt, daß am heutigen ersten Tag unten im Plenum einige Aufnahmen für unser Archiv gemacht werden können. Die Chancengleichheit steht hier nicht in Frage; denn es wird keine Berichterstattung gemacht. Die Frage, ob wir Chancengleichheit bei den verschiedenen Sendern haben, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt Papier.
Ich wollte Sie nur noch einmal darüber informieren.
Als nächster hat das Wort der Bundesminister Herr Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin in der unangenehmen angenehmen Lage, daß das Technische Hilfswerk um 10 Uhr in Bad Godesberg sein 40jähriges Bestehen in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten begeht. Ich bitte das Hohe Haus deshalb um Verständnis, daß ich bei der Debatte nicht bis zum Ende anwesend sein kann.
Ich möchte mich beim Innenausschuß des Bundestags und bei seinem Vorsitzenden, dem Kollegen Bernrath, für die zügige Beratung dieses Gesetzentwurfs bedanken.
Ich möchte im Zusammenhang mit dem zeitlichen Druck, unter dem wir diese Beratungen führen müssen, einfach darauf hinweisen, daß wir in diese Lage deswegen gekommen sind, weil die Entscheidung in der Volkskammer der DDR, der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 des Grundgesetzes beizutreten, in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der fälligen Neuwahl des 12. Deutschen Bundestags steht. Daraus ergibt sich die zeitliche Enge, die uns zwingt, in einem Beratungsverfahren, das nicht die Regel ist, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Konsequenzen zu ziehen.
Was ich nicht ganz verstehe, ist, daß diejenigen, die in dem Verfahren die Antragsteller und Kläger waren, die Konsequenzen aus dem Urteil nun nicht ziehen möchten, obwohl es ein den Anträgen im wesentlichen entsprechendes Urteil ist. Deswegen möchte ich diese Kolleginnen und Kollegen dann doch bitten, daß sie die Glaubwürdigkeit beim Anrufen des Bundesverfassungsgerichts und im Tragen der Entscheidung auch dadurch zeigen, daß sie das Umsetzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Inhalt wie im Verfahren hier mittragen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daniels? — Bitte.
Herr Minister, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß es eine Möglichkeit gegeben hätte, diese Beratungen doch etwas intensiver durchzuführen, ohne den Wahltermin zu verschieben, indem z. B. in der nächsten Woche die Ausschüsse die Gesetzentwürfe ausführlicher beraten hätten und möglicherweise am Wochenende dann der Bundestag zusammengetreten wäre?
Herr Kollege, Ihre Frage zeigt genau das Dilemma, in dem Sie mit Ihrer Argumentation stecken. Herr Kollege Bernrath hat vorgetragen, daß wir den Gruppierungen in der bisherigen DDR möglichst viel Zeit für ihre Entscheidung nach Verabschiedung des Wahlgesetzes geben wollen und deswegen unter äußerster Anstrengung die Fristen noch einmal um vier Tage verkürzt haben. Wenn wir uns jetzt aber im Bundestag diese vier Tage nehmen, um weiterzuberaten, dann haben die Bürgerbewegungen in Berlin und Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nichts davon. Deswegen können wir hier nicht viel Beratungszeit in Anspruch nehmen, weil wir diese Zeit genau
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18094 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Bundesminister Dr. Schäubledenjenigen nehmen, die die Begünstigten dieses Urteils sind. Nur das eine oder das andere geht.
Wenn Sie die Wahlen am 2. Dezember 1990 nicht wollen, dann muß ich Ihnen schon sagen: Wir möchten die Wahlen am 2. Dezember, die der Herr Bundespräsident im Einvernehmen mit allen Parteien und Fraktionen festgelegt hat.Das Bundesverfassungsgericht — ich sage es noch einmal; ich habe es gestern im Reichstag schon gesagt — hat uns, den Gesetzgeber, aufgefordert, dieses Urteil ganz zügig umzusetzen. Es hat nämlich den Satz angefügt, daß es, wenn der Gesetzgeber diese Konsequenzen nicht selbst unmittelbar und unverzüglich zieht, dann selbst die Rechtsgrundlage für die Durchführung der Wahlen am 2. Dezember 1990 schaffen werde.Deswegen bitte ich Sie wirklich, nun mitzuwirken und nicht zu verhindern; denn wir müßten ja sonst Zweifel in die Ernsthaftigkeit dessen setzen, was Sie bewogen hat, das Verfassungsgericht anzurufen.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Dr. Heuer?
Bundesminister Dr. Schäuble: Frau Präsidentin, ich bitte um Nachsicht. Ich muß gleich das Rednerpult und den Plenarsaal verlassen. Ich habe den Grund mitgeteilt, Herr Kollege; ich bitte um Verständnis. Ein anderes Mal werden wir sicherlich ausgiebiger miteinander diskutieren.
Ich möchte noch gern zwei Bemerkungen machen: erstens die, daß im Land Berlin trotz der getrennten Berechnung für die Fünfprozentklausel einheitliche Landeslisten für ganz Berlin möglich sind, so daß auch diejenigen Parteien und Gruppierungen, die bereits nominiert haben, nicht neu nominieren müssen.
Zweitens, Frau Kollegin Unruh, zu Ihrer Frage von gestern: Wenn irgend jemand den Namen Ihrer Organisation — welcher auch immer — in Anspruch nehmen sollte, dann steht Ihnen zu, was immer an Möglichkeiten zusteht, wenn Namen mißbraucht werden. Man kann dagegen gerichtlich vorgehen.
Übrigens: Für die Durchführung der Landtagswahlen in den fünf neuen Ländern am 14. Oktober 1990, sind nach dem Ländereinführungsgesetz, das wir im Einigungsvertrag übernommen haben, die Behörden in den fünf Ländern zuständig. Sie können mit Hilfe der Landessprecher, die es ja gibt, die notwendigen Informationen erhalten.
Schließlich will ich noch einmal sagen: Das Wahlgesetz bedeutet, daß alle diejenigen Parteien und Gruppierungen an der Verteilung der Mandate nach den erhaltenen Zweitstimmen teilnehmen, die mindestens in einem der beiden Teile 5 % der Stimmen erzielt haben. Wenn man also in dem einen Teil 5 und in dem anderen 1 % der Stimmen erzielt hat, werden alle Zweitstimmen für die Verteilung der Mandate berücksichtigt.
Damit setzen wir millimetergenau die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um.
Ich bedanke mich für die zügige Beratung.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Häfner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Karlsruher Urteil war nicht nur ein Sieg für die GRÜNEN und für die Bürgerbewegungen,
sondern vor allem ein Sieg für die Demokratie.
Es wäre ein schlimmer Start in das neue vereinigte Deutschland gewesen, wenn wir mit einem Wahlrecht begonnen hätten, das den Wählern in der DDR nicht das gleiche Recht gibt wie den Wählern in der Bundesrepublik, das für Parteien und Listenverbindungen in der DDR eine Hürde von effektiv 23,75 % errichtet, für solche in der BRD dagegen eine Hürde von lediglich etwa 6 %.
— Herr Penner, wenn Sie das abstreiten: Alles dies wird in der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes ausgeführt, präzise dargelegt und vorgerechnet.Es hat ja schließlich Gründe, daß das von Ihnen beschlossene Gesetz eindeutig für verfassungswidrig erklärt wurde. Sie kennen diese Gründe; denn Sie waren ja selbst in Karlsruhe, und Sie selbst haben ja dieses Gesetz aus Ihren parteiegoistischen Überlegungen heraus so hingetrickst, weil Sie jede Konkurrenz ausschalten wollten, weil Sie merkwürdigerweise glauben, dies nur mit einem Mißbrauch, einer Manipulation des Wahlrechts erreichen zu können, statt offen im Wahlkampf mit Ihren Argumenten aufzutreten und zu versuchen, auf faire Weise die nötigen Stimmen zu bekommen.
Es ist gut, daß es nicht zu diesem Wahlrecht gekommen ist, daß Ihnen das Gericht einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, und zwar deutlicher denn je. Es ist gut, daß es nicht zu diesem Wahlrecht gekommen ist; denn Sie hatten sich in einer großen und — in diesem Punkt muß man wirklich sagen — in einer schändlichen Koalition auf ein Wahlrecht geeinigt,
das einer Partei, die laut Noelle-Neumann — wie ich dieser Tage gelesen habe — gerade noch mit 2,4 der Stimmen rechnen kann, den Einzug ins Parlament
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18095
Häfnergesetzlich garantiert, während auf der anderen Seite Parteien und Listen, die theoretisch auf 10 %, 15 % oder 20 % kommen könnten, ausgesperrt bleiben.Das kann nicht demokratisch sein. Das kann nicht durchgehen. Das können wir nicht zulassen. Wir haben das im Bundestag gesagt. Wir haben unsere Klage mehrmals angekündigt und begründet. Sie haben nicht gehört. Wir haben daraufhin die Klage eingereicht und in allen Punkten recht bekommen.Deshalb, Herr Bernrath, finde ich es etwas eigentümlich — und ich sage Ihnen offen: ich mag das nicht — ,
wenn Sie hier, wo Sie tiefer denn je im Schlamm sitzen, versuchen, auf andere mit dem Finger zu zeigen, und das noch mit falschen, völlig aus der Luft gegriffenen Argumenten.Sie haben z. B. gesagt, ich hätte Urteilsschelte betrieben. Wie sollte ich? Ich habe dieses Urteil gelobt, denn ich habe in Karlsruhe recht bekommen. Ich habe gestern im Plenum des Deutschen Bundestages sogar gesagt: Dem Bundesverfassungsgericht gebührt Dank und Beifall. Und Sie hatten noch nicht einmal die Kraft — mit wenigen Ausnahmen in Ihrer Fraktion, denselben, die sich schon ganz zu Beginn nicht an der Wahlrechtsmanipulation beteiligt haben — , an dieser Stelle zu klatschen und zu danken, daß es ein Bundesverfassungsgericht gibt, das solche offensichtlichen Verfassungsverstöße verhindert.
Wir arbeiten ja in demselben politischen Bereich, der Rechts- und Innenpolitik. Wir wissen, daß sich unser Verfassungsrecht gegenüber dem mancher anderer Staaten gerade dadurch auszeichnet, daß wir nicht nur eine Verfassung haben, die auf dem Papier steht, sondern auch ein Verfassungsgericht, das der Verfassung zur Durchsetzung verhilft und das auch gegenüber dem Gesetzgeber eingreifen kann, wenn der, wie in diesem Fall, die eigenen parteiegoistischen Interessen und das Bedürfnis der Privilegiensicherung über die Verfassung und die Chancengleichheit stellt.Herr Bernrath, wenn Sie also sagen, ich hätte Urteilsschelte betrieben, so haben Sie Unrecht. Ich habe vielmehr — das gilt für die Beratung im Plenum, und das gilt für die Beratung im Ausschuß — gesagt: Dieses Urteil gibt uns in allen Punkten recht. Es ist ein hervorragendes Urteil.Dieses Urteil hat — darauf haben Sie heute hingewiesen, Herr Bernrath — in einem Punkt, den Sie immer wieder als zementiert darzustellen versuchen, dem Bundestag geradezu aufgetragen, noch einmal nachzudenken und zu beraten. Das ist die Frage der Sperrklausel. Das Bundesverfassungsgericht sagt in seinem Urteil, daß eine Klausel von 5 % rechtlich zulässig ist. Es sagt aber auch — ich lese Ihnen dies wörtlich aus dem Urteil vor, damit Sie nicht wieder solche Behauptungen aufstellen; ich wäre Ihnen nebenbei äußerst dankbar, wenn Sie Ihre Unterstellungen von vorher zurücknehmen könnten — :Der Gesetzgeber wäre auch in der Lage, die regionalisierte Sperrklausel im Blick auf die besondere Bedeutung der ersten gesamtdeutschen freien Wahl unterhalb von 5 v. H. anzusetzen.
Sie wissen, Herrn Bernrath, daß das Bundesverfassungsgericht dieses nicht nur lapidar sagt, sondern auch noch begründet. Es sagt nämlich — daran sollten wir bei der Wahl denken — , daß auf dem Gebiet der DDR Parteien antreten, die nicht zu den Blockparteien gehört haben und sich deshalb in personeller, materieller, struktureller Hinsicht in der kurzen Zeit, die sie überhaupt zur Verfügung hatten, nicht ausreichend vorbereiten konnten.
— Die SPD gehört auch dazu, wobei die SPD starke Hilfe aus Bonn bekommen hat. Deshalb ist mir Ihr Verhalten ja auch so unverständlich.Es treten also Parteien an, die nicht dieselben Voraussetzungen haben und die deshalb eine Hilfe brauchen, damit sie diese Hürde leichter überwinden.Wir haben gesagt: Die demokratischste Lösung ist überhaupt keine Hürde, weil es zu einer stabilen, zu einer gewachsenen und zu einer offenen Demokratie gehört, daß alle politischen Kräfte im Parlament vertreten sein können. Hier im Parlament muß die Auseinandersetzung geführt werden.
Herr Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Bernrath?
Bitte schön, gerne.
Herr Kollege Häfner, Sie haben zitiert „Der Gesetzgeber wäre auch in der Lage ... ". Ist Ihnen denn entgangen, daß sich dieses „auch" darauf bezieht, daß er in der Lage wäre, auf eine Sperrklausel zu verzichten, wenn nicht die Einteilung in zwei Bezugsgebiete und wenn keine Listenvereinigung vorgesehen wäre? Aber bei Einteilung in zwei Bezugsgebiete, bei der Zulässigkeit von Listenvereinigungen ist die Sperrklausel Rechtens, und das Gericht sagt ausdrücklich, daß sie bis an die Marke von 5 % heranreichen kann.
Herr Bernrath, ich mag Ihre gewissenhafte Art, mit Texten umzugehen. Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Bernrath.
Wenn Sie die Klausel nämlich — wie von uns vorgeschlagen — ganz streichen, dann haben Sie nicht das Problem mit den unterschiedlichen Zählgebieten. Und diese unterschiedlichen Gebiete waren ja immer Ihr Argument gegen dieses Gesetz.
Sie haben immer gesagt, die unterschiedlichen Zählgebiete seien verfassungswidrig. Das ist zweifellos unrichtig, das sagt auch das Bundesverfassungsgericht nicht; da hatten Sie unrecht. Aber das Bundesverfassungsgericht sagt: Dies ist eine Frage, in der der
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Häfner
Gesetzgeber Spielraum hat und über die der Gesetzgeber entscheidet. Genau darauf berufen wir uns.
Wir haben unseren Antrag eingebracht: keine Klausel bei diesem Gesetz. Wir haben auch gesagt, daß wir bereit sind, über eine herabgesetzte Klausel zu verhandeln. Sie waren aber noch nicht einmal dazu bereit. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf bei der Abstimmung jetzt im Bundestag ablehnen.
Wir werden weiter dafür kämpfen, daß das Wahlrecht in diesem Land so gestaltet wird, daß — dies war der Satz, in dem ich vorhin unterbrochen wurde — allen politischen Kräften in diesem Lande die Möglichkeit gegeben ist, sich im Parlament zu artikulieren. Ich sage Ihnen, Herr Bernrath — auch aus Ihrer Sichtweise — : Es wird nicht demokratischer und auch nicht stabiler, wenn Sie die aussperren. Im Gegenteil! Ich glaube, wenn wir diesen Mut und diese Kraft nicht haben, hier die Auseinandersetzung zu führen, wenn wir Klauseln brauchen, um uns gegen die abzuschotten, die Ihnen, uns oder auch anderen nicht passen, dann werden wir, Herr Bernrath, auf Dauer die Demokratie nicht stärken, sondern schwächen.
Ihre Redezeit ist beendet, Herr Häfner.
Aus diesen Gründen bitte ich um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Als nächster hat der Abgeordnete Herr Gysi das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Uhr zeigt nur noch vier Minuten Redezeit an, obwohl ich fünf Minuten zur Verfügung habe. Gut, ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.
— Ich werde das schon noch begreifen; Sie werden mich einführen. Wir haben ja schon eine ganze Menge gelernt.Ich darf daran erinnern, daß unsere Fraktion in der Volkskammer zu dem damaligen Wahlvertrag ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt hat. Ich finde, Sie sollten wenigstens einräumen, daß wir dem Grundgesetz näherstanden als andere, zumindest in dieser Frage; das ist einfach nicht zu leugnen.
Ich weiß auch noch, welche Schelte ich dafür bekam, daß angeblich ich mit bestimmten Anträgen einen Beitrag dazu geleistet habe, daß dieser Wahlvertrag beim erstenmal nicht die erforderliche Mehrheit in der Volkskammer fand und erst beim zweitenmal, nachdem noch einige Abgeordnete herangeholt worden waren, verabschiedet worden ist. Es hat sich eben herausgestellt, daß die Kritiker, die darauf hingewiesen haben, daß die Chancengleichheit nach dem Grundgesetz mit diesem Wahlvertrag nicht verwirklicht wurde, sondern daß hier einseitig parteipolitische Interessen vertreten worden sind, recht behalten haben.Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal einige Argumente gegen die Sperrklausel vorzutragen. Die Argumente, die dafür sprechen, sind oft gewechselt worden; sie sind auch in den Medien immer wieder genannt worden. Ich möchte einfach zur Nachdenklichkeit in diesem Punkt anregen.Eine Wahl soll ja nicht nur die politische Handlungsfähigkeit eines Parlaments nach sich ziehen — sicherlich ist das auch ganz wichtig — , sondern auch ermöglichen, daß man z. B. tatsächlich weiß, wie der Wille der Wahlberechtigten aussieht. Mit jeder Sperrklausel machen Sie aus einer Vielzahl von Wählerinnen und Wählern Wahltaktiker,
weil viele eine andere Partei wählen als die, die sie normalerweise wählen würden, da sie davon ausgehen, daß diese Partei die Sperrklausel nicht überschreiten wird.
Das manipuliert in gewisser Hinsicht den Wählerwillen, und ich füge hinzu: Es zwingt viele Wählerinnen und Wähler zu wahltaktischem Denken statt zu den Gedanken, welche Partei ihnen hinsichtlich ihrer politischen Aussagen am nächsten liegt.
Dann kommt das, was man die Wahl des „kleineren Übels" nennt. Ich weiß nicht, warum so viele stolz darauf sind, als kleineres Übel gewählt zu werden.
Ich würde lieber direkt gewählt werden.Einen zweiten Punkt halte ich für ganz wichtig: Mit jeder Sperrklausel geben Sie den Meinungsbildungsoder Umfrageinstituten eine ungeheure Macht. Ich würde das in der Bedeutung nicht unterschätzen. Wenn Sie eine Fünfprozenthürde haben und wenn von einem Meinungsforschungsinstitut bis kurz vor der Wahl irgendeine Partei — ob das richtig oder falsch ist, ist völlig offen; das sind ja immer nur Wahrscheinlichkeitsergebnisse —laufend mit 3 % eingeschätzt wird, dann nimmt dieses Meinungsforschungsinstitut eindeutig Einfluß auf das Verhalten der Wählerinnen und Wähler, weil sich diese wegen der 3 % — in Wirklichkeit waren es vielleicht 5 % —sagen: Es hat keinen Sinn; meine Stimmen sind verschenkt; ich werde also diese Partei nicht wählen. Das heißt, daß dadurch auch Institutionen eine Macht bekommen, die man bei Wahlen eigentlich ausschließen sollte. Ich finde, das ist doch ein gewichtiges Argument.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18097
Dr. Gysi— Das haben Sie doch im Einigungsvertrag getan!
Eine ganz andere — wie ich finde — interessante Frage, die noch hinzukommt, ist folgende: Wer sagt denn eigentlich immer, daß sich das bewährt hat? — Das sind die Parteien, die seit Jahren im Bundestag sind, weil es sich für sie bewährt hat.
Der Sachverständige Professor Meyer hat gesagt, das Ganze ist ein Schutzzoll, der von der Binnenwirtschaft natürlich als bewährt betrachtet wird. Das ist richtig, hat aber sozusagen mit dem Anliegen einer Chancengleichheit bei Wahlen wenig zu tun.
Herr Abgeordneter Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Birthler?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, selbstverständlich.
Erinnere ich mich richtig, Herr Gysi, daß Ihre Fraktion in der Volkskammer bei der Verabschiedung der Landtagswahlgesetze der Fünfprozenthürde zugestimmt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, falsch.
— Nein, nein, eindeutig.
— Nein. Das weiß ich genau. Wir hatten sogar das Gesetz mit dieser Begründung abgelehnt, weil wir den Änderungsantrag eingebracht hatten — Sie werden sich vielleicht noch erinnern — , auf 0 % oder als Kompromiß wenigstens auf 3 % zu gehen. Mit beiden Änderungsanträgen sind wir nicht durchgekommen, außerdem nicht mit unserem Antrag, den Ausländern das Wahlrecht zu geben.
Deshalb haben wir mit Nein gestimmt.
Wir sind und bleiben konsequente Gegner von Sperrklauseln,
unabhängig davon, wie unsere Chancen sind; denn mit diesem neuen Wahlrecht — das werden Sie mir zugeben —, das hier beschlossen werden soll, werden wir sehr wohl in der Lage sein, diese Hürde zu nehmen. Die Stimmen in der ehemaligen Bundesrepublik würden ja dann auch mitzählen, selbst wenn wir die Fünfprozenthürde dort nicht überschreiten.
— Ich wäre an Ihrer Stelle ein bißchen vorsichtiger. Ich
muß Ihnen nämlich eines sagen: Ich habe gestern zur
Hauptverantwortung der SED gesprochen. Dazu stehe ich auch,
wenngleich ich dort keine führende Position hatte und wenngleich andere Persönlichkeiten dieses Landes zu den führenden Personen dieser Partei wesentlich engeren Kontakt hatten.
Aber ich sage Ihnen noch eines: Die CDU in der DDR hat sicherlich eine geringere Verantwortung. Aber sie hat alles mitgemacht, und sie hatte auch etwas davon. Wer uns unseren Mittäter wegfusioniert, sollte dann nicht permanent den moralischen Stab über uns brechen. Das muß ich Ihnen so deutlich sagen.
Sie haben damit auch ein Stück Geschichte übernommen. Das wird jetzt ein gemeinsames Problem. Dagegen bin ich nicht, aber ich bin sehr wohl dagegen, daß die einen so tun, als ob allein sie die moralischen Richter über die anderen seien. Das hilft nicht weiter und ist auch nicht ehrlich.
Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, daß die Fünfprozenthürde auch zu einer ganz besonderen Situation in der Bundesrepublik geführt hat, nämlich dazu, daß über Jahrzehnte keine neue politische Kraft in das Parlament gekommen ist. Die einzige war dann die Partei der GRÜNEN, aber mit welcher Kraft und mit welchem Anlauf! Vielleicht hätte es auch der Bundesrepublik nicht geschadet, wenn es schon vorher einmal andere politische Kräfte in diesem Parlament gegeben hätte.
Inzwischen gibt es ja neue.
Ihre Redezeit ist beendet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön. — Es ist nur noch ein Satz, Frau Präsidentin.
Das Argument kommt auch immer von der FDP. Ich glaube, daß die FDP in dieser Hinsicht auch eine besondere Rolle gespielt hat. Es gab ja kaum eine Regierung, an der sie nicht beteiligt war, unter anderem deshalb, weil keine weitere Partei in diesem Bundestag war. Ich glaube, das sollte man im Interesse der Chancengleichheit ändern, und zwar im Interesse der Chancengleichheit der Wählerinnen und Wähler, weniger der Chancengleichheit der Parteien.
Danke.
18098 Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Als nächster hat der Abgeordnete Herr Wüppesahl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! — Ich sehe hier: zwei Minuten. Das geht nicht. Wir hatten vier vereinbart.
Eine Frage an die SPD: Weshalb verhält sich die SPD bei der Sperrklausel jetzt noch so starrköpfig? Der Hauptgrund für Ihre Zustimmung zu dem für verfassungswidrig erklärten Wahlgesetz war doch, daß die PDS nicht in den Bundestag kommen soll und Sie in deren Wählerreservoir besonders stark wildern können. — Ihr Nicken und Ihre Zustimmung bestätigen meine Ausführungen. Ich danke Ihnen.
Daß Sie jetzt noch an der Sperrklausel festhalten, bewirkt doch nur, daß die linken Gruppen und Bürgerrechtsbewegungen, die in der Volkskammer gesessen haben, den Sprung in diesen Deutschen Bundestag nicht schaffen können, ohne sich einer anderen Partei zu unterwerfen. Was ist das für ein Anspruch, der bei Ihrem Verhalten zu erkennen ist?
Ich kann keinerlei Nachdenklichkeit bei den Ausführungen der Redner und Rednerinnen feststellen,
die für die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion gesprochen haben.
Es gibt einen weiteren Aspekt, unter dem es sinnvoll gewesen wäre, daß wir uns, bevor wir in dieser Hektik — gestern die erste Lesung, am Abend dann die Innenausschußsitzung, parallel dazu die Rechtsausschußsitzung und heute morgen der erste Tagesordnungspunkt
— die zweite und dritte Lesung dieses so wichtigen Gesetzes vornehmen,
noch einmal darüber hätten austauschen können, wie es möglich war, daß über 80 % der Mitglieder des Deutschen Bundestages so einen Quatsch beschlieBen konnten. Das Wahlgesetz — Herr Bernrath führte es aus, und zwar richtig glückselig — gilt nur für diese Wahl. Danach wird wieder richtig hart zur Sache gegangen. Da wird auch nochmals erschwert, daß eine Partei wie die PDS in den Bundestag gelangen kann.
Die Antwort auf die von Herrn Wiefelspütz gestellte Frage muß natürlich so lauten: Sie klammern sich zur
Zeit mit diesem Wahlgesetzentwurf, über den wir heute beschließen sollen, exakt an den Mindeststandard dessen fest, was das Verfassungsgericht gerade noch für verfassungsgemäß erklärt hat. Sie betreiben nicht die Politikgestaltung der Spielräume, die in dem Urteil enthalten sind, zum Beispiel bei der Sperrklausel. Es müssen ja nicht gleich 0 % sein.
Es können ja auch 3 % sein. Aber nein, Sie halten sich exakt an diesem Mindeststandard fest. Das macht Ihr Vorgehen nicht weniger verwerflich als bei dem ersten Gesetz, das für verfassungswidrig erklärt worden ist, auch wenn Sie diesmal wahrscheinlich bei der Prüfung auf die Verfassungsmäßigkeit Glück haben dürften.
Herr Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Wüppesahl, Sie haben uns vorhin eingeschätzt, wie wir als Sozialdemokraten so sind. Darf ich Sie wenigstens fragen, wie Sie die PDS einschätzen? Ist es eine demokratische Partei? Oder ist es eine Partei, die im Grunde genommen die Nachfolgeschaft der SED aufgenommen hat?
Herr Kollege, das eine schließt das andere nicht aus.
Die Partei der PDS ist mit Sicherheit eine demokratische, auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Partei,
in dieser Frage deutlicher beim Grundgesetz stehend, als die SPD es gewesen ist.
Meine Damen und Herren, Ziel dieses Gesetzes war die optimale Ausnutzung des rechten Stimmpotentials und die maximale Ausgrenzung der Linken. Was da seitens der Exekutive an präzisen Wahlvorentscheidungsvorschriften zubereitet wurde, nötigt Respekt vor der handwerklichen Präzision der Exekutive ab. Aber dies hat im doppelten Sinne nichts mehr mit Demokratie zu tun. Das Verfahren entspricht nicht dem Ideal eines Parlaments, und das Ergebnis — die Wählerausgrenzung — entspricht noch nicht einmal den Minimalanforderungen demokratischer Verfaßtheit. Das gilt auch für den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf.Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der GRÜNEN und möchte nicht unerwähnt lassen, daß ich acht kleine Änderungsanträge ins Rennen schicke
und mir doch vorstellen könnte, daß der eine oder andere Ihr Wohlgefallen finden wird.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18099
Als letzte hat das Wort die Abgeordnete Frau Unruh.
Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Leider mußte der Herr Innenminister weg. Das kann ich auch verstehen. Ich konnte ihn daher nicht fragen, wie das denn rechtlich aussieht. Zu den Landtagswahlen in der ehemaligen DDR gilt das ehemalige DDR-Recht. Es können also auch politische Gruppierungen antreten.
Heißt das, zu den Landtagswahlen kann der SeniorenSchutz-Bund „Graue Panther" als politische Vereinigung antreten, hier zur Bundestagswahl aber nicht? Heißt das, zur Landtagswahl kann z. B. unter Namensmißbrauch eine Partei „Die Grauen" in Mecklenburg-Vorpommern antreten, zur Bundestagswahl nicht?
— Ja, wenn Sie sagen „Doch! ", dann geschieht genau das, was ein Bundeswahlleiter nie zulassen dürfte, daß zwei Parteien unter gleichem Namen antreten können. Sie sehen also, in welcher Zwickmühle sich die Überpartei „Die Grauen", initiiert vom SeniorenSchutz-Bund „Graue Panther", befindet.
Selbstverständlich werden wir so schnell wie möglich einstweilige Verfügungen loslassen. Der Wähler weiß nämlich überhaupt nicht mehr, wen er denn jetzt wählt: Wer sind die richtigen „Grauen Panther", und wer sind die von der PDS gelenkten Menschen,
die es gewagt haben, in Brandenburg, in Potsdam, den Senioren-Schutz-Bund „Graue Panther" zu unterlaufen?
So, das sind die Dinge, wo ich mich berufen fühle, auch jetzt über diese einmalige Gelegenheit alle Wähler und Wählerinnen zu bitten, nur die echten, den Senioren-Schutz-Bund „Graue Panther" / Die Grauen zu wählen. Wenn die Gesetzgeber es schon nicht schaffen, im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in der ehemaligen DDR und der gesamtdeutschen Bundestagswahl eine Eindeutigkeit herzustellen, dann muß ich dieses Pult — verzeihen Sie, Frau Präsidentin — leider so mißbrauchen.
Also: Nur das wählen, hinter dem die Trude Unruh steht!
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes in der Ausschußfassung.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 11/8070 bis 11/8077 Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl vor.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8070? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei einigen Zustimmungen und Enthaltungen abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8071? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei gleichem Abstimmungsverhalten abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8072? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei gleichem Abstimmungsverhalten abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8073? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei einer Zustimmung und mehreren Enthaltungen abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8074? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei gleichem Abstimmungsverhalten abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8075? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei zwei Zustimmungen und mehreren Enthaltungen abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8076? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei einigen Zustimmungen und mehreren Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8077? — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist bei gleichem Abstimmungsverhalten abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 des Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-, der FDP- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen GRÜNE/Bündnis 90 und PDS angenommen.Ich rufe Art. 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der CDU/CSU-, der FDP- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und — mit Ausnahme von zwei Gegenstimmen — der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen GRÜNE/Bündnis 90 und PDS angenommen.Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
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18100 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Präsidentin Dr. SüssmuthBundeswahlgesetzes. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Ziffern 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland— Drucksache 11/8024 —Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 11/8078 —Berichterstatter:Abgeordnete Vogel Voigt (Frankfurt)IrmerDr. Lippelt
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und bitte Sie, daß wir wieder geordnete Verhältnisse im Plenarsaal herstellen, bevor der Bundesminister des Auswärtigen das Wort ergreift. — Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen, damit wir mit der Beratung beginnen können. — Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das erste Ratifikationsgesetz, das der gesamtdeutsche Bundestag zu beraten hat, gilt dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland. Der Vertrag ist am 12. September 1990 von zwei deutschen Staaten unterzeichnet worden; ratifiziert wird er nun durch das vereinte Deutschland.Ich danke den Fraktionen, die das Ratifizierungsgesetz gemeinsam eingebracht haben. Ich danke dem Hohen Haus für seine Bereitschaft, das Gesetzgebungsverfahren so zu gestalten, daß die Bundesrepublik Deutschland zu den ersten Vertragsparteien gehören wird, die die Ratifikation abgeschlossen haben werden. Ich danke allen Mitarbeitern, die an der Gestaltung dieses Vertragswerkes mitgewirkt haben. Den Namen von Herrn Ministerialdirektor Dr. Kastrup nenne ich besonders.
Der Vertrag regelt die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit. Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Berlin und für Deutschland als Ganzes werden durch diesen Vertrag beendet. Am 1. Oktober wurde in New York das Dokument unterzeichnet, mit dem diese Rechte und Verantwortlichkeiten vom Tage der deutschen Einheit bis zum Inkrafttreten des Vertrages ausgesetzt werden. Das vereinte Deutschland hat volle Souveränität über seine inneren und seine äußeren Angelegenheiten. Die wiedergewonnene Souveränität wollen wir für ein neues Souveränitätsverständnis nutzen. Wir wollen sie für eine neue Ordnung des Friedens in Europa und für eine neue Weltordnung nutzen, die ohne Übertragung von Souveränitätsrechten nicht entstehen können.Am 1. Oktober habe ich in New York das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Gespräche den Außenministern der KSZE-Staaten vorgetragen. In dem Abschlußkommunique dieser Konferenz ist die abschließende Regelung als wichtiger Beitrag zu Stabilität, Zusammenarbeit und Einheit in Europa begrüßt worden. Das vereinte Deutschland hat als guter Nachbar seinen Platz in der Gemeinschaft der Völker Europas und der Welt eingenommen. Unsere Vereinigung ist Teil der europäischen Vereinigung. Wir verbinden mit unserer Vereinigung nicht den Anspruch auf mehr Macht. Aber wir sind uns der gestiegenen Verantwortung bewußt, die wir nun als Volk in einem Staat vereint zu tragen haben.
Der Wille und das Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für eine friedliche europäische Zukunft verbinden uns mit den Völkern Europas und der Welt. Das Vertrauen, das die Völker dem vereinten Deutschland entgegenbringen, ist für uns Anlaß zu Dankbarkeit. Es war eine Grundvoraussetzung für die deutsche Einheit.Dieses Vertrauen hat sich die Bundesrepublik Deutschland, unterstützt von ihren Partnern und Freunden, durch eine Politik der Zusammenarbeit und Verständigung erworben, durch ihre innere Liberalität und durch eine Ordnung sozialer Gerechtigkeit. Die friedliche Freiheitsrevolution in der früheren DDR hat dieses Vertrauen für alle Deutschen bekräftigt und verstärkt.
Von Anfang an war uns der Zusammenhang von deutschem und europäischem Schicksal, die Verbindung von deutscher und europäischer Vereinigung bewußt. Wir haben den europäischen Weg nach Deutschland eingeschlagen. Europa ist und bleibt unser Ziel. Nur so werden wir der europäischen Berufung der Deutschen gerecht.In dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland bekennen wir uns zur Friedensverantwortung des vereinten Deutschland. Von deutschem Boden soll nur Frieden ausgehen. Wir bekennen uns zu einer Politik des guten Beispiels. Die abschließende Regelung bekräftigt das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen als Kernelement der Friedensordnung in Europa. Das vereinte Deutsch-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18101
Bundesminister Genscherland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch in Zukunft nicht erheben. Es wird die bestehende deutsch-polnische Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag bestätigen.Wir Deutschen bekräftigen, daß wir unsere Waffen niemals einsetzen werden, es sei denn in Übereinstimmung mit unserer Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen. Die Politik des guten Beispiels bedeutet auch: Wir verzichten auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Wir bekennen uns zu den Rechten und Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Wir wünschen, daß die deutsche Entscheidung, die Streitkräfte des vereinten Deutschlands auf 370 000 Mann zu reduzieren, ein Beitrag und ein Aufruf zu tiefgreifender Abrüstung in Europa werden möge.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unsere Erklärungen und Verpflichtungen in diesem Vertrag sind unser Beitrag zu einer besseren Zukunft Europas.
Sie sind uns nicht auferlegt worden, und sie mußten uns auch nicht abgerungen werden. Es entspricht der Würde und dem Friedenswillen unseres Volkes, daß wir sie in eigener freier Entscheidung und in eigener Verantwortung abgeben.
So dienen wir als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt. Das entspricht unserem festen Willen, durch Kontinuität und Berechenbarkeit zur Stabilität in der Mitte Europas beizutragen. Das bedeutet, den Weg zur europäischen Einheit, zur politischen Union, zur Wirtschafts- und Währungsunion entschlossen fortzusetzen. Wir werden das in enger Zusammenarbeit mit Frankreich tun. Alle Deutschen nehmen nun an dem deutschfranzösischen Freundschaftswerk teil. Wir haben uns für die Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis entschieden.Die staatliche Einheit der Deutschen ist vollendet. Die gesamteuropäische Einheit gilt es noch zu vollenden. Wir sind uns der Verantwortung für den Erfolg der Reformpolitik in Mittel- und Osteuropa bewußt. Der deutsch-sowjetische Vertrag, der am 13. September 1990 in Moskau paraphiert wurde, ist Ausdruck der Entschlossenheit, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen werden niemandem etwas nehmen; aber sie werden ein Gewinn für ganz Europa sein. Sie haben deshalb auch zentrale Bedeutung.In einem umfassenden Vertrag wollen wir die künftigen Beziehungen Deutschlands zu Polen regeln. Das deutsch-polnische Verhältnis ist ein Kernstück europäischen Friedens.
Wir werden den historischen Entwurf der KSZESchlußakte als Grundlage für die europäische Konföderation nutzen, von der Präsident Mitterrand sprach, und für die europäische Friedensordnung, die das westliche Bündnis schon 1967 gefordert hat.Der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland hat den Weg für die staatliche Vereinigung Deutschlands freigegeben, für eine Vereinigung, die sich in Harmonie mit denen vollzieht, die 45 Jahre die Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin getragen haben, und in Harmonie mit den Teilnehmerstaaten des KSZE-Prozesses und mit den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Unsere Unterschrift und die Ratifizierung dieses Vertrages erfolgt im Bewußtsein unserer geschichtlichen Verantwortung — auch im Bewußtsein von allem, was in deutschem Namen geschehen ist.Dieser Vertrag, der uns mit Dankbarkeit und mit Freude erfüllt, ist auch Grund zur Besinnung. Er eröffnet uns eine neue Chance, und er eröffnet Europa die Möglichkeit eines umfassenden Neuanfangs. Diesen Zusammenhang zu erkennen und ihn zu gestalten ist unsere europäische Berufung.Der Vertrag ist wohl der wichtigste und chancenreichste, den wir je geschlossen haben. Ob sich diese Erwartung erfüllen wird, wird die Geschichte entscheiden. In unserer Hand liegt es, wie das Urteil der Geschichte ausfallen wird.
Als nächter hat der Abgeordnete Herr Ehmke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das gesamtdeutsche Parlament wird heute als ersten internationalen Vertrag den Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland debattieren. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die große Mehrheit dieses Hauses dem Vertrag zustimmen wird. Das ist, Kolleginnen und Kollegen, ein gutes Omen für die Außenpolitik des vereinten Deutschlands. Sie wird von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen, und ich kann Ihnen sagen: Die SPD wird das ihre tun, um die Gemeinsamkeit, die heute zum Ausdruck kommt, auch künftig zu erhalten.
Was die innere Dimension der deutschen Einheit betrifft, so kann von einer solchen Übereinstimmung bisher noch keine Rede sein. Einigkeit und Recht und Freiheit sind, was die innere Einheit betrifft, noch Programm.Bevor ich auf den Vertrag selbst eingehe, ist zunächst ein Wort des Dankes am Platze: Dank an die Außenminister der Vier Mächte und der beiden deutschen Staaten wie auch an ihre Mitarbeiter, die mit einer enormen gemeinsamen Anstrengung ein Vertragswerk geschaffen haben, das die mit der Vereinigung Deutschlands verbundenen völkerrechtlichen
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18102 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Dr. Ehmke
Fragen in klarer Sprache und zur Zufriedenheit aller Beteiligten regelt.
Dank gebührt darüber hinaus auch den Westmächten, die für die Freiheit des westlichen Teils Deutschlands und Berlins jahrzehntelang eingestanden sind, bis die Einheit vollendet werden konnte.
Dank insbesondere auch an Michail Gorbatschow, dessen revolutionärer außenpolitischer Kurswechsel es ermöglicht hat, daß Mauern in Europa gefallen sind und Deutschland wieder seine Einheit finden konnte.
Last not least, ein besonderer Dank an Bundesaußenminister Genscher, der an den Grundlagen sozialliberaler Außenpolitik unbeirrt festgehalten hat.
Wenn ich ein persönliches Wort hinzufügen darf: Lieber Dieter, niemand hätte das besser machen können.
Gerade in diesen Tagen ist in Europa und weltweit häufig von der deutschen Vergangenheit die Rede gewesen. Die deutsche Einigung hat die Erinnerung an das Unheil wachgerufen, das von Deutschland verursacht worden ist. Ich glaube aber, wir sollten dabei nicht übersehen, was heute das Vertrauen der Staatengemeinschaft in das geeinte Deutschland das Mißtrauen aus der Vergangenheit überwiegt. Das ist, Kolleginnen und Kollegen, nicht allein dem Lauf der Zeit zuzuschreiben. Mißtrauen und Argwohn zwischen Völkern können erschreckend langlebig sein, wie die Geschichte Europas zeigt.Daß unser Verhältnis zu den anderen Staaten Europas, insbesondere zu unseren Nachbarn, die Wende zum Guten genommen hat, verdanken wir bewußten außenpolitischen Weichenstellungen, die zu Beginn der 50er und der 70er Jahre vorgenommen worden sind. Sie sind mit den Namen Konrad Adenauer und Willy Brandt verbunden.
Konrad Adenauer traf die Grundsatzentscheidung für die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und in das westliche Bündnissystem. Willy Brand hat, darauf aufbauend, eine neue Ostpolitik durchgesetzt und in der kurzen Zeitspanne zwischen 1970 und 1973 ein Vertragswerk historischer Tragweite geschaffen — von dem Moskauer Vertrag über die Verträge mit Polen und der Tschechoslowakei bis zum Grundlagenvertrag mit der DDR.Beide Stränge deutscher Außenpolitik haben sich, oft in heftiger Auseinandersetzung, schließlich zu einer Politik verflochten, für die der Harmel-Bericht das Symbol geworden ist.Die als Politik der Verständigung gestaltete deutsche Außenpolitik konnte im Westen wie im Osten neues Vertrauen bilden. Sie war auch Vorausetzung dafür, daß die Vier Mächte mit dem vorliegenden Vertrag im Einklang mit dem Willen aller europäischen Staaten den Weg zur Schaffung der deutschen Einheit freigegeben haben.Die SPD, meine Damen und Herren, hat dieses Zustimmungsgesetz miteingebracht. Sie erkennt in den zukunftsweisenden Elementen dieses Vertrages ihre eigenen Bestrebungen und Konzepte wieder.
Ich nenne dabei an erster Stelle die endgültige Festlegung der polnischen Westgrenze. Dafür haben wir Sozialdemokraten in einem mühsamen Prozeß, nachdem wir uns klargemacht hatten, daß Hitler die deutschen Ostgebiete unwiederbringlich verspielt hat, gekämpft, und zwar nicht nur weil die Klärung der Grenzfrage mit Polen eine der Voraussetzungen zur deutschen Einheit war — das ist eine Erkenntnis, in der wir uns jetzt ja gemeinsam gefunden haben —, sondern weil sie zugleich auch eine der wesentlichsten Vorausetzungen für die Einheit Europas ist.
Jetzt ist noch ein bilateraler Vertrag erforderlich, durch den das vereinte Deutschland und die Republik Polen die zwischen ihnen bestehende Grenze völkerrechtlich verbindlich bestätigen. Aber das reicht nicht aus. Wir müssen dafür sorgen, daß die Grenze zwischen Deutschen und Polen nicht zu einer neuen Grenze zwischen Wohlstand und Armut in Europa wird. Polen braucht unsere Hilfe zur Durchführung seiner Wirtschaftsreform, die seiner Bevölkerung — machen wir uns darüber bitte nichts vor — große Entbehrungen auferlegt. Wir müssen dabei insbesondere für wirtschaftliche Einbußen einstehen, die Polen auf Grund des Verlustes seines wichtigen Handelspartners DDR erleidet.Unsere Verpflichtung zu helfen erstreckt sich genauso auf Ungarn und die CSFR, denn wer würde bestreiten, daß wir diesen neuen Demokratien unseren Beistand in ganz besonderem Maß schulden?
