Protokoll:
11194

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 194

  • date_rangeDatum: 8. Februar 1990

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:04 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/194 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 194. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Weiß (Kaiserslautern) 14869 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Biedenkopf, Frau Steinhauer und Cronenberg (Arnsberg) 14869 B Verzicht des Abg. Dr. Friedmann auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 14869 B Eintritt des Abg. Hornung in den Deutschen Bundestag 14869 B Erweiterung der Tagesordnung 14869 B Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 14870 A Kleinert (Hannover) FDP (zur GO) . . . 14870A Jahn (Marburg) SPD (zur GO) 14870 B Begrüßung einer Delegation der französischen Nationalversammlung 14870 B Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Rechtspolitik im Jahr des deutsch-deutschen Aufbruchs Engelhard, Bundesminister BMJ 14870 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 14873 C Eylmann CDU/CSU 14877 C Dr. Laufs CDU/CSU 14879 C Häfner GRÜNE 14880 D Irmer FDP 14882 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 14883 D Kleinert (Hannover) FDP 14885 A Dr. de With SPD 14886 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 14888 A Dr. Wittmann CDU/CSU 14888 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 14889 A Funke FDP 14889 D Marschewski CDU/CSU 14891 A Häfner GRÜNE 14892 A Irmer FDP 14892 D Dr. Hüsch CDU/CSU 14894 A Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung (Drucksache 11/6007) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, für die Berufe des Rechtsanwalts und des Patentanwalts (Drucksache 11/6154) Eylmann CDU/CSU 14895 D Wiefelspütz SPD 14896 D Kleinert (Hannover) FDP 14897 D Häfner GRÜNE 14898 B Tagesordnungspunkt 5: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 1985 und Fragen des Urheber- und Leistungs- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode 194. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den 8. Februar 1990 Schutzrechts (Drucksachen 11/4929, 11/5958) b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Urheberrecht (Drucksache 11/6258) Duve SPD 14899 B Dr. Gautier SPD 14901 B Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Drucksachen 11/ 5459, 11/6370) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von dem Abgeordneten Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-GV-Res. 39/146) (Drucksachen 11/3668, 11/6370) Seesing CDU/CSU 14902 B Singer SPD 14903 B Irmer FDP 14904 C Meneses Vogl GRÜNE 14905 B Engelhard, Bundesminister BMJ 14906 B Duve SPD 14906 D Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Conrad, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Namensrechts von Ehe, Familie und Kindern (Namensrechtsreformgesetz) (Drucksache 11/6187) Frau Conrad SPD 14919 A Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 14920 B Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 14921 D Funke FDP 14922 B Dr. Pick SPD 14923 A Engelhard, Bundesminister BMJ 14924 A Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher und strafprozessualer Regelungen bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen (Antidiskriminierungsgesetz Teil II — ADG II) (Drucksache 11/5153) Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE . . . 14924 D Geis CDU/CSU 14926 A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 14926 C Dr. de With SPD 14927 B Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 14927 D Marschewski CDU/CSU 14927 D Funke FDP 14928 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 14929 A Dr. Engelhard, Bundesminister BMJ . . 14929 B Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE . . 14929 C, 14930 A Tagesordnungspunkt 9: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (Drucksache 11/5463) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen (Drucksache 11/5830) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur unterhaltsrechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körperoder Gesundheitsschäden (Drucksache 11/6153) d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 11/6155) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen (Drucksache 11/6337) f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Achter Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag über gleiches Entgelt für Männer und Frauen Berichtszeitraum 1986 bis 1988 (Drucksache 11/5785) g) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste (Drucksache 11/6122) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 III Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (Drucksache 11/5728) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Drucksache 11/6339) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Knabe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz der Yanomami-Indianer in Brasilien (Drucksache 11/6277) 14930 D Tagesordnungspunkt 10: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Drucksachen 11/5314, 11/6329) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz, SorgeRübkAG) (Drucksachen 11/5315, 11/6329) c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Drucksachen 11/3622, 11/6329) d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (Drucksachen 11/4946, 11/6294) e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 11. August 1989 zum Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 11. August 1989 zur Durchführung des Abkommens (Drucksachen 11/5725, 11/6359) f) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes (. . . StrÄndG) (Drucksachen 11/389, 11/6352) g) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Drucksachen 11/1867, 11/6351) h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN: Reduzierung der gesundheitlichen Gefahren durch Tabakrauch (Drucksachen 11/563, 11/3419) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verbot der Werbung für Tabak und Tabakerzeugnisse (Drucksachen 11/1198 [neu], 11/4997) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Werbung für Tabakerzeugnisse durch Presse und Plakate (Drucksachen 11/5246, 11/6132) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksachen 11/3272, 11/4762) l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Flinner, Frau Garbe, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tierschutzbericht 1989 Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes (Drucksachen 11/3846, 11/4146, 11/4800) m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN: 00-Raps und Wildsterben (Drucksachen 11/1336, 11/6175) n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über die einzelstaatlichen Ausgleichsbeihilfen für den Fall des Sinkens der in Landeswährung ausgedrückten Agrarpreise aufgrund eines automatischen Abbaus der Währungsausgleichsbeträge (Drucksachen 11/5351 Nr. 2.4, 11/6208) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfundsechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — (Drucksachen 11/5340, 11/5995) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/5341, 11/6019) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 148 zu Petitionen (Drucksache 11/6305) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 149 zu Petitionen (Drucksache 11/6306) 14931 C Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Vollzug des Abfallgesetzes vom 27. August 1986 zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Laufs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Baum, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP: Entsorgung der Abfälle, insbesondere der Sonderabfälle zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Vollzug des Abfallgesetzes vom 27. August 1986 zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vollzug des Abfallgesetzes (Drucksachen 11/756, 11/1429, 11/1631, 11/1624, 11/4127) b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vollzugsdefizite beim Abfallexport in die Dritte Welt (Drucksachen 11/5059, 11/6150) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verbot von Abfallexport in Nicht-EG- Mitgliedstaaten (Drucksachen 11/4265, 11/6375 [neu]) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vermeidung und umweltverträgliche Verwertung von Sonderabfällen (Drucksache 11/6207) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gautier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Recycling von Katalysatoren (Drucksachen 11/1151, 11/4400) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 V f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Verhütung der Luftverunreinigung durch neue Müllverbrennungsanlagen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Verringerung der Luftverunreinigung durch bestehende Müllverbrennungsanlagen (Drucksachen 11/2266 Nr. 2.23, 11/5170) Schmidbauer CDU/CSU 14936 B Frau Hensel GRÜNE 14937 D Frau Dr. Hartenstein SPD 14939 D Schmidbauer CDU/CSU 14940 D Baum FDP 14942 D Frau Dr. Hartenstein SPD 14943 B Frau Hensel GRÜNE 14945 B Stahl (Kempen) SPD 14947 B Dr. Friedrich CDU/CSU 14948 A Stahl (Kempen) SPD 14949 D Frau Hensel GRÜNE 14951 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 14952 C Frau Hensel GRÜNE 14955 C Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags des Abgeordneten Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik (Drucksache 11/5666) Frau Dr. Niehuis SPD 14956 C Dr. Pinger CDU/CSU 14959 D Frau Eid GRÜNE 14961 B Frau Folz-Steinacker FDP 14961 D Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . . 14963 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Abgeordneten Müntefering, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes (Drucksache 11/5638) Menzel SPD 14964 D Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU . . 14966 B Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 14968 D Dr. Hitschler FDP 14969 B Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 14970D Müntefering SPD 14972 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 14973 D Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des Abgeordneten Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN: Antarktis-Weltpark-Erklärung (Drucksachen 11/4440, 11/6028) Frau Kottwitz GRÜNE 14975 A Kittelmann CDU/CSU 14976 D Dr. Sperling SPD 14978A Funke FDP 14979 A Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi . . 14979D Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN: Rüstungsexporte und Lizenzvergaben im Kleinwaffenbereich, insbesondere bei G 3-Gewehren (Drucksache 11/6313) Frau Vennegerts GRÜNE 14981 B Kittelmann CDU/CSU 14982 B Müller (Pleisweiler) SPD 14983 C Funke FDP 14984 B Müller (Pleisweiler) SPD 14984 D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . . 14985 A Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi . . 14985 C Frau Vennegerts GRÜNE 14986 B Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Abgeordneten Schulte (Hameln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45b des Grundgesetzes — WBeauftrG) (Drucksache 11/6317) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45b des Grundgesetzes — WBeauftrG) (Drucksache 11/6367) Heistermann SPD 14987 A Frau Seiler-Albring FDP 14987 D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 14988 C Breuer CDU/CSU 14989 B Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines VI Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Neununddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 10 Abs. 2, Artikel 19 Abs. 4) (Drucksache 11/3046) Such GRÜNE 14990 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 14990 D Dr. Klejdzinski SPD 14991 C Dr. Olderog CDU/CSU 14991 C Such GRÜNE 14992 A Wiefelspütz SPD 14993 A Dr. Hirsch FDP 14993 C Wiefelspütz SPD 14994 A Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 14994 C Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung) : Fragestunde — Drucksache 11/6348 vom 2. 2. 1990 — Vereinbarung mit der DDR über die Einstellung der nachrichtendienstlichen Ausspähung einschließlich der Post- und Telefonkontrolle MdlAnfr 6 Dr. Mechtersheimer GRÜNE Antw StMin Dr. Stavenhagen BK . . . . 14907 B ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . . 14907 C ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . 14907D ZusFr Gansel SPD 14907 D ZusFr Bachmaier SPD 14907 D Vereinbarung mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges über die Aufgabe der vom Boden beider deutscher Staaten aus betriebenen nachrichtendienstlichen Aktivitäten MdlAnfr 7 Dr. Mechtersheimer GRÜNE Antw StMin Dr. Stavenhagen BK . . . . 14908 A ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . . 14908 A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . 14908 C Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft über die Folgen des Aussiedlerstromes für den Arbeitsmarkt; Aussage zur Vermittlungsfähigkeit einheimischer Arbeitsloser MdlAnfr 8, 9 Amling SPD Antw StMin Dr. Stavenhagen BK 14908C, 14909 C ZusFr Amling SPD 14908D, 14909 D ZusFr Andres SPD 14909A, 14910 A ZusFr Schreiner SPD 14909B, 14910 C ZusFr Lüder FDP 14910B ZusFr Bachmaier SPD 14911 A ZusFr Heyenn SPD 14911A Konsequenzen aus der Ost-West-Situation für die Bundesbahn, insbesondere für die Verbindung Stuttgart—Nürnberg und die Elektrifizierung der Murrbahn MdlAnfr 14, 15 Bachmaier SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14911B, 14912 B ZusFr Bachmaier SPD . . . . 14911C, 14912 C ZusFr Bindig SPD 14911 D ZusFr Werner (Ulm) CDU/CSU 14912 A Einrichtung eines Haltepunkts in Ibbenbüren an der Strecke Berlin—Amsterdam MdlAnfr 16 Becker (Nienberge) (SPD) Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14913 A Beibehaltung des Taktverkehrs im Interregio-Verkehr auf der Strecke Osnabrück—Niederlande MdlAnfr 17 Becker (Nienberge) (SPD) Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14913 A ZusFr Becker (Nienberge) SPD 14913 A ZusFr Dr. Emmerlich SPD 14913 B Verwendung der ursprünglich vom Bundesminister für Verkehr dem Land Schleswig-Holstein zugesagten Straßenbaumittel in Höhe von 20 Millionen DM für die Elektrifizierung von Bundesbahnstrecken, insbesondere im Kreis Pinneberg MdlAnfr 18, 19 Frau Blunck (SPD) Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14913C, 14915 C ZusFr Frau Blunck SPD . . . . 14913C, 14915D ZusFr Austermann CDU/CSU 14914 A ZusFr Bindig SPD 14914 A ZusFr Jungmann (Wittmoldt) SPD 14914B, 14916B ZusFr von Schmude CDU/CSU 14914 C ZusFr Gansel SPD 14914D, 14916D ZusFr Kuhlwein SPD 14915B, 14916 C ZusFr Frau Wollny GRÜNE 14917 A Ausbau des grenzüberschreitenden Verkehrs zwischen Schleswig-Holstein und der DDR MdlAnfr 20 Gansel SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14917 C ZusFr Gansel SPD 14917 C Elektrifizierung der Eisenbahnstrecken Hamburg—Neumünster—Flensburg und Hamburg—Lübeck—Puttgarden zur Schließung Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 VII der Verkehrslücken in Richtung Skandinavien MdlAnfr 21 Jungmann (Wittmoldt) SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 14917 C ZusFr Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . 14918 A ZusFr Austermann CDU/CSU 14918 C Nächste Sitzung 14995 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .14997* A Anlage 2 Elektrifizierung der Eisenbahnstrecken Hamburg—Neumünster—Flensburg und Hamburg—Lübeck—Puttgarden zur Schließung der Verkehrslücken in Richtung Skandinavien MdlAnfr 22 — Drs 11/6348 — Jungmann (Wittmoldt) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14997* B Anlage 3 Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken in Norddeutschland; Milderung der Strukturprobleme durch die Bereitstellung von Mitteln für Bundesbahn und Bundesfernstraßen MdlAnfr 23, 24 — Drs 11/6348 — Heyenn SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14997* C Anlage 4 Einbeziehung von Ulm in die ICE-Neubautrasse Stuttgart—München; Alternative zu den Bundesbahn-Planungen für die Strekkenführung durch das Filstal MdlAnfr 25, 26 — Drs 11/6348 — Werner (Ulm) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14998* A Anlage 5 Schlechterstellung der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn bei der Gewährung von Familienheimdarlehen MdlAnfr 27 — Drs 11/6348 — Bindig SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14998* B Anlage 6 Ökologische und ökonomische Folgewirkungen des vorgesehenen Trassenverlaufs der Schnellbahnverbindung Mannheim—Saarbrücken durch den Pfälzer Wald; Ausbau der bestehenden Strecke bis Neustadt/Weinstraße als alternative Lösung MdlAnfr 28, 29 — Drs 11/6348 — Büchner (Speyer) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14998* C Anlage 7 „Vordringliche" Einstufung der Anbindung des Flughafens Hamburg-Fuhlsbüttel an die A 7 im Bedarfsplan für den Bundesfernstraßenbau; Zurücknahme der von Staatssekretär Dr. Knittel dem Land Schleswig-Holstein zugesagten Straßenbaumittel in Höhe von 24 Millionen DM wegen verkehrspolitischer Maßnahmen der Kieler Landesregierung MdlAnfr 30, 31 — Drs 11/6348 — Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14999* A Anlage 8 Kriterien für die Vergabe von Straßenbaumitteln; Konsequenzen aus der Aussparung von Schleswig-Holstein bei der Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken MdlAnfr 32, 33 — Drs 11/6348 — Hiller (Lübeck) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14999* B Anlage 9 Mehrmaliges Überfliegen des Atomkraftwerks Krümmel durch einen Hubschrauber am 28. Januar 1990 MdlAnfr 34, 35 — Drs 11/6348 — Wüppesahl fraktionslos SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . .14999* D Anlage 10 Aufbau eines Bilanzierungs- und Informationssystems für Kernbrennstoffe MdlAnfr 36, 37 — Drs 11/6348 — Reuter SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 15000* A VIII Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Anlage 11 Ergebnisse der deutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen über einen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes; Bedenken gegen die Aufarbeitung von Uranerz aus Menzenschwand in der CSSR MdlAnfr 38, 39 — Drs 11/6348 — Frau Teubner GRÜNE SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 15000* B Anlage 12 Energieeinsparung in privaten Haushalten und Reduzierung des von Industrie und Verkehr verursachten Stickoxid-Ausstoßes MdlAnfr 40, 41 — Drs 11/6348 — Dr. Kübler SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 15000* D Anlage 13 Ausstieg aus den geplanten Bundestagsneubauten oder Umplanung für andere Zwecke angesichts einer möglicherweise schon bald erfolgenden Wiedervereinigung Deutschlands MdlAnfr 42 — Drs 11/6348 — von Schmude CDU/CSU SchrAntw PStSekr Echternach BMBau . .15001* A Anlage 14 Von 1989 bis 1993 fertiggestellte Wohnungen; Erhöhung der Beschäftigtenzahl im Baugewerbe bis 1991 und Erweiterung der Wohnbaukapazität bis 1992 MdlAnfr 43, 44 — Drs 11/6348 — Conradi SPD SchrAntw PStSekr Echternach BMBau . .15001* B Anlage 15 Intervention gegen die Verhaftung von zwölf katholischen Bischöfen in China MdlAnfr 45, 46 — Drs 11/6348 — Müller (Wesseling) CDU/CSU SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15001* C Anlage 16 Abschaffung der Visapflicht für Ungarn MdlAnfr 47 — Drs 11/6348 — Lüder FDP SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15001* D Anlage 17 Ergebnis der deutsch-tschechoslowakischen Außenminister-Gespräche über die Wiedereröffnung aller Grenzübergänge und den Abbau des Visumzwangs MdlAnfr 48 — Drs 11/6348 — Stiegler SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15002* A Anlage 18 Umfang der Polizei- und Militärhilfe für Somalia MdlAnfr 49 — Drs 11/6348 — Frau Eid GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15002* B Anlage 19 Bericht der Beobachter-Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) über die Zurückziehung der Kandidatur von 191 Oppositionskandidaten für die Wahlen in Nicaragua auf Grund sandinistischer Bedrohung MdlAnfr 50 — Drs 11/6348 — Hedrich CDU/CSU SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15002* D Anlage 20 Politische Entwicklung in Rumänien MdlAnfr 51 — Drs 11/6348 — Lowack CDU/CSU SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 15003* A Anlage 21 Vereinbarungen des Bundeskriminalamtes mit Privatpersonen über die Durchführung von Ermittlungstätigkeiten bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr MdlAnfr 52, 53 — Drs 11/6348 — Dr. Emmerlich SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . .15003* A Anlage 22 Verhandlungen mit der CSSR über weitere Grenzöffnungen und insbesondere die Abschaffung der Visumpflicht MdlAnfr 54 — Drs 11/6348 — Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . .15003* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 IX Anlage 23 Demonstrationen, insbesondere Sitzblockaden, in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) im Jahre 1989 MdlAnfr 55, 56 — Drs 11/6348 — Häfner GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . .15004* A Anlage 24 Bodenbevorratung in Berlin für den Fall, daß Berlin wieder Sitz eines gemeinsamen Parlaments wird MdlAnfr 57 — Drs 11/6348 — von Schmude CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . .15004* B Anlage 25 Freigabe von Kasernengelände in Innenstädten durch abziehende verbündete Streitkräfte MdlAnfr 58 — Drs 11/6348 — Dr. Weng (Gerlingen) FDP SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . .15004* B Anlage 26 Konsequenzen aus dem Truppenabbau der verbündeten Streitkräfte und der Bundeswehr für die Beschäftigten MdlAnfr 59 — Drs 11/6348 — Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Voss BMF . . . .15004* D Anlage 27 Strom- und Kohlelieferungen nach Frankreich; Reaktivierung stillgelegter französischer Öl- und Kohlekraftwerke wegen Kühlwassermangels in Atomkraftwerken MdlAnfr 60 — Drs 11/6348 — Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE SchrAntw PStSekr Beckmann BMWi . . .15005* A Anlage 28 Export von Waffensystemteilen durch die Firma Fritz Werner, Geisenheim, nach Burma; Exportgenehmigung MdlAnfr 61, 62 — Drs 11/6348 — Frau Vennegerts GRÜNE SchrAntw PStSekr Beckmann BMWi . . .15005* C Anlage 29 Belastung der Arbeitsämter durch Aus- und Übersiedler zu Lasten der Vermittlung einheimischer Langzeitarbeitsloser MdlAnfr 63, 64 — Drs 11/6348 — Andres SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 15005* D Anlage 30 Benachteiligung bundesdeutscher Arbeitnehmer beim Anspruch auf Arbeitslosengeld und bei der Berufsförderung zugunsten der Aus- und Übersiedler MdlAnfr 65, 66 — Drs 11/6348 — Kirschner SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 15006* A Anlage 31 Anwendung der nach § 62 a Abs. 6 und § 119 AFG möglichen Sperrzeiten beim Bezug von Eingliederungsgeld durch Übersiedler aus der DDR oder Aussiedler aus Polen bei selbst verursachter Arbeitslosigkeit; Neubewertung der Bestimmungen des § 119 AFG angesichts der geänderten politischen Verhältnisse MdlAnfr 67, 68 — Drs 11/6348 — Hasenfratz SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 15006* B Anlage 32 Vergrößerung des Truppenübungsplatzes Baumholder gegen den Willen der Landesregierung von Rheinland-Pfalz MdlAnfr 69 — Drs 11/6348 — Frau Dr. Götte SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . .15006* D Anlage 33 Sanierungsmaßnahmen für den verseuchten Boden des gesperrten Truppenübungsplatzes Munster-Nord; Schutz von Boden und Grundwasser angesichts der Verseuchung auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord MdlAnfr 70, 71 — Drs 11/6348 — Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . .15007* A Anlage 34 Studie über die Belastung des Grundwassers im Raum Munster durch Rüstungsaltlasten; Einschränkung des Übungsbetriebes der Bundeswehr für die Zeit der Sperrung des Truppenübungsplatzes Munster-Nord MdlAnfr 72, 73 — Drs 11/6348 — Frau Wollny GRÜNE SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . .15007* B X Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Anlage 35 Konzentration der auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord gemessenen Arsen-Verbindungen; Aussagen zu den Verursacherfaktoren MdlAnfr 74, 75 — Drs 11/6348 — Frau Schilling GRÜNE SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . .15007* D Anlage 36 Vergütung der Mehrbelastungen für Soldaten MdlAnfr 76 — Drs 11/6348 — Lowack CDU/CSU SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . .15008* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 14869 194. Sitzung Bonn, den 8. Februar 1990 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 09.02.90 Dr. Briefs GRÜNE 09.02.90 Dr. von Bülow SPD 09.02.90 Clemens CDU/CSU 09.02.90 Frau Dempwolf CDU/CSU 09.02.90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09.02.90 Dr. Ehrenberg SPD 09.02.90 Frau Fischer CDU/CSU 09.02.90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 08.02.90 Graf SPD 09.02.90 Dr. Hauchler SPD 08.02.90 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 09.02.90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09.02.90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09.02.90 Kirschner SPD 08.02.90 Klose SPD 09.02.90 Dr. Knabe GRÜNE 09.02.90 Kohn FDP 09.02.90 Kolbow SPD 09.02.90 Kossendey CDU/CSU 09.02.90 Lattmann CDU/CSU 09.02.90 Müller (Schweinfurt) SPD 09.02.90 Frau Nickels GRÜNE 09.02.90 Opel SPD 09.02.90 Paintner FDP 09.02.90 Pesch CDU/CSU 09.02.90 Rind FDP 09.02.90 Frau Schilling GRÜNE 09.02.90 Seehofer CDU/CSU 09.02.90 Spilker CDU/CSU 09.02.90 Straßmeir CDU/CSU 09.02.90 Dr. Vogel SPD 09.02.90 Voigt (Frankfurt) SPD 09.02.90 Vosen SPD 08.02.90 Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 09.02.90 Würtz SPD 09.02.90 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Jungmann (Wittmoldt) (SPD) (Drucksache 11/6348 Frage 22): Wie beurteilt die Bundesregierung ein Bewertungsgutachten für die Elektrifizierung der Strecke Hamburg-NeumünsterFlensburg mit Abzweigung nach Kiel, das in seiner gesamtwirtschaftlichen Betrachtung zu einem sehr positiven Nutzen-Kosten-Verhältnis kommt? Der Bundesminister für Verkehr hat 1987 dänische Planungen zur festen Überquerung des Großen Belt zum Anlaß genommen, eine gesamtwirtschaftliche Bewertung einer Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke Hamburg-Neumünster-Flensburg/Kiel nach den Kriterien der Bundesverkehrswegeplanung vor- Anlagen zum Stenographischen Bericht nehmen zu lassen. Die Ergebnisse waren aus dieser Sicht positiv. Für das Gutachten standen allerdings keine mit den Nachbarländern abgestimmten Verkehrsprognosen für den Skandinavienverkehr zur Verfügung. Das Gutachten bestätigt aber auch im wesentlichen betriebswirtschaftliche Untersuchungen der Deutschen Bundesbahn, die eindeutig für einen Weiterbetrieb mit Dieseltraktion sprechen, um das heutige Wirtschaftsergebnis nicht zu verschlechtern. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Heyenn (SPD) (Drucksache 11/ 6348 Fragen 23 und 24): Wann wird die Bundesregierung ein europäisches Verkehrskonzept vorlegen, das den erheblichen Nachholbedarf des bundesdeutschen Nordens bei der Elektrifizierung internationaler Hauptstrecken der Deutschen Bundesbahn, beim Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes sowie die neuen Erfordernisse zur Verbesserung der Verbindung Richtung Dänemark und in die DDR berücksichtigt? Wann beabsichtigt die Bundesregierung, analog zur Gewährung hoher Geldsummen im Haushaltsplan 1990 für die Region Oberpfalz als Ausgleich für den Verzicht auf die WAA in Wakkersdorf und Einbußen in der Stahlindustrie, die vergleichbaren Strukturprobleme im Norden der Bundesrepublik Deutschland durch eine ähnlich großzügige Mittel-Vergabe für Bundesbahn und Bundesfernstraßen zu mildern? Zu Frage 23: Ein europäisches Verkehrskonzept kann nur auf der Grundlage nationaler Planungen sowie bei grenzüberschreitenden Vorhaben in Abstimmung mit den europäischen Nachbarstaaten entwickelt werden. Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur hat die Bundesregierung bereits mit dem Bundesverkehrswegeplan 1985 (BVWP '85) die notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Die Verhandlungen mit der DDR über den Ausbau einer Schnellbahnverbindung Hannover-Berlin werden intensiv fortgesetzt. Zu Frage 24: Die im Zusammenhang mit der Aufgabe der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf stehenden Finanzhilfen des Bundes können dem Grunde nach nur als besonders gelagerter Einzelfall angesehen werden. Im übrigen gewährt jedoch der Bund nach dem Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft in den Ländern (Strukturhilfegesetz vom 20. Dezember 1988) alleine dem Land Schleswig-Holstein im Zeitraum 1989-1995 jährlich Finanzhilfen in Höhe von 252 Millionen DM für strukturverbessernde Investitionen. Diese Mittel wurden vom Land Schleswig-Holstein im Jahre 1989 mit rund 25 Millionen DM jedoch nur zu 10 Prozent für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen eingesetzt. 14998* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Werner (Ulm) (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Fragen 25 und 26): Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, daß die von der Deutschen Bundesbahn geplante ICE-Neubautrasse zwischen Stuttgart und München durch den Hauptbahnhof Ulm geführt werden muß, und wird sie deshalb auch haushaltsrechtlich keiner Planungsausführung zustimmen, welche eine Umgehung Ulms beinhaltet? Sieht die Bundesregierung in der jüngst von der Deutschen Bundesbahn aufgegriffenen Planungsvariante H (Heimerl) eine Alternative zu den bisher von der Bahn vorgetragenen Trassenvarianten durch das Filstal, welche verkehrstechnisch, raumordnungspolitisch, ökologisch und finanziell vertretbar und realisierbar ist? Zu Frage 25: Die Ausbau-/Neubaustrecke Plochingen—Günzburg ist im Bundesverkehrswegeplan 1985 im Vordringlichen Bedarf enthalten, jedoch ohne Festlegung der Trassenführung. Die Deutsche Bundesbahn hat verschiedene Trassenführungen untersucht sowohl mit einer Führung über den Hauptbahnhof Ulm als auch unter Umgehung von Ulm. Die abschließende Meinungsbildung der Deutschen Bundesbahn liegt noch nicht vor, so daß auch die Bundesregierung sich hierzu nicht vorher festlegen kann. Zu Frage 26: Der Bundesminister für Verkehr hält die sogenannte Heimerl-Trasse für eine erwägenswerte Alternative. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Bindig (SPD) (Drucksache 11/6348 Frage 27): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost ihren Mitarbeitern unter bestimmten wohnungsfürsorgerischen Voraussetzungen gewährten Familienheimdarlehen, die in Anlehnung an die Richtlinien des Bundes aber doch in jeweiliger eigener Zuständigkeit gewährt werden, deshalb bei der Deutschen Bundesbahn bei großer Nachfrage nur in sehr bescheidenem Maße und unter erheblicher Einschränkung des förderfähigen Personenkreises (z. Z. nur noch für Haushalte mit fünf und mehr Personen, Schwerbehinderte und Härtefälle) gefördert werden können, da die Deutsche Bundesbahn sich in allgemeiner finanzieller Bedrängnis befindet, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit und ist sie bereit, den DB-Mitarbeitern eine Fördermöglichkeit für Familienheimdarlehen zu schaffen, welche die DB-Mitarbeiter nicht schlechter stellt als die Mitarbeiter der Postbetriebe und der Beschäftigten beim Bund? Die Deutsche Bundesbahn gewährt ihren Mitarbeitern im Rahmen der Wohnungsfürsorge Familienheimdarlehen nach den gleichen Förderungsgrundsätzen wie der Bund und die Deutsche Bundespost. Ein erheblicher Teil der abgelehnten Förderungsanträge beruht auf der auch im übrigen Bundesbereich geltenden Bedarfsklausel, nach der die Familienheimförderung ausgeschlossen ist, wenn in absehbarer Zeit die Deutsche Bundesbahn ausreichenden Wohnraum zur Verfügung stellen kann. Kürzungen der Förderungsbeträge aufgrund der angespannten Finanzlage der Deutschen Bundesbahn erfolgen nicht. Die Deutsche Bundesbahn ist darüber hinaus bemüht, die derzeitige Wartezeit von zirka 18 Monaten in angemessener Frist abzubauen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Büchner (Speyer) (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 28 und 29): Wie beurteilt die Bundesregierung die ökologischen, ökonomischen und regionalpolitischen Folgewirkungen des von Gutachtern der Universitäten Hannover und Gießen vorgeschlagenen Trassenverlaufs der Schnellbahnverbindung Mannheim—Saarbrücken durch den Pfälzer Wald? Hält die Bundesregierung einen Trassenneubau zwischen dem Haardtrand und Kaiserslautern für erforderlich, oder sieht sie unter Abwägung der ökologischen Gefahren und des finanziellen Aufwandes, die mit einem Trassenneubau verbunden sind, in einem Ausbau der bestehenden Strecke bis Neustadt/ Weinstraße, unter Verzicht auf Ausbaumaßnahmen zwischen Neustadt/Weinstraße und Hochspeyer, eine verkehrspolitisch vertretbare Alternative? Zu Frage 28: Dem Bundesminister für Verkehr liegt von dem Gutachten „Schienenschnellverkehrsverbindung Paris — Saarbrücken — Kaiserslautern — Ludwigshafen/ Mannheim", das im Auftrag der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland erstellt worden ist, bisher nur eine Kurzfassung vor, die keine umfassende Beurteilung erlaubt. Zu Frage 29: In dem Bericht der gemeinsamen deutsch-französischen Arbeitsgruppe zur Schnellbahnverbindung Paris—Ostfrankreich—Südwestdeutschland, der im Januar 1989 vorgelegt wurde, ist ein Ausbau der Strecke Saarbrücken—Mannheim untersucht und seine Wirtschaftlichkeit nachgewiesen worden. Zwischenzeitlich haben neue Vorstellungen auf deutscher und französischer Seite dazu geführt, daß die deutsch-französische Arbeitsgruppe erneut einberufen worden ist. In diesem Zusammenhang werden auch die Vorschläge des Gutachtens im Auftrage der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland zu prüfen sein. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 14999* Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Sonntag-Wolgast (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 30 und 31): Ist die Bundesregierung bereit, die Anbindung des Flughafens Hamburg-Fuhlsbüttel an die BAB 7 angesichts der überragenden wirtschaftspolitischen Bedeutung dieser Maßnahme für die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen als „vordringlich" umzustufen und entsprechend rasch zu realisieren? Trifft es zu, daß Staatssekretär Dr. Knittel im Bundesministerium für Verkehr dem Land Schleswig-Holstein bei der Vergabe von Rückflüssen aus der Quote anderer Länder 1989 für den Bundesfernstraßenbau zunächst 20 Mio. DM — auch als Ausgleich für die Bereitschaft Schleswig-Holsteins, sich am neuen Luftüberwachungssystem zur Erkennung von Meeresverschmutzungen mit 2,7 Mio. DM zu beteiligen — in Aussicht gestellt hatte, dieses Versprechen später aber mit Hinweis auf „ideologisch verbrämte" verkehrspolitische Maßnahmen der Kieler Landesregierung (Tempo-120-Begrenzung auf vier kurzen Teilstücken der Autobahn) zurückzog? Zu Frage 30: Dem Bundesverkehrsministerium liegt seit 31. Januar 1990 ein Antrag des Landes gemäß § 6 Fernstraßenausbaugesetz auf vorzeitige Einstellung der B 433-Umgehung Fuhlsbüttel einschließlich der Anbindung an die A 7 in den Straßenbauplan vor. Die Prüfung des Antrages wird kurzfristig durchgeführt. Eine Umstufung im Bedarfsplan kann grundsätzlich nur der Deutsche Bundestag beschließen. Zu Frage 31: Der Bundesminister für Verkehr hat keine Zusage gemacht, daß Schleswig-Holstein mit zusätzlichen Mitteln rechnen kann oder einen bestimmten Betrag erhalten soll. Staatssekretär Knittel hat lediglich die Bereitschaft Schleswig-Holsteins, sich — wie die anderen norddeutschen Küstenländer — an der Finanzierung des Luftüberwachungssystems zu beteiligen, zur Voraussetzung für weitere Gespräche über einen Anteil Schleswig-Holsteins an dem Mittelausgleich erklärt. Im übrigen hatte Staatssekretär Knittel in mehreren Gesprächen mit seinen schleswig-holsteinischen Kollegen gleichzeitig Auskunft über die Gründe für die Geschwindigkeitsbegrenzungen erbeten. Letztlich konnte er damals überhaupt keine Zusage geben, weil nicht feststand, ob und in welcher Höhe zum Jahresende überhaupt ein Mittelausgleich stattfinden wird. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Hiller (Lübeck) (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 32 und 33): Macht die Bundesregierung ihre Entscheidung über die Vergabe von Mitteln für den Straßenbau davon abhängig, ob sich das jeweilige Bundesland dem verkehrspolitischen Willen der Bundesregierung fügt oder aber — etwa mit der Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf vielbefahrenen und stadtnahen Autobahn-Strecken aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes — von diesem abweicht? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß Schleswig-Holstein das einzige Bundesland ist, an dem die Elektrifizierung von Bahnstrecken bislang völlig vorbeigegangen ist? Zu Frage 32: Nein. Die Zuweisung von Straßenbaumitteln an die Länder für Maßnahmen des Bedarfsplans richtet sich nach der Quotenregelung auf der Grundlage des Bedarfsplans, den der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Zu Frage 33: Bei den topografischen Verhältnissen und den betrieblichen Anforderungen in Schleswig-Holstein sind die elektrische Traktion und die Dieseltraktion als gleichwertig anzusehen. Der Einsatz von Dieselfahrzeugen ist bei der dortigen Verkehrsnachfrage jedoch deutlich kostengünstiger und für die Deutsche Bundesbahn die wirtschaftlichere Zugförderungsart. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos) (Drucksache 11/6348 Fragen 34 und 35): Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, von welcher Behörde und mit welcher Begründung das mehrmalige Überfliegen des Atomkraftwerks Krümmel durch einen Hubschrauber am 28. Januar 1990 zwischen 11.30 Uhr und 12.00 Uhr genehmigt wurde? Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß nicht entgegen ihren vielfachen Versicherungen, das Atomkraftwerk Krümmel von Flugzeugen der Flugstrecke Hamburg—Berlin (West) — wie jüngst mehrfach geschehen — überflogen wird? Zu Frage 34: Der Leiter des Informationszentrums des Kernkraftwerks Krümmel, Herr Peters, hat auf telefonische Anfrage mitgeteilt, daß er am 28. Januar 1990 während der genannten Zeit Dienst hatte. Er kann sich nicht erinnern, in besagtem Zeitraum einen Hubschrauber gesehen oder gehört zu haben. Weitere Informationen liegen der Bundesregierung nicht vor. Zu Frage 35: Das Kernkraftwerk Krümmel liegt auf der Mittellinie des Korridors Hamburg-Berlin. Das Kernkraftwerk wird durch die Berlinflüge in der Regel in Höhen über 2 000 m überflogen. Ein Überflug läßt sich nicht vermeiden, weil die Flüge den Korridor nach Berlin einhalten müssen. 15000* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Reuter (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 36 und 37): Wann wird nach Einschätzung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das nationale Bilanzierungs- und Informationssystem für Kernbrennstoffe, das in der Transnuklear-Affäre vermißt wurde, aufgebaut sein? Welche konkreten Schritte zum Aufbau des Bilanzierungssystems, die der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bereits im Jahre 1988 angekündigt hat, sind bislang erfolgt? Zu Frage 36: Das nationale Kernbrennstoff-Informationssystem soll nach Einschätzung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegen Ende des Jahres 1990 aufgebaut sein. Voraussetzung für die Einhaltung dieses Termins ist u. a. die rechtzeitige Einstellung qualifizierter Mitarbeiter für das zuständige Fachgebiet KT 2.4 beim Bundesamt für Strahlenschutz. Zu Frage 37: Zur Vorbereitung eines Konzeptes zum Aufbau eines nationalen Kernbrennstoff-Informationssystems, das den Rahmenvorgaben des Bundesumweltministeriums entspricht, wurden mit der Kernforschungsanlage (KFA Jülich) und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), Köln, intensive Gespräche geführt; beide Institutionen verfügen auf diesem Gebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse. Die einschlägigen Vorschriften des Department of Energy der Vereinigten Staaten von Amerika und des Ministère de l'industrie Frankreichs wurden beschafft und einbezogen. Der Auftrag zur Erstellung des Konzepts für ein nationales Kernbrennstoff-Informationssystem wurde am 9. Juni 1989 der GRS erteilt. Ein erster Entwurf des Konzepts wurde am 7. November 1989 und am 30. Januar 1990 mit den zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder (Aufsicht über kerntechnische Anlagen und Kernbrennstoff-Transporte) beraten; die Beratung des Konzepts wird am 1. März 1990 fortgesetzt. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Fragen der Abgeordneten Frau Teubner (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 38 und 39): Zu welchen konkreten Ergebnissen haben die laut Aussage der Bundesregierung im Oktober 1989 geführten bilateralen Verhandlungen mit der CSSR über einen Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes geführt? Geht die Bundesregierung auch angesichts der von Greenpeace aufgedeckten durch die Uranaufbereitungsanlage in Mydlovary/CSSR hervorgerufenen radioaktiven Verseuchung Südböhmens weiterhin „davon aus, daß in der CSSR die international anerkannten Rahmenvorgaben einschlägiger internationaler Organisationen bezüglich kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz beachtet werden" und daß „gegen die vertraglichen Vereinbarungen, Uranerz aus Menzenschwand in der CSSR aufbereiten zu lassen, deshalb keine Bedenken" bestehen, wie Staatssekretär Stroetmann auf eine entsprechende Frage am 16. Oktober 1989 mitteilte (Drucksache 11/5430 S. 31)? Zu Frage 38: Die mit der CSSR geführten Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Abkommens über Information und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes sind noch im Gange. Innerhalb der nächsten zwei Monate ist eine weitere — möglicherweise abschließende — Gesprächsrunde vorgesehen. Zu Frage 39: Die zitierten „Greenpeace"-Vorwürfe sind dem BMU aus Presseveröffentlichungen (Süddeutsche Zeitung vom 30. Januar 1990 und taz vom 26. Januar 1990) bekannt (Anlage). Sie beziehen sich auf Vorkommnisse aus den Jahren 1960, 1964 und den Folgejahren. So seien bei einem „Unfall" 1964 radioaktive Abwässer in die Moldau geleitet, die Bevölkerung jedoch nicht unterrichtet worden. Die zuständige Behörde und das Landwirtschaftsministerium haben den Presseberichten zufolge die von „Greenpeace" genannten Störfälle bestätigt, die behaupteten Folgen jedoch abgestritten. Eine Bewertung der beschriebenen Vorgänge ist auf der Basis der vorliegenden Informationen nicht möglich. Zunächst müßten hierfür die zuständigen CSSR-Behörden um nähere Auskünfte ersucht werden. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit der CSSR innerhalb der nächsten 2 Monate wird BMU diese Punkte mit der Bitte um Aufklärung ansprechen. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 40 und 41): Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe und der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München, die von der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" in Auftrag gegeben worden ist, zum Einsparpotential von Energie in den privaten Haushalten und zur Reduzierung des Stickoxydausstoßes, und welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung kurz- und mittelfristig zur Erreichung dieses Zieles ergreifen? Wie bewertet die Bundesregierung die Aussagen der genannten Studie, daß die ausgestoßenen CO2-Mengen bis zum Jahr 2005 bis zu 16 % in den Bereichen Industrie und Verkehr zunehmen, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um den Hauptverursacher, die ständig steigende Verkehrsleistung auf der Straße, in den Griff zu bekommen? Zu Frage 40: Die zitierte Zusammenfassung zum Studienkomplex A 1 „Emissionsminderung durch rationelle Energienutzung" , die gemeinsam vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe (ISI) und der Forschungsstelle für Energiewirt- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 15001* Schaft, München (FfE) vorgelegt wurde, ist Teil des Studienprogramms der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", an dem insgesamt 51 Forschungseinrichtungen gearbeitet haben bzw. noch arbeiten. Zur Zeit werden die vorliegenden vorläufigen Forschungsberichte sowohl von der Enquete-Kommission als auch von der Bundesregierung sorgfältig ausgewertet und mit den jeweiligen Projektleitern erörtert. In dieser Auswertungs- und Meinungsbildungsphase ist eine Stellungnahme selbst zu Teilbereichen oder Einzelfragen nicht möglich. Zu Frage 41: Die Bundesregierung erarbeitet derzeit vor dem Hintergrund der intensiven internationalen Diskussionen über ein abgestimmtes Vorgehen zur Lösung des Treibhauseffekts Zielvorstellungen für eine erreichbare Reduktion der CO2-Emissionen im nationalen Rahmen. In diese Arbeiten fließen selbstverständlich auch die Ergebnisse der von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebenen Studien ein, die sich neben den erreichbaren CO2-Reduktionspotentialen im Haushaltsbereich gerade auch mit den Bereichen Industrie und Verkehr befassen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Echternach auf die Frage des Abgeordneten von Schmude (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Frage 42): Hat die Bundesregierung in Anbetracht einer möglicherweise schon bald erfolgenden Wiedervereinigung beider deutscher Staaten geprüft, ob und unter welchen Bedingungen ein Ausstieg aus den geplanten Bundestagsneubauten möglich wäre und ob gegebenenfalls eine Umplanung der sogenannten Schürmannbauten für andere Zwecke, etwa für Studentenwohnungen, machbar wäre? Entscheidungen über die Bauvorhaben des Deutschen Bundestages und des Bundesrates treffen diese Verfassungsorgane in eigener Verantwortung. Die Bundesregierung sieht sich daher zu derartigen Prüfungen ohne Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht berechtigt. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Echternach auf die Fragen des Abgeordneten Conradi (SPD) (Drucksache 11/ 6348 Fragen 43 und 44): Wie hoch war 1989 die Zahl der fertiggestellten neuen Wohnungen, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der fertiggestellten neuen Wohnungen in den Jahren 1990/1991/ 1993? Welche Steigerung der Zahl der im Baugewerbe Beschäftigten erwartet die Bundesregierung für die Jahre 1990/1991, und welche Maßnahmen plant sie gegebenenfalls 1992 zur Steigerung der Kapazität für den Wohnungsbau? Zu Frage 43: Statistische Ergebnisse über die Fertigstellung von Wohnungen im gesamten Jahr 1989 liegen noch nicht vor. Für 1990 geht die Bundesregierung von Fertigstellungen in der Größenordnung von 300 000 Einheiten aus, für 1990 bis 1992 von insgesamt 1 Million zusätzlichen Wohnungen. Zu Frage 44: Die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe lag zuletzt wieder bei über 1 Million und damit um 2,8 Prozent über dem Vorjahresstand. Die Bundesregierung geht für die kommenden Jahre von einer weiteren Verbesserung der Beschäftigungssituation in der Bauwirtschaft aus. Über die Koalitionsbeschlüsse vom 7. November 1989 hinausgehende Maßnahmen zur Ausweitung der Kapazitäten für den Wohnungsbau sind nicht geplant. Anlage 15 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Fragen 45 und 46): Kann die Bundesregierung Presseberichte bestätigen, nach denen in der Volksrepublik China zwölf römisch-katholische Bischöfe, die alle älter als 70 Jahre sein sollen, verhaftet wurden? Wie gedenkt die Bundesregierung auf diese eklatante Menschenrechtsverletzung und Mißachtung der Religionsfreiheit politisch und im Hinblick auf die von China angestrebte Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit den westlichen Industrienationen zu reagieren? Zu Frage 45: Nach einem Bericht unserer Botschaft in Peking liegen der Bundesregierung zusätzliche Erkenntnisse von dritter Seite vor, die zwar nicht hinreichen, um diese Presseberichte zu bestätigen, aber in die gleiche Richtung laufen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Angaben in den Presseberichten im wesentlichen zutreffen. Zu Frage 46: Das Auswärtige Amt hat dem chinesischen Botschafter am 1. Februar 1990 seine Betroffenheit und Sorge über die gemeldeten Verhaftungen dargelegt. Es hat bei dieser Gelegenheit den Botschafter eindringlich darauf hingewiesen, daß sich diese Vorgänge auf die von der VR China angestrebte Verbesserung der Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland hinderlich auswirken würden. Anlage 16 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Lüder (FDP) (Drucksache 11/6348 Frage 47): 15002' Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Wie weit sind die Konsultationen mit den europäischen Partnern zur Herstellung von Reisefreiheit durch Abschaffung der Visapflicht mit Ungarn gediehen? Die Bundesregierung wird ihre Konsultationen über die Frage der Abschaffung der Visapflicht gegenüber Ungarn mit den Partnern des Übereinkommens von Schengen, Frankreich und die Benelux-Staaten, in Kürze abschließen. Mit den übrigen Partnern der Europäischen Gemeinschaft haben kürzlich weitere mündliche Konsultationen und schriftliche Kontakte stattgefunden. Nach Abschluß der Konsultationen wird die Bundesregierung rasch eine abschließende Entscheidung treffen. Anlage 17 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/6348 Frage 48): Welches Ergebnis hatten die Gespräche des Bundesministers des Auswärtigen mit dem CSSR-Außenminister betreffend die Wiedereröffnung aller Grenzübergänge an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze, und was wurde bezüglich des Abbaus des Visumzwanges verabredet? Der Bundesminister des Auswärtigen hat bei seiner Begegnung mit Außenminister Dienstbier am 2. Februar 1990 in Nürnberg erneut mit Nachdruck die Frage der Eröffnung weiterer Grenzübergänge zur SSR angesprochen. Dabei ging die tschechoslowakische Seite auf verkehrsmäßige, finanzielle und ökologische Probleme ein, die bei einer Öffnung weiterer Grenzübergänge zu überwinden sind. Die beiden Außenminister bekräftigten die Entschlossenheit beider Seiten zu raschen konkreten Fortschritten in dieser Frage, wobei schrittweise alle Grenzübergänge geöffnet werden sollen. Zur Frage der Sichtvermerke versicherte Bundesminister Genscher, daß er sich für einen mutigen Schritt einsetzen werde. Beide Seiten streben die baldige Aufnahme von Expertenverhandlungen über schrittweise Erleichterungen im SV-Bereich mit dem Ziel der beiderseits gewünschten völligen Aufhebung der Sichtvermerkspflicht an. Anlage 18 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage der Abgeordneten Frau Eid (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Frage 49): In welchem Umfang und in welcher Art erhält die somalische Regierung Polizei- und Militärhilfe aus der Bundesrepublik Deutschland? Im Rahmen des von Haushalts- und Auswärtigem Ausschuß des Deutschen Bundestages am 9. März 1988 gebilligten Ausstattungshilfeprogramms 1988 bis 1990 erhält Somalia Ausstattungshilfe im Wert von DM 12 Millionen. Ein entsprechendes Ressortabkommen wurde zwischen dem BMVg und dem Minister des Innern der Demokratischen Republik Somalia am 16. Juni 1988 unterzeichnet. Empfänger unserer AH ist seit 1962 die somalische Polizei. Die genannten Mittel wurden eingesetzt für — Lieferung von Fahrzeugen, — Ersatzteilen, — Solargeneratoren und eines Krankentransportwagens, — die Generalüberholung eines somalischen Flugzeuges vom Typ DO 28 und — den Betrieb von zwei Instandsetzungswerkstätten für Fahrzeuge und Fernmeldeanlagen. Die für o. a. Zeitraum verfügbaren Haushaltsmittel sind bis auf einen geringen Restbetrag verausgabt bzw. für bereits eingegangene Beschaffungsverträge gebunden. Der Restbetrag soll zur Beschaffung von Sanitätsmaterial für das Polizeikrankenhaus Medina eingesetzt werden. Zur Steigerung der Effektivität der deutschen Hilfe ist eine Beratergruppe der Bundeswehr (1 Offizier/ Dipl.-Ing. und 7 Unteroffiziere/Meisterebene) eingesetzt. Anlage 19 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Hedrich (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Frage 50): Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht der Beobachter-Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bezüglich eines fairen Wahlprozesses in Nicaragua, wenn u. a. erwähnt wird, daß 191 Oppositionskandidaten auf Grund sandinistischer Bedrohung und Einschüchterung ihre Kandidatur zurückgezogen haben? Nach dem Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten haben bis zum 15. Dezember 1989 insgesamt 47 Oppositions-Kandidaten für die Nationalversammlung, die 96 Sitze hat, und 144 Oppositions-Kandidaten für Kommunalparlamente ihre Bewerbung zurückgezogen. Auf das Wahlbündnis UNO entfallen davon 11 Kandidaten für die Nationalversammlung und 86 Bewerber für Kommunalparlamente. Die Bundesregierung ist über Berichte besorgt, nach denen zumindest ein Teil der Bewerber aufgrund von Drohungen oder Einschüchterungsversuchen zurückgetreten ist. Die OAS beabsichtigt, diesen Vorwürfen im Rahmen des Möglichen nachzugehen. Die Bundesregierung selbst hat eine solche Möglichkeit nicht. Die Bundesregierung hat aber wiederholt bei der NIC-Regierung auf Chancengleichheit für die Opposition gedrängt. Vor allem um zur Transparenz des Wahlprozesses beizutragen, hat sie eine EDV- Ausrüstung zur Wählerregistrierung und Stimmauszählung zur Verfügung gestellt. Auf Bitte des Gene- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 15003* ralsekretärs der Vereinten Nationen wird sie im Rahmen von ONUVEN fünf Wahlbeobachter nach Nicaragua entsenden. Anlage 20 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Frage 51): Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung in Rumänien angesichts der zunehmenden Unterdrückung der demokratischen Opposition durch die kommunistische Partei und die Regierung Iliescu? Die Bundesregierung setzt sich mit Nachdruck für die Rechte der Opposition in Rumänien ein. Sie hat die rumänische Regierung wiederholt darauf hingewiesen, daß nur unter fairer Beteiligung der Opposition die notwendige Stabilität geschaffen werden kann. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Emmerlich (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 52 und 53): Mit welchen Privatpersonen hat das Bundeskriminalamt Vereinbarungen abgeschlossen, in denen diesen die Durchführung von Ermittlungstätigkeiten bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr übertragen worden ist? Auf welche Rechtsgrundlage wird der Abschluß derartiger Vereinbarungen gestützt? Zu Frage 52: Das Bundeskriminalamt hat keine Vereinbarungen mit Privatpersonen geschlossen, in denen diesen die Durchführung von Ermittlungstätigkeiten bei der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr übertragen worden ist. Soweit im Rahmen von Ermittlungsverfahren im Einzelfall sogenannte V-Personen eingesetzt sind, führen diese keine hoheitlichen Tätigkeiten durch. Zu Frage 53: Der Einsatz von sogenannten V-Leuten im Rahmen der Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Straftaten, wie z. B. des Rauschgifthandels, stellt für die Strafverfolgungsbehörden ein anders nicht zu ersetzendes Instrument dar. Das Bundesverfassungsgericht (mit Beschlüssen vom 26. Mai 1981 und 10. März 1987) sowie der Bundesgerichtshof (in einer Entscheidung vom 23. Mai 1984) haben diesen Einsatz in Fällen schwerer Kriminalität ausdrücklich gebilligt, da er für die rechtsstaatlich gebotene Verfolgung von Straftaten in gewissen Fällen der Kriminalität notwendig und zulässig, ja unerläßlich sei. In diesem Sinne haben die Justiz- und die Innenminister der Länder schon 1985 einen gemeinsamen Beschluß gefaßt. Das Bundeskriminalamt hat die Zusammenarbeit mit sogenannten V-Personen in einer Dienstanweisung geregelt. Sie dient einer streng rechtsstaatlichen Bindung des V-Mann-Einsatzes und einer straffen Führung derartiger Personen. Ich bin gern bereit, Ihnen eine Ausfertigung dieser Dienstanweisung im Zusammenhang mit dem Ihnen bereits im Rahmen der Beantwortung früherer Fragen zugesagten ergänzenden Schreiben zu übermitteln. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Frage 54): Welche Hindernisse werden von seiten der Bundesregierung gesehen, die Visumpflicht mit der CSSR aufzuheben, und bis wann erwartet die Bundesregierung konkrete Schritte für weitere Grenzöffnungen, wie sie die Expertengruppe Anfang Februar diskutiert hat (vgl. Plenarprotokoll 11/188 S. 14615)? Die Frage, wann mit der Aufhebung der Sichtvermerkspflicht für tschechoslowakische Staatsangehörige zu rechnen ist, kann z. Z. nicht abschließend beantwortet werden. Eine solche sowohl unter außenpolitischen als auch innenpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilende Maßnahme beträfe nämlich nicht nur das deutsch-tschechoslowakische Verhältnis, sondern auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ihren Schengener Vertragspartnern und zu den übrigen EG-Mitgliedstaaten. Ziel des Schengener Übereinkommens von 1985 ist u. a., die Sichtvermerksbestimmungen der Vertragspartnerstaaten zu harmonisieren. Das gleiche Ziel haben sich EG-Staaten gesetzt. Dem hat die Bundesregierung Rechnung zu tragen. Ohne vorherige Konsultationen der Schengener Vertragspartner, aber auch der übrigen EG-Mitgliedstaaten kann daher die Sichtvermerkspflicht gegenüber Drittstaatsangehörigen und somit auch gegenüber tschechoslowakischen Staatsangehörigen aus Solidaritätsgründen nicht einseitig aufgehoben werden. Die Bundesregierung hat aber bereits die Frage der künftigen Sichtvermerkspolitik gegenüber der CSSR mit ihren Partnern im EG-Kreis aufgegriffen. Abgesehen von diesen Gesprächen werden Überlegungen darüber angestellt, auf der Basis einer Vereinbarung mit der CSSR Sichtvermerkserleichterungen für Bewohner in grenznahen Gebieten einzuführen. So könnte daran gedacht werden, für eine Übergangszeit Ausnahmesichtvermerke an der Grenze zu erteilen. Außerdem könnte generell erwogen werden, dem genannten Personenkreis Jahressichtvermerke für mehrmalige Einreisen mit einer Gesamtaufenthaltsdauer von drei Monaten innerhalb eines Jahres auszustellen. Die Überlegungen hierzu sind aber noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung hat sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Nachdruck für die Eröffnung neuer Grenzübergänge zur CSSR eingesetzt, zuletzt wieder bei den Gesprächen des Bundesministers des Auswärtigen mit dem neuen tschechoslowakischen 15004* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Außenminister am 23. Dezember 1989 in Waidhaus und am 1. Februar 1990 in Nürnberg. Auch bei den Treffen mit der Staatsführung der CSSR am 2. Januar 1990 in München wurde dieses Thema zur Sprache gebracht. Am 6./7. und 8. Februar 1990 werden in Prag darüber Expertengespräche stattfinden. Die deutsche Seite wird dabei das Ziel verfolgen, die umgehende Errichtung möglichst vieler neuer Grenzübergänge durchzusetzen. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Häfner (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 55 und 56) : Wie viele Demonstrationen haben 1989 in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) stattgefunden, und wie viele Demonstrationen sind nach den Beurteilungskriterien der Bundesregierung unfriedlich" verlaufen? Wie viele gewaltfreie Sitzblockaden haben 1989 stattgefunden, und werden diese Kundgebungen von der Bundesregierung als .unfriedlich" eingestuft? Die Zahlen aus den Bundesländern liegen noch nicht vor, so daß die beiden Fragen nicht beantwortet werden können. Sobald die Zahlen vorliegen, werde ich sie unaufgefordert den Vorsitzenden des Rechts- und des Innenausschusses wie in den Vorjahren übermitteln. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordneten von Schmude (CDU/CSU) (Drucksache 11/6348 Frage 57): Welche Vorbereitungen im Hinblick auf Bodenbevorratung in Berlin trifft die Bundesregierung für den Fall, daß Deutschlands Hauptstadt wieder Sitz eines gemeinsamen Parlaments wird? Wegen der besonderen Situation in Berlin und auf Grund der geänderten Verhältnisse seit November 1989 wird der Bund Liegenschaften, die für seine Verwaltungszwecke und zur Unterbringung seiner Bediensteten geeignet sind, grundsätzlich nicht mehr veräußern. Darüber hinaus ist der Bund bemüht, vorhandene Verwaltungsstandorte zu arrondieren. Weitergehende gezielte Grunderwerbsmaßnahmen sind derzeit nicht vorgesehen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordenten Dr. Weng (Gerlingen) (FDP) (Drucksache 11/6348 Frage 58): Was unternimmt die Bundesregierung, um zu erreichen, daß abziehende verbündete Truppen zuerst Kasernengelände in Innenstädten freigeben und dieses Gelände umgehend für den Wohnungsbau nutzbar gemacht wird? Eine Freigabe von Liegenschaften, die den ausländischen Streitkräften überlassen sind, setzt voraus, daß Klarheit darüber besteht, welche Standorte im Bundesgebiet von einer Reduzierung der alliierten Streitkräfte betroffen werden. Darüber wird in erster Linie unter militärischen Aspekten entschieden. In diesem Entscheidungsprozeß werden von der Bundesregierung auch die zivilen Aspekte der Raumordnung und Landesplanung berücksichtigt. Dazu gehören ferner Wünsche der Gemeinden auf Freigabe von in ihrem Gemeindegebiet gelegenen militärisch genutzten Liegenschaften. Nach einer Freigabe prüft der Bundesminister der Verteidigung, ob für die Liegenschaft militärischer Anschlußbedarf der Bundeswehr oder der alliierten Streitkräfte vorliegt. Ist dies nicht der Fall, wird die Liegenschaft dem Allgemeinen Grundvermögen des Bundes zugeführt. Danach können die Grundstücke auch für den Wohnungsbau nutzbar gemacht werden. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Voss auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/6348 Frage 59) : Ermittelt die Bundesregierung systematisch die Konsequenzen, die sich durch eine Verringerung der US-Streitkräfte, der anderen verbündeten Streitkräfte und der Bundeswehr auf die einzelnen Standorte ergeben werden, und in welcher Weise bereitet sie Kompensationen für die Beschäftigten und für die Regionen vor? Die Bundesregierung verfolgt mit Aufmerksamkeit Erklärungen unserer NATO-Verbündeten zur Frage eines eventuellen Abzugs oder einer Reduzierung ihrer in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte. Das gilt insbesondere für die von Präsident Bush angekündigte Initiative, im Rahmen der Wiener Verhandlungen eine Begrenzung der US- Streitkräfte auf 195 000 Mann vorzuschlagen und die Äußerungen von US-Verteidigungsminister Cheney, der im US-Kongreß die Schließung der US-Garnison Zweibrücken im Jahre 1993 ankündigte, sowie die Äußerungen des belgischen Verteidigungsministers Coeme über einen eventuellen vollständigen Abzug der belgischen Streitkräfte aus der Bundesrepublik Deutschland. Bisher handelt es sich jedoch hierbei nur um Überlegungen und Planungen, über die im Falle der US- Streitkräfte eine Entscheidung oder eine Vereinbarung herbeigeführt werden soll oder zu denen — wie im Falle der belgischen Streitkräfte — das Oberkommando der belgischen Streitkräfte eine Studie erarbeiten soll. Konkrete Entscheidungen, die zuvor im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses erörtert werden müssen, liegen bisher nicht vor. Sie sind auch Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 15005* im Zusammenhang mit den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa zu sehen. Bei dieser Sachlage besteht für die Bundesregierung zur Zeit noch keine konkrete Veranlassung zur Ermittlung von Konsequenzen, die sich im Falle einer Truppenverminderung unserer NATO-Partner für die einzelnen Standorte und die Beschäftigten ergeben könnten. Die Folgerungen, die sich aus der künftigen Planung zur Struktur der Bundeswehr ergeben, werden erst zu übersehen sein, wenn die militärischen Vorgaben feststehen. Zu den Konsequenzen für Aufgaben und Organisation der Bundeswehrverwaltung wird insbesondere die vom Deutschen Bundestag geforderte unabhängige Kommission Aussagen zu machen haben. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Beckmann auf die Frage des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Frage 60): Welche Schwierigkeiten sind der Bundesregierung aus Frankreich bekannt, das auf Grund von Kühlwassermangel für die Atomkraftwerke Stromlieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland und Spanien und Kohlelieferungen aus dem Saarland erhalten soll, sowie neun stillgelegte Ölkraftwerke und fünf stillgelegte Kohlekraftwerke reaktiviert haben soll, und wie hoch war die bisherige Stromspitzenlast in diesem Winter in der Bundesrepublik Deutschland? Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen hat anhaltendes Niedrigwasser einiger Flüsse dazu geführt, daß französische Kernkraftwerke in der Leistung zurückgenommen werden mußten. Die Niedrigwasserführung hat zudem auch die Stromerzeugung aus Wasserkraft beeinträchtigt, die in Frankreich in der Größenordnung von 20 Prozent zum Stromaufkommen beiträgt. Darüber hinaus waren zum Jahresende 1989 12 der 55 in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke abgeschaltet. Als Gründe werden neben routinemäßigen Abschaltungen technische Mängel an sieben in Serie gefertigten 1 300 MW- Blöcken genannt. Das Zusammentreffen dieser ungünstigen Faktoren hat dazu geführt, daß Frankreich Stromlieferungen aus den Nachbarländern, darunter auch aus der Bundesrepublik und Spanien, erhalten hat — u. a. auch um vertraglichen Lieferverpflichtungen nachzukommen. Der Umfang der Lieferungen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Es ist ebenso zutreffend, daß fossilbefeuerte Kraftwerke zusätzlich angefahren bzw. länger als geplant in Betrieb genommen werden mußten. Mit den Saarbergwerken wurde der Bezug von 200 000 t Steinkohle vereinbart. Die bisherige Stromspitzenlast trat am 11. Dezember 1989 auf und betrug 59,3 GW (vorläufiger Wert). Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Beckmann auf die Fragen der Abgeordneten Frau Vennegerts (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 61 und 62): Kann die Bundesregierung den Bericht der Fernsehsendung "Report" vom 30. Januar 1990 bestätigen, demzufolge im Januar dieses Jahres Teile von Waffensystemen durch die Firma Fritz Werner, Geisenheim, nach Burma exportiert wurden, und warum hat die Bundesregierung diese Exporte genehmigt bzw. geduldet? Wann hat die Bundesregierung letztmals den Export von Munition oder Munitionsfertigungsanlagen (beispielsweise durch die Firma Fritz Werner oder deren Tochterunternehmen Metallwerk Elisenhütte, Nassau) nach Burma genehmigt? Zu Frage 61: Die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß im Januar dieses Jahres Teile von Waffensystemen durch die Firma Fritz Werner, Geisenheim, nach Burma exportiert wurden. Die für die Ausfuhrüberwachung zuständigen Zollbehörden haben die Ladepapiere des in dem Fernsehbericht gezeigten burmesischen Frachters überprüft und keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß gegen Ausfuhrbestimmungen verstoßen worden wäre. Zu Frage 62: Die letzte Genehmigung wurde am 20. September 1988 erteilt. Sie betraf nicht Munition, sondern eine Gerätelieferung für die seit langem in Burma vorhandenen Fabrikationsstätten im Rüstungsbereich. Nach Ausbruch der innenpolitischen Unruhen in Burma Mitte des Jahres 1988 sind Munitionslieferungen nicht mehr genehmigt worden. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Andres (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 63 und 64): Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang die Arbeitsbelastung in den Arbeitsämtern durch den Zustrom von Aus- und Übersiedlern angestiegen ist, und ist der Personalbestand entsprechend aufgestockt worden? Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Arbeitsämter nach der stark gestiegenen Belastung durch Aus- und Übersiedler noch in der Lage, die notwendigen intensiven Vermittlungsbemühungen zu erbringen, um einheimische Langzeitarbeitslose wieder in das Beschäftigungssystem zu integrieren? Die Bundesregierung anerkennt ausdrücklich die Leistung, die die Mitarbeiter in den Arbeitsämtern erbringen, um den Aussiedlern und Übersiedlern die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Sie hat ihren Beitrag dazu geleistet, daß die Arbeitsverwaltung diese Aufgabe mit Erfolg angehen kann. Durch die in den letzten Jahren vorgenommenen Stellenmehrungen und andere personalwirtschaftliche Maßnahmen ist es der Bundesanstalt für Arbeit möglich, nunmehr weit über 70 000 Mitarbeiter zu beschäftigen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der durch die Zuwanderung von Aussiedlern und Übersiedlern bedingten Mehrbelastung erhebliche Entlastungen gegenüberstehen. So ist die Zahl der Arbeits- 15006* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 losen im Jahresdurchschnitt 1989 um 200 000 Personen gegenüber 1988 gesunken. Auf Grund der demographischen Entwicklung ist die Zahl der Berufsberatungsfälle gesunken. Auch die Einführung des Eingliederungsgeldes führt wegen dessen pauschalierender Bemessungsgrundlage zu erheblicher Verwaltungsvereinfachung. Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß die Bundesanstalt für Arbeit nunmehr hinsichtlich ihrer Personalausstattung einen Stand erreicht hat, der sie in die Lage versetzt, ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Langzeitarbeitslosen. Der Erfolg des von der Bundesregierung aufgelegten Sonderprogramms für Langzeitarbeitslose zeigt, daß sich die Vermittlungsstellen der Arbeitsämter dieser Personengruppe besonders annehmen. Im Jahre 1989 konnten durch dieses Programm mehr als 15 000 Langzeitarbeitslose in das Beschäftigungssystem integriert werden. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordenten Kirschner (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 65 und 66): Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Bundesrepublik Deutschland Verständnis dafür aufbringen können, daß für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von 312 Tagen Dauer eine vorherige beitragspflichtige Beschäftigungszeit von mindestens 24 Monaten zurückgelegt sein muß, daß aber Aussiedler oder Übersiedler bereits nach 5 Monaten Beschäftigungszeit im Heimatland einen Anspruch auf Eingliederungsgeld von 312 Tagen Dauer geltend machen können? Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, daß einheimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erst nach zweijähriger Vorbeschäftigungszeit einen Anspruch auf Förderung einer beruflichen Bildung nach § 44 AFG haben, während Aussiedler oder Übersiedler diesen Anspruch nach § 62 b AFG bereits nach 150 Tagen Vorbeschäftigungszeit haben? Der Grund für die kürzere Vorbeschäftigungszeit beim Anspruch auf Eingliederungsgeld, das bei Arbeitslosigkeit und Teilnahme an notwendigen beruflichen Bildungsmaßnahmen gezahlt wird, lag bisher vornehmlich darin, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. In vielen Fällen hatten Aussiedler und Übersiedler Schwierigkeiten, länger zurückliegende Beschäftigungszeiten auch tatsächlich bei der Antragstellung zu belegen. Die Frage, ob dieser Grund auch heute bei fortschreitender Freizügigkeit zwischen Ost und West noch vorliegt, wird im Augenblick in einer Arbeitsgruppe geprüft, die aus Vertretern der Bundesregierung und Vertretern der Koalitionsfraktionen gebildet worden ist. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Hasenfratz (SPD) (Drucksache 11/6348 Fragen 67 und 68): Warum macht die Bundesanstalt für Arbeit nicht von der nach § 62 a Abs. 6, § 119 AFG bestehenden Möglichkeit Gebrauch, beim Bezug von Eingliederungsgeld Sperrzeiten eintreten zu lassen, wenn ein Übersiedler oder Aussiedler aus Polen sein Arbeitsverhältnis im Heimatland gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat? Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die politischen Verhältnisse in der DDR und in der Republik Polen immer noch so sind, daß in der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Grund im Sinne des § 119 AFG gesehen werden muß, und geht die Bundesregierung davon aus, daß diese Bewertung auch dann noch zutreffend ist, wenn die Oppositionsparteien und -gruppen in die Regierung Modrow eingetreten sind bzw. nach den Wahlen am 18. März 1990 ein demokratisch gewähltes Parlament die entscheidende politische Kraft in der DDR darstellt? Hat ein Arbeitsloser sein Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch vertragswidriges Verhalten die Lösung durch den Arbeitgeber veranlaßt, tritt für den Anspruch auf Arbeitslosengeld eine Sperrzeit von in der Regel 12 Wochen ein, sofern kein wichtiger Grund für die Lösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Die Regelung gilt für das Eingliederungsgeld entsprechend. Die Anwendung dieser Vorschrift steht nicht im Ermessen der Bundesanstalt für Arbeit. Soweit die Arbeitsämter im Rahmen der Auslegung derzeit noch davon ausgehen, daß das Verlassen der Herkunftsgebiete durch Aus- und Übersiedler wegen der dort herrschenden Verhältnisse einen wichtigen Grund für die Lösung bestehender Arbeitsverhältnisse darstellt, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Wie diese Frage künftig zu beurteilen sein wird, hängt entscheidend von der konkreten weiteren Entwicklung in der DDR und den anderen Ostblockstaaten ab. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Götte (SPD) (Drucksache 11/ 6348 Frage 69): Beabsichtigt das Bundesministerium der Verteidigung weiterhin, den Truppenübungsplatz Baumholder durch Landerwerb von der Gemeinde Rathsweiler um 58,60 ha zu vergrößern, nachdem in den zurückliegenden Jahren bereits 160 ha der Gemarkung Rathsweiler vom Bund aufgekauft und in den Truppenübungsplatz eingegliedert wurden, und wie beurteilt die Bundesregierung die Ankündigung des rheinland-pfälzischen Innenministers vom 19. Januar 1990, wonach sich die rheinlandpfälzische Landesregierung dafür einsetzen werde, daß die Bundeswehr auf eine Ausweitung des Truppenübungsplatzes Baumholder verzichtet? Im Zuge einer im Jahre 1969 eingeleiteten Landbeschaffungsmaßnahme zur Erweiterung des Truppenübungsplatzgeländes sind bis heute in der Gemarkung Rathsweiler rd. 165 ha erworben worden. Dieses Gelände steht für Übungszwecke nicht zur Verfügung, weil es durch ein rd. 50 ha großes gemeindeeigenes Waldgebiet vom Truppenübungsplatz abgetrennt wird. Die Bundeswehr ist bemüht, zur Arrondierung des Grundbesitzes aus dem Bestand der 165 ha großen bundeseigenen Fläche entsprechende Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 15007'* Grundstücke gegen das 50 ha große Waldgebiet zu tauschen. Die Landesregierung hat diesem Landbeschaffungsvorhaben bereits 1971 zugestimmt. Sofern sie jetzt eine neue Erörterung der Angelegenheit wünscht, ist das Bundesministerium der Verteidigung hierzu bereit. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover) (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 70 und 71): Welches Sicherungs- bzw. Sanierungsvorhaben kommt nach Ansicht der Bundesregierung für den mit Munition und arsenhaltigen Abbauprodukten chemischer Kampfstoffe verseuchten Boden des jetzt gesperrten Truppenübungsplatzes MunsterNord in Frage? Wie lautet der Maßnahmen-Katalog zum Schutz von Boden und Grundwasser, auf dessen Vorbereitung der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in seiner Antwort auf die schriftliche Frage 123 der Abgeordneten Frau Garbe im Dezember 1987 (Drucksache 11/1586) hingewiesen hat? Zu Frage 70: Die Zuständigkeit für die angesprochenen Sicherungs- bzw. Sanierungsvorhaben liegt beim Land Niedersachsen. Zur Zeit wird die Arsenbelastung des Bodens in einem systematischen Meßprogramm ermittelt. Nach Abschluß der Untersuchung werden im Einvernehmen mit der für die Altlastensanierung zuständigen Niedersächsischen Landesregierung die Möglichkeiten einer Sanierung geprüft. Zu Frage 71: Die Niedersächsische Landesregierung führt zur Zeit für die Altlasten in Niedersachsen — zu denen auch der Truppenübungsplatz Munster-Nord gehört — eine Gefährdungsabschätzung durch. Sie wird dabei soweit wie möglich von der Bundeswehr unterstützt. Nach Abschluß dieser Untersuchungen müssen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Boden und Grundwasser gemeinsam festgelegt werden. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Wollny (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 72 und 73): Zu welchen Ergebnissen kommt eine bisher nicht veröffentlichte Studie über die Belastung des Grundwassers im Raum Munter aus Rüstungsaltlasten, und warum hat die Bundesregierung sie bisher als „vertraulich" eingestuft? Wird die Bundeswehr für die Zeit der Sperrung des Truppenübungsplatzes Munster-Nord ihren Übungsbetrieb einschränken, oder wird sie auf andere Übungsplätze in der Region ausweichen? Zu Frage 72: Es gibt keine als „vertraulich" eingestufte Studie über die Belastung des Grundwassers im Raum Munster aus Rüstungsaltlasten. Das Grundwasser wird seit vielen Jahren von den zuständigen Landesdienststellen regelmäßig untersucht. Bisher ergaben sich keine kritischen Werte. Der Truppenübungsplatz Munster-Nord wurde für den Ausbildungsbetrieb gesperrt, weil Untersuchungen von Bodenproben der Erdoberfläche aus einem bisher für die militärische Ausbildung genutzten Bereich eine hohe Arsenbelastung ergeben haben. Auch diese Meßergebnisse wurden von der Bundesregierung nicht als „vertraulich" eingestuft. Zu Frage 73: Hauptnutzer des Truppenübungsplatzes MunsterNord ist die Kampftruppenschule 2, an der die Führerausbildung für die gepanzerten Kampftruppen durchgeführt wird. Einschränkungen des Übungsbetriebes bedeuten Laufbahnnachteile für den einzelnen Soldaten. Um diese Einschränkungen zu kompensieren, müssen der Kampftruppenschule 2 auf den Truppenübungsplätzen Munster-Nord und Bergen zu Lasten der dort übenden standortfremden Truppenteile Mitbenutzungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Schilling (GRÜNE) (Drucksache 11/6348 Fragen 74 und 75): Welche Arsen-Verbindungen in welchen Konzentrationen wurden kürzlich von der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle (WWD) auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Munster-Nord gemessen? Welche Aussagen machen die WWD-Analysen zu den Verursachungsfaktoren der Arsen-Kontamination? Zu Frage 74: Bei den arsenhaltigen Substanzen kann es sich nur handeln um: — Diphenylarsinchlorid Clark I Blaukreuz — Diphenylarsincyanid Clark II Blaukreuz — Phenylarsindichlorid Pfiffikus — Methylarsindichlorid Medikus — Äthylarsindichlorid Gelbkreuz 1 Grünkreuz 3 — 2 Chlorvinyldichlorarsin Lewisit — 10-Chlor-5, 10-dihydrophenarsazin Adamsit oder deren Abbauprodukte. 15008* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990 Es handelt sich ausschließlich um Reiz-/Kampfstoffe aus der Zeit vor 1945. Die systematische und flächendeckende Untersuchung des Truppenübungsplatzes ist angelaufen. Von den bislang ausgewerteten Proben (200) zeigt nur eine eine erhöhte Arsenkonzentration (Meßwert: 81,6 Milligramm pro Kilogramm Erdreich). Der natürliche Arsengehalt liegt bei ca. 5 Milligramm pro Kilogramm Erdreich. Zu Frage 75: Die WWD-Analysen machen hierzu keine Aussagen. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU) (Drucksache 11/ 6348 Frage 76): Welche Gründe sprechen dagegen, den Belastungsausgleich — dessen Regelungen für den Belastungsausgleich von Soldaten in der Praxis zu erheblicher Unruhe und Kritik geführt haben —, wenn Freizeitausgleich nicht möglich ist mit 100 % der jeweiligen — individuellen — Tagesbesoldung zu vergüten, wobei das Wehrbereichsgebührnisamt lediglich eine Mitteilung über die Anzahl der zu berücksichtigenden Ausgleichstage zu erhalten hätte, um den Ausgleichsbetrag zusammen mit dem Gehalt zu überweisen? Der Belastungsausgleich hat deshalb in der Praxis zu zahlreichen Eingaben von Soldaten geführt, weil es sich hier im Gegensatz zur bisherigen pauschalen Abgeltung um einen völlig neuartigen, individuellen Dienstzeitausgleich handelt. Bereits jetzt zeigt sich, daß damit eine Reduzierung der Dienstzeit, vermehrte Freistellung vom Dienst und auch ein individuell höherer finanzieller Ausgleich erreicht wird. Folgende Gründe sprechen gegen den Vorschlag individueller Tagesbesoldungssätze: 1. Ein Ausgleich in Höhe der individuellen Tagesbesoldung widerspricht der bisherigen, vom Bundestag gebilligten Konzeption einheitlicher, vom Dienstgrad unabhängiger Vergütungssätze. 2. Die entstehenden Kosten könnten überdies nur nach langwierigen Feststellungen über die Dienstleistung der einzelnen Dienstgradgruppen ermittelt werden. Der damit verbundene bürokratische Arbeitsaufwand wäre nicht zu rechtfertigen. 3. Der Vorschlag brächte keine Verwaltungsvereinfachung, da auch schon jetzt den Wehrbereichsgebührnisämtern lediglich die Anzahl der großen und kleinen Anrechnungsfälle zu melden ist; der erhöhte Wehrsold wird ohnehin bei der Truppe gezahlt.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119400000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Die Anwesenden erheben sich)

Im Alter von 63 Jahren erlag am Dienstag unser Kollege Werner WeiB einem schweren Herzleiden.
Werner Weiß gehörte dem Deutschen Bundestag seit 1980 an. Er hat sich besonders im Innenausschuß und im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages engagiert. Als Mitglied des Petitionsausschusses hatte er stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Bürger.
Der Familie des Verstorbenen gilt unsere tiefempfundene Anteilnahme.
Der Deutsche Bundestag wird Werner Weiß ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren.
Vor Eintritt in die Tagesordnung der 194. Sitzung des Deutschen Bundestages möchte ich kurz daran erinnern, daß Herr Kollege Dr. Biedenkopf am 28. Januar seinen 60. Geburtstag feierte. Heute feiert Frau Kollegin Steinhauer ihren 65. Geburtstag und Herr Kollege Cronenberg (Arnsberg) seinen 60. Geburtstag.

(Beifall)

Ich gratuliere im Namen des Hauses sehr herzlich und wünsche alles Gute.
Der Abgeordnete Herr Dr. Friedmann hat am 5. Februar 1990 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Herr Hornung am 6. Februar 1990 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bereits aus der 10. Wahlperiode bekannten Kollegen Hornung herzlich.

(Beifall)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Stand der Soforthilfe der Bundesregierung für die DDR (In der 192. Sitzung bereits erledigt.)

2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen — Drucksache 11/5728 —
3. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern — Drucksache 11/6339 —
4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Knabe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz der Yanomami-Indianer in Brasilien — Drucksache 11/6277 —
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfundsechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — Drucksachen 11/5340, 11/5995 —
6. Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — Drucksachen 11/5341,11/6019 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119400100
Sammelübersicht 148 zu Petitionen — Drucksache 11/6305 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119400200
Sammelübersicht 149 zu Petitionen — Drucksache 11/6306 —
9. Aktuelle Stunde: Perspektiven und Kontinuität in der Deutschlandpolitik (abgesetzt)

10. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45 b des Grundgesetzes — WBeauftrG) — Drucksache 11/6367 —
11. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neununddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 10 Abs. 2, Artikel 19 Abs. 4)— Drucksache 11/3046 —
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Erler, Büchner (Speyer), Diller, Gerster (Worms), Dr. Götte, Ibrügger, Koschnick, Dr. Kübler, Leonhart, Müller (Pleisweiler), Pauli, Dr. Pick, Reimann, Dr. Scheer, Scherrer, Sielaff, Terborg, Adler, Weiler, Bahr, Erler, Fuchs (Verl), Horn, Dr. Klejdzinski, Dr. Scheer, Dr. Soell, Stobbe, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Dr. von Bülow, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Unterrichtung von Öffentlichkeit und Parlament über die Planung und Vorbereitung des Abzugs amerikanischer C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 11/6310 —
13. Aktuelle Stunde: Die Teilgenehmigung für die Pilot-Konditionierungs-Anlage Gorleben als Prüfstein der neuen deutsch-deutschen Umweltpolitik der Bundesregierung



Präsidentin Dr. Süssmuth
Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden, soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist.
Die für heute vorgesehene Aktuelle Stunde auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion soll entfallen.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, Tagesordnungspunkt 9 h abzusetzen.
Sind Sie mit der Ergänzung bzw. Änderung der Tagesordnung einverstanden?

(Jahn [Marburg] [SPD]: Frau Präsidentin, dies ist nicht klar! Welche Punkte sollen miteinander verbunden werden?)

— Ich habe bisher nichts über die Verbindung von Punkten verlesen,

(Jahn [Marburg] [SPD]: Dann ist es ein Mißverständnis! Ich bitte um Entschuldigung!)

sondern ich habe lediglich verlesen, daß der Tagesordnungspunkt 9 h abgesetzt werden soll.
Herr Kollege Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1119400300
Frau Präsidentin! Wir bitten darum — wir hatten uns unter den Obleuten darüber verständigt — , die Tagesordnungspunkte zum Thema Rechtspolitik insgesamt so zu verbinden, daß jedenfalls die gesamte Redezeit auf den einen oder den anderen Punkt übertragen und ausgenutzt werden kann.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119400400
Ist diesem Vorschlag, diesem Antrag von Herrn Kleinert Rechnung getragen? Müssen wir darüber abstimmen?
Kollege Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID1119400500
Wir brauchen nicht darüber abzustimmen. Wenn die Punkte einzeln aufgerufen werden und im übrigen großzügig mit der Redezeit verfahren wird, wird das gehen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119400600
Der Abgeordnete Jahn hat erklärt, daß wir nicht darüber abzustimmen brauchen, wenn die einzelnen Punkte aufgerufen werden und dann darüber verhandelt wird.
Ich wiederhole: Ich höre dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Bevor wir zum Tagesordnungspunkt 3 kommen: Auf der Ehrentribüne haben Mitglieder der französischen Nationalversammlung Platz genommen. Ich möchte die Delegation und ihren Vorsitzenden, Herrn Jacques Josselin, ganz herzlich begrüßen. Sie sind heute im Bundestag und führen Gespräche über die Europäische Gemeinschaft. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich wünsche Ihren Gesprächen einen guten Erfolg.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Rechtspolitik im Jahr des deutsch-deutschen Aufbruchs
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das sehe ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung dem Bundesminister der Justiz, Herrn Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119400700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede Rechtspolitik ist Teil der allgemeinen Politik. Das Thema meiner heutigen Erklärung kann daher nur lauten: Rechtspolitik im Jahr des deutsch-deutschen Aufbruchs.
Am 9. November 1989 ist nicht nur die Mauer gefallen. An diesem Tag fiel auch das Machtmonopol der SED. Zu lange hatte sie die Erkenntnis Talleyrands, daß auf Bajonetten schlecht sitzen ist, mißachtet.
Auch 45 Jahre staatlichen Machtmißbrauchs konnten nichts daran ändern, daß sich kein Staat und keine Macht gegen den Willen seiner Bürger auf Dauer behaupten können. Letztlich muß jedes Gemeinwesen von der freiwilligen Folgebereitschaft seiner Bürger getragen sein. Nicht von ungefähr ist deshalb die Akzeptanz des Rechts ein Schlüsselbegriff unserer Rechtspolitik.
Die liberale rechtsstaatliche Demokratie ruht nicht auf den Launen der Befehle, nicht auf der Willkür der „Staatsmacht von oben" . Der Rechtsstaat gründet sich auf die Herrschaft des Rechts, die alle — ohne Ausnahme, Wähler und Gewählte — ihrer Ordnung und Obhut unterstellt. Der Rechtsstaat hat die Zustimmung seiner Bürger, weil niemand ohne Recht menschenwürdig zu leben vermag.
Nicht nur zum erstenmal nach Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern zum erstenmal seit der nationalsozialistischen Machtergreifung haben nun die Menschen in Mecklenburg und Brandenburg, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Chance, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen.
Der demokratische Rechtsstaat verlangt eine starke und unabhängige Justiz. Ohne unabhängige Richter ist jeder Versuch, einen Rechtsstaat aufzubauen, von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Anders die DDR: Sie verzichtete auf Gewaltenteilung und ein Verfassungsgericht, maßte sich eine ständige politische Kontrolle der Rechtsprechung an, bestellte die Richter nur auf Zeit und überantwortete ihre Wahl und Wiederwahl den Parteistrategen der SED. Etwa 95 % der Richter sind denn auch Mitglieder dieser Partei.
Die Folgen für die Justiz sind fatal: Rechtswesen und Richter genießen bei den Bürgern kein Vertrauen. Schwer wird es sein, hier Wandel zu schaffen. Die alten Strukturen dürfen nicht nur übertüncht werden; das Volk hat ein feines Empfinden dafür, daß mit Wendehälsen kein Rechtsstaat zu machen ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bachmaier [SPD]: Das gilt aber für die LDPD auch!)

Halten wir uns vor Augen, daß noch vor wenigen Monaten Autofahrer, die eine weiße Schleife an der Antenne ihres Wagens befestigt hatten, um ihren Aus-



Bundesminister Engelhard
reisewillen zu bekunden, zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Ich wende mich deshalb auch nachdrücklich gegen alle Tendenzen, über das vergangene Unrecht in der DDR den Mantel des Schweigens zu breiten.

(Beifall und Sehr gut! bei der FDP und der CDU/CSU)

Diese Haltung mag sicher dem menschlichen Bedürfnis nach Vergessen und Verdrängen, vor allem bei den Betroffenen natürlich, entgegenkommen. Sie bedeutet aber nicht nur gegenüber den Opfern eine neue Schuld, sondern behindert auch den Neubeginn.

(Duve [SPD]: Das gilt vor allem auch für die Richterschaft nach 1945 bei uns!)

Ich widerspreche, meine Damen und Herren Kollegen, auch jeder voreiligen Forderung bei uns, die zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter aufzulösen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Diesen Standpunkt habe ich auch vor dem 9. November 1989 immer und immer wieder vertreten, als SPD- regierte Länder glaubten, es sich leisten zu können, die Erfassungsstelle als überflüssig und störend nicht mehr mitzufinanzieren. Gerade jetzt — darüber haben wir statistische Angaben — erhält die Erfassungsstelle eine Fülle von Hinweisen über Straftaten und mußmaßliche Straftäter.
Sobald in der DDR rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen, können diese Unterlagen und Akten natürlich auch der dortigen Justiz übergeben werden,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

damit sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.

(Duve [SPD]: Genau wie nach 1945! — Frau Unruh [fraktionslos] : Kronzeugenerlaß! )

Aber dem alten Unrecht darf kein neues Unrecht folgen. Für einen freiheitlichen Rechtsstaat versteht es sich von selbst, daß die strafprozessualen Rechte der Beschuldigten nicht geschmälert werden dürfen. Schauprozesse können nicht der Auftakt einer freiheitlichen Entwicklung sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Neben einer unabhängigen Justiz verlangt der Rechtsstaat eine starke Anwaltschaft. Die freie Advokatur ist ein Grundanliegen liberaler Justizpolitik. Wie groß das rechtsstaatliche Defizit in der DDR hier ist, wird schon an der viel zu geringen Zahl von nur 600 Anwälten deutlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Zuruf von der SPD: Da steht mancher schon in den Startlöchern!)

Ich sage, alle Deutschen können stolz sein, daß unseren Landsleuten in der DDR eine friedliche Revolution gelungen ist. Das war nicht selbstverständlich.
Menschlich wäre es zu begreifen gewesen, wenn sich der aufgestaute Zorn gewaltsam entladen hätte.

(Zuruf von der SPD: Vor allem aus den Reihen der LDPD!)

Aber die Bürger in Leipzig, Berlin, Halle, Rostock, Dresden und allenthalben haben gewußt, daß Gewalt der Gegensatz von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ist. Sie wollten ihren neuen Weg nicht unter falschen Vorzeichen beginnen; und diesem Entschluß sollten sie treu bleiben.
Von dieser Haltung kann mancher bei uns nur lernen, der glaubt, Gewalt anwenden zu müssen, wenn er auf demokratischem Wege seine Ziele nicht erreicht.

(Hornung [CDU/CSU]: Das sollten sich alle merken!)

Gewalt ist kein Mittel der Konfliktlösung. Sie provoziert nur neue Gewalt.
Und ich unterstreiche es: in unserem Land kann man bei weitem Umblick und einiger Aufmerksamkeit viel lernen. Dies geht hin bis zu jenem Zeitpunkt, als der Staatssicherheitsdienst noch in vollster Aktion war, als nirgendwo bei den Demonstrationen der zehntausend, ja, der hunderttausend, ein Vermummter zu sehen war.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nirgendwo hat man dort Anlaß gesehen, und dort wäre wohl Anlaß gewesen, sein Gesicht nicht frei zu zeigen, sich zu verhüllen, um anonym und unerkannt zu bleiben.
Allgemein wird in unserer Gesellschaft noch zu viel Gewalt geübt, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen alte Menschen, Gewalt gegen Kinder.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Und das lassen Sie zu, was in unseren Pflegeheimen passiert! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

Dieses Gewaltpotential müssen wir eindämmen. Die Opfer gilt es zu versöhnen. Mit der Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs und dem Opferschutzgesetz sind wir bereits auf dem richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, demokratische Freiheit heißt auch wirtschaftliche Freiheit. Ich wende mich ganz entschieden gegen diejenigen bei uns, die in dem Streben nach mehr Wohlstand und Konsum so etwas wie eine anrüchige Angelegenheit sehen; denn gerade wer bei uns im Wohlstand lebt, zumindest aber sein Auskommen in unserem Sozialstaat hat, sollte derartige Reden unterlassen. Den erwarteten Wohlstand kann den Bürgern in der DDR nur die Soziale Marktwirtschaft bringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist deshalb folgerichtig, daß sie sich um westliches Kapital und westliche Produktionsstrategien bemühen. Unsere Wirtschaft ist zu dieser Hilfe bereit. Voraussetzung ist jedoch, daß die DDR die rechtlichen Voraussetzungen schafft.
Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsform, aber sie ist zugleich eine gesellschaftliche Ordnung und damit notwendigerweise eine Rechtsordnung. Zunächst setzt die Marktwirtschaft ohne jedes

Bundesminister Engelhard
Wenn und Aber das private Eigentum voraus, auch Eigentum an den Produktionsmitteln. Eine entschädigungslose Enteignung in der DDR war mit die Kardinalsünde der Vergangenheit. Mit Recht erwarten die Betroffenen eine befriedigende Lösung.
Wie mit dem Eigentum rechtsstaatlich umzugehen ist, das sagt der Artikel 14 unseres Grundgesetzes. Ja, meine Damen und Herren, das Grundgesetz wäre überhaupt insgesamt eine gute gesamtdeutsche Verfassung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Beifall und Zuruf der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Unser Begriff von Eigentum ist nicht schrankenlos. Nein, im Gegenteil, wie der Umweltschutz deutlich zeigt, erlegen wir dem Privateigentum härtere und schärfere Beschränkungen auf, als dies der Sozialismus mit dem Staatseigentum tut.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die DDR ist stellenweise zur Giftküche Europas geworden. Die Schwefeldioxidwerte, die gerade gemessen worden sind, liegen teilweise um das 20fache über denen des Ruhrgebiets. Einem vermeintlichen Wirtschaftswachstum, einem ja nun wirklich sehr vermeintlichem, wurden die Natur und der Mensch rücksichtslos geopfert. Gegen diese Politik begehren die Menschen drüben zu Recht auf.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Auch im Großkapitalismus!)

