Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 19. Februar 1990 gebeten, gemäß Art. 1 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" sechs Mitglieder des Deutschen Bundestags zu benennen, die in das Kuratorium entsandt werden sollen.Die Fraktion der CDU/CSU schlägt Herrn Abgeordneten Neumann , Herrn Abgeordneten Niegel als ordentliche Mitglieder sowie Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski und Herrn Abgeordneten Regenspurger als stellvertretende Mitglieder vor. Die Fraktion der SPD schlägt Herrn Abgeordneten Duve und die Abgeordnete Frau Odendahl als ordentliche Mitglieder sowie die Abgeordnete Frau Hämmerle und Herrn Abgeordneten Soell als stellvertretende Mitglieder vor. Bei der Fraktion der FDP ist es die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher als ordentliches Mitglied und Herr Abgeordneter Dr. Hoyer als stellvertretendes Mitglied. Bei der Fraktion DIE GRÜNEN wird die Abgeordnete Frau Teubner als ordentliches Mitglied und die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer als stellvertretendes Mitglied vorgeschlagen.Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich sehe, das ist der Fall. Damit sind die genannten Kolleginnen und Kollegen in das Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" entsandt.Bevor wir in der verbundenen Tagesordnung fortfahren, möchte ich Sie darüber informieren, daß interfraktionell Einvernehmen darüber besteht, die Tagesordnung um die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Milch- und Margarinegesetzes auf Drucksache 11/6643 zu erweitern.Ich rufe diesen Punkt hiermit auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Milch, Milcherzeugnisse, Margarineerzeugnisse und ähnliche Erzeugnisse
— Drucksache 11/6643 —
Der Gesetzentwurf soll ohne Aussprache an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur federführenden Beratung sowie an den Wirtschaftsausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen werden.Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Sofortiger Abzug der US-Truppen aus Panama" auf Drucksache 11/6345 soll ebenfalls auf die Tagesordnung gesetzt werden.Ich rufe diesen Punkt auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENSofortiger Abzug der US-Truppen aus Panama— Drucksache 11/6345 —Dieser Antrag soll — ebenfalls ohne Aussprache — an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden.Weiterhin sollen mit Tagesordnungspunkt 11 die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/6701 zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Frau Unruh „Novellierung des Heimgesetzes" beraten werden.Zugleich soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.Sind Sie mit diesen Ergänzungen und Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 und einen weiteren Zusatztagesordnungspunkt auf:11. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes— Drucksache 11/5120 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
— Drucksachen 11/6622, 11/6693 —
Metadaten/Kopzeile:
15636 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident WestphalBerichterstatter: Abgeordneter Jaunich
ZP Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Frau UnruhNovellierung des Heimgesetzes— Drucksachen 11/5244, 11/6701 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HoffackerHierzu liegen Änderungs- und Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/6645, 11/6652 bis 11/6658 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Link .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten und heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf soll keine grundlegende Reform bei einer Heimunterbringung unserer Mitbürger eingeleitet werden. Dies ist nicht notwendig; denn in den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung in erheblichem Umfang Maßnahmen getroffen, um die Lebenssituation älterer Menschen in der Bundesrepublik zu verbessern.Erlauben Sie mir einige grundsätzliche Anmerkungen. Das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Heimgesetz hat wesentlich zur Verbesserung der Situation in den Heimen für ältere Menschen und Behinderte beigetragen. So ist seitdem sichergestellt, daß die Erlaubnis, ein Heim zu führen, an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen geknüpft ist.
Ebenso enthält das Gesetz Vorschriften darüber, daß durch ein Mitwirkungsrecht ältere Mitbürger bei einer Heimunterbringung vor Bevormundung und Übervorteilung geschützt werden.
Die verstärkte Förderung ambulanter Betreuungsmaßnahmen durch das Gesundheits-Reformgesetz ist zu einem wichtigen Eckpunkt unserer Altenpolitik geworden.Wenn nunmehr geltende Bestimmungen des Heimgesetzes geändert werden sollen, so doch deshalb, um zwischenzeitlich eingetretenen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland Rechnung zu tragen und den Schutz derjenigen Personen weiter auszubauen, die ihren Lebensabend in einem Heim verbringen.
Leitgedanke bei der Beratung des Gesetzes war für meine Fraktion, dafür Sorge zu tragen, daß Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Heimbewohner so verankert werden, daß eine Bevormundung in Heimen möglichst vermieden oder ausgeschlossen wird. Das betrifft vor allem die Schwerpunkte der Gesetzesvorlage: einmal die Ausgestaltung des Heimvertrages, zum zweiten aber auch die Mitwirkung der Heimbewohner in inneren Angelegenheiten des Heimbetriebs durch die Bildung von Heimfürsprechern.
Bislang war lediglich Voraussetzung für die Aufnahme in ein Heim, daß zwischen Heimträgern und Heimbewohnern ein entsprechender Vertrag, aber ohne genauere Festlegung, abgeschlossen wurde. Die inhaltliche Ausgestaltung blieb daher den Verhandlungen der Vertragsparteien überlassen mit der Folge, daß bei anfechtbaren Praktiken durch den Heimträger die Rechtsstellung des Heimbewohners nicht in ausreichendem Maße gewahrt wurde.Neben einer genaueren Beschreibung der einzelnen Rechte und Pflichten der Beteiligten ist nunmehr auch eine genaue Angabe des zu entrichtenden Entgelts festgelegt. Ebenso ist der Heimträger verpflichtet, die Höhe des Entgelts dann anzupassen, wenn sich der Gesundheitszustand des Bewohners verschlechtert oder auch verbessert hat.Eine andere wichtige Regelung betrifft die Verbesserung der Mitwirkungsrechte der Heimbewohner durch die Einführung eines Heimfürsprechers. Die Bildung von Heimbeiräten hat in der Vergangenheit oftmals dann zu Schwierigkeiten geführt, wenn die Bewohner wegen Krankheit oder Behinderung außerstande waren, dieses Gremium zu bilden. Damit ihnen künftig die Gelegenheit gegeben wird, ihre Wünsche und Vorstellungen gegenüber der Heimleitung zu vertreten, ist mit dem Heimfürsprecher ein wirkungsvoller Ansatz gegeben, das Recht auf Selbstbestimmung dieser Personen zu verwirklichen.
— Frau Kollegin Unruh, wahrscheinlich haben nur Sie allein Ahnung in diesem Hause.
Das merkt man an Ihren Zwischenrufen. Ich darf Ihnen sagen, daß ich aus der Praxis komme,
jahrelang in Heimen mit älteren Menschen zusammen gelebt und gearbeitet habe.
— Seien Sie doch nicht so arrogant zu meinen, nur Sie wüßten immer alles und nur Sie könnten alles richtig beurteilen. Ihre Zwischenrufe in diesem Parlament werden langsam peinlich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15637
Link
Was die von der SPD vorgelegten Änderungsanträge angeht, so kann ich nur meiner Verwunderung Ausdruck geben, da die hierin enthaltenen Vorschläge im Ausschuß hinreichend behandelt worden sind.
Die Einbeziehung von Übergangseinrichtungen, Wohnheimen für psychisch Kranke und Einrichtungen zur Kurzzeitpflege in das Heimgesetz würde die Schutzregelung für Benutzer aller stationären und teilstationären Einrichtungen insoweit sprengen, als dann auch der gesamte ambulante Betreuungsbereich berücksichtigt werden müßte.
: Was ist dagegen zu
sagen?)Die auf eine Heimunterbringung ausgerichteten Regelungen sind nicht geeignet, eine Kurzzeit- oder ambulante Betreuung zu berücksichtigen. Zunächst sollte die weitere Entwicklung abgewartet werden, um sodann erneut zu prüfen, welche Regelungstatbestände für die Betreuung im ambulanten Bereich sinnvoll erscheinen.Was die Forderung der SPD nach Schaffung eines Heimmindestpersonalschlüssels anbetrifft, so ist in der Begründung zum Gesetz bereits dargelegt, daß hierauf verzichtet werden kann. Der Vorschlag der SPD auf Einhaltung eines Mindestschlüssels, der sich sicherlich nur auf dem unteren Niveau bewegen würde, bringt jedenfalls nicht die gewünschte Verbesserung.Die Einsetzung eines Heimfürsprechers nur nach Sachaufklärung über die Gründe, warum ein Heimbeirat nicht gebildet werden kann, sowie nach Anhörung der Betroffenen halte ich ebenfalls für überflüssig. Ich weise darauf hin, daß die Stellung eines Heimfürsprechers eine reine Ersatzregelung für die Zeit darstellt, in der ein Heimbeirat nicht gebildet werden kann. Hierbei auch noch das Gemeindeparlament einzuschalten erscheint wegen der gebotenen Flexibilität unzweckmäßig.Damit gewährleistet wird, daß die zuständige Behörde bei der Bestellung eines Heimfürsprechers nicht einseitig verfährt, werden Einzelheiten bezüglich des Heimfürsprechers in die Heimmitwirkungsverordnung auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU aufgenommen. Eine solche Regelung schließt natürlich nicht aus, daß der Heimfürsprecher gegenüber dem Kommunalparlament über seine Tätigkeit berichtet. Entsprechende Bestimmungen können ebenfalls in der Heimmitwirkungsverordnung festgelegt werden.Den Antrag, dem Heimbeirat bei der Aufstellung der Haushalts- und Wirtschaftspläne eine Mitbestimmung einzuräumen, halte ich ebenfalls für bedenklich. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß der Heimträger an derartige Planungen nicht gebunden wäre. Die wirtschaftliche Entwicklung der Einrichtung könnte ihn nämlich zwingen, jederzeit hiervon abzuweichen und anderweitig zu disponieren. Insoweit käme eine Mitbestimmung einer Mitwirkung gleich. Sollte jedoch eine Bindung des Heimträgers an den Haushalts- und Wirtschaftsplan zwingend festgelegt werden, würde dies zu einer auch verfassungsrechtlich anfechtbaren Regelung führen.Zur Betreuung pflegebedürftiger Bewohner auch die Prävention und Rehabilitation von altersspezifischen Erkrankungen einzubeziehen ist keine neuartige Erkenntnis. Diese Maßnahmen sind bereits heute ein Teil einer sachgerechten Betreuung, wobei sich die Prävention nicht nur — wie im Antrag enthalten — auf die Betreuung pflegebedürftiger Bewohner beziehen darf. Es geht daher nicht nur um die Begründung neuer, sondern auch um die Erfüllung bereits bestehender Pflichten.Meine Fraktion sagt aber: Es reicht vollkommen aus, die Einhaltung dieser Leistungspflichten in einen Entschließungsantrag aufzunehmen; wir legen einen entsprechenden Antrag vor.
Von daher fordern wir, daß die Bundesregierung bei den für die Durchführung des Gesetzes zuständigen Ländern darauf hinwirkt, im Rahmen der Betreuung der Heimbewohner auch aktivierende Hilfen in erforderlichem Umfang sicherzustellen.Die Überwachung der Heime durch wiederkehrende unangemeldete Prüfungen durch die zuständigen Behörden mindestens einmal jährlich ist bereits im Ausschuß erörtert worden und hat als Forderung in die Beschlußempfehlung des Ausschusses Eingang gefunden. Im übrigen verweise ich darauf, daß die Durchführung unangemeldeter Prüfungen schon nach der bestehenden Rechtslage jederzeit zulässig ist. Teilweise wird in der Praxis danach verfahren.
Die Trennung der Durchführung der Überwachung der Einrichtung zwischen der zuständigen Behörde und dem jeweiligen Kostenträger ist aus Gründen der Vermeidung von Interessenkonflikten geboten. Den Ländern obliegt es, dafür Sorge zu tragen, daß die entsprechende Überwachung frei von Kompetenz- und Interessenkonflikten der beteiligten Behörden bleibt. Dazu gehört auch die im Antrag geforderte Trennung der Überwachung von Maßnahmen der Sozialhilfe.Einige kurze Anmerkungen zum Inhalt des Entschließungsantrags der SPD. Sowohl die Umsetzung der Heimmindestpersonalverordnung als auch die Beachtung der Mitwirkungsrechte der Heimbewohner sind durch die im Ausschuß nunmehr beschlossene Fassung hinreichend berücksichtigt. Es besteht keine Notwendigkeit, neue Korrekturen vorzunehmen. Ich vermag auch nicht einzusehen, daß hier die in den Änderungsanträgen der SPD enthaltenen Forderungen nochmals wiederholt werden. Damit wird die Zielsetzung des Gesetzentwurfes keineswegs verbessert.Es besteht darüber hinaus keine Veranlassung, noch in dieser Legislaturperiode eine weitere Novelle zu erarbeiten. Das würde nur Unsicherheit und Unverständnis mit sich bringen. Wir sollten doch nicht meinen, daß mit der Verabschiedung eines Gesetzes sogleich weitere Veränderungen eingeleitet werden müssen. Überlassen wir es doch der Praxis, mit den
Metadaten/Kopzeile:
15638 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Link
neuen Regelungen umzugehen und sie so anzuwenden, daß ein neuer Regelungsbedarf überflüssig wird.
Zu berücksichtigen ist, daß die Regelung des Heimgesetzes im Bereich der Altenpolitik nur einen kleinen Ausschnitt dafür bietet, die Lebensqualität zu erhöhen und die Interessen der älteren Generation bei der Heimunterbringung durch mehr Selbstbestimmung und Mitwirkungsmöglichkeiten zu wahren.
Die mit der Neufassung des Heimgesetzes beschlossenen Maßnahmen sind zwar grundsätzlich zu begrüßen, doch bedürfen sie der Ergänzung durch eine qualitative Verbesserung der Ausbildung im Beruf des Altenpflegers. Bisherige landesrechtliche Regelungen sollten durch Bundesgesetz ergänzt werden, das einheitliche Voraussetzungen dafür schafft, daß die fachliche und persönliche Qualifikation dieses Berufsstandes die erforderliche gesellschaftliche Anerkennung finden kann.So hat sich zunehmend gezeigt, daß die bisherige zweijährige Ausbildung der Altenpfleger den heutigen Anforderungen im Altenpflegebereich nicht mehr gerecht wird. Nur eine durchgreifende Reform der Ausbildung kann die Anforderungen für die Ausbildung dieses Berufes erfüllen und damit die Grundlagen dafür schaffen, unseren älteren und pflegebedürftigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die bestmögliche Betreuung zuteil werden zu lassen. Zu begrüßen ist daher, daß sich die Bundesregierung gegenwärtig bemüht, das Berufsbild des Altenpflegers bundeseinheitlich zu regeln.Ein Politiker kann über die Novellierung des Heimgesetzes und das Berufsbild des Altenpflegers nicht sprechen, ohne den Tausenden von Altenpflegerinnen und Altenpflegern in der Bundesrepublik Deutschland für ihre außerordentlich aufopfernde Tätigkeit zu danken. In den meisten Heimen wird mit viel Fachkenntnis und Liebe die tägliche schwere Arbeit für unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger getan. Hervorzuheben sind aber auch die vielen tausend nachbarschaftlichen und ehrenamtlichen Helfer.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen um ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf auf der Grundlage der Beschlußempfehlung auf der Drucksache 11/6622.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seuster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation in unseren Alten- und Pflegeheimen ist besorgniserregend. Das Durchschnittsalter der Bewohner liegt bei 82 Jahren. Der Grad der Pflegebedürftigkeit nimmt zu. Schwestern und Pfleger sind bis an die Grenzen des Zumutbaren belastet, ein Zustand, der mit dem Ausdruck Pflegenotstand beschrieben wird.Die schlechte Bezahlung des Personals, die hohe Belastung durch Schicht- und Wochenenddienst bei ständigen Überstunden läßt viele junge Menschen, die ihre Tätigkeit hochmotiviert angetreten haben, resignieren. Die Zahl der Auszubildenden in den Pflegeberufen sinkt dramatisch. Schon heute können freie Stellen nicht mehr besetzt werden.Die Kosten für einen Heimplatz sind im letzten Jahr wieder erheblich gestiegen. Nur ein kleiner Teil der Bewohner der Altenheime kann die teuren Heimplätze selbst bezahlen. Die große Mehrheit der Bewohner wird im Alter von Sozialhilfe abhängig und damit zu Taschengeldempfängern.Es besteht für den Gesetzgeber dringend Handlungsbedarf, zumindest im Ansatz die Probleme der stationären Pflege zu lösen. Der Gesetzentwurf zur Heim-Novelle, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, bringt diese notwendigen gesetzgeberischen Korrekturen jedoch nicht. Er geht auf die Sorgen und Nöte der Heimbewohner nicht ein.
Schon in der Anhörung zum Gesetzentwurf ist dieser Umstand deutlich kritisiert worden. Die Vertreter der Wohlfahrtsverbände — Sie wissen alle, daß bei drei Vierteln dieser Einrichtungen die freien Wohlfahrtsverbände Träger sind — fällten folgendes Urteil — nur einige Passagen — : Der Gesetzentwurf gehe am Regelungsbedarf vorbei und erfülle eine reine Alibifunktion. Die jetzt beabsichtigten Regelungen seien nicht erforderlich, aber auch nicht schädlich; denn das, was heute beschlossen werden soll, ist schon lange Bestandteil der Musterheimverträge der Wohlfahrtsorganisationen. Die zentralen Interessen könnten nicht durch Ordnungsvorschriften gesichert werden. So einige Stimmen.Auf die vernichtende Kritik der Sachverständigen während der Anhörung zu dieser Gesetzesnovelle haben die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen im Ausschuß keine Rücksicht genommen. Sie ließen nur einige kosmetische Änderungen zu.
Die wirklich entscheidenden Probleme werden auch hier und heute nicht gelöst. In der Ausschußberatung haben Sie dazu eine Entschließung eingebracht, die Sie heute nicht einmal mehr vorlegen. Das ist zuwenig. Wer etwas ändern will, der muß es ins Gesetz schreiben.
Deshalb stellt die SPD-Fraktion heute ihre Änderungsanträge. Wir werden diesem Gesetz auch nur zustimmen können, wenn unsere Änderungsanträge angenommen werden.Wir beantragen, die Einbeziehung von Übergangseinrichtungen, Wohnheimen psychisch Kranker und Einrichtungen für Kurzzeitpflege in den Schutzzweck des Gesetzes aufzunehmen. Denn diese Einrichtungen gewinnen für alte, pflegebedürftige und behinderte Menschen zunehmend an Bedeutung. Hier ist es dringend erforderlich, auch gesetzliche Schutzmaßnahmen zu regeln.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15639
Frau SeusterWir beantragen darüber hinaus, die Streichung der Ermächtigung für den Erlaß einer Mindestpersonalverordnung rückgängig zu machen. Hiermit gibt die Bundesregierung das einzige Instrument auf, das sie überhaupt hat, um Pflege zumindest auf einem niedrigen Standard zu sichern. Wie soll denn eine Heimaufsicht prüfen, ob genügend Pflegepersonal in den Einrichtungen vorhanden ist, wenn es diesen Mindestpersonalschlüssel nicht gibt und viel weniger Pflegekräfte vorhanden sind?
Wir beantragen eine echte Mitbestimmung bei der Aufstellung der Haushalts- und Wirtschaftspläne, zumindest dann, wenn Heimbewohner Finanzierungsbeiträge für das Heim geleistet haben.
Die Heimbewohner haben zur Zeit über die Heimbeiräte nur eine sehr begrenzte Form der Mitwirkung, und zwar selbst in den Fällen, in denen sie erhebliche Beiträge in Form von Darlehen geleistet haben. Ich meine, es wäre notwendig, ihnen bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben.Wir beantragen darüber hinaus, daß die Einsetzung eines Heimfürsprechers nur dann zulässig ist, wenn sachliche Gründe nachgewiesen werden, die die Bildung eines Heimbeirates unmöglich machen. Dazu müssen die Betroffenen gehört werden; die Einsetzung des Heimfürsprechers bedarf der Bestätigung durch die kommunale Selbstverwaltung.Es muß sichergestellt werden, daß auch jede noch so geringe Form der Mitwirkung, die den Heimbewohnern selbst möglich ist, wahrgenommen wird. Die Gefahr, daß stationär untergebrachte Personen sonst praktisch entmündigt werden, widerspricht auch dem Grundgedanken, wie sie im Entwurf eines Betreuungsgesetzes vorgesehen sind.
Hier laufen zwei Gesetze völlig aneinander vorbei.
Die Bestätigung des Heimfürsprechers durch die Gemeindeparlamente stellt sicher, daß nicht nur den Behörden bequeme Personen benannt werden und daß sich auch gerade die Selbstverwaltung mit diesem Problem auseinandersetzt.
— Ich komme aus einem Kommunalparlament. Ich glaube, es tut ganz gut, wenn man über diese Personen dort auch einmal diskutiert.
Wir beantragen die Aufnahme von Rehabilitation und Prävention in die Liste der Mindestangebote von Pflegeheimen. Herr Link, Sie sagen, das ist heute selbstverständlich. Warum schreiben wir es dann nicht fest, damit es auch da selbstverständlich wird, wo vielleicht noch Ausnahmen sind? Wir wollen jedenfalls, daß Rehabilitation und Prävention zum Katalog der Leistungen gehören.
Wir beantragen die Einführung von unangemeldeten Prüfungen der Heimaufsichtsbehörden, zumindest einmal jährlich, sowie eine Trennung der Aufsichtsbehörde und der Behörde, die Kostenträger für die Einrichtung ist, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Die Begründung dazu ist: Bei angemeldeten Überprüfungen besteht die Möglichkeit, Zustände zu vertuschen, z. B. an dem Tag das Personal in dem zu prüfenden Heim durch Personal aus einem anderen Heim aufstocken zu lassen. Solche Möglichkeiten gibt es, und das wird auch heute so gemacht. Unangemeldet kann so etwas nicht geschehen.Diese von mir vorgestellten Anträge würden diese Gesetzesnovelle erst zu einem wirklichen Reformgesetz machen. Deshalb noch einmal: Wir können nur dann zustimmen, wenn dieses Gesetz entsprechend geändert wird. Denn die Regierungskoalition hat eine erste Novelle zur Änderung des Heimgesetzes vorgelegt, die an der Sache völlig vorbeigeht.Insgesamt führen die vorgelegten Ergänzungen und Änderungen des Heimgesetzes zu einer Bürokratisierung. Die wirklich zentralen Interessen der Heimbewohner können so nicht gesichert werden. Die Lebensqualität der Heimbewohner ist in erster Linie von befriedigenden Rahmenbedingungen abhängig. Dazu gehört ein Heimgesetz mit den von uns eingebrachten Änderungen, aber auch die Neuregelung der Heimpflegekosten. Hierzu müßte heute eigentlich parallel ein entsprechendes Gesetz beraten werden.Die Absicherung des finanziellen Risikos bei Pflegebedürftigkeit im häuslichen, aber auch im stationären Bereich bedarf sowohl im Interesse der Pflegebedürftigen als auch im Interesse der Städte und Gemeinden dringend einer gesetzlichen Regelung. Ich weiß, wovon ich spreche. Mir liegt eine Resolution aus meinem Wahlkreis, dem Märkischen Kreis, vor, in der unter Federführung des Landrats und auch des Oberkreisdirektors — übrigens beide CDU — die Bundesregierung im Namen aller Bürgermeister und aller Hauptgemeindebeamten aufgefordert wird, endlich dafür zu sorgen, daß das finanzielle Risiko der Pflegebedürftigkeit gesetzlich gelöst wird, damit die Kommunen im Bereich der Sozialhilfe entlastet werden.
Sie haben auch mich angeschrieben und gebeten, mich dafür einzusetzen.
Ich kann dann zumindest antworten: Wir haben bei der Beratung des Gesundheits-Reformgesetzes Vorschläge eingebracht. Wir werden dies auch zum Schwerpunkt unseres Regierungsprogramms für die nächste Legislaturperiode machen. Ich hoffe, daß eine
Metadaten/Kopzeile:
15640 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau SeusterSPD-geführte Regierung das dann auch durchsetzen kann.
Nun hat die Abgeordnete Frau Walz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Würde ist eine achtungsfördernde Haltung, las ich in einem Wörterbuch. Würde ist der Schlüssel zum Leben, ja zum Überleben. Ein Kind verlangt — selbst wenn es die Erwachsenen, wir als Erziehende manchmal nicht wahrhaben wollen — die Respektierung seiner Würde und reagiert dann trotzig oder beleidigt auf Verletzungen. Doch die Würde des Alters ist zur Vokabel verkommen, weil Krankheit, Alter und Tod tabuisiert werden. Das Heimgesetz erfüllt deshalb eine wichtige Funktion in diesem Bereich.Die Gesellschaft hat in den letzten Monaten widerwillig — ja, ich sage widerwillig — zur Kenntnis nehmen müssen — und ist eigentlich schon wieder dabei, es zu vergessen — , daß ein Altern in Würde gefährdet ist, weil die Parameter für die nötigen Hilfen nicht mehr stimmen. Das Wort vom Pflegenotstand geht um. Leider ist dieses Wort vom Pflegenotstand geradezu kontraproduktiv. Wir werden es erleben, wenn wir Personal für unsere Einrichtungen suchen.Aber nicht nur die Gesellschaft verdrängt, sondern auch jeder einzelne von uns, auch unsere Parlamente. Wenn ich mir heute die Präsenz anschaue, dann habe ich mit dieser Behauptung wahrscheinlich recht.Vielleicht fühlen wir uns dem Gedanken gegenüber, mit allen möglichen Gebrechen alt zu werden, auch schlicht überfordert. Altern will nämlich gelernt sein. Ein bedeutender Philosoph — es war Nietzsche — hat einmal gesagt: Je stärker die Wissenschaften wachsen, desto stärker wachsen die Leiden.Alt werden in Würde ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein Problem unserer Gesellschaft und damit der Politik. Die sozialen Strukturen und die Familienzugehörigkeit sind längst nicht mehr so klar und so fest wie noch vor Jahren. Der alte Mensch ist vielmehr auf die Hilfe anderer, nicht seinem engeren Familien- oder Bekanntenkreis Angehörende angewiesen. Er muß sich auf sie verlassen können, und vielfach ist er von ihnen abhängig. Kein Gesetz darf daher die neuen gesellschaftlichen Veränderungen außer acht lassen, weil immer mehr Menschen allein leben und weil Pflegebedürftige im Alter nicht auf Familienangehörige hoffen können. Vor allem die Frauen überleben ihre Männer, was zu einer Verweiblichung des Alters, zu einer Verweiblichung unseres Problems führt.Um diesen alten Menschen eine angemessene Pflege und Betreuung zu bieten, sind stationäre Einrichtungen nach wie vor nötig. Pflege in einer Einrichtung ist auch dann richtig, wenn die Angehörigen durch die Schwere der Pflege überfordert oder durch ihre Berufstätigkeit nicht dazu in der Lage sind. Nach neuesten Untersuchungen wird ein hoher Prozentsatz alter Menschen von ihren ebenfalls betagten Ehepartnern gepflegt, was häufig zu Überforderung und Erkrankungen führt.Meine Damen und Herren, wir haben die Würde des Alters zu achten. Um diese Würde des Alters, um Selbstachtung, aber auch um Selbstbestimmung geht es in dieser Novelle. Vor beinahe 15 Jahren wurde das Heimgesetz verabschiedet und muß nun in wichtigen Teilen Veränderungen und Diskussionen aufnehmen, die inzwischen die Betreuung von alten Menschen in Heimen geprägt haben. Dabei ist von der Tatsache auszugehen, daß die Menschen versuchen, so lange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung zu bleiben, und in der Regel erst mit durchschnittlich 83 Jahren in ein Heim kommen, häufig mit vielen Gebrechen.Deshalb sind die Heime inzwischen zu Quasikleinstkrankenhäusern geworden. Die Pflege ist in den Vordergrund getreten, und die Versuche, altersgerecht zu rehabilitieren und zu reaktivieren, finden täglich statt. Wir haben erkannt — leider nicht so sehr von der Wissenschaft inspiriert — , daß auch ein alter, kranker Mensch bei richtigen Rehabilitationsschritten leichter und würdevoller leben kann.Diesem Gedanken wird in dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalition Rechnung getragen;
ich gebe zu: noch nicht ausgeprägt; aber als wichtiger Denk- und Handlungsansatz ist er nun festgeschrieben.Zur Würde eines alten Menschen gehört es auch, daß er weiß, wofür er zu zahlen hat, selbst wenn er auf Grund seiner Lebensumstände auf Sozialhilfe angewiesen ist. Die im Heimgesetz verankerten Transparenzregelungen stellen einen Kompromiß zwischen dem berechtigten Anliegen des Heimbewohners und einer unnötigen Bürokratie dar. Die Ausgestaltung des Heimvertrages, die Regelung über Form und Kernbestandteil dieses Vertrages, ist ein wesentliches weiteres Merkmal dieses Gesetzes.
Bisher blieben Form und Inhalt offen. Dies hat in der Vergangenheit zu erheblichen Schwierigkeiten geführt, wobei die Heimbewohner sehr oft den kürzeren gezogen haben. Aus Furcht vor Verlust des Heimplatzes haben sie sich dann den neuen, veränderten Bedingungen gefügt.Mit diesem Heimgesetz haben wir daher die nötigen Schutzvorschriften festgelegt. Das sind Bestimmungen über den Inhalt, die Anpassung und die Kündigung des Vertrages.Meine Damen und Herren, ich habe schon gesagt: Das Durchschnittsalter unserer Heimbewohner ist hoch. Deshalb findet sich in den Einrichtungen häufig niemand bereit, im Heimbeirat mitzuwirken, um die Interessen der Bewohner zu vertreten. Das Gesetz sieht für solche Fälle die Bestellung eines Heimfürsprechers vor. Der Heimfürsprecher soll nur mit Beteiligung der Heimbewohner und ihrer Angehörigen durch die zuständige Behörde benannt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15641
Frau WalzEine Änderung der Heimmitwirkungsverordnung wird das Nähere regeln und auch festlegen, wie lange ein so bestellter Heimfürsprecher im Amt sein kann. Der Heimfürsprecher soll den Heimbeirat nicht auf Dauer ersetzen.Zur Sicherung der Würde des alten Menschen gehört auch, daß seine Hilflosigkeit geachtet und nicht ausgenutzt wird. Wir haben im Entschließungsantrag daher die Forderung aufgenommen, daß in Zusammenarbeit mit den Ländern, die dafür zuständig sind, eine verbesserte Praxis bei der Überwachung der Heime erfolgt. Wir legen Wert darauf, daß die Überwachung der Heime in zeitlich angemessenen Abständen, auch ohne vorherige Anmeldung, von der zuständigen Behörde durchgeführt wird.Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz ist kein Altenpflegegesetz. Deshalb konnten in dieser Novellierung nicht die Forderungen aufgenommen werden, die die Pflegediskussion umschreiben, nämlich die Verbesserung der Ausbildung der Altenpfleger — dazu wird ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt werden — und vor allem die Absicherung des Pflegerisikos. Dazu werden sich die Fraktionen in den nächsten Monaten äußern. Sie werden den Bürgern sagen müssen, wie sie dem alten, pflegebedürftigen Menschen ein Leben in Würde und ohne zum Taschengeldempfänger zu werden, ermöglichen wollen.
— Auch ich, ja.Wir haben in unserem Entschließungsantrag verlangt, daß die Bundesregierung den Entwurf einer Rechtsverordnung über die Einführung einer Mindestpersonalverordnung vorlegt.
In dieser Mindestpersonalverordnung soll festgelegt werden, wieviel Fachkräfte mit welcher Ausbildung sich in einer Einrichtung um alte und pflegebedürftige Menschen kümmern müssen. Ich kann nicht verhehlen, daß eine solche Mindestpersonalverordnung auch ihre Schattenseiten hat. Sie könnte das Personalniveau auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festschreiben.
Von den Vertretern der unterschiedlichsten Verbände wurde diese Mindestpersonalverordnung sehr unterschiedlich beurteilt. Sie wurde auch negativ beurteilt.
Die Erfahrungen haben gezeigt, daß in den einzelnen Ländern ohne eine solche Verordnung weitgehende positive Entscheidungen, was den Personalschlüssel betrifft, getroffen wurden.
Meine Damen und Herren, mit dem Heimgesetz können wir keine umfassende Antwort auf die Probleme des Altwerdens in unserer Gesellschaft geben; das habe ich schon gesagt. Wir können nur versuchen, in einem Teilbereich die Lebensumstände zu verbessern. Uns bleibt ein zähes Beharren auf Veränderungen nicht nur in diesem Hause, sondern in unserem ganz gewöhnlichen Alltag und in unserem ganz gewöhnlichen Alltagsdenken. Denn alt ist nicht nur der andere, sondern alt werden auch wir.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Regelmäßig wünschen wir uns bei besonderen Anlässen Gesundheit und ein langes Leben. Wir tun das, als ob uns klar wäre, daß ein langes Leben ohne eine optimale Gesundheit von hohem Risiko bedroht ist, vom Risiko, in eine Pflegeeinrichtung auswandern zu müssen.Die übliche Form stationärer Versorgung pflegebedürftiger alter und behinderter Menschen geschieht in rationalisierten Großbetrieben, in denen die Bedürfnisse der Träger, des Personals und des Betriebs den Alltag bestimmen und nicht die Bedürfnisse der Bewohnerinnen. In diese Ghettos gehen die Betroffenen äußerst ungern, es sei denn, es bleibt ihnen keine andere Möglichkeit mehr. Das bedeutet, daß das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit in den Einrichtungen zunimmt.In Heimen kommt es nachweislich immer wieder zu Freiheitsentziehungen und Mißhandlungen. Grundlegende menschliche Bedürfnisse werden mißachtet, wenn in Heimen nachts Heizung und Warmwasserversorgung heruntergedreht werden, wenn Menschen in Gebäuden leben müssen, die offiziell für Wohnzwecke als ungeeignet eingestuft wurden. Die Mißachtung der Heimmindestbauverordnung ist an der Tagesordnung.All diese Mißstände haben sich unter dem Triumvirat „Kostenträger, Einrichtungsträger, Heimaufsicht" entwickelt, welches strukturelle Interessen verbindet: Ziel ist es, die Versorgung auf dem niedrigsten finanziellen Niveau zu organisieren.Es ist dem Personal in den Einrichtungen zu verdanken, das durch Demonstrationen das Ausmaß des Pflegenotstands ins öffentliche Bewußtsein rückte. Zu den demotivierenden Arbeitsbedingungen gehört, daß immer weniger rehabilitativ oder pädagogisch gearbeitet wird und das dafür ausgebildete Personal oft nur noch betreuen und verwahren kann.Den GRÜNEN ist klar, daß zur Beseitigung dieser Mißstände selbst ein gutes Heimgesetz nicht ausreicht. Was nötig ist, haben wir als Entwurf schon 1984 vorgelegt: eine Pflegeabsicherung als Bundesleistungsgesetz. Die SPD stand aktuell kurz vor dem Einschwenken auf diesen richtigen Weg; doch Oskar Lafontaine opferte diese Einsicht mit Blick auf die Wiedervereinigungskosten zuungunsten einer Pflegeversicherung, die im Endeffekt nichts anderes als eine Steuererhöhung bedeuten wird.
Metadaten/Kopzeile:
15642 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Schmidt
Ein gutes Heimgesetz reicht also nicht. Was uns heute vorliegt, ist aber noch nicht einmal ein gutes Heimgesetz, welches dem Anspruch der Betroffenen nach einem Schutzgesetz nachkommt.Die GRÜNEN haben einen Antrag eingebracht, der ein tatsächliches Schutzgesetz fordert. Dazu gehört erstens die Förderung der Selbstbestimmung und kollektiven Interessenvertretung der Heimbewohnerinnen. Das bedeutet zweitens den Ausbau der Rechte des Heimbeirates zur Mitbestimmung hin.In dem neugefaßten § 2 Abs. 1 des Regierungsentwurfs heißt es, daß die Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Bewohner im Heim zu wahren sind. Diese Bestimmung bleibt aber bloße Absichtserklärung; denn zur Umsetzung dieses Anspruchs müßten die Heimbewohnerinnen Mitverantwortung für die Gestaltung des Lebens im Heim erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Betroffenen die hier geforderten Rechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Sie müssen sie aber in Anspruch nehmen können, wenn sie das wollen.Bislang sind die Rechte des Heimbeirats auf die bloße Mitwirkung beschränkt. Der Heimbeirat hat das Recht auf Information und Erörterung, aber keinen Anspruch auf Berücksichtigung seiner Vorschläge durch die Heimleitung. Diese Mitwirkung ist zur Mitbestimmung weiterzuentwickeln.Im Berufsleben ist die Mitbestimmung mittlerweile eine eingeübte Selbstverständlichkeit, ebenso wie die kollektive Interessenvertretung durch Tarifparteien. Das Heim hat für die dort lebenden Menschen nicht nur die Rolle eines Arbeitsplatzes, an dem der Mensch acht Stunden am Tag verbringt und anschließend nach Hause geht, sondern ist im Regelfall der Lebensmittelpunkt für einen 24-Stunden-Alltag. Wohnen, Essen, die gesamte Tagesgestaltung bis hin zur eventuellen Pflege finden hier statt.Wenn es ein Heim für alte Menschen ist, wachsen dort außerdem zunehmend Generationen hinein, die an demokratische Entscheidungsprozesse und die Ausübung von Mitbestimmungsrechten gewöhnt sind. Für sie kommt die Übersiedlung ins Heim in dieser Hinsicht einer Entmündigung gleich.Es müssen daher Mitbestimmungsrechte insbesondere auf folgenden Gebieten gewährt werden: Gestaltung des Heimvertrages und der Heimordnung, Kündigung und Entgelterhöhung, Betreuung, Pflege und Verpflegung, Mitentscheidung in Personalfragen und Veränderung des Heimbetriebes. Entscheidungen auf all diesen Gebieten betreffen jeweils die Gesamtheit der Heimbewohnerinnen bis auf die individuelle Kündigung eines Heimplatzes. Diese hat jedoch so schwerwiegende Auswirkungen, daß sie nach unserer Ansicht ebenfalls mitbestimmungspflichtig werden muß.Eine Entgelterhöhung z. B. berührt alle Heimbewohnerinnen. Personalentscheidungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf das ganze Leben im Heim. Die Besetzung der Heimleitung kann z. B. nach geltendem Recht jederzeit gegen den erklärten Willen der Bewohnerinnen erfolgen. Es kommt einer vollständigen Bevormundung gleich, wenn das Heimleben von einer von den Bewohnerinnen abgelehntenHeimleitung gestaltet und organisiert wird. Das gilt auch in bezug auf Pflegepersonen, von deren Verhaltensweisen bis in die Intimsphäre hinein die zu pflegenden Personen abhängig sind.Um die Persönlichkeitsrechte der Heimbewohnerinnen zu wahren, muß der Beirat ein Recht auf Berücksichtigung seiner Beschlüsse erhalten. Gravierende Änderungen des Heimbetriebs sind ebenfalls der Mitbestimmung zu unterwerfen, damit es, um ein krasses Beispiel zu nehmen, nicht länger vorkommen kann, daß mit einem Heim auch die dort lebenden Menschen ungefragt veräußert werden.Wenn ein Heimbeirat tatsächliche Einflußrechte hätte, wären auch mehr Heimbewohnerinnen als heute an einer Mitarbeit interessiert. Sicher würden in einigen Einrichtungen dann immer noch keine Heimbeiräte eingerichtet werden können, besonders wenn die Bewohnerinnen schwerpflegebedürftig sind. Doch bevor ein Heimfürsprecher ausgerechnet von der politischen Ebene bestimmt wird, die für die Heimaufsicht zuständig ist, sollten die Heimbewohnerinnen Menschen ihres Vertrauens in den Heimbeirat entsenden können.
Noch in ihrer Rede zur ersten Lesung versprach Frau Walz, die Vorschläge der Bundesregierung zu einem Heimfürsprecher nicht mitzutragen. Ich zitiere:Ein weiteres Kernstück der Novelle ist die Bestellung des Heimfürsprechers. Die dafür vorgesehenen Regelungen können von uns nicht mitgetragen werden. Die Bestellung eines Heimfürsprechers durch die zuständige Behörde ist für uns kein gangbarer Weg.
Was hat sie dazu bewegt, diesen nicht gangbaren Weg doch mitzugehen? Etwa die Veränderungen, die der Ausschuß in seine Beschlußempfehlungen mit einbezogen hat? Dabei handelt es sich doch lediglich darum, daß die Heimbewohnerinnen ganz unverbindlich vorschlagen dürfen, mehr nicht. Sie bekommen noch nicht einmal so viel Einfluß wie die Heimleitung, mit der sich die Behörde zumindest ins Benehmen setzen muß. Die Interessengemeinschaft der Bewohner von Altenwohnheimen, Altenheimen und gleichartigen Einrichtungen kritisiert daran, daß mit einem auf diese Weise gekürten Heimfürsprecher den Bewohnerinnen Steine statt Brot gegeben werde. Zitat:Sie werden den Heimfürsprecher als drittes Machtinstrument gegen ihre Belange verstehen.Neben der Forderung der GRÜNEN wie der SPD nach der Festlegung eines Mindestpersonalschlüssels im Rahmen einer allgemeinen Verbesserung der Personalsituation legen wir Wert auf die Schaffung einer unabhängigen und wirkungsvollen Heimaufsicht. Dazu sollen Aufsichtsgremien aus Heimbewohnerinnen oder deren Vertrauensleuten, aus Vertreterinnen der Betroffenenorganisationen und Kommunen gebildet werden. Dieses Aufsichtsgremium soll über Ombudsleute die Einrichtungen kontrollieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15643
Frau Schmidt
Von Einrichtungen wie etwa Heimen, gehen nicht nur Hilfestellungen, sondern immer auch Beeinträchtigungen aus. Wir müssen langsam begreifen, daß Beratung der Betroffenen und Kontrolle der Einrichtungen nicht in der Kompetenz des Staates verbleiben können, der gleichzeitig selbst massive Haushaltsinteressen hat.Solange es noch Heime nach heutigem Zuschnitt gibt, brauchen die Betroffenen ein Schutzgesetz. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen wollen ein solches Gesetz nicht. Sie wollen es nicht, wenn sie es Heimträgern erlauben, durch die Aufnahme einer einfachen Klausel in den Heimvertrag das Monatsentgelt für Miete, Verpflegung und Betreuung einseitig zu erhöhen.Bundesregierung und Koalitionsfraktionen wollen kein Schutzgesetz, wenn sie es Heimträgern erlauben, zu kündigen — und dies in vielen Fällen sogar fristlos — , ohne daß eine Anschlußversorgung gesichert ist. Sie müssen den betroffenen Heimbewohnerinnen lediglich eine anderweitige Unterbringung nachweisen. Ein tatsächlicher Vertrag zwischen Trägern und Betroffenen ist damit noch nicht sicher.Bundesregierung und Koalitionsfraktionen wollen kein Schutzgesetz, wenn sie Heimbeiräte ohne Einflußmöglichkeiten lassen und die Heimaufsicht nicht unabhängig gestalten.Die Heimaufsicht wird übrigens nicht nur von den GRÜNEN kritisiert. Auch die Verbände der Heimbewohnerinnen tun das schon seit Jahren. Den Behörden werden Versagen und mangelnde Qualifikation vorgeworfen. Die Praxis zeigt — so sagt der obengenannte Interessenverband der Bewohnerinnen — :... daß sich die Heimaufsicht vielfach als verlängerter Arm der Heimträger versteht.
Dies wird bei Personalidentität zwischen beiden Institutionen besonders deutlich. Bei Heimbegehungen wird der Heimbeirat nicht hinzugezogen. Entscheidungen fallen über die Köpfe der Bewohner hinweg. Nicht die Aufsichtsbehörde ist es, die sich an die Bewohner wendet, sondern die Bewohner sind gezwungen, auf die Aufsichtsbehörde zuzugehen. Die Hemmschwelle für diesen Schritt ist hoch.Auf der Ausschußanhörung wurden zwei Kritikpunkte geäußert, die die GRÜNEN noch gesondert aufgreifen werden. Die Betroffenen fordern eine Aufschlüsselung des Entgelts im Heimvertrag nach den Einzelposten: Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Obwohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung diese Aufschlüsselung noch vorsah, hat die Mehrheit im JFFG-Ausschuß diesen Fortschritt der Aufklärung gegenüber den Bewohnerinnen — auf Intervention des Bundesrates — wieder gestrichen. Der Bundesrat konnte sich dabei auf ähnliche Bestrebungen von Heimträgern wie der Lebenshilfe und dem Bundesverband privater Alten- und Pflegeheime stützen. Letzterer gab zu bedenken, diese Vorschrift führe im Alltag zwangsläufig zu erheblichen Konflikten zwischen Heim und Bewohnerinnen, wenn bei Abschluß des Heimvertrages oder bei späteren Entgeltveränderungen über einzelne Kostenpositionen verhandeltwerden muß. Dies beeinträchtige den Heimfrieden. Die Kontrolle und das Mitspracherecht der Bewohnerinnen beeinträchtigt also den Heimfrieden. Hier wird deutlich, wen das Heimgesetz in seiner neuen Fassung schützen soll.Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beteiligung der Bewohnerinnen an den Verhandlungen der Pflegesatzkommissionen. Den Betroffenen wird kein Mitwirkungsrecht in der Kommission eingeräumt, die über ihre Köpfe hinweg die Höhe des Heimentgelts festsetzt.Beide Kritikpunkte werden die GRÜNEN in einem anderen Zusammenhang aufgreifen und mit den Betroffenen umzusetzen versuchen.Insgesamt geht es uns aber darum, neue Formen der Hilfe zu fördern. Wir brauchen Einrichtungen, die von den Bewohnerinnen oder Nutzerinnen abhängig sind. Heime sind aber — nach der Definition der Bundesregierung — Einrichtungen, die „in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl ihrer Bewohner unabhängig" sind. Eben darum sind sie auch nicht darauf angewiesen, den konkreten Wünschen der Betroffenen nachzukommen.Die GRÜNEN wollen ein System staatlicher Hilfen, in dem die Hilfe zu den Betroffenen kommt, nicht umgekehrt die Betroffenen dorthin wechseln müssen, wo gerade mal Hilfe angeboten wird. Die GRÜNEN wollen ein System von Hilfen, welches die Hilfsbedürftigen nicht gleichzeitig um die Früchte ihrer Lebensleistung bringt und zu Sozialhilfeempfängerinnen macht. Die GRÜNEN wollen endlich tatsächliche Solidarität mit den Pflegebedürftigen und darum ein anderes Heimgesetz.Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Ich habe natürlich sehr gern gehört, was die GRÜNEN alles wollen. Sie haben nur vergessen, wer sie sehr menschlich gelehrt hat, was die Alten eigentlich wollen. Hier waren die GRÜNEN sehr lernfähig. Das muß ich wohl sagen.Aber wenn ich dann zur Kenntnis nehmen muß, daß das Betreuungsgesetz von den GRÜNEN abgelehnt wird — und Betreuungsgesetz und Heimgesetz sind natürlich in einem sehr engen Sachzusammenhang zu sehen, was die Entrechtung bezüglich Auf enthaltsbestimmung oder Vermögensvorsorge betrifft —, dann ist die grüne Position für uns Alte wieder sehr zweifelhaft geworden. Aber trotzdem: Machen Sie politisch so weiter. Sie sind ja auch die Alten von überübermorgen.Was den Entwurf des Heimgesetzes angeht, Frau Altersforscherin: Das ist kein Lebenswerk von Ihnen, wenn man bedenkt, daß Sie so lange Altersforschung betreiben.
Metadaten/Kopzeile:
15644 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Unruh— Ja, natürlich.Eines haben Sie total vergessen, Frau Ministerin: daß z. B. ein Pflegebett eine letzte Wohnung ist. — Sie brauchen nicht so dumm zu lachen. Ein Pflegebett ist die letzte Wohnung. Die Menschen haben keine andere Wohnung mehr. Ist Ihnen das überhaupt bewußt geworden, Frau Altersforscherin? Die liberale FDP ist mit dem Heimfürsprecher wieder einmal umgefallen. Das ist nichts Besonderes. Aber wenn Sie wirklich hätten Zeichen setzen wollen, wenn Ihr ganzes Studium, die Forschungsgelder, die Sie abkassiert haben, wenn das alles nicht umsonst gewesen sein soll, dann hätten Sie jetzt die große Chance gehabt, einen Entwurf eines Heimgesetzes vorzulegen, das wirklich den Bedürfnissen — das ist ja Altersforschung — , der den Menschen entsprechen würde. Sie hätten als Punkt 1 z. B. genau die Tagesklinik nehmen müssen, wo die Menschen ihre Wohnung beibehalten können, wo die Menschen wieder à la Graue Panther in Wohngemeinschaften aufgemöbelt werden, wo sie familienähnlich, sehr menschlich betreut werden. Das gibt es ja schon teilweise, daß sie dann zu den Wohlfahrtsverbänden in Apartments oder in kleinere Wohnungen kommen. Dort können sie wie zu Hause sterben. Dort können all die Hilfsdienste hinkommen. Warum muß man den Menschen aus Wohnheimen, aus Apartments, aus Kleinwohnungen herausnehmen und ihn mit wildfremden Menschen auf Pflegestationen zusammenlegen? Das kann doch nicht Sinn eines würdigen, menschlichen Lebens sein. Wir, die wir Jahrzehnte unter euch gelebt haben, finden uns auf Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf-, Sechs-, Sieben-, Acht-Betten-Zimmern wieder. Kann das Rechtens sein?Frau Altersforscherin, es ist schade, daß Herr Dr. Kohl sich nicht eine andere Seiteneinsteigerin genommen hat, die vielleicht etwas menschlicher gedacht hätte und nicht rein statisch und, wie ich sagen möchte, gegen die Alten in der Bundesrepublik Deutschland.
— Gegen die Alten! Das ist kein Fortschritt, nicht ein Stückchen Fortschritt.Solange die Wohnung nicht geschützt ist und solange ich auch als hilfloser alter Mensch nicht das Recht habe, mir zumindest 30 qm wohnlicher Umgebung selbst zu gestalten und dort individuell sterben zu dürfen, so lange ist diese Bundesrepublik Deutschland ein Entwicklungsland. Und sie ist ein Land, das täglich 24 Stunden lang, in unseren Pflegeheimen und in den Psychiatrien — fragen Sie einmal die Caritas! — Menchenrechtsverletzungen an alten Menschen geschehen läßt. Das wissen Sie alle. Alle, die Sie im Deutschen Bundestag sind, wissen das. Alle, die in den Kommunen, in den Ländern tätig sind, wissen das. Und Sie meinen, mit einem solchen Fetzen Papier könnten Sie Wählerstimmen fangen.Mein Appell an die SPD und an die GRÜNEN: Bitte halten Sie durch, machen Sie entsprechenden Wahlkampf damit. Alte Menschen können nach diesem Heimgesetz die CDU, die CSU und die FDP nicht mehr wählen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Verhülsdonk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Unruh, Engagement von Politikern ist immer gut. Aber wenn es in Polemik und Hetzerei ausartet, wie es bei Ihnen hier geschehen ist, dann tun Sie Ihrem eigenen Anliegen keinen Dienst, dann sind Sie nicht mehr ernst zu nehmen.
Was Sie im Hinblick auf die aufopfernde Arbeit von Menschen in Pflegeheimen gesagt haben, ist eine Beleidigung, die ich zurückweise.
Meine Damen und Herren, die Novelle des Heimgesetzes ist ein weiterer Baustein für eine Altenpolitik, die weg will von einem Bild des alten Menschen als Objekt staatlicher Fürsorge und Betreuung,
für eine Altenpolitik, die das Alter als eigenständigen und gleichwertigen Lebensabschnitt begreift und die ältere Menschen, auch wenn sie menschlicher Hilfe bedürfen, als Partner und nicht als Betreuungsobjekte ansieht.Für diese Abkehr von einer Altenpolitik allein unter sozialfürsorgerischen Gesichtspunkten haben wir — und zwar sowohl die Fachwelt als auch wir Politiker — lange gebraucht. Daß wir heute in unserem Land und darüber hinaus zu einem neuen Bild des älteren Menschen gekommen sind und das Alter als einen eigenständigen Lebensabschnitt verstehen, verdanken wir nicht zuletzt Ihnen, Frau Ministerin.
Ich möchte dies am heutigen Vormittag nicht unerwähnt lassen, und ich danke Ihnen im Namen meiner Fraktion für Ihre einschlägige wissenschaftliche Arbeit,
für die jahrelange Politikberatung, der wir viele Erkenntnisse verdanken, die uns weitergeholfen haben, und auch für Ihr Engagement in Ihrem jetzigen Amt bei der Umsetzung dieser Erkenntnisse.
Mit der Novelle des Heimgesetzes wird das Verhältnis der Heimbewohner zur Heimleitung auf eine neue Grundlage gestellt. Die realistischen Erfahrungen der letzten 15 Jahre werden in die gesetzliche Regelung aufgenommen.
Mein Kollege Link hat sich mit den Regelungen im einzelnen beschäftigt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15645
Frau VerhülsdonkWeitere Schritte im Bereich der Altenpolitik sind dringend erforderlich. Wir müssen sehr bald zu einem Gesetz kommen, das ein neues Berufsbild des Altenpflegers festschreibt und das insbesondere auch die berufsspezifischen Anforderungen für Heimleiter genauer definiert.
Die Qualifikation des Personals ist eine ganz große Aufgabe. Sie ist dringend und unaufschiebbar. Für beide Bereiche plant die Bundesregierung gesetzliche Regelungen.Die steigende Lebenserwartung der Menschen, die wachsende Zahl der Hochbetagten, der höher werdende Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung werden uns Sozialpolitiker in den nächsten Jahrzehnten vor große Probleme stellen. Nach allen uns vorliegenden Erkenntnissen wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in unserer Gesellschaft schnell weiter ansteigen.
Schon jetzt müssen wir von über 2 Millionen Pflegebedürftigen ausgehen. Erfreulicherweise werden fast 90 % von ihnen zu Hause und von ihren Angehörigen betreut.Die Aufwendungen der öffentlichen Hand für das Pflegefallrisiko kamen jedoch bis vor wenigen Jahren ausschließlich den Pflegebedürftigen selbst zugute. Die Pflegenden gingen leer aus. Sie erhielten kaum fachliche Hilfe, waren oft überfordert.Deshalb war es ein großes Anliegen der Politiker der Union, daß wir in dieser Legislaturperiode zunächst einmal diejenigen entlastet haben, die mit großem persönlichen Einsatz unentgeltlich Pflegeleistungen für kranke, alte oder behinderte Angehörige erbringen.
Es ist für diese Menschen ein großes Glück, wenn sie in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können und dort gut versorgt werden. Die schwere Pflegearbeit wird fast ausschließlich von Frauen geleistet. Sie können auf Grund der damit verbundenen Belastungen vielfach keinen Beruf ausüben und müssen deshalb Einbußen bei ihrer Alterssicherung in Kauf nehmen.Viele ältere Ehefrauen, die ihren Mann pflegen, Familien, die Eltern oder Großeltern betreuen, können oft über Jahre hinweg keinen Urlaub machen oder nie gemeinsam verreisen. Jeder von uns kennt Fälle, wo am Ende einer Pflegetätigkeit auch der Pflegende gesundheitlich am Ende ist, oft sogar selbst pflegebedürftig wird. Deshalb haben wir im Gesundheits-Reformgesetz und bei der Rentenreform erstewichtige Schritte getan, um den Pflegenden zu helfen.
So ist eine bessere Absicherung von Pflegepersonen im Alter ermöglicht worden. Dies ist aus meiner Sicht ein großer sozialer Fortschritt.Ich habe nie verstanden, warum nicht ein Pflegebedürftiger mit einer guten Rente seiner Tochter oder Schwiegertochter einen Rentenbeitrag zahlen soll, wenn diese seinetwegen auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet.
Ginge er in ein Pflegeheim, bliebe ihm vielleicht nur noch ein Taschengeld von seiner Rente übrig, ganz abgesehen davon, daß er mit fremden Menschen sein Zimmer teilen müßte; das haben Sie gerade beschrieben.
Mit der Gesundheitsreform werden Pflegende bei schwerer Pflege ab 1991 regelmäßig die Unterstützung durch ambulante soziale Dienste in Anspruch nehmen können. Seit 1989 können sie Urlaub machen, und die Kosten dafür werden von der Krankenkasse übernommen.
Auch das ist eine große Hilfe. Zudem spart die Krankenkasse Geld, weil so in vielen Fällen ein Krankenhausaufenthalt, der oft der einzige Ausweg für eine Familie war, die verreisen wollte, vermieden wird.Schließlich haben wir auch die steuerliche Berücksichtigung von pflegebedingten Belastungen verbessert.Mit diesem Bündel von Maßnahmen zur Stärkung der häuslichen Pflege hat die Regierung Kohl erstmalig in der Geschichte der Sozialpolitik wichtige Hilfen im Bereich der Pflegebedürftigkeit auf den Weg gebracht.Meine Damen und Herren, es gibt viele gute Gründe dafür, die Bereitschaft zur häuslichen Pflege, wo immer es geht, zu erhalten und zu stärken. Die Unterbringung in Pflegeheimen ist eine Notlösung. Sie sollte immer an letzter Stelle aller Möglichkeiten stehen. Deshalb wollen wir auch in den nächsten Jahren besonderen Wert auf die Verbesserung von Rahmenbedingungen legen, die es alten Menschen erleichtern, so lange wie möglich selbständig zu bleiben. Dazu gehört, daß wir uns dafür einsetzen, daß die ambulanten Versorgungseinrichtungen, die Sozialstationen, flächendeckend ausgebaut werden. Besonders wichtig ist ebenfalls, daß mehr Einrichtungen für eine Kurzzeitpflege geschaffen werden, z. B. bei der Umwidmung von Krankenbetten.Wir brauchen natürlich auch das Alten- und Pflegeheim, ja wir werden sicher mehr Plätze brauchen, z. B. für die Menschen, die nicht mehr in der eigenen Wohnung bleiben können oder die keine Angehörigen haben, die sie betreuen oder versorgen können.
Metadaten/Kopzeile:
15646 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau VerhülsdonkTrotz der sicher noch stark steigenden Kosten im Heimbereich muß die Situation auf den Pflegestationen dringend verbessert werden, damit alte und kranke Menschen auch in dieser Situation menschenwürdig leben können; da bin ich mit Ihnen einer Meinung.Ich möchte aber dem Pflegepersonal, das sich unter den heutigen Bedingungen für die alten und kranken Menschen aufopfernd einsetzt, meinen hohen Respekt bezeugen. Ich beziehe dabei auch ganz bewußt die Zivildienstleistenden, die jungen Menschen ein, die in den Pflegeheimen tätig sind.
Für mich ist klar, daß alsbald neue gesetzliche Kostenregelungen für Heime geschaffen werden müssen. Es gibt ja bereits viele Vorschläge aus der Politik und aus der Fachwelt. Meine Damen und Herren, es ist ein sehr unbefriedigender Zustand, daß sieben von zehn Heimbewohnern ihre Pflegekosten nicht mehr selbst aufbringen können und zu Sozialhilfe- oder Taschengeldempfängern werden. Das ist vor allem für diejenigen, die ein Leben lang für sich selbst aufgekommen sind, eine sehr deprimierende Situation.Ich habe jedoch tiefe Zweifel daran, ob eine gesetzliche Pflegeversicherung der richtige Lösungsansatz ist.
Ich sehe z. B. die Gefahr der Entsolidarisierung der Familien. Das wäre kein Gewinn an Humanität für unsere Gesellschaft.
Eher erscheint mir richtig, daß Bund, Länder, Krankenkassen, private Träger und öffentliche Hand zusammenwirken müssen, um bessere Lösungen für das Pflegefallrisiko zu entwickeln. Vernünftig ist ohne Zweifel, daß wir Anreize schaffen, damit die private Vorsorge des einzelnen für das Risiko des Pflegefalles weiter an Boden gewinnt.
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihnen möchte ich noch einen Rat geben. Sie sollten den Mund hier im Parlament in dieser Frage nicht zu voll nehmen; denn in den SPD-regierten Bundesländern stehen vernünftige Regelungen zur Absicherung der Alterspflege nach wie vor aus. Da sind die CDU-Länder wesentlich weiter.
Nach dem, was wir hören, hat außerdem Herr Lafontaine seinen Rotstift im Zukunftsprogramm der SPD gerade im Bereich der alten und pflegebedürftigen Menschen angesetzt.
— Es ist gestern von fachlicher Seite ja erneut publiziert worden. — Von Ihnen hat die alte Generation also nicht allzuviel zu erwarten.Diese Bundesregierung hat dagegen unter Beweis gestellt, daß es ihr mit einer umfassenden Absicherung des Pflegefallrisikos ernst ist. In dieser Legislaturperiode stand die häusliche Pflege im Mittelpunkt.
Als nächster Schritt steht das Berufsbild des Altenpflegers in Sozialstationen und Alten- und Pflegeheimen auf der Tagesordnung. Schließlich werden wir die Heimfinanzierung auf eine neue Grundlage stellen.Wir, die Unionspolitiker, schwelgen nicht in sozialpolitischen Träumereien. Wir sind Realisten, aber wir handeln konsequent und Schritt für Schritt.
Das Wort hat der Abgeordnete Klose.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zitat:Wenn es uns ernst ist um die Sorgen der älteren Menschen in unseren Heimen, dann müssen wir ihre besonderen Anliegen und Bedürfnisse auch bei gesetzgeberischen Maßnahmen berücksichtigen.Das, sehr geehrte Frau Ministerin, waren Ihre Worte bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs zur Novellierung des Heimgesetzes; das klang gut. Nur — darauf hat der Kollege Jaunich im September 1989 hingewiesen— , schon damals war der eklatante Widerspruch zwischen Reden und Handeln offensichtlich. Der Widerspruch ist geblieben. Den guten Worten sind auch nach Anhörung und Ausschußberatung keine guten Taten gefolgt.Dafür gibt es, wie ich weiß, rechtssystematische Entschuldigungen. Das Heimgesetz ist kein Leistungsgesetz, sondern arbeitet mit den Mitteln des Ordnungsrechts. Gleichwohl erzwingt es Leistungen anderer, z. B. über die Formulierung von Mindestanforderungen, die von den Heimträgern bei Vertragsgestaltung und -erfüllung zu beachten sind; darauf komme ich zurück.Welches sind die eigentlichen Probleme aus der Sicht der Betroffenen? — Die Menschen, die heute in Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime einziehen, sind immer älter. Wir haben 80 Jahre als Durchschnittsalter erreicht. Das liegt zum einen daran, daß die Menschen überhaupt älter werden, zum anderen ist das die Folge von vielfachen Bemühungen, den älteren Menschen das Wohnen in den eigenen vier Wänden lange und immer länger zu ermöglichen.Ich bin ausdrücklich dafür, daß dies geschieht. Aber ich muß doch darauf hinweisen, daß die Heime nicht zuletzt durch diese Bemühungen immer mehr zur Endstation werden, zu Siechenheimen, wenn man das böse formulieren will.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15647
KloseWünschenswert wäre es, wenn es ein gut ausgebautes, vernetztes räumlich verbundenes System verschiedener Hilfen gäbe, um die Wohn- und Lebensverhältnisse älterer Menschen zu verbessern, z. B. ambulante Hilfen, ein Netz von Tagespflegeheimen, eine ausreichende Anzahl von bedarfsgerecht betreuten Altenwohnungen, Altenwohnheime und ein angegliedertes differenziertes System von Pflegehilfen. Gäbe es dieses gut ausgebaute System, wäre die tatsächliche Lage in den Heimen anders, als sie sich heute darstellt.
Die tatsächliche Lage ist oft bitter und ganz weit entfernt von den schönen Worten der Politik und der Gesetze.
Altenheime, Wohnheime, bei denen der Gesichtspunkt des Wohnens doch im Vordergrund stehen müßte, werden wegen des akuten Mangels an wirklichen Pflegeeinrichtungen immer stärker Ersatzpflegeheime. Sie sind fehlbelegt, ohne daß die baulichen Gegebenheiten und das nötige Personal für diese ursprünglich gar nicht vorgesehene, aber tatsächlich zu erfüllende Aufgabe vorhanden wären.Die Räume, die den Mindestnormen durchaus entsprechen, sind, wenn sie von pflegebedürftigen Personen belegt werden, zumeist zu klein, beängstigend klein; die Naßzellen sind auf die größere Unbeweglichkeit der zu pflegenden Menschen nicht ausgelegt; personelle und bauliche Möglichkeiten für reaktivierende, rehabilitative Maßnahmen sind zumeist nicht vorhanden.Nun mag die Frau Ministerin einwenden, daß dies alles richtig, der Bund für diese Problematik aber gar nicht zuständig sei. Einerseits ist das so. Andererseits hat der Bund die Aufgabe, konzeptionell zu arbeiten, Vorgaben zu machen, Hilfen anzubieten und im übrigen das Heimgesetz so zu gestalten, daß am Ende dabei mehr als die Überwachung des Preis-LeistungsVerhältnisses beim Abschluß von Heimverträgen herauskommt.
Die qualitativen Aspekte der Heimunterbringung — ein schreckliches Wort — müßten sehr viel stärker im Vordergrund stehen, als es tatsächlich der Fall ist. Der im Gesetz unterstellte Normalfall ist geschönt. Das ist der eigentliche Kritikpunkt, der Vorwurf, den ich der Bundesregierung mache: Sie administriert eine geschönte Situation, auf die sie materiell keinen Einfluß nimmt.
Sie hilft nicht, obwohl sie es könnte. Wenn heute schon, nach geltendem Recht, die Erlaubnis zum Betrieb eines Heimes daran geknüpft werden kann, daß ärztliche und gesundheitliche Betreuung gesichert sein muß, sollte eine wirkliche Gerontologin den Mut finden, in einer Novelle des Heimgesetzes auch Rehabilitation und Reaktivierung als Mindestnormen festzuschreiben. Aber es geschieht nichts.
Das gilt auch für die personelle Seite des Problems. Wenn ein Altenheim oder ein Wohnheim zu einem immer größeren Teil mit wirklichen Pflegefällen belegt wird, müßte sich auch die Personalbesetzung laufend verändern. Es müßte mehr Personal zur Verfügung stehen. Tatsächlich lassen sich Verbesserungen im Stellenschlüssel nachweisen, wenn auch nicht überall und in allen Bundesländern.Der Stellenschlüssel sagt aber sehr wenig über die reale Situation aus, weil zwischen Personalausstattung allgemein und Personalausstattung im Bereich der Pflege nicht hinreichend unterschieden wird.
Hier sind die Belastungen immer größer geworden, wie jeder weiß, der sich um die Praxis kümmert. Warum ist denn die Personalfluktuation in der Altenpflege so außerordentlich hoch? — Weil der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer bedrückender wird und weil, ebenso bedrückend, nichts geschieht, um die reale Situation zu verändern. Die bloße Einrechnung von Zivildienstleistenden in den Personalschlüssel des Pflegebereichs verbessert die Situation zumeist nur auf dem Papier.Bei dieser Gelegenheit erwähne ich: Die Frau Ministerin hat angekündigt, sie werde alsbald eine Heimmindestpersonal-Verordnung vorlegen, in der die Voraussetzungen der Eignung des Heimleiters und der Qualifikation der Beschäftigten festgelegt werden sollen. Abgesehen davon, daß die Verwendung des Begriffs Heimmindestpersonal-Verordnung eine Zumutung ist, frage ich: Warum ist das denn nicht schon längst geschehen? Und überhaupt: Was tut die Ministerin, um endlich die Altenpflegeausbildung auf eine neue Grundlage zu stellen? Diese Ausbildung — das ist von allen Sprechern gesagt worden — wird derzeit in der Bundesrepublik in allen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Zum Teil muß für die Ausbildung noch Schulgeld bezahlt werden. Die Anerkennung des Berufsabschlusses in einem Bundesland ist in den anderen nicht gewährleistet. Frau Professor Lehr verspricht seit ihrem Amtsantritt die Vorlage eines Gesetzentwurfs für eine bundeseinheitliche Ausbildung. Aber die Vorlage ist bis heute nicht gekommen. Wir fordern Sie auf, Frau Ministerin, dies alsbald, noch in dieser Wahlperiode, zu tun.
Die Bundesregierung hat in der Begründung ihres Entwurfs gesagt, daß eine ausreichende Betreuung nicht nur für Pflegebedürftige, sondern für alle Bewohner eines Heims gewährleistet sein muß, allerdings nicht durch Festlegung einer bestimmten Beschäftigtenzahl — auf die Ermächtigung, dies zu tun, verzichtet sie ja ausdrücklich — , sondern durch, wie es in der Begründung heißt, flexibel auf den individuellen Bedarf abgestimmte Praxis.Das klingt gut und ist doch reiner Hohn. Wer die Situation in den Heimen kennt, der weiß, daß die Mitarbeiter sich große Mühe geben, daß sie aber nicht zuletzt wegen der zunehmenden Fehlbelegung immer weniger in der Lage sind, sich auf flexible, auf den individuellen Bedarf zugeschnittene Weise um die zu pflegenden Menschen zu kümmern. Pflegeroutine herrscht vor. Zuwendung bemißt sich nach Minuten.15648 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1.5. März 1990KloseReaktivierung und Rehabilitation? Bemühungen gibt es in den Pflegeheimen, wenn auch nicht in allen. In den Altenheimen und Wohnheimen ist das Bemühen auf nahezu Null gesunken, weil Maßnahmen der Reaktivierung und der Rehabilitation in aller Regel weder im Personalschlüssel noch in den Pflegestufendefinitionen berücksichtigt werden.
Das Heimgesetz, wie es jetzt auf unseren Tischen liegt, kennt dieses Problem nicht. Sie, Frau Ministerin, kennen es gewiß. Aber Sie tun nichts.Ein besonderes Problem, das ich in diesem Zusammenhang nur streifen will, sind die gerontopsychiatrisch veränderten Alten, für die, vor allem wenn sie körperlich rüstig sind, ganz besondere Pflegeprogramme nötig wären. Das Problem ist bekannt. Es besteht Einigkeit darüber, daß eine integrierte Unterbringung von psychisch veränderten Alten in den Heimen das Richtige wäre. Das „Kuratorium Deutsche Altershilfe" hat dazu Vorschläge erarbeitet, die ich der Frau Ministerin zur Lektüre und politischen Unterstützung empfehle. Denn die heutigen Realitäten sind, fürchte ich, ganz anders. Es gibt eben doch, wie es in den Gutachten zur Lage der älteren Menschen und zur Altenpolitik in NRW heißt, faktisch gesonderte und auch geschlossene Stationen, auf denen wenig Außenkontrolle der Lebensverhältnisse und der Pflegebedingungen erfolgt.Ich frage die Frau Ministerin, was sie tut oder zu tun beabsichtigt, damit hier Abhilfe geschaffen wird, Abhilfe durch Aufsicht und fachlich-materielle Unterstützung. Glauben Sie wirklich, daß Sie dieser Problematik mit der Einrichtung eines sogenannten Heimfürsprechers gerecht werden? Kann dieser Mensch etwas tun? Was soll er denn tun, wenn weder die räumlichen Voraussetzungen erfüllt noch die personellen Möglichkeiten nach Zahl und Qualifikation gegeben sind, um eine den Betroffeneninteressen entsprechende Betreuung und Pflege zu realisieren?In diesem Zusammenhang ein Wort zur ärztlichen Versorgung. Da die Heime die Kosten für die ärztliche Supervision des Heims nur in seltenen Fällen in den Pflegesatz einrechnen dürfen, fehlt zumeist eine ärztliche Zuständigkeit, für die es an sich zwei Aufgaben gäbe: die ärztliche Behandlung der Bewohner zu überwachen und die ärztliche Supervision des Pflegepersonals zu übernehmen. Heute — so das erwähnte NRW-Gutachten -- stellt überwiegend das Pflegepersonal den in den Heimen verfügbaren ärztlichen Sachverstand und bestimmt — offenes Geheimnis — die Medikation der Patienten,
zumal die Hausärzte, die zur Behandlung von Heimbewohnern gerufen oder vertraglich verpflichtet werden, oft gar nicht auf die besonderen Anforderungen in den Heimen vorbereitet sind. Die Probleme der Gerontologie und der Geriatrie werden in der Ausbildung der künftigen Ärzte sträflich vernachlässigt. Es wird mehr Augenmerk auf Sportmedizin und ähnliches gelegt als auf eine fundierte Ausbildung, die auch alten kranken Menschen dient. An Universitätenund Hochschulen gibt es zuwenig Lehrstühle für Gerontologie und Geriatrie.Die Frau Bundesministerin weiß das; denn in dem von ihr mitverfaßten Vierten Familienbericht wird eine breitere Einbeziehung der Gerontologie und der Geriatrie in die ärztliche Ausbildung gefordert. Sehr geehrte Frau Lehr, als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sind Sie zuständig und können im Rahmen Ihrer Kompetenzen tätig werden. Es besteht, wie Sie wissen, dringender Handlungsbedarf. Also: Handeln Sie!
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben bei der Einbringung des Gesetzentwurfs gesagt: „Heime sollen heute nicht nur Unterkunft, Verpflegung und Betreuung bieten, sondern sollen Wohnung sein, sollen ein Zuhause bieten." An anderer Stelle haben Sie gesagt: „Auch alte Menschen haben ein Recht auf Rehabilitation."Bitte sagen Sie uns: Durch welche Bestimmungen trägt die Novelle zum Heimgesetz diesen selbst gestellten Ansprüchen Rechnung? Der Entwurf, so sagten Sie, enthalte die Verpflichtung des Heimträgers, die Versorgung an den jeweiligen Gesundheitszustand des Bewohners anzupassen. Aber, bitte schön, wo steht, daß er alles tun muß, um den Gesundheitszustand des Bewohners zu bessern?Ich weiß: Sie und andere, die zuständig sind, verweisen bei solchen Fragen gern auf die Kostenproblematik. Diese gibt es; aber es gibt auch einen unabweisbaren Bedarf. Über Jahre hinweg hat sich die Bundesregierung beharrlich geweigert, die Existenz und den Umfang dieses Problems auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Erst im Zusammenhang mit der sogenannten Gesundheitsreform hat sie sich dazu durchgerungen, den dringenden Handlungsbedarf in Sachen Pflege anzuerkennen, wenn auch eher als Alibi für unsoziale Umschichtungen in der Krankenversicherung als aus Überzeugung.Die Mängel der im Gesundheits-Reformgesetz getroffenen Regelungen werden ja täglich offensichtlicher. Pflegebedürftige in den Heimen haben eben keinen Anspruch auf Leistung. Statt der von der Bundesregierung angekündigten 600 000 häuslich versorgten Pflegebedürftigen, die von den neuen Leistungen bei der Pflege profitieren sollten, kamen 1989 gerade 60 000 Versicherte in den Genuß der entsprechenden Leistungen, d. h. 10 % Ihrer Ankündigung.
Wir haben schon damals, meine Damen und Herren, ein Konzept von abgestuften Pflegegeldleistungen für Leicht-, Mittel- und Schwerstpflegebedürftige vorgeschlagen, in das auch stationär versorgte Pflegebedürftige einbezogen sind.Darüber hinaus sehen unsere Überlegungen eine Berücksichtigung der Pflegezeiten in der Rentenversicherung ebenso wie einen Anspruch auf Urlaub für einen Monat im Jahr vor. Wir schlagen jetzt konkret vor — nicht zu jedermanns Begeisterung — , einen neuen Sozialversicherungszweig „gesetzliche Pflegeversicherung" einzuführen, der organisatorisch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15649
Klosevon der gesetzlichen Krankenversicherung geführt, rechnerisch und finanziell jedoch davon getrennt gehalten wird.Die mit dem Gesundheits-Reformgesetz in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführten Pflegeleistungen sollten in die neue Versicherung übernommen und so erweitert werden, daß der Leistungsrahmen unseres Konzepts erreicht und ausgeschöpft wird. Das ist entscheidend und nicht die Rechtsform.Die neue Pflegeversicherung muß allen Bürgern offenstehen, soweit wie irgend möglich. Zumindest für alle abhängig Beschäftigten sollte eine Pflicht zur Versicherung in diesem Sozialversicherungszweig eingeführt werden.Meine Damen und Herren, zusammenfassend und zum Schluß: Die Novelle zum Heimgesetz, die wir heute verabschieden, geht an den realen Problemen, die mit der sogenannten Heimunterbringung verbunden sind, vorbei.
Es handelt sich um Gesetzestechnik, mehr nicht.
Mein Gesamteindruck ist, daß Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, administrieren und Ihre Beamten gesetzgeberisch ordnen lassen, daß Sie — nicht zuletzt im eigenen Interesse — die Alternsforschung fördern, als kennten wir die Realitäten in den Heimen nicht, daß Sie sehr schön und zutreffend von den jungen aktiven Alten sprechen, aber nichts oder nur wenig tun, um die Probleme derer anzupacken, die Hilfe brauchen.Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Politik für Senioren muß mehr sein als Sozialpolitik. Aber die Sozialpolitik darf dabei nicht an die letzte Stelle rücken. Es gibt eben auch die alten Alten, die ohne Hilfe nicht zurechtkommen. Denen aber wird mit dieser Novelle zum Heimgesetz in der von der Regierungskoalition zu verantwortenden Form in gar keiner Weise geholfen.
Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte über Probleme der Altenpolitik vor dem Hintergrund dramatischer Entwicklungen im Zusammenhang mit der anstehenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Dies gibt unserer Diskussion eigentlich grundlegend neue Dimensionen. Ich denke, wir können auch über unsere Probleme nicht sprechen, ohne zugleich einen Blick in den anderen Teil Deutschlands zu werfen.
Ich habe in den vergangenen Wochen siebenmal dieDDR besucht und mir vor Ort in Krankenhäusern,Altenheimen und Altenpflegeheimen, die dort„Feierabendheime" heißen, ein unmittelbares Bild verschaffen können.
Der Gesamteindruck, den ich dabei gewonnen habe, ist bedrückend. Verglichen mit unserem Standard hier in der Bundesrepublik ist die Situation im Gesundheitsbereich und in der Altenhilfe in der DDR durchgängig katastrophal.
Ich habe unglaubliche Zustände gesehen: Überall fehlt es an sanitären Einrichtungen, an Rollstühlen, an Medikamenten, von dem desolaten Zustand gar nicht zu reden.
Unter diesen Bedingungen leisten Ärzte und Pflegekräfte dort hervorragendes.Hier ist unsere praktische Solidarität gefordert. Die Bundesregierung, Länder und Kommunen, die Wohlfahrtsverbände haben inzwischen gehandelt, Sofortprogramme sind angelaufen, aber es reicht noch nicht.
Wir müssen hier weit mehr tun.
Für die Bundesregierung gehört die Politik für und mit alten Menschen zu den besonders wichtigen und aktuellen Politikschwerpunkten.
Ab sofort muß Altenpolitik, die zukunftsfähig sein will, auch die ältere Generation in den anderen Teilen Deutschlands mit einbeziehen. Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung.
Die Novellierung des Heimgesetzes, die die Rechtsstellung der Heimbewohner wesentlich verbessert, steht nicht isoliert im Raum; sie ist vielmehr Bestandteil eines Bündels vordringlich zu realisierender altenpolitischer Vorhaben.
Es gilt, unbedingt, wie auch Sie, Herr Klose, gesagt haben, ein Netz von ausgebauten Einrichtungen zu schaffen. Hier ist Hilfe nötig. Ich darf Ihnen jetzt schon sagen, daß wir in unseren Modellprogrammen diese Dinge unterstützen werden. Der Bund hat Anre-15650 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990Bundesminister Frau Dr. Lehrgungsfunktion, Modellfunktion; die Länder sind aufgerufen, das dann umzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion um die Novellierung des Heimgesetzes war zwar von recht unterschiedlichen und vielfach gegensätzlichen Interessenlagen der Beteiligten bestimmt: Auf der einen Seite ging es darum, die Stellung des Heimbewohners gegenüber dem Heimträger weiter zu verbessern, andererseits sollte hierdurch die Verantwortung, Selbständigkeit und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit des Heimträgers aber auch nicht so weit eingeschränkt werden, daß er das Interesse am Betrieb eines Heimes oder die Bereitschaft zur Schaffung dringend benötigter neuer Heimplätze verliert. So geht dem einen die Neuregelung zu weit, während andere sie noch für zu gering halten.
Ich meine, daß in der Ihnen zur Abstimmung vorliegenden Fassung ein sachgerechter Ausgleich der Interessen von Heimbewohnern und Heimträgern gefunden worden ist.Zweifellos war auch für die Novellierung des Heimgesetzes das Schicksal unserer Bürger in Heimen ausschlaggebend. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz drei Punkte hervorheben.Erstens. Mit der Aufnahme in ein Heim darf der Bürger seine Kompetenz und Selbständigkeit nicht verlieren. Auch dann, wenn Alter oder Behinderung ihn von der Hilfe Dritter abhängig machen, dürfen hierdurch Selbstbestimmung und Selbstverantwortung nicht eingeschränkt werden. Mit der ausdrücklichen Übernahme dieser Grundsätze in die Leitmotive des § 2 ist nunmehr gewährleistet, daß sie bei der Anwendung des Heimgesetzes und allen den Heimbereich berührenden Fragen berücksichtigt werden müssen.
Ausdruck dessen sind die neuen Detailregelungen über den Heimvertrag. Durch sie wird die rechtliche Stellung des Heimbewohners wesentlich gestärkt,
nicht zuletzt auch dadurch, daß der Staat künftig die Einhaltung der Schutzbestimmungen überwacht und mit den ordnungspolitischen Mitteln des Heimgesetzes durchsetzen kann.Von den Neuregelungen möchte ich den Schutz der Heimbewohner vor ungerechtfertigter Kündigung
und überzogenen Entgelterhöhungen hervorheben.Besonders wichtig erscheint mir die Pflicht des Heimträgers, seine Leistungen dem jeweiligen Gesundheitszustand des Bewohners, je nachdem, ob er sich verbessert oder verschlechtert, anzupassen.
Damit wird dem Bestreben nach Reversibilität auch im stationären Altenbereich Rechnung getragen.Zweitens. Ich verkenne nicht, daß ein Gesetz nur so gut ist, wie es in der Praxis durchgesetzt werden kann.
Deshalb begrüße ich den Entschließungsantrag,
der das Ziel hat, die Überwachung der Heime in enger Zuammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu verbessern. Es muß künftig gewährleistet sein, daß Schutzbestimmungen des Heimgesetzes voll eingehalten und Verstöße unterbunden werden. Ich weiß, daß ich mit dieser Forderung nach einer verbesserten Aufsicht nur eine Minderheit unter den rund 8 000 Heimträgern anspreche. Aber es gibt leider auch im Heimbereich immer noch schwarze Schafe, die durch ihr Verhalten das Bild unserer Heime in der öffentlichen Meinung in Mißkredit bringen. Ihnen gegenüber muß gehandelt werden. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen: Es gibt Heime, in denen sich die Bürger äußerst wohl fühlen.
Wir sollten hier wirklich all jenen, die dort beschäftigt sind, danken.Drittens. Bei aller Bereitschaft und Entschlossenheit zur Durchsetzung der einzelnen gesetzlichen Bestimmungen darf nicht übersehen werden, daß das Heimgesetz auch von dem Gedanken der Kooperation bestimmt wird. Ich kenne sehr viele Heime, in denen Bewohner, Personal und Heimträger erfolgreich gemeinsam eine allen Beteiligten gerecht werdende Gestaltung des Heimlebens schaffen.
Hierzu zähle ich auch die Mitwirkung des Heimbeirats. Leider gibt es in einem Viertel unserer Heime keinen Heimbeirat, weil die Bewohner einen solchen wegen Krankheit oder Behinderung nicht wählen können. Ich halte es gerade in diesen Fällen für wichtig, daß den Bewohnern Ansprechpartner, Vertreter ihrer Interessen zur Seite gestellt werden. Deshalb kommt der Bestellung eines Heimfürsprechers große Bedeutung zu. Das Nähere über dessen Auswahl, Bestellung und Tätigkeit wird in der Heimmitwirkungsverordnung geregelt werden.Ich möchte im Hinblick auf verschiedentlich geäußerte Bedenken schon jetzt klarstellen, daß der Heimfürsprecher sowohl gegenüber dem Heimträger als auch gegenüber der zuständigen Behörde unabhän-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15651
Bundesminister Frau Dr. Lehrgig sein wird und nur dem Wohl der Heimbewohner verpflichtet ist.
Doch es ist wichtig, Wege dafür zu finden, wie auch außerhalb der Erfüllung gesetzlicher Pflichten die Situation in Heimen verbessert werden kann. Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat soeben einen umfassenden Bericht abgeschlossen, in dem dieser Aspekt des Heimlebens näher untersucht wird, heimtypische Konfliktsituationen ermittelt und Wege zu ihrer Beseitigung aufgezeigt werden. Die Bundesregierung wird die Ergebnisse dieser Studie als Anregung ergänzend zu ihrer Broschüre über die Rechte der Heimbewohner allen Beteiligten und Interessenten zugänglich machen.
Vieles hat sich in den vergangenen Jahren in den Heimen verbessert, doch ich weiß: Manches bleibt noch zu tun.