Forderungen und Konzepten der SPD entsprechen auch die sicherheitspolitischen Regelungen dieses Vertrages. Wir haben uns mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß bereits vor der Vereinigung Deutschlands ein deutliches Signal für die Abrüstung in Europa gesetzt wird. Diese Forderung wird sowohl durch die Reduzierung der deutschen Streitkräfte auf 370 000 Soldaten als auch durch die Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone im östlichen Gebiet des vereinten Deutschlands erfüllt.
Nun muß der Abrüstungsprozeß in Europa entschlossen fortgeführt werden. Wir begrüßen es, daß die Wiener Verhandlungen über die konventionellen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18103
Dr. Ehmke
Streitkräfte kurz vor dem ersten Abschluß stehen. Nun sollte die NATO in Anschlußverhandlungen, Herr Außenminister, ihre Bereitschaft zu weiteren drastischen Reduzierungen unter Beweis stellen.Wir fordern die NATO aber auch auf, im Bereich der nuklearen Abrüstung in Europa erneut tätig zu werden.
Auf dem Londoner Gipfel haben die NATO-Partner erklärt, daß Verhandlungen im Bereich nuklearer Kurzstreckenwaffen bald nach Abschluß eines ersten Wiener Abkommens aufgenommen werden würden. Da nun ein solches erstes Abkommen für die nächsten Wochen zu erwarten ist, muß auch ein westliches Verhandlungskonzept für Nuklearwaffen in Europa auf den Tisch gelegt werden.
Meine Damen und Herren, unser Ziel ist unverändert: Der Null-Lösung bei den nuklearen Mittelstrekkenwaffen müssen Null-Lösungen bei allen Kategorien von Nuklearwaffen kürzerer Reichweite folgen. Jedes andere Verhandlungsziel, jedes andere Verhandlungsergebnis wäre ein Rückschritt, den die Menschen bei uns und in Europa nicht akzeptieren würden.
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist im Zusammenhang mit den parallel dazu getroffenen deutsch-sowjetischen Vereinbarungen zu sehen, deren Kern der in Moskau paraphierte Vertrag über gute Nachbarschaft ist. Die Sowjetunion hat unter Michail Gorbatschow ihre Rolle in Europa fundamental neu definiert. Gorbatschow hat den Rückzug der sowjetischen Truppen aus ihren Stationierungsorten in Mitteleuropa eingeleitet. Die Sowjetunion stützt ihren Anspruch auf Mitsprache in Europa nicht mehr auf das Recht des militärisch Stärkeren.Kein europäisches Land hat Michail Gorbatschow mehr zu verdanken als das vereinte Deutschland.
Wir sollten in diesem Bewußtsein die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ausbauen und ihr als gute Nachbarn bei der Überwindung ihrer schwerwiegenden wirtschaftlichen Probleme helfen. Wir sollten aber auch im europäischen Rahmen dazu beitragen, daß die Sowjetunion eine neue Rolle als kooperativer Partner in Europa spielen kann.Ganz konkret — ich habe diese herzliche Bitte an alle Fraktionen des Hauses — sollten wir gute Nachbarschaft dort üben, wo Bürger der Sowjetunion im vereinten Deutschland weilen. Bis zum Jahre 1994 werden sich, dem Zwei-plus-Vier-Vertrag entsprechend, noch sowjetische Soldaten in Deutschland aufhalten. Wir alle sollten unseren Beitrag dazu leisten, daß sie mit einer guten Erinnerung an das vereinte neue Deutschland eines Tages wieder nach Hause zurückkehren.
Meine Damen und Herren, während Deutschland seine staatliche Einheit schon erlangen konnte, sind wir von der Einheit Europas noch weit entfernt. Daher müssen wir uns nun mit ganzer Energie für diese Einigung Europas einsetzen. Das vereinte Deutschland muß für uns ein Zwischenschritt auf dem Wege zum vereinten Europa sein. Wir haben keine Zeit für nationale Erbauungsstunden, wenn wir Europa wirklich auf die Beine stellen wollen.Wir setzen uns deshalb dafür ein, daß die Europäische Gemeinschaft über ihre wirtschaftliche Integration hinaus zu einer demokratisch verfaßten Politischen Union ausgebaut wird. Wir setzen uns auch dafür ein, daß die europäische Währungsunion, einschließlich einer unabhängigen Zentralbank, baldmöglichst verwirklicht wird. Wenn unser Freund Jacques Delors eine klare Position der Bundesregierung in dieser Frage anmahnt, können wir ihm nur beipflichten. Der Bundeskanzler sollte deutlich machen, daß wir auch in der Frage der Zentralbank europäisch denken und bereit sind, Verantwortung über Deutschland hinaus für Europa auf unsere Schultern zu nehmen.
Daß die europäische Einigung nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben darf, sollte für uns eine Selbstverständlichkeit sein. Die EG muß sich gegenüber den EFTA-Staaten, insbesondere aber auch gegenüber den jungen Demokratien in Ost- und Mitteleuropa öffnen. Das heißt, es müssen Verhandlungen über Assoziationsabkommen bald aufgenommen werden. Es ist ebenso wichtig, daß sie mit der klaren Perspektive einer späteren Mitgliedschaft geführt werden.
Die Organisation der Sicherheit in dem neuen, zusammenwachsenden Europa kann zunächst an die KSZE anknüpfen, in der sich die Staaten Europas mit der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten und Kanada verbunden haben. Bedenken des einen oder anderen KSZE-Mitgliedstaates dürfen unserer Meinung nach nicht dazu führen, daß die nun eingeleitete Institutionalisierung der KSZE im Formalen steckenbleibt. Im besonderen ist es erforderlich, daß das vorgesehene Konfliktschlichtungszentrum in die Lage versetzt wird, eine aktive politische Rolle zu spielen, wo immer dies in Europa erforderlich ist.
Der Weg zur Einigung Europas wird nicht leicht sein. Nationale Interessen werden europäischen Interessen unterzuordnen sein. Nationale Souveränität wird in europäischer Souveränität aufgehen müssen. Dies wird manchem europäischen Land erhebliche Schwierigkeiten machen, dem vereinten Deutschland vielleicht weniger als anderen; denn uns hat unsere Geschichte Skepsis gegenüber nationalstaatlichem Denken gelehrt, das den Keim des Nationalismus in sich birgt. Wir sollten diese Erfahrung, die mit so viel Leid verbunden war, als Chance nutzen. Gütezeichen deutscher Außenpolitik sollte die Bereitschaft zum Verzicht auf nationale Souveränität zugunsten der Einbettung in übernationale Strukturen sein.18104 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitdy, den 5. Oktober 1990Dr. Ehmke
Dies ist gerade in dem Augenblick zu betonen, in dem das vereinte Deutschland durch den hier debattierten Vertrag seine uneingeschränkte Selbstbestimmung wiedererlangen wird. Wir dürfen uns nicht nach einer altem Souveränitätsdenken verhafteten Weltmachtrolle drängen. Wir müssen vielmehr als Teil eines geeinten Europa dem Frieden der Welt und der Lösung der großen, globalen Aufgaben der Menschheit dienen.
Darum bitte ich Sie, diesem Vertrag heute! — heute! — zuzustimmen, damit Deutschland als erster Vertragspartner das Ratifizierungsverfahren abschließen kann. Ich bitte Sie aber auch sehr herzlich, alles daranzusetzen, daß dieser Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland zu einem Baustein für eine europäische Friedensordnung wird.Schönen Dank.
Als nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Geiger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein internationales Vertragswerk, das die Grundzüge einer friedensvertraglichen Regelung enthält, ist je in so kurzer Zeit fertiggestellt worden. Kein Vertrag ist je so rasch durch alle Instanzen unseres Parlaments gelaufen. Ich hoffe, daß uns diesmal aber niemand unziemlicher Eile beschuldigen wird. Im Gegenteil: Ich danke all den Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgewirkt haben, daß dies in so kurzer Zeit möglich wurde.Ich danke im Namen der CDU/CSU-Fraktion auch unserem Außenminister und seinen tüchtigen Mitarbeitern, die alles so vorzüglich ausgehandelt und vorbereitet haben.
Dieser Vertrag bedeutet für uns Deutsche sehr viel: die Wiedererlangung der vollen völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands und seine feste Verankerung in Europa an der Seite unserer Verbündeten und Freunde im Westen und gleichzeitig Partnerschaft und vertrauensvolle Verbundenheit mit den Nachbarn im Osten.Der sowjetische Außenminister Schewardnadse sagte zu Recht: Mit Zwei plus Vier wurde der ernsteste Spannungsherd auf dem Kontinent beseitigt. Erinnern wir uns: Als Mitte Februar in Ottawa die Formel Zwei plus Vier gefunden wurde, war sie begleitet von vielen, oft irrationalen Stimmen im In- und Ausland, die Zweifel und Befürchtungen äußerten. Diese Stimmen sind glücklicherweise weitgehend verstummt.Das Hauptverdienst daran hat der amerikanische Präsident George Bush. Er hat sich als erster zum Ziel der vollen Souveränität Deutschlands bekannt. Die konstruktive amerikanische Haltung hat ganz entscheidend dazu beigetragen, daß wir Deutschen unser Ziel so rasch erreichen konnten. Die deutsch-amerikanische Freundschaft hat sich als wichtiger Motor erwiesen.
Man hat die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen auf die Gleichung gebracht: 2 + 4 = 1. Was arithmetisch falsch ist, macht politisch Sinn: Das Ergebnis von Zwei plus Vier ergibt ein Deutschland.Damit haben wir das Verfassungsziel verwirklicht, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Jahrzehntelang waren wir diesem Ziel sehr fern, so fern, daß die GRÜNEN — und leider auch einige Sozialdemokraten — den Satz in der Präambel des Grundgesetzes bereits streichen wollten.
Aber erst jetzt, nachdem dieser Satz verwirklicht ist, darf er gestrichen werden.
In dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland bekennen wir uns zur Friedensverantwortung des vereinten Deutschlands. Die Träume eines Großdeutschlands sind bereits seit 1945 restlos ausgeträumt. Aber auch die Hoffnungen der äußersten Linken wie der extremen Rechten auf ein neutrales Deutschland sind durch die Ereignisse glücklicherweise zerstoben. Wir wollen weder machtpolitisches Gehabe an den Tag legen noch als neutralistisches Gebilde zwischen den Großmächten dümpeln.Vielleicht sollten wir uns an den Rat des Kommentators der Turiner „La Stampa" halten, der meinte, das Deutschland im Jahr 2000 solle versuchen, geliebt und nicht gefürchtet zu werden.Das geeinte Deutschland ist ja auch grundlegend verschieden von seinen Vorgängern. Manche haben gesagt, es sei das kleinste Deutschland, das es je gab. Das mag, geographisch gesehen, richtig sein. Aber es ist auch das friedfertigste, demokratischste, rechtsstaatlichste und gewiß auch das wohlhabendste Deutschland, das es je gab, und auch das sozialste. Das soll so bleiben.Die Grundlagen für die Ereignisse des letzten Jahres hat bereits Konrad Adenauer visionär gelegt. Kanzler Kohl hat dieses Werk vollendet: die enge Westbindung, das unerschütterliche Bekenntnis zur westlichen Wertegemeinschaft, die Ablehnung von Neutralismus und Sonderwegen.Richtig war auch unsere Überzeugung, daß die Lösung der deutschen Frage nur als Teil einer europäischen Lösung zu erreichen war. Die Freiheit der Polen, der Ungarn, der Tschechen, der Slowaken und der Deutschen wurde gemeinsam und friedlich erkämpft. Die Vollendung der deutschen Einheit ist nur ein Bestandteil der neuen europäischen Friedensordnung. Mag das europäische Haus in vielen Bereichen noch nicht fertiggestellt sein: Das Fundament, und zwar ein ganz solides Fundament, ist gelegt worden.Wir alle haben unsere grundsätzlichen Vorstellungen bei Zwei plus Vier verwirklichen können: Das
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18105
Frau Geigergeeinte Deutschland bleibt Mitglied der Atlantischen Allianz, der WEU, der EG und aller anderen europäischen Institutionen, und zwar ohne jeden Abstrich.
Ich erinnere mich sehr gut, daß noch vor ganz kurzer Zeit prominente Sozialdemokraten die NATOMitgliedschaft des geeinten Deutschland als Provokation des gesunden Menschenverstandes verunglimpft haben. Daran will heute verständlicherweise niemand erinnert werden.Die NATO war nie mit dem Warschauer Pakt vergleichbar. Sie ist ein freiwilliger Zusammenschluß freier Demokratien mit gleichen Werten, die Verteidigungsfähigkeit für ebenso wichtig halten wie den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Nachbarn.
Noch einem Mann schulden wir heute Dank — das ist bereits gesagt worden; ich möchte es wiederholen — , nämlich dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow; denn durch seine Perestroika ist die Wende in Mittel- und Osteuropa erst möglich geworden. Die Begegnung von Bundeskanzler Kohl und Präsident Gorbatschow im Juli im Kaukasus brachte den eigentlichen Durchbruch für Zwei plus Vier. Dabei wurde jeder Anschein eines deutsch-sowjetischen Alleingangs vermieden. Der Kanzler vertrat eine gemeinsame westliche Position, die zuvor auf dem Londoner Sondergipfel der NATO abgestimmt worden war. Mit Recht haben das In- und Ausland die Mission von Helmut Kohl als ungewöhnliche Meisterleistung mit historischer Dimension anerkannt.
Der kürzlich in Moskau paraphierte Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit stellt die bilateralen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Deutschland auf eine neue, gute und solide Grundlage. Einen ähnlichen Vertrag über gute Nachbarschaft wollen wir sehr bald auch mit den Polen machen, damit auch der hoffnungsvolle Neuanfang zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk auf eine feste Grundlage gestellt werden kann.Damit nicht ein neues Trauma der Deutschen entsteht, ist eines ganz besonders wichtig: Das Zweiplus-Vier-Schlußdokument ist nicht ein zweites Versailles, nicht ein aufgezwungener Vertrag, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen gleichberechtigter Partner. Die volle Souveränität Deutschlands wurde hergestellt, die Vorbehaltsrechte der Vier Mächte wurden abgelöst und sind schon suspendiert.Ohne ein Opfer von unserer Seite war die deutsche Einheit jedoch nicht zu bekommen. Dies sind zum einen die nicht unbeträchtlichen finanziellen Lasten in Zusammenhang mit dem Abzug der Roten Armee, dies ist in besonderem Maße aber der endgültige Verzicht auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße. Ohne die endgültige Anerkennung der Oder-NeißeGrenze wäre die deutsche Einigung nicht möglich gewesen.Bei allem Verständnis für die Bitternis vieler Heimatvertriebener sollten wir den Blick aber jetzt in die Zukunft richten. Die Grenzregelung eröffnet neuePerspektiven zur Aussöhnung und zu grenzüberwindender Zusammenarbeit mit unseren polnischen Nachbarn und nicht zuletzt neue Chancen für die deutsche Minderheit.Das geeinte Deutschland hat in der Mitte seiner Freunde und Partner seinen eigenen Standort gefunden. Unsere Hauptaufgabe bleibt die europäische Einigung, die politische Union, die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir brauchen eine starke EG, und zwar nicht zuletzt um den Völkern in Osteuropa beim Aufbau wirksam helfen zu können und sie in den europäischen Einigungsprozeß einzubeziehen. Die EG darf nicht ein exklusiver Zirkel sein, sondern sie muß auch den jungen Demokratien im östlichen Europa eine Perspektive aufzeigen.Das geeinte Deutschland muß mehr internationale Verantwortung übernehmen. Es darf nicht abseits stehen, wenn es darum geht, durch gemeinsames Handeln Aggressoren zu zügeln und das Völkerrecht wiederherzustellen. Solidarisches Handeln wird zukünftig mehr erfordern als noch so großzügige Finanzbeiträge — so wichtig diese auch sein mögen. Hierfür müssen bald die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.Mehr internationale Verantwortung bedeutet nicht übersteigertes Selbstbewußtsein oder Machtpolitik; vielmehr werden wir damit dem fortbestehenden Auftrag in der Präambel des Grundgesetzes, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, gerecht.
Über unserer Freude über die deutsche Einigung dürfen wir nicht vergessen, daß allein in Westeuropa derzeit eine Insel des Friedens und des gegenseitigen Vertrauens besteht, während in Afrika und in Asien Bürgerkriege toben, während es im Nahen Osten brennt und während in vielen Ländern der Welt die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Viele erwarten von uns einen höheren Beitrag zur Überwindung von Hunger und Armut, zur Befriedung gefährdeter Gebiete, zur Lösung von Umweltproblemen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß unsere Handlungsweise in Zukunft noch kritischer betrachtet wird und mit einem anspruchsvolleren Maß gemessen wird. Aber ich bin sicher, wir können diesem Anspruch gerecht werden.Ich danke Ihnen.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vertrag, den wir jetzt zu ratifizieren haben, ist zweifellos der wichtigste in der zu Ende gehenden Nachkriegszeit. Er ersetzt einen Friedensvertrag, den diese Regierung nie gewollt hat, den anzustreben wir allerdings immer für klug gehalten hätten. Ohne Aussprache wurde er gestern in erster Lesung eingebracht. Mir bleiben jetzt gerade fünf Minuten, um für meine Fraktion Stellung zu neh-
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18106 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Dr. Lippelt
men. Das wird der Bedeutung dieses Vertrages nicht gerecht.
Das ist auch unter der Selbstachtung meiner Fraktion, die es sich gerade der Bedeutung dieses Vertrages wegen mit seiner Wertung nicht leichtgemacht hat und in diesen so eiligen Tagen dreimal zu diesem Thema zusammentrat.Mir bleibt wegen der Kürze der Zeit praktisch nur, die Stimmabgabe der Fraktionsmehrheit zu begründen, wobei ich bemerken möchte, daß die unterschiedlichen Elemente der Bewertung jedem von uns die Entscheidung individuell schwermachen.Erstens. Wir begrüßen mit allem Nachdruck die hier getroffene endgültige Regelung der deutsch-polnischen Grenze. Aber gerade meine Fraktion hat es nicht nötig, ihre Gesinnung ausgerechnet in diesem Punkt erneut unter Beweis zu stellen. Gerade wir haben in den letzten Jahren immer wieder auf eine solche Regelung und auf die Verbesserung der deutschpolnischen Beziehungen gedrängt. Insbesondere fordern wir seit Beginn des Zwei-plus-Vier-Prozesses die Fertigstellung und Vorlage des deutsch-polnischen Grenzvertrags selbst. Wir hätten ihn gern heute mit-ratifiziert. Die Ausflucht, es bedürfe für den Ratifizierungsvorgang eines neu gewählten Parlaments, verstehen wir nicht. Dieses erweiterte Parlament ist legitimiert genug, Zwei-plus-Vier zu ratifizieren, es ist auch legitimiert, den Grenzvertrag zu ratifizieren. Deshalb drängen wir entschieden darauf, uns diesen spätestens bei der Sondersitzung am 22. November vorzulegen.
Wir kommen dann auch gern einen Tag früher, um eine solche Schnellprozedur, die die Bedeutung solcher Verträge offensichtlich unterstreicht, mitzumachen.Zweitens. Mit demselben Nachdruck, mit dem wir die Regelung der Grenzfrage unterstützen, müssen wir allerdings kritisieren, daß die Bundesregierung die einmalige Gelegenheit dieses Vertrages nicht zu weitergehenden Selbstbindungen der neu erlangten Souveränität genutzt hat, die erst einen wirklichen Durchbruch einer Friedenspolitik in Mitteleuropa dargestellt hätten. Statt eines großen Entwurfs für ein ziviles Mitteleuropa hat sie die Schwäche der Sowjetunion, ja, deren Angewiesensein auf die Kooperation mit einem wirtschaftlich starken Deutschland genutzt, um NATO-Interessen aufrechtzuerhalten. Dafür vier Beispiele:Erstens. Das hier festgeschriebene 370 000-MannHeer ist im Zeitalter der High-Tech-Rüstung weit schlagkräftiger als ein Millionenheer es im Zeitalter des 100 000-Mann-Heers der Weimarer Republik je gewesen wäre.
Wir GRÜNEN halten daran fest: Das kann nur ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Entmilitarisierung Deutschlands sein.Zweitens. Die Bundesregierung hat die einmalige Chance zur Schaffung eines atomwaffenfreienDeutschland nicht genutzt. Im Gegenteil, daß auf die Lagerung von A-Waffen nicht verzichtet wurde, läßt der NATO freie Hand, die seit Jahren betriebene Umrüstung der bei uns stationierten englischen und USamerikanischen Jagdbomberverbände auf nukleare Abstandswaffen weiter zu betreiben. Wir fordern die Bundesregierung auf, zu erklären, daß dies politisch jetzt nicht mehr machbar ist.
Wer immer betont, von deutschem Boden dürfe nur noch Frieden ausgehen, muß als Minimum Deutschland atomwaffenfrei machen.
Drittens. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag zeigt insofern leider zu sehr die Handschrift der NATO, und diese selbst bleibt in altem Denken befangen. Nirgends wird dies deutlicher als in Art. 5 des Vertrags, in dem durchgesetzt ist, daß selbst Trägerwaffen doppelter Verwendbarkeit auf das Gebiet der ehemaligen DDR verbracht werden dürfen, vorausgesetzt, sie sind konventionell gerüstet.Viertens. Diese ungute NATO-Tendenz erreicht ihren absurden Höhepunkt in der Protokollnotiz. Diese ist ein Fleck auf diesem Vertrag, den wir doch so gern makellos gesehen hätten.Einen halben Tag auf der Schlußkonferenz in Moskau, um die Interpretation des Wörtchens „verlegen" zu streiten muß die Bundesregierung doch selbst verlegen machen; denn wenn nun die russische Version der Kaukasus-Vereinbarung in den Worten Gorbatschows war, daß auf dem Gebiet der DDR ausländische Truppen nicht mehr „in Erscheinung treten" sollten, während der Bundeskanzler auf der damaligen Pressekonferenz davon sprach, daß sie nicht dort „stationiert" oder dahin „verlegt" werden sollten, so muß man sich doch fragen, warum der Bundeskanzler es zuließ, daß die NATO-Militärs, die so gern Manöver auch in der DDR abhalten, durch diese Definitionslücke schlüpfen durften, wo doch der Bundeskanzler nur hätte zu erklären brauchen, daß er den guten Willen seines Gastgebers honoriere und sich selbstverständlich dessen Interpretation anschließe. Nein, hier ist militaristische Kleinkrämerei betrieben worden.
Von solchem Ungeist müssen wir uns lösen. Denn wir alle nehmen doch wahr — das ist etwas, dem auch wir GRÜNE uns mit vollem Ernst stellen wollen —, wie viele Hoffnungen und Erwartungen sich auf dieses, sich jetzt neu bildende Deutschland mit seinen großen wirtschaftlichen Möglichkeiten richten. Wenn Präsident Bush uns zur Partnerschaft „in Leadership" aufruft, wenn Portugalow uns gleich an den Tisch des UN-Sicherheitsrats zerren will, wissen wir, daß wir an einem Scheideweg stehen. Wir werden uns zu entscheiden haben, ob wir uns hineinschmeicheln lassen wollen ins Konzert der Großmächte und uns an politisch-militärischer globaler Konfliktbewältigung beteiligen wollen oder ob wir den schwereren Weg einer zivilen Macht gehen wollen, die im Vorfeld interveniert zugunsten der Schwachen, zugunsten einer der
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18107
Dr. Lippelt
Zerstörung überantworteten Umwelt. Für uns GRÜNE kommt nur letzteres in Frage.
Verehrter Herr Abgeordneter Lippelt, ich bin gewillt, großzügig zu sein, aber bringen Sie mich nicht in allzugroße Verlegenheit.
Herr Präsident, ich bin beim letzten Satz.
Okay.
Bei der Erläuterung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionsmehrheit dürfte deshalb deutlich geworden sein: Wir können das alte Denken der NATO nicht billigen, insofern — nur insofern! — diesem Vertrag nicht zustimmen. Wir sind entschlossen, eine politische Entwicklung zu fördern, die solches Denken obsolet macht. Wir schätzen aber auch die Bedeutung dieses Vertrages zu hoch ein — weil wir wissen, daß er der Ersatz für einen Friedensvertrag ist — , als daß wir ihn verwerfen könnten. Wir wissen zudem, daß er auch die Arbeitsgrundlage unserer grünen Außenpolitik in den nächsten Jahrzehnten sein wird.
Wenn wir uns deshalb in der Mehrheit enthalten — einige kommen auch zu anderen Abwägungen — ,
so ist das keine Enthaltung aus Unentschiedenheit, sondern ein entschiedenes Eintreten für die Nachbarschaft mit Polen und für ein ziviles Mitteleuropa.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter, achten Sie darauf, daß es im Protokoll zum Schluß auch wirklich ein Satz war!
Das Wort hat der Abgeordnete Lehment.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin stolz und glücklich, als gebürtiger Mecklenburger, als gelernter DDR-Bürger — es ist für mich noch nahezu unfaßbar — hier im gemeinsamen deutschen Parlament zu Ihnen sprechen zu können.
Wir, die Deutschen aus Mecklenburg-Vorpommern, Bayern oder Nordrhein-Westfalen, aus allen deutschen Ländern, leben wieder in einem gemeinsamen Land, haben wieder eine gemeinsame Verfassung, ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Regierung. Teilzuhaben an der Geburt dieses neuen Deutschland ist das Glück meiner Generation.
Wir haben dieses historische Ziel gemeinsam erreicht, nicht gegen den Willen und nicht gegen die Interessen unserer Nachbarn in Ost und West, sondern mit ihrer Unterstützung und Zustimmung. Wir
haben allen, die uns Deutschen den Weg zur Einheit ermöglicht haben, zu danken.
Unser Dank gilt den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien, die unseren Willen, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, von Beginn an unterstützt haben. Unser Dank gilt der Sowjetunion und Präsident Gorbatschow.
Die Revolution der Bürger der DDR im vergangenen Jahr blieb auch dank der Sowjetunion friedlich, und sie war erfolgreich, weil die Sowjetunion nicht mehr bereit war, ein Regime zu stützen, das die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollte. Unser Dank gilt Ungarn, das die erste Bresche in den Eisernen Vorhang schlug.
Unser Dank gilt der Europäischen Gemeinschaft, die keinen Zweifel daran gelassen hat, daß sie ihre Verantwortung für die Integration der wiederentstandenen fünf Bundesländer in die Gemeinschaft wahrnehmen wird.
Die wichtigste Botschaft des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland ist, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.
Er bekräftigt die Endgültigkeit der deutsch-polnischen Grenze.
Schon vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung haben die vier Mächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes ausgesetzt, damit Deutschland den Tag seiner Einheit als souveräner Staat begehen kann.
Der Verlauf der KSZE-Außenministerkonferenz am 1. und 2. Oktober 1990 in New York war ein eindrucksvoller Beweis für das Vertrauen, das den Deutschen entgegengebracht wird.
Dieses Vertrauen gilt in besonderem Maße dem ersten Außenminister des geeinten Deutschland, Hans-Dietrich Genscher.
Für Millionen Bürger der ehemaligen DDR ist Hans-Dietrich Genscher seit vielen Jahren eine Symbolfigur für den friedlichen Wandel unserer Zeit.
Er ist wie kein anderer Garant für eine deutsche Außenpolitik, die der Friedenssicherung, der umfassenden internationalen Kooperation und der Einbindung Deutschlands in die Europäische Gemeinschaft und in das Atlantische Bündnis verpflichtet ist. Nicht zuletzt
18108 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5: Oktober 1990
Lehment
durch Politiker wie ihn haben wir Deutsche das internationale Vertrauen, das durch die verbrecherische Politik Hitlers verloren wurde, durch eine jahrzehntelange verantwortungsvolle Politik wiedergewonnen.
Jene Deutschen in der bundesdeutschen Republik, die das Glück hatten, schon bald nach dem Krieg ihr Schicksal selbst bestimmen zu können, wurden angesehene und verläßliche Partner in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien. Aber nicht minder wichtig ist es, die osteuropäischen Völker nicht auszugrenzen; Europa endet nicht an der deutsch-polnischen Grenze.
Gerade wir Deutsche aus der ehemaligen DDR haben in den 70er Jahren erfahren, wie die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition und der Abschluß der Ostverträge entscheidend dazu beigetragen haben, Vertrauen in der Sowjetunion und den anderen europäischen Staaten auszubilden.
Die Politik der kleinen Schritte hat auch uns Bürgern der damaligen DDR das Leben erträglicher gemacht. Sie hat vor allem das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Solidarität der Deutschen gestärkt. Das geeinte Deutschland wird diese Zusammenarbeit verstärkt fortsetzen.
Es ist nicht zuletzt dieser Politik zu verdanken, daß die Entwicklung trotz aller Hemmnisse so weit vorangekommen ist, daß die europäische Friedensordnung Schritt für Schritt konkrete Konturen annehmen konnte. Den Menschen in der ehemaligen DDR gebührt der Dank: Ohne sie stünde ich jetzt nicht hier.
Die Bürger der DDR haben sich ihre Freiheits- und Bürgerrechte gewaltfrei unter den Augen der Weltöffentlichkeit erkämpft. Das wurde möglich, weil, beginnend mit der Perestroika Gorbatschows der Zerfall des real existierenden Sozialismus unausweichlich wurde, eines Systems, dessen Perversität und Unmenschlichkeit auch andere Lösungen zugelassen hätte, wäre es nicht bereits auf dem Totenlager gewesen.
Erinnern wir uns: Da gab es den 17. Juni 1953, da war Ungarn 1956, die Mauer 1961 und der Prager Frühling. Konnte danach noch jemand daran glauben, daß dieses System seine Macht kampflos aus der Hand gibt? Nein, das haben die meisten von uns nicht geglaubt. Also haben wir uns arrangiert und angepaßt. Es gab Resignation und die Flucht ins Private. Wir haben das Regime ertragen, weil bis 1989 keine Perspektive seiner Überwindung sichtbar war. Seitdem hat sich das Politikmachen in der DDR wieder gelohnt.
Wichtigste Aufgabe der Außenpolitik des geeinten Deutschland muß sein, das Vertrauen, das die Völkergemeinschaft Deutschland entgegenbringt, zu rechtfertigen. Nationale Alleingänge wird es mit uns Liberalen nicht geben.
Das geeinte Deutschland muß sein größeres Gewicht als gestiegene Verantwortung für die Aufgaben verstehen, denen sich Europa gegenübersieht. Der Reformprozeß in allen Staaten Ost- und Südeuropas muß zu einem Erfolg geführt werden. Die Dritte Welt erwartet von uns einen größeren Beitrag zur Überwindung ihrer Probleme. Im Hinblick auf die Bewahrung der Umwelt stehen wir vor großen Herausforderungen.
Deutschland hat die Chance eines neuen Anfangs, einer größeren Verantwortung. Wir werden diese Chance nutzen und das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, rechtfertigen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kaufmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen habe ich vor der Volkskammer der DDR im Namen der PDS-Fraktion unsere Zustimmung zum Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, erklärt und zugleich seine baldige Ratifizierung durch dieses Parlament eingefordert.Die Partei des Demokratischen Sozialismus ist sich der historischen Tragweite des Vertrages voll bewußt, besiegelt er doch faktisch in völkerrechtlich verbindlicher Form das Ende des Zweiten Weltkriegs. Das vereinigte Deutschland erhält die volle Souveränität. Viereinhalb Jahrzehnte der Teilung Europas, des Kalten Krieges und der Konfrontation zwischen Ost und West gehen unweigerlich zu Ende.Meine Damen und Herren, die Bedeutung des Vertrages sehen wir jedoch vor allem in einer Reihe von Festlegungen, die den europäischen Friedensprozeß fördern können und die auch den Forderungen der PDS nahekommen. Dies betrifft u. a. die Festschreibung des Gebietsstandes und der Endgültigkeit der Außengrenzen des vereinigten Deutschland, das in Art. 2 formulierte aktive Friedensbekenntnis, den Verzicht auf Herstellung, Besitz von und Verfügungsgewalt über ABC-Waffen.Wir stimmen dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und dem vorliegenden Ratifizierungsgesetz zwar zu, aber, meine Damen und Herren, wir sagen auch ganz klar, daß dieser Vertrag und vor allem die Politik der Bundesregierung in einigen sehr wichtigen Fragen deutlich unter unseren Erwartungen geblieben ist. Offen ist die Frage des vollständigen Abzuges aller ausländischen Truppen von deutschem Boden. Die faktische Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist zu begrüßen, aber es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, daß es die Bundes-
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Frau Dr. Kaufmannregierung nach wie vor ablehnt, auch auf dem Territorium der ehemaligen Bundesrepublik auf die Stationierung von Kernwaffen zu verzichten.
Deutlichere Signale in Richtung einer Entmilitarisierung Deutschlands sind dringend geboten. Auch mit 370 000 Mann bleiben die deutschen Streitkräfte zu stark.
Für Rüstungszwecke gedachte Milliarden müssen zur Lösung der zahlreichen sozialen Probleme im Westen und im Osten Deutschlands eingesetzt werden.Wir sind überhaupt dafür, daß die Wehrpflicht in Deutschland abgeschafft wird.
Wenn das nun noch nicht erfolgen soll, dann müssen Sie sich aber auch die Frage stellen lassen, warum man z. B. die heutige Tagung nicht endlich dafür nutzt, die Gewissensprüfung bei Zivldienstleistenden abzuschaffen.
Ja, meine Herren, sie gab es in der DDR nicht mehr. Warum hat man das z. B. nicht von der DDR übernommen?
Nicht zuletzt ist es völlig unverständlich, daß die Bundesregierung trotz der faktischen Auflösung des Warschauer Vertrages die NATO ausdehnt und festigt und ohne die Bürgerinnen und Bürger über einen Volksentscheid zu befragen, die NATO-Zugehörigkeit ganz Deutschlands als Selbstverständlichkeit hinstellt. Offenbar fürchtet man hier das Votum der Bevölkerung.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann-Mertens zu beantworten?
Ich möchte gerne erst zu Ende sprechen.
Bitte sehr.
Die Zeichen der Zeit sprechen längst gegen altes Denken in Kategorien von Militärblöcken. Auf der Tagesordnung stehen neue europäische Sicherheitsstrukturen im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung.
Lassen Sie mich deshalb sagen: Mit dem Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages haben wir Deutschen nicht nur die volle Souveränität erhalten, uns wurde auch ein außerordentlicher Vertrauensvorschuß gewährt. Auf uns kommt eine Zeit neuartiger Bewährung zu. Meine Damen und Herren, Deutschlands künftige Stellung in der Welt wird gerade eingedenk seiner Geschichte daran gemessen werden, wie es den weltweiten Abrüstungsprozeß vorantreibt, zur Schaffung einer neuen, gerechten Wirtschaftsordnung beiträgt, den Nord-Süd-Konflikt überwinden
und die ökologische Katastrophe verhindern hilft. Deshalb erwarten wir von der Regierung dieses Landes endlich auch ein neues sicherheitspolitisches Denken, das längst auf der Tagesordnung der Geschichte steht.
Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Stratmann-Mertens, da die Redezeit ohnehin überschritten war, möchte ich nicht unbedingt, daß noch eine Frage gestellt und beantwortet wird.
Wir kommen nunmehr zu diversen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung, zunächst von der Abgeordneten Frau Kelly, gefolgt vom Abgeordneten Wüppesahl.
Im Zwei-plus-Vier-Vertrag sind einige wichtige Vereinbarungen getroffen worden, die auch meine Zustimmung finden. Das gilt insbesondere für die Anerkennung der Grenzen.Wenn ich mich trotzdem der Stimme enthalten werde, dann deshalb, weil der Verzicht der Bundesregierung auf die Herstellung von und die Verfügung über Atomwaffen leider nur halbwahr ist.Ich kann dem Vertrag nicht zustimmen, weil der genannte Verzicht verschweigt, daß die Bundeswehr mit atomaren Einsatzmitteln ausgerüstet ist, deren atomare Gefechtsköpfe sich zwar im Frieden in amerikanischem Gewahrsam befinden, im Kriegsfall jedoch nach einer Freigabe durch den amerikanischen Präsidenten der Bundeswehr zur Verfügung stehen, was zur Folge hat, daß die der NATO assignierten deutschen Streitkräfte im Rahmen der Nuklearstrategie des Bündnisses auch atomare Waffen einsetzen werden.Meine Stimmenthaltung wird auch dadurch bestimmt, daß die im Vertrag festgeschriebene Reduzierung der deutschen Streitkräfte auf 370 000 Soldaten keine Angaben darüber enthält, ob diese reduzierten Streitkräfte weiterhin mit atomaren Einsatzmitteln ausgerüstet sein werden oder nicht. Es steht nicht in diesem Vertrag.Für meine Stimmenthaltung ist weiter maßgebend, daß die Bundesregierung im Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht ausdrücklich auf jene atomaren Optionen verzichtet hat, die sich aus der WEU-Mitgliedschaft und aus der Tatsache ergeben, daß die Möglichkeit einer deutschen Beteiligung an der Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen in einem dritten Land nach wie vor nicht ausgeschlossen ist.Ich werde mich ferner deshalb der Stimme enthalten, weil die Lagerung von Atomwaffen nur auf dem Boden der früheren DDR nicht mehr vorgesehen ist, während auf dem Boden der früheren Bundesrepublik Atomwaffen in größerer Zahl weiterhin gelagert sein werden. Mit der Atomwaffenfreiheit nur eines Drittels unseres Landes bin ich keinesfalls einverstanden.
Wenn die Bundesregierung es mit Atomwaffenfreiheiternst meint, muß sich diese erstens auf das gesamteBundesgebiet erstrecken, und zweitens müßte ein
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18110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau Kellyklarer Atomwaffenverzicht im Grundgesetz bzw. in einer künftigen neuen Verfassung, die wir wünschen, fest verankert werden.
Ich kann dem Vertrag auch deshalb nicht zustimmen, weil die Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages 1974 den ausdrücklichen Vorbehalt gemacht hat, daß die Möglichkeit der Mitverfügung über Atomwaffen im Rahmen einer künftigen europäischen politischen Union, die Herr Kohl ja anstrebt, von der Unterzeichnung des NPT-Vertrages unberührt bleibe.Ich enthalte mich auch deshalb der Stimme, weil der in Art. 3 Abs. 1 enthaltene Hinweis auf die weiterwirkenden Rechte und Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag dadurch völlig entwertet wird, daß deutsche Firmen bei der tatsächlich unbestreitbaren Weiterverbreitung von Atomtechnologie einen wesentlichen Anteil haben, was auch von bundesdeutschen Exportkontrollbehörden nicht verhindert wurde und wohl auch in Zukunft nicht verhindert wird.Für mein Stimmverhalten ist schließlich auch maßgebend, daß im Zwei-plus-Vier-Vertrag die Möglichkeit nicht genutzt wurde, das Gebiet der ehemaligen DDR als völlig entmilitarisierte Region festzuschreiben, und statt dessen ausdrücklich vorgesehen wurde, nach Abzug der sowjetischen Truppen der NATO unterstellte Teile der Bundeswehr in der ehemaligen DDR zu stationieren und später auch dort NATOManöver abzuhalten.Aus den genannten Gründen kann ich diesem Vertrag nicht zustimmen.
Zu einer persönlichen Erklärung gemäß § 31 erteile ich dem Abgeordneten Wüppesahl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Regelung in bezug auf die außenpolitischen Gesichtspunkte Deutschlands regelt auf viele Jahre die Außenpolitik in Gesamteuropa. Die Gesichtspunkte, die Frau Kelly als Begründung dafür angeführt hat, daß sie der Regelung nicht zustimmen kann, gelten auch für mich. Entsprechend kürzer wird die Darstellung meines Abstimmverhaltens werden.
Ich möchte natürlich eigentlich so einem Vertragswerk zustimmen können. Wenn ich die Substanz des Vertragswerkes betrachte und nicht nur Art. 3 Abs. 1, den auch Frau Kelly beleuchtet hat, müßte ich eigentlich dagegen stimmen. Wenn ich das täte, würde ich in einer Schublade mit Kollegen wie Herrn Czaja landen. Also werde ich mich der Stimme enthalten. Die Begründung dafür lautet:
Der Machtzuwachs Deutschlands durch seine neue Rolle in Europa bedarf einer strengen Kontrolle durch das Parlament, vor allem solange das EG-Parlament eine Farce darstellt.
Dazu bedarf es eines starken und selbstbewußten Parlamentarismus und keiner Zustimmungsmaschine, zu der der Deutsche Bundestag im Vollzug der Einigung endgültig mutierte. Das mag in den Regierungsfraktionen keinen mehr stören, waren diese doch mit der SPD sogar dazu bereit, ein Wahlergebnis-Festschreibungsgesetz zu formulieren.
Doch die Menschen in Europa registrieren sehr wohl, wie weit hier die parlamentarische Demokratie im Zuge der Vereinigung eingeschränkt wurde. Die internationalen Stimmen sind entsprechend skeptisch.
Ich werde auch deshalb mit Stimmenthaltung votieren, weil unter denjenigen, die den Parlamentarismus ernst nehmen, längst klar ist, daß die deutsche Einheit im parlamentarischen Ausnahmezustand vollzogen wurde, daß für diese das Parlament und das Grundgesetz gleich mit außer Kraft gesetzt worden ist.
— Das bezeugt, Herr Bötsch, nicht zuletzt das Urteil des Verfassungsgerichts zum zweiten Staatsvertrag.
Die Bundesregierung hat durch ihren Umgang mit dem Parlament das Parlament, also uns selbst, durch sein mangelndes Selbstverständnis — Beispiel: verfassungswidriges Wahlgesetz — mit den unseligen und schier endlosen Debatten um die Westgrenze Polens ihre internationale Glaubwürdigkeit wieder in Frage gestellt.
Auch deshalb haben wir so viele skeptische internationale Stimmen zum 3. Oktober gehabt.
Es ist nicht Vertrauen, daß die Sowjetunion bewegte, die deutsche Einheit zuzulassen, sondern die Furcht vor der wirtschaftlichen Erpressung. Die Bundesregierung hat die Wirtschaft zum Krieg mit anderen Mitteln gemacht. Die Annexion der DDR wurde in einer Art Wirtschaftskrieg vollzogen. Das macht Appetit auf mehr.
Ich werde deshalb mit Enthaltung stimmen. — Herr Präsident, ich bitte solche Vokabeln wie „Schwachkopf" zu registrieren und entsprechend zu würdigen. Das geht einfach nicht. Das geht wirklich nicht.
Ich wäre auch dankbar, wenn das Verfahren nicht durch vermeidbare Zwischenrufe unnütz verlängert würde.
Deutschland ist wieder da. „Made in Germany" ist überall. Man kann es auf Tausenden von Gewehren lesen, die bei süd- und mittelamerikanischen Diktatoren Verwendung finden. Man kann es auf Fahrzeugen der südafrikanischen Polizei lesen, mit denen die Schwarzen in Schach gehalten werden. Man kann es auf der pakistanischen und irakischen Atombombe, man kann es auf iraki-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18111
Wüppesahlschen Giftgasgranaten lesen. Und diese Liste ist noch viel länger.
Ich werde mich deshalb der Stimme enthalten, weil die bundesdeutsche Wirtschaft eine Exportwirtschaft ist und der Rüstungsexport in den Irak kein Betriebsunfall ist, kein Böser-Buben-Streich, sondern System. Die wenigen moralischen Bedenken sind da schnell vom Tisch und tauchen erst dann wieder auf — das betrifft auch unseren Außenminister — , wenn man erwischt wird. Die Bundesregierung tut das Ihrige, um den von ihr selbst verbotenen Rüstungsexport florieren zu lassen. Nur soviel zur Moralität dieser Regierung.Die Sowjetunion, schon einmal Opfer deutschen Exports, bringt der Bundesregierung einen riesigen Vertrauensvorschuß entgegen, wenn sie wieder ein geeintes und gestärktes Deutschland entstehen läßt. Doch die Bundesregierung stellt die Einheit nicht in eine parlamentarische, sondern in eine nationalistische Tradition. Sie feierte sich selbst am 3. Oktober am falschen Ort zur falschen Zeit und in falscher Weise. So wenig historisches Gespür vermischt sich mit den beschwörenden Formeln, man möge doch die Vergangenheit nicht vergessen. Die Vergangenheit, meine Damen und Herren, ist lebendig. Sie ist nicht tot, auch wenn die Bundesregierung immer wieder draufschlägt und staatstragende Medien alles in Blendgranatennebel zu hüllen suchen. Doch lebt die Geschichte nicht bei den Tätern weiter — diese haben sich längst selbst begnadigt — , sondern sie lebt bei den Opfern fort. Denken Sie auch an die Stimmen aus Israel.Letzter Satz, Herr Präsident: Die Opfer sind argwöhnisch geworden, nicht zuletzt angesichts der Art und Weise, wie die Einheit vollstreckt wurde. Das internationale Echo beweist das.Ich würde gern zustimmen. Ich kann mich aus diesen Gründen nur enthalten.