— Frau Kollegin, ich glaube, daß es in dieser Stunde ganz gut wäre, wenn auch Sie sich zuweilen von den vorgegebenen Meinungen und Denkschemata etwas zu lösen vermöchten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir dagegen haben dem Umweltschutz erste Priorität eingeräumt. Wir wollen ihn als Staatsziel im Grundgesetz verankern.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Ihr werdet euch noch wundern!)

Ich sage nochmals: Die SPD ist herzlich eingeladen, der von mir vorgelegten Kompromißformulierung für eine Verfassungsänderung nun endlich zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bachmeier [SPD]: Die ist blanke Nulldiät! — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Weiße Salbe!)

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben überzeugend bestätigt: Wirtschaftswachstum oder Umweltschutz ist keine Alternative. Nein, das ist eine falsch gestellte Frage. Den Beweis dafür liefert unsere wirtschaftliche Lage. Wir werden deshalb den Schutz der Umwelt weiter vorantreiben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das wird auch höchste Zeit!)

Mein Entwurf des Umwelthaftungsrechts wird helfen, präventiv Umweltschäden zu verhindern oder wenigstens adäquat auszugleichen.
Die rechtliche Bedingtheit der Sozialen Marktwirtschaft zeigt sich besonders am Wohnungsmarkt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Nicht zuletzt durch die vielen Aussiedler, die vielen Übersiedler ist — das wissen wir alle — die Lage angespannt. Die daraus resultierenden Probleme werden wir — wie in der Vergangenheit mit sehr unterschiedlichen Situationen auch — zu lösen wissen. Aufgabe des Mietrechts ist es dabei, die Interessen von Vermieter und Mieter gerecht auszugleichen.

(Duve [SPD]: Die richtige Reihenfolge!)

Die Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes dürfen wir dabei allerdings nie gefährden. Das Beispiel der DDR ist ja hier sehr lehrreich. Um den vermeintlichen Interessen der Mieter zu genügen, wurden die Mieten zwangsweise heruntergedrückt. Wenn die Mieten zu 70 % subventioniert werden, verfügt dann auch der Großvermieter Staat nicht einmal mehr über die Mittel, die zur Erhaltung des Bestandes erforderlich sind. Viele Wohnungen in der DDR sind nach unseren Kriterien praktisch unbewohnbar.
Die Soziale Marktwirtschaft hat ferner neben den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer das Leitbild des Verbrauchers gestellt. Der Verbraucherschutz war und ist ein ganz besonderes Anliegen der Bundesregierung. Ich nenne nur das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und, gerade jetzt in Kraft getreten, das Gesetz über Haftung für fehlerhafte Produkte. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Mein Entwurf eines Verbraucherkreditgesetzes wird helfen, den modernen Schuldturm abzubauen.
Die Marktwirtschaft verlangt schließlich vor allem auch Rechtssicherheit. Der Unternehmer muß präzise wissen, woran er ist, und er muß sich auch darauf verlassen können, daß der einmal gesetzte Rahmen nicht willkürlich geändert wird. Diese Sicherheit kann nur der demokratische Rechtsstaat geben. Beides, die Soziale Marktwirtschaft und der Rechtsstaat, gehört untrennbar zusammen.
Meine Damen und Herren, mit dem Umbruch in der DDR benötigen wir jetzt dringend einen funktionierenden Rechtshilfeverkehr in Zivil- und Strafsachen. Der Strom der Übersiedler und der gegenseitigen Besucher und der Warenverkehr haben bereits in wenigen Monaten einen Problemberg angehäuft. Ein entsprechendes Abkommen — so kann man sich erinnern — hat die DDR über die Zeiten bei dem jährlichen Staatssekretärsgespräch immer total zu blokkieren gewußt.
Besonders drängend sind beispielsweise der Anstieg von Straftaten durch Deutsche aus der DDR bei uns und von Bundesbürgern drüben in der DDR sowie die Verletzung von Unterhaltsverpflichtungen. Hier kann es keine Sonderbehandlung geben. Wer Straftaten begeht, muß zur Verantwortung gezogen werden. Niemand darf darauf vertrauen, daß die zwar offenen, aber noch bestehenden Grenzen die Verfolgung von Straftaten verhinderten. Wir werden unsere Schutzpflicht gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern uneingeschränkt erfüllen.



Bundesminister Engelhard
Was das Unterhaltsrecht angeht, dürfen wir nicht vergessen, daß sich nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes ungefähr 20 000 Männer ihrer Unterhaltspflicht entzogen und zu Hause Frauen und Kinder unversorgt zurückgelassen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Auch hier darf niemand darauf vertrauen, nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.
Wir brauchen aber nicht nur gegenseitige Rechtshilfe, wir brauchen auch mehr Rechtsangleichung. Ich nenne hier nur die Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums und das Gesellschaftsrecht. Es ist sehr zu begrüßen, daß künftig auch die Bürger der DDR die Möglichkeit erhalten sollen, sich mit Aktien an Unternehmen zu beteiligen. Diese Reform und die vorgesehene Zulassung von Gemeinschaftsunternehmen sollte die DDR zum Anlaß nehmen, ihr längst überholtes, nur noch formal in Geltung befindliches Gesellschaftsrecht über Bord zu werfen.
Durch die Europäische Gemeinschaft befindet sich Europa in einer Periode der Rechtsharmonisierung. Wir werden diesen Weg weitergehen. Die DDR sollte sich anschließen. Wir kommen so nicht nur zwischen den beiden Staaten in Deutschland, sondern auch in dem gemeinsamen europäischen Haus ein gutes Stück weiter.
Sorgen wir dafür, daß auch künftig bei unseren Bürgerinnen und Bürgern die Akzeptanz des Rechts erhalten bleibt. Erbringen wir mutig und kraftvoll den Beitrag des Rechts für die Gestaltung unseres künftigen Lebens. Wir müssen neuen Tatsachen wie etwa der gestiegenen Lebenserwartung alter Menschen durch die so grundlegende Reform des Betreuungsgesetzes Rechnung tragen.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Genau!)

Stellen wir uns den Problemen der Fortpflanzungsmedizin und verabschieden wir das Embryonenschutzgesetz. Nicht umsonst hat das Grundgesetz die Würde des Menschen zum Leitbild unserer ganzen Rechtsordnung erhoben. Wir sollten das Gut des Rechts aber nicht in zu kleiner Münze ausschlagen. Unsere gesicherten Lebensverhältnisse haben uns in der Vergangenheit manchesmal dazu verführt, für letztlich nebensächliche Kleinigkeiten den Gesetzgeber zu bemühen. Dem Ansehen des Rechts und auch dem Ansehen von Regierung und Parlament wird so nicht gedient.

(Beifall des Abg. Cronenberg [Arnsberg] [FDP])

Die Würde des Rechts liegt nicht zuletzt auch in seiner Begrenzung.
Meine Damen und Herren, der deutsch-deutsche Aufbruch wird von der Parole bestimmt: Wir sind das Volk. Der Wille des Volkes wird die künstlichen Barrieren der Nachkriegszeit, die immer auch rechtliche Barrieren gewesen sind, überwinden. Die Gemeinsamkeit der Menschen, die zusammengehören, wird die deutsche Einheit schaffen. Dazu gehört ein gemeinsames Recht. Die Menschen wollen ein gerechtes
Recht, und sie wollen im Einklang mit diesem Recht leben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119400800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1119400900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten begrüßen die heutige Gelegenheit zu einer rechtspolitischen Debatte. Stoff dafür gibt es wahrhaft genug.
Sie, Herr Bundesjustizminister, haben Ihre soeben vorgetragene Regierungserklärung überschrieben „Rechtspolitik im Jahr des deutsch-deutschen Aufbruchs". In der Tat bezeichnet diese Überschrift einen Problemkreis, um den wir uns zu kümmern haben, in ganz besonders deutlicher Weise: Wie geht es weiter mit Deutschland? Das ist die Frage, die zur Zeit überall in der Bundesrepublik, aber auch überall in der DDR wohl am meisten diskutiert wird.
Dazu kommen eine Menge neuer Probleme, die bei uns in der Bundesrepublik gelöst werden müssen, und Fragen, die wir — und zwar auch vor einem Abkommen — mit den dafür geeigneten Behörden der DDR besprechen müssen.
Das ist das eine. Ich denke, wir haben heute auch über zwei weitere Problemkreise zu sprechen: Wie steht es eigentlich mit den rechtspolitischen Vorhaben und den rechtspolitischen Versprechungen der Bundesregierung? Auch bei uns muß Reformpolitik betrieben werden. Wir stehen bald am Ende dieser Legislaturperiode und stellen fest: Sehr vieles ist nicht angepackt worden, vieles ist liegengeblieben.

(Marschewski [CDU/CSU]: Und vieles ist angepackt worden!)

— Manches ist so spät gekommen, Herr Marschewski, daß wir alle im Rechtsausschuß in den verbleibenden Sitzungswochen — ich glaube, es sind gerade noch zehn — sehr, sehr viel zu tun haben werden, um wenigstens einiges noch zu erledigen.
Die Frage ist natürlich — Sie sollten sie auch einmal koalitionsintern an den Bundesjustizminister stellen —, ob es nicht ein Armutszeugnis ist, eine so lange Liste überhaupt nicht eingebrachter Vorhaben am Ende einer Legislaturperiode noch übrigzuhaben. Ich kann Ihnen gern den Gefallen tun, sie hier vorzulesen. Wenigstens zwei will ich nennen, weil Sie das ja alles wissen. Insgesamt sind es über 15 Vorhaben.
Ich erwähne zum einen das Recht der Untersuchungshaft. Hier war uns die Einbringung des Gesetzentwurfs für 1989 versprochen. Es liegt nicht einmal ein Referentenentwurf vor.
Ich nenne zum anderen die Novellierung der Verwaltungsgerichtsordnung. Sie war für das vierte Quartal 1989 geplant. Auch hier hat die Regierung nichts vorgelegt. Schade — ich könnte in der Aufzählung fortfahren.
Ich möchte jetzt ausführen, welche Schwerpunkte wir für völlig unverzichtbar halten, welche Schwerpunkte wir im Rechtsausschuß noch angesprochen haben wollen, was unserer Auffassung und unserem



Frau Dr. Däubler-Gmelin
festen Willen nach noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag besprochen und, wenn es irgend geht, auch mit Ihrer Zustimmung verabschiedet werden sollte.
Ich werde die Frage, wie wir mit dem Datenschutz im Strafverfahren umgehen, heute nicht ausführlich aufgreifen, weil wir darüber schon gesprochen haben und, hoffentlich bald, an Hand eines Regierungsentwurfs beraten werden. Ich werde jetzt auch nicht, obwohl mir das Thema auf den Nägeln brennt, über Regelungen der Fortpflanzungsmedizin reden, weil ich hoffe, daß wir hier zu einer Übereinstimmung auch mit Ihnen, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, kommen; die Probleme drängen.
Ich will vier andere Punkte aufgreifen. Zunächst den Bereich Umwelt. Wissen Sie, Herr Bundesjustizminister, wenn Sie hier sagen, Sie laden die Opposition ein, sich Ihrem Kompromißvorschlag anzuschließen, dann ist das schon eine erstaunliche Feststellung. Sie wissen ganz genau: Der Streit geht seit Jahren darum, daß wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten darauf bestehen, dem Umweltschutz genau denselben Rang einzuräumen wie z. B. den Staatszielbestimmungen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Ihr Kompromißvorschlag tut genau das nicht. Er will bestenfalls eine Staatszielbestimmung zweiter Klasse.

(Marschewski [CDU/CSU]: Falsch!)

Da sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Hier müssen Sie sich bewegen; doch nicht deswegen, weil Sie damit der Opposition einen Gefallen tun — obwohl das richtig ist — , sondern weil Sie den Menschen bei uns nicht klarmachen können, warum Sie diese Unterschiede machen, warum Sie den Umweltschutz nur in Form zweitklassiger Staatszielbestimmungen im Grundgesetz verankern wollen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn, was Sie da sagen!)

Das können Sie auch den Menschen in der DDR nicht klarmachen, gerade weil auch dort dem Umweltschutz hohe Priorität eingeräumt werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Als zweites, meine Damen und Herren — und das haben Sie nicht erwähnt, Herr Bundesjustizminister — , nenne ich das Problem der Drogen. Diese Gefahr wird immer größer. Wir wissen ganz genau, wie viele Eltern Angst haben, daß auch ihre Kinder durch Drogen verleitet und gefährdet werden, daß diese Angst zunimmt. Wir wissen durch unsere tagtäglichen Gespräche auch, daß diese Eltern von uns Politikerinnen und Politikern erwarten — und sie sollten das zu Recht erwarten dürfen — , daß wir alle rechtsstaatlichen und vernünftigen und wirksamen Maßnahmen treffen, um die Drogenpest so gering wie möglich zu halten und sie so stark wie möglich zurückzudrängen. Da sind wir doch gemeinsam gefordert.
Sie, Herr Justizminister, und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, müssen sich auch bewegen, wenn es um die Frage der Geldwäsche geht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn Drogenhandel, diese spezifische Kriminalität, würde ohne Geldwäsche und ohne Banken nicht stattfinden können. Wer an den Drogenhandel heran will, national und international, muß deshalb an die Banken heran. Daß das nicht eine vereinzelte Privatmeinung ist, das wissen Sie doch auch.
Gerade gestern hat wieder ein hochrangiges Expertenkomitee in Europa getagt. Dort hat man gesagt: Selbstverständlich geht's genau um diesen Punkt. Bei den Banken muß angesetzt werden. Der französische Sprecher — die Tagung fand in Paris statt — hat als Beschluß dieser Konferenz verkündet, notfalls müsse das Bankgeheimnis aufgeweicht werden;

(Zustimmung der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

wenn die Banken auch nur einen leisen Verdacht auf Drogengeld hätten, müßten sie das der Staatsanwaltschaft melden; dann müsse eingegriffen werden.
Deswegen verlangen wir von Ihnen noch in dieser Legislaturperiode eine wirksame, eine griffige Vorschrift, in der Sie nicht wie bisher nur auf Freiwilligkeit setzen, in der Sie dem Druck der Banken nicht nachgeben, in der Sie das Bankgeheimnis nicht als heilige Kuh behandeln.
Wir verlangen von Ihnen auch eine Vorschrift, die europäisch abgestimmt ist, weil wir, wie gesagt, gerade hier die Zusammenarbeit über die Grenzen brauchen.
Als drittes, meine Damen und Herren, stelle ich die Frage: Wie wollen wir denn eigentlich in Zukunft mit dem Recht des nichtehelichen Kindes umgehen? In der Gesellschaft hat sich eine Menge verändert. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch diesen Fragen zuwenden.
Es gibt heute sehr viele alleinerziehende Mütter und nichteheliche Kinder. In den vergangenen Jahren zeigt sich eine neue Entwicklung, die ich nicht nur als Problem begreife, sondern als gesellschaftlichen Fortschritt: Immer mehr Väter, auch nichteheliche Väter, sagen: Wir möchten nicht nur Zahlväter sein; wir möchten uns ebenfalls um unsere Kinder kümmern können; wir möchten auch, daß das vielgerühmte Eltern-Kind-Verhältnis nicht nur Mutter-Kind-Verhältnis bedeutet, sondern daß es auch zwischen nichtehelichen Vätern und Kindern entwickelt werden kann.
Wenn das so ist, dann richte ich den Appell an Sie, Herr Bundesjustizminister, und auch an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, sich diesem gesellschaftlichen Wandel zu öffnen. Dann können Sie Ihren Vorschlag nicht länger vorlegen, der dem nichtehelichen Vater ein Besuchsrecht gibt, das auch gegen den Willen z. B. des Kindes oder der personensorgeberechtigten Mutter durchgesetzt werden kann. Das kann dann vielleicht ein kleiner Teil der notwendigen umfassenden Gesamtregelung sein.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie dem doch wenigstens mal zu!)

— Nein, Herr Hüsch, das sollte gerade Ihnen, wenn
Sie sich darüber Gedanken machen, doch auch einleuchten. Ideologische Verbohrtheit löst nichts, Pro-



Frau Dr. Däubler-Gmelin
blemkenntnis und Gespräche mit den Betroffenen zeigen den Weg. Sie werden feststellen: Ihre Regelung kann nicht einmal ein erster Schritt sein, weil hier die Gewichte falsch verteilt werden. Was wir brauchen, ist eine umfassende neue Regelung, die vom Kind ausgeht, die das Kind-Vater- und Kind-Mutter- und Kind-Eltern-Verhältnis bei Nichtehelichen neu ordnet.
Sie sollten insgesamt über die Hürde springen und für nichteheliche Väter die Möglichkeit zur Personensorge einräumen. Dann würde zusammen mit einigen anderen Dingen wirklich ein Schuh daraus. So ist Ihr Vorschlag bisher nur falsch, wird Widerstände hervorrufen und letztlich nichts bringen.
Als vierten Punkt, meine Damen und Herren, möchte ich etwas aufgreifen, was der Herr Bundesjustizminister ebenfalls aufgegriffen hat; es ist die Frage der Gewalt. Ich denke, wir sind hier völlig einig, wenn es um die Grundsatzfrage geht. Wer heute Interessen mit Gewalt austrägt, hat immer unrecht.
Gewalt in unserer Gesellschaft ist ein Übel. Gewalt in unserer Gesellschaft muß zurückgedrängt werden. Gewalt ist als politisch motivierte Gewalt und als individuelle Gewalt falsch, etwa Gewalt in Familien, auch wenn man in einigen Teilen dieses Hauses darüber nicht so gerne redet, weil das immer noch ein Tabu ist. Und, meine Damen und Herren, Gewalt ist eben auch schädlich — das ist auch eine Frage des Begriffs —,

(Marschewski [CDU/CSU]: Unsinn!)

wenn es sich um sogenannte strukturelle Gewalt handelt.
Alle drei Elemente sind wichtig, wenn wir Gewalt ablehnen: politisch motivierte Gewalt von einzelnen Gruppen, individuelle Gewalt, insbesondere in Familien, und die sogenannte strukturelle Gewalt.
Ich habe mich immer darüber geärgert, daß bei uns die Diskussion immer so einseitig auf die politisch motivierte individuelle oder von Gruppen ausgeübte Gewalt zugespitzt wird. Das ist falsch. Ausdruck dieses falschen Denkens ist Ihre nahezu automatische Sucht, z. B. das Demonstrationsrecht immer mehr einzuengen. Der Bundesjustizminister hat, als das Demonstrationsrecht gegen den Willen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das letzte Mal weiter eingeengt wurde, erklärt, das sei notwendig, weil das damals geltende Demonstrationsrecht durch politische Gewalttäter mißbraucht werde.
Das war der Vorwurf, den ich hier in Erinnerung rufen möchte. Die Regierung hat eine Gewaltkommission eingesetzt. Es gab einen Streit innerhalb der Regierung, und der Verdacht lag nahe, daß die einseitige Haltung der Regierung jetzt durch die Sachverständigen dieser Gewaltkommission gerechtfertigt werden sollte. Sie wurde zunächst entsprechend einseitig besetzt, und die drei Elemente des Gewaltbegriffs tauchten im Auftrag nicht auf. Gewalt wurde vielmehr auf einen wichtigen Teilbereich, den der politisch motivierten, individuellen Gewalt, konzentriert.
Jetzt liegt der Kommissionsbericht vor.
Und, Herr Bundesjustizminister, ich hätte erwartet, daß Sie, wenn Sie heute über Gewalt reden, wenigstens das herausgreifen, was diese Kommission, so einseitig beauftragt und ausgestattet, wie sie war, festgestellt hat. Sie traf doch eine ganze Reihe von hochinteressanten Feststellungen, die Ihnen Anlaß geben müßten, Ihre Auffassungen zu korrigieren.
Sie sagt eindeutig, erstens könne von wachsender politisch motivierter Gewalt keine Rede sein. Das sagen auch wir; das kann man überall nachprüfen. Das ist so.
Zweitens hat sie Sie damit widerlegt, weil Sie, Herr Bundesjustizminister, genau das zur Begründung des Demonstrationsrechts und seiner weiteren Einschränkung angeführt hatten.
Zum dritten sagt sie dann auch noch, daß es gerade für das Vermummungsverbot und andere Verschärfungen des Demonstrationsstrafrechts keine fachlichsachlichen Gründe, Notwendigkeiten oder gar Rechtfertigungen gebe.
Das sollten Sie wirklich aufgreifen. Es handelt sich doch um ihre Regierungskommission, die das vorlegt. Sie sollten das umsetzen, es sei denn, Sie möchten sich die ganze Zeit vorhalten lassen, das ganze sei „just for show" veranstaltet worden und werde nur dann zur Kenntnis genommen, wenn und soweit Ihre Vorurteile bestätigt werden.

(Marschewski [CDU/CSU]: Sie haben davon aber nur die Hälfte gelesen! Das ist nämlich nur die eine Seite!)

— Es geht gleich noch weiter, Herr Marschewski. Es kommt nämlich noch ein zweiter Punkt hinzu. Es ist ein wirklich interessantes Gutachten, übrigens auch die Kommentierungen dazu. Ich kann sie Ihnen nur zur Lektüre empfehlen.
Der zweite Punkt wird Ihnen noch viel weniger gefallen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sie greifen nur das heraus, was Ihnen gefällt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

Die Umsetzung der Punkte der Gewaltkommission, Herr Hirsch, wird Ihnen hoffentlich einiges zu tun geben — uns schon.

(Dr. Hirsch [FDP]: Das haben wir ja schon erklärt!)

— Sie sind ja so gut. Ich lobe Sie persönlich außerordentlich gerne. Wir brauchen Ihre Unterstützung, wenn es geht, nicht nur in Presseerklärungen, sondern durch Initiativen hier im Deutschen Bundestag, weil hier gesprungen wird.
Meine Damen und Herren, es geht mir auch um die Gewalt in der Familie. Hierzu werden im Bundestag schon seit längerer Zeit einige Punkte erörtert. Wie steht es denn nun eigentlich mit dem Regierungsentwurf zur Vergewaltigung in der Ehe? Wie wollen Sie denn mit Gewalt gegen Frauen umgehen? Das ist doch auch eine Frage des Strafrechts,

(Beifall bei der SPD)

eine Frage der Wertordnung unseres Rechts. Und was
tun Sie denn jetzt? Ich meine, Ihre Haltung ist wirklich
traurig. Sie haben beschlossen, nichts zu tun — gar



Frau Dr. Däubler-Gmelin
nichts — , und dann kommen Sie hierher, sagen, Sie täten etwas gegen Gewalt. Schade.
Schauen Sie sich bitte auch die Vorschläge an, die von der Kommission zur Streichung des elterlichen Züchtigungsrechts gegenüber Kindern gemacht werden. Das ist auch eine alte Forderung von uns. Die Argumente der Kommission gegen Gewalt sollten Sie sich noch einmal durchlesen. Die Feststellung, daß jemand im Erwachsenenalter um so eher geneigt ist, Gewalt auszuüben, wenn er oder sie als Kind Gewalt erfahren hat, die stimmt.

(Dr. de With [SPD]: Sehr richtig!)

Die haben Sie in diesem Kommissionsbericht noch einmal bestätigt bekommen. Ich habe den Eindruck, Sie sollten sich das genau anschauen.
Lassen Sie mich zu dem zweiten Problembereich kommen, der mir heute, Herr Bundesjustizminister, wenn ich offen sein darf, bei Ihnen gefehlt hat. Er umfaßt die Frage: Wie halten wir es denn eigentlich mit Europa? Denn nicht nur deutsch-deutsche Probleme stellen sich heute, auch Probleme der Einordnung der Bundesrepublik in Europa stehen auf der Tagesordnung, auch im Zuge des deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Wir alle sagen: Jawohl, wir möchten Europa. Wir wissen, Europa wird 1992 zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum. Da gibt es eine Menge Initiativen auch rechtspolitischer Art, auch aus dem Bundesjustizministerium, die wir — freilich wird man sich in dem einen oder anderen Fall auch streiten müssen — durchaus begrüßen.
Wir wollen auch, daß Europa zu einem Sozialraum zusammenwächst, mit sozialen Rechten für die Menschen, die da leben möchten und leben sollen. Da hapert es; da finden wir schon sehr viel weniger Initiativen der Bundesregierung.
Und wenn ich frage: Wie sieht es denn eigentlich mit dem Umweltrecht aus, das wir doch brauchen, worüber alle viel reden?, dann stellen wir fest, daß es sich zwar schon bis in die Reihen der Regierung herumgesprochen hat, daß Umweltschutz grenzenlos sein muß, weil der Smog und der Dreck an den Grenzen der Nationen nicht haltmachen. Aber bei der Abstimmung der geplanten Regelungen im Umweltstrafrecht, im Umwelthaftungsrecht und bei den Umweltgrundsätzen in Europa — Herr Marschewski, Sie gukken mich gerade so freundlich an,

(Marschewski [CDU/CSU]: Treu!)

Sie werden mir da zustimmen müssen — , da ist Fehlanzeige, Herr Bundesjustizminister. Hier hätte ich weigstens einige Grundsätze von Ihnen erwartet.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie wissen doch, daß wir nationale Alleingänge nicht mehr machen können! Sprechen Sie mal mit Ihren sozialistischen Freunden im Ausland!)

— Das tun wir, und ich lade Sie, Herr Laufs, ganz herzlich ein, an diesen Unterhaltungen teilzunehmen. Wir sind auch da viel besser als die CDU, viel besser als die Regierung. Ich meine aber, zu Selbstgerechtigkeit besteht hier grundsätzlich kein Anlaß. Deswegen bedanke ich mich ganz herzlich für diesen Zwischenruf bei Ihnen, weil Sie mir Gelegenheit gaben, auch dies sehr deutlich zu sagen. Meine Haltung ist vielmehr eine Aufforderung an unsere Bundesregierung und auch an den Bundestag.
Meine Damen und Herren, ich vermisse Initiativen des Bundesjustizministeriums und der Bundesregierung bei der Verankerung von einheitlichen Bürger- und Freiheitsrechten in der Europäischen Gemeinschaft. Auch hier geht es um das alte Problem: Wie verankern wir die Bürger- und Menschenrechte als verbindliches Gemeinschaftsrecht? Sie mögen sagen, das sei Ihnen nicht so wichtig. Ich sage Ihnen: Wir brauchen diese Bürgerrechte, wir brauchen in der Gemeinschaft verbindliche Freiheitsrechte, wir brauchen einheitliche Grundsätze, die das, was unser Grundgesetz in seinen wesentlichen Punkten festschreibt, aufnehmen, abgestimmt auch mit unseren europäischen Nachbarn und gemeinschaftsrechtlich beschlossen.
Vier Beispiele dafür:
Erstens. Wir reden über ein europäisches Flüchtlingsrecht und die Frage, wie wir in Europa mit Menschen umgehen, die von außerhalb Europas hierherkommen wollen, besuchsweise oder ständig. In der Bundesrepublik haben wir die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention, und wir haben unsere Grundsätze aus Art. 16 des Grundgesetzes, dem Asylgrundrecht und Art. 19 des Grundgesetzes, der Rechtsgewährungsgarantie. Wir brauchen, wenn die Grenzen fallen, aber europäische, gemeinschaftsrechtlich vergleichbare Grundsätze. Diese Initiativen erwarte ich nicht nur vom eigentlich zuständigen Ressortminister des Innern, sondern auch vom Justizminister, der ja als politischer Hüter, Wahrer, Durchsetzer unserer Verfassung tätig sein sollte.
Zweitens. Wir brauchen europäische Mindeststandards für den Rechtsschutz, und wir brauchen — drittens — auch ganz konkrete Regelungen. Wir beraten über die Fortpflanzungsmedizin im Bundestag. Das gehört zu der Frage, wie der Gesetzgeber mit den neuen technischen Möglichkeiten umgeht. Wir reden über Datenschutz im Zeitalter der elektronischen Medien — auch das gehört dazu. Wir wissen ganz genau, daß die Regelungsnotwendigkeit dieser Fragen an den Grenzen so wenig haltmachen kann wie Umweltschutz. Wir brauchen auch hier gemeinschaftsrechtliche oder wenigstens abgestimmte nationale Regelungen.
Herr Bundesjustizminister, ich will das unterstreichen. Wir wollen nicht, daß man uns, wenn wir in der Bundesrepublik Leihmutterschaft verbieten oder Samenspende unmöglich machen, immer wieder entgegenhält: Das hat keinen Wert. Wenn ihr das tut, dann gibt es doch nur neuen Medizin-Tourismus, dann gehen die Leute eben über die Grenzen; dort ist alles anders. Damit das nicht passiert — und heute ist das so — , muß in Euorpa, muß mit unseren Nachbarn noch viel gesprochen werden. Das bedeutet Rechtsangleichung, Abstimmung wenigstens in Grundsatzfragen, die für die Menschen ganz unmittelbar wichtig sind.
Der Appell, den ich an Sie richte, ist deshalb: Warten Sie nicht länger! Europa soll nicht nur ein Europa der Wirtschaft sein. Wir wollen ein Europa der Menschen, einen gemeinsamen Lebensraum, den wir selbst auch nach unseren Prinzipien ausgestalten wol-



Frau Dr. Däubler-Gmelin
len. Klar ist: Am deutschen Wesen muß die Welt nicht genesen, auch nicht Europa. Klar ist auch: Unser Grundgesetz darf nicht nur sonntags als „Sternstunde" bezeichnet werden. Es enthält vielmehr tragende Grundsätze, Grund- und Menschenrechte, die sich als verbindliche Grundlage für diesen europäischen Lebensraum, als gemeinschaftsrechtliche Freiheitsrechte für die Bürger, die darin wohnen, außerordentlich gut eignen.
Jetzt, Herr Bundesjustizminister, komme ich zu den Fragen, die Sie aus gutem Grund zu Ihrem Schwerpunkt gemacht haben: Wie geht es weiter in Deutschland? Sie haben eine Menge zu dem gesagt, was in der DDR war, und zu dem, was in der DDR heute ist. Ich stimme Ihnen vollständig zu. Ich glaube, keiner in diesem Hause würde Ihnen widersprechen: Die DDR der SED war das Gegenteil von einem Rechtsstaat.
Das einzige, was mich an Ihren Feststellungen geargert hat, war, daß Sie das ausschließlich auf die SED zugespitzt haben. Die SED war die führende Kraft, die eigentliche Macht. Wir wissen aber ebenso, daß es da eine Menge Blockparteien gab. Ich brauche sie jetzt nicht im einzelnen namentlich aufzuzählen. Diese Blockparteien haben lange Jahre hindurch, ja, die längste Zeit in der DDR-Geschichte, die Justizminister gestellt. Wenn Sie meinen, sagen zu sollen, es seien ausschließlich SED-Leute an allem schuld gewesen, und die allein seien der eigentliche Teufel, dann darf ich Sie an die Worte einer sehr klugen jungen Frau aus der DDR erinnern. Sie hat gesagt: Die Blockparteien sind 40 Jahre hinter der SED hergelaufen, und wenn die SED der Teufel war, dann riechen die heute auch noch nach Schwefel.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Zuruf von der FDP: Aber die SPD ist auch hinter der SED hergelaufen!)

— Ja, ja, ich weiß, Sie haben einfach keine andere Möglichkeit, als nur parteipolitisch zu polemisieren.

(Lachen bei der CDU/CSU — Marschewski [CDU/CSU]: Was machen Sie denn?)

Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht einmal mehr zugeben können, daß es in der DDR Blockparteien gab,

(Marschewski [CDU/CSU]: KPD plus SPD gleich SED! 1946 freiwillig!)

dann haben Sie keine Ahnung von der DDR. Ich weiß ja, Sie möchten gerne — jetzt darf ich den Namen nennen — mit der Ost-CDU zusammenarbeiten. Aber das wird Sie, meine Damen und Herren, doch nicht der Verantwortung entheben, feststellen zu müssen: Auch da muß sich noch eine Menge ändern, auch da müssen noch eine Menge Leute weg.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das geschieht doch!)

Auch an den rechtswidrigen Zuständen waren viele Leute der Blockparteien beteiligt. Deswegen darf ich Sie — und zwar dringlich — auffordern, Ihre parteipolitische Polemik zu unterlassen

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sie fangen doch damit an!)

und sich gemeinsam mit uns der Frage zuzuwenden,
wie wir die richtigen Konsequenzen aus den Folgen
der Revolution in der DDR ziehen können — auch bei uns.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119401000
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1119401100
Bitte schön, Herr Kollege.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1119401200
Frau Kollegin, was halten Sie in diesem Zusammenhang von einer in der DDR per Flugblatt verbreiteten Aufforderung der dortigen SPD an SED-Mitglieder, die SED zu verlassen und in die SPD einzutreten?

(Zuruf von der SPD: Nicht einzutreten! — Kraus [CDU/CSU]: „Was zusammengehört, muß zusammenwachsen! ")


Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1119401300
Lieber Herr Kollege, Sie wissen doch ganz genau, daß die SPD —

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Nicht einzutreten!)

— Schauen Sie, wenn mich der Herr Kollege fragt, würde ich eigentlich ganz gerne die Möglichkeit haben, seine Frage zu beantworten. Ich wäre Ihrem Kollegen gegenüber gerne höflich. Läßt sich das machen?
— Gut. Liebe Kollegen von der Union, Sie kennen den Beschluß der Sozialdemokraten, daß SED-Mitglieder mindestens ein Jahr warten müssen, bevor sie überhaupt aufgenommen werden.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Aber wieviel sind schon drin?)

— Ach, das wissen Sie doch auch. Da gibt es genügend autorisierte Mitteilungen. Ich kann Ihnen sagen: Es sind viel weniger als in der CDU-Ost, mit der Sie reden, wo alte Mitglieder aus SED-Blockzeiten noch drin sind.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Das sollten Sie sich wirklich einmal vor Augen führen, bevor Sie hier anfangen zu schimpfen. Sonst wird das alles sehr mühsam.
Jetzt, meine Damen und Herren, komme ich zu den deutsch-deutschen Rechtsproblemen zurück.

(Marschewski [CDU/CSU]: Das ist gut!)

Herr Justizminister, ich stimme Ihnen auch in einem 2. Punkt zu: Die DDR ist auch heute noch kein Rechtsstaat. Da muß sich noch vieles ändern.
Eines aber habe ich in Ihren Ausführungen vermißt. Eine Forderung, die Sie jetzt sofort erheben könnten, die auch in die Gespräche mit Ihren Freunden in der DDR eingehen müßte, eine Forderung, die Sie, meine Damen und Herren, an Stelle Ihrer parteipolitischen Polemik ernsthaft übernehmen sollten:

(Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch einmal damit auf!)

Es gibt in Bautzen noch viele politische Gefangene. Diese politischen Gefangenen sind nicht unter die Amnestie der letzten Wochen gefallen. Warum nicht? Weil sie früher nicht nur bis zu drei Jahren, sondern zu sehr viel längeren Freiheitsstrafen verurteilt wurden.



Frau Dr. Däubler-Gmelin
Schlimm. Ich denke, wir sollten hier gemeinsam die Forderung stellen: Diese politischen Gefangenen müssen entlassen werden, und zwar sofort.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Ich hätte eigentlich erwartet, daß dieser Vorschlag von Ihnen kommt, Herr Bundesjustizminister. Ich finde es ein bißchen traurig, daß das nicht so ist. Aber gut, betreiben wir es aus den Reihen des Parlaments heraus!
Drittens. Es muß sich eine Menge ändern, hauptsächlich nach dem 18. März — auch das ist keine Frage.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Vorher!)

Aber ja, meine Damen und Herren, was vorher geht, muß vorher geschehen. Möglichst viele der Belasteten, ja, wenn es nach uns geht, möglichst alle belasteten Richter sollten z. B. aus der Strafjustiz ausscheiden müssen. Wenn ich mir dann anschaue, wer heute stellvertretender Ministerpräsident der DDR ist und welche Verbindugen Sie, liebe Kollegen, zu ehemaligen Blockparteien haben, auch zur LDPD, Verbindungen, die ich durchaus begrüße, weil man sie ja auch vernünftig nutzen kann, dann bin ich der Meinung, daß gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union oder von der FDP, noch eine Menge an Möglichkeiten haben, an der schnellen Umgestaltung der DDR in einen Rechtsstaat mitzuwirken.
Was mir aber nicht gefällt, das ist

(Abg. Frau Unruh [fraktionslos] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— liebe Frau Kollegin, lassen Sie mich jetzt fortfahren, ich komme sonst in Zeitschwierigkeiten — dieser Anklang von Selbstgerechtigkeit, Herr Bundesjustizminister, der mitschwingt, wenn Sie die schrecklichen Zustände in der DDR mit den unseren vergleichen. Ja, wir haben eine gute Verfassung. Wir sagen das immer wieder. Das war eine Sternstunde, als sie beschlossen wurde. Wir sind stolz darauf. Aber ich sage Ihnen auch: Schwarze Flecken, unerfüllte Aufträge des Grundgesetzes, Problembereiche haben wir bei uns immer noch genügend.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Das sollte uns davon abhalten, mit dem Finger auf die da drüben zu zeigen.
Wenn Sie, Herr Bundesjustizminister, Art. 14 erwähnen, dann stimme ich Ihnen zu: Das ist eine hervorragende Vorschrift. Ich will aber dringend davor warnen, jetzt, wo es darum geht, die Lebensverhältnisse der Menschen in der DDR schnell und nachhaltig durch Investitionen zu verbessern, ausgerechnet auch noch eine Diskussion um die Frage zu beginnen: Gelten die Enteignungen, und wie ist das mit den Eigentumsverhältnissen?
Vor allem aber sage ich: Der Art. 14 gilt nicht nur für solche Fälle, sondern er gilt auch bei uns. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums gilt auch, wenn es um das soziale Mietrecht geht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Meine Damen und Herren von der Regierung und von den Regierungsparteien, Sie haben durch Ihre Veränderungen der Gesetze Löcher gerissen, die jetzt endlich wieder geschlossen werden müssen.
Lassen Sie mich noch drei weitere Punkte nennen, an denen wir Anstoß nehmen:
Wenn ich sehe, wie schwer sich die bundesdeutsche Justiz, jedenfalls in Teilen, tut, Urteile der Nazis als das zu bezeichnen, was sie sind, nämlich als Verbrechen, und sie aufzuheben — Stichwort nur: Behandlung des Altonaer Blutsonntags —, dann haben wir schon deshalb keinen Anlaß zu Arroganz.
Zweiter Punkt: Wenn der Herr Bundesverteidigungsminister ehemalige Offiziere der NVA geradezu ermutigt, bei der Bundeswehr Dienst zu tun,

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)

dann finde ich es geradezu grotesk, daß vor deutschen Gerichten immer noch Berufsverbotsprozesse gegen Postschaffner laufen, die in der DKP waren oder noch sind.

(Beifall bei der SPD)

Grotesk ist das, meine Damen und Herren.
Der dritte Punkt: Herr Bundesjustizminister, ich finde auch, Sie waren nicht ganz ehrlich, als Sie über die Erfassungsstelle Salzgitter sprachen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das ist Ihnen wohl unangenehm?)

— Nein, keineswegs. Sie wissen doch genau: Die Auflösung der Erfassungsstelle in Salzgitter hat auf die Verfolgung oder auch nur auf die Registrierung von Straftaten durch DDR-Bürger nicht den geringsten Einfluß. Beides würde, wenn es nicht in Salzgitter gemacht würde, selbstverständlich durch die Landesjustizverwaltungen betrieben, die dafür zuständig sind.
Ich sage Ihnen auch: Es ist unverantwortlich, jetzt zu sagen oder anzudeuten, wir könnten oder wollten den Datenbestand in Salzgitter jetzt an die DDR übergeben. Jetzt kommt das schon überhaupt nicht in Frage. Ich warne auch davor, das später zu tun, ohne vorher sehr sorgfältig zu prüfen, was Sie damit anrichten. Sind Sie wirklich anderer Meinung? Wäre die ungeprüfte Übergabe des gesamten Datenbestandes dorthin wirklich richtig? Ich bin der Meinung nicht, überhaupt nicht.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Hat er überhaupt nicht gesagt! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das hat keiner gefordert!)

Gut. Das würde schädliche Entwicklungen auslösen. Das würde das verhindern, was jetzt geschehen muß, nämlich stabilisieren, den Menschen helfen, die wirklich Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Wer jetzt eine Quasi-Entnazifizierungswelle anlaufen lassen wollte, würde alles noch viel unsteuerbarer machen, würde die revolutionären Prozesse in eine Richtung drängen, die niemandem nützt, dem Rechtsstaat



Frau Dr. Däubler-Gmelin
am allerwenigsten. Ich habe vermißt, Herr Bundesjustizminister, daß Sie uns sagen, wie Sie die Probleme anpacken und lösen wollen, die sich durch den millionenfachen Besucherverkehr hin und her bei uns aufgehäuft haben. Jetzt sind drei Monate seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ins Land gegangen. Lösungsvorschläge gibt es praktisch nicht. Wir sagen: Die brauchen wir. Das sind die Probleme, die immer mehr Menschen bei uns tagtäglich bedrängen: Verkehrsunfälle — mit ungeklärten Haftungsfragen — , Ladendiebstähle — wie wir hören, gibt es das ja leider —, andere Formen von Gesetzesverstößen. Hier, finde ich, wäre mehr, hier wären klare Aussagen des Bundesjustizministers vordringlich.
Auch die hohe Zahl von getrennten Familien und von Unterhaltsflüchtlingen macht immer mehr Probleme. Beim Suchdienst des Roten Kreuzes gibt es mittlerweile mehr als 20 000 Anfragen. Diesen 20 000 Menschen oder Familien muß vordringlich geholfen werden. Natürlich haben Sie recht, daß wir Verträge brauchen. Und die gibt es erst nach dem 18. März. Aber ich sage: Wir brauchen nicht für alles Verträge. Wenn Sie sich auf den Weg in die DDR machen und z. B. mit den politisch Verantwortlichen oder auch mit zuständigen Behörden, Familiengerichten und zuständigen Stellen vorläufige Absprachen treffen, dann hilft das auch. Es gibt Möglichkeiten des Meldeabgleichs und andere Hilfsmöglichkeiten. Da kann man schnell etwas tun. Das ist rechtsstaatlich auch nicht bedenklich, und den bedrängten Menschen wäre geholfen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Meine Damen und Herren, wie geht es weiter mit Deutschland? Das ist die Frage, die alle bewegt. Auch uns. Rechtsangleichung ist wichtig. Rechtsangleichung auch in Gefolge dessen, was wir jetzt sofort und zunächst tun müssen, um den Menschen in der DDR Hoffnung zu geben. Ich sehe drei Punkte, wo wir nicht reden, sondern handeln müssen, nicht irgendwann, sondern jetzt. Das ist die Wirtschafts- und Währungsunion, das ist die gemeinsame soziale Sicherung gerade auch der Menschen, die im Zuge der Umwandlungen in der DDR vor zunehmenden sozialen Problemen stehen, und das sind die Fragen der Umweltgemeinschaft. Meine Damen und Herren, Rechtsprobleme sind eigenständig wichtig, andere treten in bezug auf diese Fragen auf, sozusagen in dienender Funktion. Ich hätte mich gefreut, Herr Bundesjustizminister, wenn wir darüber mehr gehört hätten.
Wir setzen auf Hilfe und auf Einheit. Es muß zusammenwachsen, was zusammengehört. Theo Sommer hat vor einigen Tagen in der „Zeit" festgestellt, worum es jetzt geht:
Die Alternative lautet: Evolution oder Eruption. Vor ihr muß sich die Verantwortungsgemeinschaft der beiden deutschen Regierungen jetzt beweisen.
Ich finde, Theo Sommer hat recht. Auch wir sollten danach handeln.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119401400
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1119401500
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle haben erlebt, wie die Menschen nach dem 9. November aus dem anderen Teil Deutschlands zu uns herüberkamen, oftmals sympathisch zurückhaltend, fast schüchtern und bemerkenswert unsicher gegenüber der vermeintlichen Obrigkeit bei uns. Polizisten sehen und keine Angst haben, war für viele von ihnen ein völlig neues Gefühl. Die Einstellung der Menschen in der DDR zum Recht ist eine andere als bei uns. Wir wissen und sind es gewohnt, daß die Rechte jedes einzelnen Bürgers einklagbare und durchsetzbare Rechte sind. In einem totalitären Einparteiensystem stehen sie unter dem Willkürvorbehalt der Partei. Diese bestimmt, was geschieht, mag in den Gesetzblättern stehen, was da will.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, Sie haben uns gefragt, wie wir den Bürgern drüben erklären wollen, daß wir das Staatsziel Umweltschutz noch immer nicht in der Verfassung verankert haben. Es ist ja richtig: Die Verfassung der DDR enthält einen Umweltschutzartikel. Darin heißt es:
Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und sind darüber hinaus auch Sache jeden Bürgers.
Wenden wir uns also der drängenden Frage des Umweltrechts in Deutschland zu.
Wir in der Bundesrepublik Deutschland sind in der Vergangenheit immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, unser Umweltrecht könne einem Vergleich mit zahlreichen besseren DDR-Vorschriften, etwa auch den Emissionsgrenzwerten, nicht standhalten. Die tatsächlichen katastrophalen Zustände weiter Teile der Umwelt in der DDR sprechen aber diesen Bestimmungen Hohn. Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit klaffen weit auseinander. Die lebensverkürzende Luftverpestung in den Industriegebieten und die besorgniserregende Gewässerverschmutzung machen die Folgen einer Kommandowirtschaft sichtbar, in der Rechtsnormen die staatliche Gewalt nicht binden. In sozialistischen Planwirtschaften haben ökonomische Belange absoluten Vorrang vor dem Umweltschutz. Die umweltrechtliche Wende in der DDR setzt zuerst die Einführung einer sich gegenseitig kontrollierenden Arbeitsteilung zwischen staatlicher Aufsicht, Anlagenbetreibern und Rechtsprechung voraus. Rechtsstaatlichkeit und Soziale Marktwirtschaft sind die Grundlagen für die Sanierung der kaputten Umwelt in der DDR.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Übernahme unserer Umweltrechtsnormen in der DDR würde zur sofortigen Stillegung zahlreicher Kraftwerke, Chemieanlagen und schmutzwassereinleitender Betriebe führen, praktisch zum Stillstand der



Dr. Laufs
DDR-Wirtschaft. Das ist die Wahrheit, Frau Kollegin Däubler-Gmelin. Hier sind große Übergangszeiten der Rechtsangleichung erforderlich.
In unserem freiheitlichen Rechtsstaat ist es eine Aufgabe der Rechtspolitik, darüber zu wachen, daß das Recht wahrgenommen und durchgesetzt werden kann. Wir lehnen es deshalb ab, das Staatsziel Umweltschutz als bloßen Programmsatz in das Grundgesetz aufzunehmen. Es reicht, wenn die DDR-Verfassung nichts weiter als ein Stück Papier ist. Wir wollen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen als Gesetzgebungsauftrag ausgestalten.

(Häfner [GRÜNE]: Als Gesetzgebungsvorbehalt!)

Denn eine allgemeine Schutzbestimmung allein kann noch nichts für die Umwelt leisten. CDU/CSU und FDP werben um die Zustimmung der SPD zu dieser Verfassungsänderung. Wir sind entschlossen, den entsprechenden Gesetzentwurf bald einzubringen.

(Frau Unruh [fraktionslos] : Diese Doppelzüngigkeit!)

Meine Damen und Herren, Umweltschutz in beiden Teilen Deutschlands führt uns eindringlich die Frage nach dem Verhältnis von Umweltnutzen und Aufwand vor Augen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein Umweltschutzrecht entwickelt, das international hoch angesehen ist. Unser Recht der Gefahrenabwehr und der Umweltvorsorge beginnt jedoch an seine Grenzen zu stoßen. Wir haben der polizeilichen Generalklausel zur Abwehr von Umweltgefahren längst ein differenziertes System der Umweltvorsorge vorgelagert. Grenzwerte sind heute Vorsorgewerte, die sich weit von akuten Gefahren entfernt im sicheren Bereich befinden. In der Öffentlichkeit werden sie jedoch diskutiert, als sei unsere Gesundheit bei ihrer Überschreitung unmittelbar in Gefahr. Das ist nicht der Fall, weder bei den heutigen Smoggrenzwerten noch bei den Grenzwerten für unser Trinkwasser.
Die weitere Verschärfung dieser Vorsorgegrenzwerte — in der Regel nach dem Stand der Technik — ist losgelöst von der eigentlichen Zielsetzung, nämlich Schäden in der Umwelt und an der menschlichen Gesundheit zu verhindern. Die Normsetzung beruht auf Verdacht und nicht auf nachprüfbaren, nachvollziehbaren Kausalitäten. Die Minimierung von Restemissionen ist in einem weit vorgelagerten Bereich der Vorsorge im allgemeinen unverhältnismäßig; denn der Aufwand für Schadstoffrückhaltung, Vollzug und Kontrolle wächst sprunghaft an, während sich der Nutzen nicht mehr messen läßt.
Es kommt zunehmend zu Vollzugsdefiziten. Die Leistungsfähigkeit des umweltrechtlichen Auflageninstrumentariums ist heute nahezu erschöpft. Die Perfektionierung des Ordnungsrechts ist an einem Punkt angelangt, wo wir es im wesentlichen stehenlassen und wir uns einem ergänzenden Instrumentarium zuwenden können. Es handelt sich um marktlenkende Maßnahmen, die Anreize zur Vermeidung von Restverschmutzungen geben, aber gleichzeitig Entscheidungsfreiräume offenhalten. Es liegt nahe, die Anreize so auszugestalten, daß Entscheidungen in Wirtschaft und Kommunen auch zugunsten der Umweltsanierung im anderen Teil Deutschlands getroffen werden können. Statt der kostspieligen Vermeidung und Verminderung von Restverschmutzungen auf unserer Seite sollte die Abwehr akuter Gefahren und die Beseitigung von Primärschäden drüben möglich sein. Zinsverbilligte Kredite, steuerliche Erleichterungen und Kompensationsregelungen sind dafür denkbar.
Ein solches Vorgehen bietet sich bei der Reinhaltung der Elbe geradezu an. Mit einfachen, nur mechanischen Vorrichtungen der Abwasserreinigung kann man z. B. in Dresden mehr Schadstoffe aus der Elbe fernhalten, als dies in Hamburg durch Rückführung der Einleitungen auf Null mit astronomischem Mitteleinsatz überhaupt möglich wäre. Wir werden Umweltschutzmaßnahmen in der DDR, die unsere Luft, unsere Böden und die Gewässer mit entlasten, dort nachhaltig fördern müssen, wo sie mit relativ geringem Aufwand maximalen Nutzen bringen.
Ein fortschrittliches Umweltrecht stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir erkennen neuartige Schadbilder in der Natur, die unserem Rechtssystem nicht ohne weiteres zugänglich sind. Ich nenne die Ökoschäden, die neuartigen Waldschäden, die Summations- und Distanzschäden sind, sowie die besorgniserregende Veränderung der Erdatmosphäre, das Ozon- und das Treibhausproblem.
Ich muß sagen: Die Veränderung des Weltklimas durch die schleichende Anreicherung der Erdatmosphäre mit Kohlendioxid und anderen Spurengasen eröffnet eine völlig neue Dimension der Umweltpolitik. Wer ist der Beklagte, wenn eine dramatische Entwicklung von Schäden einsetzt, die vom globalen Zusammenwirken vieler Verschmutzungsquellen über lange Zeiträume verursacht ist? Ich denke an die Verlagerung der Trockengürtel der Erde und an die Höhe des Meeresspiegels.
Auch wenn unser nationaler Anteil nur sehr klein ist: Die Bundesrepublik hat wie andere Industrienationen eine besondere Verantwortung, global wirksame Problemlösungen vorzubereiten. Über international zugeteilte Emissionsmengen, die auf nationaler Ebene in Zertifikate gestückelt werden, könnte die Schadstofffreisetzung begrenzt und langfristig zurückgeführt werden. Aus supranationalen Fonds könnten wirtschaftliche Nachteile zwischen den Regionen ausgeglichen werden. Dabei kann es nicht um die Wiederherstellung irgendwelcher historischer Zustände der Natur gehen, sondern allein um die Abmilderung einer in der Erdgeschichte beispiellosen Entwicklung. Vorsorgendes Umweltrecht setzt hier einen Weltkonsens voraus, den herbeizuführen eine große Aufgabe ist, der wir uns stellen müssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119401600
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119401700
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor noch ziemlich kurzer Zeit die erste erfolgreiche und zudem noch friedliche und demokratische Revolution der deutschen Geschichte erlebt. Reden wir sie nicht gleich wieder tot, vereinnahmen wir sie nicht sofort wieder



Häfner
für unsere Zwecke, sondern halten wir erst einmal einen Moment inne und geben wir unserer Begeisterung und unserer Bewunderung Ausdruck!
Die Menschen in der DDR haben sich erhoben, sie haben sich aufgelehnt gegen eine totalitäre, entmenschlichte Rechtsordnung. Gegen einen Staat, der das freie Sprechen und Denken unterdrückt, verfolgt, mit Terror, Abschieben und Einsperren bestraft, gegen einen Staat, dem jedes freie Wort, jede freie Initiative, jeder freie Mensch verdächtig und als Störung erscheint, weil er selbst nur auf einer verordneten Ideologie und allen Abstufungen feinen und groben Zwanges basiert, gegen einen Staat, der seine Bürger systematisch belügt und sich nur mit der Hilfe Hunderttausender bewaffneter Agenten vor ihnen schützen kann — gegen diesen Staat haben die Bürgerinnen und Bürger in der DDR gewonnen. Sie hatten genug von der totalitären Bevormundung und nahmen ihre Geschicke selbst in die Hand.
Zur Demo zu gehen, wenn die Obrigkeit es verboten hat, daran festzuhalten auch dann, wenn die ganze Stadt voller Gerüchte über große und bewaffnete Polizei- und Militäreinheiten ist, wenn offen vom behördlichen Plan der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstration die Rede ist, weiterzugehen, wenn am Ende der Straße die Panzer stehen und niemand weiß, ob er die nächsten Minuten und Stunden überleben wird, dazu gehört unglaublicher Mut. Ein Mut, den viele von uns nicht mehr oder noch nicht haben, und eine Solidarität, die in unserer Gesellschaft, wo sich jeder nur noch für sich und kaum noch jemand für die Gemeinschaft interessiert, schon längst aus der Mode ist. Davon können auch wir noch sehr viel lernen.
Es stört mich, wenn immer so getan wird, als hätte nur die DDR zu lernen, als wäre bei uns alles vorbildlich. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos] — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP] : Aber relativ gut ist es schon!)

Trotzdem wird immer so getan — übrigens auch, sehr verehrter Herr Minister Engelhard, in Ihren Ausführungen heute morgen — , als wäre solches Lernen nur einseitig möglich und nötig.
Wie wird es nun mit dieser so großartigen, gewaltfreien Revolution weitergehen? Die Begeisterung der ersten Tage und Wochen, der Freudentaumel sind vielerorts einer Stimmung der Betretenheit, der Hilflosigkeit, auch der Melancholie gewichen. Die Revolution ist ins Stocken geraten. Es bestand und besteht noch immer die historische Chance, nach dem Sieg gegen die alte Ordnung das gesamte kulturelle, wirtschaftliche und staatlich-politische Leben nach dem Willen der Menschen auf eine neue Grundlage zu stellen. Doch hierauf war niemand vorbereitet.
Hatte der Kampf gegen den Feind die vielen einzelnen, Initiativen und Gruppen zusammengeschweißt, so trieb sie die Suche nach einem neuen eigenen Weg wieder auseinander. Es gab keine vorbereiteten Ideen und Konzepte. Die nahezu perfekte Überwachung vor der Revolution hatte hierfür schlicht keinen Raum gelassen. Vergessen wir nicht: Nicht erst seit dem Ende der 40er Jahre, sondern schon seit 1933 gab es auf
dem Gebiet der heutigen DDR praktisch keine freie Information und Diskussion, keine Demokratie. Die Menschen dort empfinden diesen Mangel an Ideen, Fähigkeiten und Erfahrungen für eine Gestaltung dieses Landes aus eigenen Kräften. Die Empfindung dieses Mangels erzeugt ein Vakuum, erzeugt fast einen Sog, und dieser Sog wird verschlimmert durch gewaltigen Druck von hier. Die Menschen dort bräuchten Zeit, bräuchten Raum, der ihnen nun nicht mehr gelassen wird, für die Diskussion um die Erneuerung ihrer Gesellschaft.
Die fürsorgliche Invasion von Ideen, Personen und Programmen aus dem Westen ist meist gerade nicht das, was gebraucht wird: selbstlose Unterstützung und Hilfe, Hilfe, die keine Forderungen stellt. Im Gegenteil: westdeutsche Parteien reisen dort herum und formen die Ostparteien nach ihrem Wunsch und Bilde. Westdeutsche Vertreter von Industrie und Handel diktieren der DDR-Regierung im Duett mit der Bundesregierung schon einmal, welche Gesetze sie brauchen, um in der DDR zu investieren und ihre dort erzielten Gewinne wieder hierher transferieren zu können. Solange der Gewinntransfer und damit einhergehend der Ausverkauf dieser wirtschaftlich ohnehin extrem angeschlagenen Republik nicht gesichert ist, warten sie, die hierzulande ihre unglaublichen Einkommenszuwächse — ich erinnere nur an die Zahlen des letzten Jahres, die diese Woche veröffentlicht wurden — immer mit ihrem hohen unternehmerischen Risiko entschuldigen, erst einmal ab.
Längst schon hat faktisch eine geistige, politische und ökonomische Kolonialisierung der DDR eingesetzt. Aus der Parole „Deutschland einig Vaterland" ist „Deutschland eilig Vaterland" geworden. Sie alle aber wissen, daß eine vorschnelle und übereilte Entwicklung hin zu einem gemeinsamen Bundesstaat nicht nur jede eigenständige Entwicklung der DDR verhindert, sondern die Menschen ökonomisch und politisch an die Wand drückt. Diese Menschen hatten nie die Chance, selbst zu entscheiden. Sie sollen sie wenigstens jetzt haben.
Der Versuch, eine Mauer gegen die Begegnung der Menschen und selbst gegen den freien Austausch von Ideen zu errichten, war nicht nur feige, sondern auch unmenschlich, barbarisch und mußte scheitern. Die Menschen in der DDR brauchen jetzt die Chance, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden.
Ich bin dafür, sie jetzt entscheiden zu lassen. Ich bin für einen Volksentscheid über die Frage der Vereinigung oder des zukünftigen Verhältnisses der beiden deutschen Staaten. Das kann aber keine einseitige Entscheidung sein, sondern die Menschen in Ost und West sollen hierüber während eines ausreichenden Zeitraums das Pro und das Contra diskutieren und am Ende frei entscheiden können. Zur Abstimmung darf dabei nicht nur die Frage „Wiedervereinigung — ja oder nein?" gestellt werden, wobei sowohl die Frage als auch das Wort „Wieder-" schon höchst problematisch und falsch ist, sondern zur Abstimmung müssen die verschiedenen Alternativen, angefangen von konföderativen Strukturen, wie sie Helmut Kohl einmal hier im Bundestag vorgeschlagen hatte, über eine Konföderation der beiden Staaten bis hin zu ihrer Vereinigung, stehen.



Häfner
Es kann auch kein bloßer Anschluß sein. Wenn die Einheit zustandekommt, dann muß es ein Zusammengehen auf gleicher Grundlage sein, keine Übernahme, sondern ein Zusammengehen, bei dem beide etwas einzubringen haben, die einen mehr, die anderen weniger.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119401800
Herr Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119401900
Immer gerne.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1119402000
Herr Kollege Häfner, ist Ihnen nicht die Bestimmung des Art. 23 des Grundgesetzes bekannt, wonach die DDR durch einseitige Erklärung ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland erklären könnte, und ist Ihnen weiter nicht bekannt, daß demnach die Frage: „Wollen wir sie reinlassen?" nur im rheinischen Karneval zulässig ist?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119402100
Herr Kollege, die Bestimmung des Art. 23 ist mir selbstverständlich bekannt. Nur — und das hätten Sie meinen Ausführungen entnehmen können, wenn Sie mich recht hätten verstehen wollen — :

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das wollte er nun wirklich nicht, der Herr Irmer! Er ist sonst so nett!)

Ich halte diese Bestimmung für die ungeeignetste, um ein tatsächliches Zusammengehen, zu verwirklichen. Ich sprach doch gerade davon, daß ich keinen Anschluß, keine Übernahme will, sondern ein gleichberechtigtes und demokratisches Zusammengehen. Sie und auch der Herr Justizminister wissen zur Genüge, welche rechtlichen Probleme sich bei einem solchen Zusammengehen stellen. Das ist keine Sache, bei der man von einem Tag auf den anderen sagen kann: Jetzt ist alles Eins, jetzt gilt die Rechtsordnung der Bundesrepublik praktisch übergangslos in der DDR. Da muß noch sehr vieles besprochen und verhandelt werden. Deshalb bin ich nicht für einen Weg über Art. 23 unseres Grundgesetzes. Meines Erachtens ist vielmehr eine Abstimmung auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 2 erforderlich, die in der Folge eine verfassungsgebende Versammlung in Kraft setzen kann, die das Nötige ausarbeitet.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Was hat er nur gegen den rheinischen Karneval?)

Und vor allem: Ich habe — das ist ja damit schon deutlich geworden — eine andere Vision von einem geeinten Deuschland als Sie, wenn es dazu kommen sollte: eben nicht die Vision einer Annektion oder Übernahme von hieraus. Ich möchte vielmehr, daß die besten Ideen von beiden Seiten, von den Menschen hier wie dort, zusammenkommen und daß die Chance genutzt wird, auch hier bei uns vieles zu verändern. Dies betrifft nicht nur den Bereich der Entmilitarisierung, die ich geradezu für eine Voraussetzung eines solchen Prozesses halte; denn wenn man das Wagnis eingehen möchte, hier wieder einen großen Bundesstaat — den Begriff Nationalstaat vermeide ich ganz bewußt — zu gestalten, dann kann das nur möglich sein, wenn für alle unsere Nachbarn klar ist, daß von diesem Staat keine Bedrohung ausgehen kann für keinen unserer Nachbarn.
Auch in anderen Bereichen ist ein Umdenken, ein neues Denken erforderlich:
Zum Beispiel haben wir hier im Westen eine Rechtsordnung, die fast ausschließlich auf das Eigentum und seinen Schutz aufgebaut ist. Was nicht Eigentum ist, ist rechtlich so gut wie nicht existent.
Ich möchte als Beispiel die Robben anführen, die zu Hunderten, zu Tausenden in der Nordsee gestorben sind: vergiftet durch Einleitungen unserer Abwässer und insbesondere unserer Industrie. Rechtlich gesehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist hier ja noch nicht einmal ein Schaden entstanden. Kein Mensch kann einen Schaden vor Gericht einklagen, weil die Robben niemandem gehören. Und wo kein Geschädigter ist, da anerkennt unser Recht auch keinen Schaden. So sieht es gegenwärtig aus. Die Natur hat in diesem Lande selbstverständlich kein eigenes Recht. Das haben die Umweltverbände BUND, BBU, Greenpeace usw. mit ihrem Versuch einer Klage im Namen der Robben deutlich erfahren.
Auch gegen Autobahnen, gegen Atomkraftwerke, gegen andere umweltzerstörende Projekte kann bei uns nur klagen, wer nachweislich in seinem Eigentum oder in seinem Leben bzw. seiner Gesundheit beeinträchtigt wird, etwa der Nachbar, der eine Wertminderung seiner Pension, die dort steht, geltend machen kann. Aber den Verlust der Schönheit und der Erholungsfunktion des Waldes, die Verschmutzung der Luft, den Verlust eines Gebietes, wo bislang Kinder gespielt haben, all das kann niemand einklagen; das ist rechtlich nicht existent.
Dies sind Einseitigkeiten und Versäumnisse unserer Rechtspolitik. Ich weiß, daß es schwerfällt, hier neu zu denken, aber es ist nötig.
Wir müssen also unseren Eigentumsbegriff differenzieren und wir müssen unser Umweltrecht fortentwickeln. Es gibt z. B. noch immer kein Verbandsklagerecht. Daß Robben vor Gericht nicht klagen können, ist klar. Aber es gibt noch nicht einmal jemanden, der in ihrem Namen auftreten kann, etwa die Umweltverbände und Bürgerinitiativen, die diese Interessen zu schützen angetreten sich zur Aufgabe machen.
Der Gesetzesentwurf der GRÜNEN zur Verbandsklage wurde im Deutschen Bundestag, obwohl er schon ganz zu Beginn dieser Legislaturperiode eingebracht worden ist, noch nicht einmal diskutiert. Die Ausschußmehrheit hat es abgelehnt, hierzu überhaupt eine Anhörung durchzuführen; dasselbe Schicksal erlitt übrigens der Gesetzesentwurf der GRÜNEN zum Akteneinsichtsrecht. Die EG-Richtlinie zum Akteineinsichtsrecht wurde in diesem Parlament sogar ohne Debatte „beerdigt".
Oder die Umwelthaftung: Hier liegt seit langem ein Gesetzesentwurf der GRÜNEN vor, der die Abkehr von der Verschuldenshaftung, die Beweislastumkehr und eine praktikable und dringend erforderliche Regelung vor allem für die Summationsschäden vorsieht. Bis heute gab es hierüber noch keine Beratung.
Jetzt haben wir gehört, daß die Regierung einen Entwurf vorlegen will; Presseerklärungen dieser Art gab es ja schon viele. Es ist eine Anhörung noch vor dem DDR-Wahltermin angekündigt worden, und zwar bewußt mit diesem Termin als Begründung.



Häfner
Diese Anhörung ist angesetzt worden, ohne daß überhaupt ein Entwurf hier im Hause vorliegt. Das nenne ich ein eigenartiges Vorgehen, das nenne ich unseriös! Das ist Politik mit Worten, nicht mit Taten — wie übrigens auch, sehr verehrter Herr Justizminister, Ihr Gerede vom „Umweltschutz ins Grundgesetz". Auch das war und ist eine Seifenblase: Sie glänzt nach außen herrlich, und wenn man sie anfaßt, ist nichts mehr da, weil ja von vorneherein nur Luft dahinter war. Bis heute ist nichts passiert, obwohl Sie das als Ihr großes rechtspolitisches Vorhaben auch in die Koalitionsvereinbarung eingebracht und immer wieder angekündigt haben. Inzwischen wurde Ihnen sogar die Federführung hierfür aus der Hand genommen, wie wir im Bundestag staunend erfahren mußten.
Deshalb ist auch Ihr hilfeheischender Appell heute morgen an die SPD für Ihren völlig ungenügenden, meines Erachtens geradezu peinlichen Entwurf völlig unangebracht, mit dem nämlich die Umwelt nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Lebensgrundlage des Menschen geschützt werden und das vorgesehene Staatsziel als ein Staatsziel minderen Ranges gegenüber allen anderen Staatszielen, die das Grundgesetz kennt, formuliert werden soll. Die Umwelt wird dadurch eher abgewertet. Wir haben Vergleichbares übrigens in der bayerischen Verfassung. Und jeder, der wie ich aus Bayern kommt, kann bestätigen, wieviel das gebracht hat oder bringt: nämlich gar nichts. Ich halte das eher für peinlich. Das ist eine „Vermeidungspolitik", es bringt der Umwelt und den Menschen nichts.
In der DDR haben die Menschen die Akten der Staatssicherheit sichergestellt, und sie haben sie durchgeforscht. In Ungarn wird ein Akteneinsichtsrecht gesetzlich normiert. In den USA ist es seit langem selbstverständlich; in der Bundesrepublik dagegen noch immer undenkbar.
Wir wollen nicht die gläsernen Bürger, aber wir wollen eine gläserne Verwaltung.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Unruh [fraktionslos]: So ist es!)

Unsere Verwaltung, das sind im demokratischen Staat nicht sozusagen unsere Vorgesetzten, sondern das ist „unsere Verwaltung", sie ist für uns und in unserem Auftrag tätig. Es muß vor allem im Umweltbereich — z. B. bei Wasserbüchern — die Möglichkeit geben, dort hineinzuschauen und festzustellen, was genehmigt ist, welche Auflagen bestehen usw.; all dieses ist dringend nötig und längst überfällig.
Auch hier ist es so, daß eine Anhörung zu unserem Gesetzentwurf, den wir bereits zu Anfang der Legislaturperiode eingebracht haben, endgültig verweigert wurde. Noch nicht einmal die SPD hat sich dazu durchringen können, hierzu gemeinsam mit uns eine Anhörung zu beantragen; sonst hätten wir nämlich das Quorum erfüllt, um die Anhörung auch ohne Ihre Zustimmung durchführen zu können.

(Frau Unruh [fraktionslos]: Schade!)

Damit bin ich bei einem weiteren Thema, nämlich bei der Frage der Demokratie selbst. „Wir sind das Volk" , haben die Menschen in der DDR gerufen. Ich
frage Sie und mich: Wer ist denn hier eigentlich das Volk?

(Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig!)

Das Volk darf hier alle vier Jahre seine Stimme im doppelten Wortsinn „abgeben". Dieter Hildebrandt hat darauf aufmerksam gemacht, daß es dafür so eine merkwürdige Bestattungssprache gibt: Man nimmt einen Zettel ... macht ein Kreuz ... wirft den Zettel in die Urne. Die Urne ist meistens noch schwarz, zu allem Unglück. Dann entmaterialisiert sich das irgendwie. Man kann das nicht mehr genau verfolgen. Hinterher werden alle möglichen politischen Beschlüsse mit dem Hinweis darauf getroffen, die Menschen hätten mit ihrer Wahlentscheidung genau dieses gewollt. Z. B. die Nachrüstung:

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Aber so sind Sie an den Platz geraten, an dem Sie jetzt stehen!)

Helmut Kohl hat damals gesagt, er habe durch die Bundestagswahl den Auftrag zur Nachrüstung erhalten. — Pustekuchen! Die Menschen hatten niemals die Chance, über die Frage der Nachrüstung selbst zu entscheiden. Sie haben diesen Kanzler wohl eher aus ganz anderen Gründen gewählt; denn den Umfragen zufolge waren damals 70 % der Menschen gegen die Nachrüstung.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Aber sie haben ihn gewählt!)

Wir haben also noch immer keine Beteiligung des Volkes an politischen Sachentscheidungen, kein Volksbegehren, keinen Volksentscheid, obwohl das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 hierzu einen klaren Auftrag erteilt. Statt dessen haben wir eine gigantische Machtfülle der politischen Parteien.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119402200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng?

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1119402300
Herr Kollege, folgen Sie mir in der Auffassung, daß es ein eigenartiges Staatsverständnis ist, wenn Sie hier äußern, daß sich die Mitwirkungsmöglichkeit des Bürgers im demokratischen Staat auf die Beteiligung an der Wahl beschränkt; ist es nicht etwas eigenartig, wenn man bei freien Wahlen in der Weise, wie sie hier stattfinden, auf Grund technischer Abwicklungen, die Sie vielleicht lieber anders sehen möchten — obwohl ich noch nicht gehört habe, daß die GRÜNEN bunte Wahlurnen gefordert hätten — und die einem selbst nicht gefallen, eine Negativdarstellung des Wahlablaufes gibt? Halten Sie das nicht für ein eigenartiges Verständnis von Demokratie?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119402400
Im letzten Punkt haben Sie mich mißverstanden. Ich habe die Farbe der Urne nur aphoristisch erwähnt; das halte ich nicht für das Wesentliche des Vorgangs.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Das hat er nicht verstanden, oder er weiß es nicht!)

Schauen Sie, Sie sprechen mich auf die Frage an, ob es weitere Mitwirkungsmöglichkeiten gibt. Ich glaube, wir müssen unterscheiden zwischen der Tatsache, daß man tatsächlich in fast allen Bereichen — das gilt in



Häfner
politischen Parteien, in Bürgerinitiativen usw. — seine Meinung frei äußern und mitarbeiten kann. Aber etwas ganz anderes sind die politischen Entscheidungen. Das Entscheidungsrecht ist in der Bundesrepublik gegenwärtig so geregelt, daß ausschließlich die Parlamente — ich halte Parlamentsentscheidungen für etwas Notwendiges und Richtiges — , bzw. die Regierungen, aber nicht das Volk in den Sachfragen selbst entscheiden kann. Wir haben solche Regelungen dagegen in der Schweiz, in Österreich, in Italien, in Frankreich, wir haben sie in den Vereinigten Staaten, in Neuseeland, Australien usw. ;

(Dr. Hirsch [FDP]: Wir haben sie in jedem Bundesland und in jeder Gemeinde!)

— wir haben sie in sieben von elf Bundesländern, also nicht in jedem Bundesland, Herr Hirsch, und auch nicht in jeder Gemeinde, sondern nur in den Gemeinden von Baden-Württemberg. Das können wir alles nachher besprechen. Ich kann Ihnen das gerne erzählen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Wie oft haben die GRÜNEN davon Gebrauch gemacht? Wir haben sie nicht auf Bundesebene!)

Herr Hirsch, Sie wissen, daß gerade die Punkte, die ich angesprochen habe, also Nachrüstung, Atomprogramm usw. alles Fragen sind, die sich in Bundeszuständigkeit befinden, aber nicht in kommunaler Zuständigkeit und nicht in der Zuständigkeit der Länder.

(Dr. Hirsch [FDP]: Gott sei Dank, sonst würde über jedes Wasserwerk abgestimmt!)

Ich möchte, wenn Sie erlauben, zu meinem ursprünglichen Gedanken zurückkommen. Die Parteien in unserem Lande haben es verstanden, sich eine Machtfülle anzueignen, die über ihren Verfassungsauftrag, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, weit hinausgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Krakenartig durchsetzen sie das öffentliche und politische Leben und bestimmen es auch noch in Gebieten, die meines Erachtens mit Parteipolitik nichts, aber auch gar nichts zu tun haben dürfen. Das gilt etwa für die Besetzung von öffentlichen Ämtern in sehr vielen Bereichen, übrigens auch von Vorstandsämtern, Aufsichtsratsämtern bei öffentlichen, halböffentlichen und zum Teil auch privaten Unternehmen; das gilt für Rundfunk- und Fernsehräte und vieles, vieles andere. Sie haben sich eine Selbstbedienungsmentalität angemaßt, die nicht nur ihnen selbst, sondern auch dem Ansehen und der Funktion der Demokratie und des Gemeinwesens im ganzen schadet.
Ich glaube, daß es nach den Alarmsignalen der Flick- und — wen soll ich noch alles nennen? — , der Lambsdorff- und Friderichs-, aber auch der BarschelAffäre dringend notwendig ist, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Macht der politischen Parteien zu beschneiden, nicht zu brechen, sondern zu beschränken auf den Bereich, wo Parteien notwendig sind und hingehören, um Ämterpatronage einzudämmen, um die Besetzung von Rundfunk- und Fernsehräten anders als so zu regeln, daß die Parteien dort
faktisch die Macht ausüben und um das Wahlrecht so zu ändern, daß die Bürgerinnen und Bürger mehr Einfluß auf die Besetzung der Parlamente haben und nicht die vorgegebenen Listen der Parteien unverändert übernehmen müssen. Ebenso sollten wir eine Parlamentsreform nicht so halbherzig angehen, wie wir das gegenwärtig bestenfalls tun, sondern ernsthaft eine Reform in Angriff nehmen, die die Eigenständigkeit des Parlamentes gegenüber der Regierung stärkt und dazu führt, daß sich das Parlament nicht mehr bloß als Notariat und Fußtruppe seiner Regierung begreift, sondern daß es endlich einmal seinem Verfassungsauftrag gerecht wird, die Regierung kontrolliert und selbständige Gesetzgebungsarbeit leistet.
Herr Minister Engelhard, ich möchte noch ein etwas trauriges Thema ansprechen. Wenn es zutrifft, was ich in den letzten Tagen lesen und hören mußte, daß der BND — und wohl auch noch andere Sicherheitsbehörden und -dienste — ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes übernimmt und sich deren in jahrzehntelanger Ausforschung und Kontrolle der eigenen Bevölkerung erworbene Qualifikation begeistert zunutze macht, dann ist das genau die Art von Einigkeit, die wir nicht wollen, vor der wir uns auch immer gefürchtet haben. Ich fordere Sie, Herr Minister Engelhard, und Ihren Kollegen Schäuble auf, dafür Sorge zu tragen, daß kein Ex-Mitarbeiter dieser gigantischen Spitzelorganisation bei den Diensten, den Sicherheitsbehörden oder den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beschäftigt wird. Wir sollten diesen Menschen Gelegenheit geben, sich in einen neuen Beruf einzuarbeiten und nicht den alten unter einem neuen Dienstherrn fortzusetzen.
Ich meine übrigens, wir brauchen überhaupt keine Schnüffler und Spitzel in der Demokratie. Demokratie und auch unsere Verfassung lebt vom freien Austausch und Streit politischer Meinungen und am Ende von der Entscheidung der Mehrheit über das, was gelten soll. Der Verfassungsschutz hat der Verfassung immer mehr geschadet als genutzt. Wenn es einen wirksamen Verfassungsschutz in unserem Lande gibt, dann sind das ausschließlich die Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren, die eingreifen, die kritisch sind, dann ist es die Bevölkerung selbst.
Ein letzter Gedanke. Sie haben eine Kommission zur Erforschung der Ursachen der Gewalt eingerichtet. Diese Gewalt-Kommission hat nur Gewalt gegen den Staat untersucht, aber nicht Gewalt von seiten des Staates. Es ist für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande nicht zu verstehen, daß beispielsweise das friedliche Sitzen vor einer Kaserne Gewalt sein soll, während Tiefflugterror oder die Tötung der Robben keine Gewalt ist und auch nicht als solche verfolgt wird.

(Sehr richtig! bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Herr Minister Engelhard, Sie sehen, wir haben auf rechtspolitischem Gebiet noch vieles zu tun und überhaupt keinen Anlaß, hier anmaßend oder mit der Behauptung aufzutreten, es sei erfolgreich Rechtspolitik betrieben worden. Ich hoffe, daß auch in der Bundesrepublik bald eine andere Politik möglich wird, die mehr Demokratie und eine konsequente Fortentwick-



Häfner
lung der demokratischen und gesellschaftlichen Ordnung im Hinblick auf die großen Herausforderungen unserer Zeit ermöglicht.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119402500
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1119402600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Natürlich besteht keine Veranlassung zur Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit über die Verhältnisse hier in der Bundesrepublik, wenn wir uns Gedanken machen, daß die Verhältnisse in der DDR in mehrerer Hinsicht nun allerdings deutlich weniger rechtsstaatlich, deutlich weniger geordnet sind, als man das mindestens hoffen kann. Das Entscheidende seit dem 9. November ist, daß die Menschen dort ihre individuelle Entscheidungskraft wiedergefunden haben, daß der Wille des Invidiuums wieder zählt und in seiner Addition, auf welchem technischen Wege auch immer, Herr Häfner, dazu führt, daß der einzelne sein Schicksal so weitgehend bestimmen kann, wie das mit Rücksicht auf die entsprechenden Interessen aller anderen nur möglich ist. Das ist der ganz entscheidende Fortschritt, der dort eingetreten ist, für uns alle überraschend, nach so langer Zeit eigentlich kaum noch erhofft. Das ist auch das, glaube ich — um hier eine sehr grundsätzliche Rechtsfrage anzusprechen — , was wohl alle Viermächtevorbehalte, alle Friedensvertragsvorbehalte und dergleichen Dinge mehr im Hinblick auf das, was die Völker dieser Welt in Helsinki und in verschiedensten UNO-Entscheidungen und -Entschließungen festgestellt haben, hinfällig macht, weil der Wille des Volkes, weil das Selbstbestimmungsrecht über alle diese Vorbehalte zu stellen sein wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was dann im einzelnen dort zu geschehen hat, wird erst nach der freien Wahl, erst wenn sich die Mechanismen der Demokratie entfalten können, im einzelnen zu übersehen sein. Ein schlechter Einstieg ist es meiner Meinung nach, daß die zuständigen Stellen in der DDR, daß insbesondere auch die Richter und besonders die Staatsanwaltschaft den Eindruck erwekken, als wäre es möglich, ein tausendfaches Unrecht durch einzelne Personen zu setzen, durch Herrn Honecker, durch Herrn Mittag, durch andere, und daß man dieses tausendfache Unrecht beseitigen könnte, indem man einige wenige, noch dazu unter rechtsstaatlich durchaus zweifelhaften und demütigenden Umständen, inhaftiert. Es gehören immer sehr viele dazu, um Unrecht zu praktizieren. Es hat bei uns bis 1945 genauso sehr viel Mitverantwortung von sehr vielen Menschen gegeben, auch und gerade in der Richterschaft, wie bis jetzt in die jüngste Zeit in der DDR. Es ist ein ganz und gar nicht christlicher Grundsatz, zu sagen: Einer trage aller anderen Schuld. — Man muß wohl doch sehen, daß es in der DDR in den letzten Jahrzehnten eine ganz breite Mitverantwortung gegeben hat, so wie das bei uns vorher war. Wir
erleben ja — die Älteren können sich daran noch erinnern — die ganzen Peinlichkeiten, um ein mildes Wort zu wählen, der Selbstfindung und Entschuldigung, des Sich-Herausstehlens wieder genauso, wie es bei uns nach 1945 gewesen ist.
Keineswegs — hierin wie in fast allen anderen Fragen bin ich mit dem Bundesjustizminister einig — kann hier nun eine allgemeine Strafverfolgung, eine allgemeine Welle von Sühne Platz greifen, um dieses einmal gesetzte Unrecht etwa aus der Welt zu schaffen. Das Notwendige ist nur, daß jeder erkennt, daß Unrecht geschehen ist. Wir haben in diesem Haus im übrigen schon einige Male über dieses Thema gesprochen, offenbar in Abwesenheit von Herrn Duve, wie ich einigen seiner Bemerkungen heute morgen entnommen habe. Wir haben uns natürlich mit der Verantwortung unserer Richter, derjenigen, die hier in der Bundesrepublik Deutschland auch heute noch Richter sind, die damals Richter geblieben sind, auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt — das dürfte liberaler Überzeugung entsprechen — : Wir können nicht auf den guten Menschen setzen, und wir können schon gar nicht glauben, daß irgendeiner Generation die Guten zugeordnet sind und einer anderen die Schlechten und daß uns irgendwann der ideale Mensch von dem ständigen Kampf um das Bessere, von dem ständigen Kampf um das Recht erlösen könnte. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß die Systeme den Menschen nicht in seinen schlechten Eigenschaften ansprechen und herausfordern, sondern daß die Systeme so gestaltet und täglich in dem Sinne erneuert werden, daß das Gute angesprochen wird und daß sich das Schlechte nicht auswirken kann.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb muß von Anfang an denen entgegengetreten werden, die glauben, mit irgendwelchen Sündenbökken könne man davon ablenken, daß das System des real existierenden Sozialismus zwangsläufig ein System der Unfreiheit ist, daß ein solches System auf die Bevormundung des einzelnen hinausläuft und zwangsläufig zu Unrecht führt, daß der Rechtsstaat immer weiter abgebaut werden muß, um die Mängel eines solchen Systems zu verdecken.
Deshalb geht es darum, ein vernünftiges System zu errichten und zu bewahren, und nicht darum, Sündenböcke zu finden, die Schuldigen herauszufinden.
Wir registrieren eigentümliche Verhältnisse, wenn wir die formalen Regelungen in der DDR mit unseren vergleichen. In der DDR gibt es 1 400 Richter. Das entspricht — auf die Bevölkerungszahl umgerechnet — etwa einem Drittel der Zahl der Richter, die wir hier in der Bundesrepublik haben, um Recht und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Es ist aber sicherlich verständlich, daß rechtliche Auseinandersetzungen in der DDR nur in viel geringerem Maße als hier bei uns stattfinden, weil die Eigenverantwortlichkeit, weil die individuelle Entscheidung so weit zurückgedrängt ist, daß es zu solchen Auseinandersetzungen zwischen Individuen gar nicht kommt, weil die allgegenwärtige Verwaltung die Konflikte in sich austrägt und den Individuen so übergestülpt wird, daß es zur Austragung individueller Gegensätze gar nicht kommen kann.



Kleinert (Hannover)

Das Recht ist manchmal sogar sichtbar. Es gibt gelegentlich Vorlesungen über Rechtsdenkmäler und dergleichen, über die Sichtbarkeit rechtlicher Regelungen, wie sie sich in unserer Umwelt auf einmal ganz sinnfällig darstellen. Eine solche Sinnfälligkeit ist zweifellos im Hinblick auf das Eigentum gegeben. Wenn man sich einfach einmal die Städte in der DDR in ihrem Bild ansieht, wenn man sich die Häuser anschaut, in denen die Menschen wohnen, dann kann man sehen, daß man den zentralen Wert des Eigentums nicht so weit relativieren oder ganz und gar beseitigen kann, ohne daß schädlichste Folgen für die Gesamtheit eintreten und ohne daß die Umwelt des Menschen, seine ganz wichtige nächste Umgebung, nachhaltigst beeinträchtigt wird.
Das sind die Regeln, die zuallererst von Grund auf wiederhergestellt werden müssen: Eigentum, Vertragsfreiheit, Selbstverantwortlichkeit und strikte Einhaltung von Verabredungen und Verträgen, damit sich dort eine menschenwürdige und eine leistungsfähige Gesellschaft entwickeln kann. Das geht weit über die Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft, das geht weit über die Herstellung von Produkten des täglichen Bedarfs hinaus. Viel wichtiger, als daß die Wirtschaft funktioniert, ist, daß sich die Menschen frei entfalten können, daß sie selbstverantwortlich entscheiden können. Die Folge einer so eingerichteten Gesellschaft ist dann allerdings, daß die notwendigen Bedürfnisse auf eine einleuchtende und sinnvolle Art befriedigt werden können, infolge eines Rechtssystems, das eine freie Gesellschaft garantiert, das ein menschenwürdiges Miteinander der Menschen garantiert.
Das ist es, was dort wiederherzustellen ist. Das ist es, was wir hier haben, obwohl es täglich verbesserungsfähig ist. Täglich sehen wir gerade am Beispiel der DDR, was bei uns auch weiter verbessert werden muß.
Es gibt keinen Anlaß zur Selbstgerechtigkeit, aber wohl zur Freude darüber, daß die Dinge bei uns im wesentlichen anständig bestellt sind. Deshalb, Frau Däubler-Gmelin, wollen wir ruhig eine Legislaturperiode mit einigen Gesetzen weniger abschließen, damit wir unser System pfleglich weiterentwickeln, statt uns in Überregulierung und überstürzter Gesetzgebung hier zu verhaspeln.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Zustände sind Gott sei Dank sehr ordentlich. Dafür danke ich an dieser Stelle auch dem Bundesjustizminister und allen seinen Mitarbeitern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Schlafen Sie weiter!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119402700
Das Wort hat der Abgeordnete Herr de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119402800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 sind morgen — wir sollten es nicht vergessen — drei Monate verstrichen. Viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR fragen sich, was sich eigentlich außer der Freiheit des Wortes und
der Freizügigkeit — beides haben sie sich selbst erkämpft — wirklich Wesentliches geändert hat.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Natürlich richtet sich diese Frage zumeist nach den leeren Regalen, nach der Kaufkraft der DDR-Mark und das immer noch bestehende System der Kommandowirtschaft. Aber es werden auch andere Fragen laut, die das berühren, was heute angesprochen ist: Wie steht es mit der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit, einem fairen Strafverfahren, einem unvoreingenommenen Strafvollzug, einer gesicherten Rechtsbeistandschaft, einer Klagemöglichkeit gegen den Staat und einer Wiedergutmachung vielfach begangenen Unrechts?
Bisher ist in der Tat sehr wenig geschehen. Es wird zwar einiges beraten.
Übrigens hat sich auch unsere öffentliche Meinung sehr wenig mit dem Ausmaß der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit drüben befaßt.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dabei herrscht drüben — das darf man einmal so formulieren — noch immer, jedenfalls in diesem Bereich, das Mittelalter, zumindest vom Gesetz her. Aber auch die Rechtswirklichkeit läßt zu wünschen übrig.
Ich sage das nicht aus Besserwisserei oder von oben herab. Aber wenn wir überall mit gutem Grund als Demokraten schwere Defizite in der Rechtsgewährung auf der Welt rügen, dann müssen und können wir es erst recht, wenn es drüben bei unseren Landsleuten der Fall ist. Ich sage hier: Keine Partei hat unter den schandbaren Unrechtsurteilen drüben mehr gelitten als die unsere. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können ein Lied davon singen.
Aber einige Detailpunkte sollte man aufspießen. Der Chef des Gerichts drüben kann jede Sache an sich ziehen. Das bedeutet: Weder der Angeklagte hat seinen gesetzlichen Richter garantiert noch der entscheidende Richter Sicherheit, wenn er außerhalb der Parteilinie entscheidet. Nach der derzeitigen Strafprozeßordnung wurde in politischen Prozessen dem Angeklagten weder die Anklageschrift ausgehändigt noch dem Verurteilten das Urteil mit Gründen übergeben. Er erhielt einen Entlassungsschein — aus.
Der Verteidiger, wenn es einen gab, erhielt kurz vor der Verhandlung die Anklage ausgehändigt. Politische Prozesse sind, so hören wir, zur Zeit angehalten. Gut so, aber das ist zuwenig.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Es gibt drüben nur etwa 600 Rechtsanwälte und 1 400 Richter. Was noch viel schlimmer ist: Die Justizvollzugsanstalten — und damit auch Bautzen — unterstehen dem Innenminister, demselben Mann, der für die Polizei verantwortlich ist. Daß hier eine Radikalkur am Platze ist und Änderungen schon längst hätten erfolgen können und auch müssen, bedarf keiner Frage.
Zwei Amnestien sind, soweit wir sehen, erfolgt. Einmal wurden alle wegen Republikflucht Verurteilten inzwischen entlassen, des weiteren aber nur solche, die lediglich drei Jahre Freiheitsstrafe erhalten haben. Die übrigen — darauf hat Frau Däubler-Gmelin schon mit Recht hingewiesen — darben noch immer in



Dr. de With
Bautzen. Der Justizminister Wünsche drüben hat selbst eingeräumt, daß es noch etwa 200 seien. Ich frage mich: Warum werden diese nicht entlassen? Wir sollten mit Nachdruck an unsere Regierung appellieren, dies zu verlangen, aber auch an den Runden Tisch und erst recht an die Regierung drüben.

(Beifall bei der SPD, der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der GRÜNEN — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Dazu gibt es widersprüchliche Erklärungen!)

