Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet, meine Damen und Herren.
Kollege Sieler feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm im Namen des Hauses sehr herzlich und wünsche alles Gute.
Nun zu den Amtlichen Mitteilungen.
Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ist der frühere Kollege Biehle als stellvertretendes Mitglied ausgeschieden. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als Nachfolger Herrn Abgeordneten Lintner vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Herr Kollege Lintner als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bittet, die beiden Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der SPD zur Bekämpfung der Umweltkriminalität ihm nachträglich zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall und somit beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Die Beschlüsse der Bundesregierung zur Rolle des Umweltschutzes im Staatsvertrag
2. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen — Drucksache 11/6337 —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 163 zu Petitionen — Drucksache 11/7095 —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 164 zu Petitionen — Drucksache 11/7157 —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 165 zu Petitionen — Drucksache 11/7158 —6. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung — Drucksachen 11/4306, 11/7235 —Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes — Artikel 5 — Gesetz über den Bundesnachrichtendienst — Drucksache 11/7262 —7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sicherheitsprobleme der Informations- und Kommunikationstechniken — Schutz von Individuum und Gesellschaft — Drucksache 11/7246 —8. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Parlamentarische Kontrollkommission — Drucksachen 11/7245, 11/7272 —9. Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst — Drucksachen 11/4756, 11/7242, 11/7243 —10. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters bei Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen — Drucksachen 11/6374, 11/7258 —11. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Dr. Jobst, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Scheu, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler), Frau Will-Feld und Genossen und der CDU/CSUFraktion sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Milch, Milcherzeugnisse, Margarineerzeugnisse und ähnliche Erzeugnisse (Milch- und Margarinegesetz) — Drucksachen 11/6643, 11/7236 —12. Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Dr. Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Rossmanith, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Brunner, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler), Frau Will-Feld und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes — Drucksache 11/7253 —13. Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Dr. Hoffacker, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Dr. Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Brunner, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz
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16756 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Präsidentin Dr. Süssmuth
, Frau Will-Feld und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes sowie eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes — Drucksache 11/7254 —
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission über ihr Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte — Drucksachen 11/6324 Nr. 2.30, 11/7232 —15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/88 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/360/EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft — Drucksachen 11/4874 Nr. 2.2, 11/7263 —16. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Aufnahmegesetzes — Drucksachen 11/6910, 11/6948, 11/7282 —17. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler — Drucksachen 11/6937, 11/7189, 11/7280 —b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelungen für Übersiedlerinnen und Übersiedler — Drucksachen 11/6381, 11/7280 —18. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Götte, Erler, Büchner , Diller, Faße, Gerster (Worms), Ibrügger, Kolbow, Koschnick, Dr. Kübler, Leonhart, Müller (Pleisweiler), Pauli, Dr. Pick, Reimann, Dr. Scheer, Scherrer, Sielaff, Terborg, Weyel, Adler, Weiler, Bahr, Fuchs (Verl), Horn, Dr. Klejdzinski, Dr. Soell, Stobbe, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Dr. von Bülow, Dr. Böhme (Unna), Opel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Flugverbot während des C-WaffenAbtransports — Drucksache 11/7261 —19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Aussetzung des für den Sommer 1990 geplanten Abzugs US-amerikanischer C-Waffen aus der Bundesrepublik DeutschlandZugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden, soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist.Außerdem ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 4 g — Bericht des Wahlprüfungsausschusses — erst am Freitag ohne Aussprache aufzurufen. Die Tagesordnungspunkte 19a und 19b sollen ohne Aussprache überwiesen werden.Sind Sie mit den Ergänzungen und den Änderungen der Tagesordnung einverstanden? — Auch das ist ohne Widerspruch beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 g sowie 19a und 19b auf: 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität —
— Drucksache 11/7101 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umwelthaftungsgesetzes — UmweltHG— Drucksache 11/7104 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshelfer-Gesetzes— Drucksache 11/6383 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnungd) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jobst, Fischer , Bauer, Rauen, Frau Augustin, Börnsen (Bönstrup), Breuer, Carstensen (Nordstrand), Eigen, Dr. Grünewald, Haungs, Frau Karwatzki, Lenzer, Maaß, Magin, Oswald, Pesch, Schartz (Trier), Schneider (Idar-Oberstein), Schreiber, Dr. Schroeder (Freiburg), Dr. Schwörer, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Dregger, Dr. Bötsch und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen), Gries, Kohn, Richter, Zywietz, Mischnick und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines 4. Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes (4. BbÄndG)— Drucksache 11/6735 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16757
— Drucksache 11/7030 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß
FinanzausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnungf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Augustin, Austermann, Böhm , Börnsen (Bönstrup), Bohlsen, Carstensen (Nordstrand), Dörflinger, Eigen, Engelsberger, Dr. Fell, Fischer (Hamburg), Frau Geiger, Gerstein, Gerster (Mainz), Glos, Dr. Göhner, Günther, Harries, Haungs, Frau Dr. Hellwig, Herkenrath, Hinsken, Höffkes, Hörster, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch, Jung (Limburg), Kalb, Kalisch, Dr.-Ing. Kansy, Keller, Krey, Kroll-Schlüter, Dr. Kunz (Weiden), Lenzer, Lintner, Louven, Lowack, Lummer, Magin, Marschewski, Oswald, Pesch, Regenspurger, Rossmanith, Roth (Gießen), Ruf, Sauter (Epfendorf), Frau Schätzle, Schartz (Trier), Schmidbauer, Schneider (Idar-Oberstein), Freiherr von Schorlemer, Schulze (Berlin), Seesing, Spilker, Susset, Dr. Uelhoff, Graf von Waldburg-Zeil, Werner (Ulm), Wilz, Frau Dr. Wisniewski, Wissmann, Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Baum, Bredehorn, Cronenberg (Arnsberg), Dr. Feldmann, Grünbeck, Heinrich, Dr. Hoyer, Kohn, Paintner, Rind, Dr. Solms, Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgramm (Göttingen), Frau Würfel, Zywietz und der Fraktion der FDPFörderung von Zukunftsenergien— Drucksache 11/7169 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brück, Bindig, Bernrath, Esters, Großmann, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Kißlinger, Klose, Luuk, Dr. Niehuis, Niggemeier, Oostergetelo, Dr. Osswald, Schanz, Schluckebier, Schröer , Terborg, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDÄnderung der EG-Nahrungsmittelhilfepolitik— Drucksache 11/5656 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger AusschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten19. a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBerufsbildungsbericht 1990— Drucksache 11/6787 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNENEinrichtung eines 8. Förderungsschwerpunktes „Mädchen und Frauen" für Modellversuche der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
— Drucksache 11/5713 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und GesundheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinf achten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 11/6787 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:4. Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften
— Drucksache 11/6341 —1. Beschlußempfehlung und 1. Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 11/7230 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Faltlhauser Dr. Wieczorek
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes gemäß Artikel 104 a Abs. 4 GG für Investitionen zur vorläufigen Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern— Drucksache 11/6750 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 11/7109 —
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16758 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Präsidentin Dr. SüssmuthBerichterstatter:Abgeordnete Roth Dr. Weng (Gerlingen)Dr. StruckFrau Vennegerts
c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank— Drucksache 11/2216 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/5730 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Fell Dr. Wieczorek
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Statistiken im Handwerk
— Drucksache 11/4801 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 11/7224 —Berichterstatter:Abgeordneter Wissmannbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/7278 —Berichterstatter:Abgeordnete Rossmanith Frau Seiler-AlbringWieczorek Frau Vennegerts
e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung— Drucksache 11/6529 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 11/7177 —Berichterstatter: Abgeordneter Doss
ZP2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen— Drucksache 11/6337 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/7222 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
4. f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates mit Gesundheitsvorschriften für die Gewinnung und Vermarktung von zum Verzehr bestimmten ausgelassenen tierischen Fetten, Grieben und Nebenerzeugnissen des Ausschmelzens— Drucksachen 11/6125 Nr. 13, 11/7123 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau AdlerEs handelt sich um Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft — Tagesordnungspunkt 4 a.Ich rufe die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Tagesordnungspunkt 4 b! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über Finanzhilfen des Bundes für Investitionen zur vorläufigen Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern, Drucksachen 11/6750 und 11/7109.Ich rufe die §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16759
Präsidentin Dr. SüssmuthWir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Stimmen der GRÜNEN angenommen.Tagesordnungspunkt 4 c! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank, Drucksachen 11/2216 und 11/5730. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/5730 die Ablehnung des Gesetzentwurfs des Bundesrates auf Drucksache 11/2216. In diesem Fall ist nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage abzustimmen.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Niemand. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Tagesordnungspunkt 4 d! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Handwerkstatistikgesetzes, Drucksachen 11/4801 und 11/7224.Ich rufe die §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei wenigen Enthaltungen angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei zwei Enthaltungen angenommen.Tagesordnungspunkt 4 e! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung, Drucksachen 11/6529 und 11/7177.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei zwei Enthaltungen angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer demGesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich,sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Zusatztagesordnungspunkt 2! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen, Drucksachen 11/6337 und 11/7222.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 f.Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/7123 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 163 zu Petitionen— Drucksache 11/7095 —ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 164 zu Petitionen— Drucksache 11/7157 —ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 165 zu Petitionen— Drucksache 11/7158 —Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/7095, 11/7157 und 11/7158. Es handelt sich um die Sammelübersichten 163 bis 165. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a bis 5 c auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
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16760 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Präsidentin Dr. SüssmuthAchten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes— Drucksachen 11/6930, 11/7151 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 11/7214 —Berichterstatter:Abgeordnete MenzelFrau Rönsch
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/7215 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Schroeder WaltematheFrau Rust
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Menzel, Conradi, Großmann, Kolbow, Dr. Niese, Oesinghaus, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Bernrath, Bulmahn, Dr. Hauchler, Kretkowski, Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes— Drucksache 11/5638 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 11/7214 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Rönsch Menzelbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/7216 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Schroeder WaltematheFrau Rust
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
zu dem Antrag der Abgeordneten Müntefering, Menzel, Conradi, Großmann, Dr. Niese, Oesinghaus, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Börnsen , Dr. Vogel und der Fraktion der SPDSoziale Fortentwicklung des Wohngeldeszu der Unterrichtung durch die BundesregierungWohngeld- und Mietenbericht 1989— Drucksachen 11/5267, 11/6483, 11/7214 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Rönsch MenzelZu Tagesordnungspunkt 5 a liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7275 vor, zu dem namentliche Abstimmung verlangt wird. Die namentliche Abstimmung soll nach der Wahl zur Parlamentarischen Kontrollkommission gegen 12 Uhr stattfinden. Außerdem liegen ein Entschließungs- und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/7288 und 11/7290 vor.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung die Achte Wohngeldnovelle, nach der ab dem 1. Oktober 1990 der Mieter, der für Wohngeld empfangsberechtigt ist, im Durchschnitt 170 DM erhalten wird. Er wird sich mit dieser angepaßten Wohngeldzahlung wie auch in den vergangenen Jahren auf uns verlassen können. Der Mieter kann sich auf uns verlassen. Verlassen ist der Mieter, wenn er z. B. in einer sozialdemokratisch geführten Stadt wohnt. Ich nehme einmal das Beispiel Frankfurt.
— Wiesbaden, ich danke Ihnen, Herr Kollege Osswald. Auch Wiesbaden wird sozialdemokratisch geführt. Auch dort sind die Menschen verlassen. Nur habe ich dieses Beispiel hier schon so oft gebracht. Es gibt keine Baulandreserve. Man beabsichtigt nicht, dort zu bauen. Aber ich nehme als Beispiel heute einmal die Stadt Frankfurt.
In Hessen — christlich-demokratisch geführt — stehen die Mittel für 11 000 Wohnungen parat.
Die Stadt Frankfurt ist überhaupt nicht bereit, auch nur eine Mark abzurufen. 25 Millionen DM stehen für den Wohnungsbau in Frankfurt zur Verfügung. Herr Hauff ruft keine Mark ab.Wir von der Christlich-Demokratischen Union meinen, daß ein ausreichendes Angebot an Wohnungen der beste Mieterschutz ist.
Von dieser Stelle aus appelliere ich wieder einmal an die Sozialdemokraten, ihre Boykottpolitik, mit der sie den Sozialneid in der Bundesrepublik schüren, endlich aufzugeben
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16761
Frau Rönsch
und dafür zu sorgen, daß die Mieter durch ein ausreichendes Wohnungsangebot entsprechend gesichert sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben mit dieser Achten Wohngeldnovelle verschiedene Anpassungen und verschiedene Verbesserungen vorgenommen. Ich nenne noch einmal die Erhöhung des Mietniveaus in 648 Gemeinden, die 10 000 bis 20 000 Einwohner haben. Die werden künftig einzeln ausgewiesen, so daß fast ein Drittel aller Gemeinden dadurch eine Höhergruppierung erfährt. Die Schwerbehinderten werden jetzt einen um 600 DM erhöhten Freibetrag erhalten. Der schlägt jetzt mit jährlich 3 000 DM zu Buche.Eine der Verbesserungen, über die ich ganz besonders glücklich bin — wir haben jahrelang darüber diskutiert — , ist die Pauschalierung, bei der wir uns gemeinsam gegen die Bundesratsinitiative durchgesetzt haben. Ich meine, damit haben wir endlich das erreicht, wofür wir gemeinsam — das gestehe ich Ihnen zu, meine Herren von der SPD — gekämpft haben und woran sehr viele Wohnungsbauminister gescheitert sind.Wir haben uns mit dieser Achten Novelle, mit dieser Anpassung, entsprechend dem Wohngeld- und Mietenbericht verhalten und die Anpassungen regelmäßig vorgenommen.Wir haben den Mitarbeitern aus dem Ministerium zu danken.
Diese Mitarbeiter, die die Wohngeldnovelle, die wir beraten haben, für unsere Empfängerhaushalte wieder vorbereitet haben, werden allerdings jetzt auch in der DDR gebraucht. Ich bedanke mich ganz besonders bei den Kollegen, daß sie jetzt in der DDR Hilfestellung geben. Denn auch dort werden wir ja noch eine ganze Menge zu tun haben, und wir werden unsere Experten gerne zur Beratung in die DDR her-üb erschicken.
Meine sehr geehrten Herren von der SPD, Sie haben im Ausschuß bei den Beratungen zu den Wohngelderhöhungen eigentlich kontinuierlich Anträge vorgelegt, die Unsolidität ausweisen. Sie haben bei den Beratungen im Ausschuß nicht ein einziges Mal nachgefragt, was denn Ihre Wohngelderhöhungsanträge überhaupt kosten. Wir haben natürlich bei jedem Punkt, weil wir eine solide Haushaltsführung haben wollen, nachgefragt. So sind wir bei den laufenden Kosten auf den stolzen Betrag von 178 Millionen DM gekommen. Zum anderen haben Sie ein früheres Inkrafttreten der Novelle gefordert. Das kostet nun gleich einmal 300 Millionen DM.Wir haben Ihnen in der Vergangenheit immer wieder beweisen müssen, daß Ihre Anträge unsolide sind, weil von gar keiner Stelle ein Gegenfinanzierungsvorschlag gemacht worden ist.
So kann man keine Politik machen. Wir werden auchweiterhin den Haushalt solide führen, und dadurchdie späteren Wohngelderhöhungen möglich machen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen von den GRÜNEN, auch Sie haben wieder Anträge vorgelegt und natürlich ebenfalls nicht nachgefragt, was so etwas denn kosten könnte. Das wäre mit Sicherheit auch das erste Mal gewesen.Diese Anträge sind mit ausgesprochen heißer Nadel gestrickt gewesen. Den einen Antrag mußten Sie dann im Ausschuß schon wieder schnell zurückziehen, weil Sie selbst gemerkt haben, daß man Anträge so nicht vorbereiten und beraten kann.
— Frau Kollegin Teubner, Sie haben ihn doch zurückgezogen, als ich Ihnen persönlich ein Beispiel dafür genannt habe, daß man so keine Anträge vorbereiten kann.
Der andere Antrag, den Sie jetzt vorgelegt haben, wird ja schon durch eine Bundesratsinitiative in die Beratung eingebracht. Da haben Sie ganz einfach nur abgeschrieben.Ich meine, so kann man natürlich mit verantwortungsvoller Politik nicht umgehen. Wir wollen uns für die Anträge, die Sie jetzt von der Bundesratsinitiative abgeschrieben haben, Zeit lassen und wollen sie dann in aller Ruhe beraten.Meine sehr geehrten Herren, meine Damen, ich meine, daß wir mit der Achten Wohngeldnovelle wieder die Grundlage für den Mieter, der zum Empfängerkreis gehört, gelegt haben, so daß er in aller Ruhe seinen Wohnraum bezahlen kann.Sie fordere ich noch einmal auf, mit dafür zu sorgen, daß auch in den sozialdemokratisch geführten Ländern ausreichend Wohnungen am Markt sind.
Denn dann, wenn diese Wohnungen am Markt sind, ist das für uns der beste Mieterschutz.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Menzel.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Rönsch, nun wissen wir endlich, warum Sie den sozialen Wohnungsbau zurückgefahren haben. Sie haben eben gesagt, ausreichend Wohnungen seien der beste Mieterschutz. Während Ihrer Regierung haben Sie doch die Fertigstellungszahlen von 350 000 auf rund 200 000 zurückgeführt.
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16762 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
MenzelSie haben doch die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus geschmälert. Die Konsequenz Ihrer Rede hier kann nur sein, daß Sie die Wohnungsfertigstellungszahlen bewußt zurückgeführt haben, um die Möglichkeit der Mieterhöhung draußen im Lande zu schaffen.
Ja, man muß das, was man hier vorträgt, bis zur Bilanz durchdenken.Meine Damen und Herren, die Förderung des Wohnungsbaus und das Wohngeld sind die beiden Standbeine einer sozial verantwortlichen Wohnungspolitik. Förderung des sozialen Wohnungsbaus und Wohngeld sind gewissermaßen die Konsequenzen der im Grundgesetz verankerten Sozialpflichtigkeit unseres Gemeinwesens auf dem Sektor des Wohnungswesens. Beides, ausreichender Wohnungsbau und ausreichendes Wohngeld, stehen in einem mittelbaren Verhältnis zueinander. Über einen ausreichenden Wohnungsbau ist sicherzustellen, daß genügend Wohnungen gebaut werden, die auch für die Bezieher normaler Einkommen bezahlbar sind. Wer glaubt, Wohnungsbau nach dem Motto betreiben zu können: „Der Markt wird es schon richten; Härten gleichen wir durch das Wohngeld aus", wer die Wohnungsbaupolitik nach diesen Kriterien ausrichtet, wird bald spüren, daß diese Politik unbezahlbar wird.Wer Wohnungspolitik nach dem Motto betreibt: „Ist nicht genügend Geld da, kann das Wohngeld nicht so erhöht werden, wie es die Mietentwicklung eigentlich erforderlich macht" , tut das auf Kosten der Familien draußen im Land.
Sie von den Regierungsparteien haben, als Sie im Jahr 1982 die Regierung übernahmen, einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt vorgefunden. Damals wurden jährlich — Frau Rönsch, hören Sie gut zu —350 000 Wohnungen fertiggestellt. Sie haben sich dann nach dem Motto „Der Markt wird es schon richten; Härten gleichen wir durch das Wohngeld aus" aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus Zug um Zug zurückgezogen.
Die Folge war ein absoluter Tiefstand bei den Fertigstellungen im Jahr 1988 mit ca. 208 000 Wohnungen.Sie haben alle Warnungen ignoriert, daß diese Politik zur Mietenexplosion führen wird und damit die Mieten in für Normalsterbliche unbezahlbare Höhen treibt. Sie haben auch die absehbare Entwicklung ignoriert, daß diese Politik zu einer großen Belastung für die öffentlichen Hände wird und letztlich teurer kommt als eine ausreichende Förderung des sozialen Wohnungsbaus.Die Folgen dieser Politik bekommen die Wohnungsuchenden und die Mieter heute zu spüren. Der Wohngeld- und Mietenbericht weist das aus. Die Mieten stiegen seit 1963 weitaus stärker als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Besonders drastisch wirkten sich die Mietsteigerungen bei der Erst- undWiedervermietung aus. In diesen Fällen lagen die Mieten im ersten Quartal 1988 um 5 bis 7 % über dem Vorjahresniveau. Im ersten Quartal 1989 betrug die Steigerung im Altbaubestand sogar 10 bis 13 %. Das heißt, wir hatten beim Erst- und Wiederbezug in den Jahren 1988 und 1989 insgesamt Mietsteigerungen um bis zu 17 %. Auf den Quadratmeter bezogen, heißt das: Die Miete stieg bei der Erst- und Wiedervermietung je nach Wohnwert und Zustand der Wohnung um einen Betrag zwischen 20 Pf und 1 DM. Für den Mieter, der eine Wohnung von 80 Quadratmetern bezieht, bedeutet das, daß er pro Jahr rund 1 000 DM mehr Miete bezahlen muß als sein Vorgänger.Die FDP kann also ihrer Klientel Vollzug melden. Nur, Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben diese Politik mitgetragen und deswegen mitzuverantworten.
Lassen Sie mich an dieser Stelle mit dem Märchen aufräumen, daß Sozialwohnungen teurer seien als frei finanzierte Wohnungen. Der Wohngeld- und Mietenbericht sagt, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau deutlich unter denen freifinanzierter Wohnungen liegen. Die Differenz je Quadratmeter für Wohnungen, die nach 1979 fertiggestellt worden sind, liegt zwischen 1,50 DM und 4,73 DM. Im Grunde genommen ist das der beste Beweis für die Notwendigkeit der Fortsetzung der bei Ihnen so verpönten Objektförderung.Der Wohngeld- und Mietenbericht sagt, daß schon am 31. Dezember 1986, also ein Jahr nach Inkrafttreten der 6. Novelle, die Mieten bei 30,5 % der Mietzuschußempfänger höher waren als die Höchstbeträge, die für Wohngeldzahlungen festgelegt sind. Da die Mietentwicklung gerade in den letzten beiden Jahren besonders drastisch war und, wie der Ring Deutscher Makler berichtet, im ganzen Land weitgehend parallel verläuft, muß man davon ausgehen, daß bei fast der Hälfte der Wohngeldempfänger die Mieten heute die festgelegten Höchstbeträge überschreiten.Deshalb ist die Frage zu stellen, ob die von Ihnen vorgelegte Wohngeldanpassung ausreichend ist. Die Wohngeldleistungen sollen, je nach Mietstufe, um 10 bis 16 % erhöht werden. Der Wohngeld- und Mietenbericht weist aus, daß diese Wohngelderhöhung weit — ich betone: weit — hinter der Mietentwicklung zurückbleibt.Sie von den Regierungsparteien haben die rechtzeitige Anpassung des Wohngeldes, die bei zügiger Behandlung des Antrags der SPD möglich gewesen wäre, verhindert. Die Konsequenz kann jetzt nur sein, daß mit der Arbeit an einer neuen Wohngeldnovelle sofort begonnen werden muß, damit die größten Ungerechtigkeiten ausgebügelt werden können. Hören Sie auf, sich an den globalen Aufwendungen des Bundes für Wohngeld zu berauschen. Sie beweisen nur Ihre verfehlte Politik und helfen dem einzelnen Wohngeldempfänger überhaupt nicht, denn der fragt sich völlig zu Recht, wie sich die Wohngeldnovelle für ihn persönlich auswirkt. Hier müssen wir feststellen, daß sich die Situation der Wohngeldempfänger auch nach dieser Novelle gegenüber früher verschlechtert, denn
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Menzeldie Wohngeldanpassung bleibt weit hinter der Mietentwicklung zurück.Noch etwas anderes weist der Wohngeld- und Mietenbericht aus: Besonders schwierig ist die Situation der Alleinerziehenden. Frau Minister, ich habe eine Presseerklärung von Ihnen gelesen, in der Sie auf die Situation der Alleinerziehenden hinwiesen. Es hat keinen Sinn, daß Sie in Presseerklärungen darauf hinweisen, sondern hier müssen Sie handeln. Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Unzureichend ist die Regelung des pauschalen Abzuges bei denen, die ein steuerpflichtiges Einkommen haben und die Sozialversicherungsbeiträge leisten, und bei denen, die gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen haben. Wir haben entsprechende Anträge gestellt. Sie haben sie im Ausschuß abgelehnt. Wir geben Ihnen hier noch einmal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.
— Hören Sie doch auf mit den Kosten! Streichen Sie den Jäger 90! Dann können Sie eine angemessene Wohngeldanpassung vornehmen, und dann können Sie unseren Anträge guten Gewissens zustimmen.
— Ja, wenn man sieht, was draußen im Lande geschieht und mit welcher Kaltschnäuzigkeit Sie über die Situation der Menschen draußen im Lande hinweggehen, dann kann man hier das Zittern kriegen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß bei jedem zweiten Wohngeldempfänger die Miete über dem Höchstbetrag liegt.
Es ist doch nicht mehr als recht und billig, wenn man diesen Personenkreis nicht nur bis zu seiner nächstfälligen Wohngeldberechnung warten läßt, sondern ihm sofort die Möglichkeit einer Antragstellung gibt. Auch hier haben Sie die Möglichkeit, Ihre bisher ablehnende Haltung zu korrigieren. Es genügt nicht, auf den Marktplätzen Familienfreundlichkeit zu verkünden und hier, wenn es darauf ankommt, die Hände unten zu lassen.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß Sie nunmehr mit uns gemeinsam die Pauschalisierung des Wohngeldes durchsetzen wollen. Wir haben lange darum gekämpft und uns alle gemeinsam bemüht. Wir haben auch gemerkt, wie schwierig es ist, die Legislative auf diesen Weg zu bekommen. Ich glaube, diese Entscheidung ist richtig und wird sich für die Menschen und die Verwaltungen draußen positiv auswirken.Ich möchte zum Schluß noch all jenen danken, die uns durch den umfassenden Wohngeld- und Mietenbericht die Grundlage für unsere Betrachtungen und Beratungen geliefert haben. An Sie, meine Damen und Herren von der CDU, richte ich noch einmal die Bitte — nicht unseretwegen, sondern der Menschen draußen im Lande wegen, die ja nicht zu den Begüterten gehören — , unseren Anträgen zuzustimmen. Wir werden darauf achten, daß die Interessen der Menschen draußen durch Ihre Politik nicht unter die Räder kommen.Lassen Sie mich nun noch eines sagen: Heute wird noch ein Antrag der GRÜNEN und heute nachmittag wird ein Entschließungsantrag der SPD zum Mieterschutz vorgelegt werden. Dieser Antrag deckt sich weitgehend mit dem, wofür Sie, Frau Minister, ja auch im CSU-Landesvorstand die Hand gehoben haben.
Wir werden sehen — das gilt zumindest für die Kolleginnen und Kollegen aus der CSU — , ob Sie bereit sind, das, was Sie auf den Marktplätzen in Bayern verkünden, hier letztlich auch durchzusetzen. Stimmen Sie mit uns, dann haben Sie eine parlamentarische Mehrheit, mit der Sie etwas Positives für die Menschen im Landes durchsetzen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Hitschler.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs hat die FDP-Bundestagsfraktion ihre Zustimmung zu dieser Novelle signalisiert, weil sie den Anpassungsbedarf des Wohngeldes an die Mietenentwicklung als gegeben ansieht. Aber, Herr Menzel, Statistik ist keine Hure, mit der jeder machen kann was er will, sondern eine feine Dame, mit der man wohl umzugehen wissen muß, wie mein Professor Nöll von der Nahmer sagte. Die Anhebung des Wohngeldes um durchschnittlich 14 % folgt auf die letzte Wohngeldanpassung vor vier Jahren. In diesem Zeitraum haben sich die Mieten wie die verfügbaren Einkommen — nicht nur die Preise — gleichermaßen erhöht, so daß die durchschnittliche Mietkostenbelastung der Wohngeldbezieher nicht gestiegen, sondern etwa gleichgeblieben ist.
— Genau das ist wahr. Das können Sie dem Wohngeld-und Mietenbericht völlig korrekt entnehmen. Die gegenwärtige Wohngeldanpassung ist als angemessen zu bezeichnen.Die Tatsache, Herr Conradi, daß in bestimmten Ballungsgebieten, in denen die Kommunen keine mit ihrer Ansiedlungspolitik übereinstimmende Wohnungspolitik betrieben haben, auf Grund der unausgeglichenen Angebot-Nachfrage-Relation ein überproportionaler Mietanstieg zu verzeichnen war, hat die GRÜNEN dazu veranlaßt, einen Entschließungs-
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Dr. Hitschlerantrag zur namentlichen Abstimmung zu stellen, der ganz drastische gesetzliche Eingriffe in die Mietpreisgestaltung vorsieht. Wenn es denn wirksame Instrumente wären, mit deren Hilfe das gewünschte Ziel mäßiger Mietsteigerungen erreicht werden könnte, könnte man das Instrumentarium in der Tat einer ernsthaften Prüfung unterziehen. Aber vergleichbare Instrumente wurden bereits — leider erfolglos — in anderen Ländern mit dem Ergebnis ausprobiert, daß graue Märkte von Nebenabreden und Schwarzzahlungen entstanden sind,
mit der von der Intention des Mitteleinsatzes her besonders pikanten Wirkung, daß gerade die sozial Schwächsten vom Zugang zu den Wohnungsmärkten gänzlich ausgeschlossen wurden.Diese Erfahrungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns ersparen, zumal der soziale Sprengstoff bei Verwirklichung dieser Vorschläge wesentlich verschärft würde; denn neben dem Entstehen grauer Märkte brächte eine solche Form der Wohnungszwangswirtschaft den fabelhaften Nebeneffekt mit sich, daß weniger Wohnungen am Markt zur Verfügung stünden, da einerseits die Vermietungsbereitschaft drastisch zurückginge,
andererseits die Neubautätigkeit zum Erliegen käme; denn wer wollte schon sein Kapital in eine Verwendung stecken, die ihm bei Erhebung einer kostendekkenden Miete schon den Staatsanwalt ins Haus führen könnte?
Da müßte ein Investor wirklich schon ganz schön bescheuert sein.
Es gilt, zu berücksichtigen, daß die Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland zum ganz überwiegenden Teil ganz ausgezeichnet ist, daß die Vermieter zum ganz überwiegenden Teil ihrer sozialen Verantwortung als Wohnungseigentümer auch bei der Mietgestaltung gerecht werden.
Daß Lohnsteigerungen, Baupreissteigerungen und steigende Baulandpreise und gestiegene Kapitalkosten letztlich — insbesondere bei der Erstvermietung — zu steigenden Kostenmieten pro Quadratmeter führen, ja, führen müssen, liegt auf der Hand.Aber nur der Weg über die Angebotsvermehrung vermag das Problem zu lösen. Wenn Wohnungen fehlen, müssen Wohnungen gebaut werden. Nur über ein vermehrtes Angebot kann es wieder zu einer Tendenzwende bei der Mietenentwicklung kommen, es sei denn, die Nachfrageentwicklung würde sich wieder völlig verkehren, was aber angesichts der Zuwanderungsaussichten und der Einkommensentwicklung nicht zu erwarten ist.Der Bund kann zur Mietendämpfung sinnvollerweise nur einen Weg einschlagen: seine erfolgreicheAnkurbelungspolitik für den Neubau von Wohnungen fortsetzen. Die steuerlichen Anreize zur Förderung des Ausbaus von Wohnungen im vorhandenen Gebäudebestand, die Maßnahmen zur Förderung des Mietwohnungsbaus und der verstärkte Mitteleinsatz im sozialen Wohnungsbau haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Alle Zahlen zeigen nach oben. Sie signalisieren: Die Bundesregierung ist mit ihrer Wohnungsbaupolitik auf dem richtigen Weg. Der Ausgleich sozialer Härten für diejenigen Haushalte mit Mietzahlungsschwierigkeiten und Zugangsproblemen, überhaupt eine Wohnung zu finden, muß über das Wohngeld und den Kauf von Belegrechten durch die Kommunen erfolgen. In besonderen Situationen ist ein kommunales Wohngeld wie in München durchaus angebracht.Wir werden sicher auch nicht umhin können, zu prüfen, ob bei anhaltendem Nachfragedruck in Ballungsgebieten das Fehlbelegungsproblem mit einer stärker gestaffelten Fehlbelegungsabgabe nicht energisch angegangen werden muß. Denn immerhin hätten wir ohne die Fehlbelegung von mehreren 100 000 Sozialwohnungen keine Wohnraumversorgungsprobleme für Einkommensschwächere. Aber auch in diesem Fall werden wir nicht von der Notwendigkeit der Neubauförderung entbunden. Deshalb kann und darf das Rezept nicht heißen, zwangsweise in die Mietpreisgestaltung eingreifen zu wollen und eine staatliche Interventionspolitik gegen eine ausgeprägte Markttendenz zu betreiben, auch wenn es auf den ersten Blick noch so populistisch klingt. Das Rezept kann nur heißen, die Rahmenbedingungen für potentielle Investoren im Wohnungsbau günstig zu gestalten; denn ohne den Einsatz privaten Kapitals ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Meinung zum Wohngeld haben meine Kolleginnen und ich hier schon des öfteren erläutert. Es ist ein notwendiges Übel, für das Sie bei der Fortsetzung Ihrer derzeitigen Wohnungspolitik von Jahr zu Jahr mehr Mittel werden aufbringen müssen. Darauf sind Sie aber aus unerfindlichen Gründen auch noch stolz.Damit das bißchen Wohngeld, das der einzelne Haushalt bekommt, nicht voll in die Taschen der Vermieter wandert, sondern wenigstens teilweise dazu beiträgt, den Lebensstandard der Bezieher und Bezieherinnen zu erhalten, muß zuerst einmal die Mietenexplosion gestoppt werden. Sonst können Sie noch so viel Wohngeld ausgeben, es wird immer nur die Kassen der Vermieter klingen lassen.
Um die Mietenexplosion einzudämmen, haben die GRÜNEN vor ca. einem Jahr im Bundestag den Entwurf eines Miethöhengesetzes eingebracht. Er wurde erst vor kurzem im Bauausschuß mit den Stimmen der
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Frau Oesterle-SchwerinKoalition bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Unser Entwurf genießt allerdings mittlerweile eine breite gesellschaftliche und politische Akzeptanz. Heute reden alle davon, daß die Mieten gestoppt werden müssen: Frau Hasselfeldt sagt es, die SPD fordert es, der Mieterinnenbund fordert es und auch Herr Streibl.
Wir waren die ersten. Wir haben das Urheberinnenrecht.
— Ja, das stimmt. Ich habe es auch anders aufgeschrieben.Der Baufinanzierungsausschuß der Arge Bau hat unsere Forderungen bereits in eine Beschlußempfehlung für die nächste Sitzung der Arge Bau auf genommen.
Sehr weit ist uns die CSU entgegengekommen. Der Landesvorstand der CSU in Bayern hat mit seinem Beschluß vom 14. Mai alle wichtigsten Forderungen aus unserem Miethöhengesetz übernommen mit der einzigen Einschränkung, daß sie nur in Gebieten mit erhöhtem Wohnbedarf, nur für eine begrenzte Zeit und nicht für den Neubau gelten sollen.
Dazu sagen wir okay.
Wenn sich hier ein Kompromiß anbahnt, wenn sich ein gemeinsamer Weg zum Nutzen der Mieterinnen und Mieter und der Wohnungssuchenden finden läßt, dann sind wir dazu bereit. Wir reduzieren unser Miethöhengesetz auf die Forderungen des Landesvorstands der CSU und bringen es heute in Form eines Entschließungsantrages wieder ein.Wie ich gestern erfahren habe, hat sich auch die SPD in einem Brief an Dr. Waigel und in ihrem Entschließungsantrag, den sie ebenfalls heute abend hier einbringen will, unseren Forderungen angeschlossen, so daß einer gemeinsamen Verabschiedung heute wohl nichts mehr im Wege stehen kann.
Nicht nur wir erwarten jetzt von den Vertreterinnen und Vertretern der CSU und ihrer Schwesterpartei, daß sie den Forderungen ihres eigenen Landesvorstandes zustimmen, sondern das erwarten vor allem die Mieterinnen und Mieter in Bayern und in der ganzen Republik.Eines, meine Damen und Herren, werden Sie sich auf keinen Fall leisten können: sich zu Hause in Bayern als Freundinnen und Freunde der Mieterinnen und Mieter aus dem Fenster hängen und hier im Bundestag das Geschäft der Spekulanten und Konzerne betreiben.
Das werden auch Sie von der CSU auf die Dauer nicht aushalten. Unser Entschließungsantrag enthält nichts anderes als die Forderungen Ihres CSU-Landesvorstands. Ich fordere Sie dazu auf, über Ihren Schatten zu springen und den Forderungen Ihres Landesvorstands heute zuzustimmen, auch dann, wenn sie mangels Ihrer eigenen Aktivität heute auf einem grünen Papier stehen.Kolleginnen und Kollegen, es scheint so, als gäbe es im Moment einen scharfen Konkurrenzkampf unter den Parteien, welche die Interessen der Mieterinnen und Mieter am besten vertritt. Das ist gut so. Beim Kampf gegen Miethaie und Spekulanten
genügt es heute allerdings nicht mehr, Herr Kansy, die Zähne zu zeigen. Man muß auch zubeißen, und zwar sofort.
Das Wort hat die Ministerin Frau Hasselfeldt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen ist in den ersten Monaten dieses Jahres um fast 60 % gestiegen, die für Mehrfamilienhäuser sogar um fast 90 %.
Und die Zahl der Neubewilligungen im sozialen Wohnungsbau hat sich fast verdreifacht. Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung.
Deshalb weise ich auch mit aller Entschiedenheit Ihren Vorwurf, Herr Menzel, zurück, wir hätten die Hände in den Schoß gelegt. Wir haben sie nicht in den Schoß gelegt. Wir haben gehandelt, und das Ergebnis ist heute sichtbar.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Ja.
Frau Ministerin, ist es richtig, daß Sie, die CDU/CSU, als Wendepolitik verkündet haben, daß es Ihr Ziel sei, aus dem sozialen Wohnungsbau auszusteigen, und daß Sie 1988 aus dem sozialen Mietwohnungsbau ausgestiegen
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Menzelund die Fertigstellungszahlen von 1982 bis 1988 von 350 000 auf 208 000 zurückgegangen sind?
Herr Kollege Menzel, ich möchte Sie schon sehr herzlich bitten, hier die Tatsachen nicht zu verdrehen.
Sie wissen sehr wohl, daß der Bund nicht einseitig aus dem sozialen Wohnungsbau ausgestiegen ist, sondern daß die Grundlage dafür ein einstimmiger Beschluß aller Ministerpräsidenten der Länder im Jahr 1985 war.
— Aller Ministerpräsidenten der Länder, auch Ihres Ministerpräsidenten hier. Der Beschluß ging in die Richtung, daß sich der Bund aus dem sozialen Wohnungsbau zurückziehen sollte.
Ich bedaure sehr, daß in dieser positiven Entwicklung unsere Bemühungen durch Entscheidungen, durch Verhalten so mancher Städte und Gemeinden, vor allem der Großstädte, wo wir die großen Engpässe haben, konterkariert werden. Stichworte: restriktive Baulandausweisungen, restriktive Baurechtshandhabung, Erschwernisse beim Dachgeschoßausbau oder auch schleppende Genehmigungspraxis.
Ich war dieser Tage in Kiel und habe dort stundenlang mit Bürgern auf der Straße diskutiert, habe ihnen auch einige Stunden am Telefon zur Verfügung gestanden. Was mir dort an Äußerungen gegenüber der in Kiel regierenden SPD gesagt wurde, schreit zum Himmel. Der Dachgeschoßausbau wird dort durch Forderungen nach Stellplätzen verhindert. Andererseits werden Stellplätze durch Grünanlagen vernichtet. Und dann schreien dieselben Leute, die dies tun, nach mehr Geld vom Bund und sonstwem. So geht es nicht. Das werden wir auch immer wieder anprangern.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Ihre Genossen in den Rathäusern, wo Rot und Grün regieren, darauf hinwiesen, daß sie ihre Verantwortung ernst nehmen sollten.
Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Nein, ich habe nur noch einige Minuten Redezeit. Ich bitte um Verständnis dafür, weil ich auf das, was gesagt wurde, noch eingehen möchte.
Es wird nicht angerechnet.
Neben unserer Angebotsausweitung lassen wir auch diejenigen nicht im Stich, die durch hohe Mieten wirtschaftliche Belastungen tragen müssen.
Deshalb ist das Wohngeld ein ganz wichtiges sozialpolitisches, familienpolitisches und wohnungspolitisches Instrument. Deshalb erhöhten wir dieses Wohngeld zum 1. Oktober dieses Jahres mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um durchschnittlich 14 %.
Dabei wird die Erhöhung dort, wo die Mieten am stärksten gestiegen sind, auch überdurchschnittlich hoch sein. Wir verbessern dazu auch noch die Treffsicherheit des Wohngeldes, z. B. durch die Erhöhung des Freibetrags für Schwerbehinderte, durch die Herabsetzung der Mindestgrenze für die Auszahlung und auch durch die stärkere Orientierung des Wohngeldes an den örtlichen Mieten.Meine Damen und Herren, Sie wissen sehr wohl, daß ich die Probleme der Mieter in den Ballungsräumen kenne und daß ich sie auch ernst nehme. Ich nehme sie vor allem deshalb ernst, weil sie besonders in den Ballungsgebieten auftreten, wo nachweisbar eine restriktive Bauland- und Baurechtspolitik betrieben wurde, aus der die Mieterinnen und Mieter jetzt die Konsequenzen tragen müssen.Deshalb hat meine Partei hier die Initiative ergriffen und einige Vorschläge zur Überprüfung des Mietrechts — zeitlich befristet, örtlich begrenzt — gemacht. Daß Sie von den GRÜNEN diese abschreiben und zum Inhalt eines Entschließungsantrages anläßlich der Wohngelddebatte machen, das ist mehr als lächerlich,
ganz abgesehen davon, daß Sie eigentlich wissen müßten, daß nicht das Parlament die Bundesregierung zur Gesetzesinitiative auffordern muß, sondern das Parlament in diesem Land die Gesetze schon selber macht.
Aber wenn Sie schon abschreiben, dann schreiben Sie bitte ganz ab, nicht nur zur Hälfte.
Wir haben eine ganze Reihe zusätzlicher Forderungen mit drin, beispielsweise Angebotsausweitung beim KfW-Programm und bei der Bausparzwischenfinanzierung sowie Weiterführung des Studentenwohnungsbaus.
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Bundesminister Frau HasselfeldtAll diese Vorschläge, meine Damen und Herren, werden zur Zeit in der Koalition intensiv geprüft. Die Entscheidung über diese Vorschläge darf nicht in einem Schnellschußverfahren erledigt werden. Das ist viel zu wichtig.Deshalb werden wir Ihren Entschließungsantrag, bei dem es nicht um die Sache geht — das wissen Sie sehr wohl — , ablehnen und die Beratungen in der Koalition auf der Grundlage unserer Überlegungen in der intensiven Weise, wie wir sie begonnen haben, fortsetzen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes, Drucksachen 11/6930, 11/7151 und 11/7214.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/7290 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-FDP-Koalition abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 ist bei Enthaltung der SPD angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, über den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/7275 werden wir nach der Wahl zur PKK gegen 12 Uhr namentlich abstimmen. *)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines*) Siehe Seite 16800BGesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 11/7214, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5638 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 11/7214. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 3, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5267 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/7214 unter Nr. 4 empfiehlt. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.Wir stimmen noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7288 zum Wohngeldgesetz ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes— Drucksache 11/4942 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 11/7231 —Berichterstatter:Abgeordnete Harries KiehmWolfgramm Frau Garbe
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Abgeordneten Kiehm, Dr. Hauff, Schäfer , Bachmaier, Frau Blunck, Dr. Böhme (Unna), Frau Conrad, Conradi, Fischer (Homburg), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heistermann, Jansen, Dr. Klejdzinski, Dr. Koltzsch, Kretkowski, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Müller (Düsseldorf), Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Waltemathe, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDNotwendige Änderungen des Abwasserabgabengesetzes
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Präsidentin Dr. Süssmuthzu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates überdie Behandlung kommunaler Abwässer— Drucksachen 11/1771, 11/6285 Nr. 2.13, 11/7231 —Berichterstatter:Abgeordnete Harries KiehmWolfgramm Frau GarbeHierzu liegt ein Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/7293 vor.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 45 Minuten vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Harries.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abwässer aus der gewerblichen und industriellen Produktion und aus privaten Haushalten belasten bekanntermaßen unsere wichtige Lebensgrundlage Wasser in Flüssen, Seen und in Meeren. Das Wasserhaushaltsgesetz und das Abwasserabgabengesetz leisten einen wichtigen und ganz unverzichtbaren Beitrag, um einmal die Abwassermengen und zum anderen die Abwasserschädlichkeit zu verringern. Über diese Grundsätze sind wir uns hier völlig einig.Einig sind wir uns auch darüber, daß jetzt eine Novellierung des Abwasserabgabengesetzes mit dem Ziel der Verschärfung wichtiger Bestimmungen erfolgen muß. Über Umfang und Ausgestaltung im Detail gehen unsere Meinungen im Ausschuß auseinander. Ich glaube, ich werte unsere Beratungen im Ausschuß richtig, daß man doch eine ganz wichtige Annäherung verzeichnen kann.Ich unterschlage nicht, daß Betroffene in Wirtschaft, Industrie und auch im kommunalen Bereich dieser Novellierung mit Skepsis und teilweise auch mit Ablehnung gegenüberstehen. Wir meinen aber, daß die Interessen dieser Betroffenen gegenüber einem sehr effektiven und glaubwürdigen Gewässerschutz zurückstehen müssen. Ich bin auch der Auffassung, daß das, was wir nun zur Verabschiedung vorschlagen, für Einleiter, für die Wirtschaft und den kommunalen Bereich absolut noch zumutbar ist.
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir in einigen wenigen, aber entscheidenden Punkten geändert und verschärft. Wir stellen teilweise eine neue Systematik zur Diskussion. Ich danke an dieser Stelle dem Bundesumweltminister und den Referenten seines Hauses für ständige sachkundige und kritische Begleitung unserer Diskussion.
Das Abwasserabgabengesetz bezieht inhaltlich zunächst die Nährstoffe Phosphor und Stickstoff in dieAbgabenbewertung ein. Diese Einbeziehung ist dringend notwendig, um die Belastung der Flüsse, der Seen und der Meere durch Nährstoffe drastisch zu senken. Ich erinnere an die wiederholten Aussprachen über Nordseeprobleme. Daran wird jedem deutlich, daß gerade diese Nährstoffe zukünftig verstärkt und gezielt angegangen werden müssen.Dem Ziel, die Belastung der stehenden Gewässer und der Meere zu senken, dient auch die von uns akzeptierte Erhöhung des Abgabensatzes. Wir sind hier aber über die Vorschläge der Bundesregierung hinausgegangen. Wir haben uns den Vorstellungen der SPD-Bundestagsfraktion genähert; wir haben sie nicht übernommen, weil Sie wieder zu weit und über das an sich erstrebenswerte Ziel hinausgegangen sind. Wir schlagen vor, den Abgabesatz ab 1. Januar 1993 auf 60 DM und ab 1. Januar 1995 auf 70 DM zu erhöhen.Das Abwasserabgabengesetz in seiner jetzt noch geltenden Fassung enthält den Grundsatz — wir wissen das — , daß Einleiter, die entsprechend dem Stand der Technik investiert haben, mit einer Senkung des an sich zu zahlenden Abgabensatzes belohnt werden. Die jetzige Ausschußfassung enthält einen wichtigen Schritt in eine neue Konzeption, in eine Dynamisierung. Wir verlassen damit das bisher geltende strenge, rein ordnungspolitische und ordnungsrechtliche Denken. Wir meinen, daß die von uns jetzt vorgesehene und vorgeschlagene Dynamisierung in der Lage ist, an das Problem der Restverschmutzung gezielt und wirksam heranzugehen.Was bedeutet das konkret? Der Abgabesatz ermäßigt sich nach dem jetzt geltenden Gesetz um 75 %, also ganz wesentlich, wenn man nach dem Stand der Technik investiert hat und das einhält. Die Abwasserabgabe hat damit im wesentlichen aber die Funktion, den wasserrechtlichen Vollzug zu flankieren. Hier haben wir nun mit einem neuen, wichtigen Schritt in Richtung Dynamisierung Neuland betreten, was aber für unsere Begriffe dem genannten Ziel besser dient. Das bedeutet, daß wir eine Anreizwirkung geben, um den Einleiter zu weiteren technischen Maßnahmen über den Stand der Technik hinaus zu bewegen.Konkret heißt das, daß der auf 25 % ermäßigte Abgabesatz nach vier Jahren wieder erhöht wird. Nach einer vierjährigen Inanspruchnahme der vollen Vergünstigung erhöht sich der Abgabesatz auf 60 % und nach weiteren vier Jahren wieder auf die endgültige Höhe von 80 %. Der Einleiter soll — ich wiederhole das — angereizt und durch Geld mit gedämpftem Druck gezwungen werden, ständig und freiwillig seine Abwasserbehandlung zu verbessern. Nur dann kommt er wieder in den Genuß der Abgabeermäßigung.Ich erwähne kurz § 10 Abs. 3, der den Grundsatz der Verrechnung anspricht. Auch hier haben wir — im Gegensatz zu dem vorgelegten Entwurf — eine Änderung vorgesehen, und zwar dahin gehend, daß die Verrechnungsmöglichkeit dann eintritt, wenn die Schadenmenge durch die Maßnahmen, durch die Investitionen mindestens um 20 % reduziert wird.§ 13 in Art. 1 unseres Novellierungsvorschlags befaßt sich mit der Verwendung der Abwasserabgabe,
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Harriesspricht also die Länder an, die den Vollzug vorzunehmen haben. Hier ist vorgesehen, daß sie im Gegensatz zur bisherigen Regelung 10 % der Einnahmen aus der Abwasserabgabe für ihre Verwaltungsaufgaben — die zugegebenermaßen nicht ganz gering sind — verwenden können. Wir kommen sodann zu einer Klarheit in der Richtung, daß genau bestimmt wird, wofür die Abwasserabgabe zu verwenden ist. Das sind, ganz grob und umschrieben gesagt, Abwasserbeseitigungshandlungen. Es wird hier also eine klare Zweckbindung zum Ausdruck gebracht.Uns allen, meine Damen und Herren, ist klar, daß die Novellierung, die heute ansteht, nicht die letzte sein wird. Wir legen aber Wert darauf, daß die Betroffenen in Wirtschaft, in Industrie und auch im kommunalen Bereich nun für einen vernünftigen Zeitraum davon ausgehen können, daß sie auf der Grundlage dieses Gesetzes leben, investieren und arbeiten können. Das dient auch dem Vertrauensschutz, wobei wir wissen, daß wir an die vollziehenden Landesbehörden nicht ganz geringe Anforderungen stellen, um hier zu einem ordnungsgemäßen Vollzug zu kommen.Meine Damen und Herren, einige wenige letzte Sätze zum Entschließungsantrag, den wir im Ausschuß diskutiert und erarbeitet haben und der heute zur Abstimmung steht. Er enthält Prüfungsaufträge an die Bundesregierung, um eine nächste Novellierung hoffentlich erst in fünf, sechs Jahren vorzubereiten. Danach soll die Bundesregierung aufgefordert werden, durch weitere, sinnvolle Forschungsvorhaben eine Erfolgskontrolle durch Biotests sicherzustellen. Weiter, meinen wir, sollte rechtzeitig überlegt und geprüft werden, ob dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch Regelungen über die Offenlegung der Einleitungsdaten — dazu konnten wir uns zugegebenermaßen jetzt noch nicht durchringen — zumindest in einer weiteren Novellierung Rechnung getragen werden kann. Dann bitten wir die Bundesregierung, zu prüfen, ob auch indirekte Einleiter zu dieser Abwasserabgabe herangezogen werden können.Letzter Punkt: Zur Debatte und zur Verabschiedung steht auch die Entschließung zu einer Richtlinie der Kommission in Brüssel über die Behandlung kommunaler Abwässer. Ich meine, daß eine Überarbeitung durch die Bundesregierung in die Diskussion gebracht werden sollte, um zu erreichen, daß die Interessen der Länder angemessener berücksichtigt werden. Wir meinen auch, daß kommunale Interessen in diesem Vorschlag der Kommission keine Berücksichtigung finden.Meine Damen und Herren, das ist alles in allem ein abgewogener Novellierungsvorschlag. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kiehm.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Harries hat den Sachverhalt, um den es hier geht, korrekt beschrieben. Trotz vielfacher gesetzlicher Veränderungen, die teilweise in die falsche Richtung gingen, haben wir eine Verschlechterung zumindest in Teilen der Gewässer festzustellen. Die Nordsee ist ein typisches Beispiel.
— Sie haben Gelegenheit, hier ein Plädoyer für die saubere Nordsee zu halten. Vielleicht handeln Sie dann entsprechend, wenn Sie Gesetze beschließen.
Herr Harries hat auch das technische Funktionieren des Gesetzes hier korrekt beschrieben.Ich will mich diesem Gesetz von einer anderen Seite nähern, weil ich meine, daß es nur verstanden werden kann, wenn man es mit der heute laufenden Diskussion über eine ökologisch orientierte Marktwirtschaft und mit der Diskussion über Instrumente, die in einer Marktwirtschaft steuernde Wirkung haben können, in Zusammenhang bringt.Wenn wir diese Maßstäbe anlegen, Herr Harries und meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, wird dieses Gesetz den Ansprüchen nicht gerecht.
Sie wird es deshalb nicht überraschen, wenn wir diesem Gesetz nicht zustimmen.
Zum Verlauf der Behandlung im Ausschuß
will ich gerne einräumen, daß wir in einer sehr deutlichen Art und Weise und fair miteinander diskutiert haben.
— Immer ist das nicht der Fall; manchmal gibt es besondere Schwierigkeiten, die nicht zuletzt vom Vorsitzenden ausgehen.Der Sachverstand von Wissenschaft und Technik ist genutzt worden. Wir haben Nachbesserungen bekommen, ich will einmal sagen, nicht zuletzt auch wegen Wolfgrammscher Hartnäckigkeit.
Es gab Kompromißfähigkeit und Annäherungen bei bestimmten Positionen. Wir haben beispielsweise die Entschließung, die hier vorliegt, im Ausschuß mitgetragen. Wir meinen aber, daß wir darüber hinaus unsere Position durch den vorliegenden eigenen Entschließungsantrag verdeutlichen sollten.Auf 20 Milliarden DM schätzt Professor Wicke vom Bundesumweltamt die jährlichen Umweltschäden aus der Gewässerverschmutzung, obwohl der Grundsatz gilt, daß jedermann verpflichtet ist, eine Verunreinigung des Wassers zu verhüten. Die Verursacher dieser Schäden gilt es zu treffen. Und doch — das werfe ich gerade der CDU/CSU vor — wird zunehmend das
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KiehmVerursacherprinzip aufgeweicht oder nicht konsequent angewendet.So sind wir nach wie vor der Meinung, daß die CDU/CSU-Entscheidung, eine Entschädigungsregelung im Wasserhaushaltsgesetz zu verankern, ohne Not getroffen worden ist und ein Schritt weg vom Verursacherprinzip ist. Wir haben also allen Anlaß, kritisch zu sein und diesen Gesetzentwurf kritisch zu hinterfragen.Meine Damen und Herren, es gilt eine Grundsatzfrage zu klären:
Ist die Abwasserabgabe ein Instrument, um Ordnungsrecht durchzusetzen, oder hat diese Abgabe eine eigenständige Funktion? Kann sie eine eigenständige Funktion haben und wie muß sie ausgestaltet werden?
Schon 1976 stand in der Begründung zum Abwasserabgabengesetz, daß diese Abgabe vor allem einen eigenständigen Reinigungsanreiz bieten soll und daß eine gerechte Kostenzurechnung ermöglicht werden soll, um dadurch sicherzustellen, daß dort, wo bei sorgfältiger Güterabwägung im Gesamtinteresse eine Schädigung des Gewässers gleichwohl in Kauf genommen wird, vom Verursacher ein angemessener Ausgleich zu leisten ist.
Die Entwicklungen um dieses Abwasserabgabengesetz haben von dieser ursprünglichen Zielsetzung weggeführt. Uns hat zumindest die Debatte um eine ökologisch orientierte Marktwirtschaft, die wir eben nicht nur als einen Austausch von Parolen verstehen, sondern wovon wir überzeugt sind, daß Parteien und politische Gremien programmatisch daran zu arbeiten haben und wir als Parlament für eine angemessene Ausgestaltung der Gesetze in diesem Sinne sorgen müssen, veranlaßt, ein besonderes Kriterium anzulegen und zu fragen, ob das, was hier formuliert wird, der besonderen Funktion einer eigenständigen Wirkung dient.Ich weiß, daß manche Länder — auch sozialdemokratisch regierte Länder — daran interessiert sind, die Abgabe in einer Weise zu bekommen, daß sie eine Stärkung bei der Durchsetzung des Ordnungsrechtes sind
und daß Kontinuität im administrativen Geschäft bleibt.
— Das mag alles richtig sein, aber, Herr Vorsitzender, wir sind im Umweltschutzausschuß, und wir sind kein Ausschuß zur Erleichterung von Bürokratie in den Ländern und Kommunen.
Deshalb verstehe ich manchmal Ihre Argumente am wenigsten. Wir jedenfalls sind der Auffassung, daß dieses Gesetz nicht das bringt, was es an sich bringen könnte,
nämlich eine Optimierung der Umweltschutzpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
— Das ist nicht wahr! Wir haben deutlich gemacht, daß wegen der unfairen Art und Weise, wie mit uns umgegangen worden ist,
zunächst einmal davon ausgegangen werden muß, daß wir dagegenstimmen. Dann haben wir anschließend, ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Beratung im Ausschuß zu haben, Position zu § 9 Abs. 5 in der Fraktion bezogen, die zu unserem Schritt führte. Wären Sie großzügiger gewesen, Herr Kollege, dann hätten wir die Debatte, die wir heute hier führen müssen, im Ausschuß führen können.
Sie haben sechs bis acht Wochen gebraucht, um Ihre Position zu bestimmen, und uns haben Sie keine 14 Tage gegönnt. Das ist kein fairer Umgang. Das will ich einmal deutlich sagen.
Der Regierungsentwurf sah vor, die seit 1986 feststehende Abgabe von 40 DM ab 1991 auf 50 DM und 1993 auf 60 DM zu erhöhen. Nun hat die Koalitionsfraktion nachgebessert und will ab 1995 70 DM erheben. Ich sage Ihnen: Das wird nicht das letzte Wort sein, weil Sie Ermäßigungszeiträume von acht Jahren haben, mit denen Sie — um in der Systematik zu bleiben — irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht 1997 auf 90 DM kommen und 1999 auf 110 DM. Halbherzigkeit scheint das Prinzip auch dieses Kompromisses zu sein. Hier wird niemandem geholfen. Sie wissen so gut wie wir, daß die Industrie als eine der hauptbetroffenen Gruppen nicht so sehr um die Höhe der Abgabe fürchtet,
sondern um die fehlende Sicherheit für die längerfristige Kalkulation. Was Sie betreiben, ist die Fortsetzung dieser Unsicherheitspolitik.
Die Sozialdemokraten glauben, daß mit dem Satz, der letzten Endes im Jahre 1999 — um dabei zu bleiben — herauskommt, keine Schwierigkeiten bestehen, eine Abgabe von 130 DM zu realisieren.Und jetzt darf ich ein Wort an die Kollegen von der FDP richten. Sie gehen da im Grunde noch sehr viel weiter. Bei Ihrer politischen Programmatik wären noch sehr viel deutlichere Abgabesätze möglich. Wenn ich der „Frankfurter Rundschau" trauen darf, dann hat die FDP in Kassel beschlossen, daß die wirtschaftliche Belastung bis hin zu den Grenzen der Rentabilität betrieben werden kann, wenn dadurch der Umweltschutz gefördert wird. Herr Wolfgramm, dagegen ist das, was wir vorschlagen, nur ein müder
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KiehmBeitrag. Sie müßten uns sozusagen laufend überholen und mit uns gemeinsam ein noch besseres Gesetz beschließen.
Meine Damen und Herren, die im Gesetz festgelegten Abgabesätze nach dem Koalitions- und SPD-Vorschlag zeigen in der Tat, wenn man die Bruttobeträge nimmt, keine große Differenz. Sie sagen allein aber auch nichts aus über die tatsächliche Belastung der Abgabepflichtigen. Wer im Rahmen einer Genehmigung handelt, aber durch Einleitung immerhin Gewässer verschmutzt, zahlt nach dem Koalitionsvorschlag nur noch 25 % des Abgabesatzes. Meine Damen und Herren, aus dem stolzen Betrag von 50 DM wird auf einmal eine reale Abgabenhöhe von 12,50 DM im Jahr 1991 und von 42 DM im Jahr 1995.Wir wollen — das sagen wir in aller Deutlichkeit — den Charakter der Restverschmutzerabgabe stärken und lediglich eine dauerhafte Betriebssicherheit honorieren, gewähren also nur 25 % Nachlaß. Das heißt: Im Jahr 1991 müssen nach unseren Vorstellungen 37,50 DM bezahlt werden. Das ist immerhin das Dreifache dessen, was die CDU hier zumutet. Im Jahr 1995 sind es dann 67,50 DM und im Jahr 1999 97,50 DM.
Meine Damen und Herren, dadurch ist es überhaupt erst möglich, daß ein ernsthafter Abwägungsprozeß bei den Abgabepflichtigen ausgelöst wird. Diese sollen ja nach Abwägung zwischen der Zahlung einer höheren Abgabe oder der Investition, um Abgaben zu sparen, entscheiden. Voraussetzung ist aber, daß eine vergleichbare Basis vorhanden ist. Und Sie werden uns doch nicht bestreiten wollen, daß die von Ihnen angepriesene Lösung diesen Abwägungsprozeß in Sachen Umweltschutz nicht fördert.
Wird dagegen unsere Konzeption verwirklicht, gibt es eben nicht nur einen ökologischen, sondern sogar einen ökonomischen Gewinn.Ich will jetzt einige Bemerkungen zu Gesichtspunkten machen, die vielleicht nicht mehr eine so große Bedeutung haben, die aber für uns dennoch wichtig sind.Der Gesetzentwurf schafft verschiedene Förderungsmöglichkeiten, Verrechnungsmöglichkeiten, Möglichkeiten, aus dem Aufkommen Mittel für bestimmte Maßnahmen in Anspruch zu nehmen. Sie können sich sicherlich alle an die vielfältigen Ansprüche erinnern, die auch in den Anhörungen zum Ausdruck kamen. Ich muß deutlich sagen: Wir bedauern, daß Klotzen bei der Mittelvergabe aus EG-rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Um so dringlicher ist es, eine begleitende Förderung, beispielsweise im Steuerrecht, zu verankern oder die Regelungen fortzusetzen. Ich kann hier nur dringend bitten: Wer Umweltschutz im Gewässerbereich betreiben will, sollte diesem Gesichtspunkt Rechnung tragen und die Abschreibungsmöglichkeiten — —
— Wenn ich die Wahl hätte, Herr Grünbeck, Abgaben zu erhöhen, Steuererleichterungen zu schaffen oder Vermögensteuer zu senken, dann würde ich im Interesse des Umweltschutzes für die Abschreibung, aber für die Beibehaltung der Vermögensteuer sein. Sie können sich hier ja einmal profilieren und sagen: Ich, FDP, unterstütze dieses Begehren. — Dann werden Sie etwas für die Umwelt tun und nicht für Ihre Klientel die Vermögensteuer senken.
— Das ist ganz einfach. Wenn Sie eine fiskalische Rechnung aufmachen, dann können Sie auf Steuereinnahmen verzichten: Sie können das entweder bei der Vermögensteuer tun, oder Sie können das bei der Abschreibungsregelung tun. Das ist sehr leicht verständlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Aber ja.
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Auffassung,
daß man den entscheidenden ökologischen Durchbruch im Abwasserbereich nicht mit Steuern und Abgaben, sondern nur durch die ständige Verbesserung der Technologie erreicht?
Die Technologie ist wichtig. Aber ob sie angewendet wird, entscheidet der einzelne Unternehmer in der Regel nicht freiwillig,
sondern dazu bedarf es eines gewissen ökonomischen und ordnungsrechtlichen Drucks.
Sie sagen doch immer, Sie seien Experte.
Wenn Sie wirklich einer wären, könnten Sie diese Frage gar nicht stellen.
Meine Damen und Herren, ich will zum Abschluß nur noch eine Bemerkung machen: Ich hoffe, daß das, was der Kollege Harries hier angekündigt hat, Wirklichkeit wird: daß auch für Indirekteinleiter zukünftig eine Abgaberegelung geschaffen wird. Wir dürfen nicht verkennen — ich habe das noch einmal nachgeschlagen — , daß nahezu 60 % der Abwassermenge, die heute durch Direkteinleitung die Gewässer verschmutzt, über öffentliche Kanalisation noch einmal zur Gewässerverschmutzung beiträgt. 1,3 Milliarden Kubikmeter Abwässer aus Gewerbe und Industrie ge-
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Kiehmhen über Indirekteinleitung in die Gewässer. Auch hier diesem Ziel näherzukommen und ein ökonomisches Mittel einzusetzen, schiene mir eine vernünftige Aufgabe zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe Lust anzumerken, daß wir mit diesem Gesetz, das die zwei neuen Parameter Phosphat und Stickstoff einführt, natürlich auch etwas Entscheidendes für die Ostsee tun. Die Ostsee hat in diesem Hause nicht die Rolle gespielt — das liegt sicher auch daran, daß wir als Anlieger nur einen kleinen Teil besetzen — , die sie spielen sollte, denn sie ist in einem noch sehr viel kritischeren Zustand als die Nordsee.Ich habe hier aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 21. Mai 1990 eine Kurzberichterstattung über die erste nationale Ostsee-Konferenz der DDR, die ganz augenscheinlich wohl nur zu einer ersten Bestandsaufnahme dienen konnte. Da hören wir, daß insbesondere die zunehmende Eutrophierung der Ostsee zu großen Problemen führt, und wir hören weiter, daß vier Fünftel der Kläranlagen im DDR-Hinterland der Ostsee ausschließlich mit einer einzigen, nämlich mechanischen Klärstufe ausgerüstet sind. Nun wissen wir alle, was eine mechanische Klärstufe bedeutet, nämlich fast nichts, und das eröffnet natürlich mit unserem Gesetz doch eine entscheidende Möglichkeit, hier einzugreifen, zumal wir ja wissen, daß die Novellierung schon zum 1. Januar 1991 auch dort in Kraft treten wird.Ich will Dresden hier nicht noch als besonderen Punkt herausstellen; wir haben alle in Dresden Tagungen und Sitzungen gehabt, und die Meßergebnisse werden uns im nachhinein den dort genossenen Kaffee ein wenig als Chloridtrunk in der Erinnerung behalten lassen.
Diese zwei Schadparameter, die wir einführen, werden also ihre Wirkung für die Ostsee nicht verfehlen, für die Nordsee natürlich auch nicht. Wir schätzen, daß wir die Schadstoffe damit um 26 000 Tonnen reduzieren können. Damit ist immerhin schon fast das erreicht, was sich Bundesminister Töpfer als Gesamtreduzierung vorgestellt hat.Ich möchte jetzt auf das Hearing eingehen, das wir gehabt haben. Meine Fraktion hat dieses Hearing sehr sorgfältig betrachtet, wir haben daran teilgenommen und auch Folgerungen aus diesem Hearing zusätzlich zu unseren eigenen Vorstellungen gezogen. Wir haben versucht, gerade das, was Professor Hans-meyer im Hearing in Besonderheit moniert hat, zu verändern, daß dieses Gesetz nämlich auf dem Wege ist, ein reines ordnungspolitisches Gesetz zu werden. Ich teile da nicht ganz die Meinung meines verehrten Vorsitzenden des Ausschusses. Ich meine, daß wir hier eine gute Veränderung vorgenommen haben, denn wir haben die Position, die wir auch in der erstenLesung im Ausschuß vorgetragen haben, Punkt für Punkt umgesetzt.Ich teile auch nicht die Anmerkung meines Kollegen Kiehm, daß die Opposition hier nicht fair behandelt worden sei. Wir haben in umfangreichen und sehr sorgfältigen Gesprächen in der Koalition diese Veränderungen erreicht und durchgesetzt. Da wir alle wußten, über welche Punkte wir reden — das war für den kundigen und auch erfahrenen Kollegen Kiehm nichts Neues — , konnte von einer Überraschung oder gar von einem zusätzlichen Informationsdefizit überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil, die Überraschung war auf Ihrer Seite im Ausschuß, was alles gegenüber dem ersten Entwurf durchgesetzt worden ist.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch sehr bedanken und besonders darauf hinweisen, daß wir kundigen Rat durch Bundesminister Töpfer und Ministerialdirektor Ruchay in diesen sehr schwierigen Fragen erfahren haben. Ich möchte an dieser Stelle auch meinen Mitarbeiter, Herrn Dr. Borkenstein, nennen, der sehr viel Mühe und sehr viel Zeit aufgewendet hat. Es darf auch in diesem Haus einmal erlaubt sein, daß wir diejenigen nennen, die uns zuarbeiten und uns damit überhaupt erst die Möglichkeit an die Hand geben, politisch zu agieren. Ich möchte mich auch bei ihnen sehr herzlich bedanken.
Lieber Herr Kollege Kiehm, Sie haben zu Anfang angemerkt, die Gewässerlage habe sich verschlechtert. Sie haben dazu schon einen rügenden Zwischenruf unseres Vorsitzenden erhalten. Zu Recht. Denn ein Blick auf die Gewässergütekarte zeigt Ihnen natürlich, daß das nicht stimmt.
Das Rot dort geht zurück. Das mag Ihnen für die Farbe Rot insgesamt vielleicht nicht so sehr gefallen.
Aber das Rot auf der Gewässergütekarte geht zurück. Das ist übrigens auch beim Hearing festgehalten worden.Wenn wir nun noch einmal einen Blick auf den Gesetzentwurf werfen, möchte ich doch einige Punkte hervorheben. Es ist durch das Gesetz festgelegt, daß wir 1995 mit der letzten Erhöhung um 10 DM die Abgabe erst einmal festschreiben. Das ist der Punkt, den gerade die Industrie braucht. Aus der Umkehrung der sozialdemokratischen Argumentation wird ein Schuh daraus. Das heißt, hier haben Sie die Sicherheit. 1995 ist der letzte Zeitpunkt, zu dem um 10 DM erhöht wird.Die Restverschmutzungsabgabe halte ich für sehr wichtig, weil sie genau das marktwirtschaftliche Instrument ist und die Anreizwirkungen vergrößert.
Wir senken auf 25 % des Abgabesatzes, wenn jemandgenau das tut, was im Augenblick technisch möglichist. Mehr kann er nicht tun. Die IFAT in München hat
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Wolfgramm
gezeigt, daß da eine Fülle sehr erprobter und großartiger technischer Möglichkeiten entwickelt worden ist.Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, Herr Kollege Kiehm. Sie können entweder sagen: Wenn er alles getan hat, dann können wir ihn eigentlich gar nicht mehr belasten. Oder Sie sagen, wie wir es tun: Es bleibt aber ein Verschmutzungsgrad übrig; diesen Verschmutzungsgrad müssen wir pönalisieren; wir müssen damit auch den Antrieb verstärken, weiter nach besseren technischen Möglichkeiten zu suchen.Genau das machen wir mit diesem Gesetz, indem wir sagen: 25 % unmittelbar; aber vier Jahre danach steigt es auf 60 %. Dies ist exakt der Zeitraum, in dem neue Techniken eingeführt werden können und in dem das zumutbar ist. Das ist ein überschaubarer Zeitraum, in dem man das vornehmen kann. Dann steigt der Satz weiter auf 80 %, nämlich für diejenigen, die nicht rechtzeitig investieren.Die Schadstoffminderung — 20 % gegenüber den 10 % nach dem Regierungsentwurf — ist, meine ich, die richtige Abwägung.Schließlich und endlich bin ich der Meinung, daß wir in der Entschließung deutlich machen: Die Bundesregierung soll einen Vorschlag zur Offenlegung der Einleitungsdaten seitens der Länder vorlegen. Es geht um die Erfassung und Offenlegung aller Abwassereinleitungen von der Quelle bis zur Mündung.Herr Kollege Kiehm, es wäre für uns sehr hilfreich, wenn Sie bei den SPD-regierten Ländern mithelfen würden, daß das geschieht. Denn ohne diese Daten läßt sich natürlich letztlich ein entscheidender Durchbruch bei der Bekämpfung der Gewässerverschmutzung nicht erreichen.Zum Schluß möchte ich aus dem Versband „Gereimtes und Ungereimtes aus dem Bundeshaus" meines Kollegen Friedrich Neuhausen zitieren dürfen, Frau Präsidentin. Er wird uns ja mit dem Ende dieser Legislaturperiode verlassen, was ich aufs schmerzlichste bedauere. Unter „Antikes" sagt er:Herodot berichtet, daß den alten Persern die Lüge das Entehrendste gewesen sei. An zweiter Stelle folge das Schuldenmachen, weil es mit Notwendigkeit zum Lügen verführe. Mit solchen Grundsätzen läßt sich heute kein Staat mehr machen, und auch ihre Sitte, den Flüssen größte Ehrerbietung zu erweisen, nicht einmal in sie zu speien oder die Hände in ihnen zu waschen, von anderem ganz zu schweigen, hat im Laufe der Zeit dem Fortschritt weichen müssen.
Diesen eben beschriebenen Fortschritt versuchen wir mit Hilfe der Novellierung zum Guten zu verändern.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Die GRÜNEN haben bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Gewässerschutzpolitik der Bundesregierung kritisiert; denn selbst der alarmierende Zustand der Nordsee hat es nicht vermocht, die Bundesregierung bei den täglichen ganz legalen Einleitungen von langlebigen, nicht abbaubaren, zum Teil krebserregenden und erbgutverändernden Chemikalien zum entschlossenen Handeln zu bewegen. Was aber die Entgiftung der Nährstoffe aus den Abwässern betrifft, so soll sie nun obligatorisch werden, und für die im Wasser verbleibenden Nährstoffe soll künftig sogar eine Abgabe verlangt werden. Untätigkeit wollen wir Ihnen, Herr Minister, also nicht vorwerfen.
Nur, Sie handeln perspektivlos. Die Sachverständigen haben bei der Anhörung zum Entwurf des Abwasserabgabengesetzes mit aller Deutlichkeit auf eben diese Konzeptionslosigkeit Ihrer Politik hingewiesen. Aus dem Entwurf gehe nicht klar hervor, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel hinsichtlich der Gewässergüte das Abwasserabgabengesetz wirken solle. Das war und ist der Vorwurf, liebe Kollegen und Kolleginnen. Ich denke, es ist schon eine Zumutung und Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament, den Sachverständigen und auch den Bürgern und Bürgerinnen, wenn diese Kritikpunkte bei den Beratungen so gut wie keine Beachtung fanden, außer in der Tat bei der FDP, Kollege Wolfgramm.
Der Zustand unserer Flüsse und Meere verlangt aber intensivste Beratungen und verlangt vor allem auch mehr als die Aufnahme von Phosphor und Stickstoff und mehr als nur eine geringfügige Anhebung der Abgabesätze.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Ja.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß das eben zitierte Werk des Kollegen Neuhausen im Niedersachsen-Verlag in Hannover bezogen werden kann?
Das ist richtig. Ich bin Niedersächsin. Aber nach der Poesie wollen wir mehr zur harten Wirklichkeit kommen.
Der beabsichtigte Abgabensatz von 60 DM im Jahr entspricht nicht einmal annährend den Reinigungskosten und schon gar nicht den Folgekosten der Gewässerverunreinigung. Eine Novellierung des Abwasserabgabengesetzes muß, wenn sie einen wirkungsvollen Beitrag zum Schutze der Gewässer leisten soll, folgende Ziele verfolgen:Erstens muß sie durch eine Abgabenhöhe, die den Reinigungskosten entspricht, eine möglichst schnelle Etablierung der Nährstoffentfernung in den Kläranlagen bewirken.Zweitens. Verfahren zur Nährstoffentfernung, die zu einer möglichst geringen Erhöhung des Klärschlammanfalls und zu einer möglichst guten Ver-
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Frau Garbewertbarkeit der im Schlamm enthaltenen Nährstoffe führen, sind zu fördern.Drittens. Der Gedanke der Schadstoffvermeidung durch Umstellungen in der Produktionsführung und Substitution gefährlicher Stoffe in Produkten muß absoluten Vorrang haben vor Maßnahmen, die lediglich darauf abzielen, die Schadstoffe aus dem Abwasser in die Klärschlämme zu verlagern, also von einem Medium zum anderen.Die Fraktion DIE GRÜNEN hat in Änderungsanträgen aufgezeigt, wie dem Abwasserabgabengesetz diese Stoßrichtung verliehen werden kann.Erstens. Steigerung der Abgabenhöhe auf 120 DM pro Schadeinheit.Zweitens. Keine Minderung der Abgabe bei Einhalten der Mindestanforderungen. Statt dessen muß das Abgabenaufkommen schwerpunktmäßig zu Investitionen zur Schadstoffvermeidung verwendet werden.
Drittens: keine Förderung nachsorgender Technologien, Herr Kollege Grünbeck, denn diese Technologien bescheren uns immer weiteren Sondermüll. Dies sind die wichtigsten Punkte unserer Anträge.Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die Verweigerung der Abgabenminderung bei Erreichen der Mindestanforderungen stieß bei der Regierungspartei auf heftige Ablehnung. In der Beschlußempfehlung wird dazu vermerkt, daß bei der Fraktion DIE GRÜNEN die Tendenz erkennbar sei, die Instrumente zu Lasten der Wirtschaft zu überziehen. Die jahrelangen Versäumnisse und Fehlentscheidungen im Gewässerschutz machen aber unsere Forderungen und unser Vorgehen notwendig, liebe Kollegen und Kolleginnen.
Wenn die Nord- und Ostsee vor dem Erstickungstod gerettet werden sollen, reichen Kläranlagen nicht aus. Nach Schätzungen beträgt der Stickstoffeintrag aus der Landwirtschaft und über die Atmosphäre weit über 50 %.
Mit nachsorgender Reparaturpolitik ist hier keine Abhilfe zu schaffen. Abhilfe kann nur — das sage ich hier zum wiederholten Male — eine grundsätzliche Wende in der Landwirtschaftspolitik und im Verkehrsbereich schaffen.
Notwendig ist die flächendeckende Extensivierung der Landwirtschaft, ein Verbot der Massentierhaltung und von mehrjährigen Monokulturen sowie die Förderung des ökologisch-bäuerlichen Landbaus.
Alle diese Maßnahmen müssen nun endlich ergriffen werden, wenn unsere Flüsse und Meere gesunden sollen. Alles andere ist Stümperei und Stückwerk, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Bundesminister Töpfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses neue Abwasserabgabengesetz ist ein weiterer Baustein für das Gesamtpaket des in dieser Legislaturperiode vorgelegten Ausbaus zu einer ökologischen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Gesetz ist Teil eines Gesamtkonzeptes, eines Konzeptes, das ebenfalls das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung umfaßt und das die grundsätzliche Überarbeitung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes einschließt. Dieses Konzept schließt weiter die Neufassung des Chemikaliengesetzes ein, es bindet ebenfalls die Ausfüllung des Abfallgesetzes durch eine ganze Reihe von wichtigen Verwaltungsvorschriften ein, und es bindet nicht zuletzt die vielen Verwaltungsvorschriften mit ein, die den § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes konkretisieren. Gegenwärtig sind es 26 Vorschriften.Ich möchte deutlich machen, daß diese Verwaltungsvorschriften eine ganz wesentliche Voraussetzung gerade dafür sind, daß Abwasser vermieden wird und daß es nicht nur gut geklärt wird. Das ist natürlich die zentrale erste Fragestellung. Deswegen ist in diesem Gesetz klar und deutlich festgehalten, daß bei solchen Anlagen gerade auch die Vermeidungsmöglichkeiten mit erfaßt werden.Ich muß, Frau Abgeordnete Garbe, Sie immer und immer wieder darauf aufmerksam machen, daß unsere Überlegungen nicht bei der Kläranlage beginnen, sondern dort, wo es darum geht, Abwasser zu vermeiden. Deswegen ist die Festlegung des Standes der Technik in § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes gerade die entscheidende Veränderung gewesen. Wir gehen in die Produktionsprozesse hinein und warten nicht mehr ab, was denn als Abwasser vorhanden ist und wie wir es klären können. Genau der umgekehrte Ansatz ist durch die gesetzliche Änderung seit 1986 möglich geworden.Ich glaube, meine Damen und Herren, damit haben wir europaweit, ja weltweit den schärfsten Ordnungsrahmen im Wasserrecht überhaupt. Es gibt kein Land, das diesen Ordnungsrahmen durch Recht und Gesetz und durch Gebote und Verbote schärfer faßt, als das die Bundesrepublik Deutschland tut. Es ist völlig unmöglich — ich sage das hier ganz schlicht — , diesen Rahmen — etwa den der Verordnung nach § 7 a — europaweit zu harmonisieren. Wir sind hier unglaublich weit voran.Es ist notwendig, daß wir dort nicht stehenbleiben, sondern fragen, wie wir weiter dynamisieren können und wie wir die Technik weiter auf Schwung bringen können. An dieser Stelle hat das Abwasserabgabengesetz besondere Bedeutung. Es ist ganz eindeutig, daß dies unsere Überzeugung ist. Herr Abgeordneter Wolfgramm, das Abwasserabgabengesetz ist so gut, wie es den vorgegebenen Ordnungsrahmen nicht statisch werden läßt, sondern ihn weiter dynamisiert. Deswegen kommt natürlich der Restverschmutzung eine hohe Bedeutung zu. Daher mache ich gar keinen Hehl daraus, daß wir sehr zufrieden sind mit der Tatsache, daß wir bei dieser Abgabe bei Einhaltung des
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Bundesminister Dr. TöpferStands der Technik eine Dynamisierung erreicht haben.Lassen Sie mich doch einmal fragen, Herr Abgeordneter Kiehm: Wie kann es richtig sein, auf der einen Seite zu sagen, die Abgabe könnten wir nicht nach Einhaltung des Standes der Technik vermindern, und auf der anderen Seite zu sagen, eine steuerliche Förderung sollten wir als Investitionsanreiz vornehmen? Dies kann doch wohl nicht richtig sein. Wir müssen wirklich einmal darüber nachdenken, ob eine Abgabe nicht um so besser ist, je besser sie durch die Differenzierung zum Handeln anleitet. Dann ist es sicher besser, über die Abgabe zu differenzieren als über eine den einzelnen ja gar nicht mehr erreichende steuerliche Regelung.
Ich meine, wir sollten uns nun wirklich darüber klar sein, daß es ein falscher Weg ist, eine Steuer heranzuziehen und die Abgabe unverändert zu lassen.
Deswegen, glaube ich, liegen wir doch da gar nicht so weit auseinander. Auch Sie wollen fördern, auch Sie wollen den Anreiz haben, um Technik voranzubringen. Wir sind der Überzeugung, das geht ungleich besser über die Differenzierung der Abgabe, und Sie sind der Meinung, es geht besser über die Steuer.Ich sehe mit größter Freude der Tatsache entgegen, daß dieses Gesetz natürlich im Bundesrat zu erörtern ist. Da wollen wir einmal sehen, wie die Bundesländer z. B. auf Ihren Vorschlag reagieren, die Indirekteinleiter abgabepflichtig zu machen; darauf bin ich einmal sehr gespannt.Bisher stehen wir einer einstimmigen Meinung der deutschen Bundesländer gegenüber, die darauf hinweisen, dies sei nicht durchführbar. Wir werden es bald sehen; denn wir werden die Diskussion im Bundesrat haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Kiehm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Halten Sie bitte die Uhr an, Frau Präsidentin.
Ich halte sie an.
Herr Minister, ich hätte gern gewußt, welche Auffassung Sie zur Einführung der Abwasserabgabe für Indirekteinleiter vertreten und ob Sie bereit wären, im Bundesrat mit Vehemenz für die Einführung zu kämpfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe zunächst einmal das große Anliegen, daß die Indirekteinleiterverordnung durch die Bundesländer und die Kommunen angewandt wird, damit wir die Informationen haben, die der Entschließungsantrag — Herr Harries hat darauf hingewiesen — einfordert. Wenn wir diese Informationen haben, dann können wir sehr viel gezielter entscheiden, ob eine Indirekteinleiterabgabe in denKommunen sinnvoll ist. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn dann auch auf Landes- und kommunaler Ebene gesagt würde: Wir wollen die Indirekteinleiter differenziert zur Abwasserabgabe hineinbringen. Denn drin sind sie ja,
weil auch in der Kommune bei der kommunalen Einleitung eine Abgabe genommen wird.
Also muß ich sagen, wir sehen das mit großem Interesse.Lassen Sie mich ergänzend hinzufügen, Frau Abgeordnete Garbe: Das Abwasserabgabengesetz ist ebenfalls erst vor kurzem novelliert worden. Es ist zum 1. Januar 1989, in wichtigen Teilen erst zum 1. Januar 1990 in Kraft getreten. Das, was sie fordern, ist gerade Gegenstand der zweiten Novelle gewesen. Da sind AOX, also die chemischen Substanzen, zum Abgabenparameter gemacht worden;
dort sind die Schwermetalle zum Abgabenparameter gemacht worden. Also genau das, was sie jetzt einfordern, ist bereits in der letzten Novelle gemacht worden.Meine Damen und Herren, welches sind die wichtigen Ergänzungen?Erstens. Diese Novelle ist nicht nur eine reine P-und-N-Novelle, um das klar zu sagen. Sie hat also nicht nur mit Phosphat und Stickstoff zu tun, so wichtig das ist. Sie bringt wichtige ergänzende und konzeptionell weiterführende Überlegungen, die ich als außerordentlich gut empfinde.Zweitens. Sie erhöht die Abgabe. Lassen Sie mich die Zahlen nur einmal andeutungsweise nennen. Wir gehen jetzt davon aus, daß die Abwasserabgabe nach altem Recht etwa 500 Millionen DM bringt. Wenn alle mitziehen, d. h. schon anwenden, was bei Phosphatfällung und Denitrifizierung möglich ist, würde es eine Anhebung des Aufkommens auf 1,4 bis 1,6 Milliarden DM bedeuten. Zieht man nicht mit, werden es mindestens 6 Milliarden DM sein. Genau daran sehen Sie, wie diese Novelle wirken muß, nämlich durch Vermeidungsinvestitionen. Das ist für uns eine ganz wichtige Sache.Zum dritten darf ich noch einmal die hohe Bedeutung der dynamisierten Restverschmutzungsabgabe unterstreichen, die wir den starren Abgabesätzen gegenüber deutlich bevorzugen, weil damit der Stand der Technik nur festgeschrieben, d. h. eingefroren wird.Ich glaube, daß wir ebenfalls daran erinnern müssen, daß wir durch die Anrechnungsfähigkeit der Abgabe auf Investitionen über drei Jahre Investitionen dynamisieren, was wir gemeinsam wollen. Ich meine, daß es auch richtig ist, das, was die Länder an Verwaltungsabgaben und Verwaltungskosten damit verrechnen können, zu begrenzen. Meine Damen und Herren, es handelt sich also insgesamt um eine Gesetzesnovelle, die Teil einer Gesamtkonzeption ist.