Bevor ich der Abgeordneten Frau Beer das Wort zu einer persönlichen Erklärung gebe, teile ich dem Hause mit, daß die Abgeordneten Dr. Czaja und Dewitz eine längere Erklärung zu diesem Tagesordnungspunkt unter Berufung auf § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben haben. * )
Frau Abgeordnete Beer, nun haben Sie das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Abweichend vom Abstimmungsverhalten meiner Fraktion DIE GRÜNEN/ Bündnis 90, die sich in dieser Abstimmung enthalten wird, werde ich mit Nein stimmen. Dieser Vertrag ist zu wichtig, als daß man dazu nicht klar Stellung beziehen und entweder ja oder nein sagen sollte.
') Anlage 2
Trotz der begrüßenswerten und längst überfälligen völkerrechtlich verbindlichen Anerkennung der Außengrenzen Deutschlands — insbesondere der Grenze zu Polen — werde ich gegen den Vertrag stimmen; denn dieser Vertrag macht die Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der NATO möglich, und er verzögert die Ausdehnung der militärischen Integration der NATO auf das Gebiet der ehemaligen DDR nur um wenige Jahre, nämlich so lange, bis die sowjetischen Streitkräfte von dort abgezogen sind, was durchaus auch vor 1994 der Fall sein kann.
Nichts anderes besagen die Art. 5 und 6 des Vertrages. Es ist unlauter, dies nicht klar zu benennen.
Um kein anderes „Bündnis", wie es in diesem Vertrag so schön genannt wird, als um den Militärapparat NATO geht es in diesen Artikeln, und wir wissen es.
Ich werde den Vertrag ablehnen, weil ein vereintes Deutschland in einem Militärapparat NATO einen immensen Machtzuwachs der NATO und Deutschlands in der NATO darstellt. Dies stellt eine potentielle Bedrohung des Friedens in Europa dar.
Wenn von einem vereinigten Deutschland in Zukunft nur Frieden ausgehen soll, wie es in Art. 2 heißt, dann wäre die erste Voraussetzung, um dies zu erfüllen, die militärische, die finanzielle und auch die logistische Unterstützung für den Militäraufmarsch im Golf sofort rückgängig zu machen.
Wir diskutieren heute über einen Vertrag, der von einem vereinten Deutschland gebrochen wurde, bevor er ratifiziert wurde. Ich kann dem Vertrag nicht zustimmen, weil damit abgelehnt wird, dem vollständigen Verzicht auf A-, B- und C-Waffen Verfassungsrang einzuräumen. Nur die Aufnahme dieses Verzichts in das Grundgesetz hätte die bestehenden „Lücken" schließen können.
Statt eine Politik der Selbstbeschränkung zu verfolgen, die die deutsche Geschichte in diesem Jahrhundert eigentlich dringend gebietet, will das neue große Deutschland auch eine militärisch große Macht sein.
Wir GRÜNEN haben stets die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO abgelehnt. Um so mehr müssen wir jetzt die Mitgliedschaft des neuen großen Deutschlands in der NATO ablehnen. Wir haben mit der faktischen Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation die Erwartung verbunden, daß sich nunmehr auch die NATO selbst zur Disposition stellt.
Das Gegenteil ist der Fall: Die NATO steht stärker da als je zuvor, und Deutschland steht in der NATO stärker da als je zuvor. Und diese NATO will von nuklearer Abschreckung nicht lassen. Wie heutige Presseberichte deutlich machen, ist auf Wunsch dieser Bundesregierung das Zusammentreffen der Nuklearen Planungsgruppe auf ein Datum nach der Wahl verschoben worden, um dann über die Stationierung neuer flugzeuggestützter nuklearer Abstandswaffen auf dem Boden des vereinten Deutschlands zu entscheiden.
Sie vergessen ja nicht, Ihr Abstimmungsverhalten zu begründen?
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18112 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Ich lehne diesen Vertrag ab, weil wir GRÜNE gegen diese NATO und gegen diese NATO-Politik weiter entschiedene Opposition sein müssen und sein werden. Dem will ich mit meinem Abstimmungsverhalten Ausdruck geben. So wenig angenehm es auch ist, vielleicht mit Herrn Czaja in einem Atemzug als Neinsager genannt zu werden, so entscheidend ist dieses Vertragswerk für die vertane friedenspolitische Hoffnung, die in weite Ferne rückt.
Nun hat die Abgeordnete Frau Saibold ebenfalls zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe diese Erklärung hier für mich und auch für einige meiner Freunde und Freundinnen ab. Dieses Gesetz, das die Ergebnisse der Zwei-plus-Vier-Gespräche umsetzt, ist meiner Meinung nach ein ganz entscheidender Schritt in die von uns GRÜNEN immer geforderte Richtung. Als Mitglied der Friedensbewegung habe ich unter anderem immer den Abzug der Besatzungstruppen, die Souveränität der Bundesrepublik und eine ABC-waffenfreie Zone gefordert. Auch die Festschreibung der polnischen Westgrenze gehörte zu meinen Forderungen, obwohl ich selbst aus Oberschlesien komme. Sie ist aber die Voraussetzung für ein friedliches Europa, und das streben ich und meine Freunde und Freundinnen an. Obwohl ich die Kritikpunkte meiner Fraktion mittrage, stimme ich aber diesem Gesetz zu, weil hier für mich so wichtige Schritte in die richtige Richtung erzielt werden, auch wenn sie noch nicht reichen. Aber dies ist mir so wichtig, daß ich zustimmen möchte.
Nun erteile ich dem Herrn Abgeordneten Stratmann das Wort.
Herr Abgeordneter, ich würde gerne „StratmannMertens" sagen. Aber Sie pflegen ja auch den Grafen Lambsdorff nur mit Herrn Lambsdorff zu bezeichnen und nicht den vollen Namen zu nennen.
Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Wenn ich wüßte, daß Herr Graf Lambsdorff auf den Grafen als Namensbestandteil Wert legt, würde ich ihn ab sofort Herr Graf Lambsdorff nennen.
Ich werde zu dem Zwei-plus-Vier-Vertrag mit Nein stimmen. Der Vertrag enthält Regelungen, die geeignet sind, Frieden in Europa zu stiften. An erster Stelle nenne ich die endgültige Anerkennung der OderNeiße-Grenze. An zweiter Stelle möchte ich die angekündigten deutschen Abrüstungsmaßnahmen im
konventionellen Bereich als friedensstiftende, wenn auch nicht ausreichende Regelung anerkennen.
Aber dieser Zwei-plus-Vier-Vertrag verknüpft friedenstiftende Regelungen in unzuträglicher Weise mit Festlegungen, die den Keim zukünftiger politischer und, wie ich fürchte, auch militärischer Konflikte in sich tragen. Die Aussagen zur Entwicklung einer gesamteuropäischen Friedensordnung unter dem Dach der KSZE sind sehr vage und in Form von Absichtserklärungen gehalten. Aber sehr eindeutig und klar wird festgelegt, daß der militärische Einsatzbereich der NATO-Streitkräfte auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt wird. Die Protokollnotiz zum Vertrag, die besagt, daß die Regierung des vereinten Deutschland über die Verlegung ausländischer Streitkräfte in das Gebiet der ehemaligen DDR entscheiden werde, und zwar — ich zitiere — „in einer vernünftigen und verantwortungsbewußten Weise", ist in Spannungszeiten eine Gummi- und Ermächtigungsklausel. Angesichts des derzeitigen NATO-Aufmarsches in der Golfregion habe ich in die zukünftige NATO-Politik kein Vertrauen.
Dieser Zwei-plus-Vier-Vertrag — da widerspreche ich auch meinem Kollegen Lippelt aus unserer Fraktion — ist keine zuverlässige und eindeutige Arbeitsgrundlage für eine zukünftige europäische Friedenspolitik, da ich der Meinung bin, daß eine europäische Friedenspolitik auf die Auflösung der Militärblöcke und angesichts des derzeitigen Zerfalls des Warschauer Paktes in besonderer Weise auch auf die Auflösung des NATO-Paktes zielen muß. Aus diesem Grunde lehne ich den Zwei-plus-Vier-Vertrag ab, obwohl ich noch einmal ausdrücklich sagen möchte, daß die endgültige Festlegung der Oder-Neiße-Grenze von beiden ehemaligen deutschen Regierungen und jetzt vom vereinten Deutschland eine begrüßenswerte friedenstiftende Regelung ist.
Meine Damen und Herren, die beschlossene Redezeit ist zu Ende, und alle gemeldeten Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung sind abgegeben worden.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag der Zwei plus Vier über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland. Das sind die Drucksachen 11/8024 und 11/8078. Ich mache darauf aufmerksam, daß das gleich die Schlußabstimmung ist. Wer dem Gesetz mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? -- Wer enthält sich? — Dann darf ich feststellen, daß dieses Gesetz angenommen worden ist: einstimmig mit den Stimmen der FDPFraktion, mit der überwiegenden Mehrheit der CDU/ CSU-Fraktion; einige wenige Ausnahmen haben dagegen gestimmt und einige sich enthalten; die Fraktion der GRÜNEN hat sich überwiegend enthalten; einige Gegenstimmen sind zu verzeichnen; der Abgeordnete Wüppesahl hat sich ebenfalls enthalten; die SPD-Fraktion hat einstimmig zugestimmt; die Gruppe der PDS hat bei einigen Enthaltungen zugestimmt. —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18113
Vizepräsident CronenbergFrau Saibold, Sie haben einen Einwand vorzubringen.
Herr Präsident, Sie haben wohl übersehen, daß einige von uns — ich weiß nicht, wie viele hinter mir noch aufgestanden sind — zugestimmt haben.
Ist das im Protokoll nicht festgehalten?
Nein.
Dann ist es tatsächlich übersehen worden.
Darauf wollte ich extra hinweisen.
Ich lege großen Wert darauf, daß wir das im Protokoll festhalten.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Zusatztagesordnungspunkt 7:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes
— Drucksachen 11/7781, 11/7840, 11/7858, 11/7976, 11/7995 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Hüsch
Als Berichterstatter hat der Abgeordnete Hüsch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Gesetz zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes am 27. September 1990 beraten. Die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses ergeben sich aus der Ihnen — hoffentlich — vorliegenden Drucksache 11/7995.
Ich darf in Erinnerung rufen. Der Bundestag hatte mit Mehrheit die Dauer des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate und die Dauer des Ersatzdienstes auf fünfzehn Monate festgesetzt. Der Bundesrat hatte demgegenüber mit Mehrheit beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen, um eine gleich lange Dauer von Grundwehrdienst und Ersatzdienst anzustreben.
— Verehrter Herr Conradi, wenn Sie so tüchtig sind und das Grundgesetz so beherrschen, warum kommen Sie nicht in den Vermittlungsausschuß und tragen das dort auch einmal vor?
Der Vermittlungsauschuß hat sich bei seinen Vorschlägen von folgenden Erwägungen leiten lassen. Er ist der Auffassung, daß die tragenden Gründe für eine längere Dauer des Zivildienstes gegenüber dem Grundwehrdienst jedenfalls heute nicht mehr gegeben seien. Die Beurteilungsgrundlagen hätten sich
geändert. Dazu wurde vorgetragen, es müsse jeder anerkannte Kriegsdienstverweigerer mit seiner Einberufung zum Zivildienst rechnen, während das für den Wehrdienst nicht in gleichem Umfange gelte. Der Zivildienst sei in der überwiegenden Zahl der Fälle hinsichtlich der Belastung für den einzelnen mit der Ableistung des Grundwehrdienstes vergleichbar, so daß es unter diesen Gesichtspunkten einer gegenüber dem Grundwehrdienst erhöhten Dauer des Zivildienstes nicht länger bedürfe.
Zu der Frage der Wehrgerechtigkeit wurde im Vermittlungsausschuß vorgetragen, auch insoweit hätten sich die Maßstäbe derart geändert, daß eine um drei Monate längere Dauer des Zivildienstes nicht mehr gerechtfertigt sei. Schon heute bewege sich die Dauer der von den Wehrpflichtigen nach Ablauf des Grundwehrdienstes zusätzlich zu leistenden Wehrübungen nur in einem relativ schmalen Bereich. Im übrigen würden nur weniger als 5 % der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs zu unfreiwilligen Wehrübungen herangezogen. Auch sei davon auszugehen, daß die Bundeswehr erst am Beginn eines grundsätzlichen Strukturwandels stehe, der durch weitere Reduzierung der Sollstärke und durch das Aufkommen von zusätzlichen Wehrpflichtigen aus dem Gebiet der neu beigetretenen Länder gekennzeichnet sei.
Vor diesem Hintergrund hält es der Vermittlungsausschuß nach seinem Beschluß daher nur noch für eine Übergangszeit bis zur Anpassung — —
— Ich weiß nicht, ob inzwischen alle das Wort haben.
Nicht ganz zu Unrecht beschwert sich der Redner, daß er ein wenig gestört wird. Ich bitte, Rücksicht zu nehmen.
Danke, Herr Präsident. — Der Vermittlungsausschuß hält es daher nur noch für eine Übergangszeit von einem Jahr bis zur Anpassung an die sich nach seiner Ansicht abzeichnenden Veränderungen für geboten, aus Gründen der Gleichberechtigung im Rahmen der Wehrgerechtigkeit eine längere Dauer des Zivildienstes vorzusehen, wobei diese Mehrdauer an die derzeitige faktische durchschnittliche Dauer der Wehrübungen angepaßt werden sollte.Deshalb schlägt der Vermittlungsausschuß vor, daß der Zivildienst für die Zivildienstleistenden, die bis Ablauf des 30. September 1991 einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt haben, 13 Monate, also einen Monat länger als der Grundwehrdienst, dauern sollte. Für Antragsteller nach diesem Zeitpunkt soll die Dauer des Zivildienstes ebenso wie die des Grundwehrdienstes 12 Monate betragen.
— Ich danke sehr, daß Sie mir den Beifall als Berichterstatter geben. In der Sache stimme ich dem allerdings nicht zu.
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18114 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Dr. HüschBei den übrigen in der Beschlußfassung enthaltenen Änderungsvorschlägen handelt es sich um notwendige Folgeänderungen zur Anpassung der genannten Vorschriften.Herr Präsident, der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Pflichtgemäß bittet der Vermittlungsausschuß durch mich um Annahme seines Vorschlages.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt .
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkläre ich, daß wir dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zustimmen. Dieses Ergebnis ist ein Signal für die jungen Menschen in den 16 Ländern der Bundesrepublik,
ein Signal für mehr Gerechtigkeit, ein Signal auch, daß wir die Konsequenzen respektieren, die das erste demokratisch gewählte Parlament der bisherigen DDR aus der 40jährigen Unterdrückung, Verfolgung und Diskriminierung ihrer Kriegsdienstverweigerer gezogen hat.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir stimmen dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu; denn mit diesem Vorschlag soll Schluß gemacht werden mit der Benachteiligung der Zivildienstleistenden. Eine längere Dauer des Zivildienstes gegenüber dem Wehrdienst ist überflüssig.
Die Gründe für die längere Dauer des Zivildienstes, die das Bundesverfassungsgericht 1984 erkannt hat, sind heute nicht mehr stichhaltig.
Eine gerechte und zeitgemäße Regelung des Zivildienstes darf nicht länger durch die Bundesregierung blockiert werden. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die zeitliche Gleichstellung von Wehrdienst und Zivildienst ein Gebot der Gerechtigkeit. Beide — die jungen Männer, die sich für einen Dienst bei der Bundeswehr entscheiden, und die jungen Männer, die sich in der Pflege von Alten, Behinderten und im Umweltschutz engagieren — leisten einen Dienst an der Gesellschaft, einen Dienst, der mindestens gleichwertig ist. Es gibt für uns keinen einzigen Grund, den schweren Dienst der Zivis, die vielfach ungerechtfertigterweise fehlendes Pflegepersonal ersetzen müssen, auch noch länger dauern zu lassen.
Wir erklären: Jetzt muß endlich Schluß sein mit der Benachteiligung und mit administrativen Schikanen gegenüber Zivildienstleistenden. Sie zeigen durch diese Schikanen, daß Zivildienstleistende für die Bundesregierung nach wie vor nur Menschen zweiter Klasse sind.
Ich nenne nur eine von vielen Schikanen: Wehrpflichtige Soldaten können sich zu einer angemessenen Entlohnung freiwillig weiterverpflichten. Zivildienstleistende sollen für ganze 13 DM am Tag Schwerstbehinderte pflegen oder Schichtdienst in Altenheimen leisten.
Wir erklären deshalb, daß wir der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Regelung zustimmen, weil sie ein erster Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit ist.
Künftig wird maximal jeder Zweite zum Wehrdienst herangezogen, aber nahezu alle Kriegsdienstverweigerer werden Zivildienst leisten müssen. Diesen dann auch noch zu verlängern erhöht die Ungerechtigkeit und die Ungleichbehandlung weiter.
Wir lassen uns auch davon leiten, daß sich alle Kolleginnen und Kollegen der ersten frei gewählten Volkskammer aus guten Gründen für die gleiche Dauer von Wehr- und Zivildienst entschieden haben — ebenso übrigens wie das Präsidium und der Bundesparteitag der FDP, der wie wir für die nahe Zukunft eine weitere Reduzierung der Wehrpflichtdauer nicht ausschließt.
Deshalb appellieren wir an die Kolleginnen und Kollegen der fünf neuen Bundesländer: Stehen Sie auch heute zu Ihren Entscheidungen, die Sie nach dem 18. März richtigerweise getroffen haben. Wir appellieren auch an die Kolleginnen und Kollegen der FDP: Nutzen Sie doch endlich einmal die Chance, die Ernsthaftigkeit Ihrer Aussagen unter Beweis zu stellen.
Stimmen Sie mit uns für die Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst durch eine gleichlange Dienstzeit. Bleiben Sie nicht länger bei unverbindlichen Absichtserklärungen, erhöhen Sie vielmehr Ihre Glaubwürdigkeit.
Der Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses ist ein Entgegenkommen der Sozialdemokraten. Damit stellen wir unsere Forderungen nach einer vollständigen Gleichbehandlung für eine einjährige Übergangszeit zurück, um sicherzustellen, daß die notwendigen Überlegungen für eine Änderung der Struktur des Wehrdienstes und die Auswirkungen auf den Zivildienst in einer angemessenen Zeit erledigt werden können.
Die zeitliche Gleichstellung von Zivil- und Wehrdienst, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Lassen Sie uns die Chance für Reformen ergreifen! Setzen wir gemeinsam ein Signal für die jungen Menschen in diesem Land!
Das Wort hat der Abgeordnete Sauer .
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18115
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses, den Zivildienst mit dem Wehrdienst zeitlich gleichzustellen, ist aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen.
— Wer schreit, hat Unrecht.
Der gleiche Zeitraum, zwölf Monate Grundwehr- und Zivildienst, der ab 1. Oktober 1991 gelten soll, würde praktisch ein Wahlrecht zwischen Grundwehrdienst und Zivildienst gewähren. Ein solches Wahlrecht ist nach dem Grundgesetz und den hierzu erfolgten eindeutigen Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichtes verfassungswidrig und daher nicht möglich.
Ein solches Wahlrecht nähme nur noch auf Grund der Form auf eine Gewissensentscheidung nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes Bezug. Dabei soll doch die zusätzliche Belastung durch eine längere Zivildienstzeit die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung dokumentieren.
Wegen der verkürzten Wehrübungsdauer sind wir von der Drittelautomatik abgewichen: Der Zivildienst wird nun statt vier Monate nur drei Monate länger dauern. Mit der Ableistung des Grundwehrdienstes ist für den Wehrpflichtigen im Gegensatz zum Zivildienstleistenden noch kein Ende der Dienstpflicht eingetreten. Er muß damit rechnen, noch zu Wehrübungen herangezogen zu werden. Dabei ist nicht die tatsächliche durchschnittliche Inanspruchnahme der Wehrpflichtigen bei Wehrübungen entscheidend, sondern die Möglichkeit einer mehrmonatigen Heranziehung zu diesen Übungen.
Auch deshalb hat das Bundesverfassungsgericht bei seinen eindeutigen Bemessungskriterien einen längeren Zivildienst für verfassungskonform gehalten.
Das Gebot der Gerechtigkeit verbietet es, dem opportunistischen Wahlanliegen der SPD zu folgen.
Es bleibt dabei: Der Wehrdienst ist der Normalfall. Er kann nur aus Gewissensgründen verweigert werden.
— Ich kann mich nur wiederholen: Wer so schreit, hat unrecht und kennt unser Grundgesetz nicht.
Es gibt kein Wahlrecht zwischen Wehr- und Zivildienst. Wir werden heute bei der vom Bundestag beschlossenen verfassungsmäßigen Lösung bleiben und daher einer Veränderung des Beschlusses nicht zustimmen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Tagen der Einigung wurde den Revolutionären des Herbstes viel rhetorische Referenz erwiesen. Jetzt wäre die Gelegenheit, über die bloß verbale Anerkennung hinauszugehen und ein Ergebnis der praktischen Arbeit dieser Menschen für das gemeinsame Deutschland fruchtbar zu machen.
Am Runden Tisch für Militärpolitik wurde Anfang dieses Jahres eine Zivildienstordnung für die ehemalige DDR entwickelt, die zu den besten der Welt gehört und die einen wesentlichen Schritt hin zur Abschaffung der Wehrpflicht darstellte. Nach dieser Zivildienstordnung war es den jungen Menschen freigestellt, zwischen Wehrdienst und Zivildienst zu wählen, ohne sich einer Gewissensprüfung unterziehen zu müssen. Sie konnten sich auch noch während des Militärdienstes für den Zivildienst entscheiden und mußten dann innerhalb von 14 Tagen umgesetzt werden. Auch wenn die letztgenannte Regelung später wegfiel, blieb die Zivildienstordnung der DDR den in der Bundesrepublik bestehenden Gesetzen weit überlegen.
Es war die erklärte Politik meiner Fraktion Bündnis 90/GRÜNE, diese Zivildienstordnung in ein gemeinsames Deutschland einzubringen. Ich möchte das hiermit zu tun versuchen.
Die Entscheidung des Bundesrates, die Wehr- und Zivildienstzeit gleichzustellen, ist ein Schritt in diese Richtung. Man sollte deshalb dem Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen.
Ich bitte besonders die Abgeordneten aus der ehemaligen DDR aus allen Fraktionen, ihre Zustimmung nicht zu verweigern
und damit in der Tradition zu bleiben, die wir uns alle gemeinsam geschaffen haben.
Wir dürfen den notwendigen zweiten Schritt aber nicht aus dem Auge lassen: die Abschaffung der Gewissensprüfung. Dieses Verfahren ist einer reifen Demokratie unwürdig und überdies überflüssig in einer Welt, die nach dem Zusammenbruch der Ost-WestKonfrontation die wirkliche Möglichkeit zu Abrüstungsschritten eröffnet.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seifert.
Da die Erklärung vom Saalmikrophon aus abgegeben wird, bitte ich das Haus um die entsprechende Ruhe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde es traurig, daß wir hier
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18116 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Dr. Seifertnur darüber abstimmen können, ob Wehr- und Zivildienst gleichberechtigt oder nicht gleichberechtigt sein sollen. Ich finde es noch trauriger, daß der Wehrdienst als der Normalfall betrachtet wird. Ich bin der Meinung, wir hätten eine großartige Chance, Gutes zu tun: und zwar für uns und für die ganze Welt. Wir hätten die Chance, im nunmehr vereinigten Deutschland den Wehrdienst ganz und gar abzuschaffen. Wir hätten die Chance, das Beispiel West-Berlin — eine Stadt, die keinen Wehrdienst kennt — auf ganz Deutschland auszudehnen. Wir sollten diese Chance nutzen.
Das hätte selbstverständlich die Konsequenz, daß es auch keinen Zivildienst gäbe. Ich weiß, wovon ich spreche: Viele Menschen mit Behinderungen, insbesondere aber auch der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland fordern den Einsatz von Zivildienstleistenden für Menschen mit Behinderungen. Trotzdem denke ich, daß uns die Abschaffung dieser Pflichten die große Chance böte, Gelder freizumachen, um ambulante soziale Dienste zu finanzieren, die jeden in den Genuß der Leistung brächten, die er braucht, seien das nun alte Menschen, seien das Menschen in Krankenpflegeheimen oder seien es Menschen mit Behinderungen, die in ihren Wohnungen leben.Ich bin also darüber betrübt, daß wir diese Chance heute nicht einmal in Betracht gezogen haben. Der Vermittlungsvorschlag, dem wir in der Mehrheit unserer Fraktion zustimmen werden, ist ein ganz, ganz kleines Kompromißlein, das der Bedeutung der Stunde eigentlich nicht angemessen ist.Ich bitte Sie alle, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das eindringlich zu prüfen und möglichst bald über die Abschaffung des Wehr- und des Zivildienstes zu debattieren und sie zu beschließen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist für die FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptabel.
— Nun hören Sie doch erst einmal zu. Dann können Sie hinterher Ihr Urteil abgeben.
Ich sage noch einmal: Dieser Vermittlungsvorschlag ist nicht akzeptabel, da er den Gegebenheiten nicht gerecht wird.
Die FDP hat in den Beratungen zu diesem Gesetz durchgesetzt, daß der Automatismus abgeschafft wird, wonach der Ersatzdienst stets um ein Drittel länger sein muß als der Wehrdienst. Dies war aus unserer Sicht dringend notwendig, da diese Differenz zu groß
war. Wir haben deshalb einen Unterschied von drei Monaten beschlossen. Damit tragen wir auch der Existenz von Wehrübungen Rechnung.
Jeder junge Mann — das wissen Sie ganz genau — muß damit rechnen, nach Ableistung seines Wehrdienstes noch mehrere Wehrübungen absolvieren zu müssen.
Dies kann ihn jahrelang, Herr Kollege, in ungünstige private und berufliche Situationen bringen. Diese Belastung müssen wir bei der Dauer des Ersatzdienstes berücksichtigen.
Solange es Wehrübungen gibt, meine Damen und Herren, kann der Zivildienst in der Länge nicht mit dem Wehrdienst gleichgesetzt werden, ohne daß es dafür einen Ausgleich für Soldaten gibt. Ich darf an dieser Stelle bemerken: Es hat 1989 mehr als 200 000 Einberufungen für Reservisten gegeben. Außerdem gibt es für Wehrpflichtige weitere Belastungen. Ich will nur daran erinnern, daß eben nicht alle heimatnah eingezogen werden. Von daher haben Wehrpflichtige weitere Nachteile gegenüber den Zivildienstleistenden.
Ich möchte eines in Richtung SPD sagen. Der Unterschied von drei Monaten muß nicht das letzte Wort sein.
Wir werden uns hier in diesem Hause in Zukunft noch über die Länge wie auch über die Ausgestaltung des Wehrdienstes unterhalten.
Meine Damen und Herren, Ihr Engagement ehrt Sie vielleicht, aber es behindert den Redner doch sehr arg. Ich wäre dankbar, wenn Sie Ihre Zurufe ein wenig reduzieren könnten.
Herr Präsident, vielen Dank; aber ich wiederhole das für die SPD ganz gerne: Wir werden uns hier in diesem Hause über die Länge des Wehrdienstes noch unterhalten. Wir werden uns vor allen Dingen über die Ausgestaltung des Dienstes unterhalten müssen, da gerade diese beiden Punkte zwingend zusammengehören.
Ich sage noch einmal: Wir sehen in diesem Gesetz einen ersten Schritt zu einer weiteren Angleichung. Aber schon jetzt für 1991 eine völlig gleiche Dauer zu beschließen halten wir aus den eben genannten Gründen für unfair gegenüber allen Reservisten,
zumal — auch das möchte ich an dieser Stelle, Frau Kollegin, betonen — die Bedeutung der Reservisten beim Übergang von einer Präsenz- zu einer Ausbildungsarmee noch steigen wird. Von daher werden die Belastungen für den einzelnen Soldaten größer werden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18117
NoltingWenn ich noch kurz auf den Kollegen von der PDS eingehen darf : Wollen Sie den Wehrdienst wirklich abschaffen? Wollen Sie wirklich auf die äußere Sicherheit für unser Land verzichten? Ich will dazu nur einen Satz sagen: Leider ist der ewige Frieden noch nicht ausgebrochen. Ich glaube, gerade die letzten Wochen haben dies bewiesen.Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung in Richtung SPD: Sie haben dem Gesetz „W 12/Z 15" im Verteidigungsausschuß ausdrücklich zugestimmt. Sie haben dann im Plenum ausdrücklich dagegen gestimmt. Das scheint offensichtlich das neue Saarländer Wendespiel zu sein.
Sie kommen nun mit einem vollkommen unbrauchbaren Änderungsvorschlag.
— Herr Kollege, Sie haben damit zu verantworten, daß alle Entlassungen zum 30. September dieses Jahres ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind und daß die Umsetzung der Verkürzung im Katastrophenschutz überhaupt nicht mehr pünktlich möglich ist.Ich bitte Sie daher herzlich: Überlegen Sie sich in Zukunft vorher, was Sie wollen. Nutzen Sie das Instrument der Vermittlung nicht zur Verschleppung auf Kosten der Betroffenen.Vielen Dank.
Ich kann die Zwischenfrage nicht zulassen, weil es sich um eine Erklärung zu einem Ergebnis handelt. Ich bitte um Verständnis.Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 11/7995 zu? —
Wer stimmt dagegen? —
Enthaltungen? — Es besteht keine Einigkeit im Sitzungspräsidium über das Ergebnis.Ich muß die Abstimmung noch einmal wiederholen. Notfalls müssen wir einen Hammelsprung veranstalten. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 11/7995 zu? —
— Ich verstehe, daß Sie aufstehen. Aber wenn wir hier oben zählen sollen, ist es bedeutend einfacher, wenn Sie sitzen. — Wer stimmt dagegen? —Meine Damen und Herren, auch mit gutem Zureden ist es mir nicht gelungen, Einigkeit im Sitzungspräsidium zu erzielen. Damit wird das Verfahren nach § 51 unserer Geschäftsordnung, der sogenannte Hammelsprung, praktiziert. Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, den Saal zu verlassen. —
Ich bitte die Verwaltung, dafür zu sorgen, daß die Türen entsprechend besetzt werden. — Können wir anfangen? — Dann beginnen wir mit der Abstimmung. Ich bitte, die Abgeordneten wieder hereinzulassen und zu zählen. —
— Meine Herren Abgeordneten, wenngleich die Debatte zur Zeit nicht im Gange ist, so ist das kein Hinderungsgrund dafür, sich ordentlich und zivilisiert zu benehmen.
— Trotzdem, meine Damen und Herren, muß ich Sie bitten, sich vernünftig zu benehmen. Dies gilt für alle Seiten des Hauses. —Ich darf fragen, ob die Türen geschlossen werden können. Ich bitte um Meldung. — Dann bitte ich, die Türen zu schließen. Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, sich zu setzen, sowie die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir das Ergebnis der Zählung mitzuteilen. —Ich möchte Ihnen das Ergebnis bekanntgeben: Mit Ja haben 182 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 225 Abgeordnete gestimmt,
enthalten haben sich 3 Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, teilweise vor dem Saal, teilweise im Saal hat es eine unangenehme Auseinandersetzung zwischen einigen Kollegen gegeben. In dieser Auseinandersetzung sind Begriffe wie „Nationale Front" und „Volksfront" gefallen.
— Die Reihenfolge ist mir nicht bekannt. Aber unabhängig von der Reihenfolge möchte ich das Haus eindringlichst bitten, diese Art von Auseinandersetzungen nicht zu führen.
So geht es nicht. Ich bitte Sie eindringlich, dafür Sorge zu tragen, daß das nicht wieder vorkommt. Herzlichen Dank.
— Ich kann das im einzelnen nicht feststellen, weil es darüber natürlich kein Protokoll gibt. Unabhängig von der Reihenfolge sage ich Ihnen aber: Es ist unerträglich.
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18118 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Vizepräsident CronenbergMeine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die folgenden Anträge ergänzt werden:Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPÄnderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes
— Drucksache 11/8042 —Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPErgänzender Beschluß des Deutschen Bundestages zur Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes— Drucksache 11/8043 —Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen sogleich zur Abstimmung über die beiden Anträge auf den Drucksachen 11/8042 und 11/8043. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Dr. Lippelt ist das einstimmig angenommen worden.
Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 3:3. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990
— Drucksache 11/7950 —Überweisung: Haushaltsausschußb) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Augustin, Böhm , Carstensen (Nordstrand), Doss, Dr. Faltlhauser, Dr. Grünewald, Frau Dr. Hellwig, Herkenrath, Hinsken, Krey, Lowack, Maaß, Magin, Dr. Möller, Müller (Wadern), Nelle, Pesch, Rossmanith, Ruf, Schwarz, Spilker, Dr. Sprung und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen), Frau Seiler-Albring, Grünbeck, Funke, Gattermann, Dr. Solms, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (3. ERP-Nachtragsplangesetz 1990)— Drucksache 11/7982 — Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1991
— Drucksache 11/8002 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche BeziehungenAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOIm Ältestenrat ist eine Debattenzeit von dreieinhalb Stunden vereinbart worden. Ich möchte fragen, ob das Haus damit einverstanden ist. — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann habe ich das als beschlossen festzustellen.Meine Damen und Herren, bevor ich dem Bundesminister der Finanzen das Wort gebe, möchte ich gern die notwendige Ruhe im Saal wieder herstellen. Diejenigen, die nicht im Saal bleiben wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen; die anderen mögen bitte Platz nehmen. —Ich glaube, Herr Minister, wir können den Versuch unternehmen, Ihnen das Wort zu erteilen. Ich bitte noch einmal eindringlich, Platz zu nehmen. — Ich bedanke mich.Herr Bundesfinanzminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich bei Ihnen, Herr Präsident, sehr herzlich bedanken, daß Sie für die Finanzpolitik die notwendige Konzentration hier hergestellt haben. Es ist auch wieder wichtig und notwendig, daß nach den Staatsmännern der Luxusklasse nun das harte Geschäft der Finanzierung der deutschen Einheit das notwendige Interesse findet.
Die Feierlichkeiten des 2. und 3. Oktober 1990 in Berlin, in Bonn sowie in vielen anderen deutschen Städten und Gemeinden werden uns immer in Erinnerung bleiben. Wir waren Zeugen der friedlichen Vereinigung unseres Vaterlandes, und wir durften die Glückwünsche aus aller Welt entgegennehmen. Wir sind stolz darauf, unseren Beitrag zur Überwindung der Teilung und zur Sicherung des Friedens und der Freiheit geleistet zu haben. Die Feierlichkeiten sind vorbei, aber wir gehen nicht zur Tagesordnung über. In der heutigen Debatte und ebenso in den kommenden Wochen und Monaten geht es um harte wirtschaftliche Fakten, um Haushaltszahlen und finanzpolitische Weichenstellungen. Aber wir werden über den Rechenwerken die Menschen nicht vergessen.
Unsere Aufgabe ist es, die Teilung im wirtschaftlichen Bereich, vor allem aber im Denken und Handeln der Menschen zu überwinden. Wir sind kein Proviso-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18119
Bundesminister Dr. Waigelrium mehr, auch wenn Ministerpräsident Lafontaine gern an diesem Begriff festhalten möchte, weil er in Wahrheit ein anderes Deutschland mit einer veränderten Verfassung will. Wir sind ein Volk.Die Beseitigung der Folgen von 45 Jahren kommunistischer Diktatur und Mißwirtschaft ist unsere gemeinsame nationale Aufgabe. Wir lassen uns nicht in Fordernde und Gebende spalten. Wir werden uns vielmehr gemeinsam einsetzen, und wir werden gemeinsam die Früchte der Wiedervereinigung ernten.Die weltpolitische Entwicklung, die Standhaftigkeit unserer Freunde im Westen und die Reformpolitik Präsident Gorbatschows haben die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung geschaffen, aber die Überwindung der Teilung ist uns nicht in den Schoß gefallen. Erst durch den Staatsvertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion ist der Prozeß der wirtschaftlichen und politischen Integration der beiden deutschen Staaten in Gang gekommen. Ohne den 1. Juli hätte es den 3. Oktober nicht gegeben.
Die Wirtschafts- und Währungsunion hat mit einem angeblichen „DM-Nationalismus" nichts zu tun. Aber ohne wirtschaftliche Erfolge und Stabilität gibt es überhaupt keine Politik für die Menschen, keine Sozialpolitik, keine Familienpolitik, keine Kultur- und Bildungspolitik. Diejenigen, die uns eine rein technokratische, auf das Wirtschaftliche beschränkte Position vorwerfen, tun oft weit weniger für die Menschen als diejenigen, die sich den konkreten Aufgaben zuwenden.
Worauf sollten wir die Wiedervereinigung aufbauen, wenn nicht auf Investitionen und steigende Produktivität? Ohne wirtschaftliche und finanzielle Grundlagen ist die Vereinigung nicht zu bewältigen. Aber wer täglich nur nach den Kosten fragt, stellt auch die nationale Einheit Deutschlands selbst in Frage. Ich bin Bischof Lehmann sehr dankbar, daß er in seiner denkwürdigen Predigt in dieser Woche darauf hingewiesen hat, daß man nicht täglich nach diesen Kosten fragen solle, weil man sonst bei den Menschen nur insinuiere, als ob es nicht zu bezahlen wäre. Wir sind uns doch darüber einig, daß wir dieses Gemeinschaftswerk in der Verfassung, in der wir uns befinden, auch durchstehen und bewältigen können.
Nun wird uns das Prinzip Langsamkeit empfohlen. Mir ist dabei eingefallen, daß sich Günther Grass mit der Schnecke beschäftigt hat. Ob wir allerdings die Schnecke als Symbol der deutschen Einheit hier hätten mit einführen können, wage ich zu bestreiten, weil wir mit diesem Tempo den Wünschen der Menschen sicherlich nicht gerecht geworden wären. Ich will zwar nicht den Adler einbringen, aber da er unser Symbol ist, glaube ich doch, daß der zugreifende Adler eher als die Schnecke das versinnbildlicht, was in der Wiedervereinigung Deutschlands ökonomisch und menschlich stattfinden soll.
— Warum nicht? Hast du etwas gegen Günzburg? Da du hinter den Toren von Günzburg groß geworden bist, solltest du dich mit der Schmähung einer Stadt,
die ihre Tradition aus Vorderösterreich bezieht und die von der Kaiserin Maria Theresia bereits geadelt worden ist, etwas zurückhalten, lieber Kollege Roth.
Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung, daß ich einen Kollegen mit du angesprochen habe. Ich werde anschließend selbstverständlich wieder zum wohlförmlichen Sie zurückfinden.
Ich wäre auch dankbar, wenn das nicht einreißen würde.
Ganz abgesehen davon hat der Kollege Roth keine Ahnung, wie gut die Günzburger im Handball gewesen sind. Aber auch das will ich nicht fortsetzen.Meine Damen und Herren, ich habe mir in den letzten Tagen oft überlegt, wie unsere politischen Mütter und Väter zu bestimmten Zeiten wohl reagiert hätten. Ich habe mich daran erinnert, daß der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard 1946 den letzten Versuch unternommen hat, die deutschen Ministerpräsidenten an einen Tisch zu bringen. Das ist gescheitert. Was hätte Hans Ehard und was hätten die anderen Ministerpräsidenten aus der späteren Bundesrepublik Deutschland damals gegeben, wenn sie diese Konferenz zu einem Erfolg hätten bringen können? Ich habe mir gedacht, was hätte Ernst Reuter bei der — —
— Entschuldigung, was ich hier vortrage, müssen Sie schon mir überlassen. Sie dürfen anschließend auch Zahlen nennen. Wenn ich hier Hans Ehard und Ernst Reuter zitiere, dann, glaube ich, ist Ihr Zwischenruf, Sie wollten Zahlen hören, nicht besonders weiterführend. Ich habe übrigens Zahlen genannt. Das, was Hans Ehard wollte, war 1946. Wovor Ernst Reuter stand, war 1948.
Ich meine, wenn er 1948 und Ludwig Erhard 1949 in schweren Situationen Deutschlands die Chance gehabt hätte, das herbeizuführen, was wir herbeiführen konnten, dann wären sie bereit gewesen, einen höheren Beitrag zu leisten. Ich bin davon überzeugt, daß sich Männer wie Kurt Schumacher, Carlo Schmid, Fritz Erler nicht so kleinkariert verhalten hätten, wie der Kanzlerkandidat der SPD in diesen Wochen und Monaten.
Wir haben in der Vergangenheit große Summen für die Teilung und die Begrenzung ihrer Folgen ausgegeben. Allein die Zahlungen, Bürgschaften und Kredite im Zusammenhang mit den Ostverträgen und mit der Verbesserung der Zusammenarbeit mit den RGW-
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18120 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Bundesminister Dr. WaigelStaaten in den letzten Jahrzehnten belaufen sich auf über 34 Milliarden DM. Vor allem sollten wir aber die über 400 Milliarden DM nicht vergessen, die uns die Teilung in den letzten 40 Jahren an Ausgaben für menschliche Erleichterungen, für den Häftlingsfreikauf, für die Förderung Berlins und des Zonenrandgebiets und vieles andere mehr gekostet hat.
— Es kommt darauf an, wann man was ausgegeben hat und mit welchem Wert man das dann ansetzt.Der Ihnen heute zur ersten Beratung vorliegende Entwurf des dritten Nachtragshaushaltes 1990 beschreibt als erster gesamtdeutscher Haushalt den finanziellen Rahmen der unmittelbar vor uns liegenden Aufgaben. Er ist das erste Element einer umfassenden haushalts- und finanzpolitischen Konzeption, die wir mit den Eckwerten für den Bundeshaushalt 1991 noch in diesem Jahr vorlegen wollen.Wir haben mit der finanzpolitischen Bestandsaufnahme in der DDR bereits begonnen. Wir werden in den kommenden Wochen unter hohem Zeitdruck, aber mit größter Sorgfalt, an den finanzpolitischen Eckdaten arbeiten. Wir werden alle absehbaren Risiken berücksichtigen. Aber vollkommene Sicherheit kann es schon unter normalen Umständen in einem offenen, freiheitlichen Miteinander von Staat und Wirtschaft nicht geben. Um so wichtiger ist es, unsere finanzpolitischen Entscheidungen an klaren Maßstäben und Richtlinien zu orientieren.Unsere Finanz- und Haushaltspolitik wird auch in Zukunft das Wachstum der privaten Wirtschaft fördern. Es gibt keine Revision unserer erfolgreichen Politik der Konsolidierung, der Begrenzung der Staatsausgaben und der mittelfristigen Verringerung der Steuerbelastungen.
Zusätzliche Anforderungen an die öffentlichen Haushalte erfordern zwingend Einschränkungen und Umschichtungen in anderen Bereichen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine faire Lastenteilung innerhalb des ursprünglichen Gebiets der Bundesrepublik, aber auch im Verhältnis zwischen den westlichen und den östlichen Bundesländern.
Der Solidarität der Bundesländer und dem Zusammenbringen von verbalen Erklärungen und realer Solidarität soll keine Grenze gesetzt werden.Meine Damen und Herren, es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Beseitigung der Erblast eines in allen Bereichen und allen Konsequenzen gescheiterten sozialistischen Regimes. Es lag wirklich nicht an unseren Mitbürgern östlich von Elbe und Werra, die nicht weniger fleißig und tüchtig sind als die Deutschen im Westen, wenn in fast allen Bereichen gravierende Rückstände aufgeholt werden müssen. Wir stehen vor dem traurigen Erbe der praktischen Erprobung eines völlig untauglichen politischen und wirtschaftlichen Systems.