Diese Novelle wird bestimmt einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Heimgesetzes. Das sind die Drucksachen 11/5120 und 11/6622.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6652 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6653 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch das ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6654 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der GRÜNEN abgelehnt worden.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6655 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6656. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6657 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Nun kommen wir noch zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6658. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wer nun für Art. 1 in der Ausschußfassung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Art. 1 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für die aufgerufenen Vorschriften? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/6622 unter Ziffer II empfiehlt. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6645 ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wir kommen zur Abstimmung über den dazugehörigen Zusatztagesordnungspunkt, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/6701. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5244 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Metadaten/Kopzeile:
15652 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident WestphalIch rufe nun Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern— Drucksache 11/6339 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 11/6702 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Grünewald Poßb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/6621 —Berichterstatter:Abgeordnete Roth Dr. Weng (Gerlingen)Struck
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6700 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Bei leerer Bundesratsbank eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Grünewald.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum zweitenmal in dieser Legislaturperiode müssen wir uns heute mit den ebenso schwierigen wie streitträchtigen Problemen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs befassen. Die Beratungen stehen leider einmal mehr in der schlechten Tradition der Finanzausgleichsgesetze, die seit den 50er Jahren alle im Vermittlungsausschuß oder vor dem Bundesverfassungsgericht endeten.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates sucht nach den fast einjährigen, bedauerlicherweise fruchtlosen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu Recht keine umfassende Lösung aller derzeit offenen und streitbefangenen Fragen. Er beschränkt sich vielmehr in Ansehung der sechs — man höre und staune: sechs — anhängigen und insoweit einschlägigen Verfassungsklagen, und, so meine ich, er beschränkt sich weise auf die Fortschreibung des geltenden Beteiligungsverhältnisses zwischen Bund und Ländern am Umsatzsteueraufkommen sowie auf zwei eher technische Probleme, die den laufenden Vollzug des Länderfinanzausgleichs erheblich erschweren; denn zwei Länder, nämlich Nordrhein-Westfalen und Hamburg, haben unter Verletzung ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung
und unter Verstoß gegen das Prinzip des bündischen
Einstehens füreinander ihre Verpflichtungen aus dem
FAG nur teilweise erfüllt. Diese Verweigerungshaltung beweist nicht nur die Dringlichkeit der Problemlösung, sondern auch, daß der ernstliche Wille zum Kompromiß bei einigen Ländern entgegen allen immer wieder wiederholten Beteuerungen fehlt. Das vorliegende Gesetz, das sofort nach der Verkündigung in Kraft treten soll, wird diese untragbare Rechtsunsicherheit unverzüglich beenden.
Erstens. Im Gesetz zum Ausgleich der unterschiedlichen Wirtschaftskraft in den Ländern aus dem Dezember 1988 wurde das Aufkommen aus der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern für die Jahre 1988 und 1989 im Verhältnis 65 : 35 aufgeteilt. Dieses Beteiligungsverhältnis soll nach einer, wenn ich es richtig sehe, einvernehmlichen Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern auch für das Jahr 1990 fortgelten.
Zweitens. Beim sogenannten Volkszählungsproblem — das uns übrigens ohne den massiven Widerstand der Opposition gegen die Volkszählung erspart geblieben wäre — ist die Frage zu entscheiden, welche Einwohnerzahlen bei der Umsatzsteuerverteilung und beim Finanzausgleich unter den Ländern in den Ausgleichsjahren 1987 und 1988 angewendet werden sollen.
— Ich weiß, das hören Sie nicht gern. Sie hören ja auch
nicht gern, daß uns bei der Volkszählung über Nacht
132 000 Wohnungseinheiten verlorengegangen sind.
Herr Abgeordneter Dr. Grünewald, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ohne Anrechnung auf die Redezeit, ja!
Herr Grünewald, sind Sie nicht auch der Meinung, daß, wenn die Volkszählung früher stattgefunden hätte — daß sie etwas verzögert worden ist, rechnen wir uns durchaus als Erfolg an —, sich die Zahlen dadurch nicht geändert hätten und daß das Problem genauso auf der Tagesordnung gestanden hätte wie jetzt, höchstens ein Jahr früher?
Nein, dann hätten wir eben das Problem, von dem ich gleich handeln werde, nämlich das verfassungsrechtliche Problem, überhaupt nicht bekommen, sondern wir hätten uns an der tatsächlichen Finanzkraft orientieren können und eine gerechte Lösung auch in der Vergangenheit automatisch gehabt.Bekanntlich hat die Volkszählung 1987 zum Teil ganz erhebliche Abweichungen hinsichtlich des tatsächlichen Bevölkerungsstandes in den Bundesländern aufgedeckt. Würde man den Berechnungen statt der damals angewandten Zahlen aus der Bevölkerungsfortschreibung nach der Volkszählung 1970 die neuen Einwohnerzahlen aus der Volkszählung 1987 zugrunde legen, so ergäben sich für die einzelnen Länder ganz erhebliche Vor- bzw. Nachteile. Insgesamt rund 935 Millionen DM müßten umgeschichtet werden, und zwar nachträglich, und einzelne Länder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15653
Dr. Grünewaldhätten Korrekturzahlungen von rund 300 Millionen DM zu leisten. Es bedarf wohl keiner näheren Erläuterungen, welche nahezu unlösbaren Schwierigkeiten sich daraus für die Haushaltswirtschaft der nachteilig betroffenen Länder ergeben würden.Verfassungsrechtlich — und jetzt bin ich beim Thema Ihrer Zwischenfrage — ist der Grundsatz der Planungssicherheit angesprochen, ein Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Urteil vom 24. Juni 1986 durch die Bindung der Finanzausgleichsregelungen an die Erfordernisse einer verläßlichen und in ihren Wirkungen kalkulierbaren Finanzausgaben- und Haushaltswirtschaft ausdrücklich hervorgehoben hat. Andererseits können sich die Länder, die sich bei der Anwendung der neuen, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Einwohnerzahlen in den Ausgleichsjahren besser gestanden hätten, mit Fug und Recht auf das Verfassungsgebot einer realen Finanzkrafterfassung berufen. Danach ist der Finanzausgleich anhand eines möglichst wirklichkeitsnahen Finanzkraftvergleichs vorzunehmen.Der Gesetzentwurf vermittelt zwischen diesen beiden gleichermaßen berechtigten und aus verfassungsrechtlicher Sicht auch zu beachtenden Gesichtspunkten in der Form, daß er einen stufenweisen Übergang von den alten, fiktiven zu den neuen, tatsächlichen Einwohnerzahlen vorsieht. Die Differenzen zwischen alten und neuen Einwohnerzahlen sollen im Ausgleich 1987 zu einem Drittel und 1988 zu zwei Dritteln berücksichtigt werden. Diese Lösung vermeidet Extreme. Sie findet interessanterweise ihre Parallele in den kommunalen Finanzausgleichsgesetzen der Länder, die ausnahmslos alle auch die neuen Volkszählungsergebnisse erst ab 1989 anwenden.Der Widerstreit zwischen dem Grundsatz der Planungssicherheit einerseits und dem Verfassungsgebot der realen Finanzkrafterfassung andererseits wird nun durch eine angemessene Berücksichtigung beider Prinzipien zum Ausgleich gebracht. Diese Konfliktlösung über den Weg der sogenannten praktischen Konkordanz ist verfassungsfest und ausgewogen.Drittens. Der Gesetzentwurf schließt außerdem eine Gesetzeslücke, die beim Länderfinanzausgleich erstmals 1989 wegen der sogenannten Ländersteuergarantie zu einer Finanzierungslücke geführt hat. Konkret handelt es sich darum, daß der für Baden-Württemberg errechnete Ausgleichsbetrag zu einer Unterschreitung der Ländersteuergarantie Baden-Württembergs führen würde und deshalb zu kürzen ist. Der sich daraus ergebende Fehlbetrag kann von dem einzigen anderen Zahlerland, nämlich Hessen, bei Wahrung seiner eigenen Ländersteuergarantie nur zu einem Teil übernommen werden. Das Gesetz regelte bisher nicht, wie die Ausgleichszuweisungen durch die Ausgleichsbeiträge in einem solchen Fall gedeckt werden sollen.Der ersichtlich auf einem Kompromiß zwischen den sehr unterschiedlichen Länderinteressen beruhende Regelungsvorschlag des Bundesrates folgt nun dem Gedanken, daß Zahlerländer, die in einem solchen Fall bereits über ihre normale Ausgleichsbeitragspflicht hinaus Fehlbetragsanteile aus der Ländersteuergarantie übernehmen mußten, bei der Verteilung der verbleibenden Finanzierungslücke nicht noch einmal herangezogen werden sollen. Die Finanzierungslücke soll vielmehr auf die übrigen Länder, einschließlich der bereits an die Grenze der Ländersteuergarantie stoßenden Zahlerländer, im Verhältnis der Landeseinnahmen nach § 7 Abs. 1 und 2 FAG unter Berücksichtigung der Ausgleichsleistungen verteilt werden.In Übereinstimmung mit der Bundesregierung halten die Koalitionsfraktionen den Regelungsvorschlag des Bundesrates für vertretbar. Dabei sei gar nicht geleugnet, daß auch andere Lösungswege denkbar sind, einen aus der Ländersteuergarantie folgenden Fehlbetrag abzugleichen — etwa durch eine von vornherein vorgenommene Umlage auf alle Länder. Weil jedoch mit jedweder Alternative ganz zwangsläufig sehr, sehr unterschiedliche Verteilungswirkungen einhergehen, haben wir davon abgesehen, in diesem sehr schwierigen und äußerst komplizierten Regelungsbereich ohne Not — ich betone: ohne Not — einzugreifen und denkbare Änderungen zum Bundesratsentwurf weiter zu verfolgen.Dieses unser Verhalten gebietet nicht nur der Respekt vor dem Bundesrat und den insoweit materiell allein betroffenen Ländern, sondern ist um so gerechtfertigter, als auch seitens der überstimmten Bundesländer im Bundesrat keine abweichende Verteilung der Finanzierungslücke aus der Ländersteuergarantie beantragt worden ist. Und deshalb hat uns der erst gestern erstmalig im Finanzausschuß eingebrachte Antrag der SPD-Fraktion, die Ländersteuergarantie ersatzlos zu streichen, schon ein wenig verwundert und überrascht.
Diesen Antrag werden und müssen wir mit Sicht auf die Schutzfunktion dieser Garantie vor einer Überforderung der finanzstarken Länder ablehnen.
Hinzu kommt, daß nach unserer Auffassung, worauf ich schon zum wiederholten Male hingewiesen habe, schon heute die Grenze der verfassungsrechtlich zulässigen Nivellierung erreicht ist.Und nur am Rande: Der weitere SPD-Antrag des gestrigen Tages, der angeblich nur versehentlich — man höre: versehentlich — erdacht, ausgedruckt und vorgelegt wurde, die Volkszählungsproblematik einfach offenzuhalten, hat uns einfach nur amüsiert. Dabei gucke ich besonders erheitert auf den Vertreter des Landes Schleswig-Holstein.Die Koalitionsfraktionen werden dem Gesetzentwurf, der alles in allem einen sehr ausgewogenen und austarierten Kompromiß beinhaltet, zustimmen.Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.
Metadaten/Kopzeile:
15654 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne auf die Polemik des Kollegen Grünewald eingehen zu wollen,
von dem wir das eigentlich nicht gewohnt sind, möchte ich zunächst mit einer erfreulichen Mitteilung beginnen. Ich darf nämlich dem Kollegen Hauchler auch von dieser Stelle aus herzlich zum Geburtstag gratulieren.
— Das Alter möchte ich nicht bekanntgeben. Er sieht jedenfalls älter aus, als er ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine zweite Mitteilung, die mit dem hier zu beratenden Gesetzentwurf nur mittelbar zusammenhängt, die ich machen möchte, bezieht sich auf eine Presseerklärung der Fraktion der CDU/CSU vom 14. März dieses Jahres, die ich außerordentlich bedaure. In dieser Presseerklärung äußern sich Rechtspolitiker, die offenbar von Finanzpolitik wenig verstehen, auch zu dem Thema horizontaler und vertikaler Finanzausgleich nach einer deutschen Einigung nach Art. 23 des Grundgesetzes. Ich möchte hier für meine Fraktion und, denke ich, auch für die anderen Fraktionen dieses Hauses ausdrücklich erklären, daß ich es für abenteuerlich halte, jetzt Diskussionen über Finanzausgleiche zwischen den Ländern der Bundesrepublik einerseits und den künftigen Ländern der DDR andererseits zu führen.
Ich denke, daß wir uns alle darauf verständigen sollten, daß es hier mit Sicherheit Übergangslösungen geben müssen wird, die sowohl die Finanzsituation unserer Länder als auch die Finanzsituation der künftigen Länder in der DDR berücksichtigen. Ich bitte also auch Sie, Ihre Kollegen entsprechend zu informieren, damit nicht ein solcher Blödsinn weiter verbreitet wird.Nun zu dem hier zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf des Bundesrates. Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich um eine Bundesratsinitiative. Deshalb darf ich mein Befremden ausdrücken, daß ich keinen einzigen Vertreter des Bundesrats auf der Bundesratsbank sehe.
Man sollte vermuten, daß die Länder mit ihrer Initiative eine gesetzgeberische Entscheidung des Bundestages anstreben, die unter den Ländern konsensfähig ist. Das ist aber leider nicht der Fall. Aus dem ursprünglichen Gesetzesantrag des Landes Hessen wurde der Fünf-Länder-Antrag der Bundesratsmehrheit der B-Länder, der, bevor die Ausschußberatungen im Bundesrat ordnungsgemäß zu Ende gebracht worden sind, mit der B-Länder-Mehrheit des Bundesrates gewissermaßen im Hauruckverfahren beschlossen und nun uns, dem Bundestag zugeschoben worden ist. Nun sollen also wir das leisten, was die Länder zu leisten nicht in der Lage waren. Wir sollen eine vernünftige Änderung des Finanzausgleichsgesetzes finden, eine Änderung des geltenden, für die Länder unbefriedigenden Rechtszustandes, eine Änderung, die den Finanzausgleich unter den Ländern selbst vollziehbar macht, obwohl die Länder selbst hierüber uneins sind.Hier und heute geht es nur um die Finanzbeziehungen der Länder untereinander, um den horizontalen Finanzausgleich und nicht um die Finanzbeziehungen der Länder mit dem Bund. Der Bund ist nicht betroffen, weder von der vorgeschlagenen Ergänzung des § 10 Abs. 3 des Finanzausgleichsgesetzes noch von der Volkszählungsproblematik. Sind aber die Finanzbeziehungen der Länder zum Bund von diesen Themen nicht berührt, dann bringt das uns, den Bundestag, in die Rolle eines ehrlichen Maklers, der unter den Ländern „vermitteln" soll. Hierfür aber haben wir, der Bundestag, von der Bundesratsmehrheit, also nur von einem Teil der Länder, der diesen Vorschlag trägt, und nicht von allen Ländern eine Vorgabe bekommen, die nicht zu einem ehrlichen Ergebnis führen kann. Das gilt nach Auffassung der SPD-Fraktion sowohl für die Korrektur des § 10 Abs. 3 des Finanzausgleichsgesetzes als auch für die kompromißweise Drittel- und Zweidrittelberücksichtigung der Volkszählungsergebnisse in einer Übergangszeit. Ich darf das kurz begründen.Die SPD-Bundestagsfraktion, Herr Präsident, beantragt die Streichung des § 10 Abs. 3 des Finanzausgleichsgesetzes an Stelle der hier jetzt vorgesehenen weiteren Korrektur dieser Vorschrift. Während des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens sowohl im Bundesrats- als auch im Bundestags-Finanzausschuß wurden keine Berechnungen vorgelegt, die erkennen lassen, in welcher Art und Weise die verbalen Vorgaben des Gesetzestextes zur Finanzierung der Deckungslücken nach § 10 Abs. 3 des Finanzausgleichsgesetzes rechnerisch umgesetzt werden sollen. Die Auswirkungen auf die Länderhaushalte, die die vorgesehene Regelung zur künftigen Durchführung des nach geltendem Recht gar nicht vollziehbaren § 10 Abs. 3 als sogenannte Ländersteuergarantie hab en würde, stehen überhaupt nicht fest.Auch ist der materielle Inhalt dieser neuen, vorgeschlagenen Lösung sehr ungereimt. Die ungedeckte Finanzierungslücke soll nämlich durch alle Länder im Verhältnis ihrer Finanzkraft geschlossen werden, ausgenommen Hessen. Damit nehmen dann auch die Länder, deren Finanzkraft unterdurchschnittlich ist und die daher selbst etwas bekommen, nun auch noch an der Finanzierung ihres Empfangs teil.Ungereimt ist weiter der Verteilungsschlüssel zur Aufbringung des ungedeckten Hebungsbetrages, da er einzelne Länder unangemessen belastet. Beispielsweise würde Nordrhein-Westfalen, ein Land mit einer Finanzkraft inmitten aller Bundesländer, mehr als ein Drittel der gesamten Zahllast aufbringen, wenn man den § 10 Abs. 3 so ändert, wie Sie das vorgeschlagen haben. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir für einen vollkommenen Verzicht auf den § 10 Abs. 3.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15655
Dr. StruckNun zu dem Thema Ergebnisse der Volkszählung und deren Berücksichtigung im Länderfinanzausgleich. Die SPD-Bundestagsfraktion enthält sich bei der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange für die Ausgleichsjahre 1987 und 1988 die Volkszählungsergebnisse berücksichtigt werden sollen oder ob es bei den bereinigten Volkszählungsergebnissen auf der Grundlage des Jahres 1970 zu verbleiben hat, der Stimme.Wir begründen das wie folgt. Der vom Entwurf gewählte Weg ist fragwürdig. Er will zwar schon die durch die Volkszählung neu zu Tage getretenen Einwohnerverhältnisse zugrunde legen, allerdings dann— Herr Kollege Grünewald hat das ausgeführt — in einem Stufenverfahren, nach dem für 1987 ein Drittel und für 1988 zwei Drittel der Veränderungen im Finanzausgleich wirksam werden sollen und erst ab 1989 die volle Wirksamkeit der Volkszählungsergebnisse zum Tragen kommen soll. Das kann nicht richtig sein!
— Ich komme gleich darauf.Volkszählungsergebnisse aus dem Jahre 1970 zu 100 % zugrunde zu legen ist die eine Möglichkeit, oder es sind die neuen Volkszählungsergebnisse von 1987 zugrunde zu legen, dann aber auch zu 100 %. Die halbe Wahrheit in der Drittelung und Zweidrittelung zu suchen heißt, sich dem Wahrheitsgebot nicht zu stellen; denn dieser Stufenplan ist auf jeden Fall falsch. Entweder gelten die hochgeschriebenen Ergebnisse der Volkszählung von 1970 oder die aktuellen Ergebnisse der Volkszählung von 1987. Die Wahrheit ist keine mit der Bruchrechnung zu findende Größe.
— Ein Kompromiß darf auch einmal an der mathematischen Wahrheit vorbeigehen, wenn dies konsensfähig ist. So ist es aber in diesem Falle im Bundesrat gerade nicht gewesen. Den Vorteil der Bundesratsmehrheitsentscheidung findet man daher ganz überwiegend bei den unionsgeführten Ländern, was bei dieser punktuellen Teillösung für weitere anstehende Probleme eben nicht die Billigung der A-Länder gefunden hat.
Ein Kompromiß, isoliert auf die im Bundesratsentwurf aufgegriffenen Teilthemen, kam eben nicht zustande.Wir sind als SPD-Bundestagsfraktion insgesamt gegen dieses im Hauruckverfahren
vom Bundesrat auf den Weg gebrachte und im Bundestag ebenfalls ohne fundierte Beratung durch den Finanzausschuß gepeitschte Gesetz; denn der Finanzausgleich ist insgesamt nicht funktionsfähig.Schon die letzte Gesetzgebung des Bundestages auf diesem Gebiet hat — damals genauso wie heute nachVorlage des Bundesrates — beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klagen ausgelöst.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall?
Natürlich.
Bitte schön. Herr Uldall.
Herr Kollege Struck, wenn Sie eine seriöse Finanzpolitik betreiben, dann dürfen Sie nicht nur sagen, daß Sie mit dem gefundenen Kompromiß nicht einverstanden sind, Sie müssen jetzt definitiv erklären, auf welchen Kompromiß sich die sozialdemokratisch regierten Länder sonst hätten einigen können.
Herr Kollege Uldall, ich sage Ihnen doch nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, daß es in dieser Frage keine einheitliche Meinung der von der SPD regierten Länder gibt.
Ich bin hier auch nicht bereit, Herr Kollege Uldall
— ich denke, meine Fraktion stimmt mir da zu — , den fehlenden Einigungsprozeß der A-Länder im Bundesrat durch eine Brachialentscheidung der SPD-Bundestagsfraktion zu ersetzen.
Jeder von uns, der mit Finanzpolitik zu tun hat, weiß, daß auch hier der alte Grundsatz von Karl Marx stimmt: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Das heißt, derjenige, der bezahlen muß, ist gegen etwas, und derjenige, der etwas bekommt, ist für etwas. — Ich will die Länder nicht nennen, über die wir hier reden.
— Sie haben den Namen genannt und ihn dadurch im Protokoll untergebracht; ich gratuliere Ihnen dazu, Herr Uldall.
Zuletzt möchte ich für die SPD-Bundestagsfraktion unser Abstimmungsverhalten zusammenfassen: Wir beantragen, den § 10 Abs. 3 zu streichen. Wenn dieser Antrag, wie zu erwarten, nicht die Mehrheit des Hauses finden wird, werden wir uns insgesamt in der Schlußabstimmung der Stimme enthalten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnet Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dem letzten Dialog zwischen dem Kollegen Uldall und Herrn Struck ist deutlich geworden, daß es vielleicht ganz vernünftig ist, einmal einen Blick auf die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfes im Bundesrat zu werfen.Der Antrag stammt aus dem Frühjahr des vergangenen Jahres. Seitdem hat eine Unzahl von Gesprächen stattgefunden. In Arbeitsgruppen, in Verhandlungen
Metadaten/Kopzeile:
15656 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Gattermannder Finanzminister hat man versucht, alle Streitfragen zum Länderfinanzausgleich und die Zweifelsfragen zum Strukturhilfegesetz zu bündeln und einer einvernehmlichen Regelung zuzuführen.Es wäre in der Tat dem Föderalismus gut bekommen, wenn es gelungen wäre, eine politische Lösung zu finden, die es ermöglicht hätte, die anhängigen Klagen — es sind jetzt sechs an der Zahl, und die siebte ist angekündigt — vor dem Bundesverfassungsgericht zurückzunehmen und den Länderfinanzausgleich — mindestens was den westlichen Teil Deutschlands betrifft — zunächst einmal auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen.Aber an der notwendigen Kompromißbereitschaft hat es auf breiter Front gefehlt. Es hat insbesondere auch an der Kompromißbereitschaft der A-Länder gefehlt, Herr Struck. Wenn man sich die Anträge im Bundesrat anschaut, die die SPD-Länder gestellt haben, dann findet man den gesamten Katalog der Maximalforderungen aller einzelnen Länder dort wieder.Trotz aller öffentlichen Beteuerungen, hier zu einem Ergebnis zu kommen, ist nichts als der blanke, von Karl Marx richtig beschriebene Egoismus der einzelnen Länder auszumachen.
Ich frage mich wirklich, wie wir mit einer derartigen grundsätzlichen Positionierung im Verhältnis der Länder zueinander die Aufgaben lösen wollen — die tatsächlich neu gelöst werden müssen, Herr Struck —, die auf uns zukommen, wenn dieses Gesamtdeutschland ein föderalistisches Deutschland sein soll, ein vielleicht sogar noch verstärkt föderalistisches Deutschland sein soll, als es zur Zeit die Bundesrepublik ist, wenn die Kompromißbereitschaft so breit fehlt und wenn als einziges den Herren noch einfällt, den Bund — die „Zentralgewalt" würde das in der Föderalismusdiskussion heißen — zur Kasse zu bitten, um überhaupt zu irgendwelchen Ergebnissen zu kommen.Wir haben beim letzten Mal jährlich 600 Millionen DM — mit steigender Tendenz — beim Bund zugelegt. Wir haben ein Strukturhilfegesetz gemacht, das über zehn Jahre 2,5 Milliarden DM in diesen Verteilungsmechanismus — wie auch immer und unter welchem Etikett auch immer — einführt. Aber die Antwort darauf ist nicht etwa, uns ein gutes fertiges Ergebnis vorzulegen, sondern den Handlungsbedarf in wesentlichen Punkten offenzulassen.Herr Kollege Struck, in der Frage der Ländersteuergarantie und in der Frage des Abschlusses der Jahre 1987/88 unter der Problematik des Volkszählungsgesetzes muß man zu einem Ergebnis kommen, genauso wie wir die Umsatzsteuerverteilung für das Jahr 1990 fortschreiben mußten. Herausgekommen ist nun ein Kompromiß. Wir glauben, es ist ein vertretbarer Kompromiß.Übrigens kommen wir, Herr Kollege Struck, bei der Volkszählungsproblematik mit der Mathematik überhaupt nicht weiter. Denn die Mathematik der Volkszählung 1970 erbrachte ein falsches mathematisches Ergebnis, wie wir aus dem zweiten Volkszählungsergebnis wissen.Hier muß nun der Ausgleich zwischen zwei verschiedenen Verfassungsgeboten gesucht werden. Man kann über einzelne Verteilungen streiten. Wir meinen, es ist ein guter, ausgewogener Kompromiß, den man sehr gut vertreten kann. Deswegen beschließen wir dieses Gesetz jetzt, und dann kommen die siebte und die achte Klage. Ich weiß nicht, wie wir im Zuge einer gesamtdeutschen Entwicklung einen vernünftigen Länderfinanzausgleich à la longue mit Übergangsregelungen oder wie auch immer hinbekommen sollen. Nur eines steht fest: Wenn dies ein föderalistisches Gesamtdeutschland sein soll, dann kann die Finanzierung dieses Staates nicht eine zentralistische Bundesfinanzierung sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hüser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vor gut zwei Jahren, 1988, ausführliche Debatten über den Länderfinanzausgleich gehabt und haben es jetzt hier schon wieder mit einem neuen Regelungsbedarf zu tun. Ich bin sicher — das ist hier schon angesprochen worden — , daß dies nicht der letzte Regelungsbedarf sein wird, zumal noch sechs Verfassungsklagen anhängig sind und diese irgendwann einmal zu einem Ergebnis gebracht werden, das, wenn man die Geschichte des Länderfinanzausgleichs betrachtet, mit Sicherheit nicht zufriedenstellen wird. Ich denke auch, daß wir diese Problematik nicht lösen können. Solange einfach die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zwischen den Ländern und den Kommunen weiterhin bestehen, so lange wird es immer Unzufriedenheiten und auch entsprechende Änderungsanträge oder Verfassungsklagen gegen dieses Gesetz geben.Jetzt konkret zu diesem Gesetz: Durch die Regelung, die die CDU hier vorschlägt, würde das Faktum entstehen, daß eigentlich die Nehmerländer aus dem Länderfinanzausgleich teilweise ihre Zuweisung selber bezahlen müßten. Dies kann bei dem großen Finanzgefälle innerhalb der Länder eigentlich nicht gewollt sein. Außerdem würde auch die Reihenfolge zwischen den Ländern Hessen und Baden-Württemberg nach dem Ausgleich verschoben werden. Dies würde zumindest die Gefahr in sich bergen, daß damit dann die siebte Verfassungsklage anstehen würde.Ich kann auch nicht verstehen, Herr Grünewald, daß Baden-Württemberg und Hessen jetzt besonders geschröpft werden, da bei dem 1988 beschlossenen Länderfinanzausgleichsgesetz entgegen dem einschlägigen Grundgesetzkommentar von Maunz/Dürig die Gemeindesteuern nur mit 50 % einbezogen worden sind und gerade Baden-Württemberg hier ein erheblicher finanzieller Vorteil zuteil geworden ist.Von daher können wir diesem Gesetz keine Zustimmung entgegenbringen und werden den Änderungsantrag der SPD, wie auch gestern im Ausschuß, unterstützen.Grundsätzlich stehen wir auf dem Standpunkt, daß die neuesten Zahlen, wenn sie denn existieren, heran-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15657
Hüsergezogen werden müssen. Allerdings sind wir bei diesem Punkt relativ leidenschaftslos. Die Debatte hat gezeigt, irgendwie muß ein Kompromiß gefunden werden. Die Schwierigkeiten hat immer die Fraktion, die gerade die Mehrheit hat. Die Schwierigkeiten hätten wahrscheinlich auch Sie von der SPD. Ich wüßte nicht, wie Sie entscheiden würden, wenn Sie jetzt die Mehrheit hätten. Sie sind in diesem Punkt wahrscheinlich froh, daß die CDU/CSU und die FDP jetzt die Mehrheit haben. Von daher will ich mich aus dieser Diskussion heraushalten. Wir warten ab, bis wir die Mehrheit haben.
Grundsätzlich noch zu einer Problematik, die Herr Struck schon angesprochen hat. In den letzten Tagen und Wochen ist viel über den Länderfinanzausgleich auch im Zusammenhang mit der DDR geredet worden. Ich denke, das wird eigentlich der Punkt sein, der in den nächsten Monaten und Jahren die ganze Diskussion bestimmen wird, und zwar mehr als eben die Unterschiede zwischen den jetzigen Bundesländern. Ich meine, es ist ein lautes Wahlkampfgetöse, wenn einerseits die Union z. B. die Länder der DDR auffordert, einen Antrag auf sofortigen Anschluß nach Art. 23 zu stellen,
und wenn dann andererseits im gleichen Atemzug in Presseerklärungen und Veröffentlichungen beispielsweise von Frau Breuel gesagt wird, daß allerdings Teile des Grundgesetzes und hier die Finanzverfassung zum Länderfinanzausgleich für die Länder erst einmal nicht offenstehen sollten. Das ist sehr paradox und recht heuchlerisch und ist eigentlich nur mit dem Wahlkampf zu erklären.Hier zeigt sich auch deutlich, daß für eine Vereinigung nicht Art. 23 der beste Weg ist. Der bessere Weg ist nach unserer Ansicht der Weg über Verhandlungen und eine verfassunggebende Versammlung nach Art. 146, wo auch die Finanzartikel auf den Tisch müssen. Hier sollte mit den gleichberechtigten Ländern der DDR darüber verhandelt werden, wie ein föderatives System aufgebaut werden könnte. In diese Verhandlungen müßte auf jeden Fall hinein — wir haben über den Antrag der SPD gestern im Finanzausschuß gar nicht mehr geredet — , eine Kommission von Bund und Ländern einzusetzen. Diese Kommission könnte einen solchen Schritt vorbereiten. Wir haben damals bei der Diskussion schon Eckpunkte eingebracht. Wir denken, daß der Bund bei einem Neuaushandeln des Länderfinanzausgleichs viel stärker gefordert ist als jetzt, damit die Länder und auch die Kommunen mehr Finanzautonomie erhalten. Auch müßten bei einem Finanzausgleich der Länder untereinander andere Schwerpunkte gesetzt werden. Wir haben sie damals benannt: Sozialhilfe, Altersarmut und auch Arbeitslosigkeit sind ganz maßgebliche Strukturmerkmale, die die Finanzkraft der Länder mit beurteilen, nicht nur die Steuereinnahmen. Das sind Punkte, die in so eine Diskussion hinein müssen.Ich denke, daß den Menschen auch gesagt werden muß, daß nicht nur der Bund gefordert ist, sondern daß hier natürlich auch die Länder gefordert sind und mannicht alles auf den Bund abschieben kann. Gerade an so einem komplexen System wird meiner Meinung nach deutlich, daß für eine Vereinigung, wie sie gewollt wird, und wenn die DDR-Regierung diesen Weg nach dem nächsten Sonntag einschlagen sollte, jahrelange Verhandlungen notwendig sind und in der Zwischenzeit Hilfen an die DDR geleistet werden müssen, damit sie erst einmal annähernd gleichwertige Lebens- und Finanzverhältnisse überhaupt herstellen kann, damit diese Diskussion auf einen fruchtbaren Boden gestellt werden kann.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern.Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6700 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Die Fraktion der SPD hat zu Art. 1 in der Ausschußfassung getrennte Abstimmung verlangt. Wer stimmt für Nr. 1? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist diese Nr. 1 angenommen.Wer stimmt für Art. 1 Nr. 2? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN ist Art. 1 Nr. 2 angenommen.Wer für Art. 1 Nr. 3 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen der Fraktion der GRÜNEN ist Nr. 3 angenommen.Damit ist der Art. 1 in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe die Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD und Gegenstimmen der GRÜNEN sind diese Vorschriften angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei den gleichen Stimmenverhältnissen ist das Gesetz angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
Metadaten/Kopzeile:
15658 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident Stücklen
— Drucksachen 11/5972, 11/6508, 11/6540 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 11/6636 —Berichterstatter:Abgeordnete Conradi DörflingerGroßmann
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnungsunternehmen
— Drucksache 11/2199 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 11/5522 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Rönsch Müntefering
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6646, 11/6651 und 11/6705 vor.Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Aussprache auf zwei Stunden zu begrenzen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dörflinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben sich das, zugegeben, ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren eine Million neue Wohnungen zusätzlich zu bauen. Sie stellen sich damit einer wichtigen gesellschaftspolitischen Herausforderung. Die finanz- und steuerpolitischen Maßnahmen greifen, auch ungeachtet der Irritationen vom Kapitalmarkt her. Der beste Beweis dafür ist, daß sich beispielsweise das KfW- Programm als absoluter Renner erweist. Das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, gibt dieser wohnungsbaupolitischen Offensive planungsrechtlichen und mietrechtlichen Flankenschutz. Dieses Gesetz ist damit die Antwort auf neue Herausforderungen, die den Mut erfordern, neue, auch unkonventionelle Wege zu gehen. Da hilft es weder, sich an die Klagemauer zu stellen, noch helfen Träume von idealen Lösungen. Denn für viele, die eine Wohnung suchen, spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle, auch aus menschlichen Gründen.
Meine Damen und Herren, unsere Solidarität mit denen, die auf der Suche nach einer Wohnung sind, ist gefordert, nicht mit denen, die bereits eine haben.
Es könnte durchaus sein, daß eine kinderreiche Familie es interessant findet, in einem nicht mehr bewirtschafteten Bauernhof eine Wohnung zu finden. Es könnte für einen Über- oder Aussiedler, der bisher in der Turnhalle untergebracht ist, durchaus interessant sein, zu erfahren, daß wir ihm mit diesem Gesetz eine Chance eröffnen, bald zu einer Wohnung zu kommen.
Wir sollten freilich auch so ehrlich sein zu sagen: Zielkonflikte sind unvermeidlich, wenn wir schneller zu Wohnungen kommen wollen, z. B. der Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit, neue Bauflächen auszuweisen, und der Notwendigkeit, mit Grund und Boden sparsam umzugehen und wenig Landschaft zu verbrauchen. Aber wer weder den Mut zur Ehrlichkeit noch den Mut zu neuen Wegen aufbringt, dem rufe ich ein Zitat von Oberbürgermeister Rommel — den Sie ja gern zitieren, Herr Conradi —
in Erinnerung. Rommel hat gesagt: Wer gleichzeitig sagt, ich bin gegen Landschaftsverbrauch, aber die Wohnungsnot muß bekämpft werden, der luft. — In der Tat haben sich die Prämissen gemeindlicher Bauleitplanung grundlegend verändert. Auch die Vorgaben der höheren Instanzen haben sich verändert. Das hat übrigens das Hearing eindrucksvoll bewiesen. Niemand hat dem Bürgermeister aus Schopfheim widersprochen, der vor dem Hintergrund konkreter Berechnungen des baden-württembergischen Gemeindetages nachgewiesen hat, daß die ausgewiesenen Bauflächen eben nicht ausreichen.
Diese Grundlagen haben sich wegen gestiegener Nachfrage und auch deswegen verändert, weil wir es entgegen allen Prognosen weder mit stagnierender noch mit zurückgehender Bevölkerungszahl, sondern mit einer wachsenden Bevölkerungszahl zu tun haben. Deswegen gebietet die Verantwortung der Politik, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.Das Baugesetzbuch tritt deswegen nicht außer Kraft. Insbesondere seine ökologische Dimension bleibt in vollem Umfang erhalten. Ja, wir haben inzwischen durch das Verabschieden der Umweltverträglichkeitsprüfung auch im Bauleitplanverfahren noch einmal umweltpolitisch draufgesattelt.Notwendig ist eine temporäre Anpassung des Baugesetzbuches an veränderte Problemstellungen. Es ist schon interessant, daß wir die Opposition heute als Verteidigerin des Baugesetzbuches erleb en, während sie bei der Behandlung des Baugesetzbuches in den Jahren 1986 und 1987 an diesem Baugesetzbuch kein gutes Haar gelassen hat, ein merkwürdiger Widerspruch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15659
Dörflinger— Herr Kollege Müntefering, das ist genauso diffus, wie Ihre Alternativen insgesamt diffus sind. Und diese Alternativen stellen Sie heute mit Entschließungsanträgen noch einmal zur Abstimmung.Meine Damen und Herren, bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs am 7. Dezember 1989 habe ich erklärt, wir bemühten uns um effektive, praktikable und auch auf Interessenausgleich ausgerichtete Instrumente, und bei diesem Bemühen seien wir offen für Verbesserungen und Klarstellungen. Nach Abschluß der intensiven Beratungen im Ausschuß kann ich feststellen: Wir sind diesen Ansprüchen gerecht geworden, zunächst einmal durch die Intensität der Beratungen im Ausschuß, wobei ich auch ein Wort der Anerkennung für die Kooperationsbereitschaft insbesondere der SPD-Fraktion sagen will.Wir sind diesem Anspruch auch gerecht geworden durch das Einbeziehen von viel Sachverstand von Fachleuten, sowohl im Hearing, als auch in den laufenden Beratungen, insbesondere durch den uns ständig begleitenden Rat der kommunalen Spitzenverbände.Wir haben uns auch sehr differenziert und offen mit den Vorschlägen des Bundesrates auseinandergesetzt.Wir haben schließlich das Ergebnis unserer Überlegungen insgesamt in einer Reihe von Änderungsanträgen der Koalition zusammengefaßt. Das ist nicht Ausdruck schlechten Gewissens oder Nichtüberzeugtseins von unseren gesetzgeberischen Schritten, sondern das Ergebnis wirklich intensiven Nachdenkens.Kernstück dieses auf fünf Jahre befristeten Maßnahmengesetzes ist es, den Gemeinden ein Angebot zu machen, bei dringendem Wohnbedarf der Bevölkerung schneller zusätzliche Bauflächen auszuweisen und die Verfahren zu beschleunigen. Die Mittel, die wir dafür anbieten und im Gesetz vorsehen, sind für alle zumutbar. Das gilt für die Verkürzung der Fristen ebenso wie für die Konzentration der Bürgerbeteiligung, und gilt insbesondere auch für die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange.Wir sind nach intensiven Überlegungen einer Anregung der kommunalen Spitzenverbände gefolgt und haben in dieses Gesetz eine sogenannte Präklusionsklausel hineingeschrieben, die die Träger öffentlicher Belange, was ihr Mitwirken angeht, in eine zeitliche und verfahrenstechnische Disziplin gegenüber den Gemeinden zwingt. Das war ein Anliegen, das die Gemeinden seit vielen Jahren hatten. Ich halte es für einen entscheidenden Fortschritt, was das Verhältnis der Gemeinden zu anderen Institutionen angeht, daß diese neue Regelung kommt. Es erleichtert den Gemeinden sicher die Arbeit, wenn sie schnell Bauleitpläne aufstellen wollen.Am Widerstand der Länder dagegen ist der Versuch gescheitert, bei Zielkonflikten zwischen dem Wollen der Gemeinde und Festlegungen übergeordneter Planungen ein eindeutiges Procedere für das Auflösen solcher Konflikte festzuschreiben. Meine Damen und Herren, niemand will seitens des Bundes in Länderkompetenzen eingreifen. Aber ich formuliere für meine Fraktion hier die klare Erwartung, daß das, waswir in unseren Entschließungsantrag hineingeschrieben haben, Wirkung zeigt. Das heißt, daß sich die Länder letztlich nicht als Bremsklötze für die Realisierung dessen erweisen, was die Gemeinden aus ihrer Sicht heraus für die Gemeinden für notwendig erachten.
Das gilt insbesondere für die Fälle, wo Bauleitpläne aufgestellt werden müssen, bevor der Flächennutzungsplan geändert oder ergänzt ist.Ich komme zum zweiten Schwerpunkt. Dort geht es um die Erweiterung des Handlungs- und Gestaltungsspielraumes, auch unter bodenrechtlichen Gesichtspunkten, der Gemeinden, auch was den Ausgleich zwischen öffentlichen und privaten Interessen angeht. Das gilt für die breit begrüßte Wiedereinführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen bei einem verbesserten Anwendungsbereich z. B. beim Flächenrecycling. Wichtig schien uns auch, der Anregung der kommunalen Spitzenverbände zu folgen, den Handlungsrahmen für die Gemeinden nicht durch eine Rechtsverordnung der Länder zu setzen, sondern durch eine gemeindliche Satzung.
— Man kann ja auch klüger werden, lieber Herr Conradi,
und neue Probleme kommen. — Und wir schaffen Gestaltungsspielräume auch, was die verbesserte Anwendung und den verbesserten Vollzug des Baugebots angeht. Insbesondere dringender Wohnbedarf kann ein entscheidendes Kriterium für das Anwenden dieses Baugebotes sein. Und ich erwähne auch die Verpflichtung, einen genehmigungsfähigen Bauantrag innerhalb einer angemessenen Frist zu stellen. Wir haben mit diesem Gesetz und seiner Formulierung auch Konsequenzen aus der jüngsten Rechtsprechung gezogen. Und die Gemeinden werden schließlich von der Möglichkeit profitieren, im Außenbereich vom Vorkaufsrecht zum Verkehrswert Gebrauch zu machen.Meine Damen und Herren, weitergehende Vorschläge der Opposition, die zum Teil noch im Zusammenhang mit Vorschlägen zum Steuerrecht stehen, haben wir nicht aufgegriffen, und zwar zum ersten deswegen, weil wir sie im Rahmen dieses Maßnahmengesetzes nicht für schnell umsetzbar halten, zum zweiten aber auch deswegen — das füge ich hinzu —, weil sie oft ordnungspolitische Schlagseite haben. Ich kann mich manchmal nur wundern, daß sich SPD und GRÜNE in diesem Hause als Bannerträger individueller Rechte aufführen, von der Berücksichtigung dieser individuellen Rechte aber kaum mehr die Rede ist, wenn sich diese individuellen Rechte z. B. mit Eigentum verbinden. Das ist ein merkwürdiger Widerspruch.
Metadaten/Kopzeile:
15660 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Meine Damen und Herren, was die Zulässigkeit von Einzelvorhaben angeht — das ist der dritte Schwerpunkt dieses Gesetzes — , haben wir uns fast einvernehmlich zunächst einmal darauf verständigt, zeitlich zu beschleunigen und bei dringendem Wohnbedarf auch erweiterte Genehmigungsmöglichkeiten nach den §§ 31 und 34 des Baugesetzbuches zu schaffen. Von großer Wichtigkeit ist dabei, daß Widersprüche und Anfechtungsklagen Dritter nach dem Gesetz künftig nicht mehr automatisch eine aufschiebende Wirkung haben, wenn das betreffende Bauvorhaben ausschließlich Wohnzwecken dient. Meine Damen und Herren, damit wird niemand rechtlos. Aber wir haben es für notwendig gehalten, dem Egoismus einen Riegel vorzuschieben, einem Egoismus, der sich nur zu oft auf dem Rücken des Gesetzgebers, auf dem Rücken des Bauherrn und auch auf dem Rücken des öffentlichen Interesses abspielt.Nun zum Außenbereich — zugegeben, das ist die schwierigste und auch umstrittenste Materie des Gesetzes — : Eine seriöse Auseinandersetzung gebietet zunächst eine nüchterne, eine realistische Analyse der Probleme. Erste Feststellung dazu: Wir brauchen schnell neue Wohnungen, und wir brauchen sie schnell vor allem dort, wo es ohne zusätzliche Flächeninanspruchnahme geht. Zweite Feststellung: Wir haben es mit einem Strukturwandel im ländlichen Raum zu tun, auf den auch die Politik eine überzeugende Antwort finden muß.Und jetzt frage ich: Welche Gründe der Vernunft sprechen gegen den Kompromiß, in aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäuden bis zu vier Wohnungen zuzulassen, wenn der Vorrang der landwirtschaftlichen Nutzung bleibt, wenn die funktionale Einheit der Gebäude gewahrt bleiben muß, wenn die Erschließung nachweislich gesichert ist und wenn die äußere Form des betreffenden Gebäudes weitgehend erhalten bleibt?
— Die Erschließung habe ich genannt.—
Meine Damen und Herren, was dafür gilt, gilt künftig nur für Bausubstanz, die bereits am 1. Mai, also bei Inkrafttreten dieses Gesetzes, vorhanden war. Das heißt: Wir schieben vom Gesetzgeber her durchaus denkbaren Tendenzen, mit diesem Gesetz irgendwo Mißbrauch zu treiben, einen Riegel vor.Und jetzt frage ich die Kritiker: Was wäre Ihnen lieber? Wie wollen Sie auf leerstehende Gebäude im Außenbereich reagieren? Wollen Sie die dem Verfall preisgeben? Oder: Wie halten Sie es mit den Interessen derer, die diese Gebäude erhalten müssen?Meine Damen und Herren, strukturpolitische Überlegungen sind auch in eine behutsame Neuregelung für Siedlungsansätze und Splittersiedlungen im Außenbereich eingeflossen, für die der Flächennutzungsplan entweder keine definitive Aussage trifft oder bei denen, um zunächst einmal eine Formulierung zu wählen, vielleicht Landwirtschaft ausgewiesen ist. Durch die Regelung des Problems in § 35 — der Entwurf sah zunächst eine Regelung in § 34 vor — und durch eine von uns bewußt stark gemachte Position der Gemeinden sehen wir in dem jetzt Vorgeschlagenen einen sinnvollen Beitrag für die Zukunft des ländlichen Raumes, einschließlich des Kleingewerbes. Wir meinen auch, den notwendigen Riegel vorgeschoben zu haben, um einer uferlosen Entwicklung im Außenbereich ebenso entgegentreten zu können wie Einzeldruck.Ein paar abschließende Bemerkungen zum mietrechtlichen Teil des Gesetzes. Entgegen aller Polemik in der Öffentlichkeit hat die Union nie Zweifel daran gelassen, daß sie an einem fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Vermieter und der Mieter festhält und daß sie auch bereit ist, in diesem Gesetz Mechanismen einzubauen, die den Mißbrauch verhindern.Wir sind diesem Anspruch gerecht geworden. Wir haben uns dazu entschlossen, die mietrechtlichen neuen Bestimmungen, die mietrechtlichen Ausnahmen, ebenso wie den baurechtlichen Teil zeitlich zu befristen. Wir haben damit auch einer zentralen Forderung des Deutschen Mieterbundes entsprochen.Wir haben weiter festgelegt, daß die Ausnahmen vom normalen Kündigungsschutz, z. B. bei der Vermietung von Ferienwohnungen, beim Ausbau einer dritten Wohnung oder bei der Teilkündigung von Nebenräumen, ausdrücklich, was das Verhältnis der beiden Partner zueinander angeht, an das Erfordernis der Schriftform und an die Hinweispflicht des Vermieters an den Mieter gebunden werden, welche Konditionen dieser beim Anmieten der betreffenden Wohnung akzeptieren soll.Wer jetzt noch polemisiert, muß sich einfach den Vorwurf gefallen lassen, daß er an den Bedürfnissen vieler tausend Menschen vorbeiargumentiert.
— Herr Münterfering, im mietrechtlichen Teil dieses Gesetzes geht es darum, schnell an zusätzlichen Wohnraum zu kommen, um damit Tausende zu versorgen, die auf eine Wohnung warten.
Wenn uns die Volkszählung u. a. das Ergebnis gebracht hat, daß in der Bundesrepublik rund 450 000 Wohnungen nicht vermietet werden, also leer stehen, bin ich der Auffassung, daß man Bremsklötze, die man erkannt hat, im Interesse derer wegräumen muß, die Wohnungen suchen. Genau das haben wir mit diesem Gesetz getan.
Dieses Gesetz ist zunächst einmal, wie ich bereits erwähnt habe, auf fünf Jahre befristet. Wir haben die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag gebeten, den Vollzug und die Effektivität des Gesetzes laufend zu überprüfen und uns zu gegebener Zeit zu berichten, weil ich es für durchaus denkbar halte, daß einige Bestimmungen dieses zeitlich befristeten Gesetzes in Dauerrecht überführt werden könnten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15661
DörflingerWir haben diese Erwartung auch deswegen formuliert, weil wir glauben, daß wir, je nach Problemlage draußen in den Gemeinden, einen sehr differenzierten Anwendungsbereich haben werden. Das heißt, wir glauben, daß das eine Mischung der Reaktion auf neue Problemstellungen einerseits und andererseits des Verwertens von Erkenntnissen ist, die wir sicher beim Vollzug des Baugesetzbuches insgesamt gewonnen haben.Für meine Fraktion darf ich Sie bitten, diesem Gesetz in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen. Die von der Opposition vorgelegten Anträge werden wir ablehnen, weil sie im Kern noch einmal das wiederholen, was wir im Ausschuß sehr gründlich beraten haben. Ich sehe in den Änderungsanträgen nichts Neues, sogar Widersprüchliches. Das Ergebnis unserer Beratungen kann sich sehen lassen. Ich lade Länder und vor allem die Gemeinden herzlich ein, von den Möglichkeiten dieses Gesetzes schnell Gebrauch zu machen, denn die Menschen draußen warten darauf, daß die Politik Weichen stellt, damit wir schnell zu neuen Wohnungen kommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuß! Hochverehrte Gäste! Ich sehe, daß zu dieser Ausschußsitzung im Plenum auch einige andere Abgeordnete gekommen sind, über die wir uns freuen.Die Krise am Wohnungsmarkt ist da. Sie verschärft sich von Woche zu Woche. Die Schlangen der Wohnungssuchenden werden länger. Die Obdachlosigkeit in den Städten nimmt zu. Die Mieten explodieren. Da brechen alle Dämme.Das hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP nicht aus Versehen, nicht fahrlässig, sondern absichtlich herbeigeführt.
Sie haben mit Ihrer Politik den Neubau von Wohnungen auf den Tiefstand seit 1949 heruntergewirtschaftet. Sie haben den sozialen Wohnungsbau auf Null zurückgefahren.
Sie haben die steuerliche Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau zerschlagen. Sie haben das soziale Mietrecht amputiert. Das alles hatte System.
Das alles war nicht Dummheit, sondern kalt kalkuliert. Sie wollten durch Verknappung des Wohnungsangebots und durch Verkürzung des Mietrechts die Mieten hochtreiben, damit sich das privatwirtschaftliche Bauen wieder lohnt.
Sie haben uns die ganze Zeit erzählt, die Marktwirtschaft würde dann schon wieder genug Wohnungen produzieren.
Diese Theorie ist kräftig in die Hosen gegangen, und jetzt flattern Ihnen die vollen Hosen, weil die massenhafte Zuwanderung von Aus- und Übersiedlern den Wohnungsbedarf, den es schon 1987 und 1988 gab, zur Wohnungsnot verschärft hat.Obwohl die Städte und Gemeinden und die Kreise unter der Last der Aus- und Übersiedler fast zusammenbrechen, haben Sie monatelang nichts getan, hat der Bundesinnenminister Woche für Woche ungerührt erklärt: Das Tor bleibt offen. Nichts haben Sie getan, um die Zuwanderung zu bremsen.
Nichts haben Sie dafür getan, die Vorteile der Aussiedler und der Übersiedler beispielsweise bei der Wohnungsvergabe abzuschaffen.Jetzt, in diesen Tagen, werden die Wohnungen für Aussiedler bezugsfertig, die Sie vor Jahr und Tag gegen unseren Rat beschlossen haben. Sie werden sehen, was für soziale Konflikte es in den Städten auslöst, wenn die Aussiedler und die Übersiedler an der Schlange der einheimischen Wohnungssuchenden vorbei vorrangig zum Zuge kommen.
— Aber selbstverständlich! Fragen Sie doch ein Wohnungsamt: Wer in einer Turnhalle oder in einem Hotel auf Kosten der Stadt untergebracht ist, hat Vorrang vor einheimischen Wohnungssuchenden. Das ist die Praxis der Kommunen.
Jetzt kündigen Sie vorsichtig an, Sie wollten das Notaufnahmeverfahren abschaffen. Ich warte darauf, daß Herr Bundesarbeitsminister Blüm sich von diesem Pult aus für das entschuldigt, was er hier vor wenigen Wochen über „Sozialchauvinismus" gesagt hat. Er behauptet, der saarländische Ministerpräsident sei ein „Schönhuber der SPD", sei „ein Erfüllungsgehilfe der SED". Dafür muß sich Herr Blüm hier im Bundestag entschuldigen,
denn jetzt hören wir von Ihnen, daß Sie endlich auch bereit sind, die Notaufnahme abzuschaffen.
Sie haben vielleicht gehofft, die Aus- und Übersiedler kämen Ihnen bei den anstehenden Wahlen zugute. Aber inzwischen haben Sie wohl gemerkt, daß für die Wähler, die Sie da gewinnen könnten, Ihnen bisherige Wähler abspringen, die diese Politik des „Heim ins Reich" für verantwortungslos halten,
Metadaten/Kopzeile:
15662 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
die unserer Meinung sind, es sei notwendiger, den Leuten zu helfen, die in ihrer Heimat bleiben, statt denen, die hierher kommen.
Sie glauben, Sie könnten sich mit kurzatmigen Maßnahmen und mit einer neuen Ministerin aus Ihrer Verantwortung für die Wohnungsnot davonstehlen. Sie machen das ja sehr freundlich, Frau Ministerin,
Sie machen ein Programm mit viel Charme und viel Schaum. Doch wir werden die Wähler daran erinnern,
wir werden der Katze die Schelle umhängen, und sagen, wer für den Wohnungsmangel, wer für die Wohnungsnot, wer für die steigenden Mieten die Verantwortung trägt.Was Sie nun an kurzatmigen Programmen vorschlagen, ist unsozial und unzureichend.
Ihre Förderungsprogramme sind zu knapp finanziert. Sie haben zu kurze Bindungsfristen. Mit sozialem Wohnungsbau hat das nichts zu tun. Diese vereinbarte Förderung ist Betrug an den Wohnungssuchenden.Aber Ihre Politik schadet nicht nur den Wohnungssuchenden, sie schadet allen Mietern, die durch die Mietexplosion betroffen sind. Dagegen tun Sie nichts.Sie könnten gesetzlich den bisher zulässigen Mietanstieg von 10 To auf 5 % im Jahr begrenzen. Sie könnten gesetzlich die Eigenbedarfskündigung an nachprüfbare, konkrete Voraussetzungen binden. Sie könnten durch Gesetz den Mietspiegel für die örtliche Vergleichsmiete auf alle Wohnungen ausdehnen. Aber Sie setzen Ihre Politik der Mietentreiberei ungerührt fort.
Ihr OB-Kandidat in München, der Herr Regierungssprecher Klein, läßt Plakete kleben: „Wir bremsen den Anstieg der Mieten! " So daherschwindeln kann nur einer, der weiß, daß er die Wahl nicht gewinnen wird. Wir hoffen, daß nicht nur er, sondern auch der gescheiterte und dann geschaßte Bundesbauminister Schneider bei der OB-Wahl in Nürnberg die Quittung für Ihre Wohnungspolitik bekommen wird.
Unter unserer Regierung sind die Mieten jahre-
lang langsamer gestiegen als die Preise.
— Herr Dr. Kansy, lesen Sie den Mietenbericht! Das können Sie im Mietenbericht der Bundesregierung nachlesen.
Dort stehen Mietsteigerungen und Preissteigerungen nebeneinander aufgeführt.
Lesen Sie es nach. Dann werden Sie feststellen: Solange wir regiert haben, sind die Mieten immer langsamer gestiegen als die Preise.
Seit Sie regieren, steigen die Mieten deutlich schneller als die Preise. Das ist die Wahrheit.
So, wie die Arbeitslosigkeit in diesem Land genutzt wird, um die Arbeitnehmer zu kujonieren und die Löhne zu drücken, so wird die Wohnungsnot genutzt, um die Mieter zu kujonieren und die Mieten hochzutreiben. Das ist Ihre Politik.
Sie haben uns viel versprochen. Sie haben uns beispielsweise versprochen, der Bund werde den Gemeinden Bauland aus Bundesvermögen günstig zur Verfügung stellen. Was macht der Bundesfinanzminister? Er bietet im Umland von Stuttgart Ackerland— nicht Bauerwartungsland, sondern Ackerland — mit einem Wert von 20 DM — so der Oberbürgermeister — zum Zehnfachen des tatsächlichen Wertes an. Das ist Bodenspekulation.
— Ja, der Viesenhäuserhof. 20 DM ist der Wert des derzeitigen Ackerlands. Verkauft wird der Quadratmeter für 200 DM. Das nenne ich Bodenspekulation durch die Bundesregierung.Statt den bundeseigenen Wohnungsbestand zu sichern und auszubauen, will der Bundesfinanzminister die Hälfte dieses Wohnungsbestands verkaufen. Wir wissen nicht, wo wir in den Städten dem Polizisten, der Krankenschwester, dem Müllarbeiter und dem Briefträger eine Wohnung verschaffen können, und die Bundesregierung verkauft bundeseigene Wohnungen! Allein in München will sie 8 000, in Stuttgart 3 500 verkaufen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15663
ConradiDer Bundesminister der Finanzen erklärt in unserem Ausschuß, für die Wohnungsversorgung sei er nicht zuständig; er könne — so wörtlich — auf den Wohnungsmarkt keine Rücksicht nehmen. Rücksichtslosigkeit, das ist das Kennwort für Ihre Politik!
Nun zum Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz. In ihm sind einige Maßnahmen enthalten, die den Wohnungsbau etwas erleichtern können. Diesen haben wir zugestimmt. Nach dem Motto „die guten Nachrichten zuerst" will ich diese Maßnahmen darstellen.Das ist die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, die Sie vor vier Jahren aus dem Gesetz gestrichen haben und die jetzt wieder hereinkommt: ein Beispiel für Ihre Stop-and-go-Politik.Ferner nenne ich die verkürzten Fristen für die Träger öffentlicher Belange, ihre Stellungnahmen abzugeben, und die Regelung, daß verspätet eingebrachte Stellungnahmen nicht mehr berücksichtigt werden. Das war ein Vorschlag des Bundesrates und der kommunalen Spitzenverbände. Wir halten das für vernünftig, denn viele Bauleitpläne bleiben monatelang liegen, weil irgendein Amt seine Stellungnahme verbummelt.Schließlich sind Sie unserem Vorschlag und der Forderung des Bundesrates sowie der kommunalen Spitzenverbände nachgekommen, das Baugebot zu verbessern. Es kann zukünftig auch mit dem Wohnbedarf der Bevölkerung begründet werden.Wir haben Ihrem Vorschlag zugestimmt, das kommunale Vorkaufsrecht im Außenbereich einzuführen. Leider haben Sie unseren weitergehenden Vorschlägen, das Vorkaufsrecht in den Gemeinden allgemein einzuführen und es mit einer Preislimitierung, d. h. mit einer Begrenzung auf die Verkehrswerte zu verbinden, nicht zugestimmt.Das waren die guten Nachrichten. Jetzt kommt die Liste der schlechten Nachrichten; sie ist erheblich länger.
Die vorgezogene Bürgerbeteiligung, die Ihnen immer schon ein Dorn im Auge war, wird für den Wohnungsbau beseitigt. Wenn die Gemeinde die Vorschriften über die Bürgerbeteiligung verletzt, ist der Bebauungsplan rechtskräftig, selbst dann, wenn sich hinterher herausstellt, daß kein Wohnungsbedarf vorlag. Das ist eine Einladung an die Rathäuser, die mit der Bürgerbeteiligung nicht viel im Sinn haben. So etwas gibt es zugegebenermaßen in schwarzen wie in roten Rathäusern. Ihre Neuregelung ist eine Einladung an diese Rathäuser, die Bürgerbeteiligung zu vergessen.
Ich finde das erstaunlich: In der DDR demonstrierendie Menschen dafür, daß sie als Bürger mehr beteiligtwerden, und in der BRD schafft die Regierungsmehrheit die Beteiligung der Bürger an der Stadtplanung schrittweise ab.
Bisher galt das Prinzip, daß, wenn kein Bebauungsplan da war, ein Neubau im Innenbereich nur genehmigt werden konnte, wenn er sich in die Umgebung einfügte. Sie haben dieses gute Prinzip schon beim Baugesetzbuch für die Wirtschaftsbauten beseitigt; jetzt beseitigen Sie es auch für die Erneuerung und Erweiterung von Wohnungsbauten. Nun wird es möglich, im unbeplanten Innenbereich neben einer zweigeschossigen Reihenhausbebauung fünfgeschossige Appartementhäuser zu genehmigen, ohne Abwägung, ohne Planung, ohne Berücksichtigung der Nachbarinteressen. Wir halten das für falsch.
Im Außenbereich lassen Sie zukünftig bis zu vier Wohnungen in einem Bauernhaus zu, bei — so heißt es im Gesetz — wesentlichen baulichen Änderungen, aber die äußere Gestalt soll im wesentlichen gewahrt werden. Das ist konservative Politik: Die Fassade bleibt, und dahinter ist jede Schweinerei zulässig.
Damit wird der Außenbereich allgemein zum Wohnen freigegeben. Die wohnungspolitische Wirkung wird jedoch gering sein. Die Auswirkungen auf die Landschaft, die Auswirkungen auf die Umwelt sind fatal, denn da entsteht zusätzlicher Autoverkehr. Es enstehen auch soziale Probleme, weil es im Außenbereich keine Kindergärten und Schulen gibt. Das Grundwasser wird weiter belastet, weil wir alle doch wissen, daß die Wasserwirtschaftsämter die Drei-Kammer-Gruben nicht mehr kontrollieren können. Diese Regelung wird vor allem für Zweit- und für Ferienwohnungen mißbraucht werden.Verheerend ist die neue Möglichkeit, ohne ordentliche Bauleitplanungen allein durch Satzungen Splittersiedlungen, Streusiedlungen, Weiler weiter auszubauen. Die ungeplante Besiedelung des Außenbereichs wird zu einer Zerstörung der Kulturlandschaft führen.Das ist typisch für Sie: Sonntags bramarbasieren Sie vom deutschen Vaterland, und die Woche über geben Sie das, was von der in jahrhundertelanger Geschichte entstandenen deutschen Kulturlandschaft noch übrig ist, der Spekulation und der Bebauung preis.
So ist das: Da wird am Wochenende von der deutschen Heimat gesalbadert, und die Woche über wird
Metadaten/Kopzeile:
15664 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Conradimit der restlichen Landschaft spekuliert und zubetoniert, was noch da ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Dörflinger.
Herr Kollege Conradi, was Sie eben gesagt haben, hat mich persönlich tief betroffen. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich, der ich als Abgeordneter hier in Bonn einen ländlichen Wahlkreis vertrete, mich ganz entschieden gegen die Unterstellung wehre, in irgendeiner Form spekulativen Absichten Vorschub zu leisten? Ich habe gesagt, was die konkrete Problemlage in einem ländlich strukturierten Wahlkreis ist. Ich halte es für ungeheuerlich, so damit umzugehen, und es entspricht eigentlich auch nicht dem Niveau, das Sie laufend reklamieren.
Herr Kollege, ich nehme Ihren Protest zur Kenntnis, und ich bleibe dabei: Es wird die Kulturlandschaft ohne ordentliche Planung, ohne Abwägung, ohne Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zur Besiedlung freigegeben.
Da ist der Kern Ihres Gesetzes. Es werden Weiler, es werden Streusiedlungen, es werden Splittersiedlungen, die für die Landschaft typisch sind, etwa im Südschwarzwald, etwa in Bayern, etwa in Teilen Niedersachsens, jetzt ohne jede Planung, allein durch Satzung, zur Bebauung freigegeben, und dies ist ein Ausverkauf der Landschaft und der Natur, den Ihnen unsere Kinder und Enkel eines Tages vorhalten werden.
Wir nennen Ihr Gesetz deshalb das Bundeszersiedelungsgesetz. Mit diesem Gesetz werden die Bausünden der 90er Jahre programmiert.Da liegt einer unserer beiden Konflikte: Sie kommen nicht von Ihrer fixen, aber falschen Idee, von Ihrer bornierten Ideologie los, beim Boden und beim Bauen ginge alles am besten mit dem Markt. Sie kommen nicht von Ihrer hysterischen Planungsfeindlichkeit los, obwohl jeder, der Augen zum Sehen und ein Hirn zum Denken hat, sieht und weiß, daß der Boden knapp wird und daß wir in Zukunft Umwelt und Natur nur bewahren können, wenn wir vernünftig und gründlich planen, nicht aber, wenn wir das allein den Investoren überlassen.
Statt dafür zu sorgen, daß mehr geplant wird, bleiben Sie bei Ihrer Politik, die Sie mit dem Baugesetzbuch begonnen haben: „Weniger Planung und mehr Baufreiheit für die Investoren".Der andere Konflikt ist: Sie wollen vor allem neues Bauland erschließen, d. h. Sie wollen an den Stadt- und Dorfrändern im Außenbereich die Landschaft weiter zubauen.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß nicht alle Wohnungen, die in den nächsten zehn Jahren gebaut werden müssen, drinnen, im Innenbereich, gebaut werden können.
Wir wissen auch, daß neue Baugebiete notwendig sein werden.
Aber wir wollen, daß Ackerland erst dann zu Bauland umgewidmet wird, wenn das vorhandene Bauland innerorts bebaut ist.
Das ist ökologisch richtig, und es ist ökonomisch vernünftig; denn innerorts sind die Straßen da, sind die Kanäle da, ist das Postamt da, sind Kindergarten, Schule, Läden, die gesamte Infrastruktur vorhanden, die man bei neuen Baugebieten erst bauen muß. Wenn Sie draußen weiterbauen, werden Sie auch neuen Autoverkehr produzieren; denn der öffentliche Nahverkehr kommt erst Jahre hinterher.
Wenn Sie den Wohnungsbau wirklich erleichtern wollten, dann hätten Sie den Gemeinden Instrumente gegeben, mit denen die großen unbebauten Flächen innerorts endlich bebaut werden können. Dazu gibt Ihr Gesetzentwurf außer dem Baugebot nichts her.Jeder Besitzer eines Baugrundstücks weiß doch, daß das, was er an jährlichen Steuern für sein Baugrundstück zahlen muß, ein lächerliches Nasenwasser ist, verglichen mit der goldenen Nase, die er sich aus den Wertsteigerungen dieses Grundstücks verdienen kann, wenn er nur zuwartet. 15 % waren die Bodenwertsteigerungen allein im letzten Jahr. Jeder Grundstückseigentümer ist ökonomisch bescheuert, wenn er ein baureifes Grundstück bebaut, statt es liegenzulassen und ohne Leistung damit Geld zu verdienen, und das auch noch steuerfrei.Wir haben Vorschläge gemacht, z. B. die, unbebaute Baugrundstücke vorzeitig neu zu bewerten, die Steuermeßzahlen zu erhöhen, den Gemeinden das Recht zu geben, durch Satzung die Hebesätze für unbebaute Grundstücke zu erhöhen. Sie haben das mit Empörung abgelehnt, obwohl das alles marktwirtschaftliche Instrumente sind, die ein vernünftiges ökonomisches Handeln von Grundeigentümern befördern. Die steuerliche Privilegierung von Grund und Boden, vor allem die steuerliche Privilegierung von unbebautem Land, ist marktwirtschaftlicher Unsinn. Aber wenn wir Sozialdemokraten einmal mit dem Markt Ernst machen, ist es Ihnen auch wieder nicht recht; dann stehen Sie doch lieber auf der Seite der Bodenspekulation und der Leistung ohne Arbeit; die ist Ihnen dann doch näher.
Wir nehmen das gelassen zur Kenntnis. Wir werden in den Monaten bis zur Bundestagswahl den Men-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15665
Conradischen sagen, daß Sie diese Krise am Wohnungsmarkt herbeigeführt haben, und wir werden sagen, daß Sie zu einer vernünftigen, marktgerechten, sozial und ökologisch verantwortlichen Wohnungspolitik nicht nur nicht bereit sind, sondern — schlimmer noch — zu einer solchen Politik nicht fähig sind.Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hitschler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, das war ein ausgezeichnetes Lehrstück dafür, wie man im real existierenden Sozialismus Luftschlösser bauen kann.
Kathedersozialisten wie Sie sehen die Wirklichkeit in der Tat etwas anders als wir, selbst wenn es sich um amtliche Statistiken handelt.
Da werden durch die roten Brillen aus roten Zahlen plötzlich schwarze und aus schwarzen Zahlen rote.
Die Angebot-Nachfrage-Verhältnisse am Wohnungsmarkt haben eine Ankurbelung des Wohnungsbaus erforderlich gemacht. Dies ist im letzten Jahr geschehen, sowohl durch die Erhöhung der direkten Zuschüsse in verschiedenen Programmen als auch durch vielfältige steuerliche Erleichterungen und Zinsvergünstigungen. Diese wohnungspolitischen Maßnahmen haben gegriffen. Wir werden am Ende dieses Jahres 300 000 fertiggestellte Wohnungen haben,
sowohl aus der Förderung des Neubaus von Wohnungen als auch aus der Schaffung von Wohnraum aus vorhandenem Wohnungsbestand.Es zeigt sich allerdings mehr und mehr, daß die stark gestiegene Investitionsneigung im Wohnungsbau an der Bereitstellung baureifen Baulands Grenzen findet. Die Kommunen haben in den zurückliegenden Jahren auf Grund der Marktverhältnisse, aber auch unter dem Eindruck der Versiegelungsdiskussion merkliche Zurückhaltung bei der Aufstellung von Bebauungsplänen geübt. Daß bei nachhaltiger Belebung der Nachfrage nach Bauland die Baulandpreise drastisch angezogen sind, ist eine ganz normale Marktreaktion. In einer solchen Situation von Spekulation zu reden heißt, von den Unzuträglichkeiten und Unzulänglichkeiten der kommunalen Selbstverwaltung ablenken zu wollen. Wenn Wohnungen gebraucht werden, dann müssen Wohnungen gebaut werden.
Im Rahmen der Möglichkeiten und Zuständigkeiten des Bundes war es für ihn daher ein Gebot der Stunde, alles Erdenkliche zu tun, um den Wohnungsbau zu erleichtern, ohne wirklich bewährte Grundsätze des Bauplanungsrechts über Bord zu werfen.
Das Gesetz, das wir heute abschließend beraten, hat in erster Linie also das Ziel, baurechtliche und planungsrechtliche Hürden zeitlich befristet niedriger anzusetzen, um Wohnungsbauaktivitäten durch Erleichterungen zu beschleunigen. Unser Rezept heißt demnach, Mängeln am Wohnungsmarkt durch Verbreiterung des Angebots zu begegnen. Es heißt dezidiert nicht, durch zusätzliche Reglementierungen den Mangel gerechter verwalten zu wollen.
Unser Konzept — weniger Bürokratie für mehr Wohnungen — grenzt sich somit deutlich von den Empfehlungen der Opposition ab,
die auf mehr Bürokratie für weniger Wohnungen hinauslaufen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Randbemerkungen zum Thema Bürokratie in der Bauverwaltung machen, womit ich mich sehr gemäßigt ausdrücke, Herr Kollege Conradi, denn eigentlich müßte man in nicht wenigen Fällen von einer Diktatur der kommunalen Bauämter reden.
Was unsere Bürger — nebenbei gesagt: in der Regel kostenpflichtig — da erfahren und hinnehmen müssen, ist manchmal schon eine arge Zumutung.
Dabei hat jeder Baudirektor — Sie gehörten ja, glaube ich, auch einmal dazu — seine eigene Philosophie; die Entwicklung so mancher unserer Städte läßt sich in die Phasen der Tätigkeit ihrer Baudirektoren einteilen und am Stadtbild ablesen. Sie sind wahrlich noch die wahren Fürsten unserer Zeit, auf deren Gnadenerweise die Bürger angewiesen sind. Sie tragen zwar keine Krönchen mehr — wahrlich, das wäre ja auch allzu anachronistisch — und auch keine Jakobinermützen — das paßte nicht zum Standing —, aber es sind die Wohlstandssozialisten im grauen Flanell wie Sie, Herr Conradi,
Metadaten/Kopzeile:
15666 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Hitschlerdie für willkürliche Entscheidungen immer ein Bündel von Paragraphen ins Feld zu führen wissen, mit denen sie Aktivitäten von Bürgern und deren Investitionsbereitschaft totschlagen.
— Das stammt aus eigener Feder, Herr Müntefering.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi? — Bitte.
Herr Kollege, zum einen ist das kein Flanell, sondern Schurwolle, und zum anderen möchte ich Sie fragen: Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich niemals für eine Kommune gearbeitet habe, sondern Baubeamter des Landes Baden-Württemberg war?
Ich nehme es zur Kenntnis.
Es wäre in diesem Zusammenhang wirklich einmal interessant, nicht nur zu wissen, Frau Minister Hasselfeldt, wie viele Baugenehmigungen erteilt wurden, sondern auch zu erfahren, wie viele — und mit welcher Begründung — versagt wurden. Jeder weiß doch
— das ist keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern tägliche Lebenswirklichkeit — , welch schlimme Erfahrungen unsere Bürger auf und mit den Bauämtern machen.
Mir liegt gerade wieder ein solcher konkreter Fall vor. Da will ein Bürger vier Einfamilienhäuser bei gesicherter Erschließung im rückwärtigen Teil einer durch Straßenrandbebauung geprägten Ortslage errichten. Eine Anbindung an eine Erschließungsstraße im rückwärtigen Teil ist gegeben. Zufahrtswege sind vorhanden. Der Bauantrag wird mit dem Hinweis abgewiesen, daß eine rückwärtige Bebauung in der Umgebung bisher nicht vorhanden sei und die Nutzung durch die Zulassung der Bebauung dermaßen verdichtet werde, daß sie offenkundig über das in der Umgebung übliche Maß der Bebauung hinausgehe.
Solche Entscheidungen vor Ort fallen zuhauf — vor dem Hintergrund einer Diskussion, deren Hauptforderung mit Zustimmung insbesondere derer, die das dortige Bauamt einfärben, darin gipfelt, Möglichkeiten der Nachverdichtung unserer Städte zu nutzen, um die Versiegelung der Landschaft durch Ausweisung neuer Baugebiete möglichst zu vermeiden und mit der Landschaft schonend umzugehen.
Nun mag es der Fehler des Antragstellers gewesen sein, daß er Einfamilienhäuser und nicht mehrgeschossige Wohnblocks im sozialen Wohnungsbau errichten wollte. Möglicherweise war das Projekt aber auch nicht wünschenswert, weil der Bauherr nicht
genehm war. Eines scheint mir festzustehen: Als Geschäftsführer der Neuen Heimat hätte er so viel Ärger nicht gehabt. Das Ergebnis in beiden Fällen jedenfalls war: Man trifft sich vor Gericht.
Warum erwähne ich diesen Fall? Weil in ihm ein Grundproblem enthalten ist, mit dem wir es auch bei diesem Gesetz zu tun haben, nämlich welches Maß an Regelungsdichte der Gesetzgeber vorsehen soll bzw. welches Maß an Ermessensspielräumen er der Verwaltung einräumen soll. Eines steht dabei fest: An einem zu hohen Freiheitsgrad des Bürgers hat unser Bau- und Planungsrecht noch nie gelitten.
Es scheint auch im Regelfall zu gelten: Unsere Planer wollen mehr planen; sie lechzen nach Plänen und dürsten nach Planwirtschaft. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf keine Instrumente für mehr Planungswillkür liefern und legen Ihnen daher auch einen Entschließungsantrag vor, in dem wir an die Länder und Gemeinden appellieren, ihren Teil zur Erleichterung des Wohnungsbaus und zur Baulandbereitstellung beizutragen und ihre Ermessensspielräume dabei voll auszuschöpfen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.
Herr Kollege, ich habe darauf gewartet, daß Sie erläutern, welcher Paragraph des neuen Gesetzes Ihrem Petenten hilft, seine vier Wohnungen bauen zu können? Welcher Paragraph nützt ihm jetzt dabei?
Das ist ein Fall, in dem die Kommunen in ihrem eigenen Ermessen entscheiden sollten, inwieweit angesichts des dringenden Wohnbedarfes, den wir gegenwärtig haben, Nachverdichtungen von solchen Bebauungsgebieten möglich und sinnvoll sind.
— Nein, Herr Conradi, Sie wissen, wie viele Fälle vor den Verwaltungsgerichten anhängig sind und in wie vielen Fällen die kommunalen Bauämter immer wieder bei Entscheidungen der Verwaltungsgerichte „hinten herunterfallen" .
— Die Bauämter müssen sich glücklicherweise, Herr Kollege, vor den Verwaltungsgerichten oftmals korrigieren. Gott sei Dank haben wir diese Justiz und diese Rechtsprechung noch, durch die solche willkürlichen Entscheidungen oftmals korrigiert werden können.
— Ja, sicher, das gehört auch dazu, Herr Kollege. Das ist eine ähnliche Erfahrung.Wir haben den Eindruck, daß sich in manchen Ländern und Gemeinden die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat, daß auch unter Berücksichtigung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15667
Dr. Hitschlervon Möglichkeiten zur Nachverdichtung der Innenstadtbereiche auf die Ausweisung zusätzlichen Baulandes nicht verzichtet werden kann. Alle Bedarfsprognosen aber lassen rechnerisch erkennen, daß dies auf mittlere Sicht dringend notwendig sein wird. Offensichtlich gibt es hier Barrieren, die den Blick auf das Erforderliche verstellen. Diese Barrieren werden durch die Dominanz eines gutgemeinten Umweltschutzdenkens errichtet, das zusätzlichen Landschaftsverbrauch als das schlimmere Übel ansieht als den Wohnungsmangel. Dafür müssen dann stark steigende Baulandpreise und steigende Neubaumieten in Kauf genommen werden, worüber dieselben Leute wiederum meist am lautstärksten lamentieren.
In der Tat besteht hier ein Zielkonflikt zwischen Wohnungs- und umweltpolitischen Zielsetzungen, den man freilich nicht allein lupenrein zugunsten eines Zieles lösen kann, sondern nur dadurch, daß landschaftsschonende Besiedlungsstrukturen entwickelt werden, die auch bei Erschließung neuen Baulandes mit einer geringen Versiegelungsdichte auskommen.Das gegenwärtige Verhalten vieler Kommunen läßt jedenfalls die Baulandpreise in für Normalbürger nicht mehr erschwingliche Höhen klettern, und vielfach wird dabei noch ganz vergessen, daß wir bei anhaltend guter Konjunktur auch Gewerbeflächen, Industriegelände und in den Innenstädten auch ein erhebliches Maß an Büroflächen benötigen; denn die Arbeitsplätze sollen ja nicht nur sicher, sondern auch human gestaltet sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf bieten wir den Kommunen ein Paket von Maßnahmen an, welche die Schaffung von Wohnraum erleichtern, und wir bieten den Bürgern selbst ein Päckchen von Möglichkeiten zur Eigeninitiative für mehr Wohnraum.In dem Paket für die Kommunen ist für den Fall des dringenden Wohnraumbedarfs die Möglichkeit zur Aufstellung eines Bebauungsplans enthalten, bevor der Flächennutzungsplan geändert und ergänzt ist. Dieses Kriterium des dringenden Wohnbedarfs begleitet das befristete Maßnahmengesetz im übrigen in allen Details; denn nur zur Deckung des dringenden Wohnbedarfs findet es seine Rechtfertigung.Die Gemeinden erhalten entsprechend der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Möglichkeit, Baugebote zu erlassen, die mit der Auflage verbunden werden können, innerhalb einer angemessenen Frist einen Bauantrag zu stellen. Das Baugebot setzt nach wie vor voraus, daß die Maßnahme aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Damit wird diese bisher schon bestehende Vorschrift des Baugesetzbuches praktikabel gemacht.Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen können nun vereinfacht mit Hilfe einer gemeindlichen Satzung — nicht mehr wie bisher nach Erlaß einer Rechtsverordnung — durchgeführt werden. Damit erhalten die Kommunen wieder ein leicht handhabbares planungsrechtliches Instrument zur Entwicklung städtebaulich integrierter Maßnahmen und könnengrößere innerstädtische Brachflächen einer Nutzung für Wohn- und Arbeitsstätten zuführen.Den Kommunen wird ferner im Außenbereich ein Vorkaufsrecht zum Verkehrswert eingeräumt. Wir messen diesem Vorkaufsrecht zwar keine überragende praktische Bedeutung zu; dennoch schien es uns notwendig zu sein, eine Bremse gegen die kommunale Bodenspekulation dergestalt einzubauen, daß die Kommune dem Verkäufer den Unterschiedsbetrag zwischen dem Verkehrswert und dem vereinbarten Kaufpreis erstatten muß, wenn sie nicht selbst innerhalb einer angemessenen Frist das Grundstück dem vorgesehenen Zweck zuführt.
— Jawohl, das ist unsere große Sorge; denn die Kommunen beteiligen sich selbst an dem, was Sie Spekulation nennen, in hohem Maße.
Damit werden die Gemeinden zu einer sorgsamen Inanspruchnahme dieses Rechtes angehalten.Wichtig und erwähnenswert erscheint ferner die Änderung der Verfahrensregeln bei der Bauleitplanung, nach der sich die Träger öffentlicher Belange innerhalb einer Frist von einem Monat äußern müssen und in der Regel damit rechnen müssen, daß später vorgebrachte Belange keine Berücksichtigung mehr finden. An Stelle der Fristsetzung kann auch ein gemeinsamer Anhörungstermin festgesetzt werden, bei dem die Träger öffentlicher Belange ihre Stellungnahme abgeben müssen. Mit dieser Neufassung wird den Kommunen eine bedeutsame Möglichkeit zur Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens an die Hand gegeben.In dem Päckchen für den Bürger selbst ist die nicht unbeachtliche Bestimmung enthalten, daß Widersprüche Dritter gegen Vorhaben, die ausschließlich Wohnzwecken dienen, keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Der Widerspruchsführer muß sich schon zu Gericht bemühen, um seinen Einspruch wirksam werden zu lassen.Eine bedeutsame Erleichterung wurde für die Schaffung von zusätzlichen Wohnungen im Außenbereich geschaffen; denn Wohnbedarf ist nicht nur in Ballungszentren festzustellen. Auch der ländliche Raum bedarf der Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere unter Berücksichtigung des Strukturwandels in der Landwirtschaft. Es ist vorgesehen, daß im Außenbereich die Einrichtung von vier Wohnungen zulässig ist, wenn am 1. Mai 1990 vorhandene Gebäude einer Hofstelle zu Wohnzwecken umgebaut, dabei aber äußerlich nicht wesentlich verändert werden und die Ver- und Entsorgung gesichert ist.Der Bundesrat wollte in diesem Punkt nur drei Wohnungen zulassen, womit er immerhin einen zusätzlichen Wohnungsbedarf anerkannt hat. Ein Umbau einer bisher anderweitig genutzten Gebäulichkeit muß aber auch wirtschaftlich sinnvoll sein, weshalb wir auf der Zahl vier bestehen mußten. Denn wer der Landwirtschaft zusätzliche Einkommensmöglichkeiten durch Vermietung eröffnen will, wer etwas dafür tun will, daß nicht mehr genutzte landwirtschaftliche Gebäude nicht dem Verfall anheimgegeben werden, und
Metadaten/Kopzeile:
15668 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Hitschlerdabei die Baukosten eines inneren Umbaues im Auge hat, kann letztlich nur zu dem Ergebnis kommen, daß diese Regelung ein vertretbarer Kompromiß ist.Die Bedenken, die davon ausgehen, daß vier Familien unzuträgliche Belastungen bei der Entsorgung verursachen würden, können angesichts der Tatsache des enormen Rückgangs der durchschnittlichen Zahl der Familienmitglieder nicht ernsthaft geteilt werden. Daß das Land Bayern bei dieser Regelung Frau Hasselfeldt kurz vor Erreichen des Ziels unter Umständen noch ein Bein stellen will, stellt eine interessante Facette bayerischer Solidarität dar, die wir aufmerksam beobachten wollen. Wir hoffen, Frau Hasselfeldt, daß Sie die Fingerhakelei gewinnen werden.
Das Maßnahmengesetz enthält auch einen zeitlich befristeten mietrechtlichen Teil, der die Absicht verfolgt, Wohnungen aus dem Bestand, die dem Markt bisher nicht für Vermietungszwecke zur Verfügung standen, dem Markt zuzuführen. Hierzu zählt auch, daß Ferienhäuser und Ferienwohnungen in Ferienhausgebieten ohne Sozialklausel vermietet werden können. Diese Regelung dient in erster Linie der vorübergehenden Unterbringung von Aus- und Übersiedlern in solchen Feriensiedlungen, was nach der gegenwärtigen Rechtslage nahezu ausgeschlossen ist.Auch die Möglichkeit der Vermietung von Wohnraum an juristische Personen des öffentlichen Rechts ohne Geltung der Sozialklausel für Personen mit dringendem Wohnbedarf bzw. für in Ausbildung befindliche Personen, also z. B. Studenten, kann private Vermieter veranlassen, Wohnungen, die für künftigen Eigenbedarf zurückgehalten wurden, jetzt dem Markt zuzuführen, weil sie sicher sein können, daß ihnen der Wohnraum nach Ablauf der Mietzeit wieder zur Verfügung steht.In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß damit der Mieterschutz endgültig auf der Strecke bleibe, ist eine so maßlose Diffamierung, wie sie uns ansonsten nur aus totalitären Systemen geläufig ist.
Aber genau dies wird mit einer solchen Kampagne beabsichtigt: Zuerst die Unterbringung von Aus- und Übersiedlern und die Warteschlangen der Wohnungssuchenden auf den Wohnungsämtern bejammern und die angebliche Unmenschlichkeit der Bundesregierung anprangern, und danach mit allen Mitteln Lösungen für diese Probleme zu verhindern suchen; denn diese Leute sollen ja möglichst lange in den Turnhallen unter möglichst unwürdigen Umständen untergebracht werden, damit sie ja als lästig empfunden werden. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Wir lassen uns dadurch jedenfalls nicht in unserer Überzeugung beirren, daß eine befristete Unterbringung in einer Ferienwohnung allemal einem Hausen in einer Turnhalle vorzuziehen ist.