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16776 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Bundesminister Dr. TöpferHerr Abgeordneter Kiehm, ich möchte betonen — das sage ich in Vertretung aller Bundesländer — , daß sich der Zustand der Gewässer in der Bundesrepublik Deutschland deutlich verbessert hat. Das sage ich nicht meinetwegen, sondern weil alle Kollegen in den Bundesländern mit viel finanziellem Einsatz und mit viel Kraft die Gewässerqualität verbessert haben. Ich empfehle Ihnen, in den Informationsschriften etwa aus Nordrhein-Westfalen, aus dem Saarland, aus Hamburg und aus vielen anderen Ländern nachzulesen,
wie außerordentlich gut wir im Gewässerschutz vorangekommen sind. Ich füge hinzu: Gut vorankommen heißt nicht, das Ziel bereits erreicht zu haben. Deshalb ist das, was wir in dieser Legislaturperiode vorgelegt haben, ein Gesamtkonzept, das stimmt. Wir haben das Ordnungsrecht deutlich verschärft. Wir haben es so verschärft, daß es weltweit keinen Vergleich zu scheuen braucht. Wir sind der Auffassung, daß in diesen scharfen Ordnungsrahmen mehr Anreize durch eine Abgabe hineingehören. Ich glaube, daß das Modell, das wir im Wasserbereich haben, sinnvoll auf andere Gebiete übertragen werden könnte. Das würde zeigen, daß die ökologische Marktwirtschaft nicht mehr eine Ankündigung ist, sondern eine Realität geworden ist.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes — Drucksachen 11/4942 und 11/7231.Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN bei einer Enthaltung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN bei einer Enthaltung angenommen worden.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/7231 unter Ziffer II empfiehlt. Wer stimmt für diese Entschließung? — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Entschließung ist bei zwei Enthaltungen angenommen worden.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7293. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/7231 unter Ziffer III. Insoweit empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1771 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen worden.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/7231 unter Ziffer IV empfiehlt. Wer stimmt für diese Entschließung? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei drei Enthaltungen der GRÜNEN angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:7. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes— Drucksache 11/4306 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/7235 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Blens Dr. HirschFrau Dr. VollmerWartenberg Dr. EmmerlichSuch
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wartenberg , Dr. Penner, Dr. Nöbel, Bernrath, Dr. Emmerlich, Graf, Hämmerle, Lambinus, Lutz, Paterna, Schröer (Mülheim), Dr. Sonntag-Wolgast, Tietjen, Peter (Kassel), Schütz, Dr. Skarpelis-Sperk, Vahlberg, Weiler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz personenbezogener Informationen (Bundes-Informationsschutzgesetz — BISG)— Drucksache 11/3730 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht desInnenausschusses
— Drucksache 11/7235 —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16777
Präsidentin Dr. SüssmuthBerichterstatter:Abgeordnete Dr. Blens Dr. HirschFrau Dr. VollmerWartenberg Dr. EmmerlichSuchbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/7251 —Berichterstatter:Abgeordnete Deres KühbacherFrau Seiler-Albring Frau Vennegerts
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes— Drucksache 11/2175 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht desInnenausschusses
— Drucksache 11/7235 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Blens Dr. HirschFrau Dr. VollmerWartenberg Dr. EmmerlichSuchbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/7252 —Berichterstatter:Abgeordnete Deres KühbacherFrau Seiler-Albring Frau Vennegerts
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENInformation über die Tätigkeit der Sicherheitsbehördenzu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPDzur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Such, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN „Tätigkeit des Verfassungsschutzes"zu dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Such und der Fraktion DIE GRÜNENzur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Such, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Tätigkeit des Verfassungsschutzeszu dem Antrag der Abgeordneten Such, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNENAuflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz— Drucksachen 11/2125, 11/6308, 11/6304, 11/6249, 11/7235 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Blens Dr. HirschWartenberg Dr. EmmerlichSuchFrau Dr. VollmerZP6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDzur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung— Drucksachen 11/4306, 11/7235 —Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklungder Datenverarbeitung und des Datenschutzes— Artikel 5 — Gesetz über den Bundesnachrichtendienst
— Drucksache 11/7262 —Zu Tagesordnungspunkt 7 a hat die Fraktion DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung verlangt.Außerdem liegen Änderungs- und Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7259, 11/7270, 11/7273, 11/7276 und 11/7277 vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Damit sind Sie einverstanden.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Datenschutzgesetz, zum Verfassungsschutzgesetz, zum Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst und über den Bundesnachrichtendienst zunächst drei allgemeine Feststellungen treffen.Die erste Feststellung: In allen Bereichen der Bundesverwaltung — also auch bei den Sicherheitsdiensten — wird der Datenschutz der Bürger erheblich ausgebaut. Gleichzeitig bleiben Arbeitsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltungen erhalten. Die Gesetze tragen also einerseits dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und andererseits der Tatsache Rechnung, daß dieses Recht nicht schrankenlos gewährleistet ist und der einzelne deshalb grundsätzlich Einschränkungen dieses Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen muß,
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16778 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Dr. Blenswie es das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil ausdrücklich festgestellt hat.Eine zweite Feststellung: Für den nichtstaatlichen Bereich, insbesondere für den Bereich der Wirtschaft wird der Datenschutz ebenfalls verstärkt. Allerdings sind hier die Datenschutzbestimmungen weniger rigoros als für die staatliche Verwaltung. Neben dem Ziel, übermäßigen bürokratischen Aufwand und eine Verschlechterung der Wettbewerbslage der deutschen Wirtschaft zu vermeiden, war dafür vor allem ein verfassungsrechtlicher Grund maßgebend.Das aus Grundrechten abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist in erster Linie — genauso wie alle Grundrechte — ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Es entfaltet als solches seine stärkste Wirkung. Im privaten Bereich stößt das Recht des einen auf informationelle Selbstbestimmung dagegen auf Grundrechte anderer, z. B. auf das durch die Art. 2 und 12 des Grundgesetzes geschützte Recht auf wirtschaftliche Betätigung, zu dem auch das Recht gehört, Informationen über andere zu sammeln, zu übermitteln und sonst zu nutzen oder Werbung zu treiben.In diesem Bereich ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die verschiedenen Grundrechtssphären verschiedener Grundrechtsträger gegeneinander abzugrenzen und einen Ausgleich zwischen ihnen herbeizuführen. Dieser Ausgleich gleichberechtigter Grundrechtssphären muß notwendigerweise anders ausfallen als die Abgrenzung zwischen den Grundrechtssphären der Bürger einerseits und den Eingriffsrechten des Staates andererseits.Aus demselben Grund waren auch besondere Vorschriften für den Datenschutz im Bereich der Medien und der wissenschaftlichen Forschung erforderlich, denn hier mußte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegen die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung abgegrenzt werden.Eine dritte allgemeine Feststellung zu den Gesetzen über die Sicherheitsdienste: Die gegenwärtigen Veränderungen in Osteuropa, die Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland und die Veränderungen zwischen den Bündnissen NATO und Warschauer Pakt machen es erforderlich, daß die Sicherheitsdienste der Bundesrepublik die Schwerpunkte ihrer Arbeit anders als bisher setzen. Es stellt sich auch die Frage, in welcher Weise der Umfang der Dienste den veränderten politischen Bedingungen anzupassen ist. Alles das ändert aber nichts daran, daß die Aufgaben der Dienste, so wie sie in den geltenden Gesetzen umschrieben sind, auch in Zukunft weiterbestehen.Auch in Zukunft müssen nicht öffentlich zugängliche Informationen über das Ausland gesammelt und ausgewertet werden, um der Bundesregierung ein sachgerechtes Urteil über außen- und sicherheitspolitische Fragen zu ermöglichen. Deshalb brauchen wir auch weiterhin den Bundesnachrichtendienst. Auch in Zukunft brauchen wir den Verfassungsschutz zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Spionage und terroristische Bestrebungen, weil es auch in Zukunft Spionage und leider auch terroristische Bestrebungen aller Voraussicht nach geben wird. Wir brauchen den Verfassungsschutz auch weiterhin zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unabhängig davon, ob es sich um linken oder rechten Extremismus handelt.Der Verfassungsschutz ist Teil dessen, was wir die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes nennen, die in der Lage ist, sich ihrer Feinde zu erwehren. Andere Teile dieser wehrhaften Demokratie sind z. B. Art. 18 des Grundgesetzes, Art. 21 des Grundgesetzes und Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes, in denen überall festgelegt ist, daß es möglich ist zu verhindern, daß jemand die Freiheiten des Grundgesetzes nutzt, um die Freiheiten dieser Verfassung zu untergraben und zu beseitigen.Warum die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich 1948/49 für dieses Modell der wehrhaften Demokratie entschieden haben, hat Sebastian Haffner 1974 in einem Satz knapp und prägnant zusammengefaßt: „Alle diese Männer und Frauen hatten den Untergang der Weimarer Republik erlebt. Er war ihr prägendes politisches Erlebnis, ihre unvergeßlich-traumatische Erfahrung, und so etwas nicht noch einmal zuzulassen war ihr fester Vorsatz. "Meine Damen und Herren, ich denke, für uns heute ist die sinnvollste Art, der deutschen Vergangenheit gerecht zu werden, diesen Vorsatz, so etwas nicht noch einmal zuzulassen, wachzuhalten, aber nicht nur wachzuhalten, sondern auch danach zu handeln.Das gilt für die Bundesrepublik, das gilt aber genauso für einen deutschen Gesamtstaat. Auch dieser demokratische Gesamtstaat muß in der Lage sein, sich der Feinde der Demokratie zu erwehren. Deshalb braucht auch dieser Gesamtstaat einen an die Normen des Rechtsstaats gebundenen Verfassungsschutz.Soviel zum Allgemeinen. Das ist gleichzeitig die Begründung dafür, Herr Such, daß wir Ihre Entschließungen, die auf die Forderung, die Dienste und auch den Verfassungsschutz abzuschaffen, hinauslaufen, ablehnen.Die Koalitionsfraktionen haben zu den einzelnen Gesetzen eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen. Für den Datenschutz gegenüber öffentlichen Stellen, also gegenüber dem Staat, geht es vor allem um folgende Änderungen. Für öffentliche Stellen des Bundes wird das Erheben, d. h. das Beschaffen von Daten über Personen in das Datenschutzgesetz einbezogen. Die Verarbeitung von Daten in Akten wird ebenfalls dem Datenschutzgesetz unterworfen. Für jede falsche oder rechtlich nicht zulässige Datenverarbeitung wird die sogenannte Gefährdungshaftung eingeführt, d. h. der Betreiber einer Datenverarbeitungsanlage haftet in diesen Fällen auch ohne Verschulden für eingetretene Schäden.Für eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts erstreckt sich die Haftung auch auf den ideellen Schaden, also auf einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist.Der Datenschutzbeauftragte wird in Zukunft nicht mehr nur vom Bundesinnenminister ernannt, sondern auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundestag gewählt. Seine Kontrollbefugnisse werden auf die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16779
Dr. BlensKontrolle von Akten der Bundesverwaltung ausgedehnt, wenn Anlaß zu solchen Kontrollen besteht.
— Sie müssen nicht so schnell dazwischenrufen, sondern warten, bis ich ausgeredet habe, Herr Such.Die Auskunftsrechte der Bürger werden erweitert; die Möglichkeiten der Behörde, die Auskunftserteilung abzulehnen, werden eingeschränkt.Für die nichtöffentlichen Stellen, also vor allem die Wirtschaft, werden weder die Erhebung von Daten noch Daten in Akten in das Datenschutzgesetz aus den Gründen, die ich eben genannt habe, einbezogen. Es kommt hinzu, daß wir damit rechnen müssen, daß in der Wirtschaft mindestens etwa 1 Milliarde Akten vorhanden sind. Hätten wir sie in das Gesetz einbezogen, hätten wir wahrscheinlich ein Gesetz gemacht, von dem von vornherein feststand, daß es in der Praxis nicht angewandt würde. Das ist sicherlich auch im Interesse des Rechtsbewußtseins der Bürger keine sinnvolle Sache. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen falscher oder unzulässiger Datenverarbeitung gegenüber Privaten wird keine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung eingeführt. Es wird aber zugunsten des Betroffenen die Beweislast zu Lasten der speichernden Stelle umgekehrt. Die Stellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten wird gestärkt.Für den Bereich der Werbung und der Markt- und Meinungsforschung wird das im Regierungsentwurf vorgesehene Privileg einer gesetzlichen Vermutung für die Zulässigkeit der Datenübermittlung und -nutzung für diese Zwecke nicht eingeführt. Für die Übermittlung und Nutzung listenmäßig zusammengefaßter Daten für Zwecke der Werbung gelten also dieselben Bestimmungen wie für die Datenübermittlung und -nutzung für andere Zwecke. Darüber hinaus ist festgelegt, daß besonders sensible Daten, z. B. über die Gesundheit oder andere Dinge, in der Regel listenmäßig überhaupt nicht übermittelt werden dürfen.Weitgehende Änderungen gibt es auch bei den Gesetzen über die Sicherheitsdienste. Die strikte Trennung von Sicherheitsdiensten und Polizei wird unverändert, wie schon im Regierungsentwurf und im geltenden Recht vorgesehen, gesetzlich festgeschrieben. Sicherheitsdienste und Polizei müssen organisatorisch klar voneinander getrennt sein.
— Nein, organisatorisch. Sie müssen mal ins Gesetz gucken, Herr Such.Die Dienste haben keine Weisungsbefugnisse gegenüber der Polizei. Sie haben selbst keinerlei polizeiliche Befugnisse wie etwa das Recht zur Festnahme, zur Durchsuchung, zum Verhör usw.
Sie haben ausschließlich die Aufgabe, Informationen zu sammeln und auszuwerten.
Schon deshalb verbietet sich jeder Vergleich mit dem Staatssicherheitsdienst der SED/PDS. Ganz abgesehen davon hatte dieser brutale Unterdrückungsapparat die Aufgabe, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der DDR zu zerstören und ihr Entstehen zu verhindern, während es die Aufgabe der Sicherheitsdienste der Bundesrepublik ist, Rechtsstaat und Demokratie vor der Gefährdung oder sogar Zerstörung durch ihre Feinde zu schützen.
Soweit der Verfassungsschutz die Aufgabe hat, Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beobachten, wird im Gesetz der Begriff der Bestrebungen definiert — —
Herr Such, ich bitte darum, daß Herr Blens zunächst seine Ausführungen machen kann.
Die Zwischenrufe hängen damit zusammen, daß Herr Such das Gesetz nicht versteht.
Soweit der Verfassungsschutz die Aufgabe hat, Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beobachten, wird im Gesetz der Begriff der Bestrebungen definiert und damit gesetzlich eingegrenzt. Demgegenüber wird darauf verzichtet, auch den Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Gesetz zu definieren. Das ist aber auch nicht erforderlich. Denn dieser Begriff wird nicht einfach aus der hohlen Hand in das Gesetz geschrieben, sondern der unbestimmte Rechtsbegriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist dem Art. 21 des Grundgesetzes entnommen, in dem er so enthalten ist. Er ist auch vom Bundesverfassungsgericht hinreichend definiert worden, sowohl im Urteil über das Verbot der Sozialistischen Reichspartei — einer neonazistischen Partei — 1952 als auch im Urteil über das Verbot der Kommunistischen Partei 1956.
Er ist in Strafrechtsnormen ebenfalls in seinen einzelnen Elementen definiert. In Anbetracht dieser Klarheit des Begriffs halten wir es nicht für erforderlich, das noch einmal in dieses Gesetz hineinzuschreiben. Wir haben darauf verzichtet.Bei Sicherheitsüberprüfungen ist in Zukunft die Kenntnis des Überprüften notwendig und ausreichend, wenn lediglich vorhandene Daten abgefragt werden, was in der Regel der Fall ist. Werden neue Daten zu diesem Zweck erhoben, muß der Betroffene ausdrücklich zustimmen. In die Sicherheitsüberprüfung dürfen außer dem Betroffenen selbst nur der Ehepartner, Verlobte und mit dem Betroffenen in Lebensgemeinschaft Zusammenlebende einbezogen
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16780 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Dr. Blenswerden. Geschieht das, so ist auch deren Kenntnis bzw. deren Zustimmung notwendig.Für Minderjährige wird ein weitgehender Schutz eingeführt. Das gilt vor allem für Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr. Der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst und der Verfassungsschutz dürfen über sie überhaupt keine Daten in Dateien speichern.
Der Militärische Abschirmdienst darf über diese Jugendlichen auch keine Daten in Akten aufbewahren. Der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst dürfen über diese Jugendlichen Daten in Akten nur aufbewahren, wenn sie ganz bestimmte und im Gesetz aufgezählte Straftaten begangen haben oder ihrer verdächtig sind.Wir stellen fest und wir legen Wert darauf, daß für Schulaufsätze und Artikel von Kindern in Schülerzeitungen nicht die Sicherheitsdienste, sondern ausschließlich die Eltern und die Lehrer zuständig und verantwortlich sind.
— Damit Sie das begreifen, muß ich leider auf so vieles hinweisen. Sonst wäre das überflüssig.Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur dann heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn das im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Dasselbe gilt für heimliche optische Aufnahmen und Aufzeichnungen in einer Wohnung.Gegenüber allen Sicherheitsdiensten besteht in Zukunft ein Rechtsanspruch auf Auskunftserteilung über gespeicherte Daten. Die Auskunft kann allerdings verweigert werden, soweit das erforderlich ist, um die Funktionsfähigkeit der Dienste sicherzustellen. In diesem Fall kann sich der Betroffene an den Bundesdatenschutzbeauftragten wenden, dem in der Regel Auskunft zu erteilen ist, so daß er die Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Sicherheitsdienstes überprüfen kann.
— Sie können auch das im Gesetz lesen: daß das nur dann nicht zu geschehen braucht, wenn der Bundesinnenminister persönlich eine andere Entscheidung trifft. Sie können sich vorstellen, wie oft das vorkommen wird.Die Informationsübermittlung zwischen den Sicherheitsdiensten und zwischen den Diensten und anderen Behörden ist in zahlreichen Vorschriften detailliert geregelt. Es ist sichergestellt, daß trotz eines erweiterten Datenschutzes die Übermittlungen möglich sind, die zu einer wirksamen Arbeit der Sicherheitsdienste und von Polizei und Staatsanwaltschaften unbedingt erforderlich sind.Meine Damen und Herren, mit der Verabschiedung der vier Gesetze heute im Bundestag ziehen wir — endlich, muß ich sagen — die notwendigen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil. Es geht jetzt darum, die Gesetze rasch auch im Bundesrat zu verabschieden, bevor der sogenannte Übergangsbonus abläuft, der es bisher gestattete, für eine Übergangszeit Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen, auch wenn die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlichen gesetzlichen Grundlagen nicht ausreichend gewesen sein sollten.Würde die Verabschiedung der Gesetze im Bundesrat wegen der zu erwartenden Änderung der dortigen Mehrheitsverhältnisse blockiert, würde eine rasche, erhebliche Verbesserung des Datenschutzes verhindert, und die Datenverarbeitung der Bundesverwaltung und der Sicherheitsdienste hinge rechtlich in der Luft. Das wäre nach meiner Überzeugung nicht zu verantworten.Ich möchte in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Koalitionsfraktionen den weit überwiegenden Teil der Vorschläge, die der Bundesrat beim ersten Durchgang formuliert hatte, übernommen haben.Und schließlich: Wären das Verfassungsschutzgesetz, das MAD-Gesetz und das BND-Gesetz nicht zur Vereinfachung des Gesetzgebungsverfahrens mit dem Datenschutzgesetz in einem Artikelgesetz zusammengefaßt worden, bedürften diese Gesetze überhaupt keiner Zustimmung des Bundesrates. Das Bundesdatenschutzgesetz selbst ist nur deshalb zustimmungsbedürftig, weil dort in einer einzigen Vorschrift die Befugnisse der Aufsichtsbehörden, die ja Länderbehörden sind, geregelt sind. Ohne diese Vorschrift bedürfte auch das Datenschutzgesetz und damit das gesamte Artikelgesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates.
— Dann wäre das ja nicht erforderlich gewesen. Aber jetzt ist das offenbar notwendig.
Auch ich bedauere, daß das notwendig ist. Aber ich kann die Wahlergebnisse leider nicht korrigieren. Sonst würde ich das schon tun, Herr Penner. Da brauchen Sie gar keine Sorge zu haben.
Ich hoffe jedenfalls, Herr Penner, daß auch mit Ihrer Hilfe der Bundesrat das alles bedenkt und dann den Gesetzen so zustimmt, wie der Bundestag sie heute, sieben Jahre nach dem Volkszählungsurteil, verabschieden wird.Lassen Sie mich zum Schluß noch auf eines hinweisen, was alle Fraktionen angeht: das Problem Datenschutz im Bundestag. Der 1. Ausschuß, der Geschäftsordnungsausschuß, hatte Vorschläge gemacht, entsprechende Vorschriften in das Datenschutzgesetz aufzunehmen und heute eine Entschließung zu verabschieden. Die Mitglieder des Innenausschusses waren der Meinung, das sei nicht erforderlich. Ich will das kurz begründen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16781
Dr. BlensWir gehen davon aus, daß, soweit der Deutsche Bundestag Verwaltung ausübt, das Datenschutzgesetz gilt. Soweit der Deutsche Bundestag als Verfassungsorgan, als Legislativorgan tätig wird, gilt das Datenschutzgesetz nicht. Hierfür brauchen wir besondere Regelungen in der Geschäftsordnung des Bundestages. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP sind sich darüber einig, daß diese besonderen Regelungen unter Mitarbeit des Datenschutzbeauftragten möglichst schnell erarbeitet und möglichst schnell in die Geschäftsordnung einbezogen werden sollen. Ich glaube, damit haben wir dann auch für den Deutschen Bundestag eine Regelung des Datenschutzes, die dem entspricht, was wir heute verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal gilt der Spruch: Was lange währt, wird endlich gut. Das kann man für dieses Artikelgesetz wohl nicht sagen. Zunächst einmal ist es bedauerlich, daß diese Novelle erst sieben Jahre nach dem Volkszählungsurteil verabschiedet wird. Damit kratzen Sie gerade noch die Kurve, den Übergangsbonus einzuhalten. Eigentlich müßten Sie heute sehr selbstkritisch angemerkt haben, daß der lange Verfahrensablauf der Sache nicht dienlich war.
Die Sozialdemokraten haben sehr früh eine Novelle zum Datenschutz eingebracht und im letzten Jahr noch ihr Bundes-Informationsschutzgesetz, um sehr frühzeitig dafür zu sorgen, daß diese Materie den modernen Anforderungen und auch dem Verfassungsgerichtsurteil gerecht wird.
Sie haben es trotz der langen Beratungszeit, die Sie gebraucht haben — mehrere Jahre —,
nicht geschafft, viele Erfordernisse der modernen Datenschutzgesetzgebung einzubeziehen. Ich denke, daß das Grundproblem nicht gelöst ist, das Frau Leuze in ihren Landesberichten immer wieder erläutert hat: daß der Bund in der Datenschutzgesetzgebung nicht die Leitfunktion übernimmt. Es ist schon eine merkwürdige Situation, daß seit mehreren Jahren die Datenschutzgesetze in Bremen, in Nordrhein-Westfalen, in Hessen und jetzt auch in einigen anderen Bundesländern weiter entwickelt sind und den Bürger sehr viel stärker schützen, als das jetzt die Novelle der Bundesregierung tut.
Ich denke, es ist ein Armutszeugnis, daß man sich nicht auf die am weitesten entwickelten Ländergesetze einigen konnte. Denn gerade im Datenschutz sollte der Bund in den Rahmenbedingungen für die gesamte Materie mindestens so weit sein wie der Großteil der Bundesländer. Wenn selbst ein Land wie Hessen eine sehr viel fortschrittlichere Datenschutzgesetzgebung hat, sie selbst unter einer CDU-FDPMehrheit weiterentwickelt hat, dann zeigt das, wie zögerlich auf der Bundesebene gearbeitet wird.
Lassen Sie mich einige Sätze zu der bevorstehenden deutschen Einheit sagen, d. h. zum Einigungsprozeß, in dem wir stehen. Er hat auch etwas mit Datenschutz zu tun. Wer die Entwicklungen in der DDR beobachtet und das, was dort aufgedeckt worden ist an ungeheuer vielen personengebundenen Informationen, die weit in die Privat- und Intimsphäre hineinreichen — auch über Bundesbürger — , der sieht ganz besonders deutlich, wie wesentlich Datenschutz überhaupt ist, wie wichtig es in einem demokratischen Staat ist, diese Materie zu regeln. Man braucht sich nur den erschreckenden Umgang mit Daten und der Privatsphäre in der DDR vor Augen zu führen.
Wir hoffen, daß wir im Rahmen des Einigungsprozesses sehr schnell gemeinsame verbindliche Datenschutzregelungen für alle Bereiche haben werden. Es wird für die DDR Übergangsmodalitäten geben. Die Bundesregierung hat Vorschläge gemacht, die auch im Staatsvertrag enthalten sind und mit denen man in nächster Zeit leben kann. Dann sollten wir im Einigungsprozeß den Datenschutzbereich auf der Grundlage unserer Datenschutzgesetzgebung mit einer möglichen Weiterentwicklung, wie wir sie fordern, sehr schnell und verbindlich für ganz Deutschland regeln.
Die Problematik des Datenschutzes liegt aber nicht nur in der Verfeinerung der Gesetzgebung, über die wir heute beraten. Die Informationsmenge ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Die steigende Informationsmenge schlägt sich ja in jeglicher Art von Aufzeichnung nieder. Das ungeheure Anschwellen von Aufgaben einerseits, die Erfindung neuer, immer besserer Organisationsmittel andererseits bedingen, daß in allen Lebensbereichen immer mehr Daten erforderlich wurden und der Zugriff auf diese Daten immer schneller und komplizierter wurde. Die rasante Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung trug entscheidend dazu bei.
Gleichzeitig kann man feststellen, daß auch mit den herkömmlichen Speicherungsmitteln — wie beispielsweise Aktenführung — immer mehr Daten gesammelt werden. Dazu traten Speicherungsformen wie beispielsweise der Mikrofilm.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner?
Ja.
Herr Kollege Wartenberg, ist es eigentlich ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht, wenn hier offenbart wird, daß Frau Kollegin Dr. Vollmer heute Geburtstag hat?
Nein. Das ist im Gegenteil eine erfreuliche Tatsache.
— Herzlichen Glückwunsch!
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16782 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Wartenberg
— Nein, der Mikrofilm ist nicht vorhanden. Bei mir geht alles konventionell.Angesichts des Anwachsens der Informationen und der Speicherung von Daten muß man die Grundfrage in die Diskussion einführen, ob diese Art der Datenschutzgesetzgebung, wie wir sie kennen, die eigentlich nur prohibitiv hinter der Entwicklung herläuft, langfristig ausreicht. Viele Datenschutzbeauftragte im internationalen Kontext überlegen an dieser Stelle seit langer Zeit. Allerdings ist es auch außerordentlich schwierig, dort Regelungen zu finden, um die Problematik der schnellen technologischen Entwicklung und des Anwachsens der Menge der Daten und der Datenverarbeitung in den Griff zu bekommen. Aber an dieser Grundfrage muß weitergearbeitet werden. Ich glaube, eine reine Verfeinerung der Datenschutzgesetzgebung wird insofern auf Dauer nicht ausreichen.Das vorliegende Gesetzespaket — ich will mich auf den Datenschutz beschränken — hat seit der Vorstellung des ersten Entwurfes in der Tat Verbesserungen mit sich gebracht. Viele Anregungen des Bundesrates sind aufgenommen worden. Wenn Sie sagen, eigentlich sei der Bundesrat nicht zustimmungspflichtig, muß ich sagen: Gerade die Tatsache, daß sich der Bundesrat, d. h. die A-Länder im Vorfeld mit diesem Gesetz beschäftigt und Einwendungen gemacht haben, hat immerhin mit dazu geführt, daß dieses Gesetz doch an einigen Punkten verbessert worden ist. Insofern hat der Bundesrat selbst im Vorfeld schon eine an einigen Punkten sehr hilfreiche Funktion ausgeübt.
Er hat nämlich deutlich gemacht, daß die Länder mit dem Ursprungsregierungsentwurf nicht zufrieden sein konnten.Was zusätzlich positiv geregelt worden ist, ist die Einbeziehung der Akten in den Geltungsbereich dieses Gesetzes und die Einbeziehung der Phase der Datenerhebung. Unakzeptabel ist jedoch, daß die Verbesserungen im öffentlichen Bereich in keiner Weise auf den nichtöffentlichen Bereich, beispielsweise auf die Privatwirtschaft, übertragen werden. Damit fallen die Datenschutzregelungen für einzelne gesellschaftliche Bereiche immer weiter auseinander.Die Bürger unseres Landes sind von ihrer Gefühlslage her eigentlich sehr viel häufiger über die Verwendung von Daten im nichtöffentlichen Bereich — im Kreditwesen, in den Auskunfteien und in der Werbewirtschaft — als über die Verwendung von Daten im öffentlichen Bereich besorgt, obwohl dort spezielle Schutzvorschriften — aus unserem Selbstverständnis heraus — ganz besonders sorgfältig gemacht werden müssen.Gerade die Konfrontation mit der Verwendung von Daten in der Privatwirtschaft, und zwar in massenhafter Weise, hätte dazu führen müssen, daß sich die Koalition dieses Punktes angenommen hätte. Sie hat das nicht getan. Ich habe das Gefühl: aus ideologischen Gründen, aber auch weil man vor einem Konflikt mit der Wirtschaft zurückgeschreckt hat. Das ist sehr deutlich zu spüren, zumal einige bessere Regelungen aus dem ursprünglichen Entwurf wieder auf die geltende Fassung des Datenschutzrechtes zurückgeführt worden sind. Ich denke, daß dies der Hauptkritikpunkt — neben vielen einzelnen Kritikpunkten — ist.Die Sozialdemokraten werden insbesondere im Arbeitnehmerdatenschutz weiterarbeiten und fordern, daß hier endlich etwas geschieht. Sie haben im vierten Abschnitt des Bundesdatenschutzgesetzes zu diesem Bereich überhaupt nichts geregelt, und zwar mit der Begründung: Das werden wir in einer Spezialgesetzgebung, in einer bereichsspezifischen Gesetzgebung machen. Nun stellen wir aber fest, daß, obwohl dies seit fast sechs Jahren versprochen ist, nichts kommt. Gleichzeitig müßten aber auch bereichsspezifische Gesetze für den Bankenbereich, das Kreditwesen und das Versicherungswesen entwickelt werden. Ohne diese kommt eine Datenschutzgesetzgebung heute nicht mehr aus.In diesem Gesetzentwurf sind die Regelungen für die Wahl des Bundesdatenschutzbeauftragten immerhin in eine Richtung gegangen, die die SPD begrüßt. Allerdings ist die Regelung, daß die Wahl auf Vorschlag der Bundesregierung erfolgt, eigentlich nicht akzeptabel.
Die Kontrollbefugnis des Datenschutzbeauftragten ist nach wie vor nicht ausreichend. Negativ ist vor allem, daß in bezug auf die aktenmäßige Datenverarbeitung erhebliche Einschränkungen bei der Kontrollbefugnis festzustellen sind. Dies betrifft besonders die Beschränkung auf den Einzelfall aus konkretem Anlaß und die Konzeption, daß in sehr bedeutsamen, darüber hinaus sensiblen Bereichen, z. B. bei Gesundheitsakten, Steuerakten, Personalakten und Sicherheitsakten, selbst eine solche Einzelfallprüfung des Datenschutzbeauftragten davon abhängig gemacht wird, ob der Betroffene ihr nicht widersprochen hat. Hier wird das Prinzip der Betroffenenzustimmung eigentlich als ein Instrument benutzt, um Behörden die Möglichkeit zu geben, unliebsame Prüfungen des Datenschutzbeauftragten mit Hinweis auf die fehlende Zustimmung des Betroffenen zu untersagen. Ich halte das für eine sehr problematische Regelung in diesem Gesetz.Unzureichend sind auch die vorgesehenen Regelungen über die Einrichtung automatisierter Abrufverfahren, also die gesamte Problematik des On-line-Verfahrens. Die Informationsrechte des Betroffenen hinsichtlich der zu seiner Person gespeicherten Daten werden zwar erweitert. Allerdings, ein Akteneinsichtsrecht nach dem Vorbild der neuen Landesdatenschutzgesetze ist ebenso wenig vorgesehen wie eine gesetzliche Pflicht zur Protokollierung der Gründe im Falle der Ablehnung eines Auskunftersuchens.Akteneinsichtsrecht ist eine Sache; es hilft weiter und wäre gut zu entwickeln. Aber wir dürfen, wenn wir über das Datenschutzgesetz insgesamt reden, auch die Frage eines allgemeinen Informationszugangsrechtes nicht aus den Augen verlieren. Dies wäre die Kehrseite der Medaille des Datenschutzes. Hier ist nichts in Sicht. Das ist eine komplizierte Materie; wir haben häufig darüber diskutiert. Ich glaube,
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Wartenberg
mittelfristig muß etwas Derartiges wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder in Schweden auch bei uns gesetzlich geregelt werden.Ich habe darauf hingewiesen, daß die Regelungen im nichtöffentlichen Bereich unzureichend sind und daß hier dringend etwas geschehen muß. Ich hoffe, daß dieser Bereich, der der Kontrolle des Datenschutzbeauftragten nicht ausreichend unterliegt und bei dem die Rahmenbedingungen für den Datenschutz nicht richtig eingegrenzt worden sind, im weiteren Verlauf der Bundesratsberatungen noch einmal aufgegriffen wird.Meine Hoffnung ist anders als die des Herrn Blens, daß es im Bundesrat nämlich möglich sein möge — insbesondere was den nicht-öffentlichen Bereich, was die Kontrollbefugnis des Datenschutzbeauftragten angeht — , auch weitergehende Vorstellungen einzelner Bundesländer in dieses Gesetz aufzunehmen. Ich weiß, daß Sie das nicht besonders witzig finden, aber es ist dringend notwendig.Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten werden dem Artikelgesetz nicht zustimmen, was nicht überraschend ist. Wir stellen in der zweiten Lesung unser Bundes-Informationsschutzgesetz als Änderungsantrag zu Art. 1 zur Abstimmung, weil wir meinen, daß mit unserem Bundes-Informationsschutzgesetz die Probleme des Datenschutzes angesichts der neuen Entwicklungen der Technik besser geregelt werden können und der Bürger dadurch in seiner Privatsphäre besser geschützt wird. Deswegen werden wir Ihrem Artikelgesetz nicht zustimmen können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie dem Artikelgesetz nicht zustimmen, hat das zur Folge, daß der Übergangsbonus für uns mit allen Folgen verloren geht, die sich für uns daraus ergäben.
Um dem Kollegen Dr. Penner eine weitere Zwischenfrage zu ersparen, möchte ich zunächst der Frau Kollegin Vollmer zu ihrem heutigen Geburtstag herzlich gratulieren, Ihnen alles Gute wünschen und Ihnen sagen, daß ich, obwohl ich politisch fast immer anderer Aufassung als Sie bin, Ihre Beiträge immer als eine Bereicherung unserer Debatten betrachtet habe.Wir behandeln heute gleichzeitig sechs Gesetze und vier Entschließungen. Ich möchte mich im wesentlichen den vier Gesetzen zuwenden, die wir weitgehend unter Änderung der Regierungsentwürfe annehmen wollen: Datenschutzgesetz, Verfassungsschutzgesetz, MAD- und BND-Gesetz, bei denen wir teilweise gesetzgeberisches Neuland betreten.Für den Schutz der Privatsphäre sind das nach unserer Meinung die wichtigsten Gesetze dieser Legislaturperiode. Sie sind nicht nur eine Konsequenz aus dem grundlegenden Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts.An einer Novellierung des Datenschutzes haben wir seit zwölf Jahren gearbeitet — Herr Wartenberg, in den verschiedensten Koalitionen, muß ich Ihnen sagen —, ohne bisher zu einem Abschluß gekommen zu sein. Diese Novellierung ist notwendig, um das Gleichgewicht zwischen den unverzichtbaren Informationsbeziehungen in einer modernen Gesellschaft auf der einen Seite und dem Schutz der Privatheft auf der anderen Seite wiederherzustellen, nachdem dieses Gleichgewicht durch eine stürmische technische Entwicklung völlig verändert worden ist: durch ein dramatisches Ansteigen der Leistungsfähigkeit von Datenverarbeitungsanlagen, durch die umfangreiche Verwendung von PCs, von Personalcomputern am Arbeitsplatz, durch eine Vernetzung der Datenverarbeitungsanlagen, die alle Erwartungen überholt hat und deren Auswirkungen sowohl auf die öffentliche Verwaltung wie auf die private Datenverarbeitung nicht verharmlost werden dürfen.Wir haben bei dieser Novelle für den öffentlichen Bereich erheblich strengere Datenschutzregeln aufgestellt als für die private Datenverarbeitung. Das halten wir auch für gerechtfertigt, weil die Grundrechtslage eine andere ist, weil im Bereich der Informationsbeziehungen in der Gesellschaft, zwischen den Bürgern untereinander zwei Grundrechte aufeinanderstoßen.Es gibt strengere Regelungen im öffentlichen Bereich, z. B. die Ausdehnung der Datenschutzregelung auf die Akten. Ich bin nicht der Meinung, Herr Wartenberg, daß die Kontrollrechte des Datenschutzbeauftragten im Aktenbereich wesentlich eingeschränkt sind. Er muß natürlich einen Anhaltspunkt dafür haben, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist. Es ist auch nicht so, daß z. B. bei der Prüfung von Personalakten die Behörde widersprechen könnte. Vielmehr kann nur der einzelne im Einzelfall sagen: Ich möchte nicht, daß meine Personalakte durch den Datenschutzbeauftragten geprüft wird. Das ist kein Recht der Behörde, sondern des einzelnen.Weiterhin gibt es die Einführung der Gefährdungshaftung für Schäden, auch für den Nichtvermögensschaden, eingehende Regelungen für die Datenverbundsysteme, unentgeltliche Auskunftsansprüche auch gegenüber der Polizei und den Nachrichtendiensten; natürlich mit Beschränkungen, aber im Grundsatz Auskunftsansprüche.
— Herr Such, ich kann nur das wiederholen, was Herr Blens gesagt hat: Sie haben es einfach nicht verstanden; es bleibt eine ganze Menge übrig.
— Lesen wir es nachher gemeinsam.Außerdem gibt es klare Regelungen für die Erhebung von Daten und für ihre Zweckbindung.Schließlich halten wir es für wichtig, daß wir die Wahl des Datenschutzbeauftragten durch den Bundestag — ein Vorschlag der Bundesregierung — einführen. Wir bringen damit zum Ausdruck, daß der
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16784 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Dr. HirschDatenschutzbeauftragte unser verlängerter Arm, unser Ohr, unser Prüfungsinstrument ist. Ich hoffe, daß wir dem bei der haushaltsmäßigen Ausstattung des Datenschutzbeauftragten Rechnung tragen.Im privaten Bereich haben wir uns demgegenüber auf die berufliche, geschäftsmäßige oder gewerbliche Datenverarbeitung beschränkt. Wir haben also die private Datenverarbeitung herausgenommen. Die vielen kleinen Vereine, die z. B. ihre Mitgliederdateien auf einem PC speichern, spielen keine Rolle.Wir haben bei Schäden die sogenannte Umkehr der Beweislast beschlossen. Wir haben die Rechtsstellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten gestärkt, und wir haben die Verbindung bestimmter sensibler Daten für Werbung und Marktforschung — notwendigerweise — begrenzt. Wir haben auch unentgeltliche Auskunftsrechte eingeführt, unter Umständen nach Herkunft und Empfänger bestimmter Daten, um nur einige wesentliche Entscheidungen zu nennen.Wir halten diese unterschiedliche Regelung öffentlicher und privater Bereiche für gerechtfertigt. Aber wir bedauern, daß es immer noch keine gesetzliche Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes gibt, obwohl die Datenverarbeitung im Personalwesen der großen Betriebe eine erhebliche Rolle spielt, obwohl es hier ganz unterschiedliche Betriebsvereinbarungen gibt und obwohl die Regelung zweifellos notwendig ist. Das ist in diesem Hause unbestritten. Wir werden in diesem Bereich in der nächsten Legislaturperiode weiter voranschreiten müssen.Die Vorschläge der SPD in dieser Frage haben wir nicht akzeptiert, weil sie nicht ausgereift sind und weil sie vor allem den Charakter des Datenschutzgesetzes als einer Auffangregelung im Kern verändern würden.Einschneidende Veränderungen haben wir für den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst beschlossen. Es sind parallele Regelungen, parallel auch für den Bundesnachrichtendienst, wobei wir uns beim Bundesnachrichtendienst ausschließlich auf das konzentriert haben, was er in der Bundesrepublik tut. Ich nenne den Schutz seiner Mitarbeiter, seiner Quellen und seiner Einrichtungen gegen Ausforschung.Verfassungsschutz: die politische Verantwortung für Dateien und automatische Datenverbindung, klare Trennung von der Polizei, die beispielsweise nicht etwa für den Verfassungsschutz Ermittlungen anstellen darf, Beschränkung der Amtshilfe und Übermittlungsregelungen, keine Datenerhebung ohne tatsächliche Anhaltspunkte, keine Daten von Jugendlichen unter 16 Jahren in Dateien und Akten und keine Übermittlung solcher Daten ins Ausland. Der Verfassungsschutz hat an den Schulen nichts zu suchen.Zum erstenmal haben wir die Veröffentlichung bestimmter Strukturdaten wie der Haushaltssumme und der Zahl der Mitarbeiter in den Verfassungsschutzberichten sowie eine klare Regelung der heimlichen Informationserhebungen vorgesehen, die bisher nachrichtendienstliche Mittel hießen; so für das heimliche Photographieren und das heimliche Abhören des gesprochenen Wortes in einer Wohnung nur bei konkreter Lebensgefahr für einzelne Personen, bei einer konkreten Gemeingefahr und nur, wenn die Polizei nicht rechtzeitig zur Hilfe geholt werden kann. Im übrigen ist die nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen und der Parlamentarischen Kontrollkommission zwingend erforderlich. Überhaupt müssen künftig bei jeder heimlichen Informationsbeschaffung, die in ihrer Bedeutung der Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommt, der Betroffene und die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet werden. Es war schwierig, das zu erreichen.Wir werden wohl auch bei späteren Gesetzen, z. B. im polizeilichen Bereich, auf diese Grenzen zurückkommen, über die wir nicht hinausgehen wollen. Wanzen sind im Prinzip nicht akzeptabel. Sie sind im Kern Kennzeichen totalitärer Staaten.
Wir haben bewußt die Frage offengelassen, welche Veränderungen der Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes sich aus der politischen Entwicklung ergeben wird. Wir wollen und können die Frage, ob es einen Verfassungsschutz — und welche Art von Verfassungsschutz — nach der deutschen Vereinigung in einem deutschen Gesamtstaat geben sollte, nicht präjudizieren.Wir haben gehört, daß überlegt wird, das Arbeitsgebiet des Verfassungsschutzes auch auf die Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen auszudehnen. Die FDP wird das ablehnen, weil es zu einer verheerenden Vermischung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Aufgaben führen würde. Das kommt überhaupt nicht in Frage! Der Verfassungsschutz ist nicht die „Fortsetzung der Polizei mit anderen Mitteln".Der Verfassungsschutz war — das muß man einfach einmal sagen — eigentlich eine Frucht des Kalten Krieges,
und der Kalte Krieg ist beendet.
Wir werden also im Gegenteil fragen müssen, ob Aufgaben des Verfassungsschutzes nicht wieder zur Polizei zurückgeführt werden müssen. Der Verfassungsschutz ist ursprünglich zur Beobachtung extremistischer Parteien gegründet worden; das ist eine wichtige Aufgabe. Aber diese Parteien sind nicht vom Verfassungsschutz überwunden worden, sondern vom Wähler,
nicht von Behörden, sondern von demokratischer Standfestigkeit.Das Wachstum der Behörde ist nicht von einem Wachstum der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle begleitet worden. Darum ist sie dazu geeignet, mehr Mißtrauen als demokratisches Selbstbewußtsein zu schaffen, wenn ihre Aufgaben nicht be-
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Dr. Hirschschränkt und ihre Publizitätspflichten nicht wesentlich erweitert werden.
Wir würdigen die Verpflichtung, die die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und die Behörde in ihrer Gesamtheit gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung empfinden und wahrnehmen. Wir haben dort hervorragende Beamte kennengelernt, die über jeden Zweifel erhaben sind. Es ist aber die Zeit gekommen, ernsthaft zu prüfen, ob der Verfassungsschutz nach Aufgabenstellung und Umfang eine Größe erreicht hat, die es ihm unmöglich macht, seine Aufgabe in einer Gesellschaft zu erfüllen, die auf Offenheit und öffentliche Kontrolle angelegt ist.
Wir werden auf diese Fragestellung zurückkommen und dazu konkrete Vorschläge vorlegen.Ich möchte meinen Kollegen, insbesondere Herrn Blens, aber auch unseren Mitarbeitern für die intensive Arbeit an diesen außerordentlich schwierigen Gesetzen und dem Innenminister für die positive Begleitung dieser Arbeit herzlich danken.Ich hoffe, daß der Bundesrat trotz der veränderten Mehrheit diesen wichtigen Gesetzen zustimmen wird, in denen wir viele seiner Anregungen und Vorschläge übernommen haben. Wir wissen, daß diese Gesetze keine ideale Lösung aller Probleme sind. Sie sind aber notwendige und wesentliche Fortschritte in der Absicht, öffentliche und gesellschaftliche Macht zugunsten der Privatheit des einzelnen zu begrenzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Hirsch, könnten Sie uns vielleicht einmal erklären, warum gerade Sie gegenüber Datenschutz in der Wirtschaft so zurückhaltend sind?
Sie fragen jetzt aus einem ganz anderen Zusammenhang heraus. Sie müssen akzeptieren, daß wir im Bereich der öffentlichen Verwaltung Grundrechtsansprüche, bürgerliche Freiheiten gegenüber dem Staat geltend machen. Im privaten Bereich geht es darum, Informationsbeziehungen zwischen Gleichen zu regeln.
Da gibt es gesellschaftliche Macht, da gibt es Nachfragemacht, eine unglaubliche Vielzahl ganz unterschiedlicher Lebensbeziehungen. Meine Sorge wäre, Herr Kollege Penner, daß wir das Leben der Menschen — das kann hin bis zu jedem Geschwätz gehen — mit einer Fülle von Normen überziehen und ersticken. Aber ich räume Ihnen ein — das habe ich überhaupt nicht bestritten —, daß wir einen Datenschutz für Arbeitnehmer brauchen; gerade dort ist er von Bedeutung.
— Diese Aufgabe ist nicht erledigt worden; völlig richtig. Ich bezweifle, daß wir es in dieser Legislaturperiode schaffen werden. Aber wir wollen es tun; in der Zielsetzung sind wir uns einig.
Wir wollen den Staat nicht, wie es uns immer vorgeworfen wurde, künstlich dumm machen. Aber wir wollen ihn daran hindern, allwissend zu werden. Wir sind nicht technologiefeindlich, sondern wollen die Voraussetzungen für die Anwendung moderner Technologie verbessern, indem wir dafür sorgen, daß eine wichtige Grundlage des Zusammenlebens erhalten bleibt, nämlich die Privatsphäre des einzelnen.
In diesem Sinn werden wir den Gesetzen zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung in meiner Funktion als Berichterstatter zu der Ihnen vorliegenden Drucksache 11/7235. Der Bericht des Innenausschusses ist in dieser Fassung gegen meinen ausdrücklichen Protest formuliert worden.
Er gibt das Abstimmverhalten meiner Fraktion zum Teil unkorrekt wieder, nämlich bezüglich der Änderungsanträge der SPD zu den Nachrichtendienstgesetzen. Außerdem gelangten umfangreiche Ergänzungen der Koalition gegen meine Einwände nur deshalb in die Drucksache, weil sich deren Berichterstatter nach Abgabe für eine Erörterung unerreichbar gemacht hatten.
Viele Änderungen in letzter Minute kamen namens der Koalitionsfraktionen meist direkt aus dem Innenministerium. Noch gestern nachmittag wurde die Gesetzessynopse der verteilten Drucksache per Telefax für fehlerhaft erklärt und die übermittelte Korrektur kurz darauf wieder zurückgenommen. Angesichts dieses unwürdigen Verfahrens kann ich, ehrlich gesagt, nicht mehr sicher beurteilen, ob die knapp 200 Seiten des Berichts über insgesamt sieben Vorlagen und vier verschiedene Gesetze jetzt wirklich die Fassung enthalten, die dem Ausschuß vorlag und dort mehrheitlich durchgestimmt wurde.
Insbesondere den Mitberichterstattern, aber auch den sonstigen Ausschußkollegen und -kolleginnen von den Koalitionsfraktionen geht es offenbar nicht
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16786 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Suchanders, denn sonst hätte ihnen doch auffallen müssen, wie sehr z. B. das Datenschutzgesetz, dessen Verabschiedung sie dem Plenum heute ansinnen, vor Absurditäten nur so strotzt. Zum Beispiel laufen die Strafvorschriften des § 39 des Bundesdatenschutzgesetzes auf Grund der halbgaren Änderungen jetzt völlig ins Leere. Ebenso werden durch Verweisungen auf entfallene Paragraphen Unsinns-Regelungen geschaffen.Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute wirklich die Hand für dieses Stück aus dem Tollhaus heben — so muß man es dann wohl auch bezeichnen — , wollen Sie wirklich verantworten, daß dieses Gesetzeswrack nach Schmalspurberatungen im Ausschuß und heutiger Hauruck-Debatte von nur eineinhalb Stunden — das sind für mich elf Minuten — ins Bundesgesetzblatt gehievt wird? Wer sind wir eigentlich, und wofür geben wir uns da eigentlich her?
Diese sogenannten Sicherheitsgesetze werden nun schon seit fünf Jahren in immer wieder neuen Entwürfen serviert, welche bisher stets an gravierenden rechtsstaatlichen Bedenken scheiterten. Nachdem auf den Regierungsentwurf hin zunächst ein Dreivierteljahr Funkstille einkehrte, wird dieses inhaltlich und formal verheerende Machwerk nun auf Biegen und Brechen durchgepeitscht, bloß damit im Bundesrat ja kein besonnener Vertreter Niedersachsens „halt, stop! " sagen kann. Solche Cliquenpolitik dürfen wir als Volksvertreter und Volksvertreterinnen nicht hinnehmen.Inhaltlich höhlen die von der Koalition getragenen Gesetzentwürfe die Anforderungen des Volkszählungsurteils aus. Die Vorlagen eilen der rasanten technischen Entwicklung weiter hinterher. Sie geben sowohl Wirtschaftsinteressen wie staatlichen Eingriffsbefugnissen den Vorrang vor dem Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Die verfassungskräftigen Prinzipien, z. B. Zweckbindung, Verhältnismäßigkeit und Normenklarheit, werden zur Karikatur verkürzt.Apropos Normenklarheit, liebe Kolleginnen und Kollegen: Versteht jemand von Ihnen folgende Regelung aus § 31 oder kann sie gar den Bürgern erklären? Ich zitiere — und da können Sie mir vielleicht wieder vorwerfen, ich hätte das Gesetz nicht verstanden — :
Gesperrte Daten dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen nur übermittelt oder genutzt werden, wenn die Daten hierfür übermittelt oder genutzt werden dürften, wenn sie nicht gesperrt wären.Sie müßten mir mal erklären, was das bedeutet.
Statt solcher Horrorvorschriften haben die GRÜNEN die Umsetzung klarer, bürgerfreundlicher Grundsätze gefordert:Erstens: Neben der üblichen finanziellen auch Daten-Sparsamkeitsprüfungen der Parlamente vor Verabschiedung jeglicher Maßnahmen.Zweitens: Grundsätzlich kein Datenverarbeitungsschritt ohne Einwilligung der Betroffenen.Drittens: Prinzipielle Einhaltung der Zweckbindung und im öffentlichen Bereich der informationellen Gewaltenteilung.Viertens. Umfassende Auskunftsrechte und ein allgemeines Akteneinsichtsrecht der Bürger plus Benachrichtigungspflichten der Datenverarbeiter durch regelmäßige „Datenkontoauszüge".Zum Auskunftsrecht möchte ich sagen: Schauen Sie sich bitte den § 17 dieses Gesetzentwurfs an, der sich mit den Auskunftspflichten beschäftigt! Der Hohn des § 17 steht im letzten Absatz. Dort heißt es nämlich: „Die Auskunft ist kostenfrei." Wenn man dieses Gesetzeswerk liest, stellt man fest, daß es eigentlich so gut wie ausgeschlossen ist, überhaupt eine Auskunft zu bekommen.Wir fordern fünftens kürzere Daten-Löschfristen und sechstens Stärkung der Datenschutzbeauftragten, und zwar nicht nur mit Wahl — das haben wir auch verlangt —, sondern darüber hinaus mit mehr Mitteln und Möglichkeiten, den Aufgaben gerecht zu werden.
Wir fordern siebentens die Einführung des Verbandsklagerechts gegen Datenverarbeitungsmaßnahmen und achtens besondere Erörterungen vor Überschreiten „technologischer Schwellen" , also vor Einsatz qualitativ gefährlicher Datenverarbeitungsverfahren.Wer wie die Koalition einwendet, die GRÜNEN stellten mit diesen Vorschlägen das „Allgemeininteresse" an der Verarbeitung von Personendaten hintan, setzt diesen Begriff statt mit der Summe schützenswerter Individualinteressen mit Wirtschafts- bzw. Staatsinteresse gleich. Dieser Einwand mit unseliger Tradition fällt auf Sie selbst zurück, Herr Dr. Blens und Herr Dr. Hirsch.Die Gesetzentwürfe über die Nachrichtendienste legalisieren deren bisherige Praktiken und räumen zusätzliche Befugnisse ein.
Hierzu verweise ich auf unsere Anträge, die Dienste wegen ihrer Schädlichkeit f ü r unsere Demokratie sowie ihrer immer deutlicher werdenden Überflüssigkeit i n unserer Demokratie abzuschaffen.
Da die SPD diese Bewertung in der Sache zum Teil noch zuspitzt, wundert es mich, daß Sie sich unseren Anträgen bisher noch nicht haben anschließen wollen. Aber das kann sich ja heute noch ändern.Zu den „Dienstgesetzen" liegt Ihnen vielleicht auch die aktuelle gemeinsame Erklärung zahlreicher Bürgerrechtsgruppen aus der Bundesrepublik und der DDR vor, nämlich der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, der Humanistischen Union, der Internatio-
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Suchnalen Liga für Menschenrechte, des Komitees für Grundrechte und Demokratie, des Republikanischen Anwalts- und Anwältinnen-Vereins sowie aus der DDR der Gruppen: Demokratie jetzt, GRÜNE Partei, Initiative Frieden und Menschenrechte, Neues Forum, Unabhängiger Frauenverband, Vereinigte Linke.
In dieser Erklärung heißt es — ich zitiere mit Genehmigung — :Wir, die Bürgerrechtsbewegungen der DDR, haben nicht 40 Jahre unter den Praktiken der Stasi gelitten, führen nicht den aktuellen Streit um die endgültige und restlose Auflösung des Staatssicherheits-Apparats, um demnächst — nach der Vereinigung und Rechtsangleichung — erneut Gefahr zu laufen, ... durch „Ämter für Verfassungsschutz" überwacht und bespitzelt zu werden ... Politische Geheimdienste zur Überwachung der Bevölkerung ... machen nicht nur Fehler — sie sind der Fehler. Es ist an der Zeit, sich dieser Ämter zu entledigen.
Ich halte es — das habe ich schon im Innenausschuß gesagt — in der Situation, in der wir uns in der Bundesrepublik und in der DDR politisch zur Zeit befinden, nicht nur für unsensibel, daß wir heute über dieses Gesetz beschließen, Herr Innenminister, sondern ich halte es auch für unanständig, es in dieser Situation zu tun, wo die demokratischen Kräfte in der DDR keine Möglichkeit zur Mitwirkung an diesem Gesetz haben, das anschließend für sie gelten soll.
Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf unseren wörtlich von der CDU/CSU abgeschriebenen Antrag auf bessere Information des Parlaments über die Sicherheitsbehörden — Drucksache 11/2125 — lenken. Der Innenausschuß empfiehlt unter Buchstabe d mit der Mehrheit eben dieser CDU/CSU, deren verdienstvolle Initiative von 1975 zu verwerfen.
Weil es so schade darum wäre, haben wir insoweit um Änderung gebeten.Sie sagen, die Zeiten hätten sich geändert. Sie wollten Informationen über das Arbeiten der Sicherheitsbehörden haben. Anscheinend wollen Sie diese Informationen heute nicht mehr haben.
Andernfalls müßten Sie unserem Antrag zustimmen. Sonst stimmen Sie Ihrem eigenen Antrag nicht zu. Auf Ihr Abstimmverhalten sind sicher nicht nur wir, sondern, wie ich glaube, in besonderem Maß auch die Medien neugierig, liebe Kolleginnen und Kollege aus der Union.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Such, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich bin am Ende meiner Redezeit.
Das ist gut. Schluß ist Schluß. Herr Dr. Hirsch, es ist nichts zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zu den Nachrichtendienstgesetzen sprechen.Der Bundesinnenminister hat in der Öffentlichkeit mehrfach zu Recht betont, die Aufgaben der Nachrichtendienste müßten den Veränderungen angepaßt werden, die in den Staaten des Warschauer Paktes, insbesondere in der DDR, eingetreten sind. Im Innenausschuß hat er darauf hingewiesen, daß die Regierungsentwürfe vor diesen Veränderungen formuliert worden sind. Die Koalitionsfraktionen haben die Regierungsentwürfe zwar an einzelnen Stellen verändert; der neuen Situation im früheren Ostblock, vor allem der Ablösung der SED-Diktatur durch eine parlamentarische Demokratie, haben die Koalitionsfraktionen aber nicht durch eine einzige Änderung der Gesetzentwürfe Rechnung getragen. Infolgedessen beschließen wir heute Gesetze für den Verfassungsschutz, den MAD und den BND, die — das sage ich voraus— nach dem Zusammenschluß beider deutscher Staaten keinen Bestand haben werden und also wahrscheinlich allenfalls für etwa zwei Jahre Geltung erlangen.Meine Damen und Herren, wer gestern noch unter dem Joch der Stasi lebte, dem wird kaum begreiflich gemacht werden können, es sei notwendig, erneut einen Geheimdienst mit der Aufgabe zu etablieren, politische Parteien und Gruppierungen zu beobachten. Ich frage auch Sie, Herr Bundesinnenminister: Wer soll z. B. in der DDR vom Verfassungsschutz beobachtet werden? Die frühere SED, die sich jetzt PDS nennt?Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die Furcht vor dem expansiven Kommunismus der Nachkriegszeit wäre der Verfassungsschutz wohl kaum gegründet worden. Wer fürchtet sich heute noch vor dem Kommunismus?Auch der Kalte Krieg ist vorbei. Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung stehen auf der Tagesordnung — und die Überwindung der Spaltung Europas, die Schaffung einer europäischen Friedensordnung und der Bau des gemeinsamen europäischen Hauses.Der totale politische und moralische Bankrott der SED ist zugleich auch der Bankrott der DKP. Welchen
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16788 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Dr. EmmerlichSinn hat es heute noch, diese weiterhin durch den Verfassungsschutz zu beobachten?Meine Damen und Herren, die unveränderte Fortschreibung des politischen Beobachtungsauftrages des Verfassungsschutzes ist und bleibt ein Anachronismus. Dieser Einsicht werden sich auch die Koalitionsparteien nicht mehr lange verschließen können.
— Das gilt in gleicher Weise für alles, was an politischer Beobachtung stattfindet.Bei dieser Gesetzgebung, meine Damen und Herren, wäre mehr gesamtdeutsches und auch mehr gesamteuropäisches Handeln und Denken erforderlich gewesen. Die Bundesregierung und die Koalition hätten das Ziel verfolgen müssen, Rechtsgrundlagen für die Nachrichtendienste zu schaffen, die den Verhältnissen im gesamten Deutschland gerecht werden und die von einem vereinigten Deutschland übernommen werden können.Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Koalition haben die negativen Erfahrungen mit dem bisherigen Verfassungsschutzgesetz ignoriert. Die wesentlichen Fehlentwicklungen möchte ich in Erinnerung rufen.Erstens. Es ist nicht bei der bloßen Beobachtung von politischen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung geblieben. Darüber hinaus sind politische Parteien und Gruppierungen öffentlich als „verfassungsfeindlich" bezeichnet worden. Mit einer solchen öffentlichen Stigmatisierung hat der Staat des Gebot der parteipolitischen Neutralität verletzt und die politische Freiheit eingeschränkt.Zweitens. Es sind nicht nur Informationen über politische Bestrebungen gesammelt, gespeichert und weitergegeben worden, sondern auch über einzelne Bürger. Bei der unseligen Berufsverbotspraxis sind Informationen des Verfassungsschutzes über einzelne Bürger gegen diese mit der Folge der Nichteinstellung oder der Entlassung aus dem Staatsdienst verwertet worden.Drittens. Informationen der Nachrichtendienste sind, solange es Nachrichtendienste gibt, immer wieder zum Machterhalt und zu parteipolitischen Zwekken mißbraucht worden. Die Hoffnung, das könne in einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie unterbunden werden, hat sich als trügerisch erwiesen.
Auch in der Bundesrepublik hat es solchen Mißbrauch gegeben. Ich erinnere an die Dossiers über Politiker, die die Organisation Gehlen erstellt hatte, ferner daran, wie der Berliner Verfassungsschutz z. B. durch Herrn Lummer politisch mißbraucht worden ist,
und auch an die parteipolitische Ausschlachtung vonInformationen des Verfassungsschutzes über Politikerder GRÜNEN durch einen Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesministers des Innern.
Viertens. Der Verfassungsschutz hat auch Gruppierungen beobachtet, die nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet waren, in denen aber Träger derartiger Bestrebungen aktiv wurden und Einfluß zu gewinnen versuchten.Fünftens. Das geltende Verfassungsschutzgesetz hat dem Verfassungsschutz pauschal auch die Beobachtungen von Bestrebungen gegen die innere Sicherheit des Bundes oder eines Landes übertragen. Dadurch ist es bereits zu einer Vermischung von polizeilichen Aufgaben und Verfassungsschutzaufgaben gekommen. Diese Tendenz wird durch die vorgelegte Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes gefördert. Die Umwandlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz in ein „Amt für innere Sicherheit", die auf einer Amtsleitertagung des Verfassungsschutzes bereits gefordert worden ist, wird durch das neue Verfassungsschutzgesetz weiter vorangebracht.Der MAD, dessen Rechtsgrundlagen nunmehr erstmals gesetzlich geregelt werden — das ist zu begrüßen — , soll Aufgaben erhalten, die denen des Verfassungsschutzes entsprechen. Der Militärische Abschirmdienst darf aber nach unserer Auffassung nur den Auftrag haben, Informationen über sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Aktivitäten gegen die Bundeswehr zu sammeln.Beim BND-Gesetz hat die Bundesregierung im Innenausschuß verfassungsrechtliche Bedenken nicht ausräumen können. Diese Bedenken betreffen die Frage, inwieweit es für die Sammlung personenbezogener Informationen im Ausland — insbesondere auch bei Deutschen im Ausland — nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf.Wegen weiterer ungeklärter Fragen zum Auftrag und zu den Befugnissen des BND halten wir eine gutachtliche Stellungnahme der Gremien des Parlaments, die sich mit dem BND speziell zu befassen haben, nämlich der Parlamentarischen Kontrollkommission und des Gremiums zur Haushaltskontrolle des BND, für unerläßlich. Unseren Antrag, die abschließende Beratung des BND-Gesetzes auszusetzen, bis die notwendigen Klärungen verfassungsrechtlicher und anderer Art herbeigeführt sind, hat die Koalition im Innenausschuß abgelehnt. Wir stellen unseren Antrag heute erneut und bitten um Ihre Zustimmung.Schon jetzt ist eindeutig daß der Auftrag für den BND — die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind — uferlos weit ist und, wenn er voll ausgeführt würde, zu einer Vervielfachung des Personals des BND führen müßte.Der bisherige Datenverbund zwischen den Nachrichtendiensten untereinander sowie zwischen diesen und der Polizei und anderen Behörden — sogar des Auslands — und Privaten wird im wesentlichen, im Kern aufrechterhalten. Das ist mit dem Zweckent-
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Dr. Emmerlichfremdungsverbot, das verfassungsrechtlichen Charakter hat, nicht vereinbar.Hier gilt, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie zum gesamten Inhalt der Nachrichtendienstgesetze das, was die „Welt" am 15. März 1990 festgestellt hat: Die CDU/CSU hat der FDP augenzwinkernd, um sie vor einem Gesichtsverlust zu bewahren, eine Reihe von Wünschen erfüllt, die am eigentlichen Kern, am eigentlichen Inhalt der Regierungsentwürfe nichts verändert haben, damit auf diese Weise die Erfolglosigkeit der FDP bei der Bewahrung der inneren Liberalität vernebelt werden kann.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Emmerlich, auf Ihre letzte Bemerkung brauche ich nicht einzugehen, weil das Ergebnis der Gesetze für sich spricht. Die Darstellung in Ihrem Antrag zur zweiten Lesung, daß eine Beratung des BND-Gesetzes nicht stattgefunden habe, ist unzutreffend.
Ich weise Sie darauf hin, daß das BND-Gesetz Gegenstand der Anhörung vom 23. Juni war und daß in dieser Anhörung der Präsident des Bundesnachrichtendienstes mündlich und schriftlich zu dem Gesetzentwurf eingehend Stellung genommen hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich?
Ja, einverstanden.
Herr Kollege Hirsch, natürlich haben wir das BND-Gesetz in dem Umfang, der durch Ihren Beratungszwang ermöglicht wurde, beraten. Das war nicht Gegenstand meiner Rüge.
Wir hatten im Innenausschuß während dieser Beratung beantragt, die Beratung zurückzustellen, bis die Expertisen der Verfassungsrechtsabteilungen des Innen- und des Justizministeriums vorliegen und bis eine gutachtliche Stellungnahme der Parlamentarischen Kontrollkommission und des Gremiums zur Haushaltskontrolle vorliegt.
Das habe ich hier vorgetragen. Diesen Antrag stellen wir erneut, und wir bitten insoweit um Zustimmung. Sie haben auf etwas repliziert, was ich nicht gesagt habe.
Herr Emmerlich, es ist einfach falsch, was Sie sagen. Sie haben in Ihrem Antrag formuliert: „Da eine sachlich angemessene Beratung unter Einbeziehung von Sachverständigen nicht stattgefunden hat ..." Genau das ist falsch. Denn in der Anhörung hat nicht nur der Präsident des Bundesnachrichtendienstes mündlich und schriftlich Stellung genommen, sondern es haben auch die Wissenschaftler, die wir geladen hatten, fünf Sachverständige, zu 16 Fragen aus dem Bereich der Nachrichtendienste mündlich und schriftlich vor einem Jahr eingehend Stellung genommen. Sie hatten eine lange Beratungszeit.
Ich will noch etwas zu Herrn Such sagen. Sie haben — ich muß es einfach so sagen — in unzulässiger Weise zitiert. Ich kann nicht verstehen, wenn Sie uns hier bei der Formulierung des Gesetzes anzumosern versuchen. Gesperrte Daten sind, wie Sie wissen, solche, die nicht gelöscht werden sollen, weil z. B. ihre Richtigkeit bestritten wird. Der von Ihnen zitierte Satz, den Sie in unzulässiger Weise gekürzt haben, heißt:
Gesperrte Daten dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen nur übermittelt oder genutzt werden, wenn
erstens es zu wissenschaftlichen Zwecken, zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder aus sonstigen im überwiegenden Interesse der speichernden Stelle ... liegenden Gründen unerläßlich ist und
zweitens die Daten hierfür übermittelt oder genutzt werden dürften, wenn sie nicht gesperrt wären.
Das heißt auf deutsch, daß Daten, deren Übermittlung nach anderen gesetzlichen Regeln zulässig ist, die aber gesperrt sind, weil ihre Richtigkeit bestritten wird, dann übermittelt werden dürfen, wenn es z. B. für wissenschaftliche Zwecke unerläßlich ist. Das kann jeder, der die Gesetzessprache kennt, in der Tat leicht erkennen.
Es ist unzulässig, hier den Teil eines Satzes willkürlich wegzulassen, um dann den Rest nicht mehr erkennbar zu machen.
Jetzt geht es ohne Zwiegespräch weiter. Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte wenige Bemerkungen machen und darf doch zunächst einmal, weil ja inzwischen in einer zu Ende gehenden Legislaturperiode beinahe zu jedem Gesetzesvorhaben der Eindruck erweckt wird, als sei hier mit unziemlicher Eile beraten worden, auf folgendes hinweisen: Der Gesetzentwurf ist Ende 1988 im Bundesrat eingebracht worden. Der Bundesrat hat in seiner 597. Sitzung am 10. Februar dazu gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes einen Beschluß gefaßt. Der Gesetzentwurf ist dann am 6. April 1989 dem Bundestag zugeleitet worden. Dies alles
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16790 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Bundesminister Dr. Schäubleweist die amtliche Drucksache des Bundestages aus.Herr Kollege Emmerlich, deswegen ist richtig, daß ich im Bundestagsinnenausschuß Ihre Frage, ob der Gesetzentwurf vor der Entwicklung in der DDR formuliert worden sei, nur bejahen konnte. Das ist in der Tat richtig. Was hätte ich auch sagen sollen, wenn Sie mich das fragen? Natürlich hat die Entwicklung in Deutschland und in Europa — danach brauchen Sie mich gar nicht zu fragen — auch Konsequenzen für die Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes. Dies alles ist doch völlig selbstverständlich.Nur, wir arbeiten nun seit vielen, vielen Jahren an dieser Materie. Ich glaube, es ist richtig, daß wir den Übergangsbonus, den uns das Verfassungsgericht in seinem Urteil eingeräumt hat, nicht über das Ende dieser Legislaturperiode hinaus in Anspruch zu nehmen versuchen. Deswegen ist die Verabschiedung dieses Gesetzes jetzt notwendig.Ich bedanke mich bei allen, die zum Zustandekommen dieses Gesetzes entscheidend beigetragen haben. Es steckt enorm viel Arbeit darin. Ich möchte mich dafür ausdrücklich und nachdrücklich bedanken.Herr Kollege Such, vielleicht darf ich Ihnen wenigstens das eine erklären, weil es offenbar für manchen schwierig ist. Mit veränderten Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat hat es überhaupt nichts zu tun. Der Bundesrat wird sich wohl am 22. Juni damit beschäftigen. Wir haben in anderem Zusammenhang, Herr Kollege Penner — —
— Ich bin überhaupt nicht böse. So freundlich wie ich sind die wenigsten von Ihnen. Hoffentlich ist der Kollege Emmerlich auch immer so freundlich.Es besteht auch in anderem Zusammenhang — im Bundesrat soll doch auch ein Staatsvertrag über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion behandelt werden — überhaupt kein Zweifel daran, daß in dieser Sitzung des Bundesrates dem Ergebnis der niedersächsischen Landtagswahl Rechnung getragen werden wird, es sei denn, Sie kämen mit den Koalitionsverhandlungen nicht zu Rande. Aber das wollen wir Ihnen gar nicht unterstellen; denn die Unterschiede zwischen Rot und Grün sind, wie wir gesehen haben, nicht sehr groß. Also wird es wohl funktionieren.Deswegen, Herr Kollege Such, hat es mit diesen Umständen gar nichts zu tun. Sie sollten den Sinngehalt Ihrer Kritik ein bißchen erhöhen. Das wäre nicht schlecht.
Lassen Sie mich noch eines zum Verfahren sagen. Die Regierung hat den Gesetzentwurf eingebracht. Dann berät das Parlament. Das darf ich Ihnen als Mitglied dieses Hauses auch einmal sagen. Das Parlament sagt dann, wir wollen das Gesetz verabschieden. Wenn Sie dann den Vorwurf erheben, das alles sei unanständig, fühle ich mich als Innenminister davon nicht betroffen. Ich fühle mich aber als Mitglied diesesHohen Hauses von solchen Vorwürfen getroffen und darf sie in dieser meiner Eigenschaft zurückweisen.
Warum ist es beim Datenschutz so schwierig gewesen und zum Teil — auch durch veränderte Formulierungen gegenüber dem Gesetzentwurf — wieder kompliziert geworden? Der Grund liegt darin, daß es eben nicht nur um den einen Gesichtspunkt des Datenschutzes geht. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig. Durch die Entwicklung in der Informationstechnik, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen, gewinnt dieser Gesichtspunkt an Bedeutung und Gewicht. Aber es geht eben auch darum, daß wir auch für die Zukunft eine leistungsfähige Verwaltung sicherstellen müssen. In einer Zeit, in der auch im Sinne der Daseinsvorsorge immer größere Anforderungen an den Staat gestellt werden, müssen wir die Leistungsfähigkeit der Verwaltung sicherstellen.Ich habe mich heute morgen mit dem Kollegen Töpfer lange über eine Informationsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft unterhalten. Wir wollten bisher aus Gründen des Datenschutzes einer zu weit gehenden Auskunftsregelung nicht stattgeben. Ich habe mich mit ihm darauf geeinigt, daß wir dieser Richtlinie zustimmen wollen. Man sieht an diesem aktuellen Beispiel, wie schwierig dieser Zielkonflikt ist. Der Versuch, in diesem Zielkonflikt zwischen dem Anspruch der Bürger auf Schutz ihrer Daten einerseits und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung andererseits einen richtigen Weg zu finden, hat die Sache kompliziert gemacht.Ich finde, daß die Aufgabe mit der zur Beschlußfassung vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs gut gelöst ist. Es gibt in dieser Debatte keine Sieger und keine Verlierer, sondern nur Gewinner. Gewinner sind die Bürger, die ein Gesetz bekommen, das dem Zielkonflikt zwischen dem Anspruch auf einen ausreichenden Schutz ihrer Daten und dem Anspruch auf eine leistungsfähige Verwaltung in einer guten Weise Rechnung trägt.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nun will ich noch etwas zu dem Teil des Gesetzes sagen, der die Nachrichtendienste betrifft.Herr Kollege Emmerlich, ich habe mir einmal Ihren Satz angeschaut, daß der Verfassungsschutz ohne die Furcht vor dem expansiven Kommunismus der Nachkriegszeit wohl kaum gegründet worden wäre. Ich habe es so verstanden, daß sich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das wir im vergangenen Jahr ja zu Recht gewürdigt haben, für den Gedanken der wehrhaften Demokratie auf der Grundlage der Erfahrungen der Weimarer Republik entschieden hat.
Ich denke, daß diese richtige Entscheidung auch in einem vereinten Deutschland richtig bleiben wird.
Vielleicht hätte Ihr Satz auch umgekehrt — das ist eine Hypothese — seine Richtigkeit, nämlich daß, wenn wir unsere freiheitliche demokratische rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutsch-Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16791Bundesminister Dr. Schäubleland in den vergangenen 40 Jahren nicht so gut bewahrt hätten, der Kommunismus heute vielleicht gar nicht gescheitert wäre. Vielleicht ist es auch umgekehrt richtig.Deswegen bitte ich herzlich darum, daß man bei allen veränderten Aufgabenstellungen, über die wir gemeinsam nachdenken und reden müssen, jetzt nicht so tut, als sei die Aufgabe des Verfassungsschutzes jetzt überflüssig geworden. Auch wenn es keinen Kommunismus mehr geben sollte — es gibt ihn übrigens noch — , werden wir unsere freiheitliche, rechtsstaatliche demokratische Ordnung auch in der Zukunft mit angemessenen Mitteln zu schützen haben; denn gerade eine freiheitliche Ordnung bedarf des Schutzes in besonderer Weise, nicht nur weil sie besonders schutzwürdig ist, sondern weil eine freiheitliche Ordnung als Staatsform eben auch verwundbarer als eine nicht freiheitliche Ordnung ist. Deswegen werden wir auch in der Zukunft einen Verfassungsschutz — auch in einem vereinten Deutschland — brauchen.Das zweite, was ich den Kollegen, die dazu gesprochen haben, auch mit allem Nachdruck sagen möchte, ist: Wer immer die unglaublichen Verhaltensweisen der Staatssicherheit in der DDR als eines Apparats zur Unterdrückung und Bespitzelung der Bürger durch ein totalitäres Regime in irgendeiner Weise in einen Zusammenhang mit den Tätigkeiten unserer Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland rückt, der ist wirklich infam zu nennen.
Ich weise dies mit allem Nachdruck und mit aller Entschiedenheit und mit aller Entrüstung zurück.Auch im Bereich von Nachrichtendiensten — ich bin für den Verfassungsschutz verantwortlich — mögen Fehler und fehlerhaftes Verhalten vorkommen, übrigens wahrscheinlich auch im Bereich von Parlamenten und Parteien und Fraktionen; bei allen Menschen mag dies vorkommen. Aber den grundsätzlichen Unterschied zu verwischen, wie Sie, Herr Kollege Such, es absichtlich, absichtsvoll getan haben, ist eine Infamie, die ich im Interesse unserer Freiheitsordnung nachdrücklich zurückweise.
Das haben unsere Nachrichtendienste und ihre Mitarbeiter, die auch demokratisch und rechtsstaatlich gesinnte Bürger sind, nicht verdient. Sie haben vielmehr Anspruch darauf, daß wir sie mit Entschiedenheit davor in Schutz nehmen.
— Ich habe Sie nicht verstanden.
— Nein, ich habe im Moment Ihren Fraktionskollegen Herrn Such gemeint. Da Sie eine herausgehobene Verantwortung für Ihre Fraktion ja immer sichtbar wahrzunehmen beabsichtigen, rate ich Ihnen, sich einmal darum zu kümmern, daß solche Infamien von seiten Ihrer Fraktion nicht mehr geäußert werden,
denn es ist ein Angriff auf die Würde der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und im übrigen der Würde der Mitarbeiter aller Dienste.
Ich lade übrigens herzlich ein, Herr Kollege Wartenberg, daß Sie nachdrücklich daran mitwirken — ich gehe auch davon aus, daß Sie das tun werden — , daß in der Bundesrepublik Deutschland die Schweinereien der Staatssicherheit mit dem Abhören des Telefonverkehrs nicht noch kichernd, hohnlachend oder sonstwie mit Veröffentlichungen und Andeutungen fortgesetzt werden.
Ich finde, wir alle gemeinsam sollten dafür sorgen, daß dies nicht geschieht; denn am Ende setzen wir sonst nur fort, was wirklich verachtenswert ist.Deswegen bekenne ich mich bei dieser Gelegenheit noch einmal zu dem Beschluß, den die Bundesregierung auf meinen Vorschlag hin gefaßt hat. Wenn Telefonverkehr abgehört worden ist, wird immer unterstellt, daß derjenige, der abgehört worden ist, Dreck am Stecken hat. Es wird also unterstellt, daß das Opfer der Schuldige ist. Wenn der Fernsprechverkehr zwischen mir und meiner Frau — ich lebe ja nicht ständig zu Hause — gelegentlich abgehört worden ist, dann geht es nicht um Intimitäten; das kann von mir aus auch veröffentlicht werden, obwohl ich eigentlich finde, daß es niemanden etwas angeht. Deswegen möchte ich auch nicht, daß irgend jemand darin herumschnüffelt, um auszuwählen, was wen angeht oder nicht. Ich bin dafür, daß wir dies unbesehen vernichten. Ich bin auch dafür, daß wir die Strafdrohung auf diejenigen erweitern, die dieses veröffentlichen. Dafür haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt nicht die Stunde, im einzelnen etwas zu den Veränderungen in der Aufgabenstellung für die Nachrichtendienste zu sagen. Ich möchte allerdings Herrn Kollegen Hirsch — bei allem Dank für gute Zusammenarbeit auch bei diesem Gesetz — um folgendes bitten.
— Ich schließe den Kollegen Fellner in diesen Dank ausdrücklich ein. Nun muß ich natürlich auch den Kollegen Blens nennen; sonst wäre es ungerecht.
— Sie werden doch nicht noch von der Regierung gelobt werden wollen! Wenn Sie dem Gesetz gleich zustimmen, dann verspreche ich Ihnen, daß ich Sie in der nächsten Debatte ausdrücklich loben werde.
Ich möchte Sie, Herr Kollege Hirsch, für weitere Diskussionen bitten, darüber nachzudenken, ob wir nicht an dem Prinzip, das sich nach meiner Überzeugung, was die Nachrichtendienste betrifft, in diesen 40 Jahren bewährt hat, festhalten sollten, nämlich daß wir
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16792 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Bundesminister Dr. Schäubletrennen zwischen der Nachrichtenbeschaffung, die auch ein freiheitlicher Staat auch in Zukunft brauchen wird, ein vereintes Deutschland ebenfalls — darüber sind wir nicht auseinander — , und der vollziehenden Verwertung einer solchen Nachrichtenbeschaffung. Wenn dies der Ansatz ist, dann werden wir über manches, etwa unter dem Gesichtspunkt der dramatisch zunehmenden Bedrohung durch organisierte Kriminalität — auch dort schreitet die technische Entwicklung rasant fort — , neu und mit veränderten Fragestellungen nachzudenken haben. Denken Sie nur an die Rauschgiftdelikte.Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und der Anspruch unserer Bürger, daß der Staat eine seiner vornehmsten Aufgaben auch ein Stück weit erfüllt, nämlich innere Sicherheit zu gewährleisten, werden auch durch die Veränderungen im anderen Teil Deutschlands und in Europa nicht obsolet. Sie werden durch neue technische Entwicklungen und Herausforderungen nur um so dringlicher.Deswegen bin ich dankbar, daß wir für die Tätigkeiten der Nachrichtendienste mit diesem Gesetz auf der Grundlage des Urteils des Verfassungsgerichts heute eine verläßliche Grundlage schaffen. Ich bitte Sie alle zuzustimmen. Ich hoffe, daß auch der Bundesrat das Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht verhindern wird.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute über fünf Gesetze in einem hochsensiblen Bereich unseres Staates zu befinden; in einem hochsensiblen Bereich, der von einer Vielzahl von Skandalen gezeichnet ist. Wir haben für diese fünf Gesetze insgesamt anderthalb Stunden zur Verfügung. Jedes einzelne dieser Gesetze mit den konkreten Vorkommnissen in dem Aufgabenbereich, der dort geregelt werden soll, hätte eine solche Debattendauer nötig gemacht — abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik, die mit diesen fünf Gesetzen verbunden ist; denn sie sind nur der schwache Abklatsch dessen, was ursprünglich Ende der letzten Legislaturperiode mit dem Zusammenarbeitsgesetz hatte bewerkstelligt werden sollen.Die Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil im verfassungsrechtlichen Bereich sind nicht gezogen worden, auch wenn der letzte Vorredner mehrfach das Gegenteil behauptet hat. Diese Konsequenzen, die jetzt im gesetzgeberischen Bereich gezogen worden sind — zum Teil handelt es sich ja um Bereiche, bei denen es für eine diesbezügliche Arbeit überhaupt keine gesetzliche Grundlage gab, trotz erheblicher Eingriffe in die Freiheits- und Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern — , sind nichts anderes als die Legalisierung der bestehenden Praxis. Wenn Herr Innenminister Schäuble von Schweinereien der Staatssicherheit spricht, dann wünschte ich mir genauso klare Worte zu Schweinereien des bundesdeutschen Verfassungsschutzes oder des Bundesnachrichtendienstes. Sie brauchen solche Tatsachen nicht mit einer abfälligen Handbewegung wegwischen zu wollen.Sie selbst kennen Fälle dieser Art zur Genüge. Sie wissen, daß der bundesdeutsche Verfassungsschutz auf Gerichtsverfahren Einfluß genommen hat, daß er zum Teil sogar Personalpolitik im politischen Raum betreibt, indem zu geeigneten Zeitpunkten gezielte Informationen über Personen in die Öffentlichkeit lanciert werden oder ähnliches mehr.Diese ganzen Probleme werden von diesen Gesetzen nicht erfaßt. Sie sollten auch gar nicht diskutiert werden. Während wir — zumindest an dieser Stelle erfreulicherweise — feststellen dürfen, daß zum erstenmal seit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland, also zum erstenmal in der Geschichte des Deutschen Bundestages überhaupt, zumindest in einem Ausschuß, dem Innenausschuß — nicht mal im Plenum — , über die grundlegende Aufgabenstellung des Bundesnachrichtendienstes diskutiert werden konnte, mußten wir gleichzeitig um so erschreckter feststellen, daß diese Diskussion überhaupt nicht erwünscht war, sondern daß sich die Gesetzesformulierungen darauf kaprizieren mußten, was die Regierung meinte auf Grund des Volkszählungsurteils unbedingt — mit keinem einzigen Satz mehr — umsetzen zu müssen.Es ist so, wie auch in anderen Zusammenhängen dieser Debatten von Oppositionsrednern mehrfach ausgeführt, daß die Polizei und der Verfassungsschutz zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz wird jetzt durch die gesetzliche Regelung nochmals verstärkt möglich werden. Es gibt eine Vielzahl von Lücken, auf Grund deren eine solche Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz möglich ist. Wir durchbrechen damit genau das, was die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf jeden Fall in diesem Lande verhindern wollten.Genauso ist es ein Armutszeugnis, daß in diesen Gesetzentwürfen Formulierungen enthalten sind, nach denen der Bundesnachrichtendienst — der ja nach Ihrer eigenen Logik eigentlich nur im Ausland tätig sein sollte — sehr wohl auch im Inland Aktivitäten entfalten kann. Wir haben erfahren müssen, daß diese Aktivitäten sogar in einem quantitativen Umfang stattfinden, daß wir von einer Qualität sprechen müssen, die geradezu systematischen Charakter hat und deswegen genauso gesetzlich verboten gehörte wie viele andere Dinge, die in diesen Gesetzeswerken erfaßt worden sind.Sie haben es geschafft, gegen Ende dieser Legislaturperiode diesen skandalträchtigen Sumpf in der Bundesrepublik Deutschland noch in Gesetzesform auf den Weg zu bringen und, bevor im Bundesrat eine andere Mehrheit vorhanden ist, im Bundestag beschließen zu lassen — was wohl im Anschluß an meine Rede bedauerlicherweise geschehen wird — und den Bundesrat genauso sang- und klanglos passieren zu lassen. Die Öffentlichkeit ist nicht in dem Maße sensibilisiert, wie sie es 1983 und in den darauffolgenden Jahren auf Grund der Volkszählung gewesen ist. Diese Gunst der Stunde in Verbindung mit der deutsch-deutschen Diskussion und Dynamik nutzen Sie weidlich. Dabei ist Ihnen die FDP-Bundestagsfraktion willfährig zur Seite gestellt mit dem Mann, der, federführend für dieses Gesetzeswerk, seine
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16793
WüppesahlFraktion mit auf den Pfad der Lemminge geführt hat, Herrn Kollegen Hirsch, der ganz entgegen der Charakterisierung, die vor kurzem in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen war — nämlich daß er gewissermaßen das Gewissen des Verfassungsgerichts in Bonn sei — ,
— ich komme zum Ende, Frau Präsidentin — einem solchen Machwerk von Gesetzen in diesem Bereich die Zustimmung gegeben hat.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, daß möglichst viele gegen dieses Gesetzespaket stimmen werden.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes in der Ausschußfassung. Es handelt sich um die Drucksachen 11/4306 und 11/7235.Ich rufe auf den Art. 1 in der Ausschußfassung. Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7270? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7273 unter Ziffer 1? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7273 unter Ziffern 2 und 3 auf. Hier wird beantragt, nach Art. 1 einen neuen Art. 1 a und 1 b einzufügen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe die Art. 2 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses ist in zweiter Beratung angenommen.Meine Damen und Herren, die dritte Beratung und Schlußabstimmung, zu der die Fraktion DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung verlangt hat, wird nach der Wahl zur PKK stattfinden. Das wird leider nicht mehr um 12.30 Uhr sein; denn wir haben noch eine halbe Stunde Beratungszeit für den nächsten Tagesordnungspunkt nötig. Erst dann erfolgt diese Abstimmung. Dann werden wir auch über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7276 und 11/7277 abstimmen.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf einesBundes-Informationsschutzgesetzes, Drucksache11/3730. Das ist Tagesordnungspunkt 7 b.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/7235 unter Ziffer 2 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3730.Es ist Praxis, über die Ursprungsvorlage abzustimmen. Ich rufe deshalb die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der GRÜNEN ist der Ausschußempfehlung zugestimmt und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung abgelehnt worden. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung des Gesetzentwurfs.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 c auf und komme zur Abstimmung über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/7235 unter Ziffer 3 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2175. Auch hier stimmen wir über die Ursprungsvorlage ab.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Auch hier unterbleibt die weitere Beratung.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 d, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7259. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — DIE GRÜNEN stimmen zu. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/7235 zu Anträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN.Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 4, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2125 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Innenausschusses? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 5 weiter, den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/6308 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 6, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6304 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.