Wir lassen uns die Schelle dafür nicht umhängen. Man kann nicht in 90 Tagen Sozialer Marktwirtschaft das gutmachen, was in 15 000 Tagen Sozialismus da drüben angerichtet worden ist.
Nur wenige Zahlen: Die öffentliche Verwaltung ist mit rund 2,3 Millionen Mitarbeitern ein gewaltig aufgeblähter Wasserkopf.Eine auf Solidarität und Selbsthilfe aufgebaute funktionsfähige Sozialversicherung bestand bisher nicht.Die in rund 180 Jahren gewachsene bürgernahe, flexible und wirksame kommunale Selbstverwaltung ist unter dem SED-Regime völlig zerschlagen worden.Die Produktivität der Betriebe liegt im Schnitt bei nur rund einem Drittel des westdeutschen Niveaus.Die versteckte Arbeitslosigkeit beläuft sich nach Berechnungen des Ifo-Instituts auf fast 3 Millionen. Wir hatten vor wenigen Wochen noch angenommen, es würden 1,5 Millionen sein.Der Außenhandel war einseitig auf den RGW-Bereich ausgerichtet. Gegenüber dem Weltmarkt hatte man sich fast vollständig abgeschottet.Durch rechtliche und faktische Enteignung wurde das Privateigentum als Grundlage einer dezentralen Wirtschaftsordnung weitgehend aufgehoben.Schienen- und Straßenwege sind seit 1939 kaum ausgebaut worden. Das Eisenbahnnetz ist in seiner Ausbauqualität sogar weit hinter dem Stand von 1939 zurückgefallen. Das Telefonnetz ist hoffnungslos veraltet.Veraltete Produktionstechniken und die rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt haben die Gesundheit der Menschen akut gefährdet.Durch die Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft wurden natürliche Lebensräume in erheblichem Umfang zerstört.Nicht alle Erblasten der sozialistischen Mißwirtschaft werden sich von heute auf morgen beseitigen lassen. Aber wir müssen in allen Bereichen anfangen und den Menschen eine Chance zum Wiederaufbau geben. Dazu trägt dieser Dritte Nachtragshaushalt ganz entscheidend bei.
Lassen Sie mich fünf Aufgabenbereiche nennen, in denen unverzügliches Handeln notwendig ist.Einmal die Wirtschaftsförderung: In Art. 28 des Einigungsvertrages wurde der Rahmen wirtschaftsfördernder Maßnahmen für die fünf neuen Bundesländer abgesteckt. Es geht um die Herstellung eines Präferenzvorsprungs bei der regionalen Wirtschaftsförderung, um die Entwicklung eines leistungsstarken Mittelstandes, um die Modernisierung und strukturelle Neuordnung der Wirtschaft und eine Entschuldung der früher volkseigenen Betriebe im Einzelfall.Durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen im Nachtragshaushalt ist die unverzügliche Verwirklichung der vereinbarten Programme sichergestellt. Meine Damen und Herren, aus der Höhe der
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18121
Bundesminister Dr. WaigelVerpflichtungsermächtigungen für das nächste Jahr herauslesen zu wollen, daß das eine oder andere, z. B. beim Wohnungsbau, gekürzt würde, ist schon absurd. So kann man doch politisch nicht miteinander umgehen. Wir setzen für eine vorläufige Haushaltsführung Verpflichtungsermächtigungen in der Größenordnung der Hälfte der Ansätze für 1990 ein und geben damit die Möglichkeit, daß über ein halbes Jahr hinweg voll investiert werden kann, daß keine Auftragslöcher entstehen. Ich finde das eine nach vorn gerichtete und praxisnahe Form der Bewirtschaftung. Daraus den Umkehrschluß ziehen zu wollen, es würde nur die Hälfte für das nächste Jahr angesetzt, ist eine Unverfrorenheit und ist nur mit der Methode vergleichbar, mit der man in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf betrieben hat.Es ist schon eigenartig, daß drüben der Kollege Farthmann, den ich persönlich schätze, durch die Lande zieht und für Thüringen kämpft. Ein paar Monate vorher ist er noch durch Nordrhein-Westfalen marschiert und hat jeder Gemeinde vorgerechnet, welchen Kindergarten oder welche Schule sie nicht bauen könne, weil die Wiedervereinigung so viel Geld koste. So kann man mit den Menschen nicht umgehen.
Die Menschen in der DDR haben das auch gespürt. Es liegt nicht nur an der mangelnden organisatorischen Qualität der SPD drüben, daß dort die Akzeptanz nicht so ist, wie man sich das irgendwann einmal vor einem Jahr vorgestellt hat.Meine Damen und Herren, besonders wichtig für einen raschen wirtschaftlichen Aufbau ist das Gemeindekreditprogramm mit einem Umfang von insgesamt 10 Milliarden DM. Durch zinsverbilligte Kredite sollen insbesondere die Erschließung von Gewerbeflächen, kommunale Umweltschutzmaßnahmen, Stadt- und Dorferneuerung, Energieeinsparung, der Bau von Krankenhäusern sowie von Alten- und Behinderteneinrichtungen gefördert werden.Ein nächster Punkt, die soziale Sicherung: Meine Damen und Herren, es ist nicht so, daß im Staatsvertrag und jetzt auch im Nachtragshaushalt nur die Investitionen, nur die Innovationen, nur die Technik, nur das reale Wachstum gefördert würden, sondern ein ganz großer Bereich entfällt auf soziale Leistungen, die unmittelbar den Menschen helfen, die in einer schwierigen Anpassungssituation unmittelbar dem einzelnen zugute kommen.Rund 9 Milliarden DM betragen die Mittel für die Unterstützung der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Die Zahl von 9 Milliarden DM für soziale Aufgaben im Dritten Nachtragshaushalt widerlegt eindeutig die Kritik, uns gehe es nur um die Förderung der Wirtschaft und den Kauf von Maschinen und Anlagen. Über die Hälfte der Mittel im Zweiten Nachtragshaushalt und jetzt fast die Hälfte des Volumens des Dritten Nachtrags stehen unmittelbar für die Bewältigung der sozialen Folgen der Einigung zur Verfügung.3,8 Milliarden DM beträgt der zusätzliche Zuschuß an die Arbeitslosenversicherung.Bei der Krankenversicherung haben gestiegene Arzneimittelpreise und schleppende Beitragseingänge zu einem Zuschußbedarf von rund 3 Milliarden DM geführt, den der Bund ausnahmsweise, weil es kurzfristig keine Möglichkeit zur vollen Beitragsdekkung der Kosten gibt, übernimmt. Ab 1991 müssen Kosten und Beiträge in der Krankenversicherung jedoch wieder in Übereinstimmung gebracht werden.
Bei der Rentenversicherung haben anfängliche Verzögerungen beim Zufluß der Beitragseinnahmen zu einem Defizit von 2,1 Milliarden DM geführt.Ein weiteres Element des Nachtragshaushalts ist das 10-Milliarden-DM-Kreditprogramm für die Modernisierung und Instandsetzung von vermieteten und selbstgenutzten Wohnungen. Wir wollen den dramatischen Verfall der Gebäude stoppen und zugleich bessere Beschäftigungschancen für die Bauwirtschaft, vor allem für die mittelständischen Betriebe, schaffen.Meine Damen und Herren, weil es vor der Tür steht, weil es zeitlich ansteht und dann auch etatisiert werden muß, ist im Nachtragshaushalt auch etwas enthalten, was mit der Deutschlandpolitik nicht im Zusammenhang steht: Das ist unsere Verantwortung am Golf. Die Bundesrepublik hat schon bisher ihre Aufgaben als führende Industrienation in aller Welt, vor allem auch auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, wahrgenommen.Im Anschluß an die Wiedervereinigung und vor dem Hintergrund umfassender Unterstützung durch unsere Partner und Freunde in aller Welt wird unsere internationale Verantwortung eher noch zunehmen. Dementsprechend haben wir den Vereinigten Staaten finanzielle und materielle Unterstützung zur Eindämmung der irakischen Aggression in einem Gesamtvolumen von 3,3 Milliarden DM zugesagt. Rund die Hälfte davon entfällt auf die Unterstützung der vom Handelsembargo betroffenen Staaten im Nahen Osten. Die andere Hälfte steht für eine unmittelbare finanzielle und materielle Unterstützung der Vereinigten Staaten zur Verfügung.Ein zweiter Punkt ist der sowjetische Truppenabbau. Zu den im Nachtrag zu berücksichtigenden Investitionen in die deutsche Einheit sind auch die finanziellen Leistungen zu rechnen, die wir im deutschsowjetischen Abkommen vereinbart haben. Diese Aufwendungen belaufen sich zwischen 1991 und 1994 auf insgesamt etwa 13 Milliarden DM. Der größte Teil hiervon entfällt mit 7,8 Milliarden auf zweckgebundene Mittel für den Wohnungsbau. Wir helfen damit ein Problem lösen, das in der Sowjetunion einen ungeheuren innen-, gesellschafts- und sozialpolitischen Sprengstoff enthält.
— Das weiß ich. Aber ich bin ganz sicher — ich glaube, hier gibt es eine Übereinstimmung über alle Parteien hinweg — , daß auch Sie die Notwendigkeit sehen, diesen Beitrag zu leisten; denn ohne diesen
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18122 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Bundesminister Dr. WaigelBeitrag wären die Ereignisse der letzten Tage und Wochen nicht möglich gewesen.
Wenn es gelingt, fast auf den Tag genau 50 Jahre, nachdem der erste sowjetische Soldat deutschen Boden betreten hat, zu erreichen, daß die letzte sowjetische Waffe und der letzte sowjetische Soldat 1994 deutschen Boden wieder verlassen, dann ist das, glaube ich, auch diesen nicht niedrigen, aber, wie ich meine, angemessenen Preis wert, vor allen Dingen dann, wenn die Mittel projektbezogen sind, Herr Kollege Zander, und nicht in einem Faß ohne Boden verschwinden.
Ich habe mir manchmal überlegt: Was hätten Konrad Adenauer und sicher auch Carlo Schmid, der dabei war, 1955, als sie von ihrer Reise in die Sowjetunion 10 000 Kriegsgefangene mitbrachten, gegeben, wenn sie mit dem Ergebnis hätten heimkommen können, mit dem diesmal der deutsche Bundeskanzler, der deutsche Außenminister und der deutsche Finanzminister aus Moskau und aus dem Kaukasus zurückgekommen sind!
Meine Damen und Herren, das Gesamtvolumen des Dritten Nachtragshaushalts, das erstmals sowohl den bisherigen Bundeshaushalt als auch den bisherigen DDR-Haushalt umfaßt, beträgt rund 20 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme steigt für 1990 um knapp 26 Milliarden DM. Dieser über die zusätzlichen Ausgaben hinaus steigende Kreditbedarf ergibt sich aus dem bisher noch zögernden Eingang der Steuern in den fünf neuen Bundesländern.Mit dem Dritten Nachtragshaushalt vollziehen wir die haushalts- und finanzpolitische Absicherung des Vereinigungsprozesses. Durch die vorgesehene Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen um rd. 20 Milliarden DM ist die haushaltspolitische Handlungsfähigkeit bis ins Jahr 1991 hinein gewährleistet, und die durch den Einigungsprozeß unvermeidliche Verschiebung der Verabschiedung des gesamtdeutschen Haushalts 1991 wird somit keine Verzögerung bei der notwendigen Hilfe für die fünf neuen Bundesländer verursachen.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die gebetsmühlenartigen Forderungen der Opposition nach einer unverzüglichen Vorlage eines gesamtdeutschen Bundeshaushalts 1991 zurückweisen. Sie wissen selbst, vor allem die Fachleute bei Ihnen, daß der Ablauf der Ereignisse überhaupt keine andere Lösung zuließ und gar nicht mehr die Zeit für ein normales Haushaltsverfahren geblieben wäre.
Auch eine Steuerschätzung wäre im Oktober ohnegesicherte Grundlage. Wir brauchen doch eine Steuerschätzung, die möglichst nah an den Daten liegt, diefür die Aufstellung des ersten gesamtdeutschen Haushalts notwendig sind.
Mit Verschleierung, mit Vertuschung hat das überhaupt nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, ich möchte dem Kollegen Brandt, der in den letzten Wochen und Monaten sehr beachtliche Beiträge zur deutschen Politik geleistet hat — —
— Die in den letzten Wochen und Monaten haben mir besser gefallen. Es war ja auch sehr deutlich zu spüren, daß sie in ziemlicher Diskrepanz zu dem stehen, was Ihr Kanzlerkandidat sagt. — Sie haben soeben genickt und mir damit zugestimmt.Nur eines will ich schon sagen, meine Damen und Herren: Aus einer Partei, die bis vor zwei Jahren die deutsche Einheit zur Lebenslüge erklärt hat, lasse ich mich nicht als Steuerlügner oder Schuldenlügner bezeichnen. Das will ich einmal sehr klar sagen.
Wir brauchen von Ihnen keine Belehrungen. Von acht Haushalten, die wir in unserer Regierungszeit aufgestellt haben, sind sieben rechtzeitig im Jahr vorher verabschiedet worden. Wenn wir in diesem Jahre bei einer Herausforderung, wie sie nur einmal im Jahrhundert besteht, den Spielraum haben, den Haushaltsplan erst Anfang des nächsten Jahres nach den gesamtdeutschen Wahlen aufzustellen, zuvor aber über Eckwerte sprechen, dann ist das genau das Richtige und kann anders nicht gehandhabt werden. Sie haben 13mal die Möglichkeit gehabt, ohne daß in einem dieser Jahre die Wiedervereinigung stattgefunden hätte, Ihre Haushaltspläne rechtzeitig vorzulegen. Es ist Ihnen ein einziges Mal gelungen. Sie sollten zu dem Punkt wirklich etwas zurückhaltender sein
und sich Ihre Vorwürfe gut überlegen.Meine Damen und Herren, die Neuverschuldung steht nicht im Widerspruch zu Art. 115 des Grundgesetzes. Ich sehe einer möglichen Klage nach Art. 115 unseres Grundgesetzes mit großer Gelassenheit entgegen. Sie wissen, ich habe auch selber schon einmal geklagt und kenne von daher das Verfahren. Ich würde mit Freude vor dem Bundesverfassungsgericht auftreten, um diese Verschuldung in einer historischen Situation zu begründen. Sie ist nach dem Wortlaut des Art. 115 nicht nur zulässig; sie ist geradezu geboten,
um eine Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zu verhindern.Meine Damen und Herren, der Sozialismus hat uns in den fünf neuen Bundesländern wirtschaftliche Zerstörungen in einem Ausmaß hinterlassen, wie sich das unserer Vorstellungskraft eigentlich entzogen hat. Ich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18123
Bundesminister Dr. Waigelglaube, es gibt gesamtwirtschaftlich keine besser begründbare und langfristig wirksamere Investition als diejenige in die deutsche Einheit, in Freiheit, in Soziale Marktwirtschaft und damit in steigenden Wohlstand für alle Deutschen.Selbstverständlich gibt es haushaltspolitische und gesamtwirtschaftliche Grenzen der öffentlichen Neuverschuldung. Aber wo diese Grenzen liegen, richtet sich nach den finanzpolitischen Ausgangsbedingungen und den gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen.Lassen Sie mich zum Kapitalmarkt in der Bundesrepublik Deutschland etwas sagen. Die Voraussetzungen für eine zeitlich begrenzte Ausweitung der Kreditfinanzierung sind zur Zeit gut. Das Sparaufkommen in der Bundesrepublik ist im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittlich hoch. Das spielt bei den internationalen Konferenzen eine immer größere Rolle. Gegenüber 1989 ist die Sparquote sogar noch von 12,5 % auf 13,7 % im ersten Halbjahr 1990 gestiegen. Die Geldvermögensbildung betrug in der Bundesrepublik im letzten Jahr rund 470 Milliarden DM. Durch unsere Entscheidungen zur Abschaffung der Quellensteuer, der Wechselsteuer und der Börsenumsatzsteuer haben wir wesentlich zu günstigen Kapitalmarktbedingungen für die Finanzierung der Investitionen in die Einheit beigetragen.
Bei der Abschaffung der Börsenumsatzsteuer sind wir übrigens auch vom Oberbürgermeister von Frankfurt unterstützt worden, der früher Mitglied Ihrer Fraktion war. Auch er hat anscheinend den Wert von Steuersenkungen durchaus eingesehen, wenngleich ich nicht bestreiten möchte, daß das vielleicht einen regionalen Hintergrund haben könnte.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik war bisher mit Kapitalexportüberschüssen von über 100 Milliarden DM nach Japan der größte Kreditgeber der Welt. Künftig werden wir einen größeren Teil unserer Ersparnis im eigenen Land brauchen. Aber aller Voraussicht nach wird die Bundesrepublik auch in Zukunft im Saldo Kapital für andere Länder zur Verfügung stellen. Deshalb sind wir auch nicht dafür verantwortlich, wenn die Zinsen im internationalen Maßstab gestiegen sind.Meine Damen und Herren, wenn in diesen Tagen davon die Rede war, mit hochrentierlichen Anleihen alleine werde sich die deutsche Einheit nicht finanzieren lassen, so nehmen wir diese Aussage natürlich ernst. Aber nicht wir, sondern der Wettbewerb auf den Finanzmärkten bestimmt den Preis des Kapitals.
Die Investitionen in die deutsche Einheit werden sich vielfach auszahlen.
Trotz der außerordentlichen Anforderungen durch die Wiedervereinigung bleiben wir mit der Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt unter den Beträgen, die unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung in den Jahren 1975, 1981 und 1982 erreicht wurden: 5 % bis 6 %.
Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Stratmann-Mertens zu beantworten?
Bitte schön.
Herr Waigel, weil Sie gerade sagten, daß Sie die Äußerung von Bundespräsident Weizsäcker am 3. Oktober, daß die Einheit nicht allein durch hochverzinsliche Wertpapiere zu finanzieren sei, ernst nehmen: Nehmen Sie dann auch die folgenden Ausführungen von Weizsäcker am 3. Oktober ernst, daß die Kosten der Einheit durch Teilen — Teilen meint im Kontext seiner Rede eindeutig u. a. auch Steuererhöhungen — —
— Der politische Sinn dieser Rede war von allen Kommentatoren so verstanden, egal, aus welcher politischen Richtung. Nehmen Sie ernst, daß er eine differenzierte Absage an die alleinige Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit durch Verschuldung, sprich: hochverzinsliche Wertanleihen, erteilt hat — —
Entschuldigung, Sie sollten eine Frage stellen.
Er hat immer noch die Möglichkeit, ein Fragezeichen zu setzen. Außerdem haben wir das Institut der Intervention.
Ich wurde an dem Fragezeichen durch die Zurufe der Kolleginnen und Kollegen aus der CDU-Fraktion gehindert. — Nehmen Sie auch diese politischen Implikationen der Rede von Weizsäcker ernst?
Zunächst bin ich davon überzeugt, daß der Bundespräsident sehr ungehalten darüber ist, daß Sie ihn hier mißbraucht haben.
Ich glaube nicht, daß das in seinem Sinne sein kann. Zudem hat der sehr verehrte Herr Bundespräsident von Steuererhöhungen nichts gesagt. Damit sollte man es bewenden lassen, weil man hohe Verfassungsorgane in die Tagespolitik nicht hineinziehen sollte.
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18124 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Herr Abgeordneter Wieczorek möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen. Es obliegt Ihnen, ja oder nein zu sagen.
Herr Wieczorek, es tut mir außerordentlich leid. Auch wenn Ihnen die Frau Matthäus-Maier regelmäßig die Redezeit wegnimmt, können Sie nicht auf meine Kosten mit Fragen in die Debatte eintreten.
Das geht möglicherweise auf Kosten der Fernsehzeit, aber auf die Redezeit rechne ich die Fragen nicht an, Herr Minister.
Ich bitte um Verständnis. Es ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet.
— Hier kneift niemand, nur Sie schreien.Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten acht Jahren durch Konsolidierung und umfassende Steuerentlastung eine feste Wachstumsgrundlage für die Wiedervereinigung geschaffen. Sie sollten noch einmal Ihre Reden nachlesen, um sich in Erinnerung zu rufen, was Sie in den Jahren 1982 und 1983 und danach zum „Kaputtsparen" gesagt haben. Sie dürfen uns heute dankbar sein, daß wir damals gespart haben, um heute fit zu sein, um die Investitionen bezahlen zu können.
Das allerletzte, was dann noch als Argument herhalten muß, ist: Waigel ist ein Schuldenmacher.
Meine Damen und Herren, was ist dann Lafontaine? Wenn sich Ministerpräsident Lafontaine weigert, die bis 1985 aufgelaufenen Schulden auf sein Konto zu nehmen, dann kann ich mit der gleichen Berechtigung die Verantwortung für die Schuldenfinanzierung bis 1982 zurückweisen,
die durch die Zinsbelastung der nachfolgenden Haushalte auch die Neuverschuldung der Jahre ab 1983 verursacht hat.Sie müssen also immer Obacht geben, Frau Matthäus-Maier — ich kenne Ihr differenziertes Verhältnis zu Lafontaine nicht genügend —,
ob Sie ihn mit Ihren Querschüssen nicht treffen könnten. Ich glaube, er mag das nicht. Er hat Sie ja auch bisher nicht in sein Schattenkabinett aufgenommen.
Er hat auch über gar keines berichtet, weil er scheinbar nicht über genügend Leute verfügt. Weder Sienoch der Kollege Roth sind dabei. Aber machen Siesich nichts daraus! Auf diese Ehre können Sie wirklich verzichten.
Meine Damen und Herren, ohne die Sonderbelastungen durch die Wiedervereinigung hätte sich der Bundeshaushalt auch in den Jahren 1990 und 1991 im Rahmen der Entwicklung der letzten sieben Jahre bewegt. 1989 hatte die Nettokreditaufnahme mit gut 19 Milliarden DM einen außerordentlich niedrigen Wert erreicht. 1990 wären es ohne die Sonderbelastung trotz der erheblichen Steuerentlastungen ebenfalls nur rund 23 Milliarden DM gewesen. Und auch 1991 wurde ursprünglich eine vergleichbar geringe Kreditaufnahme erwartet. Wer an unserer Haushaltsplanung Kritik anmeldet und übt, muß auch sagen, welche Aufwendungen zugunsten der fünf neuen Bundesländer er streichen will.
Es ist ein eklatanter Widerspruch, uns unsolide Finanzpolitik im allgemeinen vorzuwerfen, auf der anderen Seite jedoch keine Alternativen zu unseren Vorschlägen vorzulegen.
Im Gegensatz zu unseren Vorgängern wollen wir die Grenzen der Verschuldung und der Belastbarkeit der Wirtschaft allerdings nicht im Großexperiment testen. Für uns sind deshalb Ausgabenbeschränkungen und Umschichtungen der entscheidende Weg zur Bewältigung der Einigungsaufgabe.Wir belassen es nicht bei Worten: Bereits in den Nachtragshaushalten für 1990 wurden bei den Ausgaben insgesamt 5 Milliarden DM eingespart. Im ursprünglichen Entwurf für den Bundeshaushalt 1991 waren gegenüber dem Finanzplan Kürzungen von rund 8 Milliarden DM vorgesehen.Wirklich spürbare Einschnitte kann der Finanzminister allerdings nicht allein, sondern können nur alle Verantwortlichen in der Regierung, in den gesetzgebenden Körperschaften von Bund, Ländern und Gemeinden sowie in den Verbänden und Interessenvertretungen gemeinsam erzielen. Es reicht überhaupt nicht aus, Sparsamkeit im allgemeinen zu fordern, die eigenen Vorteile und Vergünstigungen jedoch mit allem Nachdruck und allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.
Es geht vielmehr darum, alle Einsparpotentiale zu nutzen und weniger dringliche Vorhaben zu verschieben. Auch in diesem Dritten Nachtragshaushalt ist wieder ein Einspar- und Umschichtungsvolumen von etwa 1,5 Milliarden DM enthalten. Sie sehen also sehr deutlich, daß wir diesem Punkt die allerhöchste Priorität zumessen.
Meine Damen und Herren, wir sollten auch Entscheidungen über weiterführende steuerliche Entlastungen erst treffen, wenn sich der finanzielle Rahmen des Vereinigungsprozesses klar abschätzen läßt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18125
Bundesminister Dr. WaigelDie Arbeit der von mit eingesetzten Kommission geht unvermindert weiter. Sie wird Ende dieses, Anfang nächsten Jahres ihre Vorschläge an das Parlament und die Regierung abgeben. Das wird auch für die Willensbildung der nächsten Regierung wichtig sein. Ich meine, wir werden etwa Mitte der nächsten Legislaturperiode — wenn der gemeinsame Markt vor uns steht — zu entscheiden haben, wie und in welchem Umfang eine Steuersenkung, eine Steuerharmonisierung auch im Zusammenhang mit den europäischen Problemen bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit in Europa beschlossen und finanziert werden kann.
Meine Damen und Herren, bei der Finanzierung der Investitionen in die deutsche Einheit müssen auch neue Wege unvoreingenommen geprüft werden. Insbesondere ist eine stärkere Finanzierung öffentlicher Leistungen über Gebühren und Beiträge vorstellbar. Es könnte auch an die Errichtung privater Fonds oder Stiftungen gedacht werden, die in eigener Verantwortung in den Straßenbau, in den Wohnungsbau oder in den Kommunikationsbereich investieren. Die Finanzierung dieser Fonds könnte über Erträge und Benutzergebühren erfolgen. Auch das Leasing-Verfahren ist eine Möglichkeit für manche Investition im kommunalen Bereich.
Von allen Finanzierungsalternativen wären Steuererhöhungen unter den gegebenen Umständen das schlechteste Instrument.
Wenn die SPD mit ihren Vorschlägen zu einer wachstums- und investitionsfeindlichen Ergänzungsabgabe auf Wählerfang geht,
verzichtet sie zugleich auf den Vorrang der umfassenden Einsparungen, die Frau Kollegin Matthäus-Maier und Herr Wieczorek tagtäglich fordern.Es kann doch nicht darum gehen, den staatlichen Korridor nach all den negativen Erfahrungen der 70er Jahre, nachdem die Staatswirtschaft in der früheren DDR und im ganzen Ostblock so eklatant gescheitert ist, dauerhaft auszuweiten. Statt eine geisterhafte Debatte über hypothetische Steuererhöhungen zu führen, sollten wir uns lieber den wirklich dringlichen Aufgaben der staatlichen und wirtschaftlichen Integration Deutschlands zuwenden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dann noch ein paar Bemerkungen zu dem Vorwurf der „Schattenhaushalte", der „Schattenwirtschaft" und der „Nebenhaushalte" machen. Dies ist ebenso falsch und überflüssig, wie auf der anderen Seite die Steuererhöhungsdebatte falsch ist; denn wir haben nichts zu verbergen und nichts zu verstecken. Wir haben die Öffentlichkeit zu jedem Zeitpunkt umfassend über die anstehenden Aufgaben und ihre mögliche Finanzierung informiert. Der Fonds Deutsche Einheit ist von allen Ländern übereinstimmend beschlossen worden.
Alle Finanzminister der SPD, alle Ministerpräsidenten der SPD haben dem zugestimmt.Ich hätte mir auch eine günstigere Finanzierungsmöglichkeit über die Umsatzsteuerverteilung vorstellen können. Nur, meine Damen und Herren, das war nicht möglich. Was soll also in diesem Zusammenhang die Kritik?
— Lassen Sie mich das zu Ende führen, Herr Kollege Wieczorek.Weiterer Punkt: Der Kreditabwicklungsfonds ist zeitlich bis Ende 1993 befristet. Dieser im Einigungsvertrag vorgesehene Fonds ist notwendig, um die Verteilung der Schulden der früheren DDR auf Bund, Länder und Treuhandanstalt in einem geordneten Verfahren zu ermöglichen. Dies steht im Staatsvertrag, und nach meiner Erinnerung ist diesem von Frau Matthäus-Maier und allen anderen zugestimmt worden. Sie können doch nicht einer Sache zustimmen, dann aber mit der gleichen Angelegenheit durch die Lande marschieren und Stimmung gegen uns machen. Ich halte das für unfair!
Kollege Wieczorek, nachdem Ihnen Frau Kollegin Matthäus-Maier kein Rederecht gegeben hat, bekommen Sie es von mir. Bitte schön.
Herr Minister, Sie gestatten also die Zwischenfrage. Aber es ist noch immer die Aufgabe des Präsidenten, dies ordnungsgemäß abzuwickeln. — Herr Wieczorek.
Herr Minister, Sie brauchen keine Sorge zu haben; ich werde nicht zehn Minuten lang reden.
Mir kommt es nur darauf an, deutlich zu machen, daß Sie auf der einen Seite hier die Schattenhaushalte verteidigen, auf der anderen Seite aber nicht bereit sind, diese Schattenhaushalte wenigstens nachrichtlich in den Bundeshaushaltsplan aufzunehmen. Wenn Sie nichts zu verstecken haben, hätten Sie es doch genauso machen können, wie beim Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und im Bundeshaushalt wenigstens nachrichtlich aufführen können, wo überall Sie Ihre Schulden verstecken.
Das war die Form der Kurzintervention. Wir werden uns noch daran gewöhnen müssen. — Bitte schön, Herr Minister.
Wer hat in den letzten Wochen und Monaten den Fonds Deutsche Einheit versteckt? Ein solcher Vorwurf ist doch geradezu absurd, ganz abgesehen davon, daß die Inanspruchnahme von Krediten durch die öffentliche
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18126 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Bundesminister Dr. WaigelHand in den Vorlagen steht und jedermann bekannt ist. Der Vorwurf ist absurd.Was den Kreditabwicklungsfonds betrifft, so ist doch auch alles offengelegt worden. Die Zinsleistungen, die vom Bund oder von den Ländern dafür erbracht werden müssen, sind offengelegt und für jeden Haushälter erkennbar. Sie haben ja zur Veröffentlichung dieser Dinge beigetragen, aber leider nicht fair. Dafür verdienen Sie eine Rüge, jedenfalls von mir.
Daher kann man überhaupt nicht von einer Verschleierung sprechen. Dort, wo es gesamtwirtschaftlich notwendig ist, ist es in den Tabellen und in den Annahmen enthalten.
— Das war eine erschöpfende Auskunft.
Ich glaube nicht, daß Sie auch nur noch ein einziges Mal daran Kritik üben werden. Vielen Dank, Herr Kollege Wieczorek!
Soll ich das so werten, daß Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen?
Nein.
Was die Treuhandanstalt anlangt, so frage ich: Will jemand die ganze Treuhandanstalt im Bundeshaushalt verankert sehen? Wir sind doch heilfroh, daß alles, was es dort drüben an Betrieben und an Grundvermögen gibt, aus dem Bereich des Staates herausgenommen und möglichst bald privatisiert wird, um so für Investitionen, für Innovationen und die Sanierung lebensfähiger Betriebe verwandt zu werden.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Wiedervereinigung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wir wissen aber auch: Wir verfügen über eine starke Wirtschaft, und wir sind leistungsfähig genug, um mit den Problemen fertigzuwerden. Kollege Roth — —
— Ja, ich habe es gesehen: Er wollte gehen.
— Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.
— Da hätte ich mich zurückgehalten. — Ich will Ihnen eines sagen, Herr Kollege Roth: Wenn ich früher als Oppositionsabgeordneter im Ausland war, habe ich dort nie die eigene Regierung angegriffen, nie!
Denn ich bin der Meinung, im Ausland hat jeder sein Land und nicht seine Partei zu vertreten.
Daß Sie zu dem Zeitpunkt, als ich gemeinsam mit Präsident Pöhl Deutschland auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds vertreten habe, dort erklärt haben oder haben veröffentlichen lassen, ich säße dort auf der Anklagebank, war erstens falsch, und zweitens haben Sie damit den Interessen unseres Landes geschadet. Das sollten Sie nicht noch einmal tun.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Ja, bitte schön, denn ich habe ihn unmittelbar angesprochen.
Herr Bundesfinanzminister, ausweislich der Information des Ifo-Instituts in München, eines Instituts, das der Bundesregierung mit Rat und Tat permanent zur Seite steht
— vielen Dank für den Zwischenruf: „Ein gutes Institut!" — , ist das Zinsniveau in der Bundesrepublik Deutschland und mittelbar auch weltweit seit Januar dieses Jahres um etwa 2 % gestiegen, weil die Klarheit über die Finanzierung der deutschen Einheit fehlt und weil die Kapitalmärkte seit Januar/Februar dieses Jahres permanent hektisch auf diese Situation reagieren. Diesen Sachverhalt habe ich öffentlich dargestellt, im übrigen unter Bezugnahme auf das Ifo-Institut. Ich glaube, das ist ein Beitrag zur internationalen Diskussion über Zinsen und kein unfairer Angriff. Sie müßten Ihre Finanzpolitik endlich korrigieren, damit die Zinsen bald wieder fallen. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
Ist das immer noch eine Frage?
Meine Damen und Herren, es ist so, daß sowohl eine Kurzintervention als auch eine Frage möglich ist.
Ich wußte nicht, daß es eine Kurzintervention ist.
Wir werden bald lernen, daß es ein und dasselbe sein kann und daß das Fragezeichen wegfällt.
Gut, aber einerlei: Außer Ihnen, Herr Kollege Roth, glaubt niemand, daß das internationale Zinsniveau wegen der deutschen Frage um 2 % gestiegen ist. Es glaubt wirklich niemand außer Ihnen.
Wenn Sie die Dimension des Defizits in den Vereinigten Staaten und andere Probleme, die jetzt entstanden sind — die Golfkrise und manches mehr —, in Relation zu den Kosten der deutschen Einheit bringen und gleichzeitig behaupten, die Diskussion bei uns oder
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18127
Bundesminister Dr. Waigeleine Zinsentwicklung im Januar, die sich in den letzten Monaten nicht mehr fortgesetzt hat, stehe im Zusammenhang mit der Finanzierung der deutschen Einheit, dann müssen Sie sich die Frage stellen lassen, ob nicht Sie durch die von Ihnen permanent vorgetragenen Zahlen oder durch Ihre permanenten Fragen wesentlich mehr zur Verunsicherung der Märkte beigetragen haben. Wir haben das jedenfalls nicht getan.
Außerdem stimmt das, was Sie sagen, nicht mit dem Kommuniqué des IWF überein. Der Generaldirektor des IWF, Michel Camdessus, hat uns hier vor etwa drei/vier Monaten besucht und gesagt: Man hätte fast meinen können, daß ihr seit 1982 genau gewußt hättet, daß die Wiedervereinigung im Jahre 1990 stattfindet. Eine bessere und gezieltere Finanzpolitik, eine bessere Vorbereitung auf ein solches nationales Ereignis kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. — Wir saßen nicht auf der Anklagebank. Ganz im Gegenteil: Alle haben bestätigt, daß durch die deutsche Einigung geradezu ein Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum geleistet wird.Es wird überall begrüßt, daß die Ungleichgewichte, unsere Überschüsse in diesem Zusammenhang abgebaut werden. Das heißt, auch das ist weltweit positiv. Wenn wir dann noch zum gleichen Zeitpunkt die Sparquote von 12,7 auf über 13 % erhöhen, dann zeigen wir sehr deutlich, wie stark unser Beitrag ist. Auch die Einführung der D-Mark im Osten hat all das, was an Befürchtungen entstanden ist, nicht Realität werden lassen. Wir saßen nicht auf der Anklagebank. Wir waren vielmehr in einer sehr guten Position. Wenn Sie dort Finanzminister wären, kämen Sie von der Anklagebank überhaupt nicht mehr herunter.
Sie haben das Ifo-Institut zitiert. Gerade von dort ist wieder festgestellt worden, wie hoch das Engagement westdeutscher Unternehmen in den fünf neuen Bundesländern ist. Ein Viertel der befragten westdeutschen Betriebe wird 1990/91 im Gebiet der ehemaligen DDR investieren. Rund 10 Milliarden DM sind für solche Investitionen bereits eingeplant.In den neuen Bundesländern selbst wird eine große Zahl neuer mittelständischer Industrie- und Handwerksbetriebe gegründet. Über 1 Milliarde DM an ERP-Krediten wurde inzwischen ausgezahlt. Über 100 000 Arbeitsplätze werden so geschaffen.Meine Damen und Herren, statt Kassandra zu spielen, würde es sich lohnen, wenn die Kollegen der SPD einmal das nachlesen würden, was Helmut Schmidt in der „Zeit" vom 17. August 1990 geschrieben hat:Aber vergessen wir nicht: Dies ist am Ende des grauenvollen zwanzigsten Jahrhunderts eine unverhoffte, einmalige Chance für Freiheit und Einheit — und außerdem noch für hohen Lebensstandard für alle Deutschen. Ernst Reuter und Herbert Wehner, Jakob Kaiser und Ernst Lemmer und Millionen und Abermillionen Deutscher mitihnen haben sich danach gesehnt. Wir sollten uns die Chance nicht verdunkeln oder verderben lassen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, am Schluß zwei persönliche Bemerkungen machen.Es hat mich sehr berührt, daß der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Josef Felder bei dieser Veranstaltung dabei sein konnte. Ich muß auch sagen, daß dieser Mann durch seine Vorträge und Fernsehdiskussionen in den letzten Jahren einen großartigen Beitrag über seine Partei hinaus zur Bewältigung verschiedener Probleme geleistet hat. Trotz des Leids, das er erfahren hat, sieht er optimistisch in die Zukunft. Ich war sehr froh, daß dieser großartige Mann das miterleben konnte.
Lassen Sie mich noch etwas persönlich anmerken. Ich komme aus einem kleinen Dorf im bayerischen Schwaben mit 500/600 Einwohnern. Aus dem gleichen Dorf stammt Dr. Fridolin Rothermel, der 1932/ 33 Reichstagsabgeordneter war und an der letzten freien Sitzung des damaligen Reichstags teilnehmen konnte. Es hat mich sehr berührt, daß ich — aus dem gleichen Dorf — bei der ersten freien Sitzung eines gesamtdeutschen Parlaments dabeisein konnte. Er hat damals wie viele andere seine Ämter verloren, ist verfolgt worden, hat den Krieg mitgemacht, hat im Krieg einen Sohn verloren, und seine Frau starb.1945 haben all die Männer, Felder und andere, nicht resigniert. Sie sind aus Leid und Not zurückgekommen, haben angepackt und die Zukunft geschaffen, auf der wir heute wieder aufbauen können.Wir haben diesen Männern zu danken. Wir haben überhaupt keinen Grund zu resignieren. Wenn die aus der Zeit damals zurückkamen und begannen, unter diesen verheerenden Umständen etwas Neues zu schaffen, dann darf es uns doch keine Probleme bereiten, in dieser glänzenden Situation diese Aufgabe anzupacken.
Ernst Wiechert hat in seiner Abschiedsrede an die Abiturienten 1929 gesagt:Töricht zu sagen, daß ich Euch etwas gegeben habe, aber nicht töricht zu sagen, daß ich Euch etwas genommen habe, versucht habe, Euch etwas zu nehmen, was man in diese dunkle Einsamkeitslandschaft hinaustragen kann: die Angst.Wann war je eine Politik erfolgreicher, als den Menschen einen Teil ihrer Angst zu nehmen, die sie in den letzten Jahren hatten, mitunter haben mußten?Wir sollten uns von den Zeitzeugen der Nachkriegsperiode nicht sagen lassen müssen, die heute 70jährigen hätten mehr Entschlußkraft gehabt als wir.In früheren Zeiten haben die Herrscher die Völker in Kriege getrieben und sie anschließend für die Beseitigung der Folgen dieser Kriege zur Kasse gebeten. Heute haben wir die Chance des friedlichen Wieder-18128 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung, Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990Bundesminister Dr. Waigelaufbaus. Wir haben die Grundlage einer außerordentlich erfolgreichen Wirtschaft im Westen.Wir sind überzeugt: Unser Werk wird gelingen. Aber jeder einzelne Bürger, alle staatlichen Institutionen, die Länder und Gemeinden, die Verbände, die sozialen Sicherungssysteme, die Wirtschaft und die Gewerkschaften müssen ihren Beitrag zu diesem Jahrhundertwerk leisten. Wir Deutschen haben eine große Chance. Wir wollen sie gemeinsam wahrnehmen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen in Deutschland leben wieder in einem geeinten Land. Wie oft haben wir Abgeordneten aus dem Reichstag auf die Mauer geschaut, auf dieses abscheulichste Bauwerk der Welt, den Stacheldraht, den Todesstreifen und die Wachtürme mit den Vopos?
Wer jetzt aus dem Reichstag schaute und sah: Die Mauer ist weg, die Wachtürme sind weg, die Menschen liegen sich in den Armen und gehen zu Hunderttausenden friedlich und fröhlich durch das Brandenburger Tor, der weiß: Diese Tage sind Tage der Freude, der Dankbarkeit und der Hoffnung.
Leider mischen sich in diese Freude über die Einheit bei den Menschen aber auch Sorgen, Ängste und Mißmut. Es wäre falsch, darauf nicht einzugehen.
Ein Grund dafür ist, daß immer mehr Menschen spüren, daß die Bundesregierung die deutsche Einheit und die vielen Feierlichkeiten dazu nutzt, die großen Probleme zu verdrängen, die die Menschen in ihrem täglichen Leben bewegen. Ich spreche von den Millionen Arbeitslosen in Deutschland, und ich spreche von den vielen, die ohne eine menschenwürdige und bezahlbare Wohnung sind.
Herr Waigel, ich halte es ausdrücklich für richtig, der Sowjetunion zu helfen, daß die aus Deutschland abziehenden sowjetischen Soldaten in ihrer Heimat eine Wohnung finden.
Wenn Sie aber, Herr Bundesfinanzminister, innerhalb weniger Stunden Milliarden für den Wohnungsbau in der Sowjetunion lockermachen, ist es dann eigentlich unverschämt, wenn die Menschen Sie auffordern, mehr Finanzmittel als bisher in den sozialen Wohnungsbau der Bundesrepublik hineinzustecken?
Ein weiterer Grund für Sorgen und Mißmut ist, daß der Bundeskanzler die deutsche Einheit von Anfang an mißbraucht hat, um parteipolitische Vorteile zu erlangen.
Erinnern Sie sich: Wir haben Ihnen immer wieder angeboten, die Probleme der deutschen Einheit gemeinsam zu lösen. Statt aber unseren Vorschlag eines Runden Tisches aufzugreifen,
hat der Bundeskanzler diesen Vorschlag mit Häme überschüttet und gesagt, „Runder Tisch" sei das Vokabular kommunistischer Staaten.
Ich bin gespannt, was die Befreiungsbewegungen und die neuen Kollegen aus der DDR zu dieser Qualifizierung sagen. Ich halte die parteipolitische Einseitigkeit, mit der der Bundeskanzler die deutsche Einheit als Privatsache betrachtet hat, für den historischen Fehler dieses Bundeskanzlers.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Gattermann.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, es ist immer etwas mißlich, wenn eine Minute vergangen ist und damit der unmittelbare Zusammenhang zur Frage fehlt. — Die 7,8 Milliarden DM für den Wohnungsbau in der Sowjetunion haben ja eine hochinteressante und der Wirtschaft auf dem Territorium der Ex-DDR förderliche Komponente. Wollen Sie uns wirklich vorschlagen, hier in der Bundesrepublik in Plattenbauweise 60 qm-Schlichtwohnungen zu bauen?
War das die Frage? Gattermann : Ja, das war die Frage.
Ach so, Entschuldigung; ich dachte, Sie wollten das noch begründen. Ich bin völlig platt über die Frage; ich dachte, es käme noch etwas. — Herr Gattermann, ich habe gesagt, ich halte es für richtig, daß wir Gorbatschow unterstützen; denn ohne ihn gäbe es diese tolle Situation nicht.
Aber haben nicht auch die vielen Wohnungsuchenden in der Bundesrepublik Deutschland
ein Recht darauf, daß Sie im sozialen Wohnungsbau endlich mehr tun? Ich habe von Ihnen soeben den Zuruf „Neiddiskussion" gehört. Ich frage: Wieso sind die „neidisch" , die auch in diesem Land ihr Recht ein-
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Frau Matthäus-Maierklagen, endlich billige und bezahlbare Wohnungen zu haben?