Auch die weiteren mietrechtlichen Regelungen dienen der Bereitstellung zusätzlicher Mietwohnungen. Diese Absicht rechtfertigt die befristete Außerkraftsetzung der sozialen Kündigungsschutzklausel.Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend darf ich Sie bitten, diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen Ihre Zustimmung zu geben. Sie tragen damit dazu bei, daß die Chancen, beschleunigt mehr Wohnungen in diesem Lande zu schaffen, eröffnet werden.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
: Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! „Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz" nennt es sich, das neueste Machwerk aus dem Hause Hasselfeldt. Über den Titel wird in der Regel vor dem Gesetzestext gesondert abgestimmt. Meistens kann man gegen die Überschrift allein wenig einwenden — hier jedoch? „Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz", das suggeriert und soll suggerieren, hier unternehme die Bundesregierung etwas gegen die Wohnungsnot. Doch weit gefehlt.
Die Wohnungsnot — Sie sprechen gar nicht mehr von Wohnungsnot, Sie haben nie davon gesprochen; Sie haben erst von Wohnungsmangel gesprochen, und jetzt heißt es in Ihrem Gesetzestext nur „Engpaß auf dem Wohnungsmarkt" — ist aber da. Die Not derjenigen Hunderttausende, die auf den Wohnungsämtern nach einer preiswerten Mietwohnung täglich Schlange stehen, wird mit diesem Gesetz um keinen Deut gemindert.
Ich komme gleich darauf zurück.
Also Ablehnung auch des Titels? Dient das Gesetz also nicht, wie der Name sagt, der Erleichterung des Wohnungsbaus? Leider auch gefehlt. Wir haben es mit einem doppelt dreisten Schwindel zu tun,
man kann auch sagen: einer fast perfekt getarnten Mogelpackung. Denn in der Tat: Wohnungsbau wird mit diesem Maßnahmenpaket sehr wohl erleichtert, wie übrigens auch mit den bereits im letzten Herbst beschlossenen Steuermaßnahmen; es fragt sich nur, für wen.Wer die einschlägigen Magazine für Kapitalanleger in den letzten Wochen auch nur oberflächlich verfolgt hat — da reicht die Lektüre der Titelseiten —, weiß Bescheid. Ob „DM", „Börsenblatt" , „Wirtschaftswoche" oder wo auch immer, überall Titelgeschichten für Immobilieninvestoren. Der Tenor — ich zitiere die Schlagzeile der „Wirtschaftswoche" —: „Wohnungsbau-Programme: Profitabler Förderungsdschungel. Steuerlich lukrativ. Die neuen staatlichen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15669
Frau TeubnerFörderprogramme begünstigen in erster Linie Bauherren mit hoher Steuerprogression." Die „DM" schreibt im Februar in einem Sonderteil: „Geld: Subventionen mitnehmen. So können Sie von Sonderprogrammen im Wohnungsbau profitieren. " Und so fort. Den Vogel schießt aber das Heft „Cash", Ausgabe März 1990, ab, es hat 45 Extraseiten. Titelzeile: „Anleger — wie, wann, wo Sie von der deutschen Wohnungsnot profitieren." Das ist keine Entgleisung, das ist nichts anderes als schlicht und einfach die kaltschnäuzige Realisierung dessen, was diese christlichliberale Wohnungspolitik in den letzten Jahren möglich macht.
Ja, da lacht das Herz des Bauherren. Die Menschen aber stehen weiter in den Schlangen in den Wohnungsämtern. Für sie ist diese Politik, sind diese Programme nicht gedacht; denn wer eh kaum genug zum Leben verdient, dem nützen Steuersparprogramme herzlich wenig, und wer in München oder Frankfurt eine Arbeit gefunden hat, wird auch nichts davon merken, daß demnächst die Ausweisung von Baugebieten in den Außenbereichen der Gemeinden massiv erleichtert wird.Fast scheint es, als wolle die schwarz-gelbe Koalition — Herr Hitschler hat eben auch noch einmal sehr schön den Finger daraufgelegt — nach Ihrem scheinbaren Sieg über Sozialismus und Planwirtschaft in einem Aufwasch auch gleich noch die Beerdigung von allem erledigen, was in diesem Lande irgendwie nach Planung riechen könnte.
Was dabei herauskommt, ist wahrscheinlich noch mehr Freiheit für die, die sich hierzulande schon immer etwas mehr leisten konnten, aber für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger weniger Demokratie und eine massive Einschränkung ihrer Rechtsstellung. § 8 dieses Gesetzes hat den bezeichnenden Titel: „Unbeachtlichkeit der Verletzung von Vorschriften". Man kann Vorschriften verletzen, die im Gesetz stehen, es ist unbeachtlich.Außerdem — auch darauf wurde hier schon hingewiesen — kommen dabei schwerwiegende und irreparable Eingriffe in Natur und Landschaft heraus. Der Umweltausschuß hat sich in der Abstimmung bezeichnenderweise zu keiner Meinung durchringen können. Er hat dem weder zugestimmt noch es abgelehnt.Nicht wenige Expertinnen und Experten, die wir im Laufe der Gesetzesberatung hierzu anhörten, sehen dies ganz genauso. Nur eine Stimme von vielen: Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände tritt der vorgesehenen Öffnung der Außenbebauung — ich zitiere die schriftliche Stellungnahme vom 13. Februar — „entschieden entgegen, weil kurzfristige Erleichterungen nicht durch langfristige und unwiderrufbare Schäden in der Siedlungsstruktur erkauft werden dürfen." Langfristig und unwiderrufbar, von wegen fünf Jahre!
Ein anderes Zitat aus der Anhörung:An den Lasten einer halben Planungsdekade — fünf Jahre —Wohnungsbauerleichterung dürfte noch lange zu tragen sein,sagte die Vertreterin der Stadt Nürnberg.
Der Deutsche Naturschutz-Ring hat sich so geäußert — ich zitiere:Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die bisherigen Bemühungen um eine geordnete Siedlungsentwicklung auf den Kopf und spricht den Beteuerungen von Bundesregierung und Bundestag, endlich eine Trendwende im Landverbrauch einzuleiten, geradezu Hohn.
Schließlich sagt der BUND:Neue und zusätzliche Erleichterungen führen zur weiteren Disqualifizierung der Bauleitplanung, zur Anarchie in der städtebaulichen Entwicklungund kommt zu dem Schluß:Die vorgesehenen Regelungen und das Verfahren sind geeignet, das Vertrauen unseres Verbandes in den demokratischen Staat zu erschüttern. Das gilt sicher auch für den einzelnen Bundesbürger.Das ist ein vernichtendes Urteil einem Gesetzesvorhaben dieser Regierung gegenüber, die sich gerade jetzt als Lehrmeisterin in Sachen Demokratie im anderen Teil Deutschlands aufspielt.
Nein, um den vorgegebenen Zweck zu erreichen, nämlich Linderung der Wohnungsnot, müßte man schon zu anderen Maßnahmen als den hier vorgeschlagenen greifen. Aber schon Ihre Diagnose ist bekanntlich verkehrt. Dann kann die Therapie natürlich nur zu den falschen Mitteln greifen.
Wir sehen andere Ursachen der Wohnungsnot, z. B. den Umwandlungsboom, gefördert durch § 10e des Einkommensteuergesetzes, die Zweckentfremdung, die Fehlbelegung, die Spekulation mit baureifen Grundstücken, die Vernichtung Hunderttausender preiswerter Sozialmietwohnungen durch den Verlust der Sozialbindung, die Abschaffung der Wohnungs-
Metadaten/Kopzeile:
15670 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Teubnergemeinnützigkeit usw. Aber wenn Sie diese Ursachen akzeptierten, dann müßten Sie, wie gesagt, zu anderen Instrumenten als dem Märchen greifen, das hier soeben wieder vorgetragen wurde, die Bürokraten in den Planungsämtern, die Bürgerbeteiligung, der Mieterinnen- und Mieterschutz und der Kündigungsschutz seien die entscheidenden Stolpersteine auf dem Weg zu einer neuen Wohnungspolitik.Diese Instrumente aber lassen sich kaum per Änderungsantrag in dieses schon vom Grundsatz her falsche Gesetzespaket hineinstimmen. Die SPD versucht das, aber dadurch wird das Gesamtgesetz nur wenig besser. Den einzelnen Anträgen können wir uns anschließen. Nur, insgesamt wird die Sache dadurch nicht viel günstiger ausgehen.Wir schlagen deshalb in unserem Entschließungsantrag vor, daß die Wohnungsbaupolitik in eine ganz andere Richtung gehen muß, z. B. Instrumente aufgreifen muß wie eine stärkere Besteuerung von baureifen und unbebauten Grundstücken sowie von leerstehendem Wohnraum — auch leerstehenden Wohnraum gibt es noch in unserem Lande und nicht zu knapp — , die Abschöpfung von planungsbedingten Wertsteigerungen und verschärfte Bau- und Nutzungsgebote.Diese Forderungen ergeben sich ganz klar aus der Sachverständigenanhörung, in der gerade von den Praktikerinnen und Praktikern aus den Kommunen übereinstimmend festgestellt wurde: Nicht der Mangel an Bauland ist das gravierende Hindernis für die notwendige Neubautätigkeit, sondern die Unfähigkeit, das Bauland, das ausgewiesen ist, verfügbar zu machen. Deswegen — Herr Dörflinger, Sie waren es, der auf das Eigentum gepocht hat — darf man Sie gerne auch einmal an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erinnern.
Deswegen muß die Zurückhaltung von Grundstükken durch Privateigentümer ganz massiv erschwert werden. Dafür brauchen wir verschärfte Bau- und Nutzungsgebote und eine angemessene steuerliche Bewertung solcher Grundstücke.
Spekulation darf sich nicht mehr lohnen! Ebensowenig darf sich die Umwandlung von Wohnraum in gewerblich genutzte Räume — auch das passiert noch immer — und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen lohnen; denn Sie sagen richtig: Wenn Wohnungen gebraucht werden, müssen Wohnungen gebaut werden. Aber man muß auch die, die es noch gibt — das sind preiswerte Sozialwohnungen und andere preiswerte Wohnungen — , im Bestand sichern.Deswegen fordern wir ein schärferes Zweckentfremdungsverbot, die Streichung von Steuererleichterungen beim Erwerb gebrauchter Immobilien und diedauerhafte Sozialbindung derjenigen Wohnungen, die jetzt mit staatlichen Mitteln gefördert werden.
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Hasselfeldt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben sich den Problemen des Wohnungsmarktes auf breiter Front gestellt. Die ersten Ergebnisse der Maßnahmen, die ab Mitte letzten Jahres eingeleitet wurden, sind deutlich sichtbar. Daran ändert auch die polemische Bemerkung Ihrerseits, Herr Conradi, nichts. Es nützt nichts, hier billige Polemik in Vergangenheitsbewältigung und einseitige Schuldzuweisung, noch dazu falsche Schuldzuweisung, zu betreiben und die Stimmung im Lande zu vergiften. Das ist kein ernst zu nehmender Beitrag zur Lösung der wohnungspolitischen Probleme.
Sie haben gesagt, wir hätten nur kurzsichtige Maßnahmen eingeleitet. Aber die Erfolge, die sich in den Genehmigungszahlen und in den Investitionen, die jetzt im Wohnungsbau getätigt werden, widerspiegeln, beweisen genau das Gegenteil, nämlich daß genau diese Maßnahmen, die wir ergriffen haben, tatsächlich greifen, tatsächlich erfolgreich sind.Im Gegensatz dazu sind Ihre Vorschläge, die Sie auch heute wieder genannt haben, beispielsweise im Mietrecht, in der Tat kurzsichtige Vorschläge. Wir haben es auf den Weg gebracht, daß die Investitionsbereitschaft im Wohnungsbau wieder zum Tragen kommt, wieder sichtbar wird. Ihre Vorschläge erstikken die jetzt sichtbare Investitionsbereitschaft schon im Keime. Dies ist nicht ein Ansatz für die Lösung der Probleme.
Ich weiß sehr wohl, daß wir die Probleme des Wohnungsmarktes, die wir nie verhehlt haben,
nicht von heute auf morgen lösen können. Aber entscheidend ist, daß wir durch ein breitgefächertes Maßnahmenpaket die richtigen Fundamente gelegt haben.Obwohl sich längst nicht alle unsere wohnungspolitischen Maßnahmen in der Statistik niedergeschlagen haben, können wir bereits jetzt erste positive Ergebnisse vorzeigen: Mit einem Anstieg der Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen von fast 30 % auf rund 280 000 gab es im vergangenen Jahr das beste Ergebnis seit fünf Jahren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15671
Bundesminister Frau HasselfeldtIm Mehrfamilienhausbau betrug die Zunahme im Vergleich zum Jahr 1988 sogar 66 %.
Diese Zahlen sind mehr als ein statistisch gutes Ergebnis. Sie zeigen, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Auch im sozialen Wohnungsbau hat das verstärkte Bundesengagement einen ersten klaren Niederschlag gefunden: Bei über 68 000 neuen Bewilligungen wurde mit 76 % eine kräftige Steigerung verzeichnet.
Ich bin deshalb zuversichtlich, das angestrebte Ziel von einer halben Million neuer Sozialwohnungen in den nächsten vier Jahren zu erreichen.
Wir haben beides gemacht: Wir haben verstärkt auf den sozialen Wohnungsbau gesetzt, und wir haben verstärkt auf den frei finanzierten Wohnungsbau gesetzt. Wir haben ganz bewußt ein breitgefächertes, vielfältiges Maßnahmenbündel geschnürt, das neben dem Mietwohnungsbau beispielsweise auch die Komponente des Wohneigentums nicht vernachlässigt. Weiterhin haben wir ganz bewußt nicht nur auf den Neubau, sondern auch auf den Umbau gesetzt.Daß wir mit all diesen Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind, zeigt beispielsweise die starke Inanspruchnahme der Bausparzwischenfinanzierung und auch der zinsverbilligten Kredite für den Um- und Ausbau bestehender Gebäude — ein Programm, das, wie Sie wissen, innerhalb kurzer Zeit mit etwa 50 000 zusätzlichen Wohnungen im vorhandenen Gebäudebestand voll belegt war, wo wir eben nicht zusätzlich Wohnbauland und ähnliches brauchen, wo wir in aller Regel auch ein verkürztes Genehmigungsverfahren auf Grund der Problematik haben. Das ist das Ergebnis unserer Politik.
Es ist nur erzielt worden, weil wir eben nicht nur auf ein Pferd gesetzt haben, sondern weil wir diese Vielfalt der Maßnahmen im Förderbereich gesehen und darauf gesetzt haben.
Diese Vielfalt der Maßnahmen setzen wir heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fort.
Diese Bemühungen, meine Damen und Herren, dürfen sich natürlich nicht in den finanziellen Anreizen für den Wohnungsbau erschöpfen. Wir wissen alle aus der Praxis, daß es auch andere Hürden gibt, die ein rasches Tätigwerden im Wohnungsbau erschweren.Deshalb greifen wir mit dem vorliegenden Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz genau das auf, was Praktiker und bauwillige Bürger dringend fordern, nämlich mehr Flexibilität im Planungs- und Baurecht, ohne an materiellen Planungsgrundsätzen grundsätzliche, wichtige Abstriche vorzunehmen.Auf fünf Jahre befristet sollen im Planungs- und Baurecht des Baugesetzbuchs Erleichterungen für Wohnungsbauvorhaben geschaffen werden. Sie werden ergänzt durch genau eingegrenzte Mietrechtsänderungen.Ihre Ausführungen, Herr Conradi, veranlassen mich zu dem Hinweis, daß die kommunalen Spitzenverbände im Grundsatz diesem Gesetz nicht nur zugestimmt haben, sondern es äußerst positiv bewertet haben und daß viele Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte auf dieses Gesetz bereits warten.Aber diese Einsicht — ich verstehe das ein wenig — ist natürlich bei Ihnen vielleicht deshalb nicht so stark vorhanden,
weil Sie auf Grund der Tätigkeit in der Landesbauverwaltung nicht die Erfahrungen mitbringen, die so manche Kommunalpolitiker mitgebracht haben. Daß wir sehr viele Kommunalpolitiker in unserer Fraktion haben, tut uns in unserer Partei sehr gut.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Ministerin, die Bayerische Akademie für Landespflege hat uns beide ja zu einer Diskussion über das Für und Wider der neuen Regelungen im Außenbereich eingeladen. Ich höre, Sie hätten gesagt, Sie kämen nicht. Kann ich damit rechnen, daß wir uns dort vor den Praktikern dann über diese Außenbereichsregelungen unterhalten werden, oder werden Sie kneifen?
Herr Conradi, ich denke, daß Sie — und nicht nur Sie allein — in den vergangenen zehn Monaten feststellen konnten, daß ich mich, wenn es aus Zeitgründen nur irgendwie geht, jeder Diskussion mit jedem von Ihnen und mit jedem aus anderen Kreisen stelle. Es ist alles nur eine Frage der zeitlichen Kapazitäten.
Meine Damen und Herren, mit den neuen Regelungen können Bauleitplanverfahren zukünftig schneller abgewickelt, kann mehr Bauland durch die Gemeinden mobilisiert und können Einzelvorhaben im Innen- und Außenbereich leichter genehmigt werden. Gemeinden und Baugenehmigungsbehörden haben es jetzt in der Hand, das Angebot des Gesetzgebers auch wirklich in die Praxis umzusetzen.
Metadaten/Kopzeile:
15672 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Bundesminister Frau HasselfeldtLassen Sie mich bei dieser Gelegenheit schon darauf hinweisen, daß die Verantwortung für die Versorgung unserer Bevölkerung mit Wohnungen, eine ganz wichtige Aufgabe, nicht nur in den Händen des Bundes liegt, sondern mindestens in gleichem Maße in der Verantwortung der Länder und vor allem derjenigen, die vor Ort mit dieser Aufgabe betraut sind, nämlich in der Verantwortung der Gemeinden und der Landkreise.
Wir haben mit diesem Gesetzentwurf den Spielraum der Gemeinden erweitert. Wir geben ihnen ein Stück mehr Verantwortung. Jetzt geht es darum, daß die Gemeinden ihererseits diese Verantwortung auch ihren Bürgern gegenüber mit wahrnehmen.
Wenn nun die SPD von einem Abbau von Bürgerrechten spricht — Sie haben dies mit angesprochen —, weil z. B. bei Bebauungsplänen, die der Dekkung eines dringenden Wohnbedarfs der Bevölkerung dienen, von der vorgezogenen Bürgerbeteiligung abgesehen werden kann, dann zeugt dies — lassen Sie mich das so deutlich sagen — von einem beispiellosen Mißtrauen gegenüber unseren Gemeinden und im übrigen auch von einer leichten Fehlinterpretation. Keine verantwortungsbewußte Stadt wird bei wirklich komplizierten Bebauungsplanverfahren von der vorgezogenen Bürgerbeteiligung absehen. Wir meinen, in Zeiten, in denen zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen dringend neues Bauland ausgewiesen werden muß, kann eine zeitaufwendige vorgezogene Bürgerbeteiligung entfallen, wenn die Gemeinde die Interessen der Bürger kennt und Bürger wegen einfach gelagerter Planungen nicht oder nur gering betroffen sind.
Dafür ist vorgesehen, daß den Bürgern im Rahmen der öffentlichen Auslegung, die auf jeden Fall stattfindet, Gelegenheit zur Erörterung gegeben wird.Ich habe das notwendige Vertrauen in unsere Städte und Gemeinden, daß sie von diesen Möglichkeiten verantwortungsbewußt Gebrauch machen.
Wenn ich bei meinen vielen Besuchen in den Gemeinden und Städten merke, daß irgend etwas anders läuft, daß das Vertrauen der Bürger in die Bürgermeister und in die Oberbürgermeister nicht so ernst genommen wird, dann mache ich auch keinen Hehl daraus und bespreche das mit den Kommunalpolitikern vor Ort. Ich denke, daß es auch unsere Aufgabe ist, uns immer wieder gegenseitig an die eigene Verantwortung zu erinnern.Im übrigen, Herr Conradi, ist es einfach nicht richtig, wenn pauschal behauptet wird, daß jede Bürgerbeteiligung abgeschafft wird. Das ist so nicht richtig.
— Auch nicht Schritt für Schritt. Das ist eine Behauptung, die in keiner Vorschrift dieses Gesetzes eine Grundlage hat. Das ist letztlich Brunnenvergiftung. Ich möchte das so deutlich sagen.Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf enthält auch materielle Erleichterungen für Wohnbauvorhaben im Innen- und im Außenbereich. Mit diesen Vorschriften, gerade zum Bauen im Außenbereich, leisten wir auch einen Beitrag zur Wohnraumversorgung, wir leisten einen Beitrag zum Strukturwandel in der Landwirtschaft, und wir leisten einen Beitrag zur Stärkung des ländlichen Raumes. Im wesentlichen geht es um zwei Fragenkomplexe.Einmal geht es um den Landwirt, der wegen des Strukturwandels beispielsweise seinen Betrieb aufgibt oder weniger intensiv nutzt. Was macht er mit den ehemaligen Betriebsgebäuden des Bauernhofs, wenn sie beispielsweise im Außenbereich liegen?
Oder was macht er mit einem großen Bauernhof, in dem früher eine Großfamilie untergebracht war und heute in der Familie noch zwei, drei Menschen leben? Die Antwort des Gesetzes lautet: Er darf die Gebäude dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, zu Wohnzwecken nutzen. Es wurde vorhin schon gesagt: statt bisher mit zwei künftig mit vier Wohnungen. In diesen Fällen entsteht kein neues Gebäude. Ich war schon etwas bestürzt, Herr Conradi, als Sie bei der Frage der Ausweitung von zwei auf vier Wohnungen in bestehenden Gebäuden zusätzliche Wohnungen für Menschen in bestehenden Gebäuden als Schweinerei bezeichneten. Das finde ich bezeichnend
und beschämend, und das möchte ich ausdrücklich zurückweisen. Es ist den Leuten im ländlichen Raum doch einfach nicht begreifbar zu machen, daß wir einerseits dringend Wohnraum brauchen und andererseits ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude einfach verfallen lassen. Natürlich muß die Abwasserbeseitigung gesichert werden, und natürlich muß die Wohnnutzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein. Das ist durch dieses Gesetz auch gesichert. Das wissen Sie.
— Wollen wir hier in diesem Gremium um drei oder vier Wohnungen streiten, Herr Müntefering?
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß man unter den Bedingungen der gesicherten Wasserversorgung und -entsorgung,
unter den Bedingungen, wie sie jetzt im Gesetz vorgesehen sind — daß es nicht zu große und wesentliche bauliche Änderungen gibt, aber durchaus Änderungen, und daß ein Zusammenhang mit den landwirt-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15673
Bundesminister Frau Hasselfeldtschaftlichen Gebäuden besteht— , schon auf vier Wohnungen gehen kann.Die zweite Änderung betrifft die Neueinführung einer speziellen gemeindlichen Satzung für den Außenbereich. Die Gemeinde kann für einzelne Weiler oder Splittersiedlungen durch Satzung sogenannte relative Baurechte für Wohnbauvorhaben begründen, worunter auch Neubauten fallen. Ich möchte die Zielrichtung dieser Satzung nochmals verdeutlichen. Sie macht das Auffüllen von Baulücken möglich, verhindert aber die Ausdehnung von Weilern und Splittersiedlungen. Warum soll beispielsweise die Tochter oder der Sohn nicht auf der Nachbarparzelle bauen dürfen, die im Familienbesitz ist? Warum sollen sie ein teures Grundstück im Neubaugebiet des Hauptortes erwerben müssen? Das sind die Fragen, das sind die Probleme, die die Menschen draußen im ländlichen Raum betreffen.
Das sind die Fragen, die Sie von der Opposition den Bürgern beantworten müssen, wenn Sie diese Satzungsmöglichkeit ablehnen. Von einer Zersiedelung, von einer Zerstörung des Außenbereichs kann bei dieser behutsamen Regelung wahrlich nicht die Rede sein.
Zu den steuerrechtlichen Fragen ist Ihnen, den Kollegen von der SPD, natürlich nichts anderes eingefallen, als nach höheren Grundsteuern für unbebaute baureife Grundstücke zu rufen.
Es muß uns klar sein: Eine solche Regelung würde zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv wirken. Sie würde im übrigen weder kurz- noch mittelfristig zu verwirklichen sein. Eine solche Steuer wäre auch unsozial. Sie würde genauso diejenigen Eigentümer treffen, die die Grundstücke für eine Bebauung durch ihre Kinder oder Enkel vorhalten. Damit würde eine vernünftige Vorratspolitik für Familienzwecke erschwert oder sogar unmöglich gemacht.Das vorliegende Gesetz enthält demgegenüber an Stelle verfehlter globaler Ansätze gezielte bodenpolitische Instrumente. Ich nenne das Vorkaufsrecht der Gemeinden für Grundstücke im Außenbereich, die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen und schließlich die Regelung über das Baugebot, die dieses Instrument vollzugstauglicher machen.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht auch einige marginale Änderungen im Mietrecht vor. Für eine Übergangszeit müssen wir eben den vorhandenen Wohnungsbestand besser ausnutzen als bisher. Es ist eine sehr wichtige wohnungspolitische Zielsetzung, daß wir nicht nur in Richtung Neubau oder Umbau überlegen, sondern auch in Richtung besserer Ausnutzung des vorhandenen Wohnungsbestandes. Diesem Ziel dienen die mietrechtlichen Regelungen, die es beispielsweise ermöglichen, Ferienwohnungen Familien zur Verfügung zu stellen, die andernfalls aufunabsehbare Zeit in Turnhallen auf eine geeignete Wohnung warten müßten.Eine andere Möglichkeit, den Betroffenen schnell und wirksam zu helfen, stellt die Anmietung von Wohnungen durch Gemeinden und andere Körperschaften dar. Mit dieser Regelung wird die Bereitschaft, leerstehende Wohnungen zu vermieten, erhöht. Denn oft lassen Vermieter ihre Wohnung ja nur deshalb leerstehen, weil sie befürchten, die Wohnung dann nicht wieder freizubekommen, wenn sie sie anderweitig benötigen. In Zukunft können sie sicher sein, daß sie bei einer Vermietung an die Gemeinde oder an eine andere Körperschaft, beispielsweise ein Studentenwerk, nicht nur die Miete pünktlich erhalten, sondern daß auch die Wohnung zum vereinbarten Zeitpunkt zur Verfügung steht. Andererseits hat in der Zwischenzeit die Gemeinde bzw. das Studentenwerk die Möglichkeit, Wohnungssuchende in diesen bisher leerstehenden Wohnungen unterzubringen. Dabei sind keine Härten für die Mieter zu befürchten, da es ja die Gemeinden bzw. Körperschaften sind, in deren Verantwortung auch die Beschaffung von Ersatzwohnraum liegt — eine Regelung also, die nicht den Mieterschutz aushöhlt, sondern dazu dient, den Wohnungssuchenden möglichst schnell zu einer Wohnung zu verhelfen, und das ist das Ziel, das wir uns gesteckt haben.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein sehr wichtiger Teil der wohnungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung. Er ist nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem umfangreichen Förderpaket vom vergangenen Herbst zu sehen, beispielsweise auch mit der Koalitionsentscheidung zur Verlängerung der Kündigungssperrfrist bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen,
und er ist im Zusammenhang mit der gestrigen Kabinettsentscheidung zur Erhöhung des Wohngelds zu sehen.Wer sich gegen diese Erleichterungen im Baurecht ausspricht, die in diesem Gesetz enthalten sind, gegen die Möglichkeiten zur verstärkten Bereitstellung von Bauland, gegen die Möglichkeiten einer Beschleunigung im Genehmigungs- und Bauleitplanverfahren, gegen die Möglichkeit, zusätzlichen Wohnraum auch im Außenbereich zu erschließen — bei aller Behutsamkeit und Rücksichtnahme auf ökologische Zusammenhänge —, der muß sich allen Ernstes den Vorwurf gefallen lassen, daß er es mit der Bewältigung der Wohnungsprobleme in unserem Lande nicht allzu ernst meint.
Die Ziele unserer Wohnungspolitik sind erstens die Erhöhung der Anzahl der Wohnungen, zweitens die soziale Absicherung der Belastungen am Wohnungsmarkt — die auf Grund der Enge des Marktes gerade jetzt keine unwichtige Rolle spielen; deshalb auch die
Metadaten/Kopzeile:
15674 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Bundesminister Frau HasselfeldtEntscheidung über die Wohngelderhöhung —, drittens eine ausreichende Flexibilität im Baurecht und viertens eine überzeugende Qualität der Bauwerke und der städtebaulichen Lösungen.Von Ihrer Seite wird immer wieder behauptet: Aber den sozialen Wohnungsbau habt ihr kaputtgemacht. Dieses Stichwort möchte ich zum Schluß aufgreifen. Ich möchte ganz klar und eindeutig feststellen: Es war ein einstimmiger Beschluß aller Ministerpräsidenten der Länder im Jahre 1985, der besagte, daß der Bund sich gefälligst einseitig aus der Beteiligung am sozialen Wohnungsbau zurückziehen sollte.
Wir hatten noch bis in das Jahr 1987 eine Diskussion über leerstehende Wohnungen in unserem gesamten Land. In dieser Zeit sind die Investitionen sowohl im sozialen als auch im freifinanzierten Wohnungsbau natürlich zurückgegangen. Denn wer investiert im Wohnungsbau, wenn sich diese Investitionen nicht rechnen, wenn keine Nachfrage nach Wohnungen da ist?Wir haben dem sozialen Wohnungsbau wieder ein deutliches Gewicht in der gesamten wohnungspolitischen Landschaft gegeben; es war diese Bundesregierung.
Zur Bewältigung der nicht kleinen wohnungspolitischen Probleme — auch wir sehen das — trägt dieser Gesetzentwurf wesentlich bei. Deshalb darf ich Sie um Ihre Zustimmung bitten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Großmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute über ein Gesetz zu befinden, das bereits bei seiner Einbringung schwere Mängel erkennen ließ. Dies wurde damals sogar von denen zugegeben, die den Gesetzentwurf verfaßt haben, nämlich von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen.Die Eile, mit der dieser Text verfaßt worden war, führte dazu, daß die Herren Dörflinger und Hitschler schon in der ersten Lesung mehrere und schwerwiegende Änderungen ankündigten.
Wer damals glaubte, in der Beratung werde es seriöser zugehen, mußte sich leider bald getäuscht sehen. Die Anträge der Koalition zum Mietrecht wurden uns erst zwölf Stunden vor der Schlußberatung zugeleitet, also am 6. März, obwohl sie das Datum vom 13. Februar trugen.
Das ist nicht in Ordnung. Das muß hier gesagt werden.
— Das gilt für alle Anträge zum gesamten Mietrecht. Die standen zufällig in einem Antrag, aber es waren mehrere Anträge. Bleiben Sie doch bei der Wahrheit. Ich finde, das ist nicht in Ordnung.Ich kann Ihr Zuwarten nur so verstehen, daß Sie wegen der groben Mängel der geplanten Mietrechtsänderungen erst einmal dankbar die konstruktiven Vorschläge des Bundesrates und vor allem der SPD- Fraktion abgewartet haben, um mit diesen neuen und guten Ideen wenigstens die gröbsten Fehlgriffe zu vermeiden.
Deshalb war ich sehr erfreut, feststellen zu können, daß Sie unsere Vorschläge zu einem großen Teil verarbeitet haben.
So ist das Gesetz im Mietrechtsteil besser geworden. Ob es allerdings den Zweck erfüllt, kurzfristig die Wohnungsnot zu überwinden, bezweifle ich nach wie vor. Selbst Frau Bundesministerin Hasselfeldt hat gerade davon gesprochen, daß die Mietrechtsänderungen eher marginal seien. Da kann ich nur zustimmen.
Trotz mehrfachen Nachfragens haben weder Sie, die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, noch Vertreter der Bundesregierung auch nur andeutungsweise Zahlen nennen können, welchen Effekt denn diese Mietrechtsänderungen haben werden. Herr Dörflinger hat eben von Tausenden von Wohnungen gesprochen. Wir haben im Ausschuß laufend danach gefragt: Erzählt uns einmal, welche Änderung an welcher Stelle des Mietrechts welche Konsequenzen auf die Zur-Verfügung-Stellung von neuem Wohnraum hat? Null an Zahlen ist gekommen, keine deutliche Aussage. Man kann beinahe den Eindruck haben, Sie änderten Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches fast ins Blaue hinein, ohne konkret belegen zu können, wieviel Wohnraum unter dem Strich durch diese Änderungen geschaffen wird bzw. zusätzlich zur Verfügung stehen wird.
Die ganze Art des Verfahrens, die vielen Änderungen während des Verfahrens und die Fülle der offenen Fragen zeigen erneut die Konzeptionslosigkeit, mit der die Bundesregierung versucht, das von ihr verschlafene Problem der Wohnungsnot in den Griff zu bekommen.Aber schauen wir uns die einzelnen Regelungen noch einmal an, wie sie geplant waren, wie sie heute aussehen und welchen Nutzen sie überhaupt haben können:Die Mietrechtsänderungen sollten zunächst unbefristet sein, Fünfjahresfristen für die Änderungen des Baugesetzbuches, keine Befristungen für die Änderungen des Mietrechtes. Da mußte man ja mißtrauisch werden. Und erst die Begründung, Befristungen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15675
Großmanndas BGB hineinzuschreiben sei nicht üblich, so etwas tue man nicht.Wir als SPD haben dagegengehalten. Dieses eher gesetzestechnische Problem wollten wir mit einem Maßnahmengesetz zum BGB lösen, das dann wiederum auf fünf Jahre begrenzt sein sollte. Jetzt war plötzlich eine Befristung im Text des BGB möglich. Der Grund für die Weigerung, dies von Anfang an zu tun, muß also ein anderer gewesen sein.Sie haben, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, im Ausschuß die Katze aus dem Sack gelassen. Sie haben angekündigt, daß Sie die Befristungen im Wohnungsbauerleichterungsgesetz nach einem gewissen Zeitraum überprüfen wollten, um festzustellen, ob davon nicht einige in Dauerrecht umgewandelt werden könnten. Wenn Sie damit die Mietrechtsänderungen meinen, so sagen wir schon heute: Mit uns nicht.
Die Mietrechtsänderungen sind größtenteils überflüssig, und wenn überhaupt, dann nur kurzfristig nötig.Dies gilt beispielsweise für die Einschränkung des Kündigungsschutzes bei Ferienhäusern und Ferienwohnungen. Für solchen Wohnraum wird ein Ausschluß der Sozialklausel und des Räumungsschutzes beschlossen. Wir haben dieser befristeten Regelung erst zugestimmt, nachdem die Informationspflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter über diese Einschränkung beim Abschluß des Vertrages in den Text des Gesetzes aufgenommen wurde.Der erste Entwurf der Koalitionsfraktionen sah außerdem keine Schriftform der Kündigung vor. Wir haben glücklicherweise verhindern können, daß dies umgesetzt wird. Die Schriftform der Kündigung bleibt jetzt weiterhin Bedingung.Ob diese Regelungen für Ferienhauswohnungen überhaupt nennenswert neuen Wohnraum schaffen, bleibt abzuwarten. Nach unserer Auffassung sind viele Probleme nicht mitbedacht worden, von denen einige mit Sicherheit auftreten werden: Wenn viele Aus- und Übersiedler dort wirklich einzögen, finden sie dort denn auch Kindergartenplätze für ihre Kinder? Wie können sie bei Ferienhaussiedlungen, die außerhalb liegen, in das Dorf bzw. die Stadt kommen: zum Arbeitsplatz, zu Qualifizierungsmaßnahmen? Wie viele Ferienhaussiedlungen sind überhaupt ganzjährig bewohnbar? Auf diese Fragen gab es in den Ausschüssen keine Antwort.Auch die Einschränkung des Kündigungsschutzes bei Wohnraum, den Städte und Gemeinden anmieten und dann quasi untervermieten, wirft Probleme auf. Das haben die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände uns in der Anhörung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Können die Kommunen die Wohnungen zum rechten Zeitpunkt überhaupt räumen? Haben sie rechtzeitig neuen Wohnraum, um die Mieter, die aus der untervermieteten Wohnung heraus müssen, wieder neu unterbringen zu können? Wird durch diese Regelung nicht noch mehr getrennt als bisher: solvente Mieter auf der einen Seite, die ihre Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt finden, und um die anderen sollen sich dann die Städte kümmern? Auch hier war eine Zustimmung unsererseits nur möglich, weil die Informationspflicht des Vermieters und die Schriftform der Kündigung aufgenommen wurden, vor allem aber dadurch, daß die Städte und Gemeinden letztlich selber wählen und entscheiden können, ob sie sich auf eine so unsichere Regelung überhaupt einlassen wollen.Nicht ganz so umstritten ist die Teilkündigung von Nebenräumen, wenn dadurch der Bau neuer Wohnungen zum Zwecke der Vermietung möglich wird. Diese Zweckbindung — zum Zwecke der Vermietung — ist auf unseren Antrag hin in das Gesetz aufgenommen worden. Aus unserem Maßnahmegesetz stammt auch der Vorschlag, daß der Mieter bei einer solchen Kündigung eine Senkung der Miete fordern kann.Ein gezielter Angriff auf das geltende Mietrecht ist die Ausweitung des eingeschränkten Kündigungsschutzes von Zwei- auf Dreifamilienhäuser, wenn die dritte Wohnung nach dem 1. Mai 1990 fertiggestellt wird. Eine derart einschneidende Maßnahme können wir nicht mitmachen. Dies ist einer der Gründe, warum wir dem Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz unsere Zustimmung verweigern müssen.
Hier haben sich in der Koalition eindeutig diejenigen durchgesetzt, die das Mietrecht schon seit langem weiter verschlechtern wollen. Dabei ist diese Maßnahme völlig überflüssig: Schon jetzt sind die Billigkreditprogramme — Herr Dörflinger hat gesagt, sie sind ein Renner — zum Ausbau von neuem Wohnraum in bestehenden Häusern überzeichnet. Die Eigentümer bauen also ihre Häuser, Frau Ministerin, bereits jetzt in so hohem Maße aus, daß ein weiterer finanzieller Anreiz oder ein weiterer Anreiz in Form eines erleichterten Kündigungsschutzes überhaupt nicht nötig ist.
Sie haben das selber eindrucksvoll bestätigt. Von daher widersprechen Sie sich in diesem Punkt völlig. Es ist völlig unglaubhaft, warum Sie diese Maßnahme noch durchziehen wollen.
Faßt man die geplanten Änderungen im Mietrecht zusammen, so bleibt für eine positive Beurteilung so gut wie nichts Greifbares übrig. Das Problem der Wohnungsnot ist mit diesem Gesetz nicht zu lösen. Dort, wo man glaubt, ein Problem lösen zu können, schafft man gleichzeitig mehrere neue. Wirklich durchgreifende Maßnahmen zur Schaffung von preiswertem Wohnraum und — was mindestens genauso wichtig wäre — zur Erhaltung von preiswertem Wohnraum sind in diesem Gesetz nicht enthalten.Wenn solche Maßnahmen überhaupt verwirklicht wurden, dann fast immer nur unter Druck: Bei den Mietpreis- und Belegungsbindungen sind über den Bundesrat viele Vorschläge wieder aufgegriffen worden, die Sie als SPD-Anträge bis jetzt immer abge-
Metadaten/Kopzeile:
15676 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Großmannlehnt haben. Ob — oder ob nicht — sozialer Wohnungsbau von der Bundesregierung in ausreichendem Maße gefördert werden soll, darüber sind CDU/ CSU und FDP zerstritten. Wertvolle Zeit ging verloren. Die stückweise beschlossenen Programme wurden so verwässert, daß sie nur schwer greifen. Die Verlängerung der Fristen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen hat zu monatelangen Auseinandersetzungen in der Koalition geführt. Herausgekommen ist ein Kompromiß, der das Problem nicht lösen kann. Und schließlich: Bei der Beratung dieses Gesetzes hakte es erneut. Der Freistaat Bayern hat sogar die Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht ausgeschlossen.Statt mit klaren Konzepten die Wohnungsnot zu bekämpfen, ertrinken die Akteure der Koalition in kleinlichem Gezänk, halbherzigen Kompromissen und vertrödeln wertvolle Zeit.
Die schon lange überfällige Erhöhung des Wohngeldes wird kurz vor den Wahltag verschoben; gegen die Explosion der Mietpreise wird erst gar nichts unternommen. Fest steht jedenfalls: Mit einer derart schlechten Politik werden Sie die Probleme der Wohnungsnot nicht lösen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes heute ist der Schlußstein einer ganzen Kette von wohnungspolitischen Maßnahmen der letzten Monate, mit denen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der Herausforderung auf dem Wohnungsmarkt begegnen.
Es ist ein großer Schritt in die Zukunft, ein Ausloten und Anpacken aller vorhandenen Möglichkeiten und nicht, Herr Conradi und Ihre anderen Kollegen, ein Fortführen dieses unfruchtbaren Streits der Schuldzuweisungen, wie das heute wieder von Ihnen betrieben wird. Denn, wenn überhaupt, haben sich alle über die Parteigrenzen hinweg in der Einschätzung der Wohnungssituation vertan, Bund, Länder, Gemeinden, Wissenschaft, Wohnungswirtschaft usw.
Es wäre einfach redlich, weil es die Wahrheit ist, wenn Sie, statt dazwischenzurufen, jetzt mit dem Kopf nikken würden. Gemeinsam waren wir doch über die Wohnungsleerstände — 400 000 noch vor wenigen Jahren — erschrocken. SPD- und Koalitionspolitiker sprachen vom Rückbau, also vom Abriß von Wohnungen, um das einmal auf gut deutsch zu sagen. Dabei erinnere ich an Ihren Freund Zöpel in Nordrhein-Westfalen. Private Investoren stiegen aus, weil man
sich sagte, neu zu investieren sei Eigentumsvernichtung.
SPD- und unionsgeführte Regierungen reduzierten die Wohnungsbauförderung. Herr Conradi, was Sie zum wiederholten Mal vortragen, ist einfach dummes Zeug. Wem soll das noch etwas bringen? Welchem Wohnungssuchenden hilft es, wenn z. B. die nordrhein-westfälische Landesregierung ihre Anklagen immer wieder nach Bonn richtet
und selber als die Landesregierung in die Geschichte des Wohnungsbaus eingehen wird, die die größte Rückführung des sozialen Wohnungsbaus, von 1,75 Milliarden DM auf 0,63 Milliarden DM in den Jahren 1982 bis 1988, vorgenommen hat? Wem hilft es, wenn z. B. Herr Schmalstieg, Oberbürgermeister in Hannover , heute ständig Anklagen in Richtung Bundesregierung formuliert, wo er noch Anfang dieses Jahrzehnts ein Gutachten vorgelegt hat, in dem steht:
Die Wohnungsversorgung der Stadt Hannover ist heute so gut wie nie zuvor.
Er prognostizierte, 1990 würden ca. 12 000 Wohnungen in Hannover leerstehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler?
Gleich, Herr Kollege Hitschler.
Dies alles reiht sich in die Ausführungen der Redner der SPD ein — von den GRÜNEN will ich gar nicht reden — , die ihre alten sozialistischen Konzepte wieder hervorholen: Mietenstopp und Beschimpfung der Investoren. Damit werden sie genau das Ergebnis bekommen, das die regierenden Sozialisten im anderen Teil Deutschlands mit dieser Politik schon geschafft haben. Sie geben vor, den Mieter zu schützen, und schaffen in diesem Teil Deutschlands ein Trümmerfeld. Dies ist das Ergebnis einer Politik, die eine seriöse Diskussion darüber verhindert, daß die Wohnung nicht nur ein Stück Sozialgut, sondern auch ein Stück Wirtschaftsgut ist.
Bitte schön, Herr Hitschler.
Herr Kollege Kansy, könnte es sein, daß die Zurückhaltung einiger sozialdemokratisch regierter Bundesländer bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaues in den vergangenen Jahren darauf zurückzuführen ist, daß sie damit beschäftigt waren, die Scherben des Neue-Heimat-Skandals zu beseitigen und mit vielen Millionen DM die Wohnungen aufzukaufen, wodurch sie ihre Mittel, die sie ansonsten bisher in den sozialen Wohnungsbau gesteckt hatten, dafür verwenden mußten, diesen Konzern zu retten?
Herr Kollege Hitschler, dies ist nicht nur in der Vergangenheit so gewesen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15677
Dr.-Ing. KansySie sind immer noch damit beschäftigt. Der SPD-Bürgermeisterkandidat Kronawitter beschäftigt sich z. B. in München damit, krampfhaft zu rechtfertigen, warum seine Genossen in der Stadt und in der Neuen Heimat die Wohnungen unbedingt für eine Milliarde DM ins Ausland verscherbeln wollen, obwohl die bayerische Staatsregierung seit langem ein Modell versucht, sie in Deutschland zu behalten. Oder: Die Kollegen in Hamburg bemühen sich zur Zeit krampfhaft, die ehemaligen Wohnungen der Neuen Heimat nach Schweden zu verschieben, obwohl die Hamburger Mieter sie gern in Deutschland behalten würden. Insofern, Herr Kollege Hitschler, haben Sie tatsächlich recht: Eine Beschäftigung mit dem Thema Neue Heimat ist eine Beschäftigung mit einem Teil des Erbes sozialdemokratischer Wohnungspolitik. Aber auch das führt uns nicht weiter.
— Das ist immer gut.
Weiter beklage ich, daß hier großartige Reden gehalten werden und daß im Naturschutz und Landschaftsschutz großartig Möglichkeiten suggeriert werden, die nicht existieren.
Meine Kollegen von der SPD und die Bürger, die hier zuhören, und hoffentlich auch die Frankfurter, die hier vor wenigen Monaten noch den wahlkämpfenden Oberbürgermeisterkandidaten Hauff erlebt haben, als er ihnen Wohnungen en gros versprach,
finden in der gestrigen „Frankfurter Rundschau" , die ja nun wirklich keine konservative Zeitung ist, folgende Hinweise: Die Frankfurter SPD steht vor einem Parteitag und muß sich plötzlich mit der Situation auseinandersetzen, daß aus den ganzen Ankündigungen der vielen Wohnungen in Frankfurt nichts wird.
Und da steht nun ein Antrag zur Diskussion, den der SPD-Ortsverein Frankfurter Berg/Berkersheim gestellt hat. Darin steht — ich zitiere — :Da das Wohnungsproblem immer brennender wird,— nach einem halben Jahr Hauff in Frankfurt —ist eine ehrliche Bestandsaufnahme notwendig, um zu verhindern, daß Parteivertreter der Bevölkerung desorientiert herumeiern müssen, was letztlich der Glaubwürdigkeit der Gesamtpartei schadet .. .
Das ist dort genau das, was hier seit Jahren sozialdemokratische Wohnungspolitik ist: Wenn es um Fragen des Planungsrechts geht, werden Interessen von Planern vertreten. Dann wird vor Wähler getreten und werden Wohnungen versprochen. Und zum Schluß kann man das nicht zusammenbringen: den auf Wohnung wartenden Mieter auch in Frankfurt und die Schickimickigesellschaft, die da rot-grüne Mehrheiten zusammenbringt, die dann etwas ganz anderes im Sinn haben, als Wohnungen zu schaffen.
Die CDU/CSU, die FDP und die Bundesregierung haben statt dessen ein Wohnungsbaupaket vorgelegt, in das wir alles, was zur Zeit machbar ist, eingeschlossen haben: Wir haben Förderung des Wohnungsneubaus. Wir haben Maßnahmen zur Mobilisierung aus dem Bestand.
Wir hab en ein Bausparzwischenfinanzierungsprogramm für Eigenheimer, die schnell bauen wollen. Wir haben Maßnahmen zur Förderung des Studentenwohnungsbaus. Wir haben Maßnahmen zur Förderung von Übergangswohnheimen. Wir haben Förderungsmaßnahmen zur Aufschließung von Wohnbauflächen. Wir haben eine intensivere Grundstücksvergabe der öffentlichen Körperschaften.
Wir haben eine Unterstützung der Kommunen bei der Aufschließung von neuen Wohnbauflächen. Wir haben steuerliche Erleichterungen zur Verbesserung der privaten Investitionsbereitschaft; denn ohne die können wir das Problem eh nicht lösen. Wir haben eine wesentliche Verbesserung des Wohngelds
mit ab Oktober 5 Milliarden DM jährlich Wohngeld in der Bundesrepublik Deutschland, einer Rekordsumme.
Wir haben Gesetzesänderungen im Planungs- und Baurecht, die wir heute beraten, um das Bauen zu erleichtern und zu beschleunigen. Und wir haben viele andere Maßnahmen. Dabei wird nicht nur jede einzelne Maßnahme für sich wie das heute zur Beratung stehende Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz,
sondern alles zusammen den gewünschten Erfolg bringen, wenn Bund, Länder und Gemeinden nicht mauern,
sondern sich zusammentun, um dieses Problem zu lösen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Bitte schön, Herr Kollege Menzel.
Bitte sehr.
Herr Kollege Kansy, Sie haben gerade vom Wohngeld gesprochen. Können Sie dem
Metadaten/Kopzeile:
15678 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
MenzelHause erklären, warum Sie die Pauschalierung des Wohngelds für Sozialhilfeempfänger über Monate verzögert und gestern die Abstimmung verhindert haben und warum Sie den Antrag der SPD auf Wohngelderhöhung, der schnell hätte wirksam werden können, gestern verhindert haben
und damit ein schnelles Wirksamwerden einer solchen Maßnahme verhindert haben, wenn Sie hier so groß von Wohngeld reden? Können Sie die Zusammenhänge erklären?
Herr Kollege Menzel, ich habe gestern schon versucht, es Ihnen zu erklären. Ich gebe zu, das ist ein bißchen schwierig.
Die Bundesregierung hat gestern eine komplette Novelle für das Wohngeld vorgelegt.
Es ist eine Selbstbeschäftigungstherapie der Opposition, in dieser Situation noch Wohngeldänderungsanträge einzubringen, da doch das ganze Gesetz zur Disposition steht.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle nicht verhehlen, daß ich mit Sorge auf die Entwicklung des Kapitalmarkts schaue. Ergibt sich im Bereich der Hypothekenzinsen nicht in absehbarer Zeit eine spürbare Entlastung — —
— Herr Präsident, ich habe es selber gerne lebhaft, aber manchmal kann man bei dem Geplärre sein eigenes Wort nicht verstehen. Vielleicht kann das ein bißchen leiser gehen, meine Kollegen von der Opposition. Ich kann doch nicht verhindern, daß Sie Herrn Hauff haben, ich kann auch nicht verhindern, daß Sie Herrn Lappas als Genossen haben, aber lassen Sie mich doch wenigstens zu Ende reden.
Bisher — das ist schon gesagt worden; ich brauche es nicht mehr zu unterstreichen — hat das Wohnungsbaupaket dieser Koalition gegriffen. Die Anzahl der geförderten Sozialwohnungen hat sich seit 1988 mehr als verdoppelt und wird 1990 knapp 110 000 Wohneinheiten betragen.Das Bausparzwischenfinanzierungsprogramm, mit dem rund 80 000 Wohnungen gefördert werden, war genauso schnell vergriffen wie die Fördermittel zur Schaffung von Wohnraum aus dem Bestand, über den wir eben geredet haben. Allein daraus — ohne den steuerlichen Teil — werden mindestens 50 000 Wohnungen neu entstehen.Meine Damen und Herren, bei der Verabschiedung dieses Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes als des letzten Steins unseres Wohnungsbaupakets möchte ich über die Tagesauseinandersetzung hinweg folgendes sagen. Wir haben eine Diskussion erlebt, dieeinen sehr betroffen machen kann und die in etwa folgendermaßen aussieht.Montags wird an uns die durchaus überzeugende Forderung herangetragen, wir müßten in den nächsten Jahren 4 bis 5 Millionen neue Wohnungen bauen. Dienstags kommen durchaus respektable Gruppen — zumindest teilweise — aus dem Bereich des Naturschutzes und der Landespflege, die fordern, es dürfe aber auf keinen Fall neues Bauland ausgewiesen werden, denn unsere Republik sei bereits heute zu stark zugebaut.Mittwochs wird man dann z. B. angegriffen, wenn man zur Förderung des Dachgeschoßausbaus die Teilkündigung von zum größten Teil leerstehenden Wäscheböden in das Gesetz aufnimmt. Am Mittwochnachmittag erfährt man, daß diejenigen Städte, die am lautesten über Wohnungsmangel klagen, unzumutbare Bedingungen beispielsweise für den Ausbau von Dachgeschossen stellen.Am Donnerstag versucht man in dieser Frage einen Kompromiß. Da tritt jede der Gruppen für sich auf und sagt, man habe nicht voll auf die eigenen Vorstellungen gehört.Freitags kommen alle zusammen und sagen, diese Bundesregierung, diese Koalition handle immer noch zu zögerlich, um möglichst schnell 4 oder 5 Millionen Wohnungen zu bauen.Das ist ein System, Herr Conradi, das scheitern muß, wenn wir klar erkennbare Zielkonflikte verdrängen und nicht lösen. Wir haben bis vor wenigen Jahren alle gemeinsam geglaubt, unser Land sei im wesentlichen aufgebaut und wir könnten uns jetzt mehr den Fragen Wohnumwelt und der Innenentwicklung widmen.Aber die Wirklichkeit ist, daß derselbe Bürger, der die Inanspruchnahme von neuen Flächen beklagt, weil es ein Stück weniger Grün ist — das ist nachvollziehbar —, auf Grund seiner guten Einkommenssituation im statistischen Schnitt pro Jahr seine Wohnbedürfnisse um 0,25 Quadratmeter ausweitet. Das hört sich sehr wenig an, bedeutet aber bundesweit bei rund 60 Millionen Bundesbürgern eine zusätzliche Wohnfläche pro Jahr, die etwa 150 000 neuen Wohnungen entspricht.Wie selbstverständlich fordert dieser Bürger von der Politik auch noch, diese Ausweitung möglichst tatkräftig zu fördern.Dies ist die Wahrheit. Dies ist unser Problem, Herr Conradi, nicht Ihre maßlosen Angriffe und das Reden an den eigentlichen Problemen vorbei.
Warum haben Sie eigentlich nicht den Mut, den Menschen in unserem Land, die in Umfragen zu 90 % sagen, wir müßten mehr für den Landschaftsschutz tun, zu sagen, daß dann nicht eine ständige Ausweitung der Wohnflächen möglich ist? Wir reden jetzt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15679
Dr.-Ing. Kansynicht von der Minderheit, die kein anständiges Dach über dem Kopf hat,
sondern wir reden von der großen Mehrheit, die in einer gespaltenen Wahrnehmung der Realität beides von uns fordert, was wir als Politik nicht leisten können, nämlich auf der einen Seite möglichst keinen Flächenverbrauch mehr zuzulassen und auf der anderen Seite möglichst ständig eine Ausweitung der Wohnfläche zu ermöglichen.Dies kann nicht durch Zwang erreicht werden, aber durch seriöse Diskussion. Wenn Sie sich, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, daran künftig etwas intensiver beteiligen wollen, wären wir Ihnen sehr dankbar. Als ersten bescheidenen Schritt erhoffen wir uns nach dieser Debatte jetzt dennoch Ihre Zustimmung zum Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz. Den Antrag der GRÜNEN, der eh überholt ist, werden wir ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Oesterle-Schwerin.
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu unserem Gesetzentwurf zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnungsunternehmen, den wir als Antwort auf den Neue-Heimat-Skandal und als Antwort auf die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit durch die Bundesregierung und durch die Koalitionsparteien eingebracht haben.Der Deutsche Bundestag wird unseren Gesetzentwurf heute ablehnen,
obwohl gerade dieser Entwurf dazu in der Lage wäre, die Wohnungsprobleme der Bundesrepublik Deutschland langfristig und dauerhaft zu lösen. Sie werden diesen Entwurf ablehnen, weil Sie an einer angemessenen, bezahlbaren Wohnversorgung für alle überhaupt kein Interesse haben. Für Sie ist die Wohnung des Menschen nicht mehr als eine Ware, die man möglichst billig einkauft — mit steuerlicher Förderung, versteht sich — und möglichst teuer verkauft oder vermietet. Für Sie sind die Wohnbedürfnisse von Menschen ein Markt, auf dem sich einige auf Kosten und unter Ausnutzung der Zwangssituation anderer bereichern können.Die Einbringung Ihres sogenannten WohnungsbauErleichterungsgesetzes, durch das die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen abermals erleichtert wird, und die heutige Ablehnung unseres Gesetzes beweisen es abermals: Die Bundesregierung will die Verknappung von billigem Wohnraum.
Sie, Herr Kansy, Herr Hitschler, Herr Echternach und Frau Hasselfeldt, wollen die Wohnungsnot, weil Sie Politik im Interesse derer machen,
die die steigenden Mieten kassieren. Und die Mieten steigen um so schneller, je weniger preiswerte Wohnungen es auf dem Markt gibt. Das ist Ihr Interesse, und das ist Ihre Politik.Dennoch, wenn auch heute nur zu Protokoll, hier die wesentlichen Forderungen aus unserem Gesetzentwurf: Wir sind der festen Überzeugung, daß die Wohngemeinnützigkeit, die hierzulande eine hundertjährige Tradition hat, heute so unentbehrlich ist wie eh und je. Deswegen bringen wir Vorschläge zur Reformierung der Wohngemeinnützigkeit ein. Wir sind für Dezentralisierung und Entflechtung der großen Wohnungsbauunternehmen. Wir sind für weitestgehende Mitbestimmung der Mieterinnen und Mieter. Wir sind für eine soziale Belegungsbindung und für einkommensabhängige Mieten.Im einzelnen heißt das folgendes. Erstens. Die Einführung einer Obergrenze von höchstens 2 000 Wohnungen pro Unternehmen. Dadurch werden die Wohnungsbauunternehmen dezentralisiert und überschaubar gemacht. Großunternehmen wie die Neue Heimat wird es in Zukunft unseren Vorstellungen entsprechend überhaupt nicht mehr geben.Zweitens fordern wir die Einführung der paritätischen Mitbestimmung von Mieterinnen und Mietern in den Aufsichtsräten der Gesellschaften und die zusätzliche Einführung von Räten, die alle Entscheidungen der Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort, z. B. Modernisierungen, genehmigen müssen.Drittens wird eine Belegungsbindung eingeführt. Das war im herkömmlichen Wohngemeinnützigkeitsgesetz nicht der Fall. Wohnungen gemeinschaftlicher Wohnungsunternehmen müssen vorrangig an Personen mit niedrigem Einkommen, sprich: an Personen vergeben werden, die mindestens 20 % unterhalb der Einkommensgrenze des sozialen Wohnungsbaus liegen. Nur so läßt sich der Diskriminierung von Personen, von Haushalten mit niedrigem Einkommen, die von allen Wohnungsbaugesellschaften betrieben wird, wirksam entgegentreten.Viertens schlagen wir einkommensabhängige Mieten vor. Danach sinken die Mieten in den Wohnungen dieser Baugesellschaften, wenn das Einkommen fällt, und steigen, wenn es wieder höher wird. Die Miete wird alle drei Jahre neu an das Einkommen angepaßt. Sagen Sie nicht, daß das umständlich ist. Das ist nicht umständlicher als die alljährliche Erneuerung des Wohngeldantrags.Das ist unser Gesetzentwurf zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnungsunternehmen. Natürlich dürfen steuerbefreite und mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen auf keinen Fall privatisiert werden. Auch hier gilt der grüne Grundsatz: Einmal öffentlich gefördert heißt dauerhaft sozial gebunden.Mir ist klar, daß Sie dem heute nicht zustimmen wollen; denn Ihre Politik ist eine Politik zur Festschrei-
Metadaten/Kopzeile:
15680 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Oesterle-Schwerinbung der Wohnungsnot. Dazu paßt dieser Gesetzentwurf nicht.
Wir heben ihn auf. Er ist für uns ein Schubladengesetzentwurf für bessere Zeiten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Baulandmobilisierung ist kein Alibi für Tatenlosigkeit der Bundesregierung beim Wohnungsneubau. Es gibt bei uns im Lande bebaubares Land. Es gibt auch Genehmigungen für konkrete Vorhaben für solches Bauland. Es fehlt das Geld für den sozialen Wohnungsbau. Das gilt für Zigtausende Bauvorhaben. Die könnten sehr schnell realisiert werden, wenn sich die Bundesregierung nicht weiter in dem bisherigen Maße aus ihrer Verantwortung herausstehlen würde, sondern die Mittel zur Verfügung stellte, die für den sozialen Wohnungsbau erforderlich sind.
2 Milliarden DM Bundesmittel pro Jahr sind zuwenig. Die Länder kratzen ihre Mittel zusammen — 6,5 Milliarden DM in diesem Jahr — , die Kommunen 1,5 Milliarden DM. Nur der Bund bleibt bescheiden bei seinen 2 Milliarden DM. Dabei hat er in diesem Jahr Rückflüsse in einer Höhe von 1 Milliarde DM aus alten Wohnungsbaudarlehen. Er verspricht in dieser Phase massiver Wohnungsnot lediglich, 1 Milliarde DM draufzulegen. Damit wird der Bund seiner Verpflichtung zur Beseitigung der Wohnungsnot nicht gerecht.Die SPD bleibt bei der Forderung: 3,5 Milliarden DM Bundesmittel jährlich als Rückenwind für den sozialen Wohnungsbau, insbesondere für den sozialen Mietwohnungsbau.Die Entwickung der Zinsen für Kredite und Hypothekendarlehen machen das verstärkte Engagement um so dringlicher. Die Koalition tröstet sich zur Zeit mit den Genehmigungszahlen des letzten Jahres. Aber, Frau Ministerin, Genehmigungen sind keine Wohnungen, und in Genehmigungen kann man nicht wohnen.
Deshalb kommt es nicht nur darauf an, daß genehmigt wird, sondern es kommt auch darauf an, daß gebaut wird. Das werden Sie, lieber Herr Kollege Kraus, in den nächsten Tagen und Wochen ja noch sehen. Sie werden merken, daß die Entwicklung der Zinsen, die wir im Augenblick erleben, zu einer gewissen Zurückhaltung vor Ort führt. Daß Sie das ignorieren, daß Sie darüber nicht sprechen, mag alles seine Gründe haben. Es sind jedenfalls keine guten Gründe. Nur, glauben Sie nicht, daß die Genehmigungen, die auf dem Tisch liegen, auch zu Bauten werden,
wenn die, die da bauen wollen, zwischendurch merken, daß die Zinsen so hoch gestiegen sind, daß sie es nicht finanzieren können.Sie sollten sich einmal darum kümmern, welche Konsequenzen sich für den Wohnungsbau aus der Entwicklung der Zinsen konkret ergeben; sonst werden Sie, alle die Ignoranten, die heute meinen, man könne daran vorbeisehen, im Laufe dieses Jahres feststellen, daß wir in das nächste Schlagloch des Neubaus hineinmarschieren. In einem halben Jahr werden Sie sehen, welche Auswirkungen das hat, was Sie im Augenblick erleben, worüber Sie lachen, zu dem Sie nichts sagen und worauf Sie auch nicht reagieren.Aber die Koalition vernachlässigt ja nicht nur den Neubau, sondern sie verhält sich auch hinsichtlich des Bestandes so, daß das Problem der Wohnungsnot im Lande draußen noch zunimmt, z. B. dadurch, daß sie die Wohnungsgemeinnützigkeit zum 1. Januar dieses Jahres aufgehoben hat. Dieses Gesetz wird nicht rückholbar sein. Da sind Fakten geschaffen; das ist klar. Die Konsequenzen dessen, was Sie da gemacht haben, bekommen viele Menschen im Lande draußen zu spüren. Es gibt nämlich einen großen Bestand von nur gemeinnützigkeitsrechtlich gebundenen Wohnungen, die heute dem freien Markt Zug um Zug zur Verfügung gestellt werden.Gott sei Dank haben einige Länder entschieden, durch eine Verordnung dafür zu sorgen, daß die Mietenentwicklung gebremst wird. Baden-Württemberg und Niedersachsen haben diese Entscheidung nicht getroffen. Für die Mieter in diesen Ländern ist das besonders schlimm.Es ist aber auch noch unklar, wie sich eigentlich der Bund in bezug auf die Bauunternehmen verhält, auf die er selbst Einfluß nehmen kann. Haben Sie eigentlich sichergestellt, daß sich diese Unternehmen bezüglich Neubauten und in bezug auf das Bestandswesen weiterhin gemeinnützig verhalten? Darüber wird zu sprechen sein.Frau Ministerin, Sie haben sich bisher auch geweigert, im Bereich der Einschränkung der Möglichkeiten der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wirklich durchgreifende Entscheidungen zu treffen. Sie haben lange darüber gestritten, ob man die Frist für Eigenbedarfskündigung von drei auf sieben oder auf zehn Jahre verlängern soll; nun kommen fünf Jahre heraus. Aber zu dem eigentlich entscheidenden Instrument einer Umwandlungssperre, die den Städten und Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen auf Zeit unmöglich zu machen, haben Sie sich nicht bekannt. Das ist schlecht, und das belastet die Situation am Wohnungsmarkt weiter.
Am 15. Oktober 1989 hat der Bundeskanzler erklärt, die Wohnungsfrage sei Chefsache, bei der „ich mich persönlich ganz besonders engagiere" ; das hat er in einem Hintergrundgespräch gesagt. Er hat doch wohl hoffentlich nicht gemeint, ein paar zusätzliche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15681
MünteferingWohnungen auf Bauernhöfen und in Splittersiedlungen lösten das Wohnungsproblem.Wir müssen in den nächsten 10, 15 Jahren 3,5 bis 5 Millionen zusätzliche Wohnungen in der Bundesrepublik bauen. Ein Teil dieser Wohnungen müßte in Baulücken, ein anderer Teil in den Innenbereichen der Städte und wiederum ein anderer Teil in neu zu entwickelnden, aber hoffentlich ordentlich geplanten Überplanungen errichtet werden. Das schafft große Finanzierungsprobleme, das schafft Baulandprobleme, das schafft Kapazitätsprobleme. Die Aufgaben, vor denen die DDR in Sachen Wohnungsversorgung steht und die uns zumindest mittelfristig auch berühren werden, machen die Lösung dieser Probleme nicht leichter.In der Wohnungs- und Städtebaupolitik fehlen der Bundesregierung und damit in der Bundesrepublik drei bis fünf Jahre. Dieser vertanen Chance rennen nun alle hinterher. Das ist die Folge einer Bonner Politik, die vor Fehlprognosen und selbstgerechter Ignoranz nur so strotzte.
Statt jetzt Orientierungen zu geben und ein Konzept vorzulegen, stopft die Bundesregierung Löcher; hier ein wenig und dort ein wenig.Statt die Instrumente der Kommunen, mit denen eine sinnvolle ökologische und infrastrukturell vernünftige Stadtentwicklung betrieben werden kann, zu schärfen, versuchen Sie es mit kleinen Novellen. Entbürokratisierung ist gut — da sind wir Sozialdemokraten mit dabei —, aber Zersiedeln ist falsch; da machen wir nicht mit. Deshalb ist auch der Eindruck falsch, den die Koalition zu erwecken versucht, daß nämlich mit dem Gesetz, über das wir sprechen, die Voraussetzungen für eine wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot geschaffen seien. Die Wohnungsnot wird damit nicht beseitigt.Die Wohnungs- und Städtebaupolitik ist eine der zentralen und schwierigsten innenpolitischen Herausforderungen in Deutschland. Die Koalition verzettelt sich in blassen Bauerleichterungs- und Zersiedelungsspielchen, der Kanzler erklärt die Sache zur Chefsache, aber er thront und kümmert sich nicht um die Sache. Und die Menschen in den Städten und längst auch in vielen Dörfern wundern sich über die Ahnungslosigkeit, mit der Bonn dieses Thema behandelt. Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist ein Trauerspiel.
Ich will nun noch eine Anmerkung zu dem machen, was Herr Kollege Kansy soeben in bezug auf Sozialdemokraten und DDR gesagt hat. Wir haben im Wohnungsbereich bisher, Herr Kollege Kansy, mit unterschiedlichen Intentionen, mit unterschiedlichen Zielen, aber als Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet, die sich respektieren. Davon bin ich ausgegangen. Deshalb bitte ich Sie herzlich — ich will das in einem freundlichen Ton sagen— : Versuchen Sie nicht, Sozialdemokraten das anzuhängen, was Kommunisten und verknöcherte SED-Funktionäre getrieben haben.
Wir Sozialdemokraten rechnen es Ihnen auch nicht an, daß sich die Herren Pinochet, Franco und Salazar Christen genannt haben.
— Herr Pfeffermann, es ist gut, daß Sie das Papier ansprechen. Die SED hat mit den Sozialdemokraten ein Papier gemacht. Nach zwei Jahren war die SED kaputt. Wenn Sie wollen, können Sie mit uns auch einmal solch ein Papier machen. Dann wissen Sie, woran Sie sind.
Über dieses Thema wird an dieser Stelle noch manches Mal diskutiert werden. Ich weiß auch: Wir werden in den Wahlkämpfen eine Menge auszuhalten haben. Ich bitte darum, daß wir uns gegenseitig fair behandeln. Mehr will ich an dieser Stelle nicht sagen.Wir Sozialdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland machen eine Wohnungspolitik im Interesse der Menschen in diesem Lande. Wir streiten für die, die nicht aus eigener Kraft eine Wohnung kaufen oder planen oder mieten können. Wir helfen denen, die die Hilfe nötig haben. Das werden wir auch weiterhin tun. Sie können uns insoweit auch weiterhin ansprechen, wo immer Sie wollen. Ich habe nur dafür plädiert, daß nicht auch unter uns noch die Möglichkeit der Zusammenarbeit kaputtgeht, die es bisher noch gegeben hat. Bisher habe ich immer noch geglaubt, wir stehen alle miteinander auf einer gemeinsamen demokratischen Grundlage, von der aus wir unsere Politik machen können. Das soll so bleiben. Darum wollte ich Sie bitten, meine Damen und Herren.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Conradi in seiner Eigenschaft als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser vorzüglicher und sorgfältiger Ausschußsekretär, Herr Wolf — den zu Protokoll des Bundestages zu loben mir eine Freude und Ehre ist —,
hat mich darauf hingewiesen, daß in der Ihnen vorliegenden Zusammenstellung der Beschlüsse ein formaler Fehler enthalten ist. Formale Fehler müssen hier bereinigt werden.
Metadaten/Kopzeile:
15682 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
ConradiIch erkläre also zu Protokoll: In der Zusammenstellung der Beschlüsse befindet sich auf den Seiten 12 und 13 — quer — ein formaler Fehler. In § 7 Abs. 1 werden auf der rechten Seite in den Nr. 2, 11, 14 bis 16 und 21 jeweils nur die Nummern genannt, die an dieser Stelle aus dem ursprünglichen Entwurf auf der linken Seite übernommen werden sollen. Dies entspricht nicht den Formalien. Richtigerweise muß der Text dieser Nummern bei den Beschlüssen des Ausschusses — also auf der rechten Seite — übernommen werden.Ende der Richtigstellung. Ich hoffe, Sie haben es alle verstanden.
Herr Conradi, ohne Widerspruch zu Protokoll genommen.
— In der letzten Minute doch noch ein versöhnlicher Ton.Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst zur Einzelabstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes.Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung mit den vom Ausschuß vorgetragenen Berichtigungen auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/6647 zu? Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — 2 Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Mit Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6648? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6649 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Art. 2 in der Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter vorgetragenen Berichtigungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Art. 2 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 3 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6650 vor. Wer stimmt für diese Änderung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Art. 3 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6651 vor. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Art. 5 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Art. 5 ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 5 a bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/6636 unter Nr. 2 empfiehlt. Wer stimmt zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Damit ist diese Empfehlung angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6646. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6705 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Hier muß ich feststellen: mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnungsunternehmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/5522 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2199. Auch in diesem Fall ist nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage abzustimmen.Ich rufe die §§ 1 bis 32, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen ist dieser Entwurf mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit erledigt sich natürlich die dritte Lesung.Nun kommen wir zur Mittagspause.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15683
Vizepräsident StücklenDie Sitzung wird mit der Fragestunde um 14 Uhr fortgesetzt.Die Sitzung ist unterbrochen.
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung erneut.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/6626 —
Wir setzen exakt an der Stelle fort, wo gestern abgebrochen worden ist.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Dr. Mahlo sollen schriftlich beanwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 37 des Abgeordneten Seesing auf:
Welche Möglichkeiten sieht das Bundesministerium für Forschung und Technologie, durch biologische Verfahren und eventuelle gentechnisch veränderte Pflanzen und Kleinlebewesen nachwachsende Kraftstoffe für Automobile zu erzeugen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Ihre Frage 37 beantworte ich wie folgt.
Durch biologische Verfahren lassen sich nachwachsende Kraftstoffe für die Treibstofflinien Bioethanol und Pflanzenöle erschließen. Es erscheint möglich, durch gentechnische Veränderungen der zur Fermentation von Bioethanol eingesetzten Hefen oder Bakterien höhere Umsatzraten und Ausbeuten, bessere Substratausnutzung sowie gezieltere Prozeßführung und damit verbunden auch niedrigere Biokonversionskosten zu erzielen.
Zukunftsweisende Möglichkeiten zur Nutzung von Pflanzenölen als Treibstoffe werden vor allem durch eine Pflanzenzüchtung erschlossen, die sich moderner biotechnologischer Methoden bedient. so wird eine kostengünstige Erzeugung von Rapsöltreibstoffen wesentlich davon abhängen, ob es durch Pflanzenzüchtung gelingt, den Ölertrag der Rapspflanzen von derzeit 30 dt/ha auf 45 oder gar 55 dt/ha zu steigern. Solche Züchtungsleistungen sind mit Einsatz gentechnischer Methoden künftig schneller möglich.
Herr Seesing, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Es hört sich sehr gut an. Aber welche Umweltauswirkungen könnte eine solche großtechnische Anwendung biologischer Verfahren zur Erzeugung dieser nachwachsenden Kraftstoffe haben, Herr Staatssekretär?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da gibt es einen Bund-Länder-Ausschuß, der sich mit diesen Fragen nicht nur speziell bei der Treibstofferzeugung, sondern auch mit Folgen der nachwachsenden Rohstoffe überhaupt befaßt hat. Es gibt einen Bericht vom 14. Juli 1989, in dem die einzelnen Ergebnisse niedergelegt sind. Da es heute keine Produktionsverfahren in großem Stile gibt, ist bisher keinerlei Praxiserfahrung vorhanden.
Keine weiteren Zusatzfragen, Herr Seesing.
Ich rufe Frage 38 auf. Es ist auch noch Ihre Frage, Herr Seesing.
Welchen Stand hat nach Erkenntnissen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie die biologische Wasserstofferzeugung, und wie ist deren Wirtschaftlichkeit für die Zukunft einzuschätzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Zur Frage 38: Unter den bekannten biologischen Prozessen, die zur Wasserstoffbildung führen, erscheinen für eine mögliche technische Nutzung die photobiologischen Prozesse am aussichtsreichsten. Dabei wird die Energie des Sonnenlichts von Mikroorganismen aufgenommen und teilweise zur Erzeugung von Wasserstoff als Nebenprodukt des Stoffwechsels genutzt.
Die Wirtschaftlichkeit bisher untersuchter biotechnischer Verfahren zur Wasserstofferzeugung wird, insbesondere im Vergleich mit der Herstellung von Solarstrom, noch als ungünstig eingeschätzt. Hauptproblem ist die dauerhafte Erzielung eines hohen Wirkungsgrades und die Abtrennung des Wasserstoffs vom gleichzeitig entstehenden Sauerstoff. Der Einsatz moderner molekularbiologischer Techniken läßt es aber als denkbar erscheinen, den Stoffwechsel geeigneter Mikroorganismen für die Wasserstoffproduktion so zu optimieren, daß sich die Frage der Wirtschaftlichkeit in einigen Jahren vielleicht positiv beantworten läßt.
Die Förderpolitik des Bundesforschungsministeriums zielt darauf, das tiefere Verständnis der biologischen Prozesse als Voraussetzung für ihre Modifikation zu schaffen. Verfahrenstechnische Untersuchungen oder die Erprobung von Pilotanlagen sind erst für eine spätere Phase der Entwicklung gedacht; denn hier befindet man sich noch im Bereich der Grundlagenforschung.
Keine weitere Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Rüttgers auf:Welche Möglichkeiten sieht das Bundesministerium für Forschung und Technologie, das nun entschiedene Mobilfunksystem gleichzeitig als Verkehrsleitsystem so einzusetzen, daß eine Entlastung der Straßen und der Umwelt möglich wird?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rüttgers, die Frage 39 beantworte ich wie folgt.Die Frage der Verwendung des Mobilfunksystems auch für Zwecke der Verkehrslenkung wird derzeit im Projekt „Sokrates" des EG-Programms Drive umfassend untersucht. — Sie sehen, in Europa hat man sehr phantasievolle Namen.Der Kerngedanke liegt darin, eine teure Kommunikationsinfrastruktur mehrfach zu nutzen. Um einen breiten Einsatz des Verkehrsleitsystems als Teilkom-
Metadaten/Kopzeile:
15684 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Parl. Staatssekretär Dr. Probstponente des Mobilfunksystems sicherzustellen, wird davon ausgegangen, daß seine Nutzung auch unabhängig vom Vorgang des Telefonierens erfolgen kann. Deutsche Partner im Projekt „Sokrates" sind Siemens, Bosch und die Bundesanstalt für Straßenwesen.
Bitte schön, Herr Rüttgers.
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung nach Abschluß dieser Untersuchungen ein entsprechendes Pilotprojekt zu initiieren und durchzuführen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wenn das Ergebnis — das Projekt wird ja erst 1991 abgeschlossen sein — positiv verlaufen wird, dann wird es zu einem Pilotverfahren kommen.
Herr Jäger möchte eine Zusatzfrage stellen, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung überlegt, wie sie in der Öffentlichkeit die Bedeutung der Verkehrslenkung als ein Mittel der Schadstoffminderung besser darstellen und erläutern kann, weil sich viele Bürger der Bedeutung gerade dieses Instruments noch nicht genügend bewußt sind?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gebe Ihnen recht, daß die Bewußtseinslage hier noch nicht in vollem Umfange gegeben ist. Der Bundesforschungsminister hat natürlich nicht die erstrangige Aufgabe, in das Verkehrsgeschehen einzugreifen. Er macht den technologischen Teil. Aber ich gehe davon aus, daß das Bundesverkehrsministerium mit zunehmender Reife dieser Systeme die Aufklärung intensivieren wird.
Vielleicht hilft der Name „Sokrates" dabei.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Rüttgers auf:
Welche Möglichkeiten sieht das Bundesministerium für Forschung und Technologie hinsichtlich der Verbesserung der Koordinierung des Individualverkehrs mit der Deutschen Bundesbahn und dem öffentlichen Personennahverkehr, und welche Forschungsergebnisse liegen dazu bereits vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Derzeit bereitet die Deutsche Bundesbahn ein umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Integraler Taktfahrplan" vor, in dem die Fragen der Koordinierung der unterschiedlichen Verkehrssysteme bearbeitet und eventuell prototypisch erprobt werden sollen. Es soll noch in diesem Jahr beginnen und eine Laufzeit von etwa zwei Jahren haben. Die Schätzkosten liegen bei 3 Millionen DM. Forschungsergebnisse allerdings liegen bis jetzt nicht vor.
Die beiden Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Gerstein sollen schriftlich be-
antwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommen wir zur Frage 43 der Abgeordneten Frau Bulmahn:
Wen hat das Bundesministerium für Forschung und Technologie am 12. Februar 1990 zu einer Anhörung über den Gesetzentwurf zur Regelung von Fragen der Gentechnik der Bundesregierung eingeladen, obgleich die Federführung für diesen Gesetzentwurf beim Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit liegt, und welche Ergebnisse hatte diese Anhörung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Bulmahn, die Frage 43 beantworte ich wie folgt.
Der Bundesforschungsminister hat weder am 12. Februar 1990 noch zu einem anderen Zeitpunkt eine Anhörung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung von Fragen der Gentechnik durchgeführt.
Frau Bulmahn, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Probst, meiner Kenntnis nach sind verschiedene Industriefirmen von seiten des BMFT eingeladen worden, um eine Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Regelung der Fragen der Gentechnik abzugeben. Welchen Charakter hatte diese Veranstaltung, wenn Sie sie nicht als Anhörung bezeichnen? Vielleicht könnten Sie mir die Fragen, die ich ja in schriftlicher Form vorgelegt hatte, beantworten, wenn Sie diese Veranstaltung mit einem anderen Namen belegen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist kein anderer Name zu nennen; denn es hat keine Anhörung gegeben.
Weitere Frage.
Herr Staatssekretär, wer hat an dieser Veranstaltung teilgenommen, und zu welchem Ergebnis hat diese Veranstaltung geführt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wenn es die Veranstaltung nicht gegeben hat, dann hat auch keiner daran teilgenommen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Herr Staatsminister Schäfer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Die Frage 44 des Abgeordneten Lüder soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Wir kommen zur Frage 45 der Abgeordneten Frau Wollny:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15685
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, der für Menschenrecht zuständige Beamte der deutschen Botschaft in Teheran hat die Berichterstattung der Botschaft zur Menschenrechtslage im Iran und ihre Entwicklung im Jahre 1989, nachdem dieses Thema bisher schon ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war, ganz wesentlich mitgestaltet.
Frau Wollny, Zusatzfrage.
— Sie haben sich zu einer Zusatzfrage gemeldet? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie ein bißchen mehr über diese Tätigkeit sagen, und können Sie uns vor allem verraten, ob wir auch einmal einen Bericht darüber für dieses Haus bekommen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es ist natürlich so, daß, wenn Sie einen Bericht wünschen, er selbstverständlich gegeben wird, und zwar wahrscheinlich in dem Ausschuß, dem Sie angehören, nämlich dem Auswärtigen Ausschuß.
Ich kann nur sagen, daß die Arbeit des Gesandten, der sich speziell mit diesen Fragen zu beschäftigen hat, in die Berichterstattung der Botschaft mit einfließt, daß er aber auch umgekehrt, wenn unsererseits bestimmte Anliegen vorliegen, ganz besonders damit beschäftigt wird.
Spätestens jetzt verfällt Ihr Fragerecht, Frau Wollny, wenn Sie sich nicht melden. — Bitte schön, Frau Wollny.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zusätzlich zu den über 1 500 Hinrichtungen im Jahre 1989 nach Aussagen der Antidrogenbehörde der iranischen Regierung weitere 900 Häftlinge mit der Hinrichtung rechnen müssen?
Schäfer, Staatsminister: Es gibt im Hinblick auf solche Zahlen natürlich die verschiedensten Quellen und die verschiedensten Angaben, so daß ich Ihnen nicht sagen kann, daß die von Ihnen genannten Zahlen so ohne weiteres zutreffen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Wollny.
Ist Ihnen zumindest bekannt, daß diese Angeklagten weder durch Rechtsanwälte vertreten werden dürfen noch selbst Zeugen zu ihrer Verteidigung benennen dürfen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, während seiner Reise hat sich der Menschenrechtsberichterstatter der Vereinten Nationen mit solchen Fragen beschäftigt.
Herr Gansel, wollen Sie hierzu eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Hat die Bundesregierung, die noch zur Zeit der sozialliberalen Koalition eine Kampagne zur weltweiten Ächtung der Todesstrafe in Gang gesetzt hat, in Anbetracht der exzessiven Hinrichtungspraxis im Iran gegenüber dem Iran besondere Maßnahmen ergriffen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen aus vielen Debatten und vielen Fragestunden, daß die Bundesregierung immer wieder bemüht gewesen ist, der iranischen Regierung klarzumachen, daß sie sich insbesondere im Hinblick auf die Menschenrechte so zu verhalten habe, wie das innerhalb der Vereinten Nationen gefordert wird, wie es mit den Menschenrechtspakten in Einklang steht, und daß von daher alles getan worden ist, was möglich war, was in unserem Bereich der Möglichkeiten lag, um auf den Iran Einfluß zu nehmen. Sie selbst kennen das Land — Sie waren gemeinsam mit mir dort — und wissen, wie schwer es ist — wie Sie sagen — , Maßnahmen zu treffen, die die iranische Regierung hätten beeinflussen können.
Herr Dr. Hirsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kennen Sie irgendein Land auf dieser Erde, das mehr Menschen hinrichtet als der Iran, und glauben Sie, daß die Aktivität der Bundesregierung diesem schrecklichen Sachverhalt gerecht wird?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es ist sehr schwer — ich glaube, es ist auch nicht meine Aufgabe — , hier statistisch festzustellen, in welchem Land die meisten Menschen hingerichtet werden. Es gibt zweifellos eine ganze Reihe von Ländern, in denen es sehr viele Hinrichtungen gibt, in denen es ganz ähnliche Methoden gibt, wie sie bereits beschrieben worden sind. Sie wissen, daß es im Iran nach dem Tod von Revolutionsführer Khomeini einen Wechsel in der Regierung gegeben hat, mit der Folge, daß — zumindest nach unserem Eindruck — sehr schlimme Verfolgungswellen und Hinrichtungszahlen zumindest in letzter Zeit nicht mehr zu berichten sind. Besonders schlimm war die Zeit unmittelbar nach dem Erfolg der Revolution.