Bei dieser Gelegenheit sollte auch geregelt werden, daß die allein aus politischen Gründen Verurteilten, die durch den Richterspruch ihres Vermögens beraubt wurden, dieses zurückerhalten. Ich meine, das ist eigentlich eine selbstverständliche Wiedergutmachung.
Die Volkskammer berät zur Zeit, wie wir wissen, die Reform des Strafgesetzbuches und will dies von allen Strafvorschriften befreien, die einen politischen Hintergrund haben oder — ich formuliere es einmal so — die SED begünstigen und deren Vorherrschaft verfestigt haben. Die Entrümpelung begrüßen wir sehr. Nur sage ich: Das sollte und kann rasch geschehen und sogar noch vor dem 18. März.
Die DDR hat Mitte letzten Jahres, wie sie sagt, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt. Wie aber sieht diese aus? Es gibt nur eine Instanz, und der Staat ist nicht der Beklagte. Ein Verwaltungsakt kann nur angefochten werden, wenn dies einzelfallmäßig in dem jeweiligen Gesetz geregelt ist. Eine Generalklausel fehlt. Eine Verpflichtungsklage gibt es bisher ebenfalls nicht. Auch hier muß rasch Remedur geschaffen werden.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

Dies sollte nicht so schwierig sein.
Natürlich — jetzt komme ich auf ein sehr heikles Thema zu sprechen — erfordert das mehr und anders ausgebildete Juristen und auch Juristen, die nicht das schwere Kainsmal der SED tragen. Es soll auch drüben gemaßregelte Richter geben, die sich nicht willfährig zeigten, solche, die sogar entlassen wurden, und auch Rechtsanwälte, die in die Ecke gedrängt wurden.
Hier Wandel zu schaffen wird sicherlich nicht einfach sein. Wir kennen ja unsere eigenen leidvollen Erfahrungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

(Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Aber diese Frage muß angepackt werden. Um so höher ist hier die Eigeninitiative — ich bringe einmal ein Beispiel — des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Universität Hannover zu bewerten, der im wesentlichen mit den Mitteln der Volkswagenstiftung versucht, schon jetzt die rechtsstaatliche Juristenausbildung in der DDR zu fördern und die DDR bei der Lösung aktueller rechtspolitischer Probleme zu unterstützen. Ein diesbezügliches Schreiben — Herr Minister, hören Sie einmal zu — ging von Herrn Professor Pfeiffer am 11. Januar 1990 an Sie mit diesen Hinweisen. Ich frage mich, was der Justizminister hierauf zu
antworten gedenkt, vor allem was er selbst in diesem Bereich vorschlägt.
Wer die Normalität in der DDR will und die Einheit Deutschlands vor Augen hat, der sollte mit durchgreifenden Rechtsreformen rasch Ernst machen, mit Rechtsreformen, die für den jeweils Betroffenen, aber auch für die gesamte Bürgerschaft Meilensteine und Wegweiser hin zum demokratischen Rechtsstaat sind. Das gilt für alle, die es angeht, und davon gibt es viele.
Rechtspolitik kann sich aber bei einem solchen Thema wie diesem hier nicht darin erschöpfen, daß wir auf die andere Seite hinweisen und Vergleiche anstellen. Auch bei uns gibt es erhebliche Defizite. Ich verweise nur darauf, daß wir noch immer nicht eine Frage geregelt haben, die uns bedrängt, nämlich die folgende: Wann führen wir endlich einen Straftatbestand der Geldwäsche ein?
Als wir Sozialdemokraten am 4. Oktober letzten Jahres einen solchen Gesetzentwurf hierzu einbrachten, kritisierte die Union, aber kritisierten auch die Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der FDP unseren Entwurf mit dem Hinweis, daß dieser ja Fahrlässigkeitselemente enthalte; das gehe doch nicht.
Inzwischen muß ich mit großer Freude feststellen
— nicht weil ich Bayer bin — , daß auch der Freistaat Bayern einen Entwurf vorgelegt hat, der die Fahrlässigkeit in diesem Bereich mit umfaßt. Leider beschränkt sich allerdings der Entwurf des Freistaates Bayern nur auf das Betäubungsmittelrecht.

(Geis [CDU/CSU]: Sie wollten aber Ihre Zugehörigkeit zum Freistaat Bayern nicht verleugnen?)

— Ganz sicher nicht.
Ich hoffe, daß dies wenigstens für die Bundesregierung Legitimation genug ist — hier ist besonders der Bundesjustizminister aufzurufen — , sich endlich auch zu einem Fahrlässigkeitstatbestand durchzuringen.
Die Bundesregierung hat, wie wir hören, die Banken zunächst verpflichten wollen, durch ein Gentlemen's Agreement auffällige Geldeinzahlungen zu registrieren und auch anzuzeigen. Die Bundesregierung mußte inzwischen feststellen, daß ihr Versuch fehlgeschlagen ist. Dabei weiß sie selbst seit langem genau, daß das Hochland der Banken, der Versicherungen und des Geldes, nämlich die Vereinigten Staaten, längst durch Gesetz eine entsprechende Regelung getroffen hat. Wer dort mehr als 10 000 Dollar einzahlt, wird registriert, und es kommt zu einer Anzeige.
Wir fragen uns, wann endlich die Bundesregierung soweit ist, auch hier, ich sage es einmal so: Tacheles zu reden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe unlängst eine Anfrage eingebracht, ob es Lücken gibt, wenn ein ausländischer Staat bei uns eingefrorenes Geld zurückverlangt, weil im fordernden Staat der Straftatbestand der Geldwäsche existiert und damit der Einzug des Geldes verlangt werden kann. Hier wurde redlich und fair geantwortet, wenn auch etwas gewunden: Jawohl, bei uns gibt es Lücken und Defizite; aber wir werden bald mit Regelungen überkommen.



Dr. de With
Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat hier in der Tat weder die Zeichen der Zeit erkannt noch rasch genug gehandelt. Sie hat einfach durch ihr Zögern die Situation verschlafen. Die Bundesregierung wird sich zu fragen haben, wann sie endlich diese Löcher stopft, Löcher, die dem Drogenhandel dienen, und Löcher, die uns allen sehr weh tun.
Vielleicht gibt es im Verlauf dieser Debatte heute auf diese, wie ich meine, drängende Frage noch eine Antwort.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119402900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hamm-Brücher zu einer Kurzintervention.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1119403000
Frau Präsidentin, ich habe mich zu dieser Kurzintervention gemeldet, um dazu beizutragen, daß etwas, was der Kollege Gerald Häfner zu uns in eigener Sache gesagt hat, nicht untergeht.
Wir wollen mit der Kurzintervention dazu beitragen, daß eine Debatte belebt wird und daß man auch über die üblichen Fraktionsgrenzen hinweg einmal bekundet, daß man mit dem, was ein Kollege von der anderen Fraktion gesagt hat, sehr einverstanden ist.
In diesem Sinne glaube ich, Frau Präsidentin und liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es in der Tat sehr wichtig sein wird, der Frage der Entwicklung des Parlamentarismus in einem geeinten Deutschland eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir haben uns darum ja sehr bemüht. Ich denke aber, daß die ersten Ansätze keinesfalls verlorengehen dürfen, wenn wir jetzt in eine deutsch-deutsche Diskussion über den Parlamentarismus eintreten werden. Ich möchte sehr hoffen, daß wir nun im zweiten Anlauf für die erste Gewalt im Staate wirklich mehr Rechte und auch mehr Funktionen erkämpfen. Es war das Ziel unseres Vorhabens, unsere Funktionsfähigkeit, unsere Kontroll-, Informations- und Initiativmöglichkeiten gegenüber der übermächtigen Exekutive zu stärken und dies vor allem durch eine stärkere Mitwirkung und Mitverantwortung des einzelnen Abgeordneten.
Ich möchte die Frau Präsidentin und das Präsidium herzlich bitten, diese Gesichtspunkte aufzunehmen und zu überlegen, ob es nicht wirklich nötig wäre, schon alsbald in einem informellen Kreis zusammenzukommen und über solche nötigen Entwicklungen zu beraten und zu überlegen, was wir aus unserer Erfahrung in diesen 40 Jahren zur Stärkung der repräsentativen Demokratie in einem geeinten Deutschland beitragen können.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1119403100
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1119403200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir erleben in
diesen Wochen und Monaten, daß die Völker Europas ihr Selbstbestimmungsrecht auf friedliche Weise verwirklichen. Wir können nur hoffen, daß dieser Prozeß friedlich bleibt — Ausnahmen haben wir erlebt, z. B. in Rumänien —, und daß er in rechtlich geordneten Bahnen erfolgt.
Die Kriegsordnung von Jalta beginnt zu zerbrökkeln, Vorherrschaften, vor allem von Parteien und einzelner Mächte, sind nicht mehr gefragt. Wir können den Völkern Mittel- und Osteuropas im Moment keine Patentrezepte anbieten, auch nicht unseren Landsleuten in Mitteldeutschland. Im Moment können wir nur Fragen stellen, um vielleicht dann auf Antworten Hilfestellungen zu geben, auch in der Gestaltung der Rechtsordnung. Dazu gehört, Herr Kollege de With, daß wir auch dann, wenn wir unsere Gesetze, die schon eingebracht sind, verwirklicht haben, unseren Landsleuten in der DDR Ratschläge geben können im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Drogenhandels oder, Frau Kollegin Hamm-Brücher, auch vielleicht mit der Gestaltung einer parlamentarischen Ordnung drüben. Nur sollten wir jetzt nichts aufoktroyieren, sondern wir sollten die Antworten auf die Fragestellungen abwarten.

(V o r sitz : Vizepräsident Westphal)

Eines ist sicher — davon müssen wir ausgehen — auch in einer innerdeutschen Rechtspolitik: Es ist kein Aufwachen aus einem Dornröschenschlaf, nach dem alles dann so weitergeht wie zu einem Zeitpunkt zuvor.
In diesen Tagen wird auch klar, daß Demokratie und Rechtsstaat einander bedingen. Eine Demokratie ohne Rechtsstaat ist nicht vorstellbar, ja sie kann — mißverstanden — zu Chaos führen.

(Zustimmung des Abg. Funke [FDP])

Ein Rechtsstaat ohne Demokratie ist nicht verwirklichbar, und ich glaube, wir haben hier auch gute Erfahrungen.
Ausgangspunkt für alle Überlegungen eines neuen Zusammenwachsens Europas muß die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bleiben. Wir sollten uns nicht täuschen: Unsere Übersiedler oder unsere Deutschen aus den anderen ost- und mitteleuropäischen Staaten kommen zu uns nicht nur wegen wirtschaftlicher oder sozialer Anreize und Sogwirkungen, sie kommen zu uns, weil sie nach wie vor befürchten müssen, in ihren Menschenrechten und Grundfreiheiten in ihrer Heimat beeinträchtigt zu sein. Sie befürchten ein rechtloses Chaos.
Die Garantie der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist so auch ein Element des Friedens. Frau Kollegin Däubler-Gmelin, es ist nicht so, daß die europäischen Staaten nicht schon an eine Grundrechtsordnung gebunden wären. Wir haben immerhin die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit ihrem starken Kontrollsystem, das auch anderen Staaten ermöglicht, die nicht der EG angehören, dort Mitglied zu sein. Wir können nur hoffen, daß auch die Staaten Mittel- und Osteuropas — bei Ungarn erleben wir es schon — diesem Rechtsschutzsystem letzten Endes beitreten.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119403300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1119403400
Ja, wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119403500
Nein. — Frau DäublerGmelin zu einer Zwischenfrage.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1119403600
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie Grund-, Freiheits-
und Menschenrechte als verbindliches Gemeinschaftsrecht nicht für erforderlich halten?

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID1119403700
So dürfen Sie mich nicht verstehen. Aber wir haben schon ein praktisch europäisches Gemeinschaftsrecht in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit einem Kontrollsystem. Das schließt nicht aus, daß auch im EG-Bereich ein System entwickelt wird.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dann war es nicht das, worüber ich redete!)

— Aber daß ein völliges Defizit vorhanden ist, konnte man wieder aus Ihrer Rede herauslesen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nein, Herr Kollege Wittmann, dann war es das nicht! Mir geht es um das verbindliche Gemeinschaftsrecht; das will ich!)

— Die Menschenrechtskonvention ist natürlich auch verbindlich.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber kein Gemeinschaftsrecht!)

Wir erleben in der Sowjetunion und anderen Staaten, daß die Mißachtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten einerseits vom Staat ausgehen kann, aber auch im Verhältnis zu verschiedenen Völkerschaften und Volksgruppen. Ich nenne nur das Stichwort Aserbeidschan, wo der Staat praktisch machtlos ist. Auch die Geschichte lehrt uns, daß die meisten Kriege und Auseinandersetzungen durch Mißachtung der Rechte von Volksgruppen und Minderheiten verursacht bzw. veranlaßt wurden.
Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland kann in vielem Vorbild für die Neugestaltung staatlicher Ordnung sein. Das gilt sowohl für das föderale Prinzip, aber auch für die Rechte des einzelnen Menschen. Andererseits müssen wir uns davor hüten, bei uns — das erleben wir immer wieder, und das klang auch schon an — unsere ganzen Lebensbeziehungen zu verrechtlichen, denn dann bleibt für die Entwicklung menschlicher Lebensbeziehungen kaum mehr Raum. Menschenwürde, Freiheit, Rechtsschutz und Eigentum sind hohe Güter, die nicht vom Staat gewährt werden, sondern im Wesen des Menschen begründet sind.
Meine Damen und Herren, noch eine Wort zu einer künftigen Rechtsordnung im anderen Teil Deutschlands. Das, was jetzt alles geschieht, darf nicht von Rache bestimmt sein — einige Kollegen haben schon darauf hingewiesen — und darf nicht zu einer neuen politischen Justiz im anderen Teil Deutschlands führen. Auch das müssen wir fordern; entscheiden muß
eine Gerichtsbarkeit in einem rechtsstaatlichen Verfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im November 1987 hat die Bundesregierung einen Bericht einer unabhängigen Wissenschaftlerkommission über die Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes vorgelegt. Diese scharfsinnige Analyse kann der Maßstab sein, an dem wir die Entwicklungen in Deutschland, aber auch in den Staaten Mittel- und Südosteuropas messen können und messen sollten, damit wir nicht eine neue Völkerwanderung und Völkerverschiebung wegen Mißachtung der Menschenrechte riskieren.
Alle Menschen, Volksgruppen und Minderheiten müssen die Möglichkeit erhalten, unter Wahrung ihrer Identität in ihrer Heimat zu leben. Das gilt auch für die Deutschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Deutsche Politik muß darauf hinwirken, daß Regelungen geschaffen werden, die das Zusammenleben der Volksgruppen ermöglichen. Die im Juni 1990 stattfindende KSZE-Folgekonferenz in Kopenhagen wird dazu Gelegenheit geben. Es ist hohe Zeit! Volksgruppen- und Minderheitenstatute liegen zur Genüge vor. Das Europäische Parlament, Frau Kollegin, hat einen Entwurf für ein europäisches Volksgruppen- und Minderheitenrecht vorliegen.
Aber auch in Westeuropa hat sich gezeigt, daß die Mißachtung der Minderheiten- und Volksgruppenrechte zu Auseinandersetzungen führt. Trotz des Scheiterns entsprechender Regelungen in den 20er und 30er Jahren müssen wir jetzt dafür Sorge tragen, daß Regelungen kommen, die die Gewähr dafür bieten, daß Frieden nicht durch Gewalt und nicht durch Niederhalten erzwungen, sondern durch Recht und Freiheit gesichert wird, der Frieden innerhalb eines demokratischen Systems, in dem die Rechtsordnung eine herausragende Rolle spielen muß, auch in Mitteldeutschland und in den anderen mittel- und osteuropäischen Staaten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119403800
Meine Damen und Herren, ich habe eben den Vorsitz übernommen und bin nicht ganz sicher, ob wir immer noch bei Tagesordnungspunkt 3 sind. Ich nehme an, ja. Ich wäre dankbar, wenn die Geschäftsführer mich unterrichten würden, wenn der erste zum nächsten Thema überspringt, denn dann muß ich den entsprechenden Punkt wenigstens aufrufen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Das ist noch nicht der Fall!)

Herr Funke ist der nächste Redner.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119403900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung fast aller in der DDR zur Wahl stehenden Parteien, die sozialistische Wirtschaftsordnung durch eine soziale Marktwirtschaft zu ersetzen, bedarf nicht nur der politischen Durchsetzung, sondern auch der rechtlichen Begleitung. Zu Recht hat die Bevölkerung der DDR erkannt, daß die sozialistische Wirtschaftsordnung zu keiner gerechten Verteilung und zu keinem adäquaten Wohlstand ge-



Funke
führt hat. Deswegen kann der Sozialismus nicht — wie ursprünglich, noch im November oder im Dezember, von manchen Politikern in der DDR gesagt — repariert oder ausgebessert werden, sondern es bedarf einer radikalen Veränderung des Systems zu mehr Markt und zu sozialer Gerechtigkeit innerhalb einer neuen sozialen Ordnung.
Unsere Soziale Marktwirtschaft, die sich auf individuelle Freiheitsrechte, Eigentum und Wettbewerb stützt, ist ein Bestandteil unserer freiheitlichen Demokratie und kann als Vorbild für die DDR gelten.

(Beifall bei der FDP)

Man kann es auch anders ausdrücken und sagen: Demokratie und Soziale Marktwirtschaft bedingen einander, sind im Grunde genommen zwei Seiten einer Medaille, denn schließlich ist Freiheit nicht in individuelle Freiheitsrechte und ökonomische Freiheitsrechte teilbar.
Jeder Bürger hat nicht nur Anspruch auf sein individuelles, subjektives Freiheitsrecht, sondern soll die Möglichkeit haben, sich frei wirtschaftlich zu betätigen. Dieses Recht auf freiheitliche wirtschaftliche Betätigung setzt auch die Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum, auch an Produktionsmitteln, voraus. Insoweit bedarf es nun einmal einer radikalen Änderung der rechtlichen, aber auch der tatsächlichen Verhältnisse in der DDR.
Nun wird gelegentlich in der DDR gesagt: Wir haben diese rechtlichen Voraussetzungen, weil die alten handelsrechtlichen Gesetze, das Aktienrecht, das GmbH-Recht, das HGB, ja gar nicht außer Kraft gesetzt worden sind. Dies mag ja formal richtig sein, so daß die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die AGs, die Kommanditgesellschaften, die Einzelkaufleute tätig werden können. Dies ist aber natürlich nur die halbe Wahrheit. Schließlich können diese gesellschaftsrechtlichen Formen nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn auch die Gesellschaftsordnung und die Verfassung den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft entsprechen.
Es ist sicherlich richtig, daß in unserem Grundgesetz das Wort „Soziale Marktwirtschaft" nicht vorkommt. Über zahlreiche Artikel ist aber die Soziale Marktwirtschaft Bestandteil unseres Grundgesetzes und überlagert damit unsere gesamte Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik. Ich erinnere da an die Art. 2, 3, 9, 14 unseres Grundgesetzes.
Hinzu kommt, daß auf Grund der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse unser Gesellschaftsrecht, unsere Bestimmungen des HGB beispielsweise, vielerlei Veränderungen unterworfen worden ist. Schließlich sind Gesetze auch Ausdruck veränderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse.
Es wird daher nicht im Interesse der DDR liegen können, die alten gesellschaftsrechtlichen Gesetze aus der Schublade zu ziehen, sozusagen den Staub, den sie angesetzt haben, wegzupusten und dann fortzufahren mit den Gesetzen, die noch 1948 Bestand hatten. Dann mag es schon einfacher sein, zumindest das Wirtschaftsrecht der Bundesrebublik Deutschland einfach zu übernehmen, allerdings nicht nur mit den Vor-, sondern auch mit den Nachteilen, vielfältigen
Verkrustungen und Widersprüchen, die ja leider auch unserem deutschen Wirtschaftsrecht nicht ganz fremd sind. Unsere gelobte Soziale Marktwirtschaft findet sich in vielen Bereichen unserer Volkswirtschaft leider nicht wieder. Ich will hier keine wirtschaftspolitische Debatte eröffnen, aber dieses ist ohne weiteres erkennbar.
Ich möchte mich daher auch nicht dazu äußern, welcher gesetzgeberische Weg für die Gesetzgebungsorgane der DDR der zweckmäßigste ist. Wichtig ist die politische Grundentscheidung. Und insoweit ist Recht — hier widerspreche ich etwas dem Herrn Bundesjustizminister — auch politisch und nicht frei von der Wertordnung der Gesellschaft.
Wichtig ist, daß die Grundsätze des Eigentums, des Wettbewerbs, der Koalitionsfreiheit und die Sozialbindung des Eigentums eingehalten werden. Daß Eigentum und Wettbewerb nicht schrankenlos genutzt werden können, sagen unsere Art. 2 und 14 des Grundgesetzes ausdrücklich, die ich auch insoweit ganz gerne noch einmal in Erinnerung bringe.
Art. 2 Abs. 2 sagt:
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Art. 14 bestimmt ausdrücklich in Verfolg dieser Soweit-Bestimmung, daß Eigentum verpflichtet.
Diese gewollten und für eine gerechte soziale Ordnung auch wichtigen Einschränkungen des Eigentums und des Wettbewerbs werden auch den Weg der DDR von einer sozialistischen Wirtschaftsordnung zur Sozialen Marktwirtschaft nicht nur ermöglichen, sondern auch erheblich erleichtern, auch was die Einstellung der Bevölkerung zu dieser neuen Gesellschaftsordnung, die die DDR finden muß, anbetrifft.
Die Eigentumsbindung des Art. 14 und der Grundsatz der Sozialbindung, wie er sich in Art. 2 Abs. 2 wiederfindet, werden auch ihren Einfluß auf den Umgang mit den natürlichen Ressourcen in der DDR haben müssen. Der Neubeginn der Wirtschaft in der DDR gibt auch die Chance für den radikalen Neubeginn einer der Umwelt verpflichteten Wirtschaftsordnung. Wer auch immer Eigentümer der Fertigungsanlagen in der DDR sein wird, muß auf Grund der Sozialbindung und der Eigentumsbindung verpflichtet sein, die natürliche Umwelt zu schützen und mit den zum Teil katastrophalen und lebensbedrohenden Umweltverschmutzungen aufzuhören, wie wir sie in den letzten Wochen und Monaten in der DDR sehr deutlich vor Augen geführt bekommen haben.
Ich hoffe in diesem Zusammenhang, daß auch der Bundesgesetzgeber mit einem modernen Umwelthaftungsrecht, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, und einem modernen Umweltstrafrecht, das, wie Sie wissen, in den nächsten Wochen dem Parlament zugeleitet wird, als Vorbild dienen kann. Ich hoffe, daß wir an diesen beiden wichtigen Gesetzen, dem Umwelthaftungsrecht und dem Umweltstrafrecht, sehr konstruktiv zusammenarbeiten können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß die Neuordnung der rechtli-



Funke
chen Grundlagen in der DDR sowohl im Umweltbereich als auch in der gesamten Wirtschaftsordnung auch uns in der Bundesrepublik Deutschland Chancen für wichtige und interessante Rechtsdiskussionen eröffnet. Schließlich werden uns auch diese Diskussionen aufzeigen, wo bei uns Fehlentscheidungen, vielleicht Fehlentwicklungen zu verzeichnen sind, und vielleicht wird das auch zu einer neuen Nachdenklichkeit über unsere Wirtschaftsordnung und unsere Rechtsordnung führen. Insoweit bin ich gerne bereit, das dialektische Prinzip, das ja nicht von Karl Marx erfunden worden ist, sondern von Feuerbach und Hegel, anzuwenden. Ich bin sicher, daß der Spiegel, der uns auch aus der DDR vorgehalten wird, zu Gesetzesdiskussionen führen wird, die für uns lehrreich sein werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119404000
Das Wort hat der Abgeordnete Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1119404100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da fragen mich Bürger meiner Recklinghäuser Partnerstadt in der DDR, Schmalkalden: Wie ist es eigentlich möglich, daß in einem freiheitlichen Land bei Demonstrationen Sachen beschädigt und Personen verletzt werden? Wie ist es eigentlich möglich, daß in einem freiheitlichen Land Terroristen Menschen ermorden? Wie ist es eigentlich möglich, daß nach solch einem Mord der Berliner Regierende Bürgermeister folgendes ausführt: Was wir als Staat machten, sei der verzweifelte Versuch, die ewig gestrige Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang zu setzen.
Und die Bürger fragen mich weiter: Geht denn Demokratie so weit, daß im Rundfunk ein grüner Rechtsanwalt, „Terrorismusspezialist" nennt er sich, zu Wort kommt und folgendes ausführt: Die Politiker hätten den Terrorismus dazu benutzt, die bürgerlichen Freiheitsrechte zurückzustutzen, und der rigide Umgang von Polizei und Justiz mit dem Terrorismus habe dazu beigetragen, dieses Phänomen zu verlängern. Deswegen seien wir 1977 schon am Ende des Rechtsstaates gewesen.

(Hüser [GRÜNE]: Wenn er auch kein GRÜNER mehr ist, hat er doch recht gehabt!)

Meine Damen und Herren, ich habe geantwortet — zu Ihnen sage ich das, Herr Kollege von den GRÜNEN — : Letztere und auch Ihre schreckliche grüne Verirrung, sie bedürfen der Widerlegung nicht.

(Häfner [GRÜNE]: Sie vermögen die Widerlegung nicht!)

Aber die Darlegung Herrn Mompers erfordert Antwort, Antwort deswegen, meine Damen und Herren, weil der Terrorismus nicht ruht. Gerade in der Nacht zum Montag ist das RWE-Verwaltungshaus in der Essener Innenstadt durch einen Anschlag beschädigt worden. Es gibt einen Brief an die AFP, worin steht, man will eine neue offensive Phase schaffen. Und deswegen hat sich Herr Rebmann dieser Angelegenheit angenommen.
Gerade deswegen, weil es nicht mehr klar ist, bedarf es der Erwähnung: Es gibt in unserem Staat nicht Gewalt und Gegengewalt, sondern nur den Gewaltanspruch, das Gewaltmonopol des Staates. Welchen anderen Sinn und Zweck dieses Gewaltmonopols gibt es denn, als daß der Rechtsstaat die Gewalt innehat und nicht der einzelne, daß der einzelne auf persönliche Gewalt verzichtet hat, der Starke zugunsten des Schwachen? Wenn ich von einer „Spirale der gegenseitigen Gewalt" spreche, so wird eben der fundamentale Unterschied zwischen legaler und illegaler Gewalt verwischt. Es handelt sich eben nicht um zwei Gleichberechtigte. Nur der Staat hat das Recht, Gewalt auszuüben, und nur unter den Bedingungen, die das Recht ihm setzt. Ich muß fragen: Ist denn dies dem Genossen in der alten Reichshauptstadt — und ich hoffe, der neuen deutschen Hauptstadt — Berlin gänzlich unbekannt?
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, Sie haben die Gewalt-Kommission zitiert. Ein Blick in das Gutachten der Gewalt-Kommission könnte Ihnen, so meine ich, den richtigen Weg schon weisen; denn die GewaltKommission schreibt dort — ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten alles zu Ende lesen —, der Staat müsse dem Versuch, ihm das Gewaltmonopol streitig zu machen, mit Entschiedenheit und Nachdruck entgegentreten. Deswegen erwarte ich von Ihnen eine Antwort auf die Äußerung aus Berlin, auf Hamburg, auf Düsseldorf, auf die Hafenstraße, auf die Kiefernstraße.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber nicht auf Polemik, Herr Marschewski; dann müssen Sie das schon etwas ernsthafter machen!)

— Ja, natürlich, eine Antwort erwarte ich darauf.
Ich möchte jetzt als Nordrhein-Westfale von der Kiefernstraße sprechen: Was wirkt denn zerstörerischer — das ist doch das Entscheidende für den Rechtsfrieden — als die Erfahrung der Menschen, daß Gewalt und Rechtsbruch nicht nur toleriert, sondern wie in Hamburg oder Düsseldorf auch noch subventioniert werden?

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dummes Geschwätz!)

Deswegen wünschen wir, daß Sie so gegen linke Gewalttäter vorgehen, wie wir es gegenüber rechten Gewalttätern für dringend erforderlich halten.

(Abg. Häfner [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Gleich, sofort, Herr Kollege Häfner, und sehr gern.
Sehr geehrte Frau Kollegin, deswegen bedaure ich, daß Sie nicht unserem Gesetzentwurf zur Strafbewehrung von Vermummung und passiver Bewaffnung zugestimmt haben; das bedaure ich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was heißt denn „demonstrare" — wie Kollege Stark es neulich sagte — anderes als: sein Gesicht zeigen; was heißt das anderes als Freiheit zur öffentlichen Meinungskundgabe, zum offenen Bekenntnis und Protest? Art. 8 des Grundgesetzes sagt es wörtlich: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ... friedlich und ohne Waffen zu versammeln. " Ist es denn fried-



Marschewski
lich, sich mit Knüppeln da hinzustellen, vermummt zu sein, bewaffnet zu sein, Pistolen zu haben?

(Dr. de With [SPD]: Das bestreitet doch keiner!)

Dies ist, Herr Kollege de With — so sagt mir mein Kollege aus Schmalkalden — , kein gutes Vorbild für die DDR. Ihr Beispiel der friedlichen Demonstration, ihr Beispiel der friedlichen Revolution, dies könnte für uns Schule machen. Wir sollten dies zum Beispiel nehmen. — Herr Kollege, bitte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119404200
Sie möchten gerne, daß er jetzt seine Zwischenfrage stellt. — Bitte schön, Herr Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119404300
Ich danke herzlich. — Ist Ihnen, lieber Kollege Marschewski, bei der Lektüre der Empfehlungen der Gewalt-Kommission, die Sie eben Frau Däubler-Gmelin zu Ende zu lesen empfohlen haben, auch aufgefallen — so Sie diese selbst zu Ende gelesen haben —, daß diese Kommission just das, was Sie eben vorgetragen haben, abgelehnt und dazu gesagt hat: Der Staat darf selbst aus der Sicht dieser Kommission nicht zu überzogenen Mitteln greifen; so war vor allen Dingen das strafbewehrte Vermummungsverbot und das strafbewehrte Verbot passiver Bewaffnung ein Fehler.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nein!)

Ist Ihnen dieses entgangen, und — wenn nicht — wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1119404400
Die Gewalt-Kommission hat Dinge gesagt, die ich akzeptiere. Sie hat aber auch Dinge gesagt, die ich nicht akzeptiere, und dieses gehört dazu. Herr Kollege Häfner, ich will Ihnen einmal sagen, was ich z. B. nicht akzeptiere: Ich akzeptiere nicht, wie sich GRÜNE beispielsweise in 16 Thesen — ich will Ihnen das einmal aufzeigen — die Rechts- und Innenpolitik dieses Landes vorstellen; das akzeptiere ich nicht. Ich akzeptiere nicht, wenn Sie fordern, daß trotz der großen Zahl an Drogentoten die Rauschgiftkriminalität, so sagen Sie: „entkriminalisiert" werden sollte. Ich akzeptiere nicht, Herr Kollege Häfner, wenn Sie per Gesetzentwurf verlangen, daß Homosexualität mit Kindern und Jugendlichen straffrei sein soll.

(Häfner [GRÜNE]: Wie bitte?)

— Natürlich, das haben Sie beantragt. — Und ich akzeptiere nicht — hören Sie genau zu — : Da wollen Sie bei Diebstahl, bei Sachbeschädigungen, bei Betrügereien keine Strafe mehr vollstrecken; denn solche Delikte sollen — so sagen Sie — durch „heilsames Vergessen" entkriminalisiert werden.
Hören Sie noch mal zu, meine Damen und Herren von den GRÜNEN. In These 14 Ihrer Forderungen sagen Sie: Sollte denn für andere Delikte ein Strafvollzug tatsächlich unumgänglich sein, so soll dieser — man höre und staune — so kurz und angenehm wie möglich gestaltet werden. Da wollen Sie den Verfassungsschutz auflösen, da wollen Sie nach dem Herrhausen-Mord die Strafvorschrift zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen abschaffen.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Achten Sie einmal darauf, daß die Leute besser geschützt werden!)

Herr Häfner, ich habe über Ihre Thesen in der „Süddeutschen Zeitung" eine sehr gutwillige Analyse gelesen. Darin ist gesagt worden, daß ein beträchtlicher Aufwand an Intelligenz vor Unsinnigkeiten denn gerade nicht schütze.
Wir werden eine andere Wertung vornehmen. Unsere Wertung ist die: Sie wollen einen anderen Staat. Heute nennen Sie das begriffsverwirrend „radikaldemokratisch". Wir werden als wehrhafte Demokraten politische und bürgerliche Freiheiten zu sichern wissen. Gesetzesgehorsam ist das notwendige Korrelat für die Entfaltung unserer Grundrechte. Das eine ist eben ohne das andere nicht zu haben. Das gilt für die Bundesrepublik, das gilt auch für ein einiges, freies deutsches Vaterland.
Das Wort von Willy Brandt, die Wiedervereinigung sei die Lebenslüge der zweiten Republik, das war die Lebenslüge dieser zweiten Republik.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das war das Geschwätz des Tages!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119404500
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1119404600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen mit der DDR eine Rechtseinheit schaffen. Aber das muß sich im Rahmen der Schaffung eines europäischen Rechtsraums abspielen. Gerade nachdem sich jetzt herausstellt, daß die deutsche Einheit kommt, müssen wir um so mehr dafür sorgen, daß wir unsere Europäische Gemeinschaft ausbauen und zur europäischen Union weiterentwickeln. Hierzu gehört auch der Rechtsraum.

(Zustimmung der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Gerade heute ist das Wort von Hans-Dietrich Genscher richtig — wie es immer richtig war — : Deutsche Politik ist um so nationaler, je europäischer sie ist.
Wir müssen bei dem Ausbau des europäischen Rechtsraumes natürlich sorgfältig abwägen, wo wir europäische Regeln brauchen und wo diese besser unterbleiben sollten. Wir müssen hier eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legen. An oberster Stelle sollte der Grundsatz der Subsidiarität stehen. Nur das sollte einheitlich geregelt werden, was notwendig ist, um beispielsweise Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen oder um bestimmte politische Ziele zu erreichen.
Es ist ganz selbstverständlich, daß wir eine zumindest in Grundzügen einheitliche Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte benötigen. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir einheitliche Regeln über das europäische Gesellschaftsrecht brauchen. Aber wir sollten uns vor einem gewissen Harmonisierungs-



Irmer
wahn hüten, der hier und da ausbricht, insbesondere bei den Freunden der Kommission in Brüssel.

(Beifall bei der FDP — Häfner [GRÜNE]: Da haben Sie recht!)

Im Bereiche des Lebensmittelrechtes: Wer sagt denn, daß ein dänischer Magen nicht verträgt, was einem deutschen von früh bis spät zugemutet wird?

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Und wie ist es umgekehrt?)

Insofern ist es richtig, daß wir dazu übergegangen sind zu sagen: Was in einem Land legal hergestellt wird, darf in jedem anderen Lande auch verkauft werden.
Was haben unsere Bierbrauer seinerzeit gejammert! Wie haben sie die Bundesregierung aufgestachelt, sich auf den von Anfang an unsinnigen Prozeß in Luxemburg über das Reinheitsgebot einzulassen, den sie dann prompt verloren hat? Heute haben die Bierbrauer endlich eingesehen, wie ich letzte Woche in der Zeitung gelesen habe: Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes war richtig. Staunend stellt man fest: Es gibt heute in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor mehr Biersorten, als es in Frankreich verschiedene Arten von Käse oder in Luxemburg Soldaten gibt.

(Heiterkeit bei der FDP)

Das ist ein schöner Erfolg dieser Regelung.
Ich lasse auch dahingestellt, ob es etwa weise und notwendig ist, eine Verordnung über die berühmten Schokoladenweihnachtsmänner zu haben, worin europaweit genau festgelegt wird, wie viele Kakaobestandteile enthalten sein müssen, wie die Verpackung auszuschauen hat. Bekanntlich heißt der letzte Satz dieser Verordnung: Weihnachtsmann im Sinne dieser Verordnung ist auch der Osterhase.

(Heiterkeit)

Vor allem, übersetzen Sie das einmal ins Portugiesische oder in die sieben anderen Amtssprachen.
Meine Damen und Herren, wir wollen auch im Rechtsbereich kein verwaschenes Europa ohne Konturen. Wettbewerb muß auch bei der Rechtsetzung stattfinden. Sonst würde man sich im Zweifel auf die schlechtesten Eigenschaften einigen. Ein abgrundtief boshafter Mensch hat einmal gesagt: Der Bayer ist eine geglückte Mischung zwischen preußischem Charme und österreichischer Zuverlässigkeit. Ich fürchte, daß der Europäer, den sich manche vorstellen, genau nach diesem Bilde geformt wäre. Einen solchen Europäer wollen wir nicht.
Wir haben keinen Bedarf, das Schulrecht oder das Kulturrecht zu vereinheitlichen, abgesehen von der Anerkennung gegenseitiger Bildungsabschlüsse. Wir haben keinen Anlaß, etwa das Familienrecht zu europäisieren. Ich bin zwar Anwalt, ich spreche auch leidlich Italienisch; abgesehen von dem berühmten Sonderfall der Scheidung auf italienisch wäre ich aber sehr zurückhaltend, etwa auf Sizilien Familienrecht zu praktizieren.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, wir brauchen in einigen politischen Bereichen europäische Regelungen. Ich möchte anregen, daß wir das Recht der Waffenexporte oder überhaupt bestimmter sensibler Ausfuhren europäisch regeln. Wir sind gerade hier in der Bundesrepublik dabei, dies zu tun. Dieses Problem muß europäisch gelöst werden. Das Mindeste wäre ein Verhaltenskodex über Waffenexporte in der Europäischen Gemeinschaft.

(Häfner [GRÜNE]: Aber auch für Giftmüllexporte!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die letzte Minute meiner Redezeit dazu verwenden, auf das Grundübel zu sprechen zu kommen, das wir zur Zeit noch in der Europäischen Gemeinschaft haben. Dieses Grundübel besteht darin, daß die EG nicht parlamentarisch und nicht demokratisch strukturiert ist. Mit Recht verlangt die EG von beitrittswilligen Staaten, daß sie über eine demokratische Struktur verfügen. Würde die Europäische Gemeinschaft heute bei sich selbst einen Antrag auf Aufnahme stellen, so wäre sie nicht qualifiziert. Dieser Antrag müßte abgelehnt werden, weil die ganze Veranstaltung undemokratisch ist.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Häfner [GRÜNE])

Hier muß etwas geschehen. Die Bundesregierung ist im Wort, Initiativen zur Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments, für dessen Ausbau zu einem Vollparlament zu starten. Dann können wir auch ein Beispiel für die Länder geben, die ja in unsere EG hineindrängen, angefangen von der DDR über Polen, bis hin zu Ungarn und den anderen, die eines Tages auch dazukommen müssen. Aber sie werden, nachdem sie ihre Diktaturen gerade losgeworden sind, kein Interesse haben, sich an einer weiteren undemokratischen Veranstaltung zu beteiligen.
Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung möchte ich ganz zum Schluß meiner Rede wieder einmal Heinrich Heine zitieren,

(Wiefelspütz [SPD]: Das begrüße ich, Herr Irmer!)

der nämlich zu Europa und zur Freiheit Wegweisendes gesagt hat, und zwar in seinem Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen". Es heißt dort — das sollte uns Leitbild sein — :
Die Jungfer Europa ist verlobt Mit dem schönen Geniusse
der Freyheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse. Und fehlt der Pfaffensegen dabey, Die Ehe wird gültig nicht minder — Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Häfner [GRÜNE] — Marschewski [CDU/CSU]: Das letzte ist aber sehr liberal!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119404700
Herr Dr. Hüsch ist der nächste Redner.




Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1119404800
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den zahlreichen Ratschlägen für das Rechtssystem der DDR und den humorvollen Ausführungen des Kollegen Irmer zu Bayern, Portugiesen, zu Sizilianern und zur Lyrik Heinrich Heines nichts hinzufügen, sondern ich möchte den Blick wieder auf die Mängel unseres eigenen Rechtssystems lenken. Ich spreche von der richterlichen Rechtsfortbildung einerseits und der Zuständigkeit und dem Nachhinken der rechtsetzenden Gewalt in der Bundesrepublik in der Fortbildung des Rechts andererseits.
In allen Rechtssystemen und auch im deutschen Recht gibt es die Pole von Schutzbedürftigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Jedes Rechtssystem muß eine Antwort auf die Frage geben, ob es dem einen oder dem anderen Prinzip den Vorrang einräumen will und wie es die sich daraus ergebenden Konflikte lösen möchte. Solche Konflikte sind in der Regel Ausdruck konkreter Interessen.
Unser Bürgerliches Gesetzbuch, nunmehr 90 Jahre alt, ist von Harmoniebedürfnis getragen. Es gibt nicht wenige, die sagen, daß ihm Gefahrenbewußtsein und soziale Orientierung fehlten.

(Dr. de With [SPD]: Ein Tropfen sozialistischen Öls! — Weitere Zurufe von der SPD)

„Jeder ist seines Glückes Schmied", sagt der Volksmund. „Pacta sunt servanda" , sagt das Gesetz. Beides bedeutet, daß Risiken, Belastungen und Schäden eingenverantwortlich zu tragen sind. Dem steht das Schutzbedürfnis der Schwächeren entgegen. Die unvermeidliche Konsequenz jedoch, beides in Einklang zu bringen, ist, daß ein Schutz der Schwächeren nur zu Lasten des jeweils anderen Vertragspartners erreicht werden kann. Wie aber und welche Lasten in einer modernen Industriegesellschaft zu ordnen und zuzuordnen sind, das ist nach der verfassungsmäßigen Regel Sache des Gesetzgebers und nicht Sache der Gerichte.
Und dennoch: Die Rechtsprechung hat sich der Fortbildung des geschriebenen Rechts in einem Maße angenommen, das weit über das in der Verfassung vorgegebene hinausgeht. Man muß nicht in erster Linie an die bewährten Rechtsinstitute „Culpa in contrahendo ", „Positive Vertragsverletzung", „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter" denken. Diese Fortbildungen sind lange vor Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden.
Aber einige andere Beispiele aus der neuen Rechtsentwicklung geben doch Anlaß zum Nachdenken.
Mit dem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat der Bundestag das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverantwortung und Schutzbedürfnis neu geordnet. Kaum erlassen, begann die Rechtsprechung, das auf das Kleingedruckte Konzipierte fortzuentwickeln. Aus einer beschränkt gültigen Regelung entwickelte sie eine allgemeine inhaltliche Kontrolle von Vertragsabschlüssen — das auch dort, wo Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht zugrunde liegen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Gerichte haben die Inhaltskontrolle, die bislang Ausnahme war, im Wege der Rechtsfortbildung zur Regelkontrolle gemacht.
Über die Auslegung von Treu und Glauben hat die Rechtsprechung einen neuen Moralkodex für das Verhalten im Rechts- und Geschäftsverkehr entworfen. Das zu tun ist eigentlich Sache des Gesetzgebers.
Im Gesellschaftsrecht herrscht Unruhe bei den Publikumsgesellschaften, beispielsweise bei den kapitalersetzenden Darlehen — contra legem von der Rechtsprechung entschieden. Das Bankenrecht gerät in Bewegung und Unsicherheit, allerdings nicht durch den Gesetzgeber.
Die Rechtsprechung über Verkehrssicherungspflichten ist so unübersehbar, daß der Bürger ihr nicht mehr folgen kann. Im Schadensersatzrecht geht die Rechtsprechung mit komplizierten Konstruktionen über den Schutz des absoluten Rechtsgutes hinaus und zum Schutz der Vermögenswerte über.
Das Reiseveranstaltungsrecht ist ein Kind der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber ist nur zögernd und in den Augen der Gerichte unzulänglich gefolgt.

(Dr. de With [SPD]: Ihr wolltet überhaupt nichts, so war das!)

In die Rechtsfortbildung hat sich jetzt sogar das Amtsgericht Berlin-Schöneberg zum Thema Schadensersatz bei vertaner Freizeit eingeschaltet. Ich meine, Rechtsfortbildungen sollten wenigstens in Händen der Obergerichte liegen.
Weiteres Beispiel für diese Rechtsfortbildung ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Pflicht, Tatsachen zu einem Vertragsgegenstand zu offenbaren, selbst dann, wenn dem Erklärungspflichtigen ein starker Vertragspartner gegenübersteht. Das gilt selbst bei bewußt eingegangenem Risiko.
Im Recht der Bauherrenmodelle und der Prospekthaftung hat die Rechtsprechung den vom Gesetz vorgegebenen Rahmen längst gesprengt. Die These, daß Verträge Bindungen nur unter den Vertragsparteien darstellen, ist durchbrochen. Die Rechtsprechung billigt den Anspruch auf Vertragsaufhebung selbst Dritten zu, die am Vertragsabschluß nicht beteiligt sind.
Die Haftung bei Leasingverträgen, die Durchgriffshaftung im allgemeinen und die Produkthaftung gehören ebenso hierzu.
Weit ausgedehnt sind auch die Aufklärungs- und Belehrungspflichten der rechts- und steuerberatenden Berufe, der Börsendienste, Anlageberater, Vermögensverwalter und in gewissen Teilen auch die Aufklärungspflicht, die Ärzte haben. Man darf — mit einiger Übertreibung — sicherlich sagen: Rechtsprechung und Teile der Literatur — miteinander wetteifernd und sich anspornend — haben Kreationen gemacht, Modetrends verschärft, Regelungsnotwendigkeiten entdeckt und beantwortet. Nur — und das muß das Parlament sich selbst sagen — : Der Gesetzgeber war nicht dabei.
Unser Grundgesetz fußt auf Gewaltenteilung. Die Rechtsetzung ist der Vertretung des deutschen Volkes vorbehalten. Die Gerichte haben das Recht, im konkreten Einzelfall festzustellen, was nun Recht ist. Die Rechtsfortbildung — sosehr man ihre Ergebnisse ganz oder zum Teil begrüßen mag — ist eine Abweichung



Dr. Hüsch
von dieser Verfassungsregel. Eigentlich müßte sie Ausnahme bleiben, jedenfalls wenn sie durch Gerichte erfolgt. In Wirklichkeit ist aber die richterliche Rechtsfortbildung zur Regel geworden. Ich finde, das ist bedenklich.
Die Zuordnung von Rechten und Pflichten im Rechtssystem ist originär politische und deshalb gesetzgeberische Aufgabe. Wie jede Entscheidung vollzieht sich die politische im Spannungsfeld unterschiedlicher Auffassungen: in der Öffentlichkeit, unter Kontrolle, in Wort und Widerwort, in den Mechanismen der Entscheidung mit Ja und Nein und Enthaltung im Deutschen Bundestag, in der Dualität von Bundestag und Bundesrat, in der Spannung zwischen der Sachkunde der Fachausschüsse und dem allgemeinen Volkswillen der Plenarsitzungen.
Keines dieser Elemente wird jedoch dort erfüllt, wo Gerichte Rechtsfortbildung betreiben. Sie entscheiden nicht das Generelle, sondern nur den Einzelfall. Die Entscheidung bindet nur die Prozeßparteien. Selbst wenn daraus Nachahmung entsteht, die demokratischen Mechanismen der Verfassung haben dabei nicht Pate gestanden. Es geht dabei nicht um Rede und Gegenrede, sondern um Antrag und Gegenantrag, um Rechtsmeinungen, nicht um Rechtsetzungen. Und letztlich entstehen solche Rechtsfortbildungen im Geheimen, in der Beratung von nur ganz wenigen Richtern und häufig unter Verletzung des Grundsatzes, daß auch der andere Teil zu hören sei.
So wie sich diese Rechtsfortbildung entwickelt hat und wie sie mit Lust betrieben wird, wächst sie aus dem Rahmen der Verfassung heraus. Deshalb stellt sie nach meiner Auffassung eine verfassungsrechtliche Anmaßung dar.
Der Gesetzgeber aber schweigt. Mühsam hinkt er hinterher. Nur gelegentlich erreicht er einen kleinen Schritt Vorsprung, wie z. B. bei der Produkthaftung, wenngleich dieser weitgehend nur den Stand der Rechtsprechung wiedergibt, und wahrscheinlich im Umwelthaftungsrecht, das wir noch zu beraten haben. Aber das sind Ausnahmen. Die Regel ist: Das Parlament kommt in der Fortbildung des klassischen Rechts nicht nach. Ich finde, das ist kein guter Zustand. Das ist eine Kritik an uns selbst, an der Wahrnehmung der Pflichten des Parlaments. Das brauchen wir der DDR nicht vorzutragen.
Ich meine, der Gesetzgeber muß die Rechtsfortbildung, jedenfalls im klassischen Recht, wieder kraftvoll selbst in die Hand nehmen. Er muß die Aneignung der gesetzgeberischen Kompetenz durch die Rechtsprechung in einem verfassungsrechtlich nicht einmal kontrollierbaren Verfahren durch das verfassungsrechtlich vorgegebene Verfahren der Beratung und des Streites im Parlament und seiner Entscheidung beenden. Ich finde, das verlangt die Verfassung, und das verlangt unser Auftrag. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das war aber eine Kritik an Ihrer eigenen Rechtspolitik!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119404900
Meine Damen und Herren, mein Eindruck ist, daß wir jetzt an dem nächsten Schritt sind. Insofern ist es wohl sinnvoll, im Sinne der
vorhin getroffenen Vereinbarung, daß ich jetzt alle anderen Tagesordnungspunkte des Vormittags im Rahmen dieser Debatte aufrufe, so daß sie dann mit zur Diskussion stehen, mit Ihrer Zeiteinteilung, wie Sie sich das überlegt haben.

(Bohl [CDU/CSU]: Ich würde die Punkte einzeln aufrufen, Herr Präsident!)

— Ich habe dann aber ein Durcheinander bei den Redezeiten. Das macht die Sache etwas schwierig. — Wir können es ja einmal probieren.
Ich rufe jetzt gemäß der Tagesordnung den Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung
— Drucksache 11/6007 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, für die Berufe des Rechtsanwalts und des Patentanwalts
— Drucksache 11/6154 —
Besteht Ihr Einverständnis, daß ich damit die Aussprache zu dem ersten der Punkte — das war der Tagesordnungspunkt 3 — als abgeschlossen betrachten kann? — Dies ist der Fall.
Ich bin mir nur noch nicht ganz im klaren, ob wir jetzt nach jeder Runde die Abstimmung vornehmen oder ob wir die Abstimmungen ganz an den Schluß stellen. Vielleicht überlegen Sie sich das bitte noch einmal.
Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1119405000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Notariat bietet in der Bundesrepublik, wie Sie wissen, ein buntscheckiges Bild. Auf Grund historisch gewachsener Entwicklungen gibt es Bezirksnotare, Nur-Notare und Anwaltsnotare. Abgesehen von den Bezirksnotaren, die Landesbeamte sind, üben Nur-Notare und Anwaltsnotare einen selbständigen Beruf aus, der aber einer starken staatlichen Bindung unterliegt. Sie sind Träger eines öffentlichen Amtes.
Das Grundrecht der freien Berufswahl gilt deshalb für sie nur eingeschränkt, d. h. es hat nicht jeder Anspruch darauf, Notar zu werden. Der Staat kann die Zahl der Notare beschränken. In § 4 der Bundesnotarordnung heißt es, daß nur so viele Notare bestellt werden, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht. An diesem Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht mehrfach als verfassungsgemäß bezeichnet hat, will wohl auch niemand rütteln.
Die Zahl der Anwaltsnotare — sie stehen schon auf Grund ihrer großen Zahl im Vordergrund meiner Betrachtung — wurde in der Vergangenheit dadurch gesteuert, daß man — mit gewissen Differenzierungen



Eylmann
von Bundesland zu Bundesland — schlicht Wartezeiten einführte. Wer z. B. in Niedersachsen 15 Jahre Rechtsanwalt war und davon drei Jahre am Orte, der mußte auf seinen Antrag hin zum Notar ernannt werden, wenn er sich als geeignet erwies; und geeignet sind im Grunde fast alle, denn alle Anwälte haben ja das Zweite Staatsexamen mit Erfolg abgelegt.
Dieser Steuerungsmechanismus erwies sich so lange als wirksam, als die Zahl der Notariatsgeschäfte und die Zahl der Anwälte in etwa proportional stiegen. Das war in den 50er, 60er und auch noch Anfang der 70er Jahre der Fall; aber danach lief die Entwicklung auseinander. Ab 1977 sank die Zahl der Notariatsgeschäfte, aber im Zuge der Anwaltsschwemme stieg die Zahl der Anwälte. Das ist, wie wir wissen, keine vorübergehende Erscheinung.
Der Gesetzgeber muß also handeln. Sein Spielraum ist gering, denn er steht im Grunde vor folgender Alternative. Wenn er es bei der bisherigen Regelung der Wartezeit beläßt, wofür allerdings nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1986 nunmehr eine gesetzliche Grundlage notwendig wäre, muß er als Konsequenz den in § 4 der Bundesnotarordnung niedergelegten Grundsatz ändern, wonach sich die Zahl der Notare nach den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege bestimmt. Er müßte also die Notare wie die Anwälte dem scharfen Wind des Wettbewerbs aussetzen. Ob dies ohne Folgen für das herkömmliche Bild des Notars als Träger eines öffentlichen Amtes bleiben würde, muß wohl bezweifelt werden. Oder aber der Gesetzgeber muß andere Kriterien für die Zulassung zum Notaramt finden als die bloße Dauer der Ausübung des Anwaltsberufs. Was nun diese Kriterien angeht, so hat er auch wiederum keinen großen Spielraum; denn in Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es, daß sich der Zugang zu einem öffentlichen Amt nach der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des Bewerbers richtet. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Begründung der oben erwähnten Entscheidung dieser Grundrechtsnorm eine erhebliche Bedeutung für die Besetzung der Notarstellen beigemessen. Ich habe die Praxis, freiwerdende Notarstellen nach der Dauer der anwaltlichen Berufsausübung zu besetzen, immer für verfassungsrechtlich höchst bedenklich gehalten. Denn wieso soll es eigentlich gerecht sein, daß eine freiwerdende Notarstelle von einem Anwalt besetzt werden muß, der zwölf Jahre Anwalt war, obwohl er vielleicht seinen Beruf nur mit mäßigem Erfolg ausgeübt hat, während ein anderer, weitaus qualifizierterer Bewerber nur deshalb zurückstehen muß, weil er erst eine Wartezeit von neun Jahren aufzuweisen hat? Eignung und Befähigung steigen doch nicht proportional zur Dauer der Berufsausbildung,

(Duve [SPD]: Das ist eine Behauptung!)

jedenfalls dann nicht, wenn man schon einige Jahre im Beruf tätig war.
Es bleibt bei dieser Sachlage nichts anderes übrig, als vom System der Wartezeiten Abschied zu nehmen, Notarstellen öffentlich auszuschreiben und nach Qualifikation zu besetzen. Das ist einigermaßen schwierig. Was alles mit welcher Gewichtung und in welchem Verfahren bei der Ermittlung der besten Qualifikation zu berücksichtigen ist, darüber kann man sich füglich
streiten. Das werden wir im Rechtsausschuß wohl noch tun, natürlich, Herr Kollege Kleinert, in netter Form. Denn wer wüßte z. B. auf Anhieb die Frage zu beantworten, welche Bedeutung man der anwaltlichen Berufserfahrung im Verhältnis zur Note des Zweiten Staatsexamens zumessen soll!
Ich kann nun den Frust von Kollegen verstehen, die mittlerweile fast 15 Jahre gewartet haben und sich, mitten in den 40ern stehend, in ihrer Hoffnung enttäuscht sehen, endlich das heißbegehrte Notaramt ergattern zu können. Ich möchte ihnen auch entgegenkommen, und zwar in einem Punkt, den der Gesetzesentwurf nicht aufgreift. Wenn es denn beim Notariat entscheidend auf die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege ankommt, dann darf das nicht nur für den Zugang zu diesem Beruf gelten, sondern auch für den Abgang. Wir haben Notare, die noch mit 80, ja mit 90, fröhlich, guten Mutes und mit Hilfe eines tüchtigen Bürovorstehers ihres Amtes walten. Das werden wir nicht länger hinnehmen können; denn zu den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege gehört es auch, daß wir kein überaltertes Notariat, sondern eines mit einer halbswegs vernünftigen Altersstruktur haben. Ich weiß, man kann mit 80 und 90 sowohl in der Politik als auch im Notarberuf noch Vorzügliches leisten. Aber wenn ein Beamter mit 65 pensioniert werden muß, dann ist es nicht einzusehen, weshalb man mit 80 noch das Amt des Notars ausüben darf. Ich bin also für die Einführung einer Altersgrenze. Wo sie liegen wird, darüber werden wir uns noch unterhalten müssen. 70 Jahre dürften keine schlechte Zeit sein.
Ich hoffe in diesem Punkt auch auf eine Unterstützung durch die Berufsorganisation der Notare; denn wer sich beim Zugang zum Beruf auf die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beruft, muß das auch beim Abgang tun, mag er die notarielle Tätigkeit auch noch so sehr als eine sinnvolle Altersbeschäftigung ansehen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119405100
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1119405200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht verlangt vom Deutschen Bundestag zu Recht eine gesetzliche Regelung für die Auswahlmaßstäbe bei mehreren Bewerbern um das Notaramt und für das Auswahlverfahren. Der Gesetzentwurf liegt jetzt vor. Das begrüßt die SPD-Fraktion. Der Entwurf bedarf einer sorgfältigen Beratung vor allem im Rechtsausschuß des Bundestages. Sowenig wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarten können, mit diesen Beratungen über die Notarordnung bei einer breiten Öffentlichkeit oder gar in diesem Hause besondere Aufmerksamkeit zu erzeugen: Der Handlungsauftrag für den Gesetzgeber ist da, und wir sollten uns darüber im klaren sein — das hat Kollege Eylmann auch, denke ich, zu Recht hervorgehoben — , daß wir in einem nicht unerheblichen Maße einen wichtigen Teilbereich der Rechtspflege neugestalten und — so oder so — nach Maßgabe der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gravierende Auswirkungen vor allem



Wiefelspütz
für den Bereich des Anwaltsnotariats bewirken werden. Das, was wir letztlich beschließen werden, wird, denke ich, gravierende Auswirkungen aber auch auf die beruflichen Perspektiven derjenigen Anwälte haben, die ein Anwaltsnotariat anstreben.
Umstritten ist vor allem die vorgesehene Änderung des § 4 der Bundesnotarordnung. Der Regierungsentwurf sieht vor, daß diese Vorschrift künftig wie folgt lauten soll:
Es werden nur so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht.
Nun enthält schon die geltende Bundesnotarordnung in § 4 Abs. 1 wortwörtlich die gleiche Bestimmung. Wegfallen soll nach dem Regierungsentwurf lediglich der zweite Absatz, in welchem es heißt, daß bei Anwaltsnotaren „die Landesjustizverwaltungen die näheren Bestimmungen treffen" und „insbesondere die Bestellung vom Vorhandensein eines Bedürfnisses an dem in Aussicht genommenen Amtssitz oder vom Ablauf einer Wartezeit oder von beiden Voraussetzungen abhängig machen" können. Die Länder machen bekanntlich von diesen Befugnissen derzeit in unterschiedlicher Weise Gebrauch. Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben eine Wartezeitregelung getroffen, während in Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein zusätzlich noch die Voraussetzung gefordert wird, daß die durchschnittliche Zahl von Beurkundungen und Beglaubigungen im betreffenden Amtsbezirk nicht unter eine bestimmte Zahl absinken dürfe.
Sollte der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Bundestag mit dem vorliegenden Inhalt verabschiedet werden, so würde der Zugang zum Notaramt durch die Einführung einer Eignungsprüfung zwar erschwert, andererseits jedoch die Verkürzung der Mindestwartezeit auf fünf Jahre erleichtert werden.
Wir sind mit unseren Überlegungen in der SPD- Fraktion, wie Sie sich denken können, noch nicht zu abschließenden Ergebnissen gekommen. Ich will nur signalisieren, daß die Einführung des Leistungsprinzips jedenfalls grundsätzlich zu bejahen ist. Ich will aber auch nicht bestreiten, daß wir uns noch sehr genau — da stimme ich Herrn Eylmann uneingeschränkt zu — über die Art und Weise unterhalten müssen, wie wir dieses Qualifikationsmerkmal denn ermitteln wollen. Ob und wie sich die geplante Gesetzesänderung auf die Vergabe von Notarstellen insgesamt auswirken wird, ist auch noch eine offene Frage. Die strengere Bindung an die „Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege", wie es im Gesetz heißt, wird sicher einige Bundesländer veranlassen, den Zugang zum Notaramt stärker als bisher zu beschränken. Dies liegt wohl in der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Organisationsgewalt der Länder, die auch schon nach bisherigem Recht — vergleiche § 4 Abs. 2 der Bundesnotarordnung — die näheren Bestimmungen, also auch die Feststellung eines Bedürfnisses für die Vergabe des Notaramtes, treffen können.
Ich will ganz freimütig sagen, daß ich bei meinen ersten Überlegungen zur Feststellung der Qualifikation im Zusammenhang mit dem § 6 c des Gesetzentwurfs einige Probleme hatte, wie denn nun wohl die
Qualifikation festgestellt werden soll. Da ist die Rede von einem Gutachten auf der Grundlage eines einstündigen Prüfungsgesprächs unter Berücksichtigung von Examensnoten und anwaltlicher Erfahrung. Wenn wir verhindern wollen, daß hier nicht nur eine Scheinrationalität erzeugt wird, daß wir irgendeine Note mit zwei Stellen hinter dem Komma auswerfen, wobei dann so getan wird, als sei das die Qualifikation — in Wirklichkeit sind es ganz andere Kriterien, die da eine Rolle spielen —, werden wir, glaube ich, diesen Punkt noch einmal sehr sorgfältig beraten müssen. Mir scheint, daß diese Fassung des Gesetzentwurfs noch nicht das letzte Wort ist, das wir im Rechtsausschuß wohl auch einvernehmlich finden können.
Ich finde den Hinweis von Herrn Eylmann zutreffend, mindestens aber erwägenswert, daß auch eine Altersgrenze bedacht werden muß. Die Ausführungen von Herrn Eylmann insoweit waren sicherlich überzeugend. Das ist in dem Gesetzentwurf noch nicht enthalten und wird sicherlich Gegenstand unserer Beratungen sein. Ich glaube, auch da wird es eine Chance geben, dies in dem Gesetzentwurf noch zu verbessern.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort zu der Situation der jungen Anwälte sagen, die den Wunsch haben, Anwaltsnotar zu werden und die seit Jahr und Tag warten. Gerade im Hinblick auf die Berufschancen dieser jungen Kolleginnen und Kollegen werden wir mit großer Sorgfalt am Gesetzentwurf arbeiten müssen, um diesen jungen Kollegen eine wirklich faire Chance zu gewähren, ihren Berufswunsch, Anwaltsnotar zu werden, auch realisieren zu können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119405300
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Hannover).

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1119405400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einige kurze Bemerkungen. Wir sind uns ja über die Grenzen der Fraktionen hinweg einig, daß hier etwas zu geschehen hat. Etwas schwieriger ist schon die Frage, was zu geschehen hat. Das Erfordernis der geordneten Rechtspflege ist ja einer der unbestimmtesten Rechtsbegriffe, von denen wir seit langem gehört haben. Darüber gibt es unglaublich viele Theorien, Ansichten, Meinungen, die hier nicht im einzelnen ausgebreitet werden können.
Ich glaube jedenfalls, daß nach dem derzeitigen Stand der Bedrohung dieser geordneten Rechtspflege — im Zweifel soll man sich ja wohl für die Freiheit entscheiden —

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

im Bereich des Anwaltsnotariats zahlenmäßige Regelungen, strengere Eingriffe in den § 4 nicht erforderlich sind. Wir sollten uns vielmehr sehr gründlich mit der Frage befassen — Herr Wiefelspütz hat sie hier eben noch einmal sehr problematisiert —, wie in § 6 die Zugangsvoraussetzungen zu fassen sind. Unserer Meinung nach kann es sich nur darum handeln, daß man versucht, möglichst viele unterschiedliche Krite-



Kleinert (Hannover)

rien zu einem Bündel — ob mit oder ohne Punkteschlüssel — zusammenzufassen, um wenigstens den Versuch zu machen, der Gesamtheit der Persönlichkeit, die dieses öffentliche Amt bekommen soll, gerecht zu werden.
Wie das im einzelnen zu geschehen hat, muß man sehen. Ein kollegiales Fachgespräch ist nur eine Ausrede dafür, daß man gern eine Prüfung haben möchte, sich aber scheut, sie als eine solche zu bezeichnen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Es geht um kollegiales Fachgespräch mit denjenigen, die gern und verständlicherweise unter sich bleiben möchten. Herr Eylmann, Herr Helmrich und ich, wir alle haben keine persönlichen Probleme damit. Wir sind Notare. Wir können uns in schöner Gelassenheit mit dem Problem auseinandersetzen.
Gerade weil das so ist, möchte ich den jungen Kollegen nicht zumuten, auf das Wohlwollen der väterlichen Freunde, die da zusammen sind, die vielleicht schon den Großvater als bedeutendes Mitglied des Kammervorstandes kennengelernt haben, angewiesen zu sein. Etwas objektiver sollte man schon an die Sache herangehen.
Wenn man in § 6 die Schwelle erhöht, wenn insgesamt der Zugang sorgfältiger überlegt wird, also wenn man es einfach dem von Herrn Eylmann zutreffend dargestellten Zeitablauf überläßt, kann man, glaube ich, auch noch einige Jahre zuwarten, bevor man in § 4 etwas ändert, und sehen, wie sich die Geschichte weiter entwickelt.
Die Statistik, die ungern preisgegeben wird, die man aber doch von dem einen oder anderen erfahren kann — insbesondere von den Versicherern —,

(Duve [SPD]: Im Zweifel für die Freiheit der Statistik!)

weist aus, daß es gar nicht diejenigen mit dem verhältnismäßig geringen Geschäftsumfang sind, die die Versicherungsprämien und die Umlagen in die Höhe treiben, sondern daß es sich dabei um sehr große Notariate handelt, deren Inhaber aus irgendwelchen Gründen in späteren Jahren zu übermütig geworden sind. Von hier aus können also auch keine Kriterien für den Zugang gewonnen werden. Wir müssen einen vernünftigen Altersaufbau behalten. Wir dürfen den jungen Kollegen ihre Chance nicht verstellen. Wir müssen den Zugang so objektiv wie möglich neu regeln.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119405500
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119405600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich in dieser Aussprache zur Änderung der Bundesnotarordnung auf sehr weniges beschränken. Wir werden dieses Gesetz im Ausschuß eingehend beraten und dort noch detailliert und differenziert diskutieren können.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Bundesnotarordnung malt die Gefahr einer Notar-
schwemme an die Wand. Die in der Begründung des Entwurfs angegebenen Zulassungszahlen zur Anwaltschaft und zum Notariat sind allerdings nicht ausreichend geeignet, das zu belegen. Steigende Zahlen von Anwälten, die niemand bestreitet, führen nicht automatisch auch zu einer im selben Maße steigenden Zahl von Notaren. Ein Strafverteidiger z. B. wird es nicht immer für dienlich halten, sich zusätzlich ein Notariat zuzulegen.
Auch wenn die Beschränkung des Zugangs zum Notariat rechtlich legitimiert ist, ist sie aus meiner Sicht nicht unbedingt geboten. Ich sehe auch keine ausreichenden, insbesondere keine durchgreifenden Gründe, warum hier nicht wie auch andernorts Angebot und Nachfrage den Markt regeln sollen. Wenn die Zahl der Notariatsgeschäfte abnimmt, wird sich jede Kollegin und jeder Kollege dreimal überlegen, ob sie bzw. er die hohen damit verbundenen Investitionen auf sich nimmt.

(Eylmann [CDU/CSU]: Das ist völlig lebensfremd!)

Das wird natürlich auch von der sonstigen Spezialisierung, etwa im Anwaltsberuf, mit abhängen.

(Eylmann [CDU/CSU]: Sie kennen die Situation nicht!)

Ich habe ein bißchen die Sorge, daß hier auch die Furcht vor Konkurrenz und die Sicherung des einträglichen Geschäfts derer, die bereits Notare sind, Pate gestanden haben.
Die Zugangsvoraussetzungen scheinen mir ebenfalls relativ willkürlich geregelt zu sein. Dazu haben die Vorredner schon vieles gesagt. Zum Thema des Fachgesprächs etwa hat sich Herr Kleinert sehr zutreffend geäußert. Ich will zusätzlich nur kurz sagen: Aus meiner Sicht kann auch die Examensnote eigentlich kein ausreichendes Kriterium sein. Wir alle wissen, daß das juristische Staatsexamen eher auf den Richter- und Richterinnenberuf zugeschnitten ist als auf den des Anwalts oder Notars. Welche Fähigkeiten ein Kollege oder eine Kollegin im Anwaltsberuf hat, zeigt sich dann oft erst in der Praxis. Wenn die Entscheidung für das Notariat ansteht, liegt das Examen selbst schon weit zurück.
Und außerdem: Wann ist man „nach der Persönlichkeit geeignet", Notar zu sein? Auch das ist eine ziemlich offene Frage.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Abschließend wäre mir eines tatsächlich ein Anliegen an dieser Stelle gewesen, nämlich daß man versucht hätte, etwas zu unternehmen, um Frauen in diesem Beruf mehr Möglichkeiten zu schaffen, um vielleicht sogar zu einer Quotierung von Frauen auch im Bereich des Notariats zu kommen, wie es ihrer Repräsentanz in der Gesellschaft entspricht.
Ich danke Ihnen.

(Beifall des Abg. Wiefelspütz [SPD])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119405700
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf den Drucksachen 11/6007 und 11/6154 an die in der Ta-



Vizepräsident Westphal
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 1985 und Fragen des Urheber- und Leistungsschutzrechts
— Drucksachen 11/4929, 11/5958 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Kreile Stiegler
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Bernrath, Conradi, Egert, Hämmerle, Dr. Götte, Müller (Düsseldorf), Odendahl, Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Sielaff, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg (Berlin), Weiler, Weisskirchen (Wiesloch), Weyel, Wiefelspütz, Dr. Böhme (Unna), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Urheberrecht
— Drucksache 11/6258 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Die Redezeitvereinbarung gilt, wie vorher getroffen. Mir liegt nur eine Wortmeldung des Abgeordneten Duve vor. Er hat das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1119405800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht verhehlen, daß ich immer ein etwas zwiespältiges Gefühl bei der Diskussion um Urheberschaft habe. Denn unsere ganze Kultur ist Zitat und Abschrift. Kultur ist das Weiterwirken von Gedanken und künstlerischen Erfindungen der Kulturgeschichte. Die abertausend dramatischen Anekdoten und Novellen des Alten Testaments, die Gleichnisse der klassischen Philosophen, die Bilder und Legenden Homers, das alles sind die Stofflager, aus denen unsere Kultur gewoben ist, in Wort, in Schrift, Bild und Ton. Die Sprache ist ein kollektives Gebilde, immateriell und jedermann zum richtigen Gebrauch frei. Sie ist entstanden aus der Kulturgeschichte ohne Urheberrecht.
Ich habe übrigens unter meinen Autoren einen Philosophen, dem ich besonders nahestehe, Ivan Illich. Er hat aus diesen Gründen abgelehnt, von der VG Wort betreut zu werden. Es war ihm von uns, von der Verlagsseite aus schwer beizubringen, daß er aus materiellen Gründen auf dem Urheberschutz seiner gedruckten und verlegten Bücher bestehen müsse.
In den letzten Wochen haben wir einen Streit gehabt, der die Gemüter besonders erhitzt hat, nämlich die Frage des Plagiats. Helmuth Karasek hat im „Spiegel" den Plagiatvorwurf von Harald Wieser gegen Kempowski zurückgewiesen und hat ebenfalls gesagt: Kultur- und Kunstgeschichte ist Abschreib- und Abbildgeschichte.
Das teure, aber nicht edle Metall Kupfer und dessen Stecher haben der deutschen Sprache das schöne Wort „abkupfern" geschenkt.
Thomas Mann hat in langen Briefen an Adorno bekräftigt, warum dem Künstler die Wirklichkeit offenstehen müsse:
Das, was historisch gegeben und bekannt ist,
klebe ich auf, lasse die Ränder sich verwischen,
— Zitat von Thomas Mann —
lasse es sich in die Komposition einsenken, als ein mythisch vogelfreies Thema, das jedem gehört.
So können wir heute mit dem Urheberrecht und Urheberschutz leider nicht umgehen.

(Wiefelspütz [SPD]: Haben Sie, Herr Kollege, eigentlich auch schon einmal abgekupfert?)

— Sicher,

(Dr. de With [SPD]: Nur als Politiker wahrscheinlich!)

ich weiß, daß ich von Ihnen gerne Honig sauge.

(Zuruf von der SPD: Als Kupferstecher! — Heiterkeit)

Aber auch das Honigsaugen ist ja ein Teil der Urheberrechtsgeschichte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119405900
Er ist mehr für „Selberstich" statt Kupferstich.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1119406000
Worum geht es? Es geht darum, meine Damen und Herren, daß sich zwei Traditionen entwickelt haben, einmal die amerikanisch-englische, in der der Urheber, der Autor, eigentlich eine immer geringere Rolle spielt und derjenige, der das Recht gekauft hat wie eine Handelsware, der zu Schützende ist.
In unserer, der französisch-italienischen Tradition haben wir etwas anderes. Da sagen wir: Der Autor bleibt der Autor; das ist sein eigenes Recht, und er kann es zur Nutzung abgeben oder vermieten; er kann damit allerlei machen, aber im Ursprung bleibt er der Eigentümer. Insofern ist der berühmte Copyright-Vermerk in unseren Büchern eigentlich falsch, d. h. rechtlich nicht ganz richtig. Wir haben eine andere Tradition.
Ich bin Frau Ministerialdirektorin Möller aus dem Justizministerium sehr dankbar, daß sie in einem sehr eindrucksvollen Vortrag die Unterschiede dieser Rechtstradition in ihrer Reaktion auf das Grünbuch der Europäischen Gemeinschaft einmal nachgewiesen hat. Sie hat darauf hingeweisen, daß es sich bei dem Copyright eigentlich um eine Art alten Privilegienrechts handelt, daß da durch das Parlament oder durch den König oder wen auch immer gewährt wird, daß jemand seine eigene Sache nutzen darf. Es ist also ein Recht, das möglicherweise durch diese Instanz auch wieder entzogen werden könnte.
Die EG hat nun in ihrem Grünbuch zur technologischen Entwicklung erkennen lassen — will ich vorsichtig sagen — , daß sie eigentlich diese Autorschaft als Handelsware vorzieht, also die englisch-amerikanische Tradition, und möglicherweise auch der Gesamt-EG vorschlagen würde. Wir sind anderer Auffas-



Duve
sung, und wir haben einen kleinen Antrag eingebracht, um Brüssel zu signalisieren, daß das Parlament der Deutschen, der Deutsche Bundestag, anderer Auffassung ist und seine Tradition gewahrt haben möchte.
Ich weiß, daß die Franzosen, auch die italienischen, französischen und deutschen Autorenverbände, dies genauso sehen. Wir möchten Sie bitten, daß wir dies im Ausschuß beraten und möglichst zu einer einvernehmlichen Entschließung in dieser Sache kommen. Es hat dann wieder einen gewissen Signalcharakter auf das Europäische Parlament, wenn sich ein nationales Parlament dazu äußert.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben dies schon einmal in zwei Fällen gemacht. Ich darf Sie an unsere Entschließung zur Filmförderung erinnern, wodurch wir auch unsere Tradition haben deutlich machen wollen. Genauso war es bei der Buchpreisbindung. Dabei war es immer sehr wichtig und richtig, daß sich alle Fraktionen des Hauses diesem Signal nach Brüssel und manchmal auch nach Luxemburg zum Hohen Gericht angeschlossen haben. Ich bitte sehr darum.
Wir haben noch ein zweites Thema in dieser kurzen Runde. Die Berichterstatter zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Urheberrecht haben dem Plenum eine Beschlußempfehlung vorgelegt. In der schmerzlichen und richtigen Erkenntnis, daß wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einer Gesetzesnovelle kommen, haben Sie einige rasche Schritte empfohlen. Ich darf daran erinnern, daß dieser Bericht, die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Ergebnis der Diskussionen der damaligen Novelle 1985 war und als Wunsch aus dem Parlament herausgekommen ist. Ich finde es gut, daß die beiden Berichterstatter und der Ausschuß einstimmig einige Empfehlungen gegeben haben. Wir können sie nachvollziehen, und ich denke, wir werden zu einer gemeinsamen Beschlußfassung kommen.
Ich möchte aber zum Schluß, meine Damen und Herren, doch noch auf meine eingangs erwähnte Zwiespältigkeit dem Thema gegenüber als jemand, der mehr von der Autorseite kommt, hinweisen. Wir müssen uns, glaube ich, immer bewußt sein, daß nicht alle Wirklichkeiten vermarktbar oder privatisierbar und zur Handelsware werden dürfen. Ich werde es z. B. immer für absurd halten, daß das Recht, eine Zuschauermenge, die einem Fußball- oder Tennisspiel zuschaut, zu filmen, als privates Recht, als Handelsware vermarktbar ist. Das ist nicht mehr zu ändern, aber ich halte es dem Wesen nach für problematisch.
Ich habe bei den Römerberggesprächen vor zwei Jahren eine kleine Satire über diese meine Unsicherheit dem Thema gegenüber geschrieben. Diese will ich dem allerhöchsten Hause auch nicht vorenthalten. Es ist eine Satire über das Jahr 2010.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Mit Urheberrecht oder ohne?)

Sie ist schon zwei- oder dreimal publiziert worden. Insofern bin ich jetzt mein eigener Plagiator.
Die Satire lautet: Im Jahre 2010 trifft eine Jungfilmerin auf ihre ältere Freundin, die eine ausgewiesene Filmemacherin ist. Die Jungfilmerin sagt: Ach du, ich möchte so gerne Filme machen; ich möchte Menschen und Bäume filmen, Gespräche in den Kneipen aufnehmen, die Tiere im Wald zeigen und die Kinder beim Spielen. Sie träumt also von den Möglichkeiten des freien Filmens. Die alte Erfahrene lacht sie traurig an und sagt: Du naives Weib, du hast überhaupt nichts begriffen. Für das Filmen der Gespräche in den Zügen und auf dem Bahnhof mußt du ein Vermögen ausgeben. Der europäische Eisenbahndachverband hat alle Rechte für das Aufnehmen aller Vorgänge in, um und an der Bahn, aller Reisenden und Abholer an die amerikanische MGM verkauft, und diese hat einen Untervertrag mit RTL plus.
Und der Weltdachverband der öffentlichen und privaten Forstverbände hat die Filmrechte an allem, was mit Bäumen und Wald, mit Waldspaziergängen, Waldpicknicks, Waldsterben, Waldameisen zu tun hat, an die japanische Firma Telebishi verkauft, und du mußt dich an die Telebishi Europa wenden, und sie arbeitet zusammen mit ihrer Tochter, der Springer AG.

(Heiterkeit)

Und Gespräche in den Kneipen und Restaurants sind unmöglich. Da wendest du dich an den australischen Konzern Murdock. Er verwaltet die Rechte an allem, was mit Restaurants und Gaststätten zusammenhängt.
Die Junge ist ziemlich geschockt: Und wenn ich nun nicht filme, sondern alles auf Tonband aufnehme? Die Ältere: Wo, glaubst du, befindest du dich eigentlich? Sprache, Wörter, die Maxwell-LangenscheidtLarousse-Ag, längst im Besitz von IBM/Siemens LTD, hat die meisten europäischen Sprachen unter Vertrag, auch Einzelwörter sind geschützt. Seinerzeit hatte die Konkurrenz geschlafen, und Maxwell hat die Wortschätze der großen Weltsprachen einfach aufgekauft.

(Heiterkeit)

Gott sei Dank hat Brüssel dann the private use of words Act verabschiedet: Wenigstens für Gespräche brauchen wir keine Gebühren zu zahlen. Auch Tonaufnahmen innerhalb der Familien sind gestattet. Aber für alle kommerziell möglichen Auswertungen mußt du dich an Maxwell oder die Maxwell-Tochter Burda wenden.
Und was ist mit dem Spielen und Singen der Kinder, fragt die Jüngere. Die Altere ist empört: Weißt du denn nicht, wie teuer das Spielen inzwischen geworden ist?! Jokes and Juegos aus Buenos Aires, eine Bertelsmann-Tochter, hat die Weltspielrechte aufgekauft. Eltern müssen frühzeitig die Rechte erwerben, weil kostenfreies Spielen nur noch in geschlossenen Räumen erlaubt ist.

(Heiterkeit)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119406100
Herr Kollege, wissen Sie, wieviel Geld es kostet, hier weiter reden zu dürfen?

(Erneute Heiterkeit — Dr. de With [SPD]: Nur im Bundestag ist alles frei! Deswegen hört keiner auf uns!)





Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1119406200
Herr Präsident, ich bin sogleich fertig.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119406300
Sie sind über die Redezeit hinweg, und je mehr Sekunden das dauert, desto teurer wird es.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1119406400
Ich bin sofort fertig.
Natürlich gibt es viele Kinder, die sich neue Spiele ausdenken, die noch ungeschützt sind. Aber sie tun das heimlich, aus Angst, die Agenten der Exxon-Tochter Life-Rights könnte sie ausspähen und ihnen die Spiele abkaufen.
Und wenn du wirklich frei filmen willst, mußt du zu den Lappen und Samländern gehen. Sie leben im Reservat oben im Norden. Ihre Sprache, ihr Leben ist zu uninteressant für den Markt, bis heute. Dort kannst du noch filmen.
Die Ältere tröstet die traurige Jüngere und sagt: Angefangen hatte es alles 1988, als die Fußballer ihre Rechte global an Bertelsmann verkauft haben.
Ich danke für die Geduld, Herr Präsident.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119406500
Zu der letzten Bemerkung paßt dann nur noch der noch nicht geschützte Begriff Au-Tor, bezogen auf Fußball, meinte ich jetzt.

(Heiterkeit)

Wir haben den Wunsch nach einer Kurzintervention des Abgeordneten Gautier, damit das wenigstens eine Debatte wird. Bitte schön.

Dr. Fritz Gautier (SPD):
Rede ID: ID1119406600
Herr Präsident, recht herzlichen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre bekanntermaßen nicht zum Rechtsausschuß und verstehe von der Materie auch nicht allzuviel. Ich habe diesen Bericht mal gelesen. Wie er hier vorliegt, wäre er an sich wert, intensiv debattiert zu werden.

(Bohl [CDU/CSU]: Machen wir ja!)

Mir ist beim Lesen und aus meiner älteren Erfahrung von verschiedensten Anhörungen im Europäischen Parlament einiges aufgefallen.
Diese uneingeschränkte Unterstützung im Bereich der Leerkassettenabgabe halte ich persönlich für relativ problematisch, wenn sie in dieser Tendenz weitergeht. Dies gilt vor allen Dingen deshalb, weil die Bundesregierung ankündigt, daß man sie in diesem Bereich auch noch erhöhen sollte. Ich halte es auch für problematisch, daß man alle anderen Ansätze, z. B. technische Lösungen, die die EG-Kommission in bestimmten Bereichen vorschlägt, einfach vom Tisch wischt und sagt: Wir werden unser System schon europaweit durchsetzen, im Zweifelsfall auch noch in der Wipo.
Ich persönlich möchte hier Bedenken anmelden, denn die Leerkassettenabgabe hat auch sehr, sehr viel Ungerechtigkeiten und Problematiken. Im Zusammenhang mit dem Europäischen Binnenmarkt gibt es sowieso noch zusätzliche Probleme.
Die zweite kurze Anmerkung beruht auf meiner alten Erfahrung als Juso-Vorsitzender. Wenn wir dort mit drei Leuten zusammengesessen haben

(Bohl [CDU/CSU]: So viele?)

— drei war viel, manchmal auch fünf oder zehn— und wir haben da eine Schallplatte abgespielt,

(Dr. de With [SPD]: Die haben da Platten abgespielt!)

dann kriegten wir am nächsten Tag einen Brief von der GEMA, warum wir die GEMA-Gebühren nicht bezahlt haben. Mich veranlaßt dieses, doch mal zu fragen, ob eigentlich die Zuteilung der Mittel immer richtig ist. Ich persönlich habe den Eindruck, daß die GEMA über einen außerordentlich hohen Verwaltungsapparat verfügen muß; das sage ich auch aus Erfahrungen der letzten Zeit, wo ich entsprechende Briefe gesehen habe. Wenn mal ein paar Leute dort zusammensaßen, war das am nächsten Tag offensichtlich in der GEMA-Zentrale bekannt.
Ich persönlich habe große Bedenken und den Eindruck, dort wird sehr, sehr viel — ich will mal so sagen, höflich ausgedrückt — etwas leichte Spionage finanziert.

(Irmer [FDP]: Stasi GEMA!)

Letzte Anmerkung, die ich machen möchte: Ich war auch mal in dem Verlag schriftstellerisch tätig, wo auch mein Kollege Freimut Duve eine Verantwortung getragen hat. Ich bin also schon für Urheberrecht. Die Frage ist aber, wie weit wir das ausdehnen wollen, wenn z. B. jetzt zur Diskussion steht, daß man auch unsere Telefaxgeräte mit in die Geräteabgaben einbezieht, weil man damit theoretisch fotokopieren kann. Mit einem Buch geht das noch nicht, aber mit einzelnen Seiten. Das heißt, ein marginaler Anteil von urheberrechtlich vielleicht relevanten Fragen soll bei einem Telefax-Gerät, in das ich einmal eine Kopie einschiebe, dazu führen, daß für alle Telefax-Geräte eine Abgabe erhoben wird. Oder nehmen wir ScannerGeräte, die zunehmend zum Einlesen in entsprechende Apparate benutzt werden, die wir im Büro stehen haben, nämlich Personal Computer usw.
Da habe ich Bedenken, ob nicht die technische Entwicklung andere Antworten erfordert, als sie hier in diesem Bericht dargelegt sind. Ich persönlich — das sage ich ausdrücklich in meinem eigenen Namen — möchte erklären, daß ich versuchen würde, andere Lösungen zu finden, wenn es an die rechtliche Umsetzung der Auswirkungen dieses Berichts geht.
Schönen Dank.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119406700
Nun hat der Rechtsausschuß dabei noch zusätzliche Aufgaben!
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt, und wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/5958. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 b. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD



Vizepräsident Westphal
auf Drucksache 11/6258 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
— Drucksache 11/5459 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6370 —
Berichterstatter: Abgeordneter Stiegler

(Erste Beratung 181. Sitzung)

b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von den Abgeordneten Bindig, Dr. Schmude, Bulmahn, Dr. Däubler-Gmelin, Duve, Dr. Ehmke (Bonn), Fischer (Homburg), Ganseforth, Gilges, Großmann, Ibrügger, Kuhlwein, Lambinus, Luuk, Schmidt (Nürnberg), Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Voigt (Frankfurt), Waltemathe, Westphal, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-GV-Res. 39/146)
— Drucksache 11/3668 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6370 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seesing Stiegler

(Erste Beratung 117. Sitzung)

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6378 vor.
Die Redezeitvereinbarung gilt wie für den Vormittag getroffen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1119406800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren haben wir in diesem Hause häufig von Menschenrechten, von Verletzungen der Menschenrechte, von der Todesstrafe, von anderen entehrenden Strafen, von unmenschlicher Behandlung und von Folter gesprochen. Man muß sich fragen, ob das nicht Dinge sein müßten, von denen man gar nicht mehr redet, denn wer von uns will eigentlich Folter? Ich kenne keinen Menschen, der Folter will, und dennoch habe ich gerade aus den letzten Monaten Bilder vor Augen, die mich entsetzlich getroffen haben. Es waren Bilder von Menschen, die förmlich in den Tod hinein gefoltert wurden.
Ich hatte schon einmal angenommen, daß sich nach den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 niemand mehr so an Menschen vergehen würde, und ich weiß, daß ich mich sehr geirrt habe. Noch immer wird viel Geist — oder besser: Ungeist — in Verfahren investiert, um andere Menschen immer intensiver, immer schrecklicher zu quälen, ihnen grausame Schmerzen zuzufügen, sie in ihrem Menschsein zu treffen und sie gar zu töten. Es gibt immer neue Formen der Folter. Neue Erkenntnisse vom Wirken der Sprache z. B. veranlassen manche, die Worte, die Art des Sprechens als eine Folterwaffe einzusetzen, die den anderen bis in sein Innerstes treffen kann. Es tut mir schon leid, daß wir oft mit der Sprache so umgehen, als wäre sie nur ein Instrument, sich anderen mitzuteilen. Auch Sprache kann quälen, kann töten.

(Meneses Vogl [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Aber das meinen wir kaum, wenn wir von Folter sprechen. Das, was wir sonst an Folter erleben, ist schon etwas, was einem den Schlaf rauben kann. Ich erinnere auch an das, was wir noch in den letzten Monaten des vergangenen Jahres aus der DDR und besonders aus Rumänien gehört und gesehen haben. Ich denke auch an die Bilder, die zeigen, wie man in Kambodscha Menschen zu Aussagen zwingt, indem man sie zu Paketen zusammenschnürt, der Hitze, dem Durst, dem Hunger und den Gewehrkolben aussetzt. Kinder werden an ein Kreuz gebunden, weil sie aus Hunger Lebensmittel genommen haben.
Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr haben wir des 200. Jahrestages der Französischen Revolution gedacht. Seit 200 Jahren steht die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf der Tagesordnung. Schon fast 2 000 Jahre lang wird den Christen täglich die Liebe zum Nächsten und auch die Liebe zum Feind abverlangt. Dennoch werden auf der Welt immer noch Menschen gefoltert und getötet, weil sie anders denken. In weiten Teilen der Erde wird die Menschenwürde immer noch mit Füßen getreten. Das muß geändert werden!
Die menschliche Gesellschaft ist eine Gemeinschaft von Personen, von Wesen also, die in ihrer Art einmalig, unverwechselbar, frei und nach meiner religiösen Auffassung unsterblich sind. Wegen dieser Eigenschaften hat ein Mensch das Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Person. Es dient seiner Freiheit. Es dient der Sicherung seiner Eigenverantwortung. Es gibt nur ganz wenige Gründe, auf Grund eines Gesetzes in die Freiheitsrechte eines Menschen einzugreifen. Aber diese Einschränkungen dürfen niemals die körperliche Unversehrtheit in Frage stellen.
Deswegen mache ich deutlich, daß ich entschieden Folter, Todesstrafe und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Strafe ablehne.

(Beifall des Abg. Irmer [FDP])

Deswegen bitte ich dem heute behandelten Gesetzentwurf zuzustimmen.
Nun spielt wie so oft eine andere Frage eine größere Rolle als das eigentliche Anliegen. Das eigentliche



Seesing
Anliegen ist, wie ich meine, daß möglichst viele Staaten der Erde dieser Konvention nicht nur zustimmen, sondern sie auch einhalten und sich kontrollieren lassen. Das andere, das heute für manchen wichtiger zu sein scheint als das eigentliche Anliegen, ist die Absicht der Bundesregierung, zum Art. 3 des Übereinkommens eine Interpretationserklärung abzugeben.
Im Art. 3 verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland z. B., einen Menschen nicht in einen anderen Staat auszuweisen, abzuschieben oder an diesen auszuliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden. Wenn ich es richtig sehe, ist die Bundesregierung gegenüber den Bundesländern die Verpflichtung eingegangen zu erklären, daß diese Bestimmung nicht zu einer Änderung der asylrechtlichen oder ausländerrechtlichen Regelungen in den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland führen wird.
Ich meine auch, daß die Bundesrepublik Deutschland die Forderungen des Art. 3 in ihrer Rechtspraxis schon eindeutig beachtet. Bestärkt werde ich in meiner Auffassung durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Mai 1983. Darin heißt es:
Ist der politische Charakter einer durch Folter gekennzeichneten Verfolgung nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu verneinen, dann entfallen zwar eine Asylberechtigung nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes und die mit ihr verbundenen Vergünstigungen, der Betroffene ist aber in diesem Falle nicht etwa schutzlos. Bei ausländerrechtlichen Entscheidungen über die Ausweisung und Abschiebung wird stets auch der Grundsatz der Menschenwürde als oberstes Prinzip unserer Rechtsordnung zu beachten sein. Mit diesem Grundsatz wäre es nicht vereinbar, wenn deutsche Behörden an der menschenrechtswidrigen Behandlung eines Betroffenen durch dessen zeitweise Überstellung in ein Land mitwirken würden, in dem ihm Folter droht.
Zudem unterliegt die Beachtung dieses Grundsatzes internationaler Kontrolle auf Grund einer möglichen Anrufung der Europäischen Kommission für Menschenrechte durch den Betroffenen.
Ich stelle fest, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits auf der Grundlage ihres heute geltenden Rechts die Staatenverpflichtung aus Art. 3 erfüllt. Das Problem löst sich dann international, wenn nirgendwo mehr gefoltert wird. Dafür wollen wir uns einsetzen.
Ich bitte deswegen nochmals um Zustimmung zu diesem Gesetz und damit zu dem Übereinkommen gegen Unmenschlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119406900
Das Wort hat der Abgeordnete Singer.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1119407000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Spät kommt Ihr — Doch Ihr kommt! ... Graf Isolan ... " könnte man der Bundesregierung zurufen, wenn der zweite Teil des Zitats hier im konkreten Fall nicht so falsch wäre. Eine Entschuldigung für den weiten Weg gibt es nämlich nicht. Die Bundesregierung hat die Frist, die sie sich zur Vorlage des Ratifizierungsgesetzes selbst gesetzt hatte, deutlich überschritten.