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16794 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsidentin RengerDer Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 7, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6249 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 6 zur Tagesordnung. Ich lasse über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7262 abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Punkt 8 der Tagesordnung sowie den Zusatzpunkt 7 zur Tagesordnung auf:8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik
— Drucksache 11/7029 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten FrauRust, Such und der Fraktion DIE GRÜNENSicherheitsprobleme der Informations- und Kommunikationstechniken — Schutz von Individuum und Gesellschaft— Drucksache 11/7246 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschußNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eben im Zusammenhang mit dem Datenschutzgesetz über die Folgerungen gesprochen, die sich aus den Entwicklungen der Informationstechnik für die verstärkten Anforderungen an den Datenschutz ergeben. Genauso ergibt sich aus den rasanten technischen Entwicklungen neuer akuter Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Sicherheit in der Informationstechnik.Die Informationstechnik hat sich zu einer Schlüsseltechnik entwickelt, von der erhebliche Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft ausgehen. Es gibt kaum noch einen Bereich, der nicht unmittelbar oder mittelbar von dem einwandfreien Funktionieren der Informationstechnik abhängig ist. Mit dem zunehmenden Einsatz der Informationstechnik und deren weltweiter Vernetzung steigen auch die damit verbundenen Gefahren. Berichte über Computerhacking, Virenprogramme, Trojanische Pferde oder Würmer — all das sind Begriffe aus der Computersicherheit — faszinieren und verängstigen gleichermaßen die immer stärker von der Informationstechnik abhängige Gesellschaft. Aber auch schon Programmierfehler können z. B. bei der Verkehrssteuerung, in der Produktion — denken Sie an die Chemie — oder in der Medizin schwerwiegende Folgen auch für Leben und Gesundheit der Bürger nach sich ziehen.Die Verwendung der Informationstechnik in nahezu allen Lebensbereichen — etwa für den bargeldlosen Zahlungsverkehr, um nur ein Beispiel zu nennen — wird auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität neue Deliktarten zur Folge haben. Das organisierte Verbrechen wird sich die Informationstechnik zunehmend für eine weltweite, schnelle und möglichst vor behördlichem Zugriff gesicherte Kommunikation zunutze machen.Den Gefahren müssen wir auch zur Wahrung der Akzeptanz der Informationstechnik angemessen begegnen. Die Sicherheit in der Informationstechnik muß als gleichrangiges Ziel neben die allgemeinen, von der Informationstechnik erwarteten Leistungsmerkmale treten. Verbleibende Restrisiken müssen einer Technikfolgenabschätzung unterzogen werden. Das neue Bundesamt, für dessen Errichtung wir diesen Gesetzentwurf vorlegen, soll in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Wissenschaft auf einen verbesserten Sicherheitsstandard in der Informationstechnik hinwirken. Es soll verbleibende Gefahren aufzeigen und bewerten, und es soll die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder bei der Bekämpfung der Computerkriminalität unterstützen.Es werden teilweise Bedenken gegen die gleichzeitige Unterstützung des Datenschutzes und der Strafverfolgungsbehörden durch das neue Bundesamt erhoben. Ich denke, daß bei näherer Betrachtung diese Bedenken einer sachlichen Grundlage entbehren.Es wurden auch Befürchtungen geäußert, das Bundesamt könnte von ihm entwickelte Verschlüsselungssysteme mit Falltüren versehen, damit die staatlichen Sicherheitsorgane verschlüsselte Informationen entziffern können. Um solchen ungerechtfertigten Unterstellungen zu begegnen, kann unabhängigen Experten Einblick in die mathematischen Prinzipien kommerziell genutzter Verschlüsselungssysteme gewährt werden. Die für den jeweiligen Verschlüsselungsvorgang zusätzlich benötigten Schlüsseldaten können künftig per Rechner hergestellt werden und sind dem neuen Bundesamt dann gar nicht erst zugänglich.Die Unterstützung des Datenschutzes und die gleichzeitige Unterstützung der Kriminalitätsbekämpfung bedeutet keinen Interessengegensatz, ganz im Gegenteil. Es sind nicht zuletzt auch personenbezogene Daten, die z. B. durch Hacking gefährdet sind und die es vor allem auch durch Aufklärung krimineller Delikte zu schützen gilt. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat dies frühzeitig erkannt und deshalb den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nachdrücklich unterstützt.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Gesetz sollte in jedem Falle noch in dieser Legislatur-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16795
Bundesminister Dr. Schäubleperiode verabschiedet werden, damit die drängenden Probleme rechtzeitig in Angriff genommen werden können, denn es ist hohe Zeit, daß wir diese Probleme in Angriff nehmen. Nach meinem Eindruck besteht jedenfalls hinsichtlich des Handlungsbedarfs und damit auch hinsichtlich der Notwendigkeit dieses Bundesamtes ein breiter politischer Konsens, so daß ich zuversichtlich bin, daß wir eine Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode schaffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD unterstützt das Ziel, die hochgradige Verletzlichkeit der computergesteuerten Informationsgesellschaft zu begrenzen. Insofern, Herr Minister, erkennen wir den Handlungsbedarf ausdrücklich an. Die Errichtung eines Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik per Gesetz kann dazu ein geeigneter Weg sein. Wir werden uns an der Arbeit in den Ausschüssen konstruktiv beteiligen; das sage ich hier schon einmal zu. Wir erwarten allerdings auch, daß Bundesregierung und Koalitionsfraktionen den vorgelegten Entwurf nicht von vornherein als der Weisheit letzten Schluß betrachten, sondern in den Einzelberatungen für Anderungs- und Ergänzungsvorschläge offen sind. Dazu will ich heute in erster Lesung bereits einige Anregungen geben.Erstens. Es wird zu prüfen sein — dazu haben Sie nichts gesagt, Herr Minister — , ob es tatsächlich die zweckmäßigste Lösung ist, das BSI dem Innenminister zu unterstellen. Ich befürchte nämlich einen Zielkonflikt zwischen den Aufgaben der externen und der internen Beratung. Während einerseits optimale Sicherheit gegen unbefugtes Eindringen wünschenswert ist, könnte das Amt andererseits versucht sein, zum Zwecke der Verfolgung von Straftaten und für Aufgaben des Verfassungsschutzes nur solche Kryptosysteme zu favorisieren, die die zuständigen Behörden selbst beherrschen. Extern empfehlen Sie möglichst einbruchsichere Systeme, die nicht knackbar sind, andererseits wünschen Sie sich für Ihren eigenen Verfassungsschutz Systeme, die Sie möglichst leicht knacken können und wo diejenigen, die Sie überwachen wollen, die Schlüssel sozusagen an der Garderobe des Verfassungsschutzes abgeben.Nun haben Sie das als eine Unterstellung bezeichnet. Aber es ist keine. Ich darf Sie einmal daran erinnern, Herr Minister, daß Sie vor einem Jahr bei der Behandlung des Fernmeldeanlagengesetzes und des G-10-Gesetzes genau dies in das Gesetz hineingeschrieben haben wollten. Wir sind also in diesem Falle durch Ihre eigenen Aktivitäten gewarnt und werden darüber sicher noch im einzelnen reden müssen.Außerdem, meine ich, ist zu prüfen, ob die Ressortierung beim Innenminister nicht Beratungsfunktionen erschwert, für die z. B. beim BND und im Verteidigungssektor insgesamt Bedarf besteht. Da ist die Frage, wie weit man die Sachverständigen, die es am Markt nicht beliebig gibt, hier bündelt und dann auch anderen Dienststellen zugänglich macht. Also wäre, meine ich, eine Differenzierung in der Organisationsstruktur und in den Weisungsbefugnissen je nach Aufgabenstellung zu erwägen.Zweiter Punkt. Mein erster Eindruck ist, daß Sicherheitsaspekte zu stark auf Schwachstellen im Bereich der Hersteller von Hardware und Software konzentriert sind, während die Beratung der Anwender beim Betrieb zu kurz kommt. Schwachstellenanalysen haben nämlich immer wieder gezeigt, daß viele Anwender schon vorhandene Sicherheitspotentiale nicht ausnutzen, sei es aus Unkenntnis, sei es aus Sorglosigkeit oder aus falsch verstandener Sparsamkeit.
Ein Schwerpunkt muß deshalb im Sicherheitsmanagement beim Nutzer liegen. Ich will dazu Professor Brunnstein zitieren, der wohl ein ausgewiesener Fachmann für Computersicherheit ist. Er sagt — ich zitiere wörtlich — :Die Mitwirkung der Anwender bei der Gestaltung künftiger Systeme muß verstärkt, der dominante Einfluß der Systemhersteller begrenzt werden.Ein dritter Punkt, Herr Minister. Bei der Beschreibung der Aufgaben des Bundesamtes könnten die Verfasser — ich drücke das einmal sehr vorsichtig aus — zu einseitig von der Vorstellung geschlossener Systeme in der Regel eines Anwenders ausgegangen sein. Ich meine, es sollte geprüft werden, ob der Aspekt wachsender Vernetzung, den Sie soeben ja selber erwähnt haben, in der Zielbestimmung hinreichend in den Blick genommen worden ist. Dazu will ich noch einmal ein Zitat von Professor Brunnstein liefern. Er sagt wörtlich:Bei der Einführung neuer Methoden und Anwendungen ist deren Risiko-Potential zu analysieren. Angesichts der großen Bedeutung künftiger Netzdienste sind vordringlich Risiken im Bereich dienstintegrierter Netze zu prüfen. In sicherheitsempfindlichen Bereichen (Personendaten, Medizin etc.) sind Richtlinien erforderlich, welche den Einsatz unsicherer Systeme ausschließen.Also auch das Prinzip der Freiwilligkeit, das den Entwurf durchgängig beherrscht, wird für bestimmte Bereiche wohl noch einmal zu überprüfen sein.Vierter Punkt; das ist der mir wichtigste. Ein offensichtlicher Mangel in der Aufgabenstellung des BSI liegt nach Auffassung der SPD in der Beschränkung auf die Frage, wie Informationstechnik möglichst sicher eingesetzt wird, in der Beschränkung auf einen bloß technischen Sicherheitsbegriff. Wenn aber im Vorspann des Gesetzentwurfes richtig von der wachsenden Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft geredet wird, müssen dringend auch das Ob für bestimmte Bereiche geprüft und allgemeine Kriterien zur Verantwortbarkeit des Technikeinsatzes entwikkelt werden.Mit anderen Worten — Sie haben das Stichwort erwähnt, es findet sich aber in der Zielsetzung des Gesetzestextes nicht wieder — : Technikfolgenabschätzung und -bewertung sind notwendig. Die Abschätzung künftiger Risikopotentiale setzt ein soziotechnisches und nicht nur ein rein technologisches Problem-
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Paternaverständnis voraus. So ist z. B. eine Grenzlinie zu finden, wo Gefährdung von Gesundheit und Umwelt droht, Informations- und Kommunikationssysteme zur automatischen Kontrolle und Steuerung eingesetzt werden und künstliche Intelligenz den letztverantwortlich sein sollenden Menschen zu ersetzen droht.Generell ist für bestimmte Bereiche zu klären, wo im Falle technischen Versagens die Haftung nach dem Verursacherprinzip liegt. Ist es der Hersteller? Ist es der Wissensingenieur? Ist es der Anbieter von Software? Ist es das Prüfpersonal? Wer ist es denn eigentlich, wenn es im Bereich der Medizin oder der Steuerung eines Kernkraftwerkes zu einem Versagen mit Risiko für Gesundheit und Umwelt kommt? Dies sind viele ungeklärte Fragen, die, meine ich, in den generellen Untersuchungsauftrag eines solchen Amtes gehören.So ist in bestimmten Fällen auch die Verfassungskonformität des Informations- und Technikeinsatzes zu untersuchen. Als Beispiel: automatische Frühwarnund Entscheidungssysteme im militärischen Bereich, die verfassungsmäßige Zuständigkeiten, etwa des Bundeskanzlers oder des Parlaments, durch automatische Entscheidungsabläufe außer Kraft setzen. Ich glaube, daß zu solchen Grundsatzprüfungen dringender Anlaß besteht.
Dazu gehört nicht nur die Frage, wie sicher Daten verarbeitet und transportiert werden, sondern auch, welche Daten auf welchem Wege zu welchen Zwekken mit welchen Mißbrauchsrisiken erhoben werden. Der schlichte Hinweis auf unterstützende Tätigkeit für Datenschutzbeauftragte genügt da nicht.Generell ist ein soziotechnisches Sicherheitsverständnis zu fordern. Es sollte — als Ergebnis von Abschätzungen der Verletzlichkeit spezifischer Einsatzbereiche der Informations- und Kommunikationstechnik — ermöglichen, zu sozial verträglichen Gestaltungsanregungen künftiger IuK-Systeme und ihrer Anwendungsoptionen zu kommen.Angesichts der Schlüsselrolle der IuK-Technik für unsere Gesellschaft wiederhole ich jetzt unser Angebot und unsere Hoffnung auf gründliche und verantwortungsbewußte Beratung dieses Gesetzentwurfs in den Ausschüssen. Ich gründe — Herr Minister, wenn Sie mir noch eine Minute zuhören wollen — diese Hoffnung u. a. auf die Rede Ihres Staatssekretärs auf einer Tagung hier in Bonn vor wenigen Tagen zu diesem Thema, wo ich ausdrücklich die Stichworte „Technikfolgenabschätzung" und „soziotechnisches Verständnis" dieser Systeme dankenswerterweise wiedergefunden habe, allerdings in der Zielsetzung des Gesetzentwurfes bisher nicht. Ich denke, darüber sollten wir noch einmal reden.Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung in Richtung auf den Kollegen Hirsch machen: Ich habe Ihre diesbezügliche Presseerklärung mit einigem Vergnügen gelesen, in der Sie sich relativ hämisch darüber ausgelassen haben, daß es bei diesem BSI offensichtlich auf zehn oder 50 Beamte mehr oder weniger nicht ankommt, während wir gemeinsam jahrelang um eine oder zwei zusätzliche Stellen beim Bundesdatenschutzbeauftragten kämpfen müssen.
Ich glaube, daß hier ein groteskes Mißverhältnis besteht. Ich will damit nicht bestreiten, daß wir eine wirklich qualifizierte ausreichende Personalausstattung brauchen, lege aber auf zumindest Gleichgewichtigkeit Wert.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Blens ist bereit, seine Rede zu Protokoll zu geben. )
— Durch den Beifall zeigen Sie, daß Sie diesem Wunsch zustimmen. Damit ist diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen. — Danke schön, Herr Kollege Dr. Blens.
Jetzt hat Frau Abgeordnete Rust das Wort.
: Daß eine Rede zu diesem Thema zu Protokoll gegeben wird, spart uns zwar Zeit, wirft aber ein deutliches Licht auf den Zustand dieser Koalition, der offensichtlich nicht klar ist, von welcher Brisanz das Thema ist, über das wir heute reden. Ich hoffe sehr, daß Ihnen diese Brisanz wenigstens während der Beratungen in den Ausschüssen noch klarer wird.Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Sicherheit in der Informationstechnik verspricht uns die Bundesregierung mit der Einrichtung eines neuen Bundesamtes, Sicherheit vor Hackern, Virenprogrammen und Computerkriminalität, die die Akzeptanz der Informationstechnik beeinträchtigen könnten. Darüber hinaus will sie die Verletzlichkeit der modernen Informationsgesellschaft begrenzen, die durch die zunehmende Abhängigkeit von Wirtschaft und Verwaltung vom einwandfreien Funktionieren der Informationstechnik entsteht.Das ist eigentlich ein ehrenwertes und angesichts des Schadens- und Katastrophenpotentials beim Einsatz dieser Techniken überaus dringliches Unternehmen, wenn man etwa an die Steuerung von Kernkraftwerken, Chemieanlagen und Fluganlagen sowie den computerisierten Informationsfluß und Nachrichtenverkehr denkt.Die Kritik in weiten Teilen der Öffentlichkeit, der Informatik- und Rechtswissenschaft, die wir teilen, richtet sich zum einen gegen den falschen Begriff der Bundesregierung von Sicherheit und zum anderen gegen die vorgeschlagene und zum Hohn des Parlaments schon Monate vor Verabschiedung des Gesetzes praktizierte Organisationsform. Die Koalition hat jetzt schon die Planstellen für ein sogenanntes Führungsreferat für das neue Bundesamt in der Abteilung•) Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16797
Frau RustInnere Sicherheit des Innenministeriums freigegeben.Sicherheit ist für die Bundesregierung in erster Linie Sicherheit durch Technik. Technik gilt dann als sicher, wenn ein Beamter festgestellt hat, daß sie die entsprechende Sicherheitsnorm erfüllt und damit die Verfügbarkeit, Unversehrtheit und Vertraulichkeit der Information zu garantieren scheint.Dahinter steht — wie es die nicht unbedingt grünnahe Fachzeitschrift „Computerwoche" ausdrückt — ist zitiere —:... der naive Kinderglaube an die Allmacht und Unfehlbarkeit der Technik ... Wenn etwas schiefgeht, dann nur deshalb, weil irgendwelche Schurken an irgendwelchen Knöpfen gedreht oder irgendwelche Tasten gedrückt haben.Ich zitiere weiter:Systemische Probleme, Gefahren, die aus der Vernetztheit unserer Gesellschaft entstehen, aus den geringen Reaktionszeiten, schnellen Rückkoppelungen und großen wechselseitigen Abhängigkeiten, das alles gibt es nicht im Bild der Regierung von der Informationsverarbeitung.Wirkliche Sicherheit der Informationstechnik gegen unerkannte und unerwartete Gefahren — das haben uns die Sachverständigen in der Anhörung des Forschungsausschusses zu diesem Thema eindrücklich klargemacht — wirkliche Sicherheit kann es allein aus logischen Gründen nicht geben: „Jeder, der so etwas verspricht, ist ein Scharlatan", meinte etwa der Informatikprofessor Thomas Beth. Und der Verfassungsrechtler Professor Alexander Roßnagel machte uns darüber hinaus auf die wachsende Katastrophenanfälligkeit mit der Feststellung aufmerksam, daß die Informationstechnik an die stillschweigende Betriebsbedingung Frieden gebunden sei: „ ... eine hochinformatisierte Gesellschaft weder kriegstauglich noch verteidigungsfähig." So Roßnagel in der Anhörung!
— Frau Präsidentin, ich habe das Gefühl, ich störe die Kollegen im Gespräch.
Frau Rust, es tut mir furchtbar leid. Ich versuche es ja immer wieder. Vielleicht sind die Damen und Herren Abgeordneten etwas freundlicher und kollegialer und ermöglichen es Frau Rust zu sprechen. Vielleicht geht das eine Minute; dann ist sie nämlich fertig.
Der zweite Kritikpunkt hängt mit diesem überaus beschränkten Verständnis von Sicherheit als Sicherheit des Staates und der Wirtschaft vor Hackern und anderen sogenannten „Kriminellen" zusammen. Denn wer sollte diesen bösen Buben besser auf die Schliche kommen als unsere bewährten Ordnungshüter und Geheimdienste? Also scheint es nur konsequent, die Schadensabwehr der damit schon bisher betrauten Zentralstelle für das Chiffrierwesen zu überlassen, einer Dienststelle des BND unter höchster Geheimhaltungsstufe, die inzwischen unter dem unverdächtigen Namensschild „Zentralstelle für Sicherheit in der Informationstechnik" firmiert. Sie soll nun in neuem Hause und neuem Gewande als sogenannte zivile Behörde auftreten und nicht mehr dem Bundesnachrichtendienst, sondern in Teilen nur noch der Abteilung Innere Sicherheit des Bundesinnenministeriums unterstellt sein. Das Personal bleibt weitgehend dasselbe, nur die Aufgabenstellung hat sich ein bißchen erweitert: Nun sollen auch die Wirtschaft und Verwaltung und — man staune — sogar der Bundesbeauftragte für den Datenschutz beraten werden. Aber „wer wollte im Ernst glauben", fragt die Computerwoche, „daß die BSI-Spezialisten ihm helfen werden, Datenschutzverletzungen aufzudecken, an denen sie selbst beteiligt waren. Alle Umstände legen in der Tat den Verdacht nahe", heißt es weiter, „daß hier ein Spezialistenkorps zur möglichst sachkundigen Aushebelung des Datenschutzes etabliert werden soll." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Rechtswidrig ist außerdem, daß das BSI zugleich die Polizei und den Verfassungsschutz unterstützen soll, denn damit wird das aus der Erfahrung mit der Gestapo vom Grundgesetz normierte Trennungsgebot unterlaufen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist schlicht verfassungswidrig.
Aus all diesen Bedenken bringen wir einen Antrag ein, der das Ziel hat, nicht so sehr die Informationstechnik des Staates und der Wirtschaft zu sichern, sondern die Bürger und Bürgerinnen und die Gesellschaft vor hochriskanten technischen Systemen zu schützen.
Frau Abgeordnete Rust, Sie müssen bald zum Ende kommen.
Ich bin gleich am Ende.
Dies kann keinesfalls vom BSI in seiner jetzt vorgesehenen organisatorischen und rechtlichen Form geleistet werden, sondern müßte vielmehr in der Hand eines Parlamentsbeauftragten und unabhängiger, möglichst dezentral angesiedelter Stellen mit ganz anderen Aufgaben liegen.
Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ist nur dort zu haben, wo wir den Mut haben, uns vom Ziel der absoluten Sicherheit gründlich zu verabschieden.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch ist ebenfalls bereit, seine Rede zu Protokoll zu geben. Ich gehe davon aus, daß Sie dem zustimmen. *)
— Danke schön!
Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarismus wird nicht nur bei diesem Bundesamt vorgeführt, indem es diese Institution schon längst gibt, bevor wir es im Parlament beschlossen haben,•) Anlage 2
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16798 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Wüppesahlsondern auch die Art und Weise, wie diese Debatte hier stattfindet, ist eine Verhöhnung des Parlaments durch sich selbst.
Nicht nur, daß kaum jemand zuhört — der Minister ist permanent ins Gespräch mit anderen verwickelt —, sondern beide Redner der Fraktionen der Regierungskoalition geben auch ihre Reden zu Protokoll.
Einen stärkeren Ausdruck dafür, wie überflüssig diese Debatte ist, kann es gar nicht geben. Wir könnten auf diese Weise auch unser Abstimmungsverhalten auf schriftlichem Wege anzeigen und uns eine solche Plenumsdebatte ersparen. Sie lassen dieses Parlament wirklich verkommen.
Zur Sache!
Die Zentralstelle für Sicherheit in der Informationstechnik — das ist die Einrichtung, die heute schon im geheimdienstlichen Bereich die Tätigkeiten ausführt, die im wesentlichen vom BSI übernommen werden sollen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre und im Kontext weiterer aktueller Gesetzesinitiativen steht allerdings zu befürchten, daß bald ein Punkt erreicht ist, an dem der Bundesdatenschutzbeauftragte überflüssig wird, weil es nichts mehr zu schützen gibt. Denn wer wollte im Ernst glauben, daß die BSI-Spezialisten ihm helfen werden, Datenschutzverletzungen aufzudecken, an denen sie selbst beteiligt waren? Sie wissen, meine Damen und Herren: Das BSI wird sowohl für den militärischen Bereich, den Geheimdienst und den Polizeibereich als auch für den zivilen Bereich zuständig sein. Alle Umstände legen vielmehr den Verdacht nahe, daß hier ein Spezialistenkorps zur möglichen sachkundigen Aushebelung des Datenschutzes etabliert werden soll.Daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz selbst die Regierungspläne unterstützt, beruhigt kein bißchen. Im Gegenteil, muß ich in diesem Fall sagen.Die vernünftigste Lösung wäre es, wenn Sie solch ein Amt einrichten wollen — darin stimmten auch die meisten Sachverständigen in den Anhörungen überein, Herr Blens, Herr Hirsch — , die Aufgaben zu trennen: in ein Bundesamt, das für die Probleme der Allgemeinheit zuständig ist, und in ein zweites, das sich der Sorgen von Polizei und Geheimdiensten annimmt. Die ZSI könnte dann bleiben, was sie ist, und ein völlig neu geschaffenes BSI könnte sich unbelastet und ohne Loyalitätskonflikte auf seine zivilen Aufgaben konzentrieren. Nur so könnten die anstehenden Probleme wirklich angegangen und gelöst werden. Und dann könnte auch in Erfüllung gehen, was Otto Leiberich, der derzeitige ZSI- und künftige BSI-Chef verspricht:Meine Behörde wird in Zukunft für Sicherheitsorgen. Mögen sich andere den Kopf zerbrechen,wie sie mit § 100 der Strafprozeßordnung und dem G 10 zurechtkommen.Ich glaube, meine Damen und Herren, das drückt wie nichts anderes überdeutlich aus, was sich mit einer solchen Einrichtung tatsächlich ändern soll, nämlich gar nichts. Es soll auch hier — wie bei den fünf Gesetzen zum Datenschutzbereich vorher — nur legalisiert werden, was Praxis ist.Mein Eindruck ist, daß diese Anhörung genauso abgelaufen ist wie Anhörungen zur Atomenergie vor 15, 20 Jahren: daß die Politiker aus eigener Sachkenntnis im wesentlichen gar nicht wissen, was vor Ort tatsächlich gemacht wird, sich auf das Urteil der Administration verlassen und — in diesem Fall — ein solches Amt einrichten.Ich danke für die Aufmerksamkeit oder, besser gesagt, für die nicht vorhanden gewesene Aufmerksamkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/7029 und 11/7246 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:
9. Wahl zur Parlamentarischen Kontrollkommission
— Drucksache 11/7170 —
ZP8 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Parlamentarische Kontrollkommission
— Drucksachen 11/7245, 11/7272 —
Meine Damen und Herren, hierzu wird eine Aussprache gewünscht. Das Wort hat der Abgeordnete Such.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer wieder das gleiche, wie sich das Verfahren wiederholt: Wie bereits in der Vergangenheit anläßlich von Wahlen oder Nachwahlen zur PKK, so beantragt meine Fraktion auch heute, deren Mitgliederzahl zu erhöhen, so daß die GRÜNEN nach dem üblichen Schlüssel einen Sitz darin erhalten.Ich bitte Sie, diesem Antrag — anders als in der Vergangenheit — diesmal Ihre Zustimmung zu geben. Sollten Sie sich mehrheitlich dazu nicht durchringen können, so bitte ich die SPD, auf die Besetzung des ihr nach dem bisherigen Schlüssel zustehenden Sitzes zu meinen Gunsten zu verzichten,
sowie Ihre Genossen es im nordrhein-westfälischen Landtag zugunsten meines Kollegen Apel vorhaben. Sowohl durch die Aufstockung der Mitgliederzahl als auch durch den Verzicht auf die Entsendung eines Angehörigen der eigenen Fraktion können Sie, meine Damen und Herren, auch öffentlich ein kleines Signal
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16799
Suchsetzen, an der Kontrolle der Nachrichtendienste etwas ändern zu wollen, wie Sie es intern fraktionsübergreifend bereits für erforderlich erklären.Ein solches Signal kann Ihnen eigentlich nicht schwerfallen. Denn in den vergangenen vier Monaten, seit dem Rücktritt des Kollegen Jahn, hat niemand von Ihnen darauf gedrungen, die PKK „unverzüglich", wie es das PKK-Gesetz fordert, nachzubesetzen.
Vielmehr haben die GRÜNEN hierauf wieder und wieder pochen müssen. Offenbar spielt es für Sie keine entscheidende Rolle, wie viele Abgeordnete in der PKK tätig sind oder daß eine gleichbleibende Zahl Abgeordneter einer bestimmten Fraktion ihre Kontrollfunktion dort ausübt.
Ich bitte Sie daher nochmals um Unterstützung unserer Vorschläge.Ich gebe mich nun allerdings nicht der Illusion hin, daß Abgeordnete der GRÜNEN, wenn deren planmäßige Aussperrung aus der PKK aufgehoben würde, dort die Kontrolle der Nachrichtendienste, deren Abschaffung wir bekanntlich fordern, entscheidend verbessern könnten. Gerade aber eine solche Intensivierung wäre, wenn Sie schon keine Schritte zur Auflösung der Dienste mittragen wollen, dringend nötig. Dies zeigen nicht nur die jüngsten Berichte über den jahrelangen Mißbrauch des Bundesnachrichtendienstes als Überbringer von abgezweigten Steuergeldern an ausländische Parteien unter Mißachtung dortiger Verbote. Nein, die strukturelle Unfähigkeit der PKK zu effektiver Kontrolle wird ja von den Mitgliedern selbst ausdrücklich eingeräumt, von Herrn Zimmermann über Herrn Hirsch bis zu Herrn Jahn, also quer durch alle Fraktionen.Wie dies in der Praxis wirklich funktioniert und ob die PKK wirklich, wie es bisweilen spitz formuliert wird, nur die Funktion hat, die Mitglieder zu geheim-haltungspflichtigen Mitwissern dubioser nachrichtendienstlicher Eskapaden zu machen — ich erinnere nur an das Celler Loch, von dem die niedersächsische PKK schon jahrelang wußte — , dies würde ich gern selbst feststellen. Ich bitte Sie daher, mir hierzu Gelegenheit zu geben und mich in die PKK zu wählen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Such, Sie sind ein bißchen zu bedauern, daß Sie hier für sich selbst sprechen müssen und keiner für Sie spricht. Das ist schon ein Armutszeugnis.
Meine Damen, meine Herren, wir haben zu Beginn dieser Wahlperiode demokratisch bestimmt, daß die PKK aus acht Mitgliedern bestehen soll. Im vergangenen Jahr, fast auf den Tag genau vor einem Jahr, haben die GRÜNEN beantragt, daß es nun neun Mitglieder werden sollten. Heute, nach einem Jahr, wollen sie sieben Mitglieder. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind gern bereit, Ihnen ein bißchen entgegenzukommen: Wir treffen uns in der Mitte bei acht Mitgliedern und bleiben bei dem, was wir zu Beginn der Wahlperiode bestimmt haben.
Im übrigen ist dies eine demokratische Wahl, der Kandidat der GRÜNEN stellt sich dieser Wahl, die Mehrheit wird demokratisch entscheiden, aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schließt sich dem Vorschlag der SPD an.
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, daß wir zu Beginn der Wahlperiode, nämlich am Mittwoch, dem 1. April 1987, dem Antrag der GRÜNEN zugestimmt haben, die PKK so zu besetzen, wie sie es damals beantragt hatten. Dieser Antrag ist damals von der Mehrheit abgelehnt worden, und damit ist für diese Wahlperiode auch die Entscheidung gefallen.
Von den Mitgliedern der SPD in dieser Parlamentarischen Kontrollkommission ist ein Mitglied ausgeschieden, nämlich der Kollege Jahn. Nun möchten wir gern, daß aus der Mitte der SPD-Fraktion ein Nachfolger gewählt wird. Deswegen haben wir den Kollegen de With vorgeschlagen, und ich bitte nun, ihn zu wählen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es liegt uns so sehr daran, daß die Fälle, die die PKK kontrollieren soll, ganz wenige bleiben, daß wir größten Wert auf die Zusammensetzung dieses Gremiums legen müssen. Die Rede, die Sie eben gehalten haben, Herr Such, empfiehlt Sie aus unserer Sicht nicht für eine Zuwahl in dieses Gremium,
denn man muß schon einmal grundsätzlich eine positive Einstellung zu einer solchen Aufgabe haben,
um das Vertrauen der Mehrheit des Hauses dafür zugewinnen. Wir haben es hier nicht mit irgendeinemDelegationsrecht von Fraktionen zu tun, sondern wir
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16800 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Kleinert
möchten diejenigen Kollegen in diese besonders wichtige Aufgabe berufen,
die das Vertrauen der Mehrheit des Hauses haben. Deshalb werden wir uns dem Vorschlag der SPD anschließen.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7245. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Nachwahl eines Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die Fraktion der SPD schlägt den Abgeordneten Dr. de With vor; von der Fraktion DIE GRÜNEN wird der Abgeordnete Such vorgeschlagen.
Ich mache darauf aufmerksam, daß Sie für diese Wahl Ihren Wahlausweis benötigen. Die Wahlausweise befinden sich in den Schließfächern. Sie haben sie sicher schon in der Hand. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 260 Stimmen erhält. Sie können auf der Stimmkarte höchstens einen Namen ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze aufweisen. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf der Stimmkarte. Die Wahl ist nicht geheim.
Ich eröffne die Wahl. —
Meine Damen und Herren, ist noch ein Abgeordneter im Saal, der sein Stimmrecht nicht ausgeübt hat? Dann bitte ich, das jetzt zu tun. — Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.*)
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den namentlichen Abstimmungen, und zwar zuerst über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/7275 zu Tagesordnungspunkt 5 a; dabei geht es um das Wohngeldgesetz.
Mir liegt der Wunsch des Abgeordneten Faltlhauser vor, nach § 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung eine persönliche Erklärung abzugeben. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 abgeben. Ich gebe diese Erklärung gleichzeitig ab für die Kollegen Dr. Wittmann, Kraus und Klein.
Der Entschließungsantrag der GRÜNEN bezieht sich unter anderem auf einen Beschluß des CSU-Landesvorstandes. Als Mitglieder dieses Landesvorstandes erklären wir folgendes:
Wir halten die gesetzgeberische Umsetzung der in den Entschließungsantrag aufgenommenen Miet-
*) Ergebnis der Wahl Seite 16806A
rechtspunkte für unbedingt erforderlich und dies auch in Abwägung mit ordnungspolitischen Bedenken, vor allem aus der Kenntnis der konkreten Situation der Mieter in der Landeshauptstadt München. Gleichwohl werden wir dem Antrag der Grünen nicht zustimmen.
— Ich glaube, daß Sie sehr gespannt sind, was wir jetzt sagen! — Wir werden dem Antrag der GRÜNEN nicht zustimmen, da wir zu diesen Mietrechtsänderungen noch Erörterungsbedarf im Bundestag sehen. Diesen Erörterungsbedarf hat auch der CSU-Landesvorstand in seiner Sitzung am 14. Mai gesehen. Deshalb heißt es in dem von den GRÜNEN zitierten CSU-Beschluß konsequenterweise, daß die angesprochenen Mietrechtsänderungen geprüft werden sollen. Diese Prüfung erscheint uns heute noch dringend erforderlich. Wir brauchen dabei eine intensive Debatte in diesem Hause. Nicht zuletzt sehen wir noch fachlichen Abstimmungsbedarf mit den Kollegen der FDP. Deshalb lehnen wir den Antrag auf der Drucksache 11/7275 ab.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 5 a — Gesetzentwurf zur Änderung des Wohngeldgesetzes — auf Drucksache 11/7275.Ich eröffne die Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sein Stimmrecht nicht ausgeübt hat, dies aber noch tun will? — Kann ich diese Abstimmung schließen? — Ich schließe sie.*)Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes. Es handelt sich um die Drucksachen 11/4306 und 11/7235. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu eine namentliche Abstimmung verlangt.Ich eröffne die Abstimmung. —Gibt es noch einen Abgeordneten, der nicht an der Abstimmung teilgenommen hat und das noch tun will? — Es gibt keine weiteren Wünsche. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.**) Wir können aber, glaube ich, weitermachen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Sie beziehen sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes.Wer für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7276 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.*) Ergebnis Seite 16806 B**) Ergebnis Seite 16807 D
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16801
Vizepräsident WestphalWer für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7277 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt worden.Das Ergebnis der Wahl sowie die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werde ich später bekanntgeben, wenn die Auszählungen vorgenommen worden sind.Jetzt geht es mit dem Tagesordnungspunkt 10 weiter. Diesen rufe ich auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Ehmke , Heimann, Wiefelspütz, Antretter, Bachmaier, Bamberg, Brück, Büchler (Hof), Dr. von Bülow, Duve, Erler, Fuchs (Verl), Gerster (Worms), Dr. Götte, Dr. Hauchler, Heistermann, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnik, Kühbacher, Leidinger, Leonhart, Luuk, Dr. Niehuis, Opel, Schanz, Dr. Scheer, Schütz, Singer, Dr. Soell, Steiner, Stiegler, Traupe, Voigt (Frankfurt), Weisskirchen (Wiesloch), Wieczorek-Zeul, Weiler, Dr. de With, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDGleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis — Drucksache 11/4158 —Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7292 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete de With. Bitte schön, Herr de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, setzt sich mit Recht unter voller Unterstützung des gesamten Bundestages für die weltweite Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe ein.Auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland kann die Todesstrafe jedoch ausgesprochen werden, und sie wird auch ausgesprochen. Das geschah zuletzt 1987 durch ein US-Militärgericht in Frankfurt am Main gegenüber einem amerikanischen Soldaten.Hartnäckige Verfechter der Todesstrafe können deshalb mit dem Finger auf uns weisen und uns fragen, woher wir denn die Stirn nehmen, andere moralisierend bloßzustellen, aber auf dem eigenen Territorium die Verhängung der Todesstrafe zuzulassen. Das ist halt Besatzungsrecht, würde der hierzu befragte Mann auf der Straße entschuldigend oder sogar empört ausrufen.Rechtsgrundlage für die Maßnahmen der bei uns stationierten NATO-Truppen ist das NATO-Truppen-statut. Es erlaubt freilich auch — darüber gibt es keinen Zweifel — , daß die Behörden des Entsendestaates im Aufnahmestaat Todesurteile nicht vollstrecken, wenn das Recht des Aufnahmestaates in entsprechenden Fällen diese Strafe nicht vorsieht.In der Tat ist wohl bisher eine so verhängte Todesstrafe nicht vollstreckt worden. Dem Vernehmen nach wartet jedoch der von mir gerade erwähnte im Jahr 1987 in Frankfurt zum Tode verurteilte Soldat in den Vereinigten Staaten noch immer auf die Entscheidung darüber, ob die Todesstrafe umgewandelt wird oder nicht.Das damit aufgeworfene Problem könnte ich ebenso anhand der viel weniger spektakulären Frage verdeutlichen, warum denn eigentlich die Autos des zivilen Gefolges von Soldaten der NATO-Truppen bei uns nicht durch den TÜV geprüft werden müssen. Dazwischen könnte ein weiter Bogen gespannt werden, nämlich von den Fragen nach den vielen Manöverschäden, den nicht enden wollenden Tiefflügen, der Lagerung von Giftgasgranaten, den Arbeitsverhältnissen deutscher Zivilbediensteter bis zur Einhaltung der Umweltschutzgesetze.Es drängt sich die Frage auf: Müßte da nicht etwas geändert werden? Natürlich sind das letztlich alles Folgen des Zweiten Weltkrieges, hauptsächlich aber Fragen nach den Auswirkungen des vor 35 Jahren in Kraft getretenen Deutschlandvertrages zur Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland und des rund 31 Jahre alten NATO-Vertragswerkes zur Regelung der Rechtsstellung der NATO-Truppen in der Bundesrepublik. Sicherlich würden beide Vertragsswerke heute etwas anders aussehen, würden sie jetzt noch einmal abgeschlossen. Ebenso sicher war seinerzeit wohl ein Mehr zu unseren Gunsten nicht zu regeln.An der Vergangenheit soll auch nicht herumgekrittelt werden. Desto eher muß jedoch die Frage erlaubt sein, wie heute die Rechte der bei uns stationierten Truppen und des zivilen Gefolges in der Theorie und vor allem in der Praxis aussehen und ob sie nicht einer Revision unterzogen werden müssen. Genau das wollten wir Sozialdemokraten mit unserer Großen Anfrage vom 9. März 1989 an die Bundesregierung.Wir gaben unserer Großen Anfrage den Titel „Gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis", um unmißverständlich zu verdeutlichen, daß sich unser Wollen nicht gegen das Bündnis richtet. Wir wollen Partner bleiben, allerdings gleichberechtigte Partner. Das Thema ist wirklich sensibel und heikel genug. Wer es jedoch verschweigt, deckt zu und fördert allenfalls unangebrachten Nationalismus.
Nun ist es vielleicht leichter, als Opposition zu fragen denn als Regierung zu antworten. Aber es kann nicht akzeptiert werden, daß die Regierung mehr als ein Jahr verstreichen läßt und die Antwort immer noch verweigert.
Das Sich-Versagen der Bundesregierung rügen wir ausdrücklich.Nun wissen wir auch, daß sich seit jenem 9. November letzten Jahres die Welt verändert hat und es inzwischen Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten gibt. Na-
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Dr. de Withtürlich spielt dabei der Deutschlandvertrag eine Rolle. Natürlich geht es um Truppenreduzierungen, und natürlich wird die Frage nach der Veränderung von NATO und Warschauer Pakt und der Begründung eines europäischen Sicherheitssystems erörtert.Das alles befreit uns aber nicht — ich sage das mit Nachdruck — von den Beschwernissen für unsere Bevölkerung, die gemildert werden könnten, von ungleichen Bestimmungen, unsere Souveränität beeinträchtigenden Sperrhürden, von unpassenden Regelungen, die so einfach nicht mehr in die Welt passen, und von Unklarheiten, die zum Wohle aller geklärt werden müssen. Die derzeitige Situation macht unsere Große Anfrage noch aktueller, denn was werden in diesem Zusammenhang die Zwei-plus-Vier-Gespräche bewirken?Es ist im übrigen nicht so, daß dies alles nur eine Marotte der SPD wäre.
Ihr CDU-Kollege und Ministerpräsident Wagner von Rheinland-Pfalz, ganz sicher kein Unions-Linker, weiß nicht nur ein Lied von den drückenden Lasten seiner Bevölkerung zu singen. Er hat Fragen gestellt, die genau in unsere Richtung zielen. Auch der bayerischen Staatsregierung wird langsam unwohl, wenn sie an die Tiefflüge in der sogenannten Area 7 denkt, an den Truppenübungsplatz Grafenwöhr und an gewisse Munitionsdepots. Ich denke nur an die Absichten in bezug auf das Gelände zwischen Erlangen und Nürnberg. In meiner Heimatstadt, in Bamberg, gibt es keine Partei, die sich nicht große Sorgen um die USPanzerübungen an dem großen Wohngebiet Lichteneiche machte.Wir müssen fragen: Wie war das eigentlich mit den wohl altersschwachen und um so gefährlicheren Atomgranaten vor zwei Jahren, wovon wir gerade erst vor einer Woche überraschend vom amerikanischen Verteidigungsminister gehört haben? Hat dabei der Informationsmechanismus nicht funktioniert? Welchen gibt es überhaupt? Haben wir da nicht mitzureden, weil die sogenannte Effektivstärke dabei nicht berührt ist?Der Deutschlandvertrag unterscheidet, wie wir wissen, bis heute zwischen der Stationierung von Streitkräften „in Deutschland" und der Stationierung von Streitkräften „in der Bundesrepublik Deutschland".
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf hinweisen, daß Sie Ihre Redezeit schon überzogen haben.
Herr Präsident, es muß ein Irrtum vorliegen.
Ich fürchte auch.
Mir wurde gesagt, mir stünden 10 Minuten zur Verfügung. Dieses Zahlenmuster hat ständig gewackelt. Es kann unmöglich sein, daß ich bereits 10 Minuten spreche.
Da haben Sie recht, das ist mir auch schon so gegangen. Ich gebe mir Mühe, es jetzt aufzuklären. Mir kam es auch so vor.
Nach meinem Manuskript können das keine 10 Minuten gewesen sein. Das ist gänzlich ausgeschlossen.
Nein, Sie haben recht. Ich muß das jetzt erst einmal feststellen.
Ich darf weitersprechen. — Danke schön.
Ich weise noch einmal darauf hin: Der Deutschlandvertrag unterscheidet bis heute zwischen der Stationierung von Streitkräften „in Deutschland" und der Stationierung von Streitkräften „in der Bundesrepublik Deutschland". Die letztere Formulierung findet sich auch im NATO-Vertrag. Die Bedeutung beider Wendungen mag sich überlappen. Jedoch dient die Stationierung von Streitkräften in Deutschland der Sicherung der Vorbehaltsrechte der Westalliierten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Ihr kommt ganz offensichtlich eine in erster Linie aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende und die Souveränität Deutschlands betreffende Bedeutung zu, die bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen eine Rolle spielt. Die andere Formulierung mit der Ergänzung „Bundesrepublik" steht für die Rechtsstellung nach dem NATOVertrag.
Die Beantwortung unserer Fragen hätte deswegen auch für die heutige Situation eine nicht geringe Bedeutung. Um so nachhaltiger fordern wir, daß nun endlich eine Antwort erfolgt. Ich bin gespannt, Herr Minister Schäfer, was Sie dazu sagen.
Wer einen Autounfall mit einem Alliierten-Fahrzeug zu beklagen hat, wer Müllverbrennungen auf dem Nachbargrundstück, das aber eine NATO-Liegenschaft ist, mit ansehen muß, und wer als Arbeitnehmer bei den Alliierten um seine Mitwirkungsrechte bangt, braucht ebenso Antworten wie der „nur" interessierte Bürger, der endlich von seiner Regierung wissen will, ob denn nach einem Menschenalter nichts geändert, nichts verbessert werden muß und kann.
Die Bundesregierung ist die Antwort bisher schuldig geblieben, und sie wird schuldig, wenn sie weiterhin in Schweigen verharrt. Mag zur Zeit manches durch die aktuelle Deutschlandarbeit verdeckt werden: Die schleichenden Bedrückungen der Bürgerinnen und Bürger sollte die Bundesregierung jedoch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich sage das nicht als Floskel und nicht von ungefähr.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16803
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde den Eindruck nicht los, daß diese Große Anfrage als eine Kampagne gedacht war,
die Bundesregierung als Büttel der Alliierten lächerlich zu machen; zu einer Zeit, da sich so viele Dinge verändert haben, daß man große Teile dieser Großen Anfrage längst als antiquiert betrachten darf. Die Überschrift „Gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis", gerade so, als bestünde diese Gleichberechtigung nicht, fordert bereits zu der Frage heraus: Worunter leiden wir denn so besonders?
Wir nehmen als Deutsche für uns eine Freiheit in Anspruch, wie das Deutsche zuvor niemals konnten. Wir nehmen für uns in Anspruch, andere in unsere Verteidigung einzubinden, in einer Art und Weise, die uns die beste Verteidigungsmöglichkeit gegeben hat, die darüber hinaus finanziell mit weitem Abstand die günstigste ist.
In Ihrer Großen Anfrage heißt es — ich zitiere — :
Indessen haben die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung behalten . . .
Ich frage Sie dazu: Was ist denn das Problem? Es war doch in unserem Interesse und auch Ihre Formulierung, aus den westlichen Siegermächten Schutzmächte zu machen, sie in dieser Rolle zu belassen.
Im übrigen befinden wir uns im Augenblick gerade in einer Zeit, in der auch diese Fragen durch die anstehenden Verhandlungen gelöst werden, vor allem durch die Zwei-plus-Vier-Gespräche und den Vollzug der deutschen Einheit.
— Wenn das, was ich aus der Großen Anfrage zitiere, ein Nebelschleier ist, dann schlägt das ja wohl auf Sie zurück.
Sie formulieren auf Seite 2 der Großen Anfrage, außerdem seien „den Entsendestaaten in den genannten Verträgen zum Teil Vorrechte eingeräumt worden, die nur aus der historischen Konstellation bei Abschluß der Verträge erklärbar sind, und für die eine Rechtfertigung nicht mehr besteht".
Ich frage Sie: Hat sich dieses Festhalten nicht gelohnt? Haben wir nicht dadurch die NATO z. B. im Harmel-Bericht dazu gebracht, daß sie sich für einen ganz wichtigen Auftrag, den wir zu erfüllen haben, verantwortlich gefühlt hat, beispielsweise die Einheit Deutschlands als politisches Ziel der NATO festzuschreiben?
Ich stimme Ihnen zu: Es sind viele Fragen, insbesondere auch in dem Komplex nach Art. 2 des Deutschlandvertrags, die beantwortet werden müssen.
Ich stimme Ihnen zu, daß derartige Verträge immer zu überprüfen sind. Viele dieser Fragen sind berechtigt und sollten sicher auch in der Vorbereitung spätestens auf die Gespräche und Verhandlungen zu Wien II beantwortet und aufgearbeitet werden.
Allerdings: Viele Fragen haben ihre Bedeutung verloren und werden sich mit dem Abzug eines Teils alliierter Truppen ohnehin erledigen; denn heute haben wir schon die Situation, daß viele sozialdemokratische Kollegen darüber jammern, daß amerikanische und alliierte Streitkräfte abgezogen werden. Heute will man die Alliierten auf einmal im Land behalten, weil man Angst um die sonst verlorengehende Wirtschaftskraft hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wiefelspütz?
Natürlich.
Herr Kollege, es wäre immerhin denkbar, daß vergleichbare Fragestellungen, vor allen Dingen was den Alltag der stationierten Truppen unserer Verbündeten in der Bundesrepublik angeht, von Ihnen gekommen wären. Wie finden Sie es denn, daß nahezu 15 Monate lang auf berechtigte Fragen, wie Sie selber eingeräumt haben, die Antwort aussteht?
Herr Kollege, ich versuche ja gerade, die Brücke zu bauen. Hier sind Fragen, die — nicht alle; viele haben sich überholt; das habe ich ausgeführt — beantwortet werden müssen. Ich habe auch versucht, den zeitlichen Rahmen aus unserer Sicht festzulegen: spätestens wenn es an die Substanz der Verhandlungen von Wien II geht. Das heißt, wir erwarten in diesem Jahr — ich würde für mich in Anspruch nehmen, spätestens bis zum Herbst — eine Beantwortung dieser Fragen, soweit sie noch Aktualität haben.Einige Fragen sind wieder recht merkwürdig formuliert, wenn es da heißt — ich darf zitieren — :Die Bundesregierung und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika haben nach Presseberichten, die von der Bundesregierung bestätigt worden sind, am 29. November 1976 ein Abkommen über die Zusammenarbeit und den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland gelagerter Kernwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika geschlossen.Ich darf dazu fragen: Wer war denn damals an der Regierung? Wer hat denn das Abkommen abgeschlossen? Warum erscheint der Inhalt auf einmal unbefriedigend? Wo ist die Begründung für den Meinungswechsel bei der Opposition? Überhaupt werde ich den Verdacht nicht los, daß man immer versucht, bei uns Dinge abzuladen, die man früher selber nicht geregelt hat und vielleicht auch nicht regeln wollte.
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16804 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
LowackLieber Kollege de With, Sie haben vorhin die Frage der Todesstrafe angesprochen. Es gibt nun einmal den völkerrechtlichen Grundsatz, daß für entsandte Truppen das Recht des Entsendestaates gilt. Das hat auch seine Richtigkeit. Denn wir können anderen, die uns auf Grund einer Vereinbarung im Rahmen einer integrierten Verteidigung zur Seite stehen, nicht auf erlegen, daß unsere Rechtsordnung gilt. Es wäre ohnehin sehr schwierig, diejenigen, die relativ kurze Zeit nach Deutschland kommen, von vornherein in unser deutsches Recht einweisen zu wollen.
— Das ist ein allgemein gültiger Satz des internationalen Rechts.
— Nein. Wenn Sie im Ramstein-Untersuchungsausschuß, in dem diese Fragen geklärt worden sind, dabeigewesen wären, hätten Sie diese Erfahrung persönlich auf Grund der vorliegenden Berichte der Sachverständigen machen können.Ich darf zusammenfassend folgendes festhalten: Das Nordatlantische Bündnis steht vor einer Neubewertung. Vieles ist in Bewegung geraten. Viele Fragen, die hier angesprochen werden, werden mit den Alliierten zu erörtern sein; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Teilweise greifen sie allerdings auch in schwebende Verhandlungen ein. Ich darf nur an die Wiener Verhandlungen und an die Zwei-plus-VierGespräche erinnern. Vor allem verlieren viele Fragen mit der Einheit Deutschlands ihren Sinn. Deswegen halte ich im Augenblick die anstehenden Gespräche und Verhandlungen zur deutschen Einheit für absolut vorrangig. Vielleicht darf man eines sagen: Kommt Zeit, kommt Rat und vielleicht sogar eine bessere Antwort, als sie die Bundesregierung zur Zeit beim besten Willen geben könnte.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über eine Große Anfrage vorn März letzten Jahres, die von seiten der Bundesregierung nicht beantwortet worden ist. Wir teilen die Auffassung der SPD, daß das skandalös ist. Wir teilen ebenfalls die mit dieser Großen Anfrage verbundene Absicht, Durchblick durch das Gestrüpp der rechtlichen Vereinbarungen zu gewinnen, die der Stationierung ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik zugrunde liegen. Wir teilen aber nicht die politische Intention der SPD, wie sie bereits in dem Titel der Großen Anfrage „Gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis" zum Ausdruck kommt. Darauf werde ich später noch eingehen.Zunächst ist festzuhalten, daß das Ansinnen, rechtlich politische Grauzonen aufzuhellen und Klarheit über die Rechte der ausländischen Streitkräfte in der Bundesrepublik zu schaffen, berechtigt und natürlich auch notwendig ist. Denn die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind alltäglich mit den Belastungen, die sich aus der Anwesenheit dieser Streitkräfte ergeben, konfrontiert. Ich erinnere nur an den täglichen Tiefflugterror, an die unerträglichen Belastungen durch Manöver und an die vielfältigen Umweltschäden — Luftverschmutzung, Lärm, Bodenverseuchung durch Schwermetalle und andere Schadstoffe — , die auf das Konto der ausländischen Truppen gehen und denen sich die Bürgerinnen und Bürger oft machtlos ausgeliefert fühlen, was sie tatsächlich auch sind. Ich erinnere ferner an die Katastrophe auf dem amerikanischen Flugplatz Ramstein im August 1988 und an den Absturz einer amerikanischen Militärmaschine in Remscheid im Dezember 1988.Ich erinnere weiter an den jüngsten Skandal, daß die bundesdeutsche Öffentlichkeit erst nachträglich aus US-Medien erfahren hat, daß auf bundesdeutschem Territorium defekte Atomgranaten gelagert waren, die eine unabsehbare Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung darstellten. Von dem weiteren Skandal der Geheimhaltung zu dem Abzug chemischer US-Waffen aus der Bundesrepublik will ich heute hier nicht weiter sprechen.Ich weise als letztes Beispiel darauf hin, daß die Ergebnisse einer vor einigen Tagen veröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchung zu Schwermetallbelastungen des von den Briten genutzten Übungsraumes Soltau—Lüneburg so besorgniserregende Anreicherungen und eine so großflächige Zerstörung des Bodens belegen, daß die von uns erhobene Forderung nach Aufhebung des Soltau-Lüneburg-Abkommens in ihrer Dringlichkeit noch einmal bestätigt wird.Hinzu kommen militärische Aktivitäten der USA von bundesdeutschem Boden aus, die außerhalb von NATO-Verpflichtungen liegen und die vom Nordatlantikvertrag, vom Deutschlandvertrag oder anderen Vertragswerken schwerlich abgedeckt sein dürften, z. B. die Leitung der US-Aggression gegen Libyen von EUCOM in Stuttgart aus oder auch die Lieferungen von Waffen an den Iran von Ramstein aus.Alle diese Dinge machen es zwingend notwendig, rechtliche Handhaben auszuschöpfen bzw. zu schaffen, die es erlauben, den ausländischen Streitkräften dieses gefährliche Treiben hier zu untersagen.Wir GRÜNEN haben zu diesem Zweck bereits vielfältige Initiativen, etwa zum Verbot von Tiefflügen und Manövern, gestartet, bisher ohne Erfolg, weil die Bundesregierung die Auseinandersetzung mit den sogenannten Bündnispartnern scheut.Wir sind allerdings nicht der Auffassung, daß es aktuell mit Nachbesserungen auf der juristischen Ebene getan ist. Auch Änderungen — bzw. Änderungsankündigungen — des NATO-Truppenstatuts und von Zusatzabkommen z. B. griffen unseres Erachtens viel zu kurz. Hier muß es vielmehr grundsätzlich um eine neue politische Weichenstellung gehen.
Damit komme ich zur aktuellen politischen Bedeutung und Brisanz der Thematik: Durch die Entwicklung der letzten Monate ist die politische Stoßrichtung der SPD-Anfrage überholt. Es geht heute und künftig nicht mehr um gleichberechtigte Partnerschaft. Der Regierungspolitik geht es nicht darum, und auch tat-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16805
Frau Beersächlicher Friedenspolitik kann es nicht darum gehen. Die Bundesregierung nämlich ist dabei, im Prozeß der Vereinnahmung der DDR endgültig auch die letzten Reste an Souveränitätsbeschränkungen abzuschütteln und Deutschland die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten zu verschaffen. Das heißt nichts anderes, als diesem Deutschland die Möglichkeit zur Verfolgung einer Machtpolitik zu eröffnen, die seinem ökonomischen Gewicht in der Welt entspricht. Dieses Deutschland aber ist nicht gleichberechtigte Macht, wie das so schön heißt, sondern europäische Vormacht. Die Integration in die NATO bindet deutsche Machtpolitik nicht so sehr ein, sondern ist vielmehr selbst ein Instrument dieser Machtpolitik. Ein vereinigtes Deutschland würde in einer künftig stärker europäisierten NATO eine Vormachtrolle spielen. Insofern müßte man sich eher um die Gleichberechtigung der kleineren europäischen NATO-Partner und -Staaten sorgen als um den neu entstehenden Koloß Deutschland.Ich teile in dieser Hinsicht die Einschätzung der Kollegin Wieczorek-Zeul und des Kollegen Scheer von der SPD, die kürzlich schrieben — ich möchte hier zitieren — :Je mehr sich also die europäischen NATO-Mitglieder an die gegebene NATO-Struktur und -Strategie einschließlich deutscher Mitgliedschaft klammern, desto stärker wird zwangsläufig die Rolle in der NATO selber. Die NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands hält dieses nicht klein, sondern macht es groß.Deswegen, denke ich, macht es friedenspolitisch auch keinen Sinn, sich für die gleichberechtigte Partnerschaft in einem Bündnis einzusetzen, wie Sie von der SPD das heute tun. Es geht nicht um Gleichberechtigung in einem Militärpakt, sondern darum, sich von diesem Militärpakt zu lösen, ja, eine Politik der Auflösung dieses Militärpakts zu betreiben.
Carlo Schmid erklärte am 7. Oktober 1954 hier im Bundestag für die SPD, Ziel deutscher Politik müsse sein — ich zitiere — , „Gesamtdeutschland, frei von Bündnisverpflichtungen . . ., nicht frei zu Bündnissen, sondern frei von Bündnissen". Er erklärte dies in der außenpolitischen Debatte des Bundestages, in der es um den Beitritt zur NATO ging, der von der Adenauer-Regierung mit Macht betrieben und von der SPD entschieden abgelehnt wurde. Erich Ollenhauer und Fritz Erler vertraten für die SPD in jener Debatte gegen die Adenauersche Politik der NATO-Integration des westlichen Teils Deutschlands und seiner Wiederaufrüstung die Alternative der Schaffung eines europäischen Systems kollektiver Sicherheit als sicherheitspolitischen Rahmen für ein vereintes Deutschland.Die tiefgreifenden Umwälzungen in Osteuropa, die faktische Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und die neue Politik der UdSSR bieten die Chance, heute an diese Positionen anzuknüpfen. Auflösung von Warschauer Pakt und NATO und ihre Ersetzung durch ein gesamteuropäisches System kollektiver Sicherheit unter Einbeziehung aller KSZE-Teilnehmerstaaten ist friedenspolitisches Gebot der nahen Zukunft und auch der Stunde. Das und nicht das Festhalten an der NATO und ihrer Ausdehnung nach Osten, aber auch nicht gleichberechtigte Partnerschaft im Militärpakt NATO können die sicherheitspolitische Lösung für die in Europa neu entstandene Lage sein. Dies würde den Sicherheitsinteressen übrigens aller Beteiligten, auch der UdSSR, gerecht werden.Die Bundesrepublik muß durch eine aktive Politik des Souveränitätsverzichts zu dieser Lösung beitragen. Wir verwenden dafür die Formulierung, daß das Recht zur Selbstbestimmung mit der Pflicht zur Selbstbeschränkung einhergehen muß. Das bedeutet zweierlei. Zum einen muß sich die Bundesrepublik verpflichten, vollständig abzurüsten und auf einen entmilitarisierten Status überzugehen. Daher unterstützen wir GRÜNEN die Aktivitäten der Friedensbewegung für eine Bundesrepublik ohne Armee und tragen zu ihnen mit unserer Entmilitarisierungskampagne bei.Zum zweiten müssen sich die Bundesrepublik und auch ein Deutschland in internationale Zusammenhänge einbinden und internationalen Kontrollen unterwerfen. Es ist ganz deutlich zu sagen: Wenn wir uns gegen die Mitgliedschaft der Bundesrepublik bzw. Deutschlands in der NATO aussprechen, so wollen wir nicht zu deutschnationaler Souveränität nach dem Muster des 19. Jahrhunderts zurück, sondern wir wollen die Übertragung nationaler politischer Zuständigkeiten an supranationale Institutionen und die Eingliederung in internationale Zusammenhänge, allerdings nicht Einbindung in und Souveränitätsabgabe an einen gegen äußere Gegner gerichteten Militärpakt wie die NATO, sondern an die Institutionen einer neuen, gesamteuropäischen Friedensordnung. Wir halten uns hier an Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes, der diese Richtung vorgibt. Dort heißt es:Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.Wir schlagen vor, den KSZE-Prozeß hierfür zu benutzen, und wir denken, die Vier-plus-Zwei-Verhandlungen müssen zwei Ergebnisse haben, zum einen die Verpflichtung auf den KSZE-Prozeß und zur Auflösung der Militärpakte und ihre Ersetzung durch ein System eurokollektiver Sicherheit, zum anderen abschließende völkerrechtlich verbindliche Regelungen für Deutschland, in denen sich die Bundesrepublik verpflichtet, die Grenzen in Europa, insbesondere auch die der Oder und Neiße, anzuerkennen.Im Rahmen des hier skizzierten Prozesses müssen die ausländischen Streitkräfte natürlich von deutschem Boden abgezogen werden. Dieser Abzug brächte die konsequenteste Lösung für alle von der SPD aufgeworfenen Fragen und Probleme. Nur eine solche Politik des Souveränitätsverzichts und der Einbindung in internationale Strukturen ab sofort würde den Ängsten und Sorgen der Nachbarn in Ost und West hinsichtlich der neu entstehenden Großmacht
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16806 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Frau BeerDeutschland gerecht. Deutsches Machtpotential muß so weit wie irgend möglich zurückgeschnitten und neuen Formen internationaler Kontrolle unterworfen werden, damit nicht noch einmal kriegsträchtige Gefahren für die Völker der Welt und für Deutschland ausgehen.Danke schön.
Ich habe jetzt die Ergebnisse der Abstimmungen. Ich glaube, wenn wir schon alle hier unter uns in der Mittagspause sitzen, kann ich sie Ihnen als erste verkünden.Ich habe zunächst das Protokoll des Abstimmungsergebnisses über die Nachwahl eines Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkommission. Bei einer Mitgliederzahl von 519 wurden 393 Stimmen abgegeben. Alle 393 waren gültig. Es hat 6 Enthaltungen gegeben. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Such 33
und auf den Abgeordneten Dr. de With 354.
Dr. de With hat die nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 260 Stimmen erreicht. Er ist damit als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission gewählt. Ich gratuliere Ihnen, Herr de With. *)
Ich komme zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7275. Es wurden 389 Stimmen abgegeben, von denen keine ungültig war. Mit Ja haben 174 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 215. Es hat keine Enthaltungen gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 388; davonja: 174nein: 214JaSPDFrau AdlerAmlingAndresBachmaierBahrBambergBecker Frau Becker-Inglau BernrathBindigDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) Dr. von BülowFrau Bulmahn Buschfort CatenhusenFrau Conrad Conradi DaubertshäuserDr. Diederich DillerDreßlerDr. Ehmke Dr. Emmerlich*) Liste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3ErlerEstersEwenFrau FaßeFischer Frau Fuchs (Köln)Frau Fuchs
Dr. Gautier Gerster GilgesFrau Dr. Götte GroßmannFrau Hämmerle HasenfratzDr. Hauchler HäuserHeistermann HeyennHiller Dr. HoltzHornHuonkerIbrüggerJahn JaunichDr. JensJung Jungmann (Wittmoldt) Frau Kastner KastningKiehmKirschnerKißlingerDr. Klejdzinski KolbowKoltzschKoschnickKretkowski Dr. KüblerKuhlweinLambinusLennartzLeonhartLutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MenzelDr. Mertens Müller (Schweinfurt) MünteferingNagelNehmFrau Dr. NiehuisDr. NieseDr. NöbelFrau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo OpelDr. Osswald PaternaDr. Penner Peter PfuhlPoßPurpsReimannFrau Renger ReschkeReuterRixeRothSchäfer SchanzScherrerDr. Schmude Dr. Schöfberger SchreinerFrau Schulte SeidenthalFrau Seuster SielaffSieler
Dr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingStahl
SteinerStieglerDr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer UrbaniakVahlbergDr. VogelVoigt Waltemathe Wartenberg (Berlin)Frau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek Frau Wieczorek-Zeul WiefelspützWimmer
Dr. de With WittichZanderZeitlerZumkleyDIE GRÜNENFrau Beck-OberdorfFrau BeerBrauerDr. BriefsDr. Daniels Frau EidFrau Flinner Frau GarbeHäfnerFrau Hillerich HossFrau KellyKleinert
Frau KottwitzDr. Lippelt
Dr. Mechtersheimer Meneses VoglFrau NickelsFrau Oesterle-Schwerin Frau RockFrau RustFrau SaiboldFrau Schmidt Frau Schoppe Stratmann-MertensSuchFrau Teubner Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer VolmerWeiss WetzelFrau Wilms-KegelFraktionslosFrau Unruh WüppesahlNeinCDU/CSUFrau Augustin Bauer
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16807
Vizepräsident WestphalBayhaDr. Becker Dr. BiedenkopfDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
Börnsen
Dr. Bötsch BohlsenBorchertBreuerBrunnerBühler Buschbom Carstens (Emstek)Carstensen Dr. CzajaDr. Daniels
Frau DempwolfDeresDörflingerDr. Dollinger DossEchternach EigenEngelsberger Dr. FaltlhauserFeilckeDr. FellFellnerFrau Fischer Fischer
Dr. Friedrich FuchtelGanz
Frau Geiger GeisDr. von GeldernGerster
GlosDr. Göhner GröblDr. GrünewaldDr. HäfeleFrau Hasselfeldt HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfinger HörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HomhuesHornungFrau Hürland-Büning Graf HuynDr. Hüsch JägerDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Jung
KalbDr. Kappes Frau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannKlein
Dr. Köhler KossendeyKrausKreyDr. Kronenberg LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. Laufs Frau LimbachLink Linsmeier LintnerLouvenLowackMaaßFrau MännleMaginDr. Mahlo MarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MöllerMüller
NelleDr. Neuling Dr. Olderog OswaldPeschPetersen Pfeffermann Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. PohlmeierDr. Probst RauenRaweReddemann RegenspurgerRepnikFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) RossmanithDr. Rüttgers RufSauer
Sauter
Frau SchätzleDr. Schäuble Schemken ScheuSchmitz
von SchmudeDr. Schneider Schneider (I.-Oberstein) Dr. Schroeder (Freiburg) SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehofer SeesingSpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. StoltenbergStraßmeir StrubeStücklenFrau Dr. SüssmuthSussetDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VondranDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-ZeilDr. Warnke Dr. WarrikoffWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. WisniewskiDr. WittmannDr. Wulff ZinkFDPBaum BeckmannCronenberg Eimer (Fürth)Dr. FeldmannFrau Folz-Steinacker FunkeGallus GattermannGries GrünbeckGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher HeinrichDr. Hirsch Dr. Hitschler HoppeDr. Hoyer IrmerKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LüderMischnick Neuhausen NoltingPaintnerRindRonneburger Schäfer
Dr. Thomae TimmFrau WalzWolfgramm Frau WürfelZywietzDer Antrag wurde damit abgelehnt.Schließlich gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Schlußabstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes auf den Drucksachen 11/4306 und 11/7235 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 375 ihre Stimme abgegeben. Es war keine ungültig. Mit Ja haben 205 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 170. Es hat keine Enthaltungen gegeben. Von den 15 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 10 gestimmt, mit Nein 5. Es hat keine Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 375 und 15 Berliner Abgeordnete; davonja: 205 und 10 Berliner Abgeordnetenein: 170 und 5 Berliner AbgeordneteJaCDU/CSUFrau AugustinBauerBayhaDr. Becker Dr. BiedenkopfDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm Börnsen (Bönstrup) Dr. BötschBohlBohlsenBorchertBreuerBrunnerBühler Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Dr. CzajaDr. Daniels
Frau DempwolfDeres DörflingerDr. DollingerDossEchternachEigen EngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserDr. FellFellnerFrau FischerFischer
Dr. FriedrichFuchtelGanz
Frau GeigerGeisDr. von GeldernGerster
GlosDr. GöhnerGröblDr. Grünewald
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16808 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsident WestphalDr. HäfeleFrau Hasselfeldt HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichHerkenrathHinrichsHinskenHöffkesHöpfingerHörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau Hürland-BüningDr. HüschGraf HuynJägerDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung Jung (Lörrach) KalbDr. KappesFrau Karwatzki KellerKiechleKlein
Dr. Köhler KossendeyKrausKreyDr. Kronenberg LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsFrau Limbach Link LinsmeierLintnerLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MöllerMüller
NelleDr. Olderog OswaldPeschPetersenPfeffermann Dr. Pohlmeier Dr. ProbstRauenRaweReddemann Regenspurger RepnikFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) RossmanithDr. Rüttgers RufSauer Sauter (Epfendorf)Frau Schätzle Dr. Schäuble SchemkenScheuSchmitz
von SchmudeDr. Schneider Schneider (I.-Oberstein)Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. StoltenbergStrubeFrau Dr. Süssmuth SussetDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Dr. Voigt
Dr. VondranDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. Warrikoff Werner Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. WisniewskiDr. Wittmann WürzbachDr. WulffZinkBerliner AbgeordneteBuschbom FeilckeKittelmann Dr. Mahlo Dr. Neuling Dr. Pfennig Schulze
StraßmeirFDPBaum BeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth)Dr. FeldmannFrau Folz-Steinacker FunkeGallus GattermannGries GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher HeinrichDr. HirschDr. HitschlerDr. HoyerIrmerKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickNeuhausenNoltingPaintnerRindRonneburger Schäfer
Dr. SolmsDr. Thomae TimmFrau WalzWolfgramm Frau WürfelZywietzBerliner AbgeordneteHoppe LüderDIE GRÜNENDr. MechtersheimerNeinSPDFrau Adler AmlingAndresBachmaier BahrBambergBecker
Frau Becker-Inglau BernrathBindigDr. Böhme Börnsen (Ritterhude)Dr. von BülowFrau BulmahnBuschfort CatenhusenFrau ConradConradi DaubertshäuserDillerDreßlerDr. Ehmke
Dr. EmmerlichErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau Fuchs
Frau Fuchs
Dr. GautierGerster
GilgesFrau Dr. Götte GroßmannFrau Hämmerle HasenfratzDr. HauchlerHäuserHeistermannHeyennHiller
Dr. Holtz HornHuonker Ibrügger Jahn
Jaunich Dr. JensJung Jungmann (Wittmoldt) Frau KastnerKastning KiehmKirschnerKißlingerDr, KlejdzinskiKolbowKoltzschKoschnick Kretkowski Dr. Kühler Kühbacher KuhlweinLambinus LennartzLeonhartLutzFrau Matthäus-Maier MenzelDr. Mertens Müller (Schweinfurt) MünteferingNagelNehmFrau Dr. NiehuisDr. NieseDr. NöbelFrau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo OpelDr. Osswald PaternaDr. Penner Peter PfuhlPoßPurpsReimannFrau Renger ReschkeReuterRixeRothSchäfer SchanzScherrerDr. Schmude Dr. SchöfbergerSchreinerFrau Schulte SeidenthalFrau Seuster SielaffSieler
Dr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingStahl
SteinerStieglerDr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer UrbaniakVahlbergVoigt WaltematheFrau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek Frau Wieczorek-Zeul WiefelspützWimmer
Dr. de With WittichZanderZeitlerZumkley
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16809
Vizepräsident Westphal Berliner AbgeordneteDr. Diederich Frau LuukDr. VogelWartenberg
DIE GRÜNENFrau Beck-OberdorfFrau Beer BrauerDr. BriefsDr. Daniels Frau EidFrau Flinner Frau Garbe HäfnerFrau HillerichHossFrau Kelly Kleinert
Dr. Knabe Frau KottwitzDr. Lippelt
Das Gesetz wurde angenommen.Wir können dann in der Debatte fortfahren. Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die SPD in jüngster Zeit so treibt, ist schon eigenartig. Da versuchen Sie, wirklich unaufschiebbare Dinge dennoch aufzuschieben, Sie mäkeln, Sie versuchen zu behindern.
Ich nenne nur die Stichworte Staatsvertrag und deutsche Einheit. Auf der anderen Seite tischen Sie uns hier dann ganz monströse Pseudoprobleme auf,
die überflüssig sind und die Sie noch dazu völlig zur Unzeit ansprechen.
Ich muß für meine Fraktion sagen: wir bedauern es, daß es heute überhaupt zu dieser Diskussion kommt.
Wir müssen versuchen, den Schaden, den Sie allein durch das Anzetteln dieser Diskussion angerichtet haben, zu begrenzen.
Zur Sache. Seit mehr als 35 Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten", wie es Art. 1 Abs. 2 des Deutschlandvertrages formuliert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wiefelspütz?
Es wird nicht angerechnet?
Es wird nicht angerechnet. — Bitte schön, Herr Wiefelspütz.
Herr Kollege Irmer, wir verstehen uns sonst eigentlich ganz gut. Aber sind Sie denn vielleicht doch einmal bereit, anzuerkennen, daß Parlamentarier — ich sage es einmal zugespitzt und vereinfachend — zusammenhalten sollten, egal, aus welcher Fraktion sie kommen, wenn eine wichtige Große Anfrage einfach über Monate hinweg, über ein Jahr, fast 15 Monate liegen bleibt?
Sogar Kollege Lowack hat eingeräumt, daß zahlreiche Fragen durchaus ihre Berechtigung haben. Aber Sie schmettern das so ab.
Ich will Ihnen gleich sagen, weshalb ich der Meinung bin, weshalb es schon zu der Zeit, als Sie die Anfrage gestellt haben, nicht passend und außenpolitisch nicht hilfreich war.
Ich komme gleich dazu.Meine Damen und Herren, das NATO-Truppenstatut und das zugehörige Zusatzabkommen sind seit mehr als 30 Jahren in Kraft. Es hat im allgemeinen keine Probleme mit der Stationierung der alliierten Truppen gegeben. Ich möchte diese Gelegenheit sogar wahrnehmen, einmal den ausdrücklichen Dank an all die Soldaten samt ihren Familien auszusprechen, die das Opfer auf sich genommen haben, zur Sicherung unserer Freiheit und unserer Sicherheit in unserem Lande körperlich präsent zu sein. Das sollte man einmal anerkennen.
Die SPD tut sich schwer, das anzuerkennen. Sie verdaut immer noch ihre inzwischen historisch nachgewiesene Fehlentscheidung hinsichtlich des NATODoppelbeschlusses. Wenn man das dann erklären muß, sucht man natürlich sehr gerne einen Nebenkriegsschauplatz, so wie hier geschehen. Es ist ein reines Ablenkungsmanöver gewesen, als Sie vor mehr als einem jahr plötzlich das Thema Souveränität in die Debatte geworfen haben. Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie das getan haben; ich habe zumindest einen Verdacht. Es war gerade die Stimmung der sogenannten Republikaner, die in Berlin einen Wahlsieg errungen hatten. Da machte es sich vielleicht aus parteipolitischen Gründen ganz gut, sich auch einmal ein nationales Mäntelchen umzuhängen.
Auf der nationalen Welle mitschwimmen und sich dadurch geradezu antinational verhalten!
Frau NickelsFrau Oesterle-SchwerinFrau RockFrau RustFrau SaiboldFrau Schmidt Frau Schoppe Stratmann-MertensSuchFrau TeubnerFrau Vennegerts Frau Dr. Vollmer VolmerWeiss WetzelFrau Wilms-KegelBerliner Abgeordneter Meneses VoglFraktionslosFrau Unruh Wüppesahl
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16810 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
IrmerDenn bekanntlich hat der Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, recht, wenn er immer wieder betont hat:
Deutsche Politik ist um so nationaler, je europäischerund, man könnte ergänzen: je internationaler sie ist.
Über das Thema selbst hätte man letztes Jahr in Ruhe einmal reden können,
obwohl der Zusammenhang mit dem Auftreten der sogenannten Republikaner von mir als ausgesprochen peinlich empfunden wurde.
Das war nach dem Motto: Wir sind wieder wer! Wir sollten nicht länger in Schutt und Asche gehen!
— Das sind sie nicht.Ich kritisiere, daß Sie die Sache jetzt in einer anderthalbstündigen Debatte aufgreifen wollen, weil parallel hierzu die Zwei-plus-Vier-Gespräche stattfinden. Da geht es doch um das Schicksal der Menschen hier in der Bundesrepublik, drüben in der DDR, auch in Polen, der Tschechoslowakei, in Ungarn und wie die Länder alle heißen, die das Joch der Diktatur endlich abgeschüttelt haben. Wir wären bei diesen Ergebnissen nicht angelangt, wenn wir seinerzeit Ihrer Politik beim NATO-Doppelbeschluß gefolgt wären. Das muß man immer wieder betonen.Was unser Bundesaußenminister dringender als alles andere braucht, wenn er in die Zwei-plus-VierGespräche geht, wo es ja um die Zukunft Deutschlands, um die Zukunft unseres Kontinents geht, ist die feste und unbeirrte Unterstützung durch unsere drei westlichen Partner. Dann kommen Sie daher! Was geben Sie dem Bundesaußenminister mit ins Reisegepäck? Nicht etwa Ihr Ja zum Staatsvertrag. Das könnte er ja vielleicht ganz gut brauchen, weil das zum Ausdruck bringen würde, daß die Deutschen selber ihre Einheit wollen.
Was legen Sie ihm in seinen Koffer? Forderungen wie die, daß die bösen Alliierten doch nun, bitte sehr, endlich einmal — schließlich sind wir ja wieder wer — den einen oder anderen noch ausstehenden Überlassungsvertrag über Liegenschaften kontrahieren möchten. Ich zitiere hier aus Ihrem Antrag:Alle Baumaßnahmen sind — man beachte den Tonfall —unter voller und ausschließlicher Bindung an deutsche Rechtsvorschriften vorzunehmen. Baumaßnahmen sind künftig nur noch . . .Stillgestanden! Mon général! Das ist der Ton, der hier obwaltet. Geradezu grotesk wird es ja, wenn Sie weiter verlangen:Baumaßnahmen sind nur noch von den für Bundesbauaufgaben zuständigen deutschen Behörden durchzuführen.Also der Bundesbaudirektion. Sie meinen es mit unseren Alliierten wirklich sehr, sehr übel, wenn Sie eine derartige Forderung aufstellen. Es sind doch Nadelstiche, es sind doch Petitessen, die Sie verlangen.Ich will noch etwas sagen: Gerade weil Sie so ins Detail gehen, verbietet es sich, den Antrag jetzt etwa anzunehmen. Herr Lowack hat ja recht: Es gibt Punkte, über die man reden muß. Es gibt Punkte, wo wir Auskunft haben wollen, auch wir.
Aber wir können doch heute nicht darüber abstimmen. Bitte, schicken Sie ihn doch in die Ausschüsse. Ich möchte über diese Einzelforderungen hier nicht ad hoc entscheiden. Wenn Sie auf Abstimmung zur Sache beharren, dann werden wir ablehnen müssen.Was heißt heute „Souveränität" gegenüber früheren Zeiten, da wir uns in Europa zu größeren Einheiten zusammenschließen und wichtige Teile unserer nationalen Souveränität, aber auch der unserer Partner längst an übernationale Organisationen abgetreten worden sind, z. B. an die EG?
Wir wollen diesen Prozeß ja fortsetzen. Wir wollen weitere Teile unserer nationalen Souveränität ganz bewußt an die internationalen Gremien übertragen.Darin liegt heute vielleicht das eigentliche Wesen der Souveränität, daß man, um ein politisches Ziel zu verfolgen und zu erreichen, politisch bewußt und gewollt, freiwillig Teile der eigenen Souveränität an andere abgeben kann.
Das ist die eigentliche Souveränität, mit der wir es hier heute zu tun haben.Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, daß die Diskussion gerade zum jetzigen Zeitpunkt auch deshalb überflüssig ist, weil die Revisionsklausel des Art. 10 des Deutschlandvertrags, die infolge einer Paragraphenkette für diese ganzen Verträge gilt, ausdrücklich die Anpassung für die Situation vorsieht, in der wir uns gerade befinden. Es wird dort gesagt: Die Verträge müssen sogar überprüft werden, entweder auf Ersuchen eines Unterzeichnerstaates im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands — ich sage sonst „Vereinigung" und nicht „Wiedervereinigung" ; aber hier ist es zitiert: Wiedervereinigung Deutschlands — oder aber in jeder Lage, die nach Auffassung aller Unterzeichnerstaaten aus einer Änderung grundlegenden Charakters in den zur Zeit des Inkrafttreten des Vertrages bestehenden Verhältnissen entstanden sind.Meine Damen und Herren, Sie wollen doch nicht leugnen, daß es sich bei den Änderungen der letzten
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16811
IrmerMonate und Jahre um solche Änderungen ganz grundlegenden Charakters handelt, so daß die Revision dieser Verträge ohnehin ansteht.Aber es ist noch viel einfacher; ich mache Ihnen einen Vorschlag:
Ihr Entschließungsantrag ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unnütz, überflüssig und sogar schädlich, weil er die Atmosphäre zwischen uns und unseren Partnern zu stören geeignet ist. Sie sollten ihn vielleicht zurückziehen. Sie hätten eine Möglichkeit, alsbald die von Ihnen gewünschte Revision dieser Verträge über die alliierten Truppen herbeizuführen. Sie müßten sich nur entgegen Ihrer bisherigen Haltung mit uns dafür einsetzen, daß es so bald wie möglich zur deutschen Einheit kommt.