Jetzt rufe ich die Frage 46 der Abgeordneten Frau Wollny auf:Ist dem ständigen Berichterstatter für Menschenrechte im Iran bekannt, daß die Situation vieler Frauen im Evin Gefängnis, die schon seit sieben bzw. acht Jahren dort inhaftiert sind, sich nicht im geringsten verbessert hat, was bedeutet, daß bei ständig angedrohter bevorstehender Hinrichtung weder Anklage erhoben wird, noch ein Prozeß in Aussicht gestellt wird?Bitte schön, Herr Staatsminister.Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, der deutschen Botschaft sind wiederholt Informationen über die Situation der Gefangenen im Evin-Gefängnis, Frauen wie Männer, bekanntgeworden. In mehreren
Metadaten/Kopzeile:
15686 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Staatsminister SchäferFällen namentlich genannter weiblicher Gefangener haben der Botschafter und sein Vertreter 1989 wiederholt im iranischen Außenministerium demarchiert und nachdrücklich darum gebeten, von Hinrichtungen abzusehen. Im November 1989 wurde dem Auswärtigen Amt dann mitgeteilt, daß sich die Genannten auf freiem Fuß befänden. Die Botschaft ist jedoch angewiesen, die Lage der verbliebenen Gefangenen, insbesondere auch der inhaftierten Frauen weiterhin zu verfolgen. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission, Galindo Pohl, hat bei seinem ersten Besuch in Teheran im Januar 1990 das Evin-Gefängnis besucht.
Frau Wollny, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt oder können Sie bestätigen, daß Iraner und Iranerinnen nur noch gegen die Zahlung hoher Bestechungsgelder Zutritt zur deutschen Botschaft erlangen, wobei ich nicht annehme, daß die Botschaft die Bestechungsgelder bekommt?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Unterstellung, die Sie hier in einer Art Nebensatz einfließen ließen, wäre mit aller Schärfe zurückzuweisen. Aber ich muß Ihnen gleich dazusagen: Mir sind diese Vorgänge nicht bekannt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Wollny.
Ist dann aber zu bestätigen, daß es inzwischen für diese Menschen außerordentlich schwierig geworden ist, ein Visum für die Bundesrepublik zu bekommen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Erteilung von Visa für Menschen in vielen Staaten der Dritten Welt ist, wie Sie wissen, aus ganz anderen Gründen schwieriger geworden. Die deutschen Botschaften können dort Visa nur ausstellen, wenn sie Rückfragen bei den deutschen Ausländerbehörden gemacht haben. Es ist nicht in jedem Einzelfall sofort zu beweisen, daß jemand, der ein Visum in einer deutschen Botschaft verlangt, tatsächlich auch verfolgt wird. Wenn das aber wirklich nachweisbar ist und der Grund für Asyl besteht, wird ein Visum ausgestellt werden können.
Herr Dr. Lippelt zu einer Zusatzfrage.
Der jetzt von Galindo Pohl, dem Menschenrechtsberichterstatter der UNO, abgelieferte Bericht, auf den Sie sich mehrfach bezogen haben, ist unter den Iran-Experten etwas umstritten. Welche Position hat Ihr eigener Berichterstatter hierzu eingenommen? Hat er hierüber schon berichtet?
Schäfer, Staatsminister: Soweit mir bekannt ist, ist das, was der Berichterstatter der Vereinten Nationen vorgelegt hat, von uns nicht bestritten worden. Dazu hatten wir keine Veranlassung. Aber Sie wissen auch, daß es zunächst einmal um eine erste Reise gegangen
ist, bei der Gefängnisse besucht wurden, aber daß sich der gleiche Berichterstatter bei einer weiteren Reise insbesondere mit Individualbeschwerden, mit einzelnen Vorkommnissen, befassen wird.
Frau Beer noch zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, eine Vielzahl von Betroffenen, gegen die diese Menschenrechtsverletzungen stattfinden, werden wegen des Vorwurfs der Drogenkriminalität oder des Handels mit Drogen angeklagt, allerdings dann nicht unter Verhandlung gestellt. Ist dieser Vorwurf seitens der iranischen Justiz ein Grund dafür, im Rahmen der internationalen Drogenbekämpfung eventuell Asylanträge oder Visaanträge zurückzuweisen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich glaube, wir müssen bei der Beurteilung der iranischen Justiz von anderen Voraussetzungen ausgehen als bei der Beurteilung etwa der deutschen Justiz. Es ist sehr viel schwieriger, nachzuprüfen, welche Methoden vor und bei den Gerichtsverfahren angewandt werden. Es ist sehr viel schwieriger, Statistiken zu bekommen; es gibt eigentlich keine. Es ist natürlich auch sehr viel schwieriger, festzustellen, ob solche Vorwürfe ohne weiteres zutreffen.
Aber ich gehe davon aus, daß auch auf Grund der Erfahrungen der deutschen Botschaft und der Kenntnisse der deutschen Botschaft schon sehr wohl zwischen solchen Vorwürfen, wenn sie nicht zutreffen, und der Tatsache, daß es sich um Asylanten handeln könnte, die verfolgt werden, und Vorwürfen, die zutreffen, abgewogen werden kann. Auch im Iran gibt es natürlich eine Drogenkriminalität.
Jetzt rufe ich die Frage 47 des Abgeordneten Gansel auf:Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung im Rahmen ihrer internationalen Beziehungen und ihrer bilateralen Beziehungen zu Libyen, um daran mitzuwirken, daß unter Beachtung des Völkerrechts und auf friedliche Weise sichergestellt wird, daß in Libyen nicht mit der Produktion von Giftgas und Mittelstreckenraketen begonnen wird?Bitte schön, Herr Staatsminister.Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, die fortbestehenden Besorgnisse der Bundesregierung zu Rabta wurden sowohl gegenüber der libyischen Regierung zum Ausdruck gebracht wie im Kreise der europäischen Außenminister erörtert. In Gesprächen unseres Botschafters in Tripolis und mit libyschen Diplomanten in Bonn haben wir erläutert, daß uns Berichte über die Produktion chemischer Waffen in Rabta vorliegen und daß dies die Beziehungen störe. Diese Störung sei gegeben, solange Libyen nicht nachweise, daß in Rabta keine chemischen Waffen mehr produziert werden.Der Bundesaußenminister hat, nachdem diese vagen Hinweise über eine mögliche Produktion von geringen Mengen vorlagen, in der Europäischen Gemeinschaft, in der EPZ, am 20. Februar 1990 die Initiative ergriffen. Er hat vorgeschlagen, daß sich die Gremien der EPZ mit dieser Frage befassen. Er hat weiter vorgeschlagen, daß die EG Kontakt mit der Präsidentschaft der Maghreb-Union aufnimmt. Wir halten es für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15687
Staatsminister Schäferdenkbar, daß sich auch der UN-Sicherheitsrat mit dieser Angelegenheit mit dem Ziel befassen wird, die Produktionsaufnahme in Rabta zu verhindern oder endgültig zu unterbinden, gegebenenfalls auch um sicherzustellen, daß durch internationale Kontrollen die Sicherheit hergestellt wird, daß dort nichts produziert wird.Der Bundesaußenminister steht in dieser Frage im Kontakt mit den westlichen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, auch mit dem amerikanischen Außenminister.
Herr Gansel, Zusatzfrage, bitte schön.
Wie waren die internationalen Reaktionen, insbesondere die der Vereinigten Staaten, auf den Vorschlag, über die Europäische Gemeinschaft tätig zu werden, um die Fortführung der Giftgasproduktion in Rabta zu verhindern, der ja in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vor dem 20. Februar von meinem Kollegen Hans-Jürgen Wischnewski gemacht und dann von der Bundesregierung aufgenommen wurde?
Schäfer, Staatsminister: Sie fragen, Herr Kollege, nach der Reaktion der amerikanischen Regierung auf diese Vorschläge?
Wir haben — das habe ich Ihnen gerade vorgetragen — in der Europäischen Gemeinschaft die Initiative ergriffen. Wir setzen, wie Sie wissen, mehr auf den Versuch einer diplomatischen Kontrolle, wobei die Maghreb-Union, also die benachbarten Staaten Libyens, eine sehr wichtige Rolle spielen kann. Wir setzen nicht auf eine militärische Intervention, wie sie in den letzten Wochen zum Teil auch schon erwogen worden ist, zumindest was Pressemeldungen betrifft, die man verfolgen konnte.
Ich habe Ihnen gesagt: Wir stehen in einem Gedankenaustausch. Es gibt einen Briefwechsel mit dem amerikanischen Außenminister. Es gibt darüber hinaus die Initiative des Außenministers innerhalb der EG. Ich gehe davon aus, daß diese Initiative erfolgreich verlaufen wird.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung auch im wirtschaftlichen Bereich erwogen, um auf Libyen Druck auszuüben, es nicht zu einer Fortführung der Giftgasproduktion kommen zu lassen, und um dadurch auch die Vereinigten Staaten dahin gehend zu beeinflussen, von ihren öffentlichen Erwägungen, mit militärischen Mitteln gegen Libyen vorzugehen, Abstand zu nehmen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie kennen unseren Grundsatz, daß wir selbst in einem so schwerwiegenden Fall nicht dazu neigen, militärische Interventionen als ein Mittel der Politik anzusehen. Ich glaube, das haben wir in sehr vielen Fällen in der Vergangenheit sehr deutlich gemacht. Ich glaube, daß wir hier die Wege gehen sollten, die ich beschrieben
habe. Wir haben, wie Sie wissen, ganz besonders auch im Hinblick auf Libyen Maßnahmen ergriffen. Sie wissen, daß wir, was die Lieferung von Produkten betrifft, gerade nach der Rabta-Affäre dazu übergegangen sind, eine zusätzliche, noch strengere Kontrolle einzuführen und eine Verschärfung der Gesetze zu erwägen. All das steht in einem Zusammenhang.
Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen — ich möchte es Ihnen hier mitteilen — , daß es heute vormittag eine sehr beachtliche Demonstration vor der deutschen Botschaft in Tripolis mit Tausenden von Libyern gegen die Bundesrepublik gegeben hat, die wohl im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen steht. Sie ist inzwischen wieder aufgelöst.
— Mit einer ganzen Reihe von Reaktionen, die ich Ihnen vorhin schon beschrieben habe. Es sind, wie Ihnen bekannt ist, insbesondere Verschärfungen beim Außenhandelsgesetz erwogen worden.
Wir haben Produkte nicht geliefert. — Sie wissen, Herr Kollege, daß es bis zur Stunde — ich muß das sehr deutlich sagen — keinen Beweis dafür gibt, daß deutsche Firmen in Libyen tätig sind.
— Ich habe Ihnen gesagt: tätig sind. Sie wissen, Herr Kollege, daß Ermittlungsverfahren gegen Firmen laufen, denen unterstellt wird, daß sie tätig geworden sind. Die Ermittlungsverfahren sind im Gange.
Entschuldigen Sie bitte, wir halten hier keine Diskussion ab, sondern eine Fragestunde, und Ihre Fragemöglichkeiten sind erschöpft.
Jetzt stellt Frau Wollny eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, die BBC hat heute nacht eine Meldung verbreitet, nach der die Anlagen in Rabta durch verschiedene Feuer bis auf die Grundmauern zerstört sind. Können Sie das bestätigen?Schäfer, Staatsminister: Wir haben bis zur Stunde keine eindeutige Nachricht darüber, was in Rabta geschehen ist. Es gibt einerseits die Meldung, das gesamte Werk sei heute nacht zerstört worden. Es gibt andererseits Hinweise aus Libyen, daß das nur einen Teil, eine Halle, betreffen soll. Beides ist noch nicht bestätigt, weil die Botschaft verständlicherweise im Augenblick nicht vor Ort recherchieren kann. Es gab heute Störungen des Telefonverkehrs zwischen Libyen und der Bundesrepublik. All dies müssen Sie in einem gewissen Zusammenhang sehen. Es gab zuletzt Hinweise, angeblich seien Verdächtige verhaftet worden, was darauf schließen läßt, daß es tatsächlich zu einem Vorfall gekommen ist. Wie groß das Ausmaß des unterstellten Brandes ist, wissen wir noch nicht. Ich warte selbst schon seit mehreren Stunden auf endgültige Berichte aus Tripolis.
Metadaten/Kopzeile:
15688 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Beer, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen. Bitte!
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Demonstration heute morgen, die Sie gerade erwähnt haben, und dem US-Bombenangriff von vor fast vier Jahren auf Tripolis und Bengasi, der von der Eucom-Zentrale in Stuttgart befehligt worden ist, und ist die Bundesregierung bereit, unabhängig von dem Feuer heute nacht eine Initiative der UNO zu unterstützen, sofort eine Inspektionsgruppe einzusetzen, die das Recht hat, überall zu inspizieren?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich hatte Ihnen zuletzt gesagt, daß wir initiativ geworden sind, durch Vermittlung und Beteiligung der MaghrebStaaten eine Inspektion in Libyen zu organisieren, also in Zusammenarbeit zwischen der EG und der Maghreb-Union. Zusätzliche Inspektionsunternehmen haben sicher erst dann Sinn, wenn zunächst die erste Möglichkeit geschaffen wird.
Es ist reine Spekulation, auf Ihre erste Frage einzugehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das geschichtliche Denken in Libyen so entwickelt ist wie bei Ihrer Fraktion, daß man solche Zusammenhänge zu irgendwelchen Befehlen aus Stuttgart herstellt und an irgendeinem Tag demonstriert.
Ich glaube eher, daß es im Zusammenhang mit dem steht, was ich Herrn Gansel geantwortet habe: Es ist bekanntgeworden, daß es eine Initiative des Bundesaußenministers in der Europäischen Gemeinschaft gegeben hat, die sich mit Rabta befaßt. Das ist erst wenige Tage her, und es liegt wohl näher, daß hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Aber ich bin sehr vorsichtig; ich kann nur spekulieren.
Herr Dr. Sperling möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatsminister, unterstellen wir einmal, deutsche Firmen wären an Rabta nicht beteiligt gewesen. Wäre dann nicht die Initiative des Bundesaußenministers genauso gerechtfertigt?
Schäfer, Staatsminister: Sie wäre in jedem Falle gerechtfertigt, da wir von Anfang an davon ausgehen können, daß es niemals nur deutsche Firmen gewesen sein können, die sich an Rabta beteiligt haben. Nur ist zeitweise in der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, es handle sich allein um deutsche Firmen. Aber wir wissen seit langem, daß eine ganze Reihe von Teilen, die in Rabta verwendet worden sind, aus allen möglichen Staaten der Welt kommen. Ich muß das hier noch einmal sehr deutlich unterstreichen.
Herr Dr. Soell möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Herr Staatsminister, sind Sie über den Umfang und den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen informiert, und können Sie diese Information hier geben?
Schäfer, Staatsminister: Verständlicherweise bin ich nicht über den Stand der staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungen informiert. Ich bitte um Geduld; die Untersuchungen laufen.
Herr Hüsch, Sie wollen noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß beispielsweise die Computeranlage oder Teile davon aus den USA stammen?
Schäfer, Staatsminister: Diesen Hinweis haben wir schon sehr früh erhalten, als Vorwürfe gegen deutsche Firmen erhoben worden sind. Insbesondere haben uns auch deutsche Firmen auf die Herkunftsländer anderer Teile aufmerksam gemacht.
nicht nur Ermittlungen laufen, sondern daß sich der Geschäftsführer bereits seit Mitte vergangenen Jahres in Untersuchungshaft befindet.
Herr Dr. Kübler, noch eine Frage, bitte schön.
Herr Staatsminister, hat die deutsche Botschaft in Tripolis eigene Erkundigungen im Hinblick auf die Frage der Beteiligung deutscher Unternehmen, in welcher Form auch immer, angestellt?Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, alle diese Vorgänge sind wiederholt dargestellt worden. Die deutsche Botschaft in Tripolis hat mit Sicherheit genausowenig Ahnung von vorgeblichen Geschäften gehabt, die ja nicht direkt zwischen deutschen Firmen und Libyen dort gemacht worden sind, sondern vermutlich über ganz andere Wege — Sie wissen, daß hier Hongkong eine Rolle spielt — , wie auch andere.In die Recherchen der Staatsanwaltschaft sind sicher alle Behörden einbezogen, die etwas wissen konnten.Aber Sie können sicher sein, daß solche Geschäfte nicht über die deutsche Botschaft abgewickelt worden sind und daß die deutsche Botschaft auch nicht die Möglichkeit hatte, in libysche Geschäftsbücher zu sehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15689
Ich rufe nun die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine verbindliche Erklärung abzugeben, daß die neue Generation der Chemiewaffen, die sogenannten binären C-Waffen, niemals auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden, und wird sie sich dafür einsetzen, daß die USA ihre C-Waffen-Produktion nicht fortführen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, zuletzt Ihnen gegenüber in der Fragestunde vom 19. Oktober 1989, daß die in der Bundesrepublik lagernden amerikanischen C-Waffen ersatzlos abgezogen werden. Eine Stationierung neuer amerikanischer C-Waffen in Europa steht nicht zur Debatte.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist festzustellen, daß die Produktion neuer chemischer Waffen in den USA eine ausschließlich nationale Angelegenheit der USA ist. Die Bundesregierung hat aber nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den raschen Abschluß eines weltweit gültigen, umfassenden, mit wirksamen Verifikationsregeln ausgestatteten Abkommens anstrebt, das Entwicklung, Herstellung und Besitz, Erwerb, Weitergabe und Einsatz aller chemischen Waffen verbietet und die vollständige Vernichtung bestehender Waffenbestände unter internationaler Kontrolle herbeiführt. Die Bundesregierung weiß sich in dieser Zielsetzung mit der amerikanischen Regierung vollauf einig.
Herr Dr. Kübler, Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, gibt es innerhalb der Gremien der NATO Verhandlungen, Gespräche oder Absprachen zur Frage der Stationierung binärer chemischer Waffen im europäischen Raum, in Frankreich oder in der Bundesrepublik?
Schäfer, Staatsminister: Ich darf in diesem Zusammenhang, Herr Kollege, darauf hinweisen, was der Bundeskanzler am 11. April 1986 vor dem Deutschen Bundestag erklärt hat:
Es wird keine Stationierung neuer binärer chemischer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland geben. Wir sind uns mit den Vereinigten Staaten einig: Es wird in Friedenszeiten keine Verbringung binärer chemischer Waffen in die europäischen Mitgliedstaaten der NATO geben, auch nicht im Rahmen einer Eventualfallplanung; es sei denn, es wird vom Aufnahmeland eigens gewünscht und gebilligt.
Das heißt, daß für uns wie für jedes andere NATO- Land klargestellt ist: Es bedürfte unserer Zustimmung.
Am 6. März 1989 hat der Bundeskanzler erklärt, daß er nicht die Absicht hat, einer solchen Stationierung zuzustimmen.
Diesen eindeutigen Erklärungen hat die Bundesregierung nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie die Auffassung vertreten, daß unabhängig von der Haltung des Bundeskanzlers auf der Grundlage des
Truppenstatuts die Stationierung von binären chemischen Waffen durch die Amerikaner auf dem Gebiet der Bundesrepublik möglich ist?
Schäfer, Staatsminister: Diese Auffassung vertrete ich nicht.
Frau Beer, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatsminister, ist es möglich, daß die Bundesregierung im Hinblick auf den eben besprochenen Bereich — ich komme hier auf Ihre erste Antwort zu sprechen — einen Widerspruch darin sieht, daß Sie sagen, daß gerade die Bundesregierung bemüht sei, zu einem weltweiten C-
Waffen-Verbot zu kommen, daß dem aber doch vielleicht entgegensteht, daß gerade bundesdeutsche Firmen an der Proliferation nicht nur nach Libyen, sondern auch in andere Staaten wie z. B. Irak beteiligt sind, und drittens bisher jede Initiative fehlt, die Strategiepläne der NATO, die den Einsatz von C-Waffen vorsehen, endgültig ad acta zu legen oder sich wenigsten in dieser Richtung zu bemühen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, der erste Teil Ihrer Frage ist insofern etwas eigentümlich, als er unterstellt, deutsche Firmen seien sozusagen Staatsunternehmen; das ist nicht der Fall. Erstens einmal besteht ein Verbot der Herstellung solcher Waffen. Zweitens gibt es sehr strenge Gesetze; das Unterlaufen dieser Gesetze ist unter Strafe gestellt. Wie Sie wissen, wollen wir eine Verschärfung dieser Gesetze.
Sie können hier nicht das Verhalten einiger weniger Firmen, gegen die zur Zeit strafrechtlich ermittelt wird, und das Verhalten der Bundesregierung zusammenbringen. Das Verhalten dieser Firmen — wenn sie denn nun die Gesetze tatsächlich unterlaufen haben — steht in einem krassen Gegensatz zur Politik der Bundesregierung. Ich glaube, darüber brauchen wir uns hier nicht mehr zu streiten. Es besteht also kein Zusammenhang, wie Sie ihn jetzt herzustellen versucht haben.
Darüber hinaus kann ich nur sagen, daß die Vereinigten Staaten, solange die Sowjetunion noch über chemische Waffen verfügt, der Auffassung sind, daß sie selbst auch einen gewissen Teil solcher chemischer Waffen zur Verfügung haben müssen. Aber Sie wissen auch, daß es bei den Abrüstungsgesprächen in Genf über chemische Waffen inzwischen ganz erhebliche Fortschritte gegeben hat, so daß wir davon ausgehen können, daß wir der Lösung dieses Problems sehr viel näher gekommen sind. Insofern wird es NATO-Pläne — wenn es sie gegeben hat — über den Einsatz chemischer Waffen sicher bald nicht mehr geben; das hoffen wir zumindest.
: Herr Dr. Hirsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben dankenswerterweise diese wirklich bedeutsame und wichtige Erklärung des Außenministers hier wiedergegeben, daß es eine neue Stationierung chemischer Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik gegen den
Metadaten/Kopzeile:
15690 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. HirschWillen der Bundesregierung nicht geben wird. Darf ich Sie fragen, ob sich diese Erklärung oder diese Lage aus einer speziellen Vereinbarung ergibt, die sich auf chemische Waffen bezieht, oder ist das eine Rechtsposition der Bundesregierung in Auslegung des NATO- Truppenstatuts, die sich grundsätzlich auf alle Massenvernichtungsmittel bezieht.Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe mich bei meinen Aussagen vor allen Dingen auf die mit den Vereinigten Staaten getroffene Vereinbarung bezogen, die ja notwendig war, um einen möglichst schnellen Abzug der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik zu ermöglichen. Das ist durch die Gespräche in Tokio möglich geworden. Es wird ja in diesem Jahr der restlose Abzug der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik erfolgen.
Herr Jäger möchte noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die von Ihnen dargestellten Maßnahmen zur Verminderung und schließlich Beseitigung und auch Nicht-Wiederrückführung chemischer Waffen in die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen einer internationalen Vereinbarung zur Beseitigung aller chemischen Waffen getroffen werden, die uns vor allen Dingen auch vor den für unsere Sicherheit ja viel bedrohlicheren chemischen Waffen der Sowjetunion Sicherheit gewährt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der Verhandlungen über die völlige Beseitigung der chemischen Waffen gut verläuft und daß berechtigte Aussicht besteht, daß es zu einem Abkommen kommen wird, wobei ja immer das Problem der Verifizierung, also der Kontrolle des Abbaus dieser chemischen Waffen, besonders schwierig war. Mehr an diesem Problem hatten sich die Verhandlungen in Genf festgehakt, nicht so sehr daran, daß nicht der Wille besteht, chemische Waffen — nach unserer Auffassung: global, weltweit — zu beseitigen.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Gerster auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit der US-Regierung eine neue Vereinbarung zu treffen, die eine Wiederstationierung von amerikanischen C-Waffen auf deutschem Boden auch im Spannungs- und Verteidigungsfall ausschließt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Gerster, Vereinbarungen sind nur zu treffen, wo Fragen strittig oder sonst regelungsbedürftig sind. Dies ist hier nicht der Fall.
Herr Gerster.
Herr Staatsminister Schäfer, ist die Bundesregierung der Meinung, daß chemische Waffen auf deutschem Boden im Verteidigungsoder im Spannungsfall Sinn machen können?
Schäfer, Staatsminister: Ich habe doch vorhin schon in meiner Antwort auf Fragen Ihrer Kollegen deutlich gemacht, daß es hier eine Erklärung des Bundesaußenministers, eine Erklärung des Bundeskanzlers gegeben hat, die gesagt haben, daß wir eine Zustimmung zur Verbringung chemischer Waffen nicht geben werden. Wir werden also nicht zustimmen. Ich glaube, das ist bereits die Antwort auf Ihre Frage.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Gerster.
Wenn das so eindeutig erklärt worden ist und diese Erklärung im Widerspruch zu der Vereinbarung steht, die zum Abzug der Waffen geführt hat, die eine solche Wiederstationierung nicht ausdrücklich ausschließt: Was spricht denn dagegen, nach dem Abzug der Waffen eine neue Vereinbarung anzustreben — bis zum endgültigen Stopp für sämtliche chemische Waffen auf der Welt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Vereinbarung, die damals zustande kam und die Sie und mich als Rheinland-Pfälzer betrifft, vor allen Dingen dazu gedient hat, den Abzug der chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland so schnell wie möglich in die Wege zu leiten. Ihre damaligen Forderungen, wir hätten darüber hinaus verhindern müssen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auf Grund ihrer eigenen Entscheidungen aus Gründen, die sie zu vertreten haben, im eigenen Land weiter Waffen produzieren, waren schon eine maßlose Überforderung der Möglichkeiten der Bundesregierung. Sie wissen, daß in dieser Vereinbarung gesagt worden ist, daß es gegen den Willen des jeweiligen Landes keine Stationierung geben solle. Im Spannungsfall kann der Antrag gestellt werden. Dazu muß die Zustimmung des Landes erfolgen. Sie können davon ausgehen, daß wir angesichts der Veränderung der Lage in Europa weder eine solche Situation voraussehen noch die Absicht haben, für diesen Fall eine Zustimmung zu erteilen.
Herr Dr. Kübler, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie zwar jede Zustimmung für den Normalfall wie für die Vorphase einer militärischen Auseinandersetzung verneinen, daß Sie aber nicht klar erklärt haben oder nicht klar erklären wollen, daß chemische Waffen im realen Verteidigungsfall nicht zum Einsatz kommen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe bei der Beantwortung sehr vieler Fragen wirklich versucht, deutlich zu machen, daß ich diesen realen Fall nicht sehen kann, daß wir alles tun, daß er nicht eintritt, und daß die Verhandlungen in Genf dazu führen, daß es solche Waffen nicht mehr gibt. Ich möchte in unser aller Interesse darum bitten, daß wir zunächst einmal von der Realität ausgehen und nicht ständig neue Bedrohungsszenarien aufbauen, da solche Szenarien jetzt gerade verschwinden.
Frau Beer, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wäre es möglich, kurz zu erläutern, woher Sie die Sicherheit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15691
Frau Beernehmen, zu sagen, daß diese Waffen im Krisen- oder Kriegsfall nur nach Konsultationen hierherkommen würden? Sind Sie sicher, daß auf jeden Fall vorher konsultiert wird?Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich gehe immer noch davon aus, daß sich auch die Vereinigten Staaten an getroffene Vereinbarungen halten werden. Wir haben keinerlei Grund anzunehmen, daß sie das nicht täten. Außerdem sprechen auch Sie jetzt von Krisenfällen, die zustande kommen könnten. Ich sehe diese Krisenfälle im Augenblick kaum. Ich kann nur sagen, daß die internationale Entwicklung genau gegenteilig verläuft, daß es nämlich in Europa zu Vereinbarungen über den totalen Abbau der chemischen Waffen kommt. Ich habe größere Besorgnisse hinsichtlich der Bereiche der Dritten Welt, die vorhin angesprochen worden sind.
Die Frage 50 des Abgeordneten Graf Huyn wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 51 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die von der Staatsanwaltschaft Kiel festgestellte erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland durch das Südafrika-U-Boot-Geschäft von HDW und IKL durch eine Resolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen hervorgerufen wurde, deren Mitgliedstaaten nach sorgfältiger Abwägung der Faktenlage in ihrer übergroßen Mehrheit am 22. November 1989 einen Bruch des UNO-Embargos durch das genannte Geschäft konstatierten und eine Aufforderung an die Bundesregierung richteten, die am U-Boot-Geschäft beteiligten Firmen gerichtlich verfolgen zu lassen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, das Auswärtige Amt hat mit Schreiben vom 15. Dezember 1989, gerichtet an die Staatsanwaltschaft Kiel, in Beantwortung einer entsprechenden Anfrage der Staatsanwaltschaft eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen durch die Resolution der UN-Generalversammlung vom 22. November 1989 verneint.
Das Auswärtige Amt fühlt sich in seiner Einschätzung durch den Verlauf der 16. Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12. bis 14. Dezember vergangenen Jahres zum Thema „Apartheid und ihre destruktiven Folgen für das südliche Afrika" bestätigt.
Der sogenannte Blaupausen-Vorgang spielte auf der Sondergeneralversammlung keine Rolle. Er wurde von keinem der 119 Vertreter der Teilnehmerstaaten mehr erwähnt. Dasselbe gilt auch für die 51. Konferenz zur Organisation für Afrikanische Einheit, OAE, auf der der sogenannte Blaupausen-Vorgang ebenfalls nicht erwähnt wurde.
Es ist der Bundesregierung im übrigen nicht bekannt, ob die Staatsanwaltschaft Kiel eine erhebliche Störung tatsächlich festgestellt hat oder ob sie auf Grund vorliegender Verdachtsmomente lediglich ermittelt.
Frau Beer, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, heißt das, daß die Bundesregierung immer noch abstreitet, daß in der Resolution der UN-Vollversammlung eine Verurteilung der Bundesregierung in der Form erfolgt ist, daß sie aufgefordert worden ist, sich dafür einzusetzen, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen werden?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe Ihnen gesagt, was im Anschluß an die von Ihnen genannte Generalversammlung erfolgt ist und daß das Thema dort bereits keine Rolle mehr gespielt hat. Das läßt den Schluß zu, daß eben keine erhebliche Störung unseres außenpolitischen Verhältnisses eingetreten ist. Denn Sie müssen jetzt von dem ausgehen, was im Anschluß an die Generalversammlung geschehen ist. Es gab zwei sehr wichtige Sitzungen sehr wichtiger Gremien, in denen die afrikanischen Staaten vertreten gewesen sind, und dieses Thema wurde dort nicht mehr angesprochen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Beer.
Ist denn die Bundesregierung der Auffassung, daß die von der CDU/CSU-Fraktion hier konstatierten außenpolitischen Schäden tatsächlich eingetreten sind und daß dann, wenn die Schuld am Zustandekommen dieser Schäden u. a. darin gesucht wird, daß Mitglieder des Deutschen Bundestages persönlich bei Besuchen in New York und Besuchen der Vereinten Nationen diesen außenpolitischen Schaden erst provoziert haben, die Koalitionsfraktionen in diesem Punkt irren?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich möchte hier ungern für die Bundesregierung Feststellungen treffen, welche Mitglieder der Koalitionsfraktionen irren. Ich möchte mich zu diesem Thema für die Bundesregierung hier nicht äußern.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, sich durch Studium der Unterlagen oder durch Gespräche bei der Vertetung der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen und in der zuständigen Abteilung des Auswärtigen Amts sachkundig zu machen, daß von vornherein feststand, daß auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen im Dezember über Südafrika alle Staaten übereinstimmten, keine kontroversen Diskussionen zu führen und Verurteilungen nicht wieder aufzunehmen und nicht nur die Bundesrepublik wegen des von Ihnen so apostrophierten Blaupausen-Geschäfts, hinter dem sich ein Geschäft über die Lieferung von U-Boot-Plänen verbarg, nicht wieder anzugreifen, sondern auch andere Staaten, die das Rüstungsembargo gegen Südafrika durchbrochen hatten, nicht wieder anzugreifen; und kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung es schon als einen außenpolitischen Erfolg wertet, wenn einmal eine internationale Konferenz stattgefunden hat, bei der sie wegen des illegalen Rüstungsgeschäfts mit Südafrika nicht verurteilt worden ist?
Metadaten/Kopzeile:
15692 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die von Ihnen apostrophierte Abteilung hat mir gerade ins Ohr gesagt, daß Sie irren. Es ist mir nämlich gerade mitgeteilt worden, daß auf der Sondergeneralversammlung Israel und die USA tatsächlich erwähnt worden sein sollen, also in dem Zusammenhang getadelt worden sind, die Bundesregierung aber nicht. Sie ist ja auch auf der Generalversammlung nicht getadelt worden.
— Sie kennen den Text. Ich brauche das nicht zu wiederholen, weil wir das nun wirklich zigmal, Herr Kollege, hier durchgesprochen haben und Sie der intimste Kenner dieser ganzen Materie sind. Sie wissen ganz genau, wie der Text lautet. Ich kann ihn auch gern wiederholen. Aber es ist eben nicht eine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, sondern es ist eine Verurteilung der beiden Firmen erfolgt und in dem Sinn eine Bitte an die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen worden, nun dafür zu sorgen, daß solche Vorfälle nach Möglichkeit entsprechend geahndet werden. Ich habe jetzt dem Sinn nach wiedergegeben, was ich Ihnen auch wörtlich vorlesen kann.
Herr Dr. Lippelt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat das Amt so wenig eigenes Urteilsvermögen, daß es die Frage, ob eine erhebliche Störung auswärtiger Beziehungen eingetreten sei, von dem ängstlichen Schielen danach abhängig macht, was bei der nächsten Sitzung eventuell betroffene Staaten sagen, und dann, wenn diese nichts sagen, erklärt „Mit blauem Auge gut davongekommen; also keine erhebliche Störung", ohne auch nur zu berücksichtigen, daß möglicherweise aus Höflichkeit oder aus anderen Gründen genau solche Bemerkungen dann nicht gemacht werden, obwohl langfristig aber sehr wohl eine erhebliche Störung eingetreten sein kann? Kann das Amt nicht zwischen kurzfristigem Verhalten und langfristigen Tendenzen unterscheiden?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich stelle als langfristige Tendenz vor allem die Wiederholung dieser Debatte im Deutschen Bundestag fest.
Was die kurzfristigen Tendenzen betrifft, so kann ich Ihnen sagen: Ich habe bei meinen Afrika-Reisen im vergangenen Jahr — ich bin offensichtlich einer der letzten, der sich noch in der Dritten Welt bewegt, mit Ausnahme von Frau Beer — festgestellt: In einer ganzen Reihe von afrikanischen Staaten ist das wirklich kein Thema mehr. Wir haben auch dieses Thema „Generalversammlung" angesprochen. Ich bin sogar in einigen afrikanischen Staaten darauf angesprochen worden
dergestalt, daß man dort zwar mitgestimmt habe, dies aber mehr aus einer afrikanischen Solidarität denn aus eigenem Antrieb getan habe. Das haben Sie mich nicht zu Ende sagen lassen, Herr Kollege.
Augenblick, Herr Duve. Dies ist keine Diskussion, sondern eine Fragestunde. Sie wollen eine Frage stellen? — Dann sollen Sie das jetzt tun.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob die indische Regierung bei der Bundesregierung bereits nachgefragt oder protestiert hat bezüglich des Verkaufs ihrer Pläne an die Republik Südafrika?
Es ist eine Frage des Zusammenhangs. Aber „U-Boot" steht in allen Fragen.
Herr Staatsminister, Sie sind bereit zu antworten?
Schäfer, Staatsminister: Wir können das U-Boot natürlich noch weltweit verwenden. Ich bin auch gar nicht sicher, Herr Kollege Duve, welche indische Regierung Sie meinen, die alte oder die neue. Das ist mir unklar.
— Die neue Regierung. Das ist mir im Augenblick nicht bekannt. Ich prüfe das gern nach und stehe Ihnen dann — wie immer — im Auswärtigen Ausschuß zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 52 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die 116 Staaten, die den genannten Resolutionen zugestimmt haben, bei ihrer Entscheidungsfindung durch Dritte manipuliert worden sind?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Informationen für die Entscheidung der Mitgliedstaaten letztlich ausschlaggebend waren.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Frau Beer? — Bitte schön.
Da ich aus Ihrer letzten bzw. vorletzten Antwort ableite, daß es nicht an dem Besuch der Kollegen Eid, Gansel, Stobbe, Eylmann, Bohl und Seiler-Albring liegen kann, würde ich jetzt gern wissen, ob der Hintergrund vielleicht ist, daß gerade auf Wunsch der Deutschen versucht worden ist, Druck auf die Teilnehmerstaaten der Konferenz auszuüben, und dadurch die Verurteilung nicht in der Schärfe stattgefunden hat.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, es ist immer so, daß ein Staat letztlich die Entscheidung, wie er sich in einem internationalen Gremium verhält, selbst zu treffen hat. Ich muß Ihnen sagen: Sie würden die Möglichkeiten der Bundesrepublik, Druck auszuüben, überschätzen, wenn Sie glauben, wir könnten die Hälfte der afrikanischen Staaten dazu bewegen, ihre Haltung gegen uns zu ändern.
Jetzt hat Frau Beer noch eine weitere Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15693
Hatten denn Ihre Gespräche, die Sie gerade erwähnt haben, zur Folge, daß die Stellen, die Kontakt mit den betroffenen Ländern aufgenommen haben, u. a. auch aus Informationen von Ihnen wußten, was sie dort zu sagen haben? Können Sie bestätigen, daß sich einzelne Länder beschwert haben, daß Druck auf sie ausgeübt worden ist?
Schäfer, Staatsminister: Mir ist eine solche Beschwerde nicht bekannt. Ich kann nur wiederholen, was ich schon in einer früheren Fragestunde gesagt habe, nämlich daß wir auch Ländern, die sich bei ihrem Abstimmungsverhalten im Sinne der Bundesregierung kritisch verhielten, die Schulden erlassen haben. Es gab also keine Bestrafung oder so etwas. Daraus ersehen Sie, daß wir unsere Bemühungen um die afrikanischen Staaten nicht von deren Abstimmungsverhalten abhängig machen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 53 des Abgeordneten Duve auf:
Auf welcher Informationsgrundlage beruhte die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Spranger auf meine Frage vom 8. November 1989 , in der festgestellt wird, daß zwar ein Beamter der BGS-Ausbildungsabteilung in Lübeck Mitglied im Bundesvorstand der Partei „Die Republikaner" und stellvertretender Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein ist, dieser aber „gegenwärtig weder als Ausbilder noch als Lehrer" tätig sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt sehr wohl bekannt sein mußte, daß dieser Beamte auf Grund seines Ranges als Stellvertretender Hundertschaftsführer als Fachlehrer für Staats- und Verfassungsrecht arbeitete (und dies auch weiterhin noch tut)?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Duve, die Antwort beruhte auf der Auskunft der zuständigen BGS-Mittelbehörde und wurde nach nochmaliger Überprüfung bestätigt. Der Beamte war weder damals noch ist er heute als Fachlehrer im Fach politische Bildung, Staats- und Verfassungsrecht tätig. Im übrigen wird der Unterricht in diesem Fach von zivilen Lehrern im Grenzschutzfachschuldienst erteilt.
Der Beamte hat allerdings als Abwesenheitsvertreter seines Hundertschaftsführers im Januar und im Februar an insgesamt drei Terminen in einer wöchentlich vorgesehenen Besprechungsstunde politische Themen mit Dienstanfängern behandelt. Dabei handelt es sich nicht um ein klassisches Unterrichtsfach, sondern um das Besprechen aktueller gesellschaftlicher und politischer Fragen im Rahmen einer wöchentlichen Informationsstunde.
Herr Duve, bitte schön.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es keine Anweisung der Bundesregierung gibt, aktive Mitglieder der Republikaner, die im Staatsdienst, im Bundesgrenzschutz, tätig
sind, davon abzuhalten, junge Menschen in allgemeinen gesellschaftlichen Fragen zu unterrichten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist Rechtslage, daß die Zugehörigkeit von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes zu nicht verbotenen politischen Parteien nicht Grund dafür sein kann, deren dienstliche Tätigkeitsfelder einzuschränken.
Herr Staatssekretär, Sie übernehmen also hier vor dem Deutschen Bundestag die Verantwortung dafür, daß die Bundesregierung nichts unternommen hat, um zu verhindern, daß politisch aktive Mitglieder der Republikaner, die im Bundesgrenzschutz in der Ausbildung tätig sind, diese Tätigkeit nun auch weiter ausüben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier keine Verantwortung zu übernehmen
für eine Entscheidung, die im Bereich der Mittelbehörde getroffen worden ist. Es gibt keine Rechtsgrundlage, die im Widerspruch zu dieser Entscheidung des wohl bei diesen drei Veranstaltungen verhinderten Hundertschaftsführers steht.
Herr Dr. Hirsch, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte zunächst eine Frage zum Sachverhalt und nicht zur Verantwortlichkeit stellen. Sie sagen, daß dieser Polizeibeamte, der aktiver Republikaner ist, nicht als Fachlehrer für Staatsrechtslehre tätig war. War er denn für andere Bereiche als Fachlehrer tätig, und können Sie uns sagen, zu welchen gesellschaftspolitischen Bereichen er junge Polizeibeamte aufgeklärt hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zunächst darf ich sagen — in Wiederholung dessen, was ich schon im November zum Ausdruck gebracht habe — , daß ich festgestellt habe, daß er nicht als Fachlehrer für Staats- und Verfassungsrecht gearbeitet hat und auch diesmal nicht tätig geworden ist. Er hat im Rahmen einer Informationsstunde in Stellvertretung des offenbar verhinderten Hundertschaftsführers in drei Fällen Unterricht erteilt, und zwar am 26. Januar zum Thema „Deutsche Mark in beiden deutschen Staaten", am 9. und 16. Februar zum Thema „Das Zehn-Punkte-Programm Bundeskanzler Kohls und das Sechs-PunkteProgramm Ministerpräsident Modrows im Vergleich".
Herr Gansel, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Können Sie also, Herr Staatssekretär, ausschließen, daß der BGS-Beamte, der im außerberuflichen Bereich stellvertretender Landesvorsitzender der Republikaner ist, bei seinem gesellschaftspolitischen Informationsunterricht vor den jungen Bundesgrenzschutzbeamten Unterricht über die Ausein-
Metadaten/Kopzeile:
15694 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Ganselandersetzung mit dem Rechtsextremismus erteilt hat?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich nehme auf die drei Themen Bezug, mit denen er sich in dieser wöchentlichen Informationsstunde auseinandergesetzt hat.Im übrigen darf ich noch einmal betonen, daß der Mann überwiegend im planerisch-organisatorischen Bereich seiner Hundertschaft tätig ist und hier nur ausnahmensweise in Vertretung des Hundertschaftführers eingesetzt wurde.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Duve auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß ein Beamter dieser BGS-Ausbildungsabteilung dort in der politischen Bildung sehr junger BGS-Angehöriger eingesetzt wird, obwohl er wichtige Ämter in der Partei „Die Republikaner" innehat, und wer ist für diese Entscheidung verantwortlich?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Aus der Antwort auf die Frage 53 ergibt sich, daß der Beamte zu keinem Zeitpunkt im Fach politische Bildung, Staats- und Verfassungsrecht eingesetzt wurde. Dies ist angesichts der Tatsache, daß dieses Fach von zivilen Lehrern unterrichtet wird, auch künftig nicht beabsichtigt.
Herr Duve, eine Zusatzfrage, bitte schön.
In welcher Weise hat der Bundesinnenminister auf die Tatsache reagiert, daß von den 14 Kandidaten für die Lübecker Kommunalwahlen allein sechs dem Bundesgrenzschutz als Beamte und zugleich der republikanischen Partei angehören und für diese Partei kandidieren?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, dieses Thema haben wir bereits am 9. November in der Fragestunde behandelt. Es ist hier auch zum Ausdruck gebracht worden — Sie hatten damals die Verteilung von Werbeschriften gerügt — , daß insbesondere gegenüber diesen Beamten das Verhalten ausdrücklich mißbilligt worden ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, wie wird die Bundesregierung in Zukunft damit umgehen, daß sich bei Kommunalwahlen und anderen Wahlen ganze Gruppen von BGS-Beamten für diese rechtsextreme Partei öffentlich einsetzen und kandidieren?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie wissen genau, daß kommunalpolitisches Engagement für Parteien, die nicht verboten sind, beamtenrechtlich nicht relevant ist. Ich halte es auch nicht für angemessen, wenn durch solche Fragen, wie Sie sie hier das letztemal im November gestellt haben, in denen dem Bundesgrenzschutz durch diese Häufung quasi bestimmte Tendenzen unterstellt werden — —
— Doch. Es ist zum Ausdruck gebracht worden. Ich habe damals auch die Annahme zurückgewiesen, der Bundesgrenzschutz sei für radikale oder extremistische Parolen besonders anfällig.
Herr Dr. Hirsch, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie wirklich der Meinung, daß der oberste Dienstherr des BGS keine Verantwortung trägt, wenn an der Ausbildung ein BGS-Beamter beteiligt wird, der einer extremistischen Partei angehört, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und würden Sie in gleicher Weise reagieren, wenn es sich um ein Mitglied der DKP handelte, und gibt es vielleicht einen solchen Fall?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sicherlich, ich glaube, es ist jetzt hier nicht tunlich, die Republikaner, ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz, ihre extremistische, ihre radikale Einstufung — je nach dem, es ist ja sehr streitig — zu bewerten. Dieser konkrete Fall jedenfalls gab und gibt keinen Anlaß für besondere Regelungen über die vorhandenen Regelungen hinaus.
Ich bin in einer Verlegenheit. Nur noch eine Zusatzfrage, Herr Gansel. Dann machen wir aber Schluß. Das ist die letzte Frage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß dieser Beamte des Bundesgrenzschutzes, der vor jungen Grenzschützern staatsbürgerlichen Unterricht über deutschlandpolitische Fragen erteilt hat, wie Sie gerade gesagt haben, derselbe Beamte ist, der im Rahmen seiner Tätigkeit für die Republikaner den Verfassungsschutz, für den Sie Mitverantwortung tragen, als „Stasi-West" bezeichnet hat, und sind Sie vor diesem Hintergrund bereit, Ihre verharmlosende Darstellung des vom Kollegen Duve vorgebrachten Vorganges noch einmal zu überdenken?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich habe hier überhaupt nichts verharmlost, sondern ich habe den Sachverhalt so dargestellt, wie er ist. Es ist nicht bekannt, daß bei diesen drei Unterrichtsstunden in irgendeiner Form ein Mißbrauch zu Lasten der Grenzschützer stattgefunden hat.
Wenn Sie mir hier Informationen übermitteln können ähnlich der anderen, die Sie jetzt erwähnt haben, bin ich gern bereit, das aufzunehmen.
Im übrigen, Herr Kollege Gansel, was den anderen Vorfall anbelangt, den Sie zitiert haben, so war das schon Gegenstand der Fragestunde am 9. November. Hier ist mitgeteilt worden, daß das Verhalten des Beamten damals ausdrücklich mißbilligt worden ist.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist wegen Zeitablaufs zu Ende. Die Fragen, die nicht aufgerufen worden sind, werden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15695
Vizepräsident Westphalschriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf :Haltung der Bundesregierung zu weiteren Erkenntnissen zum DGB-gewerkschaftseigenen Unternehmen „Neue Heimat"Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Selten war eine Aktuelle Stunde so aktuell wie heute! Wir haben den früheren Geheimbericht heute morgen um 8 Uhr bekommen,
und heute um 15 Uhr diskutieren wir bereits hierüber.
Zu Recht hat sich der Bundestag mit den Vorkommnissen bei der Neuen Heimat, einem der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik Deutschland, beschäftigt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem bemerkenswerten Beschluß vom 19. Oktober 1987 hinsichtlich der Zulässigkeit der Befassung durch den Deutschen Bundestag ausgeführt: Je mehr sich ein privates Unternehmen auf das öffentliche Feld begibt, desto mehr muß es sich auch der öffentlichen Kontrolle stellen. Schließlich sind mehr als 10 Milliarden DM Steuergelder und Subventionen durch die Neue Heimat vereinnahmt worden. Da muß auch Rechenschaft über den Verbleib dieser Milliarden abgelegt werden.
Der heute vorgelegte Bericht macht in erschreckender Weise deutlich, mit welcher kriminellen Energie Vermögenswerte aus dem gemeinnützigen Bereich in den sonstigen Konzernbereich der BGAG verschoben wurde. Dabei spielte die BGAG als Konzerngesellschaft eine sehr unrühmliche Rolle: Man scheute nicht vor Unter-Preis-Verkäufen aus dem gemeinnützigen Bereich zurück, um bei weiteren Verkäufen zu realistischen Preisen dann Gewinne bei der BGAG oder vorgeschalteten Unternehmen entstehen zu lassen.
Der vorliegende Bericht stellt ja auch nur einen ganz kleinen Teil der zahlreichen Verfehlungen der Geschäftsführung der BGAG und des Neue-HeimatKonzerns dar. Der Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages aus der 10. Wahlperiode vom 7. Januar 1987 und der umfängliche Bericht des Untersuchungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft zeigen die zahlreichen Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsgesetz, die Bilanzverfälschungen, Vermögensverlagerungen, Betriebsvermögensverschiebungen zu Lasten des gemeinnützigen Anteils der Neuen Heimat, um Verluste insbesondere bei der Neuen Heimat Städtebau, aber
auch bei anderen gewerkschaftlichen Firmen auszugleichen.
— Das ist leider wahr, Herr Kollege Dr. Weng.
Jetzt ist aber nicht die Stunde zu beurteilen, ob die dazu angewandte kriminelle Energie nur der persönlichen Bereicherung einiger weniger oder der Verschleierung vorangegangener krimineller Handlungen diente.
Sicherlich gab es auch eine Reihe von Geburtsfehlern beim Aufbau dieses riesigen Gewerkschaftskonzerns wie z. B. die mangelhafte Ausgestaltung mit Eigenkapital, aber auch im Managementaufbau. Zwischen Vorstand und Aufsichtsrat herrschte nicht das dualistische Prinzip von Verwaltung und Kontrolle, sondern auf beiden Seiten — im Vorstand und im Aufsichtsrat — herrschte der Ton unter Kameraden aus dem gleichen gewerkschaftlichen Lager und der Solidarität, die auch Fehler und kriminelle Handlungen durch die Aufsichtsratsmitglieder der Gewerkschaften mit dem Mäntelchen der Zustimmung oder des Schweigens bedeckte. Nicht umsonst treffen wir dieselben Personen beim Riesenskandal Co Op wieder. Ich erwähne hier nur den Namen Lappas, der seit längerem in Untersuchungshaft einsitzt.
Ich will auch nicht verschweigen, daß wir mit großer Sorge die früheren engen Verflechtungen dieses riesigen Gewerkschaftskonzerns mit der öffentlichen Hand sehen und welche Tricks angewandt wurden, um auch dort die Verfehlungen zu vertuschen und die Gemeinnützigkeit für die Neue Heimat trotz klarer Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht zu erhalten. Schließlich sind all diese Vermögensverschiebungen zu Lasten des gemeinnützigen Teils der Neuen Heimat und damit zu Lasten der Mieter gegangen. Aufsichtsräte und Vorstände der Gewerkschaften haben den Grundsatz völlig außer acht gelassen, daß man zwar mit eigenem Geld alles machen kann, was man will, daß man aber, wenn man mit fremdem Geld umzugehen hat, besondere Treuepflichten wahrnehmen muß. Mit dem Geld, das entweder von der öffentlichen Hand über Subventionen oder über die Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder aufgebracht wurde, ist nach Gutsherrenart verfahren worden, so als ob es eigenes Geld sei.
Alle Bilanzverschiebungen und Vertuschungen wären nicht nötig gewesen und es wäre wohl auch mancher Skandal vermieden worden, wenn die Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten und die Geschäftsführung bereits im Jahre 1981, als die dortige Misere deutlich wurde, ein vernünftiges Sanierungskonzept erarbeitet und sich mit den beteiligten Banken abgestimmt hätten.
Dazu kann man zum Schluß nur eines sagen: Wären die Gewerkschaften bei ihren eigentlichen Aufgaben geblieben, dann wäre das nicht passiert. Es gilt der alte Grundsatz: Schuster, bleib bei deinen Leisten!
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Metadaten/Kopzeile:
15696 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Es gehört wenig Phantasie dazu, die Motive der FDP zu durchschauen, wenn sie heute wieder ihr altes Lieblingsthema, den Skandal der Neuen Heimat, anrührt. Es ist schon seltsam, daß gerade sie es tut, eine Partei, deren erklärtes Ziel es ist, den Mieterschutz zu ruinieren.
Wenn jetzt vor den Wahlen in der DDR durch die Aktuelle Stunde eine Debatte gegen Gewerkschaften, gegen SPD oder eigentlich gegen alles, was mit dem Wort „sozial" oder „sozialistisch" zu tun hat, losgetreten wird, dann nehmen wir GRÜNE — und können das auch tun — diese Diskussion an. Dann gehört aber mehr dazu. Die Stunde des Versagens, des Scheiterns des realsozialistischen Systems muß nach unserer Meinung auch die Stunde der Auseinandersetzung über das Versagen der kapitalistischen Wirtschaftsweise in entscheidenden Punkten werden: Die zerstörerische Wirkung der Nur-Profitorientierung auf Natur, Umwelt und Ressourcen, auf unsere Lebensgrundlagen insgesamt,
die Unfähigkeit des Systems, Fehler politisch zu korrigieren, die von Bürgern und Wissenschaftlern längst festgestellt sind, wie Klimaschutz, Nordsee usw., und das ausbeuterische Verhältnis zur Dritten Welt, um nur die wichtigsten zu nennen.
Die einzigartige Gelegenheit der Auseinandersetzung mit dem realsozialistischen System ist für uns GRÜNE und für viele andere Bürger die Gelegenheit, gleichzeitig die Fehler unseres Systems zu bereinigen und nicht, meine Damen und Herren von der FDP, so zu tun, als ob unser System okay wäre und wir so weitermachen könnten wie bisher.
Der Neue-Heimat-Skandal, den Sie hier auf die Tagesordnung bringen, eignet sich dafür eigentlich nicht mehr. Die Neue Heimat ist mittlerweile in ruhigere Bahnen gelenkt, und die Mieter sind dabei so gut es ging geschont worden. Die Neue Heimat wurde mit über 1 Milliarde DM saniert, dies alles mit Beiträgen der Gewerkschaftsmitglieder. Der Bundestag, aber auch die Hamburger Bürgerschaft haben die Hintergründe der Neuen Heimat ausgeleuchtet, und zwar mit einer Akribie, die wir uns bei dem U-Boot-Skandal gewünscht hätten.
Wenn wir genau an dem Tag, an dem der sogenannte Geheimbericht heute der Öffentlichkeit zugänglich wird, trotzdem wieder über den Skandal der Neuen Heimat diskutieren müssen, dann deshalb, weil auch der DGB mit seinem Verhalten dies selber herausgefordert hat; denn dieser Geheimbericht zeigt wie schon vorher der Untersuchungsbericht des Ausschusses, daß dieser Filz von Gewerkschaften, von SPD, Kommunalpolitikern, von Korruption, Gefälligkeiten und Durchstechereien — auch die bewußte Irreführung der Öffentlichkeit — , daß dieser ganze Komplex innerhalb der Gewerkschaften nie richtig aufgearbeitet worden ist. Wo sind die personellen
Konsequenzen geblieben, wo sind die Rücktritte von Verantwortlichen, und zwar von denjenigen, die aktiv mitgemacht haben, aber auch derer, die aktiv geschwiegen haben, obwohl sie mehr wußten? Die offenen innergewerkschaftlichen Klärungsprozesse haben leider zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
Es hat auch nie eine Debatte darüber stattgefunden, ob es sinnvoll ist und mit dem gewerkschaftlichen Auftrag zusammenpaßt, daß Gewerkschaften als Unternehmer auftreten. Ehrlich gesagt, ist es gut, daß die Unternehmeraktivitäten der Gewerkschaften so zusammengeschrumpft sind. Nach den bisherigen Erfahrungen — ich erinnere nur an die Landkäufe der Neuen Heimat in Lateinamerika — bin ich froh, daß die Neue Heimat heute nicht als Grundstücksspekulant in der DDR auftreten kann.
Die Spätfolgen dieses Neue-Heimat-Skandals wirken sogar noch bei den Bundesvorstandswahlen: Trotz intensivster Suche findet sich in der ganzen Führungsriege kein prominenter Kandidat, der unbelastet ist, der nicht in Neue-Heimat- oder in Co op-Schiebereien verwickelt war.
Ich appelliere an die Gewerkschaften: Der demokratische Umbruch in der DDR, der auch die dortige Gewerkschaftsbewegung erfaßt, muß auch im DGB anlaufen. Im Hinblick auf eine spätere und dann hoffentlich gemeinsame Gewerkschaftsbewegung sollte der DGB nicht mit belasteten Personen beginnen. Um die anstehenden sozialen Probleme in der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik bewältigen zu können, brauchen wir Hoffnung und Ermutigung, brauchen wir starke, brauchen wir glaubwürdige Gewerkschaften. Die Aufarbeitung unserer Geschichte, die Aufarbeitung der Ursachen des Neue-Heimat-Skandals kann hierzu den Weg bereiten; aber dann darf man das nicht so ansetzen, daß man zwei Tage vor den Wahlen in der DDR hier eine solche Diskussion anzettelt, wie Sie das gemacht haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Teil der Rede des Kollegen Hoss war so gut, der hätte von uns gehalten werden können.Drei Skandale kennzeichnen Genossenfilz: Neue Heimat Städtebau, Neue Heimat Wohnungsbau und Co op AG. Durch die Neue Heimat Städtebau hat sich der DGB mit Geldern seiner Mitglieder in ein Abenteuer gestürzt, an dessen Ende er scheiterte und hunderte Millionen DM benötigte, Pleite und Blamage still zu liquidieren.Der dritte Skandal um die Co op AG ist noch nicht aufgeklärt. Schon jetzt läßt sich sagen: ähnliches Verhalten wie in den anderen Skandalbereichen, kriminelle Praktiken, ca. 3 Milliarden DM Verlust, strafrechtliche Vorwürfe gegen führende Manager und nicht zuletzt ein abenteuerlich verstricktes Knäuel von Gesellschaften, Beteiligungen, Kaufangeboten und Optionen. Auch dieser Konzern wurde in die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15697
Dr. HüschPleite geführt. Man schreckte letztlich nicht einmal davor zurück, den Griff in die Pensionskasse zu tun.
Immer wieder tauchen die gleichen Namen auf, die in den Vorstands- und Aufsichtsratslisten der BGAG stehen. Mit der Veröffentlichung des bislang geheimen Teiles des Untersuchungsausschusses steht der am Genossenfilz zugrunde gegangene und bis auf den Wert von vier Brötchen heruntergewirtschaftete, ehemals große Wohnungsbaukonzern zur Diskussion.
Sein wirtschaftlicher Niedergang beruht auf zahlreichen Fehlentscheidungen: auf einer zu expansiv betriebenen Wohnungsbaupolitik, Spekulationen auf inflationäre Entwicklung und steigende Grundstückspreise, geringe Ausstattung mit Eigenkapital und Wirtschaften auf Pump, starke Abhängigkeit von der allgemeinen Zinsentwicklung. Dies führte Anfang der 80er Jahre in die Katastrophe, als der Bau- und Wohnungsmarkt weitgehend gesättigt war, die Spekulationen sich nicht bewahrheiteten, die Zinsen explodierten und Käufer und Mieter ausblieben — übrigens alles Daten und Konsequenzen der Politik der früheren SPD-Regierung.Für diese Entwicklung ist die Neue Heimat mitverantwortlich durch zahlreiche und erhebliche Verstöße gegen das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Mehr als 200 solcher Verstöße hatte bereits der Hamburger, SPD-geführte Untersuchungsausschuß festgestellt.
Man laugte gemeinnützig gebundenes Vermögen zugunsten des verfügbaren Vermögens aus. Hinzu kommen Verstöße gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, Betätigung außerhalb des zulässigen Geschäftskreises, korrumpierende Beraterverträge und umfängliche, unzulässige Spenden in den Bereich der SPD hinein.
Das alles hat den Konzern ausgeblutet. Darüber hinaus haben Organmitglieder der Neuen Heimat Schaden zugefügt, indem sie sich persönlich bereicherten, Gesellschaften betrieben und Geschäftsbeziehungen schamlos mißbrauchten.Und nicht zuletzt — und das ist wirklich beschämend — : Man betrieb den Verkauf von sozialen Wohnungen, indem man deren soziale Bindung zur Aufhebung brachte und somit die Rechte der Mieter gefährdete. Wohnungen wurden an die gewerkschaftseigene BGI zu Preisen veräußert, die nur halb so hoch waren wie die, die man den Mietern angeboten hatte,
die ihre eigenen Wohnungen kaufen sollten. AndereWohnungen gingen an Dritte. Letztendlich verkaufteman den ehemals stolzen Konzern für den Preis von einer D-Mark an den Berliner Bäcker Schiesser.Der jetzt veröffentlichte geheime Teil des Berichtes des Untersuchungsausschusses weist in allen Einzelheiten nach, daß dies alles zunehmend und mindestens seit 1982 von der Gewerkschaftsholding BGAG gesteuert war. Anhand der beschlagnahmten Protokolle hat der Untersuchungsausschuß Punkt für Punkt dargelegt, daß dieser Aufsichtsrat über nahezu sämtliche Vorgänge unterrichtet war. Es sind diejenigen Vorgänge, die im offenen Bericht als rechtswidrig, gesetzeswidrig und sozialwidrig gerügt worden sind.Die Mitglieder des Aufsichtsrates, die sich fast ausnahmslos zum Sozialismus bekennen, haben eine Politik betrieben, die der Gemeinnützigkeit und der gewerkschaftlichen Idee diametral widerspricht. Damit haben die Verantwortlichen nicht nur die Idee der Gemeinwirtschaft zugrunde gerichtet, sie haben auf Kosten der Arbeitnehmer gesetzwidrig gehandelt und sich als unfähig erwiesen. Mit tiefer Enttäuschung haben die Arbeitnehmer das zur Kenntnis nehmen müssen.Ähnliches vollzieht sich nunmehr bei der co op.Die SPD schweigt dazu, sie gewinnt nicht einmal einen Redner zu dieser Debatte.
Sie muß sich sagen lassen, daß man auch durch Schweigen Identität bekunden kann.
Sie muß sich sagen lassen, daß sie durch ihr Verhalten die Billigung dieses Filzes und ihre tiefe Verstrickung erneut dokumentiert. Sie, Herr Müntefering, der Sie großen Teilen des Berichtes zugestimmt haben, sollten es als Mitglied des Untersuchungsausschusses besser wissen und in Ihren Zwischenrufen eigentlich etwas bescheidener sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist also richtig, daß Sie hier keinen Redebeitrag leisten. Sprachlos!
— Nein, nein.
Meine Damen und Herren, ein verkürztes Zitat: „Die BGAG hat die Vermögensverlagerungen zu Lasten der Neuen Heimat Hamburg und zugunsten der Neuen Heimat Städtebau gesteuert, Rechtsverstöße initiiert oder geduldet. " Weiteres Zitat:
Metadaten/Kopzeile:
15698 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
GattermannDer Niedergang der Neuen Heimat Hamburg ist nicht allein auf ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und das persönliche Fehlverhalten einzelner Vorstandsmitglieder zurückzuführen.Salopp ausgedrückt: Die Kommandowirtschaft der Gewerkschaften hat versagt.Die Aktualität unserer heutigen Debatte ergibt sich demnach nicht nur aus dem Umstand, daß solche Berichtsfeststellungen erst heute in letzter Konsequenz öffentlich gemacht worden sind. Die Aktualität ergibt sich zusätzlich aus dem Zusammentreffen mit der jetzt weltweiten Erkenntnis, daß Plan-/Kommandowirtschaften nirgendwo auf der Welt andere Ergebnisse zeitigen.
Offensichtlich entwickelt sich strukturell stets ein vergleichbares Dickicht von Bürokratie, Staats- und Gewerkschaftseinfluß, menschlichen Verfehlungen und kriminellen Akten, und dies eben nicht nur in gesamtstaatlichen Zentralwirtschaften, sondern auch dort, wo innerhalb einer relativen Wohnungsmarktwirtschaft — mehr haben wir ja nicht —
Leute mit vergleichbarer Ideologie mit Mitgliedsbeiträgen, Fremdkapital und staatlichen Subventionen wirtschaften, jedenfalls wenn das Ganze eine gewisse Größenordnung erreicht. Auch hier ist der marktwirtschaftliche Preismechanismus weitgehend ausgeschaltet, auch hier führt das zu Überkapazitäten, Fehlbelegungen und Knappheiten zur gleichen Zeit. Wer Privilegien und Vorteile zu vergeben hat,
der bedient sich auch selbst; das ist typisch. Auch hier wird der Wettbewerb weitgehend ausgeschaltet, mit der Folge: Die Anpassungsfähigkeit nimmt Schaden, Reaktionen auf sich ändernde Marktverhältnisse bleiben aus, Konformität und Eintönigkeit ersetzen Vielfalt und Kreativität. Solche Strukturen führen zu überhöhten Preisen, und wieder ist ein Tor für Verfehlungen aufgestoßen, wie sie massenhaft vorgekommen sind.
Meine Damen und Herren, Entscheidungskompetenz und Verantwortung werden vielfach durchbrochen.
Kameraderie und Kumpanei führen zu trickreichen Gesetzesumgehungen und Gesetzesverletzungen und Vertuschungen. Da mag am Anfang der Geschichte guter Wille sein, doch Brecht hat es schon gesagt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. DieIdee des gemeinen Nutzens verkehrt sich in ihr Gegenteil.
Meine Damen und Herren, da mag durch die weiteren ergänzenden Berichte jetzt zusätzlich viel Stoff für juristische Aufarbeitungen sein, doch die vielen Details sind nicht das Entscheidende: wieviel Millionen nun hin- und hergeschoben worden sind, z. B. wenn BfG-Anteile ver- und zurückgekauft wurden, wieviel Geld über Dienstleistungsfirmen, Maklerfirmen, Beraterverträge in die eigene oder Freundestaschen geschoben worden sind, wie hoch der die Grenzen des guten Geschmacks sprengende unappetitliche Repräsentationsaufwand war, usw., usw.Das Entscheidende, das Traurige ist: Das Volk zahlt immer die Zeche: die Mieter, denen die Wohnungen unter den Füßen wegverkauft werden, die Steuerzahler, deren Milliarden Subventionen weitgehend in den Sand gesetzt sind, und die Gewerkschaftsmitglieder, deren Streikgroschen zum Stopfen von Löchern verwendet, um nicht zu sagen: mißbraucht worden sind.Mein Resümee: Sie können es ganz einfach nicht, mögen Sie sich nun Einheitssozialisten oder demokratische Sozialisten nennen und mögen Sie auftreten in welcher Konfiguration auch immer.
Der effiziente Markt mag zwar bei der Verteilung der Güter nicht immer sozial sein, so daß es sozialer Flankierungen bedarf, aber dieser Markt bestraft hart und unerbittlich schnell und spontan diejenigen, die sich gegen die Marktgesetze vergehen, so sie auf eigene Verantwortung und eigenes Risiko arbeiten. Diese Lehre sollten wir aus dieser Debatte mitnehmen, wenn es jetzt darum geht, sich im wachsenden Gesamtdeutschland wieder intensiver um die Wohnungsversorgung zu kümmern.
— Meine Redezeit ist zu Ende. Ich habe das begründet.
Wenn Sie nicht zuhören können, verehrter Kollege Müntefering, dann müssen Sie entweder Nachhilfeunterricht nehmen oder intellektuell zulegen.Danke.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15699
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.
Das Muster wiederholt sich hier; wir hatten das schon heute morgen. Die Tatsache, daß die Planwirtschaft Marke DDR gescheitert ist, verführt Sie jetzt dazu, hemmungslose Anarchie zu propagieren und nur noch den Markt als das Instrument einzuführen, das all die schädlichen Auswirkungen, die es da drüben — zugestandenermaßen — gegeben hat, auffangen kann. Das kann ja wohl nicht die richtige Antwort sein, genausowenig wie die richtige Antwort auf die Tatsache, daß die Neue Heimat eine Mißwirtschaft mit Wohnungen und mit dem Genossenschaftsgedanken getrieben hat, sein kann, daß man darauf die Antwort gibt, die Genossenschaftsidee sei als solche verkehrt.
Herr Funke, Sie haben selber gesagt: Beim Aufbau der Neuen Heimat hat es sogenannte Geburtsfehler gegeben. Es gab in der Tat strukturelle Fehler beim Aufbau dieses Unternehmens. Daraus haben wir als GRÜNE den Schluß gezogen, daß man eine andere Art genossenschaftlicher Wohnungsunternehmen einsetzen und organisieren muß, die zu dem ursprünglichen Genossenschaftsgedanken zurückkehren. Da ist ganz stark die Frage der Demokratisierung und der Mitbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner betont.
Den entsprechenden Gesetzentwurf haben Sie hier heute morgen abgeschmettert. Insofern können Sie nicht sagen, daß man daraus nicht hätte lernen und etwas besseres machen können. Wenn Sie als Instrument gegen die gescheiterte Planwirtschaft in der DDR die radikale Marktwirtschaft
einsetzen wollen und sich nicht überlegen, wie man das Recht der Menschen auf Wohnen sichern kann, nämlich indem man das genossenschaftlich organisiert, dann ist das genauso dürftig wie das ganze Manöver, das Sie mit dieser Aktuellen Stunde heute hier durchzuführen versucht haben.
Das Wort hat die Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin für die heutige Aktuelle Stunde sehr dankbar. Sie war notwendig, um die skandalösen Vorgänge um die Neue Heimat noch etwas näher zu durchleuchten. Es ist wohl leicht nachvollziehbar, warum der ehemalige SPD-Finanzminister Hans Matthöfer im Schulterschluß mit den Gewerkschaften den Geheimbericht des Untersuchungsausschusses „Neue Heimat" unter Verschluß halten wollte. Um so dankbarer bin ich der Frau Bundestagspräsidentin für ihre Entscheidung, ihn zur Veröffentlichung freizugeben.
Der nunmehr freigegebene Geheimbericht belegt in eindeutiger Weise, wie sehr die Gewerkschaften in den Sumpf der Neuen Heimat verstrickt waren.
Er stellt klar, daß der Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft, BGAG, eine entscheidende Mitverantwortung am Niedergang der Neuen Heimat trägt.
— Ich habe trotz meiner vielfältigen Arbeiten, Herr Müntefering, schon noch Zeit, wesentliche Dinge selber durchzulesen.
— Wann ich das tue, ist nicht Ihre Angelegenheit. Das bleibt meinem Zeitplan überlassen.
In diesem Aufsichtsrat saßen z. B. Heinz Vetter, Ernst Breit, Monika Wulf-Mathies und auch Franz Steinkühler. Das sind keine unbedeutenden Leute, sondern es war bzw. ist die Führungsspitze der Gewerkschaften. Es sind Persönlichkeiten, die zwar ständig der sozialen Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft das Wort redeten, aber hier in keiner Weise danach handelten. Da, meine Damen und Herren, bin ich, offen gesagt, mehr als bestürzt über das Ausmaß der Manipulationen.Dem Bericht zufolge fanden Gewinnverschiebungen in Millionenhöhe statt, wurden Rechtsverstöße initiiert und geduldet und wurden die Unternehmensbilanzen frisiert. Niemand sollte künftig mehr behaupten, das sei den Gewerkschaften nicht bekannt gewesen. Schon im offiziellen Bericht wird deutlich, daß die Mieter überhöhte Betriebskosten zahlen mußten und daß das Geld für die Instandhaltung zweckentfremdet wurde. Das heißt: Die Mieter waren und sind die Hauptbetroffenen. Im übrigen wurden auch die Rechte der Arbeitnehmer in den Betriebsräten mit Füßen getreten.Angesichts der engen Verflechtung von Sozialdemokraten und Gewerkschaften können Sie sich,
obwohl Sie bis jetzt meinen, sich aus der Verantwortung dadurch heraushalten zu können, daß Sie sich bis jetzt an der Debatte nicht beteiligt haben, dieser Verantwortung nicht entziehen. Es ist jedenfalls der Gip-
Metadaten/Kopzeile:
15700 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Bundesministerin Frau Hasselfeldtfel der Heuchelei, wenn heute die Gewerkschaften und die SPD der Bundesregierung vorwerfen, sie tue zuwenig für die Wohnungssuchenden und für die Mieter.
Tatsache ist: Noch 1982 sollten laufende Verluste bei der Neuen Heimat durch einen forcierten Verkauf von Wohnungen ausgeglichen werden. Die Mieterinteressen wurden dabei mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil: Der Bericht kam zu dem Ergebnis, daß der Wegfall von Bestimmungen des Mieterschutzes ganz bewußt angestrebt wurde. So berichtete beispielsweise der BGAG-Vorstand über den Wohnungsankauf der Neuen Heimat Nord und das Ziel dieser Maßnahme — ich zitiere — :In kleinen Städten — außer Kiel und Lübeck — ist vorgesehen, die öffentlichen Mittel abzulösen und nach Ablauf der sechsmonatigen Nachfrist die Miete auf das allgemein örtliche Mietniveau anzuheben.Angesichts solcher Äußerungen sollten Gewerkschaften und Sozialdemokraten künftig schweigen,
wenn es um Fragen des Wohnungsmarktes, des Mietrechts und des Mieterschutzes geht.Leider zeigt aber die aktuelle Entwicklung, daß weder Sozialdemokraten noch Gewerkschaften bereit sind, aus diesen unverantwortlichen Machenschaften die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Die Vorgänge um die Neue Heimat Bayern zeigen dies. Offensichtlich wollen sich die Gewerkschaften auch hier, bei der Neuen Heimat Bayern, am liebsten mit einem tiefen Griff in die Staatskasse aus der Verantwortung stehlen. Es ist fast schon unglaublich: Noch 1987 war die BGAG bereit, die Neue Heimat Bayern zum Preis von 320 Millionen DM zu verkaufen. Heute fordert sie einen Kaufpreis von 950 Millionen DM.
Angesichts dieses Sachverhalts brauchen weder die Sozialdemokraten noch die Gewerkschaften von Wohnungsspekulationen anderer zu sprechen. Sie können sich an die eigene Nase fassen.
Wenn Sie es aber schon nicht schaffen, Ihre Genossen vom Verkauf abzubringen, dann treten Sie wenigstens den Spekulationsabsichten entgegen.Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, auffordern: Rufen Sie Ihre Genossen im BGAG-Aufsichtsrat zur Ordnung. — Es kann doch nicht in Ihrem Interesse liegen, auf Kosten der Mieter den Gewerkschaften die Geldschränke zu füllen. — Sie könnten damit einen ganz wichtigen Beitrag leisten, um bei der Neuen Heimat Bayern eine sozialverträgliche Lösung zu finden. Vor allem könnten Sie damit tatsächlich unter Beweis stellen, daß Sieberechtigte Mieterinteressen wirklich ernst nehmen und nicht immer nur davon sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis jetzt zumindest — vielleicht gibt es noch eine bessere Einsicht — beschränken sich die Sozialdemokraten in dieser Debatte auf die berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, und auch nichts reden heute. Das ist auch verständlich; denn das, was die Mitglieder des Untersuchungsausschusses schon wußten, das wir aber auf Antrag der Genossen in den SPD-/DGB-Unternehmen, die das durchsetzten, nicht sagen durften, steht heute schwarz auf weiß da: ungerechtfertigte Beraterverträge zur Beziehungspflege und Selbstbereicherung, Gewährung von Sonderkonditionen an die Organmitglieder für Baubetreuung usw., Veruntreuung der Instandhaltungspauschalen — deswegen sind die Mieter noch heute mit den heruntergewirtschafteten Wohnungen gestraft —, Kumpanei statt Aufsicht in den Aufsichtsräten, Vermögensverschiebungen, Verkauf der Geschäftsanteile für 1 Mark an den berühmten Bäcker Schiesser, was bekanntermaßen im doppelten Sinne des Wortes in die Hosen gegangen ist.Meine Damen und Herren, es ist aber auch nicht verwunderlich, daß die SPD heute schweigt. Hier wird immer darum herumgeredet; nennen wir es doch einmal beim Namen: Wer waren denn damals die entsprechenden Spitzenfunktionäre in den Aufsichtsräten? Das waren DGB-Chef Breit, SPD, heute noch im Amt,
der damalige Vizechef der IG Metall, Steinkühler, SPD, zwischenzeitlich zum Chef befördert,
die ÖTV-Chefin Wulf-Mathies, SPD, weiter im Amt, da haben wir HBV-Chef Volkmar, von der damaligen Postgewerkschaft van Haaren usw., usw. — Es überrascht uns nicht.
— Mich freut es, daß diese Aufzählung heute bei Ihnen wenigstens eine gewisse Regung hervorgerufen hat.Meine Damen und Herren, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat mit seinem Verhalten — das gilt auch für die Leute, die ihn hier jetzt durch Lärmen politisch unterstützen — den politisch-moralischen Mitspracheanspruch im Bereich der Wohnungsversorgung verwirkt. Daß er zuletzt noch massiv öffentlich gedrängt werden mußte, wenigstens einen Teil der finanziellen Leistungen mit zu übernehmen, ändert an dieser Feststellung kein Jota. Es bleibt der Mangel an Einsichtsfähigkeit über die Mitverantwortung der Gewerkschaften und ihrer Beteiligungsgesellschaft.Die Geschäftsführung soll angeblich die Mißwirtschaft und die Vermögensverschiebungen vom gemeinnützigen in den gemeinwirtschaftlichen Bereich und in andere Bereiche alleine betrieben haben. Nein,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15701
Dr.-Ing. Kansymeine Damen und Herren, dies war klassisch praktizierte Kumpanei und roter Filz. Das gilt im Jahre 1990, wo wir den zweiten Teil dieser Enthüllungen jetzt vor uns haben, genauso wie im Jahre 1986.Die Frau Ministerin hat es schon gesagt: Es sind fast frühkapitalistische Methoden, die in München in der Neuen Heimat praktiziert werden. Interessant ist jedoch, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund dort nicht nur plötzlich mit einer Verdreifachung des Wertes von Hannover zum örtlich größten Spekulanten aufläuft, sondern daß sich auch die bayerische SPD dort als Makler einspannen läßt, voran der Münchener OB Kronawitter, der heute kräftig Wahlkampf macht.
— Meine Damen und Herren, immer wenn es bei der SPD etwas lauter wird, dann hat es gesessen. Wenn sie schon nicht reden, dann muß man ein bißchen piken und dann gibt es wenigstens eine Reaktion.
Herr Kronawitter, der noch vor wenigen Monaten das Geschäft — ich zitiere — als „verwerflich" abstempelte, läßt neuerdings keine Gelegenheit aus, die bayerische Staatsregierung und das bayerische Parlament, sprich: den Steuerzahler, zum Kauf zu prügeln, um diese Verschiebung zu machen.Meine Damen und Herren, in Hamburg findet etwas Ähnliches statt. Aus Zeitgründen verzichte ich darauf, etwas aus der „Hamburger Morgenpost" vorzulesen.
In Hamburg gehen die Neue-Heimat-Wohnungen jetzt in Richtung Schweden. Die Himmelsrichtung ist eine andere; das System bleibt.Meine Damen und Herren, solange diese doppelzüngige Moral Flagge zeigt, sollten auch Sie von der SPD dieses Kapitel als nicht abgeschlossen betrachten,
sondern endlich Ihren Beitrag dazu leisten, Grundstückspekulationen, Volksvermögensverschiebungen und ähnliches zu verhindern.Solange Sie, wie heute morgen, einen kleinen Investor, der bereit ist, privates Geld in Wohnungseigentum zu stecken, als Spekulanten abstempeln, sollten Sie hier in solchen Debatten entweder den Mut haben, sich der Diskussion zu stellen, oder in anderen Debatten ebenfalls schweigen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschichte des Neue-Heimat-Skandals in der Behandlung durch dieses Hohe Haus ist eine Geschichte der Aktuellen Stunden, bei denen die Aktualität gelegentlich fehlte. Sie war eine Geschichte des Wahlkampfes. Als die ersten aktuellen Stunden zur Neuen Heimat eingeläutet wurden, da ging es ebenfalls um Wahlkampf und nicht um Wahrheitsfindung.
Herr Kansy, die doppelzüngige Moral sollten wir uns alle unter die eigene Nase halten und nicht immer anderen.
Denn so, wie der Neue-Heimat-Ausschuß gearbeitet hat — das konnte man dem im Ausschußbericht veröffentlichten Strategiepapier entnehmen — , war sogar die Zeitnot des Wahlkampfes für die Berichterstattung eingeplant und gewünscht. An der Geschichte des Neue-Heimat-Ausschusses, kontrastiert mit dem U-Boot-Ausschuß, kann man genau verfolgen, wie einerseits die Eiferer aus Mainz, die Ecos „Im Namen der Rose" entsprungen sein könnten, und andererseits die Wegtaucher aus Marburg, für die es noch kein vergleichbares literarisches Beispiel gibt, einander kontrastieren.In der Tat: Bei der Neuen Heimat ging es darum, Kriminalisierung zu betreiben. Und Sie, unschuldiger Herr Funke, stehen nun in der Tradition Ihrer eigenen Fraktion, die dieses als wichtigste Aufgabe im Wahlkampf gesehen hat.
Sie versuchen es auch diesmal, indem Sie die scheinbare Aktualität der Veröffentlichung eines bisher geheimgehaltenen Berichtes zum Ausgangspunkt dieser Aktuellen Stunde machen. Ich nehme aus dem geheimen Bericht die letzte Seite. Sie ist auch graphisch wunderbar aufbereitet, weil nämlich der Stempel „Geheim" mit dem Stempel „Ungültig" überschriftet worden ist,
und dies auf allen Seiten. Ich nehme den letzten Punkt, 10. Abschnitt: Veröffentlichung. Was steht da:Der Ausschuß hält es für dringend erforderlich, daß auch dieser Bericht mit seinen Feststellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, damit seine Erkenntnisse in dem Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechtes, insbesondere zur zukünftigen unternehmensrechtlichen Ausgestaltung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, berücksichtigt werden können.Na, wie aktuell ist das! Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz ist weg. Die inzwischen stattfindenden Mietsteigerungen lassen sich nicht mehr durch Wohnungsgemeinnützigkeit bremsen. Sie haben das beschlossen!
Metadaten/Kopzeile:
15702 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. SperlingNun können Sie natürlich in vielerlei Hinsicht den Gewerkschaften Vorwürfe machen, daß sie bei der Unternehmensführung der Neuen Heimat in der Tat Fehler begangen haben. Aber ich erinnere daran — das wollten Sie wieder aufwärmen — : Das Stichwort hieß Beziehungsgeflecht. Wie wäre es, Herr Funke, wenn wir uns einmal um Beziehungsgeflechte kümmern würden, die aktueller sind? Wie wäre es mit dem Weinpanscher-Beziehungsgeflecht? Da der Wahlkampf in der DDR eine Rolle spielt, auch in bezug auf Neue Heimat,
wollen wir es gleich anfangen. Wollen wir einmal die Weinpanscherei Pieroth in ihrem Beziehungsgeflecht mit Kohls ehemaliger Staatskanzlei in Mainz in Zusammenhang bringen und danach fragen, wie denn Beziehungsgeflechte heute aussehen, nicht mehr die alten, sondern diejenigen, die jetzt aktuell sind. Vielleicht verdienen die eine Aktuelle Stunde.
Und wer weiß denn, ob nicht bei der Deutschen Genossenschaftsbank ein Beziehungsgeflecht besteht, das eigentlich im Interesse Ihrer Wähler, der kleinen Selbständigen, der Handwerker,
die alle bei den Volksbanken und Raiffeisenkassen sind, deren Vermögen da verschleudert worden ist, durchleuchtet werden sollte. Wie wäre denn das? Wäre das nicht auch schön aktuell?Ich sage Ihnen: Jeder Untersuchungsausschuß, der in einer Wahlkampfatmosphäre zum Zweck des Wahlkampfes gemacht wird, sollte sich nicht die Aura umlegen, gerichtsähnlich zu sein. Der Geheimbericht ist mit Akten erstellt worden, die in der allerletzten Phase, als der Untersuchungsausschuß sozusagen fast schon fertig war und ganz schnell Bericht erstatten mußte, gemacht worden sind, ohne nachher den Betroffenen auch nur die Chance zu geben, darüber zu rechten. Dies ist alles andere als ein gerichtsfähiges Verfahren gewesen. Es war alles andere als objektive Berichterstattung. Herr Funke, ich nehme Ihnen Ihre Unwissenheit gerne ab, die Sie zu Ihrer Rede eingangs veranlaßte. Also sind Sie der Unschuldige in diesem Raum. Aber alle anderen, die mit dem „Neue Heimat"-Ausschuß zu tun hatten, wissen, daß dieser Ausschuß anderen die Verletzung der Sorgfaltspflicht vorgeworfen hat und er selber aus einer ganzen Kette von Sorgfaltspflichtsverletzungen bestanden hat. Das gilt bereits für den Hamburger Untersuchungsausschuß. Das heißt, was da auch immer geschah und was auch mit dem Geheimbericht geschehen ist, es rechtfertigt die kriminalisierenden Vorwürfe nicht, die Sie hier ausgesprochen haben. Unternehmerische Dummheit dürfen Sie den Gewerkschaftern nach meiner Ansicht zu einem guten Teil berechtigt vorwerfen. Ich als Gewerkschaftsmitglied beklage auch, daß meine Gewerkschaften bisher aus der Affäre, aus dem Skandal nicht andere Konsequenzen gezogen haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.
Dies ist eine Sache, die man gewerkschaftsintern macht. Man läßt sich nicht von draußen belehren. Oder wann gehen Sie daran und machen mit dem, was im Wahlkampf rund um Wolfgang Schnur geschehen ist, eine Aufrechnung, wer alles auf welcher Grundlage von Beziehungsgeflechten...
Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihre Redezeit einhalten.
... Ehrenerklärung abgegeben und sie wieder zurückgenommen hat?
Also ziehen Sie hier nicht die falschen . . .