Die dramatische Wirtschaftskrise im östlichen Teil unseres Landes ist ganz überwiegend das Ergebnis der 40jährigen Mißwirtschaft der SED und übrigens auch ihrer Blockparteien, der Ost-CDU und OstFDP.
Die Krise war unvermeidbar; aber die Bundesregierung hat sie verschärft und trägt für diesen Teil die Verantwortung.
Die Bundesregierung hat bei der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion schwerwiegende Fehler gemacht und damit das menschliche Leid und übrigens auch die Kosten erhöht. Trotz unserer Mahnungen, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wirtschaftspolitisch zu flankieren, haben Sie monatelang gezögert, nichts getan und damit wertvolle Zeit verloren.
Ich will nur einige Fehler erwähnen. Sie haben durch die Regelungen über das Eigentum an Grund und Boden im ersten Staatsvertrag eine enorme Rechtsunsicherheit erzeugt, und zwar insbesondere bei den Investoren. Vor allem Graf Lambsdorff und die FDP, die das Wort Investitionen immer im Munde führen, haben damit das größte Hindernis für private Investitionen in der DDR geschaffen.
Erst mit dem Einigungsvertrag wurde auf Drängen der SPD dieses Problem angegangen, aber leider Monate zu spät.
Meine Damen und Herren, Sie haben zweitens die Betriebe in der DDR mit ihrer drückenden Schuldenlast von mehr als 100 Milliarden DM alleingelassen,
statt ihnen durch einen Schuldenerlaß, d. h. durch eine Übernahme der Schulden durch den Staat DDR, den Start in die Marktwirtschaft zu erleichtern.
Das gegenwärtige Schuldenmoratorium bedeutet nur einen Aufschub, aber nicht eine Lösung der Probleme.Sie haben drittens das D-Mark-Eröffnungsbilanzgesetz erst drei Monate nach Einführung der D-Mark in Kraft gesetzt. Das war drei Monate zu spät. Nicht zuletzt deshalb kann die Überlebensfähigkeit der Unternehmen immer noch nicht beurteilt werden.Sie haben viertens trotz des Angebots der westdeutschen Wirtschaft das dringend notwendige Qualifizierungsangebot nicht geschaffen, mit dem ermöglicht worden wäre, Arbeitnehmer in der DDR möglichst schnell auf zukunftsorientierte Arbeitsplätze umzuschulen. Wir wollen nicht Kurzarbeit auf Null, sondern wir wollen die Kurzarbeit nutzen, um dabei Qualifizierungen und Umschulungen durchzuführen.
Wir brauchen fünftens öffentliche Investitionen. Sie haben monatelang gezögert. Dabei weiß doch jeder: Verkehrsanbindungen, Energieversorgung und Abwasseranlagen sind für private Investitionen unerläßlich. Noch immer kann nicht gebaut werden, weil nicht rechtzeitig geplant wurde. Das ist Ihr Versäumnis.Sie haben sechstens Städte und Gemeinden in der DDR in ihrer Finanznot allein gelassen. Sie haben es versäumt, den Kommunen die Finanzausstattung zu geben, die sie dringend gebraucht hätten, um damit Aufträge an mittelständische Unternehmen und Handwerker zu vergeben.
Siebtens. Sie haben monatelang gebraucht, bis Sie gemerkt haben, daß die steuerliche Förderung privater Investitionen in der DDR schlechter ist als im Zonenrand und in West-Berlin. Welcher Arbeitgeber und Unternehmer soll denn dann in der DDR investieren? Unsere monatelange Forderung „Stellen Sie Investitionen in der DDR besser als in Berlin und im Zonenrand" haben Sie vernachlässigt. Handeln Sie endlich. Sie haben es bisher nur angekündigt.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann-Mertens zu beantworten?
Ich tue das gerne. Ich weiß aber, daß viele Kollegen weg wollen. Aber wenn Sie einverstanden sind, gerne.
Frau Matthäus-Maier, wenn Sie mit Recht die ungenügende Finanzausstattung der Kommunen und Gemeinden in der ehemaligen DDR beklagen: Hängt das nicht u. a. damit zusammen, daß durch die Regelungen des Einigungsvertrages die Finanzausstattung der Bundesländer schlechter gestellt wird, als ihnen nach der grundgesetzlichen Finanzverfassung zustünde, und
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18130 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Stratmann-Mertensder Kreditfonds Deutsche Einheit, von dem die Kommunen 40 % bekommen, nicht im entferntesten ausreicht, die Schlechterstellung durch die geänderte Finanzverfassung auszugleichen? Meine Frage spitzt sich also darauf zu: Sind nicht mit Ihrer Zustimmung zum Einigungsvertrag Sie selbst für die ungenügende kommunale Finanzausstattung mitverantwortlich?
Herr Stratmann, ich glaube, Sie irren sich. Wenn man einem Vertragswerk zustimmt — wir haben beiden zugestimmt —, stimmt man doch nicht jedem Detail zu. Das, was ich kritisiere, haben wir bei unserer Zustimmung zum Staatsvertrag ausdrücklich erwähnt. Aber in der Politik muß man fast immer abwägen, und man wählt dann den Kompromiß, selbst wenn man nicht hundertprozentig einverstanden ist. Das haben wir damals moniert, das werden wir heute und auch in der Zukunft monieren.
Herr Kollege Faltlhauser möchte eine Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin, wenn Sie die mangelnde Finanzausstattung der Gemeinden in der ehemaligen DDR monieren: Warum nehmen Sie dann erstens nicht zur Kenntnis, daß die in der Anfangsphase bereitgestellten Mittel gar nicht — wir wissen es im Einzelfall nicht — abgerufen werden wollten oder konnten, d. h. daß die Bundesregierung dafür keine Verantwortung trägt?
Zweitens: Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß in dem Nachtragshaushalt, den wir jetzt debattieren, ein ganz wesentliches Programm aufgelegt worden ist, nämlich das Gemeindekreditprogramm mit 10 Milliarden DM, das doch einen erheblichen Anschub bringen wird? Das müßten Sie dann doch auch nennen.
Herr Faltlhauser, das ist sicher ein erster Schritt. Aber daß die Gemeinden in der DDR das bisher nicht abgerufen haben, liegt doch genau an dem, was ich kritisiert habe. Als wir schon im Januar ein großes Infrastrukturprogramm für die DDR gefordert haben, haben Sie gesagt, — —
— Sehen Sie, genau da kommt es wieder.
— Wenn der Kollege mich fragt, dann sollten Sie mich nicht daran hindern, ihm zu antworten. —
Damals haben Sie gesagt, Sie wären dagegen, denn dz sollte dem Kommunisten Modrow Geld gegeben werden.
Jeder wußte: Wenn im Januar angefangen wird, Abwasseranlagen, Kläranlagen und die Energieversorgung zu planen, dann würde dies monatelang dauern, und frühestens die demokratisch gewählteRegierung hätte im März und April darauf zurückgreifen können. Sie haben durch Ihre ideologische Ablehnung dieser Hilfe dafür gesorgt, daß die demokratische Regierung darauf nicht zurückgreifen konnte.
Meine Damen und Herren, Sie haben durch diese Versäumnisse mit die Schuld daran, daß in der DDR zusätzliche vermeidbare Konkurse und vermeidbare Arbeitslosigkeit entstanden ist. Dadurch haben Sie auch Kosten in Milliardenhöhe verursacht, die nicht notwendig gewesen wären.Wir kritisieren nicht, daß die deutsche Einheit Geld kostet.
Dies aufzubringen gehört zur selbstverständlichen Solidarität mit den Menschen, die das Schicksal hatten, nach dem Kriege im kommunistischen SED-Staat zu leben, die trotz persönlicher Leistung die Früchte ihrer Arbeit wegen eines maroden Wirtschaftssystems nicht ernten konnten und die ohne die großzügige Hilfe des Marshallplanes auskommen mußten.
Dieses Geld aufzubringen lohnt sich auch;
denn dies ist meine feste Überzeugung, daß nach diesem tiefen bitteren Tal des Übergangs von einer kommunistischen Plan- und Kommandowirtschaft hin zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft die Menschen in beiden ehemaligen Teilen unseres Landes reicher und nicht ärmer sein werden.
Was wir aber kritisieren, ist, daß erstens die Kosten der deutschen Einheit durch schwerwiegende Fehler der Bundesregierung höher geworden sind als nötig, daß zweitens die Bundesregierung bis heute versucht, die Kosten zu bagatellisieren und zu verschleiern,
und daß sich die Bundesregierung drittens bis heute davor drückt, eine solide uns sozial gerechte Finanzierung vorzulegen.
Bundesbankpräsident Pöhl drückt es im „Handelsblatt" vom 2. Oktober 1990 treffend aus, wenn er schreibt: „Bei der Diskussion über die Kosten der Vereinigung hat von Anfang an politisches Wunschdenken die Wirklichkeit der Fakten überlagert. Ein Land, das so heruntergewirtschaftet wurde wie die DDR, läßt sich nicht mit den Mitteln aus der Portokasse wieder auf die Beine bringen. "
Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben jeweils bis zu dem Tag, an dem Sie eine Zahl nicht länger verheimlichen konnten, ebendiese Zahl dementiert. Als Herr Romberg, der ehemalige Finanzminister der DDR im August einen Nachtragshaushalt in Höhe von
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18131
Frau Matthäus-Maier10 bis 12 Milliarden DM vorhersagte, haben Sie ihm vorgeworfen, er setze Horrorzahlen in die Welt.
Ihr Nachtragshaushalt heute hat einen Umfang von 20 Milliarden DM. Das heißt mit Ihren eigenen Worten: Demnach ist der Horror bei Ihnen mindestens doppelt so groß.
Haben Sie — ich frage Sie ganz persönlich — nicht manchmal in den letzten Wochen den Wunsch verspürt, sich bei Ihrem ehemaligen Kollegen in der DDR zu entschuldigen? Der Anstand würde es gebieten.
Herrn de Maizière, der leider nicht mehr hier ist, frage ich: Wie konnten Sie, Herr de Maizière, es eigentlich mit Ihrer Pflicht, die Interessen der Menschen in der DDR zu wahren, vereinbaren, Herrn Romberg zu entlassen, nur weil er die Wahrheit gesagt hat,
insbesondere wenn man berücksichtigt, daß Sie Herrn Diestel, der monatelang die schützende Hand über die Stasi gehalten hat, nicht entlassen, sondern im Amt behalten haben?
Der Bundespräsident hat vorgestern gesagt: „Sich zu vereinen heißt teilen lernen." Er hat recht. Ich füge hinzu: Unsere Bürger sind zur Solidarität bereit. Aber Solidarität entwickelt sich nicht auf der Grundlage von Unehrlichkeit und Täuschung.
Solidarität wächst nur auf der Grundlage von Offenheit und Ehrlichkeit.
Klarheit und Wahrheit sind wichtige Grundsätze jeder Haushaltspolitik. Herr Bundesfinanzminister, Ihre Finanzpolitik ist nicht an Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit orientiert. Jedermann weiß mittlerweile — Sie sprachen es selber an —, daß Sie einen Großteil der neuen Schulden in allen möglichen Töpfen außerhalb des Bundeshaushalts verstecken: Sonderfonds Deutsche Einheit, Kreditabwicklungsfonds, Ausgleichsfonds, Entschädigungsfonds, staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung, verschiedene Bürgschaftsrahmen.
Noch unter keiner Bundesregierung seit 40 Jahren gab es eine solche Töpfchenwirtschaft wie bei Herrn Finanzminister Waigel.
Wir fordern Sie auf: Lösen Sie endlich die finanzpolitischen Probleme, statt immer neue Sondertöpfe und Verschiebebahnhöfe zu erfinden.
Ihr neuester Trick ist jetzt, daß Sie sogar die Steuerschätzung verschieben wollen, natürlich auf die Zeit nach der Wahl.
Das zeigt, wie unseriös Ihre Finanzpolitik ist. Ich nehme positiv zur Kenntnis, daß wenigstens einige Haushaltspolitiker der Regierungskoalition das auch kritisiert haben.
Meine Damen und Herren, Ihre einzige Finanzierungsquelle für die deutsche Einheit sind bisher Schulden, und zwar Schulden in einer ungeheuren Größenordnung. Mit dem dritten Nachtragshaushalt wird die öffentliche Neuverschuldung in diesem Jahr um weitere 25,8 Milliarden DM auf rund 125 Milliarden DM erhöht. Das sind allein in diesem Jahr 100 Milliarden DM mehr neue Schulden als im vergangenen Jahr. Daß Sie, Herr Waigel, dabei noch immer von einer soliden Finanzierung der deutschen Einheit sprechen, ist nun wirklich eine Zumutung. Wollen Sie denn unsere Bürger für dumm verkaufen? Die Wahrheit ist doch: Sie finanzieren die deutsche Einheit praktisch ausschließlich über Pump. Das ist unsolide und schadet den Menschen in unserem Lande.
Die Bundesregierung versucht, ihre Schuldenpolitik mit dem Hinweis zu bagatellisieren, die Neuverschuldung betrage nur 3,5 % des Bruttosozialproduktes. Ich sage Ihnen, Herr Waigel — da spielen die Töpfchen eine große Rolle, weil Sie die nämlich immer vergessen — : Sie arbeiten mit falschen Zahlen und wissen das auch. „Töpfchen" paßt übrigens nicht, das sind mit 95 Milliarden DM schon dicke Töpfe.
— Pötte, ja, Herr Vogel.
Nimmt man diese Pötte, Töpfchen und Verschiebebahnhöfe dazu, dann liegt die öffentliche Neuverschuldung in diesem Jahr bei fast 5 % des Bruttosozialproduktes. Ich erinnere mich, daß das Zahlen waren, bei denen Sie bei der sozialliberalen Koalition in den 70er und 80er Jahren getobt haben. Ich möchte Sie gerne an Ihre Argumente von damals erinnern.
Sie haben die Schulden des Bundes seit der Wende 1982 verdoppelt, und zwar von rund 300 Milliarden DM auf rund 600 Milliarden DM, und das durch eine Bundesregierung, die angetreten ist, weniger Schulden zu machen. Nein, Herr Waigel, die Wahrheit ist: Sie sind der größte Schuldenmacher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
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18132 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Rauen möchte eine Zwischenfrage stellen. — Herr Rauen, bitte schön.
Frau Matthäus-Maier, ist Ihnen bekannt, daß trotz der Herausforderungen, die die deutsche Einheit mit sich bringt, die Neuverschuldung, gemessen am Bruttosozialprodukt, immer noch geringer ist als im Jahre 1985 und nur unwesentlich über der der Jahre 1980 und 1981 liegt?
Es tut mir furchtbar leid, aber ich glaube, Sie haben gerade ein bißchen auf Ihren Ohren gesessen. Das habe ich gerade beantwortet: Sie ist höher, und das ist nicht in Ordnung. Sie sind angetreten, das anders zu machen. Diese relativen Zahlen sind übrigens ein ganz schlechter Vergleich, obwohl wir auch noch dann gut dastehen. Noch wichtiger als der relative Vergleich ist, daß wir mit dieser massiven Schuldenfinanzierung den teuersten Weg zur deutschen Einheit gehen; denn die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte ist dramatisch.
Jetzt möchte der Herr Abgeordnete Wieczorek Ihnen gern eine Frage stellen.
Bitte.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, würden Sie dem Kollegen, der Sie gerade gefragt hat, — —
Im Dreieck fragen wir nicht. Sie müssen schon direkt fragen.
Ich frage Sie direkt — dann wird es auch einfacher — : Frau Kollegin, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Bundesfinanzminister einen sehr eleganten Trick gewählt hat, um Einnahmen, die eigentlich über Schulden finanziert sind, in den Bundeshaushalt einzustellen? Der Fonds Deutsche Einheit ist schuldenfinanziert, und die Anteile, die an den Bundeshaushalt zurückfließen, hat der Bundesfinanzminister als Einnahmen gebucht.
Ich werde versuchen, es aus dem Kopf zusammenzukriegen. Es sind komplizierte Zahlen, aber er hat ganz recht. Im Nachtragshaushalt steht: Steuereinnahmen 272 Milliarden DM, Nettokreditaufnahme rund 66 Milliarden DM, sonstige Einnahmen 56 Milliarden DM. Dann denkt der normale Leser: Wenn Nettokreditaufnahme und sonstige Einnahmen getrennt sind, dann sind die sonstigen Einnahmen richtige Einnahmen und keine Schulden. Aber in den 56 Milliarden DM sonstiger Einnahmen stecken 20 Milliarden DM Schulden, Fonds Deutsche Einheit. Das meine ich mit Verschleierung und Bagatellisierung.
Schulden kosten Zinsen. Deswegen ist die Schuldenfinanzierung immer der teuerste Weg und schränkt die politische Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte dramatisch ein.
Bundesbankvizepräsident Schlesinger hat gerade gestern eindringlich vor der Einengung des fiskalischen Handlungsspielraums der öffentlichen Hand durch die enormen Zinslasten gewarnt. Ich danke Ihnen, daß Sie nicken, Herr Glos.
— Das ist jetzt nicht mein Thema. — Er hat darauf hingewiesen, daß ihn dieser Aspekt der Verschuldung, die Riesenmilliardenbeträge an Zinslasten für die öffentlichen Haushalte, die bisher in der Diskussion zu kurz gekommen sind, sehr beunruhigt.
Er hat recht. 1981 lagen die Zinszahlungen der öffentlichen Hand — Bund, Länder und Gemeinden — noch bei 36,7 Milliarden DM. Im nächsten Jahr wird der Staat — alle Gebietskörperschaften zusammen und diese Töpfchen oder Pötte — insgesamt rund 100 Milliarden DM nur für Zinsen zahlen müssen. 100 Milliarden DM sind eine fast unvorstellbare Summe. Deswegen lassen Sie mich zur Verdeutlichung folgendes sagen: 100 Milliarden DM Zinsausgaben bedeuten, daß pro Kopf der 78 Millionen Deutschen im Jahr rund 1 270 DM an Zinsen zu zahlen sind.
Für eine vierköpfige Durchschnittsfamilie heißt das, daß auf sie rund 5 000 DM an Zinsausgaben im Jahr entfallen, die sie über Steuergelder aufbringen muß. Das sind 5 000 DM Steuern, die der Staat nicht mehr für sinnvolle Zwecke ausgeben kann. Wir meinen, das sind 5 000 DM zuviel.
100 Milliarden DM Zinsausgaben bedeuten jede Stunde 11,5 Millionen DM Zinszahlungen. Der Tag hat, wie wir wissen, 24 Stunden. Jede Sekunde sind das 3 170 DM für Zinsen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Ja.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, darf ich Sie fragen, wieviel Steuern diese vierköpfige Durchschnittsfamilie nach unserer Steuerreform noch zahlt? Würden Sie dann zugeben, daß das bedeutend weniger Steuern sind als das, was diese Familie nach dem, was Sie vorrechnen, an Zinsen zahlen müßte? Es kann doch nur so sein, daß sie erst wieder mehr Steuern zahlen müssen, wenn Sie, wie Sie es wollen, die Steuern erhöhen.
Aber, Herr Glos, für die Familie ist es doch völlig Wurst, ob Sie vorher die Steuern senken und ihr das Geld dann für die Zinszahlungen wegnehmen. Es wäre doch viel besser, wenn es bei den Steuerzahlungen bleibt und man
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18133
Frau Matthäus-Maierdamit ordentliche Sachen wie Kindergeldanhebung, sozialen Wohnungsbau, Umweltschutz finanziert.
Herr Weng möchte eine Zwischenfrage stellen. — Bitte.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, stimmen Sie mir zu, daß die von Ihnen genannten beklagenswert hohen Verschuldenszahlen, gerade da sie in allen Gebietskörperschaften und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind, von allen politischen Gruppierungen in der Bundesrepublik zu verantworten sind, daß aber die jetzige Sondersituation tatsächlich ein Grund für die überproportionale Ausweitung der Verschuldung ist?
Herr Weng, es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß die sozialliberale Koalition für einen Teil des Schuldenstandes mitverantwortlich ist. Ich habe die Zahlen eben selber genannt.
— Ich bitte um Entschuldigung. Hier geht es um folgende Situation: Nutzen wir gemeinsam die Chance — wir sind in der Opposition, wir können nur fordern; der Bundesfinanzminister ist in der Regierung — , um endlich einzusparen und umzuschichten. Oder wollen Sie wirklich weiter so hemmungslos den Weg in die Staatsschulden gehen?
100 Milliarden DM Zinsen bedeuten die Hälfte des gesamten Lohnsteueraufkommens. 100 Milliarden DM Zinsen bedeuten, daß fast jede sechste Steuermark der Bürger nur für Zinsen verwendet wird.Angesichts der bedrohlich wachsenden Zinslawine muß auch dem letzten klar sein: Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen. Das ist dann die Vertagung des Teilens auf die Zukunft, wie der Bundespräsident das in seiner Rede vorgestern ausgedrückt hat.
Deshalb lautet die Alternative nicht Steuer- oder Schuldenfinanzierung, sondern sie lautet Steuerfinanzierung heute oder eine noch höhere Steuerfinanzierung morgen. Und ich bin sicher, daß Sie daran denken.
Die steigende Staatsverschuldung führt auch zu einem besorgniserregenden Anstieg des Zinsniveaus.
Bereits jetzt liegt das allgemeine Zinsniveau um etwa 2 Prozentpunkte höher als vor einem Jahr. Das hat schwerwiegende Folgen: Die Zinssteigerungen beeinträchtigen die Investitionen in neue Arbeitsplätze. Angesichts des enormen Investitionsbedarfs in denneuen Bundesländern trifft die Schuldenpolitik der Bundesregierung damit vor allem die vielen Menschen in der bisherigen DDR, die beim Umbau der Wirtschaft von Arbeitslosigkeit besonders betroffen werden.Durch die Zinssteigerungen werden auch dringend notwendige Wohnungen nicht gebaut. Die Wohnungsnot verschärft sich.Außerdem wissen die Häuslebauer ein Lied davon zu singen, daß in vielen Fällen bei der Hypothek Zinssteigerungen zwischen 200 und 400 DM im Monat auf sie zugekommen sind. Fragen Sie einmal diese Leute, was sie von Ihrer Schuldenpolitik halten, meine Damen und Herren.
Zinsen sind bei Mietwohnungen Kosten, die auf die Mieter überwälzt werden. Zinserhöhungen führen deshalb zu Mieterhöhungen, und das bei Mieten, die heute schon für viele kaum noch zu bezahlen sind.
Und schließlich: Höhere Zinsen treffen ganz besonders auch den Staat. Bei einem Schuldenstand der öffentlichen Haushalte von über 1 Billion DM müssen bereits jetzt mittelfristig 20 Milliarden DM mehr Zinsen pro Jahr gezahlt werden. Angesichts dieser Zinsabhängigkeit der öffentlichen Haushalte entwickelt sich die Staatsverschuldung selbst immer mehr zu einem eigenen Haushaltsrisiko ersten Ranges. Der Bundesrechnungshof hat vor wenigen Wochen eindringlich darauf hingewiesen.
Das alles zeigt, daß die von der Bundesregierung betriebene Schuldenpolitik zu Lasten der breiten Mehrheit der Bevölkerung geht. Sie trifft die Verbraucher, die Mieter, die Häuslebauer, die Wohnungssuchenden, die Arbeitslosen und alle Steuerzahler, die für die Zinsverpflichtungen des Staates höhere Steuern zahlen müssen.
Zugleich bedeutet diese enorme Staatsverschuldung eine riesige Umverteilung. Von der Schuldenpolitik profitieren nämlich vor allem die Besitzer großer Kapitalvermögen.
Das führt zu der absurden Situation: Erst senkt die Bundesregierung bei ihrer ungerechten Steuerreform Spitzenverdienern und Unternehmen die Steuern auf Pump, dann leiht sie sich von denselben Personen das Geld, das sie ihnen vorab — überflüssigerweise — geschenkt hat, und muß ihnen dafür auch noch höhere Zinsen zahlen, die übrigens — das wissen wir auch — in vielen Fällen nicht einmal besteuert werden. Damit ist diese Schuldenpolitik der Bundesregierung die
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18134 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau Matthäus-Maiergrößte Umverteilungsaktion nach ihrer Steuer- und ihrer Gesundheitsreform.
Nach dem eigenen Eingeständnis des Bundesfinanzministers überschreitet die Neuverschuldung des Bundes sogar ohne die Schulden, die in Nebenhaushalten versteckt worden sind, die Investitionen des Bundes und damit die Kreditgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzes um mehr als 20 Milliarden DM. Wir werden diesen Streit politisch austragen. Wir sind ohnehin der Ansicht, daß zuviel Politisches juristisch in Karlsruhe entschieden wird. Aber ich warne Sie dringend, meine Damen und Herren: Wenn in der Finanzplanung für die nächsten Jahre die Neuverschuldung des Bundes nicht drastisch reduziert und die Schuldenobergrenze des Grundgesetzes nicht eingehalten wird, ist das ein Verstoß gegen das Grundgesetz, der nicht folgenlos hingenommen werden kann.
Schon deshalb kann Ihre Schuldenpolitik, Herr Waigel, nach der Wahl, egal von welchem Finanzminister, nicht fortgesetzt werden.Ihre Pflicht als Bundesfinanzminister angesichts der großen historischen Aufgabe der Einheit, die wir bejahen — deswegen habe ich ausdrücklich gesagt: das Geld wird in die Zukunft gesteckt —, wäre es gewesen, zu sparen, Herr Waigel, Umschichtungen, Konzeptionen für den Abbau von Subventionen zu machen.Auch der dritte Nachtragshaushalt läßt erneut einen Willen zum Sparen nicht erkennen.
Es ist geradezu ein Hohn, wenn Sie, Herr Waigel, auf dem CDU-Parteitag Mut zu Einsparungen und Umschichtungen fordern. Ja, an wen richten Sie denn Ihre Aufforderung? Sie sind doch Bundesfinanzminister und hätten seit Monaten unsere Vorschläge aufnehmen können.
Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, an irgendeiner Stelle Ihr Amt wirklich nicht wahrgenommen und versagt haben, dann ist es beim notwendigen Sparen. Sagen Sie jetzt nicht, das Jahr sei schon so weit fortgeschritten und Sie könnten nicht mehr sparen. Über Monate haben wir hier die Anträge gestellt. Alle Kommentatoren fragen sich: Wo ist denn ihre Haushaltssperre, mit der Sie vor Monaten noch eine Menge Geld hätten sparen können? Nein, wenn diese Milliarden jetzt ausgegeben sind, dann haben ganz alleine Sie das zu verantworten.Unsere Vorschläge für Einsparungen und Umschichtungen liegen auf dem Tisch. Beim Verteidigungshaushalt muß kräftig gekürzt werden. Sie kennen unsere Vorschläge zum Stopp des Jägers 90, zur Reduzierung der Ausgaben für Munition. Wer kann eigentlich verstehen, daß wir in diesem Jahr 2,5 Milliarden DM für Munition ausgeben? Wir wollen im nächsten Jahr, d. h. im ersten gesamtdeutschen Haushalt, 9 Milliarden DM einsparen.Meine Damen und Herren, was mich auch persönlich besonders betroffen und traurig macht, ist: Jetzt haben wir einen Verteidigungsminister, der selber einmal Finanzminister war. Da könnte man doch meinen, daß der nun endlich spart. Aber das Gegenteil ist der Fall. Statt abzurüsten und zu sparen will der immer noch mehr Geld. Das ist wirklich ein Trauerspiel.
Herr Waigel, Sie haben die Kosten der Teilung, die man einsparen könnte, mit 40 Milliarden DM angegeben. Sie haben gesagt, daß diese Ausgaben für die Finanzierung der Einheit verwendet werden sollen. Wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu und haben Ihnen sogar angeboten, darüber gemeinsam zu sprechen. Aber es verträgt sich dann nicht damit, daß Sie wegen des Wahlkampfes in Bayern aus wahltaktischen Gründen verschweigen, was mit der Zonenrand- und der Berlin-Förderung geschehen soll. Entweder haben Sie das Geld durch Einsparungen oder Sie haben es nicht. Stellen Sie sich hierhin und sagen uns endlich die Wahrheit.Wer jetzt nicht die Kraft hat, Subventionen abzubauen, der schafft es nie. Wollen Sie denn endlos weiter für die Subventionierung der Kernenergie, des Schnellen Brüters und des Flugbenzins neue Schulden zu Lasten der Kinder und Enkel machen?
Oder streichen Sie endlich die Ausgaben für Regierungspropaganda und Öffentlichkeitsarbeit. 500 Millionen DM ist Ihr Posten für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung.
— 1/2 Milliarde DM für den Aufbau der neuen Bundesländer sind sicher sinnvoller eingesetzt als z. B. für Schallplatten mit Reden des Herrn Kanzlers.
Daß aus den Reihen der neu hinzugekommenen Kolleginnen und Kollegen auch neue Minister kommen, halte ich persönlich für in Ordnung.
Aber muß man denn gleich neue Ministerstellen schaffen, wie das die Regierung getan hat? Sitzen denn nicht auf dieser Regierungsbank genug Minister, die den Nachweis ihrer Entbehrlichkeit längst erbracht haben?
Da sitzen doch mindestens fünf Leute. Ich kann auch unhöflich sein und sie alle nennen: der Justizminister, der Verkehrsminister, der Wirtschaftsminister.
— Hören Sie sich einmal an, wie Sie über Ihren Wirtschaftsminister reden. — Diese Leute würde keinervermissen, wenn sie ersetzt würden. Nein, meine Da-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18135
Frau Matthäus-Maiermen und Herren, neue Minister kann diese Bundesregierung gebrauchen, aber nicht zusätzliche.
Da könnte eingespart werden.Ich muß zugeben, ich persönlich finde es schon ein bißchen befremdlich, daß, wenn ich richtig gucke, kein einziger von den neuen Ministern anwesend ist. Es gibt ja Fachleute, die sagen, die seien nur Minister geworden, um Wahlkampf zu machen.
Aber so böse bin ich ja gar nicht. Jedenfalls finde ich, wenn man schon Minister ist, kann man auch hier sein.
Meine Damen und Herren, warum haben Sie das innerdeutsche Ministerium noch nicht aufgelöst? Wir haben seit vorgestern die deutsche Einheit, aber immer noch ein innerdeutsches Ministerium. Da könnte auch gespart werden. Ich kann doch nicht immer über Bürokratie in der alten DDR klagen und hier selber neue Bürokratien aufbauen!
Warum widmen Sie die Ausgaben nicht endlich um? In Ihrem Bundesverkehrswegeplan gibt es viele Großvorhaben, die Naturschutzgebiete zerstören und die die Menschen nicht wollen. In meinem Wahlkreis ist so etwas.
Streichen Sie doch endlich diese Vorhaben, und stekken Sie das Geld in die Verkehrsinfrastruktur der fünf neuen Länder!
— Auch dort selbstverständlich nicht durch Naturschutzgebiete. Gerade die Bahn in der alten DDR kann eine Menge Gelder für Infrastrukturmaßnahmen gebrauchen.
Verzichten Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, vor allem endgültig und unmißverständlich auf ihre geplante Steuersenkung für Spitzenverdiener und Unternehmen in der Größenordnung von 25 Milliarden DM.
Angesichts der finanziellen Probleme, vor denen die öffentlichen Haushalte stehen, sind Steuersenkungen für Personen mit — man höre und staune; das ist nämlich Ihre Zielsetzung — einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 240 000 DM und mehr geradezu absurd.Ich sage auch der deutschen Wirtschaft, die nach wie vor auf diesen Steuersenkungen beharrt: Sie haben immer wieder die Verschuldung des Staates — sogar für Investitionen — kritisiert. Ich finde es nicht in Ordnung, daß dann eine Verschuldung für Steuersenkungen zugunsten der Wirtschaft richtig sein soll. Meine Herren — da gibt es fast nur Herren —, seien Sie da bitte konsequent.Eine weitere Finanzierungsquelle ist das milliardenschwere Unrechtsvermögen von SED/PDS, OstCDU, Ost-FDP und den übrigen früheren Blockparteien.
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Einziehung dieses Vermögens gefordert. Warum eigentlich so kompliziert? Es geht doch viel einfacher. Seit drei Tagen ist der Parteivorsitzende Helmut Kohl der Eigentümer dieses Unrechtsvermögens der OstCDU, und Graf Lambsdorff ist schon einige Wochen lang Eigentümer des Unrechtsvermögens der OstFDP.Ich fordere die Herren Gysi, Helmut Kohl und Graf Lambsdorff auf, endlich freiwillig auf dieses Unrechtsvermögen zu verzichten.
Dieses Geld, das sich Ihre Parteien in den 40 Jahren treuer Dienste für Ulbricht und Honecker angeeignet haben, ist Diebesgut. Es gehört nicht den Dieben, sondern den Bestohlenen, und das sind die Menschen in der ehemaligen DDR. Deswegen brauchen wir dieses Geld für den Aufbau in der früheren DDR.
Allergrößte Sparanstrengungen sind notwendig, und sie müssen gelingen. Um die Staatsverschuldung nicht weiter ausufern zu lassen, werden trotzdem zusätzliche Einnahmeverbesserungen unvermeidlich sein.
Meine Damen und Herren, Sie haben immer wieder dazwischengerufen, an meiner Kritik an Ihrer Schuldenpolitik zeige sich, daß wir die deutsche Einheit nicht finanzieren wollten. Sehen Sie nicht, daß unsere vielen Sparvorschläge, unsere Aufforderung, auf das Unrechtsvermögen zu verzichten, und unsere Aufforderung, bei der Steuerpolitik endlich ehrlich zu sein, aus dem ehrlichen Wunsch erwachsen, die deutsche Einheit nicht nur gut und gemeinsam strukturpolitisch hinzubekommen, sondern auch das notwendige Geld dafür zur Verfügung zu stellen? Nur: Ihre Schuldenpolitik ist verkehrt.Meine Damen und Herren, auch Herr Biedenkopf, Herr Rommel, Herr Späth von der CDU sagen ganz offen, daß Steuererhöhungen notwendig sind.Herr Bundesfinanzminister Waigel, Sie haben die Worte des Bundespräsidenten in Ihrer Rede heute zitiert und dann den Kollegen Stratmann kritisiert, als er darauf Bezug genommen hat.
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18136 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau Matthäus-MaierIch muß Ihnen sagen: Das ist nicht der feine Stil. Ich werde einfach die Worte des Bundespräsidenten kommentarlos verlesen. Sie sind klar, und jeder weiß, was er meint. Der Bundespräsident hat vorgestern beim Staatsakt gesagt:Aber kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei: Sich zu vereinen heißt teilen lernen. Mit hochrentierlichen Anleihen allein wird sich die deutsche Einheit nicht finanzieren lassen.
Wer angesichts der besorgniserregenden Lage der Staatsfinanzen immer noch sagt, es werde keine Steuererhöhungen geben, wer sogar noch den Unternehmen und Spitzenverdienern Steuersenkungen verspricht, der begeht wissentlich eine Steuerlüge. Herr Waigel, wenn Ihnen dieses Wort nicht gefällt, kann man es auch durch „Steuerschwindel" ersetzen. Es bleibt aber das gleiche: daß Sie es machen werden wie der amerikanische Präsident Bush. Er hat vor der Wahl vor zwei Jahren versprochen, er werde die Steuern nicht erhöhen. Dann hat er die Wahl gewonnen, und jetzt erhöht er die Steuern in Amerika um 134 Milliarden Dollar; das sind über 200 Milliarden DM.Nun hören wir schon die neuesten Ausweichmanöver: Vielleicht könnte für den Golfkrieg möglicherweise ... Meine Damen und Herren, wenn Sie für 3 oder 4 Milliarden DM Kosten für den Golfkrieg Steuererhöhungen brauchen
und für 100 Milliarden DM Kosten der Einheit keine Steuererhöhungen brauchen, wenn Ihnen dieser Ausweg lieb ist, dann bleiben Sie bei diesem Ausweg, aber werden Sie endlich ehrlich!
Ich greife das gern auf, Herr Glos: Es ist kein Krieg,
und ich hoffe sehr,
daß es uns gelingt, dieses Problem politisch zu lösen. Die Kosten bleiben aber trotzdem, und wir unterstützen das ja gemeinsam.Wir Sozialdemokraten stellen uns den finanzpolitischen Notwendigkeiten, und wir werden dafür sorgen, daß dabei die soziale Gerechtigkeit beachtet wird. Wir haben deshalb als zeitlich befristeten Solidarbeitrag eine Ergänzungsabgabe für Höherverdienende vorgeschlagen, wie sie bereits einmal Ende der 60er Jahre — Herr Waigel, das wird Sie interessieren — von dem damaligen Finanzminister Strauß unter weniger dramatischen Umständen als heute eingeführt wurde. Die endgültige Entscheidung über Fristen, Höhe und Einkommensgrenzen ist erst möglich, wenn die Bundesregierung den dringend notwendigen Kassensturz vorgenommen hat.
Nur ein Rechenbeispiel — keine Festlegung, ein reines Rechenbeispiel — : Setzt man die Ergänzungsabgabe ab einem Bruttoeinkommen von 70 000 DM bei Ledigen bzw. 140 000 DM bei Verheirateten an, dann würde ein solcher Zuschlag zur Einkommensteuer pro Prozentpunkt über eine Milliarde D-Mark erbringen, also bei 5 Prozentpunkten gut 5 Milliarden DM, bei acht Prozentpunkten mehr als 8 Milliarden DM. Wir meinen, wenn Bürger mit solchen Einkommen — über 70 000 bzw. 140 000 DM im Jahr — einen Teil der vielen tausend D-Mark Steuersenkung, die sie bei der ungerechten Steuerrefom der Bundesregierung erhalten haben, als Solidarbeitrag zur Finanzierung der deutschen Einheit zurückgeben, ist das bei Gott keine Zumutung.
Das unterscheidet uns von Ihnen, meine Damen und Herren. Daß Sie längst die Erhöhung der Verbrauchsteuern, insbesondere der Mehrwertsteuer ins Auge gefaßt haben, ist sonnenklar.
Graf Lambsdorff hat sich gestern in der Debatte — wahrscheinlich unbeabsichtigt — der Wahrheit gestellt, als er nämlich Oskar Lafontaine entgegengehalten hat, die Ergänzungsabgabe reiche hinten und vorne nicht. Was heißt das? Das heißt doch im Klartext: Erstens. Es gibt ein Finanzierungsloch. Zweitens. Das Finanzierungsloch ist größer, als Sie zugegeben haben. Drittens. Sie haben die Absicht, Steuererhöhungen zu beschließen. Sonst wäre ja diese Aussage unsinnig. An welche Steuer Sie dabei denken, hat Bundeswirtschaftsminister Haussmann vor einem Jahr sehr deutlich gesagt. Er sagte, er wolle eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 2 % . Dies lehnen wir Sozialdemokraten entschieden ab. Daß wiederum die kleinen Leute, die Arbeitnehner, die Rentner, die Arbeitslosen,
einseitig die Lasten tragen sollen, paßt zwar zur Politik dieser Bundesregierung; für uns Sozialdemokraten gilt aber das Wort von Willy Brandt: Wir Sozialdemokraten werden dafür sorgen, daß bei der deutschen Einheit die soziale Gerechtigkeit nicht unter die Räder kommt.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng? — Bitte schön.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben eben gesagt, die Sozialdemokraten lehnten eine Mehrwertsteuererhöhung ab. Geben Sie mir zu, daß in dem enormen Wust der Forderungen nach Erhöhungen von Steuern und Gebühren
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18137
Dr. Weng
und nach der Erhebung von Sonderabgaben auch die Forderung nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zumindest durch einen führenden Sozialdemokraten, nämlich den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, dabei ist, so daß Ihre Äußerung „die Sozialdemokraten" die Wahrheit nur streift?
Herr Weng, genauso wie Vertreter der CDU und der FDP haben auch einige Sozialdemokraten diese Forderung erhoben.
Das konnte man ja nachlesen.
— Wenn er auch beim Sitzen hören kann, ist es nicht so schlimm.
Aber, Herr Weng, wir haben nach eingehender Debatte auf unserem Bundesparteitag entschieden: Wir wollen eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe für Höherverdienende. Ich habe die Zahlen genannt. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer, von der wir annehmen, daß Sie sie machen werden, lehnen wir als sozial ungerecht ab.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Der dritte Nachtragshaushalt zeigt erneut: Die Finanzpolitik der Bundesregierung im Zusammenhang mit der deutschen Einheit ist unehrlich und unsolide. Herr Bundesfinanzminister, es ist unverantwortlich, daß Sie den Menschen über die Kosten und ihre Finanzierung nicht die Wahrheit sagen. Es ist unverantwortlich, daß Sie ungehemmt Staatsschulden machen und unsere Kinder und Enkel mit riesigen Zinszahlungen belasten.
Es ist unverantwortlich, daß Sie sich bis heute nicht dazu bequemen, im Haushalt einzusparen und umzuschichten. Es ist unverantwortlich, daß Sie die großangelegte Steuerlüge der Bundesregierung und ihrer Koalitionsfraktionen bis heute nicht verhindern. Eine solche Finanzpolitik und einen solchen Finanzminister kann sich dieses Land nicht mehr leisten.
Wir meinen, die deutsche Einheit braucht jetzt ein solides Fundament. Investoren, Verbraucher, Kapitalmärkte, Unternehmer und Arbeitnehmer, Länder, Städte und Gemeinden brauchen Klarheit und Sicherheit. Dafür brauchen wir einen Neuanfang für eine seriöse und solide Finanzpolitik. Alle Deutschen ha= ben darauf einen Anspruch.
Ich danke Ihnen.
Herr Weng, Sie haben das Recht, Zwischenrufe zu machen. Aber Sie haben auch das Recht, so höflich zu sein, dann, wenn Sie einer Dame eine Frage gestellt haben, während der Antwort am Mikrophon stehenzubleiben. Ich hoffe, das war nur eine Vergeßlichkeit.
Herr Präsident, vielleicht erlauben Sie mir diesen Hinweis: Da Frau Matthäus-Maier üblicherweise gestellte Fragen nicht ordnungsgemäß beantwortet, sondern an der Frage vorbeiredet, muß es mir überlassen bleiben,
an welcher Stelle ich die Frage als beantwortet ansehe. Ich habe mich hingesetzt, nachdem Frau Matthäus-Maier auf meine Frage geantwortet hatte. Daß sie weitere Ausführungen in meine Richtung gemacht hat, ist ihre Sache.
Herr Kollege Weng, ich sehe, daß Sie nicht begriffen haben, weswegen ich Sie gebeten habe. Die Frage, wann eine Antwort zu Ende ist, muß wohl oder übel ich entscheiden. Ich muß nämlich auch die Uhr bedienen. Das war vorhin noch lange nicht soweit.
Insofern meine ich, Sie sollten beim nächstenmal ein bißchen freundlicher sein.
Nun hat der Abgeordnete Borchert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute von der Bundesregierung eingebrachte Nachtragshaushalt ist der erste Haushalt für das vereinte Deutschland und dient vor allem dem Wiederaufbau der neuen Bundesländer. Von rund 20 Milliarden DM sind 17,7 Milliarden DM für Maßnahmen in den neuen Bundesländern vorgesehen.Wir sind auf diese Aufgabe gut vorbereitet, weil uns erstens die konsequente Haushalts- und Finanzpolitik der Koalitionsfraktionen seit 1982 heute, am Beginn der Einheit, optimale gesamtwirtschaftliche Daten beschert. Die Wirtschaft wächst. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand seit Kriegsende erreicht. Die Arbeitslosenzahlen sinken weiter, wie dies gerade die Meldungen dieser Woche zeigen. Die Preise sind stabil.Zweitens. Das wirtschaftliche Wachstum erleichtert es, die wirtschaftlichen Folgen der Teilung Deutschlands zu überwinden. Wir müssen aber schnell marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen auch in den neuen Ländern schaffen, damit der wirtschaftliche Motor ohne Stockungen weiterläuft und damit er in der früheren DDR anläuft,Drittens. Je dynamischer der Prozeß des Zusammenwachsens vonstatten geht, desto geringer sind die Belastungen der öffentlichen Haushalte. Staatliche Reglementierungen blockieren diesen Prozeß; die
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Borchertschnelle Durchsetzung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen fördert diesen Prozeß.Viertens. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Investitionen in die deutsche Einheit durch wirtschaftliches Wachstum, durch sparsame Haushaltsführung und eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme finanzieren. Steuererhöhungen zur Finanzierung der Kosten des Wiederaufbaus der neuen Bundesländer stehen für die CDU/CSU-Fraktion nicht zur Debatte.