Dann nämlich tritt die Wiedervereinigungs-Revisionsklausel des Deutschlandvertrages unmittelbar in Kraft. Dann können wir alle diese Probleme in Ruhe klären. Noch haben Sie Gelegenheit, sich mit uns für eine schnelle Verwirklichung der deutschen Einheit einzusetzen. Dann haben Sie diese Probleme nicht länger.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrte noch im Saale anwesende Dame — eine! — , meine Herren! Ich freue mich, daß sich die Zahl der SPD-Abgeordneten hier von 1,5 % ihrer Fraktionsmitglieder inzwischen durch die Anwesenheit von Herrn Ehmke auf 2 % gesteigert hat. — Ich wollte das hier einmal statistisch darstellen. —
Ich finde das sehr interessant, und das macht auch deutlich, wie wichtig diese Debatte heute ist, Herr Kollege de With. — Das zu sagen darf ich mir vorweg erlauben, nachdem er sich über die Frage, weshalb wir dieses Thema 90 Minuten hier ansprechen müssen, so erregt hat. — Ich stelle fest: Es sind bedeutende Persönlichkeiten anwesend.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 15. Februar 1990 festgestellt: Die Architektur des künftigen Deutschlands ist in die Architektur des künftigen Europas einzupassen. Wir müssen neue übergreifende Sicherheitsstrukturen aufbauen. Dies ist das zentrale Thema, dem wir uns angesichts der Entwicklungen in Deutschland und Europa zuwenden müssen.Diese schnelle und, wenn wir ehrlich sind, für uns alle auch überraschende Entwicklung hat dazu geführt, daß viele Fragen Ihrer Großen Anfrage nicht mehr zeitgemäß sind und daß sich angesichts dieser anhaltenden Veränderungen der Lage in Europa weitere Fragen der Opposition von selbst erledigen werden: zum einen durch die am Ende des Zwei-plusVier-Prozesses stehende Ablösung der Rechte und Verantwortlichkeit der vier Mächte für Berlin und Deutschland als Ganzes,
d. h. durch die Herstellung der vollen Souveränität eines vereinten Deutschlands, zum anderen durch die im Nordatlantischen Bündnis in der vergangenen Woche beschlossene umfassende Überprüfung — Herr Kollege, das gehört sehr wohl zu einer Beantwortung Ihrer Anfrage — der militärischen Strategie des Bündnisses und schließlich durch die Auswirkung tief greifender Abrüstungsschritte, mit deren Vereinbarung wir für den Herbst dieses Jahres bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa rechnen.Nun liegt uns ein neuer Antrag der SPD vor, in dem sie selbst auf grundlegende Änderungen der Lage verweist. Dahinter steht sicher die Erkenntnis, daß der alte Antrag zur gleichberechtigten Partnerschaft im Bündnis sich mit einer inzwischen überholten Situation befaßte
und daß man die Diskussion auf eine neue Basis stellen muß. Wir alle müssen uns darüber im klaren sein, daß wir die Lage nicht statisch betrachten dürfen — ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege de With — , sondern unsere Arbeit kreativ und dynamisch auf die Zukunft hin zu orientieren haben.Die Bundesregierung wird wie bisher ihre rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen, soweit Anpassungen an die sich verändernden Gegebenheiten nötig sind. Sie erörtert diese Fragen auch laufend mit den Verbündeten.Der Antrag der SPD trägt der Situation insofern Rechnung, als er im Vergleich zur ersten Anfrage — gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis — andere und stärkere Schwerpunkte setzt. Über das Für und Wider dieser Schwerpunkte wird im einzelnen in den Ausschüssen zu beraten sein. Lassen Sie uns bitte heute aber eine Debatte führen, die das Gesamtbild des Bündnisses im Auge behält, seine bisherigen Verdienste und seinen zukünftigen Wandel.Ich darf eingangs feststellen: Das Atlantische Bündnis hat sich als Garant unserer Sicherheit und als politisches Steuerungs- und Koordinierungsgremium bewährt. Die Bundesrepublik Deutschland ist 35 Jahre lang Mitglied der Nordatlantischen Allianz. Dieses Bündnis von zunächst zwölf, inzwischen 16 gleichberechtigten und souveränen westlichen Demokratien hat den Mitgliedsländern seit seiner Gründung 1949 ermöglicht, sich in Freiheit einer der läng-
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16812 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Staatsminister Schäfer1 sten Perioden des Friedens und des Wohlstands in ihrer Geschichte zu erfreuen.Friedenswahrung und Friedensgestaltung sind die bleibenden Aufgaben der Nordatlantischen Allianz. Die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses haben auf ihrem Gipfeltreffen im Mai 1989 in Brüssel erklärt: Wir wollen die schmerzliche Teilung Europas, die wir niemals hingenommen haben, überwinden. Wir wollen die Nachkriegszeit hinter uns lassen; ausgehend von der gegenwärtigen Entwicklung zu mehr Zusammenarbeit und den künftigen gemeinsamen Herausforderungen streben wir an, eine neue politische Friedensordnung in Europa zu schaffen.Die leitenden Prinzipien der auf dieses Ziel gerichteten Bündnispolitik sind bereits 1967 im HarmelBericht niedergelegt worden, der sich nicht zufällig mit der Trennung Deutschlands befaßte. Das HarmelKonzept mit seinen beiden sich ergänzenden und wechselseitig verstärkenden Elementen hat sich, wie uns die historische Entwicklung zeigt, als richtig erwiesen.
Heute ist seit Veröffentlichung der NATO-Gipfelerklärung und des gleichzeitig verabschiedeten Gesamtkonzeptes für Rüstungskontrolle und Abrüstung ein Jahr vergangen. Die in dieser kurzen Zeitspanne erfolgten Veränderungen in Mittel- und Osteuropa haben alle damals im Westen gehegten Erwartungen übertroffen. Das Verdienst an dieser dramatischen Entwicklung haben die Kräfte in Mittel- und Osteuropa, die diesen Umbruch bewirkt haben. Sie konnten sich sicher sein, daß das Nordatlantische Bündnis als Zusammenschluß demokratischer und gleichberechtigter Staaten aus den Ereignissen in Mittel- und Osteuropa keine einseitigen Vorteile ziehen würde.Mit ihrem Angebot zum Dialog und zur Zusammenarbeit und mit ihren Initiativen für Rüstungskontrolle, Abrüstungs- und Vertrauensbildung hat die Allianz den Wandel in den West-Ost-Beziehungen seit langem gefördert und ermutigt. Sie hat sich als ein dynamischer und stabilisierender Faktor im Interesse aller europäischen Staaten erwiesen.Die Mitgliedsstaaten der NATO sehen über den Horizont nationaler Interessen hinaus. Das Nordatlantische Bündnis ist ein Modell dafür, wie Staaten mit gemeinsamer Grundüberzeugung auf der Basis der Gleichberechtigung und der Partnerschaft eine kollektive Sicherheitspolitik verwirklichen, die den Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten Rechnung trägt. Diese Erfahrungen gilt es beim Aufbau gesamteuropäischer kooperativer Strukturen der Sicherheit zu nutzen. 35 Jahre deutscher Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis haben gezeigt, daß unsere Anliegen und unsere Interessen im Rahmen dieser Allianz Berücksichtigung finden.
— Weil sich die historische Entwicklung offensichtlich an Ihnen vorbeibewegt hat, Herr Kollege,
und weil Sie nicht in der Lage sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie mit Ihrer auf kleinlicher Fragerei beruhenden Großen Anfrage in einer Situation sind,
in der es darum geht, eine völlige Veränderung Europas herbeizuführen, laufen Sie einfach ins Leere.
Das ist die Antwort, die ich Ihnen gern geben möchte.
Die kürzliche Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, das Programm für die Entwicklung eines Lance-Nachfolgesystems zu beenden und von einer weiteren Modernisierung der Nuklearartillerie abzusehen — alles Dinge, die wir noch vor einem Jahr
— wir habe ich gesagt und meine damit auch Herrn Ehmke —
nur mühsam — Sie erinnern sich vielleicht an die Modernisierungsdebatte — erst einmal ins Bewußtsein bestimmter Leute rufen mußten — , hat einmal mehr bestätigt, daß die Allianz fähig und entschlossen ist, Konsequenzen aus einer grundlegend veränderten Lage zu ziehen. Das sollten Sie auch tun.
Die politischen und militärischen Veränderungen, die jetzt in den Staaten Mittel- und Osteuropas und in der Sowjetunion vor sich gehen, hat das Bündnis seit langem gefördert. Das gemeinsame Ziel aller Bündnispartner ist und bleibt die Schaffung einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung in ganz Europa. Es geht um den Entwurf für ein neues Europa, für das Zusammenwachsen des Kontinents, es geht um die Architektur des einen Europas, die vier zentrale Bausteine in eine überzeugende Verknüpfung bringt, nämlich die Herstellung der deutschen Einheit, die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft zur politischen Union, die politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Neuordnung Gesamteuropas durch den KSZE-Prozeß und durch Abrüstung sowie die Festigung der transatlantischen Beziehungen auf erweiterter partnerschaftlicher Grundlage.Meine Damen und Herren, seit mehr als 40 Jahren sind Europa und die Vereinigten Staaten Partner in der erfolgreichsten Allianz der Geschichte. Es ist eine Allianz, die sich nicht auf die Existenz eines gemeinsamen Gegners, sondern auf gemeinsame Werte gründet.Mit der Demokratisierung und wirtschaftlichen Neuordnung Mittel- und Osteuropas entfallen die ideologischen Grundlagen des Ost-West-Konfliktes. Dies erfordert die Wandlung der Bündnissysteme, die sich auf militärische Strategie, Struktur der Streitkräfte und auch Bewaffnung auswirken wird. Die poli-
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Staatsminister Schäfertische Bedeutung unseres Bündnisses soll verstärkt, kooperative Strukturen der Sicherheit für ganz Europa müssen geschaffen werden.Abrüstung und Rüstungskontrolle, vor allem im konventionellen Bereich, sowie der Aufbau kooperativer Sicherheitsstrukturen setzen ein funktionsfähiges und flexibles Bündnis voraus. Das Bündnis wird als zentraler Ausdruck und Kern der transatlantischen Partnerschaft fortbestehen. Es bleibt ein entscheidender sicherheitspolitischer Stabilitäts- und Ordnungsfaktor in Europa. Aber zugleich muß sich das Bündnis für ergänzende Strukturen bündnisübergreifender sicherheitsbildender Zusammenarbeit öffnen. Es muß diese Strukturen entschlossen mitgestalten und als zusätzliche Sicherheit begreifen.Der Aufbau einer Stabilitätspartnerschaft unseres Bündnisses mit der Sowjetunion und den anderen Staaten Europas wird neues Vertrauen in Europa schaffen. Das Bündnis wird deshalb künftig eine immer größere Rolle in der Abrüstungspolitik, bei der Verifikation und bei der Vertrauensbildung übernehmen.In Abrüstung und Rüstungskontrolle, in den Verhandlungen in Wien und Genf liegt der entscheidende Schlüssel für eine allseits akzeptierte sicherheitspolitische Einbettung der deutschen Einheit in die europäische Einheit. Wir erwarten vom bevorstehenden NATO-Gipfel Anfang Juli überzeugende Weichenstellungen für die Zukunft des neuen und ganzen Europas.
Wir können und wollen aber nicht daran vorbeigehen, daß die sowjetischen Truppen die CSFR und Ungarn verlassen und östlich von uns Demokratien als neue Partner entstehen. Das Bündnis wird unsere Sicherheit in dieser Zeit des Wandels wahren
und zugleich die Überwindung der sicherheits- und machtpolitischen Spaltung Europas ermöglichen. — Auch Ihre Fragen, Frau Kollegin Beer, lösen sich von selbst. Und das Wort „Skandal", das Sie, wie mir auffällt, so gern gebrauchen, wird sich dann vielleicht nicht mehr so häufig verwenden lassen wie bisher. —Die Allianz muß dem sicherheitspolitischen Umfeld entsprechen und den positiven Wandel weiter voranbringen. Sie muß dabei auch den legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion Rechnung tragen, und sie muß der Herstellung eines neuen, kooperativen Verhältnisses zwischen den Bündnissen, so unterschiedlich sie sind, neue Möglichkeiten eröffnen.Meine Damen und Herren, nach der Zeit des geregelten Neben- und Miteinanders und mit der Chance der endgültigen Überwindung des ideologischen Antagonismus zwischen Ost und West beginnt nunmehr eine neue Etappe des KSZE-Prozesses. Europa muß seine Einheit gestalten. Dazu gehört der schrittweise Aufbau einer übergreifenden Struktur gesamteuropäischer Sicherheit — unter Teilnahme Nordamerikas und Kanadas und natürlich der Sowjetunion —, die die Sicherheit aller KSZE-Teilnehmerstaaten gewährleistet.Die KSZE, ohne die die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa 1989 nicht denkbar gewesen wäre, behält nicht nur ihre Funktion, Kooperationen, Reformen weiterzuführen und Rückschläge zu verhindern. Hinzu tritt die bedeutende neue Aufgabe, für eine sich völlig verändernde Lage den Sicherheitsrahmen einer europäischen Friedensordnung zu schaffen. Dieser Rahmen muß deutlich machen, daß die eingetretenen Entwicklungen den Sicherheitsinteressen aller Beteiligten gerecht werden.Der KSZE-Prozeß wird das zentrale Forum gesamteuropäischer Zusammenarbeit in Europa sein.Meine Damen und Herren, KSZE weist uns den Weg zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung, in der die Völker ohne Furcht voreinander leben können. In diesem Zusammenhang wird der KSZE-Prozeß zum Träger und Forum eines neuen Sicherheitssystems entwickelt werden. Diese Aufgabe kann nicht bewältigt werden, wenn die KSZE nur eine zeitweilig tagende Konferenz bleibt.Die Zeit für einen Übergang der KSZE vom Konferenzprozeß zu einer neuen Stufe auf dem Weg zu der von Präsident Mitterrand vorgeschlagenen gesamteuropäischen Konföderation ist reif.
Der KSZE-Prozeß muß vertieft, verstärkt und auch institutionalisiert werden. Wir denken dabei an einen europäischen Sicherheitsausschuß der Außenminister, ein Verifikations- und Konfliktverhütungszentrum sowie eine Umweltagentur. Ein ständiges Sekretariat könnte als Schaltstelle dienen. Bei der Bildung gesamteuropäischer Institutionen für Rechtswesen, technologische Zusammenarbeit, Menschenrechte und Minderheitenschutz könnte auf bewährte Institutionen zurückgegriffen werden. Sie werden sich gegenüber der in Gang befindlichen Veränderungen in Europa öffnen.Ich bin auch der Meinung, daß eine parlamentarische Komponente im KSZE-Prozeß den Weg zu einer europäischen Friedensstruktur erleichtern wird. Aus der Entwicklung und Verzahnung alter und neuer Institutionen wird der einheitliche europäische Wirtschafts-, Rechts-, Sicherheits- und Politikraum entstehen.Meine Damen und Herren, die Aufgabe des für Ende des Jahres vorgesehenen KSZE-Gipfels ist damit vorgezeichnet. Ich glaube, daß wir mit dem, was in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen zu vereinbaren ist, in diesem Jahr einen ganz entscheidenden Schritt auf diese neue europäische Friedensordnung hin entwikkeln.Ich darf vielleicht zum Schluß noch einmal darauf hinweisen, daß gerade in einer Zeit, in der sowohl der sowjetische Außenminister Schewardnadse als auch der amerikanische Außenminister Baker mit bemerkenswerten Aussagen in Bonn bei der ersten Runde des Zwei-plus-Vier-Gespräches vom Ende der Nachkriegszeit und vom Ende des Kalten Krieges gesprochen haben, wir auch noch vorhandene, Kollege Gerster, uns störende Elemente dessen, was uns in den letzten 40 Jahren im Zusammenhang mit der NATO natürlich auch belastet hat, überwinden werden. Ich meine, wir sind sehr gut beraten, wenn wir uns jetzt16814 Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990Staatsminister Schäfernicht in einzelne Detailfragen hineinbegeben und hier neue Probleme schaffen, sondern daß wir das große Ziel vor Augen haben, daß wir Ende dieses Jahres — das Tempo ist schnell — sehr viele der immer noch im Raume stehenden Fragen der SPD-Fraktion überwunden haben werden und sehr viel mehr erreicht haben werden, als Sie, die SPD-Fraktion, und wir als Regierung uns noch vor einiger Zeit haben vorstellen können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Helmut Schäfer, ich habe ja menschliches Verständnis, wenn Ihnen der Aufwand, sich auf diese Debatte gezielt vorzubereiten, zu groß war und Sie eine vorbereitete Rede zur Zukunft des Bündnisses und zum Gesamtbild des Bündnisses, wie Sie gesagt haben, genommen haben, aber Sie können doch im Ministerium delegieren. Sie haben es doch einfacher als wir Abgeordnete, und dann hätten Sie doch wenigstens ein bißchen darauf eingehen können oder hätten das vorbereiten lassen, warum die Regierung 15 Monate lang eine sehr präzise und konkrete Große Anfrage nicht beantworten konnte und wir deswegen gezwungen waren, parlamentarisch in dieser Weise initiativ zu werden.
Dann wäre manches klarer, und dann wäre auch deutlicher, daß wir eine Debatte, die wir durchaus auch heute noch sinnvoll führen können, sinnvoller vor einem Jahr hätten führen sollen. Da sind wir völlig einer Meinung, und es liegt nur an der Regierung, daß es dazu nicht gekommen ist.Im übrigen, so sehr vieles sich im Augenblick auch ändert, manches wird bleiben. So wird auf absehbare Zeit die Einbindung Deutschlands in das Bündnis bleiben, und es wird wohl auch auf absehbare Zeit das Vertragsrecht bleiben. Das hängt auch nicht mit Zwei-plus-Vier zusammen; NATO-Truppenstatut ist z. B. etwas, was überall gilt, wo NATO-Truppen stationiert sind. Das Zusatzabkommen ist spezifisch deutsch, aber auch dies ist ein Vertragsrecht, das durch einfache Änderungsbemühungen verändert werden kann, das also nicht Ausfluß des alten Siegerrechtes ist. Bei Zwei-plus-Vier geht es in erster Linie um den Deutschland-Vertrag, um den Aufenthaltsvertrag, und genau das sind die Punkte, die wir nicht in den Vordergrund gestellt haben, sondern
im Gegenteil NATO-Truppenstatut und Zusatzabkommen.Lieber Kollege Helmut Schäfer, z. B. bei uns in Rheinland-Pfalz wird sich auch an der tatsächlichen Auswirkung der Stationierung vieler hunderttausend Soldaten, Waffenlager und militärischer Einrichtungen relativ wenig und relativ langsam etwas ändern, und deswegen wäre diese Nonchalance, die Sie hier gezeigt haben, mit der Sie über Bedenken und Fragen einfach hinweggegangen sind, z. B. in einer Veranstaltung in Ihrem Wahlkreis gar nicht möglich gewesen. Dort hätten Sie so nicht sprechen können, und dort hätten Sie so nicht gesprochen.
Wir haben derzeit — wenn ich das noch einmal vergegenwärtigen darf — in Deutschland, also nicht nur in der Bundesrepublik, 1,5 Millionen Soldaten stationiert. 1,5 Millionen! Das ist die höchste Dichte; höher auch als in Krisenregionen der Welt, wie etwa im Nahen Osten. Das ist die höchste Dichte militärischer Präsenz personeller Art. Wenn wir das um die entsprechenden Einrichtungen und Waffenlager ergänzen, kommt ein Bild zustande, das schon lange nicht mehr in die politische Wirklichkeit paßt. Wenn Sie umrechnen, stellen Sie fest: Auf 53 Einwohner in Deutschland kommt 1 Soldat. Es sind insgesamt mehr auswärtige Soldaten als Soldaten der eigenen Streitkräfte.Schon dies zeigt, daß wir mit einer gewissen Verzögerung, die vermutlich unvermeidbar ist, noch Situationen vorfinden, die nur durch den Kalten Krieg erklärbar sind, obwohl dieser Kalte Krieg spätestens seit Gorbatschow nicht mehr wirklich ein Kalter Krieg genannt werden kann, auch wenn das, was sich tatsächlich verändert, seine Zeit braucht.Uns geht es um das Vertragsrecht, hier insbesondere um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, und hier vor allem um das Manöverrecht— Beispiel: Tiefflug — , um das Liegenschaftsrecht— Beispiel: Liegenschaften, die kaum noch benutzt werden, aber rechtlich deutschen Verwendungszwecken nicht zugeführt werden können, weil die Alliierten den Anspruch erheben und untermauern können, daß sie sozusagen auf unabsehbare Zeit diese Liegenschaften auch ohne entsprechende Überlassungsvereinbarung nutzen können —; und es geht— um ein drittes, sehr gravierendes Beispiel zu nennen, das gerade im Augenblick für die Betroffenen sehr gravierend ist — um das Arbeitsrecht für zivile Bedienstete. Das ist etwas, womit wir uns auseinandersetzen müssen.Gerade als Rheinland-Pfälzer, also aus einem Bundesland kommend, das in hohem Maß militärische Präsenz seit langem in den eigenen Landesgrenzen aufweist, will ich sehr deutlich sagen: Natürlich wissen wir vom Nutzen und gleichzeitig vom Leid dieser militärischen Präsenz. Der Nutzen besteht z. B. in 22 000 zivilen Arbeitsplätzen durch die US-Streitkräfte, um die wir und die Betroffenen natürlich im Augenblick bangen. Diese Medaille hat zwei Seiten. Was wäre denn gewonnen, wenn wir es leugnen und uns gegenseitig vorhalten würden? Natürlich bangt z. B. auch die Stadt Zweibrücken um den konkreten Kaufkraftverlust von 150 Millionen DM im Jahr, wenn diese Airbase geschlossen wird. Das sind Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Da ist alle Überhöhung im ideologischen Schlagabtausch völlig unbegründet.Herr Kollege Lowack, ich habe hier eine Notiz als Erinnerung an frühere Debatten stehen, die ich noch im Landtag von Rheinland-Pfalz vor wenigen Jahren geführt habe, als uns Antiamerikanismus vorgeworfen wurde, weil wir gegen Tiefflug in dieser Region votiert haben. Ich habe nicht erwartet — das muß ich
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Gerster
ganz offen sagen — das wir uns dermaßen plumpe und platte Unterstellungen und Vorwürfe heute von Ihnen und auch von dem Kollegen Irmer anhören müssen.
Der Abgeordnete Lowack möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es nicht angerechnet wird: Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Lieber Kollege Gerster, da ich mich bemüht habe, durchaus auf die Anfrage einzugehen, würde mich doch interessieren, welcher meiner Beiträge diese Qualifizierung durch Sie verdient.
Also, lieber Kollege Lowack, wenn Sie ein qualifiziertes Gutachten wünschen, werde ich mir das Protokoll daraufhin durchlesen und werde es Ihnen schriftlich zukommen lassen.
Es geht auch um das Verhalten der Alliierten dort, wo es tatsächlich ein Verstoß gegen den Geist der Partnerschaft, also gar nicht einmal gegen Vertragsrecht, genannt werden muß. Ich will dazu einige Beispiele nennen, weil die Stimmung „Friede, Freude, Eierkuchen" vor dem Hintergrund jahrzehntelanger konkreter Erfahrungen einfach nicht angemessen wäre.Beispiel: C-Waffen und die Informationspolitik der Amerikaner und der eigenen Bundesregierung. Man kann sich natürlich ins Fäustchen lachen, daß die Friedensbewegung jahrelang von dem falschen Lager demonstriert hat. Das macht manchen diebische Freude, daß es eben gar nicht in Fischbach war, sondern in Clausen. Aber was hat dieses Thema denn für Weiterungen? Es hat z. B. die Weiterung, daß die unmittelbar Zuständigen für den Katastrophenschutz in der Region überhaupt nicht informiert waren, was in ihren Zuständigkeitsgrenzen alles an Gefährdungspotential vertreten war. Das hat die Weiterung, daß es keine gemeinsamen Übungen geben konnte; und vieles andere mehr. Hier können wir eine Informationspolitik, die die Amerikaner im eigenen Land ihrer Bevölkerung nicht zumuten, einfach nicht mehr hinnehmen.Ein weiteres Beispiel: Vom Flugplatz Ramstein sind vor einigen Jahren Panzerabwehrraketen in den Iran transportiert worden. Das ist ein Verstoß mindestens gegen den Geist, wahrscheinlich sogar gegen das Vertragsrecht und gegen das Völkerrecht.Ein weiteres Beispiel: Tiefflug. Die eigene Luftwaffe — der Kollege Wimmer ist leider nicht mehr da — , die Bundesluftwaffe hat — das wird vielfach übersehen — ihr Aufkommen an Tiefflug nachweisbar drastisch reduziert, nahezu halbiert in den leztenJahren. Die Alliierten — Sie können die Parlamentsdrucksache nachlesen — haben im selben Zeitraum ihr Tiefflugaufkommen gesteigert, wohlgemerkt: gesteigert! Wir nehmen das als ein naturgegebenes Schicksal hin; es sind eben die Alliierten, und die dürfen qua NATO-Truppen-Statut-Zusatzabkommen unbegrenzt manövrieren in der Luft und auf dem Boden. Sie dürfen auch z. B. in den 75-m-Tieffluggebieten länger tieffliegen als die eigene Luftwaffe, die nur kurz heruntergeht, während die Alliierten das zehnmal so lange tun.Ein weiteres sehr konkretes Beispiel: Hubschrauberflüge. Das ist die neueste Version der Belastung aus der Luft. Durch veränderte operative taktisch-strategische Überlegungen bekommt die Luftbeweglichkeit der Streitkräfte eine immer stärkere Dimension, auch in den Überlegungen z. B. des deutschen Heeres. Das hat zur Folge, daß speziell die Amerikaner, die US-Army, unsere Bevölkerung in bestimmten Regionen in einer Weise mit Hubschrauberflügen plagen, die einfach nicht mehr verantwortbar ist, nämlich mitten in der Nacht bis Mitternacht, weil der Nachtflug geübt werden muß, und — Sie können das in Parlamentsdrucksachen nachlesen — sogar das Unterfliegen von Autobahnbrücken und von Freileitungen darf geübt werden, wohlgemerkt nicht auf Truppenübungsplätzen, sondern in der freien Wildbahn, unmittelbar in der Nähe von Ballungsgebieten, Dörfern und Städten, wenn der taktische Übungsauftrag es erfordert. Das erlauben wir unseren Freunden, und in diesem Fall sind sie im konkreten Einzelfall nur noch bedingt „Freunde" zu nennen; wohlgemerkt: im konkreten Einzelfall!Die US-Streitkräfte haben vor einiger Zeit auch die Bundesautobahn 6 gesperrt, ohne auf deutsche Polizei zu warten. Es gibt weitere Beispiele, z. B. Unfälle auf Flugplätzen, auf Airbases in der Pfalz und anderswo, wo Hydrazin ausgelaufen ist und wo die deutsche Seite nicht verständigt worden ist. Das sind konkrete Beispiele, die genannt werden müssen, wenn es darum geht, heute etwas besser zu machen, was uns auf lange Zeit noch beschäftigen wird, auch wenn Zwei-plus-Vier dieses und vieles andere in absehbarer Zeit grundlegend verändern wird.Aber — auch dies möchte ich heute sehr deutlich sagen — es gibt auch schlimme Beispiele für vorauseilenden Gehorsam der deutschen Seite dort, wo es qua Vertragsrecht oder Völkerrecht gar nicht notwendig wäre. Das gilt etwa für die C-Waffen. Wir erleben zwar den hoffentlich termingerechten Abzug in diesem Sommer, und wir freuen uns darüber, aber in dem Abkommen des Bundeskanzlers mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten ist die ausdrückliche Möglichkeit der Wiederstationierung im Krisenfalle und mit Bestätigung der Bundesregierung vereinbart worden. Das war wohl der Preis, damit der Abzug überhaupt möglich wurde.Des weiteren haben wir und auch ich persönlich noch eine sehr frische Erinnerung an den Flugtag in Ramstein, bei dem die Genehmigungspraxis alliierter Flugtage in einer Weise deutlich wurde, daß sogar der Abteilungsleiter Verwaltung und Recht des deutschen Verteidigungsministeriums im Untersuchungsausschuß wörtlich den Begriff „unfaßbar" für die
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Gerster
deutsche Genehmigungspraxis alliierter Flugtage benutzt hat.Ein letztes Beispiel für vorauseilenden Gehorsam der deutschen Seite, und dann will ich gern, wenn es nicht angerechnet wird, eine Zwischenfrage gestatten: Der geschiedene Verteidigungsminister Scholz — er ist sicherlich eine tragische Figur, und deswegen möchte ich ihn auch nur als ein Beispiel für Regierungspolitik erwähnen — hat im Falle WiesbadenErbenheim USAREUR, also dem Hauptquartier der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa, geschrieben, sie mögen doch bitte die Zahl der Hubschrauber, die in Wiesbaden-Erbenheim stationiert wird, selbst bestimmen. Das ist auch ein Beispiel für das Verhalten deutscher Politik, das nicht vereinbar ist mit gleichberechtigter Partnerschaft im Bündnis.
Herr Abgeordneter Gerster, bevor ich dem Abgeordneten Schäfer das Wort zu einer Zwischenfrage gebe, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie sicher sagen wollten, „der ausgeschiedene Verteidigungsminister", nicht „der geschiedene".
Ich bitte um Entschuldigung!
Herr Abgeordneter Schäfer!
Herr Kollege, Sie haben eben wieder auf das erfolgreiche Abkommen des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan über den Abzug der Chemiewaffen angespielt. Ich darf Sie in dem Zusammenhang noch einmal fragen, ob nicht die Wiederholung von Behauptungen, die Sie auch gerade wieder aufgestellt haben, im Hinblick auf die morgen zu erwartende Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten beim Gipfeltreffen in Washington überflüssig ist. Sie beschwören hier eine Situation, als würden hier wieder Chemiewaffen stationiert, obwohl morgen eine schrittweise Vernichtung der Chemiewaffen unterzeichnet wird. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu Stellung nehmen könnten.
Herr Kollege Schäfer, die Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Kohl und dem damaligen Präsidenten Reagan am Rande des Wirtschaftsgipfels in Tokio enthält mehrere Elemente. Ein Element dieser Vereinbarung ist — das ist bisher nie bestritten worden; es gibt für uns ja keinen nachlesbaren Text — , daß im Krisenfalle und im Kriegsfalle mit Zustimmung der deutschen Regierung — das muß dazugesagt werden — chemische Waffen stationiert werden können. Das Abkommen wird aber so verkauft, als sei dies ausgeschlossen.
Jetzt frage ich Sie rhetorisch — wir können ja kein Zwiegespräch führen — , ob eine Fraktion in diesem Hause und ob die Regierung tatsächlich den strategischen Wert chemischer Waffen im Verteidigungsfall hochhalten will. Wir wollen das schon lange nicht mehr. Deshalb brauchen wir dieses Element der Verteidigungsfähigkeit nicht.
Herr Abgeordneter Lowack, bitte.
Werter Herr Kollege, wie läßt sich Ihre Kritik an der Bundesregierung betreffend das Genehmigungsverfahren im Falle Ramstein mit der Tatsache vereinbaren, daß überhaupt erst in der Verantwortung dieser Bundesregierung ein Genehmigungsverfahren — wenn auch abgekürzt — eingeführt und durchgehalten wurde, während die Vorgängerregierung, die unter der Verantwortung der Sozialdemokraten stand, das überhaupt nicht gekannt hat?
Herr Kollege Lowack, es wurde ein Genehmigungsverfahren eingeführt, das telefonisch zwischen zwei Stabsoffizieren der beteiligten Streitkräfte abgewickelt wurde. Dies geschah nach dem Motto: Wir melden diesen Flugtag an. Okay, er steht bei uns in der Liste.Das war alles, was diesbezüglich gelaufen ist. Es gab keine Programmgenehmigung. Es gab keine Sicherheitsvorkehrungen. Das hat der Untersuchungsausschuß eindeutig erwiesen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unmittelbarer Zukunft Gelegenheit, durch gemeinsames Handeln der Alliierten mit der deutschen Politik, mit der Regierung und mit dem Parlament deutlich zu machen, daß es auch anders geht. Das Thema für die unmittelbare Zukunft ist der Truppenabzug, der sicherlich in den nächsten Jahren das beherrschende Thema sein wird. Wir haben die Gelegenheit, durch Behutsamkeit und durch eine Abstimmung des Verhaltens deutlich zu machen, daß es hier nicht darum geht, etwas durchzusetzen, was in Washington oder anderswo entschieden worden ist, sondern daß es darum geht, einen Weg zu finden, der deutlich macht, daß auf die Belange der Regionen im einzelnen Rücksicht genommen wird. Das bedeutet, daß wir gegenüber den beteiligten Alliierten durchsetzen können, daß der Truppenabzug dort beginnt, wo er wirklich vordringlich ist. Dies ist in den Ballungsgebieten der Fall. Der Truppenabzug darf aber nicht dort beginnen, wo die bisher durch das Militär vorgehaltene Infrastruktur nur schwer zivil ersetzt werden kann.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß. Wir wollen, daß die bisherigen Siegermächte künftig tatsächlich die befreundeten Partner im Bündnis sein werden. Es muß sich die tatsächliche Ablösung des Siegerrechtes im tatsächlichen Verhalten untereinander niederschlagen. Es müssen die Interessen der Alliierten und der Deutschen immer wieder von neuem abgestimmt werden. Wir sind sicher — und das ist ein sehr entscheidender Schluß — , daß wir damit die Akzeptanz des Bündnisses, solange wir es brauchen, und die Akzeptanz der Truppenstationierung, solange wir sie brauchen, erhöhen werden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16817
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers. Ich möchte mich bei ihm und dem Abgeordneten Wiefelspütz für das Signal, die Redezeit nicht voll in Anspruch zu nehmen, herzlich bedanken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn zuzugeben ist, Kollege Gerster, daß sich mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht sämtliche rechtlichen Regelungen für den Aufenthalt alliierter Streitkräfte in Deutschland ändern werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß die heutige Debatte auf der Grundlage Ihres Antrages von vor 15 Monaten merkwürdig anachronistisch anmutet.Es läßt sich nicht übersehen, daß Sie wirklich Pech haben. Ich meine nicht das umfassende Pech mit Ihrem Kanzlerkandidaten, sondern das Pech, das darin begründet liegt, daß die Entwicklung ungeheuer schnell vonstatten geht
und daß im Vergleich dazu unser Parlamentsbetrieb behäbig ist, und das Pech, das vor allen Dingen auch darin begründet liegt, daß Sie in den letzten Monaten eine effekthaschende Papierproduktivität entwickelt haben, die automatisch zur Folge hat, daß die Entwicklung immer über Sie hinweggeht.Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte: Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussion, als die Große Anfrage von Ihnen entwickelt wurde. Dabei standen zwei Stichworte im Vordergrund: einmal Souveränitätsdefizit und zum anderen Sonderrechte.Ich habe mich damals gefragt, wie es kommt, daß ausgerechnet die SPD zu einem Ausdruck aus dem vergangenen Jahrhundert, nämlich zu dem Begriff Souveränität, ein so besonders inniges Verhältnis entwickelt hat. Aber wenn man sich dann ansieht, im Zusammenhang mit welchen Ereignissen Sie diese Vorliebe entdeckt haben, nämlich im Zusammenhang mit Remscheid und Ramstein, dann wird schon deutlich, daß Sie damals den Versuch unternommen haben, die Gefühle, von denen der Kollege de With hier eben gesprochen hat, nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sozusagen auch als Wasser auf Ihre Mühlen zu lenken.
Dieser Versuch ist wie alles, was Sie in dieser Hinsicht unternommen haben, gottlob gescheitert.Ich will hier nicht noch einmal auf die Wirklichkeit hinweisen, die schon vom Kollegen Lowack ausführlich dargestellt worden ist. Ich gebe zu, daß es natürlich Ärgernisse gibt und daß es auch tatsächlich den Fall gibt, daß deutsche Behörden die ihnen zustehenden Rechte nicht mit dem notwendigen Nachdruck ausüben. Ich will dazu nur sagen, daß überhaupt keine Gründe für eine Änderung der Rechtsgrundlagen, die hier von Ihnen angesprochen worden sind, bestehen. Deswegen verstehe ich allerdings auch nicht, Herr Staatsminister, wieso die Bundesregierung die Große Anfrage nicht längst beantwortet hat.
Erstens ist das kein angemessenes Verhalten gegenüber dem Parlament; das muß man als Parlamentarier immer rügen. Zweitens gibt es auch gar nichts zu verbergen.Aber die Frage ist in der Tat — insofern hat der Kollege Staatsminister Schäfer vollkommen recht — : Wie wird die Zukunft nach den Zwei-plus-Vier-Gesprächen und nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit aussehen? Bei dieser geht es ja um die volle Wiederherstellung der deutschen Souveränität. Darüber besteht Einvernehmen zwischen allen vier Partnern, den ehemaligen Siegermächten.Ich will an dieser Stelle nur soviel sagen — ich wünschte mir darüber einmal eine andere Debatte, bei der wir hier ein etwas volleres Plenum und etwas mehr Interesse hätten —,
daß sich auch in der Zukunft die geostrategische Lage Deutschlands nicht ändern wird. Die geostrategische Lage war ja letzten Endes der Grund dafür, daß wir eine Reihe von Belastungen und Einschränkungen in unserem Lande hinnehmen mußten.Was heißt das? Diese Mittellage bedeutet, daß auch in Zukunft nichts ohne uns geht; ohne Deutschland geht nichts wirklich Entscheidendes in Europa.Das heißt zugleich, daß mit dem, was wir hier tun oder lassen, die Interessen aller unserer Nachbarn in Ost wie West auf das engste verknüpft sind. Das heißt, daß sich Deutschland nie verweigern kann, daß Deutschland nie das Ob seiner Mitwirkung in Frage stellen kann, wohl aber auf Grund dieser Lage das Wie der politischen Gestaltung der Zukunft in Europa in entscheidender Weise bestimmen kann.Davon haben wir uns in der Bundesrepublik Deutschland bei der Westintegration und bei der Einbindung in die Europäische Gemeinschaft und in die NATO leiten lassen. Wir haben damit ungewöhnlich große Erfolge für die Bundesrepublik Deutschland erzielt. Dieses Land wurde sehr bald eines der wohlhabendsten und freiesten in der Welt.Wir haben nun die ungeheure Chance, daß das in der allernächsten Zukunft auch für den anderen Teil unseres Vaterlandes Wirklichkeit wird. Das ist ein Erfolg unserer Politik, meine Damen und Herren.
Aber ich möchte die Gelegenheit doch auch wahrnehmen zu sagen, daß ich empfinde, daß dies ein gütiges Geschick ist. Das ist vielleicht etwas altmodisch ausgedrückt; aber ich empfinde es so.Ich meine, wir sollten als Dank für dieses gütige Geschick zweierlei tun. Wir sollten auch in der Zukunft Souveränitätsverzichte auf der Grundlage unserer Souveränität und Einbindungen dieses Landes vornehmen.
— Als gleichberechtigte Partner in Europa.
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LamersMeine Damen und Herren, wir sollten zum zweiten unseren Dank dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir denjenigen, die eigentlich die Sieger in diesem Krieg waren und die das Opfer des von Deutschland entfesselten und brutal und zum Teil verbrecherisch geführten Krieges gewesen sind, dabei helfen, in demselben Wohlstand und in derselben Freiheit — beides bedingt einander — zu leben. Das bedeutet ausdrücklich auch Hilfe im umfassenden Sinn gerade auch für die Sowjetunion. Ich glaube, daß dann auch die Fragen der Zugehörigkeit des wiedervereinigten Deutschland zur NATO in einem anderen Licht erscheinen.Wir müssen in der Tat — das ist richtig, Herr Staatsminister — die NATO in vieler Hinsicht ändern. Sie muß aber die Basis für die zukünftigen Sicherheitsstrukturen in Europa überhaupt und für unsere Sicherheit im besonderen sein. Wir müssen darüber hinaus klarmachen, daß wir niemanden aus diesem Europa herausdrängen wollen. Wir müssen klarmachen, daß wir auch — nicht nur, aber auch — aus Dankbarkeit den anderen helfen wollen. Das ist nicht nur eine moralische, eine ethische Pflicht, sondern es ist zugleich etwas, was zutiefst in unserem deutschen Interesse liegt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Wiefelspütz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal Herrn Kollegen Lamers dafür danken, daß er als einziger Redner der Koalition das Selbstverständliche getan hat, nämlich die Regierung dafür zu kritisieren, daß sie uns als Parlamentarier — da sollten wir alle zusammenhalten — 15 Monate lang auf die Antwort auf eine Große Anfrage warten läßt. Es ist völlig in Ordnung, wenn der eine oder andere Redner unsere Fragestellungen da und dort kritisiert. Aber wir als Parlamentarier sollten es über die Fraktionsgrenzen hinweg einer Regierung nicht durchgehen lassen, daß sie uns 15 Monate lang unter Angabe fadenscheiniger Begründungen auf eine Antwort warten läßt.
Deshalb herzlichen Dank für die Courage, Herr Lamers, dies anzusprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir die Große Anfrage „Gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis" erarbeiteten, war dies das parlamentarische Ergebnis sich verstärkender Diskussionen über die rechtlichen Grundlagen der in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des westlichen Bündnisses stationierten Truppen. Eine solche Diskussion haben wir in den 60er und 70er Jahren nicht gehabt, obwohl man sie auch damals hätte führen können. Wir haben in den letzten Jahren eine sich verstärkende Diskussion auch im fachwissenschaftlichen Bereich. Wer Jurist ist und sich für solche Fragestellungen interessiert, weiß das.
Immer besorgter und immer häufiger fragen Bürgerinnen und Bürger nach den Befugnissen der befreundeten Truppen in unserem Land. Was dürfen amerikanische, französische oder britische Soldaten auf bundesdeutschem Boden oder im bundesdeutschen Luftraum? Ist das alles erlaubt, was meine Kollegen de With und Gerster in einer keineswegs vollständigen Reihung von konfliktträchtigen Verhaltensweisen unserer Verbündeten darstellten?
Herr Irmer, ich nehme es Ihnen wirklich übel, daß Sie uns bei diesen Fragestellungen mit Republikanern in eine Ecke stellen. Ich finde das wirklich ehrenrührig.
Wir haben Anhörungen durchgeführt. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet. Dort haben wir zum Glück keine Tieffluggebiete. Wir haben Anhörungen mit Kommunalpolitikern und mit Bürgerinitiativen aus Rheinland-Pfalz und aus anderen Regionen unseres Landes durchgeführt. Diese Menschen mit Republikanern, mit Nationalisten oder ähnlichen Kräften in Zusammenhang zu bringen ist wirklich unsauber und unehrlich, finde ich. Sie sollten wirklich überdenken, ob solche Behauptungen aufgestellt werden können.
Als wir unsere Große Anfrage in den Bundestag einbrachten, war uns — das ist zuzugeben — nicht bewußt, daß einige Monate später durch eine Revolution der Prozeß der Einigung Deutschlands in Gang gesetzt werden würde. Unsere Große Anfrage, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich deshalb jedoch nicht erledigt. Auf seinerzeit allerdings nicht zu erwartende Weise tritt noch nachdrücklicher zutage, wie unerträglich unklar aus der Sicht von heute und wie zum Teil unerträglich einseitig zu unseren Lasten die rechtlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren westlichen Verbündeten bis heute gestaltet sind. Diese Beziehungen sind nicht immer von gleichberechtigter Partnerschaft geprägt. Nicht selten prägt sogar vorauseilender Gehorsam — Herr Kollege Gerster hat das hier angesprochen — die Verhaltensweise bundesdeutscher Stellen gegenüber unseren Verbündeten. Das selbstverständliche Beharren auf im Einzelfall eindeutigen Rechtspositionen wird in der Bundesrepublik Deutschland gelegentlich als fehlende Bündnistreue denunziert. Auch heute ist dieser Versuch gelegentlich gemacht worden.
Mit dem Deutschland-Vertrag von 1955 ist das Besatzungsregime beendet worden. Gleichwohl gibt es eine Reihe von alliierten Vorbehalten und Mitspracherechten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes, vor allem das Recht zur Stationierung von Streitkräften in Deutschland. Bis heute ist noch nicht eindeutig klar, welche von diesen alliierten Rechten fortgelten, welche inzwischen aufgehoben sind und welche von der Bundesrepublik mit oder ohne Zustimmung der Westmächte aufgehoben werden könnten. Daneben haben sich in einigen Bereichen Übungen zwischen den Beteiligten herausgebildet, die von den vertraglichen Abmachungen abweichen.
Herr Kollege Schäfer, mit Hinweis auf große Zeiten, in denen wir zur Zeit leben, mit Hinweis auf wichtige Entwicklungen kann man wichtige Fragestellungen doch nicht einfach abzubürsten versuchen. Das ist so
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16819
Wiefelspütz
einfach nicht in Ordnung. Wir sind der Meinung: eine gleichberechtigte Partnerschaft im Bündnis verträgt sich nicht mit solchen Unklarheiten. Deshalb ist es hoch an der Zeit, Mißverständnisse zu klären und die Beanstandungen der Bürger ernst zu nehmen und die Ursachen dieser Beanstandungen auszuräumen.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer zuzulassen?
Gerne, aber ich möchte diesen Gedanken erst noch zu Ende führen. — Es muß feststehen, welche Rechte und Pflichten unsere Verbündeten und wir im einzelnen haben. Regelungen und Praktiken, die nicht dem Prinzip der gleichberechtigten Partnerschaft entsprechen, müssen geändert bzw. aufgehoben werden. — Bitte schön, Herr Minister.
Herr Kollege, ich darf in aller Freundlichkeit die Frage an Sie richten, ob Ihnen inzwischen nicht einleuchtet, daß zwischen den von Ihnen gerade zu Recht genannten entscheidenden Veränderungen, die wir zur Zeit erleben und bei denen es darauf ankommt, mit unseren drei Alliierten eine Formel zu finden, die die Einheit Deutschlands ermöglicht, und Ihrer Anfrage, nach der Sie sich mit den Alliierten über eine ganze Reihe sicher wichtiger Fragen auseinandersetzen wollen, ein Zusammenhang besteht, und ob es nicht vielleicht doch eine Priorität gibt, die es als sinnvoll erscheinen läßt, Fortschritte in Europa sozusagen vor Ihre Anfrage und vor die Einzelheiten Ihrer Anfrage zu setzen? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese Frage beantworten könnten.
Gerne, Herr Staatsminister. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist uns ja seinerzeit signalisiert worden, die Antwort auf die Große Anfrage werde bis zum Herbst des vergangenen Jahres, also vor dem 9. November vorliegen. Ich will da nicht nachhaken, aber im Grunde haben Sie damals schon nicht ganz Wort gehalten. Nun hat es zu Ihrer Freude, zu meiner Freude und zur Freude vieler anderer Menschen den 9. November 1989 gegeben, und insofern kommen Sie jetzt mit nachgeschobenen Begründungen. Sie hätten ja auch durchaus differenziert antworten können. Diese Möglichkeit hätte ja bestanden. Es wäre doch interessant gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Auf diese und jene Frage können wir jetzt schon eine Antwort geben; was andere Fragen angeht, würde ich Sie bitten, doch einmal abzuwarten, was jetzt bei den Zwei-plus-Vier-Gesprächen und bei anderen Gesprächen vonstatten geht. —
All dies ist nicht geschehen. Statt dessen wurde einfach nur die lapidare Antwort gegeben: Zur Zeit laufen große historische Prozesse ab, und Sie als Parlamentarier haben sich gefälligst darauf zu verstehen, die Regierung dabei nicht zu stören. Das ist nicht in Ordnung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Wiefelspütz, Sie müssen noch am Rednerpult bleiben, wenn Sie die Frage der Abgeordneten Weyel beantworten wollen.
Bitte schön.
Herr Kollege, halten Sie es für möglich, daß der Herr Staatsminister Schäfer die ganze Entwicklung schon vor 15 Monaten vorausgesehen hat?
Frau Abgeordnete Weyel, erstens hat Herr Schäfer soeben nicht in seiner Funktion als Staatsminister, sondern als Abgeordneter gefragt. Zweitens wissen Sie als Parlamentarische Geschäftsführerin, daß Dreiecksfragen nach der Geschäftsordnung nicht zulässig sind. Trotzdem stelle ich es Ihnen frei, auf diese Frage zu antworten.
Ich sehe mich nicht imstande, diese Frage zu beantworten. Aber der Herr Staatsminister wird gleich noch die Gelegenheit haben, darauf zu antworten.
Schönen Dank.
Auf Wunsch der SPDFraktion wird dem Haus in Übereinstimmung mit den übrigen Fraktionen der Vorschlag unterbreitet, über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7292 jetzt nicht abstimmen zu lassen, sondern ihn an den Rechtsausschuß zur federführenden Beratung und an den Auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann werden wir so verfahren.Nunmehr habe ich eine amtliche Mitteilung zu verlesen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften zu erweitern. Gleichzeitig soll von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Der Zusatzpunkt soll nach Tagesordnungspunkt 18 aufgerufen werden; eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Ich muß die Zustimmung des Hauses dafür einholen. Ist das der Fall? — Dann ist das so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Fragestunde— Drucksache 11/7228 —Zunächst kann ich Ihnen mitteilen, daß der Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nicht aufgerufen zu werden braucht, weil die Abgeordnete Frau Blunck um schriftliche Beantwortung der von ihr eingereichten Fragen 25 und 26 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Hier steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Diller auf:
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16820 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsident CronenbergIst die Bundesregierung bereit, für den sofortigen Ausbau der Teilstrecke Autobahndreieck Mehren—Anschlußstelle B 257 der Autobahn A 1 im Haushaltsplanentwurf für 1991 Mittel einzustellen, nachdem für dieses wichtige Teilstück nun ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluß vorliegt?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Diller, für den Bau des Autobahnabschnitts der A 1 vom Autobahndreieck bei Mehren bis zur Anschlußstelle B 257 bei Dar-scheid werden im Entwurf des Straßenbauplans 1991 Finanzmittel bereitgestellt.
Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich möchte zunächst gern die Antwort auf meine zweite Frage hören. Die beiden Fragen stehen in einem Sachzusammenhang.
Ich bin damit einverstanden und lasse Ihnen die weiteren zwei Zusatzfragen. Ich rufe also auch die Frage 28 des Abgeordneten Diller auf:
Wie hoch werden ggf. diese Mittel für 1991 und für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung sein, und wann wird schätzungsweise mit einer endgültigen Fertigstellung dieses wichtigen Teilstückes als vierspurige Autobahn zu rechnen sein?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Entwurf des Straßenbauplans 1991 werden für den Bau der A 1 vom Autobahndreieck bei Mehren bis zur Anschlußstelle B 257 bei Darscheid 2,5 Millionen DM eingeplant. Darüber hinaus sollen schon im Haushaltsjahr 1990 für diesen Bauabschnitt 0,4 Millionen DM ausgegeben werden.
Das derzeitige Bauprogramm sieht im Zeitraum 1990 bis 1994 Ausgaben von insgesamt 34,4 Millionen DM vor. Mit der Fertigstellung des genannten Autobahnabschnitts wird 1994 gerechnet.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wird eine einbahnige oder eine zweibahnige Lösung vorgesehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Eine zweibahnige, Herr Kollege.
Bis 1994?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: So ist es geplant.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Schreiner auf:
Treffen Meldungen der „Saarbrücker Zeitung" vom 12. Mai 1990 zu, wonach unter Berufung auf eine Darstellung des Bundesamtes für Flugsicherung die Beinahe-Kollision einer zwischen Berlin und Saarbrücken pendelnden Dan-Air-Linienmaschine mit zwei US-Jagdflugzeugen am 10. Mai 1990 im Luftraum über Ramstein sich „täglich wiederholen" könne, und welche Schlußfolgerungen zieht gegebenenfalls die Bundesregierung daraus?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, die Untersuchung des Vorfalls am 10. Mai 1990 ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb können Einzelheiten zu den Ursachen noch nicht genannt werden. Der Bundesminister der Verteidigung hat dem Verteidigungsausschuß einen ausführlichen Bericht nach Abschluß der Untersuchungen zugesagt. Der Bundesminister der Verteidigung wird auch untersuchen, inwieweit bei militärischen Flügen nach Sichtflugregeln die Befolgung der Luftverkehrsregeln durch Radar noch unterstützt werden kann.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, kann ich die Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung bereit ist, durch fortgesetztes Nichtstun — zunächst bis zum heutigen Zeitpunkt, aber auch weiterhin — das Leben von Besatzungsmitgliedern und Passagieren auf der Strecke Berlin—Saarbrücken und zurück zu gefährden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß diese Wertung in Ihrer Frage nicht angebracht ist. Der Vorfall wird konkret untersucht. Im übrigen gibt es eine saubere Statistik über die Entwicklung der sogenannten Beinahe-Zusammenstöße. Danach hat sich die Zahl der gefährlichen Begegnungen nach unten entwickelt. Wir waren 1976 noch bei 216 solcher Vorfälle, im letzten Jahr bei 53. Dies ist darauf zurückzuführen, daß eine erhebliche Aufklärung aller Beteiligten vorgenommen wurde.
Im übrigen gilt seit dem 1. Mai 1990, d. h. vor dem von Ihnen erwähnten Vorfall, die Regelung, daß ein Transponder einzuschalten ist bei Sichtflügen oberhalb von 5 000 Fuß — das sind ungefähr 1 500 Meter.
Das kostet auch zusätzliches Geld. Ich glaube, es geht nicht nur um die Aufklärung, sondern auch um konkrete Investitionen. Deswegen kann ich die Wertung in Ihrer Frage nicht nachvollziehen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ich kann die Antwort nicht nachvollziehen. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Herr Abgeordneter, das ist Ihr Problem, aber nicht das des Präsidenten. Sie haben jetzt Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, daß die Militärmaschinen in diesem Luftraum Sichtflüge durchführen dürfen und dies einer der Gründe für die Beinahe-Zusammenstöße ist: Aus welchen Gründen soll es nicht möglich sein, unverzüglich für die Zeit am Tag, zu der die Zivilmaschinen zwischen Saarbrücken und Berlin pendeln, den Luftraum für Militärmaschinen zu sperren?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sagte bereits, daß versucht wird, die Sicherheit im Luftraum durch Radar zu verstärken. Darüber hinaus muß ich aber darauf hinweisen, daß der Dan-Air-Pilot von Fluglotsen auf die beiden militärischen Flugzeuge
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16821
Parl. Staatssekretär Dr. Schulteaufmerksam gemacht worden ist. Das entspricht unseren bisherigen Erkenntnissen. Insofern konnte er entspechend reagieren.
Alles übrige muß die weitere Untersuchung ergeben. Etwa bis Ende Juni wird das Ergebnis vorliegen.
Herr Präsident, habe ich noch eine Zusatzfrage?
Nein. Der Abgeordnete Wüppesahl hat sich aber noch gemeldet.
Herr Staatssekretär, können Sie uns die Zahl der Flugbewegungen ziviler Maschinen auf der von dem Kollegen Schreiner genannten Strecke angeben oder zumindest beschaffen, wenn Sie das jetzt nicht aus dem Stand beantworten können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich werde Ihnen dies gern beschaffen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Weng hat gebeten, die Fragen 30 und 31 schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär Dr. Schulte, ich bedanke mich bei Ihnen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Uns steht der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl zur Verfügung. Zunächst rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Wüppesahl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es für die Umgebungsüberwachung atomtechnischer Anlagen, insofern dieser Bereich den des außerbetrieblichen Überwachungsbereiches räumlich überschreitet, in der seit 1986 international gültigen Einheit „Sievert" für die Aquivalentdosis keine Grenzwerte gibt und somit die in Sievert ausgedrückten Meßergebnisse der Kernreaktor-Fernüberwachung keine Aussagen über die Gefährdung der im weiteren Umkreis atomtechnischer Anlagen sich ständig aufhaltenden Menschen machen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von Ihnen, Herr Wüppesahl, angesprochenen Dosisgrenzwerte sind in § 45 der Strahlenschutzverordnung in der Einheit „Sievert" bzw. „Millisievert" festgelegt. Die Einhaltung dieser Grenzwerte erfordert eine Begrenzung der Ableitung radioaktiver Stoffe mit Luft oder Wasser, bezogen auf die Aktivität in der Einheit „Becquerel". Entsprechend dieser Begrenzung wird bei der Emissions- und Umgebungsüberwachung einschließlich der Kernreaktor-Fernüberwachung vorrangig die im Meßmedium vorliegende Aktivität in der Einheit „Becquerel" gemessen.
Im übrigen darf ich auf die in der gleichen Angelegenheit gegebene Antwort meines Kollegen Grüner vom 17. April verweisen.
Herr Wüppesahl, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Damit ist das Problem noch nicht gelöst, Herr Staatssekretär. Deswegen die erste Zusatzfrage: Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, die räumliche Ausdehnung des außerbetrieblichen Überwachungsbereichs atomtechnischer Anlagen exakt zu definieren, und welchen Niederschlag finden diese Bestrebungen bei den für die Überwachung atomtechnischer Anlagen zuständigen Behörden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der außerbetriebliche Überwachungsbereich ist in der Regel mit dem Betriebszaun der Anlage deutlich sichtbar abgegrenzt. Er wird in der Einzelgenehmigung dargestellt und somit erkennbar für Betreiber und Umgebung festgehalten.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, zu einem anderen Problem dieses Feldes.
Aber im Zusammenhang mit Ihrer Grundfrage?
Selbstverständlich, Herr Präsident, wie eben auch. — Erwägt die Bundesregierung die statistische Erfassung von im Umkreis von atomtechnischen Anlagen auftretenden Leukämieerkrankungen sowie weiterer Erkrankungen, deren Auftreten im Verdacht steht, durch eine Strahlenexposition verursacht zu sein? Ihnen ist sicherlich der Zusammenhang erklärlich. Denn durch die Festsetzung der Grenzwerte ist die Frage zu klären, ob z. B. Leukämieerkrankungen durch atomtechnische Anlagen verursacht werden. Wie bewertet die Bundesregierung das gehäufte Auftreten von Leukämiefällen in der Umgebung der Atomkraftwerke Würgassen, Stade und jetzt auch Krümmel, wobei angemerkt sei, daß das Kreisgesundheitsamt Ratzeburg jetzt das erste Mal in der Bundesrepublik Untersuchungen über den möglichen Zusammenhang zwischen Leukämiefällen und dem Betrieb des AKW Krümmel vorgenommen hat?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Derartigen Meldungen geht die Bundesregierung nach. Eine generelle Statistik ist bis jetzt nicht erstellt.
Erwägen Sie das? Das war die Fragestellung.
Das war die dritte Zusatzfrage. Ich bin aber sicher, Herr Staatssekretär, daß Sie bereit sind, das dem Abgeordneten Wüppesahl noch mitzuteilen.
Die Fragestellung war, ob die Bundesregierung das erwägt.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Eine generelle Statistik über das ganze Bundesgebiet hinweg ist derzeit nicht vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Knabe, bitte sehr.
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16822 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Ich erlaube mir die Zusatzfrage, Herr Staatssekretär, in welcher Weise die unterschiedlichen Anreicherungen in Pflanzen der Umgebung von kerntechnischen Anlagen bei den Überwachungsverfahren berücksichtigt werden. Es liegen ja von Pflanzenart zu Pflanzenart wegen unterschiedlicher Oberflächen der Pflanzen und unterschiedlicher Anzahl der Spaltöffnungen und ähnlichem unterschiedliche Anreicherungen vor.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Knabe, Sie wissen, daß Umgebungsmessungen zum einen vom Betreiber durchgeführt werden. Ihm ist auferlegt, bei Pflanzen, im Boden und im Wasser solche Messungen durchzuführen. Von der genehmigenden Behörde wird zum anderen ein Sachverständigengremium, das auch ein Landesamt für Umweltschutz oder der Technische Überwachungsverein sein kann, beauftragt, Lebensmittel, die aus diesem Gebiet stammen, zu messen. Die Meßergebnisse werden in Becquerel angegeben.
Nun kann ich die Frage 33 der Abgeordneten Frau Kastner aufrufen:
Darf die in Anlagen, in denen künftig Abfälle mitverbrannt werden, entstehende Flugasche ungetrennt auf einfachen Deponien entsorgt werden, obwohl für die Flugasche von reinen Müllverbrennungsanlagen nach der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung eine getrennte Ablagerung in speziellen Anlagen gefordert wird, weil gerade die Flugasche besonders mit Schadstoffen versetzt ist?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung enthält keine Anforderungen über die Ablagerung von Flugaschen in speziellen Anlagen oder auf Deponien. Derartige Anforderungen ergeben sich weiterhin allein aus dem Abfallrecht.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Kastner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir sagen, wie viele dieser Anlagen, in denen zukünftig Abfälle mitverbrannt werden, heute schon Flugasche und Schlacke getrennt auf Sondermülldeponien entsorgen müssen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie viele derartige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher bekannt, daß die Krankheitssymptome bei Kindern gerade im Bereich von Müllverbrennungsanlagen zunehmen: Hält die Bundesregierung auch im Hinblick darauf den obligatorischen Einsatz sogenannter Aktivkoksfilteranlagen als Stand der Technik in allen Anlagen, in denen die Abfälle mitverbrannt werden sollen, für geboten?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß an die Anlagen, in denen Abfälle mitverbrannt werden, höchste Anforderungen nach der schon zitierten Verordnung gestellt werden. Wir gehen davon aus, daß die Industrie in der Lage ist, diesen Anforderungen technisch nachzukommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Brauer.
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie hoch in diesen Anlagen die Belastungen der Produkte sind, z. B. des hergestellten Zements, des Gipses, der Ziegelsteine? Denn in diesen Anlagen können ja jetzt Abfälle mitverbrannt werden, und in den Verbrennungsprodukten sind die Gifte, die auch in die hergestellten Produkte übergehen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß Belastungen der Produkte durch diese Mitverbrennung von Abfällen nicht zustande kommen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, können das Parlament und in diesem Fall speziell die Mitglieder des Umweltausschusses davon ausgehen, daß ihnen diese Werte zugänglich gemacht werden, die Sie erheben, wenn die entsprechenden Genehmigungen erteilt sind, d. h. Werte über den mengenmäßigen Anteil der Flugasche, über die Schadstoffhaltigkeit der Flugasche und über die Deponierung?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie wissen, daß diese Werte von den Ländern einzuholen sind. Wenn uns die Länder diese Werte überlassen, sind wir gerne bereit, sie dem Umweltausschuß zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, Sie haben zweimal die Formulierung verwandt „Die Bundesregierung geht davon aus" und beruhigende Erklärungen daran angefügt. Auf Grund welcher Umstände geht die Bundesregierung denn davon aus, daß die beruhigenden Erklärungen, die Sie angefügt haben, tatsächlich berechtigt sind?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Wir gehen davon aus, daß sich die wesentliche Verschärfung, die wir in der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung für die Grenzwerte in den Abgasen vorgenommen haben, positiv auf die gesamte Umgebung einschließlich der betroffenen Produkte auswirken wird.
Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Kastner auf:Werden Anlagen, in denen künftig Abfälle mitverbrannt werden, auf die Einrichtung und den ständigen Betrieb von Meßund Überwachungsanlagen verpflichtet werden entsprechend den Regelungen für reine Müllverbrennungsanlagen nach der 17. BImSchV?Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet: Ja. Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16823
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, wie viele Anlagen, in denen zukünftig Abfälle mitverbrannt werden, schon heute entsprechende Meß- und Überwachungsanlagen vorweisen müssen? Wenn Sie den genauen Bestand nicht parat haben, weil noch keine Genehmigung vorliegt, dann bitte ich Sie, uns das zu gegebener Zeit zuzuleiten. Verweisen Sie uns aber nicht auf die Länder.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, einen Erfahrungsbericht der Länder über die Auswirkungen der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung zu erbitten. Diesen Erfahrungsbericht stellen wir gerne zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brauer.
Mich würde ganz einfach interessieren, wo Sie bei diesen Verbrennungsanlagen die kontinuierlich aufzeichnenden Meßgeräte einbauen wollen; denn eigentlich müßten Sie zwischen dem Abgasstrom, der aus dem Anteil des Mülls kommt, und dem Abgasstrom, der aus dem normalen Brennstoff kommt, trennen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das überlassen wir der Einzelfallgenehmigung und dem jeweiligen Bescheid der Behörde.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, ist die Einrichtung entsprechender Meßanlagen wenigstens Voraussetzung dafür, daß Genehmigungen zur Abfallmitverbrennung überhaupt erteilt werden können?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ja.
Das würde bedeuten, daß für all die Anlagen, die über solche Meßeinrichtungen nicht verfügen, überhaupt kein Genehmigungsantrag gestellt werden kann. Verstehe ich das richtig?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe vorhin schon erwähnt, daß derartige Anlagen, die nach der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung eine Genehmigung erhalten, entsprechende Meßeinrichtungen haben müssen.
Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf:
Handelt es sich bei der Ermittlung der erlaubten Emissionsgrenzwerte bei der Mitverbrennung von Abfall in einer bestehenden Anlage nach der 3. Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes um einen rein rechnerisch ermittelten Wert, und wird dieser Wert regelmäßig neu festgesetzt, wenn sich das zu verbrennende Gut in Umfang und Zusammensetzung verändert?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Mitverbrennung von Abfällen in genehmigungsbedürftigen Anlagen setzt voraus, daß eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegt. In dieser Genehmigung werden sowohl die Menge als auch die Art der Einsatzstoffe zusammen mit den sich daraus errechneten Emissionsbegrenzungen festgelegt. Soweit hiervon wesentlich abgewichen werden soll, ist eine Änderungsgenehmigung erforderlich.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Frage lautete, ob die Werte, die künftig als Abgasgrenzwerte zulässig sind, nur rein rechnerisch ermittelt werden oder ob sie gemessen werden müssen. Darauf haben Sie nicht geantwortet.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Sie haben gefragt, ob dieser Wert rechnerisch ermittelt wird und ob der Wert regelmäßig neu festgesetzt wird, wenn sich das zu verbrennende Gut in Umfang und Zusammensetzung verändert.
Diese Frage ist beantwortet.
Wir dürfen Ihre Zusatzfrage jetzt so verstehen, daß Sie auch das andere beantwortet wissen wollen?
Die Frage ist im Grunde nicht beantwortet.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe geantwortet, daß die Emissionsbegrenzungen errechnet werden und daß dann, wenn hiervon wesentlich abgewichen werden soll, eine Änderungsgenehmigung mit neu errechneten Werten erforderlich ist.
— Ja, natürlich.
Darf ich Sie dann gleich fragen, wie sich das an einem Beispiel auswirken würde, zum Beispiel bei einer Feuerungsanlage, die künftig Abfälle bzw. getrockneten Klärschlamm mitverbrennt? Wie sieht es dann aus? Muß in diesem Fall beispielsweise beim Dioxin, das in diesem Klärschlamm unter Umständen in hohen Konzentrationen enthalten ist, der Grenzwert der 17. BImSchV von 0,1 ng/m3 oder muß, wenn ein Klärschlammanteil von 25 % verbrannt wird, dann ein Grenzwert von 0,025 ng/m3 eingehalten werden?Gröbl, Parl. Staatssekretär: In dieser Frage sind zwei Fragen enthalten. Erstens. Sie müssen sich das Errechnen dieser Grenzwerte so vorstellen, daß man zunächst von zwei getrennten Anlagen ausgeht: eine Anlage, in der Abfall verbrannt wird, und eine Anlage, in der meinetwegen Kohle oder irgend etwas anderes verbrannt wird. Die daraus errechneten Werte werden zusammengenommen, und daraus wird ein gemeinsamer Wert für diese Anlage nach der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung errechnet.Zur zweiten Frage: Wie verhält sich das mit dem Dioxin? Unabhängig von den 25 % gilt der strenge
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16824 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Parl. Staatssekretär GröblDioxin-Grenzwert der 17. BImSchV. Sie haben danach gefragt, ob Ihre Rechnung richtig ist, daß bei einem Anteil von 25 % Klärschlamm ein Grenzwert von 0,025 ng/m3 errechnet wird. Diese Rechnung stimmt.
Jetzt hat Abgeordneter Brauer eine Zusatzfrage zur Frage 35.
Ist es richtig, daß Sie immer sicher sagen können, was für ein Müll mit welchen entstehenden Giften dort verfeuert wird? Denn in der Praxis ist es doch so, daß sowohl die Menge als auch der Schadstoffgehalt des Mülls ständig schwanken.
Gröbl. Parl. Staatssekretär: Deshalb wird nicht generell eine Einzelfallgenehmigung für das Mitverbrennen von Abfall erteilt, sondern der Abfall wird nach Stoffen spezifiziert. Danach wird die Einzelfallgenehmigung erstellt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß wir weltweit den schärfsten Grenzwert haben, was Dioxin anbelangt? Stimmen Sie mit mir überein, daß es, um Grenzwerte zu überprüfen und einzuhalten, nicht möglich ist, Teilströme zu messen, sondern selbstverständlich die gesamten Abluftströme gemessen werden, und die Grenzwerte natürlich in diesen Abluftströmen einzuhalten sind?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: So ist es, Herr Kollege. Nicht nur bei Dioxin haben wir weltweit mit die strengsten Grenzwerte, sondern auch bei den anderen in der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung aufgeführten Werten.
Ich rufe Frage 36 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf:
Welchen tatsächlichen Gewichts- und Volumenanteil kann der Anteil des Abfalls bei Mitverbrennung in bestehenden Anlagen ausmachen, welcher 25 O. der Gesamtfeuerungswärmeleistung der Anlage entspricht?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der tatsächliche Gewichts- und Volumenanteil der Abfälle bei der Mitverbrennung von Abfällen in bestehenden Anlagen ist sowohl vom Heizwert als auch vom spezifischen Gewicht der Abfälle und der eingesetzten regulären Brennstoffe abhängig.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich eine schriftliche Antwort bekommen habe, die ausschließlich darauf abhebt, daß die 25 % Anteil an der Feuerungswärmeleistung gemessen werden, möchte ich Sie fragen, ob denn nicht anzunehmen ist, daß die Betriebe, die künftig Abfälle verbrennen wollen, in jedem Fall versuchen werden, die 25%-Grenze bei der Feuerungswärmeleistung nicht zu unterschreiten, damit sie bei den Emissionsgrenzwerten nämlich die günstigeren Werte der TA Luft in Anspruch nehmen können und nicht den schärferen Werten der 17. BImSchV unterworfen werden.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die strengeren Werte gelten auf jeden Fall, Frau Kollegin. Bei einem Anteil von bis zu 25 % werden sie anteilig errechnet. Bei einem Anteil des Abfalls von über 25 % an der Gesamtfeuerungswärmeleistung gelten grundsätzlich die strengeren Werte.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Darf ich Ihnen die Antwort Ihres Kollegen Herrn Staatssekretär Grüner zusenden, da ich hier einen deutlichen Widerspruch entdecke?
Die eigentliche Sachfrage ist: Welche Kontrollmöglichkeiten stellt sich eigentlich die Bundesregierung vor, wenn sie die gesamte komplizierte Regelung überwachen will? Sagen Sie mir jetzt bitte nicht — das wissen wir alle in diesem Hause — , daß die Länder diese Aufgabe übernehmen. Aber wenn solche Regelungen getroffen werden, müssen ja auch Vorstellungen von seiten der Bundesregierung da sein. Erstens. Ist dies kontrollierbar? Zweitens. Welcher Überwachungsaufwand — personell und sachlich — könnte damit verbunden sein?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Zugegebenermaßen: Es ist durchaus nicht ganz einfach, darzustellen, wie die Werte errechnet werden, wie sich das alles vollzieht. Aber wir haben nicht generell festgehalten, daß Abfall zum Mitverbrennen genehmigt wird, sondern wir haben festgelegt, daß die jeweiligen Abfallstoffe darzustellen sind, für die sich dann die Grenzwerte errechnen lassen.
Die Kontrolle ist deshalb leichter, weil es sich eben nicht um das Sammelsurium eines Hausmülls oder eines Gewerbemülls handelt, sondern um ganz speziell dargestellte Abfallstoffe, z. B. um Klärschlamm. Es ist ja kontrollierbar, Frau Kollegin, ob Klärschlamm verbrannt wird oder nicht. Ob die Grenzwerte eingehalten werden oder nicht, ist ebenfalls kontrollierbar.
Trotz der Schwierigkeit der Materie möchte ich bemerken, daß es bei der letzten Frage sehr schwer erkennbar war, ob der Sachzusammenhang zu der ursprünglichen Frage hergestellt war.
Herr Abgeordneter Brauer, Sie können nun Ihre Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, handelt es sich nach Ihrer Meinung überhaupt noch um eine Anlage, die überwiegend einem anderen Zwecke als der Müllverbrennung dient, wenn z. B. der Heizwert des Mülls nahe null ist, man dadurch praktisch 85 bis 90 % Gewichts- oder Volumenanteile an Müll verfeuern kann und die restlichen 10 % der Brennstoff sind, der eigentlich nur noch dazu dient, den Müll zu verbrennen? Handelt es sich Ihrer Meinung nach dann
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Brauerwirklich noch um eine Anlage, die nicht der Müllverbrennung, sondern einem anderen Zwecke dient?Gröbl, Parl. Staatssekretär: In dem von Ihnen geschilderten Fall werden die 10 % oder 15 % des notwendigen Feuerungsmaterials rechnerisch dem Abfall zugeschlagen und deshalb ebenfalls den strengeren Werten unterworfen.
Das liegt voll in der Kompetenz des Staatssekretärs. Um mit Verlaub zu sagen: Sie überfordern gelegentlich auch die zu Befragenden. Ich muß das mit aller Deutlichkeit feststellen. Es ist Ihr gutes Recht, und ich werde das nicht einschränken. Aber es ist auch ein Akt der Fairneß, denjenigen, der zu antworten hat, nicht zu überfordern.
Herr Abgeordneter Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, ich würde Sie im Hinblick auf die Fragen, die jetzt gestellt wurden, bitten, zu sagen, ob Sie mit mir übereinstimmen, daß es bezüglich der schwierigen Materie der 17. BImSchV und der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht günstiger wäre, wenn der Umweltminister Nordrhein-Westfalens, da er einer der maßgeblichen Initiatoren war, im Ausschuß eine entsprechende Beurteilung des Vollzugs der 17. BImSchV darlegen würde?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das ist sicherlich ein sehr guter Vorschlag. Ich bin nur der Auffassung, daß man dem Kollegen Matthiesen eine gewisse Zeit einräumen muß, um Erfahrungen im Umgang mit der 17. BImSchV zu machen.
Herr Abgeordneter Schmidbauer, ich zweifle nicht an der Sinnhaftigkeit Ihrer Anregung, soweit mir das zu sagen erlaubt ist. Aber der Sachzusammenhang dieser Frage zur ursprünglichen Frage war ebenso wenig gegeben, wie das vorhin der Fall war.
Die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Leidinger und die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Erler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 37 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des Gutachtens der noch vom Runden Tisch in der DDR eingesetzten unabhängigen Expertenkommission zur Sicherheit des Kernkraftwerkes Greifswald, und welche Konsequenzen will die Bundesregierung daraus ziehen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der im Auftrag des zentralen Runden Tisches in Berlin von einer Arbeitsgruppe erstellte Bericht „Beurteilung des Zustandes der Blöcke 1 bis 4 des Kernkraftwerkes ,Bruno Leuschner' bei Greifswald " ist am 14. Mai 1990 veröffentlicht worden. Der Bundesumweltminister hat am 17. Mai zu diesem Bericht kurz mündlich Stellung genommen. Mit Schreiben vom 18. Mai ist dem Bundestagsumweltausschuß eine ausführlichere Stellungnahme zugegangen.
Dort wurde ausgeführt, daß dieser Bericht zunächst von den zuständigen Stellen in der DDR zu prüfen und zu bewerten ist. Weder ist der Bundesumweltminister für die Situation des DDR-Kernkraftwerkes Greifswald zuständig, noch ist er für die Gewährleistung der Sicherheit di eses Kernkraftwerkes verantwortlich.
Die Bundesregierung beteiligt sich aber im Rahmen der gemeinsamen Kommissionen an einem Arbeitsprogramm der zuständigen Stellen in der DDR zur Sicherheitsuntersuchung des Kernkraftwerks Greifswald. Auf Grund dieser Arbeiten ist bereits im Februar 1990 ein erster Zwischenbericht veröffentlicht worden. Eine Folgerung war damals, die Blöcke 2 und 3 des Kernkraftwerks abzuschalten.
Eine weitere Stellungnahme des Bundesumweltministers zu Sicherheitsfragen des Kernkraftwerks Greifswald wird nach Vorlage des nächsten Berichts der Sachverständigengruppe beider Staaten abgegeben werden. Hierbei werden auch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe des Runden Tisches berücksichtigt werden. Die Veröffentlichung dieses zweiten Zwischenberichts ist in Kürze zu erwarten.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, treffen Rundfunkmeldungen von heute vormittag zu, daß Greifswald stillgelegt werden soll, und ist damit zu rechnen, daß der Bundesumweltminister dies im Laufe des heutigen Tages oder morgen bekanntgibt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Berichte aus Zeitung und Rundfunk weder bestätigen noch dementieren. Ich kann Ihnen aber gerne mitteilen, daß im Rahmen der Fortentwicklung der Umweltunion die beiden Umweltminister, Professor Töpfer und Professor Steinberg, morgen zusammentreffen, um wichtige Fragen der gemeinsamen Umweltpolitik zu besprechen. Ich schließe nicht aus, daß dabei auch die Fragen der kerntechnischen Sicherheit mit besprochen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Kübler.
Ich stimme, Herr Staatssekretär, mit Ihnen sicherlich darin überein, daß nicht der Bundesumweltminister formal für die Stillegung des Kernkraftwerkes bei Greifswald zuständig ist, weil es in der DDR liegt. Stimmen Sie mit mir aber nicht darin überein, daß der Bundesumweltminister der Bundesrepublik gleichwohl massiv Gesundheitsverantwortung für die Bevölkerung in der Bundesrepublik trägt und bei Unfällen in Greifswald natürlich die bundesdeutsche Bevölkerung mit betroffen wird, und würden Sie nicht deshalb sagen, daß er zumindest seine politischen Einflußmöglichkeiten geltend machen müßte und daß deshalb seine Äußerung in der Ausschußsitzung, dieses sei allein Sache der DDR und des DDRUmweltministers, wohl überholt ist?
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Gröbl, Parl. Staatssekretär: Gerade dieser Bundesumweltminister ist sich seiner Verantwortung sehr bewußt und ist ihr auch gerecht geworden. Er hat ja auch deshalb dieses Expertengremium beauftragt, um eine fachlich solide Überprüfung der kerntechnischen Sicherheit des Kernkraftwerks bei Greifswald zu erreichen. Das ist ein ganz wesentlicher Beitrag, um Entscheidungskriterien für den Umweltminister Professor Steinberg, aber auch für eine Beurteilung der Frage durch Professor Töpfer zu erreichen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Ich verkenne nicht, Herr Staatssekretär, daß es richtig war, daß der Bundesumweltminister dieses Gutachten veranlaßt hat. Aber hat der Bundesumweltminister die sich aus dieser Begutachtung ergebende besondere politische Verantwortung, die er ja zugestanden hat, auch noch anders wahrgenommen als dadurch, daß er im Innenausschuß erklärt hat, er sei formalrechtlich nicht zuständig?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, er wird morgen zusammen mit seinem Kollegen Steinberg und auch über das Ergebnis dieses Gutachtens intensiv beraten. Sicherlich werden beide Umweltminister über die daraus zu ziehenden Konsequenzen beraten.
Herr Staatssekretär Gröbl, ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Mühewaltung bedanken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Echternach zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 42 des Abgeordneten Müntefering auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Mieter von Sozialwohnungen bei einem Verkauf der Wohnungen an private Unternehmen „wohnungswirtschaftlicher Spekulation und Umwandlungswillkür" ausgesetzt werden ?
Herr Kollege Müntefering, die von Ihnen zitierte Äußerung betraf einen konkreten Fall, nämlich den Verkauf der Neuen Heimat Bayern mit 33 000 Wohnungen. Damit wurde deutlich gemacht, wie sehr das Verhalten der gewerkschaftseigenen Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG und ihrer Aufsichtsratsmitglieder zu dem wohnungspolitischen Leitbild der Sozialpflichtigkeit und Gemeinnützigkeit im Widerspruch steht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nun werden nicht nur Wohnungen von Gewerkschaften verkauft, sondern auch Wohnungen aus dem Bestand der öffentlichen Hand. Würden Sie solche Fälle der Privatisierung von Wohnungen aus dem Bestand des Bundes oder von Unternehmen, auf die der Bund Einfluß nehmen kann, auch zu den Fällen rechnen, in denen wohnungswirtschaftliche Spekulation und Umwandlungswillkür drohen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Was ist der Unterschied zwischen dem Verkauf der Wohnungen von seiten der Gewerkschaft und dem Verkauf der Wohnungen durch die Bundesregierung, die Sie dazu veranlaßt zu glauben, man könne dies so unterschiedlich qualifizieren?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich meinte, wir seien uns im Hause einig gewesen über die Qualifizierung des Vorgehens der Neuen Heimat. Es ging ja nicht um die Durchsetzung irgendwelcher vertretbarer gemeinwirtschaftlicher Ziele, sondern es ging um Spekulation. Es ging um die Ausnutzung der Marktenge. Deswegen kosteten die Wohnungen, die noch vor drei Jahren 320 Millionen DM kosten sollten, plötzlich 950 Millionen DM. Das ist nichts anderes als Spekulation und Ausnutzung der gegenwärtigen Situation auf dem Wohnungsmarkt.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Müntefering auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung in den letzten drei Jahren unternommen, um die wohnungswirtschaftliche Spekulation und Umwandlungswillkür mit Sozialmietwohnungen zu verhindern?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Bei Sozialmietwohnungen stellt sich das Problem wohnungswirtschaftlicher Spekulation und Umwandlungswillkür nicht. Übt der Mieter das ihm im Verkaufsfalle zustehende gesetzliche Vorkaufsrecht nicht aus, bleibt er nach dem Wohnungsbindungsgesetz innerhalb der Bindungsfristen gegen Eigenbedarfskündigung geschützt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat 1985/86 einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem sichergestellt werden sollte — das muß auch möglich sein — , daß beim Verkauf von Wohnungen an Spekulanten die Mieter in besonderer Weise gegen Umwandlungswillkür und gegen wohnungswirtschaftliche Spekulationen geschützt sein sollten. Weshalb hat die Regierung damals diese Initiative nicht unterstützt?Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, ich will jetzt nicht auf die Protokolle früherer Debatten hier im Hause verweisen. Ihnen können Sie die verschiedenen Argumente der Fraktionen und der Regierung selbst entnehmen. Ich möchte lediglich darauf verweisen, daß ausdrücklich auf Initiative der Bundesregierung und der Koalition jetzt beschlossen worden ist, die Schutzfrist in Umwandlungsfällen vor Eigenbedarfsklagen zu verlängern. Sie betrug bisher — auch in Ihrer Regierungszeit — drei Jahre und soll jetzt in Gebieten mit besonderem Wohnbedarf auf fünf Jahre verlängert werden.
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Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn die Regierung nicht bereit ist, die Vorschläge der Sozialdemokraten aufzunehmen, wird sie denn bereit sein, die Vorschläge der CSU aufzunehmen? Sie hat in den letzten Wochen von München aus ja sehr deutlich gemacht, daß das, was die Bundesregierung hier tut, völlig unzureichend ist, wenn es darum geht, Mieter gegen Spekulation und Willkür zu schützen.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müntefering, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn Sie die heute morgen schon einmal diskutierten Beschlüsse zur Überprüfung des Mietrechtes meinen: Hier geht es um die Auswirkungen der gegenwärtigen Mietpreisentwicklung. Sie selbst haben aber einen ganz anderen Gegenstand in die Fragestunde eingebracht. Was die Mietrechtdiskussion angeht, so hat Frau Ministerin Hasselfeldt heute morgen schon gesagt, daß darüber innerhalb der Koalition zur Zeit beraten wird.
Die Fragen 44 und 45 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Großmann, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf.
Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Michels, 48 und 49 des Abgeordneten Kroll-Schlüter sowie 79 und 80 des Abgeordneten Hornung werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich auch schon erledigt.
Dann kann ich jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen aufrufen. Hier steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Kalisch, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen somit zur Frage 52 des Abgeordneten Gansel:
Trifft es zu, daß die DDR verpflichtet ist, von der Sowjetunion eine größere Zahl modernster MIG-Düsenjäger zu kaufen, und daß die Sowjetunion hat erkennen lassen, daß sie auch von einem vereinigten Deutschland erwartet, daß es an dem Kaufvertrag festhält und insbesondere den Kaufpreis von mehreren Milliarden DM entrichtet?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, die Bundesregierung verfügt über keine zuverlässigen Informationen, die eine Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage erlauben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Da Sie gesagt haben, die Bundesregierung verfüge über „keine zuverlässigen Informationen", frage ich, ob die Bundesregierung überhaupt über Informationen des Inhalts verfügt, daß sich die DDR verpflichtet hat, von der Sowjetunion eine größere Anzahl modernster MIG-Jäger für mehrere Milliarden Mark zu kaufen, und daß es aus der Sowjetunion Signale gibt, daß man erwartet, daß entweder noch die DDR oder das vereinigte Deutschland diese Kaufverpflichtung einhält und von der Sowjetunion modernste MIG-Düsenjäger für mehrere Milliarden D-Mark bezieht.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, zunächst einmal ist es Sache der DDR-Regierung, über die Frage der Stornierung möglicher sowjetischer Waffenlieferungen an die DDR mit der sowjetischen Regierung zu sprechen.
Ich kann in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, Herr Dr. Wieczorek, am 11. Mai 1990 auf der Tagung des Verteidigungs- und Sicherheitskomitees der Nordatlantischen Versammlung in Paris gesagt hat — ich zitiere wörtlich — :
So bekundeten die sowjetischen Militärs Verständnis für unsere Wünsche, Waffenkäufe in Größenordnungen von über 2 Milliarden Mark zu stornieren, da wir diese Waffen sonst in den nächsten Jahren wieder vernichten müßten.
Ich glaube, daß aus dieser Antwort des zuständigen Staatssekretärs der DDR deutlich wird, daß mögliche Vereinbarungen zwischen der DDR und der Sowjetunion über Waffenlieferungen im Lichte der ganzen Entwicklung zwischen beiden Staaten besprochen werden und daß es im Interesse der DDR liegt, darauf hinzuwirken, daß solche denkbaren Verpflichtungen der Vorgänger-Regierung gegenüber der Sowjetunion nicht mehr zum Tragen kommen.
Bitte schön, Herr Gansel.
Da ja das vereinigte Deutschland und damit vor allen Dingen die Finanzkraft der Bundesrepublik zur Verfügung stehen müßte, um der Sowjetunion ihre MIG-Düsenjäger für mehrere Milliarden Mark abzunehmen, frage ich Sie, ob die Bundesregierung bereit ist, die folgende Alternative zu erwägen: Die erste Möglichkeit wäre, die MIG-Düsenjäger aus der Sowjetunion zu kaufen, um dadurch auf den Jäger '90 verzichten zu können, mit dem man ja den MIG-Düsenjäger bekämpfen will. Die zweite Möglichkeit wäre, die MIG-Düsenjäger zu kaufen und in der Bundeswehr zu nutzen, um dadurch auch auf den Jäger '90 verzichten zu können.
Also, es ergeben sich bei diesen Perspektiven ungeahnte Möglichkeiten für die Bundesregierung, ihre Rüstungsbeschaffungspolitik und Luftverteidigungspolitik den veränderten Bedingungen anzupassen. Sind Sie bereit, in diesem Rahmen Überlegungen anzustellen?
Herr Staatsminister, ich bitte Sie, das als eine Frage aufzufassen.