(Dr. de With [SPD]: Sechs Jahre!)

Wenn wir uns in Erinnerung rufen, was der Zweck dieses Gesetzes in erster Linie ist, eine beispielgebende Wirkung, ein Signal für andere Länder zu erzeugen, einmal beizutreten und dann natürlich die Grundsätze der Konvention auch in die Tat umzusetzen, kann ich zu einer so halbherzigen, zögerlichen Behandlung des Entwurfs durch die Bundesregierung nur feststellen, daß das Besorgnis auslöst.
Folter gehört nach wie vor zu den widerwärtigsten Verhaltensweisen, zu denen Menschen ihresgleichen gegenüber fähig sind. Wer für die universelle Durchsetzung der Menschenrechte eintritt, muß dem Kampf gegen die Folter sein ganz besonderes Augenmerk widmen.
Nun wissen wir, daß Folter in dem Sinne, wie sie auch hier im Eingang der Konvention sehr präzise und ausgezeichnet beschrieben wird, in unserem Lande wohl kaum vorkommt. Jedoch brauchen wir nicht nur unseren Beitritt, sondern auch den möglichst vieler anderer Staaten, besonders deswegen, um Länder an den Pranger stellen zu können, um Folterpraktiken anzugreifen, zu beklagen und dagegen vorzugehen.
Ich weiß, daß einer der Gründe für die Verzögerung der Beratung der war, daß man Bedenken gewisser süddeutscher Bundesländer überwinden zu müssen glaubte. Ich habe nie Verständnis für diese Bedenken gehabt und schon anläßlich der Debatte über die Europäische Antifolterkonvention darauf hingewiesen, daß spätestens nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum § 14 des Ausländergesetzes diesen Bedenken der Boden entzogen war. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich entschieden, daß selbst in Fällen, wo das Asyl verwehrt wird, eine Abschiebung oder Auslieferung nicht stattfinden darf, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Betreffende in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, gefoltert werden könnte. Ich halte das auch für eine Selbstverständlichkeit. So wie wir niemanden aus unserem Land hinausbefördern dürfen, der in dem Land, in das er geschickt werden soll, um sein Leben fürchten muß, so sollte es unter humanitären Gesichtspunkten einfach unmöglich und unerträglich sein, daß man jemanden abschiebt und ihn dort der wahrscheinlichen oder gar sicheren Folter aussetzt. Das sollte für uns unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten eine Selbstverständlichkeit sein.
Deswegen habe ich auch überhaupt kein Verständnis dafür, daß man hier noch eine Interpretationserklärung, einen Vorbehalt zu Art. 3 der Konvention einfügen muß.

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

Dafür besteht kein Bedarf. Denn wenn es richtig ist,
wie die Bundesregierung sagt, daß die Konvention nur
die Staaten selbst bindet und keine Individualrechte



Singer
schafft, dann ist diese Interpretationserklärung überflüssig.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Meneses Vogl [GRÜNE])

Denn dann kann durch die Konvention allein kein Nichtabschiebetatbestand geschaffen werden.
Solche Versuche, mit doppeltem Boden und doppelter Naht zu arbeiten, halte ich für verfehlt. Die Bundesrepublik sollte sich in der Weltöffentlichkeit keinem Verdacht aussetzen, aber vor allen Dingen sollten wir kein schlechtes Beispiel geben. Wir haben zu keinem der anderen Artikel eine Interpretationserklärung vorgesehen, warum dann ausgerechnet hier? Wir müssen doch damit rechnen, daß andere Länder — ich habe eben meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, daß möglichst viele Länder beitreten — mit ähnlichen Interpretationserklärungen, Vorbehalten und dergleichen kommen, um sich in den Einzelfällen herausreden zu können. Solche Schlupflöcher und Fluchtmöglichkeiten sollten wir in jedem Fall verhindern. Ich wäre Ihnen also sehr dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, den wir gestern noch eingebracht haben, zustimmen und diese völlig überflüssige Interpretationserklärung sein lassen würden.
Daß wir die Folter mit dem Beitritt zu dieser Konvention nicht von einem Tag auf den anderen aus der Welt schaffen werden, wissen wir alle. Das ist das, was uns bedrückt.
Diese UN-Konvention unterscheidet sich von einer ganzen Reihe von innerstaatlichen Regelungen und internationalen Abkommen in einem ganz wesentlichen Punkt, und zwar ähnlich wie die Europäische Antifolterkonvention. Es besteht zum erstenmal die Möglichkeit, prophylaktisch, also im Vorfeld, tätig zu werden. Die vorgesehene Kommission kann Haftanstalten, psychiatrische Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen, in denen Menschen unter Verlust ihrer Freiheit verwahrt werden, besuchen und schon im vorhinein und nicht erst dann, wenn gefoltert worden ist, untersuchen, kann sich die Haftverhältnisse ansehen, beizeiten Kritik gegenüber den Regierungen anbringen, Berichte schreiben und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen. Ich halte das für sehr wesentlich.
Wir sollten jetzt in der Folgezeit unsere Aufmerksamkeit auf die Mitglieder solcher Kommissionen richten, darauf, daß man besonders qualifizierte, persönlich engagierte und interessierte Frauen und Männer aussucht, die die Aufgaben der Überwachung, der Untersuchung und der Verhütung von Folter und anderer erniedrigenden, unmenschlichen oder grausamen Behandlungen oder Strafen von Menschen wahrnehmen.
Wir sollten auf jeden Fall den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der überfällig ist, hier verabschieden und keinerlei weitere Verzögerungen hinnehmen. Deswegen bitte ich Sie, hier zuzustimmen, so wie wir das auch im Rechtsausschuß getan haben. Damit können wir unserer Hoffnung Ausdruck geben, daß wir international wenigstens einen wesentlichen Schritt weiterkommen. Wir sollten uns darüber klar sein, daß die Folter, die in der Vergangenheit vielfach
nur als Zufügen von körperlichen Schmerzen verstanden worden ist, als psychische Folter in vielen Staaten die eigentliche Bedeutung gewonnen hat. Die Berichte, die wir von der Staatssicherheit peu à peu, z. B. im „Spiegel" dieser Woche, zu lesen bekommen, zeigen, daß man auch ohne direktes Zufügen von körperlichen Schmerzen Menschen in übelster Weise drangsalieren kann, ihren Willen völlig brechen kann und sie der Willkür und dem reinen Machtinteresse illegitimer und diktatorischer Regime ausliefern kann.
Wenn wir auch diese Ausgestaltungen der Folter wahrnehmen und erkennen und uns überlegen, welche Maßnahmen wir dagegen ergreifen können, würden wir unseren Verpflichtungen als Parlamentarier sicherlich gerecht. Ich bitte also um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119407100
Herr Irmer, Sie sind der nächste Redner.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1119407200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Singer hat sicher recht, wenn er sagt: Das hat leider sehr, sehr lange gedauert. Nur, wenn er die Verantwortung dafür der Bundesregierung zuschiebt, dann verwechselt er hier etwas. Ich erinnere mich nämlich sehr gut, daß die beiden hierfür in erster Linie verantwortlichen Minister — das ist der hier sitzende Bundesjustizminister und das ist der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher — seit Jahren alles getan haben, um das Ding nun endlich ins Ratifizierungsverfahren zu bringen. Sie wissen ganz genau — Herr Singer, Sie haben es selbst gesagt —, wer für die Verzögerungen verantwortlich war: Das waren der Freistaat Bayern und das Bundesland Baden-Württemberg.

(Dr. de With [SPD]: Die tragen die Koalition mit ihren Parteien!)

— Entschuldigen Sie, in Bayern und in Baden-Württemberg haben wir absolute Mehrheiten einer anderen Partei als der meinigen; da gibt es meines Wissens keine Koalitionen. Wir haben es immer kritisiert, daß die Länder dort diese Vorbehalte angebracht haben.
Wenn Sie auf Seite 31 der Drucksache 11/5459 nachsehen, dann finden Sie dort die Stellungnahme des Bundesrates. Es heißt da, daß der Bundesrat darauf bestanden hat, daß alle Länder an diesem Verfahren beteiligt sind und alle also einverstanden sein müssen.
Es ist nun einmal so, daß die beiden Länder gesagt haben: Ohne Interpretationserklärung lassen wir das nicht passieren. Jetzt haben wir die Wahl gehabt: Entweder sind wir mit der Interpretationserklärung einverstanden, oder wir sind es nicht; dann müssen wir auf die Ratifizierung noch etliche Jahre warten, bis sich nämlich in Bayern und Baden-Württemberg die politischen Verhältnisse entsprechend geändert haben,

(Duve [SPD]: Bis die FDP die absolute Mehrheit in Baden-Württemberg hat!)

was wir sowieso hoffen und anstreben und was wir auch erreichen werden. Aber mit der Ratifizierung dieser wichtigen Konvention darauf zu warten, haben wir nicht für vertretbar gehalten.



Irmer
Was die Interpretationserklärung angeht, Herr Singer, räume ich Ihnen ein: Unnötig ist sie, weil sie an der materiellen Rechtslage nicht das mindeste ändert. Aber wenn sie unnötig ist und wenn sie nichts an der materiellen Rechtslage ändert, ist sie auch unschädlich.

(Singer [SPD]: Das ist sie eben nicht! Böses Beispiel!)

Deshalb verstehe ich nicht, daß Sie jetzt nur halbherzig dem Gesetzentwurf zustimmen, weil anschließend seitens der Bundesregierung diese Erklärung abgegeben werden wird. Es ist ein Kompromiß zwischen den Ländern gewesen.

(Bindig [SPD]: Sie sagen immer so: die Länder; sagen Sie doch: die CSU!)

— Ich habe doch gesagt: die beiden Länder Bayern und Baden-Württemberg. Jeder hier im Hause weiß doch, welche politischen Mehrheiten wir dort haben. Ich muß doch keinen Nachhilfeunterricht in den elementarsten Strukturen der politischen Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland erteilen; das weiß doch jeder.
Meine Damen und Herren, in der Sache sind sich hier Gott sei Dank alle einig. Herr Seesing hat das sehr überzeugend gesagt. Auch dem, was Sie, Herr Singer, zum Inhalt der Konvention gesagt haben, kann ich voll zustimmen.
Wir müssen uns daran erinnern, daß Menschenrechte nichts statisches sind, daß wir uns nie in dem Gefühl ausruhen können und dürfen, wir hätten in Menschenrechtsfragen jetzt einen Zustand erreicht, bei dem wir es belassen können. Leider Gottes ist die Welt nicht so beschaffen, daß man in Menschenrechtsfragen auch nur eine Minute ausruhen könnte. Deshalb soll die Ratifizierung dieser Konvention durch die Bundesrepublik Deutschland ein Zeichen setzen und auch dazu beitragen, daß jedermann weiß: Wir sind alle aufgerufen, uns weltweit für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal unsere wiederholt vorgetragene Anregung und Forderung ansprechen. Wir sind der Meinung, daß es bei der UN einen Hochkommissar für Menschenrechte geben und daß ein UN-Menschenrechtsgerichtshof eingerichtet werden sollte. Mit Institutionen allein wird man dem Problem natürlich nicht beikommen können. Aber hier wäre die Möglichkeit, eine praktische Einrichtung zu schaffen. Ähnlich wie bei der europäischen Menschenrechtskonvention hätte der einzelne Betroffene dann auch individuell die Möglichkeit, sein Recht zu suchen und zu finden.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119407300
Das Wort hat der Abgeordnete Meneses.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119407400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „In der Bundesrepublik gibt es keine Folter. " So übertitelte Bundesminister Engelhard am 12. Juli 1989 die Meldung, das Kabinett habe nach langwierigen Verhandlungen einen verwässerten Kompromiß zur Anti-Folter-Konvention beschlossen. Die Worte hört' ich wohl, allein die Jahresberichte von „amnesty international" bezeigen anderes. Sie können die Fälle dort nachlesen. Auch Isolationshaft, in bundesdeutschen Gefängnissen praktiziert, ist Folter.
Heute nun soll der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit einer Hintertürchen-Denkschrift beschlossen werden. Zur Ächtung und präventiven Verhinderung von Folter kommen nunmehr deren Verbot sowie die Bestrafung von Folterern. Angebliche besondere Umstände wie Befehlsnotstand gelten nicht als Entschuldigung.
Nun sind Unterschriften zunächst einmal nichts anderes als papierne Willensbekundungen. Auch Uruguay und Argentinien, wo zur Zeit Foltergenerale wegen jenes angeblichen Befehlsnotstands unter der Diktatur amnestiert werden, unterschrieben das Abkommen. Von anderen Vertragsstaaten wurden sie deswegen nicht angemahnt.
Auch die Schweiz zählt zu den Unterzeichnern. Von dort wurde im August letzten Jahres der Türke Senum Konutgan, ein Angehöriger der verfolgten syrischchristlichen Minderheit, in seine Heimat abgeschoben. Noch auf dem Flughafen wurde er von türkischen Polizeibehörden verhaftet. In einer Zelle mit kniehohem, wohl mit Säure versetztem Wasser blieb er ohne Nahrung und wurde geschlagen. Senum Konutgan starb am 24. November 1989 an den Folgen dieser Folter.
Im Sinne der Anti-Folter-Konvention müßte die Schweiz hier zur Rechenschaft gezogen werden. Art. 30 besagt nämlich, daß ein Land, das die Vorschriften des Übereinkommens bricht — in diesem Falle Art. 3 — , von einem anderen Vertragsstaat vor den Internationalen Gerichtshof — IGH — in Den Haag zitiert werden kann. Hier könnte man sich ja fragen: Wird die Bundesregierung nach der Ratifizierung von diesem Recht Gebrauch machen?
Mit der Ratifizierung unterwirft sich die Bundesregierung bei Konventionsverstößen dem IGH. Obwohl Außenminister Genscher und sein Amt immer wieder die steigende Bedeutung internationaler Gremien zur friedlichen Regelung internationaler Konflikte betonen, gingen sie einer dringend anstehenden allgemeinen Unterwerfungserklärung bislang aus dem Wege. Ich schlage vor, die Bundesregierung nimmt die heute auf den Weg gebrachte Ratifikation zum Anlaß, den IGH nicht länger nur verbal zu stärken und die Erklärung nachzuholen.
Die eingangs genannte Verwässerung mittels der der Konvention angehängten Denkschrift ist wie schon bei der europäischen Anti-Folter-Konvention Resultat der Boykotthaltung von Bayern und BadenWürttemberg, wie es heute schon erwähnt wurde. Zynischerweise wird da behauptet, mit Art. 3 der Konvention entstünde ein sogenanntes Asylreserverecht. Nationales Asylrecht würde berührt. Nach geltendem Recht sei Abschiebung bei drohender Folter sowieso unzulässig.
Ja, sehen Sie sich die herrschende Praxis und überhaupt das neue Ausländergesetz doch einmal an. Ganz abgesehen davon, daß viele Gefolterte auf Grund fehlender Papiere und finanzieller Mittel erst



Meneses Vogl
gar nicht bis in die BRD gelangen: Folter ist geltender Rechtsprechung zufolge hierzulande noch lange nicht gleich Folter. In dem sogenannten Folter-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1983 — übrigens bestätigt im Jahre 1985 — wird unterschieden zwischen Folter aus politischen und Folter aus strafrechtlichen Gründen. Mit anderen Worten: Wird ein Kurde abgeschoben, in der Türkei wegen eines strafrechtlichen Vergehens — sagen wir: wegen illegaler Gewerkschaftsarbeit — verhaftet und gefoltert, ist das weniger schlimm, als wenn ein „Politischer" gefoltert wird.
Auch nach der Auffassung der Verfasser der Denkschrift ist Folter nicht gleich Folter. So besagt die Erläuterung zu Art. 1 Abs. 1, daß gewisse Strafen nach dem Strafsystem anderer Kulturen nicht als Folter anzusehen seien. Demnach ist eine Armamputation — eine Strafe nach islamischem Recht — kein Hinderungsgrund für Abschiebung. Entsprechende ebenfalls völlig inakzeptable Auslegungen werden durch die Denkschrift auch bei drohender Todesstrafe möglich. Das ist eigentlich ein Bonbon für diejenigen Kräfte in der Bundesrepublik, die notfalls über Leichen gehen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die der Anti-Folter-Konvention im vorliegenden Gesetzentwurf angehängte Denkschrift trägt die Züge derjenigen, denen es vornehmlich um prestigeheischende Unterschriften unter internationale Urkunden zu tun ist. Wem es ernsthaft um ein Ende der Folter geht, der erfülle schlicht den Buchstaben der Konvention. Wir werden nur ihr und nur ihr zustimmen. Wir können dem Entwurf der Bundesregierung nicht zustimmen, weil, wie der Kollege Singer gesagt hat, wir ihn als einen Präzedenzfall für mögliche Vorstellungen anderer Länder betrachten. Wir werden der Konvention, so wie sie von der UN vorgelegt worden ist, zustimmen.
Danke schön.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119407500
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119407600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure selbst ungemein, daß es nicht früher möglich war, das Vertragsgesetz hier vorzulegen. Nur wer intern die ganzen Mühen über die Jahre mitgemacht und miterlebt hat, der weiß, daß Tendenzen vorhanden waren, die sich ganz generell gegen das gesamte Vorhaben gewendet haben. Man ist sehr glücklich, wenn man diese Widerstände überwinden konnte und daß wir heute so weit sind.
Herr Kollege Irmer hat dazu, was die Bundesregierung angeht, dankenswerterweise schon das Notwendige gesagt und auch die notwendigen Anmerkungen zu jenem Art. 3 gemacht. Es ist so — darüber muß man sich klar sein — : Wenn Sie mit Ihrem Antrag, der auf Streichung der Absicht einer Interpretationserklärung abzielt, recht hätten und die Mehrheit hinter sich hätten, so käme es dazu, daß wir mit dem Abkommen überhaupt nicht weiterkämen, weil wir hier an die Meinung der Länder gebunden sind, deren Zustimmung nach der Lindauer Absprache erforderlich ist. Das noch einmal mit aller Klarheit zu unterstreichen ist mir wichtig genug.
Nun hat der Sprecher der GRÜNEN hier die Gelegenheit dieser Aussprache genommen, wieder einmal mit der These aufzuwarten, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, solch ein Abkommen ja ganz dringend benötigen, weil es bei uns die Folter gebe, die durch Isolationshaft ausgeübt worden sei, Ich weise derartige Unterstellungen mit großem Nachdruck zurück. Ich erinnere daran, daß man sich bereits einmal, im Jahre 1978, mit dieser Behauptung an niemand geringeren als an die Europäische Kommission für Menschenrechte gewandt hat. Die Kommission hat diese Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Ich glaube, wir haben es nicht notwendig, nicht draußen, aber erst recht nicht im Parlament, uns derartiges sagen zu lassen. Ich erinnere Sie daran, daß vor kurzem die Europäische Anti-Folter-Konvention in Kraft getreten ist. Diese Konvention sieht eine Kornmission vor, die in Strafanstalten, psychiatrischen Anstalten und ähnlichen Einrichtungen Nachschau zu halten hat, wie es dort bestellt ist. Wir haben diese Konvention in besonderer Weise unterstützt, weil es eine wichtige und dringende Sache ist und weil wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu befürchten haben, daß die Kommission bei uns Unzulässiges auffinden könnte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119407700
Herr Minister, wollen Sie eventuell noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve beantworten, der schon eine Weile darauf wartet, daß er noch zu Wort kommt?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119407800
Oh ja! Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1119407900
Herr Bundesminister, in Ihrer Rede haben Sie darauf aufmerksam gemacht, daß es, falls der Antrag der SPD hier angenommen werden würde, völlig unmöglich sei, dem Pakt beizutreten, weil alle Länder — so haben Sie hier erklärt — zustimmen müßten. Ist es nicht so, daß die Mitwirkung der Länder auf einer Mehrheit unter den Ländern beruht? Ist seinerzeit vom Bundesrat die Einstimmigkeit aller Länder vereinbart oder nur verlangt worden?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119408000
Nach der Lindauer Absprache — von anderen genannt das Lindauer Abkommen — ist es so, daß hier von jedem Land, das tangiert ist — und das ist jedes Land — , die Zustimmung erforderlich ist.

(Duve [SPD]: Danke!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1119408100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Vertragsgesetzentwurf auf Drucksache 11/5459. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal-



Vizepräsident Westphal
tungen? — Dann ist dieses Gesetz bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6378 ab. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zum Vertragsgesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3668. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6370 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.

(Duve [SPD]: Aber das Recht, diesen Gesetzentwurf zu machen, das hatten wir!)

Meine Damen und Herren, ich rufe den Punkt 7 unserer Tagesordnung jetzt nicht mehr auf, weil mir Wortmeldungen für 45 Minuten vorliegen, und das schaffen wir vor der Mittagspause nicht mehr. Das heißt: Da wir die Aktuelle Stunde am Nachmittag nicht haben werden, gibt es dafür einen Zeitausgleich. Sie werden diesen Punkt am Nachmittag auf der Tagesordnung finden.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 12.54 bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119408200
Wir fahren in der Beratung fort.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/6348 —
Zuerst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der angestrebten Vertragsgemeinschaft mit der DDR eine völkerrechtliche Vereinbarung zu treffen, damit die gegenseitige nachrichtendienstliche Ausspähung einschließlich der Post- und Telefonkontrolle in allen Bereichen eingestellt wird?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID1119408300
Herr Kollege Mechtersheimer, wie die Bundesregierung wiederholt erklärt hat, werden Verhandlungen über die Entwicklung der konföderativen Zusammenarbeit der beiden Staaten in Deutschland erst nach freien Wahlen in der DDR und nach Bildung einer aus solchen Wahlen hervorgehenden neuen Regierung der DDR aufgenommen. Das Zusammenwachsen der beiden Staaten wird die Frage gegeneinander gerichteter nachrichtendienstlicher Tätigkeiten naturgemäß nicht unberührt lassen.
Auf die von der Bundesregierung mittlerweile bereits einseitig angeordnete Einschränkung von Maßnahmen der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs mit der DDR wird bei dieser Gelegenheit noch einmal hingewiesen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119408400
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mechtersheimer, bitte.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119408500
Hat dieses Thema bisher bei den Gesprächen oder informellen Kontakten auf Regierungsebene schon eine Rolle gespielt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Bei informellen Kontakten ja, bei Verhandlungen nicht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119408600
Zu einer zweiten Zusatzfrage bitte.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119408700
Ist die Bundesregierung darauf vorbereitet, dann, wenn die DDR-Seite dazu in der Lage ist, sehr schnell entsprechende Vereinbarungsentwürfe vorzulegen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es geht, wenn ich es richtig sehe, weniger um Vereinbarungsentwürfe als um die Überprüfung der Prioritäten der Arbeit der Dienste. Wir sind mitten dabei, diese Prioritäten angesichts der Entwicklung nicht nur in der DDR, sondern auch anderswo zu überprüfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119408800
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119408900
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung den Bundesnachrichtendienst angewiesen, zumindest keine Stasi-Mitarbeiter anzuwerben?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, auch dieser Frage gehen wir intensiv nach mit der Intention, die in Ihrer Frage liegt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409000
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1119409100
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung bei ihrer Absicht, die Rentengesetzgebung so zu ändern, daß ehemalige Stasi-Mitarbeiter davon nicht profitieren können — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409200
Herr Kollege, wo ist der Zusammenhang mit der hier gestellten Frage?

(Gansel [SPD]: Sie haben recht!)

Wir wollen die Sache doch nicht so ausweiten, wie es Herrn Gansel gerade gefällt.

(Gansel [SPD]: Versuchen kann man's ja!)

— Das ist mir klar, deswegen war ich auch so hartnäkkig.
Bitte, Herr Kollege Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119409300
Ich hätte dazu noch eine Frage. Heißt die Beantwortung der Frage des Kollegen Lippelt, daß die Bundesregierung erst prüfen muß, ob der Bundesnachrichtendienst Stasi-Mitarbeiter einstellt oder nicht?



Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie die Frage so stellen, dann kann ich Ihnen klar die Antwort geben: Sie werden nicht eingestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409400
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Kollegen Dr. Mechtersheimer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit der Regierung der DDR darauf hinzuwirken, daß die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges ihre besonderen vom Boden der beiden deutschen Staaten aus betriebenen nachrichtendienstlichen Aktivitäten aufgeben?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, Ihre Frage greift, ohne daß zu ihrem Ausgangspunkt hier Stellung zu nehmen ist, über den gegenwärtigen Stand der Entwicklungen im West-Ost-Verhältnis weit hinaus. Bei weiteren Fortschritten des Entspannungs- und Abrüstungsprozesses sind Auswirkungen auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten zu erwarten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409500
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119409600
Wie ist dann, Herr Staatsminister, der Bericht in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu erklären, wo zu lesen ist, daß man ständig dabei sei, bei diesen Vereinbarungen Revisionen vorzunehmen, und daß dies angesichts der veränderten politischen Lage nun auch in besonderem Maße revisionsfähig sei, was da bisher vereinbart war? Die FAZ beantwortet mir die Frage besser als Sie.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur für die Bundesregierung antworten und sagen: Dies greift der Entwicklung weit voraus. Ich weiß nicht, auf welchen Artikel in der FAZ Sie sich beziehen. Es gab einen anderen Artikel, einen Artikel — ich bitte um Nachsicht, ich habe die FAZ nicht hier — , der sich auf die Tätigkeit des KGB in der DDR bezieht; aber dafür bin ich in der Tat hier nicht zuständig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409700
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119409800
Das ist derselbe Artikel, nur wird auch darüber im zweiten Teil berichtet.
Die Frage ist ja, ob hier nicht in der Bevölkerung ein wachsendes Unverständnis festzustellen sein wird, wenn auf jeden Fall Veränderungen in der DDR stattfinden, hier aber eine Organisation wie z. B. die National Security Agency — NSA — die sehr intensive und tendenziell grundrechtsverletzende Aktivität fortsetzt, so, als wäre eben nichts geschehen. Rechnen Sie nicht damit, daß das in der Bevölkerung ein Thema wird?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Tätigkeit befreundeter Dienste ist im NATO-Truppenstatut und im Zusatzabkommen eindeutig geregelt. Wir haben keinerlei Hinweise dafür, daß dieses Zusatzabkommen in irgendeiner Weise verletzt würde. Ich sagte Ihnen, Konsequenzen für die Zukunft in diesem Bereich greifen der aktuellen Lage weit voraus. Ich schließe sie aber für die Zukunft nicht aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119409900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119410000
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, die befreundeten Dienste darauf hinzuweisen, daß das Volk der DDR die Stasi aufgelöst hat und daß sie vielleicht dementsprechend auch ihre Dienste reduzieren könnten?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, da Dienste ja mit der Beschaffung von Nachrichten betraut sind, vermute ich, daß ihnen dies nicht verborgen geblieben ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119410100
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Amling auf:
Welche Überlegungen der Bundesregierung waren dafür maßgebend, ausgerechnet das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft zu beauftragen, eine Untersuchung über die Folgen des Aussiedlerstroms anzustellen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung orientiert sich bei der Erteilung von Gutachten und Aufträgen an der wissenschaftlichen Eignung des jeweiligen Instituts. Das Institut der deutschen Wirtschaft ist seit vielen Jahren sowohl Mitglied der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute als auch der Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Institute.
Zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe im Frühjahr 1989 hatte sich das Institut bereits mehrfach auch mit den Folgen befaßt, welche der Zuzug von Aussiedlern für die Bundesrepublik Deutschland in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht haben kann. Insbesondere wegen seiner empirischen, auf der Zusammenarbeit mit Kammern, Verbänden und Gewerkschaften beruhenden Arbeitsweise war das Institut der deutschen Wirtschaft in besonderem Maße geeignet. Die Resonanz in der Fachöffentlichkeit bestätigt dies.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119410200
Zusatzfrage des Abgeordneten Amling.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1119410300
Herr Staatsminister, wäre es nicht auch nach Auffassung der Bundesregierung trotzdem richtiger gewesen, neben diesem, der Arbeitgeberseite nahestehenden Institut auch ein Institut mit dem Gutachten zu beauftragen, das der Arbeitnehmerseite nahesteht?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, es geht, wie ich in meiner Antwort schon sagte, nicht darum, wem ein Institut nahesteht, sondern darum, ob es zur soliden wissenschaftlichen Arbeit geeignet ist, und da gibt es an diesem Institut keinen Zweifel. Ich verweise darauf, daß sich auch der frühere Bundesminister Matthöfer — SPD — dieses Instituts wiederholt bedient hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119410400
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amling.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1119410500
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung — und jetzt verwende ich einen Ausdruck, der vom Parlamentssekretariat gestrichen wurde, weil er unparlamentarisch sei — , daß die Aussage, daß nur 600 000 vermittlungsfähige Arbeitslose



Amling
zur Verfügung stünden, einer Diffamierung — ich wiederhole hier das Wort: einer Diffamierung — der übrigen derzeit als arbeitslos registrierten Menschen gleichkommt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, so steht das in dem Gutachten nicht drin, sondern es wird darauf hingewiesen, daß 600 000 Arbeitslose unbeschränkt vermittlungsfähig sind, während sich bei anderen das Problem der Nach- und Zusatzqualifikation und andere Probleme ergeben. Es ist also eindeutig auf die uneingeschränkte Vermittlungsfähigkeit Bezug genommen, was in keiner Weise eine Disqualifizierung der anderen darstellt; etwa auch das Alter schränkt die Vermittelbarkeit ein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119410600
Zusatzfrage, Kollege Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1119410700
Herr Staatsminister, waren in der engeren Auswahl für diese Studie auch andere wissenschaftlich qualifizierte Institute und wenn ja, welche?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Es sind wegen der Vorarbeiten dieses Instituts, das sich mit diesem Themenfeld befaßt hat, keine weiteren Institute in die engere Auswahl einbezogen worden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119410800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1119410900
Herr Staatsminister, nachdem Sie soeben gesagt haben, nach Aussagen des Instituts seien nur etwa 600 000 der registrierten Arbeitslosen uneingeschränkt vermittlungsfähig, liegt der Schluß nahe, daß die übrigen etwa 1,4 Millionen Arbeitslosen genau diese Qualifikation nicht haben. Dann frage ich, warum vor diesem Hintergrund die Bundesregierung in den letzten Jahren die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit im Bereich der Maßnahmen für Fortbildung, Umschulung und Weiterqualifikation erheblich reduziert hat.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, der Schluß ist so nicht richtig. Vielmehr geht es bei der Differenz, bei den 1,4 Millionen, um Einschränkungen der Vermittlungsfähigkeit, die etwa auch im Alter liegen können. Das ist zwar negativ zu bewerten, aber es ist ein Faktum. Das Institut hat hier, glaube ich, völlig wertfrei einfach Fakten dargestellt. Daraus eine Disqualifizierung der anderen herauslesen zu wollen ist falsch.

(Schreiner [SPD]: Das ist grober Unfug!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411000
Sie machen es einem immer wieder schwer. Der eine ruft „Quatsch", der andere sagt „Unfug". Können wir uns da nicht wenigstens etwas gewählter ausdrücken?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Wenn ich das zurückgeben dürfte, Frau Präsidentin, dann wären wir vielleicht quitt?

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Aber das war jetzt gewählt ausgedrückt!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411100
Okay. Aber, Herr Staatsminister, Sie können ja denken, was Sie wollen.
Ich rufe Frage 9 des Herrn Abgeordneten Amling auf:
Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, eine auf oben genannter Untersuchung basierende Broschüre der edition agrippa finanziert zu haben, in der mit der Behauptung, der derzeit in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen knappen Million offener Stellen stünden 600 000 vermittlungsfähige einheimische Arbeitslose gegenüber, die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt wird und über 1,4 Millionen der derzeit als arbeitslos registrierten Menschen implizit jegliche Vermittlungsfähigkeit abgesprochen wird?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Broschüre der „edition agrippa" dient der breiten Umsetzung des Gutachtens. Sie übernimmt dessen Ergebnisse und setzt sie publikumswirksam um. Die Bundesregierung hat auf Inhalt, Methode und Ergebnisse des Gutachtens keinen Einfluß genommen.
Im übrigen sind die Aussagen des Gutachtens — das war auch eben schon Gegenstand der Diskussion — zur Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen in Ihrer Frage nicht richtig zitiert. Nach Ansicht des Instituts gibt es neben den 600 000 uneingeschränkt vermittlungsfähigen Arbeitslosen ungefähr 1,4 Millionen Arbeitslose, die nur dann vermittelbar sind, wenn gezielte Qualifizierungsmaßnahmen oder Anstrengungen anderer Art unternommen werden. Das Gutachten hat dieser Gruppe keineswegs jegliche Vermittlungsfähigkeit abgesprochen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411200
Zusatzfrage, Herr Amling.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1119411300
Herr Staatsminister, ich komme noch einmal auf die Frage zurück, warum diese Broschüre überhaupt geschrieben wurde. Wie lassen sich eigentlich Feststellungen, wie sie in dieser Broschüre getätigt werden, daß — ich zitiere — „hierzulande zu beklagende Arbeitskräftemängel nur durch den Zuzug von Aussiedlern zu beheben sei" , mit dem angeblichen Ziel der Bundesregierung vereinbaren, potentielle Aus- und Übersiedler zum Bleiben in ihren Heimatländern zu veranlassen?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411400
Bitte schön.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn man ein Gutachten vergibt und die Ergebnisse eines Gutachtens in einer Broschüre breit streut, dann macht man sich als Regierung nicht jede Aussage im einzelnen zu eigen, etwa in der Weise, daß das Problem „nur" durch Zuzug zu lösen wäre. Mit Sicherheit ist das Problem auch durch andere Maßnahmen positiv zu beinflussen. Ich sagte, auf den Inhalt des Gutachtens haben wir keinen Einfluß genommen. Die Broschüre setzt diesen Inhalt publikumswirksam um. Die Nachfrage nach dieser Broschüre — nachdem die erste Auflage von 30 000 vergriffen ist, besteht Nachfrage nach weiteren 25 000 — zeigt, daß die Broschüre offenbar nicht so schlecht ankommt, wie Sie es vielleicht meinen.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1119411500
Die Bundesregierung gibt aber doch hoffentlich zu, daß die Texte in dieser Broschüre Aus- und Übersiedler regelrecht anlocken, ins westdeut-



Amling
sche Paradies zu kommen, weil dort eben alles besser geregelt ist?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, die Motivation von Aus- und Übersiedlern steht, glaube ich, im Zusammenhang mit dieser Studie weniger zur Diskussion. Ich glaube, daß die Motivation sehr stark ist, endlich in Freiheit leben zu können und über sein eigenes Schicksal eigenverantwortlich entscheiden zu dürfen. Diese Motivation sollten wir bei allen Schwierigkeiten, die wir natürlich alle sehen, nicht geringschätzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Andres.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1119411700
Herr Staatsminister, wenn man in der Broschüre nachschlägt, findet man folgende Aussage, die nicht mit dem übereinstimmt, was Sie eben hier erklärt haben. Es findet sich die Aussage — fettgedruckt — :
Die Arbeitsmarktintegration der Aussiedler ist von den Zahlen her keineswegs so dramatisch, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat:
Dann kommen zwei Gegenüberstellungen dieser Aussage. Da lautet die eine:
Insgesamt gibt es derzeit fast 1 Million offene Stellen, etwa dreimal so viel wie bei den Arbeitsämtern registriert.
Zweite Aussage:
Diesen knapp eine Million Stellen stehen ungefähr 600 000 uneingeschränkt vermittlungsfähige einheimische Arbeitslose gegenüber.
Teilt die Bundesregierung diese Aussage so, wie sie in dieser Broschüre steht?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Ich habe Ihnen zu den 600 000 uneingeschränkt Vermittelbaren ja das Notwendige gesagt. Das heißt, daß die anderen aus irgendeinem Grund — das ist einmal die Qualifkation; aber es gibt andere Gründe wie Alter, gesundheitsmäßige Beeinträchtigungen usw. — eben nicht uneingeschränkt vermittelbar sind. Ich kann das Problem überhaupt nicht erkennen.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Das ist ja das Problem!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119411800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1119411900
Herr Staatsminister, wenn Sie sagen, daß eine Neuauflage kommen wird: Meinen Sie nicht, daß durch eine unveränderte Neuauflage — etwa ohne Aufnahme der Anregungen des Kollegen Amling — eine Informationslücke geschaffen wird, die nur schwer zu schließen sein wird?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, das Protokoll wird ausweisen, daß ich nicht von einer Neuauflage gesprochen habe, sondern davon, daß, nachdem die erste Auflage von 30 000 vergriffen sei, Nachfrage nach 25 000 bestehe. Über eine Neuauflage habe ich mich nicht ausgelassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119412000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1119412100
Herr Staatsminister, nachdem Sie mehrfach darauf hingewiesen haben, daß bereits das Erreichen eines gewissen Alters — zum Beispiel des 40. Lebensjahres; so die Erfahrungen, die ich im Wahlkreis machen konnte — bei vielen Betrieben ausreicht, die Menschen nur wegen dieses Alters — ganz unabhängig von der Leistungsfähigkeit — nicht mehr einzustellen, und die Bundesregierung diesen Sachverhalt bislang ohne jegliche Aktivitäten begleitet,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch falsch!)

frage ich Sie, ob Sie diesen Sachverhalt für angemessen halten. Ich frage Sie zusätzlich, ob Sie dafür Verständnis haben, daß sich bei diesen betroffenen Personengruppen in wachsendem Maße Sozialneid und Aggressionen daraus nähren, daß sie erleben, daß 25jährige Aus- und Übersiedler relativ problemlos Arbeit kriegen, wogegen ich persönlich nichts einzuwenden habe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ja!)

Genau in diesem Kontrast stellt sich das Problem für die Betroffenen dar, die bereits mit 40 im Sinne von „nicht mehr olympiareif " aus den Belegschaften ausgemustert werden. Stößt dies auf Zustimmung der Bundesregierung, und was hat die Bundesregierung bislang gegen dieses Problem versucht zu unternehmen?

(Zuruf von der CDU/CSU)

Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, erstens hält die Bundesregierung dies nicht für einen angemessenen, sondern für einen unerträglichen Zustand.
Zweitens. Neben den Maßnahmen etwa für Langzeitarbeitslose — wir stellen fest, daß gerade ältere Arbeitslose besonders von der Langzeitarbeitslosigkeit bedroht sind — hat auch die Bundesregierung keine Gelegenheit ausgelassen, bei den Tarifpartnern, also auch bei den Arbeitgeberverbänden, darauf hinzuweisen — der Bundeskanzler selber hat dieses wiederholt getan —, daß es sozial unzumutbar und eine unerträgliche Vergeudung von wirklich wichtigen Qualifizierungen und Erfahrungen ist, wenn man in diesem alten Klischee weiterdenkt, daß Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter nicht mehr so leistungsfähig seien und man sie deshalb lieber nicht einstellen solle. Dies ist Unfug. Wir haben immer gesagt, daß es Unfug ist. Mit konkreten Maßnahmen wie mit dem Programm gegen die Langzeitarbeitslosigkeit unternehmen wir auch etwas dagegen.
Ich sage Ihnen noch etwas: In der Wirtschaft beginnt sich diese Einstellung erfreulicherweise zu ändern. Man erkennt nämlich, daß die Lebenserfahrungen und auch die Berufserfahrungen ein nicht zu unterschätzendes Aktivum sind, und man sieht diese Dinge heute etwas anders, als man sie noch vor Jahren im Zuge einer übertriebenen Jugendverherrlichung gesehen hat.

(Andres [SPD]: Das ist wieder nur blauer Dunst!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119412200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119412300
Herr Staatsminister, können Sie uns mitteilen, welche Beträge die Bundesregierung für die Erstellung der Studie und der Broschüre aufgewendet hat?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Ja, Herr Kollege. Das Gutachten hat einschließlich Mehrwertsteuer rund 89 000 DM gekostet; die Kosten für die Broschüre in der von mir genannten Auflage betrugen rund 98 000 DM.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119412400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID1119412500
Herr Staatsminister, die Broschüre sagt, die Arbeitsmarktintegration der Aussiedler sei keineswegs so dramatisch. Sie weist auf die eine Million offener Stellen hin, und sie weist auf die ungefähr 600 000 uneingeschränkt vermittlungsfähigen einheimischen Arbeitslosen hin. Würden Sie, falls Sie sich doch noch zu einer Neuauflage auf Grund der 25 000 nicht positiv zu beantwortenden Anfragen durchringen, dies heute noch einmal unkommentiert so veröffentlichen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, wenn man eine Broschüre neu auflegt — nicht die Bundesregierung ist der Herausgeber, sondern die „edition agrippa" ; das Bundespresseamt hat diese Auflage aufgekauft und verteilt — , stellt man sich immer die Frage, ob sie noch aktuell ist. Das ist ganz klar.
Nur: Es ist nicht Sinn der Broschüre, unsere eigenen Erkenntnisse zu transportieren, sondern es ist Sinn der Broschüre, die Ergebnisse eines wissenschaftlichen Gutachtens, das normalerweise in einer etwas sperrigen Form geschrieben ist, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Aber bei der Neuauflage stellt man sich immer die Frage, ob diese noch zweckmäßig ist oder ob es andere Überlegungen gibt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119412600
Danke schön, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Bachmaier auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß sich aus der aktuellen Ost-West-Situation für die Bahnpolitik erhebliche Konsequenzen ergeben und dadurch insbesondere die Verbindung Stuttgart—Crailsheim—Nürnberg überregionale Aufgaben erhalten muß und als Voraussetzung dafür die baldmöglichste Elektrifizierung der Murrbahn eine wichtige Voraussetzung darstellt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119412700
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn kann auch ohne Elektrifizierung der Murrbahn ein attraktives Angebot im Schienenpersonenverkehr anbieten, selbst wenn der Verkehrskorridor Stuttgart—Crailsheim—Nürnberg wegen der veränderten
Ost-West-Situation überregionale Aufgaben übernehmen müßte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119412800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119412900
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß nach der Öffnung der Grenzen zur DDR und zur Tschechoslowakei der Bahnverbindung Stuttgart—Nürnberg und dann weiter nach Leipzig, Dresden, Berlin und Prag eine extrem gestiegene Bedeutung zukommt und schnellstmöglich Ausbaumaßnahmen mit dem Ziel, das vorhandene Elektrifizierungsloch zwischen Stuttgart und Crailsheim zu schließen, eingeleitet werden müssen und daß hierfür auch die Elektrifizierung der Murrtalbahn schnellstmöglich vorgenommen werden muß?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wollen ein bißchen viel auf einmal. Ich gehe davon aus, daß die Bedeutung gestiegen ist. Ich gehe davon aus, daß die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen seitens der Bundesbahn neu gestaltet werden müsssen. Der Nutzen und die Kosten stimmen nicht mehr mit dem überein, was in der Vergangenheit ermittelt wurde. Auf dieser Grundlage muß die Bahn entscheiden, ob sie selber elektrifizieren kann, oder es muß entschieden werden, ob seitens des Landes BadenWürttemberg ein Zuschuß kommt, so wie dies bei früheren Maßnahmen schon der Fall war.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413000
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119413100
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Einschätzung, daß angesichts der gestiegenen Bedeutung der Ost-West-Verbindungen der Bundesbahn eine Fortsetzung des bisherigen „Gerangels" um die Finanzierung der Elektrifizierung der Murrtalbahn nicht länger hingenommen werden kann?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Begriff „Gerangel" ist hier sicherlich nicht passend.

(Bachmaier [SPD]: Aber parlamentarisch ist er doch!)

Wenn es um einen Ausbau der Strecke mit neuen Trassenabschnitten geht, dann ist ganz klar, daß dies der Bund machen müßte. Wenn auf der bisherigen Trasse nur ein Fahrdraht geschaffen wird, dann ist ganz klar, daß dies die Bahn selber machen oder, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist, das Land einspringen müßte. Das ist System quer über die Bundesrepublik. Das ist auch allen bekannt. Das ist kein Gerangel.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1119413300
Herr Staatssekretär, Sie haben dargestellt, was die Deutsche Bundesbahn auf dieser Strecke leisten kann. Sie haben auch angegeben, was gegebenenfalls das Land Baden-Württemberg tun müßte. Mich würde interessieren: Welche verkehrspolitische Meinung hat denn nun das Bonner Verkehrsministerium zu dieser Frage? Überläßt das Bonner Verkehrsministerium diese Entscheidungen, was



Bindig
da gemacht werden sollte, der Bundesbahn und anderen Gremien, oder bildet sich im Verkehrsministerium selbst eine Meinung „Das müßte man jetzt tun, und deshalb will ich das so"?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie waren ja früher selber einmal Mitglied des Verkehrsausschusses und wissen von daher vielleicht noch, daß es einen Bundesverkehrswegeplan gibt. Im Bundesverkehrswegeplan wird für den Schienenverkehr festgelegt, welche Strecken in dem Sinne, wie ich es vorhin geschildert habe, ausgebaut werden. In diesem Sinne ist die Strecke im letzten Verkehrswegeplan in die Rubrik „Planungen" aufgenommen worden. Das heißt also, wir haben uns hier Gedanken gemacht. Das heißt aber auch, daß kein vordringlicher Bedarf festgestellt wurde, der etwa bedeuten würde, daß wir in den nächsten Jahren ausbauen und damit auch elektrifizieren würden. Soll vorrangig etwas geschehen, dann greift die andere Verantwortlichkeit, die ich jetzt schon zweimal geschildert habe, Platz.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413400
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1119413500
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß es gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Deutschland dringend erforderlich sein wird, in den nächsten Monaten, zumindest noch innerhalb dieses Jahres, die Gesamtverkehrsplanung, gerade im Eisenbahnbereich, zwischen der heutigen DDR und der Bundesrepublik Deutschland erneut zu überprüfen, insbesondere vor dem Hintergrund steigender eisenbahntechnischer Anforderungen? Denn wir wollen ja auch in diesem Zusammenhang nicht die Straßen zusätzlich verstopfen, sondern unter Umständen alte, traditionelle Fernverkehrslinien wieder aufleben lassen. Ich denke etwa auch bis hinein nach St. Margarethen in der Schweiz.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, daß wir dies alles durchforsten müssen und zu neuen Lösungen kommen müssen, ist klar. Ich habe gestern darüber im Verkehrsausschuß vorgetragen. Es gab da überhaupt keine Meinungsunterschiede zwischen den Fraktionen.
Es wurde eine Kommission Verkehrswege zusammen mit der DDR eingesetzt. Dies war zu Beginn dieses Jahres. Weitere Tagungen werden folgen. Wir kommen dabei zügig voran.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413600
Ich rufe Frage 15 des Herrn Abgeordneten Bachmaier auf:
Erkennt die Bundesregierung die Notwendigkeit an, angesichts dieser Entwicklung sämtliche nicht mehr aktuellen Planungen zu stoppen und etwa anstelle des sogenannten „Pendolino" den Interregio über die Murrbahn rollen zu lassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da der Interregio ein Zugangebot des Schienenpersonenfernverkehrs ist und der Pendolino eine Fahrzeugtechnik, die bei der Deutschen Bundesbahn zunächst im regionalen Schnellverkehr zum Einsatz kommen soll, besteht überhaupt keine Notwendigkeit, eine dieser voneinander völlig unterschiedlichen Planungen zu stoppen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119413800
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht auch die Sorge, daß angesichts der Tatsache, daß offensichtlich bis heute keine konkreten Ausbaupläne für die Ost-West-Bahnverbindungen im Süden, also aus Baden-Württemberg, bestehen, die ganz konkrete Gefahr besteht, Baden-Württemberg könne bei der Neuordnung der Verkehrswege in Europa in einen Verkehrsschatten geraten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, im nächsten Jahr wird die Neubaustrecke Mannheim—Stuttgart fertig. Wir bauen bereits in der oberrheinischen Tiefebene die Ausbaustrecke von Karlsruhe nach Süden.
Der Kollege Werner hat in dieser Fragestunde die Frage nach der Strecke Stuttgart—Ulm oder an Ulm herum

(Zurufe von der SPD: „Um Ulm herum"!)

— „an" wäre noch ein bißchen mehr in seinem Sinne
— bzw. um Ulm herum gestellt. Hier geschieht so viel, daß man sagen muß: Dieses Bundesland wird im Zentrum des Hochgeschwindigkeitsverkehrs sein.
Außerdem — da Sie nach ganz Europa fragen — steht ziemlich fest, daß es eine Neu- und Ausbaustrecke oder eine Kombination zwischen diesen beiden Begriffen zwischen Paris und Straßburg sowie Paris und Mannheim geben wird, so daß ich nicht glaube, daß ein Verkehrsschatten entstehen wird.
Allerdings ist mir klar, daß die Gebiete, die bisher wegen der Teilung Deutschlands und Europas am Rande lagen, in der Zukunft neue Chancen haben werden. Das begrüßen wir alle.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119413900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1119414000
Herr Staatssekretär, wann ist mit konkreten Entscheidungen und der Durchführung der sich daraus ergebenden Maßnahmen zu rechnen, und können Sie sich z. B. vorstellen, daß auf der bisherigen Strecke Stuttgart—Nürnberg nicht nur Interregio und Pendolino, sondern in Anbetracht der veränderten Situation alsbald auch der Intercity verkehren kann?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Über den Intercity hat man bisher schon deswegen nicht gesprochen, weil sich die Deutsche Reichsbahn z. B. bei der Verlängerung der Strecke nach Berlin bisher geweigert hat und sich auf Grund der technischen Standards weigern mußte, einen Intercity einzuführen. Aber es steht schon jetzt fest, daß zusätzliche D-Züge über die Murrbahn fahren werden. Bei einem D-Zug haben Sie immerhin die Möglichkeit, in Ihrem Wahlkreis einzusteigen. Das wäre wahrscheinlich bei einem Intercity nicht der Fall.

(Bachmaier [SPD]: Ich habe nach der Strecke Stuttgart—Nürnberg gefragt! Das andere ergibt sich dann!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414100
Danke sehr.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Becker (Nienberge) auf:



Vizepräsidentin Renger
Ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb der Bundesbahnstrecke Berlin—Amsterdam auch in Zukunft der Haltepunkt Ibbenbüren angeboten wird, insbesondere wegen des drohenden Verkehrsinfarkts auf den Straßen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach Aussage der Deutschen Bundesbahn werden im Bahnhof Ibbenbüren auch künftig Züge des Schienenpersonenverkehrs halten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414200
Zusatzfrage, Herr Kollege? — Sie sind schon zufrieden.
Dann darf ich die Frage 17 des Kollegen Becker (Nienberge) aufrufen:
Wird die Bundesregierung dafür eintreten, daß auf der Strecke vom niedersächsischen Osnabrück über die westfälischen Orte Ibbenbüren und Rheine in die benachbarten Niederlande auch in Zukunft im Rahmen des Interregioverkehrs eine günstige Taktverkehrsverbindung beibehalten wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn will zum Sommerfahrplan 1991 die Interregiolinie 16, die Strecke Amsterdam—Braunschweig, im Vorlaufbetrieb einrichten. Täglich sollen acht Zugpaare mit Halten auch in Osnabrück und Rheine im Zweistundentakt verkehren. Dieser Vorlaufbetrieb wird Regelangebot, sobald entsprechende Wagen moderner Bauart zur Verfügung stehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414300
Zusatzfrage, Herr Kollege Becker.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1119414400
Herr Staatssekretär, halten diese Züge nun in Ibbenbüren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben den richtigen Umkehrschluß gezogen.

(Heiterkeit)

Ich bin aber gerne bereit, Ihnen meine Unterlagen über die Zahl der ein- und aussteigenden Passagiere zu übergeben. Ich glaube, das erleichtert das Meinungsbild etwas.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414500
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1119414600
Herr Staatssekretär, für die Attraktivität dieser Strecke sind neben der Qualität des Wagenparks, die Sie bereits angesprochen haben, die Endpunkte der dort verkehrenden Züge von großer Bedeutung. Können Sie dazu etwas sagen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe hier eine Übersicht, die ich Ihnen ebenfalls gerne zur Verfügung stelle. Ich glaube, wichtig ist, daß man ausgehend von der Frage des Kollegen Bekker Rheine und Osnabrück nennt, die sehr hohe Zahlen von Passagieren im Fernverkehr aufweisen, während dies bei Ibbenbüren nicht der Fall ist. Für die Bundesbahn stellt sich dann immer die Frage, ob die Attraktivität nicht dadurch gemindert wird, daß zuviele Halte eingerichtet werden, die nicht von genügend Passagieren tatsächlich benutzt werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414700
Ich rufe die Frage 18 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Kann aus der Tatsache, daß der Bundesminister für Verkehr von der Zahlung der in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von 20 Mio. DM für den Straßenbau im Bundesland Schleswig-Holstein Abstand genommen hat, geschlossen werden, daß diese Mittel nunmehr für die Elektrifizierung der Bundesbahnstrekken in Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt und zusätzlich Investitionen zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs, besonders im Hamburger Umland und namentlich im Kreise Pinneberg getätigt werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Bundesminister für Verkehr hat nicht in Aussicht gestellt, daß das Bundesland Schleswig-Holstein mit 20 Millionen DM zusätzlich für den Bundesfernstraßenbau rechnen kann.
Übrigens, die Mittel im Bundesfernstraßenhaushalt sind zweckgebunden und lassen sich nicht auf Investitionen anderer Verkehrssysteme übertragen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119414800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119414900
Wäre es nicht angebracht — das ist meine erste Zusatzfrage — , sich allmählich Gedanken darüber zu machen, daß solche Mittel übertragbar gemacht werden, weil wir tatsächlich in der gesamten Bundesrepublik, aber insbesondere im Hamburger Umland, vor einem Verkehrsinfarkt stehen, und wie sollte nach Ihrer Vorstellung ein solches Verkehrskonzept für die Bundesrepublik Deutschland aussehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, daß es ein Unterschied ist, ob eine Bundesfernstraße zu 100 % vom Bund finanziert wird oder ob öffentlicher Personennahverkehr betrieben wird, bei dem es z. B. bei den Investitionen in der Finanzierung sehr oft Mischsachverhalte gibt.
Überdies ist dabei zu berücksichtigen, daß gerade in den Ballungsräumen sehr hohe Folgekosten entstehen, deren Übernahme ebenfalls geklärt sein muß. Es wäre also sehr schwierig, dies zu machen. Allerdings — das geht ein Stück in die Richtung, in die Sie fragen — arbeiten wir im Augenblick daran, Länder, Kreise und Gemeinden oder Regionalverbände, wie immer dies in den Ländern heißen mag, zusammenzuspannen, um zu besseren Lösungen auch in finanzieller Hinsicht zu kommen. Es gibt hierfür eine Reihe von Beispielen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119415000
Zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119415100
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Bund in den anderen Bundesländern sehr wohl die Elektrifizierung von Bahnstrecken finanziert hat, und ist es weiter richtig, daß er dies in SchleswigHolstein nicht macht? Warum macht er das nicht? Hat das eventuell etwas damit zu tun, daß sich das Land Schleswig-Holstein eine Eigenständigkeit auch in bezug auf Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Bundesautobahnen bewahrt hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich weiß, worauf Sie anspielen. Sie finden keinen Titel im Bundeshaushalt, der einen Zuschuß zu einer reinen Elektrifizierungsmaßnahme gäbe, so wie ich dies vorher in meinen Antworten auf die Fragen des Kollegen



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Bachmaier differenziert habe. Bei dem Ausbau ist dies anders. Ausbau heißt aber auch Trassenveränderungen. Bei einer reinen Elektrifizierung auf bestehender Trasse gibt es keinen Bundeszuschuß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119415200
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1119415300
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Ihr Kollege aus dem Wirtschaftsministerium des Landes Schleswig-Holstein mit Schreiben vom 6. November des letzten Jahres ausdrücklich bestätigt hat, daß es eine Zusage nicht gibt, und daß er sich in einem entsprechenden Schreiben dem Bund gegenüber bereit erklärt hat, bestimmte Differenzen, die durch Verhalten des Landes verursacht worden sind, beispielsweise die Frage des Tempolimits oder Verzögerung der Nordsee-Überwachung oder anderes mehr, auszuräumen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Mir ist der Brief bekannt. Ich gehe auch davon aus, daß Verkehrsinvestitionen so lange brauchen, bis sie einen Verkehrswert erzielen, daß dies oft über die Dauer einer Legislaturperiode hinausgeht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119415400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1119415500
Herr Staatssekretär, die Frage stellt doch nicht auf 20 Millionen DM zusätzlich für Schleswig-Holstein ab, sondern darauf, daß im Rahmen der ursprünglichen Quote 20 Millionen DM nicht gewährt worden sind.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist so, daß die Quote gegenüber Schleswig-Holstein erfüllt wurde. Allerdings wollte Schleswig-Holstein in der zweiten Jahreshälfte 1989 zusätzliches Geld, obwohl z. B. der Verkehrsminister Froschmaier gesagt hat, er habe mit Straßenbau nicht viel im Sinn, so erklärt auf einer Landespressekonferenz im Januar dieses Jahres. Deswegen verstehe ich nicht ganz, wenn Straßenbau nicht so das unbedingt Edle sein soll, wie man dann auf der anderen Seite zusätzliche Mittel fordert, und ich verstehe auch nicht ganz, wie hier Kollegen im Saal Mittel z. B. für die A 23 — dafür sollten diese Gelder verwendet werden — einfordern, obwohl sie bei der Abstimmung hier im Haus über einen Änderungsantrag zur A 23 im Jahre 1986 dagegen gestimmt haben. Ich habe die Liste der Kollegen hier; sie befinden sich auch unter den Fragestellern von heute.

(Gansel [SPD]: Was soll der Blödsinn?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119415600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1119415700
Herr Staatssekretär, da ich auf Ihrer Liste nicht registriert bin, erlaube ich mir die Frage, ob Sie mir zustimmen können, daß der Verkehrs- und Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein nicht gesagt hat, er habe mit Straßenbau nichts im Sinn, sondern in der Pressekonferenz, die Sie angesprochen haben, deutlich dargestellt hat, daß die Verbesserung des Schienenverkehrs, Elektrifizierung, die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs und dann der Ausbau von Straßen, wo es die Verkehrssicherheit notwendig macht, in der Priorität der Verkehrspolitik des Landes Schleswig-Holstein stehen. Wenn darüber hinaus aus infrastrukturellen Gründen Neubauten erforderlich sind, würde das Land Schleswig-Holstein auch diese Neubauten machen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, uns macht Schwierigkeiten, daß man sich öffentlich gegen Straßenbau oder gegen neue Straßenmaßnahmen ausspricht, gleichzeitig aber mehr Geld für den Straßenbau fordert. Uns macht Schwierigkeiten, daß man auf die Elektrifizierung in Schleswig-Holstein abhebt, aber gerade dort, wo man selber in der Finanzverantwortung wäre, in der Pflicht zu bezahlen, so wie ich dies vorher mehrfach auseinandergenommen habe, nicht bereit ist, dieses zu tun, sondern das Geld vom Bund verlangt. Das paßt doch zweimal nicht zusammen; das ist der Dissens mit dem Land SchleswigHolstein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119415800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Schmude.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119415900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die schleswig-holsteinische Landesregierung kurz nach Regierungsantritt die Straßenbaumittel um 10 % gekürzt hat, eine Erklärung abgegeben hat, daß neue Straßen nach Möglichkeit nicht mehr gebaut werden sollen, und daß drittens die Landesregierung ein Tempolimit auf breiter Front eingeführt hat, ohne einen Beweis dafür zu erbringen, daß dieses Tempolimit auch gerechtfertigt ist?

(Frau Blunck [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist all dies bekannt. Insbesondere war es so, daß eine Autobahn neu gebaut und sofort mit einem Tempolimit versehen wurde,

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: 120 km/h, das reicht!)

ohne daß man ausprobiert hätte, wie sicher die Straße ist. Dabei wurde diese Straße durch die Auftragsverwaltung, sprich durch das Land Schleswig-Holstein selber, gebaut. Man hat also etwas gebaut, wo man sofort bei der Fertigstellung sagen mußte: Dies ist nicht sicher genug, um die gleiche Temporegelung zuzulassen wie im übrigen Bundesgebiet.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das war noch die Regierung Barschel, die das gebaut hat!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

(Zuruf des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

— Moment, Herr Lippelt, Herr Gansel hat das Wort.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1119416100
Verstehe ich es richtig, Herr Staatssekretär, daß nach Auffassung der Bundesregierung Mittel für die Elektrifizierung der Bundesbahn in Schleswig-Holstein oder für die Öffnung neuer Grenzübergänge zur DDR nur dann bereitgestellt werden können, wenn diejenigen, die das beantragen



Gansel
oder diese Vorschläge machen, sich gleichzeitig dafür einsetzen, daß es keine verkehrsbedingten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen geben darf und daß auch dort zusätzliche Autobahnen gebaut werden müssen, wo es keinen Verkehrsbedarf dafür gibt, und sind Sie vielleicht bereit, einen Unterschied zu machen zwischen der grundsätzlichen und bisweilen ideologischen Auseinandersetzung über die Verkehrspolitik der Unionsparteien und der Sozialdemokratischen Partei und den Erfordernissen, die im deutsch-deutschen Verkehr nach Öffnung der Grenzen gegeben sind?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Kombination zwischen dem Tempolimit auf einer schleswig-holsteinischen Autobahn und dem Geld für die Elektrifizierung einer Eisenbahnstrecke in demselben Land habe nicht ich hergestellt, sondern das Hohe Haus vorher in den Fragen.

(Gansel [SPD]: Nein, Sie in Ihrer Antwort!)

Zweitens. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß dann, wenn es um einen Ausbau einer Schienenstrecke geht, dies der Bund übernimmt, dann aber, wenn es bloß darum geht, den Fahrdraht über eine Trasse zu legen, eine Aufgabe der Bundesbahn oder — im Falle der Unwirtschaftlichkeit — des jeweiligen Bundeslandes vorliegt.
Was die Beziehungen zur DDR angeht, so gibt es im Augenblick neue Verfahren. Das geht z. B. bis hin zu einer vollen Finanzierung der Strecke zwischen Hannover und Berlin. Hier gelten zum Teil andere Maßstäbe. Dies muß im einzelnen ausgehandelt werden.
Zu der Frage, ob ich mir nicht Gedanken machte, wie dies alles zusammenpaßt: Gehen Sie bitte davon aus, daß dies Teil meines Amtsgehalts ist.

(Gansel [SPD]: Wo steht das?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416200
Letzte Frage zu diesem Komplex, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1119416300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich der Kollege von Schmude, der eben Geschwindigkeitsbeschränkungen auf schleswigholsteinischen Autobahnen moniert hat, für eben solche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der A 1 in dem Bereich, wo er selbst zu Hause ist, aus Umweltschutzgründen öffentlich einsetzt?

(Jäger [CDU/CSU]: Dreiecksfrage! — von Schmude [CDU/CSU]: Das ist auch begründet!)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gerne bereit, dies zu beantworten: Aus Gründen des Lärmschutzes oder des allgemeinen Umweltschutzes und der Sicherheit sind solche Geschwindigkeitsbeschränkungen zulässig. Sie müssen örtlich bedingt sein, dürfen aber nicht genereller Art sein. Just dies haben wir die schleswig-holsteinische Landesregierung gefragt und haben sehr lange keine Antwort bekommen. Erst in dieser Woche ist eine eingetrudelt, vielleicht wegen der Fragestunde; vielleicht ist dies Ihr Verdienst.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416400
Ich rufe die Frage 19 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auch im Hinblick auf die Ausweitung des Ost-West-Verkehrs ihre Verkehrspolitik so zu verändern, daß durch die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene eine Entlastung des stark betroffenen Hamburger Umlandes, hier insbesondere des Kreises Pinneberg, erreicht und gleichzeitig der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit Vorrang eingeräumt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bereits mit dem Bundesverkehrswegeplan 1985 hat die Bundesregierung eine Umsteuerung der Investitionen zugunsten der Schiene vorgenommen. Damit soll die umweltfreundliche und energiesparsame Bahn leistungsfähiger und attraktiver gemacht werden und so zu einer Verlagerung der Verkehrszuwächse von der Straße auf die Schiene beitragen. Diese Zielsetzung gilt verstärkt angesichts der neuen Verkehrsströme auf Grund der veränderten politischen Lage in der DDR und den übrigen osteuropäischen Nachbarstaaten.
Das künftig verbesserte Angebot im Fernverkehr — ich denke u. a. an das Hochgeschwindigkeitsnetz — wird durch den Ausbau des Regionalschnellverkehrs sowie der S-Bahn in den Ballungsräumen ergänzt. So wurden allein für die S-Bahn-Strecke Hamburg—Pinneberg rund 50 Millionen DM aus den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes bereitgestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416500
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119416600
Herr Staatssekretär, ich muß das, was Sie mir im Zusammenhang mit der A 23 gesagt haben, ja jetzt in Frageform kleiden. Ich frage Sie deshalb, ob Sie mir darin recht geben, daß ich selbstverständlich gegen die A 23 gestimmt habe, daß aber aus meinen Fragen auch keineswegs zu ersehen ist, daß ich den Ausbau der A 23 haben möchte.

(Gansel [SPD]: Allerdings, so ist es!)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich muß Sie leider enttäuschen. Die Kollegen, die ich vorhin gemeint habe, sind die Kollegen Gansel, Heyenn und Hiller. Sie haben nach meinen Unterlagen — und das hat nichts mit Datenschutz zu tun, sondern steht im Protokoll des Deutschen Bundestages — nicht etwa dagegen gestimmt, ,

(Frau Blunck [SPD]: Doch!) sondern Sie haben sich der Stimme enthalten.


(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Gansel [SPD]: Was hat das mit der Elektrifizierung der Bundesbahn zu tun?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416700
Frau Kollegin, ich glaube, das war eine Richtigstellung.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119416800
Darf ich jetzt noch meine Frage stellen?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119416900
Ich bitte darum.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119417000
Ich möchte fragen, ob die Bundesregierung nicht endlich ein europäisches und bun-



Frau Blunck
desrepublikanisches Verkehrskonzept auflegen will, weil es ja nicht nur durch die DDR zusätzliche Verkehrsbelastungen durch erhöhtes Verkehrsaufkommen geben wird, sondern auch auf Grund des gemeinsamen Marktes; und ist es nicht wirklich so, daß die Straßen durch Massengut- und Gefahrgutverkehr viel zu stark belastet sind und daß es dringend angebracht wäre, daß die Bahn Massengüter aufnimmt und Gefahrgüter transportiert?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich stimme Ihrer Analyse zu, daß z. B. durch den weiteren Einigungsprozeß in Europa zusätzliche Güter auf die Straße kommen könnten und daß wir alles versuchen müssen, diese Güter auf die Schiene zu bringen. Auch aus diesem Grund wird die Schiene weithin über Europa eine Renaissance erfahren. Unser Hochgeschwindigkeitsnetz ist ein Teil dieses Programms. Im Augenblick wird unter dem Ärmelkanal eine Schienenverbindung gebaut. Die Skandinavier wollen über die Schiene nach Mitteleuropa kommen, über den Großen Belt soll eine Eisenbahnbrücke entstehen. Es werden neue Tunnels unter den Alpen geschlagen, in der Schweiz wie in Österreich. Dies wird ein einheitliches europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz werden, zu dem sich im übrigen erst vor ca. acht Wochen auch die Verkehrsminister der beteiligten Länder getroffen haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119417100
Zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1119417200
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Ihnen das Arbeitsprogramm der Kommission für 1990 und das Arbeitsprogramm unter der irischen Ratspräsidentschaft nicht bekannt sind — das entnehme ich aus der Antwort, die Sie mir gerade eben gegeben haben — , weil dort als ein wesentlicher Schwerpunkt die Liberalisierung der Gütertransporte ins Auge gefaßt worden ist und keineswegs die Verlagerung von Massengutverkehr und Gefahrgutverkehr von der Straße auf die Bahn?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, beides schließt sich nicht gegenseitig aus. Eine Marktordnung auf der Straße, so wie wir eine in der Bundesrepublik Deutschland haben, gibt es nirgendwo in der EG. Marktordnung heißt konkrete Zugangsbeschränkungen, heißt, daß Sie eine Konzession brauchen, heißt, daß nur eine bestimmte Zahl, ein Kontingent von Lkw im gewerblichen Verkehr fahren darf und daß es nach dem Reichskraftwagentarif Tarife gibt. Dies will die EG-Kommission abschaffen, und zwar zum Teil sehr unter Schmerzen der deutschen Fuhrunternehmer. Daneben hat man sich aber verständigt, daß man ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz für den Schienenverkehr baut. Unser System eines Hochgeschwindigkeitsnetzes mit neuen Trassen sieht sowohl den Personenverkehr wie den Güterverkehr vor.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119417300
Zusatzfrage, Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1119417400
Herr Staatssekretär, in der Antwort auf die Frage meiner Kollegin bezüglich der Verlagerung von Güterverkehr von der Straße
auf die Schiene haben Sie auf den Tunnelbau unter dem Ärmelkanal hingewiesen und betont, daß dort die Schiene Priorität habe und daß auch die Skandinavier über die Schiene, über die Belt-Querung, nach Mitteleuropa kommen wollten: Ist Ihnen bekannt, daß die Skandinavier bis zur Grenze nach Flensburg elektrifizieren und dann die von Ihnen immer angesprochene Elektrifizierung in Flensburg aufhören und die Elektrifizierung der Bundesbahn in Hamburg-Altona wieder beginnen würde und damit — wenn Ihre Auskunft richtig ist — eine Lücke im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz entstünde, und ist die Bundesregierung nicht bereit, gemeinsam mit der Landesregierung Schleswig-Holstein und der Bundesbahn diese Lücke im Interesse des europäischen Hochgeschwindigkeitsschienennetzes zu schließen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was Sie gerade sagen, klingt zunächst einmal ganz logisch. Sie übersehen dabei bloß eines: daß die Dänischen Staatsbahnen ein anderes Stromsystem haben als die Deutsche Bundesbahn.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Deswegen kann man doch in Schleswig-Holstein elektrifizieren!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119417500
Herr Kollege Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1119417600
Herr Staatssekretär, Sie haben von einer bevorstehenden Renaissance der Bahn gesprochen. Ich frage Sie, wie Sie es für vereinbar halten, daß die Bundesregierung schon sehr konkret Ausbaumaßnahmen an Straßenverbindungen zur DDR, etwa zwischen dem Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein und Mecklenburg plant, während sie die Wiederherstellung der Eisenbahnverbindung zwischen Ratzeburg und Zarrentin, wie mir von der Bundesregierung erklärt wurde, nur zu den mittelfristig denkbaren Maßnahmen zählt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich konnte gestern im Verkehrsausschuß berichten, daß die Bundesregierung sowohl auf der Straße wie auch auf der Schiene die Verbindungen wiederherstellen oder verbessern will. Zum Teil findet das auch seinen Niederschlag im Nachtragshaushalt. Klar ist, daß bei dem Nachholbedarf, der auf der Schiene wie auf der Straße besteht, Prioritäten gesetzt werden müssen und nicht alles schon vorgestern investiert sein kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119417700
Herr Kollege Gansel, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1119417800
Können Sie mir erklären, welcher Zusammenhang zwischen der Frage meiner Kollegin Blunck nach Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene — um damit der Umwelt weniger zu schaden — und dem Umstand besteht, daß ich vor Jahren im Bundestag gegen den Bau weiterer Autobahnen gestimmt habe? Denn an mir sind die Autobahnen doch nicht gescheitert. Und selbst wenn ich ihnen zugestimmt hätte, hätten Sie mir möglicherweise jetzt vorgehalten, es gebe keine Notwendigkeit oder kein Geld für die Schiene, weil inzwischen das Geld und der Platz für die Autobahn verbraucht sei. Können Sie



Gansel
mir also diesen Zusammenhang erklären? Ich finde es sowieso eigenartig, daß bei Fragen des Abgeordneten Y mit der Meinung des Abgeordneten X geantwortet wird. Vielleicht hat die Bundesregierung auch eine Meinung. Jedenfalls fragen wir in der Fragestunde danach.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie die Fragestellerin kombiniert hat, weiß ich nicht. Da müssen Sie Ihre Nachbarin fragen. Allerdings gibt es in dieser Fragestunde eine Reihe von Fragen danach, warum Schleswig-Holstein im Mittelausgleich nicht zusätzlich Geld bekommen habe.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Eine einzige Frage!)

Dann ist es wohl erlaubt, wenn es um eine konkrete Autobahn geht, sich daran zu erinnern, daß Kollegen, die in dieser Fragenkette dabei sind, möglicherweise dagegen gestimmt haben.

(Gansel [SPD]: Gibt es hier ein imperatives Mandat? Fragenkette!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119417900
Herr Kollege, ich meine, es ist von seiner Seite aus eine geschickte Antwort. Sie sind ja durchaus in der Lage, darauf zu kontern.
Nun kann Frau Wollny eine Zusatzfrage stellen.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119418000
Ich beziehe mich auf die vorletzte Frage. Sie haben gesagt, Schienenverkehr und Straßenverkehr in die DDR seien etwa gleichrangig in Angriff zu nehmen. Darf ich daraus entnehmen, daß Sie nicht nur die berühmte Dömitzer Straßenbrücke wieder aufbauen möchten, sondern auch die daneben liegende ebenfalls zerstörte Eisenbahnlinie und daß damit zu rechnen ist, daß der Schienenverkehr nach Berlin auf dieser Strecke wieder aufgenommen wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das geht jetzt ein bißchen weit weg von der A 23. Aber ich meine mich zu erinnern, daß diese Straßenbrücke bereits Gegenstand von Verhandlungen mit der DDR ist und daß man über die Eisenbahnlinie ebenfalls bereits spricht, daß man des weiteren darüber berät, welche alten Bauelemente noch verwertet und verwendet werden können. Das muß man sicherlich konkret überprüfen. Denn sie sind nicht gerade jüngsten Datums. Aber das bedeutet ja wohl, daß wir dabei sind, daß diese Projekte konkret in der Liste und nicht irgendwo in der 17. Kategorie sind.
Um auf Ihren ersten Satz bezüglich gleichwertiger Wiederinvestitionen für Straße und Schiene einzugehen: Ich glaube, man kann durchaus sagen, insbesondere wenn man die Strecke Hannover—Berlin anschaut, daß die Schiene da in den nächsten Jahren im Vorteil sein wird. Ich will das zurechtrücken. Das mit der Gleichwertigkeit mag im Zonengrenzgebiet anders sein. Aber bezüglich der Summen ist die Schiene sicherlich im Vorzug.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Vielleicht sind geringere Summen effektiver!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418100
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Gansel auf:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zum Ausbau des grenzüberschreitenden Verkehrs zwischen Schleswig-Holstein und der DDR, etwa durch kurzfristige Schaffung neuer Straßenübergänge, neuer Transportwege auf Elbe und Ostsee und die Verbesserung bzw. Erweiterung des Schienennetzes Richtung Mecklenburg?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, beim Treffen von Bundeskanzler Dr. Kohl und Ministerpräsident Modrow am 19. Dezember 1989 wurde zur Planung grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen die Einrichtung einer Kommission „Verkehrswege" vereinbart, die sich am 9. Januar 1990 — ich hatte vorhin schon davon gesprochen — konstituiert hat. Sie wird insbesondere über Verbesserungen der Straßen- und Eisenbahnverbindungen beraten. Hierzu gehören neben Lückenschlüssen auch mittel- und langfristige Planungen über Netzverbesserungen.
Entscheidungen über einzelne Maßnahmen bleiben den weiteren Verhandlungen vorbehalten, bei denen eine Koordinierung der Verkehrswegeplanung angestrebt wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1119418300
Herr Staatssekretär, habe ich Sie recht verstanden, daß sich Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow im Sinne meiner Frage geeinigt haben, obwohl ich bei der Abstimmung über den Bundesfernstraßenplan dagegengestimmt habe?

(Heiterkeit bei der SPD)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, inwieweit sich Herr Modrow das Protokoll angesehen hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418400
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1119418500
Wenn es der Beschleunigung dieses im deutsch-deutschen Interesse notwendigen zusätzlichen Grenzübergangs dienen kann, wären Sie dann bereit, im Rahmen der Regierungszusammenarbeit Herrn Modrow das Protokoll des Bundestages zur Verfügung zu stellen?

(Heiterkeit bei der SPD)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nachdem vorher erst das Kanzleramt gefragt wurde, wie es um die Dienste in den beiden Teilen Deutschlands bestellt sei, kann ich davon ausgehen, daß die Meldung heute schon läuft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418600
Ich rufe jetzt die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:
Wann wird die Bundesregierung mit der Planung für die notwendige Elektrifizierung der Bundesbahnstrecken Hamburg—Flensburg und Hamburg—Lübeck—Puttgarden beginnen, um die Elektrifizierungslücke Richtung Skandinavien endlich zu schließen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Planung von Elektrifizierungsmaßnahmen fällt in die Zuständigkeit der Deutschen Bundesbahn. Diese kann konkrete Detailplanungen für eine Investitions-



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
maßnahme grundsätzlich nur aufnehmen, wenn das Vorhaben für das Unternehmen wirtschaftlich ist und die Gesamtfinanzierung sichergestellt ist.
Im Falle der Elektrifizierung der Hauptstrecken in Schleswig-Holstein haben betriebswirtschaftliche Untersuchungen der Deutschen Bundesbahn ergeben, daß diese Kriterien ohne erhebliche Baukostenzuschüsse Dritter nicht erfüllbar sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1119418800
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesbahn auf Grund Ihrer Aussage, die Sie jetzt auch bestätigt haben, eine Mitfinanzierung durch das Land Schleswig-Holstein verlangt, und können Sie sagen, wie hoch die Mitfinanzierung des Landes Schleswig-Holstein sein soll?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß die Deutsche Bundesbahn eine Mitfinanzierung verlangt. Wie hoch der Betrag sein wird, das müßte ermittelt und ausgehandelt werden. Die Kosten der Elektrifizierung der Hauptstrecken werden auf rund 600 Millionen DM geschätzt. Bei den Verhandlungen zwischen der Landesregierung und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn konnte es keine Annäherung geben. Es standen Zahlen in der Größenordnung von 300 bis 350 Millionen DM in Rede.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Für das Land Schleswig-Holstein?)

Ich muß Sie darauf hinweisen, daß auch andere Bundesländer sich bei Elektrifizierungen beteiligt haben. Ich nehme ein junges Beispiel aus Hessen: Dort waren es 60 % Landesbeteiligung. Ein junges Beispiel aus Baden-Württemberg: Dort waren es 100 % Landesbeteiligung. Ein Beispiel aus Niedersachsen: Dort waren es 50 %.
Ich muß Sie übrigens darauf hinweisen, daß das Land Schleswig-Holstein aus Strukturhilfemitteln jährlich 252 Millionen DM vom Bund bekommt und im letzten Jahr für Verkehrsmaßnahmen nur 10 % dieser Gelder zu verwenden bereit war.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119418900
Zweite Zusatzfrage.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1119419000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die 2,48 Milliarden DM für Strukturmittel im Bundeshaushalt, von denen das Land 252 Millionen DM bekommt, auf Grund der Initiative des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein dafür gedacht waren, die hohen Belastungen der Kommunen für die Langzeitarbeitslosigkeit und die Sozialhilfe auszugleichen, und daß die Intention dieser Planung nicht die verkehrspolitische Finanzierung der Elektrifizierung von Bundesbahnstrecken sein sollte, und können Sie, wenn Sie schon Landesbeispiele genannt haben, Bundesländer nennen, die bei der Elektrifizierung der Strecken zur Verbindung von Landeshauptstädten, z. B. Stuttgart—München, sich finanziell beteiligt haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir können uns ja im Ring drehen. Ich habe den Unterschied zwischen einem Ausbau und einer reinen Elektrifizierung mehrfach, auch in dieser Fragestunde, dargelegt. Übrigens ist das gleiche gestern abgelaufen.
Ich erinnere mich daran, daß das Strukturhilfegesetz auf Grund einer Idee des Niedersächsischen Ministerpräsidenten entstanden ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Beratungen vor den entscheidenden Bundesratssitzungen.

(Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: 5 Milliarden DM wollte er haben!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119419100
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Austermann.

(Gansel [SPD]: Es ist 15 Uhr, Frau Präsidentin! Wir machen Überstunden!)


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1119419200
Der Hinweis des Kollegen Gansel auf die Uhrzeit veranlaßt mich, zunächst eine Frage an Sie, Frau Präsidentin, zu richten. Wenn man den Zeitungen in Schleswig-Holstein glauben darf, sollte zu dem Thema, das hier angesprochen ist, eine Aktuelle Stunde angemeldet werden. Liegt bei Ihnen eine Anmeldung für eine Aktuelle Stunde vor?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119419300
Das ist Sache der Geschäftsführer.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1119419400
Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Die Frage an den Staatssekretär: Können Sie bestätigen, daß die Verhandlungen zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Bundesbahn — Landesregierung, Bundesverkehrsminister — zum Thema Elektrifizierung zur Zeit laufen, daß sie auch am Freitag, also morgen, fortgesetzt werden und daß es bisher zu einer Einigung lediglich deshalb nicht gekommen ist, weil sich das Land Schleswig-Holstein geweigert hat, einen im Vergleich zu Niedersachsen, zu Hessen, zu Baden-Württemberg angemessenen Betrag als Eigenbeteiligung vorzusehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, um es kurz zu machen: eindeutig ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119419500
Damit ist die Fragestunde für heute beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die übrigen, nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Conrad, Dr. Pick, Schmidt (Nürnberg), Dr. Däubler-Gmelin, Adler, Bachmaier, BeckerInglau, Bernrath, Blunck, Dr. Böhme (Unna), Bulmahn, Catenhusen, Egert, Faße, Fuchs (Köln), Fuchs (Verl), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kastner, Kolbow, Kuhlwein, Luuk, Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Dr. Niehuis, Odendahl, Peter (Kassel), Renger, Schmidt (München), Schmidt (Salzgitter), Schütz, Schulte (Hameln), Seuster, Singer, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-



Vizepräsidentin Renger
Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Dr. Wegner, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Namensrechts von Ehe, Familie und Kindern (Namensrechtsreformgesetz)

— Drucksache 11/6187 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Conrad.

Margit Conrad (SPD):
Rede ID: ID1119419600
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 3. Dezember 1948 diskutierte der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates über den von Elisabeth Seibert eingebrachten Grundrechtssatz: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ich zitiere aus dem Protokoll der damaligen Sitzung, und zwar zunächst Herrn Becker von der FDP:
Es gibt ... Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, die nur entweder für den Mann oder für die Frau, aber nicht für beide gleich anwendbar sind. Welchen Namen führt zum Beispiel die Frau nach der Eheschließung, den des Mannes oder weiterhin ihren Familiennamen? Oder sollen, wenn Mann und Frau gleichberechtigt sind, Mann und Frau beide Namen führen? Welchen Familiennamen führen die Kinder, den Namen des Mannes oder den Namen der Frau oder beide?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119419700

In allen Punkten, in denen die Gleichberechtigung nicht besteht, muß das Familienrecht, müssen überhaupt alle gesetzlichen Bestimmungen, die dem Grundsatz entgegenstehen, geändert werden. Es bedarf keiner Frage, daß dieser Schritt getan werden muß. Ich stelle ihn mir durchaus nicht leicht vor.
Wenn es leicht gewesen wäre, hätte es nicht 41 Jahre gedauert, bis endlich ein Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, der Männer und Frauen beim Namensrecht wirklich gleichstellen will. Wenigstens drei Anläufe hat es gegeben, und immer waren sie Beleg dafür, wie hartnäckig sich patriarchalische Strukturen im Familienrecht und insbesondere im Namensrecht halten.
Der letzte Reformschritt von 1976 bedeutete, daß immerhin sowohl der Männer- wie auch der Frauenname Familienname werden kann. Aber die Frau braucht dafür die Zustimmung des Mannes, nicht aber der Mann die Zustimmung der Frau. Der Mann braucht sich gar nicht um eine Einigung zu bemühen, wie der Namensrechtler Sturm formuliert:
Bockbeinigkeit genügt, um sich und seinen Namen durchzusetzen. Die Frau wird untergebügelt. So einfach geht das in Bonn. Hauptsache ist, daß sie bequem und sich gehorsam fügt, denn er ist der Mann, und das genügt.
So der Namensrechtler Sturm in Anlehnung an Tucholsky.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 8. März 1988 in seinem Urteil zum Namensrecht Zweifel gehegt, ob der Automatismus zugunsten des Männernamens bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung Bestand haben würde. Wir wollen und müssen aber nicht warten, bis das Bundesverfassungsgericht dem Parlament die Aufgabe erteilt, ein Namensrecht zu schaffen, das wirklich dem Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau entspricht und das der Bedeutung eines Namens für die eigene Persönlichkeit und personale Identität gerecht wird.
Der eigene Name ist doch Zuordnungsmerkmal für Glück, für Leid, für Trauer, Erfolg, Mißerfolg, Freunde, Beziehungen usw. Über die Bedeutung eines Namens für den Menschen haben sich schon Klassiker ausgelassen, am deutlichsten wohl Goethe. Ich darf aus „Dichtung und Wahrheit" zitieren. Er schrieb damals:
Denn der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen.
Ergibt sich hieraus nicht, daß der Staat Abstand von Gesetzen nehmen sollte, die einen Menschen zwingen — und sei es bei der Eheschließung — , seinen Namen aufzugeben oder zu ändern?
Dies sieht ja mittlerweile auch die FDP so. Ich zitiere aus dem Beschluß des Bundesvorstandes der FDP vom 20. Mai 1989:
Dieser Zwang zur Namensänderung für einen Partner, meist ist es die Frau, stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, der nicht zu rechtfertigen ist.
Die FDP liegt damit voll auf der Linie unseres Gesetzentwurfs.
Die meisten der europäischen Länder respektieren die Bedeutung des eigenen Namens. Mit Ausnahme der deutschsprachigen Länder kennen nur Malta und Zypern den Zwang zur Führung eines gemeinsamen Familiennamens. Sogar das erzkatholische Irland, das noch nicht einmal die Ehescheidung zuläßt, hat ein Namensrecht, nach dem Paare wählen dürfen, ob sie einen gemeinsamen Familiennamen führen oder den eigenen Namen behalten wollen.
Genau dies sieht unser Gesetzentwurf im Grunde vor: größtmögliche Selbstbestimmung für die Paare durch die Wahlfreiheit zwischen einem Familiennamen und der Beibehaltung des eigenen Namens.
Ich weiß, daß hier wahrscheinlich Herr Rühe und leider auch Frau Verhülsdonk, wie ich der Presse entnehmen konnte, einmal wieder einen Angriff auf die heilige Institution Familie vermuten. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich für ein Bild von einer Part-



Frau Conrad
nerschaft, von einer Ehe, von einer Familie, wenn Sie der Meinung sind, diese bräuchten zum inneren und äußeren Zusammenhalt die Bindung durch einen gemeinsamen Namen?
Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir den Paaren diese Entscheidung selbst überlassen. Wir respektieren beide Haltungen: die Möglichkeit, sich für einen gemeinsamen Familiennamen oder für die Beibehaltung des eigenen Namens zu entscheiden. Notwendig ist aber, daß sich die Paare bei der ersten Lösung einvernehmlich für einen Namen entscheiden. Wollen oder können sie dies nicht, so behalten die Partner ihre ursprünglichen Namen.
Wir lassen auch — wie bisher — dem Partner oder der Partnerin, dessen oder deren Name nicht Familienname geworden ist, die Möglichkeit, den eigenen Namen dem Familiennamen voranzustellen oder hinzuzufügen. Das heißt, es wird sie auch weiter geben dürfen: Frau Adam-Schwaetzer, Frau Däubler-Gmelin, Frau Matthäus-Maier, Frau Schmalz-Jacobsen. Auch Herr Loriot kann zufrieden sein, denn auch in Zukunft wird es möglich sein, daß Herr Müller, wenn er Frau Lüdenscheid heiratet, die Loriotsche Traumkombination Müller-Lüdenscheid wählt.
Es entspricht unserem Bild von einer gleichberechtigten Partnerschaft, daß die Eltern, wenn sie unterschiedliche Namen haben, in der Lage sind, einen ihrer beiden Namen als Name des Kindes zu bestimmen. Doppelnamenlösungen sind für uns nur die letzte Möglichkeit, wenn die Eltern von diesem Recht auf Selbstbestimmung keinen Gebrauch machen.
Unser Gesetzentwurf ist ein Angebot zu einer gleichberechtigten Partnerschaft; er ist ein Angebot zu größtmöglicher Selbstbestimmung; er ist ein Angebot an Europa, an unsere europäischen Nachbarn. Er wird diktiert von dem Respekt vor dem persönlichen Namen, und er ist nicht zuletzt eine Konsequenz aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, der lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Herr Becker (FDP) hat am 3. Dezember 1948 die richtigen Fragen gestellt. Wir beantworten sie heute mit unserem Gesetzentwurf. Elisabeth Selbert würde sich freuen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119419800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1119419900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Änderung von Ehenamens- und Namensrecht der Kinder ist ein sensibles Gebiet. Man sollte nicht ohne Not daran herumreformieren. Deshalb ist zu fragen, ob die vorliegenden Gesetzentwürfe — die GRÜNEN waren ein halbes Jahr früher dran; die SPD hat etwas länger gebraucht —

(Frau Conrad [SPD]: Da gibt es aber Unterschiede!)

sinnvoll und notwendig sind.
Ich habe als Rechtspolitiker immer die Meinung vertreten, wir sollten keine Gesetze ändern — Herr
Funke, hier appelliere ich auch an die FDP; Herr Kleinert hat das häufig vertreten —, wenn nicht eine Not zu wenden ist, wenn nicht nachgewiesen ist, daß eine Not vorhanden ist und eine Gesetzesänderung deshalb angebracht ist.
Dazu darf ich Ihnen sagen: Der Bundestag, dieses Hohe Haus, hat sich mit dem Namensrecht nicht etwa vor 30 oder 50 Jahren, sondern im Jahr 1976 im Zusammenhang mit der Eherechtsreform beschäftigt; damals wurde das Namensrecht ausführlich diskutiert. Die sozialliberale Koalition hat das Namensrecht, das wir jetzt haben, geschaffen.

(Dr. de With [SPD]: Aber wir sind klüger geworden!)

— Ja, Sie werden immer klüger. Wenn die GRÜNEN etwas einbringen, meinen Sie, Sie müßten dem nachlaufen. —

(Dr. de With [SPD]: So häßlich kann man doch nicht sein, Herr Stark! Um Gottes willen!)

Dann haben wir uns 1978 noch einmal mit dem Problem der Rückwirkung des dann geltenden Rechts befaßt, so daß wir also nicht sagen können: Hier handelt es sich um veraltetes Recht.
Es liegt auch kein Bundesverfassungsgerichtsurteil vor, wie das unterstellt und behauptet wird, das sagt: Das Ehenamensrecht, das wir jetzt haben, ist verfassungswidrig, das muß geändert werden. Vielmehr hat das Gericht im Rahmen einer ganz anderen Frage — so en passant — gesagt, ob § 1355 Abs. 2 Satz 2 BGB dem Gleichberechtigungsgrundsatz entspricht, sei noch zu prüfen. — Mehr aber auch nicht.

(Frau Conrad [SPD]: Zitieren Sie doch bitte richtig!)

Also auch von daher gibt es keinerlei Notwendigkeit für eine Änderung.
Wie ist es denn nach dem jetzigen Recht — das sollte man sich einmal zu Gemüte führen — in Wirklichkeit, meine Damen und Herren? Nach langer Diskussion hat die sozialliberale Koalition damals beschlossen, daß man bei der Übung bleibt, daß dann, wenn die Ehepartner nichts anderes wünschen, der Name des Mannes als Familienname übernommen wird. Für Ehefrauen, die das nicht wünschen, hat man die Möglichkeit geschaffen, daß sie ihren Namen dem Namen des Mannes — das ist dann die Form des Doppelnamens — voranstellen.

(Zuruf von der SPD: Aber nur, wenn der Mann zustimmt!)

— Ja, wenn der Mann zustimmt.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Warum heiraten Sie eigentlich, wenn Sie nicht einmal da zustimmen können?)

Und wenn unsere Frauen — die wir ja lieben — das wollen, stimmen wir dem ja zu; das ist doch ganz klar.