Die Fraktion hat dies eindeutig abgelehnt.
Dies sollte vielleicht gelegentlich auch die Frau Kollegin Matthäus-Maier zur Kenntnis nehmen.
Ich finde es schon erstaunlich, wie die Kollegin Frau Matthäus-Maier auf den revolutionären Prozeß der Wiedervereinigung Deutschlands mit den bürokratischen Kriterien bisheriger Politik reagiert.
In dieser Phase an den Fonds Deutsche Einheit und andere Maßnahmen die Kriterien anzulegen, nach denen Sie in den 70er Jahren Politik gemacht haben, geht, glaube ich, an den Erfordernissen dieses Prozesses vorbei. Sie haben hier viele Gefahren an die Wand gemalt. Aber ich finde, die Alternativen, die Sie eingebracht haben und mit denen ich mich gleich noch auseinandersetzen werde, waren nicht überzeugend.
Im Gegensatz zur SPD setzt die CDU/CSU-Fraktion auf die systemimmanenten Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft. Das hat sie in der Vergangenheit getan; das wird sie in der Zukunft beim Aufbau der neuen Bundesländer tun. Wirtschaftliches Wachstum bei stabilen Preisen bringt zusätzliche Arbeitsplätze, schafft mehr Einkommen und steigende Steuereinnahmen. Das Wachstum in einer Sozialen Marktwirtschaft ist und bleibt die wichtigste Finanzierungsquelle. Der Wachstumsmotor in einer Sozialen Marktwirtschaft sind und bleiben die privaten Investitionen. Es ist deswegen unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen so zu schaffen, daß private Investitionen rentabel sind und daß private Investitionen angeregt werden.Die Ausdehnung des Staatsanteils durch Steuererhöhungen entmutigt Investoren, verhindert Investitionen und gefährdet damit das wirtschaftliche Wachstum.
Mit Ihrer Politik der Steuererhöhungen wird die Einheit nicht finanziert; vielmehr werden die notwendigen privaten Investitionen in der früheren DDR verhindert.
Ich wiederhole, daß die CDU/CSU dabei bleibt: Angemessenes wirtschaftliches Wachstum ist die solideste Finanzierungsquelle öffentlicher Ausgaben. Wirtschaftliches Wachstum läßt die Steuerquellen stärker sprudeln.Um die Größenordnung klar zu machen: Bezogen auf die Bundesrepublik bedeutet ein Prozent mehr Wachstum rund 6 Milliarden DM mehr an Steuern. Alle Forschungsinstitute, die OECD und die EG veranschlagen die Wachstumsimpulse für 1991 aufgrund der Vereinigung Deutschlands auf ein bis zwei Prozent. Damit sind Steuermehreinnahmen von 6 bis 12 Milliarden DM realistische Annahmen.Daß wirtschaftliches Wachstum mehr Steuern bringt, zeigen auch die letzten Jahre. Von 1983 bis heute ist das reale Bruttosozialprodukt um insgesamt 25 % gestiegen. Die Steuereinnahmen sind von 1983 bis heute um 160 Milliarden DM gestiegen, und dies, obwohl wir in der Steuerreform die Steuern gewaltig gesenkt haben. Das jährliche Entlastungsvolumen beträgt 50 Milliarden DM.Wir haben heute die niedrigste Steuerquote seit den 60er Jahren.
Bundeskanzler Helmut Kohl sagte in seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983:Wir wollen kein konjunkturelles Strohfeuer entzünden, sondern eine dauerhafte Belebung unserer Wirtschaft erreichen. Unsere Wirtschaftspolitik muß und wird berechenbar sein. Wir werden die Investitionskraft stärken und den notwendigen Strukturwandel erleichtern . . .Dies haben wir heute geschafft.
Mit der Vereinigung Deutschlands stehen wir vor einer neuen Herausforderung. Aber auch dies ist kein Argument dafür, die in den letzten Jahren erfolgreiche Haushalts- und Finanzierungspolitik zu ändern. Mit etwas mehr als 25 Milliarden DM lag im Jahre 1989 die Nettokreditaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden um rund 45 Milliarden DM unter dem Höchststand von 1982. Ohne die Altlasten, die SPD-Schulden, und ohne die Ausgaben zur Finanzierung der Einheit Deutschlands — die wir gerne leisten — hätten wir 1990 und 1991 einen ausgeglichenen Haushalt und könnten Schulden tilgen.Welche Politik setzt die SPD dagegen? Ihnen fällt nichts anderes ein als eine Neuauflage Ihrer erfolglosen Rezepte aus den 70er Jahren:
mehr Staatsausgaben und höhere Steuern nach dem Motto „Die CDU hat den Staatshaushalt saniert; jetzt kann die SPD die Belastbarkeit der Wirtschaft erneut überprüfen" .
Sie sprechen von einer Ergänzungsabgabe der Besserverdienenden. Sie wissen, daß dies zur Finanzierung der deutschen Einheit nicht reicht, das dies keine Alternative ist. Sie wissen dies, wollen aber vor der Wahl nicht sagen, daß es Ihr Ziel ist, meine Damen und Herren von der SPD, den Facharbeitern und den Handwerksmeistern die Entlastung durch die Steuerreform wieder zu nehmen,
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Borchertund verbrämen dies heute mit der Notwendigkeit, damit die deutsche Einheit zu finanzieren.Ich stimme dem Obmann der SPD im Haushaltsausschuß, dem Kollegen Helmut Wieczorek — den ich im Augenblick nicht sehe —, gerne zu. Er stellte zu den Steuererhöhungen fest: Wer das Pferd dagegen von hinten aufzäumen will — er meint die Steuererhöhungen —, muß damit rechnen, daß er am 2. Dezember getreten wird. Ich verspreche Ihnen, wir werden mit dazu beitragen, daß dieser Tritt möglichst kräftig ausfällt.
Ich bin darüber hinaus gespannt, ob in die heutige Debatte der Sachverstand der SPD-Haushälter eingebracht wird oder ob er bei Ihnen zurücktreten muß, seitdem Lafontaine Kanzlerkandidat ist, so daß die sachverständigen Haushälter hier gar nicht zu Wort kommen.
Ich sage sehr deutlich: Wer sich für die SPD entscheidet, wählt Steuererhöhungen, wählt Einkommenssenkungen, wählt Arbeitslosigkeit und wählt erneut Sozialismus.
Steuererhöhungen wirken kontraproduktiv und werden das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten sowohl im wirtschaftlichen wie im gesellschaftlichen Rahmen erschweren.Meine Damen und Herren von der SPD, der frühere SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller wußte dies. Deswegen sieht das von ihm maßgeblich mitgestaltete Stabilitätsgesetz die Ergänzungsabgabe ausdrücklich als Instrument der Konjunkturdämpfung vor. Wir wollen doch aber in dieser Phase nicht die Konjunktur dämpfen, sondern im Gegenteil das Wachstum fördern. Sie sollten Karl Schiller noch einmal zu einem privaten Kolloquium in Ihre Fraktion einladen.
40 Jahre Sozialismus haben zu unvorstellbaren ökonomischen und ökologischen Schäden in den neuen Bundesländern geführt. Ihre Beseitigung kostet Geld. Die Anschubfinanzierung der Sozialversicherung,
die außenpolitische Zustimmung, das gemeinsam erarbeitete Wirtschaftsprogramm, dies alles wird den Bundeshaushalt Geld kosten.Der Bund übernimmt einen Teil der Schulden, die das kommunistische System hinterlassen hat. Der Fonds Deutsche Einheit wird den Bund natürlich mit Zins- und Tilgungsraten belasten. Wir verstecken diesen Fonds nicht. Aber in dieser Situation ist es unumgänglich, konsequent zu sparen. Da lassen wir es gern auf einen Wettstreit mit der Opposition ankommen.Es konnte nicht ausbleiben, daß Sie heute erneut den Jäger 90 anführen, den Sie in den letzten Monaten mindestens fünfmal für andere Ausgaben verplant haben.
Nur, Sie wissen natürlich genau, daß der Beschluß, die Entwicklung des Jägers 90 abzubrechen, für die Haushalte 1990 und 1991 keinen Pfennig an Ersparnis zur Folge hätte. Sie wissen auch, daß das von Ihnen angeführte Entlastungsvolumen sowohl die Beschaffung als auch die Unterhaltung bis weit in das nächste Jahrtausend umfaßt. Wer sagt, er wolle diese Milliarden einsparen, Frau Kollegin, der muß auch sagen, was er in Zukunft mit der Luftwaffe machen will.
Wollen Sie die Luftwaffe mit Papierflugzeugen ausrüsten, oder womit soll die Luftwaffe fliegen? Der Verzicht auf den Jäger 90 und das Einsparen von 100 Milliarden DM bedeuten gleichzeitig — dies müssen Sie dann sagen —, daß Sie ab heute auf die Luftwaffe völlig verzichten wollen, denn sonst können diese Milliarden nicht eingespart werden.
— Natürlich habe ich schon etwas von Abrüstung gehört; nur, Sie müssen sagen, daß Sie die Luftwaffe dann völlig abschaffen wollen. Dies sind unseriöse Vorschläge, aber das sind wir von Ihnen gewohnt.Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Unrechtsvermögen der Blockparteien machen. Sie haben hier wider besseres Wissen behauptet, wir wollten dieses Geld haben. Sie wissen, daß das Vermögen der Treuhand unterstellt ist, und Sie wissen auch, daß die CDU auf dieses unrechtmäßig erworbene Vermögen verzichtet hat
und daß über dieses Vermögen nur verfügt werden kann, wenn die Rechtmäßigkeit eindeutig nachgewiesen ist. Bundeskanzler Helmut Kohl hat dies als Parteivorsitzender in aller Öffentlichkeit sehr deutlich gemacht.
Herr Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gern.
Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Herr Borchert, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Verfügungsgewalt über dieses Vermögen zwar auf die Treuhand übergegangen ist, daß Sie aber keinesfalls auf dieses Eigentum verzichtet haben? Das ist ja gerade das, was uns so mißtrauisch macht.
Jeden Tag reden Sie davon, das Vermögen einzuziehen, aber Sie hätten längst darauf verzichten können, tun es jedoch nicht.
Verehrte Frau Kollegin, wir, die CDU, haben eindeutig erklärt, daß wir auf unrechtmäßig erworbenes Vermögen verzichten.
Das Vermögen ist der Treuhand unterstellt. Die Treuhand wird im Einzelfall prüfen.
— Meinen Sie damit Ihren Parteifreund Rohwedder, oder wer soll in der Treuhand sitzen?
— Wir wollen von unrechtmäßig erworbenem Vermögen keinen Pfennig haben, Herr Kollege Vogel. Dies wird in der Treuhand — da habe ich großes Vertrauen zu Herrn Rohwedder — sehr sorgfältig überprüft.
Damit ist, glaube ich, auch dieser Punkt eindeutig geklärt.
Meine Damen und Herren, der Kanzlerkandidat der SPD hat sich als Ministerpräsident des Saarlandes vom eigenen Rechnungshof das Testat eines verfassungswidrigen Haushalts eingehandelt. Sparsamkeit war bisher nicht die Leitlinie seiner Politik. Ich meine, als Sparkommissar ist ungeeignet, wer sich die höchsten Schulden und gleichzeitig den teuersten Koch leistet.
Wir brauchen Standfestigkeit bei der Haushaltsund Finanzpolitik. Besitzstände, die im geteilten Deutschland politisch vernünftig waren, haben im vereinten Deutschland ihre Begründung verloren. Ausgaben müssen umgeschichtet werden, Prioritäten müssen neu überdacht werden. Eine sparsame Ausgabenpolitik bleibt notwendig, um die Kosten in den neuen Bundesländern solide zu finanzieren.
Selbstverständlich werden wir nicht ohne eine vorübergehende Zunahme der Nettokreditaufnahme auskommen. Auch hier gilt: Die Höhe der Nettokreditaufnahme wird um so geringer ausfallen, je schneller es gelingt, die Wirtschaft in der alten DDR in das marktwirtschaftliche System zu integrieren. Einen Teil der Kosten der Einheit über Kredite zu finanzieren ist auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll. Diese zusätzlichen Ausgaben stehen im wesentlichen in unmittelbarem Zusammenhang mit investiven Ausgaben.
Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben in den siebziger Jahren. Damals, meine Damen und Herren von der SPD, lag die Ursache der überproportionalen Zuwächse im Bereich der Konsumausgaben. Lassen Sie es mich kurz und knapp sagen: Sie haben in den siebziger Jahren die Gehälter auf Pump gezahlt.
Die Konsequenzen kennen wir alle. Heute wollen wir für einen überschaubaren Zeitraum mehr Kredite aufnehmen, um Straßen zu bauen, um Umweltschäden zu beseitigen, um die Energieversorgung zu sichern und um Investitionen zu fördern. Der Prozeß der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft seit 1982 hat auch hier die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier? — Bitte schön.
Herr Kollege, nachdem Sie eine solche scharfe Kritik an der Haushaltspolitik in den siebziger Jahren hier vorgetragen haben: Möchten Sie uns, dem Haus, bitte bestätigen, daß Ihre Verfassungsklage gegen unseren Bundeshaushalt 1981 von Ihrer Seite verloren wurde, daß uns das Verfassungsgericht ausdrücklich die Verfassungsgemäßheit unserer Haushalte bestätigt hat?
Dies ändert doch nichts an meiner Aussage, daß der Schuldenzuwachs in den siebziger Jahren auf konsumtive Ausgaben zurückging und nicht der Finanzierung von Investitionen diente.
Art. 115 des Grundgesetzes begrenzt doch nur, daß die Schuldenaufnahme nicht höher sein darf als die investiven Ausgaben.
— Nein, Frau Kollegin. Aber dies sagt doch nichts darüber aus, wofür diese Mittel ausgegeben worden sind.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Zinsen sagen. Es ist schon rührend, wie besorgt die SPD ist. In den siebziger Jahren explodierten die Zinsen. Es explodierten die Baupreise. Die Anlage in Finanztiteln brachte höhere Profite als die Anlage in Sachtiteln. Ich meine, auch in dieser Frage ist die SPD ein schlechter Anwalt. Da setzt sich der Angeklagte doch selbst auf die Bank des Staatsanwalts.Seit dem Angebot der Bundesregierung zur Währungsunion mit der DDR haben sich die deutschen Kapitalmarktzinsen im wesentlichen innerhalb einer Spanne von 8,5 bis 9 % bewegt.
Erst seit dem Ausbrechen der Irak-Krise sind die Zinsen über die 9-%-Grenze gestiegen. 1989, als wir eine öffentliche Kreditaufnahme hatten, die mit etwa 25 Milliarden DM einen Tiefststand erreichte, stiegen die Zinsen von 6,5 auf über 7,5 %. Dies ist sicher nicht eine Folge der extrem niedrigen Kreditaufnahme. Das
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Borchertheißt, mit dieser Kreditaufnahme kann der Zinsanstieg nicht begründet werden. Er hat außenwirtschaftliche Ursachen. Er hatte in diesem Frühjahr vielleicht die Ursache, daß die SPD immer von der Notwendigkeit gesprochen hat, Herrn Modrow 15 Milliarden DM für ein verrottetes System zur Verfügung zu stellen.
Richtig ist, daß wir auch in den nächsten Jahren den Druck für sparsame Haushalte behalten werden. Wir werden diese Politik auch in den nächsten Haushalten fortsetzen. Wir werden die Eckwerte für den Haushalt 1991 vor der Wahl festlegen und veröffentlichen, damit die Bürger wissen, was auf sie zukommt. Wir werden den Haushalt 1991 im Frühjahr nächsten Jahres sorgfältig beraten.Die Politik der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft hat günstige Ausgangspositionen für den Prozeß des Zusammenwachsens geschaffen. Jeder vermag sich vorzustellen, wieviel schwieriger die Situation gewesen wäre, wenn wir 1982 vor dieser Aufgabe gestanden hätten. Wir hätten auch damals ja zu den notwendigen Ausgaben gesagt. Aber wir hätten unser Land in eine außerordentlich schwierige Situation gebracht.Wir werden den Nachtragshaushalt sorgfältig beraten, und wir werden die erforderlichen Maßnahmen in unseren neuen Bundesländern solide finanzieren. Für uns sind dies keine Kosten der deutschen Einheit. Ich finde, die von der SPD immer wieder gestellte Frage nach den Kosten der Einheit ist schon im Ansatz falsch. Mit der Einheit verwirklichen wir Freiheit und Demokratie in ganz Deutschland. Freiheit und Demokratie sind für uns keine Kostenfragen. Ich habe manchmal die Sorge: Wer immer nur nach den Kosten fragt, gibt damit indirekt seine Bereitschaft zu erkennen, notfalls auf die Einheit zu verzichten, wenn sie zu teuer wird.
Wir sind gern bereit, diese Investitionen zu finanzieren, weil es hier um ein höheres Gut geht als um die Frage der Kostenbelastung.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem dritten Nachtragshaushalt liegt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Blockkonfrontation ein — wenn auch noch unvollständiger — Haushalt für das neue vereinte Deutschland vor. Diese historische Zäsur hätte der Bundesregierung und den sie tragenden Regierungsfraktionen Gelegenheit geboten, sorgfältig zu überprüfen, ob die bisherigen Prioritäten in der Haushaltspolitik und damit in der Politik insgesamt richtig gesetzt sind oder ob die Einigung Deutschlands Anlaß und Ausgangspunkt für eine Neubestimmung derPrioritäten sein kann und sein muß. Das habe ich heute bei Ihnen total vermißt.
Leitmotiv einer solchen Neufestsetzung der haushaltspolitischen Prioritäten müßte unseres Erachtens der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit und der Verantwortung gegenüber den Menschen und der Natur sein.
Inhaltlich läßt der dritte Nachtragshaushalt keine grundlegend neuen Ansätze erkennen, mit denen auf die neuen Herausforderungen reagiert werden soll. Er ist das dürre Finanzkorsett, das der ehemaligen DDR durch den Einigungsvertrag verpaßt wurde. Wer für den Einigungsvertrag gestimmt hat — auch Sie, liebe Kollegen der SPD —, der steht im Prinzip für diesen Nachtragshaushalt gerade. Aus der großen Oppositionspartei SPD ist inzwischen die große heimliche vierte Koalitionspartei geworden. Dieser Eindruck ist leider entstanden.Wenn wir heute eine dramatische Zuspitzung der Wirtschaftskrise in der DDR erleben, so ist dies, entgegen den gestrigen Verdrehungen des Bundeskanzlers im Reichstag, nicht ausschließlich das Ergebnis von 40 Jahren Kommandowirtschaft. Eine solche Behauptung kann nur aufstellen, wer als Historiker die Gnade der späten Geburt mit der Gnade des zu kurzen Gedächtnisses zu verbinden vermag.
Es war doch so, daß die Menschen in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg jenen Teil Deutschlands alleine aufbauen mußten, der als Folge des Faschismus die größten Kriegszerstörungen erlitten hat. Das darf man auch nicht vergessen. Sie konnten sich dabei nicht auf Hilfe aus dem Marshall-Plan stützen. Ganz im Gegenteil: Die DDR mußte, stellvertretend für ganz Deutschland, riesige Reparationsleistungen erbringen.Es gehört schon eine Menge Arroganz und Ignoranz dazu, diese Tatsachen anläßlich der ersten Sitzung des neuen gemeinsamen Parlaments einfach auszublenden. Verantwortlich für die desolate wirtschaftliche Lage in der DDR sind doch die übereilte Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und die zaudernde Haltung der Bundesregierung, frühzeitig, nämlich Anfang dieses Jahres, umfangreiche finanzielle Hilfeleistungen an die DDR zu gewähren. Das war eine schlimme Unterlassung, die sich für die Menschen in der DDR jetzt schon bitter ausgezahlt hat.
Mit dem dritten Nachtragshaushalt setzt die Bundesregierung diesen Weg konsequent fort. Im zweiten Nachtragshaushalt hatte die Bundesregierung einen Betrag von 2,75 Milliarden DM als Anschubfinanzierung für die DDR-Sozialversicherung eingestellt. Minister Blüm war bei seinen Berechnungen von einer Arbeitslosenzahl von rund 400 000 in der DDR ausgegangen.
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18142 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau VennegertsTatsächlich liegt die Zahl der Beschäftigungslosen in der DDR bei annähernd 2,1 Millionen; denn neben den offiziell gemeldeten 440 000 Arbeitslosen gibt es mittlerweile 1,7 Millionen Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter, von denen aber die meisten nicht arbeiten und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft nicht arbeiten werden. Das ist die traurige Wahrheit.Minister Waigel, ich erinnere mich gut, was Sie während der Beratung des zweiten Nachtragshaushaltes im Haushaltsausschuß gesagt haben. Sie haben gesagt: Ebenso rasch, wie Betriebe aufgeben müssen und Arbeitsplätze entfallen, werden neue Unternehmen gegründet und neue Arbeitsplätze geschaffen. — Eine krasse Fehleinschätzung, wie sich heute leider herausstellt, die im übrigen auch nicht gerade ein Beispiel für ausgeprägte Sachkenntnisse in wirtschaftlichen Angelegenheiten ist.Ich sage dies deshalb, weil ich die Überheblichkeit und die Arroganz, mit der bundesdeutsche Politiker über die angeblichen Hobbyminister im Kabinett de Maizière hergezogen sind, als unerträglich und abstoßend empfunden habe.
Wenn man sich den Dilettantismus, die Pannen und die Fehlprognosen bundesdeutscher Minister in den vergangenen Monaten vor Augen führt, dann muß man unweigerlich zu dem Schluß kommen, daß es im Kabinett Kohl nur so von Hobbyministern wimmelt. Dieser Vergleich sei mir gestattet.
Entgegen aller offiziellen Schönfärberei durch die Bundesregierung wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in der DDR kurz- und mittelfristig leider nicht entspannen; im Gegenteil: Wir befürchten, sie wird sich noch verschärfen. Die Bedenken, die wir während der Beratung des zweiten Nachtragshaushalts vorgetragen haben, sind von der Realität leider sogar noch überholt worden. Kassandra hat also eher zu schwach gerufen, lieber Herr Kollege. — Das sind die traurigen und von der Bundesregierung mitverursachten Realitäten dieser hohen Arbeitslosigkeit in der DDR.Wir sind der Meinung, es müßte jetzt dringend ein Solidarprogramm für die DDR — das müßte während des dritten Nachtragshaushalts anlaufen — aufgelegt werden. Zur kurzfristigen Stabilisierung des Arbeitsmarkts müßten die Betriebe völlig entschuldet und Beschäftigungsgesellschaften aufgebaut werden. Das ist dringend erforderlich.
Das muß auch durch die Treuhandanstalt aktiv unterstützt werden.Die Sicherung ökologisch verantwortbarer Arbeitsplätze hat absolute Priorität. Deshalb ist auch die Parole des SPD-Genossen und Vorsitzenden des Vorstands der Treuhandanstalt Rohwedder „Privatisierung vor Sanierung" völlig verkehrt. Genau umgekehrt müßte die Parole lauten: Sanierung vor Privatisierung, Sicherung der Beschäftigung vor Kahlschlag. Das ist die Devise.
Die Politik der angeblich leeren Haushaltskassen findet ihre Fortsetzung auf dem Gebiet der Umweltpolitik, und zwar auch hier bei uns, im westlichen Teil, nicht nur in der ehemaligen DDR. Altlasten, Trinkwasservergiftung , Bodenverseuchung, Energieverschwendung, Raubbau an der Natur sind nicht allein Phänomene in der ehemaligen DDR, sondern das findet auch bei uns tagtäglich statt. Auch darauf bleibt der Nachtragshaushalt — wie alle Haushalte bisher — eine Antwort dieser Bundesregierung schuldig.Die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands hat auch zu einer Vereinigung der ökologischen Probleme geführt. Die spannende Frage ist also, wie die Bundesregierung auf diese neue, größere Herausforderung reagiert. Ich habe mir den Haushalt angeguckt und — kurz gesagt — gesehen: Sie reagiert überhaupt nicht, alles bleibt beim alten, wie gehabt. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger wurde und wird auf die DDR hingewiesen. Wachstum wird den neu hinzugekommenen Bundesländern als Heilmittel verschrieben. Die ökologischen Folgekosten des Wachstums scheinen mehr denn je von der Bundesregierung ignoriert zu werden. Wir haben hier schon Debatten gehabt, in denen sogar die CDU kapiert hat, daß es ökologische Folgekosten gibt. Heute ist dieser Begriff aus Ihrem Gedächtnis entfallen. Ich bedaure das sehr. Ich finde das sehr schade.
Wir begrüßen, daß ein Teil der Ausgaben für das nukleare Endlager in Gorleben und für den Schacht Konrad gestrichen werden soll. Das ist etwas Positives. Der größere Teil des Atomprogramms bleibt aber leider bestehen. Noch viel gravierender ist das Fehlen ökologischer Investitionsprogramme für das Gebiet der DDR. Diese Programme sind seit knapp einem Jahr dringend erforderlich. Daß sie nicht aufgelegt worden sind, wird sich leider bitter rächen, und zwar nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch.Auch nach dem Beitritt sollen die ökologischen Ausgaben nicht angehoben werden. Im Einigungsvertrag war noch die Rede davon, daß ökologische Sanierungs- und Entwicklungsprogramme aufgestellt werden sollten. Nichts finde ich im Nachtragshaushalt! Und ich habe genau hingeschaut. Im ERP-Sondervermögen sind es 500 Millionen DM. Dafür bekommen Sie noch nicht einmal eine halbe Entschwefelungsanlage. — Das sind die Fakten.Ich befürchte, daß die Bundesregierung die Finanzierung der kostspieligen Sanierungs- und Entwicklungsprogramme auf die künftigen Länder und Gemeinden der DDR abwälzen will — und das, nachdem sie eine aus meiner Sicht ganz ungerechte Regelung im Einigungsvertrag festgeschrieben hat, nämlich daß der Länderfinanzausgleich für die damaligen DDRLänder nicht gilt. Ich finde, das ist eine eklatante Ungerechtigkeit und eine Benachteiligung,
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Frau Vennegertsund das widerspricht auch dem Grundgesetz. Ich bin der Meinung, daß hier eine verfassungsrechtliche Überprüfung angebracht wäre. Ich kann die DDRLänder nur ermutigen — da kommen schon Signale — , in diesem Punkt das Verfassungsgericht anzurufen und einmal beurteilen zu lassen, was „Gleichheit der Lebensverhältnisse" wirklich bedeutet.Das Umweltprofil dieser Bundesregierung wird auch daran deutlich, daß für die ehemalige DDR nach wie vor hohe Energiesubventionen bestehen. Für Energiesparmaßnahmen, die eigentlich nötig wären — alle jammern darüber, daß Energie verschleudert wird — gibt es keinen Pfennig. Gesucht, nichts gefunden, kann ich nur sagen; eine total falsch angesetzte Energiepolitik. Dazu paßt natürlich auch, daß die Bahnpreise ab Januar auf das Dreifache angehoben werden sollen,
d. h. eine fatale Weichenstellung in Richtung Autoflut. Alles das, was hier bei uns schon passiert ist, wird also noch schlimmer nachvollzogen, und es werden die Weichen dafür gestellt.In ein Solidarprogramm gehören die dringend erforderlichen Umstrukturierungsprogramme und ökologische Sanierungsprogramme, z. B. Aufbau dezentraler Energieversorgungseinrichtungen, der Bau von Kläranlagen und Deponien und die Altlastensanierung, um nur einige Punkte zu nennen. Auch dafür habe ich keinen Pfennig gefunden.Während die Bundesregierung angeblich kein Geld für Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen oder für Umweltprogramme hat, sieht das bei den Rüstungsausgaben ganz anders aus. Ich dachte, ich falle um, als ich diesen Haushalt gesehen habe. Die Ausgaben im Verteidigungshaushalt sollen um lächerliche 400 Millionen DM vermindert werden, und dies angesichts eines Gesamtvolumens von 53,6 Milliarden DM. Das bedeutet eine Einsparung von nicht einmal 1%, so, als sei der Kalte Krieg nicht vorüber, sondern müsse fortgesetzt werden.Jetzt kommt der nächste Hammer. Da denkt man: Na ja, da haben sie ja ein bißchen gespart. Nein, überhaupt nicht, die haben gemogelt. Die Ausgaben des Verteidigungshaushalts der ehemaligen DDR sollen nämlich um exakt jene 400 Millionen DM aufgestockt werden, die bei Minister Stoltenberg eingespart werden. Es ist also ein skandalöses Nullsummenspiel. Unter dem Strich ist es selbstverständlich der alte Haushalt. Da wird die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt, Herr Minister Waigel.
Das wissen Sie doch. Warum haben Sie es denn sonst so trickreich gemacht?Während für Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt- und der sozialen Situation angeblich kein Geld vorhanden ist, findet sich Geld aber für die uns scheinbar zugedachte Rolle des militärischen Hilfssheriffs am Golf. Mit Steuergeldern, insgesamt 3,3 Milliarden DM, soll die militärische Präsenz der Amerikaner am Golf unterstützt und der Konflikt zumAnlaß genommen werden, eine Entsendung von deutschen Truppen in Krisengebieten vorzubereiten.
— Ich finde das dermaßen schlimm, Frau Kollegin Seiler-Albring. — Das wäre, behaupte ich, vor einem Jahr in einer ähnlichen Situation noch gar nicht möglich gewesen. Bescheidenheit und Abrüstung sei angesichts der deutschen Einheit angeblich angesagt gewesen. Und was passiert? Es wird in eine andere Richtung gerüstet. Das finde ich sehr, sehr schlimm, und das ist ein Rückschritt für diese Republik und kein Fortschritt.
— Es stimmt haargenau. — Es gibt finanzielle Mittel für die Länder Ägypten, Jordanien und Türkei, die die Militäraktion am Golf von der Infrastruktur her unterstützen. Dann muß man auch überlegen, daß sich die Türkei nicht mehr zu den Menschenrechtskonventionen bekennt. Das ist für mich eine ganz, ganz schlimme Geschichte. Darüber sollte hier einmal nachgedacht werden.Wenn nicht jetzt abgerüstet werden soll, wann, bitte schön, soll dann massiv abgerüstet werden? Wir fordern, den Verteidigungshaushalt um mindestens 10 Milliarden DM zu kürzen. Das ist möglich. Das beträfe nicht nur den Jäger 90, sondern das gilt für sämtliche militärischen Beschaffungen, militärische Bauten, für die wir erst einmal eine sofortige Haushaltssperre wollen. Obwohl der Finanzminister immer wieder betont, man brauche zusätzliche Mittel, und es müsse gespart werden, ist im Nachtragshaushalt davon wenig zu spüren. Dabei gäbe es eine ganze Latte, wo man Einsparungen machen könnte: 1,8 Milliarden DM für das innerdeutsche Ministerium, das ist doch wirklich der größte Witz. Wofür brauchen wir das jetzt noch? Das Atomprogramm können wir sparen, in der Weltraumfahrt können wir sparen. Der Wegfall der teilungsbedingten Kosten kann zum Teil für Einsparungen und Umschichtungen genutzt werden.Finanzieren kann man es auch anders, Herr Minister Waigel, als nur über Verschuldung. Aber man muß sich dann die Frage stellen: Wer in der Gesellschaft bei uns kann es sich leisten und ist in der Lage, hierzu beizutragen? Wer soll die Kosten der Einheit, die selbstverständlich da sind und die auch sehr hoch sind, aber davon hängt die Einheit nicht ab, bezahlen? Da sind wir der Meinung: Die, denen es besser geht in der Gesellschaft, die sollen das bezahlen. Also: eine Ergänzungsabgabe für Höherverdienende, ein Solidarbeitrag der bundesdeutschen Wirtschaft; denn die Unternehmen haben starke Gewinnexplosionen gehabt, und es ist überhaupt nicht einzusehen, daß die sozial Schwachen, die Benachteiligten in der Gesellschaft bei uns die Einheit bezahlen sollen. Das darf und kann nicht sein!
Ich finde es einfach falsch, wenn von Ihnen immer gesagt wird: Wer nach den Kosten der deutschen Ein-Frau Vennegertsheit fragt, der will die Herstellung der Einheit hintertreiben. — Das ist eine eklatante Unterstellung. Die Frage nach den Kosten hat nichts mit dem Für und Wider der deutschen Vereinigung zu tun. Die Frage nach den Kosten ist eine Frage der Transparenz und der Kontrolle von Regierungshandeln. Darum geht es!Man muß sich fragen, wer Gewinner und Verlierer sind, wenn der Staat öffentliche Ausgaben tätigt. Wer sind die Begünstigten und wer die Zahler? Darum geht es hier in dieser Debatte: Wer zahlt, und wer profitiert?Da sind wir der Meinung, daß sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank diesbezüglich sehr offenbart hat, indem er gesagt hat: Die Finanzierung des Aufbaus in der DDR ist nicht Angelegenheit der Banken. — Ja wessen Angelegenheit ist es denn in dieser Gesellschaft? Auch die Bundesregierung, behaupte ich, will sich bis zu den Wahlen durchmogeln. Die Mehrwertsteuererhöhung, gegen die wir aus sozialen Gründen sind, liegt, behaupte ich, schon in Ihren Schubladen, Herr Staatssekretär.
Das gilt — davon gehe ich aus — auch für andere Gemeinheiten, die wir nicht vertreten können.Wir werden gegen diese unsoziale und unökologische Politik ankämpfen. Wir werden auch gegen die Unehrlichkeit und Täuschung durch diese Haushaltspolitik ankämpfen und hoffen, daß wir in der Bevölkerung Unterstützung finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Festreden im großen Kreis gehen wir mit der heutigen ersten Lesung des dritten Nachtragshaushalts für das Jahr 1990 daran, den Teil der Arbeit zu leisten, der unsere Aufgabe ist.Wir müssen nach dem freudig begrüßten Beitritt der DDR zum Gültigkeitsbereich unseres Grundgesetzes noch für das laufende Jahr die Haushalte zusammenführen. Wir müssen wenigstens in Ansätzen der dortigen Umstrukturierung und dem Beginn des Aufbaus Rechnung tragen. Natürlich müssen wir unserer Aufgabe gerecht werden, haushälterisch, d. h. sparsam, mit den öffentlichen Mitteln umzugehen.Nie waren ökonomische Voraussetzungen für einen Zusammenschluß zweier so unterschiedlicher Wirtschafts- und Finanzsysteme günstiger als im Moment. Die Forderung an alle Lebensbereiche, die gemeinsame Zukunft ohne unnötige Brüche zu gestalten, ist natürlich auch eine Forderung an das Parlament, die Umgestaltung politisch bestmöglich zu flankieren.Für uns auf der westlichen Seite heißt das auch: Wir müssen Bilanz des in den letzten Jahren Erreichten ziehen, um die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen. Die FDP ist stolz darauf, daß mit der von HansDietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff 1982 eingeleiteten Wende in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik die wesentliche Grundlage dafür gelegt wurde, daß in der Koalition mit der CDU/CSU der heutige Stand der Dinge erreicht worden ist.Zum ersten: Acht Jahre lang ist es in der Wirtschaft ununterbrochen aufwärts gegangen. Noch nie gab es einen so langen Zeitraum des Aufschwungs in der Geschichte der Bundesrepublik. Dies ist die Leistung der Menschen in unserem Land. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Verwaltung haben auf Grund der politischen Vorgaben dieses hervorragende Ergebnis erarbeitet.Daß nach dem 9. November vergangenen Jahres der Aufschwung noch an Dynamik gewonnen hat, zeigt einerseits das Vertrauen der Menschen in die Zukunft; leider hat diese Medaille aber auch eine Kehrseite. Die Entwicklung in den neuen Bundesländern war dem teilweise erheblich entgegengesetzt. Das heißt: Die westliche Wirtschaft hat aus dem Niedergang der DDR-Kommandowirtschaft zweifellos auch Nutzen gezogen. Auch daran, meine Damen und Herren, werden wir denken müssen, wenn es jetzt um Weichenstellungen im Bundeshaushalt geht.Zum zweiten. Eine überaus positive Bilanz ist auch in der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt festzustellen. Jahr für Jahr nach 1983 hat sich die Zahl der Arbeitsplätze deutlich erhöht. Allein in den letzten zwölf Monaten ist die Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze um rund eine halbe Million gewachsen. Kurzarbeit und Gott sei Dank auch Jugendarbeitslosigkeit spielen in der bisherigen Bundesrepublik praktisch keine Rolle mehr. Die Zahl der Erwerbstätigen hat mit rund 28 Millionen den höchsten Stand erreicht, der je verzeichnet wurde.
Ich frage nicht, was wäre gewesen, wenn oder, noch besser, was wäre gewesen, wenn nicht? Ich meine, diese Erfolge sprechen für sich. Wer eine solche Erfolgsbilanz vorweisen kann, sollte auch den Vertrauensvorschuß haben, die anstehenden Zukunftsprobleme zu lösen.
Dies ist — das muß wohl zum Ende einer Wahlperiode erlaubt sein — ein Appell an die Wähler: Never change a winning team! Das Wahlrecht gibt die Möglichkeit, am 2. Dezember 1990 beide Koalitionspartner mit einer Stimme zu bedenken; Sie kennen die Bescheidenheit der FDP, hier auf die Zweitstimme zu reflektieren.Zum dritten. In den vergangenen Jahren hat die Koalition die Haushalte auch dann ordnungsgemäß abgewickelt, wenn es technisch und auch wenn es in der öffentlichen Darstellung manchmal einfacher gewesen wäre, ein wenig zu schieben. Jeweils mit Jahresbeginn trat der neue Haushalt in Kraft. Im kommenden Jahr müssen wir hiervon erstmals eine Ausnahme machen. Aber eine weltpolitisch derart einmalige Sondersituation wie die Schaffung der deutschen Einheit ist eine stichhaltige Begründung.
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Dr. Weng
Ein Haushalt, bei dem wesentliche Fakten fehlen, wäre das Papier nicht wert, auf das er gedruckt ist. Er wäre eine Täuschung der Öffentlichkeit, vielleicht auch Selbsttäuschung der Politiker. Wir brauchen die Eckdaten, wir brauchen möglichst genaue Prognosen, um ordnungsgemäß arbeiten zu können.Hierbei ist uns die Zusage, die auf unsere Anregung hin der Bundesfinanzminister, in der Folge auch der Bundeskanzler gemacht haben, daß noch vor der Bundestagswahl alle Eckwerte bestmöglich dargestellt werden, eine große Hilfe. Wir wollen keine Probleme vertuschen, sondern wir wollen den Bürgern aus bestmöglicher Kenntnis aller Voraussetzungen deutlich machen, wie wir uns die Lösung der Probleme vorstellen.Auf diesem Hintergrund habe ich nicht ganz verstanden, daß die vorgesehene Steuerschätzung in den Dezember geschoben worden ist. Natürlich können wir im Oktober und im November noch keine ganz konkreten Zahlen vorliegen haben, insbesondere was die Einnahmeseite, vor allem was die Situation in den neuen Bundesländern angeht. Aber können wir das im Dezember?Es geht doch nicht — ich bitte, das nicht als leichtfertige Äußerung anzusehen — um die letzte Milliarde, hin oder her, es geht um Größenordnungen bei der Veränderung von Ausgaben mit Blick auf die neuen Notwendigkeiten, es geht um das Zeitmaß beim Abbau der teilungsbedingten Kosten und auch bei der weiteren zusätzlichen Verschuldung unseres Staates. Jeder Bürger, der darüber nachdenkt, wird für richtig halten, daß nicht in der laufenden Sondersituation mit heißer Nadel an der Finanzstruktur gestrickt wird. Die Erfolge der Steuersenkungspolitik der Koalition mit der Einnahme von wesentlich mehr Steuern, trotz der Senkung der individuellen Steuerbelastung, sind zu eindeutig, als daß vorschnellem Steuererhöhungsgerede nachgelaufen werden sollte.
Bei der Frage weiterer Steuersenkungen hat die FDP auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende der Entwicklung Rechnung getragen, und sie wird erst nach Überbrückung der Sondersituation und bei Vorliegen der haushaltsmäßigen Voraussetzungen ihr fortbestehendes Ziel weiter verfolgen, nämlich die Ertragsteuern weiter zu senken. Wir wollen gerade nicht den Staat, der umverteilt und gleichmacht. Der Versuch, einen solchen, vermeintlich gerechten Staat anzubieten, ist im Gebiet der früheren DDR eindrucksvoll gescheitert.Unser Vorschlag im Sinne einer massiven Förderung des Aufbaus der Wirtschaft in den neuen Bundesländern, die Steuerbelastung dort sehr schnell und massiv abzusenken, ist ein Beitrag zur Schaffung von Investitionen, zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im wieder hinzugekommenen Teil unseres Vaterlandes. Im Nachtragshaushalt, den wir heute in erster Lesung beraten, sind eine Reihe weiterer umfangreicher Maßnahmen zur Förderung genau dieser ökonomischen Entwicklung östlich der Elbe vorgesehen.Meine Damen und Herren, dem Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann ist sein frühzeitiges Engagement, vor allem auch für den dort entstehenden und so dringend notwendigen Mittelstand, zu danken. Gerade dieser tragende Teil ist ja in der Kommandowirtschaft der DDR völlig verlorengegangen. Die Einbeziehung der neuen Länder in das Eigenkapitalhilfeprogramm ist hierfür ein wichtiger Grundstein. Das Gemeindekreditprogramm, das sicherstellen soll, daß die kommunalen Gebietskörperschaften die notwendigen Investitionen für ihre Infrastruktur finanzieren können, ist ein weiteres Signal zügiger Starthilfe für einen wesentlichen Bereich.Ähnliches gilt natürlich für das Wohnraummodernisierungsprogramm. Wer die Bausubstanz in den Städten und Gemeinden der bisherigen DDR sieht, weiß, daß in diesem Bereich Nothilfe außerordentlich dringlich ist.Das Zusammenführen der Haushalte aus den bisher zwei deutschen Staaten setzt uns in die Pflicht, einem Bereich zu helfen, den der Zusammenbruch der alten Kommandowirtschaft auf null gebracht hätte, der sozialen Absicherung der Menschen, die für den Konkurs der SED am allerwenigsten Verantwortung tragen, der alten Menschen, der arbeitenden Menschen, derjenigen, die durch die notwendigen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur mit einem vorübergehenden Verlust ihrer Arbeitsplätze bezahlen müssen. Fast 9 Milliarden DM zahlt die öffentliche Hand, zahlt der Bundeshaushalt zusätzlich für Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung in den neuen Bundesländern. Unsere Volkswirtschaft kann und wird dies tragen.
— Herr Kollege Deres, Sie haben recht: Ist das denn nichts? Sind das keine Leistungen, mit vielen anderen Leistungen zusammen, die wir erbringen und gerne erbringen in einem Bereich, der einen großen Entwicklungsrückstand hat, und den wir zu diesen vergleichbaren Lebensbedingungen hinentwickeln wollen, aber doch nicht dadurch, daß wir in einem anderen Bereich die Dinge zugrunde richten?
Meine Damen und Herren, die Finanzierung der notwendigen Ausgaben ist öffentlich umstritten. Ich finde es schade, daß der ernst gemeinte Versuch der Koalition, die Finanzierung ohne zusätzliche Steuerbelastung der Bürger zu erreichen, nicht stärker honoriert wird.
Aus diesem Bedauern kann ich auch den Herrn Bundespräsidenten nicht ausnehmen, der in seiner sonst herausragenden Rede am 3. Oktober den Einstieg ins tagespolitische Steuergeschäft besser unterlassen hätte.
Seine Äußerung, mit hochrentierlichen Anleihen allein werde sich die deutsche Einheit nicht finanzierenlassen, eine Äußerung, die heute mehrfach zitiert
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Dr. Weng
wurde, hat sicher nicht bedeuten sollen, daß es mit niedrigrentierlichen Anleihen versucht werden sollte. Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß solche Anleihen keine Abnehmer finden.Wenn er aber gemeint haben sollte, daß die Belastungen der Bürger erhöht werden sollten, wäre es sicher für die Opposition und hier vor allem für die SPD außerordentlich hilfreich gewesen, wenn er gesagt hätte, an welcher Stelle er das gerne hätte; denn die SPD ist in der Frage, welche Belastungen sie den Bürgern auferlegen sollte, so heillos zerstritten,
daß hier konkrete Vorschläge sicherlich geholfen hätten.