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16828 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Ihre sehr langen Ausführungen, die mehrere Alternativen und Fragen enthalten, darf ich dahin gehend beantworten, daß es — Sie haben das ja auch mit einem ironischen Unterton und einem Lächeln vorgetragen,
die den bitteren Ernst meiner Ansicht nach doch ausschließen — wohl doch ziemlich klar ist, daß in der Phase, in der wir uns befinden und in der die DDRRegierung natürlich zu prüfen hat, welche Lieferverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion seitens ihrer Vorgänger-Regierung eingegangen worden sind — und dabei bezieht sie auch dieses komplizierte Waffengeschäft mit ein — , die Zielsetzung sowohl der DDR-Regierung als auch selbstverständlich der Bundesregierung, die bleiben wird, nicht Maßnahmen zu unterstützen, die dem früheren Regime wohl noch sinnvoll erschienen sind, aber heute sicher nicht zu einer Stabilisierung der Lage in Europa beitragen würden. Im übrigen kann ich nur sagen, Herr Kollege: Wir erwägen keine Ihrer beiden Alternativen ernsthaft.
Herr Staatsminister, wir bedanken uns für Ihre Mühewaltung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger steht uns zur Verfügung.
Aus welchen Gründen verweigert das Bundesministerium des Innern die Zustimmung zur Einbürgerung des iranischen Staatsbürgers Herrn Mehdi Aschrafi Mahabadi?
Herr Abgeordneter, die Einbürgerung bedarf nach Nr. 2 des Schlußprotokolls zum deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929 der Zustimmung der iranischen Regierung. Diese Zustimmung wird in der Praxis durch die Entlassung erteilt. Diese Regelung ist innerstaatlich geltendes Recht und damit eine zwingende Einbürgerungsvoraussetzung.
Das Zustimmungserfordernis gilt nur für Ermessenseinbürgerungen. Einbürgerungsansprüche werden von dem Abkommen nicht erfaßt. Einen solchen Anspruch kann man ausnahmsweise auch bei einer Ermessenseinbürgerung nach § 9 Abs. 1 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, wie sie hier in Frage steht, aber erst nach einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null, annehmen. Voraussetzung dafür sind eine erhebliche Verfestigung des Inlandaufenthalts und das Scheitern nachhaltiger langfristiger Bemühungen um Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit.
Die erste Voraussetzung erfüllt der Einbürgerungsbewerber, die zweite nicht. Zwar hat er im Mai 1988 einen Entlassungsantrag für sich eingereicht, in den er seine Ehefrau und seine Kinder eingetragen hat. Die iranische Auslandsvertretung hat ihn darauf hingewiesen, daß eine Einbeziehung seiner Ehefrau und der Kinder nach iranischem Recht voraussetzt, zunächst die Ehe nach islamischem Ritus zu schließen und dann die Ehefrau und die Kinder registrieren zu lassen.
Daneben besteht aber die Möglichkeit, daß sich der Einbürgerungsbewerber entsprechend den nachrevolutionären iranischen Rechtsvorstellungen als unverheiratet bezeichnet und den Entlassungsantrag nur für sich stellt. Es sind zahlreiche gleichgelagerte Fälle bekannt, in denen es auf diese Weise zu einer Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit gekommen ist. Da der Einbürgerungsbewerber diesen Weg bisher nicht beschritten hat, konnte von einem Scheitern zumutbarer Entlassungsbemühungen nicht ausgegangen werden. Ein Einbürgerungsanspruch, der die Anwendung der Nr. 2 des Schlußprotokolls ausschlösse, ist damit noch nicht entstanden.
Der Einbürgerungsbewerber wurde inzwischen hierüber von der zuständigen Einbürgerungsbehörde, dem Innenminister des Saarlandes, informiert. Er wird voraussichtlich in diesen Tagen einen Antrag als Unverheirateter stellen. Sollte allerdings die Annahme des Entlassungsantrages verweigert werden, so wird der Bundesminister des Innern nach Ablauf einer angemessenen Frist, etwa sechs Monate, der Einbürgerung zustimmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, habe ich das richtig verstanden, daß die Bundesregierung für den Fall, daß sich der hier Angesprochene weigert, sich als unverheiratet zu bezeichnen, weil er vor etwa 25 Jahren vor einem deutschen Standesamt in Aachen nachweislich geheiratet hat, der Auffassung ist, er müsse gewissermaßen zu einer Lüge als Voraussetzung für die Einbürgerung hier in der Bundesrepublik gepreßt werden? Habe ich das so richtig verstanden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das haben Sie nicht richtig verstanden, weil Sie hier offensichtlich nicht die Unterschiedlichkeit der iranischen und der deutschen Rechtsauffassung zu diesem Problem zugrunde gelegt haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung bislang in vergleichbaren Fällen der Auffassung gewesen ist, daß einem iranischen Staatsbürger, der deutscher Staatsbürger werden will, sehr wohl zuzumuten ist, daß seine deutsche Ehefrau, mit einem Tschador verschleiert, bei den persischen Behörden zu erscheinen habe, mindestens aber ein Paßfoto mit dem Tschador abzuliefern habe, verstehe ich Ihre Antwort so, daß diese Rechtsauffassung inzwischen vom Bundesinnenministerium nicht mehr aufrechterhalten wird.Spranger, Parl. Staatssekretär: Auch diese Auffassung können Sie aus meinen Ausführungen nicht ableiten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16829
Das ist eine zulässige Interpretation.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Andres.
Herr Staatssekretär, kann man Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie auch anderen iranischen Staatsbürgern, die anstreben, aus der iranischen Staatsbürgerschaft entlassen zu werden, empfehlen, ihre wahren Familienverhältnisse, die sie nach deutschem Recht haben, zu leugnen, oder verfahren Sie in solchen Fällen dahin gehend, daß die Bundesregierung möglicherweise beabsichtigt, das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen aus dem Jahre 1929 zu kündigen oder durch Verhandlungen zu verändern?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung empfiehlt hier überhaupt nichts. Ich habe nur festgestellt, daß zahlreiche gleichgeartete Fälle bekannt sind, in denen es auf diese Weise, wie Sie es eben geschildert haben, zu einer Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit gekommen ist; und ich habe zum Ausdruck gebracht, daß der von Herrn Schreiner hier eingeführte Petent sich wohl exakt dieser Methode bedienen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich, bitte.
Sie sagten, zahlreiche Fälle der Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft seien in diesem Zusammenhang bekanntgeworden. Können Sie spezifizieren, wie viele genau?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein; das kann ich nicht.
Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich, Sie können stehen bleiben. Der Abgeordnete Dr. Nöbel hat nämlich schriftliche Beantwortung seiner Fragen 54 und 55 gewünscht. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen deshalb schon zur Frage 56 des Abgeordneten Dr. Emmerlich:
Trifft die Behauptung im SPIEGEL vom 5. März 1990 zu, daß ein Beamter des Bundeskriminalamts rd. 50 kg Kokain aus Südamerika in ein Schließfach in Bremerhaven verbracht hat und daß dieses Kokain Rauschgifthändlern zum Kauf angeboten worden ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, im Februar 1988 erhielt das Bundeskriminalamt davon Kenntnis, daß eine international organisierte Tätergruppe beabsichtigte, eine größere Menge Kokain in die Bundesrepublik Deutschland zu verbringen und hier abzusetzen. Nachdem es dem BKA gelungen war, das Kokain unter Kontrolle zu bringen, wurde es entsprechend dem Täterplan in einem Schließfach in Bremerhaven deponiert. Als die Täter dort das Rauschgift übernehmen wollten, wurden sie festgenommen. Das Kokain wurde nicht durch die Polizei, sondern durch die Täter zum Kauf angeboten.
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Dr. Emmerlich.
Wie ist es, Herr Staatssekretär, dem BKA gelungen, dieses Kokain einer internationalen Tätergruppe „unter Kontrolle zu bringen" ; und was verstehen Sie darunter, daß dieses Kokain „unter Kontrolle gebracht" worden sei?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Daß es geschehen ist, habe ich in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich über die Methoden, mit denen dies geschehen ist, hier öffentli ch keine Ausführungen mache.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ich habe keinerlei Verständnis dafür, daß Sie Fragen des Parlaments nicht beantworten, ohne dafür eine gesetzliche Grundlage anzuführen.
Meine weitere Zusatzfrage richtet sich darauf: Welches Recht hat eigentlich ein deutscher Polizeibeamter, sich über das strafbewehrte gesetzliche Verbot hinwegzusetzen, Rauschmittel in die Bundesrepublik einzuführen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Emmerlich, ich glaube, das Problem der kontrollierten Lieferung in dem Zusammenhang ist zwar diffizil, aber es besteht wohl auch unter den Rechts- und Innenpolitikern weitestgehende Übereinstimmung, daß zur Abwehr der Versorgung unseres Marktes mit Rauschgift, gleich welcher Art, auch diese Methoden, wie sie hier angewendet werden, zulässig sind.
— Es ist eine Rechtsfrage; richtig.
Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich, Sie wissen, daß wir in der Fragestunde keine Diskussion führen.
Der Abgeordnete Schreiner hat dazu eine Frage.
Herr Staatssekretär, trifft es denn nach Ihrer Antwort zu, daß die Bundesregierung auch in Zukunft solche, wie Sie soeben gesagt haben, diffizilen Methoden unterstützen und begrüßen wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es besteht bisher kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß das auch in diesem Fall gewählte Verfahren mit den rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang steht.
Herr Abgeordneter Schreiner, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Kommentare nicht für das Protokoll äußern, sondern für sich behalten würden.
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16830 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsident Cronenberg— Ich habe keine Lust, darüber zu diskutieren. Herr Abgeordneter Andres.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß auch andere Personen außer Beamten des Bundeskriminalamts, also vom Bundeskriminalamt Beauftragte, Rauschgift in die Bundesrepublik Deutschland einführen; und kann es sein, daß beispielsweise der Geheimagent Mauss früher im Auftrag des Bundeskriminalamts an solchen Aktionen mitgewirkt hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, darauf hinweisen zu dürfen, daß diese Frage wohl in keinem Zusammenhang mit der von Herrn Dr. Emmerlich gestellten Frage steht.
Diese Auffassung teile ich aber überhaupt nicht! — Ich bitte Sie übrigens noch, Fragen vom letztenmal schriftlich zu beantworten, auf die die Antworten noch ausstehen!
Herr Abgeordneter Andres, das hat mit der Frage 56 nun wirklich nichts zu tun!
Herr Präsident, seit wann entscheidet die Regierung, ob diese Frage im Zusammenhang steht oder nicht? Muß das nicht der Präsident entscheiden?
Ich habe es für zulässig gehalten, daß diese Interpretation gegeben wird.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 57 des Abgeordneten Dr. Emmerlich:
Sind die von BKA-Beamten der Staatsanwaltschaft in Bremen als Hintermänner dieses Rauschgifttransportes und versuchten Rauschgiftverkaufs bezeichneten Südamerikaner von verdeckten Ermittlern des Bundeskriminalamts oder sogenannten V-Leuten angeworben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das Bundeskriminalamt hat in diesem Ermittlungsverfahren auch mit verdeckten Ermittlungsmethoden gearbeitet. Es war auch eine V-Person eingesetzt. Ich bitte um Verständnis, daß aus Gründen des Schutzes dieser Person nähere Einzelheiten öffentlich nicht preisgegeben werden können. Die Anwerbung von Hintermännern hat nicht stattgefunden. Ein solches Vorgehen wird vom Bundeskriminalamt nicht praktiziert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich!
Herr Staatssekretär, können Sie, nachdem Sie alle wesentlichen Fragen bisher nicht beantwortet haben, uns denn wenigstens Auskunft darüber geben, welches Ziel mit dieser Operation des Bundeskriminalamts verfolgt werden sollte? Was wollte das Bundeskriminalamt durch die Einfuhr von 50 kg Rauschgift denn erreichen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist wohl, wenn man diesen Fall analysiert, selbstverständlich, daß das eine der Maßnahmen zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität insgesamt war. Daß nicht der gesamte Rauschmittelmarkt, der uns bedroht, auf einen Schlag lahmgelegt werden konnte, ist zwar bedauerlich, entspricht aber der Realität und der Dimension der Bedrohungslage.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, was ist zur Bekämpfung der Rauschmittelkriminalität und des Rauschgifthandels in diesem konkreten Fall denn erreicht worden? Wie viele Rauschgifthändler sind auf Grund dieser Operation erwischt worden? Wie viele Rauschgifthändler sind auf Grund dieser Operation bestraft worden, und was waren denn in diesem konkreten Fall die Strafen, die ausgeworfen worden sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, es hat wenig Zweck, diesen sehr weit dimensionierten Fall hier im Plenum auf Grund einer Fragestellung aufzuschlüsseln und Sie in vollem Umfang zu informieren.
Aber wie Sie den Pressemeldungen entnehmen konnten, wurden immerhin drei Leute festgenommen
und auch vor Gericht gebracht.
— Die Verurteilung scheiterte aus ganz anderen Gründen.
Danke schön. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Aus welchen Gründen scheiterte die Verurteilung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Daran, daß die Herren aus der Untersuchungshaft entlassen worden sind und offensichtlich nicht bereit waren, anschließend den Abschluß des Verfahrens in Deutschland abzuwarten, sondern sich nach Südamerika begeben haben.
Herr Abgeordneter Schmidt, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann ist natürlich die Frage naheliegend: Warum sind sie denn aus der Untersuchungshaft entlassen worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das müssen Sie das zuständige Gericht fragen.
Herr Präsident, ich finde, diese Antwortgebung ist wirklich unangemessen.Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte Sie, Herr Kollege Schmidt, ich kann doch die Entscheidungs-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16831
Parl. Staatssekretär Sprangergründe des Gerichts hier nicht nachvollziehen. Ich war doch an dem Gerichtsverfahren nicht beteiligt, sondern ich schildere einen Sachverhalt, wie er sich in dem Zusammenhang bedauerlicherweise entwickelt hat.
Herr Abgeordneter Andres!
Herr Staatssekretär, wenn ich den Fall noch einmal Revue passieren lasse, stellt sich das doch folgendermaßen dar: Sie schildern eine Bedrohungslage, wie Sie sich auszudrücken pflegen. Ein Beamter führt 50 kg Rauschgift ein. Daraufhin werden Leute verhaftet. Diese Leute werden anschließend wieder freigelassen und entziehen sich der weiteren Verfolgung. Welchen Beitrag hat Ihrer Auffassung nach diese Aktion des Bundeskriminalamts zur Minderung der Bedrohungslage geleistet?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich muß sagen, daß es nicht in meiner Zuständigkeit liegt, auf Grund der Frage 57 des Herrn Abgeordneten Emmerlich hier den gesamten Fall darzustellen.
Dies ist durchaus nachvollziehbar.
Wir kommen nun zur Frage 58 des Abgeordneten Brauer.
Gibt es seitens der Bundesregierung eine Präferenz in bezug auf Olympische Spiele Berlin 2000 oder 2004, und wie wird sie begründet?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brauer, die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen, Olympische Spiele in Berlin durchzuführen, als ein sichtbares Zeichen für Frieden und Freiheit in der Welt. Wie bereits in der Antwort auf Ihre schriftliche Frage vom April 1990 betont wurde, obliegt die Entscheidung über die Bewerbung zur Ausrichtung der Olympischen Spiele beiden Teilen Berlins sowie dem Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland und dem Nationalen Olympischen Komitee der DDR.
Das gilt auch für das Jahr, in dem man die Olympischen Spiele ausrichten will. Entsprechende Präferenzen seitens der Bundesregierung bestehen nicht.
Wir sind eigentlich am Ende der Fragestunde. Wenn es aber eine ganz dringliche Frage ist, Herr Abgeordneter Brauer, dann habe ich nichts dagegen, wenn Sie sie stellen.
Dazu möchte ich nichts fragen. Ich bitte aber darum, daß jetzt die Frage 59 beantwortet wird.
Herr Staatssekretär, sind Sie einverstanden? — Dann rufe ich die Frage 59 auf:
Hält die Bundesregierung das Olympiastadion, welches als ein Symbol für die Überlegenheit des faschistischen Deutschlands in die Geschichte eingegangen ist und ein Beispiel typischer Nazi-Architektur darstellt, für einen angemessenen Austragungsort für Olympische Spiele in der sich abzeichnenden Vereinigung Deutschlands?
Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Entscheidung, das Olympiastadion als Austragungsstätte der Olympischen Spiele zu wählen, fällt vorrangig in die Kompetenz der beiden Teile Berlins und der beiden NOKs. Abgesehen davon, daß die Bundesregierung die Meinung des Fragestellers, wie sie in der Frage zum Ausdruck kommt, nicht teilt, bleibt abzuwarten, welche Vorstellungen diese Gremien entwickeln.
Eine Zusatzfrage, und dann ist Schluß. Bitte sehr.
Angesichts dessen, daß laut Bundesregierung Olympische Spiele der Repräsentanz nach innen und außen dienen, frage ich, welchen Aspekten der Repräsentanz bei der Durchführung der Olympischen Spiele im Jahre 2000 oder 2004 die Bundesregierung besondere Bedeutung beimißt, und dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Eröffnungsfeierlichkeiten im Olympiastadion stattfinden könnten, wo die Insignien des Nationalsozialismus — Fackellauf, geweihte Erde usw. — eingeführt worden sind.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Sie können die Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele nicht auf das Problem „Olympiastadion" reduzieren. Es geht, wie alle Parteien und natürlich auch der deutsche Sport immer wieder zum Ausdruck gebracht haben, um Berlin. Wir unterstützen die Bemühungen Berlins, Austragungsort für Olympische Spiele, egal ob im Jahre 2000 oder 2004, zu werden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Alle schriftlichen Antworten werden im Plenarprotokoll 11/215 abgedruckt.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung sowie Zusatztagesordnungspunkt 9 auf:
11. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst
— Drucksache 11/6547 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 11/7242 —Berichterstatter:
Abgeordnete Lowack Verheugen
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Lippelt
16832 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31, Mai 1990
Vizepräsident Cronenberg
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/7244 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Frau Seiler-Albring Waltemathe
Frau Vennegerts
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines dienst- und besoldungsrechtlichen Begleitgesetzes zum Gesetz über den Auswärtigen Dienst
— Drucksache 11/6543 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Innenausschusses
— Drucksache 11/7248 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Kappes Richter
Such
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/7249 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Frau Vennegerts
ZP9 Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst
— Drucksache 11/4756 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 11/7242 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Lowack Verheugen
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Lippelt
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/7243 — Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Hoppe
Waltemathe
Frau Vennegerts
Zu Tagesordnungspunkt 11 a liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7289 und 11/7305 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Dies ist offensichtlich der Fall. Dann können wir mit der Debatte beginnen.
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich kurz als Berichterstatter noch etwas beitragen: In der Beschlußempfehlung muß es auf Seite 4 — das ist aus Versehen der Schere zum Opfer gefallen — nach dem Wort „Entwurf " heißen: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen. "Sodann zur Debatte: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist ein großer Tag für den Auswärtigen Dienst und wohl auch für das Parlament, daß wir als eines der letzten westlichen Industrieländer ein Gesetz über den Auswärtigen Dienst schaffen und heute in der zweiten und dritten Lesung beschließen wollen. Es ist ein Gesetz, das den Dienst noch attraktiver gestalten, die Stellung seiner Mitarbeiter stärken und und uns damit auch in den künftigen Jahren mit ihren Herausforderungen eine angemessene Auslandsvertretung geben soll.Ich darf auf die vielen guten Beiträge aus allen Fraktionen in den bisherigen Debatten in Vorbereitung dieses Gesetzes verweisen. Wir freuen uns, daß wir den Mitarbeitern im Auswärtigen Dienst mit einem gesetzlichen Auftrag eine entscheidende Grundlage geben, die auch dazu führen soll, daß sich die einzelnen Mitarbeiter in ihrem Auftrag und mit ihrem Auftrag gestärkt fühlen.Wir haben in das Gesetz über den Auswärtigen Dienst und in das Begleitgesetz eine Reihe von sozialen Verbesserungen aufnehmen können, die in Abstimmung zwischen allen Häusern zustande gekommen sind. Vor allen Dingen enthält der Bericht eine Reihe weiterer zukunftsweisender Anregungen, die — so hoffe ich — alle Fraktionen dieses Parlaments in Zukunft aufgreifen und, soweit es möglich ist, auch in die parlamentarische Arbeit einbringen werden.Es hat sich herausgestellt, daß die Alles-odernichts-Mentalität, die man wohl am Anfang hatte, nicht zu einem guten Ergebnis geführt hätte. Deswegen freue ich mich, daß diese Bereitschaft zur Kooperation zwischen den Fraktionen auch dazu geführt hat, daß wir heute dieses Gesetz noch beschließen können.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16833
LowackDie SPD-Fraktion hat einen Änderungsantrag eingebracht, zu dem ich ganz kurz Stellung nehmen möchte. Wir hatten die ersten drei Punkte im Auswärtigen Ausschuß bereits ausführlich erörtert, wobei ich mich sehr herzlich dafür bedanken darf, daß diese Diskussion so fair, so sachlich und so engagiert verlaufen ist. Da wir darüber schon ausführlich debattiert haben, bin ich der Auffassung, daß es bei der Regelung, wie sie im Bericht vorgeschlagen ist, bleiben soll.Zum Punkt 4 bin ich der Meinung, daß wir hier gemeinschaftlich zustimmen sollten. Es ist eine angemessene, richtige und notwendige Ergänzung.Zum Antrag der GRÜNEN: Hier möchte ich den Kollegen Knabe, der ihn ja eingebracht hat, doch darauf hinweisen, daß wir die Umweltpolitik in den entsprechenden Paragraphen angesprochen haben.
— Ach so, Entschuldigung, darüber bin ich noch nicht im einzelnen informiert. Aber wir haben das Anliegen der Umweltpolitik als eine der Aufgaben, die der auswärtige Dienst mit wahrzunehmen hat, in die Begründung unseres Antrages schon mit aufgenommen. Insoweit reicht mir das, was wir bisher in der Beschlußempfehlung haben.So bleibt mir am Schluß eines kurzen Beitrages, den ich auch aus persönlichen Gründen mir so abzunehmen bitte, nur übrig, allen zu danken, die sich an diesem Gesetzeswerk beteiligt haben, den Mitarbeitern im auswärtigen Dienst, hier besonders auch dem Personalrat und dem Frauen- und Familiendienst, sowie allen Beteiligten, die im Anhörungsverfahren im Frühjahr 1985 diesem Parlament ganz entscheidende Impulse und Hinweise über notwendige Veränderungen gegeben haben. Zu danken habe ich auch der ÖTV und dem Beamtenbund, sogar dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, den Leuten vom Bundesarchiv, die ebenfalls Anregungen eingebracht haben, dem Bundesrechnungshof und vor allen Dingen auch allen Kollegen in den Ausschüssen, die dem auswärtigen Dienst ungern ein eigenes Recht zugebilligt haben, aber dann doch den inneren Schweinehund überwunden und dem Gesetzesvorhaben im wesentlichen so zugestimmt haben, wie wir es heute verabschieden dürfen.Ich würde mich freuen, wenn diese Arbeit, die für eine Parlamentsarbeit vorbildlich war, auch bei anderen Gesetzesvorhaben in dieser Art und Weise vollzogen werden könnte. Herzlichen Dank an dieses Parlament!
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich kann die außerordentlich positive Beurteilung des geschätzten Kollegen Lowack nicht ganz nachvollziehen. Ich gestehe sogar, daß ich das Reformwerk, das wir hier verabschieden wollen, mit außerordentlich gemischten Gefühlen betrachte. Es erinnert mich an den Titel eines bekannten Schauspiels: „Eines langen Tages Reise in die Nacht". Denn was wir eigentlich vorgehabt haben, war eine tiefgreifende und grundlegende Reform des auswärtigen Dienstes, die ihn in die Lage versetzen soll, den ständig steigenden Aufgaben gerecht zu werden. Was heute vermutlich — ohne daß ich den Entscheidungen des Parlaments jetzt vorgreifen wollte — herauskommen wird, ist allenfalls ein Merkposten, daß wir einmal eine Reform machen wollten.Wir sind davon ausgegangen, daß sich Rolle und Bedeutung des auswärtigen Dienstes in unserer Zeit geändert haben. Das Berufsbild des Diplomaten ist nicht mehr das, was es einmal war. Wir haben in den Beratungen ja eine Reihe von Vorurteilen und Klischees zu bekämpfen gehabt. Ich habe mich stets ein bißchen darüber amüsiert, daß offenbar immer noch, auch in diesem Hause, die Auffassung besteht: Ein Diplomat sitzt im wesentlichen in Philadelphia bei Bookbinder's herum und ißt Hummer. Aber so ist es ja nun wirklich nicht.Wenn man sich ansieht, wie in den letzten Jahren allein die multilaterale Diplomatie angewachsen ist und welche Aufgaben durch die globalen Probleme hinzugekommen sind — ich erwähne nur Abrüstung, Umweltschutz und internationale Entwicklungsprobleme — , dann wird jedem klar, daß wir es hier mit einem dynamischen Aufgabengebiet zu tun haben, das auch dynamische Regelungen braucht.Unsere auswärtigen Beziehungen sind immer dichter geworden. Die einzelnen Dienstposten werden immer schwieriger. Es ist heute nicht mehr St. Petersburg, Paris und London; wir haben es heute mit Wagadugu und was weiß ich für Plätzen zu tun, an denen zu arbeiten und zu leben für diejenigen, die wir dort hinschicken, außerordentlich schwierig ist. Die besonderen Belastungen der Angehörigen des auswärtigen Dienstes, ihrer Ehepartner und ihrer Familien sind für uns alle ein Zentrum der Überlegungen gewesen. Uns ging es darum, durch dieses Reformgesetz den Dienst so zu gestalten, daß er für qualifzierte Frauen und Männer nicht nur zumutbar, sondern auch attraktiv ist und in Zukunft attraktiv bleibt.Erlauben Sie mir, einen sehr deutlichen Zweifel auszudrücken, ob der Entwurf der Bundesregierung dieser Anforderung gerecht wird. Ich fürchte, zumindest die nachfolgende Bundesregierung wird erleben, daß sie mit diesem Gesetz noch nicht über eine ausreichende Grundlage verfügt, um auch in Zukunft einen leistungsfähigen und effizienten auswärtigen Dienst zu erhalten.Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, daß die Reformdiskussion sehr, sehr alt ist. Schon zu der Zeit des Außenministers Brandt wurde eine Kommission eingesetzt, deren Bericht inzwischen mehr als 20 Jahre alt ist. Es hat bis jetzt gedauert, ehe diese Diskussion zu einem ersten, vorläufigen Abschluß kam.Die Vorlage, über die wir heute zu entscheiden haben, ist das Ergebnis einer fünfjährigen Arbeit in den zuständigen Ausschüssen, vor allen Dingen im Auswärtigen Ausschuß. Ich möchte mich insoweit dem anschließen, was Kollege Lowack gesagt hat. Es war
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16834 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Verheugenwirklich die Überzeugung in allen Fraktionen, daß dieses Gesetz vorangetrieben werden muß und daß wir es brauchen. Ich hatte über lange Strecken dieses Prozesses das Gefühl, daß das Engagement im Parlament etwas stärker war als in der Regierung. Ich weiß, man soll sich nicht selbst loben. Aber ich möchte gleichwohl sagen, daß wir ohne die Initiative meiner Fraktion, ohne die Tatsache, daß wir im vergangenen Jahr einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben, nicht sicher sein könnten, ob wir heute überhaupt ein Gesetz beraten und verabschieden könnten.Alles in allem ist das Ergebnis für mich leider enttäuschend. Wenn ich dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehe, so deshalb, weil wir uns zumindest im Auswärtigen Ausschuß einig waren, daß wir den Regierungsentwurf, der heute vermutlich verabschiedet werden wird, als einen Einstieg betrachten, daß er nicht das letzte Wort ist und daß über die Materie auf Grund der mit dem Gesetz gewonnenen Erfahrungen neu beraten und gegebenenfalls neu entschieden werden soll.Ich möchte noch einmal fragen: Was war eigentlich nötig? Nach unserer Meinung war es nötig, durch flexiblere und effizientere Rechtsgrundlagen die Handlungsfähigkeit des Auswärtigen Amtes zu erweitern. Es war notwendig, eine größere Fürsorge für die Angehörigen des auswärtigen Dienstes und ihre Familien zu schaffen.Wir haben eine Reihe von Fakten zur Kenntnis nehmen müssen, die uns zeigen, wieviel unsinnige Verwaltungsarbeit im auswärtigen Dienst auf Grund zu starrer Regelungen geleistet werden muß, Regelungen, die aus dem Dienstrecht übernommen worden sind, das für das Inland gilt und für das Inland angemessen ist. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß für den einzelnen Angehörigen des auswärtigen Dienstes eine ungeheure Vielzahl und Vielfalt von Problemen entsteht, die eben nicht über den allgemeinen Leisten des Dienstrechts geschlagen werden können.Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß es für die Ehepartner — das sind zu weit mehr als 90 % immer noch Frauen — inzwischen geradezu eine Zumutung geworden ist, auf die eigenen Lebenschancen und auf die Ausübung des erlernten Berufs zu verzichten, um, dem Versetzungserlaß für den Ehemann folgend, ins Ausland zu gehen und dann Hand- und Spanndienste für den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu leisten, ohne dafür die geringste Anerkennung zu erhalten.
Was ist tatsächlich herausgekommen? Herausgekommen ist die Anerkennung des auswärtigen Dienstes als einheitliche Behörde und die Anerkennung auslandsspezifischer Dienstunfall- und Fürsorge-Regelungen. Das ist schon vor 20 Jahren als vordringlich bezeichnet worden. Aber es ist nicht eine klare Aussage zur Personalreserve herausgekommen. Es ist nicht eine Zuständigkeitsregelung herausgekommen, die das Auswärtige Amt wirklich handlungsfähig macht. Es bleibt abhängig vom guten Willen anderer Ressorts. Ich könnte das auch weniger vornehm ausdrücken und sagen: Wir müssen damit rechnen, daß die Kompetenzrangeleien weitergehen.Vor allen Dingen sind keine tragbaren Regelungen für die Ehepartner und die Familien herausgekommen. Die Bundesregierung und die Koalition sind in einer alten, im 19. Jahrhundert wurzelnden Denkweise vom Dienstrecht steckengeblieben: Die Ehefrau und die Familie werden lediglich als ein Anhängsel des Beamten betrachtet.
Ich finde es wirklich einigermaßen erstaunlich — um nicht mehr zu sagen — , daß der Verzicht des Ehepartners auf den eigenen Beruf, die lebenslange Belastung, die darin besteht, in einem ständig wechselnden Drei-Jahres-Turnus Haushalt zu führen, Kinder zu erziehen, eine Familie zusammenzuhalten und außerdem noch Aufgaben für das Amt zu erledigen, nach Auffassung der Regierung mit einer 5%igen Besoldungserhöhung für den Beamten, aber nicht etwa für den Ehepartner abgegolten werden soll. Das ist ein Denken, das der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit und den Ansprüchen der Frauen heute in keiner Weise mehr entspricht. Ich bin sehr traurig, daß es nicht möglich gewesen ist, hier einmal mutig gesetzgeberisches Neuland zu betreten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es deshalb für richtig gehalten, den sehr viel weitergehenden, all die Defizite, die ich genannt habe, aufarbeitenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion hier wieder vorzulegen. Über ihn wird nachher abzustimmen sein. Für den Fall — womit ich rechne — , daß Sie ihn ablehnen, haben wir eine Reihe von Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt, die sich am unteren Ende dessen bewegen, was unbedingt notwendig ist.Ich bitte Sie wirklich, wenigstens den Wünschen zu folgen, die darin bestehen, daß wir im Gesetz statt „Ehegatten" „Ehepartner" sagen — das ist nun wirklich kein großes Zugeständnis — , daß wir wenigstens dem folgen, was der Bundesrat — noch mit der alten Mehrheit, meine Damen und Herren von der Koalition — beschlossen hat, nämlich wenigstens eigene Ansprüche der Familienangehörigen bei auslandsbedingten Sach- und Körperschäden zuzulassen. Wir bitten Sie schließlich, uns in dem letzen Punkt, dem Kollegen Lowack bereits zugestimmt hat und der nur rechtssystematischer Natur ist, zu folgen.Zum Antrag der GRÜNEN möchte ich sagen, daß er teilweise unseren Forderungen entspricht. Soweit das der Fall ist, werden wir dem zustimmen.Für den Fall — mit dem ich rechne — , daß wir am Ende in dritter Lesung nur über die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu entscheiden haben, wird meine Fraktion diesen Gesetzentwürfen trotz der dargestellten schweren Bedenken zustimmen, weil wir es nicht für richtig halten, den Kompetenzkonflikt innerhalb der Bundesregierung, der zu der schwachbrüstigen Gesetzesvorlage geführt hat, auf dem Rücken der Angehörigen des Auswärtigen Amtes auszutragen. Wir wollen den Angehörigen des Auswärtigen Amtes vielmehr ein Signal geben, daß ihr Anliegen verstanden worden ist. Wir wollen auch den Bundesminister ermutigen, auf diesem Weg voranzugehen, und ihn
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16835
Verheugenbitten, die Möglichkeiten, die ihm das neue Gesetz bieten wird, dynamisch, aktiv und sicherlich auch mit der Unterstützung des Parlaments auszuschöpfen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, ich habe das Gefühl, daß Sie bei Ihren Ausführungen völlig übersehen oder ausgeklammert haben, daß auch die Beamtenpolitiker Ihrer eigenen Fraktion große Bedenken gegen den großen Schnitt gehabt haben. Man sollte fairerweise zugeben, daß es hier einfach unterschiedliche Positionen geben mußte. Wir haben versucht, einen Kompromiß zu finden. Ich glaube, wir haben für den Einstieg in die Thematik und die Lösung doch einen sehr guten Kompromiß gefunden, den wir als liberale Fraktion hier auch voll mittragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die beiden Gesetze, die wir heute verabschieden, ist regierungsintern sehr lange verhandelt worden, nach unserer Vorstellung zu lange. Im Parlament aber ist leider nur sehr kurz öffentlich beraten worden. Zweimal 5 Minuten Redezeit für meine Fraktion in den öffentlichen Beratungen haben einfach nicht ausgereicht, um ganz klarzumachen und auch in der Öffentlichkeit damit überzukommen, daß es uns keineswegs nur um den oft kritisierten Ehepartnerausgleich, sondern zuerst und vor allem um das gesetzliche Fundament geht, um die Reform des auswärtigen Dienstes durchzuführen, die seit der Verabschiedung des Berichts der Herwarth-Kommission doch ganz überfällig waren. Deshalb hat die FDP-Fraktion ein eigenes Gesetz für den auswärtigen Dienst und auch das Begleitgesetz, in dem die spezifischen Bedürfnisse des auswärtigen Dienstes und seiner Angehörigen geregelt werden, von allem Anfang an nicht nur für berechtigt, sondern für notwendig gehalten.
Es geht also — meine Damen und Herren, ich muß das noch einmal wiederholen — , keineswegs nur um den heißdiskutierten Ehepartnerausgleich. Herr Verheugen, ich wähle auch lieber den Begriff des Ehepartners statt des etwas antiquierten Begriffs Ehegatte. Aber uns haben die Beamtenrechtler gesagt, das sei der eingeführte Begriff, und wir dürften keinen anderen wählen.
— Da haben Sie recht, Frau Timm. Da sind wir Seite an Seite. Ich neige auch dazu, für den Begriff Ehepartner zu stimmen, damit wir die Ehegatten einmal aus der Welt schaffen.
— Den Begriff.Es geht um den gesetzlichen Rahmen zur Realisierung der Empfehlung der Herwarth-Kommission bezüglich der Auswahl, der Ausbildung und Fortbildung der Angehörigen des auswärtigen Dienstes, auch — das ist uns sehr wichtig — einer verbesserten Fremdsprachenausbildung der Familienangehörigen. Es geht um die auszubauende Personalreserve des Auswärtigen Amtes, die überfällig ist. Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiges Kernstück dieses Gesetzes. Ohne Personalreserve ist die Kontinuität des auswärtigen Dienstes vor Ort nicht gewährleistet.Es geht um ein wirkungsvolles Inspektionswesen und die besonderen Aufgaben und Pflichten eines Beamten des Auswärtigen Amtes, dessen Bandbreite und Belastungen — das wurde schon gesagt — mit den klassischen Aufgaben der Diplomaten früherer Generationen kaum noch vergleichbar sind.Ich meine — ich sage das hier einmal mit offenem Visier — : Die oft höhnische Kritik an Teilen des Gesetzes in der Öffentlichkeit zeugt ja eher von Unkenntnis, von Unverständnis, von Neid und von mangelndem Bewußtsein für die gewachsene und weiter wachsende Weltverantwortung eines vereinten Deutschlands in und mit einem vereinten Europa.Wir müssen die Kritik, meine ich, geduldig, aber bestimmt widerlegen. Ich glaube, daß der auswärtige Dienst hier selber eine Aufgabe hat, nämlich zu zeigen, was er aus diesem Gesetz macht, und zu beweisen, daß es eben mehr ist als nur ein Merkposten, Herr Kollege Verheugen, für die notwendigen Reformen und Entwicklungen.
Mit dem Begleitgesetz honoriert der Gesetzgeber die besonderen Belastungen der Angehörigen des auswärtigen Dienstes und gleicht Nachteile für sie und ihre Familienangehörigen aus. Ich will für die FDP-Fraktion keinen Zweifel daran lassen, daß für uns der auswärtige Dienst im öffentlichen Dienst eine Sonderstellung einnimmt wegen der dienstlichen Anforderungen, die insbesondere bei Auslandsverwendungen weit in den Privatbereich auch der Ehepartner— seien sie männlich oder weiblich — hineinreichen.Folgewirkungen dieses Gesetzes auch frauenpolitischer Art auf den Bereich des öffentlichen Dienstes sind deshalb nicht zulässig.
— Sehen Sie, da klatschen unsere Beamtenpolitiker.Diese Gesetze können und sollen auch als Anerkennung und als Konsequenz für die Leistungen und Beiträge des auswärtigen Dienstes in den rund 40 Jahren der Nachkriegsepoche, die nun zu Ende geht, verstanden werden. Meine Damen und Herren, wenn unser Land heute weltweit Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewonnen hat, wenn unsere Entschlossenheit und Bereitschaft zum Frieden und zu friedlichen Konfliktlösungen, zu partnerschaftlicher Hilfe und Zusammenarbeit, zu freudigem Geben und Nehmen, wie Theodor Heuss, unser erster Bundespräsident, es formuliert hat, nirgends in der Welt mehr angezweifelt wird, dann haben die Männer und Frauen des auswärtigen Dienstes hierzu oft unter schweren, gelegentlich
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16836 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Frau Dr. Hamm-Brücherunter unzumutbaren Bedingungen einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet. Dafür möchten wir ihnen heute mit diesem Gesetz zur Ermutigung einen Dank abstatten. Das tun wir ja alle gemeinsam und über Fraktionsgrenzen hinweg.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das heute zur Abstimmung ansteht, hat eine lange Vorgeschichte, die vor den Einzug meiner Fraktion in den Bundestag zurückreicht. Trotzdem, wir haben uns gern an der Diskussion beteiligt. Denn es leuchtet uns ein, daß man den Sonderbedingungen eines Dienstes, der zwischen Gesellschaften zu dolmetschen hat, am besten durch ein spezielles Gesetz gerecht wird.
Ein solches Gesetz rechtfertigt sich im weiteren Sinne allerdings nur, wenn es gleichzeitig dem Nachdenken über den Wandel der Aufgaben und dementsprechend dem Charakter eines solchen Dienstes in einer sich wandelnden Welt dient. Es rechtfertigt sich nur als Reformgesetz, und das in zweierlei Hinsicht: Erstens. Wieweit paßt sich der auswärtige Dienst den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen an? Zweitens. Inwieweit bestimmt sich der auswärtige Dienst neu in einer sich wandelnden Welt?
Die erste Frage läßt sich auch so formulieren: Wieweit tritt der Dienst aus wilhelminischer und Weimarer Tradition heraus, oder: Wie wird aus Adelsprivileg Frauenquotierung? Diese Frage hat sich in den Beratungen an der Forderung nach einem eigenständigen Entgelt für die begleitenden Partner festgemacht. Der Sache nach ist diese Forderung in unseren Augen absolut berechtigt. Die Berufswelt der Frau hat sich grundlegend gewandelt. Begleitung ins Ausland bedeutet in der Regel für Frauen Nichtverwirklichung von Berufswünschen und Berufskarrieren und statt dessen kompensatorische Flucht in die sich im auswärtigen Dienst reichlich bietenden Möglichkeiten für nicht bezahlte mithelfende Familienangehörige. Der Höhe nach ist ein recht bescheidener Einstieg gefordert, der eher symbolischen Wert hat. Die dagegen vorgebrachten finanztechnischen und bürokratischen Einwände überzeugen im Zeitalter des Computers und der Gehaltsabrechnung per Computer nicht. Wandel der Berufswelt der Frau bedeutet aber ebenso Förderung des verstärkten hauptberuflichen Einstiegs von Frauen in den auswärtigen Dienst. Auch dazu haben wir in unseren Anträgen Forderungen vorgelegt. Wir sind der Überzeugung, daß eine stärkere Feminisierung des diplomatischen Dienstes der Außenpolitik nur guttun kann.
Die zweite Frage der sich wandelnden Funktion des Dienstes in einer sich wandelnden Welt, die Frage, wie sich Diplomatie heute selbst verstehen soll, die zentrale Frage einer jeden Reform also, ist in den Beratungen entschieden zu kurz gekommen. Immerhin sind wir dankbar, daß eine Anregung von uns zur Umformulierung einer Passage in der Beschreibung der Aufgaben des Dienstes zunächst von der SPD, dann vom Ausschuß im ganzen aufgegriffen worden ist und daß wir zumindest die — neben der Wahrnehmung der politischen Interessen — bisher übliche starke Heraushebung der Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen zugunsten eines breiteren Verständnisses der Beziehungen zwischen Gesellschaften haben zurückstufen können.
Ich spreche bewußt von der Pflege der Beziehungen zwischen Gesellschaften. Denn Außenpolitik muß von einem Instrument der Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen zu einem Instrument der Vermittlung des internationalen gesellschaftlichen Miteinanders werden. An die Stelle nationaler Interessen sind nämlich längst Interessen der einen Menschheit getreten, zu deren Gunsten wir uns gegen nationale Borniertheiten wenden müssen. Außenpolitik muß interventionsfähig werden zugunsten von universalen Gütern und Prinzipien wie denen der Menschenrechte, der Umwelt, der sozialen Lage, d. h. gegen Verelendung und Hunger. Das muß Rückwirkungen auf die Struktur des Dienstes haben. Vor dem Hintergrund struktureller Handels- und Zahlungsbilanzüberschüsse brauchen wir z. B. keine Wirtschaftsattachés mehr, sondern Sozial- und Menschenrechtsreferenten, die nicht nur berichten, sondern auch tätig werden.
Ein letztes: Ein auswärtiger Dienst, der mit Stolz die Idee der Sozialen Marktwirtschaft als Exportartikel vertritt, kann es sich nicht erlauben, seinen nichtdeutschen Mitarbeiterinnen, die Jahrzehnte am Aufbau des Netzes deutscher Auslandsvertretungen mitgearbeitet haben, den grundgesetzlich garantierten Rechtsanspruch auf Altersversorgung ohne Nachweis besonderer Bedürftigkeit vorzuenthalten.
Ich denke, die Reformdiskussion hat mit diesem Gesetz erst begonnen. Sie ist fortzusetzen, zumal vor dem Hintergrund des Einigungsprozesses. Gerade da wird es wichtig sein, welchem Geist sich ein gesamtdeutscher auswärtiger Dienst verpflichtet fühlt, einem nationalen oder einem an universalen humanitären Idealen orientierten.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben es hier mit dem einmaligen Fall eines Kindes zu tun, das zahlreiche Mütter und Väter hat, die sich alle gern zu ihrer Mutterschaft und Vaterschaft bekennen, auch wenn manchen das Kind besser gefällt als anderen. Aber, Herr Kollege Verheugen, auch wenn Ihnen das Kind nicht so wohlgeraten erscheint wie mir, hoffe ich doch, daß Sie mich in den kommenden Jahren bei der Verwirklichung des Gesetzes weiter nachhaltig unterstützen werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein wirklich bedeutender und großer Tag. Ich sage das mit großer Freude für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes, die sich in einer sich verändernden Welt neuen Herausforderungen ge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16837
Bundesminister Genschergenübersehen. Sie werden es alle zu schätzen wissen, daß der Deutsche Bundestag unabhängig von der Zugehörigkeit zu Fraktionen diesen Dienst als einen Dienst nicht nur für unser Land anerkennt, sondern für den Schutz der Menschenrechte überall in der Welt und als einen Dienst für den Frieden überall in der Welt, den die Angehörigen des auswärtigen Dienstes mit ihren Familien leisten. Es macht ja auch die Besonderheit aus, daß die Familien in einer ganz besonderen Weise in die Arbeit des jeweils im auswärtigen Dienst beschäftigten Ehepartners einbezogen sind.Ich möchte deshalb meinen ausdrücklichen Dank an das Hohe Haus, an alle Fraktionen aussprechen, an die beteiligten Ausschüsse, an alle die Kollegen, die, wie ich weiß, auch Überzeugungsarbeit in ihren Fraktionen leisten mußten.
Die heute hier gesprochen haben, gehören ja zu denen, die jeweils in ihren Fraktionen diese Überzeugungsarbeit geleistet haben.
— Ich sagte: Die gehören zu denen, die Überzeugungsarbeit geleistet haben. Daß Sie, Herr Kollege Schwarz, natürlich zu den besonderen Befürwortern gehören, erklärt sich aus vielerlei Gründen. Einer davon ist, daß Sie sich wie ich zunächst der Innen- und dann der Außenpolitik zugewandt haben und deshalb in besonderer Weise sowohl die beamtenrechtlichen Konsequenzen wie die außenpolitischen Notwendigkeiten anerkennen und zu vereinigen wissen.
Ich möchte meinen Dank aussprechen dem Herrn Bundeskanzler für seine nachhaltige Unterstützung, Herrn Kollegen Schäuble, dem Bundesminister des Innern. Ich weiß als ehemaliger Innenminister, daß es für einen Innenminister nicht einfach ist, ein solches besonderes Gesetz innerhalb der Beamtenschaft zu vertreten. Ich danke dem Bundesminister der Finanzen, Herrn Kollegen Waigel, daß er in einer Zeit einer großen Anspannung und wirklich großer anderer Herausforderungen nicht gezögert hat, die erforderlichen Mittel für dieses Gesetz zur Verfügung zu stellen. Der Dank also ist ein allgemeiner. Meine Freude ist eine große. Die Verpflichtung des Auswärtigen Dienstes, sich diesem Gesetz gerecht zu zeigen, ist noch größer.Ich wünsche uns gemeinsam auch in Zukunft eine erfolgreiche Außenpolitik und unseren Mitarbeitern eine hohe Motivation durch eine weitere Unterstützung durch das Hohe Haus.Ich danke Ihnen.
Herr Dr. Knabe, Sie wollen noch einen Änderungsantrag stellen? — Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mündlich noch einen persönlichen Änderungsantrag einzubringen. Dieses Gesetz sagt in seinem § 1 klar etwas zu den Aufgaben des auswärtigen Dienstes und bringt in dem ersten Absatz klar zum Ausdruck, wem er dient. Dort steht:
Er dient
— einer dauerhaften friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt,
— der Wahrung der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft . . .
Dann geht es weiter mit Völkerrecht, Aufbau von Europa und Einheit und Freiheit des deutschen Volkes. Es fehlt hier ein wichtiger Bestandteil. Da wir heute den Tropenwaldbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" verabschiedet haben, ist mir dieses Fehlen besonders spürbar geworden. Ich habe vorgeschlagen, einen Spiegelstrich einzuschieben, der folgenden Wortlaut haben soll:
— der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Erde und dem Schutze des kulturellen Erbes der Menschheit.
Das ist mehr als „Umweltschutz" in einem späteren Abschnitt. Das bedeutet den Schutz der gesamten Atmosphäre einschließlich des Ozonschilds in der Stratosphäre. Es bedeutet den Schutz der Tropenwälder als einzigartige, vielfältige Lebensgemeinschaft. Es bedeutet den Schutz des Weltparks Antarktis, um den sich der auswärtige Dienst auch gekümmert hat. Es bedeutet den Schutz der Weltmeere, wo Konventionen gegen Verschmutzungen und weitere Vereinbarungen abzuschließen sind. Es bedeutet schließlich die Teilhabe an der Abwehr der Ausbreitung der Wüsten in Afrika und Asien.
Ich bitte deshalb um Zustimmung zu dieser kleinen und bescheidenen Ergänzung. Sie könnte eine Hilfe für den auswärtigen Dienst sein, sich dieser Aufgabe richtig zu widmen. Mir ist von Abgeordneten aller Fraktionen signalisiert worden, daß man dem zustimmen könne. Ich habe mein Begehren nicht als Antrag der GRÜNEN eingebracht, sondern als persönlichen Antrag. Es könnte ein interfraktioneller Antrag werden. Wir haben nur keine Zeit mehr zur Beratung.
Ich bitte sehr um Ihre Zustimmung.
Wünscht noch jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Meine Damen und Herren, es sind hier verschiedene Anträge gestellt worden, einzeln abzustimmen. Das ist mir im Augenblick deswegen nicht möglich, weil viele Paragraphen davon betroffen sind, die in die Abstimmung erst eingepaßt werden müssen. Ich
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16838 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsidentin Rengerkann mir nicht gut vorstellen, daß jeder einzelne von Ihnen weiß, was die §§ 19, 22 — —
— Der Herr Bundesminister weiß das, und alle anderen wissen das auch.
— Das ist das erste Mal, daß Sie hier alles in der Hand haben.
— Ich meine nicht Sie persönlich, sondern: daß die Abgeordneten die Unterlagen in der Hand haben. — Gut, ich bin bereit, über etwas abstimmen zu lassen, von dem zumindest ich jetzt nicht beurteilen kann, wo es hingehört.Meine Damen und Herren, wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/7242 unter Buchstabe a die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4756. Ich rufe den ersten Teil des Gesetzes mit seinen §§ 1 bis 16 sowie den Zweiten Teil des Gesetzes mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung von dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst, Punkt 11 a der Tagesordnung, Drucksachen 11/6547 und 11/7242. Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7289 vor, ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN sowie der soeben mündlich vorgetragene Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Knabe.Nach unseren Vereinbarungen stimmen wir zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7289 ab.Wer Ziffer 1 des Änderungsantrags auf Drucksache 11/7289 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.Wer stimmt Ziffer 2 des Änderungsantrags auf Drucksache 11/7289 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist abgelehnt.Wer Ziffer 3 des Antrags auf Drucksache 11/7289 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ziffer 3 des Änderungsantrags der SPD ist abgelehnt.Wer Ziffer 4 des Änderungsantrags auf Drucksache 11/7289 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7305. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir haben jetzt über den Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Knabe abzustimmen. Ich hoffe, jeder weiß, worum es dabei geht. — Gut. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Gratulation, Herr Dr. Knabe, das ist ein einmaliges Erlebnis.Ich rufe §§ 1 bis 37, Einleitung und Überschrift mit den eben beschlossenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist das Gesetz mit ganz großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 11 b ab. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines dienst- und besoldungsrechtlichen Begleitgesetzes zum Gesetz über den Auswärtigen Dienst, Drucksache 11/6543 und 11/7248.Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 10 auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters bei Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen— Drucksache 11/6374 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/7258 —Berichterstatter: Abgeordnete Geis Dr. Pick
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16839
Vizepräsidentin RengerHierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7291 vor.Interfraktionell ist eine Redezeit von 30 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich müßte, obwohl das parlamentarisch nicht üblich ist, der bayerische Ministerpräsident hier stehen und seinen Antrag, den er im Bundesrat verabschiedet hat, begründen. Aber dies ist aus vielen Gründen offensichtlich nicht möglich.Meine Damen und Herren, das Thema „Verbessung der Rechtsstellung des Mieters bei Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen" hat den Bundestag in der letzten Zeit mehrmals, zuletzt in der Aktuellen Stunde am 9. Mai, die von der SPD beantragt war, beschäftigt. Die damals gestellte Frage „Mieter schützen, Wohnungsnot bekämpfen — weshalb handelt die Bundesregierung nicht? " ist bis heute noch nicht befriedigend beantwortet.Heute hätte der Bundestag die Chance, oder besser: hätte die Chance gehabt, seinen Beitrag zur Entlastung des Wohnungsmarktes zu leisten und der Bundesregierung mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Chancen erschienen nicht schlecht; denn die SPD weiß die Opposition in der Beurteilung der Situation nicht nur einig, sondern sie stützt sich, wie schon angedeutet, auch auf die Mehrheit des Bundesrates, die den zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf ja verabschiedet hat.Er ist mit Hilfe des Freistaates Bayern zustande gekommen, und wir Sozialdemokraten begrüßen diese Tatsache. Wir gehen davon aus, daß die CSU mit einer Zunge spricht, sowohl in München als auch hier in Bonn;
denn wir wissen, daß der Landesvorstand der CSU am 14. Mai dieses Jahres Beschlüsse zum Mietrecht gefaßt hat, mit denen wir weitgehend einig gehen und die in einem Brief an die Bundestagsfraktion der SPD von der CSU-Geschäftsstelle bestätigt worden sind. Ich glaube aber, daß sich diese Beschlußlage in den Ausschüssen noch nicht herumgesprochen hatte.Meine Damen und Herren, zur Sache selbst. Es besteht Einigkeit in diesem Hause — und das ist positiv anzumerken — , daß ein ehemals unbedenklicher rechtlicher Vorgang, nämlich die Aufteilung eines Gebäudes mit Mietwohnungen in Wohnungseigentum, zu einer unerträglichen Belastung des angespannten Mietwohnungsmarktes geworden ist. Das Urteil muß deswegen so ausfallen, weil nicht nur meist preiswerter Wohnraum dem Mietwohnungsmarkt entzogen wird, sondern weil an diesem Mangel auch noch kräftig verdient wird.Es ist ein ganz einfaches Rezept, das wir hier zu konstatieren haben: Ein bestehendes Gebäude mit Mietwohnungen wird nach den Vorschriften desWohnungseigentumsgesetzes, §§. 3 und 7, vom Eigentümer in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Erforderlich ist — das wissen wir — lediglich eine sogenannte Abgeschlossenheitsbescheinigung der Baubehörde. Es ist festzustellen, daß die Voraussetzungen an diese Abgeschlossenheitsbescheinigung in den letzten Wochen und Monaten zwar etwas verschärft worden sind, nämlich durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß sie aber ansonsten relativ bescheiden sind. Eine einfache Sanierung genügt in den meisten Fällen. Damit wird die Abgeschlossenheitsbescheinigung erteilt.
Die so umgewandelten neuen Eigentumswohnungen oder auch alten Mietwohnungen — wie man sagen würde — werden dann mit gutem Gewinn an die Frau bzw. an den Mann gebracht. Oft zahlen gerade die bisherigen Mieter übertriebene Preise, um in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. Dies wäre vielleicht gerade noch hinzunehmen, obwohl diese Fälle meistens in einer bedenklichen Überschuldung enden. Aber meistens sind die Mieter nicht in der Lage, Eigentum zu erwerben. In der Regel tun dies deshalb andere, Dritte, die aus unterschiedlichen Gründen Wohnungseigentum erwerben wollen.Unabhängig von dieser Motivation ist das Ergebnis immer das gleiche: Der Umwandler hat verdient, der Mieter hat einen neuen Vermieter, den Erwerber, aber es ist kein einziger Quadratmeter an neuem Wohnraum entstanden, und — das ist das eigentlich Makabre bei diesem Vorgang — der Staat fördert diese Umwandlung auch noch steuerlich. Wie schreibt die des sozialistischen Gedankenguts sicher unverdächtige „Wirtschaftswoche" vom 23. März dieses Jahres — ich zitiere — :... aber ein Großteil dieser Verdrängung wird erst durch staatliche Eingriffe in den Markt verursacht: durch Sanierungshilfen etwa, durch Steuervergünstigungen für die Modernisierung und für den Kauf älterer Eigentumswohnungen.
Wir Sozialdemokraten unterstützen den Gesetzentwurf des Bundesrates. Er will die Rechtsstellung des Mieters dadurch stärken, daß er dem Erwerber bei Berufung auf Eigenbedarf die jetzige Ausschlußfrist von drei Jahren in „Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf" auf sieben Jahre verlängern will, entsprechend auch im Fall der wirtschaftlichen Verwertung.Ich denke, daß dies ein akzeptabler Kompromiß gewesen wäre. Aber die Mehrheit der Koalitionsfraktionen hat diesen Vorschlag des Bundesrates leider verwässert.
Aus sieben Jahren sind fünf geworden, und diese fünfjährige Frist ist noch an eine zusätzliche Bedingung geknüpft worden, nämlich daß die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde besonders gefährdet ist. Im Entwurf des Bundesrates hieß es, wie gesagt: „Ge-
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Dr. Pickbiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf " . Wir fürchten, daß diese Einschränkung in den meisten Fällen nicht mehr greifen wird. Es mag sein, daß damit eine Lex München übriggeblieben ist. Aber mit Sicherheit werden einige Gebiete auf Grund dieser Formulierung herausfallen. Insofern ist das Ganze mehr oder weniger verwässert worden.Die Sozialdemokraten bringen zu dem Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag ein, der in seinem Inhalt der CSU bekannt und sympathisch sein sollte. Er entspricht im wesentlichen der Beschlußfassung des CSU-Landesvorstandes, der u. a. gefordert hat — ich darf das zitieren — :Umgestaltung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums und Erhöhung des Baukindergeldes,Zinshilfen für Baugeld, .. .Herabsetzung der Steigerungsgrenze für Mieten von derzeit 30 % in drei Jahren auf 15
— das kommt noch —,Bindung der sog. Wiedervermietungsmiete ... an die ortsübliche Vergleichsmiete , Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete auf der Basis der letzten zehn Jahre . . .Auch das möchte ich aus diesem Vorschlag noch zitieren, dem wir uns vollinhaltlich anschließen.Ich denke, das wäre sicher eine Möglichkeit und eine Chance gewesen — die leider verpaßt worden ist —, dem Umwandlungsunwesen in der Tat einen Riegel vorzuschieben. Wir tun das in einem sehr viel bescheideneren Maße nach dem Vorschlag des federführenden Ausschusses. Die Sozialdemokraten werden diesem Vorschlag letztlich zustimmen; denn er enthält immerhin einige kleine Fortschritte. Er entspricht nicht unseren Vorstellungen, aber ich denke, man muß auch kleine Schritte gehen können. Dies sind wir in diesem Hause bei dieser Mehrheit auch gewöhnt. Deswegen schließen wir diesen Entschließungsantrag an, in dem wir noch einmal auf unsere Forderungen hinweisen.Ich appelliere also insbesondere an die CSU, ihre auch bundesweite Kompetenz, Herr Kollege Geis, unter Beweis zu stellen und unserem Entschließungsantrag, der Ihren Vorstellungen entspricht, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Geis.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Pick hat richtig ausgeführt, daß dieser Gesetzentwurf auf eine Initiative der bayerischen Staatsregierung zurückzuführen ist. Er verbessert die Stellung des Mieters und verschlechtert die Rechtsstellung des Vermieters gegenüber dem Mieter.
Wir haben jetzt schon eine recht gute Stellung des Mieters gegenüber dem Vermieter. Der Mieter kann nach unseren Mietgesetzen sicher sein, daß er im Normalfall seine Wohnung behalten kann, daß er seine Lebensumgebung, seine Bindungen an Vereine, an die Arbeitsstätte behalten kann und daß seine Kinder die Schule nicht aufgeben müssen, daß er dort, wo er seine Wohnung hat, in Ruhe leben kann. Er hat im Grunde in dieser Beziehung eine Stellung, wie sie der Eigentümer auch hat.
Aber es ist richtig, daß diese Stellung jedenfalls in bestimmten Bereichen unseres Bundesgebietes nicht so gesichert ist, wie wir das gerne sähen. Wir haben jetzt schon die Möglichkeit für den Vermieter, wegen Eigenbedarfs und auch dann zu kündigen, wenn er durch das Mietverhältnis erhebliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müßte. Dies ist durch das Bundesverfassungsgericht in zwei Urteilen zum Eigenbedarf und zur wirtschaftlichen Nutzung bestätigt, beide verkündet am 14. Februar 1989.
Nun können aber diese Grundsätze, die dort ausgeführt sind, keine Geltung haben — da stimmen wir mit Ihnen überein —, wenn der Mieter, dem beispielsweise wegen Eigenbedarfs gekündigt wird, überhaupt keine Chance hat, eine gleichwertige Ersatzwohnung im selben Raum zu finden, weil eine ernste Wohnungsverknappung besteht. In solchen Fällen sollten wir die Position des Mieters gegenüber dem Vermieter dann, wenn dieser Eigenbedarf oder wirtschaftliche Nutzung geltend macht, verbessern. Ansonsten ist eine Verbesserung nach unserer Auffassung nicht erforderlich. Wir unterstützen deshalb den Gesetzesvorschlag der bayerischen Staatsregierung.
In der Überlegung allerdings, wie wir diesem Anliegen gerecht werden können, gehen wir nicht so weit, wie München gegangen ist. Wir wollen vielmehr den Zeitraum von sieben Jahren, den München ursprünglich im Bundesrat vorgeschlagen hat und der auch so im Bundesrat verabschiedet worden ist, auf fünf Jahre herabsetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege, Sie haben die Probleme in den Städten richtig beschrieben, die Anlaß für den Freistaat Bayern waren, den Gesetzentwurf im Bundesrat einzubringen. Sind Sie nun als CSU-Abgeordneter bereit, dem Vorschlag des Freistaates Bayern zu folgen, oder folgen Sie dem Vorschlag des Freistaates Bayern nicht?
Warten Sie doch ab! Ich habe doch schon erklärt, wie weit wir dem Vorschlag des Freistaates Bayern folgen. Wir folgen ihm in seinem Grundanliegen, sagen aber, daß wir beim Kündigungsschutz nicht von sieben Jahren, sondern von fünf Jahren ausgehen wollen. Das geschieht aus folgender Überlegung: Wir meinen, daß bei Abwägung des Interesses des Eigentümers, seine Wohnung, für die er vielleicht 200 000 DM oder 400 000 DM hingelegt hat, im Sinne des Eigenbedarfs für seine Familie, nutzen zu können, ein Kündigungsschutz von fünf
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Geis
Jahren für den Mieter ausreicht. In Abwägung der Interessen des Eigentümers und der Interessen des Mieters kommen wir zu dem Ergebnis, daß dem Interesse des Mieters genüge getan wird, wenn er mit einem Kündigungsschutz von fünf Jahren rechnen kann. Wir meinen, daß die Maßnahmen der Bundesregierung, wie sie jetzt nach dem Wohnungsbauerleichterungsgesetz und insgesamt angelaufen sind und wie sie zu einem erheblichen Anstieg der Genehmigungen für den Wohnungsbau geführt haben, binnen einer Frist von fünf Jahren so gegriffen haben, daß der Mieter dann, wenn der Eigentümer Eigenbedarf geltend macht, in der Lage ist, eine gleichwertige Ersatzwohnung zu finden. Wir wollen also den Eigentümer — das ist unser Anliegen — nicht auf unbestimmte Zeit — das sah auch der Bundesratsentwurf nicht vor — von der Nutzung seines Eigentums ausschließen. Wir wollen dies aber auch nicht auf eine so lange Zeit wie ursprünglich vorgesehen tun, nämlich für sieben Jahre. Und wenn Sie die normale Kündigungsschutzzeit noch hinzurechnen — und das müssen Sie tun —, dann sind es schon acht oder neun Jahre. Vielmehr wollen wir diesen Zeitraum in seinem Interesse auf nun insgesamt fünf Jahre verkürzen. Da zu diesen fünf Jahren noch die normalen Kündigungsschutzzeiten hinzukommen, werden aus diesen fünf Jahren in der Regel mindestens sechs, wenn nicht sogar sieben Jahre.
Und nun stellen Sie sich einmal vor, wir würden einen Eigentümer, der 200 000 bis 400 000 DM für seine Wohnung ausgegeben hat — nicht in Verfolgung wirtschaftlicher Interessen, sondern um sie für sich selbst und seine Familie zu nutzen — , so lange von der Nutzung dieser Wohnung ausschließen. Wenn wir das täten, dann würden wir den Interessen des Eigentümers unserer Meinung nach nicht gerecht werden. Nach Abwägung des Interesses des Mieters und des Interesses des Vermieters — sprich: Eigentümers — meinen wir, daß ein Zeitraum von fünf Jahren in der jetzt gegebenen Situation ausreichend ist. Diese Regelung — das hat Herr Pick richtig ausgeführt — ist gekennzeichnet durch die Begrenzung auf fünf Jahre und die Beschränkung auf solche Gebiete, in denen ein so großer Wohnungsmangel herrscht, daß der Mieter nicht so schnell eine Ersatzwohnung finden kann.
Das ist unsere Vorstellung, dazu haben wir uns in der Koalition durchgerungen. Ich bin der Auffassung, daß dies richtig ist.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß diese Antwort bisher vier Minuten gedauert hat. Also, ich glaube, das geht nicht.
Nein, ich bin in meinen Ausführungen schon fortgefahren.
Da Herr Müntefering schon wieder dort steht, um eine zweite Zusatzfrage zu stellen, wollte ich darauf hinweisen, daß ich das so angenommen habe. — Herr Kollege, gestatten Sie noch eine weitere Zusatzfrage?
Ja, bitte sehr.
Darf ich noch einmal ausdrücklich fragen, Herr Kollege: Gehen Sie davon aus, daß die Mieterschutzforderung der Mehrheit des Bundesrates, einschließlich des Freistaates Bayern, die Kündigungsschutzfrist bei Eigenbedarf in Gebieten mit erhöhtem Wohnbedarf auf sieben Jahre zu verlängern, eine übertriebene Mieterschutzforderung ist?
Ich gehe davon aus, daß die fünf Jahre, die wir jetzt festgesetzt haben, parallel zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, ausreichen, um dem Interesse des Mieters gerecht zu werden.
Ich habe schon gesagt, daß in unsere Überlegungen zum einen die Maßnahmen der Bundesregierung einbezogen worden sind, die zu einem verstärkten Wohnungsbau führen werden.
Zum zweiten aber sind wir der Auffassung, daß wir die Investoren nicht zu sehr verschrecken dürfen. Zweifellos spielt für einen Investor, also für jemanden, der Geld hat, um es in Mietwohnungsbau zu investieren, sicherlich eine Rolle, wie sehr er durch das Mieterschutzgesetz gebunden ist. Wir meinen, daß wir Investoren, wenn wir das Mieterschutzgesetz zu sehr verschärfen, von der Investition in den Wohnungsmarkt unter Umständen abhalten; das ist die zweite Überlegung.
— Lassen Sie mich doch meine Überlegungen vortragen.
Die dritte Überlegung ist die, daß wir mit dem Finger jetzt nicht allein auf die Bundesregierung zeigen sollten. Vielmehr müssen wir in diesem Zusammenhang auch an die Planungsämter appellieren. Wir haben in der Tat die schizophrene Situation, daß wir in den Ballungszentren zwar ständig hören müssen, wie schlecht die Wohnungspolitik der Bundesregierung ist. Dabei bleibt aber außer Betracht, daß die Planungsämter selbst nicht in der Lage sind, Gelände für den Bau von Wohnungen ausreichend zur Verfügung zu stellen; so München. Wir haben in Bayern im Jahr 1989 eine erhebliche Steigerung im Mietwohnungsbau und im Einfamilienhausbau, aber nicht in München. Dort haben wir sogar einen Rückgang.
— Das gilt bundesweit. München ist bundesweit Schlußlicht, aber das gilt auch für Frankfurt.
Herr Kollege, ehe Sie fortfahren: Auch Dr. Hitschler möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die noch beantworten?
Bitte sehr. — Aber ich muß auch noch zum Entschließungsantrag Stellung nehmen. Ich hoffe, daß meine Zeit reicht.
Herr Kollege Geis, ist Ihnen bekannt, daß der Bundesrat im Jahre 1981 in derselben Angelegenheit eine Verlängerung der Sperrfrist
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Dr. Hitschlerauf fünf Jahre genau mit der Begründung abgelehnt hat, die Sie soeben gegeben haben, nämlich mit dem Hinweis auf die Ausgewogenheit des Schutzes der Interessen von Eigentümern und Mietern der Wohnungen,
und daß das Land Bayern diesen Antrag damals ebenfalls abgelehnt hat?
Es ist mir jetzt nicht bekannt, es war mir nicht geläufig. Aber ich bitte, auch die Interessen von Bayern zu sehen, die natürlich sehr stark in München konzentriert sind, was die Wohnungsnot angeht. Es ist in der Tat so, daß in München eine starke Wohnungsverknappung ist.
Ich wiederhole noch einmal: Unser wichtigstes Anliegen ist es aber auch, daß wir an die Planungsämter appellieren, endlich einmal aus der eigenen Haut herauszugehen und endlich einmal Hemmschwellen zu überwinden und mehr Land, mehr Bauland, zur Verfügung zu stellen, damit wir auch mehr Wohnungen bauen können. In den Ballungszentren wird gerade in dieser Hinsicht erheblich gesündigt.
Nun noch ein Wort zum Entschließungsantrag. Herr Pick, ich schätze Sie als einen sehr seriösen Kollegen. Ich meine, Sie stellen diesen Entschließungsantrag doch nicht, um dem Mieter zu helfen, sondern Sie wollen im Grunde genommen uns hier doch nur vorführen.
Ich meine, das ist der ernsten Situation des Mieters in den Ballungszentren nicht angemessen.
Wir haben im Landesvorstand bestimmte Vorstellungen.
Wir wollen diese Vorstellungen in die Gremien, die außerparlamentarisch und parlamentarisch vorhanden sind, einbringen, wollen sie in der Diskussion prüfen und wollen zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Aber wir wollen jetzt nicht hopplahopp eine Entschließung verabschieden, um dann zum Schluß jede Diskussionsmöglichkeit herauszunehmen und zum Schluß zu überhaupt nichts zu kommen, denn das ist das Ergebnis. Deswegen lehnen wir diesen Entschließungsantrag ab.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Für christdemokratische Verhältnisse war dieser Gesetzentwurf immerhin schon ein großer Fortschritt, da deren frühere Mehrheit im Bundesrat gefordert hat — es ist hier mehrfach ausgeführt worden — : Bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gilt nicht mehr die Kündigungssperrfrist von drei Jahren, sondern von sieben Jahren. Was passierte? Die FDP stand auf und witterte prompt verfassungsfeindliche Umtriebe. Das heilige Privateigentum sei in Gefahr. So schmal, Herr Hitschler, ist also bereits der Grat zwischen Mieterschutz und Verfassungsbruch. Das Geschrei zeigte Wirkung: Die CSU knickte ein. Offensichtlich war dieser Entwurf nur für die öffentliche Beruhigung, die Kommunalwahl in Bayern war gerade vorbei. Vielleicht hat es die CSU sogar bewußt darauf angelegt, daß diesmal die FDP für sie die Kastanien aus dem Feuer holt.Herausgekommen ist jetzt, wie gesagt, eine Sperrfrist, die in nur ganz eng begrenzten Gebieten und auch dann nur fünf Jahre lang gelten soll.Was lernen wir daraus? Spätestens im Bundestag verkümmert die vollmundige Mieterfreundlichkeit der CSU zur kleinmütigen Koalitionstaktiererei. Immerhin war der ursprüngliche Entwurf zumindest der Versuch, das mieterinnen- und mieterfeindliche Eigenbedarfsurteil des Bundesverfassungsgerichts ein wenig abzufedern.Das ist unbestreitbar nötig, denn eine der Hauptursachen der dramatisch wachsenden Wohnungsnot ist die massenhafte Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Das ist wirklich ein Massenphänomen, das sind keine Einzelfälle:Nach seriösen Schätzungen sind immerhin 100 000 Wohnungen jährlich von Umwandlung betroffen, vorwiegend preiswerte Wohnungen in älteren Häusern, d. h. dort wohnen überwiegend keine reichen Leute, dort wohnen oftmals Familien mit vielen Kindern, dort wohnen Familien, die nur deshalb noch nicht von der Sozialhilfe abhängig sind, weil sie bisher noch niedrige Mieten gezahlt haben.Der Bundesrat hat in seiner Gesetzentwurf sbegründung auch mit Recht auf die Ursache dieses Problems hingewiesen: die Ausdehnung der steuerlichen Eigentumsförderung auf den Erwerb von Gebrauchtwohnungen. Das geschah im Jahre 1977 durch die damals regierende SPD/FDP-Koalition. Allein hierfür werden jährlich rund 4,5 Milliarden DM an Steuervergünstigungen gezahlt. Statt jedoch diese Ursache des ganzen Übels zu beseitigen, wird an Symptomen kuriert. Gleichzeitig wird die Umwandlung weiter gefördert.Insofern können die Maßnahmen, die jetzt beschlossen werden sollen, am eigentlichen Skandal, nämlich dem Umwandlungsboom, auch nur herzlich wenig ändern. Die Situation wird sich noch verschlimmern. Es gibt ja nicht nur die ordentliche Kündigung. Es gibt eine ganze Latte von Methoden, mit deren Hilfe Mieterinnen und Mieter — sie können ein Lied davon singen — aus ihren Wohnungen herausgeekelt werden können und werden.Tritt die fünfjährige Sperrfrist tatsächlich in Kraft — wir wissen freilich noch nicht, wie sich der Bundesrat verhält, wenn er seinen eigenen Entwurf nicht mehr wiedererkennt — , gilt also die längere Sperrfrist,
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Frau Teubnerdann wird es wohl so sein, daß der Psychoterror gegenüber den Mieterinnen und Mietern noch mehr steigt, damit sie endlich aus ihren umgewandelten Wohnungen ausziehen. Denn die Leute, die diese Wohnungen gekauft haben, um ihre Steuerermäßigung in Anspruch zu nehmen, sind natürlich gezwungen, möglichst schnell in die Wohnung einzuziehen, weil sie sonst diese Vergünstigung verlieren.Auch die Spekulanten werden schon im Vorfeld alles daransetzen, um die Wonung zu „entmieten", wie es so unschön heißt. Dazu gibt es die verschiedensten Methoden von subtiler Gewalt bis zum Terror, bei deren Anwendung professionelle Umwandler noch nie zimperlich waren. Denn eine leere Wohnung verspricht bekanntlich höhere Preise und Mieten, also auch höhere Gewinne.Die GRÜNEN hatten im Ausschuß beantragt, daß der verbesserte Kündigungsschutz auch dann gilt, wenn die Käufer als Bruchteilsgemeinschaft auftreten. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß dies ein Weg sein könnte, sich aus den neuen Regelungen herauszuschleichen.Dieser Antrag von uns ist abgelehnt worden. Wir können das nur so interpretieren, daß Sie keinerlei Interesse haben, daß dieses Gesetz wirksam wird, nicht einmal in dieser verwässerten Form.Daß es hauptsächlich darum geht, die Öffentlichkeit zu blenden, nicht aber um ein Mehr an Mieterschutz, bestätigt vielleicht sogleich der Kollege Hitschler. Seiner vorab verteilten Rede war ja die deutliche Aussage zu entnehmen — ich weiß nicht, ob Sie sich trauen, das jetzt zu bestätigen; ich fände das ziemlich skandalös — , man könne diesem Kompromiß wegen „praktischer Unerheblichkeit" getrost zustimmen. Sie empfehlen „sozusagen Zustimmung wegen Unschädlichkeit" . Das ist tatsächlich nichts als Schaumschlägerei.Die Kündigungsfrist bei Umwandlungen verlängern und gleichzeitig die steuerliche Förderung fortsetzen heißt, mit einem Fuß auf der Bremse stehen, während der andere ungestört weiter auf dem Gaspedal ruht.Wir fordern deswegen weiterhin, sich etwas Besseres, etwas Konsequentes einfallen zu lassen, nämlich den § 10e des Einkommensteuergesetzes zu streichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hitschler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, daß ich es skandalös finde, daß eine Abgeordnete sich hier hinstellt, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisiert und dem Bundesverfassungsgericht Verbesserungen empfiehlt.
Parallel zu den Überlegungen im Bundesrat, die zu dem auf Drucksache 11/6374 vorliegenden Antrag geführt haben, wurde in der Koalition eine Vielzahl von Vorschlägen geprüft, wie mögliche nachteilige Wirkungen von Umwandlungen auf die bisherigen Mieter vermieden werden können.Ein wirklich befriedigendes Ergebnis hat diese Prüfung dabei nicht ergeben, zumal einerseits viele Umwandlungen im Sinne der Wohneigentumsbildung durchaus sinnvoll erscheinen, ja geradezu erwünscht sind und auch die Eigentumsrechte der Wohneigentümer nicht in ungebührlicher Weise beeinträchtigt werden durften, andererseits Einzelfälle bekannt geworden sind, in denen Umwandlungen in spekulativer Absicht, zu Luxussanierungen genutzt, zu erheblichen Mieterverdrängungen geführt haben.Die Umwandlungen fanden in nennenswertem Umfange nur in Großstädten statt, wo eine starke Übernachfrage nach Wohnungen solchen Praktiken einen entsprechenden Spielraum bot. In der Tat ist die Umwandlungspraxis letztlich darauf zurückzuführen, daß größere Wohnblocks auf Grund ihrer günstiger gewordenen Wohnlage und der Nachfrageverhältnisse einen derart hohen realen Wertzuwachs erfahren haben, daß aus der bisherigen Verwendung eine, an den Marktverhältnissen gemessen, zu niedrige Rendite erzielt wurde.Nur auf Grund dieses Dissenses zwischen Wohnwert und Wohnertrag konnte sich eine Praxis herausbilden, die durch Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen — meist verbunden mit der Durchführung einer Gebäudesanierung — ein lukratives Geschäft verhieß.Zur Lösung des Problems der Verdrängung insbesondere einkommensschwächerer Mitbürger war es erforderlich, eine Regelung zu finden, die die Verfügbarkeit des Eigentümers nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zu stark einengt und auch nicht die Investitionsbereitschaft der potentiellen Anleger schmälert und die andererseits die Mieter gegen eine als willkürlich empfundene Verdrängung schützt.
Die Einführung einer Genehmigungspflicht, die Einräumung eines obligatorischen Vorkaufsrechts des Mieters, eine Änderung der Sozialklausel, eine Einschränkung der Steuervergünstigung nach § 10 e Einkommensteuergesetz wurden erwogen und verworfen, weil allenthalben die Nachteile derartiger Regelungen ihre Vorteile überwogen hätten.Nunmehr hat sich die Koalition auf eine zeitlich befristete und örtlich begrenzte Verlängerung der in § 564 b BGB festgelegten Schutzfrist für den Mieter auf 5 Jahre festgelegt, innerhalb derer der Vermieter sich nicht auf ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses berufen kann, und zwar weder im Falle der Geltendmachung von Eigenbedarf nach Eigentumserwerb noch im Falle der Berufung auf den Tatbestand der erforderlichen angemessenen wirtschaftlichen Verwertung seines Grundstücks.Nachdem sich freilich in der Verwaltungspraxis im Umwandlungsfalle die inzwischen durch höchstrich-
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Dr. Hitschlerterliches Urteil abgesicherte Handhabung herausgebildet hat, daß für umzuwandelnde Wohnungen Abgeschlossenheitsbescheinigungen hinsichtlich Brand-, Schall- und Wärmeschutzerfordernissen vorzulegen sind, ist eine gesetzliche Regelung zumindest für den ganzen Bereich des Altbaubestandes obsolet geworden. Im Neubaubereich, der den Erfordernissen des Brand-, Schall- und Wärmeschutzes entspricht, dürfte hingegen ein wirtschaftlicher Anreiz zur Umwandlung nur in wirklich seltenen Fällen gegeben sein. Insofern dürfen auch diejenigen, die es unter den Liberalen zahlreicher gibt, die erhebliche Bedenken gegen eine Ausweitung des staatlichen Interventionismus bei dieser Gesetzesänderung in sich tragen, dieser Kompromißregelung wegen praktischer Unerheblichkeit getrost zustimmen.Die Grundlage für die Regelungsbedürftigkeit ist zwischenzeitlich eigentlich entfallen, und die Umwandlungen haben in der Lebenswirklichkeit keine praktische Bedeutung mehr. Wir empfehlen sozusagen Zustimmung in der Tat wegen Unschädlichkeit. Frau Kollegin, wenn Sie sich draußen im Lande umsehen, ist die Umwandlungspraxis gegenwärtig im Prinzip auf Null gesunken.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung unterstützt das grundsätzliche wohnungsbaupolitische Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs, Wohnungsumwandlungen zu erschweren. Die jetzt vom Rechtsausschuß beschlossene Fassung trägt unseren hauptsächlichen Änderungsvorschlägen Rechnung, auf die ich in aller Kürze eingehen will.
Erstens. Mit der Entscheidung, die Kündigungssperrfrist in bestimmten Gebieten von drei auf fünf Jahre und nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, auf sieben Jahre zu verlängern, hat der Rechtsausschuß rechtspolitisches und verfassungsrechtliches Augenmaß bewiesen. Jede weitere Verlängerung würde das verfassungsrechtliche Risiko überproportional erhöhen.
Zweitens. Die jetzt vorliegende Fassung läßt die Verlängerung der Kündigungssperrfrist nur für ausgesprochene Brennpunkte der Wohnungsversorgung zu, also für Gebiete, in denen die Versorgung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Ein allgemein erhöhter Bedarf soll eben nicht ausreichen, auch nicht eine allgemeine Gefährdung der Wohnungsversorgung. Vielmehr muß die Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen gefährdet sein, und die Gefährdung muß ausweislich des Gesetzes eine besondere sein. Zu der Parallelvorschrift im Recht der Zweckentfremdung hat das Bundesverfassungsgericht den Landesregierungen die erforderlichen Maßstäbe an die Hand gegeben.
Drittens begrüße ich es, daß die Landesregierungen die Bestimmung der Gebiete auf jeweils fünf Jahre befristen und dann, wenn sie die betreffende Rechtsverordnung verlängern wollen, die besondere Gefährdung der Versorgung mit Mietwohnungen erneut konkret feststellen müssen. Mit diesen Einschränkungen soll deutlich gemacht werden, daß die fünfjährige Kündigungssperrfrist eine Ausnahmeregelung für eng begrenzte Gebiete und Zeiten besonderer Engpässe in der Wohnungsversorgung sein soll.
Die Bundesregierung stimmt der jetzigen Fassung des Gesetzentwurfs auch in dem Punkte zu, daß die Sperrfrist bei Kündigungen zum Zweck der Veräußerung nur in Gebieten mit besonders gefährdeter Versorgung, also nicht flächendeckend, eingeführt werden soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Insgesamt hofft die Bundesregierung, daß dieses Gesetz seinen Zweck erfüllen und in den von den Landesregierungen bestimmten Gemeinden und Gemeindeteilen der Umwandlung vermieteter Wohnungen Einhalt geboten wird. Die Bundesregierung wird darüber hinaus die Landesregierungen bitten, die Entwicklung sorgfältig zu beobachten und ihr besonderes Augenmerk auf mögliche Gesetzesumgehungen durch Bildung von Bruchteileigentum zu richten. Sollten diese Umgehungen ein wohnungspolitisches Problem werden — das möchte ich schon heute ankündigen — , ist die Bundesregierung durchaus bereit, gemeinsam mit den Ländern Abhilfemaßnahmen zu prüfen.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine Erwiderung auf Ihren Beitrag, Frau Kollegin Teubner.
Sie sprechen in dieser Rede — ich zitiere — von „verfassungsfeindlichen Umtrieben.
Meine Bitte ist, daß Sie verfassungsfeindliche Umtriebe von verfassungsrechtlichen Bedenken zu unterscheiden lernen. Ich glaube, das gehört mit in dieses Parlament.
Sie haben dann das Wort „Psychoterror gegen die Mieter" in den Mund genommen.
Sie haben auch gesagt: Die Öffentlichkeit wird getäuscht. Was Sie hier tun, ist, eine Angstkampagne gegen die Mieter zu inszenieren.
Das erinnert in fataler Weise daran, daß wir hier im Deutschen Bundestag einmal eine Diskussion über Mietenlügen geführt haben. Sie haben daraus nichts gelernt.
Mein Appell ist, daß Sie Dichtung und Wahrheit voneinander unterscheiden und der Wahrheit die Ehre geben.
Deutscher Bundestaa — 11.Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16845
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Dieses Gesetz ist kein Gesetz gegen die Mieter, es ist vielmehr ein Gesetz für den Mieterschutz.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters bei Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen. Es handelt sich um die Drucksachen 11/6374 und 11/7258.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift, in der Ausschußfassung auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit einer Enthaltung ist die zweite Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei 1 Enthaltung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7291 ab. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Tillmann, Fischer , Jung (Limburg), Dr. Jobst, Börnsen (Bönstrup), Haungs, Bohlsen, Rauen, Frau Karwatzki, Bühler (Bruchsal), Oswald, Rossmanith, Dr. Faltlhauser und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gries, Kohn, Richter, Zywietz, Timm, Nolting, Dr. Solms, Dr. Weng (Gerlingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
— Drucksache 11/6261 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/7143 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/7279 und 11/7287 vor. 30 Minuten werden vorgeschlagen. — Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat der Berichterstatter Herr Abgeordneter Ibrügger das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auf der Drucksache 11/7143 sind Ihnen unter Ziffer I die wesentlichen Inhalte und Ziele des Gesetzentwurfes vorgetragen worden. In Absprache mit den Kollegen Berichterstattern aus der FDP- und der CDU/CSU-Fraktion möchte ich als Berichterstatter noch eine Ergänzung in den schriftlichen Bericht einbringen.Es heißt unter Ziffer 1:Es wird davon ausgegangen, daß die meisten Mitarbeiter der aufzulösenden Bundesanstalt für Flugsicherung in den Dienst der neuen Flugsicherungs- GmbH übertreten. Voraussetzung hierfür ist, daß die Erwartungen dieser Mitarbeiter bezüglich der Einkommen sowie der Kranken-und Altersversorgung erfüllt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der uns in den letzten Tagen übermittelten wachsenden Besorgnisse von Mitarbeitern der Bundesanstalt für Flugsicherung über eine befriedigende Regelung der Versorgungsanwartschaften im Gesetz bzw. durch Entscheidungen des Parlaments bin ich gehalten, noch einige zusätzliche Ausführungen zum schriftlichen Bericht zu leisten.Es sind 4 000 Mitarbeiter, über die wir sprechen. Zwei Klarstellungen sollten hier noch genannt werden, an die Mitarbeiter der BFS wie auch an die Luftraumnutzer. Es soll niemandem der 4 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Übertritt in die neue GmbH der Flugsicherung ein Nachteil erwachsen. Die Versorgungsansprüche müssen sichergestellt werden. Gegenwärtig beläuft sich dies auf einen Umfang von rund 900 Millionen DM.Ich will aber hinzufügen, daß durch die seit 1971 geltenden Gebührenregelungen bereits 416 Millionen DM aufgelaufen sind, die auch noch nicht verbraucht sind und die also diesen 900 Millionen DM Aufwand gegenüberzustellen sind.An die Adresse der Luftraumnutzer: Es kann natürlich nicht angehen, daß sie zum zweiten Mal durch die Gebühren, die künftig zu zahlen sind, für diese Ansprüche der Altersversorgung herangezogen werden. Nach aller bisherigen Erfahrung kann eine befriedigende Regelung im öffentlichen Dienstrecht nicht gefunden werden. Aus unserer Sicht sind dafür tarifvertragliche Regelungen notwendig, die dann aber von der zu errichtenden GmbH mit den Mitarbeitern zu leisten sind.Wir erwarten daher spätestens im Haushaltsjahr 1993, also bei den Haushaltsberatungen im Herbst 1992, daß der Deutsche Bundestag und auch die Bundesregierung durch entsprechende Entscheidungen im Haushaltsgesetz diese Versorgungsanwartschaften sicherstellen.Wir erwarten gleichzeitig einen Bericht der Bundesregierung jeweils zum 31. Dezember 1990, zum 31. Dezember 1991 und zum 30. August 1992 über den Vollzug des heute zu beschließenden Gesetzes, um gegebenenfalls als Gesetzgeber rechtzeitig noch aufgeworfene Schwierigkeiten oder Probleme lösen zu helfen.