Herr Dr. Sperling, es tut mir leid, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Herr Scheu ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Sperling, der Mitglied des Untersuchungsausschusses war, ist die Fortsetzung des Versuches, den die SPD während seiner gesamten Dauer gemacht hat, Nebelwerfer und Handlanger für den DGB bei der Verschleierung und Vertuschung der rechtswidrigen, kriminellen Praktiken zu spielen. Sie haben gesagt, hier würden Kriminalisierung und Wahlkampf betrieben, aber Sie haben noch ganz andere Dinge ins Spiel gebracht: Pieroth, DG-Bank oder Schnur. Das sind beinahe Stasi-Methoden im Bundestag. So wollen wir nicht verfahren. Beantragen Sie einen Untersuchungsausschuß; dann können Sie darüber reden.Der geheimgehaltene Teil des Berichts bestätigt die wesentlichen Folgerungen des Abschlußberichts über die Unzahl rechtswidriger Schädigungen, die Sie bisher bestritten haben, auch auf seiten der Anteilseigner und die Haftung der Anteilseigner für die Verletzungen der gesellschafterlichen Treuepflicht. Das ist der Teil des Berichts, der durch das Gutachten, das eingeholt wurde, zur Haftung bei derartigen Gesetzesverstößen auch rechtsfortbildend wirkt. Denn vorher glaubte man, dies durch Konzernkonstruktionen zu umgehen. 1982/83, als es kritisch wurde, gab es ein Gutachten. Da hat der DGB sich getäuscht; denn das Recht antwortet auf derartige Praktiken anders, als die Gewerkschaftskollegen es sich vorgestellt hatten.In den Berichten des Aufsichtsrates der BGAG ist wiederholt festgestellt worden, es handele sich bei der Neuen Heimat Städtebau nicht um eine Städtebaugesellschaft, sondern um eine „Grundstücksspekulationsgesellschaft", deren Management mit „Zahlentricks" arbeite. Daß sie „überhöhten" und überbezahlten Personalbestand hatte — eines der Grund-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15703
Scheuprobleme ihrer Unwirtschaftlichkeit — , bestätigte nach den Protokollen Herr Lappas selbst: 1981 bestand je Mitarbeiter der NHS noch ein Abstand von 17 400 DM per annum zur BfG, und da wurde wahrlich nicht zu wenig bezahlt. Dieses überbezahlte Personal wurde natürlich zur NHS abgeschoben; darüber geben die Berichte eindeutig Auskunft.Die Beratungen der BGAG-Aufsichtsräte belegen überhaupt, daß die Konkursreife der NH-Gruppe ihnen schon zu einem Zeitpunkt bewußt war, als der DGB in der Öffentlichkeit entsprechende Andeutungen noch entrüstet als antigewerkschaftliche Stimmungsmache zurückgewiesen hatte. Bereits im September 1982 wurde im Aufsichtsrat der BGAG den Gewerkschaftsbossen mitgeteilt, auch die NHG stecke in solchen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, daß, falls es nicht gelinge, sie durch forcierten Verkauf von Wohnungen zu beseitigen, der Gang zum Vergleichsrichter nicht auszuschließen sei. Das war schon 1982.Im Jahr 1984 war dann auch die Situation bei der BGAG äußerst problematisch geworden. Sie hatte übrigens wunderbarerweise die günstigsten Kredite im Konzernverbund mit 6,9 To Zinsen, während die NHG über 8 % Zinsen zu zahlen hatte. Bis 1984 waren dann aus den Grundstücksverkäufen 2 Milliarden DM realisiert worden. Aber die vollinformierten Aufsichtsräte in der BGAG wußten: die Lage wird immer kritischer.Im März 1985 wird ihnen mitgeteilt, erstmals sei auch das Hausbewirtschaftungsergebnis negativ, und von 1981 bis 1984 wären wohl ohne den Verkauf von Häusern und Gebrauchtwohnungen Verluste von 1,5 Milliarden DM aufgelaufen. In dem Protokoll heißt es: Grundstücksverkäufe allein reichen nicht mehr aus.Mitte 1985 kommt es zu Differenzen mit der NHG- Geschäftsführung, die sich dem Ausverkauf der Gemeinnützigkeit widersetzt, die auf die existenzgefährdende Überschuldung der NH hinwies und auf andere Hilfe hoffte als jene „Bilanzgestaltungsmaßnahmen", mit deren Hilfe es 1984 noch einmal gelungen war, das Testat zu erhalten. Herrn Breits Antwort: Die Anteilseigner können keinerlei Hilfen erwarten.Den Mietern wird Sand in die Augen gestreut, und noch Mitte 1986 wird gesagt, die NHG könne sich aus eigener Kraft helfen. Aber im Herbst 1985 war den Herren im Aufsichtsrat klar: Wenn Gebrauchtwohnungen verkauft werden, um die Zinsen zu zahlen, ist dies sinnlos; das bisherige Konzept ist gescheitert, ist unbrauchbar. Ein weiteres Zitat: Das „Ende der Fahnenstange" ist erreicht.Von diesem Zeitpunkt an enden bezeichnenderweise die gemeinsamen Sitzungen des Aufsichtsrats der NH und des Aufsichtsrats der BGAG, die von 1983 bis Mitte/Herbst 1985 gemeinsam tagten. Abrupt hört diese Gemeinsamkeit auf. Die Verantwortung für die stille Liquidation wird — Zitat — „in die Gremien der Neuen Heimat vertagt". Und ausgerechnet bei dieser Sitzung, bei der es um die Liquidation ging, ließen sich die Kollegin Wulf-Matthies und der Kollege Franz Steinkühler entschuldigen.
Die NH-Beteiligung war dann bereits 1985 — die Öffentlichkeit glaubte noch etwas ganz anderes — vom Anlagevermögen in das Umlaufvermögen übergeführt worden. In den Protokollen heißt es: Mit dem Jahresabschluß zum 31. 12. 1985 war in der Bilanz der VHU mbH nach dem Grundsatz der kaufmännischen Vorsicht Vorsorge getroffen worden, und die Beteiligungsbuchwerte waren bereits bis auf 1 DM abgeschrieben.Daß es anders gekommen ist, daß der DGB Abermilliarden öffentlicher Mittel für die NHG zugewendet erhalten hat und heute wenigstens in gewisser Weise für sein wirtschaftskriminelles Fehlverhalten einzustehen hat, ist ein Sieg der sozialen Gerechtigkeit über diese frühkapitalistische Gewerkschaftsstrategie. So mußte es kommen, wenn zu große Räder gedreht werden. So gemein und so zynisch wie die Gemeinwirtschaft ist bisher noch kein Unternehmen der sozialen Marktwirtschaft mit Mietern umgesprungen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Frau Minister, ich finde es traurig, daß Sie sich zum Handlanger der Bayerischen Staatsregierung gemacht haben, die in den letzten Monaten versucht hat, das Thema Neue Heimat in den Wahlkampf zu ziehen, um aus der Angst und Verunsicherung der Mieter billige Wahlkampfmünze zu schlagen.
Die Bayerische Staatsregierung hat bis Dezember in sachlicher Form mit der BGAG verhandelt. Die Verhandlungen waren sehr weit gediehen. Die sind dann auf Grund der Aufforderung von Staatsminister Stoiber abgebrochen worden, die Gewerkschaften müßten vorgeführt, der gesamte Zorn der Mieter müßte im Kommunalwahlkampf auf die Gewerkschaften gelenkt werden. Ich finde das sehr perfide;
denn es ist klar, daß überall dort, wo die Neue Heimat neue Gesellschafter bekommen hat, in NRW, in Bremen, in Hamburg, die sozialen Rechte der Mieter geschützt worden sind.
Dies wird auch in Bayern der Fall sein. Die BGAG schließt keine Verträge ab, die nicht die Rechte der Mieter absolut sichern.
Das entspricht darüber hinaus auch der Rechtslage. Auch die Bayerische Staatsregierung hat zu früheren Zeiten, als sie noch besonnen verhandelt hat, erklärt, daß die sozialen Rechte der Mieter nicht angetastet würden.Weil Sie von Marktwirtschaft gesprochen haben: Zur Marktwirtschaft gehört auch — das ist ein Konstituens — , daß ein Unternehmen in eine Schieflage kommen kann. Das gilt für gemeinnützige Unterneh-
Metadaten/Kopzeile:
15704 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vahlbergmen, das gilt für private Unternehmen. Das haben wir vielfach erlebt. Entscheidend ist, wie man dann seiner Verantwortung als Eigentümer gerecht wird.
Ich stelle fest, daß die Gewerkschaften Beträge von über 1 Milliarde DM aufgebracht haben, um den Konkurs der Neuen Heimat abzuwenden.
— Über eine Milliarde DM ist aufgewandt worden.Herr Kansy, wenn Sie sagen, die NH Bayern und die BGAG würden nun zum größten Spekulanten in Bayern, dann ist das blanker Unsinn. Wenn Sie die 950 Millionen DM Kaufsumme auf die 30 000 Wohnungen umlegen, kommt ein Betrag von 30 000 DM pro Wohnung heraus. Ich als Münchner muß Ihnen sagen: Ich kaufe sofort eine Wohnung in München für 30 000 DM; nur übersteigt natürlich der Gesamtposten ein wenig meine finanziellen Möglichkeiten.
Im Grunde genommen werden die Wohnungen ausgesprochen preiswert der Bayerischen Staatsregierung angeboten. Auch neutrale Gutachter haben festgestellt, daß dieser Kaufpreis ein vernünftiger ist und es gestattet, das Unternehmen weiterzuführen, soviel Rendite zu erwirtschaften, daß keine Wohnung
— auch unter Einschluß der Zinsen — veräußert werden muß oder die Mieten angehoben werden müssen.Auch der Herr Deimer von Ihrer Partei, Oberbürgermeister von Landshut, hat erklärt, daß das ein vernünftiges Angebot sei, und die Bayerische Staatsregierung aufgefordert, hier zuzugreifen. Es ist sträflich, daß Sie das nicht tun. Ich hoffe, daß nach dem 18. März — es ist ja klargeworden, daß das Ganze auf den bayerischen Wahlkampf bezogen ist — die Vernunft wieder einkehrt und die Verhandlungen in einer ruhigen Form zu einem vernünftigen und für die Mieter akzeptablen Abschluß gebracht werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert. — Einen Moment. Die Frage der Abgabe von Redezeit an eine andere Fraktion ist in diesem Falle eine nicht ganz geklärte; denn es geschieht innerhalb der Koalition.
Ich werde das an richtiger Stelle zum Gegenstand einer Aussprache machen. Aber ich nehme Ihnen nicht die Redemöglichkeit.
Bitte.
Ich bin sehr dankbar. Ich wollte ja auch etwas Nettes, auch zur SPD etwas Nettes sagen. Insbesondere möchte ich sagen: An Herrn Sperlings Äußerungen gefielen ja zwei Punkte: erstens daß er überhaupt damit begonnen hat, sich hier zu der Sache einzulassen, was Sie ursprünglich wohl nicht vorhatten;
und zweitens sein Schlußsatz, in dem er gesagt hat, daß die Gewerkschaften zu seinem Bedauern bis heute nicht die richtigen Konsequenzen aus dem, was hier gewesen ist, gezogen hätten. — Das ist allerdings hochgradig bedauerlich.Und, lieber Herr Vahlberg, es hat ja auch Auswirkungen auf Ihren Redebeitrag gehabt. Sie befinden sich auch im Sog der Kalkulationsmethoden gewerkschaftlicher Art, wenn Sie die eine Milliarde rühmen, die die Gewerkschaft hier nolens volens nachgeschossen hat, ohne die Milliarden zu erwähnen, die von ganz anderen aufgebracht worden sind, und gegen die sich die Milliarde des eigentlich Verantwortlichen kümmerlich ausnimmt. Die Mieter werden hier nämlich zusätzlich zur Kasse gebeten. Die Mieter haben schlechtere Wohnungen gehabt, die Mieter wohnen in Häusern, die nicht so instandgehalten worden sind, wie das der gesetzlich festgelegten Rücklage entsprochen hätte.Inwieweit das Land Nordrhein-Westfalen, inwieweit die Freie und Hansestadt Hamburg und andere Länder, die SPD-regiert sind, in ihren Kaufverträgen, mit denen der Neuen Heimat der Schaden abgenommen worden ist,
ganz still und heimlich über Steuergelder verfügt haben,
das könnte ja den nächsten Untersuchungsausschuß ausmachen. Da kann man uns doch nichts von der einen Milliarde erzählen und all die anderen Milliarden verschweigen. Es wäre ja so schön gewesen, wenn Herr Sperling einmal gesagt hätte, wieviel denn hier nun wirklich über den Deister gegangen ist.
Was ist den verschoben worden? Was ist denn verschleiert worden? Von welcher Kasse ist welches Geld in welche Kasse geflossen oder warum nicht?
Das wäre ja schön gewesen! Aber zu irgendwelchen Fakten ist hier nichts gesagt worden, sondern ganz im Gegenteil: Herr Sperling kommt auf Weinpanschereien zu sprechen, was nun allerdings das äußerste Zeichen dafür ist,
daß Sie von Wohnungen und allem, was damit zusammenhängt, in diesem Zusammenhang nicht gern sprechen mögen.Und Sie haben unseren Kollegen Gattermann herzlich mißverstanden — natürlich sehr bewußt mißver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15705
Kleinert
standen; das kann ich Ihnen auch nicht übelnehmen — oder Sie haben nicht richtig hingehört, als er gesagt hat: Wir machen noch nicht einmal den einzelnen einen Vorwurf — das überlassen wir der Staatsanwaltschaft —,
sondern wir machen dem System einen Vorwurf, dem Sie immer noch anhängen.
Es geht nicht an, außerhalb des Marktes — ohne Eigentum, ohne eigene Verantwortung für Eigentum
mit solchen Gütern wie Mietwohnungen umzugehen. Das ist die Lehre aus dem Skandal Neue Heimat wie aus dem Skandal Co op.
Das ist die Lehre, die Sie nicht wahrhaben wollen und um die Sie herumreden.
Adam Smith hat es schon gesagt: Ich habe noch nie gehört, daß diejenigen, die vorgeben, ihre Geschäfte um des gemeinen Wohls Willen zu betreiben, irgendeinen Nutzen für die Gesellschaft oder für die Volkswirtschaft erbracht hätten.
Das ist hier erneut bewiesen. Aber Sie wollen es nun einmal nicht einsehen, weil Sie unser gesellschaftliches System immer noch nicht verstanden haben. Das ist das Bedauerliche an dieser Affäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Lieber Herr Kleinert, nachdem Sie versucht haben, etwas Nettes zu sagen, womit Sie natürlich gleichzeitig auch etwas weniger Nettes verbinden mußten — sonst hätten Sie hier ja keine fünf Minuten reden können; so viel Nettigkeiten über mich werden Sie nun wirklich nicht verbreiten können — , will ich Ihnen doch sagen, daß Sie einmal den ursprünglichen Bericht — Teil: Minderheitsvotum der SPD — ab Seite 212 lesen sollten,
um sich anzuschauen, in welche wirtschaftliche Situation Sie hineinargumentieren.
Ich möchte Ihnen ebenfalls sagen, daß sich auch kleinere Gesellschaften als die Neue Heimat in ähnlichen Schwierigkeiten befunden haben, darunter eine in Schleswig-Holstein, die, als Herr Stoltenberg dort noch Ministerpräsident war, von ihm sofort aus ihren
Kalamitäten befreit wurde, weil es natürlich anrüchig gewesen wäre, wenn es einer CDU-geführten Gesellschaft — viel kleiner als die Neue Heimat — genauso gegangen wäre.
Die Schwierigkeiten, die die Neue Heimat hatte, waren überdimensional im Vergleich zu denjenigen der anderen Gesellschaften, weil sie selber eine überdimensional Bauland auf Kreditbasis aufkaufende und überdimensional Eigentumswohnungen vorbereitende gewesen ist.
Daher kommen die Milliardenprobleme. Die Substanz ist durch die Machenschaften, welcher Art auch immer, gar nicht verlorengegangen. In diesen Wohnungen wohnen Leute;
die Wohnungen sind da und haben ihren Wert, und zwar auch für die Wohnungsversorgung der Bevölkerung.
Alle anderen Probleme — einschließlich des Verkaufens — die die Neue Heimat ihren Mietern bereitet, haben andere Wohnungsbaugesellschaften
— nicht alle — ihren Mietern und anderen ebenfalls bereiten müssen.
— Lieber Herr Kleinert, nur hat sich nie eine FDP gefunden, die den anderen dies alles in einem Wahlkampf vorwerfen wollte. Das ist der einzige Unterschied.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.Ich rufe nunmehr Punkt 14 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes— Drucksache 11/4909 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 11/6633 —Berichterstatter:Abgeordnete HarriesSchütz Baum Brauer
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
Metadaten/Kopzeile:
15706 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident Cronenbergnes Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes— Drucksache 11/5242 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 11/6633 —Berichterstatter:Abgeordnete HarriesSchütz Baum Brauer
Hierzu liegt Ihnen eine Vielzahl von Änderungs- und Entschließungsanträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN vor, und zwar in den Drucksachen 11/6659, 11/6660, 11/6663 bis 11/6686, 11/6690, 11/6691 und 11/6703.Ich mache darauf aufmerksam, daß zu zwei Änderungsanträgen namentliche Abstimmung verlangt worden ist.Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Wenn das Haus damit einverstanden ist, kann ich das als beschlossen feststellen und die Aussprache eröffnen.Zunächst hat der Abgeordnete Harries das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundes-Immissionsschutzgesetz aus dem Jahre 1974 hat die Grundlage dafür gelegt, daß schädliche Umwelteinwirkungen aus bestimmten Anlagen auf die Menschen und daß Gefahren von Anlagen für die Menschen seitdem erheblich reduziert werden konnten.Die nachfolgenden Novellierungen haben diese Zielrichtung des Gesetzes immer wieder ergänzt, verbessert und erweitert. Bei der zweiten Novellierung aus dem Jahre 1985 wurde § 7 Abs. 3 um eine interessante und wichtige marktwirtschaftliche Lösung erweitert. Damals wurde die Kompensationsmöglichkeit eingeführt.Die jetzt zur abschließenden Entscheidung anstehende dritte Novellierung stärkt die Eigenverantwortung der Betriebe in diesem wichtigen Bereich der Gefahrenabwehr und der Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen. Sie führt insbesondere Sicherheitsprüfungen durch staatliche Behörden ein.Diese vorgesehene dritte Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes haben wir zügig, aber im Detail, wie ich meine, meine Herren Kollegen, fair im Umweltausschuß beraten. Dafür bedanke ich mich. Wir haben über die zahlreichen Änderungsanträge zu den verschiedenen Paragraphen keineswegs im Hauruckverfahren entschieden. Anregungen und Vorschläge der Opposition haben wir geprüft und teilweise aufgegriffen.Ich danke ausdrücklich auch den Mitarbeitern im Bundesumweltministerium für die stets sehr sachgerechte Beratung bei vielen schwierigen Fragen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in den wesentlichen Zielrichtungen und in der Ausgestaltung von uns akzeptiert und begrüßt worden. In wichtigen Passagen jedoch werden von uns Änderungen vorgeschlagen.
Wir wissen, daß die Errichtung und der Betrieb von umweltgefährdenden und gefährlichen Anlagen genehmigungspflichtig sind. Der Staat ist also kontrollierend tätig. Er kann aber keineswegs alleine gewährleisten, daß der Anlagenbetrieb umweltverträglich und ungefährlich ist. Der Staat will sich nun keineswegs aus der Verantwortung zurückziehen. Aber er schaltet die Betreiber als eigenverantwortlich ein. Die rechtliche Voraussetzung wird durch die Novellierung geschaffen. Unter bestimmten Bedingungen kann vom Betreiber verlangt werden, daß er sicherheitstechnische Prüfungen durch Sachverständige durchführt. Der zuständigen Behörde, unterschiedlich in den Ländern ausgestaltet, wird jetzt die Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall vom Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage die Durchführung bestimmter sicherheitstechnischer Prüfungen zu verlangen.Beim Bundesumweltminister wird eine Störfallkommission gebildet. Sie soll Gutachten im Bereich der Anlagensicherheit erstellen. Zusätzlich und daneben wird ein Technischer Ausschuß für Anlagensicherheit beim Bundesumweltminister eingerichtet. Er soll ganz konkret sicherheitstechnische Fragen aufarbeiten, den Minister beraten und sicherheitstechnische Vorschläge machen. Der hierzu von der Opposition im Ausschuß vorgebrachte Hinweis, dadurch würde eine unnötige Doppelarbeit eingeführt, geht unseres Erachtens fehl.Zu den grundsätzlichen Zielen der Novellierung gehört auch, daß für Betriebe, die Anlagen mit einem besonderen Gefahrenpotential vorhalten, die Bestellung eines Störfallbeauftragten vorgeschrieben wird.Eine ganz wichtige Änderung haben wir einvernehmlich im Umweltausschuß beraten. Wir schlagen vor, daß nach der betrieblichen Einstellung die Frist für Haftung nicht kurz ist, nicht nur drei oder fünf Jahre beträgt, sondern daß der verantwortliche Betreiber zehn Jahre lang Anordnungen zur Erfüllung der Betreiberverpflichtungen zu beachten und durchzuführen hat. Wir waren allerdings nicht damit einverstanden, daß, wie von der Opposition beantragt, die Betreiberfirma bereits bei der Genehmigung finanzielle Sicherheitsleistungen in nicht ganz geringer Höhe aufzubringen hat. Das halten wir betriebswirtschaftlich nicht für gerechtfertigt.Die Bearbeitung von Anträgen auf Genehmigung der Errichtung oder Änderung von Anlagen bedarf, wie wir alle wissen, einiger Zeit. Eine sachliche und exakte Prüfung ist das Ziel des ganzen Genehmigungsverfahrens. Wir wissen, daß die Wirtschaft darauf angewiesen ist, im Grund sehr schnell diese Genehmigungen zu erhalten. Hier ist ein echter Prozeß, dem man sich stellen muß: das Anliegen des Antragstellers, des Betreibers, gegen die Pflicht der Behörden zur Prüfung. Wir haben hier aber, wie wir meinen, einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, um im
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15707
HarriesInteresse der Umwelt, aber auch des Genehmigungsverfahrens unter gewissen Voraussetzungen zu einer vorzeitigen Genehmigung zu kommen. Hier ist wichtig, daß diese vorzeitige Genehmigung, die das gesamte Genehmigungsverfahren abkürzen soll, nur auf Risiko des Antragstellers und damit des Betreibers erteilt werden kann.Ich weise auf eine weitere wichtige Änderung hin, die wir im Ausschuß eingebracht haben und heute zur Abstimmung stellen. Bindende Beschlüsse kommen, wie wir wissen, immer mehr und in größerer Zahl aus Brüssel von der EG als Richtlinie für alle europäischen Staaten, die der Gemeinschaft angehören. Wir legen Wert darauf, daß diese Verordnungen, die von der Bundesregierung zu erlassen sind, natürlich im Interesse der Umwelt zügig erlassen werden, daß dies aber nicht am Bundestag vorbei geschieht. Wir haben deswegen vorgeschlagen, daß diese Rechtsverordnungen zur Umsetzung von EG-Recht der Zustimmung des Bundestags bedürfen.Wir begrüßen ausdrücklich weiter, daß aus Gründen des Umwelt- und Verbraucherschutzes im Gesetz jetzt die Möglichkeit eröffnet wird, Kennzeichnungs- und Unterrichtungspflichten für bestimmte ausdrücklich genannte Stoffe einzuführen.Ich sagte eingangs, daß bereits mit der zweiten Novelle das marktwirtschaftliche, neue und interessante Institut der Kompensation eingeführt wurde. Über dieses Rechtsinstitut der Kompensationsmöglichkeit diskutieren wir jetzt noch im Umweltausschuß beim Abwasserabgabengesetz. Wir schlagen vor, es im Bundes-Immissionsschutzgesetz auch zu erweitern und zu verbessern.Mit dieser wichtigen Regelung soll die Möglichkeit geschaffen werden, durch Rechtsverordnung der Bundesregierung eine Kompensation mit den in Nachbarstaaten gelegenen Anlagen zuzulassen. Erreicht werden muß jedoch, daß insgesamt eine weitergehende Minderung von Immissionen erreicht wird. Es wäre schön, wenn auch bei der Opposition die Einsicht da wäre, diese Chance im Interesse der Immissionsminderung ganz generell und allgemein zu nutzen.
Wir erwarten, daß die Regierung im nächsten oder übernächsten Bericht über die Erfahrungen mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz auch hierzu Stellung nimmt, damit wir erfahren, ob und wie diese Kompensationsmöglichkeit genutzt wird.Wir haben uns, wie Sie wissen, mit der Anregung des Bundesrates und der SPD einverstanden erklärt, die generelle Zielrichtung des Gesetzes in § 1 zu erweitern. Bisher sollten Menschen, Tiere, Pflanzen und Sachen vor gefahrbringenden Immissionen geschützt werden. Wir haben das auf Boden, Wasser, Atmosphäre und Kulturgüter erweitert.Wir haben lange über folgenden ganz wichtigen Grundsatz diskutiert. Ich sage hier auch vor Ihnen, daß wir es uns in der CDU/CSU-Fraktion mit dieser neuen Vorschrift, die wir jetzt aber zur Einführung empfehlen, keineswegs leichtgemacht haben. Es handelt sich um die vorgesehene Änderung hinsichtlich der Abgabe entstehender Wärme an Dritte. Das ist ein vernünftiger umweltpolitischer Grundsatz. Dadurch wird im eigenen Betrieb, aber auch ganz generell gespart. Es ist ein im Grunde sehr einsichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Aber die Schwierigkeit liegt — wie immer — im Detail. Das muß man ganz nüchtern sehen. Wir wissen, daß Genehmigungen zügig erteilt werden müssen, und zwar im Interesse des Antragstellers, im Interesse des Betreibers, im Interesse der Umwelt. Es ist zu beobachten und zu kontrollieren, ob die Genehmigungsbehörde zu einer Art Preisbehörde wird — das könnte zu befürchten sein —, die sagt: Ich greife in den Betrieb der abgebenden Firma mit Preisvorstellungen ein.Wir haben deshalb in die Begründung dieses, wie ich meine, richtigen Grundsatzes und richtigen Paragraphen den Begriff der Zumutbarkeit und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit aufgenommen. Wir meinen, daß hiermit der Sache und auch den Interessen des Betreibers gedient ist, aber auch dem wichtigen Grundsatz der Energieeinsparung. Wir sind jedoch der Meinung, daß dies kontrolliert werden muß.Wir nutzen die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes — dies hat offenbar zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf namentliche Abstimmung geführt — dazu, vor dem Hintergrund des Abfallinfarkts folgendes vorzusehen. Dabei geht es nicht um eine theoretische Diskussion, sondern um praktischen Umweltschutz und praktische Wirtschafts- und Industriepolitik. Wir geben nämlich durch die Änderung des § 4 des Abfallgesetzes die Möglichkeit, daß unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Betriebe in vorhandenen Anlagen Abfall entsorgen können. Wir denken dabei an Kraftwerke, wir denken dabei an die Zementindustrie. Das ist genauso wie die Übernahme der Abwärme ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich, meine Damen und Herren von der Opposition, muß grundsätzlich die Frage der Abfallbeseitigung weiterhin diskutiert werden.Das war ein Überblick über die wesentlichen Änderungen, die wir eingebracht haben und die heute zur Abstimmung stehen. Wir empfehlen Ihnen die Annahme dieser Änderungen und insbesondere die Akzeptanz der grundsätzlichen Zielrichtung der dritten Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Schütz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bei der Einbringung der dritten Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erklärt, daß nunmehr mit dem Ausbau dieses Gesetzes zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz ein Schritt zu einer nachhaltigen Verbesserung
Metadaten/Kopzeile:
15708 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Schützdes ordnungsrechtlichen Instrumentariums im Umweltbereich getan werde. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz werde künftig allen Anforderungen an einen vorsorgenden Umweltschutz gerecht. Der Glaube kann zwar Berge versetzen, aber ein unvollständiges Gesetz wird nicht durch eine einfache Erklärung den Anforderungen der Vorsorge gerecht.
Bevor ich aber darauf eingehe, ob und inwieweit diese vollmundigen Erklärungen durch die Ausschußberatung nachträglich von den tönernen Füßen auf einen halbwegs tragfähigen Gesetzesunterbau gestellt worden sind, will ich folgendes betonen. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz ist 1974 als ein erfolgreiches Umweltgesetz der sozialliberalen Koalition, dessen wesentliche Anliegen, Gefahrenabwehr und Vorsorge, auch für diese dritte Novelle bestimmend bleiben, verabschiedet worden. Nach 16 Jahren ist es aber an der Zeit und wegen der im Umweltbereich ständig wachsenden Problemkenntnis auch dringend geboten, die rechtlichen Instrumente schneller weiter zu verbessern. Man hat es auch in den anderen Novellen schon getan. Wir sind uns bei allen Differenzen über das Wie darin einig, daß wir eine umfassende ökologisch orientierte Gesetzgebung auch im Bundes-Immissionsschutzgesetz brauchen, nicht nur ein Anlagensicherheitsgesetz. Dieses brauchen wir zwar auch, aber eben nicht nur.Der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft ist die zentrale Aufgabe mindestens für den Rest dieses Jahrhunderts. Er wird auch beim Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten ein vordringliches Thema sein. Eine gesunde Umwelt ist ein Element unseres Wohlstandes, das nicht nur durch ein verschärftes Ordnungsrecht, sondern auch durch den Einsatz der marktwirtschaftlichen Mechanismen gewährleistet werden muß.
Unter Beachtung dieser Zusammenhänge und der aktuellen Umweltbelastungen reichte die Substanz der Regierungsvorlage einer dritten Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes insgesamt nicht aus. Dies, meine Damen und Herren, ist sowohl durch die über 50 Änderungsanträge im Bundesrat als auch durch die über 70 Änderungsanträge im Ausschuß deutlich geworden. Nur so konnten partielle Verbesserungen erreicht werden. Die ursprüngliche Fassung der dritten Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz beschränkte sich — so wurde es von Ihnen und auch von der Regierung hervorgehoben — im wesentlichen auf den Aspekt der Anlagensicherheit. Es war nicht der große Wurf, der, sachgerecht und den tatsächlichen Problemen eines vorsorgenden Umweltschutzes angemessen, das BImSchG überarbeitete. Eine breitere Anlage der Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz war mehr als erforderlich.
Die entsprechenden Anregungen zu weiteren Novellierungsschritten hätten Sie selber aus dem vierten Immissionsschutzbericht entnehmen können. Aus diesem Bericht ergibt sich, daß die Luftreinhaltebilanz insgesamt mehr als bescheiden ausfällt. Die auf den ersten Blick zum Teil beeindruckenden Prognosen über bis zum Jahre 1995 zu erwartende Reduzierungen von Schadstoffen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch viel zu tun ist. So ist zwar eine deutliche Verminderung bei den SO2-Immissionen festzustellen, die insbesondere auf die Wirkung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zurückzuführen ist und auch einen begrüßenswerten Erfolg darstellt. Die Abnahme dieser Immissionen betrifft aber im wesentlichen nur Belastungsschwerpunkte. Demgegenüber ist die Lage bei den Stickoxiden noch immer bedenklich schlecht. Sie hat sich mehr und mehr verschlechtert, vor allem durch den Kraftfahrzeugverkehr — noch ohne Kat — , aber auch durch die uns bekannten anderen Faktoren. Für den ersten Teil besteht nachhaltig Aussicht auf Änderung, für den zweiten hoffen wir es.Bedacht werden muß, daß es bei der Schadstoffbelastung der Luft auch zunehmend durch Reaktions- und Folgeprodukte von Luftverunreinigungen zu weiteren Umwelt- und Gesundheitsbeeinträchtigungen kommt. Es ist leider zu befürchten, daß die Belastungen für uns und für unsere Umwelt weiter zunehmen. Mehr und mehr wird deutlich, daß es Langzeitanhäufungen und Speicherungen gibt, die durch die bisher betriebene Luftreinhaltung nicht genügend berücksichtigt werden.Diese noch nicht ausreichend abschätzbaren Entwicklungen machen deutlich, daß die Instrumente für Vorsorge und Sanierungsmaßnahmen im Bundes-Immissionsschutzgesetz über das von der Regierungsvorlage vorgegebene Maß hinaus weiterzuentwickeln waren. Hierzu gibt es auch heute noch nachhaltigen Handlungsbedarf. Ich will jetzt auf einige Einzelaspekte eingehen.Auf Grund der über 100 Änderungsanträge im Bundesrat und im Ausschuß ist festzustellen, daß die Chance zu einer Verbesserung der Gefahrenabwehr und der Vorsorge für Menschen, Tiere, Pflanzen und Umwelt zum Teil genutzt werden konnte. Die Vorlage war eben so beschaffen, daß sie nur verbessert werden konnte.Ich will damit aber nicht verhehlen, Herr Harries, daß ich über weite Strecken mit den Ergebnissen der Beratungen und den Reaktionen der Kollegen in den Koalitionsfraktionen einverstanden war. Die gründliche gemeinsame Beratung schafft auch gemeinsame Ergebnisse und Verbesserungen.So ist auch auf Initiative meiner Fraktion — das ist dann auch von anderen aufgegriffen worden — der Zweck des Gesetzes in § 1 auf den Schutz des Bodens, des Wassers, der Atmosphäre sowie der Kultur- und sonstigen Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen erweitert worden.
— Herr Brauer, Sie können sich gleich dazu äußern. Ich meine, er ist erweitert worden. Diese Einschätzung ist genau richtig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15709
SchützDamit wird klargestellt, daß nur der Schutz der gesamten ökologischen Zusammenhänge die vom Bundes-Immissionsschutzgesetz bezweckte Umweltvorsorge ermöglicht. Ich habe eben darauf hingewiesen, daß die Wechselwirkungen in den Umweltbeziehungen beachtet werden müssen, weil uns die isolierte Betrachtung einzelner Faktoren nicht mehr weiterhilft. Es ist gut, daß dieser Ansatz nun auch seinen Niederschlag im Bundes-Immissionsschutzgesetz gefunden hat und daß zumindest wir dies gemeinsam tragen; Sie von den GRÜNEN werden dazu wohl noch einen Antrag stellen.Positiv ist auch die Einbeziehung der Atmosphäre in den Schutzzweck des Gesetzes, weil so auf die Dringlichkeit der Bemühungen zum Schutz der Erdatmosphäre reagiert wird. CO2 kann so als Schadstoff behandelt werden.Grundsätzlich zu begrüßen ist des weiteren, daß auf unsere Initiativen hin im Gesetz eine Regelung zur externen Abwärmenutzung getroffen worden ist. In Zukunft werden genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben sein, daß entstehende Abwärme an Dritte abgegeben oder für Anlagen des Betreibers genutzt werden kann. Dies zielt darauf ab, eine erhebliche Verminderung der Umweltbelastungen aus der Wärmeversorgung von Haushalten und Kleinverbrauchern zu erreichen. Die Erweiterung des Abwärmenutzungsgebots auch im Hinblick auf Dritte wird damit zum Grundstein für eine erhebliche Verminderung der Umweltbelastungen aus der Wärmeversorgung. Ohne diese Erweiterung der Betreiberpflichten ist die in der Toronto-Konferenz geforderte 20prozentige CO2-Verminderung bis zum Jahre 2005 kaum möglich.Es ist gut, daß die Bundesregierung hier ihre formale Gegenposition, die eine Möglichkeit der Regelung dieser Problematik im Immissionsschutzgesetz in Abrede gestellt hat, aufgegeben hat. Gleichwohl wäre es besser gewesen, wenn die Verpflichtung zur externen Wärmenutzung etwas deutlicher zum Tragen gekommen wäre. Die jetzige Fassung bestimmt eine Pflicht zur externen Abwärmenutzung nur dann, wenn der Dritte seine Abnahmebereitschaft erklärt hat. Es wäre besser gewesen, unserem Antrag insofern komplett zu folgen und eine zwingende Pflicht zur externen Wärmenutzung festzulegen, soweit dies nach Art und Standort der Anlage technisch möglich und zumutbar ist.
Das ist ein noch deutlich nachzubessernder Punkt, den wir weiter behandeln werden.Außerdem hoffe ich, daß nunmehr endlich mit einer entsprechenden Rechtsverordnung in diesem Rahmen zu rechnen ist, damit sowohl die interne als auch die externe Abwärmenutzung nicht nur Papiertiger bleiben.Bei der Abwärmenutzung und der Erweiterung des Schutzzwecks sind die Koalitionsfraktionen uns gefolgt. Wir haben umgekehrt dem Zusatzantrag der Koalitionsfraktionen auf Zulassung des vorzeitigen Beginns bei der Änderung von Anlagen zur Verbesserung des Umweltschutzes zugestimmt. Leider haben Sie im Ergebnis aber nicht die Chance ergriffen, eineauf den letzten Stand der erkennbaren Vorsorge ausgerichtete Novellierung mit uns zu beschließen. Wesentliche Änderungsanträge blieben ohne Mehrheit:Erstens. Wir sehen nach wie vor die Einführung des Versagungsermessens als notwendig an. Wir meinen, daß hierbei eine Anpassung an die Regelungen des Atomgesetzes und des Wasserhaushaltsgesetzes vorgenommen werden muß. Angesichts der komplexen Problematik der Luftreinhaltung ist es nicht mehr richtig, den Tatbestand des § 6 des Gesetzes mit einer sogenannten gebundenen Erlaubnis aufrechtzuerhalten. Vielmehr müssen wir vernünftigerweise den Faktor Umwelt so in unsere gesetzgeberischen Überlegungen einbeziehen, daß bei Gefährdung der Umwelt eine Versagung des Genehmigungsantrags möglich wird, manchmal sogar geboten erscheint.
Durch die Einführung eines Versagungsermessens würde deutlich, daß das öffentliche Gut Luft ähnlich wie das Wasser nicht von vornherein der Privatnutzung anheimgegeben ist. Wer das Vorsorgeprinzip konsequent zu einem tragenden Grundsatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ausgestalten will, muß auch an dieser Stelle handeln, meine Damen und Herren!
Durch ein Versagungsermessen wären die ökologischen Zusammenhänge in die planerische Überlegung einzubeziehen; denn bei einer Gefährdung der Umwelt würde eine Versagung des Genehmigungsantrags möglich. Auf diese Weise würde ein rechtlich klar überprüfbarer Ermessensspielraum zugunsten der Umweltfaktoren eingeräumt.
— Meine Stimme ist angegriffen; deswegen muß ich ab und zu etwas trinken.
— Ich hoffe, daß es nicht daran liegt.Wir möchten zweitens, daß die Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren wieder rückgängig gemacht wird. Durch das UVP-Gesetz haben die Koalitionsparteien die Auslegungs- und Einwendungsfrist von zwei Monaten auf einen Monat verkürzt. Dies ist eine nicht hinzunehmende Verkürzung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie richtet sich gegen die zahlreichen Verbände, die überall für den Umweltschutz streiten. Wir wollen ihre Rechte nicht beschneiden.Die bisherige Zwei-Monats-Frist, die wegen des Umfangs und der Komplexität der technischen Antragsunterlagen für eine sinnvolle Bürgerbeteiligung auch sachgerecht ist, hat sich in der Praxis bewährt. Wenn Triebfeder des Handelns sein sollte, daß eine Verkürzung der Dauer des Genehmigungsverfahrens erreicht werden soll, so ist hier der Hebel an der falschen Stelle angesetzt worden. Wer sich bei den Genehmigungsbehörden erkundigt, wird schnell zu der Erkenntnis gelangen, daß Verzögerungen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren in erster Linie infolge der Vorlage unvollständiger An-
Metadaten/Kopzeile:
15710 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Schütztragsunterlagen eintreten. Daneben gibt es dann auch noch Probleme mit der behördeninternen Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich bin mir ziemlich sicher, daß mit dieser Änderung, die ein wenig danach aussieht, daß der Bürger im Genehmigungsverfahren als Störfaktor zu bewerten ist, kein Beschleunigungseffekt erreicht wird. Dies wird den Genehmigungsbehörden vielmehr eine steigende Zahl von Einwendungen bescheren.Dies liegt vor allem auch daran, daß die Bundesregierung die Fristverkürzung vorgenommen hat, ohne zum Ausgleich wenigstens auf das scharfe Schwert der strengen materiellen Präklusion zu verzichten. Derjenige, der nicht binnen eines Monats Einwendungen im Genehmigungsverfahren geltend macht, kann nämlich auch keine Klage mehr gegen das Vorhaben erheben. Bisher war es in der Frist von zwei Monaten leichter möglich, die Chancen der Einwendungen zu prüfen. Die Fristverkürzung wird deshalb eine Flut allein zur Fristwahrung erhobener Einwände provozieren. Das kann eigentlich nicht Ihr Wille sein.Meine Damen und Herren, zum dritten wenden wir uns gegen eine zeitlich und regional unbegrenzte Kompensation von Luftschadstoffen. Der Verzicht auf räumliche und zeitliche Grenzen für die Zulässigkeit von Kompensationen steht nicht im Einklang mit dem Vorsorgegrundsatz. Nach dem Wortlaut der dritten Novelle sind Kompensationen auch über mehrere hundert Kilometer und auf unbegrenzte Zeit möglich. Diese Verrechnung von Immissionsminderungen beispielsweise im Süden der Bundesrepublik mit erhöhten Immissionen im Norden kann nicht hingenommen werden, weil dies sowohl dem Nachbarschutz als auch den Anforderungen des Standes der Technik zuwiderläuft.
Dies gilt insbesondere für NOx, SO2 und auch für toxische Verbindungen.
— Das ist nicht hinnehmbar. Das Gesetz ist an der Stelle tatsächlich verschlimmert worden.Außerdem muß man zu dieser räumlich und zeitlich unbegrenzten Kompensation grundsätzlich feststellen, daß die Bundesregierung das Bundes-Immissionsschutzgesetz an dieser Stelle ändert, ohne überhaupt gesicherte Erkenntnisse über Art und Menge der kompensierten Immissionen nach der alten Gesetzesfassung zu haben. Solange also noch nicht einmal gesicherte Erkenntnisse über die Wirkung der bisherigen Kompensationsmöglichkeit vorliegen, sollte man nicht darangehen, die Standards an dieser Stelle noch weiter herunterzuschrauben.
Es bleibt im übrigen festzuhalten, daß im Rahmen einer ökologischen Partnerschaft zwischen den beiden deutschen Staaten auch über Kompensationen über die Grenze zur DDR nachgedacht werden muß, weil hier eine Kompensation sicherlich besonders effektiv wäre, allerdings auch hier nur in begrenzten räumlichen Bereichen wie z. B. zwischen Buschhaus/Offleben und Harbke, aber eben nicht zwischen Flensburg und Görlitz, um einmal zwei Extreme zu nennen.Natürlich ist der Satz richtig, daß jede für den Umweltschutz in der DDR investierte Mark den doppelten, dreifachen oder einen noch höheren Effizienzgrad bei der Verringerung der Umweltschäden hat, verglichen mit Investitionen bei uns. Deshalb wollen wir dies auch unterstützen und forcieren. Aber diese Erkenntnis kann nicht bedeuten, daß in der Bundesrepublik nichts mehr geschieht und daß die Grundsätze des Nachbarschutzes oder des Standes der Technik reduziert werden. Unter diesen Bedingungen können wir keine Kompensation vornehmen. Bei einer Möglichkeit der Kompensation zwischen räumlich weit auseinanderliegenden Werken wären diese Grundsätze auch gefährdet.Meine Damen und Herren, das waren die wesentlichen drei Punkte, deretwegen die SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der hier vorliegenden Fassung nicht zustimmen kann. Es gibt darüber hinaus weitere Punkte, die ich, ohne ins Detail gehen zu wollen, an dieser Stelle noch kurz erwähnen möchte.So haben wir uns dafür eingesetzt, die Stellung des Betriebsbeauftragten für Immissionsschutz und des Störfallbeauftragten durch Gewährleistung eines Kündigungsschutzes, der dem Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder entspricht, zu stärken und ihnen so die Wahrnehmung ihrer für den vorsorgenden Umweltschutz notwendigen Verpflichtungen im Konfliktfall zu erleichtern.
Darüber hinaus haben wir uns dafür eingesetzt, daß im Rahmen der nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz möglichen Verkehrsbeschränkungen zur Minderung der Schadstoffbelastungen in einer bestimmten Region die Straßenverkehrsbehörden den Kraftfahrzeugverkehr regional müssen beschränken oder verbieten können. Der Gesetzentwurf sieht nur eine unverbindliche Kann-Bestimmung vor. Wir wollen dies zwingend durchsetzen.Der Entschließungsantrag des Umweltausschusses wurde indessen von uns mitgetragen, weil er neben einigen unproblematischen Punkten zwei Prüfaufträge formuliert, die wir entweder selbst gestellt oder unterstützt haben. Es ist darin die Vorlage einer Rechtsverordnung über Anforderungen an Sportstätten, die die Geräuschimmissionen behandeln soll, gefordert. Damit ist jedenfalls eine Änderung im Gesetz vermieden, die andere Maßstäbe für Sportstätten hätte festschreiben können. Gleichzeitig wird aber durch eine Rechtsverordnung eine flexible Gestaltung ermöglicht, die wir mit unseren Sportausschußkollegen noch näher diskutieren wollen.Wichtig erscheint mir aber, den Prüfauftrag zum Problemkreis Bundes-Immissionsschutzgesetz und Abfallbeseitigungsgesetz — Abfallgesetz heißt es jetzt — noch einmal anzusprechen, der jetzt auch von den GRÜNEN einer namentlichen Abstimmung unterzogen wird. Für Abfallentsorgungsanlagen, die einer Genehmigung nach § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bedürfen — also Anlagen der vierten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15711
SchützBundesimmissionsschutzverordnung, Herr Brauer —, wollen auch wir prüfen lassen, inwieweit die bisher parallel laufenden Verfahren des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Abfallgesetzes zusammengeführt werden können. Wir wollen dies natürlich, ohne auch nur ein einziges Recht der Beteiligten zu kürzen, tun, es sei denn, zwei Verfahren mit gleichem Inhalt stünden für doppelte Rechte. Daß das Unsinn ist, liegt auf der Hand. Ich verweigere mich nicht der Einsicht in die Verfahrensökonomie, wenn dadurch Rechte anderer nicht verkürzt werden.
Sie wissen aus meinen bisherigen Anträgen zu Themen wie der Einführung der Verbandsklage, der Einführung des Versagensermessens — was ich gerade gesagt habe — und zur Fristenverlängerung sowie der Einräumung von Informationsrechten, daß ich diese Verkürzung von Rechten nicht zulassen werde. Ich sehe aber nicht ein, Herr Brauer, daß man beim Zusammenstoßen von zwei sich überlappenden Gesetzen nicht prüfen müßte — prüfen müßte — , wo das eine und wo das andere Gesetz anzuwenden ist.
Dies durch einen Prüfauftrag aufzufangen und abzufragen ist, wie alle anderen Länder des Bundesrates es auch gesehen haben, notwendig.Die unterstellte Änderung als bereits getan vorauszusetzen, wie Sie bei den GRÜNEN es tun, erscheint mir unredlich. Die Behauptung, das Planfeststellungsverfahren für Müllverbrennungsanlagen falle weg, ist falsch. Genauso falsch ist, daß der Bau von Müllverbrennungsanlagen nicht mehr an Bedarfsnachweise gebunden sei. Das wird im Genehmigungsverfahren gemacht. Wer so wie Sie den Prüfauftrag mißverstehen will — Herr Brauer, hören Sie gut zu —, ohne sich die Art der Anlagen anzusehen — Müllverbrennungsanlagen nach dem Abfallgesetz sind selbstverständlich nicht betroffen — , wer das Ergebnis schon unterstellt, handelt nicht seriös.Den zweiten Antrag der GRÜNEN zum Koalitionsantrag, der das BImSchG bereits jetzt ändern will, unterstützen wir, aber nicht, weil Ihre gesamte Argumentation richtig ist, sondern weil wir nicht einen Prüfauftrag erteilen, gleichzeitig aber, ohne das Ergebnis abzuwarten, einen Teilbereich schon abschließend regeln wollen. Auch dieses Vorgehen erscheint uns nicht seriös.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal feststellen, daß die Ausschußberatungen konstruktiv gewesen sind und auch einige anerkennungswerte Verbesserungen des ursprünglichen Gesetzentwurfes bewirkt haben. Insofern sind wir gemeinsam einen Schritt auf dem Weg zu einer effektiven Luftreinhaltung vorangekommen. Die SPD hätte sich gewünscht, daß die von mir als wesentlich hervorgehobenen Punkte ebenfalls noch Eingang in die Novellierung gefunden hätten. Es bleibt deshalb noch einiges zu tun. Wir werden das nach den Prüfaufträgen vielleicht noch einmal beraten müssen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte hier nicht in den Geruch eines Falschmünzers kommen. Ich bin nicht Berichterstatter für die FDP für das vorliegende Gesetz; aber Kollege Baum ist leider heute verhindert. Also übernehme ich es, die Sachen, die die FDP dazu zu sagen hat, zu Protokoll zu geben.Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf hatte zum Ziel, Konsequenzen aus Störfallereignissen, aus bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung des in der letzten Legislaturperiode geänderten Gesetzes, dem EG-Recht und internationalen Vereinbarungen, der Entwicklung der Luftsituation und neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen. Die Novelle zielt u. a. auf die Verbesserung der Sicherheit von genehmigungsbedürftigen Anlagen und Schutz vor Gefahren durch stillgelegte Anlagen.Der Regierungsentwurf ist in einer Reihe von Punkten verbessert worden. Wir haben wichtige Forderungen des Bundesrates wie etwa Gebot zur externen Abwärmenutzung aufgenommen. Wir haben es aber nicht bei der Übernahme wichtiger Bundesratsvorschläge belassen, sondern sind in einer Reihe von Punkten darüber hinausgegangen. Ausdrücklich aufgenommen in den Schutzzweck des Gesetzes haben wir Boden, Wasser, Atmosphäre und Kulturgüter. Der Schutzzweck des Gesetzes umfaßt also künftig den Menschen und seine gesamte Umwelt.Eine aus FDP-Sicht besonders wichtige und grundlegende Verbesserung des Gesetzentwurfes stellt die Aufnahme des Gebots zur externen Abwärmenutzung dar. Die Pflicht zur innerbetrieblichen Nutzung anfallender Wärme wird künftig auf die Abgabe ungenutzter Wärme an Dritte, die zur Abnahme bereit sind, ausgedehnt.Die zur Anwendung notwendige Rechtsverordnung ist möglichst rasch vorzulegen; denn durch diese Gesetzesänderung kann die Immissionssituation ganz entscheidend verbessert werden. Ich appelliere daher an den Bundesumweltminister, die notwendige Rechtsverordnung zu dieser neuen Vorschrift rasch vorzulegen, damit technisch und wirtschaftlich mögliche Abwärmenutzungen durch Dritte vorgenommen werden.Das marktwirtschaftliche Instrument der Kompensationsregelung des § 7 haben wir flexibler gestaltet und weiter gestärkt. Ich hoffe, daß es nun in der Praxis die notwendige Bedeutung erlangt. Besonders wichtig ist, daß in diese Kompensationsregelung die DDR einbezogen ist. Voraussetzung hierfür ist eine zwischenstaatliche Vereinbarung, in der wichtige Rahmenbedingungen wie etwa Sicherstellung einer wirksamen Überwachung, Übermittlung der Emissionsdaten der zu sanierenden Anlagen und Festlegung von Gebieten und Anlagearten festzulegen sind, in denen bzw. bei denen die Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen.
Metadaten/Kopzeile:
15712 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Dr. SegallEine wichtige Rolle in der Praxis bei der Anwendung unseres Immissionsschutzrechts kommt der Durchführung der Genehmigungsverfahren zu. Die viel zu lange Dauer vieler Genehmigungsverfahren wird beklagt. Zuletzt haben wir dies vor allem auch im Zusammenhang mit den zusätzlichen Erfordernissen auf Grund des UVP-Verfahrens eingehend erörtert. Es gab hier sehr weitgehende Vorschläge bis hin zum Vorschlag für ein Anzeigeverfahren, um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Wir haben uns nach langer Diskussion dafür entschieden, eine Regelung aufzunehmen, die den vorzeitigen Beginn eines Vorhabens nur bei Änderungsgenehmigungen zuläßt, wenn wegen der zu erwartenden Verbesserung des Schutzes der Umwelt ein öffentliches Interesse besteht und mit einer positiven Entscheidung gerechnet werden kann und wenn sich der Träger des Vorhabens verpflichtet, eventuell verursachte Schäden zu ersetzen und bei Nichtgenehmigung den früheren Zustand wiederherzustellen. Es handelt sich ausdrücklich um eine vorläufige, die endgültige Zulassung des Vorhabens weder vorwegnehmende noch ersetzende Regelung.Ich begrüße, daß die SPD bei der Abstimmung im Ausschuß dieser wichtigen Regelung zugestimmt hat. Ich hoffe, daß künftig Investitionen, die der Umwelt und damit allen zugute kommen, schneller als bisher getätigt werden können.Gleiches erwarte ich von der Regelung über die Beschleunigung der Zulassungsverfahren für Abfallverbrennungsanlagen und die Nutzung vorhandener Verbrennungskapazitäten in anderen geeigneten Anlagen. Die notstandsähnliche Situation, die durch die Entwicklung in der DDR einer breiten Öffentlichkeit besonders kraß deutlich geworden ist, erfordert die zügige Schaffung neuer Abfallbehandlungsanlagen und Nutzung vorhandener Möglichkeiten zur umweltfreundlichen Abfallbehandlung. Die vorgeschlagene Gesetzesneuregelung soll dem Rechnung tragen, selbstverständlich ohne Verzicht auf die unverzichtbaren Kontrollen des Abfalls und der Abfallströme.Für die nichtgenehmigungsbedürftigen Anlagen haben wir im Gesetzentwurf ausdrücklich das Vorsorgeprinzip festgelegt. Die bisher jedenfalls in der Literatur umstrittene Auffassung, ob das Vorsorgeprinzip auch ohne ausdrückliche Erwähnung für nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen gilt, ist damit zugunsten des Vorsorgeprinzips eindeutig geklärt. Auch dies entspricht einer Forderung des Bundesrats und der weit überwiegenden Mehrheit der angehörten Sachverständigen.Ein ausdrücklicher Wunsch der FDP wurde in § 48 a berücksichtigt, nämlich daß bei der Umsetzung von Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft durch Rechtsverordnungen der Bundestag in Form des Zustimmungserfordernisses zu beteiligen ist. Im Hinblick auf die immer größer werdende Bedeutung des EG-Rechts und seiner Umsetzung in innerstaatliches Recht, gerade vor dem Hintergrund des vorgesehenen EG-Binnenmarktes, erscheint es unverzichtbar, daß sich der Bundestag stärker als bisher mit dem Gemeinschaftsrecht und seiner Erfüllung befaßt. Solange nämlich die parlamentarische Kontrolle in Europa noch mangelhaft ist, müssen wir auf diesem Recht bestehen. Die Debatte gestern zu der Demokratisierung in der EG hat noch einmal deutlich gemacht, wo hier noch riesengroße Defizite sind.Der Gesetzentwurf enthält weitere Punkte, in denen wir wichtige Fortschritte erwarten wie insbesondere: mit größerer Verbindlichkeit ausgestattete Luftreinhaltepläne, Lärmminderungspläne, Möglichkeit regionaler Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zur Reduzierung von Schadstoffbelastungen, Betreiberpflichten nach Einstellung des Anlagenbetriebes, die wir auf den Zeitraum von zehn Jahren verlängert haben. Weitere Fortschritte erwarten wir davon, daß zunehmend von den §§. 26 bis 31 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Gebrauch gemacht wird, nämlich bei genehmigungsbedürftigen Anlagen den Anschluß an ein Fernüberwachungssystem anzuordnen und die Meßdaten an die Emissionsschutzbehörde zu übertragen. Durch wirksame Emissionsüberwachungen werden Behörden und Parlamente wichtige Kriterien für notwendige weitere Entscheidungen an die Hand gegeben. Auf der Grundlage des vom Bundesumweltministeriums in der nächsten Legislaturperiode zu gebenden Berichts werden wir dann zu entscheiden haben, ob insoweit stärkere Pflichten auch gesetzgeberisch festgelegt werden müssen.Auch das Thema Sport und Umwelt wurde im Umweltausschuß und im Sportausschuß, wie Herr Baum berichtet hat, ausgiebig diskutiert. Wie von den meisten Sachverständigen in der Anhörung gefordert, wurde auf eine gesetzliche Regelung im Bundes-Immissionsschutzgesetz verzichtet. Vielmehr soll auf der Grundlage des § 23 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes baldmöglichst eine Rechtsverordnung über Anforderungen an Sportstätten in bezug auf Geräuschemissionen erarbeitet werden. Den Sportplatz an der Ecke muß es auch künftig geben.
Jetzt hätte ich noch eine Sache, die ich erwähnen möchte. Wir haben von den GRÜNEN jetzt wieder 40 Änderungsanträge vorliegen. Welche Umweltzerstörung bei diesem Papierbedarf entstanden ist, das kann sich jeder selber ausrechnen.
Das erinnert mich fast an die Zeiten in der letzten Legislaturperiode mit dem Bundes-Verkehrswegeplan. Sie haben nichts dazugelernt.
Sie melden sich zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Brauer. Bitte sehr.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Nach § 42 unserer Geschäftsordnung beantrage ich die Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung. Herr Schütz hat in seiner Rede ganz treffend davon gesprochen, daß die Novellie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15713
Brauerrung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ein wichtiger Pfeiler der Umweltschutzgesetzgebung ist und daß sie allen Anforderungen des Umweltschutzes gerecht werden soll. Ich halte das für einen ausreichenden Grund, daß deswegen jemand von der Regierung jetzt kommt.
Ich mache Sie zunächst einmal darauf aufmerksam, daß, wenn Sie Ihren geschäftsordnungsmäßigen Antrag zur Abstimmung gestellt wissen wollen, Sie zumindest benennen müssen, welches Mitglied der Bundesregierung gemeint ist. So ist es geschäftsordnungsmäßig nicht haltbar, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident, ich glaube, es war deutlich, daß der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit verlangt wird.
Der Minister ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. — Bitte sehr.
Der zuständige Bundesminister ist — das wissen alle, die gestern im entsprechenden Ausschuß waren — zu einer wichtigen Angelegenheit in der DDR und kann deshalb nicht herbeizitiert werden
und ist durch den Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Es handelt sich dabei um kein Wahlkampfthema.
Das befreit mich allerdings nicht von der Pflicht, über den Antrag abstimmen zu lassen, wenn keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag vorliegen. — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Abgeordneten Brauer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Antrag abgelehnt.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Brauer das Wort zur Sache.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Abgase und eine verschwenderische Energieproduktion verschmutzen die Luft, lassen Wälder sterben, zerreißen den schützenden erdumspannenden Schleier aus Ozon und lassen das Klima kollabieren. Dies ist für den Fortbestand der Menschheit die größte unmittelbare Gefahr. Veränderungen von apokalyptischem Ausmaß stehen bevor.Noch ließe sich der Zug bremsen, wäre nur der Wille der regierenden Politiker zu den als sachlich notwendig erkannten Veränderungen wie hier beim Bundes-Immissionsschutzgesetz vorhanden und wäre der Umweltminister nicht so inkompetent, dies auch in der Regierung durchzusetzen.Die Bundesregierung hatte mit der Novellierung die Chance zu einer grundlegenden Neuorientierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, welche die Schwächen des bisherigen Gesetzes beseitigt. Aber diese Chance auf einen entscheidenden Durchbruchder Luftreinhaltepolitik wurde kläglich vertan; denn Sie wollen an den Grundschwächen des Gesetzes nicht rütteln.Das Gesetz garantiert weiterhin das verbriefte Recht auf kostenlose Luftverschmutzung. Betriebe erhalten nach wie vor eine Genehmigung für die Ewigkeit. Das Gesetz führt zu sektoralem Umweltschutz, weil es sich auf die bloße Begrenzung der Immissionen beschränkt. Die Abwärmenutzungspflicht — wir haben es gehört — ist unverbindlich. Luftschadstoffe sollen in Zukunft wie auf dem freien Markt zwischen München und Hamburg gehandelt werden. Bei der Ankündigung der Gesetzesnovellierung ist die Kleinkariertheit von Umweltminister Töpfer selbst zugegeben worden, indem der Entwurf als Anlagensicherheitsgesetz gepriesen wurde. Mehr ist in der Tat nicht daraus geworden.Wir GRÜNEN haben deshalb einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Aus der Fülle unserer Novellierungsvorschläge kann ich nur einige wichtige herausgreifen.Für industrielle Anlagen ist eine befristete Genehmigung und ein Versagensermessen vorgesehen. Wie jedes Auto, das alle zwei Jahre zum TÜV muß, sollten auch industrielle Anlagen eine auf sieben Jahre befristete Genehmigung erhalten. Die Öffentlichkeitsbeteiligung muß wesentlich erweitert werden. Nach wie vor haben Nachbarn eines Betriebes nicht das Recht, zu erfahren, durch welche Gifte sie geschädigt werden.Dagegen hat die Bundesregierung die bisherige Gesetzeslage deutlich verschlechtert, indem sie beim Genehmigungsverfahren die Einsichtsfrist verkürzte. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kompensationsregelungen sind von den meisten Fachleuten und vom Bundesrat als untauglich zurückgewiesen worden. Wir schlagen Immissionsabgaberegelungen vor, die wesentlich besser wirken als das Handeln mit Schadstoffimmissionen.
Grundsätzlich soll die Rechtsstellung des Schutzgutes Umwelt in § 1 verbessert werden. Unter den Schutzzweck des Gesetzes sollen künftig auch Ökosysteme sowie die Atmosphäre fallen.Eine Anmerkung zum letzten Punkt. Wir freuen uns, daß die Koalitionsfraktionen unseren Vorschlag in modifizierter Form aufgegriffen haben, so daß er Bestandteil der Gesetzesnovelle wird. Als dreist muß der Gedankendiebstahl der SPD — wie es hier Herr Schütz getan hat — bezeichnet werden, die unseren Vorschlag zunächst abgekupfert hat und ihn jetzt in Presseerklärungen lauthals als den eigenen ausgibt. Allein am Datum der Vorlagen kann man das deutlich ablesen.Offenbar überläßt die Regierung seit neuestem ihren Koalitionsfraktionen die Schmutzarbeit bei Gesetzesnovellierungen. Diese werden dann so geschickt in letzter Minute eingebracht, daß sich kaum öffentlicher Widerstand dagegen regen kann.Nur so ist es zu verstehen, daß von CDU, CSU und FDP letzte Woche im Umweltausschuß als Tischvorlage ein Zusatzartikel zum Bundes-Immissionsschutz-
Metadaten/Kopzeile:
15714 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
BrauerBesetz serviert wurde, der einen tiefen Eingriff in das Abfallrecht bedeutet. Mit dieser Änderung soll so schnell wie möglich die Verbrennung von Sondermüll auch in Kraftwerken, Zementöfen, Kupferhütten, Verschwelanlagen, Stahlwerken und dergleichen ermöglicht werden. Notstandsähnliche Engpässe bei der Abfallentsorgung in der BRD, insbesondere im Sonderabfallbereich, machen nach Meinung der Koalition sofortiges Handeln erforderlich.Dadurch wird sich der Sondermüll-, aber auch die Hausmüllentsorgung schlagartig verändern. In Zukunft kann in jedem Kohlekraftwerk Haus- und Giftmüll zugefeuert werden.
Die Besitzer von genehmigten Öfen werden quer durch die Republik Müll akquirieren, weil damit mehr Geld zu verdienen ist. Die Preise für die Sondermüllverbrennung, die derzeit je nach Stoff zwischen 500 und 4 000 DM pro Tonne liegen, versprechen ein lukratives Geschäft.Nicht mehr Vermeidung, Verminderung und stoffliche Verwertung von Müll sind damit Ziel einer vorausschauenden Abfallpolitik, sondern das bedingungslose Ex und Hopp. Nicht mehr nur die großen Anlagebauer dürfen an der Müllverbrennung verdienen, sondern jede Klitsche, so sie über eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung verfügt.Aber nicht nur die Koalition kapituliert vor der Wegwerfgesellschaft. Offenbar kommt der Wille zur Aufweichung des Abfallgesetzes bei der Müllverbrennung auch von den SPD-Ländern.
— Hören Sie zu! — Anders ist nicht zu verstehen, daß die SPD den Antrag gestellt hat — Sie müssen das bagatellisieren — , Müllverbrennungsanlagen aus den strengeren Regelungen des Abfallgesetzes herauszunehmen und dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu unterstellen.Dies hat einschneidende Nachteile im Bereich der Abfallwirtschaft zur Folge : Das Planfeststellungsverfahren für Müllverbrennungsanlagen fällt weg. Es braucht kein Abfallwirtschaftskonzept mehr vorgelegt zu werden. Der Bau von Müllverbrennungsanlagen ist nicht mehr an einen Bedarfsnachweis gebunden. Die Genehmigungsverfahren sollen durch Verfahrenserleichterungen beschleunigt werden. Bestehende Einspruchsmöglichkeiten von betroffenen Anwohnern, Kommunen und Umweltverbänden können dadurch eingeschränkt werden.Dieser Vorschlag ist zwar zunächst in einen Prüfauftrag an die Bundesregierung verpackt worden; da ihm jedoch auch die anderen Fraktionen mit Ausnahme der GRÜNEN zugestimmt haben, kann sich jeder den Ausgang der Prüfung ausdenken. Hier wird die Axt an wesentliche Teile des Umweltrechts gelegt. Wir beantragen daher Abstimmung über die beiden entsprechenden Änderungsanträge.Nun lassen Sie mich den Bogen zum Anfang spannen. Ich bin sicher: Angesichts der globalen ökologischen Katastrophen wird eine weitere Revolution folgen. Bei der derzeitigen werden die östlichen Staaten radikal umgekrempelt; die nächste wird in den Industrienationen stattfinden, um den ökologischen Umbau zu erzwingen.Gelänge es, die inkompetenten und innovationsunwilligen Blockierer von den Ministersesseln zu fegen, wäre ein Schritt zur Rettung des blauen Planeten getan.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Gröbl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brauer, Ihre Polemik gegenüber dem Bundesumweltminister und gegenüber unserem Gesetzentwurf geht, glaube ich, ebensosehr an der Sache vorbei wie die Forderung in Ihrem Gesetzentwurf nach NullEmissionen. Sie wissen genau: Bei jedem Verbrennungsprozeß gibt es — wenigstens in Minimalmengen — kanzerogene Stoffe. Das heißt, Sie müßten jeden Ofen abschalten, Sie müßten jede Heizung abschalten, und das würde bedeuten: zurück auf die Bäume.
Das können Sie uns nicht zumuten; diesen Weg sollten Sie alleine gehen.Schwerpunkt dieser Novelle ist der Ausbau des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz. Die Novellierung ist ein wichtiger Eckpfeiler der Entwicklung einer neuen Sicherheitskultur in unserer Industriegesellschaft, einer Sicherheitskultur, die nicht nur die Fehlerhaftigkeit der Technik bedenkt, sondern auch den Irrtum des Menschen, einer Sicherheitskultur, die auf mehrfache voneinander unabhängige technische und organisatorische Sicherheitssysteme setzt.Neben der Novellierung dieses Gesetzes sind weitere wichtige Maßnahmen bereits abgeschlossen oder auf den Weg gebracht. Ich nenne einige: Die neugefaßte, erheblich erweiterte Störfallverordnung trat bereits zum 1. September 1988 in Kraft. Mit der Novelle des Chemikaliengesetzes werden ab 1. August erheblich verschärfte Anforderungen an Herstellung und Umgang mit gefährlichen Stoffen gelten. Das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, nach dem die möglichen Umweltauswirkungen komplexer Anlagen ermittelt und die daraus notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen, ist verkündet. Die Novelle zum Abwasserabgabengesetz befindet sich in der parlamentarischen Beratung. Eine Technische Anleitung Abfall wird zur Zeit erarbeitet. Die TA Sonderabfall Teil I hat das Kabinett gestern verabschiedet. Das Umwelthaftungsgesetz, das wichtige ökonomische
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15715
Parl. Staatssekretär GröblImpulse zu mehr Verantwortung beim Betrieb von Anlagen auslöst, ist auf den Weg gebracht.Unsere Sicherheitskultur umfaßt somit die Sicherheit von Produktionsanlagen ebenso wie den verantwortungsbewußten Umgang und die Herstellung von umweltgefährdenden Stoffen sowie den umweltgerechten Umgang mit Abwässern und Abfällen.Diese Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz ist im Bundestag eingehend und, wie ich meine, gut beraten worden. Der Beschlußvorschlag des federführenden Ausschusses bestätigt den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Darüber hinaus enthält er Regelungen, die die Aktualität des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weiter erhöhen. Ich möchte mich auf einige Schwerpunkte beschränken.Der Umweltausschuß schlägt vor, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre und die Kulturgüter ausdrücklich in den Schutzgüterkreis des Gesetzes aufzunehmen.Ferner soll das System der Prüfung und Überwachung von Industrieanlagen, das Herzstück der Novelle, wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, in wesentlichen Teilen ergänzt und konkretisiert werden. Kollege Harries hat darauf schon ausführlich hingewiesen.In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen mitteilen, daß das Sicherheitsprofil all dieser Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und seiner Durchführungsverordnungen ein wichtiges Thema bei unseren Gesprächen mit dem Umweltministerium der DDR sein wird mit dem Ziel, entsprechende Regelungen auch in der DDR einzuführen.Dringender Handlungsbedarf ist gegeben, wovon sich jeder bei einem Besuch in Buna, Bitterfeld, Espenhain oder andernorts überzeugen kann. Wenn Umweltminister Professor Töpfer heute in Espenhain ist, dann erfüllt er dort einen Auftrag dieses Hohen Hauses und trägt mit dazu bei, Umweltverbesserungen in Deutschland zu erreichen.
Erhebliche Gefahren drohen auch von stillgelegten Industrieanlagen. Die Vergangenheit hat dies immer wieder gezeigt. Menschen kamen zu Schaden; Böden und Gewässer wurden erheblich verunreinigt.Wir treffen auch hier Vorsorge. Die Verantwortung des Anlagenbetreibers soll daher nicht mit der Einstellung des Betriebes enden. Der Betreiber muß vielmehr auch nach Betriebseinstellung für den umweltverträglichen Zustand seiner Anlage Sorge tragen.Das Abwärmenutzungsgebot für die Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen wird erweitert. Wir erwarten davon auch einen Beitrag zur CO2-Reduzierung.Frau Segall, Sie haben dieses Thema angesprochen. Die Arbeiten an der diesbezüglichen Rechtsverordnung sind in unserem Hause selbstverständlich aufgenommen worden. Die Rechtsmaterie ist ausgesprochen schwierig und auch neu. Wir bemühen uns, diese Arbeiten so schnell wie möglich zu Ende zu bringen.Das Immissionsschutzrecht ist im wesentlichen Ordnungsrecht, meine Damen und Herren. Es enthält einen klaren Katalog von Geboten und Verboten, und das ist auch richtig so. Wenn es darum geht, akute Gefahren abzuwehren, muß ein vollziehbares Instrumentarium vorhanden sein, dem verbindliche Grenzwerte und Handlungsanweisungen zugrunde liegen.Darüber hinaus kann aber auch im Immissionsschutzrecht der Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente zu einem Mehr an Umweltschutz führen.Bei der Kompensationsregelung, Herr Kollege Schütz, ist es unser Ziel, hierdurch die Gesamtemissionen neuer Anlagen stärker zu reduzieren, als dies bei Auflagen gegenüber dem einzelnen Anlagenbetreiber möglich wäre.Der SPD-Antrag will den alten Zustand wiederherstellen. Wir wissen, daß diese rechtlichen Bedingungen Kompensationslösungen im umweltpolitisch erwünschten Umfang nicht hervorgebracht haben.Herr Schütz, Sie haben davon gesprochen, daß wir marktwirtschaftliche Gesichtspunkte stärker in unsere Umweltpolitik einführen müssen.Mit Ihrem Antrag verbauen Sie es sich geradezu, eine solche Möglichkeit in diesem Gesetz unterzubringen.Nach dem Beschlußvorschlag soll die Möglichkeit zur Kompensation künftig auch mit Nachbarstaaten bestehen. Ich denke hierbei ganz besonders an die DDR, solange sie noch Nachbarstaat ist. Die Kompensation, Herr Schütz, innerstaatlich oder auch über Grenzen hinweg, könnte vor allem für den Großraum Berlin von wesentlicher Bedeutung sein.
Entschuldigung, Herr Staatssekretär, wenn ich Sie unterbreche. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie eindringlich bitten, ein Minimum an Ruhe herzustellen, damit der Redner seine Ausführungen beenden kann. Ich weiß, daß das immer wieder vergeblich ist. Aber ich will es trotzdem noch einmal versuchen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Noch dazu, Herr Präsident, wo doch alle gekommen sind, um meine Rede zu hören.
Ihr Wort in der Abgeordneten Ohr.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Aus Gründen des Umwelt- und Verbraucherschutzes sollen in Rechtsverordnungen Kennzeichnungs- und Unterrichtungspflichten über die Beschaffung von Brenn-, Treib- und Schmierstoffen vorgeschrieben werden können. Auch diese Regelung ist ökonomisch geprägt. Ich gehe davon aus, daß sich dadurch auf dem Markt diejenigen Produkte durchsetzen, die die Umwelt am wenigsten belasten.
Metadaten/Kopzeile:
15716 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Parl. Staatssekretär GröblDas Thema gebietsbezogener Immissionsschutz, insbesondere die Luftreinhalteplanung, könnte besondere Aktualität erhalten, wenn es als Modell für planerische Maßnahmen in der DDR Verwendung findet. Denn bei der immensen Luftverunreinigung dort ist ein Konzept nötig, das Ziele und Maßnahmen nennt, das Handlungsanweisungen enthält und das Prioritäten festlegt. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz bietet das geeignete Instrumentarium für die Entwicklung und die Durchführung eines solchen Konzepts.Im Beschlußvorschlag ist auch vorgesehen, den § 4 des Abfallgesetzes zu ändern. Ziel der Änderung ist es, Verbrennungskapazitäten in hierfür geeigneten, nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigten Anlagen in umweltverträglicher Weise nutzen zu können.
Dies, Herr Schäfer, geht allerdings nur, wenn das Genehmigungsverfahren eine Öffentlichkeitsbeteilung enthält. Mit der Änderung des Abfallgesetzes sind also keinerlei Abstriche an der Öffentlichkeitsbeteiligung verbunden. Diese Änderung des Abfallgesetzes ist zweifellos sehr wichtig. Wir haben zum Teil bereits notstandsähnliche Engpässe in der Abfallentsorgung, und hiermit könnte etwas Luft geschaffen werden. Auch hier könnte ich das Beispiel Berlin anführen, das wohl als erstes darauf angewiesen ist, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.Noch ein Wort zu Ihrem Vorwurf, Herr Schütz, die Koalition schmälere Beteiligungsrechte der Bürger, wenn sie Auslegungs- und Einwendungsfristen im Genehmigungsverfahren verkürze, wie wir das gerade erst mehrheitlich im Zusammenhang mit dem UVP-Gesetz beschlossen haben. Wir haben mit dieser Reform ein Stück Harmonisierung des Verwaltungsverfahrensrechts erreicht. Außerdem brauchen wir diese Änderung zur wirkungsvollen Koordinierung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei den verschiedenen parallelen Zulassungsverfahren. Das ist der einzige Grund für diese Regelungen.Zusammenfassend stelle ich fest: Mit der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wird der Rahmen für ein fortschrittliches und umfassendes Anlagensicherheitsgesetz erstellt. Es wird damit ein wichtiger Schritt hin zur Verwirklichung einer neuen Sicherheitskultur in unserer Industriegesellschaft getan. Die Möglichkeiten zu grenzüberschreitender Umweltpartnerschaft werden verbessert. Das planungsrechtliche Instrumentarium wird modernen Anforderungen angepaßt. Der marktwirtschaftliche Ansatz des Gesetzes wird verstärkt und der ökologische Strukturwandel unserer Wirtschaft vorangebracht. Mit einer Anpassung abfallrechtlicher Vorschriften wird ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Engpässen in der Abfallentsorgung geleistet.
Und schließlich erlangt dieses Bundes-Immissionsschutzgesetz eine besondere Bedeutung für den dringenden Aufbau eines wirksamen Umweltschutzes für unsere Landsleute in der DDR.Bei aller Kritik, die von der Opposition auf Nebenkriegsschauplätzen entfacht wurde, sollten wir doch gemeinsam erkennen, daß uns dieser Gesetzentwurf in unserer Umweltpolitik ein großes Stück voranbringt.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal teile ich dem Hause mit, daß der Abgeordnete Gerstein eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat.
Sodann erteile ich dem Abgeordneten Brauer das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Gemäß § 82 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages beantragt die Fraktion DIE GRÜNEN die Zurückverweisung der Art. 1 a und 1 b des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an die Ausschüsse.Die Übernahme der Abfallverbrennung ins BundesImmissionsschutzgesetz durch die Art. 1 a und 1 b bewirkt wesentliche Änderungen des Abfallgesetzes. So soll die Behandlung von Abfällen auch in Anlagen möglich sein, die überwiegend einem anderen Zweck als der Abfallentsorgung dienen. Genehmigungen sollen nur nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfolgen. Dies steht im Widerspruch zu wesentlichen Grundsätzen des Abfallrechts. Beispielsweise fällt ein nach dem Abfallrecht notwendiges Planfeststellungsverfahren ebenso weg wie die im Abfallgesetz verankerten Möglichkeiten der befristeten Genehmigung und des Versagensermessens.Die in den Art. 1 a und b enthaltenen wesentlichen Änderungen des Abfallgesetzes, die von ihrer Substanz her eine umfangreiche Novellierung des Abfallrechts sind, wurden im federführenden Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erst in der abschließenden Beratung am 7. 3., also in der letzten Woche, als Tischvorlage eingebracht und sofort beschlossen. Die mitberatenden Ausschüsse, nämlich der Sportausschuß, der Ausschuß für Wirtschaft, der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, der Haushaltsausschuß und der Ausschuß für Verkehr, hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Beratungen bereits abgeschlossen und somit keine Möglichkeit, zu dieser wesentlichen Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Abfallgesetzes Stellung zu nehmen.
Darüber hinaus ist festzustellen, daß sowohl der Ausschuß für Forschung und Technologie als auch der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit an den diesbezüglichen Beratungen nicht beteiligt waren, obwohl beide bei der umfangreichen vierten Novelle des Abfallgesetzes mitberatend waren. Daher beantragen wir, die Art. 1 a und 1 b — also nur diese Artikel — auch diesen Ausschüssen zu überweisen zuzüglich des Rechtsausschusses, weil hier die Systematik des Abfallrechts insgesamt betroffen ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15717
BrauerSehr verehrte Damen und Herren, es kann nicht angehen, daß unter dem Deckmantel der Novellierung eines Gesetzes, im vorliegenden Fall des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, wesentliche Änderungen anderer Rechtsbereiche im Hauruck-Verfahren mit durchgezogen werden. Im Interesse einer ausreichenden Beratung bitte ich daher um Zustimmung zu diesem Geschäftsordnungsantrag.
Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Rüttgers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist in den zuständigen Ausschüssen monatelang diskutiert und ausgiebig behandelt worden. Dies ist bereits der zweite Geschäftsordnungsantrag, mit dem Sie versuchen, eine Abstimmung hinauszuzögern. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen mir nicht vor.Daher lasse ich über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Zurückverweisung nach § 82 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung abstimmen. Wer für den Antrag der GRÜNEN ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Dann ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt worden.Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, vorliegend auf den Drucksachen 11/4909 und 11/6633, kommen.Ich rufe zunächst den Art. 1 auf.Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie eine ganze Reihe von Änderungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Ich rufe die Änderungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung auf.Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6660 ab. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, zunächst zu dem Änderungsantrag auf der Drucksache 11/6663. Wer ist dagegen? —
— Dagegen! Wer stimmt dafür? — Und wer enthält sich? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Dann kommen wir zum Änderungsantrag 11/6664. Ich frage, weil Ihnen offensichtlich das Verfahren besser gefällt: Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.Ich komme nunmehr zum Änderungsantrag 11/6665. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6666. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN abgelehnt worden.Ich komme nunmehr zum Änderungsantrag 11/6667. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Damit ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6669. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Dann ist der Antrag mit gleicher Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen zum Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/6670. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Dann ist der Antrag mit gleicher Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6671. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag mit gleicher Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zum Änderungsantrag 11/6672. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Mit gleicher Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6673. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6674. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit gleicher Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag 11/6675. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/6676. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/6677. Wer ist dafür? — Dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/6678. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/6679. Wer ist dafür? — Dagegen? —
Metadaten/Kopzeile:
15718 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident CronenbergEnthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen nunmehr zum letzten Änderungsantrag, zum Antrag auf Drucksache 11/6680. Wer ist dafür? — Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag ebenfalls mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.Wer nunmehr für Art. 1 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Art. 1 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der CDU/ CSU und der FDP angenommen.Ich rufe nunmehr die Art. 1 a und 1 b auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6690 vor. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat zu diesem Änderungsantrag namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung nach dem üblichen Verfahren und mache darauf aufmerksam, daß danach noch eine weitere namentliche Abstimmung kommt.Die Abstimmung ist eröffnet.Ich möchte noch einmal deutlich machen, daß wir anschließend eine weitere namentliche Abstimmung und nach der namentlichen Abstimmung außerdem noch weitere kontroverse Abstimmungen haben.Im übrigen erlaube ich mir, zu fragen, ob alle ihre Stimme abgegeben haben. — Dann will ich einmal abfragen, ob ich die Abstimmung schließen kann: SPD? — GRÜNE? — CDU/CSU? — FDP? — Dann, meine Damen und Herren, schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. *)Ich rufe nunmehr Art. 2 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 14b, zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 11/6633 unter II, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5242 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6668, 11/6681 bis 11/6686 sind damit erledigt.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6688 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt worden.*) Ergebnis Seite 15718 DNun ist noch über den Entschließungsantrag des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6633 unter III die Annahme dieser Entschließung. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu eine getrennte Abstimmung verlangt. Ich werde so verfahren.Zunächst lasse ich über Nr. 1 der Entschließung abstimmen. Wer Nr. 1 der Entschließung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 1 einstimmig angenommen worden.Ich rufe nunmehr Nr. 2 der Entschließung auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6703 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN?— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.Wer stimmt für Nr. 2 in der Ausschußfassung?— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 2 mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP angenommen worden.Ich rufe nun Nr. 3 der Entschließung auf. Auch hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6691 vor. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt.Ich muß mich vergewissern, ob die Urnen besetzt sind. — Das ist der Fall.Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß es anschließend kontroverse Abstimmungen gibt. Wer sich also einen Hammelsprung ersparen will, möge bitte im Saale bleiben.Die Abstimmung ist eröffnet.Haben alle ihre Stimme abgegeben? Kann ich die Abstimmung schließen? FDP? — Ja. CDU/CSU? — Ja. SPD? — Ja. GRÜNE? — Ja.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Stimmenauszähler, möglichst schnell auszuzählen. *)Meine Damen und Herren, wir können nunmehr fortfahren. Ich darf Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6690 zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 285; ungültig keine. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein haben gestimmt 170. Wir haben eine Enthaltung zu verzeichnen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 285; davonja: 114nein: 170enthalten: 1*) Ergebnis Seite 15720 B
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15719
Vizepräsident CronenbergJaSPDBecker
Frau Becker-Inglau BernrathFrau BlunckDr. Böhme
Dr. von Billow Frau Bulmahn BuschfortCatenhusen ConradiDr. Diederich DillerDuveErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau GanseforthGerster
GilgesFrau Dr. Götte Dr. Haack Haack
Frau HämmerleFrau Dr. HartensteinDr. Hauchler HäuserDr. HoltzIbrüggerJahn
JaunichJungmann KastningKoltzschKretkowski Dr. Kübler KuhlweinLohmann
LutzMüller Müller (Pleisweiler) MünteferingDr. NieseFrau Odendahl Oesinghaus OpelDr. Osswald PaternaPauliDr. Penner Peter PorznerFrau Renger ReuterRixeSchäfer
Dr. Scheer ScherrerDr. Schmude SchreinerSchützFrau Schulte SeidenthalFrau Seuster SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingFrau SteinhauerStobbeFrau Dr. Timm Toetemeyer VahlbergVerheugenVoigt
Wartenberg
Frau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Weisskirchen WestphalFrau Weyel Wiefelspütz ZanderZumkleyDIE GRÜNENFrau Beer BrauerDr. BriefsDr. Daniels Frau EidFrau Garbe HäfnerHüserDr. Knabe Frau KottwitzKreuzederDr. Lippelt Meneses VoglFrau Nickels Frau Rock Frau Rust Frau SaiboldFrau Schmidt StratmannSuchFrau TeubnerFrau TrenzFrau VennegertsWeiss
WetzelFrau Wilms-KegelFraktionslos Frau UnruhNeinCDU/CSUFrau AugustinBauerDr. Becker BiehleDr. Blank Dr. Blens Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBreuerBühler Buschbom Carstens (Emstek)Dr. Daniels
DeresDörflinger Echternach EhrbarFellnerFrau Fischer Francke
Ganz
GeisDr. von GeldernGersteinGerster
GröblDr. GrünewaldGünther Harries Haungs Hedrich Freiherr Heereman vonZuydtwyckHelmrich HerkenrathHöffkes HöpfingerHörsterDr. HornhuesFrau Hürland-Büning JägerDr. Jahn
Jung
Jung
KalbKalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannDr. Köhler KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz
Dr. LammertDr. Laufs Frau LimbachLink
Louven Lowack Lummer MaaßFrau MännleMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MüllerMüller
NelleDr. NeulingNiegel Oswald PeschPetersen PfeffermannPfeiferDr. PfennigDr. PingerDr. PohlmeierDr. ProbstRauen RaweRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. Rose RossmanithRüheDr. RüttgersSauer
Sauer
Sauter ScharrenbroichSchartz
SchemkenScheuSchmidbauerFrau Schmidt von SchmudeDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
Schwarz Seehofer SeesingSpranger Dr. SprungDr. Stark Dr. SterckenDr. Stoltenberg Straßmeir StrubeStücklen SussetDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel
Vogt
Dr. VondranDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von Wartenberg Werner
WilzWindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wulff Zeitlmann ZiererZinkSPD NagelFDPBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Frau Folz-Steinacker FunkeGallusFrau Dr. Hamm-Brücher HeinrichDr. Hirsch Dr. HitschlerDr. Hoyer IrmerKleinert KohnDr.-Ing. Laermann LüderNeuhausen NoltingRichterRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-Albring TimmFrau WalzWolfgramm Frau WürfelZywietzEnthaltenSPD NiggemeierDamit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
15720 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident CronenbergWir können nunmehr in der Abstimmung fortfahren, und zwar zunächst über Nr. 3 der Entschließung in der Ausschußfassung auf Drucksache 11/6633. Wer für Nr. 3 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das war bei der Fraktion DIE GRÜNEN etwas unklar.