Ich sage aber auch: Die Äußerung, so, wie sie in den Raum gestellt wurde, war außerordentlich leicht.Übrigens gibt der Einzelplan des Bundespräsidialamts — das stellt man fest, wenn man im vorliegenden Entwurf des Nachtragshaushalts ein wenig blättert, — kein Signal des Teilens — ich gehe davon aus, der Herr Bundespräsident kennt diesen Einzelplan nicht — , er gibt nämlich eher das Signal einer Zellteilung im Bereich der hochbesoldeten Beamtenpositionen.Für mich ist übrigens in der Frage der Finanzierung bemerkenswert, daß die Haushaltskollegen der SPD eine ähnliche Position zu den Finanzierungsfragen eingenommen haben, wie sie auch unsere ist; denn die Position, meine Damen und Herren, „Steuererhöhungen nur als allerletztes Mittel" und die Position „Ohne Steuererhöhungen" sind im politischen Raum nicht allzu weit voneinander entfernt. So bin ich mir sicher, daß es kein Zufall ist, wenn die SPD, jedenfalls die Fraktion, hier heute ihre zuständigen Haushaltspolitiker nicht zu Wort kommen läßt. Sachverstand ist eben nicht wahlkampfgeeignet und wird hier deswegen lieber zur Seite geschoben.
Die FDP-Fraktion wird den Regierungsentwurf, soweit er überhaupt in der Kürze der Zeit in der Hinsicht bearbeitet werden kann — wir alle wissen, daß wir unter erheblichem Zeitdruck bei der zu Ende gehenden Wahlperiode werden arbeiten müssen; der Haushaltsausschuß und die Kollegen im Haushaltsausschuß nehmen jetzt in beginnenden Wahlkampfzeiten eine erheblich größere Belastung auf sich, als das bei anderen Kollegen erforderlich ist —, sorgfältig auf Wahlgeschenke und auf Mitnahmeeffekte abklopfen.Spontan ist nicht recht verständlich, daß die Bundesregierung ihre seitherige Haltung, im Bereich der obersten Bundesbehörden keine beamteten Spitzenpositionen neu auszuweisen, gerade jetzt auf den letzten Metern der Wahlperiode noch deutlich verändert hat.Auch bei der Frage der Haushaltsklarheit ist das Wünschenswerte vom Finanzministerium nicht vorgelegt worden. Ob es das Machbare ist, kann ich in der augenblicklichen Situation totaler Belastung allerMitarbeiter dieses Hauses nicht abschließend einschätzen. Aber wir werden diese Klarheit noch schaffen. Das betrifft insbesondere den Teil B, den Teil des Nachtragshaushalts, der den alten DDR-Haushalt betrifft. Hier ist eine ganze Menge in der Darstellung sicherlich nicht so, wie es sein sollte, um uns eine vernünftige Arbeit zu ermöglichen. Hier haben wir Aufklärungsbedarf und werden im Laufe des Verfahrens die Aufklärung auch sicherlich erhalten.Wir gehen jetzt unter erheblichem Zeitdruck an die schwierige Detailarbeit. Wir werden trotzdem auch nach Einsparungsmöglichkeiten suchen, die in der Kürze des noch laufenden Haushaltsjahres natürlich nicht mehr großvolumig für dieses Jahr sein können. Das weiß jeder, der Haushaltsabläufe kennt. Insofern geht auch hier die Kritik der Opposition an der Sache vorbei.Wir werden aber auch — ich sage das in Kenntnis vieler Wünsche, die wir ablehnen werden; wir werden nicht alle Wünsche ablehnen — einige notwendige Verbesserungen auf den Weg bringen.Meine Damen und Herren, das Parlament kann erst ab Februar oder März nächsten Jahres mit der Beratung des Haushalts 1991 beginnen. Die vorläufige Haushaltsführung ab Januar 1991 bedeutet deshalb eine besondere Verantwortung für die Regierung. Ich habe keinen Zweifel, daß sie dieser Verantwortung gerecht wird. Wir appellieren an größtmögliche Sparsamkeit, vor allem an Zurückhaltung bei Weichenstellungen, die nicht mehr durch das Parlament veränderbar wären, das seine Arbeit erst in dem genannten Zeitraum aufnehmen kann. Es sollte möglichst vieles für die parlamentarische Beratung offenbleiben, damit wir nicht nachher — was technisch beinahe möglich wäre — fast nur noch nachvollziehen können, was die Regierung vorgegeben hat. Das Haushaltsrecht bleibt ein wesentliches Recht des Parlaments. Die Regierung sollte hierauf ab Januar vorbeugend Rücksicht nehmen.In der Überzeugung, daß die notwendigen Voraussetzungen für die Finanzwirtschaft des restlichen Jahres hiermit bestmöglich auf den Weg gebracht werden, stimmt die FDP-Fraktion der Überweisung des Regierungsentwurfs zum Dritten Nachtrag an den Haushaltsausschuß zu.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schumann .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister Dr. Waigel befand sich zum Ende seiner zumindest rhetorisch sehr eindrucksvollen Rede in Hochstimmung, was die Finanzierung der Einigung anbelangt. Im unklaren hat er uns nur darüber gelassen, was er damit meint. Ob es darum geht, daß genügend Mittel vorhanden sind, um den hohen Finanzbedarf zu decken? Das kann angesichts der hohen Verschuldung wohl kaum der Fall gewesen sein. Oder meint er damit, daß die DDR gegenwärtig besonders billig ist?
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Dr. Schumann
Die Abgeordneten der PDS möchten jedoch hervorheben, daß auf Dauer die erforderlichen Mittel zur Finanzierung der in den ostdeutschen Ländern rasch anwachsenden Sozialleistungen, der dringenden Maßnahmen für Infrastruktur und Umweltschutz sowie der von den Ländern und Kommunen zu lösenden Aufgaben nur aufgebracht werden können, wenn der Wirtschafts- und Produktionsstandort der ehemaligen DDR erhalten bleibt. Das bedeutet vor allem, die Lebens- und Wachstumsfähigkeit der Unternehmen und Betriebe in Industrie, Landwirtschaft, Bauwesen, Dienstleistungen und andere zu sichern bzw. wiederherzustellen sowie vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der Mehrzahl der ostdeutschen Unternehmen zu erreichen.Dazu sind für eine nicht zu kurze Übergangszeit Investitionen, Produktion und Absatz der Erzeugnisse, vor allem die häufig recht tiefgreifende notwendige Strukturanpassung zielgerichtet zu fördern. Die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen der Wirtschaftsstruktur in den ostdeutschen Ländern verlangen ein langfristiges Strukturprogramm und dessen finanzielle Förderung durch gezielte Kredit-, Steuer- und andere finanzpolitische Instrumentarien. Zu Wachstumsbereichen können unter anderem Dienstleistungen, Transport und Handel sowie Finanz- und Beratungswesen werden.Wir halten die zielstrebige Förderung produktiver Erweiterungsinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft der Bundesrepublik in den ostdeutschen Ländern für notwendig. Hauptsächlich sollte es aber darum gehen, den eigenen Strukturwandel des Potentials in den ostdeutschen Ländern zu stimulieren und zu sichern. Es darf nicht so bleiben, daß der ostdeutsche Markt weiterhin von westdeutschen Produktionsstandorten bedient wird,
ein weiterer Geldabfluß erfolgt, die Konjunktur wie bisher auf die westdeutschen Länder beschränkt bleibt und der Abstand in wirtschaftlicher Leistungskraft und sozialer Lage bestehen bleibt bzw. sich noch vergrößert.Die Entwicklung in den letzten Monaten hat dazu geführt, daß der Leistungsrückstand des ehemaligen DDR-Territoriums gegenüber der ehemaligen Bundesrepublik noch um etwa 10 % zugenommen hat.Daß der Übergang der zentralistischen Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft nicht reibungslos und konfliktlos vor sich gehen wird, ist, glaube ich, jedem von uns klar gewesen, ebenso auch, daß Produktionsrückgänge in bestimmten Bereichen unvermeidlich sind. Angesichts der sich beschleunigenden Talfahrt der Produktion und des drastischen Rückgangs des Absatzes von Erzeugnissen aus den fünf Ländern der ehemaligen DDR auf dem Binnenmarkt ergibt sich jedoch die Frage: Muß der Abstieg so tiefgreifend sein, daß das Mehrfache an Anstrengungen und große Zeitverluste notwendig sind, um wieder aus der Senke hochzukommen?Die Problematik liegt meines Erachtens darin, daß die Zerstörung traditioneller Wirtschafts- und Kooperationsbeziehungen und der Konkurs von Unternehmen so weit gehen, daß viele modernisierungs- und sanierungsfähige Unternehmensstrukturen untergegangen sind oder täglich um ihre Existenz ringen.Vor allem aus dem Niedergang der Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern ergeben sich zusätzliche und weiter ansteigende finanzielle Belastungen des Haushalts, so daß die reale Gefahr besteht, daß ständig zusätzliche Mittel erforderlich werden und dies nicht der letzte Nachtragshaushalt sein wird. Es geht hier um eine mehrfache Problemanhäufung, die zur Zuspitzung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme führt und die im Widerspruch zu den Interessen der Bevölkerung sowohl in den bisherigen auch als in den neu hinzugekommenen Bundesländern steht.Es handelt sich vor allem um folgende vier Probleme, die untereinander durch negative Rückkopplungseffekte verbunden sind.Ich nenne erstens die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeit. Ende August hatten wir 361 000 Arbeitslose und über 1,4 Millionen Kurzarbeiter, von denen der größte Teil überhaupt nicht kurzarbeitet. Das betrifft beispielsweise auch meinen Sohn. In Wirklichkeit handelt es sich hier um eine verdeckte Arbeitslosigkeit.Zweitens. Hierdurch steigen sprunghaft die finanziellen Belastungen der Arbeitslosenunterstützung, und zugleich verringern sich entsprechend die Steuereinnahmen durch Lohn-, Umsatz- und Gewinnsteuern.Drittens. Die Lösung der angestauten Probleme bei der Verbesserung der Infrastruktur, beim Umweltschutz und bei der Modernisierung der Betriebe wird verzögert und erschwert, woraus sich wiederum negative Auswirkungen auf den Erhalt und die Neuschaffung von Arbeitsplätzen und auf die Einkommensquellen des Haushalts ergeben. Diese Verzögerung bezieht sich vor allem auf die Bereitstellung von Mitteln aus den Ergebnissen der eigenen Wirtschaftstätigkeit.Viertens. Die ökonomischen und sozialen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland können nicht in dem erforderlichen Umfang und Tempo verringert werden. Es besteht die reale Gefahr, daß sie sich auf einigen Gebieten weiter verschärfen. Daraus ergibt sich, daß in stärkerem Maße Menschen von Ost- nach Westdeutschland abwandern, auch wenn das heute statistisch nicht mehr gezählt wird, um Arbeit zu finden.Die negativen Folgen für die wirtschaftliche Gesundung ergeben sich dabei speziell daraus, daß der Anteil an jüngeren und besonders leistungsfähigen und kreativen Bevölkerungsteilen, die — praktisch nicht mehr statistisch registriert — abwandern, überdurchschnittlich groß sein wird.Aus alledem ergibt sich, daß die Lösung der Probleme, die zu einer wirtschaftlichen Gesundung und Stabilisierung Ostdeutschlands und zur Verringerung der ökonomischen, speziell der sozialen Niveauunterschiede führt, dem Interesse der Mehrheit der deutschen Bevölkerung entspricht.In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, in den ostdeutschen Ländern eine sozial und
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Dr. Schumann
ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik, die Selbstverwaltung der Kommunen sowie insbesondere ihre Verfügungsrechte über finanzielle Mittel, Kapital- und Vermögenswerte zu verwirklichen. Das wird unseres Erachtens nicht nur durch die gegenwärtige allgemeine wirtschaftliche Situation erschwert. Es gibt u. a. ein zögerliches Herangehen der Treuhandanstalt bei der Überführung ehemaliger volkseigener Betriebe in das Eigentum der Länder und Kommunen. Notwendig ist die rechtliche Sicherung kommunalen Eigentums an Grund und Boden als Bedingung für die Überwindung von Strukturschwächen und zur Erweiterung des wirtschaftlichen Handlungsspielraums.
Durch die Regelung des Einigungsvertrages werden dem Handlungsspielraum der ostdeutschen Länder unverständlicherweise weitere Grenzen gesetzt. So gilt der in Art. 107 des Grundgesetzes festgelegte gesamtdeutsche Länderfinanzausgleich für die beigetretenen ostdeutschen Länder bis zum 31. Dezember 1994 nicht. Mit dem Länderfinanzausgleich wird die Steuerkraft eines Landes, gemessen an seinem Pro-Kopf-Steueraufkommen, der durchschnittlichen Steuerkraft aller Länder angeglichen, wobei garantiert ist, daß jedes Bundesland mindestens 95 % der durchschnittlichen Steuerkraft aller Länder erreicht. Länder mit hoher Steuerkraft zahlen in einen Fonds, aus dem die finanziell schwächeren einen Ausgleich erhalten. All das geschieht laut Grundgesetz mit dem Ziel, im gesamten Bundesgebiet einheitliche Lebensbedingungen sicherzustellen. Um so verwunderlicher ist, auch angesichts der großen Worte von Solidariät mit den 16 Millionen ehemaliger DDR-Bürger — Herr Minister Dr. Waigel hat es hier auch noch einmal gesagt — , die breite Abwehrfront gegen die Einbeziehung der ostdeutschen Länder in den Finanzausgleich.Auch die im zweiten Staatsvertrag festgelegte Regelung für die Umsatzsteuerverteilung benachteiligt die ostdeutschen Länder beträchtlich. Gemäß Grundgesetz muß bekanntlich der 35%ige Länderanteil an der Umsatzsteuer — das sind 1991 voraussichtlich 52 Milliarden DM — nach der Einwohnerzahl verteilt werden. Auch hier hätten die Westländer an die Ostländer wegen deren niedrigen Pro-Kopf-Verbrauchs immerhin rund 5 Milliarden DM abgeben müssen. Geregelt wurde aber, daß die ostdeutschen Länder ab 1991 nur 55 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Aufkommens erhalten, 100 % nach einer jährlich 5%igen Erhöhung voraussichtlich erst 1995.Als „Gegenleistung" wurde bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag vereinbart, daß die ehemaligen DDR-Länder über 85 % der Mittel aus dem Fonds „Deutsche Einheit" selbst verfügen können, anstatt, wie ursprünglich vorgesehen, über 80 %. Das ist aber nur eine scheinbare Verbesserung. Das Selbstverfügungsrecht der Länder nimmt um eine Größe von nur 5,75 Milliarden DM zu, während Mittel des Fonds „Deutsche Einheit" mit insgesamt 115 Milliarden DM bis 1994 gleichbleiben. Der ungleiche Anteil an der Umsatzsteuer bedeutet für die ostdeutschen Länder, daß sie im Zeitraum 1991 bis 1994 kumulativ auf rund 20 Milliarden DM verzichten müssen.Wir sind weiterhin der Meinung, daß die Anteile der Kommunen an den Steuereinnahmen der Länder erheblich über der bisher vereinbarten Mindestquote von 20 % liegen müßten. Gegenüber den Steuereinnahmen der Gemeinden im bisherigen Bundesgebiet würden die Kommunen in den östlichen Ländern 1991 nach dieser Quote je Einwohner nur über ein Drittel dieser Einnahmen verfügen.Wir treten deshalb dafür ein, daß zusätzliche Maßnahmen zur Stabilisierung des Binnenmarktes in den ostdeutschen Ländern ergriffen werden. Wir treten dafür ein, daß wir die Möglichkeit der Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit keinesfalls über generelle Steuererhöhungen — z. B. bei der Mehrwertsteuer — vonstatten gehen lassen. Allgemeine Steuererhöhungen würden nicht unsere Zustimmung finden, weil sie für die Bürger der neuen Republik, insbesondere für diejenigen in den ostdeutschen Ländern, zu weiteren bedeutenden Belastungen führen würden. Wir sind hier, wie schon vorgeschlagen, für Ergänzungsabgaben und Solidarbeiträge, insbesondere Besserverdienender.Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Dritte Nachtragshaushalt ist in großem Umfang eine Fortschreibung der Haushalts- und Finanzpolitik der DDR, die mit dem 3. Oktober zu einer gesamtdeutschen Haushalts- und Finanzpolitik geworden ist. Das begrüße ich, zumal ich davon überzeugt bin, daß dies den Interessen und Wünschen der Bürger entspricht.Das erfüllt mich aber nicht nur mit Freude; denn der Inhalt und das Volumen des Nachtragshaushalts sind gleichzeitig eine Dokumentation für die Fehleinschätzung der Bundesregierung. Ich bedauere, dies sagen zu müssen, weil ich als Haushaltspolitiker in der früheren Volkskammer unmittelbar gespürt habe, was die Vorgaben der Bundesregierung für den Haushalt in der DDR bedeutet haben. In den Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag hatte der Bundesfinanzminister die Höhe der Ausgaben und der Kreditaufnahme des DDR-Haushalts für das zweite Halbjahr 1990 festgeschrieben.Natürlich lagen den Überlegungen des Finanzministers Vorstellungen über die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR, über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und über die Entwicklung der Steuereinnahmen in der DDR zugrunde. Alles, was jetzt durch diesen Nachtragshaushalt an Ausgabenmehrungen und an Einnahmenminderungen korrigiert werden muß, sind Abweichungen von der viel zu optimistischen Einschätzung der Bundesregierung über die Entwicklung in der DDR vom Frühjahr dieses Jahres.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18149
KuessnerDer Haushaltsrahmen für den DDR-Haushalt war schon im Juli für das zweite Halbjahr 1990 zu eng. Bei der Verabschiedung des DDR-Haushalts mußte, weil die notwendigen Ausgaben nicht zu finanzieren waren, eine globale Kürzung verabschiedet werden. Der Ministerpräsident de Maizière hatte zwar versprochen, beim Bundeskanzler für die Finanzierung der schon damals feststehenden Haushaltslücke im Interesse der Bevölkerung der DDR persönlich vorstellig zu werden. Bedauerlicherweise ist das aber unterblieben. Heute muß man leider feststellen, daß sowohl er als auch der Bundesminister ohne Geschäftsbereich Krause an dieser Haushaltsdebatte überhaupt nicht teilnehmen.
— So wird das Geld falsch eingesetzt.Walter Romberg hat Ende Juli eine Aufstockung des Haushalts um 10 bis 12 Milliarden DM gefordert. Dabei waren die zusätzlichen Mittel für die steigende Zahl der Arbeitslosen nicht berücksichtigt. Damals sprach man von Horrorzahlen. Heute wissen wir, daß dieser Nachtragshaushalt belegt ist. Walter Romberg hatte recht. Die heutigen Bundesminister Krause und de Maizière haben sich damals die falschen Bewertungen der Bundesregierung zu eigen gemacht. Diese Fehleinschätzung kann heute korrigiert werden. Dieser Nachtragshaushalt ist, wenn die Einschätzungen der Bundesregierung und ihre haushaltswirtschaftliche Vorsorge bis zum Ende dieses Jahres nicht von der wirklichen Entwicklung in Frage gestellt werden, nur der Übergang zu dem ersten gesamtdeutschen Haushaltsjahr 1991.Meine Befürchtung, die ich hier deutlich zum Ausdruck bringen möchte, ist, daß der finanzwirtschaftliche Übergang bis zur vollen Funktionsfähigkeit der neuen Länder der DDR und ihrer Gemeinden noch keineswegs gesichert ist. Ich meine damit nicht die mittelfristige Finanzentwicklung in den neuen Ländern, sondern die Entwicklung der nächsten Monate.Andererseits möchte ich auch nicht verschweigen, daß die Zukunft der neuen Länder auf Grund der Verhandlungsergebnisse zum Einigungsvertrag nicht als zufriedenstellend anzusehen ist.
Die bekannten Modellrechnungen von Walter Romberg haben deutlich gemacht, daß es noch offen ist, wie den zukünftigen Ländern und ihren Kommunen eine gleichberechtigte Teilnahme an der Finanz- und Wirtschaftsentwicklung in einem vereinten Deutschland möglich wird. Die neuen Länder, so hatte Walter Romberg errechnet, werden bis Ende 1994 mit insgesamt über 90 Milliarden DM verschuldet sein. Das bedeutet, daß jede zweite Mark der Ausgaben der fünf Länderhaushalte 1994 mit Krediten finanziert werden muß. Nach Abschluß der Verhandlungen zum Einigungsvertrag hat sich herausgestellt, daß dieseZahlen sogar noch zu niedrig eingeschätzt worden sind.Auch der heutige Nachtragshaushalt ist ein Beweis dafür, daß der von der Bundesregierung im ersten Staatsvertrag seinerzeit vorgesehene Ausgaben- und Verschuldungsrahmen für 1990 und 1991 völlig unrealistisch und viel zu niedrig war. Bekanntlich war im Staatsvertrag für 1991 eine Ausgabenhöhe von 120 Milliarden DM für das Gebiet der DDR festgesetzt worden. Walter Romberg dagegen hielt mindestens 140 Milliarden DM für erforderlich. Der Bundesfinanzminister nannte vor kurzem 140 bis 150 Milliarden DM.Ich jedenfalls möchte nicht, daß die neuen Bundesländer und ihre Gemeinden finanzwirtschaftlich und ökonomisch zweitklassig bleiben
und durch ständig steigende Zinsbelastungen und Verschuldung unselbständig und und wirtschaftlich rückständig werden.Die derzeit erkennbare Finanzausstattung für die kommenden Jahre schafft noch keine Voraussetzungen für eine eigenständige Struktur- und Regionalpolitik, eine bürgernahe Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung für die neuen Länder und ihre Gemeinden. Das waren die großen Sorgen von Walter Romberg und der sozialdemokratischen Fraktion in der Volkskammer. Hier lagen die unterschiedlichen Bewertungen der ausgehandelten Regelungen im Staatsvertrag, die zu dem politischen Bruch zwischen dem Ministerpräsidenten und dem zuständigen Finanzminister führten.Ich hoffe, daß dieses Parlament schon am Beispiel des Haushalts für das kommende Jahr eine Verantwortung für alle Bürger in dem vereinten Deutschland empfindet und wahrnimmt
und daß der Bund und die elf alten Bundesländer unseren neuen Ländern und ihren Gemeinden dann eine ausreichende finanzielle Grundlage schaffen, die die finanzielle Basis für eine Politik der Gesundung, des Aufschwungs und der Beschäftigung bietet.Wir Deutschen in den fünf neuen Bundesländern und in Ost-Berlin haben die Einheit gewollt. Wir haben in den Kirchen und auf den Straßen der DDR die deutsche Zukunft neu entschieden. Wir haben im Herbst letzten Jahres und danach Phantasie und Durchsetzungsvermögen bewiesen.
Selbst interpretierten wir die drei Buchstaben „DDR" mit den Worten „der doofe Rest" . Das galt für das alte System, den alten Staatsapparat — nicht für seine Bürger.Bundesbürger haben uns früher viele gute Ratschläge im Umgang mit unseren Herrschern gegeben. Als wir unser Geschick selbst in die Hand nahmen, war man im Westen zunächst sprachlos. Die Bürger der neuen Bundesländer haben nach dem Herbst viele Fähigkeiten bewiesen. Nach der Besetzung der Stasi- und SED-Kreisleitung bei uns in Greifswald am 4. Dezember 1989 konnte ich nachlesen, wie die Ka-18150 Deutscher Bundestag 11 Wahlperiode 229. Sitzung, Bonn, Freitag, den 5 Oktober 1990Kuessnerderpolitik des alten Machtapparats funktionierte. Fachwissen war zweitrangig.Wir haben nicht gezögert, nach den Demonstrationen auf der Straße Verantwortung zu übernehmen. Die Entwicklung ging nach dem 9. November 1989 so schnell, daß keine Zeit zur Vorbereitung blieb. Viele von uns haben Tag und Nacht gearbeitet.Ich könnte viele Beispiele aus meiner Wohngegend in Vorpommern aufzählen: Die Menschen in der Fischverarbeitung, in der Landwirtschaft, in der Nachrichtenelektronik, in den Verkaufshallen und in den Werften arbeiten seit Januar mit höchstem Einsatz an der Umstrukturierung.Natürlich läuft nicht alles nach Wunsch. Die alten Kräfte streuen immer wieder Sand ins Getriebe. Sie haben den alten Apparat voll genutzt und sich im Vokabular auf Demokratie und Soziale Marktwirtschaft eingestellt. Aber sie verzögern den Aufbau einer gesunden Wirtschaft. So verhindern sie die Umstrukturierung der Kombinate
und lassen gesunde Betriebsteile Wasserköpfe der Leitung und Verwaltung bezahlen. Diese Betriebsteile werden so mit in den Abgrund des Konkurses getrieben. Das Kombinat Fischwirtschaft in Rostock ist dafür leider kein Einzelbeispiel.Durch die Verzögerung der Umstrukturierung werden weitere Arbeitsplätze gefährdet. Oder: Ein Landrat verweigert seine Unterschrift unter einen Pachtvertrag, und so wird die Reprivatisierung einer Bootswerft zunächst in Frage gestellt. Aber es kommt auch vor, daß westdeutsche Betriebe die neuen Marktanteile unter sich aufteilen und keine Rücksicht auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern nehmen.
In der Presse liest man viele negative Beispiele und nur sehr wenig von guten Ansätzen. Den Umgang mit den Medien müssen wir erst lernen. Wir können unsere Taten noch nicht verkaufen. Es ist aber ein ganz falsches Bild, wenn hier der Eindruck entstanden ist, im Osten Deutschlands warte man nur auf die Hilfe aus dem Westen.Wir freuen uns, jetzt in dem geeinten Deutschland zu leben. Mit der Einheit verbinden wir viele Erwartungen und Hoffnungen. Aber die Bereitschaft, Zeit und Kraft für das Neue einzubringen, ist bei den meisten Menschen übergroß. Der Wissensdurst und die Lernbereitschaft werden von Umschulungsleitern immer wieder bestätigt. Uns ist bewußt, daß die Soziale Marktwirtschaft der bisherigen Bundesrepublik nicht einfach kopiert werden kann. Wir können das Alte nicht einfach abschütteln und bei Null beginnen. Es müssen Übergänge gestaltet und neue Lösungen gesucht werden.Ich will nur auf die Landwirtschaft verweisen: Natürlich sollen private Betriebe Chancen erhalten. Es werden vielleicht auch mehr Betriebe werden, als wir vor kurzem noch dachten. Aber wir brauchen neue Wirtschaftsformen. Unsere Menschen entwickeln solche Formen. Ich könnte viele Beispiele aus dem KreisDemmin und anderswo aufzählen. Bei uns leben und arbeiten Menschen mit qualifizierter Ausbildung und dem Willen, Neues zu lernen und länger als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Darum sollten wir in Arbeit und nicht in Arbeitslosigkeit investieren.
Das ist es, was unsere Menschen nicht verstehen. Sie wollen etwas schaffen, aber plötzlich werden sie anscheinend nicht gebraucht. Sie sehen die Arbeit, aber man gibt sie ihnen nicht. Die Initialzündung darf nicht länger verzögert werden.
Die Infrastrukturmaßnahmen müssen schnell und zielgerichtet für die Verbesserung der Fernsprechnetze, der Bahn- und Straßenverbindungen eingesetzt werden. Je eher dieses Geld eingesetzt wird, desto kostengünstiger wird die Einheit. Bei den Maßnahmen für Bahn und Straßen sollte berücksichtigt werden, daß wir die Einheit Europas wollen und unsere Ostgrenzen wichtige Brücken des Handels und der Völkerverständigung werden sollen. Darum sollten Pläne z. B. für eine Autobahn an der Ostsee über die Oder weitergeführt werden. Wir müssen zeigen, daß es uns nicht nur um Deutschland, sondern auch und gleichwertig um Europa geht.
Infrastrukturmaßnahmen sind das eine; das andere sind Fördermaßnahmen, die die neuen Bundesländer zu einem interessanten Industriestandort machen. Zonenrand- und Berlinförderung müssen dorthin, wohin sie gehören.Der Bundespräsident sagte am Tag der Einheit: „Sich zu vereinen heißt teilen lernen". Die Bürger der neuen Bundesländer wollen nicht nur Geschenke entgegennehmen, sie wollen etwas leisten. Unsere Aufgabe in diesem Hohen Haus wird es sein, dafür die Weichen zu stellen. Tun wir es jetzt und nicht später, und tun wir es zusammen! Dann werden wir für den weiteren Abbau der Mauern zwischen Ost- und Westeuropa einen guten Schritt tun.Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rose.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht die Haushaltsfachleute hat die SPD heute in den Ring geschickt, sondern die Politpropagandisten.
Davon, daß von den bisherigen bundesdeutschen Haushaltskollegen niemand da ist, hat sich angenehm abgehoben, daß ein neuer Kollege offensichtlich ein neuer Star zu werden scheint. Ich war sehr dankbar,
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Dr. Rosewie Sie Ihre Vorstellungen aus der Sicht der bisherigen DDR vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, was die Kollegin Matthäus-Maier heute vorgetragen hat, war nichts anderes — das macht sie seit Wochen, ja seit Monaten — als das Zusammenrühren aller möglichen Meinungen, um Wahlkampf zu machen. Das hat nichts mit Fachaussagen zu tun.
Das ist vielmehr typisch dafür, was die Frau Kollegin macht.
— Ich habe Verständnis dafür, daß Sie jetzt wegwollen. Schließlich haben Sie ein schönes Ziel: das Hofbräuhaus in München. Ich wünsche Ihnen ein Maß Bier, damit Sie hinterher besser reden können.
Während Sie hinausgehen, sage ich Ihnen noch: Es war unredlich, was Sie heute über die „Töpfchenwirtschaft" gesagt haben. Im Haushalt ist nichts von einer „Töpferlwirtschaft" zu sehen. Vielleicht sehen Sie als Frau eher die Töpfe; das kann ja sein.
Wir haben aber nur zwei Töpfe, nämlich den Fonds Deutsche Einheit, dem alle, auch die SPD-geführten Bundesländer zugestimmt haben, und den Kreditabwicklungsfonds, der später ebenfalls über die Treuhandanstalt abgewickelt wird.Meine Damen und Herren, das ist alles. Deswegen hätte man kein Leipziger Allerlei verbraten sollen und schon gar keinen Matthäus-Maierschen Wahlkampfbrei.
Meine Damen und Herren, wir behandeln heute den Nachtragshaushalt. Ich möchte deshalb auf diesen Haushalt zu sprechen kommen und begründen, warum es auch uns nicht angenehm ist, zum dritten Mal in einem Jahr einen Nachtragshaushalt zu beraten.Normalerweise ist es als Haushaltspolitiker unsere Aufgabe, Verläßlichkeit zu bringen und Vertrauen in die öffentlichen Haushalte zu schaffen. Die Wirtschaft, die Behörden und vor allem die Steuerzahler müssen sich verlassen können. Wir haben diesem Ziel sieben Jahre lang gedient. Ungewöhnliche Zeiten verlangen aber ungewohnte Reaktionen. So haben wir notgedrungen den dritten Nachtragshaushalt des Jahres 1990. Dieser ist aber sparsamst ausgefallen, so daß ich die unangemessene Kritik der Opposition zurückweisen möchte.Es geht inzwischen nicht mehr um Rechthaberei, wie wir es bei Herrn Lafontaine ständig feststellen. Es geht nicht darum, wer die Kosten der Vereinigung am besten vorausgesagt hat. Das allein ist keine Lösungung und auch keine Leistung. Im Gegenteil, es hat immer den faden Beigeschmack, daß man die Einheit Deutschlands gar nicht wollte. Das ständige Gerede von Kosten und Steuererhöhungen
hat leider eine innere Barriere gegenüber den neuen Bundesbürgern geschaffen,
hat sie zu Kostgängern abgestempelt — so haben Sie es gesagt, Herr Kuessner —, hat sie zu unerwünschten Deutschen gemacht. Das ist leider die Folge des unverantwortlichen Malens von Schreckgespenstern.
Wir stellen im bayerischen Landtagswahlkampf fest, daß die SPD-Kollegen, also Ihre Kollegen, genau das Gegenteil von dem machen, was Sie wünschen. Sie ziehen nämlich immer noch durch die Wirtshäuser und heulen den Stammtischlern vor, sie müßten wegen der DDR nun auf alles verzichten; sie müßten auf Sportplätze, auf Kindergärten, auf Wohnungen usw. verzichten.
Das sage ich ganz bewußt, denn wenn wir uns daran zurückerinnern, daß z. B. Sachsen noch vor dem Zweiten Weltkrieg das große Land war, in das die Bayern fuhren, um zu arbeiten, dann ist es um so schäbiger, wenn man der DDR jetzt im nachhinein alles mögliche vorwirft. Liebe Kollegen von der Sozialdemokratie, ich bitte Sie, daß Sie zumindest den bayerischen Abgeordneten — ich bin aber sicher, das findet auch woanders statt — endlich sagen, sie sollten aufhören, von dieser Spalter-Politik zu reden. Sie sollten unser geeintes Vaterland in Zukunft auch haushaltsmäßig weiter begleiten.Der SPD-Kanzlerkandidat ist inzwischen Gott sei dank eine Stufe weitergesprungen: Er predigt Solidarität. Jetzt erkennt er plötzlich an, daß wir auf Grund der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gute Voraussetzungen haben, um mit manchen großen Schwierigkeiten fertig zu werden. Um diese Leistungsfähigkeit zu erhalten, muß aber das Gerede von einer neuen Steuer-und Abgabenbelastung aufhören. Auch die neue Masche furchterregender Prognosen über Haushaltsdefizite hilft auch nicht. Der richtige Weg ist die Begrenzung öffentlicher Ausgaben, das Eindämmen der Begehrlichkeit von Ministerien und Subventionsjongleuren. Der Haushaltsausschuß sollte die Bundesregierung auf diesem Weg unterstützen oder sie erst auf diesen Weg bringen.
So böte die Einheit auch die Chance, in der bisherigen Bundesrepublik das Gestrüpp von öffentlichen Verschwendungen zu durchforsten. Der Bund der Steuerzahler und sein Karl-Bräuer-Institut haben dazu gute Vorschläge gemacht. Auch Bundesbankchef Pöhl
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Dr. Rosesieht in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden noch genügend Spielraum, um die Anschlußfinanzierung ohne Steuererhöhungen zu gewährleisten.
Herr Abgeordneter Rose, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich weiß ja, daß das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Obwohl es spätnachmittags ist, lasse ich Ihre Zwischenfrage zu. Bitte sehr.
Ich habe nur eine einfache Frage an Sie. Ich habe ein bißchen Verständnisschwierigkeiten.
— Das mag sein, aber ich habe trotzdem immer Auskunftsbedürfnis, im Gegensatz zu Ihnen. — Sie reden von der Begehrlichkeit der Ministerien. Das ist ja klar. Aber können Sie mir erklären, warum der Bundeskanzler gestern fünf neue Minister ernannt hat, statt überflüssige Minister in die Wüste zu schicken, um dafür manche aus den neuen Bundesländern in sein Kabinett aufzunehmen? Wenn diese Begehrlichkeit Ihr Hauptproblem ist, dann hätten Sie heute doch genau sagen müssen: Herr Bundeskanzler, lassen Sie das mit der Ernennung fünf neuer Minister; schicken Sie beispielsweise die Frau Wilms weg, denn die ist jetzt völlig überflüssig.
Herr Kollege Roth, Sie erwähnen hier nichts anderes als das, was die SPD heute und auch bereits in den letzten Tagen ständig erklärt hat. Wenn vorhin gesagt wurde, wir machten nur auf Steuerzahlers Kosten Wahlkampf in der DDR, dann sage ich: Alle, die wir hier sitzen, fahren auf Steuerzahlers Kosten zum Wahlkampf in die DDR,
Sie genauso. Sie fahren auch auf Fraktionskosten ber, und Sie sollten deshalb nicht auf neue Minister schimpfen.
Meine Damen und Herren, die Zahlen des Nachtragshaushalts haben manche SPD-Experten auf dem falschen Fuß erwischt. Sie haben ja prophezeit, daß es 25 Milliarden DM, 30 Milliarden DM oder noch mehr bringe. Jetzt sind es halt nur 20 Milliarden DM geworden. Das heißt: Man hat mit den ständigen Vorhersagen Pech gehabt. Weil man sich mit den Vorhersagen getäuscht hat, flüchtet man in neue Verdrehungen. Daher muß einfach etwas anderes angeprangert werden.
Ich möchte dazu folgendes sagen: Ein enorm großes Problem ist die Verschuldungsrate der öffentlichen Haushalte. Wir dürfen es uns deshalb auch nicht zu bequem machen und nur die Zukunft belasten. Wir brauchen den Sparzwang. Der Bundesrechnungshof hat uns auch immer wieder wertvolle Anregungen gegeben, aber es bedarf eines politischen Willens. Deshalb sind in bezug auf den Haushalt des Jahres 1991 die neuen Haushaltspolitiker, die neuen Abgeordneten gefordert. Sparhaushalte gibt es überall, z. B. in den USA, in Spanien, in Griechenland. Wenn wir die Kraft aufbringen, den Haushalt ab dem nächsten Jahr durch Sparen und nicht durch neue Ausgaben zu gestalten, dann bedarf es keiner Steuererhöhungen. Dann können wir ohne eine Doppelbelastung unserer Bürger — einerseits durch Steuererhöhungen, die Sie wollen und die Sie auch nie mehr zurücknehmen würden, und andererseits durch eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft — auskommen. Auch das muß den Kollegen von der SPD gesagt werden, denn es ist einfach schäbig, wenn man dem Bundesfinanzminister vorwirft, er spare zu wenig und er mache zu viele Schulden.
Alles, was im Nachtragshaushalt steht, wird für die Entwicklung im Zusammenhang mit der Vereinigung Deutschlands ausgegeben. Die SPD kann sich ja nicht davon ausschließen, daß sie ebenfalls sowohl für den Golf wie für die DDR wie für diese neuen Aufgaben Geld geben müßte. Wir haben im Grunde genommen keine weit auseinanderklaffende Position. Sonst hätte die SPD nicht gewünscht, daß wir im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages demnächst ein Hearing veranstalten, wo wir uns genau erkundigen, was alles gelaufen ist und wie wir in Zukunft den Haushalt öffentlich gestalten können.
Ich möchte Sie bitten, zusammen — seit wir jetzt vereint sind — eine Politik zu betreiben, die unserem gesamten deutschen Vaterland nützt und die aufhört, zwischen West und Ost, zwischen Nord und Süd und zwischen Arm und Reich zu spalten. Wir sollten jetzt vielmehr gemeinsam die Chance nutzen, dieses Deutschland im Rahmen eines freien Europas in eine gute Zukunft zu bringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tschiche.
: Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Zahlen ist hier sehr viel geredet worden, auch über den Haushalt. Ich möchte einen Augenblick über die politischen Hintergründe und die gesellschaftlichen Interessen nachdenken, die diesen Einigungsprozeß vorangetrieben haben.Das, was gesagt worden ist, nämlich daß zusammenwachsen soll, das zusammengehört, hat sich zu einer Sturzgeburt entwickelt. Das heißt, die Ereignisse haben die Politiker überholt, und zwar in einer Weise, mit der niemand gerechnet hat. Das hängt damit zusammen, daß dahinter offenbar ganz handfeste politische und wirtschaftliche Interessen waren. Man
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Tschichehat die DDR-Wirtschaft, die in einem desolaten Zustand war, weiter aushungern lassen.
Die westlichen Geldgeber haben gesagt: Noch seid ihr uns zu teuer. Wir warten noch, bis wir eure Betriebe für einen Apfel und für ein bißchen anderes übernehmen können. Das heißt, hier standen die Ideen, die Grundsatzentscheidungen der westlichen Geldgeber den Interessen der Bevölkerung des Landes, die wir hier in diesem Bundestag vertreten wollen, gegenüber.Wir haben den Eindruck, daß die fünf Länder der ehemaligen DDR, dieses Ostdeutschland, praktisch zum Sizilien der künftigen gemeinsamen deutschen Republik werden. Das ist die Schwierigkeit, vor der wir stehen.
— Das Tempo ist von den politischen Entscheidungen der westlichen Politiker bestimmt worden.
Die westlichen Politiker haben unseren Leuten gesagt: Wenn ihr uns vertraut, dann bekommt ihr sehr schnell die Einheit. Niemandem soll es schlechter gehen als vorher. — Das habt ihr unseren Leuten gesagt.
Frau Matthäus-Maier hat die Währungsunion erfunden. Sie haben sie übernommen. Sie haben am 1. Juli die neue Währung eingeführt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Währungsunion und Wirtschaftsunion. Merkwürdigerweise hat er das Wort „Sozialunion" vergessen. Das ist im Grunde doch kennzeichnend für die Situation, in der wir uns befinden.
Wenn Sie so schon mit uns in Ostdeutschland umgehen, wie werden Sie erst mit den Osteuropäern umgehen? Denn Europa wird nur existieren können, wenn auch die Osteuropäer in diesem künftigen gemeinsamen europäischen Verbund ihren entsprechenden Platz finden. Das ist doch im Grunde genommen die ganz große Schwierigkeit, vor der wir stehen.
Herr Abgeordneter Tschiche, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, haben Sie vergessen, daß die Währungsunion mit einer breiten Mehrheit der frei gewählten Volkskammer eingeführt worden ist?
Ich habe dies nicht vergessen. Aber ich weiß genauso gut wie Sie, daß sich die Versprechungen, die damit verbunden waren, nicht erfüllt haben. Auch Herr Waigel hat sich geirrt. Er hat gesagt: Wir brauchen im Grunde nicht mehr Geld. Herr Romberg ist hier schon zitiert worden. Es ist schon gesagt worden, daß er damals mit einer Summe zwischen 10 und 17 Milliarden DM gerechnet hat. Da hat man gesagt: Angstmacher. Sei sagen immer wieder: Angstmacher.
Aber ich denke, wenn die fünf Länder in diese gemeinsame Republik hinzukommen, dann werden Sie erfahren, daß in diese Bundesrepublik ein anderes sozialpsychologisches Potential einwandert. Sie werden in einer gewissen Weise auf diese fünf Länder Rücksicht nehmen müssen.
— Ich kenne Ihre Rituale noch nicht so genau. Ich habe mich sowieso über die Rituale in diesem Haus gewundert.
— Ich lasse mich auf diese Sache nicht ein.
Herr Abgeordneter Tschiche, lassen Sie sich nicht leimen. Das geht alles von Ihrer Redezeit ab.
Ja, ja. Das können Sie ruhig machen.Ich will nur noch einmal in Klammern sagen: Was mir in diesem Parlament aufgefallen ist, sind die Rituale. Sie sind weder willens noch in der Lage, einander zuzuhören.
Sie werden dafür bezahlt, daß Sie für die Bevölkerung eintreten. Ich habe den Eindruck, Sie sind eine abgehobene Gesellschaft, fast wie die Konsistorien in den Kirchen, die vergessen, wie es den Leuten vor Ort wirklich geht. Das finde ich nachgerade unerträglich.
Aber das nur als eine Klammerbemerkung zu dem, was ich in diesem Parlament beobachte.
Wir
hören Ihnen zu! b) Warum sind Sie hierhergekommen?)
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18154 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
TschicheIch kehre zurück zum Thema Osteuropa. Die Situation, die wir in Osteuropa haben, wird von einer immensen sozialen und politischen Kraft werden, wenn es uns nicht gelingt, in ganz Europa eine Gesellschaft aufzubauen, die bestimmte Fehler der Industriegesellschaften vermeidet. Denn die DDR-Bevölkerung ist im Grunde von einem Weg, der eine Sackgasse war, in eine andere Gesellschaft umgestiegen. Aber wissen Sie eigentlich nicht, daß die westlichen Industriegesellschaften die Ursachen für die weltweiten Katastrophen sind, die uns bevorstehen?