(Frau Conrad [SPD]: 97 % der Männer stimmen nicht zu!)

— Sie geben mir das Stichwort: 97 %. Noch mehr: Bei 97 bis 99 % der Ehepaare ist das, was Sie hier heute



Dr. Stark (Nürtingen)

zur Frage der Nation hochstilisieren, überhaupt kein Problem. Hier gibt es auch keinen Streit. Es gibt einige Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich mit diesem ganz wichtigen historischen Problem auseinandersetzen, und 97 % haben damit überhaupt kein Problem.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Das ist die Tatsache, meine Damen und Herren.

Dann gibt es ein Drittes — das muß man auch wissen — : Wenn sich die Ehepartner einigen, dann kann der Name der Frau zum Ehenamen gemacht werden. Man hat also meines Erachtens schon damals allen Möglichkeiten Rechnung getragen. Ich persönlich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen sehen also keinen Anlaß, nach kaum zehn Jahren schon wieder im Ehenamensrecht herumzureformieren.
Ich habe vorhin gesagt, das ist ein sensibles Problem, das die Eheleute und die Kinder berührt. Wenn Sie dann zu den Namen der Kinder kommen, dann wird es — selbst bei Ihrem Vorschlag, dem der SPD — dramatisch. Da entscheidet dann plötzlich das Alphabet, welchen Namen die Kinder haben sollen. Dann kriegen sie einen Doppelnamen.

(Frau Conrad [SPD]: Ist überhaupt nicht wahr, die Eltern entscheiden!)

— Der Name der Eltern in alphabetischer Reihenfolge entscheidet. Entschuldigung, ich habe doch Ihren Gesetzentwurf gelesen.

(Zuruf von der SPD: Offenbar nur teilweise!)

Wollen Sie nicht mehr dazu stehen? Wenn sich die Eltern nicht auf den Namen des Kindes einigen können — —

(Dr. de With [SPD]: Jetzt haben wir es, das hätten Sie gleich sagen sollen!)

— Herr de With, Ihre Störungsversuche waren schon besser angelegt.

(Dr. de With [SPD]: Ich stelle nur fest, was wirklich ist!)

Da wird es dann dramatisch, denn wenn die Eltern sich nicht einigen, dann kriegen die Kinder einen Doppelnamen, wobei dann nach dem Alphabet vorgegangen wird, so daß je nachdem, welcher Elternname mit A oder B beginnt, dieser vorne steht. Dann müssen Sie auch wissen, daß dadurch später Vielfachnamen, gleich mit vier Namen, zustande kommen. Sie müssen auch einmal überlegen, was das für den Rechtsverkehr, die Rechtssicherheit und das Urkundenwesen bedeutet.
Ich sage Ihnen, ich hege höchste Skepsis gegenüber dem Unternehmen, das Sie hier starten. Wir werden ganz sicher mitberaten. Vielleicht können Sie uns überzeugen, aber dann müssen Sie schon andere Argumente bringen; wie z. B. die GRÜNEN, die in ihrem Antrag sagen, dies sei deshalb notwendig, damit aus dem Doppelnamen nicht mehr erkannt wird, daß die Frau oder der Mann verheiratet ist. — Das ist ja schlimm, wenn das erkannt wird.
Und jetzt kommt ein bedeutender Satz der GRÜNEN: Damit würden endlich auch die nichtehelichen
Lebensgemeinschaften wenigstens namensrechtlich — so sagen Sie in Ihrer Begründung — der Ehe gleichgesetzt werden. — Da merkt man doch die Absicht und wird verstimmt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Da haben Sie sich wieder einmal enttarnt!)

Meine Damen und Herren, wer behauptet, Namensrecht hätte mit Ehe und Familie nichts zu tun, der spürt wirklich nicht, was es bedeutet, daß man einen gemeinsamen Namen trägt, zu dem man steht, wenn man sich einen Lebenspartner aussucht, den man hoffentlich zu dem Zeitpunkt noch liebt, wo man heiratet. Und dann soll es entwürdigend sein, wenn beide denselben Namen tragen! Ich habe das also nie verstanden, was die GRÜNEN in ihre Begründung hineingeschrieben haben.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Das verstehe ich, daß Sie das nicht verstehen!)

Meine Damen und Herren, was Sie mit Bezug auf das Ausland anführen, werden wir in einer Anhörung entzaubern. Das stimmt zum großen Teil nicht. In den meisten Ländern muß nämlich dem Namen hinzugefügt werden „née", „verheiratet mit" usw. Es ist keinesfalls so, wie es in Ihrem Entwurf oberflächlich heißt, daß es nur ein Land gebe, wo die Regelung so sei wie bei uns.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Sie haben offenbar in diesen historischen Tagen ein Thema entdeckt, welches das ganze deutsche Volk beschäftigt. Deshalb werden wir uns auch mit ihm beschäftigen und mit beraten. Wir werden dann fragen, ob ein notwendiger Grund für das besteht, ob es sinnvoll ist, ob es Ehe und Familie dient, was Sie hier mit dem Namensrecht vorhaben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119420000
Das Wort hat Frau Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119420100
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der SPD-Entwurf gibt Antwort auf ein Problem, das in Wirklichkeit nur sehr selten vorkommt: auf das Problem nämlich, daß sich Frau und Mann bei der Eheschließung über den Familiennamen nicht einigen können. Normalerweise einigen sie sich, was bedeutet, daß die Frau den Namen des Mannes übernimmt und auf ihren eigenen Namen verzichtet.
Im Gegensatz zu der Aussage in der Begründung des SPD-Entwurfes geben Frauen ihren Namen in den meisten Fällen aber nicht deswegen auf, weil es das bundesdeutsche Namensrecht so vorsieht, sondern sie geben ihn auf, weil Frauen in dieser Gesellschaft von Kind auf gelernt haben, auf ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten der Bedürfnisse von Männern zu verzichten, während Männer von Anfang an darauf getrimmt worden sind, ihre Bedürfnisse durchzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Frau Oesterle-Schwerin
Das ist der Grund dafür, daß in 95 % aller Fälle Frauen den Familiennamen des Mannes annehmen; § 1355 BGB ist der Grund.

(Dr. Rüttgers doch selbst nicht! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sind aber schwache Frauen!)

Es ist natürlich trotzdem richtig, den § 1355 zu ändern, weil er verfassungswidrig ist. Ihr Änderungsvorschlag ist allerdings nicht dazu in der Lage, daß eigentliche Problem wirksam anzugehen, denn die vermeintliche Wahlfreiheit, die die SPD in bezug auf die Heiratswilligen vorschlägt, läßt sich in bezug auf die Kinder nicht mehr durchhalten. In dem Moment, in dem sich die Eltern nicht darüber einigen können, welcher der beiden Namen an die kommende Generation weitergeben wird, bekommt das Kind einen Doppelnamen, was zumindest im täglichen Leben sehr unpraktisch ist. Ich weiß, wovon ich rede. Hier wären wir mit der Wahlfreiheit genauso weit wie bisher, und es ist leicht zu erraten, welche Person auch in Zukunft auf ihren Namen verzichten wird, um den Kindern den Doppelnamen zu ersparen oder um dem Patriarchen in der Familie die Möglichkeit zu geben, seinen Namen zu verewigen.
Es ist erstaunlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, welche Klimmzüge Sie in Ihrem Gesetzentwurf machen und welche komplizierten Konstruktionen Sie in Kauf zu nehmen bereit sind.
Unser Vorschlag ist wesentlich einfacher. Er sieht vor, daß jede Person — auch Männer — ein Leben lang ihren Namen behält und Kinder immer den Namen der Mutter bekommen. Das ist aber nicht nur der Einfachheit halber zu empfehlen, sondern es ist die einzig wirksame Methode, um die fast absolute Unterdrückung von Frauen in diesem Bereich zu durchbrechen. Das erreichen Sie nicht durch die Wahlfreiheit, sondern durch die eindeutige Bevorzugung von Frauen. Die Wahlfreiheit haben wir ja in Wirklichkeit schon.
Ich gehe aber davon aus, daß in diesem Punkt in der SPD-Fraktion genau das passiert ist, was in 95 % aller Ehen passiert: Die Männer haben sich durchgesetzt.
Ich möchte zum Schluß nicht versäumen, zu kritisieren, liebe Frau Conrad, daß Sie in dem Text Ihres Entwurfes nicht die geschlechtsneutrale Sprache verwenden, die auch die Vertreterinnen Ihrer Fraktion bei der Diskussion um den Sexismus in der Sprache hier gefordert haben. Sie sprechen in Ihrem Entwurf grundsätzlich von dem Ehegatten, von den Partnern, von seinem Geburtsnamen, von dem Verwitweten, dem Geschiedenen etc. Ich kritisiere das einerseits, halte es andererseits aber auch wieder für folgerichtig im Zusammenhang mit ihrem Entwurf. Weder die Sprache noch die Vorschläge der SPD sind wirklich emanzipatorisch.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119420200
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119420300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der SPD zur Reform des Namensrechts von Ehe, Familie und Kindern greift eine alte Forderung der FDP-Frauenpolitikerinnen, aber auch der männlichen FDP-Politiker auf. Dankenswerterweise hat Frau Kollegin Conrad auf die Verdienste von FDP-Politikern schon bei der Grundgesetzgebung hingewiesen.
Diese Forderung der FDP-Frauenpolitikerinnen, aber auch eben von männlichen Kollegen hat auch in den Entwurf unseres Wahlprogrammes Eingang gefunden, wo es u. a. heißt: Jeder Ehepartner soll, wenn er dies will, nach der Eheschließung seinen Namen beibehalten können; der Familienname für die Kinder ist zu vereinbaren.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Jeder Partner seinen!)

— Wir machen hier doch nicht Grammatik, Frau Oesterle-Schwerin, sondern wollen hier doch versuchen, auch Ihrem Anliegen gerecht zu werden.
Diese Forderung ist keine freie und neue Erfindung etwa von Sozialdemokraten, GRÜNEN und Liberalen, sondern diese Regelung gibt es in vielen Staaten, in vielen europäischen und auch außereuropäischen Staaten, beispielsweise in den gesamten arabischen Ländern und auch im Iran,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Gute Vorbilder im Augenblick?!)

Staaten, die ja nun nicht gerade als ausgesprochen emanzipatorisch gelten können. Im übrigen ist dieses Namensrecht, das wir jetzt haben und das Sie so verteidigen, Herr Kollege Stark, ja erst durch Friedrich den Großen eingeführt worden. Vorher war es ja durchaus möglich, daß die Frau ihren Namen beibehielt. Schließlich ist auch der Name ein Teil der Identität eines Menschen. Ich begrüße daher den Vorschlag der SPD, daß den Ehegatten bei Eheschließung die Möglichkeit eröffnet werden soll, ihren jeweiligen Namen beizubehalten. Ich unterstreiche das Wort „Möglichkeit", denn Sie wollen ja genauso wie wir das Ehenamensrecht aus dem Jahre 1976 nicht außer Kraft setzen.
Es gibt im Grunde genommen auch keine überzeugenden Gründe, warum eine solche Regelung nicht zweckmäßig sein soll. Gelegentlich wird behauptet, daß auf diese Weise die polizeiliche Ermittlung, die Schuldnerermittlung und, wie Sie, Herr Kollege Stark, eben gesagt haben, auch Fragen im Zusammenhang mit Urkunden und Urkundenbeweisen schwieriger würden

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Rechtsverkehr!)

und außerdem Fragen der Rechtsstaatlichkeit aufgeworfen würden, weil einer der Ehegatten sich vielleicht hinter seinem alten oder neuen Namen verstekken könnte. Ich halte diese Bedenken nicht mehr für stichhaltig. Sie könnten allenfalls für das alte, 1976 beschlossene Namensrecht gelten, denn bei Beibehaltung des alten Familiennamens, auch der Frau, wäre die bisherige Identität, und zwar die objektive wie die subjektive Identität, nicht verlorengegangen. Im übrigen ist dies bei den Möglichkeiten der Datenverarbeitung heute ohnehin kein Problem mehr.
Lassen Sie mich abschließend noch sagen, daß uns der Regelungsvorschlag der SPD hinsichtlich der ge-



Funke
meinsamen Kinder und deren Namensgebung bei Nichteinigung der Eheleute nicht schlüssig erscheint. Hier sollten wir noch rechtsvergleichend tätig werden. Frau Kollegin Oesterle-Schwerin hat darauf hingewiesen, daß dies in der Tat noch nicht schlüssig ist. Hierüber sollten wir im Ausschuß noch intensiv beraten. Wir sagen eine faire und zügige Beratung im Ausschuß zu.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119420400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1119420500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stark, bei Ihren Ausführungen habe ich mich an das erinnert, was wir heute morgen in der rechtspolitischen Debatte diskutiert haben. Mir ist insbesondere der Beitrag des Kollegen Hüsch von Ihrer Fraktion noch sehr deutlich in Erinnerung, weil er in aller Deutlichkeit gesagt hat, wie häufig der Gesetzgeber hinter der Entwicklung des Lebens her-hinkt, und er hat uns aufgefordert, daß sich dieses Haus sozusagen einmal an die Spitze einer anderen Tendenz setzt und Regelungen trifft.

(Dr. de With [SPD]: Was zugleich eine Ohrfeige für die amtierende Regierung und die Mehrheit in diesem Hause ist!)

— Das kann man so sehen. — Jedenfalls nehme ich das auch als Appell an uns selber, in dieser Richtung tätig zu werden und nicht immer zu warten, daß nun das Bundesverfassungsgericht tatsächlich einmal sagt, § 1355 Abs. 2 BGB ist verfassungswidrig. Sie haben recht, daß in einem Nebensatz zumindest in Zweifel gezogen worden ist, daß diese Regelung verfassungsrechtlichen Bestand hat. Ich denke, das ist zumindest ein deutlicher Hinweis. Wer die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts kennt, weiß, daß solche Sätze nicht ohne Grund gesagt werden, auch wenn sie für die Entscheidung nicht herangezogen werden sollen.
Meine Damen und Herren, das Namensrecht ist doch bedeutsamer, als es gelegentlich dargestellt wird. Wir haben das auch aus der Diskussion erfahren, die sich nach der Veröffentlichung unseres Entwurfs in der Öffentlichkeit entwickelt hat. Es hat eine lebhafte Debatte in den Medien stattgefunden. Ich denke, daß wir auch die richtige Formulierung gefunden haben und unsere Vorschläge zur richtigen Zeit eingebracht haben.
Die Wurzeln des Namensrechts — es liegt eigentlich nahe, hier einen historischen Exkurs einzufügen — gehen weit in die Vergangenheit zurück. Es gibt nicht nur das Wort von Plautus „nomen est omen", was heißen soll: Der Name hat eine Vorbedeutung. Auch das Zitat von Frau Kollegin Conrad des allgegenwärtigen Meisters Goethe hat gezeigt, daß dieses Thema auch schon im 18. und 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt hat. Mit dem Namen ist immer eine besondere Bedeutung verbunden gewesen, sogar in Richtung eines Zaubers, wie wir aus der deutschrechtlichen Vergangenheit wissen: Der König hat immer einen Namen angenommen, und heute tut das noch der Papst. Auch
dies ist sicherlich aus einer besonderen Tradition zu verstehen.
Aber ich will doch noch auf eine Vorschrift aufmerksam machen, die für uns einen gewissen Hinweis gibt. § 12 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das ja — heute morgen ist es schon gesagt worden — 90 Jahre alt ist, hat ausgerechnet dem Namensrecht eine besondere Regelung, einen besonderen Schutz angedeihen lassen. Es hat das Namensrecht als ein Persönlichkeitsrecht herausgehoben. Ich denke, daß hier das BGB durchaus Vorbild sein kann. Das Recht auf Führung des Namens und der Schutz dieses Namens gegen jeden Mißbrauch ist, glaube ich, ein besonderer Fingerzeig.
Meine Damen und Herren, wir schlagen im wesentlichen folgende Neuerungen vor. Neben der bisher geltenden Lösung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird gleichermaßen die Möglichkeit eröffnet, daß beide Partner bei Eheschließung ihren Namen behalten können. Wir wollen wie bisher, daß sie dann, wenn sie sich auf einen gemeinsamen Ehenamen oder Familiennamen einigen, diesen auch wählen können. Sie entscheiden frei, von welcher Möglichkeit sie Gebrauch machen. Wenn keine Bestimmung getroffen wird, dann behält jeder seinen Namen bei. Wir wollen die Automatik, die im Moment besteht, ausschließen, daß im Falle der Nichteinigung der Name des Mannes Ehename wird, und zwar ausschließlich.
Nach unserem Vorschlag bleibt es auch bei der Möglichkeit, daß der Ehegatte, dessen Name nicht Ehename wird, dem gemeinsamen Ehenamen seinen Namen hinzufügt — entweder in der Form, daß er ihn voranstellt, oder in der Form, daß er ihn nachstellt.
Im Gegensatz zu dem von der Fraktion der GRÜNEN eingebrachten Entschließungsantrag haben wir, Frau Kollegin Oesterle-Schwerin, einen ausführlichen und sehr detaillierten Vorschlag gemacht, über den wir diskutieren sollten. Ich bin dankbar dafür, daß Herr Kollege Funke von seiten der FDP die Bereitschaft erklärt hat, hierüber in eine Diskussion einzutreten. Wir sind weit von der Vorstellung entfernt, daß wir hier alle Lösungsmöglichkeiten einbezogen hätten, die jeder Kritik standhalten. Wir sind offen für eine konstruktive Diskussion.
Ich glaube, daß die Problematik weniger bei der Frage der Namensführung der Ehegatten besteht, sondern mehr bei der Frage, wie man es mit dem Namen der gemeinsamen Kinder hält.

(Zustimmung)

Man muß noch einmal die Feststellung unterstreichen, daß hier im Grunde zur Zeit kein Wahlrecht besteht, sondern daß der Name des Mannes, wenn er Familienname und Ehename geworden ist, dann in den meisten Fällen auch für den Namen der Kinder maßgeblich ist.
Wir wollen durch unsere Lösung die Reste einer patriarchalischen Denkweise auch im Namensrecht beseitigen. Wir glauben nicht, daß diese Lösung dem Institut der Ehe oder der Familie abträglich ist. Im Gegenteil, wir sind der Meinung, daß wir hier auch international in guter Gesellschaft sind und daß wir



Dr. Pick
uns den Lösungen, die mehrheitlich im EG-Bereich getroffen worden sind, anschließen könnten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119420600
Jetzt hat das Wort der Bundesminister der Justiz, Herr Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119420700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über wenige Fragen des Familienrechts ist soviel geschrieben, so engagiert gestritten und doch im Ergebnis so wenig Neues gesagt worden wie über das Ehenamensrecht.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Da ist zunächst einmal der Grundsatz der Namenseinheit der Ehegatten. Über ihn bestand zur Zeit der Eherechtsreform noch parteiübergreifend Konsens.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich halte mich einmal davon fern, ganz allgemein über das Problem nachzudenken, ob hier nicht das Ich allein und nicht mehr das Wir, auch innerhalb der Ehe nicht mehr die Gemeinschaft, sondern nur die Einzelpersönlichkeiten ihr Gewicht haben sollen. Da könnte man viel räsonnieren, könnte vieles ansprechen. Ich halte das nicht für so wichtig, um es zum Gegenstand längerer Erörterungen zu machen.
Aber es erscheint mir doch wichtig, nochmals zu unterstreichen: Wann war denn diese Eherechtsreform? Wir haben die Fragen im Jahre 1975 beraten und entschieden. Die Eherechtsreform, die dann 1977 in Kraft trat, hat das Ehenamensrecht, wenn ich es noch recht im Kopf habe, auf den 1. Juli 1976 vorgezogen. So lange ist dies nicht her. Als Mitglied nicht nur des Rechtsausschusses, sondern für meine Fraktion auch als Mitglied des Unterausschusses Ehe- und Familienrechtsreform erinnere ich mich sehr gut an die Beratungen, die nach dem damaligen ursprünglichen Regierungsentwurf schon die Tendenz hatten, in der zweiten Generation, der Generation der Kinder, bis zu zwölf Kombinationsmöglichkeiten des Namens zuzulassen. Ich habe mich damals bei den Beratungen auf den Weg gemacht und den Vorschlag unterbreitet und durchzusetzen gewußt, der dann Zustimmung gefunden hat und heute das geltende Recht ist.
Nun mag man darüber viel sagen. Nur: Wenn man sich davon abwenden will und sich in der Richtung Ihres Vorschlags mit der Sache näher befreunden will, darf man Ihren Entwurf nicht zur Grundlage machen, weil er neben einer Frage, die ich gleich noch ansprechen werde, beträchtliche Mängel auch technischer Art enthält. Es ist nicht Sache, das im Plenum im einzelnen darzulegen. Es wird Sache des Ausschusses sein, sich damit zu beschäftigen.

(Dr. de With [SPD]: Dazu ist ja das Ministerium da!)

Der Grundfehler Ihres Entwurfs ist eben auch, daß das Problem der beiden Menschen, die in der Ehe zusammenkommen und nicht sich einigen können, nicht gelöst, sondern nur auf die nächste Generation, die Generation der Kinder, verschoben wird.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jawohl!)

Wer sich über einen Kindesnamen nicht einigen kann — das sehen Sie auch so — , wird sich vielfach auch über die Reihenfolge im Doppelnamen nicht verständigen. Der Gesetzesvorschlag erkennt das Problem und gibt dafür mit der Maßgeblichkeit des Alphabets seine strikte Anweisung. Da braucht nicht mehr nachgedacht zu werden, da ist Einigung nicht mehr gefragt.
Frau Kollegin Conrad wird sich ja mit ihrem Namen beträchtlich durchsetzen. Man schreibt sie mit „C". Aber ist Ihnen eigentlich klar, daß die zahlreichen Namensträger „Engelhard" so viele Mitinitiatoren des SPD-Entwurfs wie Herrn Professor Pick, Dr. Vogel oder gar Herrn Wiefelspütz um Generationen überleben werden? Nein, man muß es im Grunde so steigern, wie ich es einmal sehr schön nachgelesen habe — darüber sollten Sie nachdenken — : Dort, wo Sie zwingend vorgeben, nach dem Alphabet zu marschieren, könnte es eines Tages passieren, daß alle Menschen wieder Adam heißen.

(Heiterkeit)

Ob das den Damen ein besonderes Anliegen sein kann, das wird man doch fragen müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119420800
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/6187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Dagegen hat niemand etwas. Das ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Frau Frieß, Frau Nickels, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Schmidt (Hamburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher und strafprozessualer Regelungen bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen (Antidiskriminierungsgesetz Teil II — ADG II)
— Drucksache 11/5153 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Im Ältestenrat sind für die Beratung bis zu fünf Minuten Redezeit für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt (Hamburg).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119420900
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist Teil des von uns bereits in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Antidiskriminierungsgesetzes für Frauen. Uns geht es darum, die



Frau Schmidt (Hamburg)

zahlreichen frauenfeindlichen Bestimmungen in den Gesetzen der Bundesrepublik abzuschaffen, und derer gibt es viele.
Das Recht der Unantastbarkeit des eigenen Körpers, für Männer eine Selbstverständlichkeit, gilt für Frauen nicht in gleichem Maße, weder de facto noch de jure. So ist der Leitgedanke der geltenden §§ 177, 178 und 182 des Strafgesetzbuches nicht das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen, sondern das Interesse einer Männergesellschaft an der Verfügbarkeit von Frauen und deren Körpern.
Der geltende § 177 bestraft als Vergewaltigung nur den gewaltsam außerehelichen Koitus. Andere Formen sexueller Gewalt, z. B. erzwungener Anal- oder Oralverkehr, fallen nicht unter den Begriff der Vergewaltigung.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Wenn Sie hier nur herumpöbeln und nicht zuhören können, finde ich das bei diesem Thema sehr peinlich.
Worum es hier in erster Linie geht, wird also schon ganz deutlich: Vergewaltigung in diesem Sinne ist nur das, was zur eventuellen Zeugung illegetimer Nachkommenschaft führen könnte.
Ein ähnliches Anliegen vertritt § 182 des Strafgesetzbuches. Die Verführung eines Mädchens ist auf Antrag der Erziehungsberechtigten strafbar, es sei denn, der Verführer heiratet das Mädchen. Geschütztes Gut ist also nicht das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Mädchens, sondern die Familienehre und die Unbescholtenheit. Dieses feudale Relikt möchten wir ersatzlos streichen.
Andere Formen erzwungener Sexualität, wie brutal auch immer, gelten dem patriarchalischen Strafgesetzbuch als weitaus weniger verwerflich als der Vaginalverkehr. Das sehen wir anders. Nicht nur der erzwungene Beischlaf ist nach unserer Auffassung Vergewaltigung, sondern jedes sexuell bestimmte Eindringen in den Körper einer Frau gegen deren Willen.
Sodann ist der im geltenden § 177 benutzte Begriff der Gewalt für Frauen völlig unakzeptabel. Muß denn ein Vergewaltigungsopfer erst halbtot geschlagen werden, um glaubwürdig zu sein? Aus vielen Gerichtsprozessen muß frau jedoch diesen Eindruck gewinnen. Eine solche Einstellung von Richtern oder Anwälten, die im Gesetzestext vorgegeben ist, geht aber an der schrecklichen Realität vorbei.
In der Situation wurde die vergewaltigte Frau nicht nur erniedrigt oder gedemütigt; sie hatte auch Angst, oft Todesangst. Vielleicht kann sie deshalb vor Gericht nicht beweisen, daß ihr Gewalt angetan wurde, weil sie, um ihr Leben zitternd, versucht hat, den Täter zu besänftigen.
Wir wollen daher den Begriff „Gewalt" im geltenden § 177 durch das Merkmal „gegen ihren Willen" ersetzen. Für uns gilt, daß Frauen nein meinen, wenn sie nein sagen.
Daß gerade an diesem Punkt den Gerichten eine deutliche gesetzliche Vorgabe not tut, zeigt das skandalöse Urteil des Bundesgerichtshofes vom Mai 1989,
wonach eine Vergewaltigung auch einer widerstandsunfähigen und daher wehrlosen Frau nur dann vorliegt, wenn der Täter massive körperliche Gewalt angewandt hat.
Daß sich die traumatische Erfahrung der Vergewaltigung oft für die Betroffene im Gerichtssaal fortsetzt, ist bekannt. Die Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Opferschutzgesetz von 1986 halten wir für unzulänglich. Art. 2 unserer Vorlage versucht daher, die Stellung von betroffenen Frauen als Zeuginnen vor Gericht zu stärken.
Ferner wollen wir die Klausel vom sogenannten minderschweren Fall in den geltenden §§ 177 und 178 gestrichen haben. Sie hat in der Vergangenheit dazu gedient, aus Vergewaltigung ein Kavaliersdelikt zu machen. Insbesondere die am häufigsten vorkommenden sexuellen Übergriffe seitens Bekannter, Verwandter oder Nachbarn werden derzeit milde oder überhaupt nicht geahndet.
Nun kommen wir zu dem politischen Knackpunkt, mit dem sich dieses Haus seit fast zwei Jahrzehnten erfolglos herumschlägt, zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Wir sind eines der wenigen sogenannten zivilisierten Länder, in denen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer Frau gegenüber dem Ehemann nicht existent ist. Gerade das Wörtchen „außerehelich" im geltenden § 177 weist darauf hin, aus welchem patriarchalischen Urschlamm dieser Paragraph gequollen ist. Vergewaltigung ist aber Vergewaltigung, ob nun innerhalb oder außerhalb der Ehe. Ich denke, daß ich mir in diesem Punkt mit fast allen Kolleginnen in diesem Haus einig bin.
Es hat ja in dieser Frage auch einmal den Versuch einer interfraktionellen Einigung unter den Frauen gegeben. Nur ist diesem zarten Pflänzchen Frauensolidarität leider keine lange Lebensdauer beschieden gewesen. Wenn man sich einige öffentliche Äußerungen von Ihnen, meine Herren von der CDU/CSU, anhört, weiß man auch warum.
In der Zeitschrift „Brigitte" hat der frühere Kollege Alfred Sauter eine gar feinsinnige Unterscheidung zwischen der ehelichen und der außerehelichen sexuellen Gewaltanwendung getroffen. Ich zitiere:
In beiden Fällen spielt Gewaltanwendung eine Rolle, und die wird bestraft. Unterschiedlich sind beide Delikte aber in ihrer familienrechtlichen Ausrichtung: Für den Fall der Ehe wird der Erfolg, der durch die Gewaltanwendung erstrebt wird — der Geschlechtsverkehr also — , von der Rechtslehre gebilligt, für den Fall außerhalb der Ehe natürlich nicht.
Meine Zeit ist leider zu Ende. Das ist für uns also der Punkt, der absolut nicht akzeptabel ist.

(Jäger [GRÜNE]: Sie sind selber unappetitlich!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119421000
Lassen Sie doch die Frau Kollegin noch den Satz zu Ende bringen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119421100
Das, was da gerade gekommen ist, halte ich für eine reichliche Unverschämtheit.



Frau Schmidt (Hamburg)

Ich denke also, daß gerade auch dieser Punkt zeigt, daß sich da Frauen stärker zusammentun müssen, weil es hier zumindest unter den Kolleginnen — wie ich schon sagte — eine Übereinstimmung gibt. Wir sind gespannt, wie sich die Frauen in ihren Fraktionen dabei durchsetzen werden.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119421200
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Geis.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1119421300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auf Grund der Kürze der Zeit nur mit der letzten Frage, die die Frau Kollegin Schmidt angesprochen hat, beschäftigen. Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß Gewalt gegen die Frau, die Mißachtung ihrer sexuellen Selbstbestimmung zutiefst verwerflich ist. Es besteht auch kein Zweifel, daß kein Unterschied zwischen einer solchen Gewalttat innerhalb der Ehe und außerhalb der Ehe gemacht werden kann. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau ist nicht teilbar. Mit der Ehe wird es nicht aufgehoben und auch nicht eingeschränkt.
Ich bin auch der Auffassung, daß Art. 6 GG diesem Gedanken nicht entgegensteht. Art. 6 GG will den intimsten Bereich zweier Menschen in der Ehe schützen. Wenn dieser Schutz Wirkung entfalten soll, dann muß der Staat auch mit dem stärksten Mittel, das er hat, nämlich mit dem Mittel des Strafrechtes, dieses Grundrecht schützen. Darin stimmen wir mit Ihnen überein.
Ich meine dennoch, daß Ihr Gesetzentwurf ein untauglicher Versuch ist, dieser Problematik gerecht zu werden. Ich meine auch, daß er unglaubwürdig ist. Dies aus mehreren Gründen: Sie unterscheiden bewußt nicht zwischen dem Tatbestand innerhalb der Ehe und außerhalb der Ehe. Dabei kann überhaupt kein vernünftiger Zweifel bestehen, daß ein Unterschied vorhanden ist zwischen dem Verhältnis zweier Menschen innerhalb der Ehe und dem Verhältnis zweier Menschen außerhalb der Ehe, die sich vielleicht nur flüchtig kennen oder die sich vielleicht auch in einer längeren Bindung begegnet sind, sich aber nicht so fest binden wollten wie durch eine Ehe. Deswegen kann man nicht beides vermischen. Man muß differenzieren. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht das Gleiche. Man muß also, wenn überhaupt, zwei Tatbestände vorsehen.
Das wollen Sie aber bewußt nicht. Sie wollen bewußt keinen Unterschied machen. Dabei geht es Ihnen nicht in erster Linie um den Schutz vor der Gewalt, die der Mann gegen die Frau ausübt. Das wollen Sie zwar auch, aber Sie wollen ebenfalls einen Angriff gegen die Ehe selbst starten. Das ist Ihr eigentliches Motiv.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb sind Sie in dieser Frage unglaubwürdig.
Aber Sie sind auch noch aus einem anderen Grund unglaubwürdig. Sie sind unglaubwürdig, weil Sie einmal gegen die Gewalt des Mannes gegenüber der
Frau eintreten — darin stimmen wir mit Ihnen überein, und das unterstützen wir — , auf der anderen Seite aber verweigern Sie sich, wenn es um die Gewalt gegen das noch nicht geborene Kind geht. Im Gegenteil, Sie versuchen immer wieder in diesem Parlament, freie Bahn für die Gewalt gegen das noch nicht geborene Leben zu schaffen. Das ist ein Widerspruch, wie man ihn eigentlich mit normalem Verstand nicht mehr nachvollziehen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119421400
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Oesterle-Schwerin?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1119421500
Bitte sehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119421600
Herr Kollege Geis, Sie machen also einen Unterschied zwischen der Vergewaltigung außerhalb der Ehe und der Vergewaltigung innerhalb der Ehe. Wie halten Sie es denn mit anderen Verbrechen? Wie halten Sie es denn mit einem Mord außerhalb der Ehe und innerhalb der Ehe? Würden Sie auch hier sagen: Das ist etwas anderes?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1119421700
Bei einer Vergewaltigung spielt die Beziehung zweier Menschen eine entscheidende Rolle. Das wissen Sie.

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Das ist doch um so schlimmer!)

Bei allen Strafprozessen, die sich damit beschäftigt haben, spielt das eine entscheidende Rolle. Deswegen müssen Sie, ob Sie wollen oder nicht, vernünftigerweise zwischen dem Tatbestand innerhalb einer Ehe und dem Tatbestand außerhalb einer Ehe unterscheiden. Wer das nicht tut, der geht glatt an der Wirklichkeit vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Frau Folz-Steinacker [FDP]: Das darf doch nicht wahr sein!)

Lassen Sie mich diesen einen Gedanken noch zu Ende bringen: Sie treten ein gegen die Gewalt des Mannes gegenüber der Frau, aber Sie kämpfen und treten ein für die freie Gewalt gegenüber dem noch nicht geborenen Kind. Das ist ein Widerspruch, den ich nicht nachvollziehen kann und den man schlechterdings mit normalen Verstand überhaupt nicht nachvollziehen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie versuchen, diesen Widerspruch mit Allgemeinplätzen zu überspielen: „Helfen statt Strafen" oder „Man muß das in die Verantwortung der Frau geben". Aber was meinen Sie eigentlich mit „Verantwortung"? Eine Frau, die sich für ihr Kind verantwortlich fühlt, braucht kein Strafrecht; sie wird das Leben des Kindes gegen alle Bedrängnis schützen. Aber diese Verantwortlichkeit meinen Sie ja gar nicht. Sie meinen freie Verfügung, Sie meinen Willkür, Sie meinen freie Bahn für die Gewalt gegen das Kind, und das ist der Widerspruch.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Zum Thema!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119421800
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Hamburg)?

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1119421900
Lassen Sie mich diesen Gedanken gerade zu Ende bringen.
Diesen Widerspruch, der bei Ihnen liegt, müssen Sie mir erst einmal aufklären. Sie können nicht auf der einen Seite glaubwürdig gegen die Gewalt gegen die Frau eintreten und auf der anderen Seite, in engem Zusammenhang damit stehend, Gewalt gegen das Kind freigeben.
Deswegen haben wir von der CSU und auch von der CDU uns immer wieder gegen die Verknüpfung einer Erweiterung der kriminologischen Indikation im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bestrafung bzw. um die selbständige Normierung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gewandt. Wir wollen nicht Gewalt mit Gewalt beantworten. Wir sind der Auffassung, daß dies unglaubwürdig ist. Wir sind der Auffassung, daß die Gewalt des Täters, des Ehemanns gegenüber seiner Frau bestraft werden muß, und sie kann auch jetzt schon bestraft werden. Wir sind auch für einen eigenen Tatbestand. Aber wir sind genauso dagegen, daß dann freie Bahn gelassen wird für die Gewalt gegenüber dem noch nicht geborenen Kind. Wir halten dies für unglaubwürdig und für zutiefst inhuman.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119422000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119422100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 12. Mai 1989 haben wir zuletzt über das nämliche Thema im Deutschen Bundestag debattiert. Es waren die zweite und dritte Lesung für einen Gesetzentwurf der SPD über die Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe. Das beinahe schon — das muß erwähnt werden — Kuriose an dieser Debatte war, wenn dieses Wort bei der Ernsthaftigkeit des Themas erlaubt ist, daß alle Sprecher der Fraktionen und der Bundesminister der Justiz sich für die Ausdehnung der Bestrafung auch auf die Vergewaltigung in der Ehe ausgesprochen haben, daß aber dem Gesetzentwurf außer den Sozialdemokraten niemand voll zugestimmt hat. Dabei wurde diese Frage bereits seit 17 Jahren im Deutschen Bundestag behandelt, und am 1. März 1990 werden es 18 Jahre.
Die GRÜNEN erklärten — das muß ich Ihnen leider sagen — , unser Entwurf ginge Ihnen nicht weit genug. Die CDU/CSU vermerkte, sie sei sich noch nicht einig, weil eine Bestrafung der Vergewaltigung auch in der Ehe die Zahl der Abtreibungen erhöhen könne, und die FDP mit dem Herrn Bundesminister der Justiz war der Auffassung — ganz offenkundig war das jedenfalls Ihre Meinung — , aus Koalitionsgründen noch zuwarten zu müssen. Sie kommen eben nicht zum Treffen.
Der Bundesminister der Justiz — ich darf ihn zitieren — verstieg sich als krönender Abschluß in seiner Rede zu dem Satz:
Für heute sage ich, daß — ungeachtet der Schwierigkeiten, mit denen wir uns hier beschäftigt haben — wir als die Koalition und nicht die SPD bei dem Gesamtkonzept auf dem besseren und richtigen Wege sind.
Ich kann nur sagen: Welch ein Hohn!
Bei dem heutigen Entwurf der GRÜNEN handelt es sich in der Tat um weitgehende Bestimmungen. Die Vergewaltigungsvorschrift wird dabei so weit gefaßt, daß nicht nur das Eindringen sexueller Art in den Körper eines anderen bestraft wird, wenn die Einwilligung hierzu nicht vorliegt, sondern schlechthin jedwedes Eindringen. Sie müssen das einmal genau lesen!

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Das habe ich sehr genau gelesen!)

— Uns jedenfalls erscheint das des Guten zu viel; denn hier wird die Grenze zur Körperverletzung nicht gezogen. Dabei will ich gerne anmerken, daß wir Ihrem Bemühen grundsätzlich positiv gegenüberstehen und daß Sie im Kern wirklich dasselbe wollen wie wir: Die Frau muß endlich in jeder Situation in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht geschützt werden, auch in der Ehe.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119422200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Oesterle -Schwerin?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119422300
Aber gerne.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119422400
: Herr Kollege, was verstehen Sie denn unter „nicht sexuellem Eindringen"? Was möchten Sie denn nicht bestraft haben? Welches nicht sexuelle Eindringen möchten Sie nicht bestraft haben?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119422500
Ich will nur das sexuelle Eindringen gegen den Willen bestraft wissen, aber Ihr Tatbestand ist so dargestellt, daß auch anderes Eindringen möglich ist und dann der Bestrafung zugeführt werden müßte. Deswegen ist die Grenze zur Körperverletzung nicht gezogen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Mit Gegenständen? Ist das kein sexuelles Eindringen?)

— Das muß es keineswegs sein. Ich will das hier nicht ausführen; das ist Ausschußarbeit. Es ändert nichts an der Tatsache, daß wir Ihrer Absicht positiv gegenüberstehen. Nur sind Sie, glaube ich, über das Ziel hinausgeschossen, wie das oft bei Ihnen der Fall ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119422600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119422700
Bitte schön, Herr Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1119422800
Herr Kollege de With, sind Sie bereit einzuräumen, daß wir in der Sache völlig einer Meinung sind, daß auch die CDU/CSU eine Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe will und daß wir uns nur an einem Punkt unterscheiden, und dieser Punkt ist, daß wir ein Widerrufsrecht der Ehefrau zum Schutz von Ehe und Familie für dringend erforderlich halten?




Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119422900
Solange Sie nicht bereit sind, einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen — wir sind nicht in eine bestimmte Formulierung verliebt — , ist alles das, was Sie hier sagen, nur ein Lippenbekenntnis, sonst gar nichts.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie hätten in den Jahren genügend Zeit gehabt, sich durchzuringen, und der Deutsche Bundestag hätte schon längst auch die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ob da jetzt in Abs. 2 oder in Abs. 3 Ihre Formulierung steht oder unsere oder die der GRÜNEN, ist, so meine ich, im Grunde genommen uns allen gleichgültig.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1119423000
Gestatten Sie noch eine zweite kurze Frage?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119423100
Immer!

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1119423200
Sind Sie auch bereit, den Damen und Herren zu sagen, daß die Vergewaltigung in der Ehe derzeit strafbar ist, und zwar als Nötigung,

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Nicht als Vergewaltigung! Es ist aber Vergewaltigung!)

und daß sie mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1119423300
Sie sollten das weiterführen! Natürlich wird sie als Nötigung bestraft. Nur haben Umfragen ergeben, daß rund 75 % der Frauen überhaupt nicht wissen, daß das mit Strafe bedroht ist. Allein das Etikett „Nötigung" spiegelt auch nicht die Gefährlichkeit wider. Ich sage: Es geht hier um einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen, hier speziell der Frau,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und deswegen wäre es, auch um ein Zeichen zu setzen, ein dringend erforderlicher Schritt, endlich zu Potte zu kommen und nicht immer nur darüber zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Ich schließe das ab, indem ich sage: Ich kann mich nur wundern, daß und wie die Frauen bei der CDU, der CSU und der FDP dies eigentlich noch ertragen.
Die neue Beleidigungsvorschrift im Entwurf der GRÜNEN ist schon vom Ansatz her verfehlt. Als Beleidigung wollen Sie auch bestrafen, wenn eine Person oder sogar eine Personengruppe auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung beleidigt wird. Natürlich verstehen wir auch hier Ihren guten Willen; aber ganz offensichtlich sind Sie überzogenen Forderungen aufgesessen. Ihr Entwurf einer Vorschrift über mit Strafe bedrohte Beleidigung ist — das sage ich in aller Deutlichkeit — geeignet, das zu verschütten, was wir mit der Sexualstrafrechtsreform in einem Bereich erst 1973 begründet und, wie ich meine, bis heute zur allgemeinen Akzeptanz gebracht haben, nämlich daß — ich sage das leise — zur sexuellen Selbstbestimmung im weiteren Sinne auch das Konsumieren von einfacher Pornographie gehört, solange dieses nicht in das Selbstwertgefühl Dritter eingreift oder es nicht um Jugendschutz geht. In Ihrem Übereifer sind Sie drauf und dran, eine Reform zum Teil wieder rückgängig zu machen. Auch hier habe ich Verständnis für Ihr Grundanliegen; das sei nicht bestritten. Aber wenn überhaupt, so kann Ihr Wollen nur bürgerlich-rechtlich umgesetzt werden, anders meiner Meinung nach nicht.

(Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei aller Skepsis gegenüber dem Entwurf der GRÜNEN kann ich nur sagen, daß dieser erneut die Möglichkeit bietet, CDU/CSU und FDP auf die Probe zu stellen. Sie könnten sich jetzt sogar auf eine Empfehlung der von ihr eingesetzten Gewaltkommission, die am 16. Januar das folgende gesagt hat, berufen:
Das Strafgesetzbuch muß durch einen Vergehenstatbestand gegen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe ergänzt werden.
Lehnt die Bundesregierung, lehnen die Koalitionsfraktionen auch dieses Mal wieder die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ab, dann, meine ich, hat sie endgültig ihre Glaubwürdigkeit verloren. Ich sage zum Schluß: Videant feminae! Frei übersetzt: Die Frauen durchschauen Sie. Sie können sie nicht länger täuschen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119423400
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119423500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von den GRÜNEN vorgelegte Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes Teil II befaßt sich im wesentlichen mit der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und mit der Gewalt in der Ehe. Die FDP betrachtet es als eine Diskriminierung der verheirateten Frauen, daß die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe noch nicht gesetzlich normiert ist. Es kann nicht richtig sein, daß mit der Eheschließung eine Frau den über die Tatbestände von Nötigung und Körperverletzung hinausgehenden besonderen Schutz ihrer sexuellen Selbstbestimmung verliert und sich damit schlechter stellt, als wenn sie mit einem Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebt. Daher teilen wir die Auffassung, daß die Gleichbehandlung von ehelichen und außerehelichen sexuellen Handlungen, die Gleichbehandlung der verschiedenen Penetrationsformen und der gleiche Schutz von Männern und Frauen durch geschlechtsneutrale Tatbestandsfassung wie im vorliegenden Gesetz berücksichtigt werden müssen.
Hinsichtlich der Ausgestaltung der vorgeschlagenen Regelungen in den §§ 177 bis 179 StGB sind wir jedoch anderer Auffassung als die GRÜNEN. Insbesondere soll nach dem Entwurf jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen der Frau durchgeführt wird, bereits strafbar sein, und zwar bedroht mit sehr empfindlichen Freiheitsstrafen von zwei bis fünfzehn Jahren. Solche empfindlichen Sanktionen können nur für Taten verhängt werden, die einen außerordentlich



Funke
hohen Schuldgehalt besitzen und die in der Regel gegen Körper, gegen die freie — —

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Gegen den Körper und gegen die Seele der Frau!)

— Ja, sicherlich, Frau Kollegin. Aber Sie müssen auch bedenken: Zwei bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe ist ein sehr hohes Strafmaß, vor allem wenn Sie jede sexuelle Handlung

(Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE]: Jedes sexuell bestimmte Eindringen!)

— jede sexuelle Handlung — unter Strafe stellen wollen, die gegen den Willen der Frauen erfolgt.

(Dr. de With [SPD]: Die sagen nur „Eindringen"! Das ist es ja!)

Auch soweit von den GRÜNEN eine Strafminderung bei minder schweren Fällen abgelehnt wird, begegnet dies bei uns rechtspolitischen Bedenken, genauso wie die Normierung als uneingeschränktes Offizialdelikt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119423600
Herr Abgeordneter Funke, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin zu beantworten?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119423700
Ja, natürlich.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119423800
Herr Kollege, sind Sie denn der Meinung, daß das vaginale oder anale Eindringen gegen den Willen der Frau weniger schlimm als die herkömmliche Vergewaltigung ist?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119423900
Nein.
Den GRÜNEN stimme ich auch insoweit zu, als die bisherigen Formulierungen im Sexualstrafrecht, soweit die Formulierung „Verführung" benutzt wird, nicht geeignet sind, für eine klare rechtliche Definition zu sorgen. Das entspricht doch sehr den Sexualvorstellungen des 19. Jahrhunderts. Hier sind wir bereit, mit Ihnen über eine moderne, dem Stand der Sexualwissenschaft entsprechende Formulierung nachzudenken. Dieser Antrag wird an den Ausschuß verwiesen werden, so daß wir hierüber und auch über das Strafmaß, Frau Oesterle-Schwerin — das ist mir ganz wichtig —, intensiv reden können. Unter Umständen läßt sich da eine gewisse Kompromißlösung finden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119424000
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Hans Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119424100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege de With hat völlig zutreffend die Situation geschildert, daß bei der damaligen Beratung des SPD-Entwurfs, obwohl alle für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe sind, dieser Entwurf keine Mehrheit gefunden hat. Das wiederholt sich heute. Nur: Dafür gibt es Begründungen. Und Begründungen sind seinerzeit gegenüber dem SPD-Entwurf ausgesprochen worden. Ich werde, beschränkt auf zwei mir wesentlich erscheinende Punkte, die Begründung geben, warum wir uns mit dem Entwurf der GRÜNEN nicht befreunden können.
Erstens. Es ist die uneingeschränkte Geltung des Offizialprinzips. Ich muß nochmals mit aller Entschiedenheit betonen, daß in dem grundrechtlich besonders geschützten Bereich der Ehe staatliche Eingriffe nur mit größter Zurückhaltung erfolgen dürfen. Den beteiligten Ehegatten muß die Möglichkeit einer eigenständigen Konfliktlösung vorbehalten bleiben. Das Strafrecht als staatliches Eingriffsinstrument hat zurückzutreten, wenn sich die Ehegatten wieder versöhnt haben.

(Abg. Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119424200
Herr Minister, Sie sind bereit? — Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119424300
Können Sie sich vorstellen, daß es in einer Ehe, in der der Mann die Frau vergewaltigt hat, zu einer einvernehmlichen Lösung zwischen den Ehepartnern kommt, also zwischen dem Vergewaltiger und der Frau, und geben Sie über die Form, die Sie anstreben, den Männern nicht zusätzliche Möglichkeiten, wenn sie die Frau schon einmal mit absoluter Gewalt vergewaltigt haben, die Frau durch Drohung dazu zu bringen, die Anzeige zurückzuziehen?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119424400
Ich kenne natürlich das Thema durch alle Erörterungen. Wir haben uns bei dem Entwurf, den ich vorgelegt habe, bemüht, auch hier Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen

(Dr. de With [SPD]: Aber es war kein Regierungsentwurf!)

in der Weise, daß es nicht des Strafantrages bedarf, sondern daß gegen den Widerspruch des Opfers mit dem Strafverfahren nicht fortgefahren werden kann. Das ist etwas anderes und sucht gewisse Schwierigkeiten aufzufangen, die sonst sicherlich auf der Hand liegen.
Ich komme zu dem zweiten Punkt, der ganz entscheidend gegen den Entwurf der GRÜNEN spricht. Das ist die vorgesehene Streichung der Strafmilderung für minder schwere Fälle. Dabei bitte ich jetzt nicht vereinfacht zu sagen: Minder schwere Fälle sollen jene Fälle in der Ehe sein, und außerhalb der Ehe mögen es schwere Fälle sein. Nein, jeder Fall wird ganz gesondert vom Gericht zu betrachten sein. Hier kann es nicht richtig sein, nicht Fälle von geringerem Gewicht sehen zu wollen. Das hätte zur Konsequenz, daß die Gerichte Schwierigkeiten haben könnten, zu einer schuldangemessenen Strafe zu kommen. Ja, es besteht sogar die Gefahr, so sagen Fachleute, daß sich ein Gericht bemüht, so restriktiv Tatbestandsmerkmale zu betrachten und zu interpretieren, damit es schließlich überhaupt nicht zur Verurteilung kommt, um eine ihm nicht billig und gerecht erscheinende Strafe nicht verhängen zu müssen. Das ist der zweite entscheidende Punkt.

(Abg. Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

14930 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119424500
Sind Sie bereit, noch eine Zwischenfrage zu beantworten? — Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119424600
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß genau dieser minder schwere Fall im Moment in fast allen Gerichtsverhandlungen dazu führt, daß die Anwälte und der Täter dann natürlich ein Interesse haben, daß sein Fall als minder schwer klassifiziert wird, um eine geringere Strafe zu bekommen, und daß das dazu führt, daß in dem Vorleben der Frau geforscht wird, daß sie vor Gericht noch einmal erniedrigt und gedemütigt wird? Es geht bei den minder schweren Fällen nicht um die Tat. Vielmehr muß das in dem Vorleben der Frau begründet sein, z. B. ob sie Prostituierte war oder ob sie dem Mann z. B. in der Kneipe Gelegenheit gegeben hat, indem sie freundlich gelächelt hat, ihn aufgefordert hat usw. Es geht nicht um die Vergewaltigung als solche, sondern um die Umstände der Vergewaltigung.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119424700
Es ist mir natürlich bekannt und es liegt auf der Hand, daß sich jeder Angeklagte bemühen wird, seine Tat als einen minder schweren Fall dem Gericht erscheinen zu lassen. Die Frage ist nur, ob ihm dies gelingt. Daß das häufig mit Demütigungen für das Opfer einhergeht, das dort als Zeuge auftreten muß, ist mir gleichfalls gut bekannt.
Aber ich erinnere Sie daran, daß wir in der letzten Legislaturperiode auf mein nachhaltiges Betreiben hin — im übrigen dann schließlich mit den Stimmen aller Beteiligten, wenn ich mich recht erinnere — das Opferschutzgesetz verabschiedet haben, das viel besser als in früheren Zeiten die Möglichkeit gibt, die Öffentlichkeit auszuschließen und dem Opfer, dem Zeugen, vieles zu ersparen, was ehedem einfach auf ihn zugekommen ist, dem er nicht ausweichen konnte.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß ich zuletzt zu der Frage Stellung zu nehmen habe, warum die Bundesregierung einen Entwurf noch nicht vorgelegt hat. Der SPD-Entwurf taugt nichts, der Entwurf der GRÜNEN taugt nichts.

(Dr. de With [SPD]: Das ist aber sehr leicht gesagt!)

Ich habe — wenn ich dies so selbstüberzeugt sagen darf — einen ausgezeichneten Entwurf hier zur Hand.

(Lachen bei der SPD)

Daß er hier noch nicht behandelt werden konnte, liegt daran, daß es bei unserem Koalitionspartner — wir wollen nicht darum herumreden — zu gewissen Schwierigkeiten gekommen ist, weil durch die Einbeziehung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe eine Ausweitung der Indikationsfälle nach § 218 a Abs. 2 des Strafgesetzbuches eintreten würde.
Ich teile diese Auffassung nicht. Aber dieser Auffassung, die geäußert worden ist, begegne ich mit Achtung und mit Respekt und habe sie zur Kenntnis genommen. Dies hat bewirkt, daß jener Entwurf, der die Fehler, die den anderen Entwürfen anhaften, wohl zu vermeiden gewußt hat und ein guter Entwurf ist, bis
jetzt noch nicht eingebracht, beraten und verabschiedet werden konnte.

(Abg. Frau Schmidt [Hamburg] [GRÜNE] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119424800
Herr Minister, sind sie trotz der abgelaufenen Redezeit bereit, noch eine dritte Frage der Abgeordneten zu beantworten?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1119424900
Ich bitte, davon Abstand zu nehmen. — Ich schließe mit dem Satz, daß ich überzeugt bin, daß es nur eine Frage der Zeit ist — deren bisherigen Ablauf ich allerdings bedaure — , bis wir schließlich noch zu einem guten Ergebnis kommen werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119425000
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf der Drucksache 11/5153 vorliegt, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Es erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 a bis g — Punkt 9 h ist abgesetzt worden — sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 bis 4 auf:
9. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht
— Drucksache 11/5463 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen
— Drucksache 11/5830 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur unterhaltsrechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körper- oder Gesundheitsschäden
— Drucksache 11/6153 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit



Vizepräsident Cronenberg
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 11/6155 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen
— Drucksache 11/6337 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Innenausschuß
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Achter Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag über gleiches Entgelt für Männer und Frauen
Berichtszeitraum 1986 bis 1988
— Drucksache 11/5785 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
g) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste
— Drucksache 11/6122 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Ausschuß für Post und Telekommunikation
ZP2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen
— Drucksache 11/5728 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Rechtsausschuß
ZP3 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
— Drucksache 11/6339 —Überweisungsvorschlag :
Finanzausschuß (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO ZP4 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Knabe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Maßnahmen zum Schutz der Yanomami-Indianer in Brasilien
— Drucksache 11/6277 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5463 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? —Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 8 auf:
10. Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstrekkung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses
— Drucksache 11/5314 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6329 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Pick

(Erste Beratung 171. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1'980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz, SorgeRÜbkAG)

— Drucksache 11/5315 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6329 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Pick

(Erste Beratung 171. Sitzung)




Vizepräsident Cronenberg
c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
— Drucksache 11/3622 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6329 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Pick

(Erste Beratung 151. Sitzung)

d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt und zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden
— Drucksache 11/4946 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß)

— Drucksache 11/6294 —
Berichterstatter: Abgeordneter Richter

(Erste Beratung 161. Sitzung)

e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 11. August 1989 zum Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 11. August 1989 zur Durchführung des Abkommens
— Drucksache 11/5725 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 11/6359 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schätzle

(Erste Beratung 181. Sitzung)

f) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines . . . Strafrechtsänderungsgesetzes

(. . . StrÄndG)

— Drucksache 11/389 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/6352 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Singer Dr. Stark (Nürtingen)


(Erste Beratung 36. Sitzung)

g) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
— Drucksache 11/1867 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 11/6351 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kolb

(Erste Beratung 87. Sitzung)

h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN
Reduzierung der gesundheitlichen Gefahren durch Tabakrauch
— Drucksachen 11/563, 11/3419 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Würfel
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot der Werbung für Tabak und Tabakerzeugnisse
— Drucksachen 11/1198 (neu), 11/4997 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Sauer (Stuttgart)

j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Werbung für Tabakerzeugnisse durch Presse und Plakate
— Drucksachen 11/5246, 11/6132 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Adler
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan
— Drucksachen 11/3272, 11/4762 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Vogel (Ennepetal) Stobbe
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Lippelt (Hannover)




Vizepräsident Cronenberg
1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Flinner, Frau Garbe, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tierschutzbericht 1989
Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes
— Drucksachen 11/3846, 11/4146, 11/4800 —
Berichterstatter: Abgeordneter Pfuhl
m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
00-Raps und Wildsterben
— Drucksachen 11/1336, 11/6175 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Carstensen (Nordstrand)

n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über die einzelstaatlichen Ausgleichsbeihilfen für den Fall des Sinkens der in Landeswährung ausgedrückten Agrarpreise aufgrund eines automatischen Abbaus der Währungsausgleichsbeträge
— Drucksachen 11/5351 Nr. 2.4, 11/6208 —
Berichterstatter: Abgeordneter Herkenrath
ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Fünfundsechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 11/5340, 11/5995 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
— Drucksachen 11/5341, 11/6019 —
Berichterstatter: Abgeordneter Grünbeck
ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 148 zu Petitionen
— Drucksache 11/6305 — ZP8 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 149 zu Petitionen — Drucksache 11/6306 —
Es handelt sich um die Beratung von Vorlagen ohne Aussprache, über die nur abgestimmt werden muß.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 10 a, zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zu dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und zu dem Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 11/5314 und 11/6329 vor.
Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 10 b und 10c, und zwar zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes und des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 11/5315, 11/3622 und 11/6329 vor.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6329 unter Buchstabe b, die Gesetzentwürfe in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die Vorschriften gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit denselben Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 10d, zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zu dem Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt und gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden. Das liegt auf den Drucksachen 11/4946 und 11/6294 vor.
Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD angenommen.



Vizepräsident Cronenberg
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 10 e, zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zu dem Zusatzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 11/5725 und 11/6359 vor.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Haus hat dieses Sozialversicherungsabkommen mit dem Fürstentum Liechtenstein einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 10f, und zwar zur zweiten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 11/389 und 11/6352.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6352 die Ablehnung des Gesetzentwurfs des Bundesrates. Auch in diesem Fall ist nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage abzustimmen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften — es handelt sich um die Ursprungsfassung! — zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — Keiner. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der GRÜNEN abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 11/1867 und 11/6351 vor.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dies einstimmig angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familien, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/3419 ab.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/563 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung — Ablehnung des Antrags der GRÜNEN — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Antrag der GRÜNEN mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der FDP abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 10i. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/4997 ab.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1198 (neu) abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der FDP angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 10k. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4762 ab.
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 1 der Beschlußempfehlung bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Wir stimmen nunmehr über die Nr. 2 der Beschlußempfehlung ab. Wer der Nr. 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist Nr. 2 der Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 10j.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/6132 ab. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Seit wann kommt j nach k?)

— Ja, das ist in der Tat richtig. Ich habe mich zu sehr um Schnelligkeit bemüht, bin aber von der Verwaltung darauf aufmerksam gemacht worden, Frau Abgeordnete.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 101.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/4800 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4146 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung, den Antrag abzulehnen, zu? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der FDP angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 10m.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/6175 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1336 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10n.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Land-



Vizepräsident Cronenberg
wirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/6208. Wer
dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht,
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen?
— Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu den Zusatztagesordnungspunkten 5 und 6. Wir stimmen über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zu Verordnungen der Bundesregierung auf den Drucksachen 11/5995 und 11/6019 ab. Es handelt sich um Änderungen der Außenwirtschaftsverordnung. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind auch diese Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen worden.
Wir kommen jetzt zu den Zusatztagesordnungspunkten 7 und 8. Wir stimmen über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/6305 und 11/6306 ab. Das liegt Ihnen in den Sammelübersichten 148 und 149 vor. Wer stimmt den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann sind diese Beschlußempfehlungen bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.

(Abg. Dr. Rüttgers [CDU/CSU] meldet sich zu Wort)

— Herr Abgeordneter Rüttgers, Sie wünschen das Wort?

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1119425100
Herr Präsident, darf ich nur noch einmal zur Klärung nachfragen: Nach meinen Unterlagen gab es zwei Änderungen der Außenwirtschaftsverordnung. Wir haben aber nur über eine abgestimmt. Es gab zwei Zusatzpunkte. Das ging ein bißchen schnell. Deshalb meine Frage: Hatten Sie beide berücksichtigt?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119425200
Ja, das sind die Zusatztagesordnungspunkte 5 und 6.

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1119425300
Haben Sie beide erledigt?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119425400
Die sind damit beide erledigt, Drucksachen 11/5995 und 11/6019.

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1119425500
Danke schön.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119425600
Eine andere Beschlußempfehlung habe ich hier im Moment nicht vorliegen. Die sind beide erledigt, Herr Rüttgers. Über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 11/5995 und 11/6019 ist gemeinsam abgestimmt worden. Ich nehme an, daß das sachlich gerechtfertigt ist.

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU):
Rede ID: ID1119425700
Okay.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119425800
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Vollzug des Abfallgesetzes vom 27. August 1986
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Dörflinger, Dr. Friedrich, Hames, Eylmann, Dr. Lippold (Offenbach), Schmidbauer, Carstensen (Nordstrand), Rossmanith, Oswald, Biehle, Kraus, Weiß (Kaiserslautern), Dr. Olderog, Louven und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm (Göttingen), Bredehorn, Dr. Hirsch, Grünbeck, Kleinert (Hannover), Lüder, Richter und der Fraktion der FDP
Entsorgung der Abfälle, insbesondere der Sonderabfälle
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauff, Müller (Düsseldorf), Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer (Homburg), Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Waltemathe, Weiermann, Daubertshäuser, Dr. Jens, Dr. Klejdzinski, Müller (Schweinfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Vollzug des Abfallgesetzes vom 27. August 1986
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vollzug des Abfallgesetzes
— Drucksachen 11/756, 11/1429, 11/1631, 11/1624, 11/4127 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dörflinger Frau Dr. Hartenstein Frau Hensel
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vollzugsdefizite beim Abfallexport in die Dritte Welt
— Drucksachen 11/5059, 11/6150 —
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot von Abfallexport in Nicht-EG-Mitgliedstaaten
— Drucksachen 11/4265, 11/6375 (neu)
Berichterstatter:
Abgeordnete Harries Frau Dr. Hartenstein Baum
Frau Hensel



Vizepräsident Cronenberg
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vermeidung und umweltverträgliche Verwertung von Sonderabfällen
— Drucksache 11/6207 —
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gautier, Schäfer (Offenburg), Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer (Homburg), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauff, Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Müller (Düsseldorf), Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Waltemathe, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Recycling von Katalysatoren
— Drucksachen 11/1151, 11/4400 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Stahl (Kempen)

Frau Garbe
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Verhütung der Luftverunreinigung durch neue Müllverbrennungsanlagen
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Verringerung der Luftverunreinigung durch bestehende Müllverbrennungsanlagen
— Drucksachen 11/2266 Nr. 2.23, 11/5170 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedrich Stahl (Kempen)

Frau Hensel
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 90 Minuten vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Wir können mit der Aussprache beginnen. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1119425900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicher ist die Abfallentsorgung eines der umfassendsten und schwierigsten Umweltprobleme unserer Zeit. Sie ist — wie wir bei allen Diskussionen ständig erleben, hier, vor Ort und in den Ausschüssen — so allgegenwärtig, daß sie bereits Eingang in unsere Sprache gefunden hat. Fast täglich gibt es neue Wortschöpfungen wie Mülltourismus, Giftmüllinfarkt, Müllflut, Müllaufklärung, Müllsünden, um nur ein paar zu nennen.
Die Kommunen und die zuständigen Gebietskörperschaften, die vor Ort mit der Umsetzung konfrontiert sind, wissen oft nicht mehr, wie sie der steigenden Abfallmengen Herr werden sollen. Auch für die Entsorgung der Sonderabfälle reichen die bei uns vorhandenen Anlagen nicht aus.
Fehlten bereits bisher Entsorgungseinrichtungen, vor allem Deponien und Müllverbrennungsanlagen, so wird diese Situation durch die Reduzierung bzw. den Verzicht auf Müllexporte noch verschärft.
Solange aber die Müllabfuhr nicht streikt, solange keine Müllverbrennungsanlage in unserer unmittelbaren Umgebung gebaut wird, solange keine Altlasten-Deponie in unserem Obstgarten entdeckt wird, gehen wir mit dem Problem Abfall um, wie wir mit diesem Produkt üblicherweise umgehen: Deckel drauf und weg damit.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das sagen Sie!)

Und wenn dies nicht möglich ist, dann nehmen wir das Sankt-Florians-Prinzip zur Hilfe.

(Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

Und wenn alles nicht mehr hilft, dann kommen Zwischenrufe vom Kollegen Stahl, der das Problem auch nicht löst.
Vergleicht man das Müllaufkommen pro Kopf der Bevölkerung in den Industriestaaten mit dem in den Dritte-Welt-Staaten, so ist die Schlußfolgerung: Je größer der Wohlstand, desto höher die Abfallberge.
Ein paar Zahlen mögen dies verdeutlichen: So beläuft sich das Abfallaufkommen in den Industriestaaten auf durchschnittlich 1 kg pro Kopf und Tag, in der Dritten Welt auf knapp die Hälfte.
Was das Abfallvolumen betrifft, so haben wir allein in der Bundesrepublik eine Zunahme von 124 Millionen Kubikmeter im Jahre 1980 auf 137,4 Millionen Kubikmeter im Jahr 1984, wobei insgesamt — das muß gesagt werden — das spezifische Gewicht des entsorgten Abfalls zurückging.
Um ein paar Beispiele zu nennen: So schafft die Vielfalt der im Automobilbereich verwendeten Kunststoffe z. B. beim Verschrotten der Altwagen Probleme, die bis jetzt noch nicht bewältigt sind. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß in der Bundesrepublik Deutschland jährlich etwa 1 bis 2 Millionen Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden.
Wenn Sie ein zweites Beispiel nehmen: Auch der Computer-Schrott gewinnt zunehmend an Bedeutung. Nach Schätzungen beträgt die Menge des anfallenden Computer-Abfalls mindestens 6 500 t jährlich. Angesichts der zunehmenden Computerisierung sowie einer durchschnittlichen Lebensdauer — das geht auch am Parlament nicht vorbei — der Geräte von fünf bis zehn Jahren ist für die 90er Jahre mit einer Steigerungsrate von bis zu 10 % zu rechnen. Bisher geht die wachsende Menge kleiner Heimgeräte fast ausnahmslos über den Sperrmüll in die Müllverbrennungsanlagen oder auf die Deponien, was aus Umweltschutzgründen problematisch ist.
Hinzu kommt — auch dies ist ein wichtiger Faktor —, daß Fortschritte bei der Reduzierung der Abfallmengen durch Abfallvermeidung und Reststoff -
bzw. Abfallverwertung durch gegenläufige Tendenzen in anderen Bereichen kompensiert werden. Das gilt für die Zunahme des Abfalls aus Wasser- und Luftreinhaltemaßnahmen, um weitere Beispiele zu geben.



Schmidbauer
Deshalb haben die Koalitionsfraktionen — wenn ich das jetzt aufgezählt habe, dann denke ich auch: in weiser Voraussicht — die Konsequenzen gezogen und mit Wirkung vom November 1986 das Abfallgesetz novelliert. Das ist gewissermaßen auch eine vorweggezogene Antwort des Gesetzgebers auf diese Konsequenzen und die Entwicklung im Abfallbereich.
Es ist grundsätzlich festzustellen — darüber sollte nicht immer wieder diskutiert werden — , daß Müllvermeidung und stoffliche Verwertung nicht mit einer 100%igen Quote durchzuführen sind. Es ist ein ganz entscheidender Punkt, daß wir hier nicht im luftleeren Raum diskutieren und so tun, als könnten wir das Problem wegdiskutieren mit der Aussage: alles ist vermeidbar und verwertbar und um das bißchen Rest brauchen wir uns nicht zu kümmern! Nein, dies bedeutet, der Rest muß deponiert, verbrannt oder exportiert werden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das müßten die Menschen erst einmal kapieren; das ist der entscheidende Punkt!)

Da ein Müllexport bzw. ein Mülltourismus die Probleme der Entsorgung nicht löst

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist doch sekundär!)

— Frau Kollegin, ich war gerade bei dem Satz, der Sie gestern ungemein interessiert hat — , sondern nur verlagert, kann die Alternative nur heißen: deponieren und/oder verbrennen. Auf keinen Fall eine Entsorgung an anderer Stelle nach dem Motto: Weit aus den Augen, aus dem Sinn!

(Frau Hensel [GRÜNE]: Und keinesfalls vermeiden?)

Hinsichtlich der DDR-Problematik glaube ich, wir können in kurzer Zeit nicht mehr so sehr über den Export reden, sondern wir müssen uns im Sprachgebrauch darauf einigen, daß es unser eigenes Problem wird, was es übrigens bislang schon sein mußte und auch war.
In der Rangfolge der abfallwirtschaftlichen Vorsorgemaßnahmen hat die Abfallvermeidung sicherlich Priorität. Dabei bleiben die Pflichten von Industrie und Gewerbe unberührt, Abfälle nach den Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes durch den Einsatz reststoffarmer Verfahren oder durch Verwertung von Reststoffen zu vermeiden. Das ist eine wichtige Verknüpfung des Abfallwirtschaftsgesetzes mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Dort findet dann auch der eigentliche Vorgang der Vermeidung statt, wenn er nun schon stattfindet. Hier ist ein wichtiger Punkt. Ich habe bereits bei der Verabschiedung dieser Novelle darauf aufmerksam gemacht.
Die Bundesregierung hat nun in Anwendung des neuen Abfallgesetzes bereits eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. Bei all den Schwierigkeiten will ich noch einmal stichwortartig aufzeigen, was hier in den letzten Jahren geschehen ist.
Hierzu zählen Zielfestlegung,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Was ist hier Zielfestlegung?)

hierzu gehören Selbstverpflichtungen, die funktionieren

(Zuruf von der SPD)

— meine Freunde von der SPD, ich will nicht zu sehr darauf eingehen, weil es nur meine Zeit nimmt. Aber ich möchte Ihnen nur einmal klarmachen, daß es enorme Erfolge durch das Kooperationsprinzip gegeben hat. Ich will sie einmal aufzählen: Entsorgung von Gerätebatterien, Entsorgung von FCKW und Kälteölen aus Haushaltskältegeräten, Vermeidung und Verringerung und Verwertung von Getränkeverpakkungen,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das war doch keine Zielfestlegung!)

Verringerung der Abfallmengen aus Kunststoffverpackungen.
Ich erwähne nach § 14 des Abfallgesetzes die Verordnung zur Rücknahme und Verwertung gebrauchter Lösemittel, die Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunststoffen und die Verordnung über die Kennzeichnung von Getränkeverpackungen.
Das war ein ganzes Stück Arbeit. Das ist ganz schnell aufgezählt, aber dahinter verbirgt sich eine gewaltige Anstrengung, und der Schritt in die richtige Richtung, wenn ich bei diesem Terminus bleiben darf.
Was die Anforderungen an die Entsorgung von Abfällen angeht, so ist dabei zu nennen: die Technische Anleitung Abfall, die Sonderabfallbestimmungs-Verordnung, die Reststoffbestimmungsverordnung, die Abfall- und Reststoffüberwachungs-Verordnung, die Müllverbrennungsanlagen-Verordnung, die Abfallverbringungs-Verordnung und die Klärschlammverordnung.
Meine Damen und Herren, dies alles liest sich auch wieder sehr leicht; aber diese Dinge mußten auf den Weg gebracht werden, damit sie am Ende zu einem schlüssigen Konzept zusammengefügt werden können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119426000
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten, Herr Kollege Schmidbauer?

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1119426100
Ich bin dazu bereit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119426200
Bitte sehr; ich stoppe das schon, Sie brauchen keine Sorgen zu haben.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119426300
Herr Kollege Schmidbauer, stimmen Sie mir zu, daß die von Ihnen genannten Maßnahmen solche waren, die im wesentlichen auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung zurückgehen und nicht, wie Sie es eingangs formuliert haben, auf die Erfolge der Kooperationsversuche mit der deutschen Wirtschaft?

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1119426400
Da ist zu unterscheiden, Frau Kollegin. Es gibt sicherlich den untergesetzlichen Weg, den wir beschritten haben, weil wir dort, wo Selbstverpflichtung und Kooperation nicht funktionieren — das wird natürlich immer zum Prinzip erhoben — wir selbstverständlich zu den untergesetz-



Schmidbauer
lichen Regelungen schreiten. Damit muß jeder rechnen. Das Kooperationsprinzip ist keine Einbahnstraße. Es ist eine Leistung vieler, im übrigen auch des Konsumenten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Beispiel des Abfallgesetzes zeigt, daß es bis zur Umsetzung vor Ort allerdings ein sehr langer Weg ist.
Wie schnell andererseits der Markt reagiert, zeigt die Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunststoffen. Inzwischen finden sich in den Regalen unserer Geschäfte praktisch keine PET-Einwegflaschen. Hier hat der Markt sehr schnell reagiert. Allerdings hat der Erlaß dieser Verordnung auch deutlich gemacht, wo die Probleme im Abfallbereich vor allem liegen. Maßnahmen zur Verringerung des Abfallaufkommens greifen tief in Marktstrukturen ein. So geht die Stärkung des Mehrwegsystems zu Lasten von Einwegverpackungen. Dies ist übrigens so gewollt und auch umweltpolitisch geboten.
Hier liegt aber auch der Unterschied zu anderen Umweltschutzmaßnahmen wie z. B. im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Die Nachrüstung dieser Anlagen auf Grund der entsprechenden Verordnung führt nicht zu Veränderungen von Marktstrukturen, sondern höchstens zu Stillegungen von Anlagen.
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunststoffen entstand auf EG-Ebene. Dennoch, die Entsorgungssituation in dem jeweiligen Mitgliedsland muß ein ganz entscheidender Gesichtspunkt für die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen sein. Wir — wir hier — müssen den Plastikmüll beseitigen, nicht die EG-Kommission. Das ist in diesem Zusammenhang der Unterschied.
Darüber hinaus ist mindestens seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte der freie Warenverkehr nicht mehr das allein die EG bestimmende Dogma, sondern die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politikfelder der Gemeinschaft.
Die Probleme im Abfallbereich werden uns auch noch, so denke ich, in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, den Verwertungsanteil bei Hausmüll und Abfall aus der Industrie drastisch zu steigern. Nach Abschätzungen des Umweltbundesamtes sind, wenn unsere Politik der Abfallwirtschaft so konsequent wie begonnen fortgesetzt wird, Rückgewinnungsquoten von bis zu 40 % beim Hausmüll sowie bei den Stoffgruppen Papier, Pappe, Glas und Eisenmetalle in absehbarer Zeit erreichbar. Auch dies ist ein gewaltiger Erfolg,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Erreichbar ja; aber sie sind nicht erreicht, sie sind nur begonnen!)

wenn Sie sich einmal die Kürze der Wegstrecke ansehen.

(Erneuter Zuruf der Abg. Frau Hensel [GRÜNE])

— Ach, es sind gewaltige Reduktionsmengen realisiert; die reichen uns nicht aus. Ich habe Ihnen gesagt, was die Perspektive ist.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ausschließlich nur Ankündigungen!)

Aussichtsreiche Verwertungspotentiale enthalten auch die wertstoffreichen Abfallarten Sperrmüll und hausmüllähnlicher Gewerbeabfall. Dabei ist eine Abschätzung der Potentiale hier äußerst schwierig, weil es keine statistisch gesicherten Analysen gibt.
Eine Steigerung der Verwertung ist auch beim Bauschutt und bei industriellen Nebenprodukten wie etwa Eisenhüttenschlacken, Kraftwerksrückständen, Müllverbrennungsasche dringend geboten. Diese Massenabfälle werden derzeit erst zu durchschnittlich 36 % verwertet.
Ich denke auch, daß zu all diesen Punkten flankierend ein sehr umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsprogramm gehört. Dies hat die Bundesregierung gemacht, um offene Fragen im Zusammenhang mit der Verwertung von Bauschutt und industriellen Nebenprodukten — z. B. im Straßenbau — zu klären, um damit den Verwertungsanteil steigern zu können.
Erprobte Systeme der Wiederverwertung dürfen nicht aufgegeben werden. Dies gilt besonders für die Mehrwegsysteme bei Getränkeverpackungen; das muß nicht nur beibehalten, sondern muß weiter ausgebaut werden.
Ich war vorhin beim Beispiel Automobilbau. Ich denke, daß es wichtig ist — auch aus abfallwirtschaftlicher Sicht —, auf negative Entwicklungen bei der Automobilherstellung hinzuweisen. Die früher bei nahezu hundert Prozent liegende Verwertung wird in letzter Zeit zunehmend dadurch erschwert, daß die Autoindustrie — im Interesse einer Senkung an Fahrzeuggewicht und dadurch von Treibstoffverbrauch; also unterschiedliche Zielsetzungen — mehr Kunststoffe, Leichtmetalle und dünne, hochfeste Karosseriebleche verwendet. Der Restmüllanteil bei Shreddern nimmt beständig zu; die Entsorgung des Restmülls wird noch aufwendiger. Wenn man bedenkt, daß in der Bundesrepublik Deutschland jährlich ein bis zwei Millionen Autos aus dem Verkehr gezogen werden, dann wird auch klar, daß hier ein Problem ist, bei dem rasch Maßnahmen zu treffen sind.

(Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

— Dies ist doch auf dem Wege, Herr Kollege Stahl; aber Sie sind ja nachher dran. — Vor allem muß die Anzahl der eingesetzten Kunststoffarten vermindert werden.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Eine demontagefreundliche Konstruktion muß erfolgen. — Wenn Sie das auch fordern, um so besser; das macht es leichter im Ausschuß.



Schmidbauer
Ich nenne weiter: Vermehrter Einsatz von Recyclingkunststoffen bei Neufahrzeugen. Ich denke auch an die Verwertung von schwer- oder nicht recyclebaren Restfraktionen. Auch daran sollten sich die betroffenen Industriekreise entsprechend beteiligen.
Wir müssen aber nicht nur geeignete Vermeidungs- und Verwertungsstrategien, sondern auch eine umweltverträgliche und quantitativ ausreichende Entsorgungsinfrastruktur entwickeln. Hier liegt der Problemkreis, wenn wir vor Ort die Diskussion heute verfolgen.
Nicht zuletzt muß rasch und auf Dauer die „Grundlast" der Abfallentsorgung auf der Anlagenseite durch Verbrennungsanlagen und Deponien abgedeckt werden. Diese werden in der Bevölkerung — auch dies ist Tatsache — häufig nicht akzeptiert. Ich denke, daß es hier einer sachlichen Aufklärung vor Ort bedarf, und nicht einer Doppelstrategie, hier so zu tun, als sei man dafür, und vor Ort zu demonstrieren, sondern bitte die Dinge hier so auszusprechen, wie sie dann vor Ort nachher auch auszusprechen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dazu gehört auch, daß wir in der Bevölkerung auch für die Abfallproblematik Bewußtsein schaffen, nämlich daß der Abfall dort, wo er entsteht, auch entsorgt werden muß. Damit können wir auch mehr Akzeptanz erreichen. Ich denke auch, Herr Minister Töpfer, daß das kürzlich stattgefundene Dioxin-Symposium in diesem Sinne hilfreich sein kann. Wir müssen dies aufarbeiten, damit nicht durch eine solche Veranstaltung Verunsicherung entsteht, was überhaupt nicht gewollt wird, sondern klar wird, daß hier die technischen Anforderungen diskutiert werden, daß wir im Vorsorgebereich handeln und damit auch die Akzeptanz bei Neuanlagen entsteht.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Darum geht es!)

Hilfreich wird auch die TA Sonderabfall sein, die nach ihrer Beratung im Bundesrat vom Kabinett Ende Februar beschlossen werden soll. Die TA Sonderabfall, ein ganz wichtiger Baustein dieser Abfallwirtschaft, macht die Planung, Genehmigungs- bzw. das Planfeststellungsverfahren sowie die Errichtung und den Betrieb von Entsorgungsanlagen durch die Festlegung einheitlicher Anforderungen für Antragsteller und Betreiber vorhersehbar, kalkulierbar und damit auch transparent. Wir erwarten uns davon auch, daß der Bürger erkennt, welche Entsorgungsmaßnahmen notwendig sind, welche technische Voraussetzung geschaffen werden muß, und damit wieder mehr Akzeptanz erreicht wird, damit umweltverträglich entsorgt werden kann.
Die Lösung des Problems der Altlasten — ich will das nicht sehr ausführlich behandeln — muß in diesem Zusammenhang noch fortentwickelt werden. Es geht darum, im Hinblick auf die Vermeidung zu einer Entwicklung neuer Stoffe zu kommen, daß Substanzen und Produkte in Zukunft auch unter dem Aspekt der modernen Abfallwirtschaft gesehen werden. Das ist intelligente Abfallwirtschaft, das ist ein Stück Abfallvermeidung. Es gibt sehr ermutigende Signale, daß dieser Weg beschritten ist.
Ich will jetzt nicht das Beispiel der Pralinenschachtel mit der eßbaren Einlage erwähnen. Aber es muß in die Richtung gehen, daß abbaubare Stoffe verwendet werden, daß hochmoderne Technologien verwendet werden und daß auch die Innovationskraft dadurch gefördert wird, daß der Hersteller seine Produkte als Abfall zurückbekommt. Es darf dem Hersteller nicht nur darum gehen, herzustellen und zu verkaufen und sich um den Entsorgungsweg nicht zu kümmern, vielmehr muß er in die Entsorgung seiner Produkte eingebunden werden. Im Bereich der Computerindustrie wird — ich hatte das Beispiel erwähnt — über Rücknahmemöglichkeiten sehr intensiv nachgedacht. Die Gestaltung neuer Produkte würde mit Sicherheit anders aussehen, wenn der Hersteller insgesamt in die Verantwortung bei der Verwertung einbezogen würde.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Dann macht es doch!)

Die Vermeidung von Abfällen oder die Reduzierung von Abfällen auf das Allernotwendigste ist ein wichtiger Faktor in der betrieblichen Kalkulation. Eine derartige Strategie ist die konsequente Anwendung des Vorsorge- und Verursacherprinzips. — Zum Einwand: „Dann macht es doch!" Dies habe ich Ihnen jetzt einmal ohne große Emotionen klarzumachen versucht. Sie sind dazu berufen, jetzt das Desaster zu beschreiben. Uns kommt es darauf an, klarzumachen, daß hier zwar drei Jahre vergangen sind — —

(Zuruf des Abg. Kiehm [SPD])

— Herr Kiehm, hier sind unendlich viele kleine Schritte erfolgt. — Am Ende werden wir recht behalten. Am Ende ist es nicht der Müll der Union und der Koalition, am Ende ist es der Müll aller, die hier sitzen. Es ist der Müll dieser Wohlstandsgesellschaft.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Unserer Wachstumsgesellschaft! Sie bejahen immer das Wachstum!)

Über diese Fragen nicht nur zu jammern, sondern sie gemeinsam zu lösen, ist mein Wunsch auch für die kommenden Ausschußberatungen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119426500
Nun hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein das Wort.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1119426600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben nicht die Aufgabe, das Desaster zu beschreiben, Herr Kollege Schmidbauer. Das Desaster ist da. Sie, die Regierung und die Mehrheit, haben die Aufgabe, die Dinge in Ordnung zu bringen. Bis jetzt ist das leider nicht geschehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Abwehrhaltung der Bürger gegen die Errichtung neuer Abfallentsorgungsanlagen und das unvollständige Wissen über abfallentsorgungspolitische Zusammenhänge in der Öffentlichkeit machen es vordringlich, das Verständnis für die Notwendigkeit von Maßnahmen der Abfallentsorgung zu fördern. Dieses Verständnis setzt Glaubwürdigkeit der Konzeption voraus. Der Bürger wird nicht bereit sein, neue Entsorgungs-



Frau Dr. Hartenstein
anlagen zu dulden, wenn nicht gleichzeitig die Möglichkeiten zur Vermeidung und Verringerung von Abfällen verstärkt und konsequent umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dies schreibt Ihnen, meine Damen und Herren, die 33. Umweltministerkonferenz ins Stammbuch, die am 18. und 19. November 1989 in Wiesbaden getagt hat. Genauso ist es.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Das sind die, die für den Vollzug verantwortlich sind!)

Wir brauchen gar keinen ideologischen Streit zu führen. Wir müssen und können uns getrost an den nüchternen Tatsachen orientieren.
Wenn der Bürger sieht, daß zur Abfallvermeidung praktisch nichts geschieht, sondern daß sich die Müllberge immer mehr auftürmen, wenn er in der Zeitung liest, daß bereits mehr als die Hälfte des Hausmülls aus Verpackungsabfällen besteht, und wenn er übrigens gleichzeitig die riesigen Werbeanzeigen der Verpackungsindustrie sieht und wenn er dann im Laden feststellt, daß die graue Klorolle aus Recyclingpapier immer noch teurer ist als die blütenweiße mit blauen Blümchen, dann schwindet eben das Zutrauen, daß die Politiker das schon richtig machen. So einfach ist das.
Die Leute verlieren erstens die Lust, selbst etwas zur Abfallverringerung zu tun, und sie sehen zweitens nicht ein, warum neben ihrer Wohnsiedlung eine Müllverbrennungsanlage gebaut oder eine weitere Deponie angelegt werden soll.
Glaubwürdigkeit der Konzeption, sagen die Umweltminister, sei Voraussetzung für die Akzeptanz.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Und Glaubwürdigkeit der Konzeption ist gleichbedeutend mit Glaubwürdigkeit der Politik. Ihre Abfallpolitik ist eben nicht glaubwürdig. Das muß ich leider betonen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ja!)

Vor fast vier Jahren, Herr Minister Töpfer, am 18. Juni 1986, wurde das neue Abfallgesetz beschlossen. Ich denke, es ist doch eine etwas klägliche Bilanz, die man heute ziehen muß, wenn Ihr Haus — das Haus Wallmann plus Töpfer — nach vier Jahren folgende Resultate vorzulegen hat: Ein Teilstück der TA Abfall, eine Verordnung über PET-Flaschen — dabei ist das noch das beste; das will ich gern zugeben —, zwei jener ominösen Zielfestlegungen nach § 14 Abs. 2, mit denen die Koalition geglaubt hat, die fröhlich weiterproduzierende Industrie an die Leine legen zu können. Oder hat sie es vielleicht gar nicht gewollt? Ja, eine Lösemittelverordnung gehört auch noch dazu und eine Vereinbarung über die Absenkung des Quecksilbergehalts in Batterien. Das stimmt. Dennoch muß ich sagen: Nach vier Jahren Gesetzesvollzug ist dieses Ergebnis mager;

(Frau Hensel [GRÜNE]: Sehr mager!) äußerst mager.

Apropos Zielfestlegungen, Herr Kollege Schmidbauer. Da soll die Wirtschaft sicherstellen, daß bis zum
Juni 1991 bestimmte Prozentsätze bei Getränken
Bier, Mineralwässer, Wein — in Mehrwegflaschen abgefüllt werden und daß die Rücknahme des Leerguts gewährleistet wird. Sehr schön. Außerdem sollen bis 31. Dezember 1990 bei den Kunststoffverpackungen umwelt- und gesundheitsgefährdende Additive, insbesondere Schwermetalle und schwermetallhaltige Druckfarben, vermieden werden. Dosen, Eimer, Flaschen, Joghurtbecher, Kanister usw. sollen auf bestimmte unschädliche Kunststoffarten beschränkt und so gestaltet werden — wörtlich — , „daß sie volumenarm gelagert und gestapelt" und dann wiederverwertet werden können.

(Frau Hensel [GRÜNE]: In sechs Monaten!)

Verzeihen Sie, alles gut gemeint, aber es ist Wortgeklingel; denn die Bundesregierung sagt selber — ich darf zitieren — :

(Zuruf von der CDU/CSU)

„Die vorgegebenen Ziele haben keinen normativen Charakter, sondern sollen die Wirtschaft rechtzeitig über die abfallwirtschaftlichen Ziele der Bundesregierung informieren und ihr Gelegenheit zu freiwilligen Lösungen geben. "

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ausgezeichnet!)

— Ausgezeichnet! Sie haben noch nicht einmal Kontrollmöglichkeiten in der Hand, geschweige denn Sanktionen. Das heißt im Klartext: Wenn die Wirtschaft nicht will, geschieht eben gar nichts.
Der Appell zur Stabilisierung des Mehrwegsystems geht völlig ins Leere, weil die großen Handelsketten nicht verpflichtet sind, Getränke überhaupt in Mehrwegbehältnissen anzubieten. — Warum? Weil die Mehrheit der Koalitionsfraktionen die „lex ALDI" aus dem Abfallgesetz wieder gestrichen hat.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ja!)

— Gegen den Willen des Bundesrats, übrigens auch entgegen der ursprünglichen Regierungsvorlage.
Herr Minister, es ist keine beneidenswerte Situation
— das muß ich zugeben — , mit solch einem schwachen Gesetz arbeiten zu müssen. Wir können uns wirklich nur voll der UMK-Erklärung anschließen. Sie stellt fest, „daß die bisherigen Maßnahmen noch nicht ausreichen, um die Abfallmenge aus Verpackungen und anderen Erzeugnissen entscheidend zurückzudrängen und die Verwertung der nicht vermeidbaren Produktabfälle zu sichern". Und weiter: „Die UMK bestätigt ihre gemeinsame Auffassung, daß gesetzliche Verbote unausweichlich werden, wenn die schädlichen Stoffe in Abfällen und die Abfallmengen nicht drastisch verringert werden. "

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119426700
Frau Dr. Hartenstein, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer zuzulassen?

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1119426800
Bitte schön.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1119426900
Frau Kollegin Hartenstein, können Sie mir bestätigen, daß die Instrumente des Abfallgesetzes, über das wir uns hier unterhalten, durchaus zulassen, über die Selbstverpflichtung der Industrie hinaus in allen Bereichen untergesetzliche



Schmidbauer
Maßnahmen auf den Weg zu bringen? Könnten Sie mir andererseits ein Beispiel nennen, wo dieses Gesetz die Realisierung irgendeines Ihrer Vorschläge nicht hergibt?

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1119427000
Herr Kollege Schmidbauer, ich habe nicht bestritten, daß die gesetzlichen Maßnahmen des § 14 Abs. 2 und insbesondere des Abs. 1 — da ist ja eine Ermächtigung vorgesehen — dies zulassen. Wir haben damals bei den Beratungen nur gesagt — ich muß das heute bestätigen — : Die Zielfestlegungen sind eine gummiweiche Bestimmung. Sie ist ungeheuer zeitraubend und völlig ineffektiv. Erst dann, wenn nachgewiesen wird, daß die Industrie sich nicht an die freiwilligen Vereinbarungen hält

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Ich stelle fest, Sie haben das Gesetz nicht gelesen, Frau Kollegin!)

— da täuschen Sie sich! — , hat der Minister die Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sie kennen das Gesetz nicht! Das stelle ich hier offiziell im Protokoll fest!)

Allein die Tatsache, daß vier Jahre vergangen sind, bevor Sie überhaupt die Zielfestlegungen ausgehandelt haben,

(Baum [FDP]: Wir doch nicht!)

zeigt, daß das Ganze ineffektiv war. Ich erinnere Sie daran, daß der damals zuständige Staatssekretär auf meine Rückfrage hin gesagt hat — ich war Berichterstatterin — : Dieses können wir in drei Monaten in Verhandlungen mit der Industrie über die Bühne bringen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist nachlesbar!)

Es sind mehr als drei Jahre vergangen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Wir reden über das Gesetz!)

— Ja, wir reden über das Gesetz.
Es ist wenig glaubhaft, meine Damen und Herren, daß Sie in anderthalb Jahren das hinbringen wollen, was Sie in vier Jahren nicht erreicht haben. Den Nachweis bleiben Sie vorläufig noch schuldig.
Wenn Sie schon nicht auf die Opposition hören wollen — auch wenn sie unzweifelhaft recht hat — , besteht vielleicht noch die Hoffnung, daß Sie auf die Umweltministerkonferenz hören. Den Ländern sitzen die Kommunen nämlich im Nacken. In den Kommunen herrscht ein Entsorgungsnotstand.