— Wir halten also fest, daß Nr. 3 gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen ist.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Nr. 4 in der Ausschußfassung auf Drucksache 11/6633. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 4 bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.Wir kommen nunmehr zu Nr. 5 der Entschließung in der Ausschußfassung. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 5 einstimmig angenommen worden.Ich rufe nunmehr Art. 1 a und 1 b, Einleitung und Überschrift zum Gesetzentwurf des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind Art. 1 a und 1 b sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen worden.Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen worden.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 11/6659 vorliegt. Wer für diesen Entschließungsantrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU- und FDP-Fraktion abgelehnt worden.Ich kann Ihnen jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6691 zur Beschlußempfehlung des Ausschusses III Ziffer 3 auf Drucksache 11/6633 bekanntgegeben. 283 Abgeordnete haben sich an der Abstimmung beteiligt. Ungültig war keine Stimme. Mit Ja haben 27 gestimmt, mit Nein 250. Es gab 6 Enthaltungen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 282; davonja: 27nein: 249enthalten: 6JaDIE GRÜNENFrau Beer BrauerDr. BriefsDr. Daniels Frau EidFrau Garbe HäfnerHüserDr. Knabe Frau KottwitzKreuzederDr. Lippelt Meneses VoglFrau Nickels Frau Rock Frau Rust Frau SaiboldFrau Schmidt StratmannSuchFrau TeubnerFrau TrenzFrau VennegertsWeiss
WetzelFrau Wilms-KegelFraktionslos Frau UnruhNeinCDU/CSUBauerDr. Becker BiehleDr. BlankDr. BlensBöhm Dr. BötschBohlBohlsenBorchertBreuerBühler BuschbomCarstens Dr. Daniels (Bonn) DeresDörflingerEchternachEhrbarFellnerFrau FischerFrancke Ganz (St. Wendel) GeisDr. von Geldern GersteinGerster GröblDr. GrünewaldGüntherHamesHaungsHedrichFreiherr Heereman von ZuydtwyckHelmrich HerkenrathHöffkes Höpfinger Hörster Dr. HornhuesFrau Hürland-Büning JägerDr. Jahn Jung (Limburg)Jung
KalbKalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannDr. Köhler KrausKreyDr. KronenbergDr. Kunz
Dr. LammertDr. Laufs Frau LimbachLink LouvenLowack Lummer MaaßFrau MännleMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MüllerMüller NelleDr. NeulingNiegelOswald PeschPetersen PfeffermannPfeiferDr. PfennigDr. Pinger Dr. PohlmeierDr. Probst RauenRaweRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. Rose RossmanithRüheDr. RüttgersSauer
Sauer
Sauter ScharrenbroichSchartz Schemken ScheuSchmidbauerFrau Schmidt von SchmudeDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Seehofer Seesing Spranger Dr. SprungDr. Stark
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15721
Vizepräsident CronenbergDr. SterckenDr. StoltenbergStraßmeir StrubeStücklen SussetDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. VondranDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von Wartenberg Werner
WilzWindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wulff Zeitlmann ZiererZinkSPDBecker
Frau Becker-Inglau BernrathFrau BlunckDr. Böhme
Dr. von BillowBuschfort CatenhusenDr. Diederich DillerDuveErlerEstersEwenFrau FaßeFischer Gerster (Worms)GilgesFrau Dr. GötteDr. Haack Haack
Frau HämmerleDr. HauchlerHäuserDr. Holtz Ibrügger Jahn
JaunichJungmann KastningKoltzsch Kretkowski Dr. Kübler KuhlweinLohmann
LutzMüller
NagelDr. Niese NiggemeierFrau Odendahl OesinghausOpelDr. OsswaldPaterna PauliDr. Penner PorznerFrau RengerReuterRixeSchäfer
Dr. Scheer ScherrerDr. Schmude SchreinerSchützFrau Schulte SeidenthalFrau Seuster SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingFrau SteinhauerStobbeFrau Dr. Timm Toetemeyer VerheugenVoigt Wartenberg (Berlin)Frau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Weisskirchen WestphalFrau Weyel Wiefelspütz ZanderZumkleyFDPBeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth)Frau Folz-Steinacker FunkeGallusFrau Dr. Hamm-Brücher HeinrichDr. HirschDr. Hitschler Dr. HoyerIrmerKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannLüderNeuhausen NoltingRichterRonneburger Schäfer Frau Dr. Segall Frau Seiler-AlbringTimmFrau WalzWolfgramm Frau WürfelZywietzEnthaltenSPDFrau BulmahnConradiFrau GanseforthFrau Dr. Hartenstein Müller Peter (Kassel)Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.Es hat Zweifel gegeben, ob wir schon über Nr. 3 des Entschließungsantrags auf Drucksache 11/6633 abstimmen durften, bevor dieses Ergebnis vorlag. Um alle Zweifel auszuräumen, lasse ich noch einmal über Nr. 3 der Entschließung in der Ausschußfassung auf Drucksache 11/6633 abstimmen. Wer für Nr. 3 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist Nr. 3 auch nach der Verlesung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung mit derselben Mehrheit wie eben angenommen worden. Damit sind alle Zweifel ausgeräumt.Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verankerung eines vollständigen Atomwaffenverzichts im Grundgesetz— Drucksache 11/5119 —b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDVerzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Massenvernichtungswaffen— Drucksache 11/5307 —Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Beratungszeit von einer Stunde vor. Erhebt sich Widerspruch dagegen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlosen.Ich eröffne die Aussprache. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Dr. Scheer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesem Thema liegen zwei Initiativen vor. Der Antrag der SPD ist überschrieben mit „Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Massenvernichtungswaffen", während DIE GRÜNEN mit ihrem Gesetzentwurf einen Grundgesetzartikel ändern wollen mit dem Ziel, das Atomwaffenverbot im Grundgesetz zu verankern.Ich möchte zunächst einmal feststellen, daß die SPD für ein Verbot der Atomwaffen ist, das Verfassungsrang hat. Die SPD hat sich dazu in ihrem Grundsatzprogramm, verabschiedet im Dezember 1989, geäußert. Wir sind der Auffassung, daß ein Atomwaffenverzicht zur Staatsräson Deutschlands in der jetzigen Form wie auch in der zukünftigen Form gehören muß. Wir sind auch der Meinung, daß es im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozeß von einer erheblichen Bedeutung ist, in dieser Frage gegenüber unseren europäischen Nachbarn und der Völkergemeinde ein prinzipielles Signal zu geben.Die Frage, ob das in den originären Verfassungstext geschrieben werden muß, sollte nach unserer Auffassung im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozeß gesehen werden — das ist jetzt besonders wichtig —, sei es, daß eine Situation eintritt, in der eine neue deutsche Verfassung geschrieben werden muß, oder sei es, daß eine Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes erfolgt. In beiden Fällen muß eine Verpflichtung, die Verfassungsrang hat, eingegangen werden. Das mindeste in diesem Zusammenhang ist — das mindeste! —, daß als eine der
Metadaten/Kopzeile:
15722 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Scheerersten Maßnahmen eines vereinigten Deutschlands nochmals die Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag bekräftigt wird, den sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die DDR ratifiziert haben.Aber was an Bemühungen erforderlich ist, geht weit darüber hinaus. Um dies zu entwickeln, will ich mich zunächst mit dem Entwurf der GRÜNEN beschäftigen, der sich im zweiten Anlauf befindet, nachdem eine erste Vorlage zurückgezogen worden war. Wir sind der Meinung, daß diese Frage eine sehr ernsthafte und seriöse inhaltliche Auseinandersetzung verdient.Sowohl die im ersten Anlauf als auch die im zweiten Anlauf eingebrachte Vorlage der GRÜNEN enthält eine Begründung, mit der ich mich auseinandersetzen möchte. Wir können diese Begründung nicht teilen und damit auch die konkrete Initiative der GRÜNEN, so wie sie vorliegt, nicht unterstützen. Dafür sprechen drei Gründe.Der eine Grund ist folgender. Ich glaube nicht, daß es richtig ist — so war es im ersten Anlauf einmal gedacht — , eine solche Frage von verfassungspolitischer Bedeutung kampagnenmäßig aufzuziehen im Verhältnis zu anderen, die eine prinzipiell gleiche Auffassung gegenüber Atomwaffen haben. Wenn man eine Verfassungsinitiative ergreift, dann muß sie erfolgsorientiert ergriffen werden. Dann ist es gerade bei diesem Punkt sehr, sehr wichtig, darüber eine gründliche Erörterung zwischen allen denjenigen im Parlament, die daran mitzuwirken bereit sein könnten, durchzuführen.Der zweite Punkt der Begründung, den wir nicht teilen können, bezieht sich auf die — wie ich es nennen möchte — Lückentheorie. Es wird unterstellt, daß der Nichtverbreitungsvertrag lückenhaft sei, d. h. daß er Schlupflöcher für einen Zugang zu atomaren Waffen aufweise. Nach unserer Auffassung ist der Atomwaffensperrvertrag eine prinzipielle völkerrechtliche Verpflichtung von umfassender Bedeutung. Nach dem Verständnis des Grundgesetzes hat das Völkerrecht bei uns eine verfassungspolitische Relevanz.Was bedeutet — das muß man in dem Zusammenhang fragen — die Unterstellung, hier bestehe eine Lücke? Ich denke an den ja nicht unrealistischen Fall einer Ablehnung eines solchen Entwurfs. Man würde dann denjenigen recht geben, die einen deutschen Finger am atomaren Drücker unter Umständen irgendwann für erstrebenswert oder für möglich halten. Sie sprechen davon, daß eine solche Möglichkeit nicht aus der Welt ist. Ich meine auch, diese Möglichkeit ist nicht aus der Welt, obwohl im Moment niemand davon spricht. Aber es gab Jahre, in denen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und auch im Deutschen Bundestag davon gesprochen wurde. Erinnern Sie sich an die mühsame, fünf Jahre dauernde Ratifizierungsdebatte im Deutschen Bundestag und vor allem an den Bundestagswahlkampf 1969.Es kann unsere Auffassung nach aber nicht darum gehen, den Atomwaffensperrvertrag als ein Sieb zu interpretieren, sondern es muß darum gehen, alle vorhandenen Löcher — wenn sie denn gegeben sind —zu stopfen. Deswegen warnen wir vor einem fahrlässigen Umgang mit dem Atomwaffensperrvertrag.Ein fahrlässiger Umgang mit diesem Vertrag war z. B. im letzten Jahr zu beobachten, als die Bundesregierung das deutsch-französische Sicherheitsprotokoll unterschrieb, das ja auch zur Ratifizierung anstand und in dem — erstmals in einem Gesetzgebungstext — die Notwendigkeit atomarer Bewaffnung niedergelegt worden war.
Das ist anschließend nach einer Initiative unsererseits korrigiert worden.
Wir haben gesagt: Das ist von einer so hohen staatsrechtlichen Bedeutung, daß hier interveniert werden muß. Das hat man schließlich auch eingesehen. Es gab eine Zusatzerklärung des französischen Parlaments, daß damit keine Festlegung auf eine Strategie erfolgt sei. Es gab ferner eine entsprechende Protokollnotiz der Bundesregierung, die im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsverfahren zu sehen ist.Man konnte an dieser Stelle sehen, wie schnell man bei einer scheinbar nebensächlichen Frage die Kernsubstanz eines bestimmten, nicht von atomarer Aufrüstung geprägten Verfassungs- und Politikverständnisses der Bundesrepublik und unseres Verfassungstextes berühren kann.Fahrlässig wäre der Umgang mit dem Atomwaffensperrvertrag auch, wenn wir diesen schlechter machten, als er wirklich ist. Wir sind der Meinung, daß es notwendig ist, dieses NPT-Vertragssystem, also das Vertragssystem des Atomwaffensperrvertrages, zu kräftigen.
Bliebe es allein bei der jetzigen Form dieses Vertrags, wäre die Gefahr groß, daß er nicht allzulange Bestand haben könnte. Wir sind deshalb der Meinung — wir nehmen das in unseren Antrag auf — , daß sich die Bundesrepublik Deutschland oder auch ein vereinigtes Deutschland — das gilt gleichermaßen — für eine Ausweitung des Nichtverbreitungsvertrages auf alle Staaten und dafür einsetzen soll, daß dieses Vertragswerk unbegrenzt gilt. Dies ist eine Frage, die in den nächsten fünf Jahren ansteht. Wir sind der Meinung, daß dieses Vertragswerk auf jeden Fall von unserer Seite aus unbegrenzte Gültigkeit behalten sollte.Wir sind ferner der Meinung, daß wir uns in besonders intensiver Weise dafür einsetzen müßten, daß z. B. Frankreich, das bisher nicht beigetreten ist, diesem Sperrvertrag auch beitritt und daß alle atomaren Mächte die Verpflichtungen zur Abrüstung auf dem atomaren Sektor, die in dem Nichtverbreitungsvertrag enthalten sind, einhalten. Wir müssen sie dazu sehr viel intensiver drängen und dürfen diese Sache nicht nur dem business as usual der internationalen Diplomatien überlassen.Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß ein rein nationaler Ansatz zur Bewältigung dieser Frage unzureichend ist. Gesetzt den Fall, so etwas, wie es jetzt als Verfassungsänderungstext begehrt wird, stünde
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15723
Dr. Scheerschon in der Verfassung, es würde an dem eigentlichen Problem, das wir gegenwärtig haben, nämlich der atomaren Abschreckungsstrategie einschließlich der damit verbundenen Stationierung atomarer Waffen auf unserem Boden, nichts ändern. Das ist das vordringlichere Problem für uns. Das führt uns direkt dazu, daß wir uns natürlich ganz entscheidend um einen internationalen Ansatz bemühen müssen. Das ist aktueller denn je.Wir wissen doch alle, wenn wir im Zusammenhang mit dem Problem ehrlich sind, daß alle Voraussetzungen der atomaren Abschreckung inzwischen hinfällig geworden sind. Dies gibt inzwischen auch eine Studie des Pentagon zu, über die heute einiges in der Zeitung zu lesen war. Die NATO braucht keine Atomwaffen mehr, steht in dieser Studie des Pentagon. Schlußfolgerungen daraus sind bisher nicht gezogen worden. Wir werden und müssen sie alle, meine ich, anmahnen.Es ist sogar so, daß die einzige theoretisch noch denkbare Bedrohung aus den alten Ost-West-Strukturen — wenn man an Bedrohungen aus dem Osten oder seitens der Sowjetunion denkt — die mit Atomwaffen ist; denn dazu braucht man im Zweifelsfall keine Bündnisstruktur.
Herr Dr. Scheer, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Wenn mir das nicht angerechnet wird, ja.
Ich rechne das nicht an.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Irmer.
Herr Kollege Scheer, auch wenn man Ihrer Argumentation folgt, bleibt doch die Frage, ob nicht ein gewisser Mindestbestand an Atomwaffen in berechenbaren Händen nach wie vor erforderlich sein wird, damit die Welt nicht erpreßbar durch unberechenbare Länder wird, die über Atomwaffen verfügen.
Das ist, Herr Kollege Irmer, deshalb eine etwas zu konventionelle Hypothese, weil es natürlich genauso denkbar, vorstellbar und wünschbar ist — ich bin sicher, Sie würden es auch für wünschbar halten — , daß ein internationaler Sanktionsmechanismus im Zusammenhang mit einer globalen Ächtung der atomaren Waffen gefunden wird, mit dem dieser Mißbrauch, vor dem man sich in der Tat hüten muß, unterbunden werden kann.Diese Frage hängt mit der Entwicklung des Systems der Vereinten Nationen zusammen. Wir haben schon oft darauf hingewiesen — und müssen es noch viel, viel stärker tun — , daß die Vereinten Nationen, die als Weltfriedensinstrument gedacht waren, mit der Überwindung des Ost-West-Konflikts, auf Grund dessen sie 40 Jahre lang in dieser Frage nie richtig handlungsfähig werden konnten, erstmals zu der Funktion kommen können, für die sie gedacht waren.
— Ich glaube, das ist nicht unrealistischer, als es 1930 realistisch gewesen wäre, wenn man damals gesagt hätte: Wir wollen eine europäische Gemeinschaft, wie wir sie heute haben. Ich glaube, wir könnten heute näher daran sein. Wie realistisch es ist, hängt ganz entscheidend davon ab, ob man sich politisch dafür einsetzt.Die Frage, die ich noch aufwerfen wollte, ist, daß die einzige Bedrohung, die faktisch noch gegeben sein könnte, die mit Atomwaffen ist. Von daher ist es absolut unverständlich, warum sich ausgerechnet der Westen auf dem einzigen Sektor, auf dem er sich militärisch noch bedroht fühlen könnte, nämlich dem der atomaren Waffen, weigert, mit atomarer Abrüstung voranzugehen. Dies ist politisch mehr als widersprüchlich und nach unserer Auffassung eigentlich auch nicht verantwortlich.Gleichzeitig können wir feststellen, daß die Proliferationsgefahr, also die der Weiterverbreitung von atomaren Waffen auf andere Länder, wächst. Die Fähigkeit zur Bombenherstellung ist weit verbreitet. Das, was jahrelang fehlte, daß sie die entsprechenden Trägersysteme, nämlich moderne Raketen, haben, ist auch nicht mehr gegeben. Sie haben heute — z. B. die arabischen Länder — den Zugang zu solchen modernen Trägersystemen. Diese Gefahren wachsen. Deswegen meinen wir, daß eine internationale Initiative erforderlich ist, die sowohl uns selber berührt wie auch die künftige Struktur eines internationalen Regimes gegenüber atomaren Waffen.Dazu gehört, daß die flexible response der Vergangenheit angehören muß, weil sie auch nach allen bisherigen offiziellen Prämissen der Vergangenheit angehören kann. Dazu gehört, daß wir einen Akt nuklearer Einsatzplanung einschließlich einer Atomwaffenstationierung in den Ländern, die nicht selber darüber verfügen, auch nicht mehr bräuchten.Immer notwendiger werden Abrüstungsverhandlungen auf dem atomaren Sektor durch die Atommächte mit dem Ziel — wie es in unserem Antrag steht — eines vollständigen und globalen Abbaus, bei denen, Herr Kollege Irmer, die Dinge, die wir eben in dem kleinen Dialog angesprochen haben, eine Rolle spielen müßten, wenn man das Problem umfassend aufgreift. Wir sind deshalb der Auffassung — hier möchte ich wieder auf unseren Antrag zurückkommen —, daß dies vor dem Hintergrund geschehen muß, wie wir die Frage der Atombewaffnung völkerrechtlich behandeln. Wir meinen, daß ein Atomwaffenverbot schon heute, wenn man die überwiegende Diskussion und Einstellung der verschiedensten Länder bedenkt, Ausdruck der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft ist. Sie ist noch nicht vollständig, entwickelt sich aber dahin; denn ein Völkerrecht lebt ja. Gerade dieses Rechtssystem ist der Starrheit weniger ausgesetzt als viele andere Rechtsstrukturen.Wir meinen, daß wir einen Beitrag dazu leisten müssen, auf dem Wege der Bildung eines Völkergewohnheitsrechts die Nichtverbreitung von Atomwaffen zu einer Allgemeinregel des Völkerrechts zu machen, von einem Völkergewohnheitsrecht hin zu Regelungen zu kommen, die dann wirklich eine Verbindlichkeit beanspruchen können. Das ist eine Zielsetzung, die wir verfolgen sollten, wenn wir das Problem ernst
Metadaten/Kopzeile:
15724 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Scheergenug nehmen. Das bedeutet nach unserer Auffassung, daß von allen die Überlegung angestellt werden muß, wie das Ziel, daß Atomwaffenverzicht nicht nur bei uns, sondern allgemein eine Frage der Staatsräson zu sein hat, verfolgt werden kann. Das bedeutet, nicht in jedem Fall warten zu müssen, bis die Völkergemeinschaft insgesamt ein ähnlich strenges Verständnis entwickelt hat.Natürlich kann und muß man Möglichkeiten für sich selber ergreifen. Das bezieht sich auf die Überwindung der gegenwärtigen strategischen Strukturen. Es bezieht sich natürlich auch auf Verfassungstexte, die wir selber verabschieden. Wir haben erlebt, wie in einem etwas anderen Zusammenhang positiv hervorgehoben wurde — obwohl wir nicht daran glauben, daß der Verfassungstext tatsächlich so eingehalten wird — , daß Brasilien den Atomwaffenverzicht seit jüngerer Zeit in seinen Verfassungstext aufgenommen hat. Was für Brasilien positiv hervorgehoben worden ist, muß auch für uns als ein Positivum gelten können.Wir bitten darum — es geht hier nicht um eine Frage vordergründiger Polemik — , diese Frage im Hinblick auf die Verantwortungsbreite in diesem Punkt vorurteilslos zu betrachten und in den Ausschüssen eine Diskussion darüber zu führen, wie das bei einer ernstgemeinten Verfassungsänderungsinitiative erforderlich wäre. Aber wir meinen eben, daß die nationale Initiative allein nicht ausreicht. Sie muß im Zusammenhang mit der Sicherung, der Ausweitung und der Stärkung des Nichtverbreitungregimes als einer Vorstufe zu einer weltweiten Ächtung atomarer Waffen gesehen werden. Dies ist eines der wichtigsten Ziele, das die Menschheit hat.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die gelichteten Reihen der Antragsteller von SPD und GRÜNEN anschaue
— ich weiß nicht, ob Sie mich jetzt nicht verstanden haben;
ich sagte: der Antragsteller; es sitzen gerade vier grüne Weiblein und Männlein im Saal — , dann habe ich den Verdacht, daß Sie Ihren Entwurf gar nicht so ernst nehmen, obwohl er immerhin eine Verfassungsänderung oder -ergänzung enthält. Tatsächlich hinken Sie der Entwicklung wieder einmal hinterher;
denn der Antrag wurde eingebracht, als noch dieJubelfeiern zu 40 Jahren DDR anstanden. In der Zwischenzeit hat sich aber doch einiges verändert. Vielleicht konnte man damals noch daran denken, immer wieder an unserer Verfassung, am Grundgesetz, herumzuarbeiten; in der Zwischenzeit sieht es ein bißchen anders aus.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz Europa ist im Aufbruch. Aber wenn wir heute in einer sicherheitspolitischen Debatte sagen können, die Welt verändert sich in Richtung einer Abrüstung, in Richtung einer positiven Entwicklung, dann sicher deshalb, weil wir in der Vergangenheit bewiesen haben, daß man eine Verteidigungspolitik mit Augenmaß betreiben kann, in der man nicht den einen Schritt vor dem anderen tut.Bei dem, was wir heute machen, müssen wir schon klar herausstellen, daß wir als Deutsche gar keine Chance haben, die entscheidenden Maßnahmen im Bereich unserer Sicherheitspolitik allein zu betreiben. Vor allem müssen wir davor warnen, eigenmächtig Maßnahmen vorwegzunehmen. Nur im Zusammenhang mit dem Bündnis sind wir in der Lage, die Prozesse weiterzutreiben, die uns heute in eine ganz andere, positive Sicherheitslage versetzen. Vor allem muß es mit der ständig — sowohl von der Sozialdemokratie wie von den GRÜNEN gegen die Verbündeten betriebenen — Politik des erhobenen Zeigefingers, ständig im eigenen Lager Vorwürfe zu erheben, ein Ende haben. Gerade wir Deutsche sollten ein Interesse daran haben, daß Bündnispolitik ausschließt, daß wir einen deutschen Sonderweg gehen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem Ziel, Kollege Scheer, daß wir Massenvernichtungswaffen und ihre Gefahren eindämmen wollen, sind wir uns einig. Die Frage ist doch nur, ob der Weg, den Sie vorschlagen, der richtige sein kann. Wir halten ihn für falsch. Sie, SPD und GRÜNE, setzen auf innerstaatliche Initiativen und Verzichte und unterlaufen damit die Politik der Bundesregierung, die darauf gerichtet ist, eine Bündnisabstimmung zu erreichen, um damit erfolgreich zu sein.
— Ich komme auf Ihre Punkte im einzelnen noch zurück, und dann können wir darüber diskutieren.
— Nein, es geht doch darum, Frau Kollegin, daß wir, bevor wir eine Abstimmung im Bündnis vorgenommen haben, bereits Maßstäbe entwickeln, als ob wir die Meister wären und die anderen auf uns zu hören hätten. Gefragt ist doch eine Abstimmung im Bündnis bevor wir Forderungen aufstellen, wie die Sicherheitspolitik im Bündnis aussehen soll. Wenn wir uns die Erfolge ansehen, die wir im Augenblick verzeichnen können, daß wir bei den START-Verhandlungen in diesem Jahr zu einem Ergebnis kommen können, daß wir erreicht haben, daß z. B. die chemischen Waf-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15725
Lowackfen abgezogen werden, und dies noch zwei Jahre früher als ursprünglich beabsichtigt,
so beweist das, daß wir mit unserer Politik einer Abstimmung innerhalb des Bündnisses eine Abrüstungspolitik mit Augenmaß erreicht haben. Es genügt eben nicht — diesen Eindruck habe ich manchmal — wie im Kindergarten plakative Forderungen aufzustellen. Vielmehr gehört zur Sicherheitspolitik etwas mehr Professionalität und vor allen Dingen die Bereitschaft zur Kooperation.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die GRÜNEN beantragen die Verankerung eines Atomwaffenverzichts im Grundgesetz. Ich frage: Was soll das angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Verfügung über Atomwaffen völkerrechtlich verbindlich verzichtet hat? Ich frage weiter: Was soll uns denn der einseitige Verzicht bringen? Wir haben die Erfahrung gemacht. Das alte Vertragsprinzip „do ut des" ist viel wirksamer. Wenn wir uns eine Art Mitbestimmungsrecht erhalten wollten und erhalten wollen, brauchten und brauchen wir eine Vereinbarung.Wer sich heute darüber beklagt, daß sich andere Signatarstaaten des Atomwaffensperrvertrags nicht an die Ratio des Vertrags gehalten haben, und gleichzeitig fordert, daß wir zu bestimmten Maßnahmen nach Art. 6 des Atomwaffensperrvertrags greifen, der setzt doch gerade voraus, daß wir überhaupt Vertragspartner wurden. Hätten wir von vornherein einen einseitigen Verzicht erklärt, der nicht in einen Vertrag eingebettet gewesen wäre, würden wir uns genau dieses politischen Spielraums enthoben haben.Das gleiche gilt letztlich auch für unsere Mitwirkungsmöglichkeit innerhalb der NATO und der NatoIntegration. Würden wir uns von vornherein durch einen Verzicht und nicht durch eine Einbettung in Verträge dieser Mitwirkungsmöglichkeit begeben haben, hätten wir heute auch kein Mitspracherecht.Das gleiche gilt für das Kriegsvölkerrecht. Auch hier war entscheidend, daß wir Vertragspartner waren und nicht einseitig Verzichte erklärt haben. Unabhängig davon halte ich es für problematisch, wenn wir unsere Verfassung, unser Grundgesetz, tatsächlich mit derartigen Zielen belasten.
— Natürlich. Ich glaube, wir sind am besten damit gefahren, daß wir uns die Freiheit erhalten haben, Verträge abzuschließen, ohne daß wir uns diesen Spielraum von vornherein selber zunichte gemacht hätten.
Den Frieden durch die Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen und durch einseitige Verzichtserklärungen sichern zu wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine unverantwortliche Illusion. Das technische Wissen darüber, wie man Massenvernichtungswaffen herstellt, ist leider nicht mehr zurückzuschrauben; das wissen Sie. Selbst wenn alle Massenvernichtungswaffen abgeschafft würden,bliebe die Gefahr bestehen. Es ist vorhin in der Frage des Kollegen Irmer bereits angesprochen worden, daß verbrecherische Regierungen oder auch einzelne Verrückte durchaus in der Lage wären, sich kurzfristig in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu bringen und damit zumindest ein erpresserisches Potential darzustellen.Solange es weltweit Kriege und Konflikte gibt, müssen wir uns umsichtig vor den Gefahren des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen schützen. Ein einseitiger und sogar noch verfassungsmäßig abgesicherter Verzicht würde uns mit Sicherheit keine Chance geben, gerade das zu machen, was Kollege Dr. Scheer angesprochen hat, möglicherweise weltweit Vereinbarungen zu treffen.Entscheidend sind internationale Vereinbarungen und Kontrollen. Kollege Dr. Scheer, da will ich mit Ihnen durchaus versuchen, einen Weg zu gehen. Solange aber nicht alle Regierungen bereit sind, etwas Derartiges zu unterzeichnen, ist es weit wichtiger, daß wir ein reaktionsfähiges Bündnissystem haben. Die NATO wird für uns als eine europäisch-atlantische Vertragsgemeinschaft auch in Zukunft eine herausragende Rolle bei dieser gemeinschaftlichen Verteidigungsfähigkeit spielen.Auch das zusammenwachsende Europa wird in Zukunft — darüber sind wir uns einig — eine größere Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen müssen. Die Frage des Schutzes mit und vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist daher auch im europäischen Rahmen zu lösen. Aber auch hier darf es keinen deutschen Alleingang geben. Wir wollen vielmehr von vornherein unsere Politik in das Bündnis einbetten. Auch hier würde uns eine Einschränkung durch das Grundgesetz behindern, weil wir einseitig eine Bindung eingehen würden, die uns den politischen Handlungsspielraum verbauen würde.Im Antrag der Sozialdemokraten sind — das sollte man ruhig einmal anerkennen — ein paar bemerkenswerte Ausführungen. Ich kann z. B. den Punkt I Satz für Satz unterstreichen.Zu Punkt II ein paar Anmerkungen. In Ihren Anträgen erscheint immer wieder das latente Mißtrauen gegen den französischen, ich darf sagen: Sicherheitspartner.
Ich habe nichts dagegen, wenn wir Frankreich und auch China auffordern, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten. Das ist politisch ja wohl auch geschehen. Daß man aber Frankreich, das sich bereit erklärt hat, mit uns eine gemeinsame, schon zum Teil integrierte Verteidigung zu betreiben, derart immer wieder mit Mißtrauen betrachtet, ist in meinen Augen eine Politik, die Frankreich so nicht verdient hat. Ich möchte den Franzosen ausdrücklich für die Art und Weise, wie sie zur gemeinsamen Verteidigung Europas beigetragen haben und beitragen, danken.Das zweite. Sie fordern, daß wir endlich in atomare Abrüstungsverhandlungen eintreten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum sagen Sie nicht
Metadaten/Kopzeile:
15726 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Lowackganz offen, daß die eine Supermacht, die permanent gegen den Sinn des Nichtverbreitungsvertrages verstoßen hat, die Sowjetunion war, die genau diesen Vertrag genutzt hat, um in den 70er Jahren die größte atomare Aufrüstung vorzunehmen, die jemals in der Geschichte existiert hat, und daß die damaligen deutschen Bundesregierungen unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt gefordert gewesen wären, weil sie den Vertrag bei der Ratifizierung entsprechend unterstützt haben?Sie betreiben die typische Methode, die Verbündeten zu beschimpfen und dort, wo die Gegenseite Leistungen hätte erbringen müssen, zu vernebeln und so zu tun, als ob man nicht wüßte, was wirklich passiert ist.
— Sie dürfen ruhig weiter zuhören; aber es ist so.
— Frau Kollegin, dann lesen Sie doch bitte den Antrag Ihrer eigenen Fraktion durch. Dort, wo gegen den Vertrag verstoßen wurde, wird geschwiegen, weil man offenbar nicht den Mut hatte, herauszustellen, wer gegen den Vertrag verstoßen hat.Sie fordern, daß keine atomaren und chemischen Waffen auf deutschem Boden und darüber hinaus in ganz Europa gelagert werden.Bei den atomaren Systemen wissen wir, daß die Zeit jetzt noch zu früh ist, solange wir noch kein Abkommen über konventionelle Abrüstung und vor allen Dingen über Strategien in Europa haben.Bei den chemischen Waffensystemen wissen Sie— ich hatte vorhin darauf hingewiesen — , daß es sicher das Verdienst dieser Bundesregierung war, dafür gesorgt zu haben, daß die Amerikaner ihre chemischen Systeme zurückziehen und daß sie das gegenüber der Vereinbarung, die abgeschlossen worden war, vorzeitig tun.Sie verlangen in der Ziffer IV, daß der Bundestag die Auffassung beschließen möge, daß „das Atomwaffenverbot Ausdruck der allgemeinen Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft ist" . Auch hier, Kollege Scheer, hilft doch nicht die Gesundbeterei, daß man heute schon etwas als eine Art Gewohnheitsrecht anspricht, was kein Gewohnheitsrecht ist, da bisher in allen Strategien die atomaren Waffen eine entscheidende Rolle spielen.Auch auf folgendes muß ich hinweisen. Wäre der Westen nicht in der Lage und nicht bereit gewesen, mit der Nachrüstung und dann 1982/83 ihrer Konkretisierung eine klare Antwort auf die sowjetische Überrüstung zu geben — auch im atomaren Bereich —,
hätte Gorbatschow niemals der Gorbatschow werden können, der er letztlich geworden ist. Sie tun immer so, als wenn Gorbatschow ein Heiliger wäre. In Wirklichkeit ist auch Gorbatschow eine in die Geschichte und in die geschichtliche Entwicklung hineingestellte Persönlichkeit, die entscheidend von dem beeinflußt wurde, was wir politisch bewegt haben. Da war dieFähigkeit des Bündnisses, auf ihn zu antworten, ein ganz entscheidendes Element.Schließlich verlangen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, in der Ziffer VI, daß die Bundesrepublik Deutschland im westeuropäischen Rahmen keine nukleare Beteiligung anstreben sollte, daß eine Umdisponierung von nuklearen Waffensystemen ausgeschlossen würde. Ich habe bereits dazu Stellung genommen: Unsere Stärke ist das Bündnis, und wir werden im Rahmen der Bündnisgremien die Möglichkeit haben, mit zu entscheiden. Das mit Ihrem Antrag in Frage zu stellen, hielte ich erneut für einen Fehler.Die deutsche Politik wird um so erfolgreicher sein, je weniger wir eine Sonderrolle für uns in Anspruch nehmen. Wir sollten andererseits aber auch souverän genug sein, gleiche Rechte für uns in Anspruch zu nehmen, wie sie auch andere Bündnispartner haben, wenn auch auf der Grundlage unseres Verzichts, den wir, was atomare Waffen betrifft, ausgesprochen haben.Wir sind kein Sicherheitsrisiko für andere. Wer das behauptet, verleugnet die Geschichte von vier Jahrzehnten Bundesrepublik Deutschland. Ich habe manchmal den Eindruck, daß mit der Begründung, man habe Sicherheitsinteressen in Deutschland, oft — ich spreche jetzt ganz konkret die Sowjetunion auch heute noch an — mehr machtpolitische Interessen verfolgt werden als die wirkliche Sorge um Sicherheit.
Denn die Bundesrepublik ist nicht in der Lage, gegen jemanden als Aggressor aufzutreten.Ich verwahre mich dagegen, daß wir uns ständig von der Opposition so behandeln lassen, als ob wir 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch ein Sicherheitsrisiko für andere darstellen würden.Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer. Bitte schön.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Drei Tage vor der Wahl in der DDR, aus der nach Willen der Bundesregierung und auch der West-SPD eine große Wiedervereinigungskoalition hervorgehen soll, beraten wir heute zum erstenmal den Antrag der GRÜNEN für die Verankerung des Atomwaffenverzichts im Grundgesetz. Als wir diese Gesetzesinitiative am 1. September 1989 einbrachten, konnten wir die zusätzliche Brisanz noch nicht erahnen, die das Thema durch die Ereignisse seit dem 9. November bekommen sollte.Nur wenige Tage nach dem Fall der Mauer warnte der US-Starkolumnist William Safire davor, ein wiedervereinigtes Deutschland würde sich, „der Ent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15727
Frau Beerschuldigungen müde", atomar bewaffnen und „noch vor der Jahrtausendwende zu einer Übermacht" werden. Die deutsche Politik gab ihm seither leider recht.
Kanzler Kohl, der sich stets seines Geschichtsbewußtseins rühmt, wollte schon ein halbes Jahr nach dem 50. Jahrestag des deutschen Einmarsches in Polen die polnische Grenze nicht mehr anerkennen, nicht mehr garantieren. Kein Nachdenken, keine Entschuldigungen. Was gestern noch tabu war, soll es heute und morgen nicht mehr sein.Mit der gleichen Mischung aus Vergangenheitsentsorgung und Ellenbogenmentalität, mit der die Regierung heute ein neues Gesamtdeutschland herbeizaubern will, soll morgen der deutsche Wirtschaftskoloß militärisch eingerahmt werden.
Mit der gleichen Dreistigkeit, mit der wir heute den Anschluß der DDR erleben, wird es den Großmachtpolitikern morgen nicht mehr ausreichen, daß das atomare Rückgrat der deutschen sogenannten Sicherheitspolitik von den USA allein garantiert wird.Der Ruf nach eigener Verfügung über Atomwaffen ist nicht neu.
— Sie wissen das sehr gut.Schon 1957 kurbelte Verteidigungsminister Strauß die Beschaffung des atomaren Trägersystems Starfighter an. Zehn Jahre später gab es ein großes Geschrei, als die BRD den Atomwaffensperrvertrag, der vorhin so gelobt worden ist, unterschreiben sollte. Von einem „Versailles kosmischen Ausmaßes" war die Rede.Seit Mitte der 70er Jahre wurde im Auftrag des damals SPD-geführten Verteidigungsministeriums am Fraunhofer-Institut Atomwaffenforschung betrieben, d. h. hier in der Bundesrepublik.Die Weigerung Kanzler Kohls von 1987, das atomare Trägersystem Pershing Ia in den INF-Vertrag mit einzubeziehen, der ja immerhin der erste tatsächliche Abrüstungsvertrag werden sollte, war schließlich der ausschlaggebende Anlaß für uns, über einen verfassungsrechtlich verankerten Verzicht der BRD auf Herstellung, Besitz oder Mitbesitz, Verwendung von und Verfügung über Atomwaffen nachzudenken.Bisher hat sich die Bundesrepublik neben dem Aufbau ihres gigantischen Atomprogramms über die europäische Schiene Stück für Stück näher an die offizielle Mitverfügung über Atomwaffen herangepirscht.Im Dezember 1988 billigte der Deutsche Bundestag nur gegen die Stimmen der GRÜNEN die atomareKooperation mit Frankreich im Rahmen des gemeinsamen Verteidigungsrates.Der deutschlandpolitische Durchmarsch der Regierung in den letzten Monaten hat uns gezeigt, wie wenig Rücksicht deutsche Großmachtpolitik heute auf Bedenken der Nachbarn in Ost und West, die schon so bittere Erfahrungen mit uns gemacht haben, zu nehmen braucht, ohne daß mit ernsthaften Sanktionen gerechnet werden muß. Wir können für die Einhegung deutscher Macht heute weniger als noch vor einem halben Jahr auf das Ausland vertrauen. Eine friedliche Politik der Selbstbeschränkung muß von uns selber ausgehen.Wir haben schon wiederholt gesagt, daß unser Problem, Herr Scheer — —Ist er noch da? — Nein, er ist nicht mehr da. — Ach, er hat die Seiten gewechselt. Ja, bei dieser Debatte passen Sie wirklich in die Reihen der FDP.Wir haben schon wiederholt gesagt, daß unser Problem mit dem SPD-Antrag nicht die Ausweitung auf alle Massenvernichtungswaffen ist, weiß Gott nicht, wenn auch heute immer noch die Atomwaffen die Abschreckungswaffen schlechthin sind. Im Gegensatz zur SPD reicht uns aber eine einfache Willensbekundung dieses Bundestages nicht aus.Der globalen Bedrohung, die die Atomwaffen wie auch andere Massenvernichtungswaffen darstellen, entspricht nach unserer Meinung nur ein juristisch und politisch einklagbarer, umfassender Verzicht mit Verfassungsrang.Die Eroberungsmentalität, die in den letzten Wochen so deutlich geworden ist, und die die Regierung gerade auch heute an den Tag legt,
zeigt, daß es nach wie vor besser wäre, wenn die Deutschen in zwei deutschen Staaten leben würden.
Aber gerade wenn es zu einer Wiedervereinigung kommt, und zwar nicht als Anschluß, so wie das hier selbst bis in die Reihen der SPD hinein schon überlegt wird, also nicht nach Art. 23 des Grundgesetzes, sondern wenn überhaupt, dann nach Art. 146 des Grundgesetzes, wäre unser Anliegen keineswegs hinfällig. Gerade dann müßte in einer gesamtdeutschen Verfassung der umfassende Verzicht auf Atomwaffen festgeschrieben werden, um die gerade in dieser Zeit wieder aufwachenden Ängste — man braucht sie nur hören zu wollen; wenn man die Ohren nicht verschließt, dann werden sie sehr laut — mit Sicherheit ausschließen zu können und um diese Garantie im Rahmen eines wiedervereinigten Deutschland geben zu können.
Das, Herr Kollege Scheer, hat nichts mit Ihrem ersten Kritikpunkt zu tun, den Sie uns vorwerfen, nämlich daß wir eine Kampagne daraus gemacht haben.
Metadaten/Kopzeile:
15728 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau BeerUnsere Politik ist es, gerade über solche Dinge wie über Gesetzesänderungen vorher mit den Menschen zu diskutieren, die uns hierher geschickt haben und die von uns politische Verantwortung verlangen.
Die Frage der Mitverfügung über Atomwaffen birgt eine gewaltige Verantwortung, der die Bundesrepublik anders nicht nachkommen kann.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Beer, obgleich die FDP grundsätzlich gewisse Sympathien für die Überlegung hat, ob man einem Verzicht auf Atomwaffen tatsächlich Verfassungsrang zugestehen sollte — bei uns gibt es Stimmen, die das durchaus befürworten —, haben Sie mit der Art Ihrer Begründung die Sympathien für solche Überlegungen nicht gerade gestärkt, wenn nicht sogar ad absurdum geführt.
— Es muß ja jeder offenlegen, welche Gründe er für eine solche Überlegung hat. Wir sind der Meinung— hier treffen wir uns mit dem bedenkenswerten Beitrag vom Herrn Kollegen Scheer — , daß man mit Blick auf Staatsräson und Wertesystem durchaus überlegen kann, ob man ein solches Thema nicht ins Grundgesetz — das ist irreal —, aber in eine künftige deutsche Verfassung aufnimmt.
— Darum habe ich eben gesagt, der Beitrag Ihres Kollegen Scheer war sehr bedenkenswert.
Wir werden darauf zurückkommen. Aber wenn man so etwas macht, kann man sich nicht durch Polemik ausgrenzen, sondern dann muß man versuchen, sich in einen gemeinsamen Weg einzufädeln.Ich möchte jetzt gern auf den Gesamtaspekt Ihres Antrags eingehen, Herr Kollege Scheer. Mir ist aufgefallen, daß Sie ausschließlich auf die Problematik der Atomwaffen abgehoben haben. Mich hat der Antrag in seiner Konzeption interessiert. Dafür wollte ich für die FDP ein paar Worte sagen. Denn die Liberalen haben seit den 50er Jahren, also seit eh und je, alle Vereinbarungen gefördert und unterstützt, die von den Regierungen geschlossen und auf den Weg gebracht worden sind und die auf einen vollständigen Verzicht auf die Entwicklung und Herstellung nicht nur von Atomwaffen, sondern auch von biologischenund chemischen Waffen abzielten. Wir werden diese eindeutige Politik auch nach Herstellung der deutschen Einheit gewiß weiter vertreten. Hierüber kann und wird es keinen Zweifel geben.Deshalb erscheint es uns auch wichtig, diesen Antrag zu diskutieren, gerade weil derzeit im östlichen, aber auch im westlichen Ausland gelegentlich Befürchtungen hinsichtlich einer militärischen Wiedererstarkung eines geeinten Deutschlands laut werden. Es ist sehr wichtig, solche Befürchtungen im Vorfeld zu zerstreuen. Vielleicht kommen wir am Ende zu einem gemeinsamen Antrag. Denn der Verzicht auf A-, B- und C-Waffen muß auch künftig in einem geeinten Deutschland nach Überzeugung der Liberalen das tragende Prinzip in unserem Wertesystem sein und bleiben. Sie nannten es Staatsräson; ich möchte hier den Begriff des Wertesystems einführen.Es ist gut, daß diese Überzeugung alle im Bundestag vertretenen Parteien eint. Das haben Sie, Herr Kollege Lowack, auch noch einmal bekräftigt.Vielleicht sollte man in diesem Augenblick in Erinnerung rufen, daß die Präambel des Grundgesetzes, die so oft zitiert wird, die Bundesrepublik darauf verpflichtet, dem Frieden in der Welt zu dienen, und daß in Art. 26 ein Angriffskrieg verboten ist.So hat bereits die junge Bundesrepublik 1954, vor dem Eintritt in die westliche Allianz, diesen Verzicht geleistet. Sie hat diesen Verzicht durch den Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag, dem Atomwaffensperrvertrag, im Jahre 1969 fortgesetzt, Dieser Beitritt, meine Damen und Herren, war die Voraussetzung für den Beginn der neuen Entspannungs- und Ostpolitik. Einige, die das mitgestaltet haben, sitzen noch hier.Sicher ist es heute, Herr Kollege Scheer, 21 Jahre später, nötig, das Prinzip der Nichtverbreitung von Atomwaffenproduktion neuerlich zu bekräftigen. Denn leider wird von Kleinstaaten zunehmend versucht, das zu unterlaufen. Die Produktion von Atomwaffen wird leider immer mehr Staaten möglich sein. Sogar einem Schüler in den USA soll ein solches Experiment gelungen sein. Insofern muß der Vertrag überprüft werden. Leider ist diese Entwicklung häufig auch mit Hilfe des Know-how aus westlichen Staaten zustande gekommen. Daher halten wir die Verschärfung des Kriegswaffenkontrollgesetzes hinsichtlich chemischer Waffen und der Verbreitung von Knowhow für überfällig.Bei den biologischen Waffen und den Toxinwaffen haben wir 1972 eine Vereinbarung getroffen, die das Vertragssystem abgerundet hat. Leider wissen wir und mußten auch beim Golfkrieg zwischen Iran und Irak erfahren, daß auch in diesem Bereich Grauzonen entstanden sind, die mit allen nur möglichen Mitteln aufgedeckt und beseitigt werden müssen.Insgesamt ist festzustellen, daß in dem gewollten, bewußten und umfassenden Verzicht auf die Entwicklung und Produktion von Massenvernichtungswaffen die Bundesrepublik Deutschland in den 40 Jahren ihrer Existenz eine Vorreiterrolle gespielt hat. Diese Vorreiterrolle könnte auch das Modell für eine künftig anzustrebende europäische Friedensordnung sein. Wir wollen uns jedenfalls darum bemühen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15729
Frau Dr. Hamm-BrücherWas nun konkret Ihren Antrag betrifft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, müßten wir ihn natürlich von einigen polemischen Formulierungen entschlacken, die darin zu finden sind. Es wurde bereits erwähnt, daß das unangebrachte Mißtrauen gegen die französische Sicherheitspolitik da auch keinen Platz hat, wenn wir auf eine gemeinsame Basis kommen wollen. Ein Satz, Herr Kollege Scheer, wie: „Die Bundesrepublik Deutschland ist in technischer Hinsicht ein Atomwaffenstaat auf Abruf " , ist eigentlich nicht sehr geeignet.
— Ja, aber er hat so einen Unterton. Es stimmt, wir könnten das machen. Aber das klingt unterschwellig so, als ob das wirklich passierte, wenn wir nicht aufpassen. Ich finde, wir sollten einen solchen Soupçon gar nicht mit aufnehmen.Auch läuft der Atomwaffensperrvertrag 1995 nicht aus. Das scheint ein Mitverständnis zu sein. Es soll nur die Entscheidung über den Zeitraum seines Weitergeltens getroffen werden.Zum Antrag der GRÜNEN habe ich schon gesagt, daß bei uns durchaus Sympathien für die Idee vorhanden sind, daß das aber wohl in dieser Zeit nicht zu schaffen ist. Bei einer Überprüfung, Überarbeitung oder Weiterentwicklung des Grundgesetzes sollte das sicher auf die Liste der zu klärenden Fragen gesetzt werden.Die Beratungen in den Ausschüssen werden erweisen, ob und wie weit wir gemeinsame Vorstellungen entwickeln können.
Die FDP würde es sehr begrüßen, wenn wir zu einem einvernehmlichen Antrag kämen, eben im Hinblick auf das, was ich anfangs sagte:
daß mögliche Befürchtungen im Ausland vor einem Wiederentstehen der militärischen Stärke eines geeinten Deutschlands durch die Annahme eines solchen Antrags hinfällig werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wiefelspütz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grundsatzprogramm der SPD heißt es im Abschnitt „Frieden in gemeinsamer Sicherheit"
Wir setzen uns für eine weltweite Beseitigung aller Massenvernichtungsmittel ein. Die Bundesrepublik Deutschland darf atomare, biologische und chemische Waffen nicht herstellen, besitzen oder verwenden. Sie muß von Massenvernichtungsmitteln frei werden und darf auch keine Mitverfügung anstreben. Der Verzicht auf ABC- Waffen soll verfassungsrechtlich abgesichert sein.
So weit die Beschlußlage der SPD aus dem Dezember des vergangenen Jahres.
Vor diesem Hintergrund verdient der Antrag der SPD betr. Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Massenverrichtungswaffen, aber auch der Gesetzentwurf der GRÜNEN, die den Atomwaffenverzicht im Grundgesetz verankert wissen wollen, Beachtung.
Ich will, auch mit Rücksicht auf die geringe verbleibende Redezeit, nur weniges zur verfassungsrechtlichen Seite des Antrags der GRÜNEN sagen: Die Staatspraxis zeigt, daß der Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von Atomwaffen und auf nationale Verfügungsgewalt stets als völkerrechtlich verbindlich eingestuft wird. Soweit die innerstaatliche Betrachtungsweise in Rede steht, ist der Verzicht zweifelsfrei unterhalb der Ebene des Verfassungsrechts geregelt worden.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN bietet bei dieser Situation, die man als Regelungslücke einschätzen könnte, eine Diskussionsgrundlage, wenngleich nicht mehr als eine Diskussionsgrundlage. Ich will einmal von den Bedenken und Zweifeln absehen, die man hinsichtlich der Begründung Ihres Antrages haben kann. Darauf ist schon hingewiesen worden. Viel wichtiger scheint mir die Frage, warum denn eigentlich lediglich der Verzicht auf Atomwaffen im Grundgesetz festgeschrieben werden soll.
Dafür gibt es keine überzeugende Begründung. Vielleicht sind wir insoweit einer Auffassung.
Konsequent wäre es, auch das Verbot von biologischen und chemischem Waffen zum Bestandteil des Grundgesetzes werden zu lassen. Darüber hinaus sollte der verfassungsrechtlich abgesicherte Verzicht auf ABC-Waffen strafbewehrt sein.
Viele bundesdeutsche Politikfelder werden jetzt und in den kommenden Jahren durch den Prozeß der deutschen Einheit überlagert. Zahlreiche Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist, werden unstreitig auch den geeinten deutschen Staat treffen. Auch wenn der verfassungsrechtlich abgesicherte Verzicht auf ABC-Waffen lediglich innerstaatlich verbindlich ist, mag ich nicht ausschließen, daß ein im Grundgesetz ausgesprochener Verzicht den Prozeß der deutschen Einheit erleichtern und stabilisieren könnte.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Herrn Staatsminister Schäfer, Auswärtiges Amt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, noch ist nicht alles gesagt, denn die Regierung spricht noch.
Metadaten/Kopzeile:
15730 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Staatsminister SchäferBei dem umfassenden Verzicht auf Massenvernichtungswaffen — das hat Frau Kollegin Hamm-Brücher sehr zu Recht herausgestellt — ist die Bundesrepublik stets ein Vorreiter gewesen. Das wird hier ja wohl niemand bezweifeln wollen.
Sie wird sich auch künftig insoweit von keinem Staat der Welt übertreffen lassen. Lassen Sie mich dies begründen.Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Staaten, für die das Genfer Protokoll über die Ächtung des Einsatzes chemischer und biologischer Waffen im Kriege ohne jeglichen Vorbehalt in Kraft ist.Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat darüber hinaus als erster und bei chemischen Waffen als einziger Staat der Welt auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen völkerrechtlich verbindlich verzichtet und sich insoweit internationalen Kontrollen unterworfen.
Drittens. Der Verzicht auf atomare und biologische Waffen wurde durch den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 und zum Vertrag über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen und von Toxin-Waffen sowie deren Vernichtung von 1972 ausgeweitet und erneut festgeschrieben.Viertens. Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Hinblick auf die chemischen Waffen anläßlich der Unterzeichnung der B-Waffen-Konvention im Jahre 1972 verbindlich erklärt, daß sie über den zuvor erwähnten Herstellungsverzicht hinaus chemische Waffen auch nicht entwickeln, erwerben oder unter eigener Kontrolle lagern wird.Fünftens. Die Bundesrepublik Deutschland ist sämtlichen maßgeblichen Vereinbarungen beigetreten, die das Testen oder das Verbringen von Massenvernichtungswaffen in besondere Zonen oder Räume verbieten, wie z. B. dem Atomteststoppvertrag von 1963, dem Antarktisvertrag, dem Meeresboden- und dem Weltraumvertrag.Sechstens. Über diese zuvor genannten wichtigen Selbstbindungen hinaus hat die Bundesregierung durch eine aktive Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik auf der Grundlage einer verantwortlichen Sicherheitspolitik im Rahmen der westlichen Allianz zum Abbau und zur Vernichtung von Massenvernichtungswaffen beigetragen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Pershing-Ia-Entscheidung von Bundeskanzler Kohl, die maßgeblich zur doppelten Null-Lösung bei der INF-Vereinbarung beigetragen hat.In der Genfer Abrüstungskonferenz, meine Damen und Herren, tritt die Bundesregierung mit allem Nachdruck für den baldigen Abschluß eines weltweiten, zuverlässig verifizierbaren Verbots chemischer Waffen ein und ist damit maßgeblich an den Bemühungen um dauerhafte Beseitigung chemischer Massenvernichtungswaffen beteiligt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den Abzug der amerikanischen chemischen Waffen auf dem Bundesgebiet, der noch im Jahr 1990 abgeschlossen sein wird, und auf die anschließende Vernichtung dieser Waffen noch einmal hinweisen.Lassen Sie mich zu den vorliegenden Anträgen Stellung nehmen: Die Bundesregierung bedauert, daß falsche und polemische Formulierungen — aber das sind wir ja nun gewohnt — in der Begründung des Entwurfs der GRÜNEN geeignet sind — und möglicherweise darauf abzielen —, Ängste vor einem angeblich atomwaffenstarrenden militärischen Koloß Deutschland auch im Ausland zu schüren. Eine Formulierung, wie Sie sie gebrauchen „Die Bundesrepublik Deutschland ist in technischer Hinsicht ein Atomwaffenstaat auf Abruf " , ist unverantwortlich.
Wie die Bundesregierung schon wiederholt erklärt hat, läuft der Nichtverbreitungsvertrag 1995 nicht aus, wie dies in der Begründung festgestellt wird. Die Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrages werden 1995 eine Entscheidung über den Zeitraum seines Weitergeltens treffen. Dies ist eine substantielle Frage. In dem hypothetischen Fall, daß 1995 eine Konferenz nicht rechtzeitig einberufen würde oder eine mehrheitliche Konferenzentscheidung nicht zustande käme, würde der Nichtverbreitungsvertrag nicht auslaufen. Er würde so lange unbefristet weitergelten, bis eine Konferenzentscheidung getroffen ist. Dies ist Meinung aller drei Depositarstaaten des Nichtverbreitungsvertrages und auch der Bundesregierung.Unsere Verfassung — um zu dieser Frage hier zu kommen — bekundet bereits in der Präambel feierlich den Willen des deutschen Volkes, dem Frieden der Welt zu dienen. Diese Wertentscheidung ist ein tragendes Verfassungsprinzip. Art. 26 des Grundgesetzes statuiert ausdrücklich das Verbot des Angriffskrieges. Die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik, auf die Herstellung und die Verfügungsgewalt über Kernwaffen zu verzichten, ergibt sich klar und eindeutig aus dem Vertrag über die WEU von 1954 und aus dem Nichtverbreitungsvertrag von 1968. Diese völkerrechtlichen Verpflichtungen sind durch Vertragsgesetze in innerstaatliches Recht übertragen worden. Es besteht also kein Anlaß, zu befürchten, daß sich die Bundesrepublik Deutschland diesen Verpflichtungen durch Kündigung, Bundesgesetzgebung oder auf andere Weise entziehen will.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde jetzt gern einmal, nachdem ich bereits drei Reden gehalten und noch vier zu halten habe, mit dieser Rede zu Ende kommen.
— Ich übertrage sie Ihnen gerne, Herr Kollege Voigt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15731
Staatsminister SchäferDas Kontrollsystem des Nichtverbreitungsvertrages, das durch die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien in die Praxis umgesetzt und überwacht wird, hat sich bewährt. Wozu — diese Frage stellt sich hier natürlich — also auch noch die Aufnahme eines Atomwaffenverzichts in die Verfassung? Würde dies wirklich, meine Damen und Herren, wie Sie meinen, ein positives Signal setzen und mehr internationales Vertrauen in die Bundesrepublik schaffen? Im Gegenteil: Eine verfassungsrechtliche Verankerung könnte durchaus dahin gehend mißverstanden werden, daß wir unsere eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen selbst als nicht ausreichend ansehen
oder bislang angesehen hätten. Dazu besteht ja nun überhaupt kein Anlaß, es sei denn, es würde in diesem Hause möglicherweise eine andere Koalition regieren. Aber ich kann sie mir kräftemäßig eigentlich nicht ganz vorstellen
und kann mir nicht vorstellen, daß sie sich anders verhielte.
Schließlich hat der Atomwaffenverzicht auch in den anderen europäischen Staaten keinen Eingang in die Verfassung gefunden. — Selbst bei einem einheitlichen Deutschland, Herr Kollege Voigt, bezweifeln Sie doch nicht, daß nun Ihre SPD, unsere Liberalen, der Bund Freier Demokraten oder meinetwegen auch der Demokratische Aufbruch kein Interesse hätte,
hier neue Vorstellungen über den Gebrauch von Atomwaffen zu entwickeln. Das dürfte nach Ihren Erfahrungen im DDR-Wahlkampf ja wohl niemand drüben wollen.Mit dem Antrag der SPD stimmt die Bundesregierung nur in Teilen überein. Ich möchte hier allerdings zwei Punkte herausgreifen, in denen wir nicht übereinstimmen. Entgegen dem Antrag strebt die Bundesregierung nicht einen völkerrechtlichen Zustand an, in dem keine atomaren und chemischen Waffen mehr auf deutschem Boden und darüber hinaus in Europa gelagert sind. Die Bundesregierung ist in der Zielsetzung viel umfassender und weitgehender: Im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz strebt sie ein weltweites Verbot chemischer Waffen und deren Vernichtung an — und nicht nur ein Verbot in Europa.
Sie setzt sich auch für eine weltweite drastische Reduzierung und Vernichtung von Nuklearwaffen bei zuverlässiger Verifikation ein. Daher geht es an den Realitäten und der gewachsenen Dynamik der Rüstungskontrollverhandlungen vorbei, wenn das Problem auf die Lagerung in Deutschland und in Europa reduziert wird.
— Frau Kollegin Beer, auch Ihre Zwischenrufe machen nicht deutlich, daß Sie inzwischen mehr dazugelernt haben.Im Antrag der SPD-Fraktion geht der Versuch, aus dem Nichtverbreitungsvertrag ein Atomwaffenverbot als bestehende Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft herzuleiten, an den Realitäten vorbei. Nichtverbreitung im Sinne des Nichtverbreitungsvertrages heißt nämlich Nichterhöhung der Zahl der Kernwaffenstaaten über die USA, die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China hinaus. Die Nichtkernwaffenstaaten haben ihre Unterschrift unter den Nichtverbreitungsvertrag allerdings mit der Erwartung verknüpft, daß die Kernwaffenstaaten, wie es der Nichtverbreitungsvertrag in Art. VI festlegt, in redlicher Absicht Verhandlungen über nukleare Abrüstung führen.Die drei Kernwaffenstaaten des Nichtverbreitungsvertrages haben diese Bestimmung als Gegenleistung für den endgültigen Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten auf Atomwaffen bezeichnet.Zu einer konkreteren Spezifizierung der Abrüstungsverpflichtung waren die Kernwaffenstaaten, die dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten sind, in diesem Zusammenhang nicht bereit. Dies gilt erst recht für die beiden Kernwaffenstaaten Frankreich und China, die dem Nichtverbreitungsvertrag bisher nicht beigetreten sind.Der Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen im Jahre 1954 war Geschäftsgrundlage für den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Allianz. Die Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages im Herbst 1969 machte den Weg für die Ostpolitik der Bundesregierung frei. Der Verzicht auf atomare, chemische und biologische Waffen wird auch zukünftig zu den unverzichtbaren Grundlagen eines einheitlichen Deutschlands gehören. Ich glaube, daran sollte niemand zweifeln.Unsere heutige Debatte findet zehn Tage nach dem 20. Jahrestag des Inkrafttretens des Nichtverbreitungsvertrages, dem 5. März 1990, statt. Das gibt Anlaß zu der Feststellung: Der Nichtverbreitungsvertrag gehört zu den politischen Grundlagen unserer Außenpolitik und hat sich als ein wichtiger Eckpfeiler der internationalen Stabilität und Friedenssicherung sowie als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bewährt. Durch den Beitritt der noch abseits stehenden Staaten muß er universelle Geltung erhalten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 11/5119 und 11/5307 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
15732 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsident StücklenIch rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Beer, Frau Schilling, Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNENKeine Produktion und Endmontage neuer amerikanischer C-Waffen, Abzug der C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschlandzu dem Antrag der Fraktion der SPDInitiativen zum Verbot der Herstellung und Lagerung chemischer Waffen und der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung— Drucksachen 11/1185, 11/3669, 11/6390 —Berichterstatter:Abgeordnete Lummer Dr. ScheerDr. FeldmannFrau Beerb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Müller (Pleisweiler), Gerster (Worms), Brück, Büchner (Speyer), Conrad, Diller, Dr. Ehmke (Bonn), Erler, Fischer (Homburg), Dr. Götte, Heistermann, Horn, Jahn (Marburg), Leonhart, Pauli, Dr. Pick, Dr. Scheer, Scherrer, Schreiner, Sielaff, Dr. Soell, Stiegler, Voigt (Frankfurt), Weyel, Wieczorek-Zeul, ReimannAbzug aller chemischen Waffen aus Rheinland-Pfalz— Drucksachen 11/4094, 11/6407 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerster Dr. UelhoffHierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6687 vor.Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 90 Minuten vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den C-Waffen gibt es derzeit eine außerordentlich widersprüchliche politische Entwicklung. Auf der einen Seite haben wir positive Nachrichten aus Genf, wo seit 1983 40 Staaten plus 27 beobachtende Staaten versuchen, ein weltweites Abkommen zur Beseitigung aller C-Waffen zu erreichen. Seit dem 6. Februar dieses Jahres wird wieder verhandelt. Diese Runde wird bis zum April dauern. Wir wissen von Fortschritten bei den Inspektionsverfahren, von einem Bewußtsein aller Beteiligten, daß die Zeit drängt, und von einem ausgeprägten politischen Willen, endlich zu einem Ergebnis zu kommen.Wir haben nach der Regierungs-Industrie-Konferenz von Canberra im September letzten Jahres weiter Impulse durch bilaterale Elemente erfahren können, die die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion durch die Regierungsvereinbarung von Wyoming vom 23. September 1989 in die Debatte eingebracht haben, wobei beide Supermächte einen vertraulichen Datenaustausch, der bereits in Gang ist, und auch Verifikationsexperimente vereinbart haben, ergänzt durch eine Erklärung von Präsident Bush vor der UN- Vollversammlung am 25. September und durch eine Bestätigung dieses Kurses durch das Gipfeltreffen von Malta Anfang Dezember letzten Jahres, bei dem vereinbart wurde, bis zum Juni dieses Jahres ein zweiseitiges Abkommen abzuschließen. Aus diesen Prozessen ergibt sich die Chance, daß es eine verzahnte stufenweise Vernichtung der C-Waffen, vor allem der großen C-Waffenbestände der Großmächte, geben wird, und zwar in der Weise, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion zunächst einmal auf bilateraler Basis auf 20 % ihrer bisherigen Bestände heruntergehen und daß dann, wenn endlich in Genf ein Ergebnis in Form eines Vertrags vorliegt, im achten Jahr seiner Gültigkeit 98 % aller Bestände beseitigt sein werden und dann im zehnten Jahr endlich die Null-Lösung erreicht wird.Die dritte hoffnungsvolle Nachricht sind die Beseitigung und der Abzug der amerikanischen C-WaffenAltbestände aus der Bundesrepublik. Nachdem eine Zeitlang die Öffentlichkeit über die Art und Weise, wie dies passiert, verunsichert worden war, ist durch den Druck der Opposition auch dieses Problem im Augenblick nicht mehr in diesem Umfang vorhanden. Wir begrüßen es, glaube ich, alle, daß dieser Abzug noch in diesem Jahr stattfinden wird.Aber neben diesen hoffnungsvollen Ansätzen gibt es auch einige bedenkliche Faktoren. Zum Teil kommen sie ebenfalls aus Genf. Wir wissen, daß es dort bisher noch keine Einigung über eine Verdachtskontrolle gibt, daß es noch keine Einigung über Ad-hocVerifikationsmaßnahmen gibt und daß auch die Arbeitsweise der internationalen Vertragsorganisation wie auch die Technik der Vernichtung noch unklar sind.Die Vertraulichkeit, die die beiden Großmächte vereinbart haben, hat nicht zu Vertrauen bei den anderen Inhabern von C-Waffen geführt. Wir wissen, daß die Weiterverbreitung von C-Waffen fortschreitet und schon mehr als 20 Länder erreicht hat, daß aber die Vereinigten Staaten einen Vertragsabschluß in Genf nur ins Auge fassen, wenn dem Vertrag alle Länder dieser Welt beitreten werden. Daß das ein großer Stolperstein werden kann, läßt sich daran erkennen, daß beispielsweise der Irak in Genf gar nicht mitverhandelt.Noch immer gibt es einen Export von Technologie in andere Länder und damit eine weitere Proliferation.Wenn insofern Botschafter Holik, unser Abrüstungsbeauftragter für diesen Bereich, für dieses Jahr die Aussage macht — ich zitiere — : „Das Jahr 1990 kann sehr wohl die Entscheidung für das Chemiewaffenverbot bringen", dann ist das schon wesentlich weniger optimistisch als die vielen Äußerungen aus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15733
Erlerden vergangenen vier Jahren, die wir über einen raschen Abschluß der Verhandlungen in Genf gehört haben. Aber er ist immer noch einsam in seinem Optimismus. Denn viele andere seiner Kollegen sagen voraus, daß es auch in diesem Jahr in Genf zu keinem Abschluß kommen wird.Außerdem — das ist ein weiterer negativer Faktor — schreitet die Produktion der neuen Generation binärer C-Waffen in den Vereinigten Staaten fort — wie wir alle wissen, einer Generation, die sich noch mehr als die schon vorhandenen den Abrüstungsbemühungen entzieht.Schließlich — das ist ein Punkt, auf den wir immer wieder zurückkommen müssen und werden — ist nach wie vor nicht definitiv klar, daß es nie wieder eine Rückkehr von chemischen Waffen auf deutschen Boden geben wird. In der Tokioter Erklärung vom Mai 1986 ist ja vereinbart worden, daß es dafür zwar hohe Hürden gibt, aber eine solche Rückkehr ist nicht gänzlich ausgeschlossen, und wir erhalten immer wieder, um uns zu beruhigen, den Hinweis auf einen möglichen Erfolg in Genf.Ich kann hier nur noch einmal sagen: Gerade nach den Erfahrungen mit der Kompliziertheit und den großen Befürchtungen, die sich mit dem Abzug der amerikanischen Alt-C-Waffen von deutschem Boden immer noch verbinden, muß Einigkeit darüber bestehen, daß sie nie wieder und unter keinen denkbaren Umständen zurückkehren dürfen.
Ich sage nur: Die Möglichkeit ist nach wir vor vorhanden.Mein Fazit ist, daß die Unterschiede zwischen dem allgemeinen Abrüstungsprozeß und den Fortschritten bei den C-Waffen gefährlich sind. Sie sind gefährlich, weil diese Unterschiede eine Schere darstellen, bei der sich Verzögerungen gerade bei der Abrüstung der C-Waffen verhängnisvoll auswirken können. Dafür gibt es gerade heute ein aktuelles Beispiel. Geradezu exemplarisch ist der Fall des Feuers in Rabta, über den wir heute unterrichtet worden sind. Ich möchte einmal festhalten: Es gibt natürlich kein völkerrechtliches Verbot für einen Staat wie Libyen, C- Waffen herzustellen. Auf der anderen Seite ist auch die Besorgnis in den anderen Ländern verständlich. Aber sie geht sicherlich zu weit, wenn die Vereinigten Staaten auch militärisches Eingreifen, um diese Bestände zu beseitigen, nicht ausschließen konnten. Der amerikanische Sprecher Fitzwater hatte gesagt: Wir schließen nichts aus. Jetzt, da dieser Brand in Rabta geschehen ist, hören wir, daß Präsident Bush den Verdacht zurückweisen muß, etwas damit zu tun zu haben.Ich führe das hier deswegen an, weil es zeigt, daß das bloße Vorhandensein von C-Waffen in verschiedenen Ländern eine Kriegsgefahr, die Gefahr für militärische Konflikte darstellt, ganz besonders dann, wenn sie in Händen von Leuten wie Gaddafi, aber auch von anderen sind.Unser Fazit daraus ist: Es gibt trotz der positiven Dinge, die in diesem Bereich geschehen — ich habesie genannt — , einen erheblichen Handlungsbedarf. Die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, die Zeit der C-Waffen wirklich zu überwinden, ist so lange nicht überzeugend, solange sie weiter binäre C-Waffen produzieren.Die Bundesrepublik ist hier — ich muß noch einmal daran erinnern — mitverantwortlich durch ihre Zustimmung zu den NATO-Force-Goals vom 22. Mai 1986 und durch die von mir zitierte Tokio-Erklärung. Das heißt, wir müßten jetzt im Grunde genommen die Vereinigten Staaten auffordern, alle Bündnispartner müßten sie auffordern, endlich die C-Waffen-Produktion der binären Sorte einzustellen.
Wir müssen die Initiative ergreifen, um die Streitkräfteziele in bezug auf die C-Waffen in der NATO wieder zu verändern, und eine Klarstellung zu der Erklärung von Tokio dahin gehend vornehmen, daß unter keinen Umständen eine Rückkehr der C-Waffen in Frage kommt.
Ich komme zu einem Punkt, bei dem ich weiß, daß Sie jedesmal eingreifen. Nach wie vor — das ist auch ein Gegenstand unserer Anträge — ist es richtig und vernünftig, über eine C-Waffen-freie Zone in Europa mit der Bundesrepublik, dem Gebiet der DDR und dem der tschechoslowakischen Republik nachzudenken.
Jetzt haben wir einen einseitigen Abzug der amerikanischen Waffen von deutschem Boden. Das ist eine Minizone, die sicherlich nicht besser ist als die Zone, die wir im Auge haben. Nach wie vor hätten wir hier eine günstige Testmöglichkeit bezüglich der Verifikation.
Wenn Sie, Herr Kollege, immer sagen, daß Sie das Weitergehende wollen, dann darf ich nur daran erinnern, daß die Beseitigung der C-Waffen nach einem Abkommen in Genf noch mindestens zehn Jahre dauert. Auch für diese Zeit wäre es attraktiv, eine C-Waffen-freie Zone zu haben.Ich komme zum Schluß. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Abrüstung gerade in den konventionellen Bereichen und bei den C-Waffen sind gefährlich. Man darf sich nicht ablenken lassen durch die Erfolge, die gerade jetzt zu sehen waren. Mit jedem Monat wird die Chance geringer, daß sich alle Länder noch zu einem weltweiten Verbot in Genf zusammenfinden werden. Deswegen ist dringendes Handeln der Bundesregierung auch jetzt angesagt.Ich danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.
Metadaten/Kopzeile:
15734 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt im Rathaus Schöneberg eine Gedenktafel für den Entdecker der Relativitätstheorie.
— Ich war es wirklich nicht, Herr Kollege. Aber ich tröste mich mit Ihnen: Sie waren es ja auch nicht.
Wenn man sich die Debatte über diese Anträge betrachtet, stellt man fest, wie relativ alles werden kann, wie die Zeit manche Ansichten verändert. Was gestern noch in war, ist heute der Schnee von gestern.
Wenn man den Beitrag von Ihnen, Herr Erler, gehört hat, spürt man allzu deutlich: Die Luft ist raus. Die amerikanischen Waffen verschwinden; das Thema ist abgehakt. Die Pariser Konferenz, von der Sie noch mit großem Mißtrauen reden, ist ein Erfolg geworden.
Wir haben im Parlament, im Auswärtigen Ausschuß das Kriegswaffenkontrollgesetz abgehakt. Meine Damen und Herren, ob man es will oder nicht: Es gibt nun auch bei den beiden Großmächten im Zusammenhang mit den C-Waffen erhebliche Fortschritte, auch wenn nicht alle Blütenträume gereift sind. Daß wir dabeisein wollen, dieses weiter zu befördern, ist, finde ich, ganz selbstverständlich. Aber bezogen auf die Anträge, mit denen wir es heute zu tun haben — sie sind vom Auswärtigen Ausschuß abgelehnt worden, und das wird sich sicher heute wiederholen —, wird man sagen müssen: Sie sind zu einem wesentlichen Teil überholt, erledigt oder doch auf einem sehr guten Wege.
Aber es gibt natürlich eine Problematik, die uns alle nach wie vor beschäftigt. Sie haben daran erinnert, daß dieses in besonderer Weise am heutigen Tage geschieht. Rabta brennt. Meine Damen und Herren, sicherlich sieht man das mit verdammt gemischten Gefühlen. Im ersten Moment schleicht sich der Gedanke ein: Gott sei Dank, daß diese Giftküche weg ist oder verschwindet. — Im zweiten Moment denkt man daran, was daraus werden kann, wenn unsere Informationen und die der Amerikaner wirklich zutreffend sind, daß dort chemische Waffen sind. Man denkt dann daran, was das für die Menschen, die dort arbeiten, und für die Menschen in der Umgebung anrichten kann. Es können dadurch schreckliche Bilder entstehen.
Das wirkliche Problem, das wir nach meinem Dafürhalten nicht nur bisher nicht haben lösen können, sondern bei dem ich auch noch gar nicht sehe, wie wir es auf den richtigen Weg bringen können, ist aber dieses: Wie geht man mit solchen Menschen — manche sagen: mit solchen Verbrechern — um, die sich an die Vereinbarungen nicht halten, die C-Waffen einfach produzieren, lagern oder auch anwenden?
Was machen wir mit diesen Leuten? Wie versucht die internationale Gemeinschaft mit diesem Phänomen fertigzuwerden? Dazu ist uns bisher nichts eingefallen. Wir haben das immer wieder beklagt. Sicherlich war das auch jetzt wieder eine Drohung, daß die Amerikaner nicht ausgeschlossen haben, militärisch einzugreifen. Aber was ist das für eine Sache?
Sicherlich hätten wir im Ergebnis nach dem Motto: Ich liebe den Verrat, aber ich hasse den Verräter! dann gesagt: Gut, daß diese Fabrik weg ist, aber ich mißbillige die Methoden, mit denen das erreicht wurde. — Aber was kann uns denn eigentlich einfallen? Ich meine, ein zarter Ansatz wäre — ich habe das schon einmal gesagt, und auch Sie haben darauf hingewiesen, Herr Kollege Erler — , folgendes zu versuchen. In Genf sind nur wenige Staaten dabei, die meisten sind nicht dabei oder haben nur Beobachterstatus, so auch Libyen und der Irak. Vielleicht sollten wir wirklich versuchen, diese beiden Staaten in das Vertragswerk mit einzubeziehen. Vielleicht eröffnet das eine Chance, und vielleicht gibt es dadurch eine stärkere Verpflichtung dieser Länder, sich hier enthaltsam zu zeigen.
Das nächste ist dann die Frage der Sanktionen. Die Amerikaner haben inzwischen schon wieder darüber nachgedacht, ob sie nicht gegen Libyen zusätzliche Sanktionen verfügen. Die Arabische Vereinigung hat das inzwischen mißbilligt. Uns ist bisher kein geeignetes Instrumentarium eingefallen. Aber ich finde, hierüber sollten wir nachdenken, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.
Meine Damen und Herren, das halte ich wirklich für ein Problem, weil wir keine Patentrezepte haben.
Wir werden uns zwar auch weiterhin darum bemühen, irgendwelche Zonen chemiewaffenfrei zu machen, aber es bleibt dennoch dabei: Zur globalen Verbannung der chemischen Waffen aus allen Arsenalen gibt es letztendlich keine Alternative.
Dieses Ziel sollten wir mit aller Intensität weiterverfolgen. Wir sollten diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne der Bundesregierung unser Lob zu zollen. Sie bekommt immer wieder Kritik zu hören, sie sei an allem mitschuldig, z. B. daran, daß die Amerikaner binäre Waffen produzieren und daß die Abrüstung nicht schnell genug gegangen ist. Nun werden die Waffen schon früher abgezogen, als es je jemand geträumt hat. Jetzt sollten wir auch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Wir sind mit unserer Regierung zufrieden, und wir danken ihr für die Erfolge, die sie für uns erreicht hat.
Nun meine letzte Bemerkung. Wir haben dieses Thema schon so „ausgeknautscht" , daß es eigentlich nicht nötig wäre, daß wir heute 90 Minuten darüber reden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Woche nach der mit riesigem Medienspektakel von der Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15735
Frau Beerinszenierten Unterrichtung der Öffentlichkeit und des Parlaments über den geplanten Abzug chemischer Waffen aus der Pfalz, aus der Bundesrepublik Deutschland, debattieren wir heute, eine Woche später, wieder im Bundestag. Wie hautnah dieses Problem ist, verdeutlicht ein Ereignis, dessen zweiter Jahrestag morgen ist und das ich hier mit aller Deutlichkeit ansprechen möchte, weil es die Grausamkeit der Anwendung chemischer Waffen verdeutlicht hat. Morgen jährt sich zum zweitenmal der Giftgaseinsatz der irakischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung,
gegen die kurdisch-irakische Stadt Halabja. 5 000 Menschen starben, 70 000 sind in den Iran und in die Türkei geflohen. Die bundesdeutschen Firmen lieferten damals Bestandteile für dieses todbringende Gas. Ich erwähne diese Ereignisse nicht zufällig.In der letzten Woche hat Verteidigungsminister Stoltenberg dem Verteidigungsausschuß und der Öffentlichkeit endlich Einzelheiten über den geplanten Abzug US-amerikanischer C-Waffen aus der Bundesrepublik mitgeteilt. Die Fraktion DIE GRÜNEN begrüßt audrücklich, daß die Forderung der Friedensbewegung nach Abzug aller chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland nun endlich erfüllt werden soll.
Wir kritisieren aber aufs schärfste, Herr Dr. Stoltenberg, wie dies geschieht. Die von Ihnen abgegebenen Informationen zum Abzug amerikanischer C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland waren zum großen Teil nichts weiter als die Bestätigung von Vermutungen, die eh schon seit einiger Zeit bekannt waren. Zudem müssen Sie sich die Frage stellen lassen, warum das Parlament und die Öffentlichkeit erst jetzt über den Standort Clausen, die Mengen und Stoffe chemischer Waffen unterrichtet worden sind.
Jahrelang sind über das nicht gegen Flugzeugabsturz abgesicherte Depot in Clausen Tiefflieger hinweggedonnert. Ein Absturz wie in Remscheid hätte eine Katastrophe für die gesamte Südpfalz bedeutet.
Es ist nur allzu verständlich, wenn die Menschen in dieser Region nichts mehr glauben, was ihnen von offizieller Stelle erzählt wird. Auch die Informationen des Verteidigungsministers, die letzte Woche in Bonn und Clausen gegeben wurden, haben die Bevölkerung nicht beruhigt.
Das ignorante Verhalten der Bundesregierung ist ein trauriges Indiz dafür, daß sie aus den Toten Ramsteins — das liegt ganz in der Nähe — nichts gelernt hat. Nach wie vor nehmen Sie, Herr Verteidigungsminister, die berechtigten Ängste dieser Menschen nicht ernst.
Der globale Hinweis „Das ist alles sehr sicher" reicht nicht aus. Wenn der Abtransport dieser chemischen Waffen wirklich so sicher ist, warum wird dann ein derartiger Aufwand betrieben, warum werden dann etliche Millionen DM dafür ausgegeben? Warum sind die Studien über die Risiken des Abzugs derart überhastet betrieben worden,
daß selbst die Amerikaner Bedenken angemeldet haben? Warum ist die Testphase für die Entwicklung der Spezialcontainer von 18 Monaten auf 31 Tage verkürzt worden? Warum weigern Sie sich immer noch, einer Kommission aus Parlamentariern und Parlamentarierinnen und unabhängigen Experten und Expertinnen den Zugang zu den Depots nun endlich zu gewähren?Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie auch erschreckend: Es ist Wahlkampf in der Bundesrepublik.
Diese Regierung will den Abzug amerikanischer C- Waffen aus der Bundesrepublik als Ergebnis ihrer Abrüstungspolitik feiern. Deshalb müssen die Waffen in jedem Fall vor der Bundestagswahl, also spätestens am 2. Dezember, notfalls auch zu Lasten der Sicherheit, verschwinden.
Dies ist Wahlkampf mit den Ängsten der Bevölkerung, Herr Dr. Stoltenberg
und das lehnen wir entschieden ab.
Ich fordere die Bundesregierung an dieser Stelle noch einmal auf: Legen Sie endlich alle Fakten auf den Tisch, und beziehen Sie das Parlament und die Öffentlichkeit in die Planung für den Abzug chemischer Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland mit ein, wie es in den USA üblich ist! Verheimlichen Sie jetzt nicht auch noch das Moll, das die Vereinbarung zwischen USA und Bundesregierung enthält, sondern unterrichten Sie wenigstens die zuständigen Fachausschüsse darüber.Das Problem chemischer Waffen ist aber auch nach dem Abzug der Artilleriegrananten aus Clausen nicht erledigt. Schon stehen neuere, bessere binäre C-Waffen vor der Tür. Ich spreche von den binären C-Waffen, die zur Zeit in den USA produziert werden. Im Gesetz für den US-amerikanischen Verteidigungshaushalt 1988 und 1989 heißt es — das möchte ich zitieren — :Chemische Munition der Vereinigten Staaten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes in Europa gelagert wird, sollte nicht abgezogen werden, bevor diese Munition zeitgleich durch binäre Munition auf dem Boden wenigstens eines einzigen NATO-Mitglieds ersetzt wird.