Es ist an der Zeit, daß diese vor uns stehenden weltweiten Katastrophen neue politische Antworten bekommen. Der Eindruck ist, daß dieser Bundestag dazu nicht in der Lage ist. Hoffentlich entscheiden sich die Wählerinnen und Wähler so, daß in Europa, und damit für die ganze Welt, eine andere weltweite gerechte Gesellschaft aufgebaut wird, die auch ökologisch ihre Folgen hat.
Herr Abgeordneter, zwei oder drei Kollegen aus dem Hause wollen Zwischenfragen stellen.
Bitte.
Herr Kollege Tschiche, stimmen Sie mit mir überein, daß Sie als Provinzialpfarrer der Kirchenprovinz Sachsen auch etwas abgehoben waren, wenn Sie das auf das Konsistorium beziehen, und das möglicherweise noch sind?
Ich will Ihnen darauf eine Antwort geben: Ich habe insgesamt 18 Jahre die Evangelische Akademie geleitet. 10 % derjenigen, die in der Evangelischen Akademie waren, sind in die Politik der erneuerten DDR gegangen. Das heißt, ich war nach meiner Ansicht doch ziemlich nah an den Problemen der Leute in diesem Lande,
im Gegensatz zu manchen Kirchen, die immer noch auf Anpassungskurs waren und immer noch von dem real existierenden Sozialismus gesprochen haben, den man nicht kritisch befragen dürfe, weil man dann nicht politikfähig sei. Das waren die Probleme.
Herr Abgeordneter Rüttgers, bitte sehr.
Herr Abgeordneter, nachdem Sie etwas mehr als zehn Stunden die Debatten in diesem Hause verfolgen, finden Sie es nicht peinlich, daß Sie dann schon zu einem abgeschlossenen Urteil über die Arbeit in diesem Hause kommen?
Der erste Eindruck ist immer der ungeschminkte Eindruck. Ich habe Angst, daß ich mich daran gewöhne, wie hier Politik gemacht wird. Es mag sein, daß ich Ihnen vielleicht im Einzelfall Unrecht tue. Ich gehe auch davon aus, daß die einzelnen in diesem Land und in diesem Parlament aufrechte Leute sind. In dem Augenblick aber, in dem wir als Blöcke auftreten, vergessen wir sehr oft, wer wir sind und was wir eigentlich vertreten. Das ist die Macht der Organisation. Wir haben sie zur Genüge in unserem Land zu spüren bekommen.
Noch eine Zwischenfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich komme aus SachsenAnhalt, Region Bitterfeld. Das sagt Ihnen etwas.
Herr Abgeordneter, wie oft waren Sie in der letzten Zeit im Lande, um solche Angstmacherei zu betreiben? Inwieweit kennen Sie eigentlich das, was die Leute in der DDR vor Ort inzwischen getan haben? Inwieweit wissen Sie z. B., daß in der Region etwas zusammengebaut worden ist, was in Europa einmalig ist? Wieweit kennen Sie die Projekte, die dort laufen, nämlich neue Industrie anzusiedeln, die zum Teil schon zur Wirkung kommen? Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie haben noch ein Defizit.
Bei Ihrer Nachfrage tun Sie so, als wäre auch ich schon ein Höhenflieger, der die politische Situation vor Ort nicht mehr kennt, der sich um die Situation nicht kümmert. — Das Problem, das ich habe, etwa in der Region Bitterfeld und in anderen Orten in unserem Wahlgebiet, in unserem gemeinsamen Wahlgebiet, ist im Grunde, daß die Situation so schwierig ist und daß der Aufbau einer neuen Industrie in diesen Regionen erstens verzögert wird und daß er zweitens, wenn er jetzt gemacht wird, an bestimmten Schwierigkeiten hängenbleibt, nämlich etwa an der Schwierigkeit, daß eine ökologisch vertretbare Industrie nicht aufgebaut wird, daß die Ideen der Dezentralisierung von Industrie und Gesellschaft im Grunde gar nicht greifen. Das ist das Problem, das ich habe.Erlauben Sie mir noch einen Satz: Ich denke, wir müßten in den Regionen, in denen wir zusammen leben, zusammenstehen, damit wir für die Regionen gegen die Mächtigen, die mit dem Geld über unser Land kommen, bestehen können. Wir fünf Länder müssen eine Art Solidargemeinschaft bilden, damit wir uns in der künftigen deutschen Republik wirklich vertreten können.
— Das ist natürlich sozusagen eine schöne Fangfrage, die Sie da stellen. Gut, das kann man auch machen.Ich schaue jetzt einmal auf die Uhr. — Ich habe noch zwei Minuten. — In dem Zusammenhang, der vor dem Hintergrund unserer Haushaltsdebatte bedacht werden sollte, war ich eben bei Osteuropa angelangt.Ich meine, diese Haushaltsdebatte, die ich hier erlebt habe, die ganzen Finanzierungsgeschichten, die
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Tschicheich hier zur Kenntnis nehmen mußte, die Art und Weise, wie man Wirtschaft aufbauen will, zeugen offensichtlich davon, daß die notwendige politische und gesellschaftliche Veränderung, die zu einer Rettung — so sage ich jetzt einmal etwas dramatisch — des gesamten Globus führt, hier noch nicht vollzogen worden ist. Ich hoffe nur, daß mit der Veränderung in den Regionen bereits angefangen worden ist, d. h. daß das Bewußtsein dafür, daß auch sie in Politik, in Finanzpolitik und in Wirtschaftspolitik nicht so weitermachen können, wie sie das bisher gemacht haben, endlich wächst. Wir, die wir aus den Bürgerbewegungen kommen und mit den Bürgerbewegungen in Westeuropa und in Osteuropa zusammenstehen, wollen erreichen, daß unsere Ideen, unsere Gedanken einer veränderten Gesellschaft, in der die Bürgerinnen und Bürger an den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen als mündige Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden, vorangebracht werden.Wir haben den längeren Atem. Ich versichere Ihnen: Die politische, ökonomische und gesellschaftliche Landschaft wird sich verändern. Wenn sie sich nicht verändern, dann wird die globale Katastrophe kommen, und zwar so sicher wie das Amen in der Kirche. Das muß man sich einmal klarmachen. Das heißt, dieser Einheitsprozeß, den wir erleben, und das Ende der Nachkriegsgeschichte ist die Möglichkeit, neue politische, gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Zielvorstellungen zu artikulieren und zu versuchen sie in Politik umzusetzen.
Ich denke, das ist eine dringende Aufgabe. Wir Leute aus der DDR, die aus der Opposition kommen, werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen, auch wenn Sie uns Kassandrarufe und alles mögliche andere unterstellen. Ich denke, die politischen Aufgaben stehen noch vor uns. Auch die Bundesrepublik hat sie bis zum heutigen Tage eigentlich nicht gelöst.
Das Wort hat Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe meinem Vorredner insofern recht, als wir immer wieder Anlaß haben, über den Umgang miteinander nachzudenken. Ich halte es insbesondere für völlig unerträglich, wenn man den politischen Gegner in diesem Hause nur deshalb, weil er eine andere Meinung vertritt, als unanständig bezeichnet, wie es eben ein Kollege der SPD getan hat,
wie es der Kollege Roth von der SPD meinte tun zu müssen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser langen Woche geht es Ihnen wahrscheinlich ähnlich wie mir. Wir alle wollen gerne nach Hause. Deshalb möchte ich nur einige wenige Sätze zu den zweiPunkten anbringen, die mich im Moment bewegen. Zunächst einmal möchte ich etwas zum Verteidigungshaushalt sagen.Wir haben schon in der Diskussion über den ersten Nachtragshaushalt bewiesen, daß wir bereits in diesem Jahr mit der Abrüstung, mit der Trendumkehr bei den Verteidigungsausgaben, Ernst machen wollen. Die Daten, die Frau Kollegin Vennegerts zum Verteidigungsbereich vorgetragen hat, werden durch die Emphase, mit der sie dies hier getan hat, nicht wahrer und nicht richtiger.
Es ist mir eine ganz besonders große Freude, feststellen zu können, daß der Verteidigungsetat gegenüber dem ersten Nachtragshaushalt noch einmal um weitere 400 Millionen DM und damit um insgesamt fast 1 Milliarde DM gegenüber dem Haushaltsansatz 1990 gekürzt wurde. Dies zeigt, daß die von mir zu Beginn dieses Jahres vorgelegten Kürzungsvorschläge sämtlich realistisch waren. Ich sage dies auch im Hinblick auf die Einlassungen des verehrten Kollegen Rose, der wie der Kollege Kühbacher von der SPD während der Aussprache über den ersten Nachtragshaushalt meinte, die von uns auf rund 800 Millionen DM bezifferte Ausgabenkürzung als unseriös kritisieren zu müssen, nicht ohne Genugtuung.
Der jetzt zur Beratung anstehende Regierungsentwurf bestätigt die Richtigkeit der von uns in dieser Weise eingeleiteten Trendumkehr. Wir werden uns darüber hinaus in den Berichterstattergesprächen in der nächsten Woche darum bemühen, bei den einzelnen Positionen des Verteidigungshaushalts noch einmal sinnvoll zu kürzen. Unser Ziel ist dabei, daß der Einzelplan 14 im Jahr der Abrüstung auch nominal hinter dem Vorjahresansatz zurückbleibt. Im nächsten Haushaltsjahr werden die Verteidigungsausgaben dann deutlich weiter sinken.Wir ernten damit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Früchte der Fortschritte im West-OstVerhältnis, zu denen diejenigen beigetragen haben, die durch ihren persönlichen Dienst am Frieden die Sicherheit in Europa gestärkt haben. Ich denke, man kann es durchaus einmal wieder sagen, daß unser Dank an dieser Stelle den Soldaten der Bundeswehr, den Reservisten und den zivilen Mitarbeitern gilt.Die Begrenzung der deutschen Streitkräfte auf 370 000 Mann im Jahre 1994 verlangt von allen Verantwortlichen ein hohes Maß an Einfügungsvermögen in die menschlichen, sozialen und gesellschaftlichen Implikationen. Bundesaußenminister Genscher hat deshalb in seiner jüngsten Rede vor dem Bundeswehrverband völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß die Politik unsere Soldaten bei dem notwendigen Strukturwandel in den Streitkräften nicht allein lassen darf.
Dies wird uns dann nicht schwerfallen, wenn wir unsvon überholten Bedrohungsszenarien lösen und künf-
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Frau Seiler-Albringtig nicht fragen, wogegen die Soldaten eigentlich kämpfen sollen, sondern was sie schützen wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine solide Haushaltspolitik bleibt die Grundlage jeglichen Wirtschaftens. Wir sind deshalb gut beraten, einer Aufblähung der öffentlichen Haushalte im Zuge der Vereinigung zu widerstehen, um den dringend notwendigen wirtschaftlichen Handlungsspielraum nicht zusätzlich einzuengen. Ich sage dies besonders im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit anfallenden Entscheidungen im öffentlichen Dienst und den von der Bundesregierung im Nachtragshaushalt angemeldeten zusätzlichen Personalstellen.Einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in den nächsten Tagen und Wochen wird es sein, hier zu einer vernünftigen und sozial verträglichen Lösung zu gelangen. Wir wollen uns dabei von folgenden Kriterien leiten lassen: Zusätzliche Stellen sollen ausschließlich entsprechend der erweiterten Aufgabenstellung ausgebracht werden; es soll von der Möglichkeit, die Organisationsentscheidungen über die Fortführung einer Einrichtung bis zu drei Monaten hinausschieben zu können, nicht zuletzt im Interesse der Betroffenen nur in solchen Fällen Gebrauch gemacht werden, in denen eine Entscheidung über die Überführung einer Einrichtung der ehemaligen DDR auf den Bund oder andere nicht möglich ist; und die Struktur der zusätzlichen Stellen soll sich ausschließlich an der bisherigen Planstellenstruktur bei der Erfüllung von Bundesaufgaben orientieren.Eine abschließende Bemerkung aus ganz besonders gegebenem Anlaß. Angesichts der nur teilweise möglichen Übernahme von Bediensteten des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR gibt es bei den Betroffenen hinsichtlich ihrer persönlichen Zukunft Unsicherheit und Sorgen. Das ist verständlich. Überhaupt kein Verständnis — vor allen Dingen meine Kolleginnen bitte ich, mich nachhaltig zu unterstützen, ich denke aber, auch meine Kollegen werden dies tun —, hätte ich allerdings, wenn — dafür gibt es leider Anzeichen — diese Situation vorrangig zu Lasten der weiblichen Bediensteten gehen sollte, frei nach der alten Methode: den Männern die Arbeitsplätze, den Frauen den Herd. Ich rede als liberale Politikerin keiner Quote das Wort. Wir werden aber bei den Berichterstattergesprächen nachdrücklich darauf hinwirken, daß der Frauenanteil bei den zu übernehmenden Bediensteten in etwa der bisherigen Beschäftigungsstruktur entspricht, und dies auch bei der Diskussion des Bundeshaushalts 1991 überprüfen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schönebeck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich hoffe, daß die schlechte Tradition der Volkskammer, Gesetze abends zur Verfügung zu stellen, wenn sie am anderen Tag in erster Lesung verhandelt werden sollten, nicht in den Deutschen Bundestag überschwappt.
Wie Sie sehen, hat die PDS, und zwar ohne Mühe, quotiert Frauen in den Deutschen Bundestag gebracht. Ich denke, daß es dann, wenn das auch der CDU eines Tages gelänge, endlich aufhören würde, daß Frauen — sowie es eben bei Frau Matthäus-Maier passiert ist — als Kochtopfdenker bezeichnet werden.
Die CDU hat gestern — der Raum war zu groß, als daß man auf diese Zwischenfrage hätte eingehen können — eine etwas hämische Bemerkung zur Frage der Qualifizierung der PDS-Abgeordneten gemacht.
Das betrifft übrigens auch die Frauen. — Wir sind studiert und promoviert.
Ich finde es gut, daß es in der DDR möglich war, innerhalb von fünf Jahren ein Studium ordentlich zu beenden und dabei noch Kinder zu bekommen.
Ich denke, wir werden darüber zu reden haben, daß diese Möglichkeiten in Zukunft auf das ganze Bundesgebiet ausgeweitet werden.
Ich bin etwas traurig darüber, daß Herr Blüm nicht so lange durchgehalten hat, bis der letzte geredet hat.
Ich hatte ihm nämlich in der Nacht zur deutschen Einheit
— nein, der ist im Altestenrat! —
versprochen, daß wir uns noch kennenlernen werden. Ich bin nämlich sehr scharf darauf,
nachdem ich lange mit denen verhandeln mußte, die nicht ganz verstanden hatten, was Herr Blüm zu der Frage meinte, was man auf dem Gebiet der Gesundheils- und Sozialpolitik in der DDR tun muß.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18157
Frau Dr. SchönebeckIch möchte einige Bemerkungen zu der Situation der Rentner machen. Ich denke, daß Herr Blüm es sich mit dem einfachen Satz etwas leichtmacht: Denen wird es viel besser gehen, als es ihnen bei der SED gegangen ist.
Meine Damen und Herren, es geht ihnen im Moment schlechter, und zwar, weil die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Das ist die Wahrheit.
— Doch! Sie können doch die Lebenshaltungskosten in der DDR nicht ausrechnen, indem Sie sagen „Die Autos und die Farbfernseher sind billiger", wenn Sie dabei nicht berücksichtigen, daß das Brot um 100 %, 200 % teurer geworden ist. So geht das einfach nicht.
Eines muß ich dazu natürlich auch sagen:
Es sind einfach Milchmädchenrechnungen, die hier aufgemacht werden.
Ich sage Ihnen: Von Losungen haben die Menschen in der DDR die Nase voll; die hatten sie nämlich lange genug.
Ich hätte gern einmal Politiker, die solche Parolen verbreiten, in meinen Wahlkreis eingeladen, damit sie wissen,
wie ein Rentner in der DDR darüber denkt, wenn ihm angeboten wird: Wenn die Rente nicht reicht, dann kann er ja zum Sozialamt gehen. — Das ist demütigend.
Ich bitte Sie, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen: Die DDR hatte 3 500 Sozialfürsorgeempfänger. Sie haben 3,5 Millionen.
Ich würde dazu gern einmal die befragen, denen es, wie Sie meinen, so gutgeht.
Das Argument von Herrn Blüm ist immer das, daß sie alle irgendwelche Reichtümer angehäuft haben, daß sie zwar nur eine kleine Rente, aber noch irgend etwas im Hinterstübchen hatten. Ich frage Sie im Ernst: Wer hätte denn in 40 Jahren DDR Reichtümer anhäufen sollen?
— Da freut sich aber Frau Meier oder Frau Müller, wenn Sie ihr das sagen!
Ich möchte noch etwas zur Finanzierung des Gesundheitswesens sagen.
Herr Blüm gibt immer die Alternative: Entweder 12,8 % — die werden nicht reichen —, um das Gesundheitswesen für die Bürger zu finanzieren — — Das war auch vorher möglich. Dieses Gesundheitswesen konnte mit noch viel weniger finanziert werden. Ich kann Ihnen einmal den Unterschied zwischen Ihrem und unserem Gesundheitswesen sagen: Er besteht nicht in der Qualität, sondern er besteht in den — ungeheuren — Kosten. Herr Blüm weiß das auch. Deshalb haben Sie ja auch eine Gesundheitsreform gemacht.
Ich bin Herrn Waigel sehr dankbar dafür, daß er heute die Katze aus dem Sack gelassen und gesagt hat, wofür die 3 Milliarden DM Krankenkassenzuschuß eigentlich sind. Sie sind nämlich dazu da, die Pharmaindustrie zu unterstützen.
Den Ärzten wird zugemutet, für 45 % Entlohnung ihre Arbeit zu tun, während die Pharmaindustrie den ganzen Happen schluckt. Ab 1. Januar — so ehrlich war bisher noch kein bundesdeutscher Politiker, den Leuten das zu sagen — wird ihnen noch einmal in die Tasche gegriffen.Ich möchte
— nein — Ihnen ans Herz legen, daß die Rentner und die Menschen mit Behinderungen nicht die Verlierer der deutschen Einheit sein dürfen.
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18158 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Frau Dr. SchönebeckNicht jeder Mensch ist so „jung" und „dynamisch" wie unser Herr Krause
und wie andere, die hier verhandelt haben und über deren Einkünfte in den nächsten zwei Monaten ich hier gar nicht reden will.Man muß, glaube ich, als gegeben hinnehmen — damit müssen Sie leben — : Das war keine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Da war zunächst die Währungsunion; dann hat man zugesehen, wie die Wirtschaft den Bach heruntergegangen ist, und als gar nichts mehr übrig war, ging es an das Verteilen beim Sozialen. Wie eng der Haushalt dabei ist, hat Herr Waigel heute sehr deutlich gemacht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Ich hatte gestern bereits die verkommene Parlamentskultur erwähnt; die Zwischenrufe eben bestätigen das nochmals nachdrücklich.
— Wenn Sie das jetzt nicht mehr aushalten können, machen Sie eine Pause in Ihrem Büro oder stellen Sie sich unter die Dusche!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt dem Parlament heute in erster Lesung den Dritten Nachtragshaushalt für dieses Jahr vor, und dies ohne daß irgend jemand in diesem Hause abschätzen kann, ob die beantragte Erhöhung des Haushaltes ausreichend ist oder ob wir noch einen vierten oder fünften Nachtragshaushalt verabschieden müssen.
Die Kosten der Einheit, wie sie bis heute bekannt sind, belaufen sich auf mindestens 164 Milliarden DM. Dabei ist zu bedenken: Eine Milliarde hat neun Nullen und entspricht — die Rechenkünstler unter uns wissen dies natürlich — tausendmal einer Million.
Die Anmeldung einer solchen Summe für soziale oder ökologische Zwecke hätte früher nur ein mitleidiges Lächeln hervorgerufen. Daß dies noch längst nicht alle Kosten sein werden, wird vor allem dadurch deutlich, daß sich bislang alle düsteren Prognosen über die Entwicklung der ehemaligen DDR im nachhinein als unrealistisch herausstellten. Sie wurden stets von der Realität überboten. Zu allem Überfluß dürfen wir mit diesem Dritten Nachtragshaushalt die Kriegskasse unserer amerikanischen Freunde mit 3 Milliarden DM auffüllen, damit diese weiter am Persischen Golf die Freiheit und die Demokratie des
Emirs von Kuwait und des saudiarabischen Königshauses verteidigen dürfen.
— Das ist im Nachtragshaushalt. Sie müssen Ihre geistige Beweglichkeit auch nach so einer langen Debattendauer aufrechterhalten können, Herr Kollege.
Sollte der Golfkonflikt allerdings eskalieren, was niemand von uns hofft, so werden finanzielle und vor allem durch den dann zu erwartenden Ölpreisschock wirtschaftliche Belastungen auf die Bundesrepublik zukommen, die niemand abzusehen vermag. Hinzu kommen natürlich auch noch die 16 Milliarden DM für den Abzug der Truppen der UdSSR vom Gebiet der ehemaligen DDR.
Daß spätestens im Januar nach der Bundestagswahl mit Steuererhöhungen zu rechnen ist, zeigt das Vorgehen von Theo Waigel deutlich. Statt, wie bislang üblich, die Steuereinnahmenschätzung bereits im Oktober dieses Jahres vorzulegen, verschiebt der Bundesfinanzminister diese auf den Zeitraum vom 15. bis 20. Dezember, also auf einen Termin erst nach der Bundestagswahl.
Damit ist das Ergebnis dieser Einnahmenschätzung natürlich vorweggenommen: Die Steuereinnahmen des nächsten Jahres werden bei weitem nicht die prognostizierten Ausgaben decken.
Man braucht deshalb also kein Prophet zu sein, um absehen zu können, daß für das folgende Jahr mit weiteren und dann weit höheren Kreditaufnahmen des Bundes zur Deckung des Haushaltsdefizites zu rechnen ist.
Ein Beispiel als Beleg dafür soll genügen: So plante Norbert Blüm eine Anschubfinanzierung — und da schließe ich an meine Vorrednerin an — der DDR-Renten- und -Arbeitslosenversicherung im ersten Staatsvertrag von weniger als 3 Milliarden DM ein. Heute wissen wir, daß für 1990 mindestens 15 Milliarden DM benötigt werden. Für 1991 wird bereits jetzt eine Lücke von 22 Milliarden DM in der Sozialversicherung der ehemaligen DDR einkalkuliert.
Die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand betrug 1989 noch 32 Milliarden DM.
1990 werden es 120 Milliarden DM sein.
Für 1991 rechnen Experten mit 140 bis 150 Milliarden DM Defizit. Daß dies nicht ohne Folgen für das Zinsniveau bleiben kann, hat das Beispiel extrem hoher Zinsen in den USA in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Einen Vorgeschmack haben wir seit einigen Monaten auch in der Bundesrepublik.
Bei den vorliegenden Zahlen geht es also insgesamt um Größenordnungen — und das, glaube ich, machen sich hier im Hause bisher nur wenige deutlich —, die die finanzielle Ordnung der Bundesrepublik insgesamt in Frage stellen werden. Die sozialen Standards sollen oder können wohl auch nicht mehr auf das Gesamtgebiet des gemeinsamen Deutschland ausgedehnt werden. Mit dem Ende der Nachkriegsgeschichte scheint nicht nur die äußere, sondern auch
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18159
Wüppesahl
die innere Ordnung in Frage gestellt; denn das, was jetzt an Kosten auf uns zukommt, ist nicht mehr ohne entsprechende Einschnitte finanzierbar.
Bislang konnten die aufkeimenden sozialen Konflikte durch kostenaufwendige Gesetze oder Vereinbarungen befriedet werden. Diese ließen sich aus dem Zuwachs des Bruttosozialproduktes finanzieren. Bislang wurde der Sozialstaat trotz massiver Kürzungen insgesamt nicht mehr zur Disposition gestellt. Die sozial integrative Politik, so sehr um sie gestritten wurde, blieb im Grunde als Konsens im Lande unangefochten. Ohne sie gäbe es auch das „Modell Deutschland" nicht.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung — DIW — schätzt, daß das Gesamtdefizit der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik und in der DDR unter Einschluß des Fonds Deutsche Einheit 1990 fast 100 Milliarden DM betragen wird. Für 1991 wird ein Defizit von insgesamt 120 Milliarden DM erwartet. Auf diese Zahlen und deren Konsequenz, Steuererhöhungen, weiß der Bundsfinanzminister Theo Waigel selbst gegenüber seinen Parteifreunden nur noch pampig zu reagieren und ihnen in dieser wichtigen Sache Inkompetenz vorzuwerfen.
Man denke nicht daran — so läßt die christlich-liberale Regierungskoalition ein ums andere Mal verlautbaren — , die Einheit mit Steuererhöhungen zu finanzieren. Doch bleibt sie Erklärungen schuldig, wie sie die enormen Haushaltsdefizite decken will.
Die Pläne der Finanzierung der Einheit liegen in den Schubladen der Wirtschaftsforschungsinstitute und sicherlich längst in denen des Bundesfinanzministeriums, auch wenn der Minister so tut, als wisse er von nichts.
Steuererhöhungen werden kommen. Die Frage, die hier zur Debatte stehen sollte, müßte sein: Wer hat diese Steuererhöhungen zu erbringen?
Die Bundesregierung plant, die Wirtschaft um 25 Milliarden DM Steuern zu entlasten, um somit die Investitionstätigkeit — so lautet die aktualisierte Begründung — in der ehemaligen DDR anzukurbeln. Wer aber will einen Unternehmer daran hindern, die eingesparten Steuermilliarden nicht auf die hohe Kante zu legen, d. h. zinsgünstig auf dem internationalen Kapitalmarkt anzulegen, anstatt zu investieren, wie so häufig in den letzten Jahren? Will oder kann diese Bundesregierung nicht einkalkulieren, daß sich unternehmerischer Kapitaleinsatz weder an nationalem Pathos noch Staatsaktreden, sondern fast ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Kriterien — und das knallhart — orientiert?
Die geplante Steuerentlastung der privaten Wirtschaft ist das am wenigsten geeignete Instrument, der Wirtschaft der ehemaligen DDR unter die Arme zu greifen. Im Gegenteil. Diese geplante Steuersenkung um 25 Milliarden DM bei den ohnehin Privilegierten in diesem Land ließe das Haushaltsdefizit steigen, ohne daß damit langfristige Investitionen verbunden wären, und die Zeche müßten dann diejenigen bezahlen, die keine Unternehmer sind. Das ist die Mehrheit, vielleicht nicht hier im Bundestag, jedenfalls von ihrem subjektiven Empfinden her, aber doch in der Bevölkerung.
Die Wirtschaft in der ehemaligen DDR muß angekurbelt werden. Doch dies geschieht nicht durch Steuerentlastungen für die Wirtschaft, wobei sich 25 Milliarden DM wer weiß wohin verflüchtigten, sondern, wie es auch das schon erwähnte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorschlägt, durch gezielte Zulagen für Investitionen bundesdeutscher Unternehmen in der ehemaligen DDR und durch eine konsequente Schuldenentlastung der noch bestehenden Betriebe und Unternehmen in der DDR. Die Notwendigkeit, die Steuern zu erhöhen, kann als Chance betrachtet werden, sie auch als ökologisches Regulativ einzusetzen. Doch dazu bietet das Instrument der Steuergesetzgebung Möglichkeiten, aus der Not eine Tugend zu machen und mit einem Aufbruch in eine soziale und ökologische Marktwirtschaft zu beginnen. Allein der Wille fehlt bei dieser Bundesregierung.
Weiterhin schlage ich vor, die Veränderungen in den internationalen Beziehungen zum Anlaß zu nehmen, den Verteidigungshaushalt drastisch zu kürzen. Rüstungsindustrie hat nichts mit Arbeitsplatzsicherung zu tun. Im Gegenteil, mit den Kosten eines Arbeitsplatzes in der Rüstungsindustrie könnten vier bis fünf Arbeitsplätze in der zivilen Industrie finanziert werden.
Diese Vorschläge, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mache ich vor dem Hintergrund, den ich im mittleren Bereich meiner Rede dargestellt habe, daß angesichts dessen, was auf uns im Finanzbereich bei der Lösung der deutschen Einheitsprobleme zukommt, der soziale Konsens in diesem Lande in Gefahr kommen wird. Das werden wir schon in den nächsten Monaten erleben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, abweichend von der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Roth seine Ausführungen zu Protokoll gegeben. Ich frage das Haus: Ist es damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Das war eine Abweichung der Geschäftsordnung. Eine Änderung der Geschäftsordnung könnte auch durchgeführt werden, wenn offensichtlich mit den Meldungen zur Geschäftsordnung Mißbrauch getrieben wird.
Da wir aber so ziemlich am Ende einer Legislaturperiode sind,
werden wir auch das heute noch ertragen, wenn der Herr Abgeordnete Wüppesahl sich noch einmal zur Geschäftsordnung meldet, obwohl das Parlament bei Eintritt in die Tagesordnung beschlossen hat, daß diese Tagesordnung so, wie vorgelegt, abgewickelt wird. Danach ist keine Aussprache vorgesehen, die Herr Wüppesahl jetzt noch nachträglich wünscht. Ich bitte also dann noch um Geduld.
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18160 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Vizepräsident StücklenMeine Damen und Herren, die Aussprache ist geschlossen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 11/7950, 11/7982 und 11/8002 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Die Vorlage auf Drucksache 11/7982 soll allerdings nicht an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden, wie ursprünglich vorgesehen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Es gibt sie nicht. Damit sind die Überweisungen beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf.4. Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz
— Drucksache 11/7816 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 11/7978 —Berichterstatter: Abgeordneter Engelsberger
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Forstabsatzfonds— Drucksache 11/7839 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 11/8013 —Berichterstatter: Abgeordneter Pfuhl
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Augustin, Böhm , Börnsen (Bönstrup), Breuer, Buschbom, Clemens, Engelsberger, Fischer (Hamburg), Glos, Harries, Hauser (Krefeld), Frau Dr. Hellwig, Hinsken, Frau Hoffmann, (Soltau), Jäger, Jung (Limburg), Kossendey, Krey, Lenzer, Lummer, Magin, Müller (Wesseling), Nelle, Frau Rönsch (Wiesbaden), Schemken, Dr. Stark (Nürtingen), Uldall und der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDPUnterstützung des Aufnahmeantrages Taiwans in das GATT— Drucksache 11/7941 —c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÄnderung des Vorschlags einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über mit ionisierenden Strahlen behandelte Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile— Drucksachen 11/6423 Nr. 2.12, 11/7873 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Adlerd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates über Sicherheitsscheiben und Werkstoffe für Windschutzscheiben in Kraftfahrzeugen und KraftfahrzeuganhängernVorschlag für eine Richtlinie des Rates über Massen und Abmessungen von Kraftfahrzeugen der Klasse M 1Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Luftreifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern— Drucksachen 11/6864 Nr. 3.32, 11/7886 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Niesee) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Siebte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 11/7538, 11/7967 —Berichterstatter: Abgeordneter Funkef) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Achtundsechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 11/7539, 11/7966 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprungg) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 179 zu Petitionen— Drucksache 11/7942 —h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 180 zu Petitionen— Drucksache 11/7943 —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18161
Vizepräsident Stückleni) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 181 zu Petitionen— Drucksache 11/7944 —j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 182 zu Petitionen— Drucksache 11/7945 —Es handelt sich um eine Reihe von Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß. So hat es das Parlament beschlossen.Zur Geschäftsordnung hat sich der Herr Abgeordnete Wüppesahl gemeldet.
— Herr Abgeordneter Wüppesahl, wenn es um einen Schluck gekühlten Wassers geht — den lasse ich Ihnen auch auf den Platz zureichen.
Herr Präsident, ich bezweifele, daß Sie das tun würden, wenn ich mich nicht in der Situation wie im Augenblick befände.Es gibt verschiedenes Procedere. Bislang war es üblich, daß Veränderungen bei der Behandlung eines Tagesordnungspunktes direkt vor der Befassung mit diesem Tagesordnungspunkt — und zwar auf Empfehlung des Parlamentssekretariats — von mir oder von anderen beantragt werden mußten. Dies nur zu den Ausführungen, die diesem Geschäftsordnungsbeitrag vorgeschaltet waren.Meine Damen und Herren, mir geht es um etwas, was in der Bundesrepublik im Bereich der Umwelt- und Naturschutzverbände sehr viel Aufmerksamkeit gefunden hat, sowohl im Vorfeld der ersten Lesung, die auch erst wenige Wochen alt ist, als auch besonders vor der entscheidenden zweiten und dritten Lesung. Ich beantrage für den Tagesordnungspunkt 4 a— zweite und dritte Beratung des Stromeinspeisungsgesetzes — gemäß § 81 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die Eröffnung einer allgemeinen Aussprache.Ich bitte auch zu berücksichtigen, daß ich einen solchen Antrag nur hier stellen kann, weil mir die Möglichkeit verwehrt ist, im Ältestenrat auch bloß mit beratender Stimme anwesend zu sein.Ich beantrage diese allgemeine Aussprache zum Stromeinspeisungsgesetz vor dem sachlich-materiellen Hintergrund dieses Gesetzes, zu dem ich acht Änderungsanträge eingebracht habe.
— Herr Gerster, wir haben gestern schon einen Auftritt von Ihnen erlebt. Sie müßten eigentlich den Unterschied zwischen ihren Büttenreden im Karneval und der Situation im Bundestag kennen.
Diese acht Änderungsanträge stellen ungefähr das dar, was die Umwelt- und Naturschutzverbände an Forderungen gegenüber dem Gesetzgeber im Vorfeld der Gesetzesberatung formuliert hatten.Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dem das Verfassungsgericht am Samstag, nachdem es fast verdrängt wurde, wieder Geltung verschafft hat, bestimmt nun einmal — ob es Ihnen in den Fraktionsgeschäftsführungen paßt oder nicht — den Abgeordneten als Träger des Gesetzgebungsverfahrens und das Parlament als dessen Ort. Ich stelle diesen Antrag, damit meine Änderungsanträge überhaupt diskutiert werden können, denn ich kann auch in den Ausschußberatungen keine Änderungsanträge einbringen. Das ist eine Situation, in die unter Umständen auch noch die Kolleginnen und Kollegen der PDS in Kürze kommen werden.
Mittlerweile hat es sich eingebürgert, Gesetze sonstwo, bloß nicht im Parlament zu beraten und somit den einzelnen Abgeordneten — damit meine ich nicht nur mich, sondern auch die neuen und zum Teil auch fraktionslosen Abgeordneten aus der ehemaligen Volkskammer — aus dem Gesetzgebungsverfahren auszuschließen.Dieser Ausschluß wird perfekt, wenn dann auch noch im Parlament auf Grund der Hinterstubenvorarbeit eine Aussprache über das Gesetz abgesetzt wird— wie heute — und die zweite und dritte Lesung— nur dort kann ich als fraktionsloser Abgeordneter meine Vorstellungen einbringen — ohne Sachdebatte stattfindet. Sie wissen selbst, daß die zweite Lesung die entscheidende Lesung für jedes Gesetzeswerk ist.Zur Erfüllung meiner Pflichten als Mitglied der gesetzgebenden Gewalt bin ich, da ich keiner Fraktion angehöre, auf die parlamentarische Aussprache, auf die Debatte in der zweiten Lesung angewiesen, um meine Vorstellungen einzubringen.
— Dazu fällt mir nichts mehr ein. Sie als Oppositionsabgeordneter der SPD bewirken genausoviel wie ich,
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18162 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Wüppesahlnämlich gar nichts, weil die Mehrheit im Hause auf der anderen Seite sitzt.
Ich betreibe, Herr Kollege, Meinungsbildung genauso wie Sie, damit die Mehrheit in diesem Hause geändert wird. Und Sie fallen mir in dieser Situation auch noch in den Rücken! Das ist ungeheuerlich, was Sie machen.
Herr Abgeordneter, Sie wissen selber, daß Ihre Ausführungen längst über den Bezug zur Geschäftsordnung hinausgehen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich habe Sie nicht verstehen können, Herr Präsident.
Meine Fraktionslosigkeit, die politisch motiviert ist und in ihrer Quelle einem der vielen Willkürakte unserer Parteiendemokratie entspringt, wird mit dieser Tagesordnung zu einem krassen Nachteil gegen mich, weil eben keine Aussprache möglich scheint, gekehrt. Das richtet sich gleichzeitig gegen alle anderen fraktionslosen Kolleginnen und Kollegen. Diese Situation verkehrt gleichzeitig einen Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts aus dem Organstreitverfahren, das ich relativ erfolgreich betrieben habe, ins Gegenteil.
— Wer hier wohl arrogant ist! Wir haben jetzt hier im Plenum eine Situation — das ist auch für die Besucher interessant — , wie man sie normalerweise nur gegen 1 Uhr nachts erlebt, wenn sich einige Kollegen einfach nicht mehr halten können.
Ich nehme für mich und auch für die anderen Kolleginnen und Kollegen einen Minderheitenschutz in Anspruch, wenn ich zu diesem Gegenstand eine allgemeine Aussprache beantrage. Ich bitte um Zustimmung.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, habe ich Sie richtig verstanden: Ihr Geschäftsordnungsantrag lautet auf Aussprache? Haben Sie auch einen Zeitvorschlag?
Die Damen und Herren des Hauses haben den Geschäftsordnungsantrag gehört und auch verstanden. Ich komme zur Abstimmung. Wer für diesen Geschäftsordnungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Der Antragsteller und eine Anzahl von Abgeordneten aus den Reihen der PDS stimmen zu. Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Stromeinspeisungsgesetzes. Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 11/8060 und 11/8061 Änderungsanträge des Herrn Abgeordneten Wüppesahl vor.Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/ 8060 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8061? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen und einigen Ja-Stimmen mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer § 1 des Gesetzentwurfs entsprechend der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist § 1 mit großer Mehrheit angenommen.Wer § 2 des Gesetzentwurfs entsprechend der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen ist § 2 des Gesetzentwurfs mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe § 3 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 11/8062 bis 11/8065 Änderungsanträge des Herrn Abgeordneten Wüppesahl vor.Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8062 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen und einer kleinen Anzahl von Ja-Stimmen ist dieser Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Wüppesahl abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8063? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8064? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8065? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl von Enthaltungen ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer § 3 des Gesetzentwurfs entsprechend der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Der Rest enthält sich. Mit großer Mehrheit ist § 3 des Gesetzentwurfs, wie vom Ausschuß empfohlen, angenommen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18163
Vizepräsident StücklenIch rufe nunmehr § 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/8066 ein Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Wüppesahl vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Eine größere Anzahl von Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Wer § 4 in der vom Ausschuß empfohlenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Anzahl von Enthaltungen. § 4 ist mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe nunmehr § 5 des Gesetzentwurfs auf.Hierzu liegt auf Drucksache 11/8067ein Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Wüppesahl vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer § 5 des Gesetzentwurfs entsprechend der Ausschußempfehlung einschließlich Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Eine Gegenstimme. Wer enthält sich? — Bei einer Anzahl von Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Wer enthält sich? — Bei einer Reihe von Enthaltungen — einschließlich der PDS — ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit großer Mehrheit angenommen.Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP über den Entwurf eines Gesetzes über den Forstabsatzfonds ab. Ich rufe die §§ 1 bis 16, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einer Anzahl von Enthaltungen sind die auf gerufenen Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Wer enthält sich? — Es gibt eine Anzahl von Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit großer Mehrheit angenommen.
— Sie wollen eine persönliche Erklärung zur Abstimmung über den Gesetzentwurf, der eben verabschiedet worden ist, abgeben? — Bitte sehr, Sie haben das Wort nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gab eine gewisse Verwunderung über unser Abstimmungsverhalten. Ich möchte dazu erklären: Wir haben in den Ausschüssen nicht mitwirken können. Wir kennen die betroffenen Vorlagen nicht. Und wir sind so konsequent, daß wir sagen: Was wir nicht kennen, darüber stimmen wir nicht ab.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/7941 zur Unterstützung des Aufnahmeantrags Taiwans in das GATT. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.
Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/7873 abstimmen: Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über mit ionisierenden Strahlen behandelte Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer enthält sich? — Eine Enthaltung. Gegenstimmen? —
— Machen Sie nicht mehr mit?
— Herr Abgeordneter Gysi, ich weiß, wie schwierig es ist, über Details abzustimmen, wenn man gerade einen Tag an den Beratungen teilnimmt. Das kann man nicht verlangen.
Herr Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich möchte nur darauf hinweisen, daß unsere Gruppe bzw. unsere Fraktion, so finde ich, sehr diszipliniert anwesend war — auch hinsichtlich der Quantität — und daß wir jetzt eine Fraktionssitzung haben, um das zu besprechen, was vorhin beraten worden ist. Bei diesen Abstimmungen über Gesetze, die wir nicht kennen, sind wir vielleicht auch nicht so dringend notwendig. Der Bundestag ist ja bisher sogar ganz ohne uns ausgekommen, obwohl das bedauerlich war.
Auch für das Verlassen des Plenarsaals gibt es für uns keine Bestrafung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Beschlußempfehlung ist also mit großer Mehrheit angenommen.Es ist nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7886 abzu-
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18164 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990
Vizepräsident Stücklenstimmen. Es handelt sich um drei EG-Richtlinien im Kfz-Bereich. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer enthält sich? — Sechs Enthaltungen. Wer ist dagegen? — Keine Gegenstimme. Dann ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf den Drucksachen 11/7966 und 11/7967. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Wer ist dagegen? — Keine Gegenstimme. Wer enthält sich? — Drei Enthaltungen. Die Beschlußempfehlungen sind mit großer Mehrheit angenommen.Ich lasse über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/7942 bis 11/7945 abstimmen. Das sind die Sammelübersichten 179 bis 182. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind diese Beschlußempfehlungen ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 9 bis 14 auf:Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 11/7391 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaftb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes— Drucksache 11/8003 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Ausschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung besonders schadstoffarmer Personenkraftwagen mit Dieselmotor— Drucksache 11/8004 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Ausschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. April 1989 zur Änderung des Abkommens vom 1. Juni 1961 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Errichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln während der Fahrt— Drucksache 11/7996 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschuße) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 26. Oktober 1989 zum Abkommen vom 27. Februar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 26. Oktober 1989 zur Vereinbarung vom 23. Februar 1978 zur Durchführung des Abkommens sowie zur Ergänzung des Gesetzes vom 2. September 1980 zu dem Abkommen vom 23. April 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland über Soziale Sicherheit— Drucksache 11/7998 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungf) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot— Drucksache 11/7985 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
RechtsausschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOZP9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil, Oswald, Daweke, Schemken, Dr.-Ing. Kansy, Magin, Schwarz, Seesing, Jäger, Nelle, Frau Augustin, Dr. Blank, Börnsen , Carstensen (Nordstrand), Fuchtel, Ganz (St. Wendel), Dr. Grünewald, Günther, Hedrich, Frau Dr. Hellwig, Herkenrath, Hinsken, Hornung, Jung (Limburg), Keller, Krey, Frau Limbach, Lowack, Maaß, Regenspurger, Frau Rönsch (Wiesbaden), Ruf, Frau Schätzle, Spilker, Dr. Uelhoff, Frau Dr. Wisniewski und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Dr. Thomae, Dr.-Ing. Laermann, Nolting und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (13. BAföGÄndG)— Drucksache 11/7940 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1990 18165
Vizepräsident StücklenZP10 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen— Drucksache 11/8011 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
FinanzausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOZP11 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen— Drucksache 11/8016 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungZP12 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vierten AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen— Drucksache 11/8014 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten HaushaltsausschußZP13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtsdauer der Organmitglieder in der sozialen Selbstverwaltung— Drucksache 11/8022 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und SozialordnungZP14 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 29. Mai 1990— Drucksache 11/7997 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zu Art. 24 Abs. 1 soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist damit so beschlossen.Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Bevor ich die Sitzung schließe, darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß eine Stunde nach Schluß des Plenums die vorgesehenen Flüge starten werden.
Was meinen Sie, Frau Kollegin Limbach?
Es ist eben durchgesagt worden, daß die Busse eine halbe Stunde nach Beendigung des Plenums abfahren. Das ist für die Kollegen vielleicht wichtig.
Eine halbe Stunde nach Schluß des Plenums fahren die Busse ab. Das Flugzeug geht eine halbe Stunde später.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Oktober 1990, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.