(Baum [FDP]: Was tun die Kommunen?)

Es ist übrigens richtig und unbestritten, daß die Verbraucher mitziehen müssen. Das wissen wir. Aber der Verbraucher zieht eben nur dann mit, wenn er sieht, daß auf politischer Ebene tatsächlich gehandelt wird. Sonst kommt er sich nämlich veräppelt vor. Sonst hört er nämlich wieder auf, z. B. verwertbare Abfälle getrennt zu sammeln und getrennt abzuliefern.

(Beifall bei der SPD)

Sie reden zwar von den drei großen „V" : Vermeidung, Verwertung, Verringerung. Sie wagen aber nicht, vernünftige Steuerungsinstrumente einzusetzen. Deshalb sehe ich mich veranlaßt, einige dieser Steuerungsinstrumente noch einmal zu nennen.
Erstens. Verbot von schädlichen Stoffen, die heute schon durch umweltverträgliche Stoffe zu ersetzen sind. Dafür haben Sie eine Ermächtigung in § 14 Abs. 1, Herr Minister.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Genau das haben wir gemacht! PCB!)

— In einem Fall. Auf der Liste standen damals 18 Positionen.
Zweitens. Begünstigung abfallarmer Produktionsverfahren in der Wirtschaft. Das heißt übrigens auch: steuerliche Begünstigungen.
Drittens. Klare Kennzeichnungs- und Rücknahmepflichten für Handel und Hersteller. Was in diesen Zielfestlegungen an Recyclingsymbolen enthalten ist, verwirrt den Verbraucher eher, als daß es ihn aufklärt und in die richtige Richtung lenkt.
Viertens. Erhebung einer Einwegabgabe. Das ist nach wir vor sinnvoll und gerechtfertigt, damit wir von dem schwindelerregend hohen Berg von 8 Milliarden Einwegflaschen und -dosen allein im Getränkebereich endlich herunterkommen, von dem immer noch 80 To auf die Deponien wandern.

(Beifall bei der SPD)

Als fünften Punkt nenne ich eine Abfallverträglichkeitsprüfung für industrielle Produktionsanlagen und -erweiterungen.
Sechstens nenne ich die Förderung der Vermarktung von Recyclingprodukten. Auch hier könnte man über den Preismechanismus nachhelfen. Sobald das Produkt aus wiederverwerteten Altstoffen billiger und nicht — wie heute noch — teurer ist als das Produkt aus Primärrohstoffen, wird es auch gekauft werden.
Die SPD-Fraktion hat zum wiederholten Male ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt, beginnend mit unserem Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft 1984 über zwei Dutzend Änderungsanträge bei den Ausschußberatungen bis hin zu unserem Antrag zur Novellierung des Abfallgesetzes, insbesondere des § 14. Diese Novellierung muß kommen. Daran lassen die Landkreise, auch der Landkreistag und die Kommunen keine Zweifel.
Statt unsere Vorschläge zu übernehmen, haben die Koalitionsfraktionen leider den ursprünglichen Gesetzentwurf noch verschlechtert, indem sie an Stelle der wirklichen Ermächtigung in § 14 Abs. 2 eben diese gummiartigen Zielfestlegungen hineingeschrieben haben,

(Widerspruch des Abg. Baum [FDP])

die dem Bundesumweltminister, selbst wenn er handeln wollte, die Hände binden. Er kann es gar nicht. Wollen täten wir schon, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Schmidbauer [CDU/CSU]: Es ist schön, wenn man über einen eigenen Witz noch lachen kann!)


Frau Dr. Hartenstein
Das ist keine Abfallpolitik mit Augenmaß

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Heute haben Sie wieder gelacht!)

— das haben Sie ja gern —, sondern eine Abfallpolitik ohne klare Ziele und ohne klare Konturen.
Jetzt möchte ich aber sehr ernst werden. Eine auf Vermeidung und Recycling ausgerichtete Abfallwirtschaft könnte der Testfall für eine ökologische Erneuerung der Volkswirtschaft werden, und für eine Industriegesellschaft, die endlich von dem Ex-undhopp-Prinzip wegkommt und ihre Produktion den Kreisläufen der Natur besser anpaßt, als wir das in der Vergangenheit getan haben.
Mit den genannten und auch anderen Instrumenten könnte mindestens erreicht werden, daß das Müllaufkommen bis zum Jahre 2000 um 30 % verringert wird. Das ist unsere Zielvorstellung, und ich denke, das sollten wir auch in einem gemeinsamen deutsch-deutschen Abfallwirtschaftskonzept festhalten.
Übrigens ergeben sich hier in der Zusammenarbeit mit der DDR neue Chancen; aber hier haben wir auch alte Hypotheken zu begleichen. Es ist ja kein Ruhmesblatt, daß die Bundesrepublik und West-Berlin pro Jahr 5 Millionen Tonnen Abfälle auf die Deponien in Schönberg, in Vorketzin und in Schöneiche gekarrt haben und immer noch karren, darunter 600 000 Tonnen Sondermüll.

(Baum [FDP]: Was sollen die Berliner um Himmels willen machen?)

Es macht die Sache auch nicht besser, wenn man weiß, daß das Honecker-Regime die Müllimporte nur deshalb zugelassen hat, um harte D-Mark zu ergattern. Wir haben diese Situation einer scheinbar billigen Entsorgung eben auch weidlich ausgenutzt; das müssen wir ehrlich zugeben.
Deshalb drei Forderungen:
Erstens. Die Müllexporte in der DDR sind schleunigst zu beenden, und zwar noch vor Auslaufen der Verträge 1994.
Zweitens. Die Bundesrepublik muß sich nach dem Verursacherprinzip an den Sanierungskosten beteiligen. Daran führt kein Weg vorbei.
Wir müssen ein Drittes tun — ich denke, da kommen wir sehr schnell zusammen — , nämlich gemeinsam Entsorgungs- und Beseitigungsanlagen bauen, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen

(Baum [FDP]: Jawohl!)

und die Umwelt so wenig wie möglich belasten.

(Beifall bei der SPD)

Dabei muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob diese Entsorgungsanlagen in Bayern oder in Hessen oder in Thüringen oder in Sachsen stehen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Aber hier dieselbe Rede wie in Ladenburg, Frau Kollegin! Da hat sie nämlich was anderes erzählt!)

Wohlgemerkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Forderung nach Entsorgungsanlagen ändert nichts an der klaren Prioritätensetzung, die ich vorhin vorgetragen habe. Immer kommt Vermeiden, Verringern und Verwerten vor Beseitigen. Das muß man sich wirklich vor Augen halten, und man muß auch danach handeln. Aber natürlich ist klar — wer würde das leugnen! — , daß auch dann, wenn Vermeidung und Verwertung konsequent durchgeführt werden, eine schadlose Beseitigung der Reststoffe als Aufgabe verbleibt; davor können wir uns nicht drücken.
Hier muß das Prinzip der Basler Konvention zum Tragen kommen, nämlich daß die Abfallbeseitigung da durchzuführen ist, wo der Abfall entsteht. Leider läßt die Basler Konvention zu viele Schlupflöcher offen, Herr Minister. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen.
Das Wort vom Abfalltourismus ist ja nicht ohne Grund erfunden worden. Der Abfalltourismus blüht, und es ist ein übles Geschäft, das wir da mit der Not der Dritten Welt treiben. Wir laden den ärmeren Ländern Tausende von Tonnen Giftmüll vor der Haustür ab, weil sie in der Verschuldungsfalle sitzen und dringend Devisen brauchen. Das muß aufhören.

(Baum [FDP]: Wo denn? Können Sie mir Beispiele sagen? — Schmidbauer [CDU/CSU]: Beispiel!)

— Wir haben ja die Antwort der Bundesregierung in der Hand. Darüber wird noch zu diskutieren sein, auch im Ausschuß, Hen Schmidbauer.
Übrigens ist das Grundanliegen des Antrags der Fraktion der GRÜNEN völlig berechtigt. Nur möchte ich Ihnen sagen: Sie sollten damit nicht gleichzeitig die Möglichkeit der abfallwirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der DDR verbauen. Insofern ist Ihr Antrag auf Drucksache 11/4265, historisch überholt; er hätte modifiziert werden müssen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Da haben Sie recht!)

Meine Damen und Herren!

(Zuruf des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU])

— Ich bin gleich fertig, Herr Göhner. — In Sachen Abfallpolitik hat die Bundesregierung keinen Grund, sich Lorbeeren an den Hut zu stecken. Die eigentliche Arbeit liegt noch vor ihr und vor uns. Sie duldet keinen Aufschub mehr. Sonst proben nämlich die Städte und Gemeinden den Müllaufstand. Aber solange Sie die Industrie mit Samthandschuhen anfassen, wird das nichts mit der Müllvermeidung. Ihre Durchsetzungskraft ist hier gefordert, Herr Minister Töpfer; und ein glaubwürdiges Konzept, so wie es die UMK fordert.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119427100
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1119427200
Herr Präsident, ich begrüße Sie heute besonders herzlich! Meine Damen und Herren!



Baum
Meine Damen und Herren, Sie wissen, warum.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nein! Sagen Sie uns das! Hat er Geburtstag?)

— Ja.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Frau Hartenstein, alles, was Sie vorschlagen, ist möglich und wird zum Teil auch gemacht.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Zum kleineren Teil!)

Wenn Sie mir wirklich nachweisen würden, daß § 14 das nicht hergäbe, was Sie hier genannt haben, würden wir in der Koalition — da bin ich sicher — ihn sofort ändern. Er macht das aber möglich. Eine Abfallverträglichkeitsprüfung, besser Reststoffverwertung, haben wir im BImSchG. Sie tun so, als seien die Instrumente nicht da. Vor allen Dingen erwecken Sie natürlich hier im Bundestag den Eindruck,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Und wo bleibt der Vollzug?)

als läge es an der Bundesregierung. Es gibt natürlich Defizite in der Abfallwirtschaft. Das wissen wir. Aber die sind überall vorhanden. Seien wir doch nicht so selbstgerecht. Wo sind denn die Abfallwirtschaftsziele in vielen Gemeinden oder Ländern, die von der SPD und von den GRÜNEN regiert werden? Das ist doch ein allgemeines Problem und nicht nur eines des Deutschen Bundestages.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119427300
Frau Dr. Hartenstein möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1119427400
Ja, bitte. Gerne. Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1119427500
Herr Kollege Baum, würden Sie mir zustimmen, daß im ursprünglichen Regierungsentwurf, der zur Beratung in den Ausschuß kam, in § 14 Abs. 2 eine Ermächtigung für die Bundesregierung stand, nämlich die, Maßnahmen zu ergreifen und Verordnungen zur Reduzierung von Abfallmengen zu erlassen, und daß diese Bestimmung herausgeflogen ist. Sie wurde aufgeweicht und umgewandelt. Sinngemäß heißt es jetzt: Die Regierung wird aufgefordert, Zielfestlegungen zu treffen, Vereinbarungen mit der Wirtschaft auszuhandeln, und erst dann, wenn diese Zielfestlegungen nicht erfüllt sind, ist sie berechtigt — das ist eine Kann-Bestimmung —, Verordnungen zu erlassen. So ist doch der Hase gelaufen. Stimmt dies?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1119427600
Nein!

(Stahl [Kempen] [SPD]: Doch, doch!)

Frau Kollegin, es stimmt so nicht. Wir haben dies x-mal 1986 diskutiert. Es ist wirklich nicht so. Wir wollen das nicht wiederholen.
Ich meine, die Abfallthematik ist mit Recht in den Mittelpunkt umweltpolitischer Diskussionen gerückt. Die Wohlstandsgesellschaft Bundesrepublik wird mit ihrem Abfall nicht fertig und das trotz vielfältiger Anstrengungen, die im übrigen schon mit dem Abfallwirtschaftsprogramm 1975 einen wichtigen Anstoß bekommen hatten. Die Lage verschärft sich jetzt durch die neue Lage in der DDR. Es muß künftig gelten, was immer wieder gefordert, aber nicht genügend durchgesetzt wurde: Jeder muß seinen Abfall möglichst selbst entsorgen. Dieser Grundsatz steht im Abfallgesetz. Die Inlandsentsorgung ist von uns anerkannt worden. Allerdings werden wir in bezug auf die DDR sehr schnell umdenken müssen. Gott sein Dank können wir umdenken, weil ich davon ausgehe wie Sie auch, daß die DDR zum Inland wird.
Meine Damen und Herren, das Verhältnis zur DDR: Frau Hartenstein, wie sollen denn die Berliner auf ihrem engen Gebiet diese riesigen Müllprobleme lösen? Es wäre vielleicht sinnvoll, eine Verbrennungsanlage zu bauen. Ich weiß nicht, ob der Senat das befürwortet. Ich nehme an, er wird es nicht tun. Aus der Situation der Inselstadt ist das gar nicht anders möglich. Bitte, sagen Sie mir eine Lösung. Ich bin natürlich dagegen, daß wir uns die DDR zur Müllkippe machen, wie das in der Vergangenheit geschehen ist.

(Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

— Gut, na schön, Herr Kollege Stahl, wenn sie es so nicht gemeint hat, um so besser.
Die Abfallwirtschaftsbeziehungen zur DDR müssen neu geordnet werden. Die DDR darf nicht mit unseren Umweltproblemen belastet werden. Im Gegenteil: Wir müssen der DDR jetzt helfen, ihre eigenen schrecklichen Umweltprobleme zu bewältigen. Die normalen Deponien in der DDR sind in einem erschreckenden Zustand. Von einer geordneten Entsorgung der Sonderabfälle kann überhaupt nicht die Rede sein. Eine ganz wichtige Rolle wird dabei privates Kapital übernehmen müssen. Das heißt, es müssen auch hier so schnell wie möglich die Voraussetzungen für private Investitionen in der DDR geschaffen werden.
Ich weiß, daß ein Unternehmer oder einige Unternehmen in der Bundesrepublik bereit sind, in der DDR moderne Sonderabfallverbrennungsanlagen nach den modernsten Anforderungen zu bauen, wie sie hier bestehen. Dort könnte dann auch Sonderabfall aus der Bundesrepublik entsorgt werden. Auf diesem Wege käme die DDR sehr schnell zu Verbrennungsanlagen, die sie selbst nicht finanzieren kann. Das Angebot sollte man einmal, Herr Töpfer, in die deutsch-deutschen Überlegungen einbeziehen.
Wir brauchen neue Deponien. Auch wenn wir große Anstrengungen machen, Abfall zu vermeiden und zu reduzieren, brauchen wir zusätzlichen Deponieraum und Verbrennungsanlagen. Derjenige, der vor diesen Notwendigkeiten die Augen verschließt, handelt unredlich und verantwortungslos. Schon heute zeichnen sich drastische Engpässe ab. Es gibt Firmen, insbesondere aus dem mittelständischen Bereich — sie können sich in der Regel nicht so gut helfen wie die Großunternehmen — , die Sonderabfälle nicht mehr entsorgen können. Mir sind Beispiele aus dem Kölner Bereich bekannt. Hier droht die Einschränkung der Produktion, hier sind Arbeitsplätze in Gefahr.
Die Unsicherheiten bei Kommunen und Betreibern, bei Genehmigungsbehörden, bei der Bevölkerung müssen weiter abgebaut werden. Die Bundesregierung muß so schnell wie möglich alle Teile der Tech-



Baum
nischen Anleitung Abfall und der anderen Regelwerke — ich will sie gar nicht aufführen — mit den Ländern in Kraft setzen. Auch die bürokratischen Hemmnisse bei der Einführung moderner Abfallbeseitigungstechniken müssen beseitigt werden. Jahrelange Genehmigungsverfahren behindern den Umweltschutz. Im neuen Bundesimmissionsschutzgesetz machen wir einen Versuch, Investitionen, die Umweltverbesserung bei bestehenden Anlagen herbeiführen, sofort beginnen zu lassen. Die dringend notwendigen Abfallmaßnahmen, meine ich, sollten aus dem Parteienstreit herausgenommen werden. Die Parteien sollten sich bemühen, in den Kommunen beispielsweise gemeinsam die Bürger von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu überzeugen.
Ich sage Ihnen voraus, meine Damen und Herren: Wenn in einigen Bereichen nicht schnell etwas geschieht, wird möglicherweise mit dem Recht der Gefahrenabwehr eingegriffen werden müssen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.
Wir brauchen neue Standorte. Wir fragen die Bundesregierung, wie viele Planfeststellungsverfahren in den einzelnen Bundesländern für Deponien und Verbrennungsanlagen laufen. Ich schätze, Herr Töpfer, sie reichen nicht aus, aber ein Überblick wäre wichtig.
Ich schlage vor, daß die Bundesländer noch stärker zusammenarbeiten. Wenn dieselben Anlagetypen, etwa bei Verbrennungsanlagen, in verschiedenen Bundesländern gebaut werden, so sollten die Erkenntnisse der Genehmigungsbehörden gebündelt werden. Am besten wäre eine Arbeitsgruppe, die von den Ländern gebildet und unter Hinzuziehung des Umweltbundesamtes überall im Bundesgebiet beratend tätig werden könnte. Hier muß wirklich Tempo gemacht werden, nicht auf Kosten des Umweltschutzes, sondern zugunsten des Umweltschutzes.
Drittens Abfallvermeidung, Abfallverwertung. Meine Damen und Herren, Fachleute sagen, daß in den nächsten fünf bis acht Jahren eine Reduzierung des Hausmülls um 30 bis 50 % durchaus möglich erscheint. Ich möchte mich hier nicht festlegen. Ich weiß nur, daß eine deutliche Reduzierung möglich ist. Zirka 30 % des Hausmülls, so wird geschätzt, könnten kompostiert werden. Der Bürger ist außerordentlich motiviert. Es müssen ihm die entsprechenden Angebote gemacht werden, z. B. durch Wertstofftonnen, durch Belohnung für umweltfreundliches Verhalten, durch eine verstärkte Abfallberatung, wie sie im übrigen schon in einer ganzen Reihe von Gemeinden geschieht.
Ich fordere, daß die Länder und die entsorgungspflichtigen Körperschaften Quoten und Fristen für die Vermeidung und Verwertung festlegen. Das gibt es fast überhaupt nicht in der Bundesrepublik Deutschland, die Bundesländer sind aber zur Aufstellung von Plänen für die Abfallentsorgung verpflichtet. Sie entziehen sich dieser Verpflichtung bisher.

(Walther [SPD]: Unglaublich!)

Notwendig sind Abfallwirtschaftspläne, an denen sich die Kommunen auch orientieren können. Die Kommunen selbst müssen dann konkrete Ziele zur Vermeidung, Verwertung und zur umweltfreundlichen Versorgung festlegen. Auch das geschieht durchweg nicht. Es gibt einige Ausnahmen. Auch diese Pläne fehlen also.
Es ist bedauerlich, daß sich alle Beteiligten, die Verbraucher, die Wirtschaft und die öffentliche Hand selbst, bisher nicht an solchen Zielen orientieren können. Es gibt also ein klares Vollzugsdefizit in diesem Bereich, und zwar im Bereich der Länder und der Gemeinden.
Der Gesetzesauftrag von § 14 Abfallgesetz, Herr Töpfer, muß auch nach unserer Meinung konsequent ausgefüllt werden. Die Bundesregierung ist hier durch nichts gehindert, tätig zu werden. Die Einwände von Frau Hartenstein gelten ja nicht.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Sie gelten sehr wohl!)

— Nein. Wir sind anderer Meinung und der Bundesminister auch. Er kann also handeln.
An erster Stelle steht das Ziel, die Entstehung von Abfällen so weit wie möglich zu verringern. Die Abfallentsorgung ist noch nicht genügend in den Produktionskreislauf integriert. Es gibt Vereinbarungen mit der Wirtschaft, es gibt ordnungsrechtliche Maßnahmen wie die Pfand- und Rücknahmepflichten. Wir unterstützen den Bundesumweltminister bei seinem Bemühen, durch Zielfestlegung auch bei Kunststoffverpackungen weiterzukommen. Die Wirtschaft erhält hier eine Chance, selbst das Notwendige zu tun.
Eine Alternative, duale Abfallwirtschaft statt Markteingriffe, sehen wir nicht. Wir brauchen weiterhin und noch viel stärker die Abtrennung von verwertbaren Stoffen. Durch Markteingriffe muß Einfluß auf diese Stoffe genommen werden. Die Lösung liegt nicht in der strikt getrennten Trägerschaft der Erfassungssysteme für jedwede Erfassung. Dies wäre unpraktikabel, unwirtschaftlich und brächte auch dem Umweltschutz wenig.
Bei Batterien sind zwar erhebliche Fortschritte bei der Reduzierung von Quecksilber erreicht worden, aber es muß noch erreicht werden, daß sie nicht im Hausmüll landen. Ich habe keinerlei Verständnis dafür, daß von seiten einer bestimmten Industrie dazu aufgefordert wird, die zwar schadstoffreduzierten, aber immer noch schadstoffhaltigen Batterien mit dem Hausmüll zu entsorgen.
Nächster Punkt: die Information der Bürger. Die Information muß verbessert werden. Der Bürger muß insbesondere wissen, welche Entsorgungsprobleme ein Produkt bereitet. Das führt in der Konsequenz zur Kennzeichnung. Ich kann Sie hier nur ermutigen, die Kennzeichnung fortzuführen. Das gilt auch und insbesondere für Kunststoffe.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Wann wird denn die Konsequenz gezogen?)

— Ja, sie wird jetzt gezogen, beispielsweise hier im Bereich der Kunststoffe.
Zur europäischen Abfallwirtschaft: Auf EG-Ebene muß eine mittel- und langfristige Gesamtstrategie im Abfallbereich festgelegt werden. Wir brauchen eine Abfallwirtschaft, in die dann auch die DDR und die



Baum
anderen osteuropäischen Staaten einbezogen werden sollten. Übrigens müssen wir uns auch darauf einrichten, daß die EG in Sachen Abfall ein Markt ist. Wir werden uns nicht abschotten können. Was im einzelnen geschieht, ist aber eine schwierige Frage.
Nun zu den marktwirtschaftlichen Anreizen und den Kosten: Die Kosten für die Entsorgung werden und müssen steigen. Schon heute sind die Entsorgungskosten für die Industrie ein erheblicher Kostenfaktor. Das gilt vor allen Dingen für Sonderabfälle. Von daher besteht schon ein Druck zu weiterer Reduzierung. Die entsorgungspflichtigen Körperschaften werden gezwungen sein, verursachergerechte Abfallgebühren festzulegen, also höhere Gebühren, indem nämlich die Kosten für Vor- und Nachsorge einbezogen werden. Auch eine Lenkungsabgabe auf den Restmüll fassen wir, die Freien Demokraten, ins Auge, damit das Kostenbewußtsein steigt — und damit die Bereitschaft zur Vermeidung und zur Verwertung.
Eine Bemerkung zum Entsorgungsmarkt möchte ich noch machen. Ich habe wenig Verständnis, wenn ein großer Strommonopolist anfängt, mittelständische Entsorgungsfirmen aufzukaufen und damit in den Markt hineinzugehen, der bisher vor allem mittelständisch geprägt ist.
Abfallexporte in die Dritte Welt lehnen wir ab. Wir möchten, daß die Entwicklungsländer Hilfe beim Aufbau einer umweltfreundlichen Abfallwirtschaft bekommen. Das Baseler Übereinkommen zur Kontrolle grenzüberschreitender Sonderabfalltransporte ist eine Verbesserung.

(Frau Eid [GRÜNE]: Es ist immer noch unzureichend! — Frau Hensel [GRÜNE]: Stimmt, es ist besser als gar nichts!)

Auch wenn eine Reihe unserer Wünsche nicht erfüllt sind, ist es ein erster Schritt zu einer notwendigen Weltabfallkonvention. Dies wird eine weitere wichtige Aufgabe für die Vereinten Nationen sein, die sich immer stärker zu einer Weltumweltgemeinschaft, die Umweltvölkerrecht erarbeitet, entwickeln müssen.
Im übrigen kenne ich keine Beispiele — bitte nennen Sie sie mir — für einen Export gefährlicher Stoffe oder für einen Export von Sonderabfall in die Dritte Welt. Das müßte bewiesen werden. Wenn es bewiesen wird, werden Sie, Herr Töpfer, sicherlich dagegen vorgehen.
Ich wehre mich gegen falsche Katastrophenszenarien und gegen selbsternannte Anwälte in Sachen Abfallwirtschaft. Es gibt sicherlich Defizite. Auch hier in Bonn werden wir mit dem Tempo noch zulegen müssen,

(Sehr gut! bei der SPD)

aber wir sind auf einem richtigen Weg, den wir, die Freien Demokraten, weiter unterstützen werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119427700
Nun spricht die Abgeordnete Frau Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119427800
Herr Präsident, auch meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag!

(Beifall)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119427900
Danke schön!

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119428000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Jahresende 1989 hat Minister Töpfer einen umweltpolitischen Ausblick und damit einen Einblick in die Bonner Abfallpolitik vorgelegt. Darin hieß es: Je größer die Erfolge im Umweltschutz, desto mehr brauchen wir grenzüberschreitende Umweltpartnerschaften. Diese Aussage ist gut, wenn sie ernsthaft realisiert wird, und wird angesichts der Reformprozesse in Osteuropa immer richtiger. Wenn Herr Töpfer damit allerdings meint, das es künftig einfacher werden soll, z. B. das devisenschwache Polen mehr und mehr zu einem Tummelplatz westdeutscher Abfallentsorger zu funktionalisieren, muß dieser Aussage mißtrauisch begegnet werden.
Wenn damit aber gemeint ist, was einer Pressemitteilung vom 26. Januar 1990 zu entnehmen ist:
Töpfer plant Kongreß zur umweltorientierten Unternehmensführung in Leipzig
dann nehmen wir GRÜNEN dies mit Erstaunen zur Kenntnis; denn was offensichtlich allen Bundesregierungen in der Bundesrepublik nicht gelungen ist, nämlich der Aufbau einer ökologisch orientierten Industriegesellschaft, soll nun auf der Spielwiese DDR versucht werden. Ich will dies nicht abqualifizieren. Wir GRÜNEN finden dies eine der entscheidendsten Fragen, die in dieser Zeit und in aller Klarheit von allen gesellschaftlichen und politischen Kräften angegangen werden muß. Aber wir haben große Bedenken, wenn sich ausgerechnet diese Bundesregierung auf dem Weg in eine ökologische Orientierung beim Aufbau der Industriegesellschaft in die DDR begibt.
Schauen wir uns doch einmal die Abfallpolitik und die vermeintlichen Erfolge der Bundesregierung etwas näher an:

(Baum [FDP]: Sind gewaltig im Vergleich zur DDR!)

Erstens. Die Sicherheitskultur unserer Industriegesellschaft soll eine neue Qualität erhalten, ist in der Bilanz der Regierung nachzulesen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sie verbessert sich ständig!)

Dazu werden Gesetzesnovellen angekündigt, Verordnungen über Entsorgungen und zur Beschränkung chemischer Stoffe, drei Stück, erlassen. Eine bundeseinheitliche Anforderung für die Entsorgung von Abfällen wird derzeit in der verbal oft gerühmten und deshalb schon seit Jahren heiß erwarteten GesamtTA-Abfall erarbeitet.
Zweitens. Die Pfandordnung für Getränkeverpakkungen aus Kunststoff, der größte Erfolg der Bundesregierung, hat bislang nur zu einer sehr geringfügigen Entlastung bei den Abfallproblemen geführt.
Drittens. Am 17. Januar hat das Kabinett die Zielfestlegung für eine Rücknahme von Kunststoffverpackungen beschlossen. Wie bei allen bisherigen Zielfestlegungen, die die Bundesregierung bisher formuliert hat, soll auch hier die deutsche Wirtschaft ein weiteres Mal die Chance erhalten, ohne rechtliche Vorgabe selbst für die Reduzierung von Kunststoffabfällen zu sorgen.



Frau Hensel
Ich möchte an dieser Stelle verzichten, darauf hinzuweisen, daß der Versuch, im Rahmen freiwilliger Vereinbarungen die bundesdeutsche Wirtschaft zur Kooperation und damit zu einer ökologisch verantwortlichen Produktion zu bewegen, inzwischen seinen 15jährigen Geburtstag feiert. So lange nämlich blieb die „Zwangsjacke", wie Kollege Baum das bezeichnet hat, in den Aktenschränken aller bisherigen Bundesregierungen hängen.
Viertens. Ein weiterer Erfolgsschlager der Bundesregierung, die Einstellung der Dünnsäureverklappung auf hoher See: Meine Damen und Herren, die Ungeheuerlichkeit, daß 1,7 Millionen t Dünnsäure Jahr für Jahr ins Meer gekippt wurden, wird jetzt beendet. Das ist kein Erfolg, das ist eine längst überfällige Notwendigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fünftens. Die Verbrennung auf See soll 1991 beendet werden. Ich frage Sie: Ist es ein Erfolg bundesdeutscher Abfallpolitik, wenn die Verbrennung dieser Stoffe dafür an Land stattfindet?
Meine Damen und Herren, alle genannten Maßnahmen werden von Umweltminister Töpfer als Sicherheitskonzept vorgestellt. Wir GRÜNEN bezeichnen dies als die ironischste Gefährlichkeit bundesdeutscher Abfallverschleierungspolitik. Wir müssen heute nüchtern feststellen, daß drei Jahre nach Vorlage des Berichts der Bundesregierung zum Vollzug des Abfallgesetzes der von ihr selbst geforderte qualitative Sprung hin zur Abfallvermeidung nicht stattgefunden hat, ja man sich eigentlich noch nicht einmal in den Startlöchern befindet. Obwohl der drohende Entsorgungsnotstand seit vielen Jahren bekannt ist, sind bis heute weder konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des § 14 Abfallgesetz in Sicht noch wurden die immissionsrechtlichen Möglichkeiten durch eine entsprechende Verwaltungsvorschrift ausgeschöpft, ganz im Gegenteil.
So hat auch noch die SPD in der gestrigen Umweltausschußsitzung einen Änderungsantrag zum Regierungsentwurf des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eingebracht, nach dem künftig die Planfeststellungsverfahren für Müllverbrennungsanlagen wegfallen sollen und ein einfaches Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz den Einstieg in eine großangelegte Müllverbrennungstechnologie bundesweit vereinfachen soll. Die SPD gibt damit jegliche kritische Haltung gegenüber Müllverbrennungsanlagen auf, was besonders Umweltminister Matthiesens Plänen zur flächendeckenden Einführung der Müllverbrennung sehr entgegenkommt.

(Zuruf von der SPD)

— Lesen Sie bitte Ihre eigenen Anträge nach.
Meine Damen und Herren, nach Auffassung der GRÜNEN ist eine umweltverträgliche Abfallpolitik ohne ordnungspolitische Eingriffe, ohne klare Vorgaben an die Industrie und ohne eindeutige wirtschaftspolitische Steuerungsmaßnahmen nur eine absurde Mängelverwaltung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Statt dessen findet von der Bundesregierung ebenso
wie von der SPD eine unglaubliche Schuldzuweisung
an die Umweltbewegung und an die GRÜNEN statt, die sich vielerorts, auf kommunaler Ebene übrigens oft gemeinsam mit CDU und SPD, gegen den Ausbau von Müllverbrennung wehren. In allen abfallpolitischen Debatten des Bundestages und der Fachausschüsse werden GRÜNE und Umweltbewegung dafür verantwortlich gemacht, daß der Müllnotstand in der Bundesrepublik derzeit so ist, wie er ist.
Sie gehen noch viel weiter. Selbst der Abfallexport in die Dritte Welt und in unsere europäischen Nachbarländer wird den Menschen verantwortlich unterstellt, die sich hier in der Bundesrepublik gegen den Bau immer neuer Entsorgungsanlagen wehren. Ich möchte von dieser Stelle aus diese absurde Form der Schuldzuweisung aufs schärfste zurückweisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daß allein die Bundesregierung den hausgemachten Entsorgungsnotstand in der Bundesrepublik zu verantworten hat, wird an vielen Stellen der heute zur Beratung anstehenden Drucksachen eindeutig dokumentiert. Nehmen Sie z. B. die Initiative der GRÜNEN im Antrag 11/6207 bitte zur Kenntnis, in dem wir die Bundesregierung auffordern, endlich eine Technische Anleitung Abfallvermeidung zu erstellen. Mit diesem Antrag haben wir die Hausaufgaben der Bundesregierung gemacht. Während für die Bundesregierung Abfallvermeidung bis heute nichts anderes als eine durch ständige Wiederholung immer größer und schillernder werdende Sprechblase ist, gehen wir davon aus, daß Abfallvermeidung ohne rechtliche Eingriffe in die Produktionsprozesse bis hin zum Verbot von Produkten nicht möglich ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Vermeidung von Sondermüll, die uns heute besonders beschäftigt, ist ohne Konflikt mit der chemischen Industrie nicht zu haben. Denn gerade die chemische Industrie, aber auch weite Bereiche der Metallverarbeitung und -gewinnung müssen im Hinblick auf die Abfallvermeidung und die Reststoffverwertung auf das Wohl der Allgemeinheit verpflichtet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das heißt, wir fordern Sie mit unserem Antrag auf, die übergeordnete Zielsetzung der Abfallvermeidung durch eine TA Abfallvermeidung durchzusetzen. In unserem Antrag finden Sie dazu eine ganze Reihe von Vorschlägen, für konkrete Produktions- und Verarbeitungsprozesse Abfallvermeidungsquoten in einem klaren zeitlichen Rahmen vorzuschreiben. Gleichzeitig wird im genannten Antrag eine Vielzahl von Überlegungen formuliert, wie eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Verwertung von Abfällen und Reststoffen zu organisieren wäre.
Ich fasse zusammen. Fehlende Maßnahmen der Bundesregierung zur Abfallvermeidung und eine Chemiepolitik, die durch Wirtschaftsliberalismus geprägt ist, sind die einzigen Ursachen für den heutigen bundesdeutschen Entsorgungsnotstand.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Antrag der GRÜNEN, zum Verbot von Abfallexporten, steht heute auf der Tagesordnung. Dieser Antrag wurde gestern im Umweltausschuß beraten. Die Koalitions-



Frau Hensel
parteien stimmten wie erwartet dagegen, mit dem Hinweis auf die Baseler Giftmüllkonvention, die Abfallexport in Länder der Dritten Welt unterbinden soll.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Da war auch Berlin drin, verehrte Frau Hensel! Das müssen Sie der Ehrlichkeit halber sagen!)

— Ich komme noch auf Ihre Ablehnung zu sprechen.
Da dieses Übereinkommen löchrig wie ein Schweizer Käse ist, bleibt unsere Forderung nach einem klaren Verbot von Abfallexporten richtiger denn je. Aber daß auch die SPD unseren Antrag abgelehnt hat, hat uns ein wenig überrascht, vor allem mit einer Begründung, die absurd ist. Da dieser Antrag auf ein Verbot von solchen Exporten in Nicht-EG-Staaten hinweist, vermißt die SPD die Aktualität des Antrags — Kollegin Hartenstein hat das eben wiederholt — , mit der Äußerung, die Möglichkeiten der Beseitigung in der DDR dürften nicht verbaut werden, weil die Bundesregierung nicht über ausreichende Entsorgungsanlagen verfüge. Nun hören wir aber von der SPD beinahe stündlich, die Vereinigung mit der DDR stehe vor der Tür. Danach dürften die dortigen Anlagen nach Ihrer Logik nicht mehr unter ein Abfallexportverbot fallen. Wenn also Ihre Parole von einer schnellen Vereinigung der beiden deutschen Staaten kein reines Wahlkampfgetöse ist, dann kann es erst recht keinen Grund geben, unseren Antrag abzulehnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119428100
Dies veranlaßt den Abgeordneten Stahl zu einer Zwischenfrage, Frau Abgeordnete. — Bitte sehr.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1119428200
Frau Kollegin Hensel, Sie beklagen sich, daß wir Sozialdemokraten Ihren Antrag abgelehnt haben. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis
— gleichzeitig stelle ich dabei eine Frage — , daß, da Sie ja die DDR als eigenen Staat im besonderen anerkennen und immer darüber reden, die Stadt Berlin besonders betroffen war. Meine Frage im Ausschuß war z. B., ob ein derartiger Antrag, wie Sie ihn gestellt haben, mit Ihren Kollegen „grünen" Senatoren in Berlin abgestimmt war, weil er ja zumindest für eine längere Zeit noch eine ganz wichtige Überlebensfrage dieser Stadt betraf.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119428300
Herr Kollege Stahl, wenn man ein umweltpolitisches oder ein abfallpolitisches Ziel formuliert, muß es nicht deswegen falsch werden, weil unsere Kollegin Michaele Schreyer vielleicht Verträgen verpflichtet ist,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Also, hat sie nun zugestimmt oder nicht?)

die eingehalten werden müssen. Das abfallpolitische Ziel bleibt trotzdem das Verbot des Abfallexports.

(Beifall bei den GRÜNEN — Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist eine Antwort; das nehmen wir gern zur Kenntnis! — Schmidbauer [CDU/ CSU]: Frau Kollegin, denken Sie nicht, daß die Begründung gestern anders war als heute?)

— Nein.
Meine Damen und Herren, Herr Minister Töpfer, wir alle wissen: Für die Durchsetzung eines Verbotes von Abfallexporten — vor allem auch in der DDR — ist eine Reduzierung der Sondermüllmengen am Entstehungsort eine der Voraussetzungen. Das rechtliche Instrumentarium dafür ist bereits teilweise vorhanden, teilweise muß es noch geschaffen werden; dazu fordern wir Sie heute auf.
Wir GRÜNEN sind realistisch genug, um die gegenwärtige Situation im Abfallbereich nüchtern zu erkennen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)

— Hören Sie zu! — Die Lösung der Abfallfrage in all ihren Bestandteilen, von einer konsequenten Abfallvermeidung bis hin zum Bau notwendiger Entsorgungsanlagen, ist eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben in diesem Lande. Niemand kann davor die Augen verschließen. Diese Zukunftsaufgabe ist nicht allein von der Regierung lösbar. Angesichts der Dimension der Abfallprobleme und angesichts der notwendigen Maßnahmen, die viele Bereiche unseres Konsum- und Wirtschaftslebens tangieren, sind neue Wege notwendig.
Wir GRÜNEN schlagen daher die Einrichtung eines Runden Tisches vor, an dem Regierung, Umweltverbände, Industrievertreter und Bundestagsparteien gleichberechtigt vertreten sind.
Ich weise darauf hin, Herr Kollege Schmidbauer, daß auf Initiative meines Parteifreundes Kretschmann eine entsprechende Vorgehensweise in Baden-Württemberg durchaus erfolgversprechende Ergebnisse gebracht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Uns ist klar, daß alle Parteien eines solchen Runden Tisches Abstriche von Maximalforderungen machen müssen und daß die Anlagen von allen ernst genommen werden müssen. Ich kann mir vorstellen, daß eine derartige Einrichtung unter Hinzuziehung gesellschaftlich relevanter bzw. betroffener Gruppen sehr zügig und sehr konstruktiv Lösungsansätze entwikkeln kann. Ein derart gestalteter Runder Tisch könnte abseits von parteipolitischer Alltagshektik im gemeinsamen Dialog Kriterien für eine konsequente Abfallvermeidung, für eine Ausdehnung von umweltverträglichen Verwertungsmaßnahmen und schließlich auch ökologisch vertretbare Kriterien für die Beseitigung unvermeidlicher Reststoffe entwickeln.
Alle Parteien in diesem Hause tragen auch auf kommunaler Ebene Verantwortung und stehen daher unter dem Druck der Kreise und Kommunen, die Voraussetzungen zur Lösung der Abfallprobleme vor Ort zu verbessern. Gerade aus diesem Verantwortungsbewußtsein heraus bitten wir Sie eindringlich, unserem Vorschlag zu folgen.
Eine letzte Bemerkung: In der Logik all dessen, was hier heute gesagt wurde, denke ich, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, die Bundesregierung von dieser Stelle aus aufzufordern, sich finanziell an der Sanierung der von uns mitbenutzten Abfallentsorgungsanlagen in der DDR zu beteiligen.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Frau Hensel
Eine letzte Bitte an Herrn Umweltminister Töpfer: Ich bitte Sie dringend, mit der Vermeidung von Abfallvermeidungsmaßnahmen aufzuhören.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119428400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119428500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es hat keinen Sinn, die Forderungen der Opposition mit den Ergebnissen der Regierung in Sachen Abfallvermeidung zu vergleichen. Wie wir in der Opposition waren, waren wir besser als Sie mit Ihren Ergebnissen.

(Lachen bei den GRÜNEN)

— Das ist doch eine alte Geschichte; es ist hier doch beliebt und üblich, so zu verfahren.
Für den Vollzug des Abfallgesetzes sind der Bund, die Länder, die Gemeinden und die Bürger zuständig.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Die vor allen Dingen!)

— Herr Kollege Stahl, Sie sind doch gleich dran. — Wenn man überhaupt vergleicht, wer beim Vollzug besser ist, dann kann man das höchstens auf Länderebene oder auf kommunaler Ebene vergleichen. Beim Recycling oder zumindest beim Einsammeln z. B. sind die Kommunen zuständig.
Ich habe hier die Zahlen aus Mittelfranken in Nordbayern: Bei zwei CSU-Landräten gibt es ein Minus
— also rückläufige Zahlen, also viel an Altstoffen gesammelt — von 1987 auf 1988. Eine SPD-regierte Stadt hat ebenfalls ein Minus. Die rot-grün regierte Stadt Nürnberg weist jedoch ein kräftiges Plus auf.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das kann man natürlich miteinander vergleichen.

(Zuruf von der SPD: Nennen Sie einmal die Zahlen von Oberfranken!)

Wir sollten die Diskussion wirklich nicht so parteipolitisch führen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Richtig!)

Wir wissen, daß in vielen Dingen die Fronten quer durch die Parteien gehen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Natürlich!)

Wir sollten mehr sagen, was richtig und was falsch ist, und nicht abzählen.
Die Zahlenvergleiche sind für Sie gar nicht so günstig. Weil immer wieder über die Abfallexporte geredet wird, habe ich mir einmal angeschaut, was wir Bayern exportieren: praktisch null. Ich habe mir auch angeschaut, was die Hamburger exportieren: gewaltige Mengen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Hamburg ist ja auch ein bißchen kleiner als Bayern!)

Also hören wir doch auf mit der Parteipolitik.
Wir haben alle miteinander erhebliche Probleme, das Verursacherprinzip im Abfallbereich vor Ort
durchzusetzen. Verursacherprinzip bedeutet nämlich, daß unsere Konsumgesellschaft nicht nur den Nutzen des Konsums in Anspruch nehmen darf; vielmehr muß sie auch die Lasten auf sich nehmen. Wir wissen, daß diese Lasten zu einem großen Teil immer noch schlicht vergraben werden. Das nenne ich die erbrechtliche Lösung, nämlich weitergeben der Schadstoffe an die nächste Generation.
Ich habe mir einmal angeschaut, was der BUND vorschlägt. In der neuesten Broschüre steht: Hochsicherheitsdeponien. Was erreicht man denn mit dieser Technik? Daß die Sickerwässer in 40 Jahren noch schön aufgefangen werden können. Das ist wenigstens eine kontrollierte erbrechtliche Lösung, aber immer noch ein Weitergeben von Schadstoffen an die nächste Generation. Weil das so ist, bin ich gegen jede Deponierung unbehandelter Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das ist als Notlösung vorübergehend vertretbar, aber auf Dauer wahrhaftig nicht zu verantworten.
Der Nutzen und die Lasten dürfen nicht entkoppelt werden. Der Abfallexport ist ein örtliches Entkoppeln von Nutzen und Lasten. Man verschiebt die Probleme woandershin. Aber, wie gesagt, da dürfen Sie nicht auf Bayern schauen. Vielmehr müssen Sie einige Länder anschauen, die rot und grün regiert werden.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Man kann doch alle anschauen!)

— Ja, auch bei uns gibt es einige, die ihre Probleme haben. Ich habe mir im Zusammenhang mit dem Abfallexport sagen lassen, daß z. B. die Baden-Württemberger noch relativ viel exportieren. Ich habe mich auch nach den Gründen erkundigt. Es liegt an Kollegen der SPD, die dort mit ganz schön hinterfotzigen Methoden offensichtlich den Bau neuer Entsorgungsanlagen bekämpfen. Wie soll ich dem Ministerpräsidenten einen Vorwurf machen, wenn die SPD dort Obstruktionspolitik betreibt?
Ich habe schon angedeutet, daß für mich eigentlich nur eine Lösung in Betracht kommt, bei der sichergestellt ist, daß Schadstoffe nicht sozusagen vererbt werden. Vielmehr müssen sie möglichst vernichtet werden. Das ist nicht immer möglich. Wenn die Schadstoffe nicht vernichtet werden können, ist es erforderlich, sie wenigstens in konzentrierter Form zu erfassen, also möglichst aus dem Abfall herauszuschleusen. Ich kann das hier im Detail nicht ausführen. Für mich ist die thermische Behandlung von Abfall immer noch die einzige Methode, dieses Ziel wenigstens weitestgehend zu erreichen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Besser als die Hochsicherheitsdeponien!)

Liebe Frau Kollegin Hensel, Sie haben ja einiges an Kooperationsbereitschaft angedeutet. Sie haben nämlich gesagt, man brauche auch Abfallbehandlungsoder -entsorgungsanlagen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Natürlich braucht man die!)

Dann sind Sie mit dem runden Tisch gekommen. Soll
der das Zeug jetzt wegreden? Sie hätten die Abfallent-



Dr. Friedrich
sorgungsanlagen beschreiben müssen. Das wäre der interessanteste Teil Ihrer Lösung.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ich bin doch kein Techniker!)

Wenn Sie konstruktiv sind, stellen Sie sich in der nächsten Abfalldebatte hierher und beschreiben einmal, welche Abfallentsorgungsanlage die GRÜNEN mitzuvertreten bereit sind, und zwar nicht nur in diesem Haus, sondern auch vor Ort.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Die Frage ist, unter welchen Umständen!)

Ich habe mich schon dazu bekannt, daß ich für thermische Anlagen bin. Es ist völlig falsch, wenn vor Ort immer wieder behauptet wird, thermische Anlagen hintertrieben mehr oder weniger das Sammeln von Altstoffen. Ich habe mich einmal genau erkundigt. Es gibt Unterlagen des Bundesumweltamts, aus denen hervorgeht, daß z. B. derjenige, der Papier sammelt, den Heizwert um 8 % reduziert. Es ist aber gar kein Problem, diesen Restmüll erst einmal zu verbrennen. Aber man muß natürlich weitergehen: Wenn man Glas, Metalle sammelt, dann hat man schon wieder den gleichen Heizwert. Hier werden also alle möglichen Fehlinformationen verbreitet.
Ich gebe zu, daß wir in Sachen Vermeidung und Sammeln von Altstoffen und anderem — ich brauche das nicht im Detail zu beschreiben — noch lange nicht am Ziel sind. Ich warne aber auch davor, die Reststoffe, den Restmüll, der uns bleibt, zu unterschätzen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Theoretiker eine Müllanalyse betreiben und die verschiedenen Stoffe sozusagen mit der Pinzette auseinanderklauben. Dann stellen sie fest: Soundsoviel ist wiederverwertbar, und soundsoviel ist kompostierbar. Dann bleiben noch 20 bis 30 % übrig, sagen manche. Es ist natürlich unmöglich, das großflächig getrennt zu erfassen und Verunreinigungen zu vermeiden. Wenn wir die Mengen deutlich steigern — und das müssen wir —, dann ist es natürlich auch nicht möglich, das alles zu einigermaßen vernünftigen Kosten wieder in die Wirtschaft zurückzuschleusen. Wir müssen hier also realistisch sein.
Wenn heute die Gefahr bestünde, daß wir Überkapazitäten haben, dann würde ich mich ja in die Reihe derjenigen einordnen, die Bedenken gegen Müllverbrennungsanlagen erheben. Wenn ich jedoch die Diskussion vor Ort beobachte, dann stelle ich fest, daß eine Anlage nach der anderen, die geplant wird, „stirbt", und zwar oft auch am Widerstand aus allen Parteien. In dieser Situation müssen wir Umweltpolitiker uns auf die andere Seite stellen und diejenigen unterstützen, die dafür sorgen, daß wir mit diesen Restabfällen noch einigermaßen zurechtkommen, und die dafür sorgen, daß wir keine erbrechtliche Lösung bekommen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Haben Sie einmal überlegt, warum es Widerstand gibt?)

— Frau Kollegin, ich beteilige mich sehr intensiv an der Diskussion. Ich gehe den Argumenten auch auf den Grund. Da existieren die krausesten Informationen. Ich darf Ihnen nur ein Stichwort nennen — ich lege mein Redemanuskript jetzt beiseite — : Der
BUND z. B. hat in letzter Zeit erkannt, daß wir das Dioxinproblem technisch relativ im Griff haben und daß etwa nur 1 % der Dioxinmenge, die die Leute in der Umgebung einer Müllverbrennungsanlage auf den verschiedensten Wegen aufnehmen, aus der Müllverbrennungsanlage stammt. Die Vertreter des BUND sagen inzwischen: Das schlimme an der Müllverbrennungsanlage ist, daß nur 20 bis 30 % der Stoffe, die aus der Anlage entweichen, analytisch erfaßt sind. Das ist zwar richtig, Frau Kollegin Hensel, aber es ist ein völlig unsinniges Argument, weil das, was für die Müllverbrennung gilt — es geht hier ja nur um Spurenstoffe —, auch für das Kraftfahrzeug gilt. Das gleiche gilt auch für jedes Kohlekraftwerk.

(Sehr richtig! bei den GRÜNEN)

4 % dieser Schadstoffe kommen aus den Müllverbrennungsanlagen. Der Rest stammt aus den Kraftwerken und von den Autos.

(Zuruf von der SPD: Was ist mit den Filterstäuben?)

Wenn wir vernünftig vorgehen wollten, müßten wir erst einmal alle Autos und alle Kohlekraftwerke verbieten. Zuletzt sind noch die Müllkraftwerke problematisch.

(Abg. Frau Hensel [GRÜNE] und Abg. Frau Garbe [GRÜNE] melden sich zu Zwischenfragen)

— Meine Redezeit ist zu Ende.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119428600
Herr Abgeordneter Dr. Friedrich, ich habe Ihnen schon einen ordentlichen Geburtstagszuschlag gegeben.
Frau Abgeordnete Hensel, ich bitte um Verständnis. Die Redezeit von Herrn Dr. Friedrich ist schon lange abgelaufen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119428700
Vielen Dank, Herr Präsident.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119428800
Nun spricht der Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1119428900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte heute in dieser verbundenen Debatte zu verschiedenen Aspekten der Entsorgung die Gelegenheit nutzen, einige grundsätzliche Ausführungen über die Entsorgungspolitik zu machen. Diese grundsätzlichen Bemerkungen sollen aber nicht die allseits bekannten und — jedenfalls bisher — auf dem Papier stehenden Prinzipien einer ökologisch verträglichen und ökonomisch sinnvollen Abfallwirtschaftspolitik unreflektiert wiedergeben. Ich möchte vielmehr ein wenig auch den Versuch unternehmen, den Unterschied zwischen dem Wort und der Tat etwas zu verdeutlichen; denn aus so manchem Saulus wurde schon ein Paulus, und zwar im Sinne von Realismus und praktischem Handeln, wenn er denn in der Verantwortung steht und nicht nur Papier produziert.
Die Leitlinien für die Abfallwirtschaft in unserem Industrieland mit hohem Lebensstandard und großer



Stahl (Kempen)

Bequemlichkeit gehen aus — oder, besser gesagt: sollten ausgehen — von folgenden Gedanken:
Abfallwirtschaft und Entsorgungspolitik sind ein wesentlicher Schwerpunkt der Umweltpolitik geworden.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Man sieht es!)

Dies bemerken wir heute besonders daran, daß das Altlastenproblem sowohl in ökologischer als auch in finanzieller Hinsicht in seinem Ausmaß gerade erst richtig bekannt ist. Die doch recht unbefriedigende Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zeigt unseres Erachtens völlig unzweideutig, Herr Minister Töpfer, daß wir hier erst am Beginn der Realisierung der schwierigen Problembewältigung stehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei der Bundesregierung aber besteht bis auf gutmeinende Erklärungen trotz der Zeitbomben, die hier ticken, anscheinend wenig Handlungsbedarf, noch nicht einmal, verehrter Herr Töpfer, für die Kriegsfolgelasten.
Auch in der Abfallwirtschaft muß, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, stärker als bisher der Grundsatz gelten: Abfallvermeidung ist wichtiger als Abfallverwertung, Abfallverwertung ist wichtiger als Abfallablagerung oder thermische Verwertung. Ziel einer sinnvollen Abfallwirtschaftspolitik ist die Reduzierung der Abfälle auf der Produktions-und Verbraucherebene an erster Stelle, sind die Steigerung der Verwertungsrate und die umweltfreundliche Beseitigung der restlichen noch verbleibenden und nicht verwertbaren Abfälle auf hohem technologischen Niveau.
Nimmt man das Beispiel der Sonderabfälle, so wird doch sehr klar, daß die Menge der Sonderabfälle innerhalb der nächsten zehn Jahre trotz einiger Erfolge beim Recycling und trotz vieler Bemühungen um Vermeidung, Reduzierung und Verwertung wohl noch deutlich steigen wird. Es muß dabei allen Bürgern eindeutig gesagt werden, daß eine hochtechnisierte Industriegesellschaft ohne Sonderabfälle Utopie ist und bleibt. Es wird auch zukünftig keinen Arbeitsplatz, auch nicht im sogenannten High-Tech-Bereich, geben, an dem keine Abfälle anfallen. Bei allen Fortschritten, in der Vermeidung oder Verwertung

(Frau Hensel [GRÜNE]: Bei welchen Fortschritten?)

wird es in industriellen Fertigungsprozessen und in umwelttechnischen Anlagen wie Kläranlagen oder Rauchgasreinigungsanlagen immer Rückstände geben, die schadlos, sicher und umweltschonend, Frau Hensel, entsorgt werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt bis heute keine Technologie, die dreierlei schafft: erstens sauberes Wasser, zweitens reine Luft und drittens schadstofffreie Böden ohne Reststoffe. Dies zeigt, daß alle Erfolge in Teilbereichen der Umweltpolitik insgesamt mit einem quantitativen und qualitativen Entsorgungsproblem erkauft werden. Daraus kann man doch nur eines folgern, nämlich daß die Basis für eine erfolgreiche wirtschaftliche, ökologische Zukunft nur durch eine gesicherte Entsorgungsstruktur gewährleistet werden kann.
In der Vergangenheit haben wir uns sicherlich zu lange um die Versorgung unserer Industriegesellschaft gekümmert. Heute müssen wir feststellen, daß wir uns nicht genügend um die Entsorgung gekümmert haben

(Frau Eid [GRÜNE]: Auch die SPD nicht!)

— das gilt auch für Sie, die GRÜNEN — und sich aus diesem Grund in absehbarer Zeit bedrohliche Engpässe abzeichnen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Herr Stahl, was ist das für eine Logik?)

Mancherorts heißt die Zauberformel zur Lösung dieses Problems Abfallexport. Das löst aber nicht die Probleme,

(Sehr richtig! bei der SPD)

sondern lädt sie nur anderen auf. Die ökologische Erneuerung — dieser Zauberbegriff ist ja in aller Munde — unserer Industriegesellschaft steht und fällt mit einer umweltverträglichen Abfallwirtschaft. Wer ja sagt zur Versorgung, meine Damen und Herren, muß auch ja sagen zur Entsorgung.
Eingangs erwähnte ich den Wandel vom Saulus zum Paulus. Es ist schon interessant, wie sich Politiker in manchen Bereichen mit ökologischen Konzepten aller Art geradezu überschlagen,

(Zuruf von den GRÜNEN: Ja, das stimmt!)

in der so wichtigen Frage der Entsorgung vor Ort oder im eigenen Land aber auf das Rezept „Export" setzen oder zumindest sehr lange gesetzt haben. Ob dieses Verhalten die Glaubwürdigkeit der Parteien und damit die Akzeptanz bei den Bürgern erhöht hat, bezweifle ich sehr, und viele Stimmergebnisse zeigen das ja auch. Dabei sage ich nicht — das möchte ich betonen —, daß diese Politiker und auch die Beamten verantwortungslos handeln; denn es gibt Sachverhalte, die nicht durch Ideologie zu lösen sind.
Im Bereich der Haus- und Siedlungsabfälle stehen wir vor einem großen Problem. Manche Kommunen sind vom Kollaps bedroht. Hier sind alle gefordert. Es genügt nun nicht mehr, wenn sich jeder über steigende Abfallmengen und die Zunahme von Schadstoffen beklagt, gleichzeitig aber in den Kommunen keine energischen Schritte unternommen werden, um dieses Problem sichtbar anzugehen. Dabei sind wir uns auch im klaren, jedenfalls bin ich mir darüber klar: Es gibt keine Patentrezepte zur Lösung dieses Problems. Wer so etwas behauptet und dem Bürger verkaufen will, hat die Problematik nicht erkannt und löst in keiner Weise das Problem.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Es gibt gute und schlechte Rezepte!)

Es muß nämlich in einem überschaubaren Zeitraum tatsächlich gelöst werden. Da kann man nicht auf die Technik in 20 Jahren verweisen.

(Beifall von der SPD — Frau Hensel [GRÜNE]: Es muß endlich etwas passieren, Herr Stahl!)




Stahl (Kempen)

Es ist auch sehr kurzsichtig, wenn gegen die Mitbenutzung oder Vollauslastung benachbarter Müllverbrennungsanlagen oder gegen die Errichtung einer neuen Restmüllverbrennungsanlage die Kostenfrage ins Feld geführt und mit günstigen Kosten für die Ablagerung auf einer Deponie renommiert wird. Die Kostenfrage relativiert sich schnell, wenn man den Wert des geschonten Deponievolumens und sonstige Vorteile auf längere Sicht berücksichtigt. Die Deponie ist und bleibt ein wichtiges Standbein der Abfallentsorgung. Allerdings muß jede Deponie sicherheitsmäßig sehr groß und optimal bewirtschaftet werden. Letztendlich dürfen ihr nur solche Stoffe zugeführt werden, für die es absolut keine andere Verwertungsmöglichkeit gibt.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Richtig!)

Diese Entwicklung zeichnet sich — ja, so hoffen wir — auch ab, wenn die neue TA Abfall endlich kommt. Deshalb fragen wir als Sozialdemokraten: Herr Bundesminister, wann kommt sie nun tatsächlich?
Jeder Verantwortliche sollte sich wirklich darüber im klaren sein und entsprechende Weichen in seinem Verantwortungsbereich für Vermeidung, Verwertung und Restmüllverbrennung stellen.
Die Restverbrennung und die damit verbundene thermische Nutzung und Verwertung sowohl von Hausmüll als auch vom Sondermüll wird zukünftig einen immer höheren Stellenwert innerhalb einer verantwortbaren Entsorgungspolitik erhalten. Dies ist die einhellige Meinung aller Fachleute, sieht man einmal von sehr lauten, aber deutlichen Worten als Ausnahme ab.
Allerdings muß auch gesagt werden, daß nur mit Hilfe der neuen Techniken die Umweltbelastungen weiter reduziert werden können. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Diskussion eingehen, wie viele Schadstoffe eine moderne Müllverbrennungsanlage emittiert. Dies kann in zahlreichen seriösen Gutachten nachgelesen werden, die allen zugänglich sind. Insgesamt kann wohl gesagt werden, daß die zusätzliche Immissionsbelastung durch eine moderne Anlage in den meisten Fällen weit unterhalb der Grundbelastung in Reinluftgebieten liegt. Dieser hohe Stand muß auch in der EG durchgesetzt werden. Hierzu, Herr Bundesminister, sind Sie aufgefordert.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119429000
Herr Abgeordneter, sind Sie geneigt, eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hensel zu beantworten?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1119429100
Bitte schön.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119429200
Herr Kollege, Sie haben in Ihrem Redebeitrag zur neuen Technologie hauptsächlich eine Präferenz zur Müllverbrennung ausgesprochen. Ich frage Sie daher: Liegen Ihnen erstens die technologischen Planungen einer Hochsicherheitsdeponie vor, und haben Sie zweitens Kenntnis von einer Umweltverträglichkeitsbilanz zwischen den neuen Techniken einer neuen Sicherheitsdeponie und Müllverbrennungsanlagen? Es ist mir wichtig, Sie nach dieser Bilanz zu fragen.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1119429300
Verehrte Frau Hensel, ich habe den Eindruck, daß Sie mir nicht richtig zugehört
haben. Ich habe erst von der Abfallvermeidung gesprochen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ich rede von Entsorgung!)

Ich habe von der Recyclierung und von der Restmüllverbrennung gesprochen, die aber unabweisbar ist.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Wieso Verbrennung?)

— Naja, das ist doch die Müllverbrennung. Natürlich, das ist die thermische Müllverbrennung.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Ich habe nach einer Bilanz gefragt!)

Aber die Hochsicherheitsdeponien, die Sie angesprochen haben, halte ich nun wirklich, seien Sie mir nicht böse, für einen ausgemachten Schwachsinn, bezogen auf die lange Zeit, in der dort deponiert werden soll. Was soll dann später mit dem Müll gemacht werden? Soll er recycliert und auf Lastwagen durch die Bundesrepublik gefahren werden? Ich meine, dies sollten Sie selbst einmal beantworten.
Leider ist nun gerade die thermische Verwertung und Behandlung von Abfällen aller Art in eine, wie ich meine, nicht gerechtfertigte Akzeptanzkrise geraten. Die fehlende Akzeptanz kann nicht mehr allein durch toxikologische oder andere Gutachten hergestellt werden. Vielmehr wird die Frage entscheidend sein, ob die thermische Verwertung als ein Schritt in einem integrierten Abfallwirtschaftskonzept deutlich wird. Das heißt nichts anderes, als daß der Bürger vor Ort erkennen muß, daß alle Potentiale zur Vermeidung und Verminderung bzw. Verwertung von Abfällen auch wirklich genutzt wurden.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Und die fehlen!)

Dann und nur dann wird die Akzeptanz durch die Bürger wesentlich erhöht.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hier offen sagen, ich muß leider feststellen, daß es in diesem Bereich noch immer eine ganze Menge von Defiziten gibt, auch bei der Bundesregierung. Herr Töpfer, ich sage Ihnen in aller Freundschaft, gerade in der Aufklärung der Bevölkerung, was eben zur Akzeptanz gehört, haben Sie Ihre Schularbeiten noch nicht gemacht. Ich glaube, daß das ganz deutlich ist.

(Beifall bei der SPD)

Denn das geistige, wirtschaftliche und technische Potential ist bei uns vorhanden; es muß nur aktiviert werden.

(Beifall bei der SPD)

Die doch drängende Vermeidungsstrategie insgesamt dieser Bundesregierung ist meines Erachtens noch undeutlich. Ich meine, das notwendige überzeugende Gesamtprojekt zur Vermeidung — vor allem im Produktionsbereich — fehlt. Der Produktionsbereich ist ja nun wirklich ein wichtiger Bereich. Gehen Sie doch einmal durch ein Kaufhaus, und schauen Sie sich mal an, was dort alles an riesenhaften Verpackungen liegt und herumsteht.



Stahl (Kempen)

Bezeichnenderweise hab en die Regierungsparteien den Antrag der SPD zum Recycling von Katalysatoren, der auch heute auf der Tagesordnung steht, abgelehnt; nicht, weil es technisch nicht gehen oder wirtschaftlich kein Interesse daran bestehen würde, sondern — so die Stellungnahme der Regierungsparteien — ein akuter Handlungsbedarf momentan schon deshalb nicht gegeben sei, weil die Katalysatoren bedauerlicherweise langsamer als angenommen verbreitet würden.
Nun will ich nicht sagen, was der Staatssekretär am 1. Januar dazu gesagt hat, bezogen auf die große Menge, die da ist; aber unbestritten ist doch wohl, meine Herren von den Regierungsparteien, daß Sie unserem Antrag durchaus hätten zustimmen können, weil er zum erstenmal mit einem wichtigen Entsorgungsansatz in die Zukunft weist und wir vorher ein Problem angehen können, das umweltpolitisch von großer Bedeutung ist.

(Beifall bei der SPD)

Des weiteren entnehme ich den Antworten der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage der SPD zum Sondermüll, daß es über relativ einfache Dinge hinaus wohl noch ganz erhebliche Wissensdefizite geben muß. Aber so langsam muß der Bundesregierung meines Erachtens klarwerden, daß das Verweisen auf Länderzuständigkeiten, auf die Schwierigkeiten der statistischen Datenerhebung, auf getrennte Zuordnungsverfahren, die ja wohl nun endlich vereinheitlicht werden sollen, keine Lösung der drängenden Fragen darstellt. Auch fehlt der versprochene Bericht, Herr Bundesumweltminister Töpfer, zum Fortschritt in einem Jahr in der gemeinsamen Aktion Sondermüllentsorgung, die wir in Hannover gemeinsam beschlossen haben.
Ich möchte dabei auch folgenden Umstand nicht verhehlen. Sehr viel Manpower wird dadurch vergeudet, daß sich namhafte Wissenschaftler und entsprechende Fachbeamte auf Landes- und Bundesebene mit sogenannten wissenschaftlichen Untersuchungen auseinandersetzen müssen, die in der Bevölkerung für sehr viel Unruhe gesorgt haben.
Sehr interessant ist das folgende Beispiel. Der Leiter eines Hamburger Umweltinstituts errechnete, daß die Müllmenge, die beim Bau und Betrieb einer Abfallverbrennungsanlage anfällt, deutlich die Müllmenge übersteigt, die über die Betriebszeit von 20 Jahren verbrannt werden kann. In diesen Berechnungen waren wohl einige Unkorrektheiten enthalten, die das Ergebnis sehr verfälscht haben. Die Betriebszeit einer MVA war zu kurz angenommen. Der zu verbrennende Hausmüll wurde als Trockenmenge angegeben. Dies machte eine Reduzierung von über 33 To aus. Gleichzeitig wurde aber der Wassergehalt des Betons bei der Ermittlung des Eigengewichts in der Anlage nicht abgesetzt. Daß auch andere Abfallentsorgungseinrichtungen Abfall verursachen, wurde nicht in Erwägung gezogen. Zum Schluß: Das Eigengewicht der Anlage wurde mit über 55 000 t beziffert, obwohl sie nach Angabe des Herstellers nur knapp 19 t wog.
Meine Damen und Herren, dies ist ein Beispiel, wie bei uns in der Bundesrepublik mit dem ernsthaften Thema der Müllentsorgung, um das sich eigentlich
alle Parteien mit Ernst und Verantwortung kümmern sollten, umgegangen wird. Damit werden die Menschen in vielen Bereichen regelrecht verunsichert. Es gibt natürlich eine ganze Menge, die dann diesen Menschen glauben. Wir alle, in den Kommunen, in den Ländern und auch im Bund, auch als Abgeordnete, müssen da mit einen unwahrscheinlichen Aufwand geradestehen und ich weiß nicht wie lange diskutieren, um das eine oder andere klarzustellen.
Lassen Sie mich abschließen. Ich sprach vorhin von Verantwortung und vom Handeln. Den Stein der Weisen hat noch keiner gefunden. Aber lassen Sie uns trotz verschiedener Meinungen doch wenigstens gemeinsam das Notwendigste tun, damit die Politik bei den Bürgern glaubwürdiger wird. Ich meine, meine Damen und Herren, der Bürger hat ein Anrecht darauf.

(Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1119429400
Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Töpfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119429500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich glaube, wenn wir am 8. Februar 1930, also am Tag Ihrer Geburt, eine Debatte über Abfall geführt hätten, dann wäre sie ganz anders zu strukturieren gewesen. Was sich in der Zwischenzeit in den 60 Jahren getan hat, nehmen wir eigentlich alles als selbstverständlich hin, und wir sind der Meinung, daß die so veränderten Strukturen keine Auswirkungen auf Abfälle gehabt hätten.
Damals gab es Tante Emma mit ihrem Laden an der Ecke, heute gibt es den Supermarkt. Der Supermarkt unterscheidet sich von Tante Emma darin, daß bei Tante Emma mehr Arbeitskräfte und weniger Verpackung und im Supermarkt sehr viel Verpackung vorhanden ist, damit man sich selbst bedienen kann. Wir hatten in diesen 60 Jahren viele strukturelle Änderungen, die abfallintensiv sind. Wenn wir jetzt hier hinkommen und uns fragen, wie das zu ändern ist, dann darf man nicht übersehen, daß gerade diese Strukturen so bedeutsam sind. Das möchte ich an den Anfang stellen. Weil sie so bedeutsam sind, wollen wir sie nicht treiben lassen. Deswegen haben wir ein geschlossenes Konzept für die Abfälle in der modernen Industriegesellschaft entwickelt.
Es fängt, Frau Abgeordnete Hartenstein, bei der Frage der Vermeidung an. Das ist nicht nur geschrieben oder gesagt, sondern das ist im Gesetz fixiert, und zwar nicht im Abfallgesetz, sondern zunächst einmal im Bundes-Immissionsschutzgesetz. Dort steht nämlich in § 5 Abs. 1 Nr. 3, daß bei einem Genehmigungsverfahren für eine industrielle Produktion derjenige, der diese Genehmigung haben will, nachweisen muß, daß die dort noch „Reststoffe" genannten Abfälle nicht vermieden werden können, daß sie nicht wiederverwertet werden können und, wenn dies beides nicht der Fall ist, daß sie in einer bestimmten Weise entsorgt werden können. Dies ist seit Jahren geltendes Recht und muß von jeder Landesbehörde, von



Bundesminister Dr. Töpfer
jedem Gewerbeaufsichtsamt bei jedem Genehmigungsverfahren bei einer Industrieanlage ohne weiteres angewandt werden.
Ich bin der festen Überzeugung, daß in den Gewerbeaufsichtsämtern auch so verfahren wird. Ich habe selbst einmal in einem Land Verantwortung getragen.

(V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

Das, meine Damen und Herren, hat aber auch einen kleinen Nachteil. Das, was über eine solche Regelung an Abfällen vermieden wird, geht niemals in eine Statistik ein, denn es ist überhaupt gar nicht erst Abfall geworden, es ist vermieden worden. Genau das wollen wir ja. Die Tatsache, daß Sie Statistiken zur Vermeidung haben wollen, unterstellt eigentlich, daß etwas Abfall war. Wir wollen über § 5 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genau dies nicht erreichen. Dafür gibt es viele Beispiele.
Damit Abgeordnete aus der SPD-Fraktion sich immer darin wiederfinden: Der Kollege Matthiesen sagt landauf, landab, daß die Wiederverwertung und Vermeidung im industriellen Bereich in Nordrhein-Westfalen 50 % deutlich überschritten habe und er sich 70 % vornehme. Dies ist von mir hier nicht zu überprüfen. Ich weiß nur, daß andere Bundesländer ein ganzes Stückchen mit dabei sind.
Ich will als ersten Punkt dieses Konzepts deutlich machen: Wer über Abfallvermeidung spricht, muß in der Produktion beginnen und muß in der Industrie vom Abfall her denken lassen. Dafür gibt es § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Dieser Paragraph ist nicht eine Ankündigung, sondern ist Gesetz.
Wenn Sie sagen „machen", dann muß ich Ihnen wirklich sagen, daß auf der Grundlage unseres föderativen Staatsaufbaus für den Vollzug dieser Gesetze nun jeder zuständig ist, aber mit Sicherheit nicht die Bundesregierung.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Dies kann doch wohl niemand anders sehen. Dies ist Faktum und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage ja ganz ruhig und gelassen, daß es sehr viele Länder gibt, die diesen § 5 anwenden, und ich kann zur Ehre der Bundesländer auch sagen, daß es in der Zwischenzeit — wir haben das lange gewünscht — über den Länderausschuß für Immissionsschutz eine Musterverwaltungsvorschrift zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 gibt, die sogar schon in zwei Ländern umgesetzt ist.
Also, nehmen Sie doch bitte erst einmal zur Kenntnis: Die Bundesregierung hat gehandelt. Die Rechtsgrundlage ist gegeben. Vollzogen werden muß das in den Ländern, in den Genehmigungsverfahren. Hoffentlich sind wir uns einig darin, daß das gemacht werden muß.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wie ist das mit der TA Abfall, Herr Töpfer?)

— Das ist keine „TA Abfall" , Herr Abgeordneter Stahl, weil es gar nicht Abfälle sind; es sind Reststoffe. Sie können das als eine „TA Vermeidung" ansehen, wenn Sie es so wollen. Diese liegt vor; ich bin gern bereit, sie Ihnen zur Kenntnis zu geben.
Darüber hinaus haben wir natürlich über die Verwertung weiter nachzudenken. Ich nenne Ihnen jetzt gern die Teilbereiche, meine Damen und Herren, für die wir gerade jetzt Verwertungsgrößen erarbeiten
— Vermeidung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 —; Verwertungsvorschriften im Abfallgesetz sind erforderlich, soweit Abfälle schon nicht vermieden werden können.
Unter Beteiligung der Länder arbeiten z. B. unter der Federführung meines Ministeriums Arbeitsgruppen an der Festlegung für Verwertung von Aluminium, Salzschlacken, halogenhaltigen Lösemittelabfällen, Galvanik-Abfällen, Lackschlämmen und Gießereisanden, außerdem von anorganischen Säuren, Gipsen mit produktionsspezifischen Beimengungen, halogenfreien anorganischen Lösemittelabfällen sowie Öl- und Schleifmittelemulsionen. Dies sind alles Teilbereiche, die wir zusammen mit den Ländern vorlegen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie uns hier immer fragen, wo denn, bitte schön, die TA Abfall bleibe, dann antworte ich: Den ersten Teil haben wir ja glücklicherweise nach langen Monaten der Diskussion im Bundesrat durchgesetzt — allerdings mit für uns sehr schmerzlichen Abstrichen durch die Bundesländer. Die Bundesländer haben sich z. B. nicht darauf einigen können, einen einheitlichen Sonderabfallbegriff mitzutragen. Wir haben das sehr gewollt. Weil wir uns darüber Gedanken machen müssen, ob wir eine so veränderte TA Sonderabfall machen, muß jetzt das Bundeskabinett erneut darüber befinden. Wir werden sie notgedrungen so akzeptieren, weil sie ein wichtiger Schritt nach vorn ist.
Der zweite Teilbereich ist im Dezember des letzten Jahres im Anhörverfahren gewesen, und der dritte Teilbereich — für die Siedlungsabfälle, für die Anforderungen an Deponien für Hausmüll — steht natürlich in besonderer Weise wiederum in der Diskussion mit den Bundesländern, weil wir meinen, wir müssen sehr hohe Anforderungen an die Deponien stellen, während das bei den einzelnen Bundesländern sehr vorsichtig behandelt wird; etwa die Anforderung, daß nur noch inertisierte und mineralisierte Abfälle deponiert werden können, ist ein Streitpunkt zwischen Bund und Ländern. Ich muß aber eine Verwaltungsvorschrift vorlegen, die auch im Deutschen Bundesrat akzeptabel ist. Deswegen führen wir diese Diskussion.
Sie dürfen doch nicht übersehen, daß die Bundesrepublik Deutschland weltweit das erste Land ist, das sich die Aufgabe gestellt hat, eine Technische Anleitung Abfall zu erstellen. Es gibt eine solche Sache in der Welt nicht. Deswegen diskutieren wir das richtigerweise mit den Ländern.
Frau Abgeordnete Hartenstein, ich möchte noch einmal herzlich darum bitten, daß Sie zur Kenntnis



Bundesminister Dr. Töpfer
nehmen, daß der Bundesumweltminister Mitglied der Umweltministerkonferenz ist.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Das ist mir klar, Herr Minister! Das ist gar nicht neu!)

Die Umweltministerkonferenz hat uns überhaupt nichts ins Stammbuch geschrieben; denn das, was Sie hier vorgelesen haben, ist von uns entwickelt und von uns getragen worden. Dies ist der Punkt. Sie können mir also von der Umweltministerkonferenz beim allerbesten Willen nichts ins Stammbuch schreiben lassen. Dies haben wir uns als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern vorzunehmen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wir müssen Sie doch nicht nur streicheln! — Frau Hensel [GRÜNE]: Das sind alles nur Verbaläußerungen!)

So ist unsere Position. — Nein, das sind keine Verbaläußerungen. Ich sage es noch einmal: Die rechtliche Grundlage für die Vermeidung liegt vor; sie kann genutzt werden. Sie ist doch auch bei vielen Bereichen genutzt worden.
Für jemanden, der jetzt zwei oder drei Jahre in diesem Hohen Hause zum Thema Abfall mit diskutieren kann, ist es geradezu — ich sage es einmal ganz vorsichtig — überraschend, daß die Dünnsäureverklappung, die zu mehreren Diskussionen — ich glaube, auch zu Aktuellen Stunden — geführt hat, nun eingestellt ist. Zwei Millionen Tonnen werden nicht mehr verklappt. Aber da wird gesagt, das ist kein Erfolg, sondern eine Selbstverständlichkeit.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das war eine Meisterleistung der Dame!)

Daß wir, meine Damen und Herren, damit die ersten in Europa sind und daß wir leider Gottes bis zur Stunde Frankreich und England immer noch nicht so weit haben, wird dann, weil es schon als Selbstverständlichkeit angesehen wird, gar nicht mehr wahrgenommen. Daß wir etwa mit der Umstellung der Lakkierereien in unseren Automobilproduktionen von lösemittelhaltigen Lacken auf wasserlösliche Lacke unglaublich viele Abfälle vermeiden, das geht in Ihre Statistik nicht ein,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Doch!)

ist aber eine ganz wichtige Vorgehensweise, meine Damen und Herren.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Was wirklich gemacht wird, bestreitet keiner!)

Also tun wir doch bitte nicht so, als seien wir hier nicht einen wesentlichen Schritt vorangekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich nur einen kleinen Satz zur DDR sagen, weil das hier angesprochen worden ist. Sehr verehrte Frau Abgeordnete Hartenstein, wenn Sie sich einmal die Freude machen würden, das, was Sie hier gesagt haben, Ihrem Parteifreund Kuhbier zu erzählen, wäre ich Ihnen herzlich dankbar. Denn er hat uns vor wenigen Tagen oder sogar heute, glaube ich, wieder mitgeteilt, daß Schönberg die sicherste und beste Deponie überhaupt ist. Ich sage: Für die DDR hat er sogar recht. Wenn wir über Sanierung der Abfallbeseitigung in der DDR zu reden haben, dann werde ich dazu eine ganz sichere Prognose abgeben können, nämlich daß wir nicht bei Schönberg anfangen können und dürfen, sondern daß wir in der DDR an ganz anderen Stellen als in Schönberg anfangen müssen, über Abfallprobleme sanierend nachzudenken — an ganz anderen Stellen! Meine Mitarbeiter sind gerade aus Buna zurückgekommen. Also seien wir doch bitte auch hier ein Stückchen nachdenklicher; nicht weil ich mich aus einer Aufgabe verabschieden will, sondern weil wir sie ein Stück vorangetragen haben und sie auch weiter entsprechend lösen können. Die Rechtsgrundlagen dafür sind vorhanden, und wir werden sie auch entsprechend anwenden.
Nun geht es um die Frage, wie wir zur weiteren Vermeidung und Wiederverwertung des Abfalls kommen. Da haben wir Zielvorgaben. Zunächst einmal kann ich nicht umhin, festzuhalten: Dies ist im Gesetz so fixiert. Ich möchte aber eines unterstreichen, was die Abgeordneten Schmidbauer und Baum hier auch gesagt haben. Es ist doch nicht im Gesetz enthalten, daß der Weg „Zielsetzung: warten — wenn nicht erfüllt: Verordnung" lautet. Genau das haben wir doch bei der Frage der Kunststoffflaschen nicht getan. Wir haben der Industrie damals gesagt: 80 % Wiederverwertung! Die Industrie hat uns im selben Monat zu verstehen gegeben: Das können wir nicht. Daraufhin haben wir einen Monat später eine Verordnung gemacht. Das heißt, ich bin doch jetzt in gar keiner Weise in einem Wartezustand. Wenn man mir dann hinterher sagt, daß das nicht geht, dann komme ich mit einer Verordnung. Wir haben schlicht und einfach dem Gesetz Rechnung getragen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist das einzige Beispiel, was Sie haben!)

— Der Abgeordnete Schmidbauer hat die anderen Beispiele gebracht; ich will das hier nicht fortführen.
— Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz schlicht und einfach, daß wir das an derselben Stelle auch tun werden, wenn unsere Zielvorgaben nicht erfüllt werden. Ich sage das ohne Drohung gegenüber der Wirtschaft, sondern treffe nur klare Aussagen.
Ich bin ja jetzt durchaus in der guten Situation, daß wir von Graf Lambsdorff einen Vorschlag über eine duale Abfallwirtschaft vorgetragen bekommen haben. Das, was dort entwickelt worden ist, findet sich in den Zielsetzungen über Kunststoffabfälle voll wieder. Der erste Grundsatz heißt dort: Vorschläge vom Einzelhandel und den Verpackungsherstellern für den Aufbau von Rücknahmesystemen außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung. Das ist die duale Schiene. Wir warten darauf, daß jetzt hier die Industrie kommt. Wenn sie es — und das ist eine relativ knappe Vorgabe — bis zum 31. Juli 1990 nicht tut, dann sind wir doch wieder im Instrument der Verordnung. Der Abgeordnete Schmidbauer hat es mehrmals erwähnt.
Also tun wir doch bitte nicht so, als wäre die ganze Umweltpolitik und die Abfallpolitik der Bundesregierung auf Zielvorgaben ausgerichtet. Nein, wir geben der Wirtschaft die Möglichkeit, dies zu erarbeiten,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Und das seit 15 Jahren!)




Bundesminister Dr. Töpfer
und wenn das nicht klappt, sind wir natürlich im rechtlichen Bereich wieder handlungsbereit. Wir werden das tun bis hin zur Kunststoffkennzeichnung. Alles das — ich sage es noch einmal —, was uns in der dualen Abfallwirtschaft mit vorgeschlagen worden ist, ist in diesen Zielsetzungen enthalten.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Fangen Sie doch mal mit PVC an! Der Antrag liegt vor!)

Wir werden das sehr intensiv weiterverfolgen. Wir sind sehr, sehr interessiert daran, welche Möglichkeiten daraus entstehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ganz deutlich sagen, daß wir uns wegentwickeln sollten von der dauernden Frage, wie denn die Mengen im Sonderabfallbereich steigen. Wir sollten uns doch wirklich einig sein, daß nicht der am umweltvorsorgendsten tätig ist, der wenig Mengen macht, sondern der, der alles das, was wirklich einer gesonderten Behandlung zugeführt werden muß, auch als Sonderabfall kennzeichnet, damit es vernünftig entsorgt wird.
Natürlich haben wir durch die TA Sonderabfall einen Anstieg von Sonderabfällen, nicht weil es mehr Sonderabfälle gibt, sondern weil wir noch anderes als Sonderabfall definiert haben. Dies ist doch ganz selbstverständlich und ist ja richtig.
Also, zusammengefaßt, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist keineswegs der Überzeugung, daß es nicht ein geschlossenes Konzept der Abfallpolitik gibt, im Gegenteil: Wir haben die Rechtsgrundlagen dafür geschaffen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist das Sicherheitskonzept der Bundesregierung!)

Wir sind der guten Hoffnung, daß wir sie in der Umweltministerkonferenz gemeinsam mit den Kollegen der Länder auch durchsetzen. Wir sind der festen Überzeugung, daß auf diesem Gebiet weiter gehandelt werden muß, ohne jeden Zweifel. Wir sind auch der Überzeugung, daß ein Abfallexport nicht stattfinden darf,

(Frau Hensel [GRÜNE]: Dann verbieten Sie ihn!)

und er findet legal nicht statt. Denn jeder Sonderabfallexport bedarf einer Genehmigung, und alle Bundesländer, die diese Genehmigung aussprechen müßten, haben definitiv festgelegt, daß es eine Genehmigung für Sonderabfallexporte nicht gibt. Dies ist eine klare Fixierung.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Herr Vetter sagt was anderes!)

— Also, ich kann nur sagen, daß der Vollzug der Angelegenheit nun wiederum nicht bei der Bundesregierung, sondern bei den Bundesländern liegt und daß von daher gesehen durchaus auch hier ein Riegel vorgeschoben worden ist. Wir werden diesem Hohen Hause aber das Ratifizierungsgesetz für die Baseler Konvention vorlegen, so daß das auch von der gesetzlichen, rechtlichen Seite her noch einmal voll abgesichert wird. In der Zwischenzeit steht aber diese Regelung auch klar fest.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119429600
Herr Bundesminister, Sie gestatten noch eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119429700
Ja.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119429800
Bitte sehr. Frau Hensel (GRÜNE): Danke sehr.
Herr Minister Töpfer, ist Ihnen auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN zu Abfallexporten bekannt, in der Sie als Bundesregierung ganz klar formulieren, daß die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen nicht gewährleistet sein kann, da es gerade in den Empfängerländern ebenso wie bei den exportierenden Firmen wohl unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was Abfallstoff ist, was Wirtschaftsgut und was Reststoff ist, so daß von daher Ihre Aussage, es sei ein eindeutiges Verbot vorhanden, so nicht ganz richtig ist?
Als nächstes wollte ich Sie noch fragen,

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Eine Zehn-Minuten-Frage!)

ob dieses Verbot absolut gilt oder ob Sie nicht auch der Auffassung sind, wie Sie es selbst sagen, daß es sehr wohl auch Einschränkungen dieses Verbotes gibt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1119429900
Ich bleibe, Frau Abgeordnete Hensel, genau bei der Aussage, die ich gemacht habe. Es gibt keine legalen Exporte von Sondermüll aus der Bundesrepublik Deutschland in Nicht-EG-Länder; sie gibt es nicht.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das heißt, Sie wissen es nicht!)

Ich habe deutlich gesagt, daß es keine legalen Exporte gibt. Es ist damit eigentlich auch immer die Besorgnis verbunden, daß etwas am Gesetz vorbei gemacht wird. Aber ob Sie das im Gesetz verbieten oder auf dem gekennzeichneten Weg machen, ist ja wohl genau dasselbe.
Die Besorgnis, daß etwas in Europa noch unterschiedlich deklariert wird, ist sehr groß; das gebe ich sehr gerne zu. Ich wäre herzlich dankbar, wenn wir der Aufforderung des Abgeordneten Stahl nachkommen könnten und die Europäische Gemeinschaft dazu bringen könnten, in gleicher Weise eine TA Abfall mit zu erarbeiten, wie wir sie hier vorlegen. Das würde wirklich die Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft im Abfallbereich wesentlich erleichtern, und es wäre eine gute Voraussetzung, wirklich auch hier ein Stück Harmonisierung zu erreichen.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß noch weitere abfallwirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden können, aber daß wir ein wesentliches Stück vorangekommen sind.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119430000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/4127.
Der Ausschuß empfiehlt, nach zustimmender Kenntnisnahme des Berichts der Bundesregierung den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/1429 anzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es gibt eine Enthaltung. Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1631 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist damit diese Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Nr. 2, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1624 abzulehnen. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/6375 (neu). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4265 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6207 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/4400 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1151 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist die Ausschußempfehlung angenommen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/5170 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Luuk,
Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik — Drucksache 11/5666 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Redezeit von einer Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1119430100
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeit, in der die deutsche und die ost- und mitteleuropäische Entwicklung alles dominiert, ist es, glaube ich, sehr gut, wenn wir uns einmal die Zeit nehmen, auch über Entwicklungspolitik zu reden. Somit freue ich mich, daß dieser Antrag heute auf der Tagesordnung steht.
Wenn wir uns mit dem Thema Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik beschäftigen, dann geht es um ein zentrales Thema. Es geht um ein Thema, das schon längst nicht mehr nur in Fachkreisen diskutiert wird, sondern das auch in der breiten Öffentlichkeit immer wieder auf Resonanz stößt; in der Regel allerdings nur dann, wenn die Entwicklungspolitik in Bausch und Bogen abqualifiziert wird oder wenn einzelne Fälle zu Skandalen in den Medien hochgezogen werden.
Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat im März 1986 auf derartige Kritiken mit einer öffentlichen Anhörung — Entwicklungspolitik, Bilanz und Perspektiven — reagiert. Ich meine, die Anhörung und auch die Stellungnahmen der Fraktionen sind nicht geeignet, die Kernfrage: Wie erfolgreich ist eigentlich unsere Entwicklungspolitik? zu beantworten. Auch wichtige Hinweise — z. B. auf die Bedeutung des ungerechten Weltwirtschaftssystems oder auf relevante interne Rahmenbedingungen eines Landes — helfen uns da nicht weiter. So richtig und so wichtig all diese Themen auch sind, die Kernfrage, die wir in der Entwicklungspolitik zu lösen haben, ist doch: Werden die Gelder aus dem Einzelplan 23 erfolgreich im Sinne unserer entwicklungspolitischen Ziele eingesetzt, leisten die Projekte einen positiven Beitrag zu dem, was wir in der Entwicklungspolitik erreichen wollen und was die Brundtland-Kommission einmal dauerhafte und tragfähige Entwicklung genannt hat? Nach rund 30 Jahren bundesrepublikanischer Entwicklungspolitik kann diese Frage niemand begründet beantworten. Dies bestätigt auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema. Das ist eine Situation, die ich als Entwicklungspolitikerin als ausgesprochen peinlich empfinde. Da laufen wir als Politiker und Politikerinnen durch die Gegend, fordern mehr Geld für die Entwicklungshilfe, und letztendlich kann niemand von uns sagen, ob es wirklich dort ankommt, wo wir es ganz gern hätten, von Einzelinformationen, von



Frau Dr. Niehuis
Einzelbeurteilungen, von subjektiven Einschätzungen einmal abgesehen.
Dabei geht es zunächst einmal um die Frage: Was ist denn eigentlich eine erfolgreiche entwicklungspolitische Maßnahme? Für mich gibt es auf diese Frage nur eine Antwort, die wir übrigens überall lesen und hören können: Wir wollen durch unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen Hilfe zur Selbsthilfe geben, d. h. wir geben über einen begrenzten Zeitraum finanzielle, organisatorische und/oder technische Unterstützung, damit dann ein Träger oder eine Zielgruppe im Partnerland die Aktivitäten eigenständig und dauerhaft mit positiven Ergebnissen auch ohne unsere Unterstützung weiterführen kann. Nur wenn unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen dieses Ziel erreichen, können sie als erfolgreich gelten. Dieses Kriterium, die Nachhaltigkeit, ist das entscheidende Erfolgskriterium.
Also könnte man meinen: Immer dann, wenn von Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik die Rede ist, geht es in erster Linie auch um die Überprüfung der Nachhaltigkeit unserer entwicklungspolitischen Bemühungen. Dieses war und dieses ist mitnichten der Fall. Ich kann nur mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, daß das Development Assistant Committee, DAC, der OECD erst 1986 seinen Mitgliedsländern empfohlen hat, die Nachhaltigkeit von Projekten zu überprüfen. Auch wir, die wir seit 1961 ein eigenständiges Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben und seit 1976 ausgewählte Projekte evaluieren, sind nicht auf die Idee gekommen, die Nachhaltigkeit zu überprüfen. Ebenfalls erst seit 1986 wird die Nachhaltigkeit der Projektwirkung bewertet, und Bewertung ist dabei noch längst keine Überprüfung der Nachhaltigkeit. Dieses geschieht im BMZ bis heute nicht, aber dazu später.
Dennoch hat das Nachhaltigkeitsthema immer wieder Hochkonjunktur. Der spekulative Rahmen ist der Nährboden für Rosinenpickerei, aber auch für so manchen Wahrsager oder auch Wahrsagerin. Die einen sehen alles in den Sand gesetzt, und nichts wird Bestand haben, die anderen — dazu gehört das BMZ — sehen die Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit von Projektwirkungen durch bessere Projektplanung und bessere Projektdurchführung erheblich verbessert. Es sind also zwei Spekulationen, und man kann sich entscheiden, welcher Richtung man eher zu glauben geneigt ist. Das ist ein unhaltbarer Zustand, und das ist auch keine gute Grundlage für eine überzeugende Entwicklungspolitik. Wenn so etwas Naheliegendes wie die Überprüfung der nachhaltigen Wirkung unserer Entwicklungszusammenarbeit nicht geschieht, dann gibt es in der Regel auch ganz naheliegende Gründe, und ich glaube, in diesem Fall gibt es sie auch.
Entwicklungspolitik, wie wir sie heute verstehen, ist noch eine ganz junge politische Richtung. Sie ist nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem Sammelsurium zum Teil widersprüchlicher Motive und Rationalisierungen entstanden. Wenn auch die Vereinten Nationen 1948, als sie sich den unterentwickelten Regionen, wie es damals hieß, zuwendeten, die wirtschaftliche Entwicklung eben dieser Regionen im Auge hatten, so haben sich doch bald ganz andere Motive beigemischt. In den USA, wo Präsident Truman 1949 noch — ich zitiere — „weltweite Bemühungen zur Erlangung von Frieden, Wohlstand und Freiheit" proklamierte, überwogen bald in den 50er und 60er Jahren die Stimmen, die den Nutzen der sogenannten Auslandshilfeprogramme für die amerikanische Wirtschaft herausstellten.