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16846 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
IbrüggerFrau Präsidentin, ich habe in diesen Punkten den Bericht zu ergänzen gehabt.Herzlichen Dank.
Danke sehr, Herr Abgeordneter.
Ich rufe jetzt den Herrn Abgeordneten Dr. Tillmann auf. Er hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war gar nicht einfach, das Zehnte Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes bis zur zweiten und dritten Lesung heute zu bringen. Das liegt einmal an der komplizierten Materie selbst; es liegt aber insbesondere auch an dem komplizierten Verfahren, dem wir uns bei der Gesetzgebung unterworfen haben. Deswegen möchte ich allen, die dabei mitgewirkt haben, daß wir heute hier das Gesetz verabschieden können, herzlich danken, dem Herrn Berichterstatter zuvorderst, aber auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsausschuß, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesverkehrsministeriums, aber auch den direkt Interessierten, den Vertretern der Fluglotsen oder, besser gesagt, der Bundesanstalt für Flugsicherung, damit alle einbezogen sind, die sich da betroffen fühlen könnten, und z. B. auch den Luftraumnutzern. Ohne ihre Mitarbeit und Mitwirkung wären wir sicherlich mit der Umsetzung dieser Materie nicht so weit gekommen.Die Argumente für die Umstrukturierung der Flugsicherung sind hier an dieser Stelle schon mehrfach ausreichend vorgetragen worden; ich will das nicht wiederholen.Eines ist allerdings gewiß: Wir schaffen bestimmt mit diesem Gesetz ein zukunftsträchtiges Konzept für die Flugsicherung, das nicht nur den heutigen, sondern auch den in Zukunft steigenden Anforderungen der Luftfahrt gerecht werden wird. Wir schaffen Dynamik, Flexibilität und schnelle Entscheidungsfähigkeit durch die Umwandlung der BFS, der Bundesanstalt für Flugsicherung in eine privatwirtschaftlich unternehmerisch organisierte Rechtsform.Ich will an dieser Stelle auch ausdrücklich hervorheben, daß ich fast meine, daß es sich bei diesem Vorhaben um einen Modellfall handelt. Denn mit der Übertragung der staatlichen Aufgabe Flugsicherung an ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen hat der Deutsche Bundestag auch ein allgemeinpolitisches Signal gesetzt. Er hat damit klargestellt, daß er bereit ist, Staatsaufgaben, wenn sie in öffentlich-rechtlicher Form nicht mehr hinreichend erfüllt werden können, sozusagen zu privatisieren.Mehr und mehr stellt es sich heraus, daß das öffentliche Dienstrecht und das Haushaltsrecht wegen ihrer Starrheit und Unflexibilität nicht geeignet sind, staatliche Aufgaben, insbesondere im Bereich der Hochtechnologie, ausreichend zu bewältigen. Nur unternehmerische Organisationsformen und Organisationsstrukturen sind heute in der Lage, bei immer komplexer werdenden staatlichen technischen Dienstleistungen die erforderliche Flexibilität und Leistungsfähigkeit zu garantieren. Ich sehe in dem Gesetz auch einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung und zurLichtung des Verordnungs- und Gesetzesgestrüpps. Wir schaffen das Gesetz für die Bundesanstalt für Flugsicherung vollständig ab.Erwähnenswert als Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung ist auch die Beseitigung des Fotografierverbots. Die Mitarbeiter der Luftfahrtverwaltungen der Länder, die bisher tagaus, tagein damit beschäftigt waren, Erlaubnisse für die Veröffentlichung von Luftbildaufnahmen zu unterschreiben, können sich in Zukunft wichtigeren Aufgaben widmen.Es ist im übrigen ein Irrtum anzunehmen, mit der Verabschiedung dieses Gesetzes seien alle Schulaufgaben gemacht, man könne sich in Ruhe zurücklehnen und die Entwicklung abwarten. Insbesondere die Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, die ihr durch das Gesetz aufgegebenen Schulaufgaben gut und schnell zu machen. Es muß schnell zum Erlaß der erforderlichen Rechtsverordnung, zur Gründung der GmbH und zur Umsetzung unserer Vorgaben in die Praxis kommen.In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Klärung der fiskalischen Sicherung der Versorgungsanwartschaften anzusprechen. Herr Kollege Ibrügger als Berichterstatter hat das bereits erwähnt; ich brauche das nicht zu wiederholen. Wir hätten gern heute eine entsprechende klärende Entschließung eingebracht und verabschiedet. Aus beratungstechnischen Gründen war uns dies leider nicht möglich. Herr Ibrügger hat eben erwähnt, daß wir das später noch tun wollen.Wir halten uns jedenfalls an Ihre Aussage im Ausschuß, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schulte, daß es sich bei der Sicherung der Versorgungsanwartschaften nicht um eine prinzipielle Frage, sondern lediglich um eine technische Klarstellung handelt. Wir rechnen bei der Umsetzung auf eine intensive und zeitnahe Kooperation mit der Bundesregierung.Ich möchte die aufgekommene Besorgnis ansprechen, mit der offenen und weiten Formulierung des § 31 b könne eine möglichst vollständige Übertragung der Aufgaben der BFS auf eine neue GmbH nach §27 c unterlaufen oder gar hintertrieben werden. Wir vertrauen insoweit auf die Aussage der Bundesregierung, daß die Formulierung lediglich der Herstellung des notwendigen Ermächtigungsspielraums dient.Ich möchte noch kurz auf den Antrag der SPD eingehen. Aus verkehrspolitischer Sicht halten wir die Doppelgleisigkeit von ziviler und militärischer Flugsicherung für zumindest problematisch, wenn nicht für überholt. Die Knappheit des zur Verfügung stehenden Luftraums und die Verkehrssicherheit gebieten vernünftigerweise die Einheitlichkeit der Kontrolle.
Ich glaube nicht, daß Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit gefährdet sein würden, wenn dies so wäre. Da es aber bei unterschiedlichen Interessen in unserer Fraktion noch einen Abklärungsbedarf gibt, werden wir diesem Antrag unserer Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion heute nicht zustimmen können. Wir bitten dafür um Verständnis. Vielleicht können wir es später einmal nachholen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16847
TillmannWenn der Luftverkehr — auch das soll noch gesagt werden — in Zukunft zumindest annähernd zufriedenstellend abgewickelt werden soll, brauchen wir eine neue Luftraumstruktur in der Bundesrepublik, in Europa und möglichst auch unter Einbeziehung des Luftraums der DDR. Vor allem die ADIZ, die Air Defense and Identification Zone, dieses Fossil aus den Zeiten des Kalten Krieges an der Grenze zur DDR, muß endlich geschliffen werden. Ich ermuntere die Bundesregierung, ihre Bemühungen um die Beseitigung der ADIZ verstärkt fortzusetzen.Ich möchte noch auf unseren Änderungsantrag in Drucksache 11/7279 verweisen. Er ist vernünftig und in der Sache begründet. Ich bitte um Ihre Zustimmung.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz schaffen wir die Voraussetzungen für eine vernünftige Handhabung der Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft. Aber — das habe ich hier schon einmal gesagt — dieses Gesetz ist auch ein guter Baustein für eine zukünftige gemeinsame europäische Flugsicherung. Dies ist eine Aufgabe, der wir uns nach der Verabschiedung dieses Gesetzes zu widmen haben. Ich glaube, wir haben hiermit ein sehr gutes Gesetz zustande gebracht. Deshalb bitte ich das ganze Haus um Zustimmung.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Ibrügger.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Tillmann, Sie werden Verständnis dafür haben, daß die SPD-Fraktion Ihnen in der Bewertung der Zukunftsträchtigkeit des Gesetzes nicht in vollem Umfang zustimmen kann. Die Begründung ergibt sich aus dem Änderungsantrag, den wir dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben.Außerdem möchte ich, was das Reizwort Privatisierung angeht, einem möglichen Mißverständnis, das damit auch in der Öffentlichkeit verbunden ist, vorbeugen: Es geht nicht darum, die Bundesanstalt für Flugsicherung nun in private Hände zu legen, sondern es gilt, die privatrechtliche Organisation — im Unterschied zum öffentlichen Dienstrecht — sicherzustellen, denn die GmbH — wie immer sie am Ende heißen wird — muß nach Auffassung der Sozialdemokraten auch in Zukunft im öffentlichen Eigentum bleiben.Flugverkehr und Luftverkehrskontrolle bleiben auch in Zukunft ein ganz wesentlicher und entscheidender Faktor für eine befriedigende europäische Verkehrswegeinfrastruktur. Hierzu muß die GmbH einen entscheidenden Anteil beisteuern.Nach den gegenwärtigen Vorausschätzungen wird sich die Zahl der Passagiere bis zum Jahre 2000 verdoppeln und bis zum Jahre 2010 verdreifachen.Die Mauer in Berlin ist gefallen. Hoffentlich werden auch die unsichtbaren Mauern fallen, die heute nicht nur den Verkehr zu den osteuropäischen Staaten behindern. Ich muß leider feststellen, daß im europäischen Luftverkehr unsichtbare Mauern bestehen, und zwar auf Grund unzureichender Verfahren der Flugsicherung und in der Gliederung des Luftraums, veranlaßt durch nationale Eigenbröteleien in der Organisation der Flugsicherung.Das hat immense Kosten für die Passagiere und die Luftverkehrsgesellschaften zur Folge. Bereits gegenwärtig werden Verluste in Höhe von 8,5 Milliarden DM eingeflogen. Im übrigen ist die Entwicklung auch in hohem Maße ökologisch unvernünftig: Die Flugwege sind zu lang, Umwege und Holdings werden in Kauf genommen. Dadurch werden der europäischen Luftverkehrswirtschaft Kosten in Höhe von 8,5 Milliarden DM auferlegt. Dieser Betrag sollte besser im Sinne eines zügigeren, effizienteren und auch personell befriedigend arbeitenden Luftverkehrssystems eingespart werden.Es ist und bleibt weiterhin anachronistisch, daß wir auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zwei unabhängig voneinander arbeitende Flugsicherungssysteme haben. Es ist Ziel der SPD, so schnell wie möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, zur Aufhebung der unterschiedlichen Instanzen in der Luftverkehrskontrolle zu kommen. Wir wollen die Flugsicherung aus einer Hand unter ziviler Verantwortung, unter der Verantwortung des Bundesministers für Verkehr.Wir sehen dieses Gesetz daher als einen ersten Schritt an, die grundlegende technische, personelle und operationelle Neuordnung der Flugsicherung vorzunehmen. Die Luftverteidigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt davon unberührt und wird von uns auch nicht in Frage stellt. Wir wollen eine europäische Luftverkehrslenkung, die den Namen „europäisch" auch wirklich verdient. Das heißt: Wir müssen endlich das nationale Denken im Luftraum überwinden. Das gilt nach Norden, Süden, Osten und Westen.Wir brauchen ein gemeinsames Konzept der kurzen Flugwege und der optimalen Flugprofile, und wir brauchen ein System der Luftverkehrskontrolle, in dem die Anforderungen der zivilen wie aber auch der militärischen Nutzer bestmöglich erfüllt werden.Wir brauchen eine europäische Kooperation in der Standardisierung, in der Ausstattung der Geräte, der Verfahren, in der Technik, auch im Personalbereich und insbesondere auch in den Anforderungen, die wir an das Fluggerät zu stellen haben. Ich spreche von den Transpondern, von den Einrichtungen, die es der Flugsicherung ermöglichen, die Automation weiterzutreiben und damit auch die hohe Arbeitsbelastung der Fluglotsen zu vermindern. Das ist vor allem eine politische Führungsaufgabe. Wir Parlamentarier sollten die Initiative ergreifen. Wir sollten gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Mitgliedstaaten der EUROCONTROL in eine Erörterung darüber eintreten, wie wir in gemeinschaftlich koordinierter Kontrolle des Regierungshandelns und der Haushaltsentscheidungen in Zukunft darauf achten können, daß Kompatibilität der Systeme wirklich kein Fremdwort bleibt.
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16848 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
IbrüggerDiese politische Führungsaufgabe sollten wir als Parlamentarier übernehmen, weil EUROCONTROL als eine künftig europäische Flugsicherungsorganisation auch diese Aufgaben gut wahrnehmen kann.Wir erwarten dadurch auch genügend Anziehungskraft, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf unsere Nachbarn in der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Skandinavien, um eine wirklich europäisch wirkende Flugsicherungs- und Luftverkehrskontrolle aufzubauen. Die Verkehrsflußsteuerung kann nur ein erster Schritt sein. Sie wird erst dann ihre volle Wirkung erzielen können, wenn auch die europäische Luftverkehrskontrolle aus einer Hand wahrgenommen wird.Wir halten es weiterhin für erforderlich, daß wir uns der Gliederung des Luftraums im europäischen Maßstab widmen. Ich zähle dies zu den Aufgaben, die wir als Parlamentarier mit aufgreifen sollten. Ich möchte das Parlament darüber unterrichten, daß wir beabsichtigen, uns in der Nordatlantischen Versammlung die Frage der Inanspruchnahme europäischen Luftraums durch militärische Aktivitäten vorzunehmen. Wir wollen feststellen, in welchem Maße bisher militärisch genutzte Lufträume heute in Anspruch genommen werden, die gleichermaßen auch durch zivile Nutzer mit kürzeren Flugwegen und optimalen Flugprofilen in Anspruch genommen werden könnten.Wir sollten im Zeitalter der fundamentalen Wandlungen im Verhältnis zwischen Ost und West auch eingehend prüfen, welches Gerät, welche Einrichtungen, welches Personal der NATO in Zukunft mit in Anspruch genommen werden kann, um eine befriedigend und effizient arbeitende Luftverkehrskontrolle im europäischen Luftraum zu bewirken.Dies alles gehört zur Optimierung der Flugsicherung, zur Erweiterung der Luftraumkapazitäten und im übrigen auch zur Entlastung der Bundesrepublik Deutschland von einer hohen Zahl von Überflügen, die in der Abwicklung des Luftverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor doch erhebliche Probleme bereiten. Ich denke insbesondere an die zu erwartenden Spitzen im Flugverkehr in der Bundesrepublik Deutschland im kommenden Sommer.Wir wollen, daß das künftige Luftverkehrsnetz auch mit dem Schienennetz verbunden wird. Auch wenn wir hier über das Luftverkehrsgesetz sprechen, sind wir uns sicherlich alle darüber einig: Es muß in Zukunft gelingen, eine attraktive Anbindung der Flughäfen an das Schienennetz zu gewährleisten, den Flugverkehr über Kurzstrecken auf die Schiene zu verlagern, vor allem aber das europäische Schienenschnellfahrnetz zügig zu realisieren. Dies wäre auch ein wichtiger ökologischer Beitrag, vermeidbare Flüge zu verhindern und zum anderen die europäische Verkehrswegeinfrastruktur zu stärken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bitten Sie erneut, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Man kann ja auch jeden Tag aufs neue zu neuen Erkenntnissen kommen. Vielleicht gelingt es auch heute, am Tag der Verabschiedung des Gesetzes.Ich will die Gelegenheit aber auch nutzen, mich bei allen zu bedanken, die an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs beteiligt waren. Wir stehen vor weiterenSchritten in der Luftverkehrsgesetzgebung. Ich habe dies als einen ersten Schritt bezeichnet. Sollten Sie dennoch zu dem Ergebnis kommen, unserem Änderungsantrag heute nicht zustimmen zu können, so sind wir zuversichtlich, daß Sie ihm in Zukunft zustimmen werden. Wir wollen Ihnen entgegenkommen. Wir werden am Ende dem Gesetz unsere Zustimmung nicht versagen, in der festen Erwartung, daß die gemeinschaftliche Zielrichtung bei der elften Änderung des Luftverkehrsgesetzes verwirklicht wird.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Gries.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gehört in der Tat zu den erfreulichen Ergebnissen, daß am Ende einer langen parlamentarischen Diskussion ein Ergebnis steht, daß zumindest von den großen Fraktionen dieses Hauses getragen werden kann, auch wenn wir dem einen Änderungsantrag nicht zustimmen können. Ich freue mich genauso wie der Kollege Ibrügger auf die Elfte Änderung des Luftverkehrsgesetzes, weil dann nachvollzogen werden kann, wo wir in der Sache übereinstimmen. Ich sage dazu nachher noch ein Wort.Ich denke, daß in den letzten Tagen noch einmal deutlich geworden ist, wie dringend eine Neuordnung des Luftraums, des Flugverkehrs und der Flugsicherheit erforderlich ist. Die Erklärungen von IATA, Lufthansa und anderen haben deutlich gemacht, wie sehr die Art, wie heute der Flugverkehr abgewickelt wird, die Umwelt belastet und Kosten produziert. All dies ist unsinnig. Wir müssen hier handeln. Wir müssen als Staat die Rahmenrichtlinien geben. Wir alle sind miteinander abhängig. Wir geben die Rahmenrichtlinien, aber die Flugunternehmen, Flugplätze und Luftfahrtdienste des Bundes — hier die Flugsicherung — hängen davon ab, daß sie miteinander kooperieren, daß wir endlich ein effizientes Flugsicherungssystem bewerkstelligen. Darüber ist genug geredet worden. Ich freue mich, daß wir heute an der Schwelle der Verabschiedung eines solchen Gesetzes stehen.Ich will jetzt nicht mehr im einzelnen auf das Gesetz eingehen. Ich meine, daß, wie Herr Kollege Tillmann gesagt hat, allein die privatrechtliche — nicht die privatisierte -- Organisationsform eine günstige Voraussetzung dafür ist. Die Gesellschaft muß selber darstellen, daß das richtig ist. Allein die Konstruktion, die Rechtsform, ist noch keine Garantie für Erfolg, sondern diejenigen, die dann mit dieser Rechtsform arbeiten, müssen darstellen, daß wir ihnen einen Vorteil verschafft haben, mit dem sie arbeiten können.Ich will jetzt nur stichwortartig vorgehen, weil ich sehe, wie die Zeit läuft. Ich weiß gar nicht, ob die Ursprungszeit ganz stimmt. Ich werde das natürlich nicht anzweifeln.Die Frage der Zusammenarbeit zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich ist erörtert worden. Wir haben uns da nicht verständigen können. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen können, wenngleich ich hier für die FDP durchaus sagen will: Auch ich bin der Meinung, daß das in eine Hand
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Griesgehört. Ich weiß nicht, weshalb das in Amerika und in der benachbarten Schweiz so gut funktioniert und weshalb das bei uns nicht gehen kann. Aber wir müssen einfach einsehen, daß wir unsere Kollegen nicht überfordern konnten, daß wir bestimmte Interessengegensätze nicht überwinden konnten. Ich sage aber dazu: Was ich tun kann, wird dann über ein Elftes Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes geschehen, damit hier Vernunft einkehrt.
Wir haben ja auch Beispiele dafür, daß das bei uns geht.Wir haben allerdings auch dafür gesorgt, daß keine Kompetenzverschiebungen, sondern Klarstellungen erfolgt sind, daß z. B. die Ordnungswidrigkeiten, die von Soldaten begangen werden, in Zukunft — wie es im Straßenverkehr üblich ist — von zivilen Behörden behandelt werden, nämlich in diesem Fall vom Bundesluftfahrtamt. Es war schon ein seltenes Erlebnis, im Zuge der Beratungen zu erfahren, daß niemand wußte, wer zuständig ist, und offensichtlich niemals etwas geahndet worden ist. Das wird jetzt durch diese Novellierung klargestellt. Ich denke, daß das richtig ist.Noch ein Wort zu den sozialen Problemen, die vom Berichterstatter und vom Kollegen Tillmann angeschnitten worden sind. Auch ich lege großen Wert darauf — ich habe ein bißchen ein schlechtes Gewissen nach dem Ende unserer Beratungen — , daß das geregelt wird. Eigentlich hätte das parallel geregelt werden müssen. Um so mehr muß es dann nachgeholt werden, daß die Mitarbeiter, die jetzt in die neue Gesellschaft überführt werden und die bereit sind, dorthin zu gehen, keinen Nachteil bei ihren Versorgungsansprüchen erleiden. Das ist zunächst einmal das Wichtigste. Die Aktiveinkommen können wesentlich attraktiver sein; sie können aber einen Verlust an Versorgungsansprüchen nicht ausgleichen. Hier werden — ich sage das ganz deutlich; ich bin froh, daß unsere Haushälter da nicht protestiert haben — Kosten auf den Bund zukommen, die zwischen dem neuen Unternehmen und den Mitarbeitern in einer tarifvertraglichen Regelung ausgeglichen werden. Ich denke, daß wir uns darüber verständigen können.Ich begrüße, daß wir hier heute noch unseren Antrag mit einbringen können und Sie ihm, glaube ich, zustimmen können, daß der Bundesgrenzschutz eine sinnvolle Verwendung als Polizeikraft des Bundes zur Sicherung der Luftsicherheit auf unseren Flughäfen findet. Wir hätten das gleich tun können. Nun geschieht das am heutigen Tage. Auch aus persönlicher Erfahrung kann ich beurteilen, daß der BGS durchaus imstande und ganz besonders geeignet ist, die Sicherheit auf unseren Flugplätzen zu gewährleisten, wenn die Länder es wollen.Meine Damen und Herren, ich muß mich jetzt kurzfassen. Ich meine, daß wir ein gutes Gesetz gefunden haben, das zunächst einmal in Deutschland in unserem nationalen Rahmen eine neue Rechtsgrundlage für ein effizientes Flugsicherungssystem schafft. Ich gehe davon aus, daß in den Verhandlungen mit der DDR in der gleichen Weise eine Anpassung und Einpassung in dieses System erfolgen kann, damit da nichts schiefläuft, und daß wir alle davon überzeugt sind, daß das zwar für uns ein Meilenstein, aber nur ein Baustein für ein gesamteuropäisches Flugsicherungssystem ist.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich will zu dem Thema gar nicht so lange sprechen. Vielleicht haben wir dann alle, vor allem die Mitarbeiter, noch eine Chance, heute vor Mitternacht aus diesem Hause herauszukommen. Ich kann mich auf einige wenige Anmerkungen zur vorliegenden Beschlußempfehlung beschränken; denn es ist sicher nicht eines der Hauptanliegen der GRÜNEN, zu klären, in welcher Art und Weise das Flugverkehrssystem und vor allem der ungezügelte Zuwachs des Flugverkehrs in der Bundesrepublik am effizientesten organisiert werden.Der für uns in der Tat unzumutbarste Punkt — auf den muß hier noch einmal hingewiesen werden — wurde im Verlauf der Ausschußberatungen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Ich meine den Versuch, die Zuständigkeit für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sogenannter militärischer Luftfahrzeugführer beim Bundesminister für Verteidigung anzusiedeln, also zukünftig das Militär selbst entscheiden zu lassen, ob es die gültigen Vorschriften eingehalten hat. Dieser Konfliktpunkt ist weg. Deswegen werden wir bei der Abstimmung auch nicht gegen den Gesetzentwurf stimmen, sondern uns enthalten.Allerdings wird eines der größten Probleme wiederum nicht geregelt, nämlich die Zuständigkeit für den militärischen Luftverkehr. Es gibt heute überhaupt keine Rechtfertigung für eine eigene militärische Flugsicherung mehr.
Es käme auch niemand auf die Idee, den Verkehr von Militärfahrzeugen auf der Straße durch eine eigenständige militärische Verkehrspolizei regeln zu lassen. Auf der Straße wird der Verkehr, auch der von Militärfahrzeugen, durch eine nichtmilitärische Ver- kehrspolizei geregelt. Es sind keinerlei Gründe er- sichtlich, warum das beim Luftverkehr anders sein sollte. Wenn schon militärischer Flugbetrieb — unseres Erachtens überflüssigerweise — stattfindet, dann sollte er zumindest der zivilen Flugsicherung unterliegen. Wir unterstützen deshalb den Änderungsantrag der SPD, mit dem das Problem in diesem Sinn gelöst werden soll.Ablehnen werden wir dagegen den Änderungsantrag der Koalition, der eine Rechtsgrundlage dafür schaffen will, daß die Sicherheitsaufgaben auf den Flughäfen künftig auch vom Bundesgrenzschutz wahrgenommen werden können. Es gibt sowieso keine Rechtfertigung für eine eigenständige Bundespolizei. Wenn der Bundesgrenzschutz künftig weniger Aufgaben bei der Grenzkontrolle wahrnehmen muß, muß man andere Lösungen für die Weiterbeschäftigung frei werdender Beamter finden. Die Su-
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16850 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Frau Teubnerche nach neuen Aufgaben für die Bundespolizei ist der verkehrte Weg. Es gibt sicher auch Möglichkeiten, die nicht mehr für Aufgaben an den Grenzen benötigten Beamten in die Länderpolizeien zu integrieren.Soweit die Haltung der Fraktion DIE GRÜNEN zu diesem Entwurf.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz verbinden sich viele Hoffnungen. Bundesregierung und Bundestag, Fluglotsen und Luftfahrtunternehmen wissen, daß der dynamischste Teil der Verkehrswirtschaft nicht in einem öffentlich-rechtlichen Korsett bleiben kann. Wenn jetzt privatrechtlich organisiert wird, werden wir allen Beteiligten gerecht, und zwar auch denen, über die heute noch nicht gesprochen wurde, nämlich den Kunden, die bisher durch Verspätungen belastet waren.
Weder die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung, die Maßnahmen des Parlaments noch der bemerkenswerte Einsatz des Personals konnten das Verkehrswachstum der Vergangenheit auffangen. Dies gilt für die Zukunft noch mehr. Das Kapazitätsproblem, das in der ganzen Verkehrswirtschaft herrscht, zeigt sich bei der Luftfahrt am meisten.
Es ist vorgesehen, daß die neue Gesellschaft kostendeckend und eigenverantwortlich arbeitet. Kostendeckung ist ein Teil eines Gesamtkonzepts. Es strebt die Anrechnung der verursachten Kosten beim Nutzer an. Wir haben dies bei der Einführung der Straßenbenutzungsgebühr praktiziert, und wir werden auch bei der Schiene einen wichtigen Schritt vollziehen, wenn wir die Trennung von Fahrweg und Betrieb vornehmen.
Ich möchte heute der Koalition für ihre Initiative danken. Der SPD möchte ich für ihre Mitarbeit danken. Ich glaube, wir tun heute einen großen Schritt nach vorn.
Ich schließe damit die Aussprache, meine Damen und Herren.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes — Drucksachen 11/6261 und 11/7143.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Herr Kollege Ibrügger, Sie möchten noch etwas ergänzen. Sie sind Berichterstatter und dürfen immer reden.
Frau Präsidentin, ich bitte sehr um Nachsicht. Es geht um den Änderungsantrag. Ich wollte für die SPD-Fraktion erklären, daß wir uns diesem Antrag ausdrücklich anschließen. Wir stimmen also nicht nur zu, sondern wir schließen uns ihm an.
Ihr Antrag ist damit nicht erledigt?
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7287? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung durch den Antrag von CDU/CSU und FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Auch diese Vorschrift ist angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Bei Enthaltung der GRÜNEN und einer weiteren aus der SPD sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir auch nach Annahme des Änderungsantrags unmittelbar in die dritte Beratung eintreten können. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN und einer Enthaltung aus der SPD ist der Gesetzentwurf angenommen.Ich rufe nun die Zusatzpunkte 16 und 17 zur Tagesordnung aufZP16 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Aufnahmegesetzes— Drucksachen 11/6910, 11/6948 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/7282 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Hämmerle FellnerDr. HirschMeneses Vogl
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16851
Vizepräsidentin RengerZP17 a) Zweite und Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler
— Drucksachen 11/6937, 11/7189 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/7280 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Hämmerle Dr. KappesLüderSuch
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDNeuregelung für Übersiedlerinnen und Übersiedler— Drucksachen 11/6381, 11/7280 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Hämmerle Dr. KappesLüderSuchInterfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Geht das in Ordnung? — Es ist so beschlossen. Die schriftlichen Redebeiträge liegen vor. *)Dann kommen wir gleich zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Aufnahmegesetzes, Drucksachen 11/6910, 11/6948 und 11/7282. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Ich teile mit, daß Herr Abgeordneter Dr. Czaja nach § 31 der Geschäftsordnung einen schriftlichen Beitrag abgegeben hat. **)Wir treten nun in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD und Gegenstimmen der GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler, Drucksachen 11/6937, 11/7189 und 11/7280.*) Anlage 4 **) Anlage 5Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen und Gegenstimmen ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Damit ist auch die zweite Beratung abgeschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/7280. Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 2 der Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6381 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin
— Drucksachen 11/7073, 11/7207 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/7294 —Berichterstatter: Abgeordneteb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksachen 11/7295, 11/7304 —Berichterstatter: Abgeordnete
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. So beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf zum Abbau steuerlicher Hemmnisse bei wirtschaftlichen Investitionen in der DDR wollen wir einen weiteren Baustein für die wirtschaftliche Erneuerung der DDR liefern. Es ist unser Ziel, Investitionen in der DDR steuerlich nicht stärker zu belasten als Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen westeuropäischen Ländern. Private Investitionen sind der Motor, um Leistungsvermögen und Produktivität der Betriebe in der DDR entscheidend zu verbessern, — eine Produktivi-
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Dr. Meyer zu Bentruptät, die teilweise nur 25 bis 30 % vergleichbarer Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland erreicht. Öffentliche Mittel allein können den enormen Investitionsbedarf zur Modernisierung der DDR-Wirtschaft nicht decken. Deswegen wollen wir mit diesem Investitionsgesetz das Steuerrecht so ergänzen, daß — für die Übergangsphase der Zweistaatlichkeit — Investitionen der zur Aktivität aufgerufenen deutschen Wirtschaft im anderen Teil unseres Vaterlandes nicht behindert werden.Grundlage der Gesetzesinitiative war unsere Erklärung vom 9. Februar 1990, in der es hieß:Erstens. Soweit die wirtschaftliche Betätigung in der DDR nach geltendem Steuerrecht zu einer Schlechterstellung führt, werden gesetzliche Regelungen rückwirkend in Kraft gesetzt, die diese beseitigt.Zweitens. Soweit das geltende Steuerrecht zugunsten der wirtschaftlichen Betätigung von bundesdeutschen Unternehmen in der DDR wirkt, wird es keine Schlechterstellung geben.Drittens. Soweit die DDR wirtschaftliche Aktivitäten von bundesdeutschen Unternehmen ihrerseits besteuert, werden Regelungen getroffen, die den Steuerpflichtigen so behandeln, als ob zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht.Auf der Grundlage dieser Überlegungen schafft der nun vorgelegte Gesetzentwurf wesentliche steuerliche Verbesserungen bei Investitionen in Kapitalgesellschaften und in Betriebsstätten auf dem Gebiet der DDR.Nach dem Vorbild des früheren Auslandsinvestitionsgesetzes werden Ihnen heute folgende Änderungen zur Beschlußfassung vorgelegt:Erstens. Bei der Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem westdeutschen Betrieb in eine Kapitalgesellschaft auf dem Gebiet der DDR müssen stille Reserven nicht bereits zum Zeitpunkt der Überführung aufgedeckt werden. Es darf eine steuerfreie Rücklage gebildet werden, die später gewinnerhöhend aufzulösen ist.Zweitens. Verluste aus Betriebsstätten im anderen Teil Deutschlands können bei der Besteuerung in der Bundesrepublik erstmals berücksichtigt werden. Hier werden Steuerpflichtige so gestellt, als ob es zwischen den beiden Teilen Deutschlands ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gäbe. Damit ist ein entscheidendes Hemmnis beseitigt worden; denn Verluste z. B. aus Betriebsstätten in Frankreich durften verrechnet werden, nicht aber aus Betriebsstätten in der DDR.Drittens. Anlaufverluste von in der DDR ansässigen Tochtergesellschaften können bei der Besteuerung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung berücksichtigt werden, da eine steuerfreie Rücklage gebildet werden kann.Bei allen Maßnahmen geht es nicht grundsätzlich um neue Steuervorteile, sondern um den Abbau von steuerlichen Hemmnissen.Die Beratungen im Finanzausschuß haben zu weiteren Ergänzungen geführt. Nicht nur Kapitalgesellschaften erhalten die Möglichkeit, eine steuerfreie Rücklage zu bilden, sondern auch Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Wir folgen damit dem ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Verbände.Ferner wurde klargestellt, daß die Rücklagen auch bei der Gewerbeertragsteuer steuermindernd wirken. Um private Investitionen im anderen Teil Deutschlands so schnell wie möglich von steuerlichen Hemmnissen zu befreien, ist vorgesehen, daß Rücklagenbildung und Verlustberücksichtigung bereits für die Wirtschaftsjahre möglich sind, die im Jahr 1990 enden.Weitere Bausteine ergeben sich aus bereits erlassenen bzw. geplanten steuerlichen Verwaltungsregelungen. Ich nenne die Begünstigung der unentgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern von Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland an Unternehmen und öffentliche Stellen in der DDR. Ich nenne die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine Betriebsstätte oder in einen Betrieb des Steuerpflichtigen in dem anderen Teil Deutschlands. Diese Verwaltungsregelungen zielen darauf ab, steuerliche Belastungen zu vermeiden, die sich heute nach geltendem Steuerrecht durch die Zweistaatlichkeit ergeben.Diese Vorleistungen der Bundesrepublik Deutschland auf steuerlichem Gebiet können nur erfolgreich sein, wenn die marktwirtschaftlichen Reformen zügig verwirklicht werden, d. h. die freie Verfügbarkeit des Privateigentums, die Vertragsfreiheit, die Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen sowie ein investitionsförderndes und wachstumsfreundliches Steuersystem sichergestellt werden.Ich bin überzeugt: Je schneller und konsequenter die marktwirtschaftlichen Reformen dort eintreten, um so günstiger werden die wirtschaftlichen Perspektiven für unsere Landsleute.Wir stimmen dem vorgelegten Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die weitere Entwicklung in der DDR ist von entscheidender Bedeutung, wie die notwendige Strukturanpassung der Wirtschaft der DDR vollzogen wird und wie rasch moderne und qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden können. Hierzu sind Investitionen erforderlich, auch und gerade von westdeutschen Unternehmen; denn wenn das Kapital nicht kommt, gehen die Menschen zu ihm.Auf Grund der Sonderstellung der DDR im bundesdeutschen Steuerrecht werden jedoch Aktivitäten von bundesdeutschen Unternehmen in der DDR steuerlich zum Teil schlechter behandelt als vergleichbare Sachverhalte in der Bundesrepublik oder in ausländischen Staaten. Das gilt z. B. für die Berücksichtigung von Verlusten aus einer Betriebsstätte in der DDR. Hierauf habe ich bereits Anfang Februar hingewiesen. Der
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PoßAbbau dieser steuerlichen Hemmnisse ist Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfs und wird von uns unterstützt.Leider sind die vorliegenden Regelungen relativ kompliziert ausgefallen — das ist nicht selten — und tragen nicht gerade zu einer Vereinfachung des Steuerrechts bei. Das gilt insbesondere für die in § 1 vorgesehene steuerfreie Rücklage, die erst nach zehn Jahren mit jährlich einem Zehntel, also insgesamt über einen Zwanzigjahreszeitraum, vollständig aufzulösen ist.Im Interesse einer einfachen Handhabung sowohl für die Unternehmen als auch für die Verwaltung hatten wir entsprechend dem Vorschlag des Bundesrats eine Rücklagenauflösung innerhalb eines nur halb so langen Zeitraums für angemessener gehalten. Das Ziel der Regelung würde auch in diesem Fall voll erreicht werden. Aber im Hinblick darauf, daß das gesamte Gesetz nur als Übergangslösung bis zur Herstellung der Einheit der beiden deutschen Staaten dient, stellen wir diese Bedenken zurück.Mit dem Gesetzentwurf wird den Vorstellungen der bundesdeutschen Unternehmensverbände weitgehend entsprochen. Jetzt sind deshalb die Untenehmen am Zuge, Worten auch Taten folgen zu lassen
und jetzt tatsächlich in der DDR Investitionen vorzunehmen. Jetzt geht es darum, Produktionsstätten in der DDR aufzubauen oder zu modernisieren, die im internationalen Wettbewerb bestehen können.Die teilweise geradezu euphorischen Ankündigungen von Investitionen bundesdeutscher Unternehmen in der DDR am Anfang dieses Jahres vor der Volkskammerwahl am 18. März sind doch mit Ausnahme des Handels und der Finanzdienstleistungen einer kühl kalkulierten Zurückhaltung eines Großteils der Unternehmen gewichen.
Aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist dies nachvollziehbar.Jetzt wird die Zeit eng. In vier Wochen soll der Urknall in Form der Währungsunion stattfinden. Doch es bleibt eine Fülle von existentiellen Problemen und Ungewißheiten, die zur Zeit einen Teil der DDR-Betriebe lähmt.Viele Unternehmer in der DDR wissen nicht, wie sie ihre Löhne und die Kosten für das Material bezahlen sollen. Westliche Unternehmen haben für Löhne und Materialkosten einen Kreditrahmen bei ihrer Bank, mit dem sie kurzfristige Zahlungsausfälle überbrükken können. Die DDR-Firmen können auf derartige Möglichkeiten praktisch — ich betone: praktisch! — nicht zurückgreifen; theoretisch mag das sein.Wie immer man den derzeitigen Inhalt des Instrumentariums zur Bewältigung dieser schwierigen Übergangsphase bewerten mag: Fest steht, daß eine große Zahl von Unternehmen in der DDR noch keinerlei Informationen darüber hat, welche Überbrükkungsmaßnahmen sie in Anspruch nehmen können.Da besteht eine große Bringeschuld, auch von allen beteiligten Stellen auf unserer Seite.
— Das ist doch jetzt nicht als Vorwurf formuliert gewesen, Herr Grünbeck, sondern als Feststellung, wenn man die Realität in der DDR registriert. Das ist ein Hinweis auf die Defizite, die bei der Informationsüberbringung vorhanden sind, mehr nicht.Die Strukturanpassung der Wirtschaft der DDR wird vorübergehend Arbeitslosigkeit unvermeidlich zur Folge haben. Die Arbeitslosigkeit muß aber auf das ökonomisch und betriebswirtschaftlich absolut unvermeidliche Maß beschränkt werden.
Hier geht es nicht darum — das sage ich einmal mit Blick auf die Kollegen von der FDP — , unproduktive Arbeitsplätze dauerhaft zu subventionieren. Vielmehr ist es unsere gemeinsame Aufgabe, den notwendigen und von uns allen gewollten Umstrukturierungsprozeß so zu gestalten, daß die Menschen nicht unter die Räder kommen.
Auch der Verweis auf die künftige Zahlung von Arbeitslosengeld ist für uns Sozialdemokraten keine ausreichende Lösung. Weitere Maßnahmen sind deshalb erforderlich, damit der Zusammenbruch bestehender Unternehmen in der DDR, die auf Dauer durchaus wettbewerbsfähig sind, verhindert werden kann. Im Vordergrund steht dabei eine vernünftige Regelung der Betriebsschuldenproblematik, wie sie die SPD beim Gespräch mit dem Bundeskanzler und auch im Finanzausschuß gefordert hat.Eine strategische Bedeutung für die Sanierung der DDR-Unternehmen kommt der Treuhandgesellschaft zu. Die Neuordnung der Treuhandgesellschaft wird jedoch eine gewisse Zeit, möglicherweise Monate, in Anspruch nehmen. Deshalb brauchen wir zusätzlich — da stimmen wir, glaube ich, überein, jedenfalls im Finanzausschuß — unverzüglich ein Wirtschaftsprogramm, damit die kurzfristigen Zahlungsprobleme der DDR-Betriebe überbrückt werden können.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, daß ein Engagement bundesdeutscher Unternehmen in der DDR steuerlich in der Bundesrepublik unterstützt wird. Ich will mir ersparen, das zu beschreiben; das hat der Kollege bereits getan. Mit diesem Gesetz wird insgesamt auf Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 700 Millionen DM jährlich verzichtet. Es ist nun Sache der Unternehmen, den sich hieraus ergebenden Handlungsspielraum zu nutzen.
Sie müssen dazu beitragen, wenn in der DDR ein nachhaltiger Wachstumsprozeß in Gang gesetzt wird. Mit unserer Zustimmung — das ist ja bei Ihnen gar keine Frage, Herr Grünbeck — zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, machen wir deutlich, daß wir zu sinn-
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Poßvollen Maßnahmen im Bereich der Unternehmensbesteuerung jederzeit bereit sind.
Die von den Koalitionsparteien geplante pauschale Steuersenkung für Unternehmen und Spitzenverdiener in Höhe von 25 Milliarden DM ist hingegen wirtschaftspolitisch verfehlt und finanzpolitisch gefährlich,
weil sie neue Löcher aufreißt und neue Unsicherheit an den Kapitalmärkten schafft, die durch andere Maßnahmen mit schmerzlichen Auswirkungen wieder geschlossen werden müssen.Die neueste Untersuchung der Deutschen Bundesbank belegt, daß die Gewinne und das Eigenkapital der Unternehmer auf neue Rekordhöhen gestiegen sind.
Die Bundesbank kommt zu dem Ergebnis,
— das sage ich doch nicht als Vorwurf; ich stelle es nur fest — , daß die Unternehmen von der finanziellen Seite her global betrachtet für weitere Investitionsvorhaben im In- und Ausland dank reichlicher Liquidität und hoher Selbstfinanzierungskraft gut gerüstet sind. Pauschale Steuersenkungen sind daher überflüssig.
Das gilt erst recht, wenn man die neuen Entwicklungsmöglichkeiten für bundesdeutsche Unternehmen durch Investitionen in der DDR mit in die Betrachtung einbezieht. Es ist heute schon abzusehen, daß die Unternehmen in der Bundesrepublik zumindest mittelfristig zu den Gewinnern des deutsch-deutschen Einigungsprozesses gehören werden.
Daher besteht immer weniger Bedarf, durch zusätzliche Steuersenkungen die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen noch weiter zu verbessern.Wir hatten heute eine sehr ernsthafte Diskussion zu diesem Punkt, Herr Kollege Glos; lassen Sie sich doch von den anderen Kollegen mal darüber berichten.
Derartige Pläne müssen daher im Interesse auch der Sicherheit bei den Kapitalmärkten, Herr Grünbeck, schleunigst vom Tisch. Zu sinnvollen Umstrukturierungsmaßnahmen im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind wir hingegen auch kurzfristig bereit, wenn sie sich als notwendig erweisen.
— Das war kein Zick-Zack, sondern es war ökonomisch und auch steuerpolitisch gut fundiert, Herr Kollege. Sie wären gut beraten, wenn Sie Ihre ideologische Brille absetzen
und zur Kenntnis nehmen würden, was die Bundesbank in ihrem letzten Bericht festgestellt hat, und daraus dann die richtigen Schlüsse zögen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rind.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung bei dem Beitrag von Herrn Poß ist in Teilen verständlich, aber ich muß ihn doch einmal loben und in Schutz nehmen. Er hat nämlich in einem Punkt absolut recht. Ich habe gestern das Problem kleiner und mittlerer Unternehmen problematisiert, in der Anfangsphase Betriebsmittelkredite zu bekommen, weil die Sicherheiten fehlen und weil ihnen ähnliche Probleme den Zugang zum Kreditmarkt versperren. Wir sind uns in diesem Punkt Gott sei Dank mit der SPD einig, daß hier ein Bürgschaftsprogramm kommen sollte. Ich fordere also von dieser Stelle aus die Bundesregierung auf, sich über dieses Thema Gedanken zu machen.
Nun aber zum Thema! Das DDR-Invesitionsgesetz macht dann Sinn, wenn man es als Zwischenstation zur deutschen Einheit betrachtet. Wir Freien Demokraten setzen uns dafür ein, daß die Endstation der deutschen Einheit bald erreicht wird. Im Augenblick ist es aber nötig, Regelungen für die Fälle zu treffen, in denen von unseren Betrieben in der Bundesrepublik Wirtschaftsgüter in die DDR überführt werden, um sich dort mit Beteiligungen oder Tochterunternehmen am wirtschaftlichen Aufbau zu beteiligen. Dasselbe gilt für Verluste in der DDR, die über eine gesetzliche Regelung bei der Besteuerung in der Bundesrepublik abzugsfähig gemacht werden sollen und müssen. Dasselbe gilt auch bei Verlusten aus Vermietung und Verpachtung und bei der Ausübung freiberuflicher Tätigkeit in der DDR.Die steuerfreie Überführung von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens aus einer Betriebsstätte in der Bundesrepublik in eine Betriebsstätte in der DDR haben wir durch die Zulassung einer den steuerlichen Gewinn mindernden Rücklage geregelt. Wenn wir — das wurde ja kritisiert — für die Auflösung der Rücklage erst ab dem zehnten Jahr nach ihrer Bildung in weiteren zehn Jahren eingetreten sind und dies auch erreicht haben, dann macht dies sehr wohl Sinn. Die Betriebe, die sich am wirtschaftlichen Aufbau in der DDR beteiligen, sollen für den Zeitraum der Nutzung ihrer hierfür aus der Bundesrepublik überführten Wirtschaftsgüter insoweit Ruhe an der Steuerfront haben, wie sie sie auch bei einem Verbleib in der Betriebsstätte in der Bundesrepublik gehabt hätten. Deswegen ist diese Zehn-Jahres-Frist notwendig und sinnvoll.Nun aber einige Ausführungen zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Bundes-
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Rindrepublik und in der DDR. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Selbständigen in der DDR und mit solchen, die es werden wollen, daß die Angst sie plagt, nach dem 1. Juli von westdeutschen Unternehmen überrollt zu werden und sich in diesem Wettbewerb nicht behaupten zu können. Diese Sorge ist — zumindest in einer Reihe von Branchen — nicht unberechtigt. Geringeres Kapital und schlechtere Betriebsausstattungen bedeuten für Unternehmen in der DDR einen Wettbewerbsnachteil.Deswegen mein Appell an unsere Unternehmer in der Bundesrepublik: Das Gebiet der DDR wird mittel-und langfristig nur dann ein Absatzmarkt sein, wenn sich in der DDR am Ort eine gesunde mittelständische Struktur entwickelt.
Deswegen ist der wichtigste Beitrag unserer Unternehmen zur längerfristigen Sicherung ihres Marktes in der DDR — und damit in ihrem eigenen Interesse — die Hilfe zum Aufbau einer gesunden Wirtschaftsstruktur in der DDR. Nicht die schnell verdiente Mark sollten unsere Unternehmer im Auge haben, sondern den Aufbau einer soliden Basis ihres Unternehmens für den und im anderen Teil Deutschlands.
Dabei kann sich wohlverstandener Eigennutz durchaus mit gesamtwirtschaftlichem Interesse verbinden. „Drückt die Unternehmer in der DDR nicht an die Wand! " — sage ich unseren Unternehmern. Arbeitet mit ihnen zusammen, und ihr werdet reiche Früchte ernten. Die schnell verdiente Mark war noch nie die Grundlage für eine andauernde, erfolgreiche Geschäftsbeziehung.
Das DDR-Investitionsgesetz dient diesem Zweck, nämlich der Erleichterung des wirtschaftlichen Aufbaus in der DDR durch ein gesundes Neben- und Miteinander unserer Unternehmer in der Bundesrepublik mit den Unternehmern in der DDR.Mein Wunsch und der der FDP-Fraktion ist, daß wir dieses Gesetz nur kurze Zeit brauchen mögen. Denn mit der Vollendung der deutschen Einheit endet die Aufgabe dieses Gesetzes.
In § 7 steht: „Es ist erstmals anzuwenden für Wirtschaftsjahre, die im Veranlagungszeitraum 1990 enden." Ich hoffe, daß das DDR-Investitionsgesetz für 1990 nicht nur erstmals, sondern auch letztmals anzuwenden sein wird.In diesem Sinne stimmen wir diesem Investitionsgesetz frohen Herzens zu.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hüser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Staatsvertrag und dem deutschen Einigungsprozeß werden wir hier heute ein Gesetz zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der DDR beschließen. Zweifellos braucht die DDR dringend unsere Hilfe, um ihren Umstellungsprozeß zu bewerkstelligen. Wichtig dabei ist aber aus unserer Sicht, daß diese Hilfe gezielt und im richtigen Zusammenhang geleistet wird. Maßgeblich in diesem Sinne ist insbesondere und vorrangig die ökologische Herausforderung, vor der wir stehen und die uns durch die Umweltzerstörung in der DDR nochmals drastisch vor Augen geführt worden ist.Dieses Gesetz läßt aber die notwendige Konzentrierung auf diesen wichtigen Aspekt vermissen. Auch dieses Gesetz ist ein Mosaikstein nach der gleichen Maxime, nach der der Staatsvertrag gestrickt ist. Und diese Maxime lautet: Wachstum als allheiliges Lösungsinstrument aller Probleme.In einer Mitteilung des Bundesfinanzministers vom 18. Mai 1990 zur deutschen Einheit und zur Finanzpolitik der Bundesregierung kommt das Wort „Wachstum" allein auf der ersten Seite elfmal vor. Ich muß mich dabei verwundert fragen, ob die Propagandisten des Wachstums, die die Kosten für den Aufbau der DDR aus diesem erhöhten Wachstum bezahlen wollen, wirklich noch in derselben Welt leben. Es ist offensichtlich und wird auch von Kohl und anderen ausgesprochen, daß sie meinen, sie leben in der Welt des Wirtschaftswunders Deutschland Zwei. Wir leben allerdings in der Welt des Waldsterbens und in der Welt des Treibhauseffekts, und hier sehenden Auges eine Politik zu betreiben, die allen Ernstes noch mehr Autos und Autobahnen, mehr Chemie, mehr Energieverbrauch, mehr Müll und mehr Naturzerstörung will, ist, denke ich, unverantwortlich.Wir müssen daher dahin kommen, daß wir von alledem insgesamt weniger haben. Das ist die ökologische Herausforderung, vor der wir stehen. Mit dem Lösungsmittel Wachstum werden Sie die ökologische Krise nicht aufhalten können, geschweige denn zurückdrehen.Nebenbei bemerkt, vielleicht auch insbesondere an die Adresse der SPD: Wer nicht bereit ist, mit dieser Wirtschaftsideologie des Immer-mehr, Immer-weiter und Immer-höher zu brechen, der wird mit seinen vielleicht auch gut gemeinten Umweltschutzforderungen nicht zum Ziel kommen, der wird zu spät kommen. Eine Umweltunion als Anhängsel an eine Wirtschaftsunion, die der Umwelt so viel Freiraum läßt, wie die freien Entfaltungskräfte des Marktes gerade übriglassen, ist nur eine falsche Etikettierung.Wir brauchen, denke ich, gerade im Moment natürlich Umweltschutz als Reparatur- und Sanierungsinstrument — das steht außer Frage — , wir dürfen aber nicht länger die Umweltpolitik als Ressort begreifen, sondern müssen die Ökologie als Querschnitt für alle Bereiche und insbesondere für die Wirtschaftspolitik annehmen.
Sonst werden wir feststellen, daß wir vorne einen Ei-mer Wasser ausschöpfen, während hinten ein ganzesFaß nachläuft, und dies können wir nicht länger erlau-
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Hüserben. Genau dies ist der Punkt, und ich versuche, Ihnen das deutlich zu machen.
— Sie haben das Thema nicht begriffen; das ist der Punkt.
In diesem Kontext können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn er fördert durch staatlichen Einnahmeverzicht von nahezu 1 Milliarde DM ausnahmslos alle Investitionen, ob ökologisch sinnvoll, die durchaus dabeisein können, oder verheerend.
Der Neuaufbau in der DDR bietet allerdings die Chance zu einem Neuanfang eines geeinten Deutschland unter dem Primat der Ökologie. Diese wird allerdings durch diesen Gesetzentwurf nicht genutzt.Einen besonderen Aspekt aus diesem Gesetzentwurf möchte ich noch hervorheben, der uns gebietet, ihn abzulehnen. Die Förderung gilt auch, der immanenten Logik der Verfasser natürlich entsprechend, für Immobilienunternehmen und für die steuerliche Anerkennung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung in der DDR. Das Volkseigentum in der DDR ist wertvoll. Dies hat auch die Regierung erkannt, und dies gilt insbesondere für die zu erwartenden Wertsteigerungen bei Grund und Boden und den Immobilien. Die Verfügung über den Grund und Boden in den Regionen, in denen die Menschen leben, ist allerdings die Grundlage auch wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Geraten Grund und Boden, die Immobilien der DDR in das Eigentum, in die Verfügungsmacht von Kapitaleignern z. B. aus der BRD — wahrscheinlich maßgeblich aus der Bundesrepublik —, entstehen ökonomische Abhängigkeiten, die jede eigenständige wirtschaftliche Entwicklung und die Identität erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen.
— Daß Sie meine Ausführungen nicht verstehen, wundert mich überhaupt nicht.
In den Verhandlungen mit der DDR und insbesondere auf seiten der DDR müssen Regelungen gefunden werden, die dies verhindern. Die Erleichterung des Verkaufs, die Steuererleichterungen auf unserer Seite stehen aus unserer Sicht diesem Anliegen diametral entgegen, und dies allein wäre schon ein Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Wir werden ihn aus den vorgenannten Gründen natürlich ablehnen.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Carstens das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir werden nun in Kürze ein wichtiges Gesetz verabschieden können, und ich darf mich ganz herzlich insbesondere bei den Mitgliedern des Finanzausschusses dafür bedanken, daß dieses Gesetzeswerk so zügig beraten wurde. Ich habe mir auch sagen lassen, daß die SPD sehr kooperativ mitgemacht haben soll. Wir wollen dem Kollegen Poß insoweit einige Sätze nachsehen, die er eben hier gebraucht hat. Herzlichen Dank dafür, denn es ist in der Tat wichtig, daß wir in dieser so wichtigen Frage zusammenstehen und gemeinsam unsere Arbeit tun.Nur, Herr Kollege Poß, Sie haben vom Unter-dieRäder-Kommen gesprochen, und dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß das im realen Sozialismus geschehen ist. Dort sind die Leute unter die Räder gekommen, und wir wollen nun mithelfen, daß unsere Landsleute in der DDR endlich an der Freiheit und an den Früchten der Sozialen Marktwirtschaft teilnehmen können.
Zum Kollegen Hüser möchte ich sagen: Man kann in der Bundesrepublik Deutschland — nicht: in der BRD; sondern in der Bundesrepublik Deutschland — leichthin von Wachstum als Allheilmittel sprechen und in dem Zusammenhang davon reden, daß wir hier in einer Welt des Waldsterbens und des Mülls leben.
Wenn man wirklich eine Welt des Waldsterbens und des Mülls sehen will, dann muß man dorthin gehen, wo man über Jahrzehnte den realen Sozialismus gehabt hat.
Jetzt können wir mithelfen, daß es dort Arbeitsplätze gibt, daß man an dem Wohlstand teilhat und daß es auch in der DDR eine gesunde Umwelt gibt.
Das alles hängt nicht zuletzt mit den Gesetzen zusammen, die wir heute und in Kürze zu verabschieden haben.
Die Bundesregierung hat jedenfalls nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze unverzüglich auf verschiedensten Gebieten erste Maßnahmen eingeleitet, um die Entwicklung der DDR auf dem Weg zu einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu fördern. Das trifft auch für den Bundesfinanzminister zu, speziell für den steuerlichen Bereich. Zum einen geht es um diesen Gesetzentwurf, zum andern aber auch um eine wichtige Verwaltungsregelung, die schon wirksam ist. Ab dem 1. November 1989 gilt nämlich eine umfassende Steuerbefreiung für unentgeltliche Zuwendungen von Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland an Unternehmen, karitative Organisationen, kirchliche Einrichtungen und bestimmte öffentliche Institutionen in der DDR. Das war das erste, was sehr schnell auf den Weg
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Parl. Staatssekretär Carstensgebracht wurde, sozusagen rückwirkend ab 1. November 1989.Über diese Verwaltungsregelung hinaus waren weitere Maßnahmen erforderlich. Das Wichtigste kommt ja eigentlich erst zu den Stichtagen 1. Juli 1990 und 1. Januar 1991. Aber das, was über die Verwaltungsregelung hinaus wichtig war, wird nun über dieses DDR-Investitionsgesetz verabschiedet. Der Gesetzentwurf knüpft weitgehend an das durch das Steuerreformgesetz 1990 aufgehobene Auslandsinvestitionsgesetz an. Das ist deswegen wichtig, weil Verwaltung und Wirtschaft mit dem Rechtsinstrumentarium gut vertraut sind.Zum Aufbau einer leistungsstarken Wirtschaftsstruktur der DDR sind vor allem private Investitionen erforderlich. Steuerliche Hemmnisse, die in der Übergangsphase bis zur deutschen Einheit einem Engagement von Investoren aus der Bundesrepublik im anderen Teil Deutschlands entgegenstehen, sind daher abzubauen. Das ist sehr wichtig. Das geschieht jetzt.Die einzelnen Regelungen des Koalitionsentwurfs, insbesondere die Fristen für die Rücklagenauflösung bei Überführung von Wirtschaftsgütern, haben die Kollegen Meyer zu Bentrup und Rind dankenswerterweise bereits vorgetragen.
Ich brauche darauf nicht noch einmal einzugehen.Um den Förderungseffekt des Gesetzes zu verstärken, ist im Gesetzgebungsverfahren der Katalog der begünstigten Tätigkeiten erweitert worden. Auch dafür herzlichen Dank.Die Praxis muß nun zeigen, inwieweit diese zusätzlichen Maßnahmen von den Investoren genutzt werden, bis es zu dem von beiden Regierungen angestrebten Ziel der deutschen Einheit kommt. Ich nehme an und hoffe sehr, daß diese Möglichkeiten stark in Anspruch genommen werden.Ergänzend zu dieser gesetzgeberischen Maßnahme haben wir uns mit den Bundesländern bereits darauf verständigt, daß bei Überführung von Wirtschaftsgütern in Betriebsstätten und Personengesellschaften in der DDR die Bildung von Ausgleichsposten möglich ist. Damit wird auch in diesem Bereich ein Ergebnis erreicht, das dem Ziel des Gesetzgebers entspricht.Ich darf Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, namens der Bundesregierung herzlich bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin in der Ausschußfassung.
Ich rufe die §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Die aufgerufenen Bestimmungen sind mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Die Fraktion DIE GRÜNEN ist dagegen. — Wer enthält sich? — Keine Enthaltung. Damit ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung mit großer Mehrheit angenommen.
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/7294 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/7207 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei zwei Gegenstimmen ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes
— Drucksachen 11/6469, 11/7064 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/7233 —
Berichterstatter: Abgeordneter Fuchtel
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksachen 11/7234, 11/... —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler von Schmude
Zywietz
Frau Rust
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/7260 und 11/7286 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fuchtel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem 4. ASEG wer-
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16858 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Fuchtelden für die deutsche Landwirtschaft jährlich 300 Millionen DM gesichert.
Durch die Änderungsanträge der Koalition werden zusätzlich erste Verbesserungen für die Bäuerinnen
und interessantere Konditionen beim FELEG erreicht.
Ihnen von der Opposition möchte ich sagen: Wir reden hier über Leistungen, die es zu Ihrer Zeit noch nicht einmal ansatzweise gab.
Meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen sind für unsere Landwirtschaft außerordentlich wichtig, und es ist auch wichtig, daß sie die Zustimmung des Deutschen Bauernverbandes fanden.
Ich sage dies, weil ich es im Vorfeld einer notwendigen großen Agrarsozialreform für notwendig und wichtig halte,
daß möglichst wenig Uneinheitlichkeit in der Diskussion ist. Ich sage auch, daß es sicher gut ist, das Gesetz in dieser Weise zu machen und nicht einen ungenügenden Vorgriff auf eine notwendige Gesamtreform zu versuchen.
Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich die Vorteile dieses Gesetzes herausstellen. Das 4. ASEG führt zu einer Stabilisierung in der landwirtschaftlichen Altershilfe, was auf Grund der Steigerungsraten von jeweils 16 % in den letzten beiden Jahren dringend geboten ist.
Es führt zur Dynamisierung der Gestaltung der Sozialabgabenentlastung, so daß die jetzt 300 Millionen DM bereits im Jahre 1993 auf 350 Millionen DM angewachsen sein werden. Gleichzeitig wird der Kreis der zuschußberechtigten Personen um nicht weniger als 75 000 erweitert, und es wird zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung kommen.
Besonders wichtig ist, daß wir damit auch eine EG-konforme Lösung gefunden haben. Mit einem Mindestbeitrag von ganzen 25 DM werden künftig, ab 1991, kleinere Landwirte den vollen Anspruch auf landwirtschaftliche Altershilfe erreichen können. Damit kommt der Wille des Gesetzgebers zur maximalen Entlastung zum Ausdruck, nachdem uns bekanntlich die bisherige pauschale Regelung von der EG aus der Hand geschlagen wurde. Manche beklagen eine geringere Leistung an manche Landwirte gegenüber dem bisherigen Rechtszustand.Wie aus der Stellungnahme des Bauernverbandes in der Anhörung deutlich wurde, war auch die bisherige pauschale Regelung in vielen Fällen nicht frei von Ungerechtigkeiten, so daß die jetzige Lösung vertretbar erscheint.
Sie verschließt nicht den Weg, bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen eine günstigere Beitragsstaffelung und Beitragsspreizung zugunsten derjenigen Landwirte herbeizuführen, die stärker entlastet werden sollten. Dies ist aber die Aufgabe der Selbstverwaltung, und die Union als eine Partei der Selbstverwaltung möchte es natürlich dieser auch überlassen, daß entsprechende Regelungen getroffen werden, und hat deswegen einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht.
Ein Wort zur Frage der Bäuerin. Es steht außer Frage, daß die Bäuerin im Rahmen der Neuordnung der Agrarsozialpolitik eine verbesserte Absicherung bekommen muß.
Um hier ein erstes, ich gebe zu: kleines Zeichen zu setzen, wurde das Kindesalter für die Übergangshilfe vom 16. Lebensjahr auf das 18. Lebensjahr hochgesetzt.
— Sie haben so etwas in Ihrer Regierungszeit nie hingekriegt, Herr Kirschner.Meine Damen und Herren, das 4. ASEG erhält durch die Verbesserung beim FELEG zusätzliche Bedeutung. Bei der Einführung des FELEG wurde bekanntlich Neuland betreten. Niemand konnte seriöse Prognosen über die Beanspruchung herausgeben, so daß es richtig war, im Blick auf Europa zunächst einmal die Grundsätze richtig aufzustellen. Nunmehr gehen wir daran, die Konditionen und Modalitäten in begünstigender Form fortzuschreiben. Durch eine Reihe von Maßnahmen wird dieses FELEG interessanter, vor allem durch die Absenkung des Zugangsalters auf das 55. bzw. 53. Lebensjahr.
Damit wir uns also richtig verstehen: Dies alles sind Dinge, die unter unserer Regierungszeit im agrarsozialpolitischen Bereich überhaupt erst eingeführt wurden.
Es ist also müßig, hier darüber zu diskutieren, was Ihnen daran nicht paßt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16859
FuchtelWenn wir Ihnen folgen würden, kämen wir überhaupt nicht mehr zu entsprechenden Entscheidungen in dieser Legislaturperiode. Das heißt, 300 Millionen DM würden den Bauern Jahr für Jahr flötengehen; das möchten wir nicht.Wenn Sie anmahnen, daß wir nicht die Gesamtreform zustande gebracht haben, so empfehle ich Ihnen: Lesen Sie einmal in den Protokollen nach, wie Sie immer wieder die übermäßige Beanspruchung des federführenden Ausschusses hier im Plenum moniert haben.
Kommen Sie jetzt nicht her und sagen, man hätte es trotzdem machen müssen. Sie haben jedenfalls keinen entsprechenden Antrag eingebracht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird Sie, Herr Fuchtel und meine Damen und Herren von der Koalition, nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, daß die SPD-Bundestagsfraktion den Gesetzentwurf eines Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes, kurz ASEG genannt, ablehnt. An den Gründen dafür, die mein Kollege Hermann Wimmer damals für die SPD dargelegt hat und die wir auch in der Sachverständigenanhörung des Arbeits- und Sozialausschusses bestätigt bekamen hat sich seit der ersten Lesung leider nichts geändert.
— Sie können das ja nachher sagen.Sie fügen mit diesem Gesetzentwurf — lassen Sie mich dies deutlich sagen — Ihrer bisherigen Agrarsozialpolitik einen weiteren Flicken hinzu und — das ist unsere Kritik vom Grundsätzlichen her — verschieben damit ein weiteres Mal die wiederholt angekündigte große Agrarsozialreform auf die Zukunft.
Mir ist noch im Ohr, wie hier Abgeordnete der Koalition gesagt haben, daß — ich möchte einmal zitieren — „eine dauerhafte Lösung dieser Problematik neuer Elemente im landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystem bedarf" . Ein weiteres Zitat: „Ich will ... den Überlegungen, die gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einsetzen werden, nicht vorgreifen."Dies hat Herr Kollege von Schorlemer in der abschließenden Beratung des Beitragsentlastungsgesetzes am 6. Juni 1986, Herr Kollege Fuchtel, also vor vier Jahren, gesagt. Ich kann dazu nur feststellen, daß, falls Ihre Überlegungen zu Beginn der letzten Legislaturperiode nicht gleich wieder ausgesetzt haben, diese zumindest bis heute kein Ergebnis zeigen.Was immer Sie an Entschuldigungen und Gründen für Ihr neuerliches Nichtstun vorbringen, lediglich die Beanstandung des SVBEG durch die EG-Kommission hat ja dazu geführt, daß Sie überhaupt etwas vorgelegt haben.
Sie kommen z. B. mit dem Grund, daß der federführende Arbeits- und Sozialausschuß zeitlich überbeansprucht ist. Herr Kollege Fuchtel, was muß noch alles für eine solche Begründung herhalten? Als ob Sie je darauf Rücksicht genommen hätten, wenn Sie einen Gesetzentwurf in unserem Ausschuß durchboxen wollten.
Ich erinnere nur an das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz und den Beratungsdruck, dem wir ausgesetzt waren.
— Was reden Sie denn? Sie haben doch keine Ahnung.
Das alles kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie für eine umfassende Agrarsozialreform nicht die Kraft gefunden haben.
Zu unterschiedlich sind Ihre Interessen innerhalb der Koalition, zu gering ist Ihre Durchsetzungskraft gegenüber der Großbauernlobby, die in dieser Frage offenbar das Handeln des Deutschen Bauernverbandes bestimmt.
— So ist es, Herr Kollege Eigen, das wissen Sie sehr gut. Sie reden hier ständig von d e r deutschen Landwirtschaft und versuchen, wie der Deutsche Bauernverband — zugegebenermaßen mit nicht zu unterschätzendem Erfolg — in der Öffentlichkeit mit Zahlen über Durchschnittseinkommen den Eindruck zu erwecken, als ob es allen Landwirten schlechtginge und infolgedessen Einkommensübertragungen in Form von Beitragszuschüssen für alle notwendig seien.Ein Blick in den Agrarbericht beweist jedoch genau das Gegenteil.
So betrug das verfügbare Gesamteinkommen bei den größeren Vollerwerbsbetrieben im Wirtschaftsjahr 1988/1989 fast 80 000 DM, bei den mittleren Vollerwerbsbetrieben fast 55 000 DM und bei den kleineren Vollerwerbsbetrieben rund 38 000 DM.
Nimmt man diese Zahlen ernst, dann — so meinen wir — muß viel stärker differenziert werden. Das Beitragssystem in der Landwirtschaft führt dazu, daß bei16860 Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990Kirschnerkleineren Betrieben überproportionale Belastungen für die Sozialversicherung vorliegen.
Das ist teilweise in sehr pauschaler Form durch das SVBEG ausgeglichen worden. Durch das 4. ASEG verschieben Sie das wieder zuungunsten der unteren Einkommen.
— Ich sage es Ihnen gleich, Herr Kollege Eigen.Der Wegfall des SVBEG, die Übernahme der 300 Millionen DM Beitragsentlastung in die Altershilfe, wovon ein Drittel, d. h. 100 Millionen DM, für eine generelle Beitragsentlastung in der Altershilfe und zwei Drittel, d. h. 200 Millionen DM, zur strukturellen Beitragsentlastung verwendet werden, bedeutet im Endeffekt, daß die kleineren bäuerlichen Betriebe unter dem Strich Mehrbelastungen auferlegt bekommen, die bis zu 1 770 DM im Jahr betragen können.
— Entschuldigen Sie bitte. Sie nehmen doch das SVBEG weg, Herr Kollege Hornung. Sie können doch nicht vergessen machen, daß unter dem Strich für die einkommensschwächsten Betriebe per saldo eine Mehrbelastung von 1 770 DM herauskommt.
Sie haben schlichtweg, Herr Kollege Fuchtel, das vorher unter den Tisch fallen lassen.
— Das weiß er sehr genau.Sie entlasten dagegen alle größeren landwirtschaftlichen Betriebe sowie auch Nebenerwerbsbetriebe entweder durch die Neueinbeziehung in die Beitragsentlastung in der landwirtschaftlichen Altershilfe oder durch den verminderten Anstieg des sogenannten Einheitsbetrages von 250 statt 270 DM im Monat. Im Ergebnis ist das eine Umverteilung von unten nach oben.Die ungerechte Beitragsstruktur bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen lassen Sie dagegen unangetastet. Auch hier hat die Anhörung nochmals deutlich gemacht, daß in einem sogenannten ersten Schritt zur Agrarsozialreform Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Es wirkt doch geradezu rührend, wenn Staatssekretär Eisenkrämer jetzt den landwirtschaftlichen Krankenkassen droht, wenn sich die ungerechte Beitragsstaffel der landwirtschaftlichen Krankenkassen nicht ändere, werde der Gesetzgeber in der nächsten Wahlperiode — so ein Zitat —„mit dem dicken Hammer" dazwischenfahren.
Ich sage Ihnen: Wir bieten Ihnen die Gelegenheit, diese Ungerechtigkeiten bereits jetzt in einem wirklichen ersten Schritt zur Agrarsozialreform zu beseitigen.Daß eine vernünftige und sozial gerechte Eingliederung der SVBEG-Mittel in das System der agrarsozialen Sicherung nur unter Einbeziehung der Beitragsstrukturen der landwirtschaftlichen Krankenkassen möglich ist, hat die Bundesregierung mehrfach selbst festgestellt, z. B. im Februar 1989. Dazu möchte ich zitieren:Da das SVBEG zu großem Anteil Entlastung auch im Bereich der Krankenversicherung ... bewirkt, ist nach Aufhebung des SVBEG zwingend die Beitragsbelastung in der LKV gerechter zu gestalten.
— Ja, das schreibt das BML.Ohne eine derartige Veränderung in der LKV kann keine Integration der SVBEG-Mittel in das agrarsoziale Sicherungssystem erfolgen.Diese richtige Einschätzung des BML und BMA kann ich nur unterstreichen.
Auch der Entschließungsantrag der Koalition geht offensichtlich von einer ungerechten Verteilung der Beitragslasten in der LKV aus. Sie spielen aber ein schäbiges Schwarze-Peter-Spiel, wenn Sie auf die Selbstverwaltung der Krankenkassen — Sie sind ja eine Partei der Selbstsverwaltung, haben Sie gesagt, Herr Fuchtel — verweisen. Die Selbstverwaltung ist seit Jahren untätig geblieben und hat eben nicht für eine gerechtere Staffelung der Beiträge gesorgt.Wir vermissen weiterhin einen tatkräftigen Solidarbeitrag der besserverdienenden Landwirte in der Altershilfe. Hier ist trotz der in den vergangenen Jahren kräftig gestiegenen Einheitsbeiträge das BeitragsLeistungs-Verhältnis immer noch wesentlich günstiger als in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Der Einheitsbeitrag beträgt in diesem Jahr 236 DM im Monat ohne Zuschuß. Dem steht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Jahreseinkommen von 15 000 DM gegenüber. Während aber in der Altershilfe nach 15 Beitragsjahren damit ein Altersgeld für Verheiratete in Höhe von 607 DM und für Ledige in Höhe von etwa 405 DM erreicht wird, beträgt die vergleichbare Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer solchen Beitragsleistung nur etwa 216 DM.
— Herr Kollege Hornung, Sie müssen sich diese Zahlen anhören, ob es Ihnen gefällt oder nicht.
Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, wie dringend notwendig — das sagen Sie selbst — eine Gesamtreform ist. Es ist gerade ein halbes Jahr her —
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Kirschnerdaran möchte ich Sie erinnern —, als hier im Parlament gemeinsam ein Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung verabschiedet wurde. Dieser sieht zum Teil schmerzhafte Eingriffe vor, wie Sie alle wissen. Wie wollen Sie von diesem Hintergrund weiterhin eine solche Privilegierung für gutverdienende landwirtschaftliche Unternehmer vertreten?
Damit das klar ist: Aus unserer Sicht soll den Landwirten weiterhin mit Beitragszuschüssen geholfen werden, deren Einkommenssituation das notwendig macht. Das ist bei vielen Betrieben der Fall. Aber in den Fällen, in denen etwa das außerlandwirtschaftliche Vergleichseinkommen erreicht wird, muß die heutige Begünstigung schrittweise abgebaut werden. Oder anders gesagt: Die Inhaberinnen und Inhaber der gutverdienenden landwirtschaftlichen Betriebe bedürfen einer Gleichbehandlung mit Selbständigen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind.
— Sie kennen das doch, Herr Fuchtel. Ich habe vorhin die Zahlen genannt. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht wüßten. Stellen Sie sich doch nicht so dumm, das nimmt Ihnen doch niemand ab.Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf die von Ihnen aufgesattelten Änderungen bei der Produktionsaufgaberente eingehen. Die Altersgrenze nach dem landwirtschaftlichen Vorruhestand— FELEG — soll danach auf 55 Jahre gesenkt werden. Allerdings verweigern Sie den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern weiterhin einen eigenen Leistungsanspruch.
— Lesen Sie doch einmal das Gesetz!
Das ist eine klare gesellschaftspolitische Ungleichbehandlung.Meine Damen und Herren, trotz einzelner Verbesserungen wie der Anhebung der Altersgrenze beim Übergangsgeld werden wir den Gesetzentwurf ablehnen, da er insgesamt nicht als Schritt in die richtige Richtung zu werten ist. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht. Sie haben die Chance, diesem zuzustimmen.
Ich glaube, dieser weist in die richtige Richtung. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Kirschner, Sie können in diesem Haus noch so oft betonen, daß dies ein Schritt in die falsche Richtung ist.
Wenn Sie sich einmal sehr intensiv und nicht nur wolkig unter dem Gesichtspunkt der Rentenversicherung mit der Eigenart der landwirtschaftlichen Altershilfe auseinandergesetzt hätten, dann hätten Sie hier eine andere Rede gehalten.
Bei der heutigen Verabschiedung des Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes habe ich allerdings — das betone ich — ein lachendes und ein weinendes Auge.
Ich habe ein weinendes Auge, weil wir in der 11. Legislaturperiode keine umfassende Reform der Agrarsozialgesetze durchführen konnten. Die bekannte Arbeitsüberlastung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat dies verhindert. Das wissen Sie ganz genau. Ich bedauere dies sehr, weil berechtigte Anliegen insbesondere unserer Bäuerinnen in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht geregelt werden, ja nicht geregelt werden konnten; denn dazu brauchen wir die umfassende Reform.Das lachende Auge habe ich, weil es uns gelungen ist, das verunglückte SVBEG von 1986 zu korrigieren. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, daß das, was im Jahr 1986 eingeführt worden ist, mit ordnungspolitischen und systematischen Überlegungen nichts mehr zu tun hatte. Das war ein schlechtes Gesetz. Das müssen wir heute korrigieren.
Der Bauernverband hat in seiner Stellungnahme— Kollege Fuchtel hat es zitiert — von sozialen Verzerrungen und offenkundigen Ungereimtheiten gesprochen. Der Bauernverband steht mit seiner Kritik nicht allein.Uns ist es gelungen, den Betrag von 300 Millionen DM in die landwirtschaftliche Altershilfe zu integrieren. Das heißt: Das SVBEG läuft zum 31. Dezember 1990 aus. Beim SVBEG 1986 war ein Finanzvolumen von 400 Millionen DM im Haushalt veranschlagt, aber— das ist die Begründung für das mißglückte Gesetz SVBEG — es wurden nur 279 Millionen ausgegeben, und zwar im ersten Jahr. Die Ausgaben werden sich 1990 nach Angaben des Gesamtverbandes noch weiter — auf 270 Millionen DM — verringern. Das heißt: Immer mehr Betriebe sind auf Grund des Strukturwandels aus der Förderung herausgefallen, und die verbleibenden Mittel konnten nicht übertragen werden. Wenn wir heute nach dem 4. ASEG 300 Millionen zur Verfügung haben und dieser Betrag dann auch noch dynamisiert wird — in wenigen Jahren werden es 400 Millionen DM sein — , so kann man mit Fug und Recht von einem Erfolg zugunsten der landwirtschaftlichen Altershilfe sprechen.
Ich begrüße auch ausdrücklich, daß der von mir vorgeschlagene Weg, nämlich die Verwendung von
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16862 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Heinrich100 Millionen DM zur allgemeinen Beitragssatzstabilisierung, in dieses Gesetz aufgenommen worden ist.
Ich stelle weiterhin fest, daß die zwölf Zuschußklassen sozial verträglich sind und entsprechend den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommen sowie unseren Anforderungen an das Gesetz Rechnung tragen, meine Damen und Herren von der Opposition.Wenn man weiß, das innerhalb von vier Jahren, d. h. von 1986 bis 1990, der Beitrag zur landwirtschaftlichen Altershilfe um mehr als 50 % gestiegen ist und ohne das 4. ASEG noch einmal um weitere 14 % steigen würde, so kann man sich über Ihre Äußerungen, die Sie auch heute wieder in diesem Hause gemacht haben, nur wundern. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als könne das SVBEG in seiner überproportionalen Entlastungswirkung auf Dauer erhalten bleiben. Das, was Sie von der SPD kritisieren, nämlich die Höhe der Gesamtbelastung durch die Sozialkosten, hängt entscheidend mit der Spreizung der Beitragsklassen in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung zusammen. Das versuchen Sie hier immer mit wolkigen Worten zu verwischen.Ich darf in diesem Zusammenhang aber auch noch auf den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum 4. ASEG verweisen.
Dort wird die Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenkassen angesprochen. Sie wird aufgefordert, ihren Handlungsspielraum auszuschöpfen und, Herr Kollege Kirschner, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Wir schieben hier nichts ab. Es ist vielmehr so, daß die Selbstverwaltung einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat, um eine sozial gerechte Verteilung der Beitragslasten herbeizuführen und somit die Voraussetzungen zu schaffen, den kleinen und mittleren Betrieben durch eine wirksame Spreizung der Beitragsklassen eine spürbare Entlastung zuteil werden zu lassen.Meine Damen und Herren, wir haben auf Grund der Anhörung noch Änderungen im Gesetzentwurf vorgenommen. Die Forderungen des Landfrauenverbandes haben bei uns Gehör gefunden. Wir haben beim Hinterbliebenengeld und bei der Überbrükkungshilfe die Altersgrenze von 16 auf 18 Jahre erhöht.Wie schon in der ersten Lesung von mir gefordert, gibt es auch Änderungen bei der Produktionsaufgaberente. Diese Verbesserungen sind notwendig, denn die Regelungen, die jetzt seit einem Jahr Bestand haben, waren und sind nicht attraktiv genug, um den Strukturwandel entsprechend sozial erträglich zu gestalten. — Hier blinkt gerade das rote Licht. Ich werde mich deshalb kurz fassen.
Entscheidende Änderungen sind die Absenkung der Altersgrenze von 58 auf 55 Jahre, der Umstand, daß auch bei Verpachtung der landwirtschaftlichen Betriebe die vollen Beiträge zur Altershilfe vom Staat übernommen werden, und vor allen Dingen, daß dieHinzuverdienstgrenze von seither einem Sechstel auf 30 % der Bezugsgröße erhöht worden ist. Das sind rund 1 000 DM. Das ist ein entscheidender Schritt in Richtung eines attraktiven Angebots.Das jetzt vorliegende Gesetz findet nicht nur die Zustimmung der Berufsverbände. Es ist auch absolut EG-konform. Es ist unter dem Blickwinkel des EGBinnenmarktes agrarpolitisch zukunftsorientiert ausgestaltet. Daran können Sie auch mit noch so mittelmäßiger Kritik nichts ändern.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Flinner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vierte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz ist nicht nur eine äußerst dürftige Übergangslösung, es ist auch ein Schritt in die falsche Richtung.
Wir alle wissen, daß das Gesetz lediglich die ungünstigere Verteilung von jährlich etwa 300 Millionen DM vorsieht. Insgesamt sollen mehr Landwirte Anspruch auf Zuschüsse haben.
Das hat zur Folge, daß gerade den Betrieben mit geringem Einkommen, die auf diese Zuschüsse am meisten angewiesen sind, weniger gewährt wird, um den Kreis der Berechtigten auf die größeren Betriebe zu erweitern.Das ist nicht nur sozial unausgewogen, es bedeutet die Festschreibung einer großen Ungerechtigkeit.
An dieser Feststellung führt auch die angeblich differenziertere Einteilung in elf Zuschußklassen nicht vorbei.Schon weil bei dieser Vorlage die landwirtschaftliche Krankenversicherung überhaupt nicht einbezogen ist, kann das Gesetz den Zielen einer sinnvollen Reform nicht genügen.Seine Zielsetzung läßt das Machwerk unverhüllt erkennen: die Beschleunigung des Strukturwandels, das Benachteiligen kleiner Höfe, die Förderung der Großbetriebe. Und hier ist sich die Regierung völlig einig mit dem Bauernverband, der sich inzwsichen immer aufdringlicher zum Vertreter der Agrarfabrikanten entwickelt hat.
Bei dem wohl dringendsten Problem der Agrarsozialversicherung, der ungenügenden Absicherung der Bäuerinnen, versagt die Regierung mit diesem Gesetz gänzlich. Die Bäuerinnen haben immer noch keine ausreichende Altersversorgung, sie sind bei un-
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Frau Flinnerfallbedingter Arbeitsunfähigkeit immer noch nicht abgesichert.
Uns allen ist doch bekannt, wie sehr gerade die Bäuerinnen mit ihrer Arbeit zum Funktionieren der Landwirtschaft beitragen, wie nötig ihre Mitwirkung dabei ist.
Ohne sie läuft nichts.
Leider ist der Landfrauenverband viel zu zaghaft, viel zu zögerlich bei der Interessenvertretung für die Bäuerinnen. Die faktische Unterordnung unter den Bauernverband bewirkt, daß die Belange der Bäuerinnen nicht intensiv genug vorgebracht und durchgesetzt werden.
Es hat keinen Sinn, wie in der Vergangenheit nur kleine Änderungen anzuregen oder winzige Schritte vorwärtszukommen. Die Bäuerinnen sind lange genug von der Regierung vertröstet und verschaukelt worden. Es wird Zeit, daß die Bäuerinnen selbstbewußt ihre Gleichberechtigung einfordern und verwirklichen. Das bedeutet in erster Linie, daß die Bäuerinnen einen eigenständigen Leistungsanspruch in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung erhalten müssen. Es zeigt sich immer wieder, daß der abgeleitete Anspruch nicht ausreicht, daß in Konfliktfällen die Bäuerinnen stets benachteiligt sind.Ich höre auf die Forderung nach eigenständigem Anspruch häufig die Antwort: Das läßt sich aber nicht finanzieren, dann müßten die Bäuerinnen auch Versicherungsbeiträge leisten, und das könnten sie nicht bezahlen.
Natürlich könnten sie das nicht bezahlen; viele kleine Betriebe sind ja ohnehin schon durch die Versicherungsbeiträge überlastet. Auf diesen Gedanken dürfen wir uns hier nicht einlassen. Die Beiträge sind doch nur deshalb so hoch geworden, weil die Agrarpolitik versagt hat, weil dadurch in der Altershilfe mehr Leistungsempfänger als Beitragszahler sind. Für diese Entwicklung sind nicht die Betroffenen verantwortlich, sondern diejenigen, die mit ihrer Politik diese Zustände herbeigeführt haben.
Deshalb kann das Problem nur dadurch gelöst werden, daß die Agrarsozialpolitik nicht als Mängelverwaltung auf Kosten der Betroffenen und Abfederung für den Ausstieg aus der Landwirtschaft gestaltet wird, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Stärkung und Erhaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft.Statt des Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes hätte uns die Regierung in Erfüllung ihres Versprechens eine vernünftige Agrarsozialreform vorlegen müssen, die tatsächlich den Anliegen der Bäuerinnen und Bauern nachkommt. Entsprechend unseren Vorschlägen, die wir hier schon oft vorgestellt haben,
brauchen wir dringend ein Programm zur Existenzsicherung kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe und endlich durchgreifende Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation der Bäuerinnen.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wichtigste Botschaft dieses Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes lautet: Wir sichern damit 300 Millionen DM, die auf Grund des EG-Rechts ansonsten für die landwirtschaftliche Altershilfe verloren wären, die auch dann verloren wären, wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, auf dieses Gesetz zu verzichten.
Lieber Herr Kollege Heinrich, ohne das SVBEG aus dem Jahre 1986 hätten wir diese 300 Millionen DM nicht vom Finanzminister bekommen.