Metadaten/Kopzeile:
15736 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau BeerDieses „sollte" bedeutet zwar keine Entscheidung — das ist mir klar —; dennoch zeigt es die Brisanz, zeigt es, daß die binären C-Waffen durchaus produziert werden, um auch stationiert zu werden, und daß diese Entscheidung keine nationale Angelegenheit ist.Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, welches NATO-Mitgliedsland in diesem Satz in diesem Gesetz gemeint ist. Militärstrategisch macht allein die Stationierung in der Bundesrepublik Deutschland Sinn. Die Freude über den Abzug der „alten" C-Waffen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß heute neue binäre C-Waffen in den USA bereitstehen. Eine Modernisierung auf dem Gebiet der C-Waffen, wie sie von den USA geplant ist, muß verhindert werden.Die Fraktion DIE GRÜNEN hat deshalb einen Änderungsantrag eingebracht, in dem die Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag aufgefordert wird, ein endgültiges und eindeutiges Nein zur Stationierung binärer chemischer Waffen oder einzelner Komponenten dieser Waffen in der Bundesrepublik Deutschland zu erklären und dies der Regierung in den USA mitzuteilen. Herr Verteidigungsminister, wenn Sie wirklich meinen, was Sie sagen, dann wird es Ihnen und auch Ihrer Fraktion sowie der FDP nicht schwerfallen, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.Ich möchte noch einen weiteren Aspekt des Problems chemischer Waffen ansprechen, der auch in diesen Tagen wieder für Schlagzeilen gesorgt hat: die Beteiligung bundesdeutscher Firmen am Bau der Fabrik im libyschen Rabta und die nach westlichen sicherheitsdienstlichen Erkenntnissen darin erfolgte Produktion von 30 t Lost. Techniker und Konstrukteure des bundesdeutschen Unternehmens Salzgitter haben das Know-how für die Anlagen in Rabta geliefert. Die Nachricht — wir haben sie natürlich vernommen —, daß die Fabrik heute abgebrannt ist — aus welchen Gründen auch immer und von wem verursacht, sei diesmal zurückgestellt —, ändert nichts daran, daß entgegen schöngeistigen und unverbindlichen Erklärungen auf internationalen Konferenzen, auf denen der Bundesaußenminister die Ächtung der chemischen Waffen fordert, die Bundesrepublik selbst Länder im Nahen und Mittleren Osten in die Lage versetzt, C-Waffen zu produzieren.Die durch bundesdeutsche Hilfe geförderte Ausbreitung der „Atombombe des kleinen Mannes" verdeutlicht, daß die Durchsetzung eines weltweiten C-Waffen-Verbots von denen behindert wird, die dieses Verbot lautstark fordern. Machen wir uns doch nichts vor: Mit jedem weiteren Fall von Proliferation chemischer Waffen — egal wohin — entfernen wir uns ein weiteres Stück von einem weltweiten C-Waffen-Verbot.Wirklich sinnvolle Maßnahmen zur weltweiten Vernichtung der chemischen Waffen setzen das Recht auf Inspektionen direkt vor Ort voraus. Am Beispiel Rabta ist deutlich geworden, wie der Verdacht der C-Waffen-Produktion zu einem Brandherd und zu einer Gefahr für den Weltfrieden werden kann. Die USA in ihrer geliebten Rolle als Weltpolizist haben diesen Verdacht genutzt, um vier Jahre nach der Bombardierung von Tripoli und Bengasi erneut militärische Aggression anzukündigen. Diese Konfliktausweitungen können nur verhindert werden, wenn das Recht auf sofortige Verdachtsinspektionen chemischer Anlagen unter UNO-Aufsicht verankert wird. Dies muß unabhängig von den Genfer Verhandlungen geschehen, deren Verlauf aus unserer Sicht absolut nicht zufriedenstellend ist.In zehn Jahren wird sehr viel passieren, wenn man bedenkt, was hier — wie ich an Hand der Beispiele, die ich soeben geschildert habe, aufgezeigt habe — in den letzten beiden Jahren passiert ist. Ich hoffe, daß der Außenminister eine internationale Inspektionsgruppe unter UNO-Aufsicht unterstützt, die das Recht hat, überall zu inspizieren, wo ein Verdacht entsteht, egal ob in Libyen, im Irak, im Iran, in Israel oder auch in der Bundesrepublik, in der DDR oder in der Sowjetunion, halt überall.Meine Damen und Herren, die durch die Mehrheiten der Regierungskoalition in den Ausschüssen beschlossene Ablehnung der vorliegenden Anträge zeigt einmal mehr, daß die Bundesregierung nicht in der Lage und nicht willens ist, das Problem chemischer Waffen tatsächlich anzugehen. Sie benutzt es als Wahlkampfmunition. Das ist — das möchte ich Herrn Stoltenberg sagen, auch wenn er nicht zuhört oder nur so tut — angesichts der Gefährlichkeit dieser Munition ein Skandal.Schöngeistige Forderungen auf internationalen Konferenzen und nichtssagende Beruhigungsformeln an die eigene Bevölkerung sind keine geeigneten Mittel gegen das weltweit geschädigte Ansehen der Bundesrepublik und auch nicht gegen die Ängste der betroffenen Bevölkerungen, die nun vor der noch immer geheimen Strecke stehen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob die Kollegin Beer dem Thema soeben gerecht geworden ist, und zwar insbesondere angesichts der zusätzlichen Emotionalisierung, die in dieses Thema hineingekommen ist und die wir bei dieser Frage eigentlich überhaupt nicht gebrauchen können.
Meine Damen und Herren, wir haben gestern im Verteidigungsausschuß über dieses Thema gesprochen. Ein Kollege hat gesagt: Der Antrag ist eigentlich etwas angegraut. Ich greife das auf. — Ich finde es auch nicht falsch; ich möchte das jetzt gar nicht kritisch anmerken. Das Thema hat sich nämlich in der letzten Zeit natürlich in einer Weise entwickelt, daß man sich eigentlich hinsetzen und einen neuen Antrag formulieren müßte, und in einer ganzen Reihe von Punkten käme man vielleicht sogar zu gemeinsamen Lösungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15737
Dr. HoyerDaß das Thema eine einvernehmliche — oder möglichst weitgehend einvernehmliche — Lösung vertragen würde, ist ja wahrscheinlich unstrittig.Meine Damen und Herren, ich möchte auf zwei Gesichtspunkte eingehen. Der eine ist das allgemeine Unbehagen — um es vorsichtig auszudrücken — , das uns beschleicht, wenn wir feststellen, daß wir eigentlich nicht entscheidend vorankommen oder zumindest nicht endlich mit einem Ergebnis zum Thema chemische Waffen aufwarten können, und zum zweiten möchte ich etwas zum Abzug der amerikanischen C-Waffen aus Rheinland-Pfalz sagen.Bei keinem Thema liegen ja Hoffnung und Frust so nahe beieinander wie bei dem Thema Chemiewaffen. Ich mache das hier erst seit gut drei Jahren; aber die Kollegen, die schon etwas länger hier sind, können darüber berichten, daß das schon die x-te Debatte zu diesem Thema ist. Wir wähnen uns immer kurz vor einem erfolgreichen Abschluß von Verhandlungen, und es ist schon sehr frustrierend, daß wir damit nicht zu einem Ende kommen.Die internationalen Verhandlungen, die gerade wieder in eine neue Runde gegangen sind, nähren auf der anderen Seite immer wieder die Hoffnung, daß es nun bald vorangeht, und vielleicht dürfen wir in der Tat die Hoffnung haben, daß wir, auch begünstigt durch einen sowjetisch-amerikanischen Gipfel in diesem Sommer, ein entscheidendes Stück vorankommen; aber ich denke, ohne eine bilaterale Flankierung durch die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten wird es noch schwerer werden, als es in den letzten Jahren war. Begünstigt wird allerdings diese bilaterale Flankierung möglicherweise dadurch, daß auch die Sowjetunion natürlich ein nachhaltiges Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Westen hat.Übrigens gibt es in dem SPD-Antrag einen Gedanken, den ich recht sympathisch finde, nämlich zu sagen, daß wir über eine industrielle Kooperation und Unterstützung sprechen sollten; denn die Sowjetunion selber wird große Schwierigkeit haben, bei der Vernichtung der chemischen Waffen industriell voranzukommen.
— So ist es, sie hat keine Anlage zur Vernichtung, und die einzige Anlage, die in Frage kommen würde, wird aus Gründen, die ausgerechnet mit einem positiven Prozeß, nämlich mit Demokratisierung, zu tun haben, nicht in Betrieb genommen werden können.Die Bundesregierung hat sicherlich in dem grundsätzlichen Fortschritt, der auf dem richtigen Wege zu erkennen ist, große Verdienste erworben. Dafür sind wir dankbar, und wir können die Bundesregierung nur auffordern, auf diesem Wege weiter entsprechenden Druck auszuüben. Wir als Deutsche sind in dieser Frage, so denke ich, glaubwürdig, weil wir insbesondere bei einem der wesentlichen Stolpersteine für ein C-Waffen-Abkommen eigentlich eine Vorleistung erbracht haben wie kein anderer. Für uns ist die ganze Problematik der Verifikation nichts Neues, und ich denke, es ist auch für unsere Industrie leicht, ein sehr scharfes Verifikations- und Kontrollregime zu akzeptieren. Insofern hoffen wir, daß die Bundesregierungan ihrem Bemühen festhält und daß wir gemeinsammit unseren Partnern und den anderen beteiligtenStaaten bald zu einer Lösung kommen, die in der Tat— da stimme ich Herrn Erler zu — alle Staaten umfassen muß, auch solche, die gegenwärtig nicht am Verhandlungstisch sitzen; denn sonst wäre das Ganze unsinnig.Auf der anderen Seite bin ich recht froh, daß die Bundesregierung und unsere Partner nicht zu kurz gesprungen sind, indem wir uns auf eine Regionalisierung eingelassen hätten, was möglicherweise dazu geführt hätte, daß wir uns in einer Sicherheit gefühlt hätten, die praktisch nicht gegeben ist, wenn es sich um ein regionales und nicht globales Konzept handelt.Zum zweiten Punkt: Abzug der C-Waffen aus Rheinland-Pfalz. Der Verteidigungsminister hat in der vergangenen Woche den zuständigen Ausschüssen und der Öffentlichkeit sein Konzept vorgetragen, und ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich festhalten, daß ich dieses Vorgehen für außerordentlich verantwortungsbewußt und überlegt halte.
Wir haben ein sehr sauberes, durchdachtes und alle Eventualitäten einkalkulierendes Konzept vorgetragen bekommen, wobei man sicher über manche Einzelheiten noch reden kann.
— Frau Götte, ob es ein Vorteil gewesen wäre, wenn wir seit einem längeren Zeitraum gewußt hätten— alle und nicht nur ein paar Verantwortliche — , wo das Zeug liegt und welche Abtransportmöglichkeiten man sich vorstellen könnte, das möchte ich im Hinblick auf das Erreichen des Zieles, nämlich einen möglichst raschen und sicheren Abtransport, dann doch eher bezweifeln.Insofern bin ich mit dem Verfahren zufrieden und kann dem Minister und seinen zuständigen Fachleuten auf deutscher und amerikanischer Seite nur Dank sagen, daß man so sorgsam vorgegangen ist.Wir haben jetzt hier selber allerdings eine sehr große Verantwortung, und Frau Kollegin Beer — die eben über den Verteidigungsminister gemeckert hat und nun selber nicht bereit ist, mir zuzuhören — trägt natürlich in einer meines Erachtens unverantwortlichen Weise zu einer Emotionalisierung und Verunsachlichung dieses Geschäftes bei.Das übergeordnete Ziel muß es sein, zu einem absolut sicheren Abzug zu kommen; denn daß die zu transportierende Materie sehr gefährlich ist, ist uns allen bewußt. Das wir ein Höchstmaß an Sicherheit aufbieten und alle Eventualitäten einkalkulieren müssen, ist uns ebenfalls bewußt. Dies sieht das Konzept des Verteidigungsministers und der beteiligten Dienststellen auch vor. Ich finde es insofern geradezu infam, die Argumentation nun umzudrehen und zu sagen: Weil ein so hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen getroffen wird, muß es ein außerordentliches, überproportional gefährliches und mit entsprechenden Wahrscheinlichkeiten ausgestattetes Unternehmen sein. Wenn diese Diskussion so fortgesetzt wird, befürchte ich, daß wir Risiken produzieren werden, deren Ab-
Metadaten/Kopzeile:
15738 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Hoyerwehr eigentlich Gegenstand unserer Bemühungen sein sollte.
Von daher geht die Argumentation, die wir schon jetzt teilweise erleben, weit über die normale grüne Schizophrenie hinaus, die lautet: Weg mit den C-Waffen, aber dann, wenn wir sie abtransportieren wollen: Nein zum Abzug! Deswegen denke ich, wir sollten verantwortungsbewußt vorangehen.
Wir sollten uns in der Tat auf das Wie konzentrieren. Dabei sind sicherlich immer noch Verbesserungen denkbar und möglich. Das wird in den zuständigen Gremien noch immer jeder Diskussion zugänglich sein.Ich selber habe dazu durchaus noch einige Überlegungen. Ich bin z. B. der Meinung, man sollte noch einmal sehr genau begründen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, die Überflugregeln für die entsprechenden Plätze, also sowohl Clausen als auch den Ort der Umladung als auch den Hafen als auch die Eisenbahnstrecken — das betrifft einen großen Teil der Republik — zu verschärfen.
Darüber kann man in aller Ruhe und Gelassenheit diskutieren.
Ich bin nach dem, was die Regierung vorgetragen hat, der festen Überzeugung, daß die Bereitschaft vorhanden ist, in einem verantwortlichen Prozeß die optimale Lösung herbeizuführen, und daß wir uns darauf verlassen können, daß jede Verbesserungsmöglichkeit, die vorgetragen wird, auch ernsthaft diskutiert wird.
— Genau das ist ein entscheidender Teil des Konzeptes. Deswegen wird nicht morgen, sondern dann abtransportiert, wenn die entsprechenden Stellen durch einen systematischen Prozeß der Information in die Lage versetzt sind, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Dann können wir eines Tages, glaube ich, die Erfüllung des übergeordneten Ziels, nämlich daß das Zeug endlich entfernt ist, mit Freude feststellen.
Jeder Versuch, diesen Abtransport unmöglich zu machen, indem zusätzliche Sicherheitsrisiken produziert werden, die eigentlich in der Diskussion gar nicht auftauchen dürften, wäre sehr bedauerlich. Wir sollten zusehen, daß wir möglichst bald sagen können: Die chemischen Waffen sind aus der Bundesrepublik restlos und endgültig entfernt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von mir nicht nur als rheinlandpfälzischer Kollege geschätzte Klaus-Dieter Uelhoff hat vorhin gesagt: Jetzt lob' doch einmal den Kanzler dafür, daß er dazu beigetragen hat, daß die C-Waffen abgezogen werden.
Ich habe mir das ernsthaft überlegt; denn ein Erfolg hat oft wirklich mehrere Väter. Einer der Väter dieses Erfolges, über den wir uns alle freuen, ist sicherlich auch der Kanzler.Auf der anderen Seite hat diese Einsicht bei Ihnen relativ spät Platz gegriffen.
Ich meine: Mehr Lob gebührt denen, die ihn gedrängt haben: die innerparteiliche, die innerparlamentarische, aber auch die außerparlamentarische Opposition, die, die betroffen sind, und die, die sich betroffen fühlen.
Ich meine aber — insofern akzeptiere ich diesen Appell — , daß wir durchaus etwas mehr als in den vergangenen Jahren lernen sollten, solche Themen, die die Menschen zutiefst bewegen, mit etwas mehr Konsensorientierung zu behandeln, auch hier im Deutschen Bundestag, im Verteidigungsausschuß und im Auswärtigen Ausschuß.Ich möchte als Beispiel dafür, daß so etwas möglich ist, das Landesparlament in Mainz in den letzten Jahren nennen. Es war dort nicht immer so; es gab auch andere Zeiten, in denen z. B. der Vorwurf „Antiamerikanismus" sehr schnelll bei der Hand war, wenn solche Ängste und Sorgen formuliert wurden. In den letzten Jahren aber hat es aus Rheinland-Pfalz Anstöße auch in Richtung der Bundespolitik gegeben: in Sachen Tiefflug, in Sachen Aufarbeitung der Katastrophe von Ramstein — also nachdem es passiert war — oder in Fragen der C-Waffen. Deswegen möchte ich noch einmal ganz bewußt auf den Landtagsbeschluß eingehen, der zu Beginn des vergangenen Jahres in Mainz gefaßt wurde und ein hohes Maß an Konsens über die Beseitigung der chemischen Waffen aus Rheinland-Pfalz ausdrückt.In einem entscheidenden Punkt geht dieser Landtagsbeschluß übrigens deutlich über das hinaus, was zwischen dem Bundeskanzler und dem damaligen amerikanischen Präsidenten Reagan vereinbart worden ist. Das Landesparlament in Mainz, als Stationierungsland der chemischen Waffen, hat bereits damals, Januar 1989, formuliert, daß chemische Waffen auf keinen Fall, auch nicht in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall, wieder in Deutschland stationiert werden dürfen.Diese Haltung hat sich verbaliter inzwischen offensichtlich auch die Bundesregierung zu eigen gemacht, wenn ich z. B., Herr Staatsminister Schäfer, an Ihre Antworten in der Fragestunde heute mittag denke. Aber was den Vertragstext angeht, sieht es eben doch ganz anders aus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15739
Gerster
Wenn Sie dann auf die Hardthöhe gehen, werden Sie dort vereinzelt — ich sage bewußt: vereinzelt — immer noch Generäle und andere strategische Denker finden, die ein gewisses Maß an chemischer Abschreckung — ich formuliere es bewußt einmal so — für notwendig halten, weil sozusagen in einem Modell eines perfekten Gleichgewichts für jede mögliche Art von Bedrohung eine Gegenmaßnahme auf der jeweilgen Ebene vorhanden sein muß. Von diesem Gleichgewichtsdenken müssen wir uns freimachen, und die chemischen Waffen sind der Anfang dazu.Wir fordern die Bundesregierung nach wie vor auf, solange die chemischen Waffen nicht gänzlich geächtet und vernichtet sind, eine neue Vereinbarung mit den Amerikanern auszuhandeln und eine Wiederstationierung auch im Spannungs- und Verteidigungsfall auszuschließen, weil diese Waffen generell keinen Sinn machen.
Auf sie sollten wir ersatzlos verzichten.
Meine Damen und Herren, es is nicht üblich, daß wir als Legislative an der Rechtsprechung Kritik üben. Aber es muß wohl auch dem Zeitgeist zugeordnet werden, wenn das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1987 in einem Urteil — übrigens auf Grund einer Klage, die von dem ehemaligen DGB-Landesbezirksvorsitzenden Julius Lehlbach in Rheinland-Pfalz gegen die Stationierung chemischer Waffen in diesem Bundesland angestrengt wurde —
entschieden hat — wörtlich zitiert — , dem einzelnen Bürger sei hinsichtlich militärischer Anlagen ausnahmsweise ein höheres Maß an Risiken zuzumuten als im Bereich ziviler Anlagen. Ich meine, es kann nicht Sinn der Sache sein, daß diese Waffen, die doch ursprünglich einmal stationiert worden sind, um die Menschen bei uns zu schützen, durch ihre Lagerung laut Bundesverfassungsgericht bereits im Frieden eine potentiell höhere Gefahr darstellen können als etwa eine industrielle Großchemieanlage. Auch hier, meine ich, sollten wir das, was in den letzten Jahren da und dort noch an, ich sage einmal ironisch: altem Denken geäußert wurde oder sich auch in gerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Urteilen wiederfand, vor der neuen Entwicklung überprüfen.Wir bedauern auch, daß die Bundesregierung nicht zumindest indirekt dagegen Stellung genommen hat, daß die Produktion binärer Waffen in den Vereinigten Staaten ein besonders makabres Kapitel der Abrüstungsgeschichte eingeleitet hat, daß man nämlich Waffen, die man unmittelbar darauf wieder zerstören will, erst einmal produzieren muß, damit es eben etwas gibt, über das dann auch auf dem jeweiligen Stand der Technik adäquat verhandelt werden kann.
Hier wäre es gut gewesen, wenn wir den amerikanischen Bündnispartnern gesagt hätten: Diese Logikkönnen wir nicht nachvollziehen, und wir akzeptieren sie nicht.Es wäre auch gut gewesen, wenn wir den Amerikanern zum richtigen Zeitpunkt gesagt hätten, daß wir das Maß an Geheimhaltung, was sie über die deutsche Administration dann natürlich auch den jeweiligen Ansprechpartnern in der regionalen Politik oder in der Bevölkerung zumuten, den Amerikanern nicht weiterhin abnehmen würden, die in ihrem eigenen Land mit den Interessen der Betroffenen durchaus sensibel umgehen. Ich erinnere z. B. an die MX-Stationierung. In einem menschenleeren Staat wie Utah sind bis zur Stunde keine MX-Raketen stationiert worden, weil dort — in einem völlig menschenleeren Wüsten- und Felsengebiet — die Mormonenkirche und andere sagen: Hier darf nicht stationiert werden. — Hier in der Bundesrepublik Deutschland unterstützen wir durch Aussagen auch des Bundesverteidigungsministeriums die Aussagen der Amerikaner, etwa gegenüber dem anfragenden stellvertretenden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz oder dem Wirtschaftsminister, der das C-Waffen-Lager vor einiger Zeit besuchen wollte. Da wurde dann auch von der deutschen Bundesregierung Verständnis geäußert, daß der Zugang zu Liegenschaften, in denen chemische Waffen der US-Streitkräfte gelagert sind, aus Sicherheitsgründen auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß beschränkt werden muß. Hier müssen wir zu neuer Transparenz kommen.Wir wollen gar nicht in Abrede stellen, daß das, was im Zuge der kommenden Abrüstung und des Transports der chemischen Waffen in den Sommermonaten aus Rheinland-Pfalz über die Nordsee bis in den Pazifik an Transparenz an den Tag gelegt werden wird, möglicherweise — wenn es gutgeht — die Stunde Null einer neuen Informationspolitik sein kann. Wenn dies so wäre, würden wir es außerordentlich begrüßen.Wir respektieren und anerkennen ausdrücklich, daß z. B. mit General Naumann sicherlich einer der stärksten Vertreter der Hardthöhe mit einer Pilotprojektaufgabe betraut worden ist, die er in großer fachlicher und persönlicher Qualifiaktion auch gegenüber der betroffenen Bevölkerung überzeugend dargestellt hat.
Wenn dies für einen neuen Stil in Verteidigungsfragen Platz greift, dann kritisieren wir das nicht. Wir kritisieren nur, daß es zu spät und erst auf jahrelanges Drängen erfolgt ist.Wir verlangen abschließend: Die Wiederstationierung auch im Spannungs- und Verteidigungsfall muß ausgeschlossen werden. Schließlich muß der Abzug der chemischen Waffen und damit das chemiewaffenfreie Deutschland der Beginn für ein Deutschland ohne jede Massenvernichtungswaffe sein; denn diese, zumal wenn sie von den beiden ehemaligen Bündnissen auf lange Sicht in einem vereinigten Deutschland stehen würden, würden die deutsche Einheit, was die Sicherheitslage angeht, im Grunde genommen mit einem Makel, mit einer dunklen Wolke überschatten. Dies wollen wir in diesen hoffnungsvollen Jahren
Metadaten/Kopzeile:
15740 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Gerster
nicht akzeptieren. Deswegen sollte dies ein Einstieg in eine wirklich neue Politik sein.
Ich erteile das Wort dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Ich möchte nicht drei SPD-Abgeordnete vorher hören. Sie sollen ja noch auf mich antworten können, Frau Götte. Es wäre sehr schade, wenn ich ganz am Schluß wieder auf Sie antworten würde, weil ich befürchte, daß Sie als Rheinland-Pfälzerin ähnlich argumentieren wie mein Vorredner und daß heute abend hier neben der Kür natürlich gewisse Pflichtübungen erfolgen.
Ich muß Ihnen jetzt doch einmal folgendes sagen: Ich habe gerade einmal überprüft, wie viele Fragen ich zu diesem Thema in der Fragestunde beantworten mußte. Wir haben wiederholt in Bundestagsdebatten und in den Ausschußsitzungen zu all den Fragen, die auch Herr Gerster zuletzt angesprochen hat, wirklich erschöpfend Auskunft gegeben. Es ist natürlich schön, wenn jetzt der Abzug der amerikanischen chemischen Waffen aus Rheinland-Pfalz erfolgt — Sie haben das ja gewürdigt — , zu sagen: Das ist ein Erfolg; aber dann satteln Sie drauf: „Nun müssen wir Neuverhandlungen führen; wir müssen die Amerikaner davon abbringen, in ihrem Land eine chemische Waffe zu produzieren."
Sie wissen ja, daß inzwischen in Malta — ich muß das doch noch einmal betonen — Vereinbarungen getroffen worden sind, die uns zu der Hoffnung Anlaß geben, daß der Prozeß der totalen Beseitigung der chemischen Waffen durch eine Verständigung zwischen den beiden Supermächten in die Wege geleitet wird und daß dadurch der Weg in Genf für ein globales Abkommen frei wird. Deshalb halte ich Ihre Zonendiskussion, die nun wiederum besagt: „Kein Makel über Deutschland; aber ob im Nachbarland noch etwas steht, interessiert mich nicht so sehr" für ein bißchen — entschuldigen Sie bitte, ich schätze Sie sehr, Herr Gerster — kleinkariert; denn ich glaube, damit ist es nicht getan. Sie wissen, wie schnell solche Waffen bewegt und befördert werden können.
Ich muß Ihnen nun wirklich sagen: Man kann nicht ständig davon ausgehen, daß wir eigentlich noch viel mehr hätten erreichen müssen, um die bedeutendste und wichtigste Militärmacht der NATO davon zu überzeugen, daß sie auf solche Waffen völlig verzichtet, da überhaupt nicht feststeht, ob die Sowjetunion zu einem solchen Verzicht bereit ist. Das steht eben noch nicht fest. Wir sind ja in einem Verhandlungsprozeß. Deshalb sollten wir hier aufhören, ständig dunkle Wolken über Vorgänge zu erzeugen, die doch eigentlich eher, man kann schon in Ihrer Sprache sagen: Wege zum Licht sind. Das heißt, die Chance voranzukommen ist ja größer als je zuvor.
Man kann natürlich nachhaken und sagen: Da hätte die Bevölkerung noch früher informiert werden müssen, oder der — meiner Partei angehörige — Wirtschaftsminister Brüderle hätte sich noch in einem Lager umsehen sollen. Wissen Sie, das ist ja alles berechtigt. Nur, es stellt sich wirklich die Frage, ob das auch nur geringfügig zu dem jetzt erzielten Ergebnis beigetragen hätte, nämlich daß wir im Sommer dieses Jahres — darüber sind wir froh — diese Waffen endgültig und für immer loswerden.
— Inzwischen ist der Saft hier weg.
Herr Staatsminister, haben Sie da herummontiert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist durchaus möglich, daß ich irgendwo gegengekommen bin, Herr Präsident. Aber inzwischen funktioniert es wieder. — Es kann auch sein, daß es Störungen aus Libyen sind; denn heute morgen waren schon einmal unsere Telefonleitungen zwischen der Botschaft dort und Bonn unterbrochen, so daß wir Ihnen nicht früh genug nähere Einzelheiten über die Vorfälle in Libyen mitteilen konnten.Ich muß Ihnen also sagen: Wenn wir uns langsam darauf verständigten, daß wir unsere politische Bestätigung nicht in endlosen Wiederholungen des gleichen Themas suchen, wären wir schon einen großen Schritt weiter.Im übrigen stimme ich Ihnen zu, Herr Gerster, daß es natürlich notwendig ist, sich dafür einzusetzen, daß dieser Abzug nicht das Ende unserer Bemühungen bedeutet, sondern daß darüber hinaus für die Zukunft durch eine gescheite Außenpolitik und Verteidigungspolitik dafür gesorgt wird, daß die Theorien, von denen Sie gesprochen haben und denen die „Denkenden" auf der Hardthöhe vielleicht noch anhängen, dann auf Grund der Entwicklungen der Vergangenheit angehören.Ich möchte heute abend hier nicht mehr aufzählen, welche Konferenzen und Verhandlungen uns in der Zwischenzeit Grund für den Optimismus geben, den wir als Bundesregierung hier vertreten. Ich möchte wiederholen, was ich in der Fragestunde heute gesagt habe: In Genf hat sich die Situation verbessert.Herr Kollege, es ist sicher richtig: Mit zeitlichen Voraussagen, ob Erfolg noch in diesem Jahr oder nicht, wäre ich deshalb vorsichtig, weil gerade im Sektor der Verifizierung, der Kontrollmöglichkeiten, die Schwierigkeiten liegen. Wir bemühen uns — wir waren ja die ersten, die in Genf sinnvolle Vorschläge, auch technische Vorschläge eingebracht haben —, z. B. durch Tests für die Vernichtung solcher Waffen mitzuwirken und Verdachtskontrollen zu ermöglichen.Ich glaube, daß die entscheidende Bewegung, die in die ganze Abrüstungsfrage gekommen ist, durch die Enwicklungen in Mittel- und Osteuropa, insbesondere durch den Wandel in der Sowjetunion, auch vor den Chemiewaffen nicht Halt machen wird. Das Interesse der Sowjetunion wird nicht darin bestehen, auf Dauer noch einen Wettbewerb chemischer Waffen mit den Vereinigten Staaten zu betreiben. Im Gegenteil: Man kann davon ausgehen, daß an allen Abrüstungs-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15741
Staatsminister Schäferfronten — wenn ich das jetzt einmal sagen darf — Vernunft eingezogen ist.Ich darf meiner eigentlich viel größeren Sorge als der über die Rückkehr chemischer Waffen auf deutschen Boden heute abend einmal Ausdruck geben. Ich habe nämlich die Sorge, daß uns vielleicht an anderer Stelle der Welt, wo die Kontrollen noch schwieriger sind und wo die Gegensätze trotz der Ost-WestEntspannungen nicht geringer geworden sind, die Gefahren solcher Waffenentwicklung auch in Zukunft noch beschäftigen werden.Das gilt natürlich nicht nur für Libyen. Wenn man ehrlich ist und wenn man sich mit dem Nahen Osten intensiver auseinandersetzt, dann weiß man, daß nicht allein Libyen das Interesse an der Herstellung solcher Waffen bekundet hat, daß es Staaten gibt, die über diese Waffen wahrscheinlich schon verfügen — im gleichen Raum.
— Ich will jetzt nicht in die Einzelheiten gehen. Aber es ist sicher gefährlich, wenn hier bei unserem Bestreben, für eine weltweite Vernichtung dieser Waffen einzutreten, ganze Bereiche in der Debatte ausgelassen werden.Deshalb sollten wir uns bei den Diskussionen über die Beseitigung chemischer Waffen nicht nur und ausschließlich auf Rheinland-Pfalz konzentrieren. Frau Kollegin Götte, wir sind uns einig, daß wir froh sind, daß diese Waffen aus der Bundesrepublik, vor allem aus unserem Bundesland, aus der Pfalz, verschwinden. Aber damit hören die Sorgen nicht auf. Ich kann nur den Wunsch aussprechen, daß es uns gelingen mag, durch eine Außenpolitik, die trotz der deutschen Einheitsbemühungen auch die Konflikte der Dritten Welt nicht aus dem Auge verliert, auch diese Angelegenheit im Auge zu behalten. Ein Konflikt am Mittelmeer bei den südlichen Anrainerstaaten der EG kann alle Fortschritte, die Sie für Deutschland wünschen und die ich mit Ihnen für Deutschland wünsche, zunichte machen.Ich glaube, deshalb sind wir gefordert, über unsere eigenen Prioritäten hinaus etwas zu tun, auch dort dafür zu sorgen, daß diese Waffen verschwinden. Das kann nur in internationaler Abstimmung geschehen, aber auch durch die Möglichkeit, in diesen Staaten zu inspizieren. Wir sollten jetzt die Möglichkeiten dazu zwischen West und Ost und auch in der Dritten Welt schaffen. Ich glaube, darauf sollten wir in Zukunft unsere Hauptaufmerksamkeit richten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte Ihnen eigentlich die Möglichkeit geben, die Debatte zu verkürzen. Aber wenn Sie mich noch etwas fragen wollen, bitte schön.
Bitte sehr.
Eine absolut unpolemische Frage. Ich möchte noch einmal auf ein Thema aus der Fragestunde zurückkommen. Wir haben über den
Iran gesprochen. Der Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak ist ja keineswegs beendet, sondern es gibt im Moment einen Waffenstillstand. Haben Sie im Hinblick auf die mit Sicherheit vorhandene Fähigkeit des Irak, chemische Waffen einzusetzen — diese ist ja erwiesen — , auch Schritte wie z. B. Sanktionen, die meines Erachtens natürlich längst hätten greifen sollen, in einem neuen Konfliktfall zwischen beiden Ländern, der sich zuspitzt, überlegt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß man in der Politik immer erst dann an Sanktionen denken soll — wenn man überhaupt daran denken soll — , wenn man alle anderen Mittel erschöpft hat. Diese haben wir sicher noch nicht erschöpft. Ich finde, daß die übermorgen stattfindende Konferenz zwischen den arabischen Golfstaaten — dem Golfkooperationsrat — und den EG-Außenministern, in Oman, an der ich für die Bundesregierung teilnehmen darf, auch dieses Thema sicher behandeln wird, weil ja alle Nachbarstaaten von Iran und Irak in einer gewissen Weise von diesem Konflikt betroffen sind. Wir werden also alle Gelegenheiten nutzen, auch eine solche Konferenz, um diese Dinge anzusprechen.
Ich kann Ihnen sagen, daß es Besorgnisse über solche Entwicklungen nicht nur in Israel, sondern auch in arabischen Staaten gibt, die sich solche Waffen nicht leisten können und auch nicht leisten wollen. Insofern haben wir auch überall Partner bei unseren Bemühungen, dazu beizutragen, daß, gleichgültig wo es ist, alles getan wird, damit solche Vernichtungswaffen nicht hergestellt werden, erst recht nicht mit Unterstützung aus Industriestaaten, und daß da, wo der Verdacht besteht, daß sie schon da sind, alles getan wird, damit wir dort Inspektionen durchführen können, und daß alles dafür getan wird, damit sie in Genf für eine globale Beseitigung dieser schrecklichen Waffen mit eintreten.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Götte, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäfer, Sie haben gesagt, Sie hätten nun dem Parlament erschöpfend Auskunft gegeben. Ich gebe ja auch zu, Sie haben heute mit der Fragestunde und allem anderen einen anstrengenden Tag gehabt und haben noch etwas vor sich. Trotzdem ist der Sinn dieser Debatte ja nicht nur, daß die Regierung Auskunft geben soll, sondern der eigentliche Sinn dieser Debatte ist es, daß wir uns gegenseitig informieren, daß wir unsere Meinungen kundtun und daß wir hier auch unsere Erfahrungen mitteilen können, und nicht zuletzt soll ja auch die Bundesregierung zuhören und hier sicher die eine oder andere Information bekommen, die ein Minister eben nicht bekommt und die ein normaler Abgeordneter viel eher hat, weil er sehr intensiv mit den Menschen zu-
Metadaten/Kopzeile:
15742 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Dr. Göttesammenlebt und unmittelbar vor Ort mitbekommt, was dort geschieht.
— Es ist z. B. so, daß ein Minister, wenn er kommt, gar nicht die Fragen gestellt bekommt, die einem normalen Abgeordneten gestellt werden. Er hält seine Rede, bekommt großen Beifall und schwirrt wieder ab. Das ist ein anderer Kontakt; das müßten Sie als Abgeordneter doch ebenfalls wissen.
— Sie können mich ja einmal einladen.Wir haben uns gefragt, wem wir heute zu danken haben. Ich meine, wir dürfen jene Menschen aus der Westpfalz nicht vergessen, die jahrelang fast verzweifelt bei den Politikern aller Parteien, bei der Presse und bei allen gesellschaftlichen Gruppen Verbündete für ihre Forderung, von dieser tödlichen Gefahr befreit zu werden, gesucht haben.
Unzählige Erklärungen, Kundgebungen, Unterschriftensammlungen und Demonstrationen sollten die Öffentlichkeit aus ihrer oft unerträglichen Gleichgültigkeit diesem Thema gegenüber herausreißen.Ich meine, es wäre schon an der Zeit, nicht nur dem Bundeskanzler, sondern auch den engagierten Giftgasgegnern in Rheinland-Pfalz, angefangen bei Julius Lehlbach, den mein Kollege Gerster schon erwähnt hat, über Hugo Brandt und Rudolf Scharping und die verschiedenen SPD-Landtagsfraktionen bis hin zu den GRÜNEN und den Bürgerinitiativen vor Ort,
auch Hannelore Höbel und denen, die wegen einer Sitzblockade vor Gericht gestellt wurden, für ihren langem Atem und für ihr standhaftes Engagement beim Kampf gegen dieses Giftgas zu danken.
Die Bundesregierung ist mit den Menschen aus der Westpfalz nicht gerade zimperlich umgegangen. Niemand hat die Menschen dort über die Gefahr informiert, in der sie geschwebt haben, als 1965 die C- Waffen nach Clausen transportiert und dort gelagert wurden. Ich bin überzeugt, daß nicht einmal die Bediensteten dieses Depots, die unmittelbar mit diesen Waffen zu tun haben, darüber informiert worden sind, mit welcher Gefahr sie es hier zu tun hatten. Niemand hat der Gemeinde Fischbach und dem Landkreis Pirmasens beigestanden, als sie wegen der Giftgasgerüchte von der Entwicklung des Fremdenverkehrs mehr und mehr abgeschnitten wurden.
Niemand hat verhindert, daß seit vielen Jahren Tiefflieger über das C-Waffen-Lager Clausen hinweggedonnert sind. Diese Tiefflüge wurden selbst dannnicht abgestellt, als zwei Abstürze von Flugzeugen inrelativer Nähe zu beklagen waren. Niemand hat— ich habe das an dieser Stelle oft genug kritisiert — die betroffene Region rechtzeitig darüber informiert, wie und wann der Abzug der C-Waffen erfolgen soll. Ich bin, Herr Uelhoff, nicht wie Sie der Meinung, daß diejenigen, die gewarnt haben, beunruhigt haben, sondern was die Leute beunruhigt hat, war die Tatsache, daß sie gerade keine Auskunft gekriegt haben, daß ihnen niemand gesagt hat, wo Waffen lagern oder nicht lagern, daß ihnen niemand gesagt hat, wie der Transport erfolgen soll.
— Sie hätten die Menschen viel früher informieren müssen, nachdem der Abzug beschlossen worden ist, wie das laufen soll.
— Wir reden jetzt über die Gegenwart und darüber, daß diese Information zu spät kam.
— Weil man aus der Vergangenheit immer etwas lernen kann, Herr Lummer, sogar Sie.
Jetzt bleiben uns nur noch wenige Wochen, um die Planungen vor Ort voranzutreiben und alle am Abtransport direkt und indirekt Beteiligten in ihre Aufgaben einzuweisen. Sie müssen zugeben, Herr Uelhoff, das ist eine knappe Zeit. Es wäre besser gewesen, die Bundesregierung wäre mit der Information früher herausgerückt.
— Ich weiß, daß dieses Gespräch erst im Februar stattgefunden hat. Genau das kritisiere ich.
Man hätte mit den Amerikanern früher reden müssen. Man hätte sie früher dazu bringen müssen, daß die Öffentlichkeit informiert werden kann. Dann hätten die Gemeinden vor Ort und die Kommunen vor Ort mehr Zeit gehabt, die notwendige Planung durchzuführen. Wir hoffen ja alle, daß die Vorbereitungen trotz dieses Zeitdrucks mit der notwendigen Gründlichkeit getroffen werden können. Denn auf jeden Fall muß gelten: Sicherheit vor Zeit.
Herr Hoyer, Sie haben gesagt, wir können im Ausschuß auch noch über weitere Fragen diskutieren. Für diese Bemerkung bin ich Ihnen sehr dankbar. Denn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15743
Frau Dr. Götteals Abgeordnete des Wahlkreises Kaiserslautern-Kusel, in dem der Umschlagplatz Miesau liegt, bin ich beauftragt, dem Parlament und der Regierung folgende dringenden Bitten vorzutragen.
— Das sind Aufträge und Weisungen, die ich auch persönlich mit meinem Gewissen sehr unterstütze.Erstens. Während des Transports von C-Waffen auf unseren Straßen dürfen keinerlei Start- und Landegenehmigungen auf den Militärflughäfen Ramstein, Sembach und Zweibrücken erfolgen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie auch dieser Meinung sind. Die Ankündigung der Bundesregierung, lediglich eine Flugbegrenzung durchzusetzen, also nicht tiefer als 600 Meter, nicht näher als 1400 Meter, kann die Menschen in der Westpfalz nicht beruhigen. Denn wir erleben tagtäglich, daß die Piloten gerade nicht in der Lage sind, die vorgegebenen Flugrouten rund um den Flugplatz genau einzuhalten, sondern sie fliegen immer so, wie sie eigentlich gar nicht dürfen, überfliegen manche Gebäude und manche Gemeinden, die gar nicht überflogen werden sollten. Aus dieser Erfahrung heraus können wir uns mit dieser Regelung nicht zufriedengeben.
Zweitens. Nach dem Abzug der C-Waffen sollte es einer Kommission, der auch Abgeordnete angehören, erlaubt sein, sich persönlich in Clausen und auch in Miesau davon zu überzeugen, daß die Waffen vollständig und ersatzlos entfernt wurden. Wenn es Ihnen, Herr Minister, und Ihnen, Herr Staatssekretär, wirklich ernst ist mit dem Bemühen, die Menschen zu beruhigen, dann würde ich Ihnen dringend empfehlen, dem nachzugeben. Es würde die Menschen beruhigen, wenn sie wissen: Leute, denen sie ihr Vertrauen schenken, waren dort, haben sich das angeguckt. Also machen Sie das.Drittens. Die Liegenschaften des Munitionslagers Clausen sollten ebenso wie die Liegenschaften des Militärflughafens Zweibrücken kostenlos an die Kommune zurückgegeben und einer zivilen Nutzung zugeführt werden. Eventuell vorhandene Umweltschäden sollen vorher auf Kosten der Verursacher beseitigt werden.Viertens. Ich meine, auch die Gemeinde Fischbach hat einen Anspruch darauf — Herr Uelhoff, Sie stimmen mir sicher zu — , endlich aus dem Hexenkessel der Gerüchte herauszukommen.
Man sollte den Menschen endlich sagen, was dort gelagert ist, und die Öffentlichkeit auch darüber informieren, was aus den Giftgasbeständen geworden ist, die unmittelbar nach dem Krieg aus Frankreich nach Rheinland-Pfalz gekommen sind.
Nur so können Gerüchte, die neuerdings wieder durch die Presse geistern, gestoppt und ausgeräumt werden.Das Wichtigste aber ist, daß nie wieder auf deutschem Boden chemische Waffen hergestellt, transportiert oder gelagert werden.
Es genügt nicht, daß die Bundesregierung gegenüber dem Parlament ein solches Versprechen abgegeben hat. Wir brauchen auch von der US-Regierung eine Garantieerklärung, und davon sind wir leider noch sehr weit entfernt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Uelhoff.
Frau Päsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns, was die Zukunft angeht, ziemlich einig, verehrte Frau Kollegin Götte — nicht in den Fragen zum Stichwort Fischbach, in denen jetzt wieder Angst geschürt wird, wohl aber in den konkreten Forderungen, etwa wenn es darum geht, was mit dem leerwerdenden Depot in Clausen geschieht.
Wir sollten uns aber, wie ich meine, auch darüber einig sein, was in der Vergangenheit möglich war und was in der Vergangenheit geleistet worden ist. Da ist zunächst einmal — nur zur Erinnerung — zu sagen, daß es eine Vereinbarung einer Regierung, die meine Fraktion nicht getragen hat, mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten Nixon gibt, daß weder bestätigt noch dementiert wird, wo die Amerikaner in ihrer Verantwortung irgendwelche Waffen lagern.
— Dies war eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem damaligen Bundeskanzler Brandt und Präsident Nixon, die nicht Gegenstand einer Parlamentsabstimmung war.
— Ich sage auch nichts dagegen. Ich sage nur, daß dies eine Vereinbarung ist, die gilt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden nichts bestätigen und nichts dementieren. Die Bundesregierung, die in den letzten acht Jahren hier das Sagen hatte, hat sich in der Kontinuität der Verantwortung exakt daran gehalten. Ich meine, wir sollten daran auch nicht rühren. Denn wir sind uns ja in dem Punkt einig, daß das Zusammenspiel und die Kooperation mit unseren Verbündeten eine der Sicherheiten ist, mit denen wir in den letzten 40 Jahren Frieden, Sicherheit und Freiheit in unserem Land erhalten haben. Wir sollten in diesen Tagen gerade unseren amerikanischen Freunden sehr dankbar dafür sein, daß sie zu den verläßlichsten Verbündeten
Metadaten/Kopzeile:
15744 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Uelhoffim Hinblick auf die deutsche Frage und die deutsche Situation gehören. Ich bin dankbar, daß wir uns auf Präsident Bush verlassen können. Ich bin auch dankbar, daß die Amerikaner 40 Jahre lang bei uns in der Bundesrepublik ihre Soldaten gelassen haben, und ich hoffe, sie bleiben auch noch hier.Meine Damen und Herren, der ersatzlose Abzug der in der Bundesrepublik Deutschland gelagerten chemischen Waffen der USA bis Ende September 1990 ist nach dem INF-Abkommen zur Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen ein weiterer Schritt der erfolgreichen Abrüstungspolitik dieser Bundesregierung. Ich will das überhaupt nicht an Namen festmachen, aber das Abkommen in Tokio hat nun einmal der Bundeskanzler mit Präsident Reagan geschlossen. Doch ich möchte die ganze Bundesregierung ausdrücklich in meinen Dank dafür einbeziehen, daß es nach dem INF-Abkommen jetzt gelungen ist, eine erfolgreiche Abrüstungspolitik im Rahmen des uns möglichen zu unterstützen und dazu beizutragen, daß auf deutschem Boden keine chemischen Waffen der Amerikaner mehr gelagert werden. Dies ist ein großer Erfolg, für den die Bürger der Westpfalz sehr dankbar sind.Inzwischen hat die Bundesregierung auch ihr Versprechen eingelöst, die betroffene Bevölkerung umfassend und rückhaltlos über die Einzelheiten des Abtransports zu informieren. Die zweieinhalbjährigen Vorarbeiten auf deutscher und amerikanischer Seite zeugen von der Gewissenhaftigkeit und der Gründlichkeit der Vorsorge für einen gefahrlosen Abzug. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger konnten sich bei den Informationsveranstaltungen in Pirmasens und Clausen — ich war selbst dabei — von der sorgfältigen Vorbereitung überzeugen. Eine frühere Information hätte nur eine scheibchenweise sein können. Sie hätte manche Tests in den Vereinigten Staaten nicht einbeziehen können. Sie hätte insbesondere auch nicht das Verwaltungsabkommen, das die rechtliche Grundlage für den Abzug bedeutet und das erst am 20. Februar 1990 geschlossen wurde, beinhalten können.Frühzeitig, rechtzeitig und umfassend ist die Bevölkerung der betroffenen Region informiert worden. Ich möchte den Verantwortlichen in der interministeriellen Kommission unter Leitung des Bundesministers der Verteidigung und unseren amerikanischen Verbündeten für die bisher geleisteten Vorarbeiten ganz herzlich danken.Meine Damen und Herren, ich bin jedoch mit dem Innenminister von Rheinland-Pfalz, Rudi Geil, einer Meinung, daß auch die erweiterte Schutzzone — Herr Minister Stoltenberg, ich bin auch Ihrem Hause sehr dankbar, daß der Radius inzwischen auf 3 km und die Höhe auf 900 m erweitert worden sind — im Hinblick auf die Beschränkung für militärische Überflüge des C-Waffen-Depots in Clausen und des Umschlagplatzes in Miesau möglicherweise nicht ausreichend ist. Ein generelles Überflugverbot mag von Experten nicht für notwendig gehalten werden, weil nach deren Meinung die Sicherheit nicht tangiert ist. Aber es würde auf jeden Fall psychologisch zur weiteren Beruhigung der Mitbürger in der Westpfalz beitragen, wenn ein generelles Überflugverbot für den Zeitraumdes Abzuges und auch der Vorbereitungen ausgesprochen werden könnte.Wir hoffen jetzt auf einen gefahrlosen Abzug. Ich meine, da sind wir uns in diesem Hause alle einig. Wir alle sollten jetzt gemeinsam dafür werben, daß der Abzug sicher durchgeführt werden kann. Kein vernünftiger Mensch kann ein Interesse an einer Störung des Abzuges haben.In der Westpfalz erwarten wir, daß das geräumte Depot in Clausen dann militärisch freigegeben und der kommunalen Verantwortung übertragen wird.
Wir begrüßen, daß die militärische Belastung abnimmt. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf das Folgeproblem für unsere Region doch ein wenig eingehen.Es entstehen mit dem Abbau der Streitkräfte in unserer Region, die in den vergangenen 40 Jahren überdimensionale Lasten für die Sicherheit
— auch für Ihre Sicherheit, Frau Kollegin Beer, für Ihre Freiheit, dafür, daß Sie hier sitzen und reden können, was Sie wollen — getragen hat, auch Probleme. Aber unsere amerikanischen Freunde haben in den letzten 40 Jahren auch für Ihre Freiheit geradegestanden.
Meine Damen und Herren, jetzt gibt es aus Gründen, über die wir gar nicht streiten wollen, sondern über die wir uns, bitte schön, gemeinsam freuen wollen, auch Probleme. Aber wir freuen uns, daß es in den Ost-West-Beziehungen endlich um Kooperation und nicht mehr um ein Gegeneinander geht. Ich will gar nicht sagen, wer das alles herbeigeführt hat. Ich bin allerdings schon der Meinung, die Bundesregierung hat ein gerüttelt Maß daran mitgearbeitet. Wir wollen dies nicht vertiefen. Wir freuen uns über diese Entwicklung.Dies hat allerdings erhebliche wirtschaftliche Probleme für jene Regionen zur Folge, die in der Vergangenheit überdimensional militärische Belastungen zu tragen hatten. Es hat zur Folge Beschäftigungsabbau, Kaufkraftverluste und Nachfragerückgang.
Weil in unserer Westpfalz jeder fünfte Arbeitsplatz von den US-Streitkräften abhängt, weil z. B. 1988 ein wirtschaftlicher Nutzen durch die Amerikaner im Wert von fast 3 Milliarden DM entstanden ist und weil bei uns in der Westpfalz, konkret in Zweibrücken, die für 1993 geplante Schließung des amerikanischen Flugplatzes zum Abbau von 330 oder mehr Arbeitsplätzen für deutsche Zivilbeschäftigte und zur Rückkehr von fast 3 500 US-Soldaten mit ihren Familienangehörigen führt, fordern wir jetzt auch die Solidarität und die Hilfe beim strukturellen Wandel und der Schaffung ziviler Arbeitsplätze.Die Westpfalz hat über Jahrzehnte militärische Belastungen im Übermaß getragen, während andere Regionen wirtschaftlich expandieren konnten. Die er-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15745
Dr. Uelhofffreuliche militärische Entlastung fordert in den kommenden Jahren, die hoffentlich weiter von Abrüstung und Entspannung geprägt sein werden, einen wirtschaftspolitischen Kraftakt für die zivile Entwicklung. Dabei hilft kein spektakuläres Hauruckverfahren, bei dem etwa jetzt aus einem Nachtragshaushalt die Millionen fließen.Die Termine für die Schließung des C-Waffen-Depots in Clausen, aber auch die für 1993 angekündigte Schließung des US-Flugplatzes in Zweibrücken zeigen, daß die Wirtschaft, die Kommunen, Land und Bund die notwendige Zeit zu seriöser Planung und gemeinsamem Handeln haben. Hier kommt es entscheidend darauf an, daß wir jetzt mit einer solchen konzertierten Aktion beginnen.Dies erfordert erstens eine frühzeitige und umfassende Information der NATO-Verbündeten über die von weiterer Abrüstung betroffenen Orte, zweitens die Freigabe bisheriger Militärplätze für zivile Nutzung, drittens die eigenverantwortliche — dies muß man insbesondere den Kommunen sagen — Flächennutzungsplanung, viertens die Schaffung eines staatlichen Förderrahmens durch den Bund, gemeinsam mit den betroffenen Ländern und unter Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat in dieser Frage gerade gestern einen ganz wesentlichen Vorschlag gemacht.Erst durch diese von Staat und Kommunen gesetzten Rahmenbedingungen wird es für die Wirtschaft interessant, dort zu investieren, wo jetzt Depots, Kasernen und Flugplätze sind. Und damit bin ich bei dem wichtigsten Punkt für diese erfolgreiche Umstrukturierung, um die es jetzt geht, nämlich bei der Bereitschaft der Privatwirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen. Meine dringende Bitte geht deshalb dahin, nicht nur Millionen vom Staat zu fordern, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Klima zu pflegen, das die Unternehmen auch in einer Region wie der Westpfalz mitten in Europa zu Neugründungen und Erweiterungen von Betrieben veranlaßt.Wenn als Folge der Abrüstungsvereinbarungen dann auch noch eine Abrüstungsbehörde geschaffen wird — über die jetzt so viel gesprochen wird — , dann allerdings sollten diese öffentlichen Arbeitsplätze dort geschaffen werden, wo die Abrüstung besonders spürbar wird. Eine Abrüstungsbehörde, meine Damen und Herren, gehört nicht nach Bonn und nicht nach München, sondern nach Pirmasens und Zweibrükken.
Der Herr Kollege hat zwar gleich einen anderen Tagesordnungspunkt mit eingefügt, aber ich dachte, daß es für alle sehr interessant ist. Dieses Thema wird ja noch des öfteren besprochen werden.
Er hat auch gleich die Zeit noch überschritten,
aber, bitte schön, jetzt sind wir auch am Ende dieser Debatte.Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun — Tagesordnungspunkt 16 a — zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6687. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/6390 ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6390, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1185 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3669 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir stimmen jetzt — Tagesordnungspunkt 16b — über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/6407 ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6407, den Antrag der Abgeordneten Müller , Gerster (Worms), Brück und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 11/4094 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Ausschußempfehlung ist angenommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungEine Zukunft für das Seeverkehrsgewerbe der Gemeinschaft: Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsbedingungen des Seeverkehrs der Gemeinschaft— Drucksachen 11/5351 Nr. 2.5, 11/6295 —Berichterstatter:Abgeordneter Fischer
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6706 vor.Ausnahmsweise, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden die Reden — mit Zustimmung des Hauses — zu Protokoll gegeben. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich danke Ihnen. Dann ist das so beschlossen. *)Dann stimmen wir jetzt zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6706 ab. Wer*) Anlage 3
Metadaten/Kopzeile:
15746 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsidentin Rengerstimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/6295. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Wollny, Dr. Daniels , Brauer, Frau Flinner, Frau Garbe, Frau Hensel, Dr. Knabe, Kreuzeder, Frau Kelly, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNENBundesdeutsche Beteiligung am weltweiten Uranabbau und UranhandelMenschen- und Landrechte der Betroffenen — Drucksachen 11/4392, 11/5788 —Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6692 vor.Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Die Zustimmung des Hauses ist gegeben.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Wollny.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Grund, der uns veranlaßt hat, die Große Anfrage zum Thema „Uran" zu stellen, war die Begegnung mit Menschen, die im Uranabbau erkrankt waren oder Angehörige durch Strahlenfolgen verloren hatten. Bei all diesen Menschen handelte es sich um Angehörige indigener Völker. Diese Erfahrungen haben mich dazu gebracht, mich vor Ort im Uranbergbau und in der Uranverarbeitung umzusehen und mit den dort lebenden Menschen zu reden.Das Ausmaß an Umweltzerstörung, das ich dort angetroffen habe, ist unvorstellbar. Umgewühltes Land, Halden von Staub aus den Uranmühlen, Berge von Erz, dessen Weiterverarbeitung sich nicht lohnt und das leise vor sich hin strahlt, radioaktiv und chemisch verseuchte Flüsse und Seen, tote Wälder.Ebenso unvorstellbar ist das Leid der Menschen, denen man die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen genommen hat und die auf Grund ihrer von der unseren völlig verschiedenen Lebensauffassung mit den neuen Verhältnissen nicht zurechtkommen und daran zerbrechen. Fast überall, wo mir diese unhaltbaren Zustände begegneten, waren bundesdeutsche Firmen an der Exploration und der Ausbeutung der Uranvorkommen beteiligt.Meine Frage an die Bundesregierung war, ob sie bereit sei, eine Mitverantwortung für diese Zustände zu übernehmen. Wie zu erwarten war, sieht sie sich dazu nicht veranlaßt, sondern schiebt alle Verantwortung auf die Staaten ab, in denen das Uran abgebaut wird und nach deren Gesetzen sich auch bundesdeutsche Firmen oder deren dortige Tochtergesellschaften zu richten hätten. Zwar wurden im Verhältnis zum Beginn der Urangewinnung die Umweltgesetze verbessert; die Gefahren, die sich mit der Urangewinnung verbinden, haben sich dadurch jedoch nicht verändert.Selbst die EPA, die amerikanische Umweltbehörde, die ebensowenig, wie es bei uns im Lande üblich ist, der Industrie wehtun mag, gibt an, daß bereits eine einzige Abraumhalde durch hundertjähriges Ausgasen von Radon und seinen Zerfallsprodukten zusätzliche 60 bis 200 Lungenkrebs-Todesfälle in der Bevölkerung verursacht. Die weltweiten Abraumhalden des Uranbergbaues geben jedoch nicht nur 100 Jahre Radioaktivität an die Umwelt ab, sondern strahlen mehrere 10 000 Jahre. Rechnet man die zukünftigen Todesfälle pro Abraumhalde hoch, kommt man auf zusätzliche 50 000 Lungenkrebstote. Das bedeutet für den einjährigen Betrieb eines 1 000-Megawatt-Reaktors 400 zusätzliche Krebstote allein durch die Folgen des Uranabbaus.Darüber hinaus besagen neue Forschungsergebnisse im Bereich der niedrigen Strahlendosen, daß das Radon-Lungenkrebsrisiko um den Faktor 7 bis 8 unterschätzt wurde. Demnach würde sich die oben genannte Zahl von 400 sogar auf rund 3 000 Lungenkrebstote in der Bevölkerung pro Reaktorjahr erhöhen. Das ist der Preis, den Menschen in anderen Teilen der Welt für die Deckung des Uranbedarfs der Bundesrepublik zahlen. Die radiologischen, ökologischen und menschlichen Folgen des Uranabbaus bleiben jedoch für Menschen in der Bundesrepublik weitgehend unsichtbar.Auch die Atomwirtschaft ignoriert bei ihren Lobeshymnen auf die Atomenergie geflissentlich, daß der Brennstoff für die Reaktoren nicht vom Himmel fällt, sondern irgendwo abgebaut und verarbeitet werden muß.Bundesdeutsche Atomanlagen verbrauchen im Jahr 3 500 Tonnen Uranoxid. Pro Tonne Uranoxid fallen 1 000 Tonnen Abraum und weit größere Abwässer-und Chemikalienmengen an. Diese Abfälle verbleiben in den Abbauländern. Die Belastung für die Umwelt und die vor Ort lebenden Menschen findet keinerlei Berücksichtigung bei der Bewertung der Atomenergie in der Bundesrepublik.Die Bundesrepublik ist auf weltweite Uranimporte aus Australien, den USA, aus Kanada, Namibia, aus Südafrika und anderen Ländern angewiesen. Dabei werden Landrechte und das Recht auf Selbstbestimmung indigener Völker mit Füßen getreten. Ein solches Verhalten gegenüber indigenen Völkern ist Kolonialismus und in seiner Wirkung ohne Übertreibung als Völkermord zu bezeichnen.Meine Damen und Herren, ich frage Sie jetzt ganz direkt und persönlich: Wollen Sie, wollen wir für dieses Unglück, das Menschen angetan wird, verantwortlich sein? Wo bleibt das Eintreten für die Menschenrechte, auf das wir uns doch sonst so viel zugute halten? Sind Indianer, sind Aborigines, sind Inuit keine Menschen? Können wir zusehen, wie sie von den Resten des Landes, die ihnen geblieben sind, auch noch vertrieben werden oder daß ihr Land, bis zur Unkenntlichkeit zerstört und vergiftet, ihnen dann als Müllhalde überlassen bleibt?Wir stehen in der Verantwortung. Denn die Zerstörung und Verseuchung der Lebensgrundlagen be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15747
Frau Wollnytrifft uns alle. Was kleine Völker von uns verlangen, ist deshalb nicht Verständnis, sondern Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Deshalb unterstützen wir die Forderung dieser Völker, das Uran im Boden zu lassen.Für die bisher entstandenen Folgen des Uranabbaus sind wir den betroffenen Völkern eine Entschädigung schuldig. Für die Zukunft bitten wir Sie, mit uns gemeinsam die Bundesregierung aufzufordern, den Uranabbau und den Uranhandel unter bundesdeutscher Beteiligung zu unterbinden und sich dafür einzusetzen, daß der Uranabbau weltweit gestoppt wird.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Debatte zum Uranabbau wollen die GRÜNEN einmal mehr den Ausstieg aus der Kernenergie herbeiführen. Nach ihrer Auffassung kommt zu den Gefahren des Betriebs von Kernkraftwerken und der Endlagerung der radioaktiven Abfälle hinzu, daß Unmengen radioaktiven Mülls im Rahmen des Uranerzbergbaus und der Aufbereitung produziert werden, daß durch zahllose Unfälle die Umgebung von Urangruben radioaktiv verseucht wird und daß Uranerzbergleute in erheblichem Maß krebsgefährdet sind.
Außerdem sind die GRÜNEN der Auffassung, daß der Uranerzbergbau überwiegend auf Territorien eingeborener Völker stattfindet, deren Rechte bedroht und deren religiöse Stätten mißachtet werden.Die Bundesrepublik Deutschland ist für das Betreiben ihrer Kernkraftwerke auf den Import von Uran angewiesen. Dieses Uran stammt aus Gruben, für die nach Meinung der GRÜNEN die eben erwähnten Vorwürfe gelten. Deshalb ist nach Auffassung der GRÜNEN die Bundesregierung, die zum Teil an diesen Unternehmen beteiligt ist, für diese Mißstände mit verantwortlich.
Der Uranbergbau ist, so die GRÜNEN, eine weiterer Grund, den Ausstieg aus der Kernenergie zu rechtfertigen.
Diese Vorwürfe werden zu Unrecht erhoben. Angesichts der Gefahren von weltweiten Klimaveränderungen durch den Treibhauseffekt ist die Stromerzeugung aus Kernenergie für eine gesicherte und umweltschonende Energieversorgung ebenso notwendig,
wie andere Optionen geprüft werden müssen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf ein Interview von Professor Meyer-Abich mit der „taz" vom 8/. März 1990, also aus der vorigen Woche, in dem Professor Meyer-Abich darauf aufmerksam macht, daß angesichts der Klimaveränderungen ein Sofortausstieg aus der Kernenergie nicht in Frage kommt. Er hat es sogar noch deutlicher formuliert. Ich zitiere ihn: „Ich halte den Sofortausstieg für unverantwortlich. " Das hat er zum Ausdruck gebracht.
In der Wissenschaft findet ein Veränderungsprozeß statt, den die GRÜNEN und zum Teil auch die SPD nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen wollen. Zum Beispiel haben in den USA 49 Nobelpreisträger und 700 Mitglieder der amerikanischen Akademie der Wissenschaften im Januar in einem Schreiben an Präsident Bush appelliert, dringend Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt zu ergreifen. Schwerpunkte der amerikanischen Energiepolitik sollten nach Auffassung der Wissenschaftler Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz und der Ausbau umweltfreundlicher und klimaneutraler Energieträger einschließlich der Kernenergie sein.
— Ich wiederhole, Frau Wollny: einschließlich der Kernenergie.
— Tun Sie's!Zu den Unterzeichnern des Schreibens an Präsident Bush gehören auch zahlreiche kritische Wissenschaftler, z. B. Lovins und Kendall, Ihnen ja nicht unbekannte Namen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das für Stromerzeugung aus Kernenergie erforderliche Uran wird unter Bedingungen gefördert und aufbereitet, die sich nicht wesentlich von anderen industriellen und großtechnischen Aktivitäten unterscheiden. Da sich Urangruben fast ausschließlich im Ausland befinden, gelten für Explorations- und Abbaugenehmigungen die gesetzlichen Vorschriften der jeweiligen Länder. Dabei handelt es sich um Bestimmungen über Umweltschutz und Umweltverträglichkeitsprüfungen, Festlegung von Grenzwerten, Sicherheit der Bergwerksanlagen bei Bau, Betrieb und Stillegung, Sicherung der Halden gegen Luft- und Grundwasserverseuchung, Gesundheitsschutz der Bergleute und vieles mehr.In den USA muß zum Beispiel, bevor eine Betriebsgenehmigung erteilt wird, ein Umweltverträglichkeitsbericht vorgelegt werden. Darin muß der ökologische Zustand vor Betriebsaufnahme erfaßt sein. Der Antragsteller muß nachweisen, daß bei einem Normalbetrieb dauernde Änderungen des ökologischen Zustands ausgeschlossen und Schäden durch Unfälle beherrschbar sind.
Metadaten/Kopzeile:
15748 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. SprungDer Bericht wird veröffentlicht; Einsprüche können in einem öffentlichen Anhörungsverfahren geltend gemacht werden. Wird eine Betriebsgenehmigung erteilt, enthält sie detaillierte Auflagen zur Überwachung des Normalbetriebs und zur Behandlung von Störfällen an Hand strenger Grenzwerte sowie zur Rekultivierung nach Betriebsende.
Durch unangemeldete Betriebsprüfungen werden die Einhaltung von Auflagen, nach Betriebsende die Dekontamination, die sichere Verbringung der Reststoffe und die Sicherung aller Deponien überwacht. Ähnliche gesetzliche Regelungen und Verfahren gelten für Kanada und Australien. Aus den drei Ländern USA, Kanada und Australien bezieht die Bundesrepublik mehr als 50 % ihres Urans.Die gesetzlichen Bestimmungen und Verfahren in diesen Ländern gewährleisten einen Umweltschutz, der unseren Standards entspricht.
Wir haben keine Veranlassung, uns in die innerstaatlichen gesetzlichen Bestimmungen und Verfahren dieser Länder einzumischen.
Bei allen Urangewinnungsbetrieben, an denen bundesdeutsche Unternehmen beteiligt sind, werden die Sicherheitsvorkehrungen strikt eingehalten, so daß es auch zu keiner Gefährdung kommt. Unfälle im Bereich der Förderung und Aufbereitung von Uranerz stellten zu keiner Zeit eine ernsthafte Gefährdung von Mensch und Umwelt dar.
— Doch, hören Sie sich meine Ausführungen an. Sie haben Ihre Beurteilung vorgetragen; jetzt hören Sie die unsrige. Es muß doch möglich sein, daß wir miteinander zumindest in dieser Art und Weise kommunizieren.
Das Gefährdungspotential ist gering, da wir es in allen Arbeitsstufen ausschließlich mit natürlich vorkommenden Erzen zu tun haben.Bei den Abfällen handelt es sich um Rückstände, welche bei der Aufbereitung von Uranerz anfallen. Es sind die natürlichen Bestandteile der Lagerstätten, welche so sorgfältig gelagert werden müssen, daß sie keine Kontamination verursachen können.
Uranlagerstätten im Naturzustand können ohnemenschliche Eingriffe in ungünstigen Fällen zu einerStrahlenbelastung des Grundwassers führen, während das bei ordnungsgemäß angelegten Deponien für Aufbereitungsrückstände nicht der Fall ist.
Dem schon seit langem bekannten gesundheitlichen Risiko für Uranerzbergleute in der Bundesrepublik Deutschland und in den Haupterzeugerländern, aus denen die Bundesrepublik Uranerz bezieht, wird duch Schutzvorschriften für beruflich strahlenexponiertes Personal Rechnung getragen.Anerkannte Fälle von Lungenkrebs aus dem Uranerzbergbau in der Bundesrepublik Deutschland sind bisher nicht bekannt geworden.
Für die bundesdeutsche Uranexploration und den Abbau gelten heute die strengen Vorschriften der Strahlenschutzverordnung und des Bundesberggesetzes. Eine Anpassung an die EG-Normen erfolgte durch die Novellierung der Strahlenschutzverordnung vom 27. Mai 1989.Durch die Einführung der Lebensarbeitszeitdosis wurde im übrigen auch dem erhöhten strahlenbedingten Risiko durch langzeitige Einwirkung von radioaktiver Niedrigstrahlung Rechnung getragen.
In den für die Bundesrepublik wichtigsten Förderländern USA, Kanada und Australien sind ebenfalls Schutzstandards festgelegt, die den internationalen und bundesdeutschen Auffassungen entsprechen.Nun ein Wort zu dem Vorwurf, daß die Rechte der einheimischen Bevölkerung mißachtet würden. Weder in Kanada, noch in den USA, noch in Australien kann exploriert und schon gar nicht abgebaut werden, wenn nicht die Zustimmung der einheimischen Bevölkerung vorliegt. Das führt zu oft langwierigen und komplizierten Verhandlungen. Dabei geht es neben Fragen des Zugangs zu Lagerstätten, des Umweltschutzes, der Respektierung religiöser Stätten und der Rekultivierung auch um die Beteiligung an den Erlösen und um die Höhe von Entschädigungen.Meine Damen und Herren, wenn Sie anderer Meinung sind, wenn Sie der Auffassung sind, daß diese Vorwürfe, die Sie erhoben haben, berechtigt sind,
dann sollten Sie darlegen — nicht in allgemeiner Form, sondern ganz konkret — , welche deutschen Unternehmen gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung exploriert oder abgebaut haben.Die Argumentation der Oppositionsparteien, der Uranerzbergbau bringe unübersehbare zusätzliche Gefahren für Mensch und Natur mit sich, trifft einfach nicht zu. Wenn die für Abbau und Aufbereitung bestehenden Schutzvorschriften eingehalten werden, erwachsen keine Gefahren, die über die natürliche Strahlung einer nicht abgebauten Lagerstätte hinausgehen. Die in den Einzelfragen der Großen Anfrage der GRÜNEN enthaltenen Behauptungen über das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15749
Dr. SprungGefährdungspotential und angeblich bereits eingetretene Schäden halten einer objektiven Nachprüfung nicht stand.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt den von den GRÜNEN eingebrachten Entschließungsantrag zur Großen Anfrage ab, da dieser nur ein erneuter Versuch der GRÜNEN ist, auf diesem Weg den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie herbeizuführen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Lichtschalter betätigt, dann kommt man manchmal auf bestimmte Begriffe. Das Bewußtsein ist bei uns so, daß manche Leute vielleicht inzwischen an Harrisburg, an Tschernobyl oder auch an Greifswald und daran denken, daß wir 30 % unseres Stroms in der Bundesrepublik aus Atomkraftwerken beziehen. Dann denken manche Leute an die Gefahren des Betriebs von Atomkraftwerken, von Wiederaufarbeitungsanlagen oder auch von Endlagerstätten.Bisher hat es sich aber noch nicht herumgesprochen, daß schon bei der Gewinnung des Urans sozusagen als Futter für die Atomkraftwerke Gefahren entstehen, daß diese Gewinnung eigentlich auf einer menschen- und naturverachtenden Grundlage beruht und nicht anders denn als Raubbau bezeichnet werden kann, daß dabei sozusagen Wunden in die Erde geschlagen werden, für die es weder Pflaster noch Verband gibt.Ich habe die Große Anfrage der GRÜNEN als einen notwendigen Versuch verstanden, ein Bewußtsein für diese Verhältnisse herzustellen. Diese Große Anfrage steht in einem engen Zusammenhang mit einer Kleinen Anfrage der SPD unter dem Titel „Uranerzbergbau — ökologische Gefahren und Gesundheitsrisiken, Schutz der Rechte und Existenzmittel von Ureinwohnervölkern", die am 27. November 1989 von der Bundesregierung beantwortet wurde.Notwendig ist diese Aufklärung auch wegen der Rolle der Bundesrepublik und deutscher Firmen bei dem Uranabbau. Die 22 bundesdeutschen Reaktoren verbrauchen, wie Frau Wollny schon sagte, 3 500 Tonnen Uran jährlich. Weltweit liegt der Verbrauch derzeit bei etwa 42 000 Tonnen. Es wird vorausgesagt, daß er bis zum Jahr 2000 auf 50 000 Tonnen jährlich wächst. Die Bundesrepublik führt 98 % des zur Betreibung ihrer Reaktoren notwendigen Urans aus dem Ausland ein, 38 % aus Australien, 33 % aus Südafrika, 11 % aus Kanada, 7 % aus Namibia, 7 % aus Niger und 4 % aus den Vereinigten Staaten, die bei Ihnen, Herr Dr. Sprung, eben eine so große Rolle gespielt haben. Die deutschen Firmen entwickeln weitere Abbaustätten, drei in Kanada, eine weitere in den Vereinigten Staaten. An diesen Lagerstätten wird 1990 bis 1995 die Förderung aufgenommen werden. Immerhin halten fünf bundesdeutsche Firmen 10 % des Welturan-handels, kräftig unterstützt vom BMFT, das bisher 254 Millionen DM für Uransuche im Ausland ausgegeben hat.
— Darauf werde ich gleich noch kommen.Dies alles passiert, ohne daß man sich ernsthaft— ein Beispiel dafür haben wir eben mit dem Kollegen Sprung wieder erlebt — mit den Gefahren auseinandersetzt, die eigentlich zu der Fragestellung führen, ob der Uranabbau überhaupt verantwortbar ist.
Denn durch diesen Abbau werden riesige Mengen von schwach strahlendem Atommüll im Verhältnis 1: 1 000 produziert. 1 Tonne Natururan führt beim Abbau zu einem Abraum von 1 000 Tonnen radioaktiver fester und schlammiger Atommüllmassen. Dieser Abraum wird gelagert, und zwar dort, wo Tagebau betrieben wird, auf Halde. Dann wird das gemahlene und ausgeschwemmte Erz in der Regel in Absetzbekken gelagert, verbunden mit erheblichen, teilweise nicht reparablen ökologischen Schäden und mit Gefahren für Mensch und Natur durch die freigesetzte Strahlung.
Dies ist nicht etwa allein die Meinung von uns hier, sondern bestätigt worden ist es auch von der Bundesregierung, die in den Antworten auf die Große wie auch auf die Kleine Anfrage mit einem schlichten Ja auf die Frage geantwortet hat, ob ihr bekannt sei, daß solche Halden — jetzt zitiere ich — „wegen ihres Gehaltes an Thorium-230, das eine Halbwertszeit von 80 000 Jahren besitzt, für extrem lange Zeiten ständig Radium-226 und Radon-222", was in Gasform austritt, „durch Abgasen, Wind- und Wassererosion an die Umwelt abgeben".Die Grubenarbeiter, die schon angesprochen worden sind, haben als einzige Berufsgruppe Lungenkrebs als anerkannte Berufskrankheit. Von den Statistiken hat Frau Wollny auch schon berichtet. Professor Pohl von der Cornell-University in den Vereinigten Staaten hat ausgerechnet, daß dann, wenn man das einmal auf der Zeitachse langfristig statistisch betrachtet, tatsächlich jährlich 1 000 MW Atomstrom 400 bis 880 Krebstote mehr erzeugen.
Die Frage taucht in diesem Zusammenhang auf: Wie kommt es dann, daß die Bundesregierung oder die sie stützenden Parteien, die Koalitionsparteien, so wenig sensibel in bezug auf die Verantwortbarkeit des Exports solcher Gefahren reagieren und z. B., wie wir es eben wieder gehört haben, schlicht auf die Verantwortlichkeiten der Förderländer und deren Vorschriften verweisen? Vielleicht hängt das damit zusammen — ich befürchte das —, daß man die Betroffenen als Menschen und auch als mündige Bürger nicht so sehr ernst nimmt, insofern, als es sich z. B. um
Metadaten/Kopzeile:
15750 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Erlerdie Cree-Indianer aus Nord-Saskatchewan, um die Hopi-Indianer aus Arizona, um die Lakota-Sioux aus Süddakota oder die schwarzen Ureinwohner Australiens handelt. Das erinnert mich ein bißchen an die Art und Weise, in der wir z. B. mit dem Export unserer Tiefflüge umgehen, die wir nach Labrador zu den Innu und den Inuit mit der Behauptung verlagern, daß es menschenleere Regionen seien, in die wir die Flüge damit verlagern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter!
Herr Kollege, nun kann man zur Kernenergie stehen, wie man will, aber es ist ja wohl ein Tatbestand, daß bei uns in der Bundesrepublik derzeit etwas mehr als 30 % des Stroms aus Kernenergie gewonnen werden.
Selbst wenn wir Sozialdemokraten aus der Kernenergie aussteigen wollen, möchte ich Sie fragen, wie Sie denn die Aussagen z. B. des Kollegen Kuhbier, Senator in Hamburg, bewerten, der vor kurzem unmißverständlich, auch in einem Interview der „Welt", erklärt hat, daß er wohl der Meinung ist, daß es sinnvoll wäre, z. B. Kernenergiestrom aus der Bundesrepublik in die DDR zu transportieren, um dort die sehr schweren Umweltbelastungen abzubauen. Halten Sie den Senator für unverantwortlich in seiner Meinung, oder wie stellen Sie sich dazu?
Herr Kollege, ich habe zum Ausstieg aus der Kernenergie noch gar nicht Stellung genommen, sondern ich habe dazu Stellung genommen — —
— Ich bin gern bereit, Ihnen nachher, wenn ich auf meine Schlußfolgerungen zu sprechen komme, auf Ihre Frage zu antworten.
Ich darf aber jetzt fortfahren.Ich habe den Eindruck, daß dies eben daran liegt, daß scheinbar alles so weit weg ist. Ich möchte hier ausdrücklich sagen: Ich bin dem BUND und der Gesellschaft für bedrohte Völker dankbar, die uns im April 1988 die Möglichkeit gegeben haben, hier mit Vertretern der Ureinwohnerbevölkerung aus Kanada, Australien, den Vereinigten Staaten und Polynesiens Gespräche zu führen. Leider hatten die Kollegen von der CDU und der FDP damals keine Zeit, auch solche Gespräche zu führen.
Vielleicht — damit komme ich auch auf Ihre Frage, Herr Kollege — wird die Sache ja ganz anders, wennwir uns die Verhältnisse in der DDR einmal etwas näher anschauen. Da hat es tatsächlich kürzlich eine Berichterstattung über das Atomkraftwerk Greifswald gegeben. Aber vielleicht werden wir bald über die Medien auch etwas über die Verhältnisse etwa in den Kreisen Gera und Ronneburg hören, wo die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft SDAG, Wismut, schon seit längerer Zeit Uran fördert und damit immerhin 30 % des Bedarfs der Comecon-Länder befriedigt, wo sich auch offene Halden und strahlende Absetzbecken in der Landschaft befinden, wo das Radon aus Schächten abgepumpt wird und sich auf teilweise bewohnte Gebiete und landwirtschaftliche Nutzflächen verteilt, so daß im Juli 1989 eine Ärztetagung in Ost-Berlin sogar zu der Erkenntnis kommen mußte, daß uranverschmutzte Abwässer auf landwirtschaftlich genutzte Weiden kommen, und wo Gesteinsabfälle zu Schotter vermahlen werden, mit dem sogar Schulhöfe und Höfe von Kindergärten asphaltiert werden. Die Leute klagen über eine eigenartige Müdigkeit, und sie hören auch nicht auf zu sagen, daß bei ihnen Todesfälle auf Grund von Krebs, Leukämiefälle bei Kindern und eine zeitweilige Impotenz bei Bergleuten auftreten, die dazu führt, daß man sogar empfiehlt, nach zehn Jahren Arbeit in diesen Gruben keine Kinder mehr zu zeugen.Ich erinnere an den fünf Punkte umfassenden Forderungskatalog des kirchlichen Umweltkreises von Ronneburg, der am 6. November letzten Jahres vorgelegt wurde und in dem die Einstellung des Uranbergbaus, die Abdeckung bzw. Beseitigung der Halden und Absetzanlagen, ein Verbot der landwirtschaftlichen Nutzung im Bergbaugebiet, eine Reinigung der Gewässer, ein Fahrverbot für Grubenverkehr durch Siedlungen, eine umfassende Information der Bevölkerung und eine unabhängige Kontrolle der Strahlensituation gefordert werden.Vielleicht wird man diese Verhältnisse künftig etwas ernster nehmen, wenn sie nicht in weit entfernten Regionen, sondern vor unserer Haustür, bei unseren Nachbarn, bei unseren eigenen Bürgern auftreten. Vielleicht wird spätestens dann klar sein, wie unverantwortlich das ist, was wir den Ureinwohnern in den von mir genannten Ländern zumuten. Auch diese — dessen bin ich sicher — werden aufwachen, und dann wird keine Rede mehr sein von der „Liefersicherheit", von der in der Antwort der Regierung auf diese Anfrage noch die Rede ist, und von der „sicheren Energieversorgung" , die auf diese Weise gesichert werden muß. Wir werden erleben, daß auch hier die Völker aufstehen und ihre Rechte wahrnehmen. Dann wird noch einmal deutlich werden, daß die friedliche Nutzung der Atomenergie von Anfang an weder friedlich noch menschlich noch ökologisch verantwortbar war.
Jetzt ergänze ich das, was vorhin gesagt wurde: Nicht etwa auch, sondern schon wegen der Begleitumstände des Uranabbaus wäre es notwendig, eine andere Energiepolitik zu betreiben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15751
ErlerVielleicht — damit komme ich zum Schluß — gelingt es, durch diese Debatte etwas mehr Aufmerksamkeit auf die Dinge, die wir dieser Bevölkerung antun, zu lenken.
Ich glaube, dann hätten diese Debatte und auch die Anfragen, die wir und die Kollegen von den GRÜNEN gestellt haben, ihren Sinn erfüllt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Timm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abbau von Bodenschätzen findet logischerweise dort statt, wo die Bodenschätze vorhanden sind. Daran geht kein Weg vorbei. Die Bodenschätze werden auch nicht nur für die Erzeugung von Energie gewonnen, schon gar nicht nur Uran, sondern Kohle, Öl, Gas u. a. gehören auch dazu. Ich nenne weiter Gold, Silber, Zinn, Phosphate, Sände, Stein. Ich komme noch darauf zurück, warum ich diese Aufzählung vornehme. Das sind Grundstoffe, die allenthalben auf der Welt gebraucht werden. Wenn wir darauf verzichten wollten, dann gäbe es sicherlich die eine oder andere Schwierigkeit, die in dieser Diskussion gar nicht angesprochen worden ist.
Warum Sie sich nun ausgerechnet den Uranbergbau oder die Uranerzgewinnung aus der Vielzahl der Bodenschätze herausgesucht haben, kann man doch wohl nur so erklären, daß das für Sie ein Vehikel sein soll, um eine Front im Bereich des Ausstiegs aus der Kernenergie aufzumachen.
— Ich komme darauf zurück. All diese Lagerstätten befinden sich im Naturraum. Das sind ja keine künstlichen Lagerstätten.
Wenn Sie sich einmal vor Augen führen, daß die für Wohnungen in den Alpen oder im Schwarzwald verwendeten Baustoffe, die in den dortigen Steinbrüchen gewonnen werden, eine um das Dreihundertfache oder mindestens um ein Zigfaches höhere Strahlung aufweisen als Baustoffe, die in Bremen verwendet werden, dann haben Sie ungefähr einen Überblick darüber, wie sich natürliche Strahlungskapazitäten aus Lagerstätten aller Bodenschätze, die wir auf der Erde haben — im übrigen auch der Kohle — , entwikkeln. Uran als einziges herauszunehmen ist nach meiner Auffassung nicht in Ordnung. Das kann man in dieser Diskussion so einfach nicht bringen.
Das zweite ist: Die Bundesrepublik Deutschland ist natürlich darauf angewiesen, solche Grundstoffe dort
zu bekommen, wo sie vorhanden sind, wenn sie denn bei uns selbst nicht anzutreffen sind.
— Dafür geben wir viel Geld aus, und nun gehen Sie der Euphorie nach, wenn wir auf die 35 % unserer Energiemenge, die bei uns durch Kernenergie gewonnen werden, verzichten würden, dann hätten wir damit einen wesentlichen Beitrag geleistet. Das haben wir aber dann gar nicht; denn wir müssen ja auf etwas anderes ausweichen.
— Natürlich müssen wir auf etwas anderes ausweichen. Wie wollen Sie denn das sonst wohl regeln? Wir müssen auf etwas anderes ausweichen, das in ähnlicher Weise, aber in anderer Form gefährlich ist.
Es handelt sich hier nicht um Zwiegespräche, meine Damen und Herren!
Gehen Sie einmal ins Erzgebirge oder in die Tschechoslowakei, und gucken Sie sich die leerstehenden Häuser an! Die stehen nicht deshalb leer, weil die Häuser alt sind, sondern sie stehen deswegen leer, weil sie aus Baumaterialien erstellt sind, von denen man erst, nachdem man mehr über Atomenergie und Atome im allgemeinen wußte, festgestellt hat, daß diese Baumaterialien zu Krankheiten geführt haben.
— Die Menschen haben besorgt reagiert; aber sie haben nicht nur reagiert, weil sie irgendwo Uranbergbau betreiben, sondern sie haben erkannt, daß im natürlichen Bereich, in natürlichen Lagerstätten Strahlungskapazitäten vorhanden sind, die man erkennen muß und auf die man sich einstellen muß.Jetzt sprechen sie von einer Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland oder der dort Beteiligten an Problemen, die, wenn man sich mit solchen Dingen beschäftigt und wenn man solche Dinge bearbeitet, selbstverständlich auftreten können; das wird ja gar nicht bestritten. Sie sprechen aber nicht von der verantwortungsbewußten Handhabung dieser Dinge, und das ist doch das Entscheidende.
Solche Dinge kann man doch nur dann in den Griff bekommen, wenn man sie verantwortungsbewußt angeht, aber doch nicht dadurch, daß man sagt: Wir verzichten darauf und tun es lieber gar nicht erst! und an jeder Ecke ein neues Feld aufbaut, wo Sie Kritik üben können, und in Wirklichkeit gehen Sie an den Tatsachen, wie sie nun einmal real für unsere Lebensbedingungen sind, vorbei.
Metadaten/Kopzeile:
15752 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
TimmSie unterstellen den Ländern, die solche Exploration betreiben, daß sie ebenfalls verantwortungslos handeln. Da kann ich Ihnen nur aus eigener Kenntnis sagen, daß z. B. in Kanada — auch in Australien; da habe ich diese Kenntnisse nicht her, sondern da habe ich sie nur erlesen oder erarbeitet — die Bestimmungen zum Schutz bei der Ausbeutung solcher Grundstoffe oder Ressourcen erheblich schärfer sind, als wir sie uns überhaupt vorstellen können, weil wir solche Maßnahmen hier bei uns im Grunde genommen gar nicht praktizieren können; denn wir haben ja kaum Uran.
Gerade in Kanada wird sehr großer Wert darauf gelegt, daß das, was nachher passiert, d. h. die Rekultivierung solcher Stätten, wenn sie ausgebeutet sind, sich wieder in den natürlichen Lebensbereich einfügt. Die Strahlungskapazität, meine sehr verehrten Damen und Herren, war an diesen Lagerstätten schon immer da.