(Zustimmung der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD])

Immer mehr Staaten befreiten sich aus der Kolonialherrschaft, und die amerikanische Wirtschaft hatte in der Tat auf dem Weltmarkt neue Perspektiven. Die Unabhängigkeit immer neuer Staaten beförderte im Zuge des Kalten Krieges noch ein weiteres Motiv. Durch Auslandshilfe sollte die Ausweitung des kommunistischen Blocks verhindert werden.
Dieses Gemisch aus außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Motiven brachte Präsident Nixon 1968, meine ich, ganz gut auf einen klaren Nenner, indem er sagte — ich zitiere — :
Wir wollen eines nicht vergessen: Das Hauptziel unserer Hilfe ist nicht, anderen Nationen zu helfen, sondern uns selbst.

(Frau Eid [GRÜNE]: Das hat Herr Warnke mit anderen Worten auch so gesagt!)

Solche Einschätzung hat dann gar nichts mit Entwicklungspolitik zu tun.
Diese Motive übernahmen auch die westeuropäischen Staaten, wobei bei vielen von ihnen als den damals führenden Kolonialmächten noch Schuldgefühle hinzukamen. Auch das bei uns 1961 als eigenständiges Ministerium aufgebaute BMZ entstand aus einem außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Gemisch, das den ersten Entwicklungsminister Walter Scheel damals zu der Aussage veranlaßt hat — ich zitiere — : „Je vager und doppeldeutiger die Kompetenzen formuliert werden, desto besser."
Wenn Entwicklungspolitik von anderen politischen Interessen überlagert wird, ist es doch kein Wunder, daß eigenständige entwicklungspolitische Ziele und deren nachhaltige Förderung von geringerem Interesse sind und damit auch nicht überprüft werden. Wenn die SPD-Fraktion mit ihrem Antrag jetzt fordert, daß die Nachhaltigkeit und damit der dauerhafte Erfolg der entwicklungspolitischen Maßnahmen überprüft wird, dann fordert sie damit auch, daß die entwicklungspolitischen Ziele als solche ernstgenommen und nicht mehr von anderen politischen Interessen überlagert werden.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD])

Um dieses Ziel zu erreichen, muß allerdings auch von einigen Gewohnheiten Abschied genommen werden. Wenn wir heute feststellen müssen, daß die Nachhaltigkeitsfrage erst seit einigen Jahren in die fachpolitische Diskussion gekommen ist, müssen wir auch feststellen, daß die fachspezifische Wissenschaft die Nachhaltigkeit — von Einzelstudien einmal abgesehen — bisher überhaupt nicht thematisiert hat. Ähnlich dem politischen Feld fand auch die Wissenschaft mehr Interesse an der globalen Auseinandersetzung mit dem Thema „Dritte Welt" oder an der



Frau Dr. Niehuis
Konzipierung von Programmen. Forschungsdefizite gibt es dann dort, wo es um die empirischen Wirkungsanalysen des Erdachten geht. Wir alle wissen aber, daß entwicklungspolitische Wirkungsanalyse insbesondere unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit eine ausgesprochen vielseitige und vielschichtige Aufgabenstellung ist. Insofern wäre eine wissenschaftliche Zuarbeit genau an dieser Stelle sehr wünschenswert.
Dies wird die Wissenschaft aber nur können, wenn sie auch Datenzugang hat. Hier allerdings treffen wir wieder auf eine Serie von Empfindlichkeiten, die mit vielen Worten wegrationalisiert werden. Von einer offenen Wissenschaftspolitik ist das alles sehr weit entfernt. Wenn es um die Evaluierungsberichte geht, scheut man das Licht der Öffentlichkeit. Daran ändert doch, Herr Minister, auch die Tatsache nichts, daß das BMZ nun zum viertenmal die Querschnittsauswertungen veröffentlicht. Diese sind so vage und so allgemein formuliert, daß Interessierte von dem Erkenntniswert dieser Broschüren nur enttäuscht sein können.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD] und der Abg. Frau Eid [GRÜNE])

Für den Fall aber, daß ein Leser die eine oder andere Aussage wirklich einmal verwerten sollte, hält sich das BMZ ein Hintertürchen offen, indem es jederzeit darauf verweisen kann, das alles sei ja nicht repräsentativ.
In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema hat die Bundesregieung deutlich gemacht, daß sie — ich zitiere — „derzeit nicht beabsichtige, von ihrer bewährten Praxis abzugehen, Evaluierungsberichte vertraulich zu behandeln".

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Hört! Hört!)

Das einzig Erfreuliche ist an dieser Stelle das Wort „derzeit", weil das zumindest auf eine bessere Zukunft hoffen läßt. Auch die Evaluierungsergebnisse der staatlichen und nichtstaatlichen Durchführungsorganisationen werden weiterhin vertraulich behandelt werden. Diese Tatsache macht mich nun allerdings unsicher. Da stelle ich mir die Frage, ob ich denn wirklich in dem Ausschuß bin, von dem ich bisher immer gemeint habe, daß ich in ihm wäre, nämlich im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, oder ob ich denn nicht unversehens in die Parlamentarische Kontrollkommission gerutscht bin.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Da ist gerade ein Platz frei geworden!)

Diese Frage stelle ich mir ganz besonders, wenn ich mir folgendes vor Augen führe — einfach nur einmal zur Klarstellung — : Alle, die mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun haben, versichern einander, diese internationale Arbeit sei wichtig, nützlich und politisch sinnvoll, weil es um das Wohlergehen der Menschen in den armen Ländern gehe. Dies macht die Arbeit ja auch so erfreulich. Daran arbeiten alle, Geberländer, Empfängerländer, Counterparts, Durchführungsorganisationen, alle; das Ziel ist klar und von allen akzeptiert. Wenn es jetzt aber um die Frage geht, ob nun der Weg X oder der Weg Y besser zum Erfolg führt, darf diese Frage nicht einmal untersucht wer-
den und schon gar nicht öffentlich kontrolliert werden. Angesichts des Anliegens, um das es uns allen geht, ist diese Geheimhaltungspraxis übertrieben und auch nicht angebracht; sie ist eher schädlich als nützlich für die Entwicklungspolitik.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie rechtfertigen diese Geheimhaltung — das ärgert mich, und das will ich auch ganz offen sagen — mit einem Satz in Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage, und dieser Satz heißt: „Eine Veröffentlichung würde tendenziell dazu führen, daß kritische Äußerungen im Zweifelsfall unterbleiben, da die Gutachter befürchten müssen, zitiert zu werden und sich öffentlich rechtfertigen zu müssen." — Wäre ja schlimm! Sie sollten sich einmal — das wäre meine Empfehlung — mit Ihren 736 Gutachtern zusammensetzen. Leider sind davon nur 42 Frauen; das sind gerade 5 %. Sie sollten diese Gutachter fragen, ob sie mit dieser Beschreibung ihres Charakters und ihrer Persönlichkeit überhaupt einverstanden sind. Wenn das wirklich die zutreffende Beschreibung der Gutachterpersönlichkeiten ist, dann sollten Sie sich von diesen Gutachtern trennen. Gutachter, die kein Rückgrat haben, kann man in diesem Bereich mit Sicherheit nicht brauchen.

(Frau Eid [GRÜNE]: In anderen Bereichen auch nicht!)

Was meinen Sie wohl, wie viele Interessen vor Ort auf einen Gutachter einstürmen, wenn es darum geht, ein bestimmtes Evaluierungsergebnis zu erreichen? Was so ein Gutachter braucht, sind mit Sicherheit, Rückgrat, Sachverstand und Qualifikation. Und mehr wird er in der öffentlichen Auseinandersetzung, wenn es denn dazu käme — wir wären ja glücklich, wenn sich die Öffentlichkeit damit auseinandersetzte — , auch nicht brauchen.
Ich bin überzeugt davon, eine offenere Politik in diesem Zusammenhang, eine offenere Wissenschaftspolitik, würde beiden helfen, dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und der Entwicklungspolitik und insbesondere ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit. Darum fordern wir in unserem Antrag diese Offenheit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun zu dem, worauf Sie — da bin ich ganz sicher — regierungsseitig gleich mit Stolz verweisen werden, nämlich auf die Arbeit des Referats Zentrale Erfolgskontrolle entwicklungspolitischer Maßnahmen. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, daß dieses Referat ausgesprochen gute Arbeit leistet. Aber ich verweise auch auf die gemeinsame Vereinbarung der Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe, also wieder DAC, vom 5. Dezember 1989 in Paris, in der es unter Punkt 28 u. a. heißt — ich zitiere — :
Wir werden die Evaluierung der mit Entwicklungshilfe finanzierten Projekte und Programme fördern.
Genau darum geht es.
Aber von Förderung kann doch keine Rede sein, wenn das entsprechende BMZ-Referat mit nur zwei Referentenstellen und einer Sachbearbeiterstelle ausgestattet ist. In anderen Ländern schenkt man der



Frau Dr. Niehuis
Erfolgskontrolle personell viel mehr Aufmerksamkeit. Dazu gehören interessanterweise insbesondere jene Länder, die den von den Vereinten Nationen herausgegebenen 0,7-Prozent-Richtsatz einhalten bzw. ihm viel näherkommen als die Bundesrepublik; denn, wie Sie wissen, ist die Bundesrepublik mit ihren 0,39 % in der unteren Reihe der DAC-Länder.
Ich bin fast geneigt, hier eine Beziehung herzustellen: Wer die Entwicklungspolitik ernst nimmt, nimmt auch die Erfolgskontrolle ernst und stattet beide mit guten und genügend Mitteln aus. Darum fordert die SPD-Fraktion in ihrem Antrag auch eine bessere personelle Ausstattung des Referats Zentrale Erfolgskontrolle.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was wird nun in diesem Referat geleistet? In jedem Fall wird auf Sparflamme gekocht. In der Bundesrepublik werden mit 3 % aller Projekte erheblich weniger einer Erfolgskontrolle unterzogen als in anderen westlichen Industrieländern, deren Quoten zwischen 15 und 20 % liegen. Bei uns ist es also gerade ein Sechstel dessen, was sonst so üblich ist. Sie wissen selbst, daß dies eine bescheiden kleine Zahl ist. Sie rechtfertigen in den Vorworten Ihrer veröffentlichten Querschnittsauswertungen diese kleine Zahl auch, indem Sie darauf verweisen, daß auch die Durchführungsorganisationen zusätzlich Erfolgskontrollen durchführen. Die Frage, ob Erfolgskontrollen, vom BMZ durchgeführt, den gleichen Stellenwert haben wie Erfolgskontrollen, die von Durchführungsorganisationen durchgeführt werden, ist sicherlich eine Frage, die diskussionswürdig wäre. Aber aus Zeitgründen sollten wir darüber im Ausschuß diskutieren.
Mir geht es jetzt vielmehr um die Frage: Was für Erfolgskontrollen werden überhaupt durchgeführt? Es sind fast ausschließlich Erfolgskontrollen, die während der Projektlaufzeit durchgeführt werden und mit dem Projektende auch enden.
Wenn also im Rahmen einer solchen Projektverlaufskontrolle unter unterschiedlichen Gesichtspunkten das Projekt als gut und effektiv bewertet wird, dann gilt das ganze Projekt als effektiv. So geht es nicht. Hier liegt ein Definitionsfehler vor. Hier werden Weg und Ziel in der Erfolgskontrolle Schlichtweg miteinander verwechselt.
Was heißt das am ganz konkreten Beispiel? Wenn wir ein Beratungsprojekt haben, durch das bäuerlichen Familien die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ermöglicht werden soll, dann ist doch das Ziel des Projekts nicht damit erreicht, daß wir feststellen, daß während der Projektlaufzeit einfühlsam, umsichtig und alles berücksichtigend beraten wurde, sondern das Ziel des Projekts ist doch erst dann erreicht, wenn die bäuerlichen Familien auch Jahre nach Projektende eine gesteigerte landwirtschaftliche Produktion haben.
Mit unserem Antrag fordern wir, daß wir endlich einmal überprüfen, ob dieses entwicklungspolitische Ziel auch erreicht wird. Das wird nicht gemacht. Es geht um die Überprüfung der Nachhaltigkeit unserer Maßnahmen. Diese kann nicht während der Laufzeit der Projekte überprüft werden, weil sie dann nur
durch theoretische Annahmen und Vermutungen dem Anschein nach bewertet wird. Darum fordern wir Ex-post-Analysen, also Erfolgskontrollen Jahre nach Beendigung der Projekte. Wenn die Bundesregierung die von ihr genannten Faktoren ernst nimmt, von denen sie vermutet, daß sie für die Nachhaltigkeit von Projekten wichtig sind, müssen erst recht Ex-postAnalysen vorgenommen werden. Denn es sind eben nicht nur projektinterne Faktoren, sondern ebenso die politischen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Rahmenbedingungen eines Landes und ihre Veränderungen, die auch nach Projektende die Nachhaltigkeit eines Projektes beeinflussen. Diese nun wieder sind von Land zu Land verschieden.
Darum ist es nur zu bedauern, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, länderspezifische Aussagen zu diesem Thema zu machen. Auch das möchten wir ändern. Denn wie wollen wir denn — wie der Titel der ersten Querschnittsauswertung heißt — aus Fehlern lernen, wenn wir gar nicht wissen, wie es im Land XY ist, warum das im Land XY so ist, wie es bei den Durchführungsorganisationen aussieht und wie es zehn Jahre später ist. Erst wenn wir das wissen und es mit der Projektanlage vergleichen, haben wir eine reelle Chance, aus den Fehlern zu lernen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, die SPD-Fraktion hat den Antrag „Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik" vorgelegt. Wir wünschen uns eine intensive Diskussion gerade über dieses Thema. Ich bin ganz sicher: Am Ende dieser Diskussion werden Sie unserem Antrag dann auch zustimmen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119430200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pinger.

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1119430300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer hat nicht die Bilder vor Augen: Da wird feierlich eine neue Straße übergeben, errichtet von einer deutschen Firma und finanziert mit Entwicklungshilfegeldern. Der Präsident des Entwicklungslandes ist höchstpersönlich erschienen und schneidet mit einer großen Schere das trennende Band durch. Die Straße wird freigegeben, und der deutsche Botschafter ist stolz auf die Leistung der Bundesrepublik Deutschland. Beste Qualität und zeitgerechte Übergabe: ein Grund zum Feiern. Einige Jahre später ein ganz anderes Bild: Die Schlaglöcher sind im Laufe der Zeit immer größer geworden. Die Straße ist- streckenweise nicht mehr befahrbar. Man weicht wieder auf die alte Sandpiste aus. Während der Regenzeit ist der Straßenverkehr ganz unterbrochen.
Wer kennt nicht die gleiche Entwicklung bei einer Industrieanlage, die später dann doch nur mit einer Kapazität von 20 % oder 30 % gefahren werden kann und sich als betriebswirtschaftliches Desaster darstellt: zu schwaches Management, zuwenig qualifizierte Fachleute, fehlende Rohstoffe, sporadisch gelieferte Energie und jedes Jahr rote Zahlen.



Dr. Pinger
Die Liste läßt sich beliebig erweitern um die Gesundheitsstation, aus der inzwischen die DED-Leute abgezogen worden sind, um das Ausbildungszentrum, in dem man kaum noch Lehrlinge an inzwischen reparaturbedürftigen und veralteten Maschinen findet. Das sind alles Projekte, die zum Zeitpunkt der Übergabe die Note „Sehr gut" erhielten und nach einigen Jahren nur mit „Ungenügend" bewertet werden können. Die Nachhaltigkeit des Projektes war nicht gegeben. Wir kennen das alles.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will eine kritische, regelmäßige und umfassende Wirkungskontrolle aller geförderten Entwicklungsprojekte

(Dr. Holtz [SPD]: Einige tausend!)

— seien es private oder staatliche — und aus Fehlern lernen. Wir sind sehr dafür.
Ob der Antrag der SPD in der vorliegenden Form dabei sehr viel weiterführt, ist zu bezweifeln. Für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, ist Verbesserung der Evaluierung vorwiegend wieder einmal ein quantitatives Problem. Sie wollen mehr Personal, Sie wollen mehr Ausstattung. Sie sehen auch hier die Problemlösung in mehr Geld.

(Zuruf von der SPD: Wie wollen Sie überprüfen? Jedes Projekt?)

Damit greifen Sie zu kurz. Sie übersehen wesentlich wichtigere Faktoren

(Frau Luuk [SPD]: Welche?)

Erstens. Sie übersehen, daß der größte Umfang der Evaluierungsarbeit ex ante, laufend oder auch ex post von den Durchführungsorganisationen selber getragen wird. Dort müssen die entscheidenden Verbesserungen erfolgen. Inwieweit, so muß ich fragen, besteht dort überall eine wirklich unabhängige Erfolgskontrolle? Die Berichte, in denen immer dieselben Floskeln stehen und die immer die gleichen Erfolgsmeldungen enthalten, nimmt niemand mehr Ernst, und oft liest man sie schon gar nicht mehr.
Zweitens. Sie übersehen, daß die größten Schwächen der Evaluierung in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit zu verzeichnen sind. Auch hier einige Fragen: Wann prüfen wir den Europäischen Entwicklungsfonds auf Herz und Nieren? Wann wird sich die FAO endlich bereit finden, externe Gutachter zuzulassen? Sind wir je den Erfolgsmeldungen von UNDP nachgegangen?
Für die Verbesserung der Steuerung und der Kontrolle sind andere Faktoren zur Zeit wichtiger.
Erstens. Mangelnde Umsetzungskapazität in den Zentralen der Durchführungsorganisationen. Die Mitarbeiter im Einsatzland senden kontinuierlich eine Fülle von Vorschlägen und Ideen für Verbesserungen an die Zentralen, die dort nur zu Teilen verarbeitet werden. Ein Sektor- oder Regionalreferent kann diese Arbeit allein gar nicht schaffen. Die Situation ist vergleichbar mit einem Unternehmen, das sein betriebliches Vorschlagswesen verkümmern läßt.
Zweitens. Mangelnde Steuerung der Entwicklungspolitik infolge unzureichender Erfolgskriterien. Bei Evaluierungen werden wir immer wieder belehrt, das Zielsystem des Projekts sei unzureichend gewesen. Ich ärgere mich, daß wir über Schwerpunkte, die wir hier seit Jahren im Parlament fordern, immer noch keine Zahlen erhalten, als wenn es unmöglich wäre, für die Förderung von Kleinindustrie, Kleingewerbe, Handwerkern, Kleinbauern und für die direkte Förderung privater Wirtschaftstätigkeit — um nur einige wenige wichtige Felder zu nennen — Kennziffern einzuführen. Gute Unternehmensführung ohne die relevanten Kennziffern kann ich mir nicht vorstellen. Da kann ich nur feststellen: falsch programmiert.
Drittens. Die Entwicklungsprojekte sind vielleicht administrativ, aber nicht wirtschaftlich im Griff. Da gibt es vorhersehbare Flops oder allzu fragwürdige Projekte, und immer wieder hören wir die Entschuldigung, Projekt X oder Y sei bereits völkerrechtverbindlich zugesagt, oder wir säßen in einem Boot mit anderen Gebern und könnten nicht mehr heraus. Dann kommt etwas zustande wie die Papierfabrik Mufindi in Tansania, die der Bundesrechnungshof mit Recht als völlige Fehlinvestition kritisiert hat. Wann setzt in solchen Fällen rechtzeitig die Projektprüfung ein?
Viertens. Die Entwicklungen in der DDR und in Osteuropa müßten uns endlich klargemacht haben: Es gibt Bereiche der Entwicklung eines Landes, in denen es nicht auf bessere Planung, auf bessere Steuerung und auf bessere Kontrolle von Projekten ankommt, sondern in denen überhaupt jede zentrale Planung von Übel ist. Planung im wirtschaftlichen Bereich, also eine zentrale Verwaltungswirtschaft, kann nur zu einer wirtschaftlichen Misere und zum Gegenteil von Entwicklung führen. Ein Industrieprojekt, das auf Grund zentraler Planung, also als Maßnahme der wirtschaftlichen Lenkung verwirklicht wird, muß scheitern. Wir müssen also sehen, wo mehr Steuerung und bessere Kontrolle aber auch wo weniger Steuerung und weniger Planung am Platz sind.
Wir behaupten: Das entscheidende Kapital liegt in den Köpfen der Menschen. Wir können gar nicht so viele Evaluierungsteams aufstellen, wie wir angesichts der weltweiten Herausforderungen an die Qualität unseres Nord-Süd-Dialogs benötigen. Sie wären außerdem sinnlos; denn was wir brauchen, ist das Interesse jedes einzelnen im Entwicklungsland an der optimalen Nutzung auch der kleinsten Ressource. Das heißt vor allen Dingen Beteiligung der Bevölkerung, aber, soweit notwendig, auch engagierte Beteiligung des jeweiligen Entwicklungshelfers.
Kontrolle, vor allem langfristige Kontrolle gibt mehr Klarheit und Durchsicht, also mehr Glasnost. Immerhin haben wir in den letzten Jahren vom BMZ kontinuierlich bessere Evaluierungsauswertungen erhalten. Vor soviel Glasnost haben uns die sozialdemokratischen Minister stets bewahrt.
Wir werden Ihren Antrag im Ausschuß im einzelnen darauf prüfen, ob er uns zusammen mit notwendigen Ergänzungen weiterbringt. Ob es richtig ist zu fordern, daß die Berichte im Detail, mit Namen veröffentlicht und dann einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden, wage ich zu bezweifeln. Ob wir dann wirklich die Berichte bekommen, in denen ungeschönt Namen, Roß und Reiter genannt werden, daran — ich sage es noch einmal — zweifle ich. Ich glaube, daß es besser ist, seriöse und detaillierte Berichte zu erhalten — und sie dann allerdings auch ver-



Dr. Pinger
traulich zu behandeln — als getürkte, schöne Sachen — , die man in der Öffentlichkeit darlegen kann.
Wichtig ist Glasnost. Was wir aber noch mehr auch in der Entwicklungszusammenarbeit brauchen, ist Perestroika. Wir brauchen radikale Änderungen der Entwicklungspolitik

(Frau Eid [GRÜNE]: Es ist schön, daß Sie das endlich erkannt haben, Herr Kollege Pinger!)

in der Wirtschaft, in den Feldern der Gesellschaft und in vielen Feldern der Politik — nun kommt es; da werden Sie mir nicht mehr zustimmen — im Sinne von Sozialer Marktwirtschaft und — jetzt stimmen Sie mir wieder zu — mehr Demokratie, Partizipation.

(Frau Eid [GRÜNE]: Ich habe damit keine Probleme!)

Wenn wir uns dann vorwiegend auf menschliche Entwicklung und nicht so sehr auf Material und Transfer von Finanzen konzentrieren, brauchen wir insgesamt weniger Planung, weniger Steuerung, weniger Kontrolle. Aber dann haben wir mehr Entwicklung.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Frau Luuk [SPD])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119430400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119430500
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die SPD hat das Problem der Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik zunächst durch eine Kleine Anfrage thematisiert und heute durch einen Bleichlautenden Antrag auf die Tagesordnung gesetzt. Obwohl der Antrag in seinen konkreten Forderungen richtig ist, greift er doch zu kurz und wird seiner vielversprechenden Überschrift nicht ganz gerecht.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Das ist bei der SPD häufig so!)

Im Antrag heißt es:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, bei der Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik insbesondere die Nachhaltigkeit und den dauerhaften Erfolg von Projekten der Technischen und Finanziellen Zusammenarbeit zu prüfen.
In dem Antrag werden allerdings die Kriterien ausgeklammert, an Hand derer der Erfolg überhaupt meßbar sein soll. Erfolg wird auf die Nachhaltigkeit von Projekten reduziert.
Nicht, daß ich das Kriterium der Nachhaltigkeit in Frage stellen will. Im Gegenteil: Auch ich meine, daß Nachhaltigkeit von Projekten der technischen und finanziellen Zusammenarbeit äußerst wichtig ist. Um diese zu überprüfen, ist es jedoch notwendig, daß seitens des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gerade die Evaluierungsmethoden verstärkt werden, die bisher nach eigenen Angaben der Bundesregierung nur in begrenztem Umfang angewendet wurden, nämlich Ex-post-Evaluierungen und Länderevaluierungen.
Jedoch ist Nachhaltigkeit kein Erfolg an sich; denn schlechte Projekte, sozial unverträgliche Projekte, ökologisch zerstörerische Projekte können durchaus auch nachhaltig sein.
Grundsätzlich meine ich zum Thema Evaluierung von Entwicklungspolitik folgendes.
Erstens. Eine Evaluierung von Entwicklungsprojekten hat sich zuerst und vor allem daran zu orientieren, was der Bevölkerung, die von den Projekten betroffen ist, nutzt oder schadet.
Zweitens. Konkrete Erfolgskriterien können nur unter Einbeziehung der Menschen festgelegt werden, denen die technische und finanzielle Zusammenarbeit Nutzen bringen soll. Das heißt z. B. für uns, daß vor allem Frauen in jede Phase der Projektevaluierung einzubeziehen sind, denn ihnen kommt bekanntermaßen eine Schlüsselrolle im Entwicklungsprozeß zu.
Drittens. Wir können über Erfolg oder Mißerfolg eines Entwicklungsprojekts nur entscheiden, wenn wir den gesamten gesellschaftlichen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Rahmen eines Landes mit in die Beurteilung einbeziehen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Viertens. Der Erfolg entwicklungspolitischer Zusammenarbeit darf nicht an Hand eurozentristischer, eindimensional ökonomisch-quantitativer oder geostrategisch-machtpolitischer Kriterien und schon gar nicht daran gemessen werden, wie viele Folgeaufträge die deutsche Wirtschaft im Anschluß an ein Entwicklungsprojekt verbuchen kann.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Fünftens. Bei der Festlegung allgemeiner Kriterien für die Nachhaltigkeit von Entwicklungszusammenarbeit sollten wir uns an Forderungen orientieren, die von den Entwicklungsländern selbst aufgestellt werden. So heißt es z. B. in der Erklärung zu Afrika, die von afrikanischen Nichtregierungsorganisationen 1986 in Dakar verabschiedet wurde: „Entwicklung in Afrika muß endogen und selbstbestimmt sein. Sie muß auf eigenen Kräften aufbauen und ökologisch lebensfähig sein. Voraussetzung dafür sind weitreichende strukturelle Veränderungen. "

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich meine, daß bundesdeutsche Entwicklungsprojekte einen Beitrag zur Verwirklichung eben dieser Ziele leisten müssen und daß die Erfolgskontrolle genau dies prüfen muß.
Sechstens. Projekte müssen nicht zuletzt einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft und zur Verwirklichung und Wahrung der Menschenrechte leisten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Luuk [SPD])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119430600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.

Sigrid Folz-Steinacker (FDP):
Rede ID: ID1119430700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solange auf internationaler



Frau Folz-Steinacker
Ebene Entwicklungshilfe geleistet wird, spielt die Frage nach ihrer Wirksamkeit in der entwicklungspolitischen Diskussion eine zentrale Rolle. Einzelne Fehlentwicklungen und Mißerfolge waren dabei in der Vergangenheit Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen.
Die Verbesserung der Wirksamkeit der Entwicklungshilfe und der Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes gehören daher, denke ich, zu den wesentlichen Zielen der deutschen Entwicklungspolitik nach ihrer Neuorientierung im Jahre 1986. Dies erfordert nicht nur eine verstärkte Erfolgskontrolle von Projekten und Programmen, sondern eben auch eine ständige Überprüfung der Effizienz vorhandener Entwicklungshilfeinstrumentarien. Ich freue mich daher, daß dieses wichtige Thema hier erneut aufgegriffen wurde.

(Frau Luuk [SPD]: Wieso erneut?)

Hinsichtlich der grundlegenden Zielsetzung des Antrages, bei der Erfolgskontrolle in der Entwicklungspolitik insbesondere die Nachhaltigkeit und den dauerhaften Erfolg von Projekten der technischen und finanziellen Zusammenarbeit zu prüfen, sollte es, so meine ich, zwischen den Fraktionen hier eigentlich eine breite Übereinstimmung geben. Was die einzelnen Elemente und Forderungen des Antrags betrifft, so bedarf es hierzu allerdings einer ausführlichen Beratung im zuständigen Fachausschuß.
Die Bundesregierung prüft regelmäßig die Wirksamkeit der von ihr geförderten Entwicklungshilfeprojekte durch Evaluierungen und Inspektionen unter Einschaltung unabhängiger Gutachter. Diese unmittelbar vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit durchgeführte Überprüfung stellt allerdings nur einen geringen Teil eines umfangreichen Systems von Erfolgskontrollen im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit dar. Ich denke, der weitaus größte Teil von Maßnahmen zur Erfolgskontrolle der Projekte wird von den jeweiligen Durchführungsorganisationen selbst, und zwar in eigener Verantwortung, vorgenommen. An diesem Gesamtkonzept der Erfolgskontrolle im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sollte auch weiterhin festgehalten werden.
Meine Damen und Herren, mit dem Bericht „Überprüfen und Handeln — Erfolg durch Erfolgskontrolle" hat die Bundesregierung vor kurzem das Ergebnis einer Querschnittsauswertung aller 1987 durchgeführten Projektevaluierungen vorgelegt. Dieser Bericht kann, denke ich, für die Qualität der deutschen Entwicklungszusammenarbeit insgesamt zwar nicht als repräsentativ angesehen werden, er weist jedoch — neben positiven entwicklungspolitischen Wirkungen der Mehrzahl der untersuchten Projekte — auch auf eine Reihe von festgestellten Schwächen — so will ich es einmal ausdrücken — bei der Planung und Steuerung der Projekte hin.
Zu den wichtigsten Feststellungen gehörte u. a., daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei vielen Projekten oft zu optimistisch eingeschätzt wurden und eine ungenügende Beachtung des politischen, administrativen und soziokulturellen Umfeldes den Projekterfolg beeinträchtigt hat; daß die Ziele oft ungenau formuliert wurden und Indikatoren zu ihrer Überprüfung fehlten; daß oft unzureichende Daten zugrunde gelegt wurden und die Qualifikation des einheimischen Trägers häufig nicht gründlich genug geprüft wurde oder eben nicht überprüft werden konnte; daß eine übertriebene technische Ausstattung der Projekte oft zu einer späteren Belastung des Empfängerlandes durch zu hohe Folgekosten führt und daß — letzter Punkt — die Steuerung der Projekte durch die verschiedenen zuständigen Instanzen sowohl auf Geber- als auch auf Nehmerseite nach wie vor Defizite aufweist.
Ich begrüße, daß die Bundesregierung mit dieser selbstkritischen Bilanz festgestellte Probleme, Schwachstellen und Mängel offen und, so glaube ich, auch ganz deutlich angesprochen hat sowie in den Empfehlungen Möglichkeiten zu einer Verbesserung des entwicklungspolitischen Instrumentariums und der Wirksamkeit von Projekten aufgezeigt hat.
Ich erwarte von der Bundesregierung allerdings auch, daß sie ihre Bemühungen um eine weitere Erhöhung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig fortsetzt. —

(Beifall bei der FDP)

Ich hoffe, der Minister liest es nachher im Protokoll. — Die Verbesserung der Qualität der Entwicklungshilfe und ihrer Koordinierung sollte weiterhin Vorrang vor einer Steigerung der Entwicklungshilfemittel haben. Den Ergebnissen und Schlußfolgerungen der Sachverständigenanhörung zum Thema „Entwicklungspolitik — Bilanz und Perspektiven" wird damit, so denke ich, voll Rechnung getragen.
Die von der SPD in ihrem Antrag in den Mittelpunkt gestellte „Nachhaltigkeit" als entscheidendes Erfolgskriterium für Entwicklungshilfeprojekte hängt von vielfältigen Einflußfaktoren ab. — Das ist nicht ganz neu; das haben Sie auch gesagt. — Von entscheidender Bedeutung für den dauerhaften Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit sind dabei die in dem jeweiligen Partnerland herrschenden Rahmenbedingungen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es!)

Alle noch so guten Einzelprojekte können auch bei einer wesentlichen Steigerung und Optimierung der Entwicklungshilfeleistungen ohne die Schaffung entsprechender entwicklungsfördernder Rahmenbedingungen und Eigenanstrengungen — das ist wichtig — der Entwicklungsländer nicht zu einem dauerhaften Erfolg führen. Nur durch umfassende wirtschaftliche, soziale und politische Reformen in diesen Ländern selbst lassen sich die Voraussetzungen für einen langfristigen und damit auch selbsttragenden Entwicklungsprozeß schaffen.
Zur Notwendigkeit einer klaren marktwirtschaftlichen Orientierung und dem Aufbau demokratischer Strukturen gibt es dabei keine Alternative.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erfolgreiche Entwicklung und Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an politischen Entscheidungen, Freiraum — das finde ich auch sehr wichtig — für privatwirtschaftliche Initiative und — noch etwas, was sehr



Frau Folz-Steinacker
wichtig ist — nicht zuletzt die Achtung der Menschenrechte bedingen einander.

(Frau Luuk [SPD]: „Nicht zuletzt"!) — Habe ich gesagt.


(Frau Luuk [SPD]: Wir hätten es gern weiter vorn!)

Die Bereitschaft vieler Entwicklungsländer zu durchgreifenden und schmerzhaften Reformen im Rahmen der notwendigen Strukturanpassung eröffnet neue Perspektiven für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit. Meine Damen und Herren: Es kommt jetzt vor allem darauf an, den eingeleiteten Reformprozeß nachhaltig zu unterstützen und die für alle Seiten vorteilhafte Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft zu erleichtern.

(Frau Eid [GRÜNE]: Quatsch, Sigrid!)

Alle Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit werden jedoch letztlich wieder zunichte gemacht, wenn es insbesondere in der Dritten Welt nicht gelingt — liebe Uschi — das enorme Bevölkerungswachstum einzudämmen,

(Dr. Weng [FDP]: Was hat denn Frau Eid damit zu tun? — Heiterkeit)

die sich abzeichnende Energiekrise zu verhindern und die zunehmende Umweltzerstörung und die Ressourcenvergeudung zu beenden.

(Frau Luuk [SPD]: Was hat das denn mit dem Thema zu tun?)

Der Lösung dieser zentralen Problembereiche muß daher künftig unsere konzentrierte Anstrengung gelten. Sie können das eine von dem anderen nicht lösen, Frau Luuk.
Die FDP unterstützt nachdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung, ihre Entwicklungszusammenarbeit an den Erfordernissen der 90er Jahre auszurichten und, wie ich denke, noch wirksamer zu gestalten.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119430800
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Warnke.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1119430900
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft durch unabhängige Fachleute die Erfolgskontrolle der Entwicklungshilfe in Europa untersucht, d. h., sie wollte sie untersuchen. Außer der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark, war niemand bereit, die Erfolgskontrolle einer Kontrolle unterziehen zu lassen. Der deutsche Ansatz und die deutsche Praxis wurden von der Europäischen Gemeinschaft als vorbildlich bezeichnet.

(Frau Eid [GRÜNE]: Das muß noch nichts heißen, Herr Minister!)

Sie beabsichtigt, wesentliche Teile unseres Modells nun in Brüssel einzuführen.
Die heutige Debatte hat bewiesen: Das Parlament hat einen wesentlichen Anteil an dieser Wirksamkeit der deutschen Entwicklungshilfe. Die Bundesregierung dankt Ihnen dafür. Sie dankt auch den Mitarbeitern, den Durchführungsorganisationen, und sie dankt natürlich den Gutachtern, die daran beteiligt waren.

(Frau Luuk [SPD]: Die kriegen doch auch bezahlt dafür!)

Aber nichts ist so gut, als das es nicht verbesserungsfähig wäre. Selbstverständlich werden wir selbstkritisch auf diesem Wege weitergehen. Wer nicht bereit ist, ständig aus Fehlern zu lernen, der taugt überhaupt nicht für die Entwicklungshilfe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Gutachter sind engagiert, so wie Sie, Frau Kollegin Niehuis engagiert sind.

(Frau Luuk [SPD]: Und die Gutachterinnen!)

— Unsere Gutachter und Gutachterinnen haben Zivilcourage, aber auch sie haben bei all dieser Zivilcourage keinen höheren Prozentsatz als Mitglieder in Heldenvereinen in ihren Reihen, als das im Ministerium oder in den Fraktionen des Deutschen Bundestages der Fall ist. Deshalb die Entscheidung, sie nicht in eine öffentliche Diskussion oder in die Gefahr einer nachherigen Auseinandersetzung auch gerichtlicher Art hineinziehen zu lassen. Sie wissen, daß die Schadenersatzrechtsprechung im Einzelfall auch existenzvernichtend sein kann.
Wie dem auch sei, wir werden uns Ihren Anregungen im Ausschuß im einzelnen stellen. Heute möchte ich, Frau Kollegin Niehuis, hier etwas aufgreifen, wovon Sie gesprochen haben. Ich meine Ihren Hinweis, daß Überlagerungen von anderen politischen Interessen das Erreichen des eigentlichen Entwicklungshilfeziels immer wieder zu Schanden gemacht haben. Ich meine, daß die Erfolgsaussichten für die Vermeidung dieser Klippe in den 90er Jahren wesentlich besser sein werden als in den vergangenen Jahrzehnten.

(Frau Eid [GRÜNE]: Warum jetzt plötzlich?)

— Im Inland und im Ausland, verehrte Frau Kollegin Eid, wird uns heute immer wieder die Frage gestellt: Wird die Ost-West-Entspannung, wird die Hilfe des Westens für den Osten Europas die Hilfe für den Süden schmälern? Die Frage ist verständlich. Aber übersieht sie nicht die Chancen, die gerade für Erfolg und Wirksamkeit unserer Entwicklungszusammenarbeit in dem neuen Ost-West-Verhältnis liegen?
Erstens. Unser Verhältnis zu den Entwicklungsländern wird von der Belastung der ideologischen Auseinandersetzung Ost-West befreit. In vielen Teilen der Welt ist dies für die Entwicklungsmöglichkeiten ein Segen. Die Konflikte im südlichen Afrika und in Äthiopien, in Zentralamerika, in Afghanistan, in Indochina waren ganz oder zu einem großen Teil doch auch Stellvertreterkriege. Diese Stellvertreterkriege, hoffe ich, werden bald beigelegt sein, und es wird keine neuen Stellvertreterkriege mehr geben. Der Frieden, der hoffentlich bald kommt, wird Entwicklung statt Zerstörung ermöglichen.



Bundesminister Dr. Warnke
Zweitens. Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, das war das Ziel dieser Bundesregierung von ihrem Beginn an. Drei große Schritte werden wir noch in diesem Jahr bei den C-Waffen, bei den strategischen Interkontinentalwaffen, auch beim Einstieg in die konventionelle Abrüstung tun. Dies wird Mittel für bisherige Rüstungsausgaben in der Dritten Welt ebenso wie in den Industrieländern freisetzen. Sie werden nicht automatisch der Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt werden, aber sie vergrößern tendenziell unseren Spielraum für solche Mittel.
Drittens. Die Sorge über mögliche Verringerung der Entwicklungshilfe wegen der Ost-West-Hilfe entspricht oft einem Denken, das in der Verteilung des Bestehenden befangen ist und darüber die Möglichkeiten zusätzlichen Wachstums übersieht.
Die Befreiung der Länder Osteuropas von der zentralen Verwaltungswirtschaft des real existierenden Sozialismus nimmt Bremsklötze weg, mit denen die schöpferischen Fähigkeiten unserer Miteuropäer bis jetzt abgeblockt waren. Die freigesetzten Kräfte werden zusätzliches Wachstum zur Folge haben und damit eine neue Leistungsfähigkeit ganz Europas in seinem Verhältnis zur Dritten Welt ermöglichen.
Viertens. Die politischen und die wirtschaftlichen Reformen in Osteuropa haben auch für die innere Entwicklung der Länder der Dritten Welt positive Signale gesetzt, und in einer Reihe von Ländern werden die Forderungen nach Abbau sozialistischer Planwirtschaft und politischen Machtmißbrauchs immer lauter. Die Chancen für mehr Privatinitiative, die Chancen für mehr Demokratie, für mehr Achtung der Menschenrechte und damit für die Entfaltung schöpferischer Kräfte der Menschen, dem eigentlichen Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit, steigen.
Fünftens. Wirtschaftliches Wachstum in den Ländern des früheren COMECON wird zusätzliche Nachfrage nach den Erzeugnissen der Dritten Welt auslösen — ich denke nicht nur an den Verbraucher, ich denke auch an die Wirtschaft, an Rohstoffe, Vorprodukte —, und damit wird der Zielbereich, den Ländern der Dritten Welt durch ihre Erzeugnisse Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen, als Hilfe aus eigener Kraft besser erreicht werden können.

(Frau Eid [GRÜNE]: Wenn ihnen nicht das Wasser bis zum Hals steht!)

— Verehrte Frau Kollegin Eid, wir Deutschen sind die einzigen in dieser Ost-West-Entwicklung, bei denen ein zweigeteiltes Land wieder zusammenfindet. Deshalb nehme ich diese Gelegenheit wahr, zu sagen: Unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands verlangen zu Recht jetzt schnelles Handeln, um zu gemeinsamer Wirtschaft und gemeinsamer Währung zu gelangen. Wir sollten aber neben diesen Schwerpunkten die Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe bei dieser Zusammenführung von vornherein ins Auge fassen.
Natürlich ist dies nicht die Zeit für zusätzliche Kapitalhilfe aus der DDR angesichts des Kapitalbedarfs, der dort selbst besteht. Aber die DDR ist im Weltmaßstab ein hochentwickeltes Land. Viele Menschen empfinden dort ihre Verantwortung gegenüber der Dritten Welt genau wie wir. Qualifizierte Fachkräfte
sind in der Landwirtschaft, im Verkehrswesen, im Wasserbau in der Dritten Welt im Einsatz. Durch Zusammenarbeit mit der DDR im Bereich der Entwicklungshilfe können wir ein Zeichen geben, das viele in beiden Teilen Deutschlands willkommen heißen werden. Und noch wichtiger: Wir geben ein Signal, das den Ländern in der Dritten Welt zeigt: Von Anfang an wird sich ganz Deutschland seiner Verantwortung gegenüber der Dritten Welt bewußt bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119431000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5666 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Menzel, Conradi, Großmann, Kolbow, Dr. Niese, Oesinghaus, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Bernrath, Bulmahn, Dr. Hauchler, Kretkowski, Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Achten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
— Drucksache 11/5638 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Aussprachezeit von einer Stunde vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1119431100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der sich einmal bei den Sozialämtern oder bei den Wohnungsämtern umgesehen hat und der mit den Beamten dort redet, der weiß, welchen ungewöhnlichen Belastungen diejenigen, die Wohngeldfälle oder Sozialhilfefälle zu bearbeiten haben, ausgesetzt sind. Da wird von den Antragstellern — das ist ihr gutes Recht —, dann, wenn ihr Antrag nicht so beschieden wird, wie sie sich das vorstellen, nicht nur mit Kopfschütteln reagiert, da fallen auch harte Worte. Noch schlimmer ist die Situation, wenn sich bei Antragstellern Resignation breitmacht und wenn ihnen — auch das kann man erleben — Tränen in den Augen stehen. Meine Damen und Herren, manchmal nehmen die Beamten Belastungen auf sich, die vermeidbar sind und die wir als Abgeordnete durch unser Untätigsein, obwohl wir die Probleme kennen, heraufbeschwören.
Der Gesetzentwurf, den wir Sozialdemokraten eingebracht haben, berührt ein solches Problem. Er berührt nämlich die Tatsache, daß ein Sozialhilfeemp-



Menzel
fänger auf Grund der Rechtslage gezwungen ist, beim Wohngeldamt einen Antrag zu stellen, obwohl in der Konsequenz schon abzusehen ist, daß er von diesem Antrag, dem stattgegeben wird, gar nichts hat, weil das Wohngeld nach der Rechtslage an den Träger der Sozialhilfe abgeführt und dem Sozialhilfeberechtigten angerechnet wird. Den Sozialhilfeberechtigten interessiert es überhaupt nicht, daß Sozialhilfe unter Nachranggrundsatz steht und daß andere Leistungen vorrangig in Anspruch genommen werden müssen. Für ihn ist Fakt, daß er von Pontius zu Pilatus geschickt wird, obwohl von vornherein feststeht, daß er dadurch keinen Pfennig Leistung mehr erhält. Wen wundert es, daß diese Menschen nicht nur verständnislos den Kopf schütteln, sondern manchmal auch harte Worte gebrauchen, daß ihnen manchmal auch die Tränen in den Augen stehen und daß sie das Vertrauen in den Staat verlieren, weil sie nicht einsehen, wieso der Staat von ihnen, weil sie in der Situation sind, auf Grund einer Notlage Sozialhilfe beanspruchen zu müssen, unnötige Belastungen verlangt.
Die Verantwortung tragen wir, tragen wir alle, die Abgeordneten dieses Hauses, denn uns allen ist diese Situation über Jahre bekannt. Deswegen haben wir bereits Anfang der 80er Jahre die Bundesregierung aufgefordert, Vorschläge zu machen, wie dieser unwürdige, unrühmliche Zustand beendet werden kann.
Sie alle kennen genauso wie ich die Geschichte und die Entwicklungen in dieser Sache. Wir, das Parlament, haben gemahnt, wir haben Beschlüsse gefaßt, wir haben der Bundesregierung Termine gesetzt. Nur, meine Damen und Herren, geschehen ist nichts. Die Regierung hat sich über alle Entscheidungen des Bundestages in dieser Frage hinweggesetzt. Sie hat den Aufträgen des Deutschen Bundestages nicht Folge geleistet. Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht so leicht machen, indem wir sagen: Wir, die Abgeordneten, haben ja alles getan, was in unseren Kräften stand, wir haben die Regierung beauftragt, die Regierung ist aber ihrer Verpflichtung gegenüber dem Parlament nicht nachgekommen, und deswegen ist der unbefriedigende Zustand eben so, wie er ist.
Nein, meine Damen und Herren, die Verantwortung für diese unrühmliche Situation tragen wir. Die Regierung hat nicht gehandelt. Daß sie sich über Entscheidungen des Parlaments hinwegsetzt, ist ein einmaliger Vorgang und eine Brüskierung dieses Hauses.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Nicht ganz so dramatisch!)

Das ist ein Vorgang, meine Damen und Herren, der nicht nur die Opposition, sondern das ganze Haus berührt, und Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die Sie bisher nicht bereit waren, dieses Spiel der Regierung mit uns zu ahnden, müssen sich fragen lassen, wie Sie das gegenüber den Betroffenen draußen im Land verantworten wollen.
Weil die Regierung den Beschluß des Parlaments mißachtet hat, hat die Opposition gehandelt.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Na ja!)

— Das stimmt; denn wenn es — —

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der erste Kanzler, der das mißachtet hat, hieß Schmidt!)

— Und das war ein ausgezeichneter Kanzler. Es ist gut, daß Sie das einmal in Erinnerung rufen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, Herr Kansy, wollen wir der unrühmlichen Situation im Land, die ich anfangs beschrieben habe, ein Ende machen. Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, hat über den Inhalt hinaus, mit dem ein Trauerspiel draußen im Land beendet werden soll, noch einen Aspekt, der mit dem Selbstverständnis des Parlaments zu tun hat.
Mit dem Gesetzentwurf wollen wir dadurch, daß an Sozialhilfe- und Kriegsopferfürsorgeempfänger künftig Wohngeld pauschaliert gezahlt werden soll, dem beschriebenen Mißstand abhelfen und darüber hinaus — auch das darf nicht kleingeschrieben werden — Erhebliches zur Verwaltungsvereinfachung beitragen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß das Problem, das dieser Gesetzentwurf lösen soll, nicht neu ist. Auf Grund von Überlegungen, wie wir sie in Gesetzesform gekleidet haben, ist bereits ein Praxistest gelaufen. Dabei wurde der getestete Gesetzentwurf ganz überwiegend positiv und als leicht vollziehbar beurteilt. Darüber hinaus bringt er beträchtliche Verwaltungseinsparungen. Bremen nennt Einsparungen in der Größenordnung von 40 %, Wiesbaden in der Größenordnung von 20 % der jetzt entstehenden Kosten. Stuttgart beziffert seine Einsparungen auf ca. 700 000 DM und die nicht am Test beteiligte Landeshauptstadt Düsseldorf sogar auf 770 000 DM, also auf eine dreiviertel Million DM pro Jahr.
Nach dem Test kann man die Zahl derer, die aufgrund des Gesetzentwurfs aus der Sozialhilfe bzw. aus der Kriegsopferfürsorge das pauschalierte Wohngeld erhalten, auf über eine halbe Million schätzen.
Jedem, der sich mit den Fragen des Wohngeldes, mit den Fragen der Wohnungspolitik befaßt, ist nicht nur das Problem bekannt, sondern dem ist auch bekannt, was in dem Gesetzentwurf steht. Wir haben es im zuständigen Ausschuß in anderen Zusammenhängen schon mehrmals beraten.

(Müntefering [SPD]: Zigmal!)

Wir Sozialdemokraten haben versucht, das Problem schon im Zusammenhang mit den Beratungen über die Siebente Novelle zum Wohngeldgesetz aus der Welt zu schaffen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht! Das erstemal 1980!)

Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, sind uns damals nicht gefolgt. Mit formalen Einwänden haben Sie damals unseren Antrag abgelehnt. Heute können Sie sich nicht mehr mit formalen Ausreden an dem Problem vorbeidrücken.

(Müntefering [SPD]: So ist es!)

Wir fordern Sie auf, mit uns diesen Gesetzentwurf so
zügig wie nur möglich zu beraten, ihn so schnell wie



Menzel
möglich der zweiten und der dritten Lesung zuzuführen. Wir haben keinen Zweifel, daß es mit gutem Willen von allen Beteiligten möglich ist, so rechtzeitig zu entscheiden, daß das Gesetz Mitte des Jahres wirksam werden kann, damit der unglückselige und unrühmliche Zustand, der jetzt für die Sozialhilfe- und Kriegsopferfürsorgeempfänger draußen im Land besteht, ein für allemal ein Ende findet.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der Zustand, den wir von Schmidt übernommen haben!)

— Ich habe hier schon mehrmals betont, daß dieses Problem seit Anfang der 80er Jahre bekannt ist.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)

Die Mahnung ging auch damals an die vorhergehende Regierung. Darüber gibt es keinen Zweifel. Das entbindet aber diese Regierung seit acht Jahren nicht von der Verpflichtung, den parlamentarischen Beschlüssen Folge zu leisten.

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Das schaffen wir auch noch!)

Ich will wiederholen: Ich fordere Sie im Interesse der Betroffenen auf, beraten Sie mit uns zügig, damit dieser Gesetzentwurf so schnell wie möglich Gesetzeskraft erlangt!

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU] : Das wird er!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119431200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rönsch.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Jetzt kommt endlich mal etwas Gutes! — Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Geschmacksache!)


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1119431300
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Wir haben Ende des vergangenen Jahres von Ihnen, meine Herren und Damen von der Opposition, gehört, daß wir in diesem Jahr sehr oft über die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung debattieren würden.

(Müntefering [SPD]: Das machen wir auch!)

Wir haben uns schon darauf gefreut, weil wir ja eine ordentliche Leistungsbilanz vorzuweisen haben.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Jetzt kommt von Ihnen ein Antrag zur Pauschalierung.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Endlich mal etwas eigenes!)

Das ist alles, was die Sozialdemokraten zur Wohnungspolitik der Bundesrepublik Deutschland beizutragen haben.

(Frau Weyel [SPD]: Da haben Sie aber nicht aufgepaßt!)

Mit hochdramatischen Worten hat der Kollege Menzel hier geschildert, wie sich Sozialhilfeempfänger fühlen, wenn sie zum Sozialamt bzw. zur Wohngeldstelle müssen; Fakten, die uns alle über Jahre bewegt haben; Fakten, die uns allen bekannt sind; Fakten, die sogar Ihrem Wohnungsbauminister Haack
bekannt waren, der auch seinerzeit Initiativen hätte ergreifen sollen,

(Müntefering [SPD]: Was für eine Entschuldigung!)

der aber selbst effektiv nichts gemacht hat.
Sie wissen, daß wir in unserem Ausschuß mehrere Anhörungen gehabt haben. Wir haben die kommunalen Spitzenverbände gehört, wir haben auch von den Schwierigkeiten gehört, wie es auf den Wohnungsbauämtern aussieht, wenn umgestellt wird und welche Vorlaufzeit gebraucht wird. Sie waren damit einverstanden, daß wir Praxistests durchführen. Diese Praxistests waren ja nun auch ausgesprochen notwendig, um nachher die Praxis zu erproben, um zu sehen, wie so etwas in der Praxis aussieht.
Wir wundern uns allerdings heute — —

(Menzel [SPD]: Daß wir gehandelt haben!)

— Kollege Menzel, wenn das das Handeln der Sozialdemokraten ist, dann muß ich sagen, daß Sie ungeheuer kurz gesprungen sind. Wenn Ihr Handeln darin besteht, daß Sie etwas abkupfern, das schon lange in den Regierungsschubladen liegt

(Lachen und Zurufe bei der SPD)

und worüber wir in den Ausschüssen schon gesprochen haben, dann, muß ich sagen, ist dieses Handeln einer Opposition eigentlich unwürdig. Wir haben selbst im Ausschuß und hier im Parlament schon verschiedentlich darüber gesprochen, daß die Regierung eine Vorlage in der Schublade hat, daß wir nur auf den Zeitpunkt warten, bis der entsprechende Vorlauf auch in den Behörden gegeben ist, damit sich die Behörden entsprechend umstellen können.
Ich kann Ihnen heute sagen: Wir werden in der nächsten Woche den Wohngeld- und Mietenbericht vorliegen haben, wir werden dann die aktuelle Mietensituation diskutieren, und wir werden, wie wir Ihnen angekündigt haben, auch eine Wohngelderhöhung vornehmen, wenn der Mietenbericht es ausweist. Es sieht wohl so aus, daß wir dann im Oktober dieses Jahres eine ordentliche Wohngelderhöhung vornehmen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Menzel [SPD]: So lange wollen Sie das auf die lange Bank schieben?)

Wir werden gleichzeitig damit auch die Pauschalierung beraten, so wie es die Bundesregierung vorgesehen hatte und wie es Ihnen, lieber Kollege Menzel und liebe Kollegen von der Opposition, die ganze Zeit bekannt gewesen ist.
Ich muß sagen, ich hätte mir die Zeit heute dafür gewünscht, daß wir mit echten Initiativen, die von Ihnen kommen, die Zeit verbringen und wirkliche Wohnungspolitik diskutieren. Es kann doch wohl nicht sein, daß wir jetzt über einen abgeschriebenen Antrag einer Regierungsvorlage eine Stunde lang diskutieren müssen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber kopieren ist besser als agitieren!)

— Das ist wahr, Kollege Dr. Kansy; da stimme ich Ihnen ganz ausdrücklich zu.



Frau Rönsch (Wiesbaden)

Wir wollen mit dieser Pauschalierung erreichen, daß das Antragsverfahren vereinfacht wird, daß Sozialhilfeempfänger nicht mehr zwei Wege machen müssen. Wir wollen damit erreichen, daß die Bewilligung von Transferleistungen für die beteiligten Behörden wesentlich entwirrt wird.
Wir werden hier im Parlament noch verschiedene Diskussionen zur Wohnungspolitik haben, denn die Initiativen, die wir in der Vergangenheit ergriffen haben, wollen wir natürlich auch immer wieder hier vortragen. Wir werden auch eine ausgiebige Wohngelddiskussion und eine Diskussion über die Mietenentwicklung führen, um all die Schwarzmalereien, die Sie die ganze Zeit betreiben, dann als Lügen zu strafen.

(Menzel [SPD]: Sagen Sie einmal, wie Sie zur Pauschalierung stehen!)

— Über die Pauschalierung, Kollege Menzel, haben wir oft genug diskutiert. Wir waren alle einer Meinung, daß die Bundesregierung gefordert ist. Ich habe die Bundesregierung von dieser Stelle aus verschiedentlich aufgefordert.

(Müntefering [SPD]: Und was hat sie getan?)

Wir haben — das gestehe ich Ihnen zu — Oskar Schneider seinerzeit schon Termine gesetzt. Wir wissen selbst, daß nach der Anhörung und dem Praxistest einfach noch Zeit verstreichen muß, bis das Ganze verwirklicht werden kann. Nur, daß Sie es sich so einfach machen und einfach etwas abschreiben und uns dann hier vorlegen und — ich muß sagen — damit eigentlich hier im Parlament die Zeit stehlen, das empfinde ich als wenig korrekt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden in der nächsten Woche, wenn der Wohngeld- und Mietenbericht vorliegt, die aktuelle Mietensituation diskutieren. Wir werden zum 1. Oktober eine Wohngeldanhebung vornehmen.

(Müntefering [SPD]: Zu spät!)

Ich meine, daß durch diese Anhebung dann dem Mieter echt geholfen ist.
Wir garantieren durch unser Vorgehen die zentrale Stellung des Wohngeldes als individuell gerechte und soziale Absicherung des Wohnens für den Mieter. Bei uns wissen die Mieter, sie können sich auf uns verlassen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Dann sind sie verlassen!)

Wir stellen das ja nicht erst seit heute unter Beweis.
Wir haben die Sechste Wohngeldnovelle mit dem größten Volumen beim Wohngeld überhaupt 1986 durchgeführt.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: 20 Mark im Jahr pro Haushalt!)

— Frau Kollegin, Sie werden vielleicht die Sechste Novelle — Sie waren damals schon im Bundestag — noch im Kopf haben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nein, sie hat nichts im Kopf!)

Das Volumen betrug im Durchschnitt 148 DM. Ich meine, das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann.
Wir haben dann auch die Siebte Wohngeldnovelle 1989 durchgeführt und haben das als einen zusätzlichen Zwischenschritt gesehen. Durch die Einführung der Sechsten Wohngeldstufe sind viele Städte und Gemeinden dann in eine Höhergruppierung gekommen, und die Wohngeldempfänger, gerade in den Ballungsgebieten, hatten davon einen Vorteil.
Aber Wohngeld allein — dessen sind wir uns voll bewußt — verbessert natürlich nicht die Lage am Wohnungsmarkt. Wir halten daher parallel breite Unterstützungsmaßnahmen für die Ausweitung des Wohnraumangebotes bereit.
Nach wie vor ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt der beste Mieterschutz. Seit zwei Jahren kommen wir der steigenden Nachfrage nach Wohnraum entgegen und haben den sozialen Mietwohnungsbau erheblich erweitert und Mittel bereitgestellt.
Für 1990 und die folgenden Jahre ist der Bundeszuschuß mit 2 Milliarden DM verstetigt worden. Das sind gewaltige Summen. Wir merken jetzt auch die Wirkungen.
Unser Ziel steht fest: Wir wollen, daß in den nächsten drei Jahren eine Million Wohnungen gebaut werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und die brauchen wir auch!)

Ich bin auch ganz zuversichtlich, daß wir das schaffen werden, sicherlich. Denn steuerliche und verwaltungsrechtliche Voraussetzungen sind entschärft worden. Sie helfen, dieses Ziel auch ganz gut zu erreichen.
Die Resonanz auf die Programme der Bundesregierung fällt ausgesprochen positiv aus. Ich kann Ihnen aus meinem Wahlkreis Wiesbaden berichten, daß in den letzten drei Tagen über 150 Bürger bei mir hier in Bonn angerufen und die Baunutzungsverordnung angefordert haben, um sich nach der Möglichkeit des Dachgeschoßausbaus zu erkundigen.

(Menzel [SPD]: Davon haben die Sozialhilfeempfänger noch nichts! Hätten Sie mal früher angefangen!)

— Nein, aber Wohnungen werden ausgebaut, Herr Kollege Menzel. Es ist doch nun wirklich unter uns Wohnungsbauern eine Binsenweisheit, daß dann, wenn mehr Wohnungen am Wohnungsmarkt sind, auch die Mieten wieder fallen.
Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege Menzel, als Gewerkschaftskollegen — da sind wir wieder bei dem Thema — , daß auch die Gewerkschaften ihrer Verantwortung gerecht geworden wären.

(Menzel [SPD]: Ach, die Gewerkschaften!)

— Ja, das ist immer wieder ein schmerzliches Thema. Auch mich als Gewerkschafter schmerzt es immer wieder. Aber wenn sich auch diese ihrer Verpflichtung auf dem Wohnungsmarkt bewußt wären und in der Vergangenheit bewußt gewesen wären, hätten



Frau Rönsch (Wiesbaden)

wir jetzt die eine oder andere Situation in dieser Enge nicht.
Wir können mit den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, den aktuellen Engpaß auf dem Wohnungsmarkt überwinden. Ich bin sicher, daß wir den Mietern durch die Mobilisierung der Reserven im Bestand, aber auch im Neubau helfen.
An die Adresse der SPD-regierten Kommunen sage ich von dieser Stelle aus noch einmal: Sie sollten ihre baurechtlichen Spielräume ausnutzen, die ihnen zur Verfügung stehen, damit sie mithelfen, die Wohnungsengpässe endlich zu überwinden. Denn es wäre nichts für unser Gemeinwesen schädlicher, als daß aus den Sorgen der Wohnungssuchenden parteitaktisch Kapital geschlagen wird.
Wir von der CDU/CSU stehen allen solidarisch bei, die aus eigener Kraft keinen angemessenen und bezahlbaren Wohnraum finden:

(Müntefering [SPD]: Wie denn das?)

den Familien mit Meinen Einkommen, den Alleinerziehenden und den Studenten — bei Studenten sind Sie auch wieder ganz still geworden; denn Sie haben ja damals den Studentenwohnungsbau total gestrichen —,

(Menzel [SPD]: Wer hat denn das BAföG gestrichen?)

den Arbeitslosen, den ausländischen Mitbürgern und in den letzten beiden Jahren auch verstärkt den Aus- und Übersiedlern, die bei uns ein Dach über dem Kopf suchen.
Auf diesen Personenkreis konzentrieren sich unsere Anstrengungen. Niemand soll bevorzugt oder benachteiligt werden. Das ist ein Wort, das ich Ihnen noch einmal deutlich sage, weil Sie auch damit parteipolitisch agitieren.
Das ausschlaggebende Kriterium ist für uns lediglich die Dringlichkeit des Wohnungsbedarfs. Ich sage es jetzt noch einmal mit großem Nachdruck in Ihre Richtung, in Richtung der Kollegen der SPD:

(Geis [CDU/CSU]: Aber laut genug!)

Sozialneid — wie er jetzt an der Saar entfacht worden ist — ist ausgesprochen schädlich. Ziehen Sie Ihren Kanzlerkandidaten von der Saar aus dem Fahrwasser dieser Schönhuberei! Es ist schlimm, was dort passiert.
Kollege Menzel, ich fordere auch Sie als Gewerkschaftskollegen auf, etwas zu tun. Ich erwarte, daß die gesellschaftlichen Gruppierungen, die Kirchen und die Gewerkschaften endlich dieser Sozialneiddiskussion, die an der Saar entfacht wurde, einen Riegel vorschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich meine, es ist schlimm, was dort passiert. Ansonsten sind diese Gruppierungen bei allen gesellschaftspolitisch relevanten Themen sofort auf der Matte. Man hört momentan ganz und gar nichts. Gehen Sie verantwortlich mit dem sozialen Klima in der Bundesrepublik um, und bekennen Sie sich zur Wahrheit und Klarheit!

(Menzel [SPD]: Das tun wir!)

Zu Wahrheit und Klarheit gehört auch, daß der Engpaß auf dem Wohnungsmarkt in vielen Bereichen keinen Notstandscharakter besitzt. Denn richtig ist doch wohl, daß verschiedene Personengruppen — wir haben verschiedentlich hier darüber diskutiert — Wohnraum belegen, der für sie in dem Umfang eigentlich zu groß ist. Richtig ist wohl auch, daß der durchschnittliche Wohnungsverbrauch etwa bei 36 qm liegt, daß die Eigentumsrate fast 40 % beträgt, daß die Vielzahl der früher allein lebenden Jugendlichen und die Vielzahl der Senioren in den Drei- oder Vierzimmerwohnungen und der durchgehende Wunsch nach einer größeren, schöner gelegenen oder komfortableren Wohnung mit zusätzlichem Arbeits- oder Kinderzimmer Anzeichen von Wohlstand sind. Für diesen Wohlstand tragen wir die Verantwortung.

(Menzel [SPD]: Jetzt leben die Sozialhilfeempfänger im Wohlstand!)

Wir meinen auch, daß die Wohnraumversorgung in der Bundesrepublik im Durchschnitt gut ist.

(Frau Weyel [SPD]: Wo ist das denn?)

Hier finden Sie die zweite Seite des Wohnungsengpasses; und zu Klarheit und Wahrheit gehört natürlich auch, daß Sie diese Wohlstandsseite, die auch zu erhöhtem Wohnungsbedarf führt, nicht übersehen und daß Sie die auch ansprechen. Das fällt Ihnen natürlich ausgesprochen schwer. Das kann man auch verstehen, denn Sie müßten ja sagen: Diese Bundesregierung hat hervorragend gearbeitet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben dennoch die Hoffnung, daß Sie sich in den anschließenden Ausschußberatungen an die Mieter erinnern, die Sie zu Zeiten der Neuen Heimat vergessen hatten, und daß Sie mit uns gemeinsam die Pauschalierung, den Wohngeld- und Mietenbericht und die anstehende Wohngeldnovelle sachlich diskutieren, daß Sie keine Maximalforderungen erheben, sondern im Rahmen des Möglichen alles für die Mieter tun, so wie wir es in der Vergangenheit getan haben und in Zukunft tun werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119431400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119431500
Frau Rönsch, es ist nicht nur blamabel, daß Sie vernünftige Gesetzentwürfe so lange in der Schublade schmoren lassen, bis die SPD-Fraktion sie Ihnen klauen kann — da kann ich nur schadenfroh sein —, sondern es ist auch blamabel, daß Sie eine Wohnungspolitik machen, bei der Millionen von Mieterinnen und Mietern dazu gezwungen sind, den Bittgang zur Wohngeldstelle zu machen und dort das Wohngeld zu beantragen, um überhaupt ihre Miete bezahlen zu können. Eine gute Wohnungspolitik braucht kein Wohngeld.

(Geis [CDU/CSU]: Doch! So wie in der DDR?)




Frau Oesterle-Schwerin
Merken Sie sich das einmal! Eine gute Wohnungspolitik macht das Wohngeld überflüssig.

(Beifall bei den GRÜNEN — Geis [CDU/ CSU]: Auf welchem Stern leben Sie eigentlich?)

Bei einer guten Wohnungspolitik können Bürgerinnen und Bürger ihre Wohnungen aus eigener Tasche bezahlen, ohne als Bittsteller bei der Wohngeldstelle erscheinen zu müssen, um da jedes Jahr Anträge auszufüllen und um Auskünfte über ihre familiären Verhältnisse zu geben. Es ist eine Schande, daß wir in diesem Staat überhaupt noch Wohngeld brauchen.
Im übrigen möchte ich sagen: Ich kann an der Rede des Kollegen Menzel überhaupt nichts aussetzen. Mit seiner kleinen Nebenbemerkung, daß Kanzler Schmidt ein guter Kanzler war, liegt er allerdings falsch. Ansonsten können wir diesen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nur unterstützen. Ich halte es für einen schlechten Witz, daß wir uns bei der derzeitigen Wohnungsnot hier über das Thema unterhalten und darüber streiten, welche Modalitäten für die Verrechnung des Wohngeldes mit der Sozialhilfe gelten. Eigentlich hätte man da überhaupt keine Debatte gebraucht, sondern man hätte das ohne Debatte an den Ausschuß überweisen müssen, um so schnell wie möglich zu einer Verabschiedung zu kommen. Aber Sie wollen sich ja Zeit lassen. Sie wollen sich ja weiterhin auf Kosten derjenigen Menschen Zeit lassen, die dann beim Wohngeldamt Schlange stehen müssen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir haben die Debatte ja gar nicht beantragt, Frau Kollegin!)

Was die SPD hier vorschlägt, hätte längst Gesetz sein können, wenn auf seiten der Bundesregierung ein bißchen mehr Bezug zur Praxis und ein bißchen mehr Menschenfreundlichkeit vorhanden wären. Aber das ist Ihnen total fremd.
Die einzige Auswirkung, die dieser Entwurf für die Sozialhilfeempfängerinnen haben wird, ist die Einsparung eines Bittganges; das ist positiv. Die Sozialhilfe und das Wohngeld bleiben allerdings beschämend niedrig.
Ich empfehle der Koalition, diesen Entwurf so schnell wie möglich und ohne viel Aufsehens anzunehmen. Es ist blamabel genug, daß er nicht von Ihnen, sondern von den Sozialdemokraten kam.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Möller [CDU/CSU]: Aber vom Regierungsentwurf abgeschrieben!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119431600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1119431700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag hat die Intention, das Wohngeld für Sozialhilfeempfänger und Kriegsopferfürsorgeberechtigte als Pauschale zu gewähren, und zwar dergestalt, daß der individuelle Wohngeldanspruch zwar erhalten bleibt, aber kein individueller Wohngeldantrag mehr gestellt werden muß. Dies dient der Verwaltungsvereinfachung und entspricht einem alten Anliegen, das den
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau seit vielen Jahren beschäftigt. Der Antrag ist daher prinzipiell positiv zu bewerten. Wie könnte es auch anders sein — Frau Rönsch hat schon darauf hingewiesen — , hat die Opposition hier doch einfach einen Referentenentwurf aus dem Bauministerium abgeschrieben und als eigenen Antrag vorgelegt.
Dennoch werden wir in den Ausschußberatungen zu prüfen haben, ob das Berechnungsverfahren nicht zu allzu großen Ungerechtigkeiten im Einzelfall führen wird.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Was verstehen Sie denn von Ungerechtigkeiten? Davon verstehen Sie doch überhaupt nichts! Die ganze Wohnungspolitik, die Sie machen ist ungerecht!)

— Entschuldigen Sie, Frau Oesterle-Schwerin, „Ungerechtigkeiten" bedeuten in diesem Falle, daß er bei einer pauschalen Gewährung weniger Wohngeld bekommen kann, als wenn es individuell für ihn ausgerechnet wird. Das sehe ich als eine Ungerechtigkeit, und gerade Sie dürften dazu kaum etwas sagen, weil Sie den Antrag im Ausschuß gestellt haben, die Bagatellgrenze unter die 20 DM zu senken. Weil Ihnen diese 20-DM-Bagatellgrenze damals als zu ungerecht erschienen war, haben Sie diesen Antrag gestellt. Dazu dürften gerade Sie deshalb jetzt nichts sagen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Sie haben überhaupt keine Ahnung!)

Es kann nicht sinnhaft sein, diesen Beschluß durch ein zu ungenaues Berechnungsverfahren zu konterkarieren.
Dieser Antrag stellt daher die Koalitionsfraktionen also keineswegs vor ein grundsätzliches Problem. Wir meinen lediglich, daß sich dieser Antrag kaum dazu eignet, eine eigene Novelle des Wohngeldgesetzes zu rechtfertigen, zumal er den Wohngeldbeziehern selbst keinen unmittelbaren geldlichen Vorteil bringt und darüber hinaus auch keineswegs kostenneutral ist, sondern Mehrkosten von ca. 30 Millionen DM erfordert.
Den Vorteil der Verwaltungsvereinfachung allein aber zur Grundlage einer eigenen achten Gesetzesnovelle zu machen ist uns zu wenig. Wir meinen daher, daß diese Frage zusammen mit der nächsten Wohngeldanpassung gelöst werden sollte. Sie haben heute die Ticker-Meldung gelesen: Frau Minister Hasselfeldt hat ja die nächste Wohngeldanpassung bereits angekündigt. Deshalb gibt uns der Antrag, den Sie hier eingebracht haben, heute willkommenen Anlaß und Gelegenheit, über das Wohngeld insgesamt zu diskutieren und unsere Meinung hierzu noch einmal darzulegen.
Wir haben im Herbst letzten Jahres angekündigt, daß wir uns dem Problem der Wohngeldanpassung widmen wollen, sobald der Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung vorliegt. Diesen mahnen wir hiermit an und fordern die Bundesregierung auf, diesen Bericht so schnell wie möglich dem Parlament zur Kenntnis zu bringen. Wir möchten wissen, wie sich Mieten, Einkommen und Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr im statistischen Durchschnitt ent-



Dr. Hitschler
wickelt haben. Wir möchten aber auch wissen, welche spezifischen Marktentwicklungen zu verzeichnen waren und welche Tendenzen erkennbar sind, denn wir möchten dann an Hand dieser Daten prüfen, in welchem Umfang und mit welchen strukturellen Änderungen eine Anhebung des Wohngeldes geboten erscheint.
Wir wissen, daß dabei einige Imponderabilien, welche die Entlastungswirkung des Wohngeldes erheblich beeinflussen können, nachhaltigen Einfluß, Herr Kollege Neuhausen, auf die verfügbaren Einkommen ausüben können. „Nachhaltigen Einfluß" habe ich gesagt.

(Zustimmung des Abg. Neuhausen [FDP])

Dazu gehören sicherlich die bevorstehenden Tarifabschlüsse ebenso wie die Entwicklung des Zuzugs von Übersiedlern, Aussiedlern und Asylanten, von denen ein zunehmender Druck auf den Wohnungsmarkt mit mietsteigender Tendenz ausgeht. Auch aus diesen Gründen darf das Interesse daran artikuliert werden, die Zuzugswelle zum Auslaufen zu bringen.
Wir möchten heute unsere Bereitschaft bekunden, jetzt das Wohngeld zu erhöhen, sofern dies von der Sache her geboten erscheint. Wir vertreten diese Auffassung aus grundsätzlichen wohnungspolitischen Erwägungen: weil die FDP auf mittlere Sicht einen Wandel in der Wohnungspolitik von der direkten Objektförderung hin zur Subjektförderung herbeiführen möchte. Es ist deshalb kein Schlagwort, wenn wir sagen: Wir sind die wohngeldfreundliche Partei; denn wir setzten auf das Wohngeld als das künftig wichtigste Steuerungsinstrument der Wohnungspolitik.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Mit der CDU/CSU! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Nicht vergessen!)

— Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Auffassung teilten.

(Zustimmung des Abg. Neuhausen [FDP])

Das Wohngeld hat sich bewährt. Es gestattet Mitbürgern, die auf Grund ihrer Einkommenssituation Mietzahlungsschwierigkeiten haben, mit diesem Problem fertigzuwerden. Es wirkt nachfragestärkend, so daß eine an den Wohnbedürfnissen der Mieter orientierte Nachfragebesteuerung wirksam wird, und damit erzielt es einen auf das Angebot von neuen Wohnungen zurückwirkenden erwünschten Effekt. Der Wohnungsmarkt erhält die richtigen Signale über die Marktkräfte, weshalb Fehlplanungen beim Neubau von Wohnungen weitgehend vermieden werden können.
Die Zahlung von Wohngeld ist andererseits notwendig, um, wie es in § 1 des Wohngeldgesetzes heißt, angemessenes und familiengerechtes Wohnen zu ermöglichen. Wir alle wissen, daß die Baukosten für eine neue Wohnung inzwischen so hoch sind, daß Mieten, denen eine echte Kostenberechnung zugrunde liegt, von vielen Mitbürgern aus eigener Kraft nicht mehr gezahlt werden können. Wir wissen aber auch, daß die Subventionen im sozialen Wohnungsbau zu einer Verzerrung des ganzen Mietengefüges führen und daß den Bürgern Kostenmieten vorgetäuscht werden, die keine echten Kostenmieten sind,
sondern mit erheblichen Mitteln herab subventioniert werden. Und dann wird den Mietern vorgegaukelt, mit Hilfe des sozialen Wohnungsbaus ließen sich preiswerte Wohnungen schaffen, während sich im freifinanzierten Wohnungsbau die Profitgier privater Spekulanten in horrenden Mieten niederschlage.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: So ist es!)

— Dieses Trugbild, Frau Oesterle-Schwerin, gilt es auf Sicht zu entlarven. Das wir Ihnen das nicht mehr beibringen können, ist uns klar.

(Geis [CDU/CSU]: Das ist hoffnungslos!)

Da haben wir inzwischen jede Hoffnung aufgegeben.
Die Mietgestaltung sollte sich generell an den Kosten orientieren und unter Berücksichtigung der Angebot-Nachfrage-Relation erfolgen. Dann wird das Wohngeld zum zentralen Instrument des sozialen Ausgleichs. Dafür müssen der Bund und die Länder dann tief in die Tasche greifen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Ja, in die Tasche der Mieter und Mieterinnen!)

Auf unsere Solidarität mit den Mitbürgern, die auf Wohngeld angewiesen sind, kann man dabei rechnen.
Wir tragen auch gerne die Mitverantwortung dafür, daß genug in der Tasche ist und in Zukunft bleiben wird, denn das Verteilen ist ja eine für das Parlament angenehme Angelegenheit. Wir wünschten uns dieselbe Solidarität auch dann, wenn es darum geht, dafür zu sorgen, daß die Steuerquellen auch künftig florierenden Wirtschaftswachstum wegen kräftig sprudeln. Dank bei dieser Gelegenheit also auch all jenen Steuerzahlern, die uns in die Lage versetzen, das Wohngeld zu zahlen, denen von Ihrer Seite ansonsten in der Tat nur der Sozialneid ins Gesicht weht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119431800
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Echternach.

Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1119431900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es läge nahe, jetzt über geistiges Eigentum und über die Verletzung geistigen Urheberrechts zu sprechen.

(Dr. Sperling [SPD]: Jetzt wollen Sie wohl auch noch Geld dafür?)

Das hat die Frau Kollegin Rönsch aber schon getan. Nur muß ich sagen, ich finde es nicht sehr originell, einen Entwurf aus dem Bundesbauministerium, der fertig vorlag und Ihnen zugegangen ist, hier jetzt unter Ihrer Flagge einzubringen.

(Dr. Sperling [SPD]: Das ist das einzig Gute, was bisher in der ganzen Legislaturperiode von dort gekommen ist!)

Der Inhalt des Gesetzentwurfes ist von uns ausgiebig mit den Ländern und mit den kommunalen Spitzenverbänden diskutiert und in einem Praxistest erprobt worden. Sie wissen aus den Beratungen des Ausschusses genau, woran es gelegen hat, daß wir



Parl. Staatssekretär Echternach
diesen Entwurf bisher so nicht umsetzen konnten, und welche Schwierigkeiten es im einzelnen gegeben hat. Sie brauchen nur in den Ausschußbericht vom 20. Oktober letzten Jahres zu sehen; dort steht ausführlich, warum der Entwurf bei der letzten Novelle nicht beraten werden konnte und herausgenommen werden mußte. Dort ist aber auch der Wille der Koalition festgehalten, genau diesen Programmpunkt in die nächste Novelle aufzunehmen.
Wenn Sie das hier nun förmlich als Gesetzentwurf eingebracht haben, und zwar wenige Tage nach der letzten Wohngeld-Debatte im Herbst letzten Jahres, dann kann ich dies nur als ein parteipolitisches Manöver empfinden. Ich weiß nicht, was dieses Scharmützel soll. In der Sache sind wir uns einig. Wir waren es, die das dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Thema vorangebracht haben, Herr Sperling. Das Ziel, um das es hier geht, nämlich Verwaltungsvereinfachung, Sozialhilfeempfängern einen unbürokratischen Weg zur Inanspruchnahme ihrer Sozialleistungen zu eröffnen, ist unser Anliegen. Der Entwurf aus dem Bundesbauministerium war offensichtlich so gut, daß Sie ihn Punkt für Punkt und Komma für Komma wörtlich abgeschrieben haben.
Deshalb bin ich auch zuversichtlich, Herr Kollege Menzel, daß wir dieses Problem jetzt einvernehmlich lösen werden.

(Menzel [SPD]: Dann können wir in 14 Tagen die dritte Lesung machen! Wunderbar!)

— Wir hatten allerdings vor, Herr Kollege Menzel, genau dieses mit einer allgemeinen Wohngelderhöhung zu verbinden. Genau das ist es, was heute Wohnungsuchende, was heute Mieter von uns erwarten, mit Recht erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Erwartungen der Mieter werden wir auch nicht enttäuschen.
Wir werden das Wohngeld rechtzeitig und angemessen erhöhen. Deshalb haben wir in der Koalition beschlossen, daß die nächste Leistungsnovelle noch in diesem Jahr kommen wird und zum 1. Oktober dieses Jahres wirksam werden soll.

(Dr. Sperling [SPD]: Wozu doch der Gesetzentwurf gut war! Sonst hätten Sie das nicht gebracht!)

— Herr Kollege Sperling, vergleichen Sie die Novelle, die wir einbringen werden, mit diesem kleinen Nebenpunkt, den Sie jetzt hier zum Gegenstand der Gesetzgebung machen, dann werden Sie eine solche Behauptung nicht aufstellen können.
Das bedeutet, daß wir einen ehrgeizigen Zeitplan vorlegen. Deswegen möchte ich auch an die Opposition appellieren, tatkräftig dabei mitzuhelfen, daß die Wohngeldempfänger tatsächlich termingerecht in den Genuß der Anpassung kommen werden.
Die achte Wohngeldnovelle wird eine ganz massive substantielle Leistungsverbesserung für die Wohngeldempfänger bringen. Die zusätzlichen Ausgaben von Bund und Ländern werden insgesamt um 1,2 Milliarden DM steigen; das bedeutet eine Steigerung der
Wohngeldleistungen um rund ein Drittel, um über 30 %. Das Volumen des Wohngeldes wird damit bei der absehbaren Gesamtentwicklung auf rund 5 Milliarden DM steigen. Weit über 2 Millionen Haushalte erfahren dann eine verstärkte Sicherung angemessenen, familiengerechten Wohnens. Rund 13 To der Haushalte werden so in ihren Wohnkosten spürbar entlastet werden.
Die Einzelheiten werden wir hier zu beraten haben. Dabei werden wir die Haushalte vor allem dort spürbar entlasten, wo die Mieterhöhungen auch besonders stark sind. Diese Differenzierung ist auch deswegen notwendig, weil in der wohnungspolitischen Diskussion die Situation der Mieter vor Ort nicht über einen Leisten geschlagen werden darf.
Der Wohngeld- und Mietenbericht wird in der nächsten Woche im Kabinett verabschiedet. Ich kann den Inhalt des Berichtes heute natürlich nicht vorwegnehmen. Aber das Gesamturteil steht schon fest: Die Wohnungssituation der Mieter ist auch jetzt im statistischen Durchschnitt gut.
Auch die unbestreitbar vorhandenen Mietsteigerungstendenzen in bestimmten Bereichen berühren die überwiegende Mehrzahl der Mieter nicht oder kaum. Nach der amtlichen Mietenstatistik hatten wir 1987 mit 1,6 % den niedrigsten Anstieg der Mieten seit Bestehen des Mietenindexes, 1988 einen Anstieg um 1,8 %, im letzten Jahr einen um 3,0 %. Bei freifinanzierten Neubauwohnungen betrug der Anstieg nur 2,7 % und lag damit noch unter dem Anstieg der gesamten Lebenshaltungskosten.
Wenn wir vom statistischen Durchschnitt sprechen, heißt das natürlich, daß es Abweichungen davon gibt. Abweichungen gibt es freilich aber auch nach unten: Nach wie vor finden in vielen bestehenden Mietverhältnissen Jahr für Jahr überhaupt keine Mieterhöhungen statt. Andererseits gibt es auch Abweichungen nach oben. Vor allem dort, wo es jahrelang absolute Stabilität gab, zum Teil sogar Preisrückgänge, schlägt das Pendel jetzt aus. Bei Neu- und Wiedervermietungen macht sich eben der Wohnungsmangel besonders bemerkbar.
Und hier gilt es, Hilfestellung zu leisten. Deshalb ist es wichtig, daß die Wohngeldleistungen jetzt erhöht werden, und zwar möglichst rasch, mit unmittelbarer Wirkung für die Betroffenen.

(Müntefering [SPD]: „Möglichst rasch" ist gut! 1. Juli, schlagen wir vor!)

— Ich hoffe, Sie haben dafür auch eine entsprechende Novelle, damit das für die Gemeinden noch technisch umsetzbar ist. Das steht in Ihrer Novelle allerdings nicht drin.
Das Wohngeld ist kein wohnungspolitisches Allheilmittel, hatte auch nie eine solche umfassende Aufgabe, sondern ist eine soziale Flankierung. Wir haben über die Ursachen der veränderten Lage oft genug geredet. Hierfür brauchen wir auch Maßnahmen, die auf die Ausweitung des Wohnungsangebotes gerichtet sind. Solche Maßnahmen haben wir ergriffen. Wir haben im Herbst 1989 ein ganzes Bündel von Entscheidungen getroffen, um alle sinnvollen Ansätze auszuschöpfen.
14972 Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990
Parl. Staatssekretär Echternach
Damit zeichnet sich für die Lösung der wohnungspolitischen Aufgaben eine klare Perspektive ab. Die Bautätigkeit springt insgesamt wieder deutlich an. Die Genehmigungen im Geschoßwohnungsbau weisen eine Wachstumsrate von über 60 % aus. Ich will einen auch für die SPD hoffentlich unverdächtigen Zeugen nennen, nämlich das DIW in Berlin. Dieses Institut schätzt die Zahl der fertiggestellten Wohnungen für 1990 auf 310 000. Das sind 30 % mehr als im Vorjahr, sicherlich von einer niedrigeren Basis aus. Aber insgesamt bedeutet das eine wesentlich höhere Steigerung, als wir sie früher in vergleichbaren Wohnungsbautälern gehabt haben, wo es nie auch nur annähernd eine so starke Zunahme gegeben hat.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Wenn die Menschen in Ihren schönen Worten nur wohnen könnten!)

Wir haben die Mittel für den sozialen Wohungsbau für dieses Jahr und für die folgenden Jahre auf 2 Milliarden DM aufgestockt. Dieses Signal ist auch von den Ländern und Gemeinden aufgegriffen worden. Herr Kollege Müntefering, in dem schriftlich verbreiteten Text Ihrer Rede, die Sie gleich halten wollen, bezweifeln Sie, daß Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam in der Lage sein würden, 10 Milliarden DM aufzubringen. Sie wollen sie gleich fordern. So habe ich es Ihrem Text entnommen. Daß diese 10 Milliarden DM zusammenkommen werden, steht jedoch bereits fest: nach den Programmen, die die Länder und Gemeinden aufgestellt haben werden. Das heißt, Sie sollten gleich Ihre Ausführungen unter diesem Aspekt überprüfen. 10 Milliarden DM stehen nach den Förderprogrammen von Bund, Ländern und Gemeinden fest.
Herr Kollege Reschke, ich habe gelesen, daß Sie uns zutrauen, für dieses Jahr maximal 60 000 bis 80 000 Sozialwohnungen zu bauen. Diese Zahl, Herr Kollege Reschke, haben wir schon im letzten Jahr erreicht. Ich habe dem Text Ihrer Rede heute, Herr Kollege Münterfering, den Sie verbreitet haben, entnommen, daß Sie 100 000 geförderte Wohnungen fordern. Herr Kollege Müntefering, wir werden in diesem Jahr mehr als 100 000 Sozialwohnungen fördern.

(Geis [CDU/CSU]: Er spricht jetzt von mehr! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Er ist bescheiden geworden!)

— Vielleicht werden Sie jetzt die Zahl gegenüber Ihrem schriftlich verbreiteten Text erhöhen, Herr Kollege Müntefering. Aber dort fordern Sie noch 100 000 Wohnungen. Nach dem vorliegenden Förderprogramm von Bund, Ländern und Gemeinden werden wir auf mehr als 100 000 Wohnungen kommen. Wir werden insofern die Forderung, die Sie aufstellen werden, sogar deutlich übertreffen. Das sind insgesamt fünfeinhalbmal so viele wie 1988. Dabei sind die Sozialwohungen, die auf Grund steuerlicher Förderung entstehen, noch nicht dazugerechnet. Denn die werden wir erst im nachhinein zählen können.
Wir fördern schließlich den studentischen Wohnungsbau, und zwar zusätzlich zum sozialen Wohnungsbau und nicht, wie Sie das noch vor zwei Monaten gefordert haben, auf Kosten eines Teils der dort vorgesehenen Fördermittel. Die SPD hat ja Anfang der 80er Jahre den studentischen Wohnungsbau von seiten des Bundes überhaupt nicht mehr gefördert. Sie hat die Förderung total eingestellt. Wir dagegen geben jetzt eine wirksame Hilfe. Allein in diesem Jahr werden Mittel für 20 000 Wohnungen und Wohnheimplätze bereitgestellt. Damit wird von einem Jahr zum anderen eine Steigerung des bisherigen Bestandes an studentischen Wohnheimplätzen um weit über 10 % erreicht werden.
Mit dem Um- und Ausbauprogramm haben wir einen geradezu überwältigenden Erfolg. Die angebotenen zinsgünstigen Kredite waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Das Programm mußte deswegen zweimal — zuletzt auf 2,5 Milliarden DM — aufgestockt werden, und wir haben dafür die politischen Weichen gestellt. Allein aus dem KfW-Anteil des Um- und Ausbauprogamms werden wir über 50 000 zusätzliche Wohnungen fördern, von dem steuerlichen Teil des Wohungsausbauprogramms gar nicht zu reden. Dort können wir sicher ebenfalls mit einem erheblichen Anteil rechnen. Alles das sind Wohnungen, die kurzfristig entstehen können, ohne zusätzliche Inanspruchnahme von Grund und Boden. Sie werden deshalb noch schneller als die erfolgreichen Neubaumaßnahmen zur Entlastung auf den Wohnungsmärkten beitragen.
Ich will und kann jetzt nicht alle Programmteile aufzählen. Klar ist jedoch: Wir lassen die Mieter in ihrer Situation nicht allein. Dort, wo Wohnungen knapp sind, wo aktuell Wohnungsmangel herrscht, tun wir alles, um die Situation mit mehr Wohnungsbau zu verbessern.
Sichtbare, zählbare Erfolge gibt es natürlich nicht über Nacht; aber eine klare Perspektive ist für jedermann erkennbar. Wer dagegen Skepsis und Pessimismus verbreitet, wer sich zurücklehnt und aus durchsichtigen politischen Motiven wenn er schon die Lage nicht schlechtmachen kann, wenigstens für eine schlechte Stimmung sorgt, der hilft weder den Mietern noch den Wohnungssuchenden.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Die Lage kann man wohl nicht noch schlechter machen!)