Deshalb möchte ich dieses Gesetz nicht in Schutt und Asche versenken, sondern ich möchte sagen: Es war notwendig, um für eine Übergangszeit eine sehr wirksame Hilfe für die Landwirte zu gewähren.Der zweite Vorteil, der nicht eintreten würde, wenn wir Ihrem Votum folgen würden, ist folgender: Wir dynamisieren die Zuschüsse zur Altershilfe für Landwirte. Das führt dazu, daß der Bund bereits in den ersten drei Jahren insgesamt 80 Millionen DM mehr zur Verfügung stellt. Wenn wir heute Ihrem Votum folgen würden, stünden für die landwirtschaftliche Altershilfe 80 Millionen DM weniger zur Verfügung.
Die Zahl der Zuschußberechtigten wird von heute 240 000 auf künftig 320 000 steigen. Das sind 80 000 mehr als heute.Ein dritter Vorteil dieses Gesetzes: Der Übergang von einer Zuschußklasse zu einer anderen wird durch eine Verdoppelung der Beitragsklassen flexibler gestaltet und damit auch gerechter.
Der vierte große Vorteil dieses Gesetzes ist, daß der in der Vergangenheit erhebliche Anstieg des allgemeinen Beitragssatzes in der Altershilfe für Landwirte künftig gebremst wird. Dies kommt auch den kleinen und mittleren Landwirten zugute.
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Parl. Staatssekretär SeehoferDas Gesetz begrenzt nach unserer Überzeugung in dem Rahmen, der in der Alterssicherung möglich ist, die Mehrbelastung bestimmter Betriebsgruppen. Die Ursache dieser Mehrbelastung liegt ja letztlich darin, daß die Beitragsentlastungsmittel nur in die Altershilfe für Landwirte integriert werden können — die Beanstandung der EG hat uns das gezeigt — und daß die Belastung kleiner Betriebe in der Altershilfe bereits stark heruntergefahren ist. Ich verweise auf das Beispiel, das heute schon genannt wurde: bei einem Mindestbeitrag von 25 DM eine Rentenberechtigung von bis zu über 950 DM monatlich.Lieber Herr Kollege Kirschner, Sie leiden offensichtlich auch schon unter dem Lafontaine-Syndrom. Man sollte Fehler nicht allzuoft wiederholen. Gestern hat Ihr Kollege Dieter Haack im Ausschuß einen wunderbaren Vergleich gebracht. Er hat gefragt: Worin besteht der Unterschied zwischen einem Dummen und einem Intelligenten? — Der Dumme würde den gleichen Fehler immer wieder machen, während der Intelligente immer wieder neue Fehler macht. Sie machen jetzt wieder den gleichen Fehler. Sie werden nämlich auf der einen Seite nicht müde, das BeitragsLeistungs-Verhältnis in der Altershilfe für Landwirte an den Pranger zu stellen — das haben Sie hier getan — , während Sie auf der anderen Seite heute hier einen Abbau dieser Begünstigung kritisieren. Das ist pure Heuchelei,
die aber die Landwirte, wie alle Diskussionen in der Praxis zeigen, durchschaut haben und die Ihnen die Landwirte nicht abnehmen.
Sie wissen ganz genau, daß es sehr realistische Möglichkeiten gibt, diese Mehrbelastungen bestimmter Betriebsgruppen abzubauen, und zwar in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung. Hier könnte man eine sozial angemessene Beitragsgestaltung vornehmen. Deshalb begrüßt die Bundesregierung sehr die vorgesehene Entschließung des Deutschen Bundestages, die den Appell an die Selbstverwaltung enthält, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen, ähnlich wie in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Beitragsspreizung von 1 : 10 anzustreben und es nicht bei einer solchen von 1 : 3, wie sie heute Realität ist, zu belassen. Lieber Herr Kollege Kirschner, Selbstverwaltung heißt auch Selbstverantwortung. Deshalb sollten wir nie müde werden, an die Selbstverwaltung zu appellieren.
— Dann brauchen sie ja nur zu handeln. Wir hoffen, daß unser Vertrauen in die Selbstverwaltung nicht enttäuscht wird.Ich möchte noch, ähnlich wie der Kollege Fuchtel, eine Anmerkung zum FELEG, zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, machen. Die Bundesregierung hat sich immer für eine soziale Abfederung des Strukturwandels im Blick auf die kleinen und mittleren Betriebe ohne Hofnachfolger eingesetzt. Lediglich das allgemein als zu hoch eingeschätzte finanzielle Risiko bei FELEG war bei seiner Verabschiedung für die eng gefaßten Leistungsvoraussetzungen maßgebend.Nachdem wir hier jetzt die Erfahrungen haben, ist es eigentlich nur logisch, daß wir die Anspruchsvoraussetzungen so verändern, daß es künftig zu einer besseren Inanspruchnahme der Mittel kommen kann.Aus der Sicht der Bundesregierung spricht alles dafür, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir wollen nicht die Verantwortung dafür übernehmen — wir appellieren noch einmal an Sie, das zu überdenken —, daß diese 300 Millionen DM verlorengehen, daß die 80 Millionen DM zusätzliche Mittel für die Altershilfe nicht kommen, daß die Allgemeinbeiträge weiter drastisch steigen. Ich meine, Sie sollten Ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und dafür sorgen, daß diese Mittel für die Landwirte auch künftig gesichert werden.Herr Kollege Wimmer, ich freue mich auf die Podiumsdiskussionen in Bayern, wo ich verkünden kann, daß die SPD heute bei dieser Abstimmung gegen 380 Millionen DM für die Landwirte gestimmt hat.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes, Drucksachen 11/6469, 11/7064 und 11/7233.Der Ausschuß empfiehlt, die Bleichlautenden Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Bundesregierung in der Ausschußfassung anzunehmen.Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Diese Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/7233 unter 2 empfiehlt. Wer stimmt für diese Entschließung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Diese Entschließung ist mit Mehrheit angenommen.Wir stimmen nunmehr ab über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7260. Wer stimmt für diese Entschließung? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthal-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16865
Vizepräsident Stücklentungen. Dieser Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7286. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Die Fraktion DIE GRÜNEN enthält sich. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe Punkt 15 a bis f sowie die Zusatzpunkte 11 bis 13 der Tagesordnung auf:15. a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1990Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung— Drucksachen 11/6387, 11/6388 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutzund ReaktorsicherheitHaushaltsausschußb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes— Drucksache 11/5317 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 11/6377 —Berichterstatter: Abgeordneter Sielaff
ZP11 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Dr. Jobst, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Scheu, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler), Frau Will-Feld und Genossen und der CDU/CSU-Fraktion sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Milch, Milcherzeugnisse, Margarineerzeugnisse und ähnliche Erzeugnisse (Milch- und Margarinegesetz)— Drucksache 11/6643 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 11/7236 — Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Weyel
15. c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 13. November 1987 zum Schutz von Heimtieren— Drucksache 11/6854 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstend) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes— Drucksache 11/7065 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
RechtsausschußZP12 Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Dr. Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Rossmanith, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Brunner, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler), Frau Will-Feld und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes— Drucksache 11/7253 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
HaushaltsausschußZP13 Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Dr. Hoffacker, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen , Dr. Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Hornung, Dr. Göhner, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz (Weiden), Link (Diepholz), Dr. Meyer zu Bentrup, Brunner, Frau Schmidt (Spiesen), Schmitz (Baesweiler), Frau Will-Feld und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes sowie eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes— Drucksache 11/7254 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
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16866 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Vizepräsident Stücklen15. e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates für den Schutz von Tieren beim Transport— Drucksachen 11/5722 Nr. 2.4, 11/6731 —Berichterstatter: Abgeordneter Michelsf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Adler, Jansen, Kißlinger, Koltzsch, Müller (Schweinfurt), Blunck, Oostergetelo, Pfuhl, Sielaff, Wimmer (Neuötting), Wittich, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDRechtsverordnung für den Transport von Tieren— Drucksachen 11/2441, 11/6733 —Berichterstatter: Abgeordneter MichelsZum Agrarbericht 1990 liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7257, 11/7283, 11/7298 und 11/7299 vor.Im Ältestenrat sind für diese Aussprache zwei Stunden vereinbart worden. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe Zustimmung. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache, und ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Kiechle.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich in mehrfacher Hinsicht ist es ein gutes Zeichen, daß diese Agrardebatte trotz der Dringlichkeit anderer politischer Themen heute stattfindet. Erstens wird damit dokumentiert, daß die Lage der Landwirtschaft allgemein von großem Interesse ist. Zweitens werden mit dieser Agrardebatte die vielfältigen Leistungen unserer Bauern für unsere Bevölkerung anerkannt. Die Bauern sorgen ja nicht nur für die Ernährung unserer Mitbürger, sie gestalten und erhalten auch unsere Kulturlandschaft.
Drittens soll diese Debatte deutlich machen: Deutschland eint sich, Europa wächst zusammen. Die deutsche Landwirtschaft und unsere Agrarpolitik leisten dazu einen wichtigen Beitrag.Nach dem Landwirtschaftsgesetz von 1955 hat die Bundesregierung die Pflicht, die wirtschaftliche und soziale Lage in der Landwirtschaft darzustellen. Daran hat sich die Bundesregierung jedes Jahr gehalten, ganz gleich, ob die Einkommensergebnisse erfreulich waren oder nicht. Für das vergangene Wirtschaftsjahr 1988/89 stellt der Agrarbericht der Bundesregierung fest: Unsere deutschen Bauern konnten, wenn auch nicht alle, endlich wieder auf ein gutes Einkommensjahr zurückblicken. Für das laufende Wirtschaftsjahr 1989/90 zeichnet sich eine weitere Verbesserung ab. Darüber sollten wir uns freuen.
Wer die Lage in der Landwirtschaft immer nur schwarzgemalt sehen möchte, darf sich nicht wundern, wenn junge Leute keine Lust mehr haben, Bauer oder Bäuerin zu werden.
Leider ist es in unserer Bevölkerung üblich geworden, wie in einer Art Dunkelkammer Negative über Negative zu entwickeln. Was positiv ist und was erfolgreich geschafft wurde, geht dabei leicht unter.Tatsache ist aber: Vor uns hat es keine Bundesregierung gegeben, die in so kurzer Zeit so vieles für unsere Landwirtschaft erreicht hat,
wie übrigens folgende Beispiele zeigen: Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer in Höhe von zunächst 2,7 Milliarden DM und von 1989 bis 1991 in Höhe von 1,7 Milliarden DM jährlich,
betriebsbezogener Einkommensausgleich in Höhe von jährlich 1,1 Milliarden DM bis 1992.
Erhöhung der Ausgleichszulage und Erweiterung der ausgleichszulagenberechtigten Gebiete von 1,4 Millionen ha auf nunmehr 6,4 Millionen ha,
differenziertes Konzept einzel- und überbetrieblicher Investitionsförderung und erhebliche Fortentwicklung der agrarsozialen Sicherung.
Insgesamt sind die Agrarausgaben des Bundes seit 1983 von 5,9 Milliarden DM auf rund 9,6 Milliarden DM in diesem Jahr und damit um über 60 % gestiegen.
Die Bundesregierung braucht sich wirklich nicht zu verstecken, wenn es um Problemlösungen und die Förderung unserer Landwirtschaft geht.
Die umfangreiche staatliche Unterstützung trägt wesentlich zur Existenzfähigkeit aller Betriebe bei, der kleinen wie der größeren.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16867
Bundesminister KiechleEs hat keine Umverteilung von unten nach oben gegeben, wie die Opposition immer behauptet.
Im Gegenteil: Die allgemein günstige Wirtschaftsentwicklung seit Übernahme der Regierungsverantwortung durch diese Koalition bietet kleineren Betrieben eine Fülle von Möglichkeiten der Einkommenskombination
und damit, wie der Agrarbericht zeigt, eine solide Existenzgrundlage.Gleichzeitig wissen wir: Im europäischen Binnenmarkt müssen unsere bäuerlichen Betriebe wettbewerbsfähig sein und einen möglichst hohen Anteil der Einkommen am Markt erwirtschaften. Für die Politik bedeutet das, die rechtlichen Produktionsbedingungen, z. B. beim Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie in der Tierhaltung, müssen überall in der EG einander angenähert werden. Unser Ziel muß sein: gleiches Recht für alle, und das auf einem möglichst hohen Schutzniveau.
Das gilt auch für den Tierschutz. In verbundener Debatte beraten wir heute spezielle Fragen des Tierschutzes, insbesondere den Schutz von Tieren beim Transport und den Schutz von Heimtieren. Beim internationalen Transport ist der Schutz von Tieren bisher nicht ausreichend gewährleistet. Deshalb wird sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Bundesrat bei der Beratung der geplanten EGVorschrift für tierfreundlichere Regelungen einsetzen.
Das gilt vor allem für die ordnungsgemäße Betreuung und Versorgung von Schlachtvieh. Auch Schlachttiere sind letztlich Mitgeschöpfe.
Wir müssen so viel Leid wie möglich von ihnen fernhalten. Dies kann nur heißen: Wir haben die Transport- und Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen und nicht umgekehrt.Das Vertragsgesetz zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren soll zur weiteren Harmonisierung des unterschiedlichen Tierschutzrechts in den Mitgliedstaaten des Europarats beitragen. Die materiellen Anforderungen sind bereits sehr weitgehend Bestandteil der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland.Für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft reicht es nicht, die produktionsrechtlichen Bedingungen in der EG zu vereinheitlichen. Hinzu kommen muß auch eine Stabilisierung der Agrarmärkte, d. h. Angebot und Nachfrage müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Nur so können sich dann am Markt wieder befriedigendere, kostenorientierte Erzeugerpreise bilden.
Wie schwer ein Marktgleichgewicht herbeizuführen ist, zeigt das Beispiel Getreide. Jede sechste in der EG erzeugte Dezitonne Getreide ist zuviel,
trotz der im Frühjahr 1988 beschlossenen EG-Regelungen zur Stabilisierung des Getreidemarkts. Dies liegt im wesentlichen an der sehr zögerlichen Umsetzung in den anderen Mitgliedstaaten.
Bei den diesjährigen Preisverhandlungen habe ich mich deshalb massiv dafür eingesetzt, endlich bei der EG-weiten Anwendung der Flächenstillegung, bei der Verwendung der nachwachsenden Rohstoffe außerhalb des Nahrungsmittelbereichs
und bei der Mehrverfütterung von Getreide ein gutes Stück voranzukommen.
Die EG-Kommission hat einsehen müssen, daß sie nicht ständig an der Preisschraube drehen, die anderen im Stabilisatorenbeschluß vorgesehenen Maßnahmen aber wie ein Stiefkind behandeln kann. Sie hat sich deshalb schließlich verpflichten müssen, die bisherige Umsetzung der Stabilisatorenregelung grundsätzlich zu überprüfen und in Kürze Vorschläge vorzulegen, wie die marktentlastenden Maßnahmen wirksamer gestaltet werden können. Des weiteren haben wir gefordert, die im Stabilisatorenbeschluß verankerte automatische Getreidepreissenkung von 3% für dieses Jahr an anderer Stelle auszugleichen. Auch damit haben wir uns weitgehend durchgesetzt.Mit diesem Verhandlungsergebnis konnte die einseitige Preissenkungsstrategie der EG-Kommission zum erstenmal seit Jahren durchbrochen werden. Nun muß ein EG-Konzept her, das bei Getreide längerfristig trägt und auch den direkt vermarktenden Getreidebauern wieder positivere Perspektiven bietet.
Dabei steht nach wie vor die Flächenstillegung mit finanziellem Ausgleich weiter im Mittelpunkt des Interesses. Sicher ist auch die Flächenstillegung keine agrarpolitische Wunderwaffe. Sie ist aber die einzige wirklich mengenbegrenzende Maßnahme, die wir EG-weit zur Zeit haben. Deshalb müssen wir sie konsequent nutzen und gleichzeitig bei nachwachsenden Rohstoffen die Markteinführung voranbringen. Daneben brauchen wir unbedingt eine Begrenzung bei der Einfuhr von Getreidesubstituten. Das ist eines unserer Hauptanliegen bei den laufenden GATT-Verhandlungen.
Wir haben noch eine Reihe weiterer Probleme, die uns unter den Nägeln brennen. So haben schwere Orkane im Frühjahr dieses Jahres einen beträchtlichen Teil unserer Wälder vernichtet. Das Schadensausmaß liegt mittlerweile bei 65 Millionen m3 Sturmholz. Das ist mehr als das Zweifache, was in normalen
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16868 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Bundesminister KiechleJahren eingeschlagen wird. Vielleicht sagt Laien eine andere Zahl mehr: Das bedeutet, daß dieser Sturm in wenigen Stunden rund 115 Millionen bis 120 Millionen Bäume gefällt hat.
Viele private Waldbauern sind davon existentiell betroffen.Das Sturmholz muß jetzt kurzfristig aufgearbeitet, Sturmschadensflächen müssen so rasch wie möglich wieder aufgeforstet werden. Die Bundesregierung hat eine Reihe von Hilfsmaßnahmen ergriffen, u. a. die Anwendung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes mit finanziellen Entlastungen für die Betroffenen. Gestern hat das Bundeskabinett beschlossen, daß sich der Bund in den nächsten sechs Jahren mit insgesamt 300 Millionen DM an finanziellen Hilfsmaßnahmen der Länder zugunsten der privaten Waldbesitzer beteiligt.
Wir tun das, obwohl eine direkte Zuständigkeit des Bundes nicht gegeben ist. Wir tun das der betroffenen Waldbauern wegen.
Ich möchte Herrn Dr. Waigel, unserem Finanzminister, dem Kabinett und dem Herrn Bundeskanzler herzlich dafür danken, daß ohne Gerangel um Zuständigkeitsfragen hier eine gute Entscheidung für die Bauern gefällt werden konnte.
Sehr stark hat uns in den letzten Monaten das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten beschäftigt. Politik darf nicht den Fakten hinterherlaufen. Politik muß die Entwicklung bestimmen.
In diesem Sinne habe ich meine Gespräche mit meinem DDR-Kollegen Dr. Pollack geführt. Unsere Landsleute in der DDR sind bereit, das marktwirtschaftliche Prinzip „Mehr Eigenverantwortung" auf ihre Verhältnisse zu übertragen. Das fällt ihnen nicht leicht. 40 Jahre sozialistische Kommandowirtschaft haben vieles an Eigeninitiative verschüttet, was erst wieder freigelegt werden muß.
Wir sind verpflichtet, den Neubeginn im anderen Teil unseres Vaterlandes wirtschaftlich und ideell zu unterstützen.In der Landwirtschaft der DDR treffen wir doch auf ganz ungewöhnliche, politisch geschaffene, nicht ökonomisch gewachsene Produktionsstrukturen. In der DDR gibt es ganze 4 300 landwirtschaftliche Betriebe. Angesichts ihrer Flächenausstattung von 4 000 bis 5 000 ha und Bestandsgrößen von 1 700 Kühen oder durchschnittlich 11 000 Mastschweinen kann man eher von Agrarfabriken sprechen.Dagegen verzeichnen wir bei uns rund 650 000 landwirtschaftliche Betriebe — allerdings ab 1 ha gezählt — , organisiert auf privatwirtschaftlicher Basis.Die Durchschnittsgröße der 320 000 Vollerwerbsbetriebe bei uns liegt bei 29 ha.Unsere Erfahrungen zeigen, daß Größe allein noch keine Gewähr für eine dauerhafte Existenzfähigkeit im EG-Wettbewerb bietet. Entscheidend ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Daran fehlt es vielen Betrieben in der DDR. Das kann auch gar nicht anders sein. 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft hinterlassen deutliche Spuren. Große, unüberschaubare Agrokomplexe wie die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR sind gekennzeichnet durch schwerfällige Entscheidungen, weite Wege, mangelndes Eigeninteresse der einzelnen Mitarbeiter, überwiegend auf Masse statt auf Qualität gerichtete Produktion und — ich muß sagen: leider — sehr große ökologische Schäden.
Mittlere und kleine Privatbetriebe, also bäuerliche Familienbetriebe wie bei uns, können dagegen rascher auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren. Sie weisen einen hohen Verantwortungsgrad der Familienmitglieder auf, und sie sind flexibler bei der Anpassung an den Arbeitsbedarf. Zum Beispiel Nebenerwerbsbetriebe wie bei uns sind in der DDR so gut wie unbekannt.Nach einer Übergangszeit wird die DDR-Landwirtschaft ihre Position im Binnenmarkt finden. Bis dahin müssen sich die Produktionsbedingungen in der DDR jedoch beträchtlich ändern. Die großen Agrarkomplexe sind zu entflechten. Tier- und Pflanzenproduktion sind zusammenzuführen. Die Massentierhaltung ist stufenweise abzubauen. Nebenbetriebe, die mit der Landwirtschaft direkt gar nichts zu tun haben, sind auszugliedern. Einzelbäuerliche Betriebe müssen sich neu gründen können. Privates, frei verfügbares Eigentum an Grund und Boden muß garantiert werden.
Überproduktion und Umweltschutz erfordern Maßnahmen zum Kapazitätsabbau. Im Verarbeitungsund Vermarktungsbereich ist vielfach völlig neu anzufangen.Mit dem Staatsvertrag haben die Regierungen der DDR und der Bundesrepublik die wesentlichen Elemente für eine Neuausrichtung auch im Agrarsektor festgelegt. Zentraler Punkt ist die Einführung von Agrarmarkt- und Außenhandelsregeln, orientiert an den EG-Marktordnungen.Die Phase der Anpassung an EG-Verhältnisse kann die DDR-Landwirtschaft nur mit gezielten Übergangshilfen zur sozialen Abfederung, zur strukturellen Umorientierung, zur Verwirklichung einer umwelt- und qualitätsorientierten Produktion sowie zur Vermeidung von Überschüssen schaffen. Es sind Hilfen zur Selbsthilfe. Ob sie schnell oder so schnell genutzt werden, wie sich die Vertragspartner das vorstellen, wird sich zeigen müssen.Eines ist jedoch gewiß: Schon bisher war es nicht leicht, in unserem Land eine konsensfähige Agrarpolitik zu betrieben: im Norden bei günstigen Betriebsstrukturen stärkere Betonung der Wettbewerbs-
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Bundesminister Kiechlefähigkeit, im Süden bei eher kleinbetrieblichen Strukturen Nutzung von Einkommenskombinationen. Zu diesem bekannten Nord-Süd- werden nun noch OstWest-Interessenunterschiede hinzukommen.Die Bundesregierung ist nach wie vor von der Wettbewerbsfähigkeit des bäuerlichen Familienbetriebs überzeugt. Es ist die für unsere Landwirtschaft adäquate Wirtschaftsform, und zwar im Haupt- und im Nebenerwerb.Der bäuerliche Familienbetrieb ist aber nichts Statisches. Auch die Betriebe bei uns wachsen, allerdings nicht staatlich verordnet, sondern organisch und deshalb langsam und sozial vertretbar. So liegt die sogenannte Wachstumsschwelle im Bundesgebiet derzeit bei 40 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Zahl der Betriebe mit kleineren Flächen geht zurück, die Zahl der Betriebe mit größeren Flächen wächst. 1980 lag diese Wachstumsschwelle bei 30 ha und 1970 erst bei 20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.Die Frage, welche Betriebe zukünftig staatlich besonders gefördert werden sollen und welche nicht, wird uns angesichts der strukturellen Verhältnisse in der DDR mehr denn je beschäftigen.Das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands stellt uns auch in der Agrarpolitik vor neue, teilweise noch schwer abschätzbare Aufgaben. Wir erledigen sie nicht, indem wir nur ständig neue Bedenken entwickeln und ein Geschäft mit der Angst betreiben.
Es ist jetzt nicht die Zeit der Oberbedenkenträger oder der Kaffeesatzleser, der Schwarzmaler und der Angstmacher. Ich halte es mit einem Satz von Theo Waigel.
— Haben Sie etwas gegen ihn? Er hat schon mehr Kluges als Sie gesagt. — Er hat gesagt — ohne Dichtung — : „Wer eine Schlucht überspringen will, kann das nicht in zwei Schritten tun. " Es wäre ganz gut, wenn sich das einige vor Augen halten würden.
Wir handeln und verhandeln konkret, sachlich und fair, ganz im Sinne unserer gesamtdeutschen Verantwortung. Von uns soll man nicht eines Tages sagen können, wir hätten die geschichtlich einmalige Chance für eine rasche Einigung vertan. Zukunft sichern heißt für mich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Gegenwart meistern.In diesem Sinne danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, die mich im zurückliegenden Jahr in einem schwierigen Geschäft unterstützt haben. Auch Kritik ist mir stets eine wertvolle Hilfe. Sie darf sich aber nicht darauf beschränken, Fehler bei anderen zu suchen, um die eigenen zu vergessen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst allen denen Dank sagen, die an der Erstellung des Agrarberichts beteiligt waren. Er ist uns jedes Jahr eine große Hilfe, und er ist oft auch ein Informationsband, mit dem wir alle gut arbeiten können. Er gibt einen Überblick über das, was bei uns in unserem Lande und in der EG geschieht, und zeigt auf, wo wir im Wettbewerb stehen und wie es um unsere Landwirtschaft bestellt ist.Herr Minister, es ist richtig: Im Berichtszeitraum sind nach mehrjährigen Einkommensverlusten die Einkommen in der Landwirtschaft im Durchschnitt wieder gestiegen. Dies war dringend notwendig. Aber mehr als ein Ausgleich der Einkommensrückgänge in den Vorjahren kann ich nicht feststellen. Es ist also nicht nur die negative Sichtweise, die die Bauern protestieren läßt, sondern es ist vielfach ihre wirkliche Lage. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Politik der Bundesregierung auch dazu geführt hat, daß die Einkommen immer mehr auseinanderdriften und daß rund 25 % der Vollerwerbsbetriebe Eigenkapitalverluste aufweisen. Hält das länger an — das weiß jeder von uns — , kann sich jeder ausmalen, welche Konsequenzen das für den Bestand unserer Betriebe und für unsere ländlichen Räume nach sich zieht.Aber nicht nur das. Nicht einmal für die Hälfte aller Vollerwerbsbetriebe war die Eigenkapitalbildung so ausgeprägt, daß die unumgänglichen Nettoinvestitionen für ein erfolgreiches Wirtschaften in die Zukunft gesichert werden konnten.
Ganz schlecht sieht es bei den extensiv wirtschaftenden Betrieben aus; die diesjährigen Agrarpreisbeschlüsse tragen nicht zur Lösung bestehender Probleme bei. Herr Minister, wenn auch die Preissenkungen bei Getreide erfreulicherweise nicht hart ausfielen — das muß man zugeben — , so wurde doch der seelenlosen Automatik, die Sie und der Herr Bundeskanzler im Februar 1988 beschlossen und damals noch gefeiert haben, kein Ende bereitet. Den in Existenznot geratenen bäuerlichen Familien wird nicht geholfen.
Dabei wäre es doch möglich; Sie müßten nur die von Ihnen selbst mitbeschlossenen Einkommensübertragungen endlich auch bei uns anwenden.
Es sollen und müssen damit die Anpassungsbemühungen der in Not befindlichen landwirtschaftlichen Familien gemildert werden. Wenn Sie das tun — wozu ich Sie ermuntere und von dieser Stelle bereits wiederholt aufgefordert habe — befinden Sie sich in guter Gesellschaft.
Der Bundesrat hat noch am 11. Mai dieses Jahres Sie aufgefordert, nun endlich „eine nationale Einkommenshilfe aus Bundesmitteln für einkommens-
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Oostergeteloschwache Betriebe einzuführen, die vornehmlich den Getreidebaubetrieben die Übergangszeit erleichtern soll". Unsere diesbezüglichen Forderungen kennen Sie alle seit langem. Jetzt müssen Sie sie doch leichter erfüllen können; denn jetzt ist es nicht mehr nur eine Forderung der SPD, sondern auch der CDU/CSU-geführten Länder. Das ist doch Tatsache, Herr Hornung; Sie können sich da informieren.Herr Bundesminister, geben Sie sich doch einen Ruck und verlassen Sie Ihre ideologische Isolierung in diesem Punkt im Interesse der landwirtschaftlichen Betriebe.
Der Agrarbericht 1990 zeigt deutlich, wo die Sympathien der Regierung und der sie tragenden Parteien liegen.
Einkommensstärkere Betriebe, Vollerwerbsbetriebe erhalten wesentlich höhere unternehmensbezogene Finanzhilfen und Einkommensübertragungen als einkommensschwächere Betriebe.
Im Durchschnitt erhalten die Einkommensschwächeren nur halb so viel.
— Dies ist die Wahrheit aus dem Agrarbericht; sie erhalten nur halb soviel. — Wenn Sie dann noch feststellen, es habe keine Umverteilung von unten nach oben gegeben, dann widersprechen Sie den eindeutigen Aussagen im Agrarbericht. So einfach ist das.
Die Hilfen werden weiterhin zu stark produktionsgebunden gewährt.
Vielen in Bedrängnis geratenen bäuerlichen Familien wäre geholfen, wenn diese Hilfen entsprechend unseren Forderungen endlich produktionsneutral gegeben würden. Aber Ihre Bemühungen gehen, wie auch die Diskussion um das Vierte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz gezeigt hat, leider weiter in eine andere Richtung.
Richtig ist, daß Sie Teile des umsatzbezogenen Mehrwertsteuerausgleichs, also die 2 %, als direkte Einkommensübertragungen an die Betriebe verteilen.
Negativ ist, daß Sie mit diesem Gesetz auch quasi-industrielle Agrarbetriebe fördern. Ich weiß, Sie hören das nicht gern. Aber wir bezeichnen es als falsch, wenn sie eine Jahresproduktion von 2,1 Millionen Masthähnchen oder 12 750 Mastschweinen oder360 Milchkühen mit knappen Steuermitteln subventionieren — und dies ohne Einkommensgrenzen! — Das ist seinerzeit wieder zurückgenommen worden. — Falsch ist es, dies dann auch noch „bäuerlich" zu nennen.
Es gibt mehrere CDU-Kreisverbände, die das Strukturgesetz wegen der ungerechten Verteilungswirkung ändern wollen. Ich stehe da gar nicht allein, und Sie wissen das.Richtig ist, Herr Bundesminister, daß der sogenannte Bauchladen bei der Milch nun beseitigt ist. Gut sechs Jahre hat das gedauert. Dabei unterstelle ich dem Bundesminister nicht, daß ihm guter Wille fehlte.
Aber Sie wurden durch die Verquickungen insbesondere mit dem Bayerischen Bauernverband und Ihrer CSU in Ihrer Handlungsfreiheit beschränkt. Dies alles hat zeitige vernünftige Lösungen verhindert.Insgesamt war diese Fehlentwicklung ein teures Vergnügen: 1989 mußten Strafzahlungen an Brüssel in Höhe von 367 Millionen DM gezahlt werden. Die Milchbauern mußten auf zusätzliche jährliche Milcherlöse von 300 bis 385 Millionen DM verzichten; flexiblere Lösungen für die Verrechnung von Unter- und Überlieferungen waren so nicht möglich.
Und nun diese Herauskaufaktion in Höhe von 640 Millionen DM! Auch dieser Vorgang zeugt nicht von überlegtem, gleichgewichtigem politischen Handeln. Der Antragswettlauf erfolgte panikartig.
Dazu haben sicher geführt: der Rückgang der Milchpreise im letzten Jahr, die Preissenkungspolitik der EG, die verschärften Wettbewerbsbedingungen durch den kommenden EG-Binnenmarkt, die Erwartung, daß in den GATT-Verhandlungen Konzessionen gemacht werden, und die Angst vor der großbetrieblichen Struktur in der DDR-Landwirtschaft.
Dies muß uns zu denken geben. Der Wettlauf um die Einhaltung der Antragsfrist ist Ausdruck der Perspektivlosigkeit —
wer gibt denn gerne freiwillig auf? —
in der deutschen Landwirtschaft! Und die Regierung hat kein Konzept, um dem entgegenzutreten.Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16871OostergeteloUm so wichtiger ist jetzt, daß Regelungen für eine Flexibilisierung der Milchquote zügig vorgelegt und eingeführt werden.
Dabei ist für uns wichtig: Die Flächenbindung der Milchquoten muß erhalten bleiben.
Die Entleerung benachteiligter Gebiete und die zusätzliche Konzentration von Quoten in Betrieben mit bereits jetzt hohen Milchquoten müssen verhindert werden,
um die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer bäuerlicher Betriebe zu stärken.Es geht doch nicht an, daß von Staats wegen stark bevorzugte Betriebe
— das hat mit Neid nichts zu tun, das ist wie ein Fallbeil über uns gekommen — die benachteiligten Betriebe nun auch noch gänzlich schlucken. Darum muß es bei der Quotenübertragung beim Abzug für Großbetriebe bleiben.
Dieser sollte mindestens 30 % betragen und zugunsten der Betriebe mit einer Produktion von weniger als 350 000 Litern verwendet werden.
In der Agrardebatte heute müssen wir auch die Entwicklung in der DDR im Auge haben; der Herr Minister hat das auch vorgetragen.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich?
Bitte sehr.
Herr Kollege Oostergetelo, wären Sie bitte so freundlich, dem staunenden Publikum hier einmal die Zahlen zu verdeutlichen und zu sagen, wo Sie die Grenze für Abzüge festsetzen wollen, von der ab Sie dann entsprechend umschichten wollen,
und wer das durchführen soll?
Herr Kollege, als Sie keine Grenze festsetzen wollten, ist im Bundesrat — mit den Stimmen Ihres Bundeslandes und der SPD-Länder — beschlossen worden, die Grenze bei 300 000 Litern zu ziehen und bei Verpachtungen Abzüge vorzunehmen. Dies ist, nachdem der „Bauchladen" weg ist, jetzt von Staats wegen nicht mehr notwendig. Da dies aber bedeutet, daß Superbetriebe jetzt die anderen schlucken können, wollen wir, daß hier eine Staffelung erhalten bleibt. Wenn Sie das Wort „bäuerlich" in den Mund nehmen und das nicht wollen, verraten Sie die bäuerlichen Interessen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich?
Bitte sehr.
Herr Kollege, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Betriebe mit einer Referenzmenge von mehr als 300 000 Litern Milch für Sie Superbetriebe und keine bäuerlichen Betriebe mehr sind?
Herr Kollege, Ihre Fangfrage hilft Ihnen nicht.
Die Rechtslage war: Eine Produktion von mehr als 350 000 Litern Milch wird niemandem verboten; bei Übernahme von Milchquoten werden 80 % abgezogen. Wir wollen — abgemildert — eine Regelung, die verhindert, daß Superbetriebe ein Vorrecht haben. Wir brauchen für die nächsten Jahre eine Entwicklungschance für Betriebe im mittleren Bereich. Sie wissen auch, daß das notwendig ist.
In der Agrardebatte müssen wir auch über die Fragen der DDR reden. Der Minister hat das gemacht; mit vielem, was er gesagt hat, bin ich einverstanden. Wir müssen aus ökonomischem, sozialem und ökologischem Gesamtinteresse erreichen, daß Betriebe über mehrere Dörfer hinweg der Vergangenheit angehören, und das muß mittelfristig geschehen.
Es gibt enorme Anpassungsprozesse. Es gibt die Notwendigkeit der Entflechtung; die Tiere gehören wieder zur Fläche. Die Eigentumsfragen müssen gelöst werden,
es müssen in allen Bereichen begleitende Hilfen kommen, damit das nicht zusammenbricht.
Wir brauchen marktwirtschaftlich orientierte, leistungsfähige, umweltverträgliche, privatwirtschaftliche und genossenschaftlich strukturierte landwirtschaftliche Betriebe. Hier müssen wir gemeinsam helfen.
Ich bin sicher, wir werden in Zukunft anläßlich der Agrardebatte zu diesen Fragen noch genug Zündstoff haben, um zu diskutieren, wo es langgehen soll. Ich
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16872 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Oostergetelosage Ihnen: Wir sind in dieser historischen Stunde zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit.
Wir denken, hier ist es notwendig, sich zusammenzusetzen und nicht übereinander zu reden, denn in dem Punkt hat der Minister recht: Es gibt nicht nur die Nord-Süd-Problematik, es gibt dann auch die WestOst-Problematik, und hier müssen wir helfen.Der Preissprung, der dort auf die Bauern zukommt, ist so gravierend, daß ich, auch wenn ich mittelfristig große Perspektiven sehe, eigentlich große Sorgen habe.
Der Entschließungsantrag der CDU und der FDP hat doch in überwiegenden Teilen nur ein Loblied gesungen, wie gut es den Bauern geht.
Ich habe einmal die Spiegelstriche zusammengezählt, und ich frage mich: Sind die Bauern nun alle Irrläufer, die nicht zufrieden sind, die ihre Existenz verlieren oder die streiken gehen?
Ich sage Ihnen: Die Bauern sagen, was sie denken, und sie empfinden es auch so.In dem von uns eingebrachten Entschließungsantrag haben wir unsere Positionen und unsere Ziele zur Lösung anstehender agrarpolitischer Fragen dargestellt. Ich hoffe, daß wir gemeinsam darüber diskutieren können. Ich bitte, den Antrag an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich auch namens der CDU/CSU-Fraktion bei den Damen und Herren des Ministeriums für die Erstellung des Berichtes, aber natürlich auch bei den Landwirtfrauen und bei den Landwirten, die als Testbetriebe Zeit zur Verfügung stellten, recht herzlich bedanken.
Ansonsten wäre ich gern auf das eingegangen, was der Kollege Oostergetelo hier gesagt hat.
Aber das steht schon so oft im Protokoll des Deutschen Bundestages; es sind jedesmal genau die gleichen Zahlen und die gleichen Sprüche.
Vor einer Viertelstunde war man nicht bereit, hier einer Verbesserung in der Sozialpolitik zuzustimmen,
und dann stellt man sich hierher und versucht, der Landwirtschaft weiszumachen, daß bei euch was zu erwarten wäre.
Herr Abgeordnete Susset, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo zuzulassen?
Ich würde sagen, daß ich eine zulasse, aber ich denke an die Kollegen, die nach mir kommen, denen wir dann schließlich die Zeit weggenommen haben, und es ist ein bißchen unkollegial, daß man, wenn man zwei Stunden Debattenzeit festlegt, zu viele Zwischenfragen zuläßt.
Ich rechne Ihnen das aber nicht an, Herr Abgeordneter Susset.
Bitte schön.
Ich habe Ihnen das sogar zweimal gestattet, Herr Kollege.
Herr Kollege Susset, ich frage Sie, da Sie doch die Zahlen kennen: Ist das, was Sie bei dem Punkt, den wir eben hatten, kritisieren, wirklich, weil es im sozialen Bereich ist, eine Hilfe für die sozial Schwächeren, oder ist es nicht umgekehrt? Ich frage Sie auch: Wollen Sie bei der Flexibilisierung der Milchquote grenzenlose Freiheit, so daß die, die schon gut dastehen, dem mittleren Bereich auch noch das Leben zusätzlich schwermachen?
Was wir soeben beschlossen haben, ist eine Verbesserung der agrarsozialen Sicherung für die gesamte Landwirtschaft.
Auf die Milch werde ich nachher zu sprechen kommen.Das abgelaufene Wirtschaftsjahr 1988/89 kann sich im Vergleich mit früheren Jahren sicher sehen lassen. Verbesserte Erzeugerpreise im Veredelungsbereich und gute Ernteergebnisse haben eine Einkommensverbesserung möglich gemacht.
Aber insgesamt muß man natürlich feststellen, daß die Verbesserung auch ein Verdienst der Landwirte selbst war, die mit unternehmerischem Einsatz, mit Sachverstand und mit Fleiß gewirtschaftet haben.
Man darf natürlich auch nicht verschweigen, daß sich hinter diesen Zahlen unterschiedliche Ergebnisse und Einkommensentwicklungen verbergen. Wir wis-
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Sussetsen: Es gibt noch eine große Zahl von Betrieben mit schlechtem Einkommen.Das für sich betrachtet gute Ergebnis muß jedoch auch im langfristigen Trend gesehen werden. Nach wie vor besteht ein erheblicher Abstand zu den Einkommen im außerlandwirtschaftlichen Bereich.
Aber feststeht: Auf Dauer lassen sich die Einkommen in der Landwirtschaft nur dann verbessern, wenn die Produktion an den Absatzmöglichkeiten ausgerichtet wird. Hier hat die Bundesregierung große und in wichtigen Bereichen erfolgreiche Anstrengungen unternommen. Die seit mehreren Jahren konsequent betriebene Marktentlastungspolitik bei Milch hat gegriffen.
Dagegen haben die im Jahr 1988 EG-weit eingeleiteten Marktentlastungsmaßnahmen im pflanzlichen Bereich nicht genügt. Vor allem bei Getreide hält der Preisdruck deshalb an. Darum muß die EG-Kommission endlich anerkennen, daß die Politik der Mengenbegrenzung die bessere Alternative und der für die Landwirte erträglichere Weg zur Marktentlastung ist.
Dies kann aber nur funktionieren, wenn dieser Weg mit aller Konsequenz und mit allem Nachdruck beschritten wird.Aber auch das Mengenrückführungskonzept ist zum Scheitern verurteilt, wenn Brüssel und eine Reihe von Mitgliedstaaten nur halbherzig oder gar nicht mitmachen.
Eine effektive Produktionsbegrenzung ist nur über einen gleichgewichtigen Beitrag der EG-Staaten, und zwar aller EG-Staaten, zur Marktentlastung möglich.Die Mitgliedstaaten, die eine wirksame Flächenstillegung durchführen, müssen künftig durch eine Befreiung von der Mitverantwortungsabgabe belohnt werden.
Die Mitgliedstaaten, die unbeschränkt weiter produzieren, müssen für die Verwertung der Überschüsse zur Verantwortung gezogen werden.
Auch mit der Absatzförderung muß endlich ernst gemacht werden. Wir erwarten hierzu umgehend zweckmäßige und praktikable Vorschläge zur Förderung nachwachsender Rohstoffe und für einen stärkeren Getreideeinsatz im Futter.
Wir haben zunächst geglaubt, daß im Rahmen der Agrarpreisbeschlüsse für 1990 die EG-KommissionBereitschaft zum Handeln zeigt. Aber wir müssen daran zweifeln, weil die Kommission ihren Worten bis jetzt keine Taten folgen läßt. Für nachwachsende Rohstoffe hat sie, so wurde uns gestern im Ausschuß mitgeteilt, gerade ganze 5 Millionen ECU zur Verfügung gestellt.
Das spricht diesen großzügigen Ankündigungen hohn. Hier, meine ich, muß die Bundesregierung gegenüber der Kommission eine deutliche Sprache sprechen.
In den GATT-Verhandlungen erwarten wir ein kompromißloses Eintreten der EG-Kommission für aus unserer Sicht unverzichtbare Belange. Denn Getreideersatzprodukte bilden nach wie vor die offene Flanke im Außenschutzbereich der EG.
Was bei den Agrarpreisbeschlüssen erreicht wurde, haben wir, glaube ich, unserem Bundeslandwirtschaftsminister zu verdanken. Er hat insbesondere durchgesetzt, daß die Zahlungsziele bei der Intervention bei Getreide von 110 auf 30 Tage und bei Fleisch und Butter auf 45 Tage reduziert wurden.
Wir hoffen, daß sich dies stabilisierend auf die Erzeugerpreise auswirkt.Im Milchbereich, der soeben schon angesprochen wurde, hat sich gezeigt, daß die attraktiven Angebote, die wir als Koalitionsinitiative eingebracht haben, ein voller Erfolg waren.
Die SPD hat wie immer diese Initivative als riskantes Spiel bezeichnet.
Wir haben uns nicht mit Kritik und Zweifeln aufgehalten, wir haben gemeinsam mit der Bundesregierung die Chancen zum Abbau des Bauchladens ergriffen, und wir haben es mit Erfolg getan.
Das Interesse verkaufswilliger Milcherzeuger war weit größer als erwartet. Daher wollen wir den Bundesländern die Möglichkeit einräumen, zu den Bedingungen der Bundesaktion Milchquoten zu übernehmen und an interessierte Milcherzeuger weiterzugeben.
Zu diesem Zweck beraten wir heute auch über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Milchaufgabevergütungsgesetzes. Hier scheinen mir zwei Dinge wichtig: Erstens. Die im Rahmen der Bundesaufkaufaktion nicht zum Zuge gekommenen Antrag-
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Sussetsteiler können nun berücksichtigt werden. Zweitens. Die Länder können nun bei der Weiterveräußerung der Quoten strukturpolitische Akzente setzen.Entscheidend ist nach dem Abbau des Bauchladens, daß jetzt der Weg frei ist für eine flexiblere Gestaltung der Garantiemengenregelung. Dies bedeutet Chancen und unternehmerischen Handlungsspielraum für unsere Milcherzeuger, und es bedeutet auch Chancen besonders für jüngere Landwirte. Wesentlich dabei ist: Die Milchproduktion darf auf keinen Fall aus Regionen abgezogen werden, die darauf angewiesen sind.
Daher sind die Flächenbindung und die regionale Begrenzung unverzichtbar.
Zur abschließenden Beratung steht heute auch das Milch- und Margarinegesetz an. Der Europäische Gerichtshof hat ja vor einem Jahr eine Öffnung des deutschen Milchmarktes für Milchimitate erzwungen. Daher mußten wir gesetzlich handeln. Wir haben hier nun die Möglichkeit eingeräumt, daß auch bei uns Milchersatzprodukte hergestellt und vermarktet werden. Damit wächst allerdings auch die Gefahr, daß Milchimitate unter dem Deckmantel reiner Milchprodukte vertrieben werden. Dies müssen wir verhindern. Für den Verbraucher müssen reine Milchprodukte von Milchimitaten eindeutig unterscheidbar sein. Daher hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der FDP dafür stark gemacht, eine entsprechende Regelung zum Bezeichnungsschutz in das Gesetz aufzunehmen. Diese schützt die Verbraucher vor Täuschung und schützt Milch und Milcherzeugnisse.Meine Damen und Herren, die sehr unterschiedliche Gewinnentwicklung war auch bei den Dauerkulturbetrieben deutlich. Gartenbaubetriebe, Zierpflanzenbaubetriebe, Gemüsebaubetriebe hatten unterschiedliche Einkommensentwicklungen. Auch im Weinbau war die Einkommensentwicklung in den verschiedenen Weinanbaugebieten unterschiedlich. Wir beraten heute ja auch über die Entwürfe eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes sowie eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes. Mit der letztjährigen Novellierung des Weingesetzes haben wir eine Ertragsregulierung für die Weinerzeugung eingeführt und den Ländern die Möglichkeit eröffnet, unterschiedlich nach Sorten und Qualitätsstandards Höchstvermarktungsmengen festzulegen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit den neuen weingesetzlichen Vorschriften muß vor allem die Ertragsregelung ergänzt werden. Die zulässige Verwertung von Übermengen soll klargestellt werden. Darüber hinaus ist es notwendig geworden, das nationale Weinrecht dem nachträglich geänderten EG-Recht anzupassen. Die Verwendung von RTK beispielsweise darf nach unserer Meinung nicht zugelassen werden.
Zur Vermeidung unbilliger Härten im Einzelfall werde wir uns in den zuständigen Ausschüssen auch über das Problem der Ausnahmegenehmigung nach § 54 des Weingesetzes unterhalten müssen.Im Weinwirtschaftsgesetz sind ebenfalls Änderungen unerläßlich. Die Umstellung auf die Mengenabgabe an den Weinfonds muß zeitlich verschoben werden, weil das Kontrollzeichen nicht zum 1. Januar 1991 eingeführt werden kann. Das Recht der Wiederbepflanzung mit Reben muß praxisgerecht ausgestaltet werden, und die Länder sollen mehr Spielraum erhalten.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat enorme Anstrengungen unternommen, den schwierigen Anpassungsprozeß in der Landwirtschaft abzufedern. Das Vierte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz wurde vorhin verabschiedet. Wer hier in der Einbeziehung von mehr Betrieben im mittleren Bereich von einer Entlastung der Großbetriebe spricht wie vorhin geschehen, der verdreht meiner Meinung nach einfach die Tatsachen.
Wir halten aber daran fest: Die Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung muß ihren Gestaltungsspielraum nutzen. Wir haben die Bedingungen für die Teilnahme an der Produktionsaufgaberente und zum Bezug des Ausgleichsgeldes wesentlich großzügiger und attraktiver gestaltet. Das ist praktizierte soziale Abfederung des Strukturwandels, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die benachteiligten Gebiete — der Minister ist schon darauf eingegangen — wurden mit rund 450 Millionen DM Bundesmitteln gefördert. Hinzu kommen noch 277 Millionen DM an Landesmitteln. Die Regelungen für Flächenstillegung und Extensivierung wurden in diesem Jahr noch einmal verbessert.Ich glaube, durch diese Palette an finanziellen Leistungen konnte der von den überschüssigen Agrarmärkten ausgehende Preisdruck abgemildert werden. Die substantielle Aufstockung der Mittel ist praktizierte Unterstützung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes. Wer diese enormen Leistungen nicht anerkennt und immer nur von der Notwendigkeit von Einkommenshilfen faselt, redet, glaube ich, verantwortungslos.
Meine Damen und Herren, Agrarpolitik hat sich natürlich auch mit den Problemen der umweltschonenden Wirtschaftsweise auseinanderzusetzen. Ich stelle fest: Unsere Landwirte sind bereit, die natürlichen Lebensgrundlagen — Boden, Wasser und Luft — intakt zu halten. Sie sind auch bereit, sich den Herausforderungen des Umwelt- und Naturschutzes zu stellen. Wir wissen, nur eine leistungsfähige Landwirtschaft kann ihren Beitrag zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen leisten.
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SussetAuch deshalb muß die Gesellschaft daran interessiert sein, der Landwirtschaft Hilfestellung zu geben und ihre landschaftspflegerischen Leistungen mehr als bisher zu honorieren. Deshalb muß es unser Ziel sein, einen Ausgleich zwischen dem ökonomisch Machbaren und dem ökologisch Erforderlichen zu finden. Umweltpolitik muß mit unseren Landwirten und in Abstimmung mit den EG-Partnerstaaten weiterentwickelt werden. Jede Einseitigkeit ist schädlich.Nun, meine Damen und Herren, das Thema DDRLandwirtschaft wurde schon angesprochen. Ich glaube, man ist dort dabei, sich auf den EG-Markt einzurichten und hat immense Anpassungsprobleme zu überwinden. Für eine Übergangszeit kommt die DDR-Land- und Ernährungswirtschaft sicherlich nicht ohne mengenmäßige Steuerung des innerdeutschen Handels aus. Für eine Übergangszeit ist sie auch auf unsere Unterstützung bei ihrer tiefgreifenden Umstellung angewiesen. Angelpunkt ist jedoch hier — das bleibt auch für die Zukunft so — die freie Verfügbarkeit über Grund und Boden und die Klärung der Eigentumsrechte.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht ständig im Gespräch mit unseren für Agrarpolitik zuständigen Kollegen aus der DDR-Volkskammer. Wir sind bereit, unseren Beitrag zur Überwindung der schwierigen Übergangsphase der DDR-Landwirtschaft zu leisten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird alles tun, damit die baldige Herstellung der deutschen Einheit nicht zu sehr auf dem Rücken der in der Land- und Ernährungswirtschaft Tätigen ausgetragen wird.Ich bedanke mich.
Nun hat der Abgeordnete Kreuzeder das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich es richtig sehe, sind fünfmal so viele GRÜNE wie CSU-Abgeordnete im Saal.
Ich finde es eigentlich schlecht, wenn das in einem Land passiert, in dem 230 000 Bauernfamilien darauf warten, daß die Regierung etwas für sie macht.
Alle Jahre wieder der gleiche Vorgang: Der Agrarbericht der Bundesregierung wird vorgestellt, als wäre — von ein paar Ausnahmen abgesehen — alles bestens. Minister Kiechle gibt Einkommenssteigerungen bekannt, die selbst bei der Unterabteilung der CDU/CSU, beim Bauernverband, Empörung auslösen, zumindest als erste Reaktion, sozusagen als Alibi. Am Ende jedoch herrscht eitel Sonnenschein über die großen Verdienste unseres Landwirtschaftsministers und seinen heldenhaften Kampf gegen die böse EG-Kommission.
Vergessen wird, daß es auch deutsche Kommissare gibt, z. B. einen Herrn Bangemann. Vergessen wird, daß im Ministerrat in der Regel deutsche Belange durchgesetzt werden, manchmal sogar mit Hilfe des
Kanzlers; ich erinnere an die Fettsteuer oder an die Stabilisatoren. Vergessen wird auch, daß im letzten Jahr wieder 16 200 Betriebe aufgehört haben. Seit 1979 haben insgesamt 160 000 Betriebe aufgegeben; das ist ja eine ganz erkleckliche Zahl.
Niemand redet mehr davon, daß die gravierendsten Fehlentscheidungen der Agrarpolitik in Europa vor allem auf deutsche Forderungen zurückzuführen sind.
Die Milchkontingentierung, die 50 000 Milchviehbetriebe zum Aufhören zwang,
ist in erster Linie ein Machwerk deutscher Politiker. Aus Ihrer Sicht erstklassig, führt sie dazu, daß die damaligen Härtefälle ihre Quoten beim Milchabgabevergütungsgesetz teuer verkaufen konnten und jetzt durch Quotenleasing ohne Fläche wieder zukaufen können. Mit Besitzstandswahrung, Herr Eigen, hat das nichts zu tun. Das, was Sie mit den Milchbauern gemacht haben, sind Mafiamethoden der übelsten Art.
Auch für die Stabilisatorenregelung, die Ihnen zur Zeit so große Sorgen bereitet, haben Sie sich feiern lassen.
Die nationale Agrarpolitik unterscheidet sich nicht im geringsten von der EG-Politik, im Gegenteil: In unserem Land wird das Zerstören bäuerlicher Existenzen geradezu gezielt betrieben.
Ein Strukturgesetz, bei dem sich industrielle Massenproduzenten die Hände reiben, weil sie nun ebenfalls Zuschüsse für bäuerliche Betriebe kassieren können, ist bezeichnend für Ihre Politik.
— 8 000 DM sind 8 000 DM. Dabei handelt es sich nicht um Lire, sondern um D-Mark.
— Herr Präsident, schlagen Sie einmal den Aufstand nie der.
Unter „Aufstand" verstehen wir schon etwas anderes. Aber der Bitte des Redners, ihn in Ruhe ausreden zu lassen, komme ich schon gerne nach.
Eine Vorruhestandsregelung, bei der einer Bauernfamilie das vorzeitige Altersgeld nur gewährt wird, wenn sie ihre Existenz aufgibt, führt diese Logik fort.Durch die ruinöse Preispolitik, die Sie auf EGEbene nach wie vor mittragen, bleibt der 18-ha-
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KreuzederDurchschnittsbetrieb der Bundesrepublik einfach nicht mehr übrig; er muß aufhören. Doch das Schiff läuft aus dem Ruder. Heute müssen sogar 80-haMarktfruchtbetriebe, die von Ihnen jahrelang als existenzfähig propagiert wurden, um ihr Überleben bangen. In 20 Jahren werden die 180-ha-Betriebe keine Chance mehr haben.Die Dynamik der jetzt betriebenen Politik wird keine Bauern übrig lassen, höchstens Leibeigene von BayWa, BP, Nestle, Raiffeisen oder Aldi. Deswegen hören Sie auf, diesen Kurs weiter zu steuern; kehren Sie um, bevor es zu spät ist!Gerade die Entwicklung in der DDR ist eine große Chance, in Deutschland und in Europa eine andere Agrarpolitik ohne eine zusätzliche neue grüne Mauer einzuleiten.
Denn es wird nicht möglich sein, den 4 540-ha-Durchschnittsbetrieb der DDR und den 18,2-ha-Durchschnittsbetrieb bei uns unter einen Hut zu bringen, weder national noch auf EG-Ebene. Hüben wie drüben hat die chemisierte, industrialisierte Landwirtschaft Landschaft und Natur geschädigt oder gar zerstört.
Boden, Wasser, Luft und Nahrung, unsere Lebensgrundlagen, werden in zunehmendem Maße verseucht und belastet, und das von den Menschen, die jahrhundertelang das Gegenteil praktiziert und gewährleistet haben. Denn Bäuerinnen und Bauern waren die Garanten für saubere Umwelt, intakte Naturlandschaft und gesunde Lebensmittel, bevor sie von der Industrie entdeckt wurden.Eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft ist mit stalinistischen Agrarstrukturen nicht vereinbar. Die Wiederherstellung des bäuerlichen Familienbetriebs in der DDR, wie er nach der Volksabstimmung und Bodenreform 1949 installiert war, muß ohne Wenn und Aber angestrebt und gewährleistet werden.
Das ist weder mit Flächenstillegungen möglich noch mit dem Verkauf erworbener Grundstücke gleich wieder zurück an die LPGs, wie es von westlichen Politikern und anderen sogenannten Spezialisten bereits gefordert oder empfohlen wird.Ebensowenig wird die Modernisierung zentraler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen oder gar die Neubegründung solcher Strukturen, mit Westkrediten forciert und unterstützt, eine bäuerliche Landwirtschaft entstehen lassen. Großstrukturen ziehen Großstrukturen nach sich. Nicht Großbäckereien und Großschlachthöfe sind die Garantie für eine demokratische Ordnung und für Wohlstand, sondern dezentrale, kleinstrukturierte Handwerksbetriebe. Bäkker, Metzger, Müller, kleine Genossenschaftsmolkereien usw.
müssen geschützt und gefördert werden, in der Gesetzgebung ebenso wie finanziell. Denn sie sind eine der Voraussetzungen, um eine bäuerliche Landwirtschaft am Leben zu erhalten.Die für die DDR wichtigste Voraussetzung ist jedoch, daß wir gemeinsam bereit sind, gezielte finanzielle Hilfe für den Aufbau alter Betriebsgebäude und zur Anschaffung von Werkzeug und Maschinen zu gewähren. Tausende schöne alte Bauerndörfer verrotten. Sie sollten aus vielerlei Gründen wieder instand gesetzt werden. Sind wir dazu nicht bereit, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Menschen abwandern und die Dörfer veröden. Denn die Menschen haben keine Perspektive. Der eigene Boden allein hilft ihnen gar nichts.Das Vorurteil, die Großstrukturen seien nur schwer oder nicht veränderbar, ist also falsch. Es wird zum Teil bei uns bewußt unter die Bauern gebracht, um diese gegeneinander ausspielen zu können.Es wird darauf ankommen, wo man hilft. Fördert man zuerst die Verpackungsindustrie und agrarindustrielle Großbetriebe oder selbstbestimmte vielfältige Arbeitsplätze in einer bäuerlichen Landwirtschaft?
Ebenso müssen wir bereit sein zu lernen, bereit sein, positive Dinge zu übernehmen. Betriebsgemeinschaften, die eigenverantwortlich und selbstbestimmt in der Lage sind, den Betrieb mit 43,5 Arbeitsstunden pro Woche und Arbeitskraft zu führen, müssen auch bei uns auf freiwilliger Basis angestrebt und gefördert werden. Für den Weizen pro Doppelzentner 67 DM, für den Liter Milch 1,70 DM, die soziale Gleichstellung von Mann und Frau in der Landwirtschaft, Urlaub — das sind genau die Bedingungen, die das Höfesterben bei uns beenden würden.
Niemand soll behaupten, daß eines der reichsten Länder der Welt nicht in der Lage wäre, so etwas zu leisten.Voraussetzung dafür ist jedoch eine andere, eine grundlegend neue Agrarpolitik für beide Teile Deutschlands und für Europa. In Politik, Verwaltung, Ausbildung und Finanzierung ist dem bäuerlichen Gemischtbetrieb absoluter Vorrang einzuräumen. Nur einer ökologischen flächengebundenen vielfältigen Landwirtschaft wird die Gesellschaft der Zukunft den Stellenwert beimessen, den die Landwirtschaft braucht. Den hat sie dringend nötig. Die Chemisierung und Industrialisierung, die Monokulturen und die Agrarsteppen haben dazu geführt, daß das Wort „Bauer" ein Feindbild geworden ist. Das muß sich ändern, und zwar schnellstens.Wer jedoch Flächen stillegt und auf den verbliebenen noch mehr giftet, hat wenig Akzeptanz zu erwar-
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Kreuzederten. Wer das Vorhaben unterstützt, Weizen zur Energiegewinnung zu verbrennen, während zugleich täglich 40 000 Kinder verhungern, darf sich in meinen Augen keineswegs christlich nennen. Wer sieht, daß die Weltbevölkerung explodiert, und gleichzeitig zuläßt, daß jährlich Tausende Bauernfamilien aufgeben müssen, der soll mir sagen, wohin das führt. Das würde mich mal interessieren.Die Industriegesellschaften rauben unsere Erde aus. Sie zerstören unsere Welt, vergiften unsere Meere und Flüsse. Die Wälder sterben. Das Klima verändert sich bereits. Ich glaube, es ist Zeit, sich zu besinnen, zu besinnen auf eine ökologische bäuerliche Landwirtschaft, die mit Hilfe von Sonne, Wasser, Luft und Boden in der Lage ist, Lebensgrundlagen zu erzeugen, ohne sie zu verbrauchen. Das wäre eine Möglichkeit, noch zu überleben. Nicht immer weniger Menschen, sondern immer mehr Menschen braucht die Landwirtschaft. Das wird uns die Zukunft zeigen.
Nun hat der Abgeordnete Paintner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gern schließe ich mich für meine Fraktion dem Dank an diejenigen an, die diesen Agrarbericht erstellt haben, ganz gleich ob es die Beamten im Ministerium oder ob es unsere Testbetriebe draußen sind.Diese Periode klingt aus. Es ist Zeit, eine agrarpolitische Bilanz zu ziehen. Die Regierungskoalition hat das Mögliche geleistet, und ich meine, sie hat sehr viel Gutes geleistet. Es wäre sicherlich eine Stunde nötig, um dies alles aufzuzählen. So möchte ich alle diejenigen, die es nicht wissen sollten auf die Leistungsbilanz seit 1983 in den „Agrarpolitischen Mitteilungen" des BML hinweisen.Wenn ich daran denke, was hier in jüngster Zeit geschehen ist, kann sich die Bundesregierung sehen lassen. Ich beziehe mich dabei auf die Maßnahmen zur Entschädigung von Forstschäden bei der Windwurfkatastrophe. Ich denke besonders daran, wie wir mit dem „Bauchladen" fertig geworden sind. Positiv hervorheben möchte ich noch die Einführung der Umstellungshilfe. Damit ist jetzt eine dem außerlandwirtschaftlichen Bereich vergleichbare Regelung gefunden worden.Trotz aller Erfolge sage ich: Auch hier gilt die Erkenntnis, daß nichts so gut ist, als daß es nicht noch besser gemacht werden könnte. Ich meine hier ganz besonders den Agrarbericht selbst und die öffentlichkeitswirksame Verbreitung seiner Ergebnisse. Als Anfang Februar die Zahlen zur Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft veröffentlicht wurden, gab es in der Presse einiges Aufsehen. Die hohe durchschnittliche Gewinnsteigerung im Vergleich zum Vorjahr wurde natürlich in den Mittelpunkt gerückt. Diese Zahlen verfestigten sich im Gedächtnis der Bevölkerung, die dann, als es zu den ersten Demonstrationen im Zusammenhang mit der diesjährigen Brüsseler Preisrunde kam, erstaunt fragte: Warum demonstrieren denn die Bauern eigentlich schon wieder?
Uns Fachleuten ist der Grund klar. So spüren beispielsweise die Marktfruchtbauern, daß ihre Existenzen in der Tat gefährdet sind. Sie können den Preisdruck nicht mehr aushalten. Ihre Substanz ist gefährdet. Sie können durch weitere Rationalisierung die Kosten nicht mehr senken. Diese Zusammenhänge können aber aus dem deutlichen Plus, das der Agrarbericht für die Gewinnentwicklung der Marktfruchtbetriebe ergibt, nicht herausgelesen werden. Dabei ist es doch seit geraumer Zeit bekannt, daß der Getreidemarkt einer der Hauptproblembereiche in der Agrarpolitik ist.Unser Minister Kiechle hat sich vorbildlich bemüht, in der letzten Preisrunde zu einem Ausgleich zu kommen. Dafür möchte ich ihm für meine Fraktion hier nochmals ausdrücklich Dank sagen.
Dennoch kann es in Brüssel nicht so weitergehen. Dort muß endlich ein vernünftiges Gesamtkonzept erarbeitet werden. Sonst rutschen die Getreidepreise in die Nähe der Weltmarktpreise, und die günstigen Gewinnaussichten für das laufende Wirtschaftsjahr erhalten einen neuen gehörigen Dampfer.Mit den Zahlen des Agrarberichts wurde es der Presse also relativ leicht gemacht — wie es mein Freund Staatssekretär Gallus immer ausdrückt — , ihr grausames Spiel mit den Prozentzahlen zu treiben, ohne ebenso deutlich auf die absoluten Größenordnungen hinzuweisen.Ein anderes Beispiel sind die Schlachtviehpreise. Seitdem die EG-Kommission die Interventionsmenge im vergangenen Jahr auf rund 220 000 t beschränkt hat, haben die Preise, wie Sie alle wissen, stark nachgegeben. Mit dieser Entwicklung will ich mich als Agrarpolitiker nicht zufriedengeben; ich kann mich damit nicht abfinden. In diesem Bereich muß etwas getan werden. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Die Bundesregierung kann dafür sorgen, daß die Interventionsmenge deutlich angehoben wird. Eine solche Entscheidung herbeizuführen ist zeitraubend und mit vielen Hindernissen versehen. Deshalb ist jetzt die private Lagerhaltung mit Erhöhung der Exporterstattung um so dringlicher. Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, sich in Brüssel massiv dafür einzusetzen.So weit einige Beispiele, was den berechtigten Unmut der Bauern betrifft, die sich im Agrarbericht nicht wiederfinden.Ich weiß, daß wir uns mit dem Landwirtschaftsgesetz verpflichtet haben, jedes Jahr über die Lage in der Landwirtschaft zu berichten. Ich weiß, daß wir einseitige Schlußfolgerungen in der Presse kaum verhindern können. In Versammlungen wird mir immer und überall vorgeworfen, daß die Situation der Bauern
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16878 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Paintnerdoch so ist, daß dieser Agrarbericht nicht stimmen kann.
Ich muß zugeben: In dieser Behauptung steckt viel Wahrheit.
Ich habe Beispiele dafür genannt; denn hinter den statistischen Durchschnittszahlen verbergen sich sehr unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse auf unseren Bauernhöfen.Schauen wir uns doch einmal die Gewinnentwicklung der letzten zehn Jahre an! Darüber haben wir von den Journalisten leider nichts gehört. Das war gerade ein Plus von 2,4 %. Was haben wir gehört? — Zahlen mit über 30 % im Jahr. Diese Langfristentwicklung muß jedoch der jeweiligen Jahreszahl sichtbar und deutlich gegenübergestellt werden, wenn man die Öffentlichkeit angemessen aufklären will.Von den rund 318 000 Vollerwerbsbetrieben erwirtschaften 80 000, das sogenannte unterste Viertel, einen Unternehmensgewinn von 9 900 Mark im Jahr. Je Familienarbeitskraft sind das 7 000 DM im Jahr.
Bei diesen Betrieben gibt es keine Eigenkapitalbildung,
und der Arbeitsertrag ist negativ.
Diese Betriebe zehren von ihrer Substanz. Die Zahlen verdeutlichen, daß trotz der erfreulichen Stabilisierung der Einkommen im abgelaufenen Wirtschaftsjahr die wirtschaftlichen Probleme der deutschen Bauern noch lange nicht gelöst sind.
Auch der Abstand zu den Einkommen außerhalb der Landwirtschaft ist nach wie vor sehr groß, auch wenn die Bundesregierung mit der Gegenüberstellung zum gewerblichen Vergleichslohn eine Disparität von nur 18 To ausweist.Der Vergleichsmaßstab „verfügbares Einkommen" berücksichtigt zudem nicht, daß einem Landwirt das verfügbare Einkommen nicht in vollem Umfang für die Lebenshaltung zur Verfügung steht. Ein ganz erheblicher Teil wird für existenzsichernde Investitionen und für die Finanzierung von Preissteigerungen bei der Ersatzbeschaffung benötigt.
Will man den Begriff „verfügbares Einkommen" als geeigneten Maßstab zur Beurteilung der sozialen Lage von Vollerwerbsbetrieben verwenden, muß man ihn methodisch noch weiter vervollkommnen. Das hat mit dem Minister Kiechle insoweit nichts zu tun.
— Hören Sie gut zu!Auch die Darstellung der Einkommenssituation im EG-Vergleich kommt in den offiziellen Verlautbarungen, die den Medienvertretern als Arbeitsgrundlage dienen, zu kurz. Der Materialband des Agrarberichts enthält zwar bei den Betriebsergebnissen Tabellen mit den entsprechenden Kennzahlen. In den „Agrarpolitischen Mitteilungen" wird dazu aber nur wenig Konkretes ausgesagt und überhaupt nichts zu den vergleichbaren Zahlen in den anderen Mitgliedstaaten. Täte man dies, könnte man der Öffentlichkeit ein objektiveres Bild vermitteln,
Ein neuer Situationsbericht, der die Buchführungsergebnisse von Haupterwerbsbetrieben in der Gemeinschaft vergleicht, zeigt deutlich, daß die Einkommen der deutschen Landwirte weiterhin in der unteren Hälfte der Einkommensskala liegen.
Vor uns liegen die Einkommen der Niederländer, der Belgier, der Luxemburger, der Dänen, der Briten und Franzosen.
Unsere Landwirte haben zusammen mit den Briten und Franzosen in dem Zeitraum von 1974 bis 1989 unter Berücksichtigung der Inflationsrate die vergleichsweise ungünstigste Einkommensentwicklung in der EG zu verzeichnen.
So weit meine Beispiele, mit denen ich zeige, daß Durchschnittszahlen allein nicht genügen.
Daher möchte ich die Bundesregierung auffordern, künftig die für die Öffentlichkeit gedachten Mitteilungen so abzufassen, daß einseitige, auf Sensationszahlen fixierte Berichte, also das grausame Spiel mit den Prozentzahlen, erschwert werden.
Die Probleme müssen an Hand von Zahlen dargelegt werden. Die Öffentlichkeit darf nicht den Eindruck gewinnen, daß die Bauern immer jammern, egal ob es ihnen gut oder weniger gutgeht. Im Gegenteil, eine gerechtfertigte Interessenvertretung muß die Probleme glaubhaft machen und muß das deshalb glaubhaft aufbereiten. Die Bundesregierung muß noch bessere Grundlagen zur Verfügung stellen, wie es das Landwirtschaftsgesetz fordert.
Es gibt Spielraum für Verbesserungen. Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Müller .
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß die Regierung und die Regierungskoalition eine solche Debatte benutzen, um eigene Taten und Leistungen herauszustellen, ist verständlich.
Neu ist nur, daß die FDP davon jetzt nichts mehr wissen will, wenn ich die Rede von Herrn Paintner richtig einschätze. Es werden doch nicht irgendwo Wahlen im Busche sein?Für mich heißt das aber nicht, daß ich vorbehaltlos mit in das Lob auf die Agrarpolitik einstimme, wie es heute hier, aber auch anderswo bei passenden und unpassenden Gelegenheiten von den verschiedenen Seiten verteilt wird. Denn die Probleme der deutschen Landwirte bestehen nach wie vor und werden immer drängender. Der vorliegende Agrarbericht zeigt erneut, daß diese jährliche Statistik, so nützlich sie ist, zur Lösung dieser Probleme wenig beiträgt. Die Darstellung der Ist-Situation und der Streit darüber, welches methodische Verfahren die Lage noch genauer darstellen könnte, sind keine agrarpolitische Konzeption, die unseren Bauern aus der Dauermisere helfen könnte.
Wir brauchen Perspektiven, die es für tüchtige junge Menschen attraktiv machen, in der Landwirtschaft zu bleiben. Die Agrarberichte mögen aussagen, was sie wollen — wir alle, glaube ich, sind uns darüber einig, daß diese Perspektiven für die deutsche Landwirtschaft auf einer familienbetrieblichen Struktur aufbauen müssen.Wer in den letzten Monaten die Gelegenheit wahrgenommen hat, sich in der DDR anzuschauen, wie Agrarfabriken aussehen und funktionieren, wird diese Art der Landwirtschaft nicht nur wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit, sondern auch wegen der von uns nicht gewollten negativen Auswirkungen auf die dörfliche Struktur, auf die Umwelt und das Landschaftsbild ablehnen. Leider muß aber immer wieder gesagt werden: Dieses Bekenntnis zu unserer Landwirtschaft ist keineswegs ein Versprechen für die Erhaltung aller gegenwärtig in unserem Land existierenden landwirtschaftlichen Betriebe. Wir mögen das bedauern; das ist aber nun mal so. Die Landwirtschaft in der Bundesrepublik wird es in wenigen Jahren nicht nur mit den bisherigen Konkurrenten in der Gemeinschaft zu tun haben, sondern auch mit der Landwirtschaft in der DDR in Wettbewerb treten. Dort werden sich Strukturen entwickeln, die nicht mehr den bisherigen entsprechen, die aber — davon kann man sicher ausgehen — in punkto Wettbewerbsfähigkeit so sein werden, daß die Betriebe auf Grund ihrer äußeren Bedingungen konkurrenzfähiger sind als ein Teil der Betriebe bei uns in der Bundesrepublik. Auch davor dürfen wir die Augen nicht verschließen.Bei 39 % der Vollerwerbsbetriebe — das steht auf Seite 31 des Agrarberichts — ist die Eigenkapitalbildung trotz der verbesserten Betriebsergebnisse negativ. Das hat Ursachen, die nicht nur in den politischen Rahmenbedingungen liegen.Das Problem liegt darin, daß ein Teil dieser genannten Betriebe dabei sind, ihr Eigentum Stück für Stück zu verlieren; denn nichts anderes bedeutet der Hinweis in Berichten und Veröffentlichungen oder in Aussagen von Politikern und Wissenschaftlern, daß viele Betriebe schon seit Jahren von der Substanz leben.
Hinzu kommt, meine Damen und Herren, daß tüchtige junge Leute durch eine Vielzahl von Vorschriften und Bedingungen wenn schon nicht gehindert, dann doch gebremst werden, ihre Existenzgrundlagen so zu gestalten, daß sie auch morgen noch wettbewerbsfähig sind oder sein könnten.
Natürlich kann niemand so einfach voraussagen, welche Betriebe Zukunft haben und welche nicht. Das ist keine Sache — das wissen wir alle — , die man allein auf Grund der Betriebsgröße oder ähnlicher Kriterien bestimmen kann.
Niemand kann auch exakt vorhersagen, was ein künftiger Betriebsleiter leisten wird. Deswegen sind viele Fragen junger Landwirte nach ihren Zukunftsaussichten gar nicht so einfach zu beantworten.Was man aber deutlich machen muß, ist, daß in absehbarer Zeit mit einer wesentlichen Erhöhung des Preisniveaus nicht zu rechnen ist; denn die berechtigte und unumgängliche Forderung nach stärkeren marktwirtschaftlichen Elementen in der EG-Agrarpolitik, wie sie vorhin auch der Kollege Susset genannt hat, hat zwangsläufig zur Folge, daß erst Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung gebracht werden müssen, ehe sich wieder Preischancen ergeben.
Stagnierende oder sogar sinkende Preise führen in vielen Betrieben zu wirtschaftlicher Not. Die Bundesregierung müßte helfend eingreifen.
Aber vieles, was die Lage der deutschen Landwirtschaft hätte erleichtern können, ist von der Bundesregierung schon verspielt worden. Ich denke da vor allem an den Währungsausgleich, der ein Schutz für die deutschen Bauern angesichts dessen war, daß die Wirtschafts- und Währungsunion noch immer fehlt. Ähnliches ließe sich zur Flächenstillegung und zur Milchquote sagen.Ich wundere mich auch, wie von manchen Politikern oder Verbandsvertretern die Nebenerwerbslandwirtschaft als Ausweg aus der Einkommensmisere angepriesen wird.
Wir brauchen den Nebenerwerb für den ländlichen Raum. Wir wollen ihn neben Vollerwerb und Zuerwerb, keine Frage. Aber ich frage mich, wie man dies so pauschal propagieren kann, wenn im Agrarbericht
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16880 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Müller
nachzulesen ist, daß mehr als die Hälfte der Nebenerwerbsbetriebe im Wirtschaftsjahr 1988/89 einen Gewinn in der Größenordnung zwischen 1 000 und 1 200 DM erwirtschafteten — und das mit einem Arbeitseinsatz, meine Damen und Herren, oft der gesamten Familie,
insbesondere der Frauen, die die Hauptlast tragen,
der dem eines gewerblichen Arbeitnehmers im ausgehenden 19. Jahrhundert entspricht und heute unzumutbar sein sollte.
Dagegen hatten 20 % der größeren Nebenerwerbsbetriebe Gewinne aus der Landwirtschaft von über 20 000 DM. Das zeigt ebenso deutlich den Trend wie die Zahlen aus dem Bereich der Vollerwerbsbetriebe: Nur wer ausreichende Kapazitäten und niedrige Kosten hat, wird in Zukunft lebens- und wettbewerbsfähig sein. Andere Betriebe werden auf Dauer — ich betone: auf Dauer — nicht überleben, selbst dann nicht, wenn direkte Einkommensübertragungen das Maß annehmen, das sie angesichts der Situation überhaupt haben können. Dabei gehe ich schon davon aus, daß benachteiligte Gebiete oder bestimmte Leistungen im Umweltschutzbereich zusätzlich gefördert werden, weil wir nicht wollen, daß weite Landstriche veröden.
Aber wir müssen den Landwirten klar und deutlich sagen, daß sie ihre Existenz grundsätzlich und vorrangig über die freien Märkte absichern müssen,
jede sich bietende Chance von Nischenprodukten bis zu den nachwachsenden Rohstoffen nutzen müssen.Ich denke dabei auch an die alternativ wirtschaftenden Betriebe. In der „Agrarwirtschaft" hat gerade erst ein Artikel von Professor Wilcken gestanden, der sagt, daß es bei einer konsequenten Politik der Bundesregierung, die diese in eigener Machtvollkommenheit betreiben könnte, möglich sei, die hier vorhandenen Chancen der deutschen Landwirtschaft zu verbessern und zu sichern.
Diese Möglichkeit muß genutzt werden, unabhängig davon, was einem aus weltanschaulichen, politischen, ernährungsphysiologischen oder sonstigen Gründen an Vorstellungen in diesem Bereich paßt oder nicht paßt.
Die Einbeziehung in das Marktstrukturgesetz ist ein erster richtiger Schritt.Der Agrarbericht zeigt auch auf, daß die Produktionskosten bei vielen Betrieben immer noch zu hoch sind. Es ist für mich völlig unverständlich, daß die Bundesregierung nicht konsequenter eine Politik betreibt, die die überbetriebliche Zusammenarbeit der Bauern fördert.
Man schämt sich schon, darauf hinzuweisen, weil alles, was man dazu wissen muß, seit Jahrzehnten bekannt ist. Mir ist auch klar, daß die Bauern auf Grund ihrer Mentalität und ihrer Einstellung nicht gerade dazu neigen, solche Möglichkeiten begeistert wahrzunehmen. Die Politik kann aber sehr wohl durch Anreize und Auflagen erreichen, daß die Chancen, die sich hier bieten, stärker genutzt werden.Die aktuellen Sorgen gerade der größeren Ackerbaubetriebe sind bekannt. Ich kann den Zorn der Betroffenen über die Entwicklung verstehen. Hier ist Handlungsbedarf, gerade vor der neuen Ernte.
Es darf nicht noch mehr Vermögen bäuerlicher Familienbetriebe verlorengehen. Vorschläge gibt es in Hülle und Fülle, gute wie schlechte, durchsetzbare und solche, an deren Durchsetzung in der Gemein schaft überhaupt nicht zu denken ist. Patentrezepte und Haurucklösungen helfen der deutschen Landwirtschaft nicht, dienen höchstens der eigenen Profilierung und bringen vielleicht Beifall von Unkundigen in Versammlungen. Wer der Landwirtschaft wirklich helfen will, baucht einen langen Atem, und die Landwirtschaft bräuchte natürlich eine bessere Regierung. Sie hätte es verdient.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Sauter .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Müller, wenn Sie den letzten Satz nicht gesagt hätten, dann hätte ich mit Ihnen in vielem übereinstimmen können.
Ihre Rede hat sich von der des ersten Debattenredners der SPD-Fraktion wohltuend abgehoben.
Sie haben allerdings ein bißchen zu schwarzgemalt, was die Bewertung des Agrarberichts betrifft. Ich habe Ihnen heute nachmittag noch einmal gesagt: Lesen Sie doch die Reden vom letzten Jahr nach. Damals hatten Sie davon gesprochen, es werden in diesem Jahr allenfalls wenige Prozente an Einkommenszuwachs vorhanden sein. Tatsache ist, daß wir einen erheblichen Sprung nach vorne gemacht haben
und sich die Einkommenssituation im Laufe des Wirtschaftsjahrs verbessern wird.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16881
Sauter
Wir haben die Überschriften in den Zeitungen gelesen, aber auf der anderen Seite auch registrieren müssen,
daß trotzdem bei den Landwirten kein Jubel über diese Ergebnisse ausgebrochen ist. Aber als diese Daten auf dem Tisch lagen, waren die Schlachtvieh-preise bereits einem Wechselbad unterworfen, tendierten die Milchpreise, die auf einem beachtlichen Niveau lagen, nach unten und hatte die EG-Kommission bereits weitere Ankündigungen zur Getreidepreissenkung gemacht. Diese Kommission will partout nicht einsehen, daß man über Preissenkungen die Überschüsse nicht beseitigen kann, es sei denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man die Preise auf Weltmarktniveau herunterschleust. Dann muß man sich aber über die Konsequenzen klar sein. Das Ergebnis wird sein, daß sich die Landwirtschaft auf günstige Standorte zurückzieht und daß wir eine agrarindustrielle Produktion haben. Diese Kommission ist wirklich fixiert auf Preissenkungen. Sie hat es versäumt, die Stabilisatorenbeschlüsse zu vollziehen. Nur den einen Teil, nämlich die Preissenkung, hat sie konsequent durchgehalten. Alle anderen Aufgaben hat sie nicht erfüllt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war hier schon die Rede von den Transfereinkommen. Sie haben einen beachtlichen Umfang erreicht. Ich glaube, die Landwirtschaft erkennt dankbar an, daß die Bundesregierung bereit ist, Landwirten in schwierigen Situationen zu helfen. Ich denke, das, was in den Ausgleichsgebieten geschehen ist, kann sich durchaus sehen lassen. Wenn Sie sich die Resultate dort ansehen, dann stellen Sie fest, daß tatsächlich eine Verbesserung eingetreten ist. Aber ich füge hinzu: Staatliche Transferleistungen dürfen kein Ersatz für Markt- und vor allen Dingen für Preispolitik sein. Die EG meint, wir brauchten nur gesunde Strukturen, und dann seien die Preise nebensächlich.Ich will, weil das Thema Strukturpolitik in der Debatte doch eine größere Rolle gespielt hat, kurz darauf eingehen. Wir wissen, daß die strukturgesunden Betriebe bessere Einkommensverhältnisse haben. Aber bessere Strukturen allein machen das Resultat nicht aus, es muß das Können dazukommen. Ich habe vor der Zukunft der deutschen Landwirtschaft keine Bange, wenn wir gleiche Wettbewerbschancen in der Europäischen Gemeinschaft bekommen.
Ich will auch einmal darauf hinweisen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland 648 000 Betriebe und davon zwei Drittel, nämlich 436 000, unter 20 ha haben.
Die Bundesregierung hat keine Politik für die Großengemacht. Der Kollege Oostergetelo ist seinem Ruf gerecht geworden. Er ist ein Wanderprediger in Sachen Agrarneid.
Ich will hinzufügen, daß die Diskussion über die Strukturentwicklung noch voll im Gang ist, will aber auch in Erinnerung rufen — Kollege Oostergetelo, vielleicht nehmen Sie das gleich noch nur Kenntnis —, daß wir von 1970 bis 1976 einen Rückgang der Zahl der Betriebe jährlich um 40 000, von 1976 bis 1982 jährlich um 30 000, von 1982 bis 1988 jährlich um 15 000 und 1989 um 14 000 gehabt haben.Ich meine auch, daß man darüber nachdenken muß, wie die Zukunft unserer Landwirtschaft aussieht. Da gibt es Überlegungen: 100, 200 ha Boxenlaufställe und auf der anderen Seite nur noch Hobbylandwirte.
Herr Abgeordneter Sauter, entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie unterbreche. Die Bemerkung mit dem Wanderprediger hat den Abgeordneten Oostergetelo veranlaßt, um die Gelegenheit einer Frage zu bitten. Sind Sie bereit, sie zuzulassen?
Frau Abgeordnete Flinner, wenn ich Sie darauf aufmerksam machen darf: Zur Zeit spricht der Abgeordnete Sauter, nicht Sie.
Herr Kollege, ich verstehe ja, daß man bei einer Art Abschiedsrede irgend etwas bringen muß.
Wenn Sie „Wanderprediger in Neid" meinen, so ist das auf Zahlen des Strukturgesetzes zurückzuführen; da können Sie mir das vorwerfen. Ich muß Ihnen die Frage stellen: Sind Sie wirklich der Meinung, daß es etwas mit Neid zu tun hat, wenn ich die 1,1 Milliarden DM, die zur Verfügung stehen, den bäuerlichen Betrieben vorenthalte und sie quasi den Betrieben gebe, die als Beispiel bis 2,1 Millionen Hähnchen mästen?
Ich frage Sie, Herr Sauter, wenn Sie dieser Meinung sind: Warum haben Sie bei der namentlichen Abstimmung über das Strukturgesetz gefehlt? Sagen Sie hier, ob Sie diese Größenordnung zu Hause verteidigen! Sonst muß ich Ihren Vorwurf als unseriös zurückweisen.
Es tut mir leid, Kollege Oostergetelo, ich habe Ihnen die persönlichen Gründe damals schon genannt. Sie wissen das ganz genau. Deshalb finde ich es unfair, daß Sie heute wieder in der Öffentlichkeit vortragen, daß ich an der Beratung des Strukturgesetzes nicht teilnehmen konnte. Aber die absolute Gerechtigkeit herzustellen,
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16882 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Sauter
haben Sozialisten immer versucht, und es ist ihnen eigentlich nie gelungen.
Ich füge hinzu: Wenn wir diese Debatte schon führen, dann müssen wir uns einmal fragen, wie viele große Betriebe es in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt gibt. Wir haben 1 % der Betriebe über 100 ha und 6 % der Betriebe über 50 ha. Da können Sie nicht davon reden, daß ein Großteil der Strukturmittel für die Großbetriebe ausgegeben worden sei.