— Aber selbstverständlich, die ist in der Menge der natürlichen Ressourcen vorhanden.Es kann auch nicht wahr sein, daß nun plötzlich große Mengen zusätzlich erscheinen. Wenn man 30 t Uran gewinnt, dann sind sie aus einer Menge von soundso vielen tausend Tonnen Naturgestein heraus gewonnen; aber es wird nicht plötzlich mehr, sondern es wird nur der Teil herausgenommen, den man für den weiteren Verbrauch verwenden muß.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage sehr umfangreich zu all diesen Problemen Stellung genommen. Sie hat in ihrer Stellungnahme gesagt, daß sie die Gesetzgebung der Länder, in denen diese Lagerstätten vorhanden sind, respektiert und daß sie anerkennt, daß sie dem gleichen Standard entsprechen, den wir an solche Lagerstättenausnutzung stellen würden, wenn wir denn solche Lagerstätten bei uns hätten.Aber ganz schlimm wird die Sache — wenn ich das vorhin bei Ihnen, Frau Wollny, richtig verstanden habe — , wenn Sie hier im Hinblick auf diese Verantwortung, die wir zweifellos durch unsere Beteiligung oder die Beteiligung von Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland mittragen, sagen, daß das letztendlich als unverantwortlich gelten muß, daß wir Naturvölker, die in diesen Gebieten ihren Lebensraum haben, praktisch — ich habe das Wort nicht mehr genau im Kopf, das Sie gesagt haben — mit ausrotten helfen. Das muß ich einmal ganz ehrlich sagen: Ich finde, das ist ein starkes Stück.
Als wenn die Bundesrepublik Deutschland in unverantwortlicher Handlungsweise davon ausginge, daßdiese Naturvölker keinen Lebensraum haben solltenund auf diese Art und Weise ausgerottet werden sollten!
Das ist wirklich schlimm.Es ist auch nicht gut, wenn Sie hier Hochrechnungen mit möglichen, aus der Arbeit mit solchen Stoffen resultierenden Kranken machen, ohne daß Sie in der Lage sind, dazu wirklich einen greifbaren Beweis zu liefern. Ich glaube, daß das, was Sie hier aufbauen wollen, ein Horrorgemälde und ein Stein in Ihrer Kritik an der Frage ist, welche Energieressourcen wir ausnutzen müssen.
— Wir lehnen diese Darstellungsweise konsequent ab. Wir stehen in der Verantwortung, und ich meine, wir tragen diese Verantwortung redlich und gut. Mit solcherlei Hochrechnung oder Behauptung bleibt man eigentlich hinter dem, was Sie sich vorstellen besser tun zu können, weit zurück.Meine Damen und Herren, die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland im Umgang mit Zulieferländern ist groß. Ich glaube, sie wird von uns in hervorragender Weise wahrgenommen. Wir nehmen Einfluß darauf, wie sich die Dinge entwickeln, und wir nehmen guten Einfluß.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Auffassung der Bundesregierung erfordert eine gesicherte Energieversorgung die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Energieträger. Dazu gehört natürlich auch die Stromerzeugung aus Kernenergie. Der hierfür notwendige Rohstoff Uran muß abgebaut und importiert werden.
Die Große Anfrage der GRÜNEN und auch die Kleine Anfrage der SPD versuchen, zu unterstellen, die Bundesregierung sei dafür verantwortlich, daß das in die Bundesrepublik importierte Uran weltweit unter Bedingungen abgebaut wird, die für Mensch und Natur unübersehbare Schäden verursachen. Diese Unterstellung,
Herr Duve, beruht auf einer verdrehten Beurteilung der tatsächlichen Situation und bedeutet unverantwortliche Panikmache.
Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland, die an der Exploration oder dem Abbau von Uran im Ausland beteiligt sind, unterliegen selbstverständlich den gesetzlichen Regelungen der Förder-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15753
Parl. Staatssekretär Beckmannländer. Darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluß, auch dann nicht, wenn das dort geförderte Uran anschließend in unser Land geliefert wird.Im übrigen sollte man den zuständigen Behörden in den USA, in Kanada oder ausgerechnet in Australien nicht immer wieder unterstellen, sie hätten ein gestörtes Verhältnis zum Umweltschutz
und ließen einen gesundheits- und umweltgefährdenden Uranabbau zu.
Im Gegenteil: Exploration und Abbau werden in diesen Ländern erst dann zugelassen, wenn strenge Umweltschutzvorschriften eingehalten werden.Meine Damen und Herren, ich will die Gefahren, die sich aus dem Umgang mit Uran ergeben, nicht bagatellisieren. Man muß diese Gefahren aber auch in der richtigen Perspektive sehen. Ich will hier nur zwei Beispiele für die Panikmache nennen, die Sie veranstalten.Es heißt in dem Antrag der GRÜNEN: eine Milliarde Kubikmeter Strahlenhalden. Das suggeriert doch, daß riesige Mengen Atommüll herumliegen, die Luft, Wasser und Boden permanent und gefährlich verseuchen. Die Fakten sind aber: Es handelt sich nicht um Strahlenhalden, es handelt sich um Abfall. Abfall besteht aus den natürlichen Bestandteilen der Lagerstätten, also überwiegend aus Abraum, Deckgebirge und nichtverwertbarem Erz. Die Strahlungen solcher Halden und auch des abfließenden Grundwassers gehen im allgemeinen außer in der unmittelbaren Umgebung über die natürliche Strahlung des betreffenden Gebiets nicht hinaus. Werden diese Halden ordnungsgemäß abgedeckt, besteht auch in unmittelbarer Umgebung für Mensch und Natur keine Strahlengefährdung.Das zweite Beispiel: Kiggavik in Kanada. Da heißt es in dem Antrag: erstmalig Uranbergbau in Permafrost, Beeinträchtigung der Tierwelt, Strahlen- und Existenzgefährdung der Inuit. Meine Damen und Herren, das hört sich schrecklich an. Die Fakten sind aber ganz anders: Eine Abbaugenehmigung liegt überhaupt noch nicht vor. Das Bergbauunternehmen muß zunächst eine umfassende Umweltverträglichkeitsstudie vorlegen. Die wird dann öffentlich ausgelegt, und alle Beteiligten, natürlich auch die Inuit, können nach rechtsstaatlichen Regelungen ihre Einwendungen einschließlich der möglichen Gefahren eines Bergbaus im Permafrost oder der Auswirkungen auf die Tierwelt geltend machen.
Erst danach werden die kanadischen Behörden über die Abbaugenehmigung entscheiden. In Baker Lake, der nächsten Ansiedlung in 80 km Entfernung von Kiggavik, wohnen rund 1 100 Inuit. Dort hat das Betreiberunternehmen ein Informationsbüro eingerichtet, um die betroffene Bevölkerung über alle Aspekte des Projekts zu unterrichten.Meine Damen und Herren, kehren wir zurück aus der weiten Welt zu unserem eigenen Uranbergbau.
Die Firma Interuran GmbH hat im vergangenen Jahr ihre Uranexploration in der Grube Großchloppen in Bayern eingestellt. Inzwischen hat sie mit einem Aufwand von über 1,5 Millionen DM diese Grube rekultiviert. Das ist mustergültig durchgeführt worden. Der Abfall ist verschwunden, und Sie werden in Kürze nicht mehr ausmachen können, wo überhaupt eine Urangrube war. Die einheimische Bevölkerung — das will ich hier unterstreichen — ist nicht etwa von Strahlenängsten geschüttelt, sondern hat sich im Gegenteil bei Interuran für die mustergültige Rekultivierung bedankt. Auch das muß im Zusammenhang mit Uranbergbau einmal erwähnt werden.Lassen Sie mich, weil es, ich glaube, von Herrn Kollegen Erler, angesprochen worden ist, ein Wort noch zur DDR sagen. Die Probleme im Zusammenhang mit dem Uranbergbau der DDR sind der Bundesregierung bisher nur in groben Zügen bekannt. In dieser Frage wird in Kürze eine Arbeitsgruppe der gemeinsamen Kommission der für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der DDR Untersuchungen durchführen. Wir hoffen, daß uns in einigen Monaten mehr Detailinformationen über die Umweltprobleme im Bereich der Uranbergbaubetriebe und die Strahlenbelastung der dortigen Beschäftigten vorliegen.Meine Damen und Herren, mit dieser Großen Anfrage der GRÜNEN und der Kleinen Anfrage der SPD glaubt die Opposition einen weiteren Schritt auf dem Wege ihres allgemeinen politischen Zieles zu tun: Ausstieg aus der Kernenergie.
Sie hat sich hierfür aber, so denke ich, das falsche Objekt ausgesucht. Der Uranbergbau ist eine industrielle Tätigkeit mit nicht weniger, aber auch nicht mehr Risiken als andere Großindustrien auch. Wichtig ist — das will ich hier für die Bundesregierung betonen — , daß dabei die jeweils gültigen gesundheits- nd umweltschützenden Vorschriften eingehalten werden. Soweit es sich dabei um Inlandstätigkeit handelt, sorgen Bundesregierung und Länderbehörden für deren Einhaltung. Handelt es sich um Auslandstätigkeit, respektiert die Bundesregierung selbstverständlich die Souveränität der dortigen Bergbauländer.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Sind Sie mit der Überweisung des Entschließungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6692 an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — federführend und an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Metadaten/Kopzeile:
15754 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsidentin RengerIch rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNENUnterstützung einer Friedensordnung für Kambodscha, die eine Rückkehr der Roten Khmer an die Macht ausschließ— Drucksache 11/6251 —Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Alle sind damit einverstanden. So beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die verkürzte Aktuelle Stunde vom 25. Januar 1990 war der erste Versuch, das Thema Rote Khmer in Kambodscha hier im Deutschen Bundestag zu behandeln. Dies lag und liegt mir sehr am Herzen; denn nach wie vor bin ich bestürzt über die unklare Haltung der Bundesregierung in der Kambodscha-Frage.
Während die Bundesregierung vorgibt, eine Rückkehr der Roten Khmer an die Macht in Kambodscha verhindern zu wollen, hat ihre bisherige Haltung tatsächlich entscheidend mit dazu beigetragen, daß ausgerechnet die Roten Khmer als Teil der sogenannten Widerstandskoalition der einzigen legitimen Vertretung Kambodschas bei den Vereinten Nationen mit angehören. Daran ändern Ihre Wortspiele, lieber Herr Staatsminister Schäfer, z. B. am 25. Januar im Deutschen Bundestag, herzlich wenig. Sie ändern nichts, wenn Sie sagen, der UNO-Sitz sei seinerzeit nicht der Widerstandskoalition übertragen worden, sondern er sei lediglich der unter vietnamesischer Besetzung installierten neuen kambodschanischen Regierung vorenthalten geblieben.
Solche feinen Unterscheidungen ändern freilich nichts an der Tatsache, daß die Widerstandskoalition und mit ihr auch die Roten Khmer den UNO-Sitz tatsächlich seit zehn Jahren innehaben, und zwar noch immer.Ist es nicht wirklich pervers, daß Pol Pots Fahne jeden Tag vor dem UNO-Gebäude in Manhattan inmitten der Flaggen aller anderen Nationen weht und damit ein mörderisches Terrorregime ehrt, das Kambodscha in eine unbeschreibliche Hölle verwandelte und zwischen 1975 und 1979 Millionen Kambodschanern das Leben kostete?Der „Boston Globe" vom 30. September 1989 verglich die Art und Weise, wie die Roten Khmer an der Widerstandskoalition beteiligt werden, mit der Perversion eines Hitlers, der mit den Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg an einer Koalition in der Bundesrepublik beteiligt gewesen wäre, wenn man dies zu Ende denkt.Genauso unbegreiflich ist mir, daß noch am 16. November 1989 in der Resolution Nr. 44/22 der UNO- eneralversammlung zur Situation in Kambodscha der Kampf der Widerstandskoalition, in der die Mörderbande der Roten Khmer den militärisch stärkstenAnteil bildet, ausdrücklich als wirkungsvoll — auf Englisch als „effective" — gewürdigt wird, obwohl doch gerade dieser Kampf dazu führen kann, die Roten Khmer an die Macht in Kambodscha zurückzubringen, ganz zu schweigen von der bestürzenden Tatsache, daß in diesem Kampf Zeitungsberichten zufolge auch Kinder zum Waffentragen und anderen militärischen Hilfsdiensten von den Roten Khmer gezwungen werden.Finnland und Schweden z. B. haben dieser Resolution — erst im November 1989 — nicht zugestimmt. Die Bundesrepublik und andere westliche Staaten haben sich leider nicht zu dieser Haltung entschließen können. Sie alle folgten dem versteckten Druck der USA, die noch immer einen Boykott Vietnams aufrechterhalten und ganz offen einräumen, in der Kambodscha-Frage der vollen chinesischen Linie zu folgen, siehe dazu Henry Kissinger und auch George Bush. So ist es auch kein Wunder, daß die USA, wie der australische Journalist John Pilger enthüllt hat, die Roten Khmer Anfang der 80er Jahre mit 85 Millionen Dollar unterstützten. Ihr Vietnam-Trauma wog offensichtlich schwerer als der Abscheu jedes normal Empfindenden vor dem Völkermord der Roten Khmer.Auch die Bundesregierung als treuer Gefolgsmann der USA hat niemals den Mut gefunden, Herr Schäfer, eine andere Position öffentlich einzunehmen und dies auch den blutigen Männern in Peking zu erläutern.
Im Gegenteil: Wie auch im Falle Tibet und Hongkong ignoriert die Bundesregierung meines Erachtens die menschenverachtende Politik der Volksrepublik China, die von Anfang an, seit 1975, die verbrecherischen Roten Khmer in jeder nur möglichen Weise unterstützt und damit ihr jahrelanges Terrorregime erst möglich gemacht hat.
Ohne die chinesischen Waffenlieferungen in den 70er Jahren hätte es die berüchtigten „killing fields" nie gegeben. Das muß man hier einmal öffentlich sagen.Allerdings sind es nicht chinesische und amerikanische Waffen allein, die den Roten Khmer zur Verfügung stehen. In jüngster Zeit verweisen KhmerRouge-Soldaten im BBC stolz auf hochmoderne Panzerabwehrwaffen aus bundesdeutscher Produktion, die auf offensichtlich illegalen Wegen nach Kambodscha gelangt sind. Wie aus dieser unwiderlegbaren Feststellung der Staatsminister am 25. Januar den Vorwurf machen konnte, der Bundesregierung seien Waffenlieferungen nach Kambodscha unterstellt worden, ist allerdings unerfindlich. Ich habe auch damals gesagt, Herr Schäfer: auf illegalem Wege.Das heißt, alle drei Gruppen in der Widerstandskoalition, allen voran die Roten Khmer, werden vom Westen und von China unterstützt, diplomatisch von uns im Westen und mit Gerät und Waffen von den Chinesen, auch mit Waffen deutscher Herkunft. Das ist und bleibt ein Skandal!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15755
Frau KellyDas Scheitern der jüngsten Kambodscha-Konferenz in Djakarta läßt, so meine ich, Schlimmes befürchten:Erstens. Schon die Bezeichnung „Völkermord" im Zusammenhang mit der Herrschaft der Roten Khmer war nicht konsensfähig.Zweitens. Die militärische Hilfe Pekings an die Roten Khmer fließt weiter.Drittens. Die Widerstandskoalition lehnt es ab, den Vereinten Nationen bis zu freien Wahlen Verwaltungsvollmachten zu erteilen.Viertens. Die Roten Khmer sollen weiter an einem Nationalrat beteiligt werden, der in Zukunft auch den Sitz Kambodschas bei der UNO einnehmen soll.Um so mehr kommt es darauf an, daß die westlichen Regierungen, darunter gerade wir, endlich dem verhängnisvollen chinesischen Einfluß in der Kambodscha-Frage entschieden entgegenwirken. Mit verbalen Bekundungen ist es nicht getan. Klare Entscheidungen sind erforderlich.Der vorliegende Antrag dient diesem Zweck. Ich denke, das vierte Treffen der fünf Sicherheitsratsmitglieder im Mai ist ein Termin, den wir im Auge behalten sollten. Bis dahin sollte der Bundestag eine ganz klare Entscheidung treffen.Danke.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pohlmeier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kelly, wenn ich den Titel Ihres Antrages lese, so möchte ich ihm eigentlich uneingeschränkt zustimmen. Wir teilen auch die Grundtendenz Ihres Antrages, was die uneingeschränkte Verurteilung der Roten Khmer, ihrer Untaten in den letzten zehn Jahren und auch ihrer Untaten im jetzigen Bürgerkrieg angeht.Aber in Ihrem Antrag gibt es einige falsche Darstellungen, die zurechtgerückt werden müssen. So stimmt es nicht — ein Beweis dafür ist nicht zu erbringen — , daß bei den Roten Khmer deutsche Waffen aufgetaucht seien oder daß sie mit deutschen Waffen ausgerüstet seien.
Ich weiß, Sie wollen darauf abheben: Da gibt es irgendein Werk in Singapur, daß mit einer früheren deutschen Lizenz produziert! Aber diese Waffenlieferungen möglicherweise von Singapur haben nun wirklich mit der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu tun, und diese falschen Behauptungen können in Ihrem Antrag so natürlich nicht stehenbleiben.
Ich glaube, Sie liegen auch falsch, Frau Kelly, wenn Sie die Verantwortlichkeit der USA in diesem Zusammenhang immer wieder so prononciert herausstellen und im Hintergrund immer uns, die Bundesrepublik, rezitieren. Die USA haben seit der Beendigung des Vietnam-Krieges in der Verurteilung der Untaten der Roten Khmer, glaube ich, nichts an Deutlichkeit zu wünschen übriggelassen. Wir wissen genau, wo die Unterstützer der Roten Khmer und diejenigen, die ihnen nun lange die Stange halten, sitzen: Es waren zunächst, nach der Beendigung des Indochinakrieges, die kommunistischen Regime in Indochina, und seitdem ist es natürlich Peking; darin haben Sie wieder einmal recht.
— Ich komme noch einmal darauf, Herr Lippelt.Ein Drittes, was jedenfalls in dieser Akzentuierung unserer Überzeugung nach so nicht stimmt, sind Ihre Aussagen zu der Nahrungsmittelhilfe. Bilaterale deutsche Nahrungsmittelhilfe wird und soll niemals in die Lager der Roten Khmer ins thailändisch-kambodschanische Grenzgebiet gehen. Nach meinem Wissen jedenfalls sind auch keine Nahrungsmittellieferungen des Welternährungsprogramms in diese Lager gelangt. Wenn sie dort hingelangen, muß das abgestellt werden.
Damit bin ich bei dem Thema humanitäre Hilfe. Ich möchte mich dafür aussprechen, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, auch im internationalen Verbund alles tun, alles leisten, was diesem leidgeprüften kambodschanischen Volk humanitär zugute kommen kann.
Das bedeutet, daß wir dort, wo es geht, öffentliche Hilfe leisten, d. h. über Thailand in die Lager hinein. Im Lande selbst, in Kambodscha, hat es jedenfalls nach meinen Erkundigungen Anträge von Nicht-Regierungsorganisationen, auch von UNICEF, bisher nicht gegeben. Wenn diese Anträge z. B. von UNICEF gestellt werden, muß man prüfen, wie sie realisierbar sind. Ich würde mich dann ebenfalls dafür aussprechen, Herr Schäfer, daß wir so etwas tun und UNICEF unterstützen.Die entscheidende Frage ist aber, wie man einen Weg zum Frieden für Kambodscha finden kann. Hier möchte ich eine UNO-Lösung, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern und wie sie sich international abzuzeichnen beginnt, ebenfalls uneingeschränkt begrüßen und unterstützen. Das Fünfertreffen in Paris, das in diesen Tagen stattgefunden hat, hat — wie jedenfalls meine Informationen lauten — die Weichen in diese Richtung gestellt. Die Frage, ob eine Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha möglich ist, müßte geprüft werden. Hier wird auf den vergleichbaren Modellfall Namibia abgehoben. Wir sollten uns allerdings nicht täuschen: In Namibia waren die Dinge viel leichter zu handhaben als in Kambodscha. Ich bin aber bereit die Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
15756 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Pohlmeierauch dazu aufzufordern, in eine solche Überprüfung mit einzutreten.Am Ende ein Wort zur Rolle Chinas. Die Rolle Pekings im Kambodscha-Konflikt ist in der Tat verhängnisvoll. Hier in Peking liegt der Schlüssel. Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung, Frau Kelly.Nur stellt sich natürlich die Frage: Wer hat einen solchen Einfluß auf das Pekinger Regime, um etwa Waffenlieferungen zu unterbinden, um die politische Unterstützung des Regimes von Peking aus zu beenden? Alle Möglichkeiten, die hier ergriffen werden könnten, sollten wir bilateral, aber auch international mittragen und unterstützen.Insgesamt glaube ich aber nicht, daß hier die Bundesrepublik in erster Linie gefragt ist.Ich möchte die Bundesregierung weiterhin bitten und auffordern, daß sie Initiativen innerhalb der Zwölf, der EPZ, und hier insbesondere unseres französischen Verbündeten, die hier viel stärker im Geschäft sind, nachdrücklich mitträgt und dort auch entsprechend vorstellig wird und daß etwas ähnliches auch mit den USA geschieht.Der Kambodscha-Konflikt, einer der schlimmsten in den Jahren, die wir vor uns haben, scheint mir eines anzuzeigen, daß nämlich auch mit dem Abbau der Konfrontation zwischen Ost und West und seiner Beeinflussung der Konflikte in der Dritten Welt diese Konflikte selbst nicht verschwinden und daß die Lösungen auch nicht immer unbedingt schon leichter geworden sind.Wir haben in Kambodscha glaube ich, noch ein wichtiges und sehr ernstes Stück Arbeit vor uns. Daran wollen wir arbeiten, wenn wir nun diesen Antrag an den Auswärtigen Ausschuß überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. November 1989 sind rund 200 Bewohner, Frauen, Kinder und Männer, des Dorfes Kampong Tom von Roten-Khmer-Soldaten abgeschlachtet worden. Sie standen unter dem Befehl von San Sen. San Sen war der Hauptverantwortliche für das Massenschlachten während der Pol-Pot-Zeit. Es ist ein bißchen so, als wäre Himmler 1956 mit Werwölfen irgendwo in der Eifel oder sonstwo in ein Dorf eingedrungen und hätte die Menschen abgeschlachtet. Dieser Massenmord, dieser Genozid in Kambodscha ist das zweite große Menschheitsverbrechen nach Auschwitz gewesen. Es ist das erste Mal, daß die Verantwortlichen eines solchen Menschheitsverbrechens mit Unterstützung einer Großmacht und Duldung der beiden anderen Großmächte ihr Werk weiterführen können. Sie sind heute militärisch die stärkste Kraft im Lande. Das Aufhalten des Zusammenbruchs der Regierung kann zur Zeit niemand garantieren. Die zentrale Frage für all das, was wir hier diskutieren, wird sein: Wer entmachtet die Roten Khmer für immer? Das ist die zentrale Frage.
Ich habe es immer als eine große Verantwortungslosigkeit und auch als etwas, was einem die Scham-
röte ins Gesicht treibt, betrachtet, daß dieser Sicherheitsrat mit diesen Großmächten seinerzeit nicht in der Lage war, diesem Massenmord Einhalt zu gebieten, und daß heute die perverseste aller denkbaren Koalitionen des 20. Jahrhunderts, die da jetzt in Kambodscha wütet — Sihanouk auf der einen Seite, die Amerikaner in Zusammenarbeit mit einem Teil dieser Leute und die Chinesen mit einem anderen Teil — nicht auseinanderbricht, sondern daß die Gefahr besteht, daß die Roten Khmer wieder die Macht bekommen und wir wieder außen stehen und sagen: die Chinesen und die und die . . .
Ich denke, Kambodscha ist eines der Gebiete, wo der heiße Krieg nicht zu Ende ist und wo auch der Kalte Krieg nicht zu Ende ist. Wir müssen — die Europäer sind mit gefordert, denn die anderen waren bisher nicht in der Lage — jetzt die Bemühungen von Australien und anderen wirklich aktiv unterstützen. Kambodscha kann kein Thema mehr sein, das so ganz nebenbei läuft.
Herr Staatsminister Schäfer, ich habe mir die Antwort auf die Große Anfrage, die, von Frau Kelly angeregt, hier vor einiger Zeit gegeben wurde, sehr genau durchgelesen. So locker werden wir die Bundesregierung nicht mehr mit dem Thema Kampuchea umgehen lassen, wie das bisher geschehen ist. Wir können alte Allianzen nicht einfach so weiterlaufen lassen, als sei in Asien nichts geschehen, als würde sich die Regierung in Kambodscha nicht verändern. Die Bundesregierung ist gefordert, gemeinsam mit den anderen Europäern für dieses kleine Land auf dem Plan der Weltgeschichte wirklich aufzutreten, aktiv zu werden. Wir jedenfalls als Oppositionspartei werden dort sehr viel mehr nachbohren, als es bisher geschehen ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle — das tun wir untereinander selten — zum zweitenmal Frau Kelly persönlich danken. Sie hat wie im Falle Tibet als einzige von uns nicht locker gelassen und wirklich gesagt: An diesem Thema bleibe ich und bringe meine eigene Fraktion, bringe den Bundestag dazu, sich immer wieder damit zu befassen. Ich denke, das ist richtig. Ich finde auch die Überweisung richtig, damit wir sachlich über die einzelnen Punkte diskutieren können.
— Sicher, wir hätten es alle früher machen können, Ihre Partei, Herr Staatsminister, unsere Partei. Frau Kelly hat es gemacht. Es ist nicht richtig, wenn ein parlamentarischer Staatsminister jetzt dem Parlament sagt: Es hätte früher geschehen können. Sie haben auch eine Partei. Sie sind in der Bundesregierung, für die Sie mit Verantwortung haben. Ich wollte dieses zum Abschluß einmal gesagt haben.
Danke.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir möchten Ihnen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15757
Frau Dr. Hamm-BrücherFrau Petra Kelly, für diese Initiative herzlich danken. Der Antrag hat uns deutlich gemacht, daß wir in unseren Arbeitskreisen sehr Vielfältiges behandeln. Ich habe schon vor Wochen um die Kambodscha-Information gebeten. Wir haben alles in einem einzigen Arbeitskreis: Deutschlandpolitik, Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Entwicklungspolitik. Das Thema Kambodscha ist erst vor zwei Wochen bei uns erörtert worden. Dann war Ihr Antrag schon da. Das war sehr wichtig. Wir unterstützen ihn in seinen wesentlichen Elementen. Wir glauben aber, daß er in einigen Punkten doch aktualisiert werden muß, nachdem jetzt in Paris die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats eine Vorstellung entwickelt haben, die man vielleicht unterstützen und weiterverfolgen sollte. Ich komme darauf nachher noch kurz zurück.Mir geht es wie allen Vorrednern und natürlich wie auch Ihnen, die Sie sich mit der Lage in Kambodscha noch intensiver beschäftigt haben. Wenn man die erschütternden Berichte über die Lage des nun schon so lange leidgeprüften kambodschanischen Volkes liest, z. B. den Aufsatz von Michael Sontheimer in der „Zeit" — ich glaube, auf den haben Sie rekurriert, Herr Duve —, und dann mit den dürren Kommuniqués nach mehr oder weniger unergiebigen diplomatischen Friedensgesprächen vergleicht, dann wird einem wieder einmal deutlich, daß ohne verstärkten öffentlichen Druck dieses Thema leider weiter verschleppt werden und ein Schattendasein führen wird. Das darf nicht passieren, meine Damen und Herren.Ich meine auch, Herr Duve, daß wir alle uns fragen müssen, ob unsere gesamte Außenpolitik derzeit nicht viel zu deutschland- oder europazentriert ist
und ob wir nicht als Mitglied der Vereinten Nationen und gelegentlich im Weltsicherheitsrat eine Weltverantwortung haben und keine Ausrede erlaubt ist, diesen Menschenrechtsverletzungen und dieser Bürgerkriegseskalation in Kambodscha weiter zuzusehen und es mit verbalen Bekundungen genug sein zu lassen.Die drei Grundelemente, die Ihrem Antrag zugrunde liegen, unterstützen wir nachträglich. Ich habe mich darüber informiert, daß die dritte Gesprächsrunde der fünf ständigen Mitglieder, die gestern in Paris zu Ende gegangen ist, mit einer Aufforderung an alle Parteien, an die sogenannte Koalition, beendet wurde — es ist wirklich eine Perversion des Begriffes Koalition, was sich gegen die Regierung Hun Sen zusammengetan hat — , daß man die Souveränität des Landes an eine Übergangsverwaltung der VN übertragen bzw. noch einen Rat dazwischenschalten sollte, der diesen Übergang vorbereiten soll. Ich glaube nicht, daß das wesentlich schwieriger ist als in Namibia; dort war die Ausgangssituation nämlich zunächst auch gar nicht erfolgversprechend.Ich glaube, es ist ganz entscheidend, daß Waffenstillstand, Vorbereitung freier Wahlen und eine durch die Vereinten Nationen abgesicherte Regierungsbildung die nächsten Schritte sind, außerdem ein absolutes Waffenembargo für alle Beteiligten. Wer dort noch die kriegerische Auseinandersetzung durchWaffenexporte anheizt, sollte wirklich von der Weltöffentlichkeit verurteilt werden. Das ist unerträglich.
Auch für die FDP ist das Ziel ihrer KambodschaPolitik, dazu beizutragen, daß die Rückkehr der das eigene Volk mordenden Roten Khmer auf jeden Fall verhindert wird. Sehr wichtig ist auch der in Ihrem Antrag, Frau Kelly, erwähnte Vorschlag des australischen Außenministers Evans, den Kambodscha zustehenden Sitz in den Vereinten Nationen der Widerstandskoalition zu entziehen und zumindest so lange freizulassen, bis man sich auf einen Vertreter geeinigt hat, der wirklich für dieses Volk sprechen kann.
Übrigens gab es auf der ASEAN-Konferenz im Februar — auch mit deutscher Unterstützung — endlich einen Fortschritt, vor allem in der Position Thailands. Auch dieses Land hat dort viel angerichtet. Wenn es erlaubt oder gar zuläßt, daß Flüchtlinge zurückgetrieben werden, ist das auch ein inhumaner Akt.Schlußgedanke: Hauptbetroffene dieser Auseinandersetzung sind, wie immer, Frauen, Kinder und Alte, die dem Morden und den Bürgerkriegswirren schutzlos ausgeliefert sind. Ihnen muß unsere Solidarität und vor allem unsere humanitäre Hilfe gelten. Herr Kollege Pohlmeier, Sie haben schon etwas dazu gesagt. Es wird das Nächstliegende und Dringlichste sein, daß wir die Mittel hierfür freigeben und verstärken, um dort humanitäre Hilfe zu leisten.
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn hier so getan wird, als habe Frau Kelly den Kambodscha-Konflikt entdeckt, und ihr hier dafür gedankt wird, daß sie dieses Thema im Deutschen Bundestag anspricht, dann erlauben Sie mir auch als Parlamentarischem Staatssekretär, Herr Kollege Duve, den Zwischenruf, daß ich sehr überrascht bin, daß Sie sich in Ihrem Ausschuß nicht schon seit Monaten mit diesem Konflikt beschäftigen. Das hätten Sie tun können. Aber Sie beschäftigen sich unentwegt mit Blaupausen, mit der Wiederholung von Themen, auf die wir Tag für Tag von neuem das gleiche antworten müssen.
Es geht auch nicht an, daß Kollegen, die sehr selten hier im Deutschen Bundestag zu sehen sind, mit dem einen oder anderen Weltkonflikt auftauchen und so tun, als sei das ein Skandal, nur weil er nicht in ihrem Sinne gelöst worden ist. Frau Kelly, so sieht es doch aus; ich muß das einmal in aller Form sagen.
Ich muß mich auch gegen die Darstellung verwahren, als hätten wir von diesen Vorkommnissen keine Ahnung und hätten nichts getan. Ich war der erste Angehörige einer deutschen Bundesregierung, der nach Ende des Krieges in Vietnam, in Laos und auch
Metadaten/Kopzeile:
15758 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Staatsminister Schäferin Thailand gewesen ist, und das schon vor zwei Jahren; das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da ist das Thema Kambodscha besprochen worden. Wenn wir noch nichts erreicht haben, dann nicht deshalb, weil wir untätig sind, sondern weil auch das Interesse der Oppositionsfraktionen sich immer darauf bezieht, Skandale der Bundesregierung nachweisen zu wollen, was dann nicht gelingt; andere Themen vernachlässigen sie. Setzen Sie sich in Ihrer Fraktion bitte einmal durch.
Diese Art und Weise, daß hier jemand den Eindruck erweckt, er habe die Weltmoral gepachtet, ist für mich unerträglich.
— Das geht mir nicht auf die Nerven, sondern es geht mir auf die Nerven, wenn diese Moralapostelattitüde hier immer mehr Raum gewinnt und so getan wird, als täte der Rest der Welt nichts.Meine Damen und Herren, ich möchte einiges sagen, was Ihre Argumente einfach zerstreut. Es gibt seit langem schon — wenn Sie das nicht zur Kenntnis genommen haben, dann müssen Sie sich ein bißchen mehr mit den internen Vorgängen in Deutschland beschäftigen — eine Position der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung in dieser Angelegenheit.
— Lesen Sie doch die Kommuniqués, z. B. von Dublin. Ich kann Ihnen nur sagen, es gibt seit langem die klare Tendenz der Europäischen Gemeinschaft, zu verhindern, daß die Roten Khmer an die Macht kommen. Das können Sie in allen Kommuniqués nachlesen. Wir haben mit ASEAN-Staaten lange zu tun gehabt, um diese Haltung bei ASEAN durchzusetzen. Sie ist inzwischen durchgesetzt. Das brauchen Sie, bitte, nur nachzuprüfen. Wenn Sie sich einmal die Arbeit machen sollten, werden Sie feststellen, daß das gar nicht so einfach war.Wenn Sie beispielsweise sagen, wir sollten bei China erreichen, daß eine Unterstützung der Roten Khmer eingestellt wird: Entschuldigen Sie bitte, versuchen Sie mal, das mit China zu erreichen! Auch wir versuchen das. So einfach ist das nicht.Sie können auch nicht so tun, als sei dieser Sitz bei den Vereinten Nationen in einer Art unglaublicher Verkennung der Situation den Roten Khmer zugeteilt worden. Es ist schlicht nicht wahr.
Ich kann nur wiederholen, was ich vor kurzem gesagt habe: Es ist ganz klar, daß die Regierung Hun Sen durch den Einmarsch der Vietnamesen zur Macht kam und daß die Vereinten Nationen nicht bereit gewesen sind, Hun Sen den Platz zur Verfügung zu stellen. Die Widerstandskoalition ist ja nicht von Pol Potgeleitet worden, sondern — Frau Kelly, das wissen Sie genausogut wie ich — von Prinz Sihanouk. Er und nicht Hun Sen hatte nun einmal weltweit das Vertrauen. Es war die sicher falsche Vorstellung — da würde ich sogar mit Ihnen einig gehen — einer ganzen Reihe von Staaten der Welt, zu glauben, daß sie erreichen können, daß sich Sihanouk gegen die Roten Khmer durchsetzt. Ich habe das immer für eine Illusion gehalten. Da sind wir uns wahrscheinlich nahe. Es ist nicht richtig gewesen, zu glauben, daß sich in dieser Widerstandskoalition der sehr geschickte Prinz Sihanouk durchsetzen werde. Es ist jahrelang gesagt worden — daran habe ich nie geglaubt — , daß Pol Pot out sei, und das, was jetzt der Rote Khmer sei — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Entschuldigung, ich habe hier nur fünf Minuten Redezeit; ich antworte hier in einer Debatte auf Vorwürfe, die gemacht worden sind. Das darf ich ja wohl noch tun. Da kann ich nicht noch Zwischenfragen beantworten. Herr Duve hat schon gesprochen.
Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Wenn Sie den ganzen Kambodscha-Konflikt bitte mal Revue passieren lassen, wenn Sie sich klar werden, wie die Dinge hier gelaufen sind, dann wissen Sie, daß es eine sehr lange Zeit gedauert hat, bis deutlich geworden ist, daß die Gefahr der Rückkehr des Roten Khmer, die man für irreal gehalten hatte, in Asien erkannt worden ist. Es waren nicht wir, die die Illusion hatten, das würde nie mehr der Fall sein, sondern es waren andere Staaten, die gesagt haben: Wir wollen nicht, daß Vietnam das frühere Indochina total okkupiert. Das ist der Hintergrund der thailändischen Politik und der chinesischen Politik gewesen.
Ich sage Ihnen: Was wir wollen, ist Frieden für Kambodscha. Das heißt: keine Rückkehr der Roten Khmer zur Macht.
Da muß man alles tun. Aber wenn Sie sich hier hinstellen und von Skandalen reden, lösen Sie die Probleme nicht. Dann müssen Sie auch mit China reden. Das wird bei den Konferenzen getan.
— Öffentliche kritische Stellungnahmen mit einer Verurteilung Chinas werden nicht dazu führen, daß China in dieser Angelegenheit einschwenkt, sondern wir müssen reden, und wir müssen versuchen — und wir danken Frankreich und insbesondere Indonesien für ihre Bemühungen — , in diesem Konflikt weiterzukommen. Ich bin sicher, daß in Kambodscha eine Friedenslösung mit Hilfe der Vereinten Nationen gefunden werden kann. Die UN sind auf dem Wege. Wir sollten den Generalsekretär unterstützen. Wir haben
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15759
Staatsminister Schäferdas Notwendige getan. Wenn man uns ruft, auch in dieser Angelegenheit die UN finanziell zu unterstützen, dann sollten wir bereit sein, das zu tun.Im übrigen stimmt das, was heute abend gesagt worden ist: Wir haben eine ganze Reihe von DritteWelt-Konflikten, die wir in den diversen Gremien vielleicht etwas intensiver behandeln sollten. Wir sollten uns nicht ständig auf unsere Lieblingsthemen zurückziehen, wie das gelegentlich seitens der Opposition geschieht. Es sind zwei, drei Themen, die Sie immer wieder vorbringen: chemische Waffen, heute mehrfach angesprochen, Blaupausen und Rabta. Bekümmern Sie sich mal etwas intensiver um diese Dinge, Herr Lippelt. Dann sind wir uns einig.Vielen Dank.
Der Herr Staatsminister war heute sehr temperamentvoll.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 11/6251 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Einverständnis des Hauses? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 und die Zusatzpunkte 5 bis 7 auf:
20. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Behinderung des EG-Sonderprogramms für die Opfer der Apartheid
— Drucksache 11/5208 —
b) Beratung des Antrags der Abgeordnetene Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Anwendung des „Gesetzes zur Offenlegung finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland" durch die Regierung der Republik Südafrika
— Drucksache 11/6552 —
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktion der
SPD
zum „Gesetz zur Offenlegung finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland"
— Drucksache 11/6644 —
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Südafrika
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Eid
und Dr. Lipppelt und der Fraktion DIE GRÜNEN
Südafrika
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Lage im südlichen Afrika
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Verschärfte Repressionen in Südafrika
— Drucksachen 11/807, 11/870, 11/1753, 11/2326, 11/6642 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Köhler Verheugen
Irmer
Dr. Lippelt
ZP6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunte Zusammenfassung der Berichte von in Südafrika engagierten deutschen Unternehmen über die bei der Anwendung des Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft für Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen oder Vertretungen in Südafrika erzielten Fortschritte
Bewertung durch die Bundesregierung
— Drucksache 11/6124 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufkündigung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika
— Drucksachen 11/2310, 11/6572 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hüser Poß
Zu Tagesordnungspunkt 20 c liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD, der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6697, 11/6713 und 11/6716 vor.
Für die Beratung sind 45 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Rede des südafrikanischen Staatspräsidenten De Klerk anläßlich der Parlamentseröffnung am 2. Februar dieses Jahres und die darin angekündigten Schritte hin zu einem demokra-
Metadaten/Kopzeile:
16760 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Frau Eidtischen Südafrika sind begrüßenswert und sollten ernst genommen werden. De Klerk ist mit der Freilassung Nelson Mandelas und der Aufhebung des Verbots der südafrikanischen Befreiungsbewegung weitergegangen, als international erwartet wurde. Allerdings: Von einer Abschaffung der Apartheid kann überhaupt keine Rede sein.
Mit seinen Zugeständinissen hat De Klerk auf die Harare-Deklaration der OAU vom August letzten Jahres reagiert. Die OAU hat damals in aller Deutlichkeit ihre bedingungslose Unterstützung des ANC bis zur endgültigen Beseitigung der Apartheid bekräftigt. Sie hat aber auch klargemacht, daß sie eine friedliche Konfliktlösung dem bewaffneten Kampf vorzieht, und hat ein entsprechendes Aktionsprogramm verabschiedet.Als Voraussetzung für Verhandlungen zwischen der südafrikanischen Regierung und der Opposition wurde die Erfüllung folgender Minimalbedingungen durch die Regierung in Pretoria gefordert: bedingungslose Freilassung von allen politischen Gefangenen ohne jegliche Auflagen; Aufhebung des Verbots und aller sonstigen Restriktionen gegen oppositionelle Organisationen und Einzelpersönlichkeiten; Rückzug der Armee aus den Townships; Beendigung des Ausnahmezustands und Abschaffung aller Gesetze, einschließlich des Gesetzes zur inneren Sicherheit, die die Möglichkeiten politischer Betätigung einschränken; Aussetzung aller politischen Prozesse und Hinrichtungen. Bisher jedoch sind allerhöchstens erste Ansätze zur Erfüllung dieser Forderungen erkennbar.Als ich vor zwei Wochen in Südafrika Gelegenheit hatte, mit Oppositionspolitikern über ihre Einschätzung der Lage zu sprechen, war man fast einhellig der Meinung, daß seit Februar, seit dieser Rede De Klerks, lediglich der Status der 60er Jahre erreicht worden sei, nur mit dem Unterschied, daß mittlerweile Tausende von Menschen ihr Leben lassen mußten und der unterdrückerischen und brutalen Apartheid-Politik zum Opfer gefallen sind. Ein Gesprächspartner gebrauchte ein Bild, um dies zu illustrieren. Er sagte: Wir haben im Moment eine Situation, vergleichbar mit der Situation, daß ein Mann, der seine Frau jahzehntelang brutal behandelt hat, ihr jetzt die Gelegenheit gibt, die Chance einräumt, dagegen zu protestieren.Es herrscht auch Skepsis darüber, ob der Demokratisierungsprozeß nicht doch noch reversibel sei. Insbesondere die Formierung rechter Kräfte, die drohen, zurückzuschlagen, könnte zu einer ernsten Gefahr werden.Unabhängig davon gibt es auch heute noch genügend Beispiele für eine Fortsetzung der Apartheid-Politik: Schon im August/September letzten Jahres wurde erstmals der Versuch unternommen, eine Organisation, die Hilfsprogramme für die Opfer der Apartheid durchführt, nämlich den KAGISO-Trust, zur Offenlegung ihrer Finanzierung zu zwingen. Im Januar dieses Jahres wurde das entsprechende Gesetz auf eine weitere — kirchliche — Organisation, nämlich das Wilgespruit Fellowship Centre, angewendet. Beide Organisationen erhalten Gelder aus dem EG-Sonderfonds für die Opfer der ApartheidIn beiden Fällen habe ich mich um das Zustandekommen interfraktioneller Anträge zusammen mit den Kollegen aus den anderen Fraktionen bemüht — leider vergeblich. Meine Fraktion hat dann — wie die anderen Fraktionen auch — eigene Anträge eingebracht. An Hand der heute vorliegenden Anträge sowohl der SPD als auch der Koalitionsfraktionen wird deutlich, daß der Deutsche Bundestag in einer Frage einer Meinung ist, nämlich in der Frage, daß dieses Foreign Funding Act von der südafrikanischen Regierung zurückgenommen werden muß.
Ich möchte dies hier ausdrücklich begrüßen und würde mich freuen, wenn wir dies durch entsprechendes Abstimmungsverhalten auch deutlich machen können.Ein weiteres Beispiel, daß Apartheid noch nicht zu Ende ist: Anfang dieser Woche erreichte mich ein Brief mit der Bitte um Unterstützung der mehr als 300 politischen Gefangenen auf Robben Island, die sich seit dem 26. Februar im Hungerstreik befinden.
Der ist zwar abgebrochen worden, trotzdem, denke ich, ist es dringend notwendig, daß sich der Deutsche Bundestag dafür einsetzt, daß diese politischen Gefangenen freigelassen werden.
Trotz der Ankündigung von De Klerk, der aber eine sehr eigenwillige Definition von „politischen Gefangenen" hat, sind bisher nur 20 von etwa 300 politischen Gefangenen freigekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die südafrikanische Regierung steht mit dem Rücken zur Wand, und zwar nicht nur weil die Sanktionen gegriffen haben, sondern auch weil die blutigen Unruhen in den Homelands um sich greifen. Die Bewohner der Homelands fordern eine Wiedereingliederung in ein demokratisches Südafrika. Damit wird sichtbar, daß die Homeland-Politik gescheitert ist.
Angesichts der bekanntgewordenen Verbrechen der Todesschwadronen, die im Auftrag des südafrikanischen Geheimdienstes zahllose Oppositionelle ermordet haben, bleiben ihr nur noch billige Ablenkungsmanöver. Das allerbilligste und abscheulichste ist, daß der südafrikanische Verteidigungsminister noch nicht einmal vor der Diffamierung von Toten zurückschreckt, denn er hat den Ermordeten SWAPO- Politiker Anton Lubowski als südafrikanischen Geheimagenten bezeichnet.Festhalten möchte ich an unserem Antrag zur Aufkündigung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Südafrika, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. Er gehört in die Kontinuität grüner Sanktionsforde-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15761
Frau Eidrungen gegenüber Südafrika, die nach wie vor ihre Gültigkeit haben.Herr Minister Schäfer, zum Schluß möchte ich noch sagen: Ich habe mich gefreut, daß die Bundesregierung bei der Außenministerkonferenz in Dublin dem Druck der britischen Regierung nicht nachgegeben hat. Allerdings haben die Sanktionen — ich meine, das ist kein Geheimnis —, die von der Bundesregierung empfohlen worden sind, rein symbolischen Charakter. Trotzdem war es symbolisch wichtig, daß sich die Bundesregierung in Dublin so verhalten hat, wie sie es getan hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Endlich ist Nelson Mandela frei. Wir beobachten mit angespanntem Interesse, wie er sich bemüht, die verschiedenen Gruppierungen der von ihm repräsentierten schwarzen Mehrheit zu einheitlichen politischen Linien hinzuführen. So verstehen wir auch manche Äußerungen, z. B. seine Forderungen nach einem Tourismusboykott und verschärften Sanktionen, die wir nicht teilen. So begrüßen wir andere Äußerungen, die wir für weise halten, z. B. seine Garantie für das Existenzrecht der weißen Minderheit in Südafrika.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da ist nach wie vor der Ausnahmezustand. Da ist das drängende Thema der Homelands nicht geklärt, wo im Moment schlimme Sachen geschehen. Da ist aber auch die Tatsache, daß die SADCC-Staaten in den letzten Jahren von einer Konfrontationshaltung zu einer wesentlich nüchterneren Haltung vorgedrungen sind, bisher noch ohne eine ausreichend konstruktive Antwort der Regierung von Südafrika, was ich schon vor mehreren Jahren laut und deutlich für einen großen Fehler und einen Nachteil erklärt habe. Diese konstruktive Antwort muß eingefordert werden. Ich hoffe, daß die bevorstehenden Treffen mit Vertretern des schwarzen Afrikas und Präsident de Klerk hier einen Schritt weiterführen.In einer so offenen Situation die Diskussion über Sanktionen wiederaufleben zu lassen — es ist nicht nur Frau Thatcher, sondern auch die südafrikanische Regierung, die das gerne möchte; es gibt aber auch andere Bestrebungen — , halte ich für verfehlt. Die Resolutionen sind da. Über sie wäre in dem Moment zu reden, wo die Entwicklung dazu wirklich ausreichenden Anlaß gibt.
Bis dahin sollten wir das Augenmerk darauf richten, daß es ganz überwiegend an der Regierung der Republik Südafrika liegt, den für das Land und seine Wirtschaft katastrophalen Vertrauensverlust der internationalen Geschäftswelt und der Investoren zu zerstreuen und die bevorstehenden schweren Umschuldungsverhandlungen zu bestehen. Da kommt etwas auf die Republik zu.Ich meine, da sich die Lage in der Tat zu ändern begonnen hat, ist es richtig, daß wir unsere Position dazu hier definieren. Ich meine nicht, daß das in der Einseitigkeit geschehen kann, mit der die Opposition immer wieder Forderungen ausschließlich an die weiße Minderheit Südafrikas richtet. Auf dem Wege zu Verhandlungen zwischen Schwarz und Weiß haben wir nicht nur mit, sondern auch zu beiden Seiten zu sprechen. Das ist der Grund, weshalb wir den Antrag nach einer durchaus seriösen und ernsthaften Debatte im Ausschuß nicht akzeptieren konnten, Herr Verheugen.Ich glaube, es hat sich nichts daran geändert, daß die Bundesrepublik eine erhebliche Verantwortung für das südliche Afrika mitträgt; so wird das auch dort gesehen. Es hat sich nichts daran geändert, daß wir erhebliche Interessen in diesem Raum haben. Das Engagement unseres Landes in Namibia zwingt uns dazu, die Problemlage des gesamten südlichen Afrika zur Kenntnis zu nehmen.Was wir in den Jahren des Terrors und des Ausnahmezustandes bisher kaum noch zu hoffen wagten, zeichnet sich allerdings erstmals ab: Es gibt Gesprächskontakte zwischen der südafrikanischen Regierung und der Opposition; es gibt Gesprächskontakte zwischen den einzelnen schwarzen Oppositionsgruppen. Und im Oktober haben sich führende Mitglieder des Broeder-Bunds in London mit der Spitze des ANC getroffen. Immerhin war der Bruder des Staatspräsidenten an diesen Gesprächen beteiligt.Das sind natürlich nur allererste Anfänge, sozusagen Gespräche über denkbare Gesprächsmöglichkeiten ohne Tagesordnung und ohne klare Verhandlungsziele. Denn dem Dialog über die politische Zukunft der Südafrikanischen Republik stehen nach wie vor ernste Hindernisse im Wege. Während die Regierung die gegenwärtigen rassischen Gruppierungen als Organisationsstrukturen betrachtet, die für die Zukunft genutzt werden können, lehnt der ANC jegliches Konzept ab, das auf der Existenz ethnischer Gruppen basiert, und wünscht einen Verfassungsdialog, der völlig frei ist von der Rücksichtnahme auf die Existenz verschiedener Völker und Rassen in der Republik Südafrika.Die Regierung glaubt an einen Entwicklungsprozeß Schritt für Schritt, während der ANC eine fundamentale Veränderung der Situation im Lande fordert. Die Regierung erwägt eine schrittweise Eingliederung der schwarzen Mehrheit in das politische System. Der ANC fordert eine radikale Übergabe der Macht an die Mehrheit.Die Regierung betrachtet sich als Zentrum des Verhandlungsprozesses auf der einen Seite gegenüber den Vertretern der verschiedenen schwarzen Organisationen auf der anderen Seite. Eine solche herausragende Rolle der Regierung wird vom ANC nicht akzeptiert. Die Regierung fordert für sich die Rolle des Sprechers der südafrikanischen Weißen, der Mischlinge und der Asiaten, legitimiert, wie sie sagt, durch die Wahlen zu dem parlamentarischen Drei-Kammer-
Metadaten/Kopzeile:
15762 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Dr. Köhler
System, das besteht. Sie fordert, daß die schwarze Mehrheit durch Wahlen ermittelt, wer ihre legitimen Sprecher bei einem Verhandlungsprozeß sein sollen. Dies lehnt der ANC ab; er fordert statt dessen allgemeine Wahlen der gesamten Bevölkerung für eine verfassunggebende Versammlung.Eine ausländische Vermittlung zwischen diesen extrem voneinander abweichenden Standpunkten ist nicht erwünscht. Trotzdem bemühen sich alle Beteiligten immer wieder um Rat aus Europa und Amerika. Nachdem die deutsche Politik über viele Jahre den Dialog in Südafrika gefordert und, wo sie konnte, auch unterstützt hat, ist es jetzt an der Zeit, zu seinen konkreten Vorbedingungen und Möglichkeiten Stellung zu nehmen und nicht schweigend den vorhandenen Ansätzen die Hilfe zu verweigern. Wir haben im Ausschuß in diesem Zusammenhang ja auch z. B. über Möglichkeiten und Grenzen der Konkordanzdemokratie miteinander gesprochen.Ich rufe in Erinnerung, daß Bundeskanzler Helmut Kohl stets nach Rückfallpositionen für alle Beteiligten gesucht hat in der Hoffnung, daß durch ein Geben und Nehmen beider Seiten ein System gleichberechtigter Koexistenz gefunden werden kann.
— Das kann ich als Augen- und Ohrenzeuge der Gespräche z. B. auf seiner Afrikareise Ihnen demnächst einmal ausführlich erzählen, wenn Sie das wollen, Herr Toetemeyer.Er hat nach einer politischen Ordnung für ein neues Südafrika gesucht, die Sie auch noch nicht haben,
die die machtpolitische Absicherung des Existenzrechtes der weißen Afrikaner als eine Art Gegenleistung für die Befreiung der schwarzen Südafrikaner aus der Apartheid vorsieht.
Das ist etwas anderes als die Umkehr politischer Macht in Südafrika und die Unterordnung der weißen Minderheit unter eine schwarze Mehrheit, wie sie manchen Politikern in unserem Lande nach wie vor vorschwebt.
Diese zuletzt genannte Position hat immer die Entschlossenheit der weißen Afrikaner zur Selbstbehauptung unterschätzt. Nelson Mandela hat das erkannt und dazu sehr gute Erklärungen abgegeben.Eine klare Stellungnahme zu den Fragen, die auf der Tagesordnung stehen, ist auch gut geeignet, die gemäßigten schwarzen Kräfte zu unterstützen, die inzwischen auch in London und Moskau als legitime Vertreter der Schwarzen behandelt werden.Ich meine, wir müssen stärker, als es bisher geschehen ist, die internen Entwicklungen und natürlich auch die Rolle des so gefolgsstarken ANC verfolgen. Die Lösung wird von dort und nicht von außen kommen.Wir sollten mit Großbritannien und auch den Supermächten den Dialog darüber verstärken, was für welche Konfliktpartei verhandelbar ist und was nicht. Die einzige Alternative zu einer solchen Politik des Suchens und des Vermittelns ist, Südafrika an einen Abgrund noch unvorstellbarer Gewalt zu führen, die gewiß nicht an den Grenzen der Kap-Republik haltmachen wird.Wer die jüngsten Analysen der Weltbank über die Lage der Schwarzen in Afrika gelesen hat, muß zu dem Eindruck kommen, daß das wirtschaftliche Potential und das Know-how der Republik Südafrika noch eine der ganz wenigen durchgreifenden Möglichkeiten ist, dem gesamten südafrikanischen Raum zu mehr Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit zu verhelfen, wenn denn die Apartheid endlich gefallen ist.Und so ist die Neuordnung der Südafrikanischen Republik, d. h. die Beseitigung der Apartheid und die Organisierung des Zusammenlebens von Schwarz und Weiß, nicht nur ein dringendes Gebot für alle, denen Rassismus und Menschenrechtsverletzungen unerträglich sind, sondern sie ist auch eine der wenigen Hoffnungen, die wir haben können, um das Überlebensproblem des schwarzen Afrika zu lösen.Wir können es uns nicht leisten, über die gegenwärtig bestehenden Chancen hinwegzusehen. Wir müssen diese Entwicklung auch in Zukunft ständig begleiten und in unseren Stellungnahmen auf Grund genauer Analysen differenzieren. Unser heutiger Beschlußantrag soll ein Schritt auf diesem Wege sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Wind des Wandels hat Südafrika erreicht. Es ist für uns die erste Gelegenheit seit den dramatischen Veränderungen, die sich auch in Südafrika ereignet haben, unsere Position zu diesem Land zu diskutieren. Es ist mir eine Freude festzustellen, daß schon jetzt, in der Mitte dieser Debatte, sichtbar ist, daß der früher sehr bittere und leidenschaftliche Streit anscheinend der Vergangenheit angehört und sich die Positionen doch sehr deutlich angenähert haben. Wenn man alle vorliegenden Entschließungsanträge betrachtet, findet man wesentlich mehr Gemeinsames als unterschiedliche Positionen.Die Beurteilung der Situation in Südafrika ist sicherlich davon abhängig, wie man die Politik des neuen Präsidenten de Klerk und seiner Regierung beurteilt. Ich stimme denen zu, die gesagt haben: Es ist mehr geschehen, es ist mehr an Veränderung da, als vor einem halben Jahr zu erwarten war. Es ist aber noch keine Veränderung in der Substanz.
Es ist allerdings eine tiefgreifende Veränderung der psychologischen Situation in Südafrika eingetreten. Das muß man sehen. Die Weißen haben angefangen, das Undenkbare zu denken. Das, was man jetzt in Südafrika mit jedem besprechen kann, konnte man dort vor sieben Jahren überhaupt nicht öffentlich aus-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15763
Verheugensprechen, ohne Gefahr zu laufen, körperlich mißhandelt zu werden. Hier ist vieles geschehen.Wir brauchen auch keine Motivforschung zu betreiben, ob das nun bessere Einsicht gewesen ist oder ob es einfach der Zwang der Notwendigkeiten war. Ich tendiere zum zweiten. Die wirtschaftliche Situation Südafrikas ist so, daß es für die Weißen verzweifelt notwendig ist, wieder Vertrauen in der Welt herzustellen. Sie können insbesondere das Vertrauen von Investoren nur wiedergewinnen, wenn die politischen Unruheherde beseitigt werden, wenn Südafrika ein anderes Image in der Weltöffentlichkeit gewinnt. Ich denke, daß das der entscheidende Grund für das relativ schnelle Vorgehen der letzten Zeit war.Ich glaube auch, daß ganz unabhängig davon, was Präsident de Klerk tatsächlich vorhat und wie weit er gehen will, er mit seinen Entscheidungen eine ungeheure Dynamik entwickelt hat. Das ist ein Prozeß, den er nach meiner festen Überzeugung nicht wird kontrollieren können. Dieser wird ihn weiter und weiter treiben auf den Weg zu wirklichen substantiellen Veränderungen.
Man kann nicht hoch genug einschätzen, was es bedeutet, nach so vielen Jahren die schwarzen Befreiungsbewegungen in Südafrika wieder zuzulassen, ihnen einen legalen Betätigungsrahmen zu geben, auch die im Lande selbst vorhandenen Antiapartheidsorganisationen von den Einschränkungen zu befreien. Das verändert das gesamte politische Klima, verändert die innenpolitische Lage, stärkt das Selbstbewußtsein der schwarzen Bevölkerungsmehrheit in ungeheurer Weise.Ich muß auch folgendes sagen: Es hat sich herausgestellt, daß diejenigen recht gehabt haben, die gesagt haben, den Schwarzen in Südafrika steht mit Nelson Mandela ein wirklicher Führer im besten Sinne des Wortes zur Verfügung, und den Weißen in Südafrika steht mit Nelson Mandela der einzige zur Verfügung, der genug Autorität hat, um den Haß, der sich in vielen Jahren aufgestaut hat, abbauen zu können und eine friedliche Lösung zu erreichen.Wir haben von diesem Pult aus bei vielen Gelegenheiten gesagt, daß die Zeit wegläuft und daß nur die Freilassung Nelson Mandelas und die Zulassung des ANC eine Chance bieten, die Zuspitzung des Konflikts und den noch schrecklicher werdenden Bürgerkrieg zu vermeiden. Ich möchte die positive Rolle des ANC und besonders Nelson Mandelas auch deshalb hervorheben, weil ich mich nicht erinnern kann — das wird wohl jedem von uns so gehen —, daß ein Mensch, der 27 Jahre in Unfreiheit verbringen mußte, aus dem Gefängnis herauskommt und eine politische Wirkung entfaltet, die von der ganzen Welt mit Bewunderung zur Kenntnis genommen werden muß.
Ich glaube, er ist wirklich eine große Persönlichkeit.Ich möchte den Ton dieser Debatte nicht unnötig verschärfen, aber ich muß doch darauf hinweisen, daß es mich mit einer gewissen Bitterkeit erfüllt, wenn ich daran denke, daß noch im vergangenen Jahr das Zentralorgan einer der im Bundestag vertretenen Parteien, der „Bayernkurier" , mir z. B. wegen meiner Haltung zu Nelson Mandela Komplizenschaft mit Terroristen vorgeworfen hat. Das ist noch kein Jahr her.
Ich begrüße die Entwicklung. Ich begrüße auch, daß der Bundeskanzler Nelson Mandela zu einem Gespräch eingeladen hat. Das bedeutet in meinen Augen, daß die Bundesregierung jetzt bereit ist, ihr Verhältnis zum African National Congress auf eine andere Grundlage zu stellen. Bisher fanden diese Kontakte mehr oder weniger auf dem Hinterhof statt, wenn sie überhaupt stattfinden konnten. Wenn ich richtig unterrichtet bin, wird der Außenminister Mandela in wenigen Tagen in Windhuk treffen. Ich begrüße das sehr. Ich hoffe, daß sich daraus Positionen der Bundesregierung ergeben, die denen entsprechen, die in unseren Anträgen enthalten sind.Die Entwicklung in Südafrika hat Auswirkungen — das ist völlig klar — auch auf die Entwicklung in der gesamten Region. Kollege Köhler hat schon mit Recht darauf hingewiesen. Ich möchte vor allen Dingen noch einmal Namibia nennen. In wenigen Tagen wird Namibia offiziell unabhängig. Auch das hätte doch vor einem Jahr niemand vorhersehen können. Vielleicht hätte man vorhersehen können, daß Namibia in diesem Jahr unabhängig wird. Aber daß der Prozeß, der dahin führt, am Ende dann doch so erfolgreich und befriedigend verläuft, daß all die schrecklichen Probleme, die viele von uns, auch ich, vorhergesehen haben, eben nicht in der Schärfe eingetreten sind, sondern daß Namibia eine Verfassung bekommt, die nicht nur nach afrikanischem Standard, sondern nach meiner Überzeugung auch nach westeuropäischem Standard wirklich als eine hervorragende Verfassung zu bezeichnen ist, ist ein beachtlicher Erfolg.Hier muß noch einmal an unsere Verantwortung erinnert werden, nun dafür zu sorgen, daß dieses Namibia ein positives Modell für das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen im südlichen Afrika werden kann. So, wie wir in Simbabwe bereits ein ähnlich positives Modell haben, so kann in Namibia ein weiteres entstehen. Ich halte das deshalb für wichtig, weil die Weißen in Südafrika Beispiele dafür brauchen, daß es möglich ist, als Schwarze und Weiße in einem demokratischen Land zusammenleben, ohne daß der eine vor dem anderen Angst haben muß und ohne daß der eine den anderen unterdrücken will.
Es ist ja keine neue Erkenntnis, daß die schwarze Bevölkerungsmehrheit das nicht wünscht. Die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens ist im Grunde bereits durch die Friedenscharta des ANC von 1955 geschaffen worden.
Auch da ist schon festgelegt und eindeutig gesagt worden, daß niemand aus Südafrika herausgeworfen werden soll, daß man zusammenleben will. Die Verfassungsleitlinien, die der ANC jetzt beschlossen hat, können nach meiner Überzeugung auch nach stren-15764 Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990Verheugengen westeuropäischen Maßstäben wirklich nicht kritisiert werden, noch nicht mal im Hinblick auf die vorgesehene Wirtschaftsstruktur. Wenn also jemand auf die Idee kommen sollte, der ANC müsse sich auch noch zur Marktwirtschaft bekennen, so ist zu sagen: Er bekennt sich zu einer gemischten Wirtschaftsform. Und das ist wohl das, was wir in Wahrheit auch haben.Sorgen — das muß man wohl hinzufügen — bereitet nach wie vor Angola. Hier ist der Friedensprozeß nicht in dem Maße in Gang gekommen, wie wir das gehofft haben. Ich möchte die Bundesregierung sehr eindringlich bitten, ihren Einfluß insbesondere auf die amerikanischen Verbündeten geltend zu machen, in Angola nicht die Politik weiter zu betreiben, die auch in anderen Teilen der Welt betrieben worden ist, nämlich einerseits zum Frieden aufzurufen, aber andererseits diejenigen mit Geld und Waffen zu unterstützen, die den Krieg fortsetzen.
Wir wünschen eine friedliche Lösung der Konflikte in Angola. Das bedeutet nach meiner Überzeugung auch, daß eine Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien herbeigeführt werden muß. Es wird nicht ohne die UNITA gehen. Aber es geht ganz sicherlich nicht auf dem Weg, daß man den Krieg in diesem Land immer weiter fortsetzt.Ein Wort zu unserer deutschen Verantwortung. Wir haben in früheren Debatten sehr lebhaft über die Frage gestritten, ob Sanktionen gegenüber Südafrika nun richtig sind oder nicht. Ich erinnere mich: Vor wenigen Jahren ging es sogar noch darum, ob es überhaupt europäische Sanktionen gibt. Es ist bestritten worden, daß die Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaft als Sanktionen bezeichnet werden können. Ich begrüße es sehr, wenn in dem jetzt vorliegenden Koalitionsantrag sehr deutlich gesagt wird, daß man die bestehenden Sanktionen jetzt nicht aufheben kann, sondern erst dann zur Disposition stellt, wenn das Verhalten der südafrikanischen Regierung dazu Anlaß gibt.Ich möchte einen Schritt weiter gehen und sagen: Man kann das erst dann tun, wenn der Prozeß der Abschaffung der Apartheid wirklich irreversibel ist. Das ist noch nicht zu erkennen.
Wir brauchen auch nicht mehr darüber zu streiten, ob Sanktionen ein wirksames Instrument in der Südafrikapolitik sind oder nicht,
nachdem die südafrikanische Regierung selbst ohne jede Hemmung einräumt, daß es auch die Sanktionen gewesen sind, die sie veranlaßt haben, den Weg zu Verhandlungen zu beschreiten. Deshalb meinen wir, daß es wenig Sinn machen würde, jetzt eine erfolgreiche Politik zu verändern. Das Instrument muß uns vielmehr erhalten bleiben.Es wäre aber ganz sicher falsch, die Reformkräfte in Südafrika dadurch zu entmutigen, daß man jetzt neue zusätzliche Forderungen erhebt. Das ist der Grunddafür, daß wir die früheren Anträge verändert haben, in denen noch zusätzliche Sanktionen gefordert wurden, und sagen, daß uns dieses Instrument sozusagen als ein Schwert in der Scheide erhalten bleiben soll, das man aber erst dann herauszieht, wenn sich herausstellen sollte, daß der positive Prozeß, den wir zur Zeit sehen, ins Stocken gerät oder sogar umgekehrt wird. Ich weiß heute nicht — niemand kann das wissen — , in welche Richtung es letztlich geht.Kollegin Eid hat ja bereits auf die Widersprüche in der südafrikanischen Politik hingewiesen, und zwar nicht nur in bezug auf den Umgang mit Antiapartheidsorganisationen, die Hilfsgelder aus dem Ausland erhalten. Es gibt solche Widersprüche auch in anderen Bereichen. Die Gewalt nimmt im Augenblick in Südafrika zu.
Ich möchte sehr ernsthaft auf das eingehen, Herr Köhler, was Sie zu diesem Thema gesagt haben. Ich habe mich damit nie leichtgetan, tue mich auch heute schwer damit. Aber was die Frage der Gewalt in Südafrika angeht, haben wir wohl nicht das moralische Recht, die Unterdrückten zu verurteilen, weil sie zu dem Ergebnis gekommen sind, daß sie sich auch mit Gewalt gegen die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, und zwar seit vielen Jahrzehnten, wehren müssen. Ich begrüße das nicht, ich billige das nicht, ich unterstütze das nicht — damit wir uns recht verstehen — , aber ich fühle mich nicht in der Lage zu sagen: Ihr dürft das nicht tun, solange der Alltag in Südafrika von der Gewalt des Apartheidsystems bestimmt ist.
Das Leben, in dem die Menschen dort aufwachsen, ist Gewalt. Es hat nun wirklich lange gedauert, bis sich die Widerstandsbewegung entschlossen hatte, darauf anders als mit friedlichen Protesten zu reagieren. Ich hoffe — ich glaube es auch — , daß wir nahe an dem Punkt sind, an dem der ANC von sich aus diese Entscheidung treffen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sich in Kapstadt oder Pretoria zusammensetzt — das wird bald geschehen — , um darüber zu reden, wie man den Verhandlungsprozeß organisiert, und dann gleichzeitig der sogenannte bewaffnete Kampf noch weitergeht.Aber ich habe Hemmungen, an die Adresse der Unterdrückten zu sagen: Eure Methoden, mit denen ihr euch gegen die Unterdrückung wehrt, können wir nicht billigen, verurteilen wir. Das sage ich auch im Hinblick darauf, daß wir in der Geschichte unseres eigenen Volkes diejenigen, die sich mit anderen als friedlichen Mitteln gegen Gewaltherrschaft zur Wehr gesetzt haben, auch nicht verurteilen, sondern sogar der jüngeren Generation als Vorbild hinstellen. Ich weiß, daß Vergleiche immer schwierig sind und ein bißchen hinken, aber auf der moralischen Ebene, glaube ich, ist dieser Vergleich erlaubt.Es bleibt für mich eine letzte Frage übrig. Die Endziele der Entwicklung in Südafrika gehen noch sehr weit auseinander; das muß man sehen. Die Weißen sind im Augenblick noch nicht weitergegangen, als über Gruppenrechte zu reden. Was sie unter Abschaffung von Apartheid verstehen, ist die Einführung von Gruppenrechten. Das ist ganz sicher zuwenig. Da
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15765
Verheugenwird die Lösung nicht liegen. Ich glaube aber auch nicht, daß die Lösung in der vollständigen Erfüllung der Maximalforderung der schwarzen Organisationen liegen wird. Eine gewisse Kompromißbereitschaft ist vielmehr erkennbar. Da sollten wir auch Vertrauen haben, daß diejenigen, die dort verhandeln, schon wissen, welche Kompromißlinien sie einnehmen können.Ich sage noch einmal: Die Zeit eilt. Gewalt wächst im Land. Es wächst eine junge Generation heran, die auch von einem Nelson Mandela nicht für alle Zeit geführt werden kann
und die Haß und Widerstand in einer ganz anderen Weise ausleben möchte. Darum sollten wir dabei bleiben, gegenüber der südafrikanischen Regierung weiterhin alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des politischen und wirtschaftlichen Drucks anzuwenden.Die vorliegenden Anträge — ich sagte es schon — stimmen weitgehend überein. Die beiden Anträge der Fraktion der GRÜNEN zu dem Gesetz über ausländische Hilfsgelder sind im Grunde zeitlich ein bißchen überholt. Unser Antrag ist der aktuellere. Deshalb halten wir ihn in diesem Fall auch für den besseren.Was die Änderungsanträge zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses angeht, so stimmt der Antrag der GRÜNEN mit unserem überein, mit einer einzigen Ausnahme, einem Zusatz, dem wir zustimmen. Das ist richtig.Der Antrag der Koalition enthält eine Reihe von Punkten, denen ich ausdrücklich zustimmen möchte: der Hinweis auf Namibia sowie der Hinweis auf die Schulen; Frau Hamm-Brücher, das kommt sicher von Ihnen. Das alles begrüßen wir sehr. Aber insgesamt ist mir dieser Antrag doch etwas zu schwach.Ich bitte Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen. Ich glaube, daß es Ihnen eigentlich möglich sein müßte.
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist das erste Mal, daß ich an einer Südafrika-Debatte teilnehme, in der ich allen Rednern, die bisher gesprochen haben, Beifall zollen konnte. Das nicht deswegen, weil ich mit jeder inhaltlichen Position einverstanden gewesen wäre, sondern deshalb, weil ich bei jedem gespürt habe, daß er ernsthaft, unideologisch und an der Sache orientiert zum Thema gesprochen hat. Das gefällt mir heute besonders.
Herr Toetemeyer, Sie schütteln den Kopf. Ich habe noch keine Südafrika-Debatte erlebt — weder in diesem Haus noch sonstwo in der Öffentlichkeit, auf Kirchentagen und dergleichen — , in der die ideologischen und emotionalen Wogen nicht hochgegangen wären. Ich finde es außerordentlich erfreulich, daß jetzt offensichtlich doch eine Versachlichung eintritt
und daß man zum Thema reden kann, ohne gegenseitige ideologische Positionen aufzubauen.
Liebe Frau Eid, Sie haben vorhin gesagt, es sei Ihnen leider nicht gelungen, einen überfraktionellen Konsens zu dem Thema der Finanzhilfe für das Wilgespruit Fellowship Centre herbeizuführen. Ich kann dazu nur sagen: Sie hätten diesen Konsens mit uns leicht erreichen können. Nur, Sie sind an mich nicht herangetreten. Ich bin der zuständige Berichterstatter für dieses Thema. Das tut mir leid. Ich hätte gerne daran mitgewirkt.
Herr Verheugen, Sie werden ja gemerkt haben, daß wir durchaus Elemente aus Ihrem Änderungsantrag aufgegriffen haben. Wir fanden nur, daß Ihr Änderungsantrag nicht umfassend genug war. Mir hat der Hinweis auf Namibia gefehlt. Sie haben in Ihrer Rede über Namibia gesprochen. Ich fand das sehr wichtig. Es hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Antrag auch etwas dazu stünde.
Wir sollten außerdem eines klarmachen — ich räume allerdings ein, daß das in unserem Antrag auch nicht so gut zum Ausdruck gekommen ist, weil er auf die schnelle ein wenig zusammengebastelt wurde — : Ich bin fest davon überzeugt, daß wir, wenn wir uns zusammengesetzt und zwei Stunden die Köpfe zusammengesteckt hätten, einen gemeinsamen Antrag zustande gebracht hätten, in dem dann vielleicht auch auf folgendes hingewiesen worden wäre. Das, was inzwischen an positiven Nachrichten aus Südafrika kommt, ist sehr zu begrüßen, aber es besteht noch kein Grund zum Jubeln.
Im Grunde ist all das, was die Regierung bisher getan hat, nur die Erfüllung von Bedingungen, die Vorbedingungen dafür sind, daß es überhaupt zu einem Dialog kommen kann, in dem dann zur Sache geredet wird. Wir haben immer wieder gesagt: Ohne daß Nelson Mandela freigelassen wird, ohne daß der Ausnahmezustand aufgehoben wird, ohne daß bestimmte andere Voraussetzungen erfüllt werden, kann es ja gar nicht dazu kommen, daß sich die einzelnen Parteien miteinander an den Tisch setzen und dann wirklich vernünftig über die Zukunft des Landes miteinander reden.
Der Katalog, den wir in unserem Antrag aufgeführt haben, ergänzt im Grunde nur die Liste der Bedingungen. Soweit sie hier genannt sind, sind sie noch nicht erfüllt worden. Dazu gehört eben auch die Behinderung von Organisationen, die wir im Zuge der positiven Maßnahmen der EG unterstützt haben. Die Tatsache, daß dieses Zensurgesetz hinsichtlich der Hilfe der EG für Antiapartheidsorganisationen jetzt tatsächlich angewandt wird, ist ein Schlag ins Gesicht all derer,
die über die Jahre hinweg immer gesagt haben: Es hat keinen Sinn, eine rigorose Sanktionspolitik zu betreiben, wir geben lieber den positiven Maßnahmen den Vorzug. Wenn das jetzt allerdings dadurch belohnt
15766 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Irmer
wird, daß man dieses unsägliche Gesetz auch noch anwendet, dann — das muß ich sagen — stellt die südafrikanische Regierung ihre eigene Glaubwürdigkeit dadurch in Frage.
Deshalb bin ich der Meinung, wir müssen heute eine klare Aussage dazu treffen und den Südafrikanern ganz eindeutig sagen: Stellt nicht durch solche im Grunde völlig unsinnigen Maßnahmen das in Frage, was ihr auf der anderen Seite an positiven Dingen eingeleitet habt; sonst werdet ihr in eurem politischen Bekunden unglaubwürdig.
Die eigentlichen Aufgaben bleiben natürlich zu erledigen. Ich wünsche mir von der südafrikanischen Regierung jetzt auch eine eindeutige Aussage dazu, daß man die politische Gleichberechtigung aller Rassen will. Es führt kein Weg daran vorbei, weil man eine Bevölkerungsmehrheit — in diesem Falle die Schwarzen — nicht auf Dauer unmündig lassen kann. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, daß auch in Südafrika das System „one man, one vote" gilt.
— Oh, Entschuldigung. Aber langsam geht mir das auf die Nerven. Langsam kann ich es nicht mehr ertragen. Ihre Fraktionskollegin hat heute früh in zwei Reden immer nur von „Arbeitnehmerinnen" gesprochen, immer nur von „Bürgerinnen". Ich weiß ja, wie Sie das schreiben. Eine entsetzliche Verstümmelung der deutschen Sprache.
Soll ich Ihnen einmal etwas sagen? Reinigen Sie doch demnächst die klassische Literatur! Warum heißt es bei Shakespeare noch „A horse, a horse, a kingdom for a horse!" Sie müßten demnächst sagen: „A mare, a mare, a queendom for mare! " Dann ist Ihnen endlich Genüge getan!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß meiner Redezeit noch auf Südafrika zurückkommen. Wir erkennen an, daß in der neuen Regierung offensichtlich ein neuer politischer Wille vorhanden ist, die Probleme dieses Landes anzugehen. Wir erkennen auch die endlich konstruktive Rolle an, die die Republik Südafrika beim Unabhängigkeitsprozeß in Namibia in letzter Zeit gespielt hat. Ohne diese Mitwirkung Südafrikas wäre diese Unabhängigkeit Namibias jetzt nicht erreicht.
Ich glaube aber, daß dies auch eine Folge dessen ist, daß durch das Abebben des Ost-West-Konfliktes endlich weltweit die Chance gegeben ist, sich auf die eigentlichen Probleme der Regionen zu konzentrieren.
Das haben wir in Nicaragua erlebt. Das haben wir in Afghanistan erlebt. Das haben wir im südlichen Afrika erlebt. Es gibt weitere Krisenherde. Auch bei der Lösung des Problems Kambodscha wird sich positiv auswirken, daß der Ost-West-Konflikt diese Bedrohlichkeit verloren hat.
In Zukunft werden Gott sei Dank keine Stellvertreterkriege mehr auf dem Rücken armer und ärmster Länder geführt werden, die immer genügend Probleme hatten, als daß man ihnen legitimerweise auch noch den Ost-West-Konflikt hätte aufdrücken dürfen, mit dem sie nichts zu tun haben.
Hoffen wir, daß auch in Südafrika jetzt die Konzentration auf die wahren politischen und sozialen Probleme des Landes dazu führen kann, daß wir dort einer positiveren Zukunft entgegenblicken können.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie sehen, daß man sich im Auswärtigen Amt auch noch mit der Dritten Welt beschäftigt. Soviel ich gehört habe, sind andere zur Zeit beim Wahlkampf in der DDR. Aber wir halten die Stellung, wie Sie sehen.Die Bundesregierung begrüßt — das haben Sie bereits angesprochen — die jüngsten Maßnahmen in Südafrika, insbesondere die Maßnahmen, die der Staatspräsident am 2. Februar 1990 verkündet hat, und die am 11. Februar 1990 erfolgte Freilassung von Nelson Mandela. Damit wurden wichtige Voraussetzungen für die Aufnahme des nationalen Dialogs zwischen der Regierung und den Führern der schwarzen Bevölkerungsmehrheit erfüllt.Es ist richtig, Herr Verheugen, daß der Bundesaußenminister in Namibia mit Herrn Mandela zusammentreffen wird, wahrscheinlich auch mit dem Staatspräsidenten von Südafrika.Die Bundesregierung — darüber darf kein Zweifel bestehen — erwartet, daß die südafrikanische Regierung baldmöglichst den Ausnahmezustand vollständig aufhebt, die politischen Gefangenen alle freiläßt und eine Amnestie für die Vertreter der Antiapartheidsbewegung, die sich noch im Ausland befinden, ausspricht. Erst dies wäre nach Ansicht der Bundesregierung der entscheidende Durchbruch für den Beginn von Verhandlungen mit dem Ziel, das Apartheidsystem vollständig abzuschaffen.
Diese positiven Entwicklungen in Südafrika werden aber auch von negativen Momenten begleitet, auf die Sie, Frau Eid, schon hingewiesen haben. Gegen den Trend zu mehr Offenheit und Demokratie steht z. B. die erstmalige Anwendung des Gesetzes zur Offenlegung finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland auf das Wilgesproit Fellowship Centre, das am 10. Januar 1990 zu einer reporting organization erklärt wurde. Die Bundesregierung hat deswegen bereits am 30. Januar 1990, Frau Eid, durch ihre Botschaft unter Bezugnahme auf frühere entsprechende Demarchen die südafrikanische Regierung nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990 15767
Staatsminister Schäferdurch diese Maßnahme eine Behinderung der positiven Maßnahmen befürchtet. Ein derartiges Vorgehen könne nicht hingenommen werden.Parallel dazu hat die Bundesregierung dem südafrikanischen Botschafter in Bonn ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht und von der südafrikanischen Regierung die Aufhebung dieser Maßnahme gefordert.
— Es ist erfreulich, daß ich heute abend so viele Kollegen aus meiner Fraktion wiedersehe, die mich noch unterstützen.
— Ich will nicht untersuchen, woher sie kommen, Frau Kollegin Hamm-Brücher. Ich hoffe aber, daß sie so lange bleiben, wie ich rede.Die Bundesregierung hat darüber hinaus in dieser Angelegenheit eine gemeinsame Demarche der Zwölf bei der südafrikanischen Regierung veranlaßt, die am 15. Februar 1990 in Pretoria durch die italienische Botschaft als Vertreter der Präsidentschaft der Zwölf durchgeführt wurde. Der im Deutschen Bundestag erhobenen Forderung, auf die südafrikanische Regierung einzuwirken, damit diese die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Offenlegung finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland rückgängig macht, wurde also bereits entsprochen.Ich möchte noch einmal betonen: Die Bundesregierung verwahrt sich gegen die diskriminierende Natur dieses Gesetzes.
In seiner Anwendung sieht sie die Gefahr einer Beeinträchtigung der positiven Maßnahmen.Die Regierung der Bundesrepublik und ihre Partner in der Europäischen Gemeinschaft haben ihre Haltung unmißverständlich klargestellt: Eine Behinderung der beschlossenen Maßnahmen für die Opfer der Apartheid wird nicht hingenommen werden. Den Bemühungen der südafrikanischen Regierung, ein angemessenes Verhandlungsklima für den nationalen Dialog zu schaffen, kann die Erklärung des Fellowship Centre als reporting organization nur abträglich sein.Das Zentrum hat inzwischen die nach dem Gesetz zur Offenlegung finanzieller Zuwendungen ergriffene Maßnahme vor dem Obersten Gerichtshof Südafrikas angefochten. Die Entscheidung des Gerichtes steht noch aus.Ich hoffe, daß die von Präsident de Klerk geführte Regierung in Südafrika auf unsere Demarchen entgegenkommend reagiert. Es wäre sonst eine nicht ganz verständliche und anderen politischen Ansätzen zuwiderlaufende Verhaltensweise. Südafrika könnte damit einen Beitrag zur Verbesserung der internationalen Glaubwürdigkeit leisten und das Vertrauen der Antiapartheidsbewegung in die Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen um grundlegende Veränderungen in Südafrika stärken.Ich freue mich besonders, daß Herr Verheugen heute abend noch einmal ausdrücklich gesagt hat: Die Standpunkte haben sich angenähert. Ich habe das sogar bei Frau Eid empfunden, die unsere Haltung nicht mehr als Skandal abzutun brauchte, sondern weitgehend erkennt, daß sich auch die Bundesregierung in diesem Bereich sehr intensiv bemüht.Ich möchte zum Schluß nur sagen: Es ist sicher auch an der Zeit, daß man daran denkt, in den Bereichen, in denen über längere Zeit Gespräche mit den Südafrikanern vermieden wurden, wieder mit ihnen zu reden, um sie zu ermutigen, ihre Politik fortzusetzen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge, und zwar zuerst über die der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5208 und 11/6552. Die Fraktion der GRÜNEN sowie die Fraktion der SPD beantragen, daß über diese Anträge in der Sache abgestimmt wird. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben hingegen beantragt, daß diese Anträge an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Nach ständiger Praxis geht die Überweisung vor.
— Sie wollen in der Sache abstimmen, d. h. der Antrag auf Überweisung wird zurückgenommen.Dann stelle ich die Anträge auf den Drucksachen 11/5208 und 11/6552 zur Abstimmung. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Anträge sind mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatztagesordnungspunkt 5. Es handelt sich um den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6644. Auch hier wird gewünscht, in der Sache abzustimmen. Ein Antrag auf Überweisung liegt nicht vor. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 20c. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6697 vor. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6716? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/6713?— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/6642 mit der soeben beschlossenen Änderung. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge der Frak-
Metadaten/Kopzeile:
15768 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1990
Vizepräsidentin Rengertion der SPD auf den Drucksachen 11/807, 11/1753 und 11/2326 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist entsprochen.Der Ausschuß empfiehlt weiter, auch den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/870 für erledigt zu erklären. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist entsprochen worden.Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatztagesordnungspunkt 6. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 11/6124 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatztagesordnungspunkt 7. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/6572. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2310 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition ist die Beschlußempfehlung angenommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Tagesordnung angekommen.Ich rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 1990, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.