Die Entwicklung in der DDR — Rudi Müller hat darauf hingewiesen — muß auch uns Agrarpolitiker nachdenklich stimmen. Wir wissen nicht, wie die Zukunft dort aussieht. Ich habe einmal einen Fachmann nach seiner Auffassung von der aus technischen Gründen idealen Größe gefragt. Dann hat er gesagt: 1 000 ha. Dies kann für uns natürlich überhaupt kein Maßstab sein. Wir müssen vor allen Dingen alles daran setzen, daß die LPGs in der jetzigen Form nicht mehr weitergeführt werden. Viele Mitarbeiter müssen umschulen oder in den vorzeitigen Ruhestand gehen.Ich will, weil das noch nicht angesprochen worden ist, hier etwas anderes hinzufügen, was die Entwicklung in der DDR anbetrifft. Ich halte es für unverzichtbar, nicht nur über die Zukunft der LPGs, sondern vor allen Dingen auch über die Zukunft der Dörfer in der DDR nachzudenken. Hier sehe ich große Chancen, daß Alternativen für junge Menschen vorhanden sind, damit sie in den Dörfern bleiben können. Wir bekommen es dort mit einem ähnlichen Problem wie in anderen Ländern, nämlich mit einer gewaltigen Landflucht, zu tun.Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, daß junge Menschen bereit sind, auch außerhalb der Landwirtschaft in den Dörfern und in den ländlichen Regionen zu bleiben.
Wir können hier gute Dienste leisten; denn wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine gesunde Struktur. Wir haben Probleme; das will ich nicht verhehlen. Aber im Vergleich zu allen europäischen Ländern stehen wir, was die Strukturen anbetrifft, besser da.Nur, etwas, was im Agrarbericht dazu steht, paßt mir nicht ganz. Es wird davon gesprochen, daß der Landtourismus eine besondere Möglichkeit sei, den ländlichen Raum attraktiv zu gestalten. Vielleicht könnten Sie dieses Wort in Zukunft aus Ihrem Vokabular streichen. Wir wissen, welche Kriterien notwendig sind, um den ländlichen Raum attraktiv zu machen,
nämlich Erwerbsmöglichkeiten, berufliche und schulische Bildung, kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten und soziale Einrichtungen.Ich will noch ein anderes hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Legislaturperiode hat mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers begonnen, als er ausführte: Wir wollen die Schöpfung bewahren und die Zukunft sichern.
Ich denke, daß wir Agrarpolitiker einen besonderen Beitrag dazu zu leisten haben. Ich wiederhole gerne, was ich hier einmal gesagt habe: Wir haben unser Land nicht von unseren Vätern geerbt, sondern von unseren Kindern und Enkeln geliehen. Diesem Grundsatz wollen und müssen wir verpflichtet bleiben. Ich denke, daß Landwirte, die hier Verantwortung tragen, einen Anspruch darauf haben, daß sie dafür entschädigt werden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang abschließend eine Bemerkung zur Situation unserer heimischen Wälder machen. Vor Jahren hatten wir heftige öffentliche Diskussionen über die Waldschäden. Die GRÜNEN hatten diese Debatte lauthals eröffnet; aber heute reden sie überhaupt nicht mehr davon,
obwohl die Schäden nicht geringer geworden sind. Zu dem Schadensbild, das wir bei den Wäldern haben, kam die Orkankatastrophe hinzu. Ich bin dem Minister dankbar, daß er bereit ist, Hilfestellungen zu geben, daß wir die Wälder retten können. Ich füge hinzu: Ich appelliere von hier aus an alle Beteiligten, mit dazu beizutragen, daß wir keinen ruinösen Preisverfall auf den Holzmärkten bekommen.
Es sind alle gefordert, ihren Beitrag zu leisten, um den Forstwirten, die in Not sind — viele Forstwirte sind auf die Einnahmen aus dem Wald angewiesen — , Hilfestellung geben zu können.Rudi Müller hat die Frage nach der Perspektive gestellt, eine Frage, die für niemanden leicht zu beantworten ist. Vom Königsweg — den niemand findet — war früher die Rede. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wenn auf der einen Seite die Politik, die eingeleitet worden ist und die Erfolge gezeitigt hat, fortgesetzt wird, wenn es uns gelingt, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, eine solide Preispolitik zu gestalten,
wenn wir auf der anderen Seite weiterhin die Bereitschaft der Bundesregierung haben, die Landwirtschaft zu unterstützen, so wie sie das in eindrucksvol-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16883
Sauter
ler Weise bei der Agrarsozialpolitik und bei den benachteiligten Gebieten getan hat,
dann, glaube ich, haben tüchtige junge Landwirte eine Chance, auch in Zukunft einen landwirtschaftlichen Betrieb erfolgreich zu führen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Sielaff das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Sätze zum Initiativantrag der CDU/CSU und FDP zur Änderung des Weingesetzes und des Weinwirtschaftsgesetzes sagen.
Das Sechste Gesetz zur Änderung des Weingesetzes, das wir vor einem Jahr verabschiedet haben, wurde wohl in Übereile und Hektik zusammengezimmert. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte seinerzeit wesentlich weitergehende Veränderungen im Weingesetz im Auge gehabt. Aber die vor einem Jahr vorgenommenen Änderungen wurden als dringend notwendig dargestellt. Deshalb wurden viele Probleme ausgeklammert.
Im Weinwirtschaftsgesetz wurden damals offenbar Termine ins Auge gefaßt, die nicht haltbar waren und jetzt schon wieder auf zwei Jahre hinausgeschoben werden sollen. Grundsätzliche Klärungen bleiben draußen vor; auch jetzt wird wiederum ganz schnell noch die Tagesordnung erweitert und gedrängt, um die neuerlichen Änderungen durch die parlamentarischen Gremien fast zu peitschen. Abermals bleiben wichtige Probleme außen vor. Der Weinbauverband hat schon weitere Änderungen gefordert, wie wir wissen.
Dabei ist es wenig hilfreich, wenn der Weinbauverband öffentlich falsche Behauptungen in die Welt setzt und erklärt, bisher habe die SPD es abgelehnt, den Initiativantrag der CDU/CSU- und FDP-Abgeordneten zur Weinrechtsänderung zu unterstützen. Das ist schlicht falsch.
In einem gemeinsamen Gespräch haben die CDU/CSU-Kollegen selber gesagt — wir hatten uns ja zusammengesetzt — , daß aus zeitlichen Gründen jetzt nur die wichtigsten Änderungen vorgenommen werden könnten.
In einigen Bereichen sind die Probleme wohl nicht entstanden, weil der Bundestag allein ein schlechtes Gesetz gemacht hat, sondern weil Landesregierungen ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, entscheidungsunfähig sind und den Schwarzen Peter an den Bund schieben wollen.
Aber offensichtlich ist das Gesetz zu wenig mit der
Praxis vor Ort abgestimmt worden — ich habe den
Eindruck, Herr Susset, daß Sie das auch meinten, als
Sie vorhin davon sprachen — , obwohl wir damals eine ausführliche Anhörung zum Weingesetz mit allen Fachleuten hatten.
Um jetzt unbillige Härten im Einzelfall durch Ausnahmegenehmigungen bei Erzeugnissen aus ungenehmigten Rebflächen zu verhindern, fordert uns z. B. die Landesregierung Rheinland-Pfalz auf, den § 54 des Weingesetzes zu ändern. Das passiert, nachdem das geltende Recht nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz grundsätzlich in diesem Bereich keine Ausnahmegenehmigung zuläßt.
Offenkundig hat es in der Vergangenheit Unklarheiten bei den Winzern insbesondere in Rheinland-Pfalz gegeben, welche Rebfläche nun genehmigt ist oder wird. Auskünfte von Verwaltungsstellen sind teilweise wohl schuld daran, daß Winzer in gutem Glauben, daß vorhandene Flächen genehmigt werden, dort Reben angebaut haben und erst Jahre später festgestellt wurde, daß Genehmigungen nicht erteilt werden können. Noch heute fehlt beispielsweise in Rheinland-Pfalz ein Rebflächenkataster.
Wir werden im Laufe der Beratungen zu untersuchen haben, ob nicht weitere Änderungen — in diesem Fall des § 54 des Weingesetzes — notwendig sind. Die Landesregierungen sollten dabei energisch auf die Verpflichtung zur Erstellung eines Rebflächenkatasters hingewiesen werden. Denn wir wollen verhindern, daß ein Berufsstand, der sich ohne eigenes Verschulden in einer schwierigen Situation befindet, besonders drastisch bestraft wird, indem die gesamte Weinmenge vernichtet werden muß, wenn auch nur Teile von Reben aus nicht genehmigten Flächen verwandt wurden.
Auch wir wollen nicht — Herr Susset, darin stimmen wir überein —, daß unsere Weine durch RTK gesüßt werden.
Die vorgeschlagenen Änderungen werden wir größtenteils mittragen können, weil sie Mißstände korrigieren oder überfällig sind, beispielsweise die Reduzierung der Mitglieder im Verwaltungsrat des Weinfonds oder eine Angleichung an das EG-Recht.
Weiterer Regelungsbedarf bleibt allerdings bestehen. Wir werden darauf zurückkommen.
Nun hat das Wort der Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der „FAZ" ist kürzlich ein Artikel mit der einprägsamen Überschrift „Agrarfabrik und Dorfidyll" erschienen. „Agrarfabrik" soll für die DDR, und „Dorfidyll" für eine leicht trödelige Landbewirtschaftung bei uns stehen.Die Schlußfolgerung des Artikels — sie klingt in der Überschrift schon an —, die Agrarstruktur der DDR werde für uns zum ernsthaften Konkurrenten und wir in der Bundesrepublik fürchteten sie bereits; kann ich allerdings überhaupt nicht teilen. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß sich die Agrarstruktur in den beiden Teilen Deutschlands eigenständig weiterentwickelt und aufeinander zu entwickeln wird, aber nicht weil hier Angst oder Leitbilddogmatismus regiert, sondern weil
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Bredehorndie ökonomischen Erfordernisse diese Entwicklung erzwingen. Für eine Dorfidylle ist bei uns kein Raum. Der agrarstrukturelle Anpassungsprozeß bei uns — jährlich nachlesbar im Agrarbericht — setzt sich fort. Dies macht schon der EG-Binnenmarkt erf orderlich. Als neuer Impuls mag die Integration der DDRAgrarwirtschaft hinzukommen.Dies alles ist Anlaß genug, danach zu fragen, ob genug beziehungsweise das Richtige in der Agrarpolitik getan wird für unsere leistungsfähigen bäuerlichen Vollerwerbsbetriebe, um sie wettbewerbsfähig und krisenfest zu machen.Es gibt Dinge, die der unternehmerische Landwirt selbst verbessern, und anderes, was der Staat verändern kann. Ich sehe bei sehr vielen Landwirten noch Spielraum für Rationalisierung, die sich aus einer kostenbewußteren Betriebsführung ergibt. Dies ist ein Bereich, der gar nicht ernst genug genommen werden kann; denn durch Kostensenkung kann ein erheblicher Beitrag zur Milderung der Einkommensmisere in der Landwirtschaft geleistet werden. Seit Jahren sage ich schon, ich würde mir wünschen, daß die Buchführung für jeden Landwirt als echtes Instrument der Betriebsführung noch sehr viel mehr zunehmen möge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es bereits gesagt: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft wird weitergehen. Er wird um so problemloser verlaufen, je mehr der Akzent agrarpolitischer Maßnahmen auf Hilfen liegt, die als Hilfen zur Selbsthilfe angelegt sind und die Mobilität fördern.Ich habe allerdings den Eindruck, als ob eher strukturhemmende Maßnahmen dominieren. Diese Vermutung finde ich gerade in einer Veröffentlichung in den Berichten über Landwirtschaft bestätigt. Sie zeigt, daß für Maßnahmen zur Strukturverbesserung nur 12 % der Fördermittel, für strukturhemmende Maßnahmen aber ca. 33 % der Mittel, also fast das Dreifache, ausgegeben werden. Dies kann nicht richtig sein. Hier müssen die Gewichte wieder verändert werden, weil wir sonst nicht das Ziel erreichen, mit Blick auf den gemeinsamen Binnenmarkt 1993 die Entwicklung zu leistungs- und wettbewerbsfähigen Betrieben zu fördern.
Ähnlich unbefriedigend sind die Zahlen zur Produktionsentwicklung. Nur 17 % der öffentlichen Fördermittel begrenzen die Produktion, während 45 der öffentlichen Gelder die Produktion eher ankurbeln. Wo bleiben wir mit unserer Zielsetzung der Mengenanpassung, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, die eigenen Maßnahmen zielbezogen zu konzipieren?Viele Landwirte beklagen sich bei mir über immer neue Verordnungen, Reglementierungen und Gesetze, mit denen sie zurechtkommen müssen. Leider ist es heute so, daß ein großer Teil der unternehmerischen Energie darauf verwandt werden muß, im Regelungsdschungel die günstigste Bestimmung aufzuspüren, statt die Energie darauf zu verwenden, den Betrieb weiter zu entwickeln, Qualitätsprodukte zu erzeugen und richtig zu verkaufen.
Unsere Landwirte mit ihrer günstigen Lage und ihrer Nähe zu den kaufkräftigen Verbrauchern im Herzen Europas müssen mehr Mut zu marktkonformem Verhalten aufbringen; denn es ist eine alte Weisheit: Wer auf staatliche Intervention setzt, ist staatlichen Konditionen ausgesetzt. Es gibt keinen unbürokratischen Dirigismus. Er erzeugt immer mehr Verwaltung, Kontrolle und Mißbrauch. Das beste Mittel dagegen sind bessere Rahmenbedingungen für mehr unternehmerische Freiheit auch in der Landwirtschaft.
Staatliche Subventionen und Einkommensübertragungen machen bei den Vollerwerbsbetrieben inzwischen mehr als ein Drittel des Gewinns der Vollerwerbsbetriebe aus. Dies ist in meinen Augen keine gute Entwicklung. Wir Liberalen setzen auch künftig auf eine unternehmerische Landwirtschaft mit Leistung, Markt und Wettbewerb und nicht auf immer mehr Staat.Ich habe mich gefreut, Herr Kollege Müller, daß Sie hier diese Dinge durchaus richtig angesprochen haben. Das war ein wohltuendes Kontrastprogramm zu Ihrem Kollegen Oostergetelo.
Auch in Zukunft wird es bei uns eine Agrarstruktur vielfältiger Erwerbsarten in Neben-, Zu- und Vollerwerbsbetrieben geben. Der Kern muß sich jedoch aus leistungs- und wettbewerbsfähigen Vollerwerbsbetrieben zusammensetzen. Für die Erzeugung von Nahrungsmitteln muß dort der agrarpolitische Schwerpunkt liegen.Nun erreichen aber nur weit weniger als die Hälfte der noch rund 300 000 bundesdeutschen Vollerwerbsbetriebe — das sagt ja der Agrarbericht aus — die Gewinngrenze von 50 000 DM bis 60 000 DM, die allgemein als notwendig angesehen wird, um langfristig im Geschäft bleiben zu können. Auf die Chancen der Einkommenssteigerung durch Rationalisierung habe ich schon verwiesen. Eine weitere Möglichkeit, die notwendigen Einkommensansprüche zu sichern, sehe ich darin, vermehrt zu Betriebskooperationen zu kommen. Auch hier — dafür bin ich dankbar — hat der PLANAK entsprechende Beschlüsse gefaßt. Ich halte das für absolut notwendig.Mit dem Abbau des sogenannten Milchbauchladens durch eine einmalige Herauskaufaktion haben wir sehr schnell Erfolg gehabt. Wir sollten diesen Erfolg jetzt allerdings nicht wieder zunichte machen.
Die lange angestrebte Handelbarkeit, die Flexibilitätbei der Milchquotenregelung soll mehr Markt in die-
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Bredehornsen Produktionsbereich bringen. Der Staat sollte seine Hände hier künftig aus dem Spiel lassen.
Ich fordere die Bundesländer daher auf, mit der Ermächtigung für eine Anschluß-Milchrentenaktion so wenig dirigistisch wie möglich umzugehen. Der Strukturwandel in der Milchproduktion darf nicht erschwert werden.
Ich habe hier mit Interesse gehört, daß der Kollege Oostergetelo neue Umverteilungsmodelle dargestellt hat. Er hat zwar von 300 000 kg gesprochen, aber nicht gesagt, was denn die Superbetriebe sind, wie er die beurteilen und diese Mengen verteilen will, wer sie bekommen soll.
Das muß dann ehrlicherweise auch gesagt werden. Es genügt nicht, nur eine Grenze aufzuzeigen. — Da das hier alles schon wieder leuchtet, möchte ich zum Schluß kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die DDR-Landwirtschaft wird sicherlich keine Agrarfabrik bleiben. Zu viele ökonomische, ökologische und rechtsstaatliche Nachteile liegen jetzt offen.
Herr Abgeordneter, Ihre Bemerkung veranlaßt den Abgeordneten Oostergetelo, um die Zulassung einer Zwischenfrage zu bitten.
Bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, Sie sprechen, auch im Hinblick auf die EG und das zukünftige Gesamtdeutschland, zu Recht von der Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft. Wenn im Milchbereich der 18-Kuh-Betrieb in etwa der Durchschnitt ist, frage ich Sie: Würden Sie nicht mit mir meinen, daß wir den Betrieben — ich habe die mit einer Produktion von 350 000 Litern genannt — mit bis zu 70 Kühen wenigstens eine Zeitlang eine Chance geben müßten, sich zu entwickeln, damit eine Anpassung möglich wird? Das können Sie doch nicht als leistungsfremd bezeichnen.
Herr Kollege Oostergetelo, wir sind jetzt dabei, die Flexibilisierung einzuführen. Wir haben uns ganz klar dafür ausgesprochen, daß die Flächenbindung erhalten bleiben muß, daß die regionale Bindung der Milchquoten erhalten bleiben muß. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Nach all den Erfahrungen, die wir mit der Milchquotenregelung gewonnen haben — wir haben da ja sehr viel geregelt —, nach all den Ungerechtigkeiten, nach all der Kritik, die wir gehört haben, sollte der Staat, da wir das Bauchladenproblem gelöst haben, seine Hände nun endlich herauslassen. Denn dies wird sich — regional, flächengebunden — zwischen den einzelnen Landwirten sehr viel besser, sehr viel vernünftiger und sehr viel gerechter regeln.
Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt: Wenn die DDR-Landwirtschaft mit unserer zusammenwachsen wird, wenn Deutschland zusammenwachsen wird, stellt sich für die Landwirtschaft eine neue, eine große Herausforderung. Aber ich glaube, daß das für uns alle, auch für die Landwirtschaft, sehr große Chancen bietet. Staatliche Agrarpolitik muß Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sich unsere leistungsbereiten, unsere tüchtigen, unsere engagierten Landwirte entfalten können, um in einem gemeinsamen Europa zu bestehen.
Dazu wird die FDP-Fraktion konstruktiv und verantwortungsvoll beitragen, daran wird sie mitarbeiten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Agrarbericht nichts Neues, könnte man sagen, jedenfalls angesichts einer deutlich werdenden offiziellen Agrarpolitik, die sich zu wenig initiativ, zu häufig reaktiv und passiv gestaltet, weil ihr eine klar umrissene Zielvorstellung fehlt. Dabei sind doch die großen Probleme der Landwirtschaft und die damit verbundene Notwendigkeit schnellen Handelns allen bekannt. Wie kann man vor diesem Hintergrund nur Schadensmanagement betreiben, wo ein ökologisch orientierter Strukturwandel Hilfe und damit für junge Menschen zukunftsweisende Perspektiven brächte?Richten wir den Blick beispielsweise auf die Nutztierhaltung! In regelmäßigen Abständen kommt es zu einer Negativwerbung für die derzeitige Tierhaltungspraxis. War es gestern noch der Hormon-KälberSkandal, der zu großen Verunsicherungen der Verbraucher mit zum Teil enormen wirtschaftlichen Einbußen für die Landwirte führte, so sind heute die katastrophalen Zustände bei Schlachtviehtransporten Stein des Anstoßes. Erst ein Fernfahrerstreik rückte die Problematik der Tiertransporte erneut in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Dabei wurde auch deutlich, daß die Bundesregierung immer noch kein Gesetz zur Verbeugung gegen diese Mißstände auf den Weg gebracht hat, obwohl dies von uns schon lange angemahnt wird. So muß ich auf die Forderungen der SPD noch einmal eingehen.Tiertransporte sind durch Einführung eines Kilometerlimits bzw. einer Transportzeitbegrenzung sowie einer artgerechten Unterbringung und Versorgung der Tiere während der Fahrt verantwortungsvoll zu regeln.Mit den Tiertransporten ist ein weiteres Problem eng verbunden, nämlich die Verbreitung von Tierseu-
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Frau Adlerchen. Hier sind zum Schutze der Tiere und des Landwirts vor wirtschaftlichen Verlusten ausbreitungshemmende Maßnahmen, wie Impfungen bei Ein- und Ausfuhr, sicherlich richtig, aber als alleinige Reaktion unzureichend. Wo liegen denn die Ursachen für ein verstärktes Aufkommen von Tierseuchen, wenn nicht in der intensiven und vielfach nicht artgerechten Tierhaltung?
Daher ist neben einer Extensivierung auf der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ebenso eine Extensivierung in den Ställen dringend vonnöten. Diese verlangt neben tierartgerechten Haltungsformen und verminderten Futtermittelimporten auch eine Reduzierung des Medikamenteneinsatzes und ein Verbot von Hormonen und Antibiotika für Mast-und Zuchtzwecke. Darüber hinaus ist eine angemessene Flächenbindung vonnöten.Das sind grundsätzliche Maßnahmen, die konsequent an den Problemursachen greifen, mit einer ganzen Reihe von positiven Folgewirkungen. Den Medikamenteneinsatz zu senken bedeutet ein Mehr an Verbraucherschutz, Futtermittelimporte zu reduzieren heißt, die Überschuß- und zugleich die Gülleproblematik zu entschärfen.Aber was macht die Bundesregierung? Sie umgeht die eigentlichen Ursachen, indem sie beispielsweise Mindestanforderungen für die Haltung von Schweinen und Legehennen auf einem so niedrigen Niveau festsetzt, daß die gängige Praxis lediglich im nachhinein legalisiert wird. Die zu beklagenden Mängel in der Nutztierhaltung sind symptomatisch für eine Landwirtschaft, die durch einen zunehmenden Intensivierungsdruck hinreichende umwelt- und naturschutzorientierte Produktionsweisen nicht erfüllen kann.Wie steht es mit der Bio- und Gentechnologie? Kann sie Hilfe bringen, wie der Agrarbericht es verspricht? So heißt es da: „... durch gezielte Neukombination von Erbgut ... bieten" sich „neue Wege an, über die auch der Land- und Ernährungswirtschaft eine bessere Anpassung an wirtschafts- und umweltpolitische Rahmenbedingungen ermöglicht werden kann". Ist das Fortschritt? Wollen wir das so? Wo liegen die Grenzen der Gen- und Biotechnologie? Haben wir intensiv erörtert, was wünschenswert ist und was nicht gewollt wird? Wird gesehen, daß Gen- und Biotechnologie auf eine mittlere Sicht noch größere Strukturveränderungen bringen werden, als das heute durch eine verfehlte Landwirtschaftspolitik schon geschieht?
Werden in Zukunft Pharmakonzerne darüber entscheiden, welche herbizidresistente Kartoffelsorte bei uns auf den Tisch kommt? Eine Firma in den USA exerziert das bereits mit Tomaten vor.
Die Freisetzung von genmanipulierten Mikroorganismen ist jetzt im Gentechnikgesetz mit seinen Genehmigungsverfahren geregelt, aus unserer Sicht leiderunzureichend, aber wen kümmert das schon auf der rechten Seite dieses Hauses?
Mit Hilfe der EG werden ehrgeizige Programme mitfinanziert. In diesem Bereich, aber auch im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe bedeutet dies Forschung. Ist dabei auch eine Kosten-Nutzen-Analyse für die Menschen und unsere Volkswirtschaft gemacht worden, oder wurden dem Geflecht von Privilegien und Subventionen neue hinzugefügt? Ich halte Forschung, wie ich sie in einigen Bundesforschungsanstalten kennengelernt habe, für gut. Dort aber, wo aus Gründen fehlender Finanzmittel auf Drittmittelforschung ausgewichen werden muß, kann es zu Interessenkonflikten kommen und kommt es auch dazu.
Forschung darf nicht Selbstzweck sein, sie muß vor uns Bürgern verantwortet werden.Der Bundesminister und seine Länderkollegen haben Programme für Alternativen in der Landwirtschaft aufgelegt. Dafür sollen sie tüchtig gelobt werden. Aber wenn diese Programme Alibifunktionen haben, stellen Sie sich ein Armutszeugnis aus.Die offizielle Agrarpolitik greift zwar die Problemfelder auf. Doch die Problemursachen werden nur unzureichend beseitigt.
Der Konflikt zwischen Landwirtschaft und Umwelt ist nur durch die massive Förderung einer umweltschonenden Produktionsweise aufzulösen. Die Strategie der Bundesregierung, „Wachstum um jeden Preis" durch Weichen erträglich zu gestalten, schadet letztlich allen Beteiligten. Diese Ausweichmanöver kosten eine Menge Glaubwürdigkeit und zeugen kaum von einer verantwortungsbewußten und die Zukunft einbeziehenden Entscheidungsfähigkeit. Also weg von einer Symptombekämpfung und hin zu einer Politik, die den Landwirten und den Verbrauchern und damit uns allen nützt!
Nun hat der Abgeordnete Carstensen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute schon deutlich geworden. Die Einkommenslage der Landwirtschaft und die Perspektiven der Bauern für die nächsten Jahre sind je nach Betriebszweig sehr unterschiedlich. Insbesondere die Marktfruchtbetriebe leiden nach wie vor unter den drastischen, von der Kommission unsinnigerweise verordneten Preissenkungen der vergangenen Jahre.
Eine weitere Senkung der Preise in diesem Jahr hätten viele Betriebe nicht verkraftet.
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Carstensen
Der ausgewiesene Gewinnanstieg hat seine Gründe im wesentlichen in der außerordentlich niedrigen Ausgangslage bei den Gewinnen der landwirtschaftlichen Betriebe der letzten Jahre.
Die Gewinne waren nämlich im Wirtschaftsjahr 1987/88 nicht höher als im Wirtschaftsjahr 1977/78.Ich kann den Zorn der Bauern verstehen, wenn sie in den Zeitungen nur lesen, sie hätten einen Einkommenszuwachs von rund 30 % in einem einzigen Jahr gehabt, und wenn nicht gleichzeitig berichtet wird, wie seinerzeit in der Pressekonferenz berichtet wurde, von welcher Ausgangslage dieser Zuwachs berechnet worden ist und was dieser Gewinn, der durch viel Arbeit, meist der ganzen Familie,
ohne Urlaub, ohne Wochenende, mit weit mehr als 35 Stunden pro Woche erwirtschaftet wurde,
im Vergleich mit den außerlandwirtschaftlichen Einkommen in ihrer Nachbarschaft bedeutet.Die erzielbaren Gewinne sind heute in sehr vielen Betrieben nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt und die notwendige Eigenkapitalbildung zu finanzieren.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Betrieben, Unterschiede, die ihre Ursache in einer erfolgreichen marktentlastenden Politik der Bundesregierung insbesondere im Milchbereich haben.
Aber die Überschuß- und Preisdruckproblematik und die damit verbundene schlechte Lage der Getreidebauern sind durch die freundlicheren Seiten im Milchbereich nicht gelöst. Die Getreidebauern brauchen Entlastung in ihrer mißlichen Lage. Wenn es zum Thema der Mitverantwortungsabgabe nicht zu einer Einigung auf dem nächsten Gipfel kommt, halte ich es für notwendig, ihnen diese zusätzlichen Kosten durch den Bund von der Hand zu halten.
Durch die unerwartet hohen Erstattungen und Rückflüsse aus der EG in diesem Jahr wäre das mühelos zu finanzieren.
Es ist anzumerken, daß rund 30 % des landwirtschaftlichen Einkommens aus gewinnwirksamer Leistung der Agrarpolitik entstanden sind. Diese Zahl sowie die erholte Situation im Bereich der Milcherzeuger zeigen deutlich, daß der Weg der Stützung landwirtschaftlicher Einkommen durch staatliche Mittel nur einen, wenn auch in der derzeitigen Situation richtigen, aber niemals endgültigen oder ausreichenden Beihilfecharakter haben kann.Gerade die Milch zeigt, wie wichtig Marktentlastung sowie produktionsbegrenzende und absatzfördernde Maßnahmen für das Einkommen sind.
Die Milch zeigt auch, daß genügend Einkommen nur mit angemessenen Preisen erzielt werden kann.
Preisdruck im Getreidebereich, um damit die Produktion zu begrenzen, ist unsinnig und dumm und wird nicht zum Erfolg führen.
In der Getreideproduktion laufen nun einmal andere Reaktionen auf Preisdruck ab als z. B. in der Werftindustrie. Wenn durch ungenügende Preise eine Werft dichtmachen muß, wird gleichzeitig die Schiffbauproduktion beendet. Wenn ein Landwirt durch ungenügende Preise seinen Betrieb aufgeben muß, werden die Flächen von Nachbarn übernommen, und es wird weiterproduziert.Durch Preisdruck werden die landwirtschaftlichen Betriebe reduziert, nicht aber die Produktion. Preisdruck fördert einen ungesunden Strukturwandel und nicht Marktentlastung. Das ist so einfach und so simpel, daß es auch eine alte Frau, die im Wald lebt und als Firmenzeichen eine Eule auf der Schulter trägt, begreifen kann. Ich staune, daß das bei der Kommission nicht gesehen wird.
Der Preisdruck, den die Kommission verordnet, muß beendet werden. Ich verstehe, daß Bauern bei uns auf die Straße gehen, um dies durch Druck zu erreichen. Nur Bauern in Deutschland auf der Straße reichen nicht; ich wäre dankbar, wenn auch international stärker demonstriert würde.Wir erwarten eine andere Politik von der Kommission, und wir erwarten von Ihnen, Herr Minister Kiechle, daß der sich in diesem Jahr abzeichnende Weg, der von Ihnen vorgezeichnet worden ist und den Sie beschritten haben, nämlich nicht zu weiteren Preissenkungen zu kommen, konsequenz weitergegangen wird.
Wir erwarten, daß die übrigen Beschlüsse im Stabilisatorenkonzept nicht nur zart diskutiert, sondern massiv angepackt werden. Die Flächenstillegung wird kein endgültiges Mittel zur Marktregulierung sein;
sie kann, obwohl sie derzeit richtig ist, überhaupt nicht greifen, wenn sie nur bei uns und in anderen Ländern kaum angewendet wird.Wir erwarten, auch um den ländlichen Raum, der von den Umsätzen der Landwirtschaft abhängig ist, nicht durch weitere Flächenstillegungen zu schwächen, daß der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen massiv und nicht nur halbherzig forciert wird.
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Das, was die Kommission dazu dem Rat vorgelegt hat, ist ja wohl lächerlich, ist letztendlich bei der Dringlichkeit dieses Problems eine Frechheit. Die Behandlung des Themas der nachwachsenden Rohstoffe ist, wie Staatssekretär Kittel mit Recht gesagt hat, ein Testfall, wie ernst die Kommission die Absichtserklärungen aus dem Preispaket nimmt.
Wir erwarten aber auch von der Industrie, insbesondere von der chemischen Industrie, die nun viele Jahre gut von der Landwirtschaft gelebt hat
und die, wie sie immer gesagt hat, mit der Landwirtschaft in einem Boot sitzt, daß sie mit den Landwirten zusammen auch einmal die Riemen in die Hand nimmt, um das Ziel der nachwachsenden Rohstoffe als Ersatz für Erdölderivate zu erreichen.
Ohne diese Zusammenarbeit ist das Ziel nicht zu erreichen, und freiwillige Unterstützung der Landwirte ist doch wohl besser als verordneter Zwang.Nachwachsende Rohstoffe zu produzieren bedeutet nicht, eine neue Landwirtschaft zu praktizieren, sondern bedeutet nur, landwirtschaftliche Produkte einer anderen Verwendung zuzuführen.
Um gleich auf ein scheinbares Argument von Gegnern der Produktion nachwachsender Rohstoffe einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, daß der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen nicht mehr und nicht weniger umweltverträglich oder umweltschädlich als der ordnungsgemäße Anbau der Früchte für die Nahrungsmittelerzeugung ist.
Angriffe, wie sie von den GRÜNEN und, wie ich höre, auch von Frau Adler kommen, entbehren jeder Grundlage.Nun steht heute auch der Antrag der SPD, eine Rechtsverordnung für den Transport von Tieren zu schaffen, auf der Tagesordnung dieser Debatte. Tierschutz in der Produktion und beim Transport ist ein Anliegen, das in einem reichen Land wie der Bundesrepublik eine noch größere Selbstverständlichkeit erfahren muß und nicht unbedingt wirtschaftlichen Zwängen weichen darf. Aber mit ihrem Antrag hat die SPD offene Türen eingerannt. Der SPD-Antrag stimmt im wesentlichen mit der Entschließung des Bundestages vom April 1986 überein,
wonach der Bundestag erwartet, daß die im Tierschutzgesetz ausgesprochene Ermächtigung, Vorschriften zum Schutz der Tiere bei der Beförderung zu erlassen, durch den BML unverzüglich in Angriff genommen wird. Auch im Ausschuß, liebe Frau Adler, wurde festgestellt — ich glaube, einhellig — , daß es Verbesserungen in den Vorschriften für den Tiertransport gegeben hat. Aber leider genügen Alleingänge in der Bundesrepublik nicht. Der Tierschutzstandard muß international, europaweit angehoben werden.
Sehr deutlich hat das in der entsprechenden Sitzung des Agrarausschusses auch der Vorsitzende, Rudi Müller, zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere aus dem Protokoll vom 8. Februar 1990, in dem es heißt:Der Vorsitzende bringt seine Empörung über die Zustände von Tiertransporten am Brennerpaß zum Ausdruck.Weiter sagt er dann:Es sei letztendlich unbefriedigend, wenn man auf deutscher Seite meine, mit nationaler Gesetzgebung jedwede Vorsorge getroffen zu haben, aber durch Streiks der italienischen Zollbediensteten alle wohlgemeinten Regelungen konterkariert werden.Also nicht nur internationale, EG-weite Regelungen sind notwendig, sondern auch praktikable strenge Überwachungs- und Durchführungsregelungen. Trotz meiner vorherigen Anmerkung vielleicht nur ein Hinweis: Nur durch eine EG-weite Regelung ist es möglich, Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten des Tierschutzes zu vermeiden.Der Ausschuß hat festgestellt: Dem Antrag der SPD ist mit den Empfehlungen für den Transport von Pferden 1987, für den Transport von Schweinen 1988 und den Transport von Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel Rechnung getragen worden.Der Ausschuß hat — so lesen Sie es in dem Bericht des Berichterstatters — bei Enthaltung der SPD und der GRÜNEN den Antrag für erledigt erklärt. Das sollten Sie, meine Damen und Herren, auch hier tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Kißlinger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß Sie jetzt froh lachen — nicht weil ich spreche, sondern weil Sie bald nach Hause gehen können, da ich der letzte bin.Anfang Februar dieses Jahres hat Herr Minister Kiechle seinen Agrarbericht geradezu euphorisch der Öffentlichkeit vorgestellt und den Landwirten für 1988/89 einen Einkommenszuwachs von 30 % errechnet. Selbst für das laufende Jahr sollen die Gewinne noch bis zu 16 % steigen.Bei diesen Zahlen sollte man meinen, Herr Minister, daß Sie von den Bauern geradezu bejubelt würden. Statt dessen gab es aber Demonstrationen, und es hagelte Proteste. Schieben Sie dieses Aufbegehren und dieses Murren nicht allein der EG zu! Die nationale Verantwortung bleibt bei Ihnen und bei uns. Sie wird mit der DDR nicht leichter werden. Drüben herrscht im Bereich der Landwirtschaft Angst und bei uns immer noch Unsicherheit. Das ständige Lamentieren — ich bedaure, daß Herr Heereman vom Bauernverband nicht da ist —, trägt auch nicht dazu bei
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16889
Kißlinger— Herr Eigen, nicht: Vorsicht — , potentielle Hofnachfolger zu motivieren. Es sei denn, es sind die Ihren.Der bayerische Ministerpräsident hat gesagt: Die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft ist für uns weit mehr als nur ein ökonomisches Anliegen. Wir stehen zu diesem Berufsstand, der das Bild unserer Heimat entscheidend geprägt hat.
Bayern braucht seine Bauern. Dem schließe ich mich an.Auch Sie sind Bayer, Herr Minister, aber man hat nicht den Eindruck, daß es die Bundesregierung mit der Absicherung der bäuerlichen Landwirtschaft ebenso hält. Im Gegenteil, man kann der Statistik im Agrarbericht entnehmen, Herr Carstensen, daß der sogenannte Strukturwandel zu leistungsfähigen, den Anforderungen des EG-Binnenmarktes gewachsenen Betrieben weitere Fortschritte gemacht hat. Auch so kann man das Ausscheiden von im letzten Jahr weiteren 18 000 ländlichen Betrieben nennen.Ihre Politik, meine Damen und Herren, sorgt weiterhin für das Bauernsterben; es setzt sich fort.
Damit werden auch weiterhin die ländlichen Strukturen gebrochen, die Dörfer veröden noch mehr, auch Vorausschätzungen für einen Ersatz der Entwicklung des Fremdenverkehrs auf dem Lande verschlechtern sich. Diese Regierung hat die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Menschen im ländlichen Raum nicht bestanden.
Herr Minister, von der ökonomischen Umweltverträglichkeit sind Sie noch meilenweit entfernt. Für immer weniger Bauern — über 1,2 Millionen sind schon ausgeschieden — müssen Sie, Herr Kiechle, wegen Ihrer verfehlten Agrarpolitik immer mehr Geld ausgeben.
Das wollen Sie dann auch noch als Erfolg verbuchen!Ich sehe das nicht so. Die kleinen Landwirte bei uns in Bayern haben von Ihrer Subventionspolitik so viel nicht. Darüber hinaus wird das System — so sagt das einer, der zu Ihnen gehört, Herr Engels von der „Wirtschaftswoche" — vom Otto Normalverbraucher finanziert. Er sagt, daß der Otto Normalverbraucher, ein Vier-Personen-Haushalt in der EG, für ihre Politik einen Beitrag von 3 000 DM leistet.
Da diese Regierung — Herr Kollege Eigen, das kommt Ihnen ja zugute — die Subventionen nicht an die Bedürftigkeit der Bauern knüpft, sondern an die Produktivität, sieht Herr Engels — ich zitiere ihn wieder — das Programm, das hier durchgeführt wird, als Unterstützung reicher Bauern durch die armen Städter. Das wäre dann die soziale Umweltverträglichkeit.
Daß den Steuerzahlern auch noch Gift und Galle kommt, Herr Kollege Eigen
— das hat ihn getroffen; jawohl — , wenn sie feststellen müssen, daß die sogenannte Marktordnung zu massenhaften Betrügereien führt, das ist verständlich. Im EG-Parlament wurde unlängst erst ein Bericht diskutiert, der davon sprach, daß Gauner und Mafiosi und was es noch alles dazu gibt, allein im letzten Jahr 9 Milliarden DM ergaunert hätten. Da muß man doch sagen: Die Agrarmarktordnung dient am allerwenigsten den Bauern. Von 1 DM versacken 60 Pfennig im Sumpf der EG-Agrarmarktpflege. Das ist die moralische Umweltunverträglichkeit, meine Damen und Herren.Ob die Landwirtschaft den richtigen Stellenwert hat, das hängt auch noch weitgehend von der ökologischen Umweltverträglichkeit ab.
Wir sind der Auffassung, daß eine Intensivbewirtschaftung wie in der jetzigen Form dem ländlichen Raum keine Chance läßt, ein funktionsfähiger Lebens-, Arbeits- und Freizeitraum zu bleiben.
Hätte man Zeit, die ökologischen Sünden aufzuzählen, dann müßte man Ihnen auch hier einen gloriosen Durchfall durch die ökologische Umweltverträglichkeitsprüfung attestieren.Die Regierung geht liederlich mit den Ressourcen um, und sie tut so, als hätte sie noch eine zweite Natur im Kofferraum. Hochrangige Fachleute warnen vor Umweltkatastrophen, und hochgeschätzte Persönlichkeiten, auch unser verehrten Herr Bundespräsident, appellieren eindringlich an alle, mit der Schöpfung Gottes so umzugehen, daß wir auch noch „Nachweltschutz" für die Menschen nach uns betreiben.Ich möchte hier auch noch einmal den katastrophalen Zustand unserer Wälder ansprechen. Das Waldsterben setzt sich dramatisch fort. Die Situation in der DDR verschärft das Ganze noch mehr. Ich frage mich: Wann wird die Regierung endlich darangehen, eine drastische Reduzierung der verursachenden Schadstoffe zu erzwingen? Damit können Sie auch den Bauern noch ihre letzte Sparbüchse erhalten.Ich sehe eines nicht: Wenn die Ossis jetzt ab 1. Juli mit der neuen Mark einen VW katalysatorfrei kaufen können,
dann haben Sie also alles getan, was man zu Umweltrettung drüben noch machen kann?
— Dann machen Sie doch etwas! Warum lassen Sie denn die Autos ohne Katalysatoren zu?
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16890 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Kißlinger— Natürlich ist das so. VW hat ausdrücklich erklärt, daß es das macht.
— Wir können ja im Anschluß weiterreden; ich freue mich darauf. Dann können wir einmal die Argumente austauschen, Herr Hornung.Aber eines steht fest: Wenn der Wald stirbt, dann gehen noch mehr Chancen für die Landwirtschaft kaputt.Die intakte Natur ist der Ast, auf dem der Fremdenverkehr sitzt, der sonst nicht betrieben werden kann; das steht fest. Gerade bei uns, in unseren bayerischen Bereichen, könnte der Fremdenverkehr eine Chance durch Dienstleistung für die Bauern sein. Es könnte auch so sein, daß Tourismus mit Einsicht ganz erhebliche Teile des Einkommens erwirtschaften läßt. Da bin ich nicht der Auffassung des Herrn Sauter. Hier wären auch Investitionshilfen durch die Regierung in hohem Maße angezeigt.Abschließend möchte ich sagen, daß die Regierung die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Landwirtschaftspolitik nicht bestanden hat. Wir helfen Ihnen gerne weg von der kapitalisierten, von der technisierten und von der chemieverseuchten Landwirtschaft zu einer modernen Landwirtschaft,
und moderne Landwirtschaft pflegt die Umwelt, erhält die Bevölkerungsstruktur auf dem Lande, bietet Arbeitsplätze in der ländlichen Region und erzeugt gesunde Lebensmittel, Herr Kollege Eigen.
Ein Interesse an einer solchen Landwirtschaft haben alle Staaten in der EG, besonders diejenigen, die ihre ländlichen Strukturen erhalten wollen, und besonders auch diejenigen, bei denen die bisherige Landwirtschaft, so wie sie betrieben wurde, weite Teile des Bodens ruiniert hat.
— Den weisen wir Ihnen nach. Reden wir einmal im Ausschuß weiter; da haben wir Zeit dazu.
Auch hier glaube ich, Herr Susset, daß man am Schluß zu Ihnen mit Gorbatschow sagen kann: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir haben zunächst zu den Zusatztagesordnungspunkten 12 und 13 sowie zu den Tagesordnungspunkten 15 a, c und d die Ausschußüberweisungen vorzunehmen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/6387, 11/6388, 11/6854, 11/7065, 11/7253 und 11/7254 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, der Fraktion der SPD sowie der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/ 7257, 11/7283, 11/7298 und 11/7299 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Agrarbericht 1990.Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Zu Tagesordnungspunkt 15 b steht die Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Marktstrukturgesetzes — Drucksachen 11/5317 und 11/6377 — aus.Ich rufe die Artikel 1 bis 4, die Einleitung und die Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden. Die zweite Beratung ist damit abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zu Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Abstimmungsergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen worden.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Milch- und Margarinegesetzes.Ich rufe die §§ 1 bis 21, die Einleitung und die Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Diese Vorschriften sind bei Stimmenthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen worden. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen worden.Zu Tagesordnungspunkt 15e haben wir über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/6731 abzustimmen. Hierbei geht es um den Vorschlag für eine Verordnung des Rates für den Schutz von Tieren beim Transport. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Empfehlung ist einstimmig angenommen worden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16891
Vizepräsident WestphalZu Tagesordnungspunkt 15 f steht die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/6733 aus. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2441 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen worden.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 14 und 15 auf:16. Vereinbarte Debatte zum Thema „Das soziale Europa"ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission über ihr Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte— Drucksachen 11/6324 Nr. 2.30, 11/7232 — Berichterstatter:Abgeordneter Peter
ZP15 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/88 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der GemeinschaftVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/360/EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft— Drucksachen 11/4874 Nr. 2.2, 11/7263 — Berichterstatter:Abgeordnete Frau Beck-OberdorfHierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7284 vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Beratung eine Stunde vorgesehen. Mein Blick weist darauf hin, daß man es auch kürzer machen kann. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt zunächst Gelegenheit zu einem ganz bescheidenen Hinweis. Wenn in Europa eine Regierung keinen Nachholbedarf an Taten zur Verwirklichung der sozialen Dimension hat, dann ist es die deutsche Bundesregierung. Die soziale Dimension wurde bei dem Gipfel in Hannover unter der Präsidentschaft von Helmut Kohl geboren. Die Bundesregierung hat danach mit zwei nationalen Sozialkonferenzen für Europa als erstes Land einen nationalen Konsens erarbeitet. Die Bundesregierung hat konkrete und zwischen den Sozialpartnern abgestimmte Vorschläge für verbindliche Grundrechte gemacht.Die CDU/CSU hat diesen Kurs verfolgt, weil wir als Arbeitnehmerpartei ein Europa des sozialen Ausgleichs wollen. Wir brauchen heute nicht mehr darüber zu diskutieren, daß Ludwig Erhard recht hatte, als er den Menschen Wohlstand durch Soziale Marktwirtschaft versprach. Uns unterschied damals von der Opposition, daß sie Angstgefühle gepredigt hat und bekanntlich falsch lag, und uns unterscheidet heute von der Opposition, daß sie auch jetzt wieder über lange Zeit Angstgefühle entwickelt und gepredigt hat und daß sie auch hier wieder falsch liegt.
Wie lange die SPD gebraucht hat, um zu erkennen, daß der europäische Binnenmarkt als solcher schon ein soziales Programm ist, spricht für sich. Das belegt das Wort von Hans Apel, den wir hier ja auch schon sehr lange nicht mehr gesehen haben, vom „Zahlmeister der Nation" . Dies war geradezu das entscheidende Wort, das über lange Zeit eine Entwicklung im sozialen Bereich aufgehalten hat. Wir alle wissen, daß die Entwicklung im sozialen Bereich in Europa zunächst auch mit der Einbringung weiterer Mittel verbunden war. Um in Hannover den Einstieg zu erreichen, mußten wir die Mittel für die Strukturfonds immerhin verdoppeln. Meine Damen und Herren, wir haben dies getan, und zwar gegen einen Zickzackkurs der SPD, der an diesem Beispiel besonders deutlich wird.
Nachdem nun die schwierigsten Hürden genommen sind, versucht die SPD, sich an die Spitze aller Forderungen zu stellen. Aber dies ist nicht unbedingt eine gute europäische Sozialpolitik, denn das schnelle Entwickeln sozialer Standards in anderen Ländern muß automatisch eine Reduzierung von Standortvorteilen mit sich bringen. Die Konsequenz kann dann nur sein: Die zu schnelle Anhebung der sozialen Standards muß mit hoher Arbeitslosigkeit in jenen Ländern bezahlt werden. Wer unter diesen Bedingungen keine hohe Arbeitslosigkeit will, muß zusätzliche Finanzhilfen geben. Dieses Geld fehlt aber bei anderen dringenden Hilfen für Staaten in Afrika und Lateinamerika, denen wir helfen müssen. Denken wir nur an das Problem des Regenwaldes.Deswegen ist der behutsame Weg der Bundesregierung richtig. Das Hinwirken auf die Ausgestaltung sozialer Grundrechte, wie wir sie hier in diesem Hause schon mehrmals — auch in Form von Anträgen und Beschlußfassungen — beschrieben haben, und die zügige Mitarbeit an der Umsetzung des Aktionsprogramms zur Gemeinschaftscharta: Dies ist der richtige Weg.
Wir haben in über 40 Jahren Marktwirtschaft gelernt, daß sich das Soziale nicht ohne das Wirtschaftliche erreichen läßt. Für die Union muß sich der wirtschaftliche Faktor in Europa aus dem Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft heraus entwickeln. Er muß sich aber auch in Form von sozialen und ökologi-
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Fuchtelschen Verbesserungen auswirken. Dafür, meine Damen und Herren, sollten wir gemeinsam weiterarbeiten. Ich begrüße es überhaupt, daß wir bisher, was diesen Weg betrifft, in vielen Fragen einer Meinung waren.Wie schwierig es aber ist, eine gemeinsame Linie zu finden, wird an anderer Stelle des neuesten SPD-Antrages sichtbar. Dort wird erneut die Beschlußfassung durch Mehrheitsentscheidungen gefordert. Wenige Sätze später wird die Bundesregierung aufgefordert zu verhindern, daß erreichte Arbeitnehmerrechte zurückgeschnitten werden, wie es dort heißt. Ich habe von dieser Stelle aus schon öfters gesagt, daß man solche pauschalen Formulierungen in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen sollte. Nicht jede Mehrheitsentscheidung in sozialen Dingen ist automatisch eine gute Entscheidung für uns Deutsche.Ich nenne nur zwei Problemkreise: erstens die Mitbestimmung, die wir ausdrücklich anerkennen und zu der wir uns in Europa bekennen, und zweitens die Ausdehnung sozialer Transferleistungen. Der maßgebliche Art. 118 a EWG-Vertrag darf nicht überdehnt werden. Dies schadet nicht nur dem Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern. Wir müssen vielmehr auch davon ausgehen, daß Mehrheitsentscheidungen gefällt werden, die uns gar nicht so passen. Deswegen müssen wir einen Weg finden, um die Dinge genauer zu definieren. Ich meine, dann müssen die Fragen der Mitbestimmung und des Transfers sozialer Leistungen von der Diskussion der Fragen abgekoppelt werden, die über Art. 118a EWG-Vertrag angegangen werden können. Dies und nicht manches, was in Ihrem Antrag ausführlich beschrieben wird, müßte zum Ausdruck gebracht werden.Neben der Ausformung der sozialen Grundrechte werden Entscheidungen über Art und Weise der Vernetzung unserer sozialen Sicherungssysteme in Europa unausweichlich sein. Abwägungskriterium kann hierfür nur der Gerechtigkeitsmaßstab werden. Es ist gerecht, wenn jemand seinen hier erworbenen Rentenanspruch in ein anderes Land mitnimmt. Es ist meines Erachtens aber nicht gerecht, wenn jedermann z. B. deutsche Weiterbildungsangebote wahrnehmen könnte, ohne vorher in die deutsche Arbeitslosenversicherung eingezahlt zu haben.Wir müssen deswegen darauf bestehen, das Territorialitätsprinzip so lange aufrechtzuerhalten, bis sich die sozialen Standards soweit angenähert haben, daß Mißbrauch nicht mehr in nennenswertem Umfang zu erwarten ist. Mißbrauch ist bekanntlich das beliebteste Brauchtum in der Sozialpolitik.Gleiches gilt für die Ausdehnung der Freizügigkeit. Obwohl die SPD ebenfalls vom Terroritorialitätsprinzip spricht, ist sie gleichzeitig für die vorgesehene Freizügigkeitsverordnung. Die Freizügigkeit in Europa ist für den Arbeitnehmer und seine Familie, auch für Oma, Opa inklusive der Enkel, bereits gegeben. Durch die drei neuen Freizügigkeitsrichtlinien für Studenten, Rentner und jedermann, der seinen Lebensunterhalt bestreiten und Krankenversicherungsschutz vorweisen kann, ist die notwendige Offenheit bewiesen.Ich zumindest kann meinen Wählern nicht erklären, daß die Tante eines hier lebenden EG-Arbeitnehmers auf Kosten des deutschen Staatssäckels ins Pflegeheim kommt.
Hier geht das Europa der Arbeitnehmer zu weit. Europa der Arbeitnehmer heißt deswegen nicht nur Sicherung der Rechte, sondern auch Schutz vor ungerechtfertigter Beanspruchung von Rechten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Peter .
Herr Prädident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fuchtel, ich will mich nicht mit der spannenden Frage beschäftigen, ob die CDU mit eine Arbeitnehmerpartei ist. Ich will mich auch nicht mit der spannenden Frage beschäftigen, ob die CDU der FDP im Boot in der Lage ist, eine arbeitnehmerorientierte Politik zu betreiben, sondern ich will versuchen, die Gelegenheit der von uns freiwillig knapp bemessenen Redezeit dazu zu nutzen, etwas zur Notwendigkeit dieser Debatte zu sagen.Ich glaube, es ist notwendig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu betonen, daß die soziale Dimension gleichzeitig mit dem Binnenmarkt zu verwirklichen ist. Gerade aus der Diskussion um die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion beim Prozeß der deutschen Einheit ist zu erkennen und wird von Ihnen auch eingesehen, was passiert, wenn der Prozeß nicht gleichzeitig abläuft. Es gibt einen erheblichen Bedarf für Nachbesserung, für nachträgliche Gestaltung. Das ist dann immer schwieriger und vor allen Dingen immer ungerechter. Das Prinzip der Gerechtigkeit wurde ja von Ihnen eben als ein Kriterium genannt.Ohne Sozialgestaltung besteht nämlich die Gefahr der ungleichen Entwicklung. Ein Beispiel dafür bietet der europäische Arbeitsmarkt. Das Prognos-Institut prognostiziert, daß in der Hälfte der EG-Staaten 1995 die Zahl der Erwerbslosen höher ist als 1989.Das zweite Beispiel ist die ungleiche Entwicklung, die Verschärfung der Gegensätze zwischen armen und reichen Regionen in der EG. Dieser Prozeß wird ohne eine erheblich intensivere Funktionszuweisung bei den Strukturfonds nicht zu bremsen sein.Ohne Sozialgestaltung besteht die Gefahr der juristischen Standortvorteile. Genau das, was Sie eben bei uns kritisiert haben, ist eigentlich das, was Sie fordern müßten, damit es kein Sozialdumping, damit es keine Flucht aus der Mitbestimmung gibt. Ohne Sozialgestaltung — das ist politisch das Entscheidende — droht die Akzeptanz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber dem Prozeß der europäischen Integration zurückzugehen, gefährdet zu sein. — Das ist nach meiner Auffassung der eine Teil der Funktion dieser Debatte.Der zweite Teil: Die Debatte und unser Antrag sollen der Sorge Ausdruck verleihen, daß es Anzeichen dafür gibt, daß die soziale Dimension des Binnenmarkts bis zum 1. Januar 1993 nicht erreicht wird. Die Ursachen sind unterschiedliche Auffassungen über
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990 16893
Peter
die Notwendigkeit der Gleichzeitigkeit dieser Entwicklung. Wichtige Texte zur sozialen Dimension sind im Rat anhängig und können dort wegen der vertragsmäßigen Möglichkeit, eine Beratung zu blockieren, nicht weiter behandelt werden. In Sonntagsreden ist oft von europäischer Gemeinsamkeit zu hören. Wenn es aber um die konkrete Entwicklung und Durchsetzung europäischer Gesetze geht, sehe ich sehr viel nationalen Korporatismus. Das ist für den Integrationsprozeß schädlich.
Der Verlauf des Prozesses zur Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verläuft unbefriedigend. Das ist ein deutliches Signal dafür, daß das Ziel, 1993 die soziale Dimension durchzusetzen, verhindert werden kann. Es gibt dort eben keine einklagbaren Rechte. Das, was als Sozialcharta in den Beratungsprozeß hineinging, ist hinterher als Presseerklärung von elf Regierungschefs — Frau Thachter war nicht da — auf Glanzpapier herausgekommen. Die rechtliche Verbindlichkeit fehlt. Auch der Versuch, über das Aktionsprogramm der Kommission die in der Gemeinschaftscharta festgelegten Rechte in Gemeinschaftsrecht umzusetzen, ist so ungenügend, daß es die Vermutung bestätigt, daß wir am 1. Januar 1993 sozialpolitisch zu kurz kommen. Der Hinweis auf das Arbeitsprogramm verstärkt die Befüchtungen.Ihre christdemokratischen Arbeitnehmerkollegen in der europäischen Fraktion haben zwei Entschließungen des Europäischen Parlaments zugestimmt, in denen genau das, was Gegenstand unseres Antrags ist, zum Ausdruck gebracht wird. Es gibt offensichtlich Koordinations- und auch Harmonisierungsprobleme mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in der christdemokratischen Fraktion auf der Ebene des Europäischen Parlaments. Nicht ohne Grund hat der Präsident der Französischen Nationalversammlung Fabius die Anregung gegeben, in den nationalen Parlamenten mehr für das soziale Europa zu tun. Das sollte man sich im Zusammenhang mit dieser Debatte bewußtmachen. Nicht ohne Grund hat Fabius, der überzeugter Europäer ist, diese Initiative ergriffen.Ziel der Debatte ist weiterhin die Einbeziehung der sozialen Dimension in die Vorbereitung der beiden Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion und über institutionelle Reformen. Wer hier zu spät kommt, den bestraft europäisch tatsächlich das Leben, Herr Kollege Fuchtel. Sie haben ja so getan, als gäbe es diese Absichten der Regierungskonferenzen überhaupt nicht. Dabei ist Stand der Beratung, daß das Europäische Parlament und die nationalen Gesetzgeber nach den Ergebnissen der interinstitutionellen Vorkonferenz vom 17. Mai in den Vorbereitungsprozeß einbezogen werden — die CDU mit leeren Händen.
Die Versammlung der Parlamente der europäischen Staaten und des Europäischen Parlaments — diese sogenannten Assisen; ich kann nichts für das Europadeutsch — soll den nationalen Parlamenten Gelegenheit geben, bei diesen Regierungskonferenzen beratend mitzuwirken. Dabei wird es materiell um die gleichberechtigte Beteiligung des Europäischen Par-laments am Gesetzgebungsverfahren — „co-décision" — gehen. Dabei wird es darum gehen, daß das Europäische Parlament Mehrheitsentscheidungen im Rat, mit Ausnahme von Vertragsänderungen, zur Regel werden lassen will. Da ist der Punkt, an dem Sie anfangen sollten, Ihre festgemauerte Position etwas zu überprüfen. Sonst überholt Sie der europäische Entscheidungsprozeß.Das zweite Kernstück wird von der sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments als kohärente sozialpolitische Kompetenz der EG gefordert werden.
— Das ist die Abkehr von der Praxis, daß Handlungsbedarf in sozialpolitischen Fragen bereits der Konfliktfall ist.Die Ableitung vom Binnenmarkterfordernis ist bisher die Regel. Durch das Einstimmigkeitsprinzip nach 100 a Abs. 2 wird immer mehr zur Bremse für sozialen Fortschritt, was bei Verabschiedung der Verträge der Einheitlichen Europäischen Akte ursprünglich als Schutzfunktion gedacht war. Auch das ist ein Grund zum Nachdenken.
— Sie brauchen keine Angst davor zu haben, Herr Kollege Hornung; denn die Praxis des Art. 118 a zeigt, wie Sie sicherlich wissen, daß bei Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz echte Erfolge mit Mehrheitsentscheidungen möglich sind.
Die Richtlinie über die Arbeit an Bildschirmen, die Richtlinie gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe in Laboratorien gehen auch für deutsche Arbeitnehmer weiter als die von der FDP gebremste nationale Gesetzgebung. Über das Gentechnikgesetz brauchen wir nicht weiter zu reden, Herr Kollege Heinrich.Wir haben zwei Erfordernisse für die Diskussion der künftigen sozialpolitischen Entwicklung. In der Tat ist die Frage der Harmonisierung der sozialen Sicherungssysteme oder der Koordination zu klären.
Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Fuchtel, in Ihren Bedenken hinsichtlich der Mißbrauchsmöglichkeiten zu. Ich stimme Ihnen auch zu, daß es wichtig ist, den ungerechtfertigten Export von sozialen Leistungen zu vermeiden. Ich meine allerdings, daß eine sachbezogene Auseinandersetzung über Grenzen der Harmonisierung und Erfordernisse der Regelung von Mindestbedingungen in Gemeinschaftsinstrumenten sinnvoller wäre, als vor den Folgen des Sozialleistungsexports zu warnen und auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu starren und anschließend zu beklagen, daß die Entscheidungen das bisherige Prinzip durchlöcherten. Von daher wäre es also sehr viel sinnvoller, sich auf den Vorschlag im Arbeitsprogramm der Kommission einzulassen, durch europäische Regeln die Gefahr des Exports und des Miß-
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Peter
brauchs zu reduzieren. Dann brauchte man nicht immer auf den Europäischen Gerichtshof zu starren.
Kriterium ist nicht nur Sozialgerechtigkeit, sondern auch Sachangemessenheit in der Auseinandersetzung mit der Frage der grenzüberschreitenden Aktivitäten. Mir scheint der entscheidende Ansatz zu sein: Wir brauchen Instrumente gegen Entlassungen als Folge von Grenzüberschreitungen bei Unternehmenszusammenschlüssen. Wir brauchen die Verbesserung der Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung bei grenzüberscheitend tätigen Unternehmen. Wir müssen uns auseinandersetzen mit der Frage der Weitergeltung von Tarifverträgen und Sozialgesetzen bei öffentlichen Aufträgen. Dabei ist die Transferierbarkeit betrieblicher Sozialleistungen sicherlich ein Problem. Aber wenn man Grenzüberschreitung und Freizügigkeit als wesentliche Elemente des Binnenmarktes begreift, dann wird man sich auch mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Vom Totschweigen eines solchen Problems ist eigentlich noch nie jemand klüger geworden.
Sozialrechtliche Erfassung aller grenzüberschreitenden Tatbestände ist das europapolitische Erfordernis.Wir müssen fragen, was aus der Realisierung eines europäischen Arbeitsmarktes für Vermittlung und Verfügbarkeit an Konsequenzen erwächst. Wir müssen uns mit der Problematik der Subventionierung von Sozialleistungen innerhalb der EG beschäftigen. Das ist ein Thema, das genauso auf die Tagesordnung gehört wie Subventionierung im Bereich der anderen Binnenmarktaspekte.Ein Problem bedarf der Erörterung für die Zukunft, wenn man zu einer sozialpolitischen Kompetenz der EG kommen will, und zwar das Problem der Subsidiarität. Es ist unstrittig, das Prinzip der Subsidiarität als ein Strukturprinzip der EG zu begreifen. Aber es kann kein Verhinderungsinstrument sein, sondern es müssen für das Greifen des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene nachvollziehbare Kriterien entwickelt werden, wie Reichweite der Sachprobleme, weil sonst, wenn nicht die entsprechende Ebene politisch handelt, immer die Gefahr von Teillösungen zu Lasten Dritter besteht. Das leuchtet bei den physischen Gegebenheiten ein, etwa im Umweltschutz. Das leuchtet bei Produktnormen ein. Bei Verhaltensnormen der europäischen Bürger wird es schon schwieriger. Das leuchtet bei kostenwirksamen Normen im Bereich des anlagenbezogenen Umweltschutzes und auch bei kostenwirksamen Normen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts ein.
— Jetzt hat einer gesprochen, der es eigentlich besser wissen müßte, Herr Kollege Heinrich.Wenn diese Diskussion im Vorfeld der Regierungskonferenz II einen Sinn haben soll, dann ist es eigentlich der Sinn, der in der Ziffer 4 unseres Antrags zum Ausdruck gebracht wird: daß die Bundesregierung mit einem Konzept zur sozialen Dimension in die Beratung der Regierungskonferenz gehen sollte und sich an die Spitze setzt. Die Vorkonferenz hat gezeigt, daß die Belgier oder die Spanier sehr viel bereiter sind, daß aber die Bundesregierung eher eine abwartende Position einnimmt, obwohl sie von der Wirtschaftskraft her eigentlich an der Spitze stehen müßte.Ich hoffe, daß die Debatte auch zu später Stunde dafür einige Anstöße gibt, und danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarkts, von dem mehr Wohlstand und Beschäftigung erwartet wird, ist von ebenso großer Bedeutung wie die Vereinigung Deutschlands. Wenn die Europäische Gemeinschaft vom Bürger akzeptiert werden soll, dann müssen wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt einander ergänzen. Nicht zu vergessen ist die Forderung nach einer zwingenden Weiterentwicklung der demokratischen Strukturen Europas.Deshalb hat der Europäische Rat in Madrid zu Recht den sozialen Aspekten die gleiche Bedeutung wie den wirtschaftlichen beigemessen. Den wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten muß die Chance gegeben werden, aus eigener Kraft, aber mit unserer Unterstützung ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern und damit auch die Voraussetzungen für bessere Arbeits- und Sozialbedingungen zu schaffen. Deshalb müssen diese Länder ihre Kosten- und Standortvorteile nutzen können. Wenn diesen Staaten ein überhöhtes Sozialleistungsniveau abgefordert würde, so würden nicht nur die gewachsenen und unterschiedlichen Arbeits-, Rechts- und Sozialstrukturen außer acht gelassen, der notwendige Aufholprozeß erschwert, die regionalen Ungleichgewichte verstärkt, sondern es würden auch Forderungen nach zusätzlichen Finanztransfers für unterentwickelte Mitgliedstaaten zunehmen. Eine Anhebung des Sozialniveaus in der Gemeinschaft auf den deutschen Standard ist wegen der damit verbundenen Kosten — es würde ungefähr 900 Milliarden DM jährlich kosten — ebenso inakzeptabel wie eine Absenkung unseres Sozialniveaus.Lassen Sie mich nur einige wenige Punkte besonders ansprechen.Erstens. Wir sind zur Hilfe für die weniger entwikkelten Mitgliedstaaten bereit, doch nicht über einen unkontrollierten Sozialleistungstransfer.
Zu Recht warnt deshalb der Sachverständigenrat vor den Gefahren des europäischen Sozialtourismus, da zu erwarten sei, daß findige Europäer bestrebt sein werden, Sozialleistungen in den Ländern in Anspruch zu nehmen, wo das Leistungsniveau hoch und die individuelle Leistungsvoraussetzung niedrig sind. Eine Europäisierung der Leistungsansprüche bei Beibehaltung der nationalen Finanzierungssysteme werde, so der Sachverständigenrat weiter, die nationalen Sicherungssysteme destabilisieren. Dies kann
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Heinrichweder in unserem noch im europäischen Interesse liegen. Deshalb ist es mehr als problematisch, wenn die EG-Kommission beharrlich für eine Aufhebung des Territorialitätsprinzips plädiert. So wären Arbeitslosengeld oder -hilfe auch dann weiter zu zahlen, wenn sich ein Arbeitsloser auf Dauer in einen anderen Mitgliedstaat begibt. Dies würde z. B. bei der Arbeitslosenhilfe zu einer Dauersubventionierung aus unseren Kassen führen. Bei den niedrigen Arbeitseinkommen und Lebenshaltungskosten in verschiedenen Mitgliedstaaten würde einerseits der Anreiz zur Arbeitsaufnahme gemindert, andererseits ein sorgloses Leben auf Kosten der bundesdeutschen Steuer- oder Beitragszahler in sonnigen Gefilden ermöglicht.Für problematisch halte ich auch die Entscheidungen des EuGH zum Kindergeld, denn es leuchtet nicht ein, daß Kindergeld auch dann voll für im Ausland lebende Kinder zu zahlen ist, wenn in der Heimat bestehend Ansprüche bewußt nicht in Anspruch genommen werden. Sollte sich diese Auffassung in der Kommission durchsetzen, müßten Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung in andere EG-Länder exportiert werden. Damit würde nicht nur der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum für neue Sozialleistungen in unerträglicher Weise beschnitten, sondern auch erhebliche Kosten auf unsere Rentenversicherung zukommen. Deshalb halten wir am Territorialitätsprinzip als einer wichtigen Begrenzung der Leistungen in der Sozialversicherung und des nationalen Sozialrechts fest.Zweitens. Kritisch muß auch das Bestreben der Kommission stimmen, durch die Wahl bestimmter Rechtsvorschriften möglichst überall Mehrheitsentscheidungen zu ermöglich. Damit wird die im EG-Vertrag vorgesehene Einstimmigkeit in besonders sensiblen Bereichen, z. B. Art. 100a Abs. 2, unterlaufen. Als Beispiel sei hier die Mitbestimmungsregelung bei der europäischen Aktiengesellschaft genannt. Hinzu kommt, daß die von der Kommission vorgeschlagenen Mitbestimmungsmodelle von der Bundesregierung nicht als gleichwertig angesehen werden und die Gefahr einer Aushöhlung der deutschen Mitbestimmungsregelungen nicht von der Hand zu weisen ist.Man muß sich ernsthaft fragen, ob das Projekt dieser europäischen Aktiengesellschaft auch im Hinblick auf die große Zurückhaltung der Sozialpartner wirklich weiterverfolgt werden sollte. Da die deutschen Mitbestimmungsregelungen bei den anderen Mitgliedstaaten — dies gilt sowohl für Regierungen, Gewerkschaften als auch für Arbeitgeberverbände — auf Widerstand stoßen, erscheint uns die von der SPD geforderte Ausweitung der Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Unternehmen — Kollege Peter hat das heute abend wieder unterstrichen — mehr als problematisch und geeignet, die Unterschiede in der Gemeinschaft an und für sich noch zu vertiefen.Drittens. Beim Arbeitsschutz hat die Gemeinschaft erkennbare Fortschritte gemacht. Dies ist auch ausgesprochen zu begrüßen. Allerdings dürfen Kollisionen zwischen sozialen und wirtschaftlichen Zielsetzungen, wie sie im Zusammenhang mit der Maschinenrichtlinie deutlich wurden, nicht zu einer unvertretbaren Aufweichung unseres hohen Arbeits- und Verbraucherschutzes führen.Viertens. Da wir kein zentralistisches, bürokratisches Europa wollen, sollte die Institution der Gemeinschaft dem Subsidiaritätsprinzip stärker Rechnung tragen als bisher. Wenn im Rahmen der geplanten Regierungskonferenz über die politische Union auch über das Verhältnis der Institutionen der Gemeinschaft nachgedacht wird, sollte neben der notwendigen Stärkung des Europäischen Parlaments auch die intensivere Beteiligung der nationalen Parlamente ins Auge gefaßt werden.
Es wäre des Schweißes der Edlen wert, zu überlegen, wie die Möglichkeiten der Einflußnahme des Bundestages auf den innergemeinschaftlichen Entscheidungsprozeß verbessert werden können, zumal Bestrebungen des Bundesrates in die gleiche Richtung gehen. Eine möglichst präzise Abgrenzung gemeinschaftlicher und nationaler Kompetenzen könnte hier hilfreich sein.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die notwendige europäische Einigung bemüht in zunehmendem Maße die nationalen Sozialpolitiken. Bis ein ausgewogenes Gleichgewicht in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitgliedstaaten hergestellt ist, sollten von seiten der EG in der Sozialpolitik mehr Augenmaß und mehr Verständnis für die berechtigten Belange der Mitgliedstaaten gezeigt werden.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kottwitz.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir treffen uns heute auf Anregung des EG-Parlamentspräsidenten, im Rahmen einer EG-weiten Aktion zum Thema „Das soziale Europa" zu debattieren. Schade finde ich, daß der Sozialpolitik in dem anstehenden EG-Binnenmarkt eine Debattenzeit von nur einer Stunde und noch dazu zu dieser Stunde eingeräumt wird. Auf bundesdeutscher Seite kann man daher ja wohl nur von einem kleinen Aktiönchen sprechen.Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag der Kornmission zur Änderung der Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft ab, und zwar mit der Begründung, einer generellen Aufhebung des Territorialprinzips nicht zustimmen zu können. Sie befürchtet unübersehbare und vor allem finanziell unkalkulierbare Wirkungen deutscher Sozialvorschriften. Sogar ein freizügiger Familiennachzug wird im Europa der Bürger abgelehnt, da die Gefahr bestehen könnte, daß die wirtschaftliche Kraft eines Arbeitnehmers nicht ausreiche, die Familie zu versorgen.
Konkret geht es aber darum, daß die wirtschaftlich starken Länder nicht bereit sind, ihre zukünftig erheb-
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Frau Kottwitzlichen Gewinnzuwächse durch die Übernahme von Sozialkosten zu schmälern. Die vielgepriesene Freiheit des Waren- und Kapitalverkehrs schreitet zügig voran, jedoch fehlt eine flankierende Sozialpolitik.Freizügigkeit? Das berühmte Europa ohne Grenzen? Das soll es eben nur für Erwerbstätige geben. Rentner, Studenten und andere nicht im Erwerbsleben Stehende sollen bis jetzt draußen vorbleiben.
Wir fordern soziale Freizügigkeit auch für diejenigen, die vom Erwerbsprozeß ausgeschlossen sind. Das soziale Ungleichgewicht hat sich seit Gründung der EG gar nicht oder kaum verschoben. Die Starken sind auch heute stark und erhoffen durch den EG-Binnenmarkt eine territoriale Ausweitung. Die Schwachen sind und bleiben schwach. Die Schwächsten der Schwachen werden in die soziale Verelendung getrieben. Die Illusion, der künftige wirtschaftliche Aufschwung werde soziale Probleme der Lösung näherbringen, zerplatzt an der Utopie einer sozial gerechten Gewinnverteilung ; denn Unternehmensgewinne werden jedenfalls bisher an Arbeitnehmerinnen nicht freiwillig ausgeschüttet.Meine Damen und Herren, Delors hat vor dem Wirtschafts- und Sozialausschuß erklärt, zu laxe Normen würden das soziale Dumping in den reichen Mitgliedsländern begünstigen. Kein Land kann ernsthaft vertreten, hinter seinen erreichten Standard zurückzugehen. Deshalb wird die Bundesregierung in dem Entschließungsantrag aufgefordert, zu verhindern, daß die Arbeitnehmerrechte beschnitten werden.Wir gehen hier weiter: Der Anhebungsprozeß in den Mitgliedsstaaten mit niedrigem Niveau darf nicht als willkommene Begründung eines bundesdeutschen Stagnationsprozesses mißbraucht werden. Der gewerkschaftliche Kampf um die Arbeitszeitverkürzung und anderes dürfen hier deswegen nicht behindert werden.Mit der Sozialcharta ist im Dezember 1989 ein sehr kärgliches Papier verabschiedet worden, welches nur unverbindliche Empfehlungen enthält, die nicht einklagbar sind.
Die Erklärung sozialer Grundrechte des Europarats hat demgegenüber regelrecht progressiven Charakter, entbehrt aber ebenfalls jeglicher Verbindlichkeit.Das nun zur Debatte stehende Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta und der sozialen Grundrechte enthält bis auf die fünf relevanten Richtlinienvorschläge nur Absichtserklärungen. Diese Richtlinienvorschläge werden, so wurde von der zuständigen Kommissarin Papandreou bekanntgegeben, jedoch kaum vor 1994 Realität erlangen können. Da die relevanten sozialpolitischen Bereiche noch immer per Einstimmigkeit im Rat entschieden werden müssen, ist völlig offen, ob diese Vorschläge so oder anders oder gar nicht den Rat passieren.Eine gewisse Eile — sonst Markenzeichen der Bundesregierung — wird durch das Beharren aufArt. 100a Abs. 2 unterbunden, der besagt, daß die grundsätzliche Möglichkeit von Mehrheitsabstimmungen für Vorhaben, die der Vollendung des Binnenmarkts dienen, nicht für die Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer gilt. Die Möglichkeit, über Art. 118a des EWG-Vertrages Mehrheitsbeschlüsse durchzusetzen, wird von der Bundesregierung, die sich gerne als Motor der europäischen Sozialpolitik bezeichnet, als Überdehnung angesehen, bewahrt man doch so sein Gesicht hinter dem breiten Rücken von Frau Thatcher. Bewahrt man doch so sein Gesicht hinter dem breiten Rücken von Frau Thatcher!Wir unterstützen den Vorschlag des Europäischen Parlaments, Art. 118a des EWG-Vertrags als Grundlage für sozialpolitische Initiativen zu nutzen.
Die Vorschläge der Kommission zur Sozialpolitik müssen, wie ebenfalls vom EP gefordert, noch vor Ende dieses Jahres vorliegen, um eine sozialpolitische Ausrichtung des Binnenmarktes fristgerecht zum 1. Januar 1993 zu ermöglichen.Welche Vorbereitungen in der Sozialpolitik Kohl und Blüm zum Europäischen Binnenmarkt beitragen, haben wir letztes Jahr am Beispiel des Beschäftigungsförderungsgesetzes deutlich gesehen. Dieses Gesetz erleichtert den Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen. Die BRD
gehört somit zu den Ländern, in denen es hinsichtlich Befristungsfreiheit weniger weitreichende Beschränkungen gibt. Befristete Arbeitsverträge und Möglichkeiten der Kettenarbeitsverträge sind bekanntlich ein Geschenk an die Unternehmen, um Sozialkosten zu sparen, und drängen gerade Frauen in die Willkür der Arbeitgeber.
Bis Dezember 1989 enthielt die ursprüngliche Fassung der Sozialcharta noch die Grundsicherung. Verabschiedet wurde aber nun ein Sozialgerüst aus Unverbindlichkeiten, aus dem die Grundsicherung natürlich herausgefallen ist.Deshalb begrüßen wir es besonders, daß die Fraktion der SPD wenigstens auf EG-Ebene im Aktionsprogramm unsere Forderung nach Mindestlohn und bedarfsorientierter Grundsicherung vertritt.Wir hoffen, daß dies ein kleiner Schritt in Richtung auf die von uns angestrebte gleichrangige, gleichzeitige Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsunion in einem entmilitarisierten Europa ist.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst daran erinnern, daß die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes in sich selbst eine soziale Tat schon deshalb darstellt, weil durch die Vollendung des EG-Binnenmarktes neue wirtschaftliche Kräfte und eine neue wirtschaftliche Dynamik in allen Ländern der EG hervorgerufen werden. Diese neue Dynamik führt zu mehr Arbeitsplätzen. Der Cecchini-Bericht beziffert diesen Gewinn an Mehrbeschäftigung auf mehrere hunderttausend Arbeitsplätze in der EG. Deshalb ist die Vollendung des Binnenmarktes aus sich selbst heraus schon eine soziale Tat. — Das ist das erste, was ich sagen möchte.
Das zweite ist, Frau Kollegin von den GRÜNEN, die Sie gerade gesprochen haben: Sie können hier natürlich nur deshalb so sprechen, weil Sie die Wirklichkeit in der EG nicht zur Kenntnis nehmen; denn soziale Dimension des Binnenmarktes ist keine Sprechblase.
Die Bundesregierung hat in der Zeit unserer Präsidentschaft eine Verdoppelung der Strukturfonds in der EG durchgesetzt, was bedeutet, daß die soziale Dimension finanziell in einem erheblichen Umfang gestärkt worden ist und daß über die Strukturfonds der soziale Zusammenhalt in der EG gestärkt worden ist.
— Herr Gilges, hören Sie erst einmal zwei, drei Sekunden zu. Ich hatte mir vorgenommen, mich relativ kurzzufassen. Wenn Sie mich aber reizen, nutze ich heute abend meine Zeit hier noch; denn nach 22.00 Uhr habe ich in meiner Familie kaum noch etwas verloren.Ich will auf folgendes hinweisen: In der Zeit der Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland haben wir ein Paket an Richtlinien und Verordnungen zur Verbesserung des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz auf den Weg gebracht. Die Richtlinien sind: die Arbeitsstättenrichtlinie, Maschinenrichtlinie, Richtlinie zur Verwendung von persönlichen Schutzausrüstungen, Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer an Bildschirmarbeitsplätzen, Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer beim Heben und Tragen von schweren Lasten und die dazugehörige Rahmenrichtlinie. Dieses Richtlinienpaket ist in den letzten Jahren konsequent verwirklicht worden. Der Arbeits- und Sozialministerrat hat am 29. Mai 1990, also vor zwei Tagen, dieses Richtlinienpaket vollendet. Die soziale Dimension des Binnenmarktes ist Wirklichkeit und keine Sprechblase.
Weiterhin will ich diese Debatte dazu benutzen, darauf hinzuweisen, daß deutsche Einheit und europäische Integration keine Gegensätze sind. Sie sind vielmehr aufeinander angewiesen. Sie ergänzen sich, und sie befruchten sich gegenseitig. Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer ist hierfür ein überzeugendes Beispiel. In den fachlich zuständigen Gremien der EG beginnt jetzt die sicherlich nicht spektakuläre, aber ungemein wichtige Arbeit, diese Charta in die Wirklichkeit umzusetzen.
Zur gleichen Zeit vollzieht sich in der DDR und in den Staaten Osteuropas ein Prozeß, der wegführt von einem totalitären Staat hin zu einem freiheitlichen Gemeinwesen, das mit seiner Sozialverfassung eng den politischen Werten folgen wird, die in der Gemeinschaftscharta niedergelegt sind. Die Gemeinschaftscharta bekommt deshalb eine neue Dimension. Ihr Geist und ihr Wortlaut können für die DDR und die Staaten Osteuropas Leitlinie für eine soziale Grundordnung im Geiste der Solidarität und der Subsidiarität sein.Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung an der Erarbeitung dieser Gemeinschaftscharta sozialer Grundrechte wesentlichen Anteil gehabt hat. Wir hätten es begrüßt, wenn es gleich zu einer Festlegung verbindlicher, einklagbarer Mindestnormen gekommen wäre.
Ich kann nur darauf verweisen, daß es ja auch eine Reihe sozialdemokratischer, sozialistisch-demokratisch regierter Staaten in Europa gegeben hat,
die nicht dazu beigetragen haben, daß es zu der Festlegung dieser Mindestrechte gekommen ist.
— Herr Kollege Gilges, ich will ja nur darauf hinweisen, daß es diese Bundesregierung fertiggebracht hat, mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden einen Neun-Punkte-Katalog von Themenbereichen zu entwickeln, die für die Arbeitnehmer wichtig sind und die in Form von Mindeststandards in der EG verwirklicht werde sollen.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihren Einfluß in der sozialistischen Internationale genutzt hätten, in den sozial-demokratisch und sozialistisch-demokratisch regierten Ländern Europas ebenfalls zu einer solchen Übereinstimmung zwischen den Tarifpartnern zu kommen. Sie haben das nicht erreicht. Ich frage mich, welchen Einfluß Sie haben.
— Ich frage mich, daß ich Ihnen heute abend gesundheitlich weiterhelfen kann, indem ich Ihren Kreislauf etwas belebe.Ich will jetzt noch kurz daraufhinweisen, daß wir uns ganz konsequent und beharrlich dafür einsetzen werden, daß dieser Neun-Punkte-Katalog zum Tragen kommt. Er ist nicht exklusiv, sondern wir stimmen
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16898 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1990
Parl. Staatssekretär Vogtmit dem Bundestag und dem Bundesrat darin überein, daß die Mitwirkungs- und Informationsrechte der Arbeitnehmer bei internationalen Konzernen ausgeweitet werden. Wir werden uns also beharrlich dafür einsetzen, daß diese Mindeststandards in der EG entwikkelt werden.
Herr Kollege Peter, ich würde es begrüßen, wenn diese Debatte dazu dienen könnte, diese Übereinstimmung, die wir in dieser Sache immer gehabt haben, nach außen zu dokumentieren. Hier wird in Teilen der Öffentlichkeit immer ein künstlicher Streit erzeugt, während wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — abgesehen von den GRÜNEN; aber darauf können wir verzichten — in diesen Punkten immer übereinstimmen. Ich hoffe, daß aus dieser Debatte die Kräfte der Einigkeit und die Kräfte der Übereinstimmung gestärkt hervorgehen.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7284 federführend an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und mitberatend an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge dazu? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Zum Zusatztagesordnungspunkt 14 kommen wir nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/7232. Das ist das Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Jetzt kommt der Zusatztagesordnungspunkt 15. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/7263 ab. Das betrifft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft und die Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ausbildung und Ausbildungsstätten in der Altenpflege
— Drucksache 11/7094 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Bildung und WissenschaftInterfraktionell wird vorgeschlagen, die vorgesehenen Debattenbeiträge zu Protokoll zu nehmen. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden?
— Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen*).Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7094 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 18 auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster , Horn, Erler, Fuchs (Verl), Graf, Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow,Dr. Kübler, Leidinger, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Koschnick, Kühbacher, Nagel, Opel,Dr. Scheer, Schulte , Dr. Soell, Voigt (Frankfurt), Walther, Dr. Böhme (Unna), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDVerkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes und Anpassung der Dauer des Zivildienstes— Drucksache 11/6791 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster , Horn, Erler, Fuchs (Verl), Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Leidinger, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Koschnick, Kühbacher, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte (Hameln), Dr. Soell, Voigt (Frankfurt), Walther,Dr. Böhme , Graf, Büchner (Speyer), Schmidt (Nürnberg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDEinberufungspraxis zum Grundwehrdienst — Drucksache 11/6833 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß*) Anlage 6
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Vizepräsident Westphalc) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENSchritte zur Ausgestaltung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung sowie zur Abschaffung von Zivildienst und Wehrpflicht— Drucksache 11/6865 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
InnenausschußVerteidigungsausschußHaushaltsausschußd) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Wehrdienstverweigerungaus Gewissensgründen und zum Ersatzdienst— Drucksache 11/5512 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
VerteidigungsausschußAuch hier ist interfraktionell vorgeschlagen worden, die vorgesehenen Debattenbeiträge zu Protokoll zu nehmen. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden?
— Ich stelle dies fest. Dann ist das so beschlossen *).Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/5512, 11/6791, 11/6833 und 11/6865 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe nun den heute nachmittag aufgesetzten Zusatztagesordnungspunkt auf:Zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfsder Bundesregierung zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften— Drucksachen 11/6544, 11/6884 — *) Anlage 7a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses— Drucksache 11/7302 —Berichterstatter: Abgeordnete Lutz RichterGerster Suchb) Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO— Drucksache 11/7303 —Berichterstatter:Abgeordnete Deres KühbacherFrau Seiler-Albring Frau VennegertsDazu ist eine Aussprache nicht vorgesehen.Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf — Drucksachen 11/6544, 11/6884 und 11/7302 —.Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen worden sind.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch hier ist festzustellen, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Juni 1990, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.