Vielmehr erweist er ihnen einen schlechten Dienst.
Deshalb fordere ich Sie von der Opposition auf: Helfen Sie lieber mit, die anstehenden wohnungspolitischen Aufgaben anzupacken und zu lösen, hier im Deutschen Bundestag, in den Ländern und Gemeinden und wo überall Sie politische Verantwortung tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119432000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1119432100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vor fast zwei Jahren, am 9. Juni 1988, hier im Deutschen Bundestag gemeinsam beschlossen, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorzulegen hat, der Regelungen für eine vereinfachte Wohngeldgewährung an Empfänger von Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge enthält, und zwar so rechtzeitig, daß diese Novelle noch im Jahre



Müntefering
1988 verabschiedet werden kann. Darüber waren wir uns im Ausschuß auch einig.
Deswegen verstehe ich die Aufregung jetzt nicht und auch nicht das Reden über den Diebstahl geistigen Eigentums. Das war eine Ausschußdrucksache, die auf dem Tisch gelegen hat, die wir aufgenommen haben, weil die Bundesregierung und die Koalition das Thema verschlafen haben. Sie haben das verschlafen, statt es auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages zu bringen und zu beschließen. Sie wußten doch alle, daß das, was dort steht, richtig ist; auch Sie auf seiten der Bundesregierung wußten das. Aber Sie haben — aus welchen Gründen auch immer — das ganze Thema verschlafen. Da ist es die Aufgabe der Opposition — das ist so in einer Demokratie — , Ihnen auf die Finger zu klopfen und das auf den Tisch zu legen. Jetzt machen Sie das auch; ich finde das gut.
Das gilt genauso für das Wohngeld insgesamt. Wir haben seit einem Jahr gemahnt: Das Wohngeld muß verbessert, muß erhöht werden. Weil die Bundesregierung auch da schlief, fest und ruhig, haben wir im September 1989 einen eigenen Entwurf für die soziale Fortentwicklung des Wohngeldes auf den Tisch gelegt — der Antrag liegt hier; alle wichtigen Komponenten sind enthalten —, mit dem Ziel, daß die Wohngeldempfänger im Durchschnitt pro Jahr eine Erhöhung von 270 DM erfahren.
Nun höre ich heute: Die Koalition hat nach langem Ringen etwas Ähnliches beschlossen; auch das wird jetzt auf den Tisch des Hauses kommen. Das finde ich ebenfalls in Ordnung. Über die Einzelheiten werden wir uns noch streiten.
Ich bin stolz darauf, daß die Opposition offensichtlich in der Lage ist, die Koalition und die Regierung ab und zu ein bißchen auf Trab zu bringen, wenn ihnen das nicht aus eigener Kraft gelingt.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Deswegen dürfen Sie noch lange Opposition bleiben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Tun Sie man nicht beleidigt. Sie wissen ganz genau, daß ich an dieser Stelle recht habe. Das werden wir so auch weitermachen. Das mit dem Hasen und dem Igel, Herr Staatssekretär Echternach, werden Sie noch öfter erleben. Wenn Sie sich nicht mehr beeilen, als das in den letzten Wochen und Monaten der Fall gewesen ist, werden wir das auch noch an anderen Stellen machen und dafür sorgen, daß diese Dinge hier beraten werden und daß Sie sich entscheiden müssen. Es gibt noch andere Punkte, über die wir noch zu reden haben werden.
Nun, wo der Wahltermin naht, soll zum 1. Oktober das Wohngeld in der Tat erhöht werden. Aber Sie äußern sich nicht zu dem alten Irrtum in dieser Wohngeldnovelle und in Ihrer Wohnungspolitik — eben haben Sie es wieder nicht getan —, daß sozialer Wohnungsbau eigentlich nicht mehr erforderlich sei und daß der frei finanzierte Wohnungsbau die ganzen Probleme auf unserem Wohnungsmarkt von allein löse.
Solange die Koalition an dieser Stelle ihre Politik nicht korrigiert, bleibt das, was Sie mit dem Wohngeld
machen, nur Stückwerk. Es bleibt ein Trostpflästerchen, aber es löst die eigentlichen Probleme des Wohnungsbaus nicht.
Wir brauchen mehr Wohnungen. Wir brauchen mindestens 100 000 Sozialwohnungen, soziale Mietwohnungen und soziales Eigentum. Ich sage Ihnen noch einmal: Die Bundesregierung kleckert an dieser Stelle. Sie geben in diesem Jahr 2 Milliarden DM als Verpflichtungsermächtigung, und Sie muten den Ländern und den Gemeinden zu, selber 8 Milliarden DM aufzubringen.

(Geis [CDU/CSU]: Haben die immer gemacht!)

— Das ist doch nicht wahr. — Das ist kein Anteil, der dem entspricht, was in unseren Gesetzen steht. Bund, Länder und Gemeinden sind zusammen verpflichtet, die wohnungspolitischen Probleme zu lösen. Das heißt doch wohl, daß unsere Forderung, nämlich 3,5 Milliarden DM Bundesanteil, gerechtfertigt ist. Sie müssen doch nicht stolz sein, wenn die Länder und Gemeinden ihre letzten Groschen zusammenkratzen, um davon die nötigen Wohnungen zu bauen.

(Beifall bei der SPD — Geis [CDU/CSU]: Sie erhöhen über Nacht Ihre Forderungen!)

Es ist Aufgabe des Bundes, sich entsprechend zu engagieren. Er sollte sich nicht darüber mokieren, daß die Länder und Gemeinden nicht in der Lage sind, in der nötigen Weise zu finanzieren.
Im übrigen ist zu den Wohnungszahlen, mit denen Sie jetzt versuchen zu prunken, zu sagen: Sie wollen ja keine richtigen und soliden Sozialwohnungen. Sie wollen den dritten Förderweg gehen. Das ist ja bei Ihnen gerechnet. Sie wollen ja nicht 100 000 echte, langfristig gebundene Sozialwohnungen finanzieren, sondern Sie wollen Wohnungen haben, die schon nach fünf, sechs oder sieben Jahren aus der Bindung herausfallen. Sie programmieren mit dieser Politik die Probleme für 1995, 1996. Ehe die letzten Wohnungen mit dem Geld, das Sie jetzt zur Verfügung stellen, gebaut sind, fallen die ersten schon wieder aus der Bindung heraus. Das Wohngeld steigt an der Stelle natürlich noch einmal.

(Geis [CDU/CSU]: Warten Sie die Entwicklung doch erst einmal ab!)

Das Wohngeld ist im System einer sozial orientierten Wohnungspolitik unverzichtbar. Aber Wohngeld kann die Fehler der allgemeinen Wohnungspolitik nicht korrigieren und ausgleichen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1119432200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1119432300
Bitte schön.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119432400
: Herr Kollege, warum haben Sie denn dem dritten Förderungsweg, den Sie jetzt zu Recht kritisieren, vor wenigen Monaten noch zugestimmt? Meinen Sie nicht, daß Sie zumindest nicht Ihrer Aufklärungspflicht als SPD-Opposition nachgekommen sind, als Sie diesem Weg zugestimmt haben, und damit zu dem Irrtum der Menschen im Land beigetragen haben, die jetzt nämlich denken: Die SPD war dafür, so schlimm kann es nicht sein? Das



Frau Oesterle-Schwerin
ist ein Irrtum, dem die Menschen sehr oft unterliegen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja ein ganz toller Vorwurf!)


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1119432500
Die Möglichkeit, mit dem dritten Förderweg zu bauen, stellt eine Unterstützung des freifinanzierten Wohnungsbaus dar. Gegen den Weg haben wir nichts. Die Wohnungen, die dadurch entstehen, sind keine Sozialwohnungen. Wir brauchen auch freifinanzierten Wohnungsbau. Das haben wir nie bestritten. Wir waren für Verbesserungen bei Abschreibungen. Wir sind auch für den dritten Weg, um damit den Wohnungsbau zu fördern. Aber das, was dadurch entsteht, sind keine sozialen Wohnungen. Darum geht der Streit. Wir brauchen aber Sozialwohnungen mit langfristigen Bindungen.

(Geis [CDU/CSU]: Sie sind aber doch gebunden!)

Im Rahmen der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung gerät das Wohngeld in peinliche Nähe zu einer Gratifikation, die man unter das Volk streut. An dem eigentlichen Kernpunkt der Wohnungspolitik ändert das überhaupt nichts.

(Geis [CDU/CSU]: Das ist reine Polemik!)

Das Wohngeld wird auch den freifinanzierten Wohnungsmarkt nicht für die unteren und mittleren Einkommensgruppen öffnen. Die Differenz zwischen den Neubaukosten und der Zahlungskraft dieser unteren und mittleren Einkommensgruppen ist zu groß. Die 15 bis 35 DM Miete je Quadratmeter pro Monat — je nachdem, wo die freifinanzierte Wohnung gebaut wird — kann durch Wohngeld überhaupt nicht ausgeglichen werden. Deshalb ist es eine Illusion zu behaupten, wir könnten freifinanziert bauen, das Wohngeld werde erhöht und wir könnten dann die ganzen sozialen Probleme lösen. Sie wissen, daß das nicht funktioniert.
Sie wissen auch, daß Sie mit der Erhöhung, die Sie jetzt durchführen, nur eine kleine Marge von Betroffenen erreichen, aber das entscheidende Problem auf dem Markt tatsächlich nicht lösen. So hoch können Sie das Wohngeld überhaupt nicht schrauben, damit sich die unteren und mittleren Einkommensgruppen im freifinanzierten Wohnungsmarkt durchsetzen könnten.
Im übrigen wird diese Erhöhung die Vermieter auch ermutigen, die Mieterhöhungen zusätzlich zu forcieren. Die Mieten sind seit 1983 ohnehin mehr als zweieinhalbmal so schnell gestiegen wie die übrigen Lebenshaltungskosten. Eine deutliche Anhebung der Wohngeldansprüche bei grassierender Wohnungsknappheit wird natürlich weiteren Schwung in die Mietpreiserhöhungen bringen. Das ist doch klar. Das wissen Vermieter. Das Ganze wird zu einem großen Teil Transformationsriemen für Mieterhöhungen sein. Das zahlen wir mit unserem Wohngeld.

(Ruf [CDU/CSU]: Diese bösen Vermieter!)

Trotz des aufgezeigten Dilemmas bleibt eine Wohngelderhöhung jetzt nötig. Deshalb haben wir im September vergangenen Jahres auch unseren Antrag vorgelegt. Die Mieter und die kleinen Eigenheimer sollen
nicht für die falsche Wohnungspolitik dieser Regierung zahlen. Deshalb fordert die SPD-Bundestagsfraktion schon seit einem Jahr eine Novelle — wir haben das im September beantragt —; damals haben Sie das noch weit von sich gewiesen. Inzwischen sind Sie klüger geworden. Die Opposition und der nahende Wahlkampf haben Sie offensichtlich doch zu einer besseren Einsicht gebracht.

(Geis [CDU/CSU]: Für was die Opposition alles gut ist!)

Für die SPD bleibt die Forderung unverzichtbar, die besonderen Wohnungsprobleme und Wohnungskostenprobleme der Alleinerziehenden, Unterhaltspflichtigen und Schwerbehinderten zu berücksichtigen. Da muß es Verbesserungen im Bereich der Freibeträge geben. Wir sind gespannt, was in Ihrem Entwurf zu diesen Punkten steht.
Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, daß diese Koalition die Freibeträge für die Kinder der Alleinerziehenden gegenüber früheren Tatbeständen verschlechtert hat. Ich darf Sie daran erinnern, daß es dringend notwendig ist, die Situation im Bereich der Unterhaltspflichtigen durch Freibeträge zu verbessern. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie die Freibeträge für Schwerbehinderte heruntergesetzt haben. Diese Dinge müssen korrigiert und verändert werden.
Das gilt auch für die Anrechnung des Einkommens von Kindern, die im Haushalt eines Wohngeldempfängers leben. Es ist doch gerade bei der dramatisch wachsenden Wohnungsnot in unserem Lande unsinnig, bisherige Wohngeldansprüche wegfallen zu lassen und so den Auszug dieser Jugendlichen in eine eigene Wohnung noch finanziell attraktiv zu machen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Renger)

Wir haben einen erhöhten Freibetrag für diese betroffene Bevölkerungsgruppe vorgeschlagen. Bitte stellen Sie das auch in Ihren Entwurf ein.
Die wichtigste Forderung aber bleibt: Bundesregierung und Koalition müssen ihr Verhältnis zum sozialen Wohnungsbau im Neubau und im Bestand korrigieren. Erst dann bleibt die Wohngeldnovelle glaubhaft.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119432600
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5638 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Schily, Frau Wollny, Frau Garbe, Frau Hensel, Frau Flinner, Brauer, Dr. Daniels (Regensburg), Dr. Knabe, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN



Vizepräsidentin Renger
Antarktis-Weltpark-Erklärung
— Drucksachen 11/4440, 11/6028 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sperling
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6371 und 11/6379 vor.
Der Ältestenrat hat für die Beratung einen Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgeschlagen. — Auch damit ist das Haus einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kottwitz.

Almut Kottwitz (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119432700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor genau einem Jahr und zwölf Tagen, am 28. Januar 1989, ist vor der antarktischen Küste der US-Forschungsstation Palmer das argentinische Touristenschiff „Bahia Paradiso" auf Grund gelaufen. Die dabei ausgelaufenen 600 0001 Dieselöl gefährden die Brutkolonien der Pinguine, verseuchen die Krillbestände und werden in 600 Jahren noch nicht wieder abgebaut sein. Beim Zerbersten des Tanks werden die restlichen 270 0001 Treibstoff ungehindert in das Eismeer laufen. Zwar erklärt die argentinische Regierung, sie werde die Folgen des Unfalls beheben, doch einmal abgesehen davon, daß es sich hier um irreversible Schäden handelt, lassen seit einem Jahr konkrete Taten auf sich warten. Es handelt sich hier eindeutig um einen Verstoß gegen den Antarktis-Vertrag.
In der Präambel des zur Unterzeichnung anstehenden Antarktis-Rohstoffabkommens steht: „Die Vertragsstaaten sind überzeugt, daß sich das bisherige Antarktis-Vertragssystem als wirksam erwiesen hat, um den Schutz der antarktischen Umwelt zu gewährleisten." Das Beispiel der „Bahia Paradiso " ist aber nur eines von vielen, das die Unwirksamkeit solcher Verträge aufzeigt. Nur wenn auch Mechanismen zur Durchsetzung von Umweltschutzbestimmungen entwickelt werden, kann die Natur nachhaltig gesichert werden. Die Tankerkatastrophe der „Exxon Valdez" vor einem Jahr in Alaska hat uns auf dramatische Weise vor Augen geführt, was ein Ölunfall in polaren Gebieten bedeutet. Das jüngste Beispiel lieferte der neueste Umweltskandal auf der Station Mc Murdo. Aus flexiblen Tanks sind rund 190 000 1 Treibstoff ausgelaufen und auf 1 200 Quadratmeter in Schnee und Eis gesickert. Der Grund: Heftige Schneestürme hatten in sieben von neun Tanks Leck geschlagen.
Hier zeigt sich doch ganz deutlich, daß so kein Schutz der antarktischen Umwelt gewährleistet ist. Stellen wir uns nach der Ratifizierung des Rohstoffabkommens eine mögliche Erdölförderung in der Antarktis vor: In dieser Region der stürmischen antarktischen Ozeane sind Unglücke an Ölbohrstellen vorgezeichnet.
Sir Peter Scott, der Sohn des legendären Südpolpioniers, sagte — ich zitiere — : „Ich denke, wir sollten genug Weisheit besitzen, um zu wissen, wann wir einen Ort sich selber überlassen müssen." Dies hatte bereits 1947 die Internationale Liga der Frauen für
Frieden und Freiheit erkannt, die eine UN-Kontrolle über dieses Gebiet forderte.
Der 1959 unterzeichnete Antarktis-Vertrag erklärt die Antarktis zum Niemandsland, das ausschließlich für friedliche und wissenschaftliche Zwecke genutzt werden darf. Der Vertrag führte zu einem Boom von Forschungstätigkeiten mit dem Hintergedanken, bei der wirtschaftlichen Nutzung nicht im Abseits zu stehen.
Heute stehen wir vor der Unlösbarkeit der Umweltprobleme in der Antarktis. Zur Lösung schlägt die Bundesregierung vor: Ausbeutung mineralischer Ressourcen, einschließlich Verarbeitungs-, Lagerungs-
und Beförderungsmöglichkeiten; Art. 1 Punkt 10 des Antarktis-Rohstoffabkommens.
Es gibt keine umweltfreundliche Ausbeutung mineralischer Ressourcen,

(Beifall bei den GRÜNEN)

auch nicht durch eine vorangegangene Umweltverträglichkeitsprüfung! Darum fordern z. B. Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen, die EG-Kommission, Frankreich, Australien und alle Menschen, die sich der ökologischen Krise unserer Zeit bewußt sind, die Antarktis als einen geschützten Weltpark zu erhalten.
Das Weltpark-Konzept beruht auf folgenden Prinzipien: Erstens. Die ursprüngliche Wildheit der antarktischen Landschaft soll erhalten bleiben. Zweitens. Das antarktische Wildleben soll vollständig geschützt werden. Drittens. Die Antarktis soll eine Region eingeschränkter wissenschaftlicher Forschung bleiben, mit Wissenschaftlern aller Nationen. Viertens. Die Antarktis soll eine Friedenszone bleiben, frei von allen Waffen.
Auf dieser Grundlage legen wir einen Antrag vor, in dem wir die Bundesregierung auffordern, das Rohstoffabkommen nicht zu unterzeichnen; sich bei den Antarktis-Staaten für die Nichtunterzeichnung einzusetzen; sich international dafür einzusetzen, daß die Antarktis zu einem geschützten Weltpark erklärt wird, in dem jegliche Rohstoffausbeutung und militärische Nutzung untersagt sind; sich bis zum Abschluß der Antarktis-Weltpark-Konvention für ein Moratorium einzusetzen.
Frankreich und Australien sind starke Verfechter dieser Weltpark-Idee. Aber auch in anderen Vertragsstaaten öffnen sich die Ohren für die Möglichkeit, den letzten unberührten Baustein der Erde zu erhalten.
Die Aussage der Bundesregierung, beim Wegfall des Rohstoffabkommens bestehen keine Regelungen für den Mineralabbau, ist so einfach falsch. Das bestehende antarktische Vertragssystem kann erweitert werden, bis durch Verhandlungen der Weltpark-Antarktis-Vertrag abgeschlossen wird. Die Antarktis kann auch durch die „Konvention über den Schutz des kulturellen und natürlichen Erbes der Welt " zum Natur-Welt-Erbe erklärt werden.
Auf der Antarktis-Konsultativ-Tagung im Oktober 1989 in Paris wurde beschlossen, 1990 in Chile eine Sonderkonsultativ-Tagung einzuberufen, um ein umfassendes Umweltschutzsystem auszuarbeiten. Dies kann das wichtigste Treffen für den Umweltschutz in



Frau Kottwitz
der Antarktis werden, das es je gab; denn die Vorschläge Frankreichs und Australiens, die Antarktis zu einem Weltpark zu erklären, stehen dort auf der Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, dem Bericht der Bundesregierung über die Konsultativ-Tagung in Paris entnehme ich, daß sie sich für den Umweltschutz in Einzelbereichen besonders einsetzen will: Meeresverschmutzung, Abfallbeseitigung, Schutz der Ozonschicht, Umweltverträglichkeitsprüfung.
Meeresverschmutzung: Das marine Ökosystem der Antarktis hatte sich über einige tausend Jahre nicht verändert. Eine Studie aus Amerika brachte aber jetzt den schockierenden Bericht, die Küstengewässer nahe der Station Mc Murdo sind stärker mit PCB verseucht als selbst große Häfen in den USA. Im Gewebe von Robben wurden Spuren von PCB gefunden.
Wie will eine Bundesregierung, die es zuläßt, daß PCB-haltige Transformatoren im eigenen Lande weiter im Einsatz sind, obwohl die damit verbundenen Gefahren allgemein bekannt sind, eine Bundesregierung, die die Verschmutzung des Grundwassers im eigenen Lande nicht stoppt, den antarktischen Umweltschutz vorantreiben?
Abfallbeseitigung: Die Folgen der menschlichen Forschertätigkeit in der Antarktis werden in der Müllproblematik drastisch erkennbar. Sturmvögel brüten ihre Eier mittlerweile zwischen Bierdosen, Plastiktüten und rostigen Metallteilen aus. Greenpeace ist der Auffassung, daß jeglicher Müll — ohne Ausnahme — aus der Antarktis weggeschafft werden muß.
Was aber macht diese Bundesregierung mit dem zurückgebrachten Müll? Denn hier stehen wir kurz vor einem Müllnotstand. Hier eine starke Müllvermeidung und -verwertung, keine -verbrennung und in der Antarktis erst gar keinen Müll entstehen lassen, nur so kann eine verantwortliche Politik aussehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schutz der Ozonschicht: Hier ist es nicht ausreichend, wenn andere Staaten dem Wiener Übereinkommen beitreten, und auch nicht, wenn hier bei uns die FCKW aus Kühlschränken getrennt gesammelt werden. In der extremen Kälte der Antarktis verstärkt sich die zerstörende Wirkung jedes Chloratoms und anderer aggressiver Atomgruppen auf die Ozonschicht. Jedes aus unseren Gebieten kommende Chloratom kann dort bis zu 10 000 Ozonmoleküle zerlegen. Um auf die Gefahr der FCKW noch einmal deutlich hinzuweisen, wurde gerade ein Werk der Kali-Chemie, das Unmengen von FCKW herstellt, von Greenpeace besetzt.
Wenn die Bundesregierung es also mit dem Schutz der Ozonschicht gerade auch über die Antarktis ernst nehmen würde, muß sie sich unseren grünen Forderungen anschließen und den sofortigen Ausstieg aus der Chlorchemie mit gesetzlichen Maßnahmen in die Wege leiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie das nicht wollen, dann frage ich Sie aber: Wie ernst nehmen Sie den Umweltschutz in der Antarktis?
Der Wirtschaftsausschuß des Bundestages begrüßt „im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Industrie die Haltung der Bundesregierung zur Antarktis". Deutlicher kann es ja wohl kaum werden. In der Bundesrepublik wird auch ohne wirtschaftliche Notwendigkeit die Ökologie der Ökonomie untergeordnet.
Wenn die Bundesregierung dieses Mineralstoffabkommen unterschreibt, egal mit welchen ökologischen Zusatzbedingungen auf dem Papier, handelt sie damit gemäß ihrer Wachstumsideologie in dem Irrglauben, daß immer und alles machbar sei. Dies ist die konsequente Weiterführung einer technokratischen Umweltpolitik oder — ich zitiere Scott: „Vielleicht ist es auch die Unfähigkeit von Menschen, ihre Habgier zu beherrschen. "
Ein künftiges Leben auf unserem Planeten wird aber nur möglich sein, wenn ein radikales Umdenken im Umgang mit der Natur einsetzt. Am Beispiel der Antarktis wird sich zeigen, ob wir eventuell doch noch ein Fünkchen Achtung vor der Schöpfung haben, um dieses einmalige Gebiet unserer Mitwelt zu überlassen.
Meine Damen und Herren, die FDP hat auf ihrem Parteitag am 27. Mai 1989 beschlossen, sich für den Schutz der Antarktis in unserem Sinne einzusetzen. Die SPD hat im Wirtschaftsausschuß unserem Antrag zugestimmt. Deshalb hoffe ich, daß sie sich heute für den Schutz der Antarktis als Weltpark aussprechen, die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses ablehnen und unserem Änderungsantrag zustimmt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119432800
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID1119432900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung zum vorliegenden Antrag habe ich für die CDU/CSU positiv zum Ausdruck bringen können, daß es überaus erfreulich ist, festzustellen, daß es allen Fraktionen um einen möglichst effizienten Schutz der Antarktis geht. Ich wiederhole deshalb, was ich bereits im Juni gesagt habe: Wir müssen die Antarktis vor wirtschaftlicher Begehrlichkeit, vor allzu sorglosem und fahrlässigem Umgang, kurz: vor dem Menschen schützen.
Deshalb begrüßen wir die Entscheidung der Bundesregierung, das sogenannte Rohstoffabkommen jetzt nicht zu zeichnen. Die ablehnende Haltung der Regierungen von Australien und Frankreich gegenüber den Vereinbarungen von Wellington hat eine weitere Verhandlung möglich gemacht. Die Bundesregierung wird sich hieran aktiv beteiligen.
Wir sollten uns aber heute davor hüten, an den eigentlichen Notwendigkeiten vorbeizureden. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, was Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag schreiben, entspricht vielleicht der landläufigen Meinung, aber nicht dem, was in dem Abkommen von Wellington vereinbart worden ist. Dort geht es nämlich um den Schutz vor der ungeregelten Ausbeutung der Rohstoffe. Gemeinsam mit der SPD verbreiten Sie zum Teil gezielte Falschinformationen, wie auch in dem Schreiben, das



Kittelmann
Herr Schäfer an „liebe Wählerinnen und Wähler" verschickt. Bei bestimmten Dingen wäre es ratsam, wenn Sie Ihren Experten Horst Grunenberg mehr zu Rate ziehen würden, der seit Jahren Erfahrung auf diesem Gebiet hat.
Um die Haltung der CDU/CSU noch einmal deutlich darzustellen: Uns geht es vor allem darum, den Abbau von Rohstoffen in der Antarktis zu verhindern. Die Gefahren, die damit verbunden sind, wären nämlich unüberschaubar.
Lassen Sie mich kurz die Zusammenhänge deutlich machen. Im Jahre 1959 wurde von 12 Staaten der Antarktis-Vertrag geschlossen, der festlegte, daß der sechste Kontinent für die Forschung frei bleiben soll, daß er aber nicht militarisiert werden darf, und daß Kernexplosionen ebenso verboten sind wie die Lagerung radioaktiven Abfalls. Eine Regelung von wirtschaftlichen Aktivitäten unterblieb, weil diese damals noch mehr als heute unvorstellbar waren. Auch im Bereich des Umweltschutzes konnten Fragen, die sich heute stellen, damals noch nicht beantwortet werden.
Um das Jahr 1970 erkannte die neuseeländische Regierung die Schwäche des Vertrages in dieser Frage und unternahm den ersten Versuch, das unmittelbare Verbot jeglicher Rohstoffaktivitäten durchzusetzen. 1982 unterzeichnete übrigens die Bundesregierung.
Der Versuch scheiterte, weil nicht alle Staaten zustimmten, die in der Antarktis Gebietsansprüche stellen. Der Konsens dieser sieben Staaten ist aber nach dem Antarktis-Vertrag erforderlich, wenn das Abkommen geändert werden soll. Die Konsequenz war, daß die Nutzung der Rohstoffe weder eingeschränkt, noch völlig verboten wurde. Hier bleibt ein rechtsfreier Raum, den im Grunde jeder Konsultativstaat des Antarktis-Vertrages nützen könnte, wie er das wollte.
Die Beseitigung dieses rechtsfreien Raumes und nicht etwa die Nutzung der Rohstoffe war Grund für die Beteiligung der Bundesregierung an den Verhandlungen für das Rohstoffabkommen. Die 11. Konsulativtagung der Antarktis-Vertragsstaaten von 1981, die gleichzeitig die erste unter bundesdeutscher Beteiligung war, hat eine Sonderkonsultativtagung beschlossen. Diese sollte nicht die Ausbeutung der Rohstoffe in der Antarktis regeln, sondern die Nutzung der Rohstoffe möglichst weit einschränken.
Sicher wäre für die Bundesregierung, aber auch für die CDU/CSU-Bundestagsfrakion ein Verbot bergbaulicher Aktivitäten die nachhaltigste und tragfähigste Lösung gewesen; aber mit dieser Haltung scheiterten die Verhandlungsführer der Bundesregierung, weil eine Notwendigkeit zum Kompromiß mit den anderen Vertragsstaaten bestand.
Der erzielte Kompromiß konnte sich aber sehen lassen: Die Freigabe eines Gebiets zum Abbau von Rohstoffen wurde von der Zustimmung aller Mitgliedsländer des Vertrages abhängig gemacht. Das bedeutet de facto ein Vetorecht eines jeden Vertragspartners. Einzelvorhaben müssen darüber hinaus von einem noch zu schaffenden Regelungsausschuß unter Beachtung striktester Umweltstandards genehmigt werden. Und weiter: Wirklich sichere Technologien sind Voraussetzungen jeglicher Ausbeutung. Der letzte Punkt kommt für uns in der Hoffnung, daß gar keine Ausbeutung stattfindet, nicht in Frage.
Meine Damen und Herren, entscheidend ist das Vetorecht für alle Vertragsstaaten. Ich bedauere, daß gerade hierauf die Vorrednerin von den GRÜNEN wiederum nicht aufmerksam gemacht hat.
Dies sollte uns deutlich machen, daß mit der Vereinbarung ein entscheidender Schritt für den Schutz des sechsten Kontinents gemacht wurde. Wenn schon das Verbot von Rohstoffaktivitäten als Optimum nicht durchsetzbar ist, so bedeutet die Verhinderung von Rohstoffaktivitäten zumindest das erreichbare Maximum.
Mittlerweile haben sich die Positionen verschoben. Australien und Frankreich, die Gebietsansprüche in der Antarktis stellen, haben mittlerweile erklärt, daß sie den Vertrag nicht mehr unterstützen. Sie wollen einen noch weitergehenden Schutz der Antarktis.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt diese Haltung. Wir begrüßen darum auch die Entscheidung des Kabinetts, auf eine Zeichnung des sogenannten Rohstoffabkommens zu verzichten. Damit kann die Bundesregierung weiter aktiv zu einem noch weiterreichenden Konsens in Fragen des Umweltschutzes im Hinblick auf alle menschlichen Aktivitäten in der Antarktis beitragen. Wir streben als Fraktion eine Vereinbarung der Antarktis-Vertragsstaaten an, den sechsten Kontinent zu einem Weltnaturschutzgebiet zu erklären, wie dies auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung zu den „Gefahren einer Zerstörung des Ökosystems in der Antarktis" gefordert hat.
Weil wir Deutschen aber darüber nicht allein entscheiden können, werden wir dem Antrag der GRÜNEN nicht zustimmen, da der Antrag die genau entgegengesetzte Wirkung haben würde; er würde uns von den weiteren Verhandlungen ausschließen. Wir können nämlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, daß eine über das Rohstoffabkommen hinausgehende Vereinbarung nicht zustande kommt. Es ist besser, mit dem sogenannten Rohstoffabkommen den Bergbau in der Antarktis zu verbieten, als den rechtsfreien Raum bei der Nutzung der Rohstoffe beizubehalten.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal klar folgendes herausstellen. Die CDU/CSU hält die Idee des Weltnaturschutzgebietes für faszinierend und unterstützt sie. Aber der Weg dahin geht nicht über den Antrag der GRÜNEN und auch nicht über den Antrag der SPD, der in sich widersprüchlich ist. Wenn man ihn genau liest, hat man den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei die Gesamtzusammenhänge des bestehenden Antarktis-Vertrages und des Wellington-Abkommens nicht ganz genau studiert hat. Die CDU/CSU unterstützt infolgedessen die konstruktive Verhandlungsführung der Bundesregierung in dieser Frage und wünscht ihr dabei guten Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119433000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.




Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1119433100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sache nach ist von diesem Pult aus von beiden, der Vorrednerin und dem Vorredner, begründet worden, warum die Antarktis gar nicht genutzt werden darf. Begründet worden ist das sehr überzeugend auch schon am 1. Juni letzten Jahres von einem jetzt Sozialdemokraten, damals GRÜNEN Otto Schily. Damals wurden eine Reihe von Zusagen gemacht. Ich will alle die richtigen Begründungen jetzt nicht wiederholen, sondern den Versuch machen, aus der Sommerdebatte die Argumente zusammenzutragen, die dazu führen müßten, daß Sie wenigstens dem SPD-Antrag zustimmen.
In der Sommerdebatte am 1. Juni hat Herr Baum für die FDP versprochen, daß man zu einem Papier kommen werde; es würde aus dem Ausschuß schon ein Papier herauskommen, man würde etwas schreiben. „Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten, in welcher Form wir das zu Papier bringen." Was hieß damals „das"? All das, was in den heutigen Anträgen der GRÜNEN und der SPD steht. Lesen Sie einmal die Debatte nach, schauen Sie nach, was Herr Baum gefordert hat: alles, was in unseren Anträgen steht. Es soll ein Moratorium beibehalten bleiben, es soll die Antarktis zu einem Naturschutzpark gemacht werden. All dies hat Baum damals gewollt.
Herr Kittelmann, Sie haben, wenn man das glauben darf, was Sie sagen, den hervorragenden Satz gesprochen:
Wir würden auch jetzt gern den Forderungen von Greenpeace entsprechen und jegliche Rohstoffaktivitäten im Bereich der Antarktis untersagen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Dies habe ich heute wiederholt, Herr Kollege!)

Nun erfüllen Sie sich doch diesen Wunsch! Nun machen Sie das doch einmal!

(Kittelmann [CDU/CSU]: Aber nicht mit der Zustimmung zu Ihrem Antrag!)

Nun sorgen Sie durch Zustimmung zu unserem Antrag dafür, daß die Bundesregierung international mit einem völlig eindeutigen Auftreten keinen Zweifel aufkommen läßt, daß sie erst irgendwo eintritt und mit dem Unterzeichnen die Glaubwürdigkeit, das Gegenteil dessen zu verfolgen, was mit der Unterzeichnung eigentlich gemeint ist, aufgibt. Denn, Herr Kittelmann, wie sähe das denn aus? Es mag, was weiß ich, bei Ihnen gang und gäbe sein, obwohl ich hoffe, es gehört nicht zu Ihren Bräuchen, daß man einen Vertrag erst unterschreibt, und dies in der Absicht, seine Nutzung zu verhindern, sich aber gleichzeitig dann in der Öffentlichkeit als jemand aufspielen möchte, der gegen jeglichen Abbau von Mineralstoffen in der Antarktis ist. Merken Sie gar nicht, was Sie eigentlich für eine moralische Verlogenheit der Bundesregierung anraten? Nun könnte man sagen: Solche Schläue!

(Abg. Kittelmann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119433200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1119433300
Nein, Herr Kittelmann, bleiben Sie lieber sitzen.

(Heiterkeit bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: So scharfe Angriffe und Zwischenfragen nicht zulassen ist unmoralisch!)

— Das ist so. — Sie muten der Bundesregierung zu, daß sie in der Tat moralisch verlogen auftreten muß. Sie soll einen Vertrag in der Absicht unterzeichnen, das, was die anderen Unterzeichnerstaaten wollen, nämlich die Ausbeutung der Antarktis, zu verhindern. Was für eine Vertragspartnerschaft ist das, die Sie da in Gang setzen wollen?

(Kittelmann [CDU/CSU]: Welche Bundesregierung hat den Antarktis-Vertrag denn unterschrieben? — Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Sie sollten Ihre Formulierung noch einmal überdenken, Herr Kollege!)

— Nein, Sie sollten sich überlegen, ob Sie unserem Antrag zustimmen. In unserem Antrag steht nicht einmal — deswegen ist er für Sie annehmbar; der GRÜNE-Antrag ist schwieriger —, daß Sie auf das Zeichnen verzichten sollen, weil wir wissen, daß das Ihre Klippe ist. Wenn Ihre Wünsche so sind, wie Sie sagen, dann können Sie heute abend in diesem Parlament eine moralische eindeutige Position bekunden, indem Sie unserem Antrag zustimmen. Dann ist selbst für diejenigen, die da unterzeichnen, wenigstens hier im Parlament eindeutig geklärt, in welcher Haltung man unterzeichnet; nämlich dann, wenn man durch Zustimmung zu dem SPD-Antrag unterzeichnet, hat man klargemacht, man tritt eigentlich als jemand in einen Vertrag hinein, dessen Nutzung man verhindern will. Das hat man hier vorher im Parlament beschlossen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie sollten sich für Ihre starke Bemerkung entschuldigen! Aber ich höre weiter zu!)

Nun gebe ich zu, die Bundesregierung wird das alles nicht sehr überzeugend machen können. Wer ist denn von denjenigen noch hier, die sich damit befaßt haben?

(Zuruf von der FDP)

Von dem Herrn Baum kriegen wir heute abend keine Blätter — weder beschriebene noch unbeschriebene. Und das, was er versprochen hat, halten Sie nicht ein. Da dies offenkundig zu diesem Vertrag Ihre Haltung sein soll, frage ich mich, was denn dann von den Worten zu halten ist, die Sie so gern im Munde führen, daß es darum gehe, die Schöpfung zu bewahren.
Wenn es irgendwo auf der Erde einen — wie es geschildert wurde — beeinträchtigten, aber doch noch weitgehend schöpfungsnahen Zustand eines Kontinents gibt, dann ist es dort. Nun machen Sie nicht bloß Regierungserklärungen mit schönen Sprüchen, sondern tun Sie mal Butter bei die Fische. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Das geht leichter, als dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen. Dann haben Sie wenigstens moralisch eine eindeutige Position bezogen.

(Beifall bei der SPD — Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Sie sind ein Pharisäer!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119433400
Ich verstehe Ihren Widerspruch gegen die moralischen Qualifizierungen. Das ist immer ein Problem, wenn ich das einmal sagen darf.
Jetzt hat der Herr Kollege Funke das Wort.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119433500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir teilen die Auffassung der GRÜNEN, daß der Schutz der Umwelt der Antarktis absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Aktivitäten in der Antarktis haben muß.

(Such [GRÜNE]: Aber?)

Kein Aber!
Dieser politische Wille von uns muß mit den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Konsultativstaaten des Antarktis-Vertrages in Übereinstimmung gebracht werden. Bekanntermaßen haben nun einmal diese Länder unterschiedliche Interessen.

(Such [GRÜNE]: Also doch ein Aber!)

— Warten Sie doch einmal ab! Sie sind so wahnsinnig ungeduldig; wir werden sicherlich in dieser Sache noch zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Der abgeschlossene Antarktis-Vertrag enthält, wie Sie wissen, keine Vorschriften über die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Antarktis und damit auch keine Bestimmungen darüber, welche Folgen im Umweltbereich bei einer möglichen Prospektion von Rohstoffvorkommen zu befürchten sind.
Aus diesem Grunde hatte man 1981 zu Recht Verhandlungen über ein Regime über die mineralischen Ressourcen der Antarktis aufgenommen und auch gleichzeitig den Schutz der Antarktis-Umwelt sichern wollen. Diese Verhandlungen wurden 1988 mit der Annahme des Wellingtoner Übereinkommens abgeschlossen. Aber im Ergebnis ist diese Übereinkunft nicht umgesetzt worden. Wesentliche Staaten wie Neuseeland, Australien, Frankreich und natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland sind diesem Vertrag nicht beigetreten.
Die FDP — das ist von Ihnen zu Recht zitiert worden — hat auf ihrem Bundesparteitag gefordert, daß der entmilitarisierte Status der Antarktis beibehalten und daß auf jede Rohstoffausbeutung verzichtet wird, soweit in diesem Zusammenhang unvertretbare Umweltbelastungen zu erwarten sind. Das ist der Beschluß des FDP-Bundesparteitages, der von Ihnen richtig zitiert wurde. Zu diesem Bundesparteitagsbeschluß stehen wir. Diesen Bundesparteitagsbeschluß haben wir der Bundesregierung mit der Bitte übersandt, die Auffassung der FDP zu berücksichtigen. Ich habe gar keinen Zweifel daran, daß die Bundesregierung diese Politik der FDP tatkräftig unterstützt.
Die Frage ist doch lediglich, Herr Kollege Sperling, ob wir durch einen besonderen Beschluß — ich werde nachher darauf noch kurz eingehen — hier im Plenum des Bundestages, das nicht so voll ist, wie es das Wort besagt — —

(Dr. Sperling [SPD]: „Vidum" heißt das! Ein Leeres!)

— Sie haben recht. Weil mein großes Latinum etwas länger zurückliegt, suchte ich nach dem richtigen Ausdruck. Ich bin Ihnen dankbar.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Sprecht einfach deutsch, dann werdet ihr auch verstanden! — Heiterkeit — Dr. Sperling [SPD]: Der Leersaal!)

Meine Damen und Herren, ich will nicht verkennen, daß sich die Organisation Greenpeace für die Erhaltung der arktischen Umwelt große Verdienste erworben hat, so daß es mir durchaus folgerichtig erscheint, daß diese Umweltorganisation auch bei den Verhandlungen der Antarktis-Vertragsstaaten als Beobachter zugelassen wird. Dieser Punkt ist eigenartigerweise bislang noch nicht erwähnt worden. Herr Grunenberg, der ja schon seit vielen Jahren die Seerechtskonvention und deren Ausarbeitung in New York und in Genf mitverfolgt hat, wird mir bestätigen, daß die im maritimen Bereich tätigen Organisationen, die den Beobachterstatus bei der UNO, bei der Seerechtskonvention, gehabt haben, sehr gute und wissenschaftlich auch gut begleitende Tätigkeiten ausgeübt haben. Ich glaube, daß es auch gut wäre, die Organisation Greenpeace bei der Umsetzung des AntarktisVertrages und auch bei den Verhandlungen über die mineralische Nutzung der Antarktis mit einem Beraterstatus zu versehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir der Idee des Weltparks Antarktis nach wie vor nicht nur aufgeschlossen gegenüber stehen, sondern diese Forderung auch politisch umsetzen wollen. Wir halten die Festlegung des Parlamentes in dieser Phase der Entwicklung jedoch für wenig hilfreich. Es ist meines Erachtens besser, daß wir die Bundesregierung, die ja die gleichen politischen Intentionen hat wie Sie alle hier, dabei unterstützen, ihr aber den Verhandlungsspielraum im Interesse des gemeinsam politisch Gewollten auch belassen.
Deswegen werden wir gegen Ihre Anträge stimmen — und zwar auch gegen den Änderungsantrag der SPD —,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das finde ich aber irgendwie unlogisch!)

weil wir nicht wollen, daß die Bundesregierung ihren Verhandlungsspielraum verliert.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119433600
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1119433700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann an das anschließen, was der Herr Abgeordnete Funke soeben gesagt hat, daß es nämlich in der Zielsetzung des Schutzes für die Antarktis hier im Deutschen Bundestag wohl keine Meinungsverschiedenheiten gibt, so daß ich die Frage der Kollegin der Fraktion DIE GRÜNEN an die Bundesregierung, ob sie den Umweltschutz in der Antarktis ernst nimmt, natürlich mit ja beantworte — und zwar uneingeschränkt. Auch die Achtung vor der



Parl. Staatssekretär Dr. Riedl
Schöpfung, gnädige Frau, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
Herr Kollege Sperling, ich kenne Sie als einen hochintelligenten Analytiker; aber Sie haben vorhin einen Fehler gemacht. Die Debatte über die Moral war völlig überflüssig.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Lieber Herr Kollege Sperling, die Frist ist nämlich abgelaufen, und die Bundesregierung hat nicht unterzeichnet und kann im Augenblick auch gar nicht unterzeichnen. Es geht jetzt um eine konsensfähige Lösung. Das war zwar ein nettes Zwischenspiel, aber mit der Argumentation über die Moral ist hier zur Zeit überhaupt nichts zu machen.
Die Bundesregierung teilt — und ich unterstreiche dies — die Ansicht der Antragsteller, daß der Schutz der leichtverletzlichen Umwelt der Antarktis absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Aktivitäten in der Antarktis haben muß. In der Zielsetzung stimmt die Bundesregierung mit den Anträgen der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD überein. Der Unterschied liegt — Herr Kollege Funke, das ist richtig — in der Methode des Vorgehens. Die Antragsteller müssen sich fragen lassen, ob sie nicht zuviel wollen und Gefahr laufen, am Ende mit leeren Händen dazustehen.
Es ist sicherlich ehrenwert, ein Ideal zu verfolgen. Aber in der Politik, meine Damen und Herren, kommt es bekanntlich darauf an, das zu tun, was durchsetzbar ist. Über den Umweltschutz in der Antarktis kann die Bundesregierung — das ist so festgelegt — nicht alleine entscheiden, sondern sie braucht dazu den Konsens aller 25 Konsultativstaaten des AntarktisVertrages, und hier sind die Interessen in der Tat sehr unterschiedlich.
Dieser Konsens besteht zur Zeit auch nicht, da — ich greife einmal einen wesentlichen Konsenspunkt heraus — Australien und Frankreich die Zeichnung des Wellingtoner Übereinkommens abgelehnt haben. Sie haben vorgeschlagen, eine umfassende Umweltschutzkonvention für die Antarktis auszuhandeln, sie zum sogenannten Weltpark zu erklären und jeglichen Bergbau in der Antarktis zu verbieten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das hätte doch wohl der Bundesrepublik auch gut angestanden!)

Die australisch-französischen Vorschläge sind in der Konsultativrunde auf erheblichen Widerspruch zahlreicher Konsultativstaaten gestoßen, die das Wellingtoner Übereinkommen erhalten wollen, und haben zu einer Polarisierung geführt.
Auf der Konsultativtagung im Oktober des letzten Jahres hat es keine Annäherung der Sachpositionen gegeben. Es bedurfte in der Tat schon großer Anstrengungen, um sich überhaupt auf einen Verfahrensbeschluß zu einigen, der in diesem Jahr, also 1990, eine Sonderkonsultativtagung vorsieht und ein umfassendes System von Umweltschutzmaßnahmen zum Ziel hat.
Da sich — dies ist bedauerlich — bisher nicht abzeichnet, wie die konträren Positionen in Einklang gebracht werden können, und da eine Lösung — ich darf es noch einmal wiederholen — nur auf Konsensbasis möglich ist, ist es zur Zeit in der Tat relativ unwahrscheinlich, daß die eine oder andere Seite ihre Vorstellungen ungeschmälert durchsetzten kann. Es ist sogar fraglich, ob überhaupt eine Lösung gefunden werden kann. Aber dies, meine Damen und Herren, hat Gott sei Dank weder die Bundesregierung noch dieser Deutsche Bundestag zu verantworten.
Wenn es nicht gelingt, zu einem Konsens zu kommen, dann dauert dieser ungeregelte, unbefriedigende Zustand an. Lieber Herr Kollege Sperling, ich darf noch einmal wiederholen: Die Unmoral liegt dann mit Sicherheit in ganz anderen Gewissen. Wegen des Fehlens völkerrechtlich verbindlicher Regelungen könnten bergbauliche Aktivitäten in der Antarktis dann frei durchgeführt werden. Dabei können nicht nur erhebliche Risiken für die leicht verletzliche antarktische Umwelt, sondern auch Konflikte infolge der unterschiedlichen Standpunkte zu den Hoheitsansprüchen in der Antarktis entstehen.
Wenn ich hier eine private Meinung äußern darf: Ich halte die zur Zeit stattfindenen Märsche bestimmter Bergsteiger durch die Antarktis auch nicht unbedingt für den richtigen Weg,

(Dr. Sperling [SPD]: Sie spenden ja anschließend an Greenpeace!)

um die Antarktis vor dem Zugriff der Menschen verschont zu halten.

(Zuruf des Abg. Dr. Sperling [SPD])

— Herr Kollege Sperling, hier wird doch ein wenig doppelte Moral sichtbar. Wenn wir die Antarktis schützen wollen — da sind wir uns doch einig — , dann muß man sie unberührt lassen,

(Zustimmung des Abg. Dr. Sperling [SPD])

auch unberührt von Abenteurern, die ein gutes PR- Geschäft machen wollen. Das muß auch hier im Deutschen Bundestag einmal zu sagen erlaubt sein.
Außerdem entfiele das von den Konsultativparteien in der Schlußakte zum Wellingtoner Übereinkommen vereinbarte Moratorium, da es von einem Inkrafttreten des Wellingtoner Übereinkommens in angemessener Frist abhängig ist.
Ein solches Ergebnis muß nach Ansicht der Bundesregierung im Interesse des Schutzes der antarktischen Umwelt unter allen Umständen vermieden werden. Außerdem ist die Bundesregierung an der Aufrechterhaltung des Moratoriums interessiert. In der gegenwärtigen Situation kommt es darauf an, alles zu unterlassen, was die festgefahrenen Fronten weiter verhärten und Lösungen erschweren könnte.

(Zustimmung des Abg. Jäger [CDU/CSU])

Das wäre jedoch die Folge einer einseitigen Stellungnahme zugunsten der einen oder anderen Seite. Da die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD solche einseitigen Stellungnahmen enthalten,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sind sie moralisch nicht gerechtfertigt!)

sollten sie in Übereinstimmung mit dem Votum des Wirtschaftsausschusses auch abgelehnt werden.
Die Bundesregierung wird sich in den bevorstehenden Verhandlungen natürlich ganz klar für eine Lö-



Parl. Staatssekretär Dr. Riedl
sung einsetzen, die Umwelt und Natur der Antarktis wirksam schützt. Das zu schaffende Schutzsystem muß die Aufgabe erfüllen, alle menschlichen Aktivitäten in der Antarktis umweltverträglich zu regeln und, falls das nicht möglich ist, sie auch zu untersagen.
Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119433800
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6371. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6379 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/6028. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4440 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rüstungsexporte und Lizenzvergaben im Kleinwaffenbereich, insbesondere bei G3-Gewehren
— Drucksache 11/6313 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119433900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNE wünschen uns in diesem Land eine freizügige Information und die Beendigung der freizügigen Exportgenehmigungspraxis.

(Beifall des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

Dies sehen die Bundesregierung und auch der anwesende Staatssekretär, Herr Riedl, leider total anders. Weil dies so ist, haben wir vor Monaten einen Antrag im Bundestag eingebracht, der die Veröffentlichung der erteilten Exportgenehmigungen verlangt und eine Vorabinformation des Parlaments bei Exportanträgen über 20 000 DM vorsieht. Darüber, hoffe ich, werden wir in diesem Haus in dieser Legislaturperiode noch abstimmen. Denn Sie, Herr Staatssekretär, verschleppen das sehr gezielt.
Unser heutiger Antrag bezieht sich auf zwei Firmen — Heckler & Koch und die bis vor wenigen Wochen bundeseigene Firma Fritz Werner —, die beide erst kürzlich wieder Stoff unter anderem für die report'' - Journalisten lieferten. Fritz Werner liefert seit Jahren Anlagen zum Bau von Waffen; unter anderem in den Iran und nach Birma. Nach Birma wurde noch bis zum 20. September 1988 geliefert.

(Such [GRÜNE]: Ungeheuerlich!)

Mit diesen Anlagen werden Tausende von G3-Gewehren produziert. Im Fall Iran und Portugal geschah dies sogar unter Verantwortung der Bundesregierung als Lizenzgeber.
Heckler & Koch versorgte schon den portugiesischen Kolonialkrieg in Afrika. Heute schießen kolumbianische Drogenhändler und kolumbianische Soldaten mit diesen Gewehren nicht nur aufeinander, sondern allzuoft auch auf unbeteiligte Zivilisten. Morgen werden sich diese Leute mit der — ich zitiere die Londoner „Times" — „präzisesten Tötungsmaschine der Welt" — dem auch von Heckler & Koch entwickelten G11-Gewehr — umbringen.
Es besteht die große Gefahr, daß wir bei dem G11- Gewehr in wenigen Jahren die gleichen Bilder wie jetzt beim G3-Gewehr sehen müssen.
Auch auf den Philippinen und in Peru schießen sogenannte Sicherheitskräfte mit G3-Gewehren auf die Bevölkerung. Verantwortlich ist in allen Fällen auch die Bundesregierung. Auf meine Anfragen hat die Bundesregierung zugeben müssen, daß G3-Gewehre in mehr als 80 Länder exportiert wurden. Unter Lizenz geschah dies in Portugal und in Saudi-Arabien. Im Iran gefertigte G3-Gewehre sind weiter exportiert worden; wohin, das wissen wir nicht.

(Such [GRÜNE]: Das darf nicht wahr sein!)

Angeblich weiß dies nicht einmal die Bundesregierung, obwohl sie ja die Lizenzen teilweise selbst vergeben hat.
Wir fragen die Bundesregierung nochmals — vielleicht können Sie da antworten, Herr Staatssekretär — : Was muß eigentlich noch geschehen, bis Sie beispielsweise von Portugal Rechenschaft verlangen etwa über die 150 000 G3, die nach Südafrika geschafft wurden, über die in Jamaika beschlagnahmten 1 000 G3 für unbekannte Adressaten in Kolumbien? Angeblich sollte die linke Guerilla diese Waffen bekommen. So jedenfalls erklärte es die kolumbianische Regierung.
Die Bundesregierung hat auf unsere Anfragen bestätigt, daß sie während der heißen Phase des Golfkrieges Ersatzteillieferungen für die G3-Produktion im Iran genehmigt hat. Staatssekretär Beckmann verheimlicht leider bisher nähere Angaben darüber. In der Fragestunde am 17. Januar 1990, also in diesem Jahr, hat er zugegeben, daß er über eine ganze Firmenliste verfügt, und sich geweigert, im Parlament dieses hier bekanntzugeben. Und das wird alles geschluckt.
14982 Deutschei Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1990
Frau Vennegerts
Ich gehe davon aus, daß alle Kollegen und Kolleginnen im Wirtschaftsausschuß darauf drängen werden, daß die Bundesregierung solche Informationen den Abgeordneten nicht weiter vorenthält. Ich finde es geradezu entmündigend und ausgesprochen dreist, wie im Bereich Rüstungsexport von der Bundesregierung mit Information oder, besser gesagt, Nicht-Information umgegangen wird.
In jüngster Zeit bekommen dies auch die Medien zu spüren. Sowohl „report" als auch die WDR-Sendung „Heilige Kuh" mußten ihre Beiträge über Rüstungsexporte mit Regierungsantworten auf Anfragen unserer Fraktion füllen. Direkt standen ihnen die Regierungsvertreter nicht zur Verfügung. Unsere Fraktion erreichten Anfragen wie die eines Herrn Wolfhagen, der gern wissen möchte, wieviel Geld die Bundesrepublik und Frankreich durch Waffenexporte verdienen und wieviel sie im Vergleich dazu für Entwicklungshilfe ausgegeben haben. Allein im Jahre 1988 wurden für 7 Milliarden DM Waren des Abschnitts I A der Ausfuhrliste genehmigt. Das sind Kriegswaffen und ähnliche Güter. Für Entwicklungshilfe wurden hingegen nur 6,8 Milliarden DM ausgegeben. So sieht das Verhältnis aus; beschämend für die Bundesrepublik.
Der tschechoslowakische Außenminister Dienstbier hat angekündigt, daß sein Land alle Rüstungsexporte einstellen wird. Herr Dienstbier hat die Zeichen der Zeit verstanden; der Stopp aller Rüstungsexporte muß jetzt — wann sonst, frage ich Sie — durchgesetzt werden. Die Veröffentlichung wäre ein erster Schritt dahin.
Noch ein letzter Satz, Herr Staatssekretär — Sie tragen auch mit Verantwortung für diese Geheimniskrämerei der Regierung — : Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung die Medien und Öffentlichkeit mehr fürchtet, als dies heutzutage in der DDR und anderen osteuropäischen Staaten üblich ist. Dort bejubeln Sie es, und darüber, was bei uns passiert, machen Sie einen Deckel. Darauf möchte ich mal Ihre Antwort hören.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119434000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID1119434100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Sie bauen seit Jahren einen Popanz auf, liefern keine Beweise, verdächtigen und machen — —

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ein Popanz? Das sind Tatsachen!)

— Das sind Tatsachen der GRÜNEN, nämlich nicht beweisbar, immer wiederholbar und in der Hoffnung, daß irgendwann einer darauf reinfällt.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sie haben doch gar keine Ahnung! Lesen Sie doch die Antworten der Regierung!)

Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist und bleibt das Land mit den restriktivsten Rüstungsexportbestimmungen. Die CDU/CSU-Fraktion steht
ohne Wenn und Aber zu den politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport aus dem Jahre 1982.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Und die Kinder im Golfkrieg?)

Damit hat sich die Bundesrepublik Deutschland selbst die größten Selbstbeschränkungen auferlegt. Diese gehen weiter als in allen anderen Industrieländern.
Die deutsche Industrie hat bewiesen, daß man auch ohne diese Geschäfte als Exportland erfolgreich sein kann.

(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Das ist richtig!)

Für die CDU/CSU bleibt es dabei: Der Export von Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, daß besondere politische Erwägungen vorliegen und daß vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland für eine Ausnahme von dem Exportverbot sprechen. Sie werden nachher, Herr Müller, Gelegenheit haben, aus Ihrer ehemaligen Verantwortung im Bundeskanzleramt Detaillierteres zu der Erfahrung Ihrer Regierung, die Sie damals mit vertreten haben, zu sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte nochmals betonen: Wirtschaftliche Interessen gelten nicht als vitale Interessen. Wenn SPD und GRÜNE in den vergangenen beiden Jahren in 25 Kleinen und Großen Anfragen, in 135 Schriftlichen und Mündlichen Anfragen zum Thema „Rüstungsexport" gegenüber der Bundesregierung initiativ geworden sind, diente dieses doch alles nur dem Zweck, von der verantwortungsvollen Vorgehensweise der Bundesregierung in diesem Bereich abzulenken.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist der größte Witz! Sie deckeln!)

Ihre Vorwürfe sind jeweils detailliert widerlegt worden.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ist überhaupt nicht wahr!)

— Sie wurden informiert, aber Sie hören gar nicht zu, wie Sie auch heute wieder dabei sind, Falsches einzubringen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Herr Kittelmann, lügen Sie doch nicht!)

— Ich bitte darum, daß das Wort „lügen" aus dem Protokoll gestrichen wird; dann kriegen Sie auch keine Verwarnung.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Schwindeln Sie nicht! — Such [GRÜNE]: Sagen Sie nicht die Unwahrheit!)

Meine Damen und Herren, die Bestimmungen in den 60er und 70er Jahren waren, wie Sie durch verschiedene Fragen wissen, ganz eindeutig so, daß es damals keine Ausfuhrgenehmigungspraxis gab. Das wissen auch und vor allem die Kollegen von der SPD; sie müssen es wissen, da sie in der damaligen Zeit kurz — oder sogar ein bißchen zu lange — politische Verantwortung mitgetragen haben.
Man hat teilweise den Eindruck, daß es den Damen und Herren von der Opposition gar nicht um die Antworten der Bundesregierung auf ihre Anfragen geht. Hätten sie nämlich die Antwort der Bundesre-



Kittelmann
gierung vom 18. Oktober auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN gelesen, dann wüßten sie, daß in den letzten zehn Jahren keine Genehmigung mehr erfolgt ist.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Gestern habe ich die Antwort gekriegt, daß bis 1988 genehmigt worden ist! Nicht zu fassen!)

Wir sind gerade dabei, in den Ausschüssen über die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Außenwirtschaftsrecht und zur Verschärfung des Kriegswaffenkontrollgesetzes zu diskutieren. Deshalb wissen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Ausdehnung der Genehmigungspflicht für deutsche Exporte gegenwärtig schon durch die Außenwirtschaftsverordnung geregelt ist. Diese und weitere Regelungen werden in den nächsten Wochen auch ihren Niederschlag im Außenwirtschaftsgesetz und im Kriegswaffenkontrollgesetz finden. Damit werden auch hier für die bundesdeutsche Wirtschaft die restriktivsten Exportbestimmungen gelten. Ich könnte jetzt an das erinnern, was augenblicklich in den USA in Vorbereitung ist und was von unseren Regelungen sehr negativ abweicht.
Aus dem, was ich Ihnen dargestellt habe, wird deutlich, daß sich weder die Koalitionsfraktionen noch die Bundesregierung irgendwelche Vorwürfe machen müssen, sie hätten bei Rüstungsexportkontrollen oder bei der Vergabe von Lizenzen nicht hinreichend sorgfältig gehandelt.
In der Frage der G3-Lizenzen können Sie nur Staub aufwirbeln. Das ist ja auch Ihr eigentliches Ziel. Sie können aber doch nicht ernsthaft den Eindruck erwecken, diese Regierung hätte irgendeine Verantwortung für das, was aus Entscheidungen der 60er oder 70er Jahre resultiert.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist doch gar nicht wahr! Es ist noch für 1988 genehmigt worden!)

Sie wollen das im Grunde ja auch gar nicht. Wenn man auch angesichts der Vielzahl von Anfragen denken könnte, daß es Ihnen um ein Beschäftigungsprogramm für die Ministerien oder um ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm geht, so ist doch Ihr Ziel ein anderes: Sie wollen Wirtschaftsunternehmen pauschal diskreditieren. Sie wollen die Existenz eines wie auch immer zu definierenden militärisch-industriellen Komplexes herbeireden. Es entsteht bei Ihnen immer mehr der Verdacht, daß Sie die deutsche Wirtschaft undifferenziert international diskreditieren wollen.
Die CDU/CSU wird Ihrem Versuch, Politik und auch Wirtschaft durch Propaganda-Aktionen zu diskreditieren, weiterhin massiv entgegentreten. Es ist dabei besonders bedauerlich, daß sich die Sozialdemokraten — ich nehme an, Herr Müller, Sie holen schon tief Luft, um dies in Ihrem Beitrag gleich fortzusetzen — in dieser Frage von den GRÜNEN kaum noch unterscheiden.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das sind Komplimente!)

Wir werden auch in Zukunft nicht zulassen, daß Sie
jede Woche eine andere Sau durchs Dorf treiben und
hinterher erstaunt tun, daß Unruhe entsteht. Wir wissen, Sie wollen mit dem vorliegenden Antrag national und international ein falsches Bild von der Bundesregierung zeichnen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Warum haben Sie dann Angst vor Veröffentlichungen?)

Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119434200
Das Wort hat Herr Müller (Pleisweiler).

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1119434300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Selbstgefälligkeit, die aus den Worten von Herrn Kittelmann spricht, macht angesichts dieser Fakten sehr betroffen, wie auch die Fakten selbst betroffen machen; sie sind nämlich wirklich widerwärtig.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Und sie sind belegt!)

Da berichtet „report", daß noch im Januar im Hamburger Hafen Rüstungsgüter nach Burma geschickt werden, wo sie verwendet werden, um eine Demokratiebewegung zu unterdrücken.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Richtig!)

Da benutzt die Rauschgift-Mafia in Kolumbien deutsche Gewehre, und gestern wurden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Wirtschaftsausschuß darüber unterrichtet, daß in der mit deutscher Hilfe aufgebauten libyschen Giftgasfabrik das Kampfgas Lost produziert wird; Tonnen sind es wohl schon. Deutsche Unternehmen und deutsche Ingenieure waren und sind beim Aufbau von Raketen in Ländern beteiligt, die in kriegerische Spannungen verwickelt sind und die — wie im Falle des Irak — zum Einsatz von Giftgas bereit sind. Herr Kittelmann nennt das einen Popanz.
Herr Kittelmann, von den vor einem Jahr erkennbar gewesenen guten Absichten der Bundesregierung zur Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts beim Rüstungsexport ist nichts übriggeblieben. Ein Skandal folgt dem anderen. Der verantwortliche Minister Haussmann erweist sich als eine einzige Enttäuschung. Ich kann das sagen, weil ich wirklich erwartet habe, daß er etwas bewegt. Am 15. Februar 1989, also vor fast einem Jahr, hat er auf einer Pressekonferenz rasche Konsequenzen aus der Giftgasaffäre angekündigt. Heute könnte man glauben, diese Pressekonferenz mit ihren erfreulich klaren Ankündigungen habe nie stattgefunden.
Ich erinnere ebenso daran, daß wir am 25. Januar, also auch etwa vor einem Jahr, hier im Parlament in einer fast schon feierlichen Übereinstimmung beschlossen hatten, einen gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Versuch einer restriktiveren Exportkontrolle zu machen. Diese Gespräche sind leider in den Reihen der Koalition steckengeblieben.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Richtig!)

Die Koalitionsfraktionen blockieren auch die vom Bundesminister für Wirtschaft vor einem Jahr angekündigten und dann eingebrachten Gesetzesnovellen



Müller (Pleisweiler)

— und das schon im fünften Monat, von Oktober gerechnet. Wir fragen uns, warum sich der Bundesminister für Wirtschaft gegen diese Blockade nicht zur Wehr setzt. An der Sache kann es nicht liegen. Das Gutachten des Justizministeriums zu den Änderungsvorschlägen des Kollegen Hüsch und anderer Kollegen hat doch zu dem eindeutigen Ergebnis geführt, Herr Funke, daß die vorliegenden Gesetzentwürfe rechtlich nicht zu beanstanden sind.
Wir stellen fest: Der Bundesminister für Wirtschaft hat seine Versprechungen, daß das ganze Gesetzeswerk zum Ende des Jahres 1989 stehen würde, nicht eingehalten. Übrigens auch da, wo der Herr Bundeswirtschaftsminister eine eigene Zuständigkeit hat, bleiben notwendige Entscheidungen und Informationen stecken. Seit Monaten ist der Abschluß einer Zuverlässigkeitsprüfung der Firma MBB nach § 6 des Kriegswaffenkontrollgesetzes wegen der Hilfe zum Raketenbau fällig. Wo bleibt das Ergebnis, Herr Riedl? Vielleicht können Sie dazu nachher etwas sagen?
Für die SPD-Bundestagsfraktion mahne ich erstens die sofortige parlamentarische Beratung der Gesetzentwürfe an.
Zweitens sollte die Bundesregierung den Bericht, den die Fraktion DIE GRÜNEN heute mit ihrem Antrag fordert, von sich aus rasch vorlegen.
Drittens fordere ich die Koalition und die Bundesregierung auf, endlich mit dafür zu sorgen, daß wir ein politisches Klima entwickeln, in dem das augenzwinkernde Einverständnis für eine großzügige Waffenexportpraxis beendet wird. Da hat Herr Kittelmann ja recht: Unser Land ist angesichts eines Exportüberschusses von 135 Milliarden DM wahrhaftig nicht auf das Geschäft mit dem Tod angewiesen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119434400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119434500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN zu den Exporten von G3-Gewehren ist langsam ein alter Hut, da hierzu bereits eine Reihe von Anfragen Ihrerseits und entsprechende Antworten der Bundesregierung vorliegen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Warum veröffentlichen Sie dann nicht die Liste?)

— Frau Kollegin, auch durch ständiges Aufwärmen dieser Anträge werden Ihre Anträge nicht besser. Nur Kohl wird durch Aufwärmen gelegentlich besser.

(Lachen bei den GRÜNEN und der SPD — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Der Kohl wird besser durch Aufwärmen? — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Grünkohl, aber nicht Schwarzkohl! — Gegenruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU]: Sie meinen Grünkohl und Rotkohl!)

— Ich habe das schon gelegentlich zu Recht so formuliert.
Sie wollen doch lediglich versuchen, Frau Vennegerts, wenn auch etwas mühsam, der Bundesregierung nachzuweisen, daß sie eine aktive Rüstungsexportpolitik betreibe.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sie erteilt die Genehmigung! Vollkommen richtig!)

Dabei müßte Ihnen doch bereits ein Blick in die Gesetze und Vorschriften und auf deren Umsetzung sehr schnell deutlich machen, daß die Bundesregierung seit langem eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreibt. Die GRÜNEN müßten wissen, daß schon 1982, noch in der sozialliberalen Koalition, die Rüstungsexportpolitik, die Handhabung des Kriegswaffenkontrollgesetzes, überarbeitet und seitdem außerordentlich restriktiv gehandhabt wurde. Weitreichende Beschränkungen sind mit dem Außenwirtschaftsgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz bereits von der Bundesregierung verabschiedet und befinden sich in der parlamentarischen Beratung.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Und werden verschleppt!)

— Die werden nicht verschleppt.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Jawohl! Die Anhörung war längst! Das wissen Sie doch!)

Frau Kollegin, ich bearbeite das bei uns in der Fraktion auch als Koordinator. Sie wissen das sehr genau, wenn Sie sich ein bißchen mit den rechtlichen Fragen beschäftigen. Herr Müller, Sie sind an dieser Sache auch durchaus interessiert.
Die Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes, die die Bundesregierung verabschiedet hatte, sind wirklich von elementarer Bedeutung auch für unser gesamtes Strafrechtssystem. Da kann man nicht einfach sagen: Weil die Bundesregierung z. B. eine fahrlässige Beihilfehandlung aus politischen Gründen für richtig hält, sollte dies unter strafrechtlichen Bestimmungen — —

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Waren Sie bei der Anhörung dabei?)

— Ich war bei der Anhörung dabei.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Dann müssen Sie auch wissen, daß das bei den Juristen umstritten ist!)

— Gerade weil es umstritten ist, werden wir uns sehr gründlich ansehen, ob es zweckmäßig ist, die Strafbestimmungen so zu gestalten, wie es die Bundesregierung vorsieht. Aus diesem Grunde werden wir das in der Koalition sehr gründlich beraten. Man wird nicht leicht über diese Dinge hinweggehen.

(Abg. Müller [Pleisweiler] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119434600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege? — Herr Müller.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1119434700
Herr Kollege, würden Sie bestätigen, daß das Gutachten des Justizministeriums die rechtliche Richtigkeit oder die rechtliche Akzeptanz dieses Gesetzeswerkes gerade in diesen Fragen bestätigt hat?




Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119434800
Ein Gutachten habe ich nicht vorliegen. Ich habe eine gutachtliche Stellungnahme vorliegen. Ich weiß nicht, ob Sie diese kennen. Diese gutachtliche Stellungnahme — so ist sie überschrieben — ist im Grunde genommen ein Argumentationspapier, das die Meinung der Bundesregierung argumentativ unterstützt, sich aber nicht mit den Meinungen wissenschaftlich auseinandersetzt, die in der Anhörung deutlich geworden sind. Deswegen möchte ich mir als Jurist in dieser Frage gern eine eigene Meinung bilden.

(Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119434900
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Herr Abgeordneter Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119435000
Herr Funke, Ihnen ist doch auch bekannt, daß in Rabta inzwischen Lost produziert ist? Wenn Sie den „Spiegel" gelesen haben, werden Sie ihm die Vermutung entnommen haben, daß möglicherweise wieder nach deutschen Technikern gefragt wird. Macht es Ihnen nicht Sorge, daß eine so lange Verzögerung zu solchen Konsequenzen beiträgt?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1119435100
Herr Kollege, es macht mir große Sorgen. Deswegen bin ich auch bereit, der politischen Intention der Bundesregierung zu folgen. Gerade aus diesem Grunde hat ja die Bundesregierung zu Recht diese Gesetzesvorlage eingebracht. Wir Parlamentarier sind aufgerufen, dieses Gesetz gründlich zu prüfen, ob es mit unserem Strafrechtssystem übereinstimmt. Deswegen mache ich mir das auch nicht leicht. Das ist völlig klar. Ich sehe auch den Mißbrauch, der getrieben worden ist, nicht nur in Libyen. Zu Recht ist die DIAG mitangesprochen worden, mit anderen Worten: die Produktion im Iran. Mir ist diese Situation, da ich relativ viel im Iran bin, natürlich bekannt.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Mit Fritz Werner!)

— Mit Fritz Werner. Das ist eine Tochtergesellschaft.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Eben!)

Das ist völlig klar. — Ich sehe das mit großer Sorge. Aus diesem Grunde bin ich auch bereit, die politische Intention der Bundesregierung zu unterstützen.
Zu dem konkreten Fall ist zu sagen, daß die Lizenzvergabe für das G3-Gewehr im wesentlichen in den 60er Jahren erfolgte, in der Regel im Rahmen der rüstungswirtschaftlichen Zusammenarbeit mit einigen NATO-Partnern. Darüber hinaus wurden Lizenzen vom Hersteller vergeben, dies voll in Übereinstimmung mit den Genehmigungen durch die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat ja auch mehrfach darauf hingewiesen, daß es zur damaligen Zeit keine indirekte Endverbleibsregelung gab, so daß auch keine endgültige Kontrolle vorliegen kann, wo diese G3-Gewehre tatsächlich verblieben sind. Die Bundesregierung hat nach den ihr vorliegenden Kenntnissen Fragen sowohl danach, was den Endverbleib oder die Ersatzteillieferungen angeht, als auch danach, was die Lizenzgebühren betrifft, ausführlich beantwortet.
Durch Wiederholen von Vorwürfen werden diese Vorwürfe nicht richtig.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Die hat die Regierung ja selber bestätigt!)

Ich bitte deswegen, die Politik der Bundesregierung, was den Rüstungsexport angeht, was das Außenwirtschaftsgesetz angeht, was das Kriegswaffenkontrollgesetz angeht, bei den Beratungen zu unterstützen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119435200
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1119435300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wesentlicher Teil dieser Debatte befaßt sich mit Themen, die nicht auf der Tagesordnung stehen. Der Tagesordnungspunkt 15 heißt:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rüstungsexporte und Lizenzvergaben im Kleinwaffenbereich, insbesondere bei G3-Gewehren

(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Wenn man erst gestern erfährt, daß Giftgas produziert wird!)

— Dann müssen Sie das auf die Tagesordnung setzen, Herr Kollege Müller. Ich glaube, es ist parlamentarische Übung, daß man zu den Punkten redet, die auf der Tagesordnung stehen, und das haben Sie leider nicht getan.

(Wiefelspütz [SPD]: Halten Sie sich immer daran?)

— Wenn es geht, mache ich das schon, vor allen Dingen bei Ermahnungen.
Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit, Frau Abgeordnete Vennegerts, und gerade in der letzten Zeit eine Vielzahl von Fragen über Exporte von G3-Gewehren, über Lizenzvergaben sowie über die Verwendung dieser Waffe in einzelnen Ländern beantwortet. Der vorliegende Antrag wiederholt alle diese Fragen. Neue, über die bisherigen hinausgehende Auskünfte wird die Bundesregierung deshalb auch jetzt nicht geben können.
Ich will aus der Vielzahl der gegebenen Antworten nur eine zitieren, und zwar zu der Geschichte mit den portugiesischen Gewehren im Zusammenhang mit Kolumbien.
Wir haben am 18. Oktober 1988 laut Bundestagsdrucksache 11/5399 eine Antwort auf folgende Frage gegeben:
Wie beurteilt die Bundesregierung Presseinformationen, nach denen die am 5. Januar 1989 im jamaikanischen Atlantikhafen Kingston beschlagnahmten und für Kolumbien bestimmten 1 000 G3-Gewehre aus der portugiesischen Lizenzfertigung stammten und es sich dabei um die erste von drei geplanten Großlieferungen handelte?



Parl. Staatssekretär Dr. Riedl
Antwort der Bundesregierung:
Wie die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Kirschner (SPD) am 14. Februar 1989 ausgeführt hat ..., haben die Regierungen von Kolumbien und Jamaika der Bundesregierung auf Anfrage erklärt, daß die aufgefundenen Waffen aus Portugal stammen. Die Fa. Heckler & Koch hat nach Überprüfung der Waffennummern erklärt, daß es sich ausnahmslos um portugiesische Produktionen handelt.
— So waren auch die entsprechenden Endverbleibsbescheinigungen ausgestellt. —
Weitere Informationen liegen der Bundesregierung nicht vor.
So geht das durch den ganzen Wald von Fragen, die Sie stellen.
Frau Abgeordnete, es wäre eigentlich ein Gebot der Ehrlichkeit und der Redlichkeit

(Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das will sie jetzt machen; sie will sich entschuldigen!)

— ich gebe Ihnen sofort die Gelegenheit — , daß Sie der Bundesregierung abnehmen, was wir wahrheitsgemäß berichten. Wir halten nichts hinter dem Berg.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119435400
Bitte, Frau Vennegerts.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt entschuldigen Sie sich bitte, Frau Kollegin!)


Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119435500
Herr Staatssekretär, wenn Sie nichts hinter dem Berg halten, warum hat dann der Staatssekretär Beckmann in der Fragestunde am 17. Januar 1990 auf unsere Frage, ob Firmen während des Golfkriegs mit Genehmigung des Bundesamts für Wirtschaft Fertigungsteile für die G3- Produktion geliefert haben, geantwortet: ja, er habe eine Liste dieser Firmen vorliegen, er habe sie auch dabei, aber er werde uns — auf meine Frage — die Namen der Firmen nicht sagen? Wie erklären Sie sich das, wenn Sie einerseits sagen, Sie seien für Öffentlichkeit, aber nicht einmal dem Parlament sagen, für welche Firmen Sie Ausfuhrgenehmigungen erteilt haben? Das verträgt sich doch überhaupt nicht damit. Das zeigt doch, daß Sie nicht für Öffentlichkeit sind.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1119435600
Frau Abgeordnete, das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Wir haben, was Kolumbien und Jamaika anbetrifft, überhaupt keinen Datenschutz und keinen Vertrauensschutz. Aber wir haben einen in jeder westlichen Demokratie selbstverständlichen Firmen- und Datenschutz für unternehmerisches Handeln, das dem Gesetz unterliegt und gesetzlich in Ordnung ist.
Wir machen die Lizenzvergaben für G3-Gewehre seit Anfang der 60er Jahre. Das sind Geschäfte, die immer im Rahmen der gültigen Gesetze stattfinden. Nicht ein einziges Geschäft ist illegal gewesen.
Frau Abgeordnete, Ihnen, die Sie in jedem zweiten Satz das Wort Datenschutz in den Mund nehmen, dürfte es doch überhaupt nicht schwerfallen, zu verstehen, daß es auch berechtigte Firmeninteressen gibt, die vertraulich zu behandeln sind und die nicht auf den öffentlichen Markt ausgetragen werden.
Aber eines will ich noch einmal feststellen, weil die Bundesregierung in einer zum Teil infamen Weise angegriffen wird

(Becker [Nienberge] [SPD]: Er war doch nicht infam!)

— ich habe, wenn Sie das Ihrem scharfen Blick noch einmal unterziehen wollen, mein Auge in eine andere Richtung gerichtet; der Blick nach links fällt mir ohnehin etwas schwer, Herr Abgeordneter — : Die Genehmigungspraxis wurde 1982 mit der Neufassung der rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung verschärft. Weiterreichende Verschärfungen wurden 1989 von der Bundesregierung beschlossen. Sie sind teilweise schon in Kraft.
Andere, Herr Kollege Müller, befinden sich wegen der Schwierigkeit der Materie noch in der parlamentarischen Debatte. Ich muß meinen Minister einmal ausdrücklich in Schutz nehmen, da Sie jetzt vom Jahresende sprechen und sagen, er habe sein Wort nicht eingehalten: Wenn parlamentarische Beratungen wegen der Komplexität mehr Zeit in Anspruch nehmen und sich der Minister bemüht, ein Gesetz ordentlich über die Runden zu bekommen, dann ist das seine Pflicht und Schuldigkeit und bedarf nicht des Vorwurfs, so wie Sie ihn erhoben haben.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Bundesregierung wird auch in Zukunft alle Fragen, die in diesem Zusammehang von Ihnen an sie gerichtet werden, nach bestem Wissen und Gewissen beantworten.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Wieder eine Frage nicht beantwortet!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119435700
Ich schließe die Aussprache.
Wir haben noch über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6313 abzustimmen. Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Antrag an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 16 sowie Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf:
16. Erste Beratung des von den Abgeordneten Schulte (Hameln), Horn, Heistermann, Erler, Gerster (Worms), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages

(Gesetz zu Artikel 45b des Grundgesetzes — WBeauftrG)

— Drucksache 11/6317 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuß
Rechtsausschuß



Vizepräsidentin Renger
ZP10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Gesetz zu Artikel 45 b des Grundgesetzes — WBeauftrG)

— Drucksache 11/6367 —Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich freue mich besonders, daß Sie, Herr Wehrbeauftragter, dieser Debatte beiwohnen. Ich begrüße Sie herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1119435800
Frau Präsidentin! Herr Wehrbeauftragter! Meine Damen und Herren! Die SPD- Bundestagsfraktion bringt heute auf Drucksache 11/6317 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ein. Ziel dieses Gesetzentwurfs ist, die in § 14 Abs. 1 Satz 2 einengende Vorschrift aufzuheben, daß zum Wehrbeauftragten nur gewählt werden kann, wer mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet hat. Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt deshalb, § 14 Abs. 1 wie folgt neu zu formulieren: Wählbar ist jeder Deutsche oder jede Deutsche, der oder die das Wahlrecht zum Bundestag besitzt.
Nach unserer Auffassung ist die Bedingung eines mindestens einjährigen Wehrdienstes als Voraussetzung der Wählbarkeit zu diesem Amt ebenso wenig gerechtfertigt wie die Altersgrenze von mindestens 35 Jahren. Deshalb beantragen wir auch, die Altersgrenze aufzuheben.
Bei dieser Überlegung findet auch die Tatsache Berücksichtigung, daß bisher kein Inhaber des Amtes des Wehrbeauftragten Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet hat. Es waren sicherlich gute Gründe, die damals zu den Voraussetzungen zur Wahl des Wehrbeauftragten führten. Sie sind aber überholt.
Durch die Streichung des Satzes „Er muß mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet haben. " wird zudem mehr Frauen die Möglichkeit eröffnet, sich um das Amt des Wehrbeauftragten zu bewerben. Die bisherige Gesetzesvorschrift eröffnete nur den Frauen eine Kandidatur, die als Sanitätsoffiziere ihren Dienst in der Bundeswehr leisten.
Ebenso darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch die sogenannten weißen Jahrgänge, also diejenigen, die nicht zur Bundeswehr herangezogen wurden, jetzt jedenfalls für das Amt des Wehrbeauftragten kandidieren können.
Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang aber auch, daß die Initiative zu dieser Gesetzesänderung von den Abgeordneten Frau Schulte (SPD), Frau Roitzsch (CDU/CSU) und Frau Seiler-Albring von der FDP ausgegangen ist.
Wir begrüßen, daß auch die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP einen Antrag zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages eingebracht haben. Er verfolgt inhaltlich die gleichen Ziele wie der SPD-Antrag. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Anträgen liegt darin, daß sich die Koalitionsfraktionen nicht für die Aufhebung der Altersgrenze entschieden haben.

(Frau Seiler-Albring [FDP]: Aus guten Gründen!)

Ich biete beiden Fraktionen an, in den bevorstehenden Ausschußberatungen gemeinsam darüber zu verhandeln, einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Dies läge in der Tradition der bisherigen Gesetzgebung für den Bereich des Wehrbeauftragten. Ich denke, daß wir in der Frage der altersmäßigen Voraussetzungen eine Einigung erzielen können.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit an die Beratung des ersten Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957 erinnern. Auch damals gab es unterschiedliche Auffassungen, die aber letztendlich zu einem gemeinsamen Beschluß zusammengeführt werden konnten. Der unvergessene Abgeordnete Erler erklärte am 18. März 1959 im Südwestfunk — ich zitiere aus aktuellem Anlaß —, der Wehrbeauftragte solle „alles, was die Bundeswehr angeht, sehen, riechen, hören, schmecken" . Ich bin mir sicher, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland geeignete Persönlichkeiten finden, die dieser nicht leichten Aufgabe gerecht werden.
Unser Gesetzentwurf bietet die Chance, aus einem erweiterten Bewerberkreis geeignete Persönlichkeiten auszuwählen. Achten wir gemeinsam darauf, daß das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages in der Öffentlichkeit die Stellung behält, die diesem Amt zukommt.
Mit unserem Gesetzentwurf — das hebe ich besonders hervor — beabsichtigen wir weder die Unterstützung einer bestimmten Person, noch wollen wir eine bestimmte Person verhindern. Ich hoffe, daß es uns gelingt, dies auch bei den weiteren Beratungen als obersten Maßstab einzuhalten.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag zu und bittet, entsprechend zu verfahren.
Danke.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119435900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ulla, bewirb dich als Wehrbeauftragte!)


Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1119436000
Nein, liebe Frau Kollegin, ich habe die Absicht, noch einige Zeit höchst aktiv



Frau Seiler-Albring
zu bleiben und die Bundeswehr von dieser Seite her — —

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Heißt das, daß der Wehrbeauftragte nicht aktiv ist? — Gegenrufe von der CDU/CSU)

— Nein, es geht mir darum, hier als aktiver Politiker dafür zu sorgen, daß auf unserer Seite alles für die Bundeswehr getan wird, daß vor allen Dingen für die Soldaten das Notwendige getan wird.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heute von den Koalitionsfraktionen in erster Lesung ins Plenum eingebrachte Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten schafft die Voraussetzung dafür, daß auch künftig eine Frau über die Grundrechte der Soldaten und die Grundsätze der Inneren Führung wachen kann. Mit der ersatzlosen Streichung der insbesondere Frauen diskriminierenden Regelung, derzufolge das Amt des Wehrbeauftragten ausschließlich Deutschen vorbehalten ist, die mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet haben, wird endlich einer der letzten alten Zöpfe abgeschnitten.
Ohne Ihr hohes Engagement und Ihre großen Leistungen, Herr Weisskirch, und die Ihrer Vorgänger für die Soldaten mindern zu wollen oder zu können, ist es kaum verständlich, daß bislang ausgerechnet dieses Amt Frauen nicht zugänglich gewesen ist.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hätte mir allerdings einen angemesseneren Zeitpunkt für diese längst überfällige Neuregelung gewünscht, denn die von meinen Kolleginnen Ingrid Roitzsch, Brigitte Schulte und mir bereits im Jahre 1987 ergriffene Initiative zielte — fern von konkreten Personalentscheidungen — auf eine grundsätzliche Öffnung dieses Amtes auch für Frauen.
Abgesehen davon, daß weder die Ernennung eines Verteidigungsministers noch die Wählbarkeit eines Bundeskanzlers, der ja im Verteidigungsfall die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr hat, an die Ableistung des Wehrdienstes geknüpft ist, erschien uns die Wahrnehmung des Auftrags des Wehrbeauftragten — gerade die des Auftrags des Wehrbeauftragten! — als eines Hilfs- und Kontrollorgans des Deutschen Bundestages selbstverständlich auch durch Ungediente und damit auch durch eine Frau möglich. So wurde der mindestens einjährige Wehrdienst als Wählbarkeitsvoraussetzung in der einschlägigen Rechtsliteratur bereits dahin gehend interpretiert, daß die Person des Wehrbeauftragten lediglich die für ihre Amtsführung unerläßlichen Kenntnisse des „milieu militaire" bereitstellen sollte.
Diese Anforderungen werden von einer mit den Problemen der Bundeswehr und ihren Soldaten vertrauten Frau — zu denken ist hier beispielsweise auch an die Frauen unserer Soldaten, die die Bundeswehr von innen ja nun wirklich gut kennen und sich im öffentlichen Leben für sie einsetzen — genausogut erfüllt wie von einem gedienten Mann.
Es geht bei dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf darum, eine dem heutigen Rechtsverständnis über die Gleichberechtigung von Mann und Frau angemessene Regelung zu schaffen. Aus diesem Grunde
und im Interesse des hohen Ansehens des Wehrbeauftragten in der Öffentlichkeit und bei unseren Soldaten wäre es außerordentlich förderlich, wenn diese Gesetzesinitiative losgelöst von konkreten Personalüberlegungen gewertet werden könnte.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119436100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mechtersheimer

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Der weiß jetzt nicht, was er sagen soll! — Wiefelspütz [SPD]: Also, der wird nie Wehrbeauftragter!)


Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1119436200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Verteidigung, so ist heute in einer Einladung zu lesen, bittet anläßlich der Verabschiedung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Herrn Willi Weisskirch, zu einem Empfang mit anschließendem Ständchen am Freitag, dem 2. März 1990, 11 Uhr. —

(Dr. Klejdzinski [SPD]: In welchen Chor stimmen Sie denn ein, Herr Mechtersheimer? — Weitere Zurufe von der SPD)

Ungefähr in drei Wochen ist das so weit.
Es ist schon eine etwas betrübliche Situation, daß wir hier immer noch nicht wissen, wer der Nachfolger wird. Dieses Koalitionsgerangel um dieses wichtige Amt ist beschämend. Es schadet dem Amt, es schadet dem Amtsinhaber

(Bohl [CDU/CSU]: Diese Krokodilstränen können Sie sich doch sparen!)

und auch den Abgeordneten, die als Kandidaten dafür „gehandelt" werden.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Muß das denn ein Abgeordneter sein? — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das muß kein Abgeordneter sein!)

— Bisher läuft die Diskussion aber so. Es erweckt bei den Soldaten den Eindruck, als würde man hier um ein wichtiges parlamentarisches Amt aus ganz anderen Gründen ein Parteigerangel veranstalten. Ich meine schon, daß dieser koalitionspolitische Stellungskrieg sofort eingestellt werden sollte. Und wenn Sie sich von der Koalition nicht einigen können, warum lassen Sie dann das Parlament nicht entscheiden?

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das entscheidet doch sowieso!)

Das wäre doch einmal eine ganz vernünftige Sache. — Nein, es können dann ja die einzelnen Fraktionen der Koalition Vorschläge machen, wie Sie ja möglicherweise auch, und dann lassen Sie das Parlament entscheiden. Das wäre doch einmal eine ganz gute Konfliktlösungsstrategie in einem solchen Fall, in dem sich eine Koalition intern nicht entscheiden kann.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie werden sich noch wundern, was wir entscheiden können!)

Leider ist die vorgelegte Gesetzesänderung, meine Damen und Herren, nun in ein sehr schiefes Licht geraten. Die Änderung des Gesetzes an sich ist über-



Dr. Mechtersheimer
fällig. Nur ist es bedauerlich, daß die geschlechtsneutrale Ausschreibung jetzt zum Bestandteil dieses von mir erwähnten personalpolitischen Gerangels geworden ist. Es wäre fatal, wenn man das Prinzip der Gleichberechtigung nun für ganz andere personalpolitische Interessen und Fragen benutzen würde.
Wir werden dieser Gesetzesänderung trotz dieser Bedenken zustimmen, weil aus dem bisherigen Text die schnorrige Frage herausklingt: Haben Sie gedient? Gerade ein sogenannter Nichtgedienter, der eben auch nicht die militärische Sozialisation erlebt hat, könnte als demokratischer Wächter in den Streitkräften besonders geeignet sein. Aber ich möchte doch anmerken, daß eben nicht Geschlecht oder Biographie für die Qualifikation für dieses Amt entscheidend ist, sondern der Mut, den der oder die Wehrbeauftragte aufzubringen hat, um die Interessen der zwangsrekrutierten Wehrpflichtigen gegenüber den eigenen Parteifreunden und der Generalität zu vertreten — und das mit Rückgrat, so wie der jetzt scheidende Wehrbeauftragte es früher einmal getan hat.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was heißt hier „früher"?)

— Der letzte Bericht des Wehrbeauftragten war keine Bestätigung für eine mutige Wahrnehmung des Amtes. Der vorhergehende Bericht war es. Das muß man hier ganz deutlich sagen. Wir haben das in der Debatte vorher erklärt, das ist keine neue Offenbarung. Offensichtlich ist Ihnen das entgangen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind auch keine neue Offenbarung!)

Prinzipiell sollte der Wehrbeauftragte aus den Reihen der Opposition kommen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Am besten Sie wahrscheinlich!)

Das wäre für die Wahrnehmung dieses Amtes sehr hilfreich. Aber jetzt scheint es mir zweckmäßig zu sein, den Kandidaten aus der Koalition zu bevorzugen und nicht den der SPD, weil das ja dann ab Dezember wahrscheinlich die richtige Ordnung wäre.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der FDP: Ha, ha, ha!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119436300
Herr Abgeordneter Breuer, Sie haben jetzt das Wort.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1119436400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte damit beginnen, zu sagen, daß ich bewußt Frau Kollegin Seiler-Albring für die Koalition in der Rednerreihenfolge das Wort überlassen habe,

(Beifall bei der SPD)

um zum Ausdruck zu bringen, meine Damen und Herren, daß es besser gewesen wäre — das muß man hier ohne Zweifel zugestehen — , wenn die Initiative der drei Kolleginnen von 1988 damals konsequent weiter verfolgt worden wäre. Wir könnten uns manches Wort in dieser Debatte sparen.

(Zuruf von der SPD: In welchem BermudaDreieck ist sie denn verschwunden?)

Das Problem der Debatte ist eindeutig, daß heute auf der Basis vorhandener Personalvorstellungen oder -vorschläge diskutiert wird. Das macht eine sachliche Diskussion natürlich schwieriger. Es liegen zwei Gesetzentwürfe vor, der eine von den Koalitionsfraktionen, der andere von der SPD. Sie stimmen in dem Punkt überein, daß zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages die ersatzlose Streichung der Bedingung, er müsse mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet haben, vorgeschlagen wird. Das ist die Gemeinsamkeit.
Wo liegen die Unterschiede? Die SPD bindet die Wahl — der Kollege Heistermann hat es eben dargestellt — an das aktive bzw. passive Wahlrecht zum deutschen Bundestag.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ist das schlimm?)

Wir wollen die jetzige Regelung, Lebensalter 35 Jahre, beibehalten. Ich denke, meine Damen und Herren, daß wir bei diesen 35 Jahren, also der Bedingung eines mittleren Lebensalters, bleiben sollten. Wenn wir die Bedingung ein Jahr Wehrdienst streichen, weil jemand, der sich mit den Dingen der Bundeswehr beschäftigt hat und Milieukenntnis erworben hat, sei es Frau oder Mann, mit Qualifikation seine Aufgabe durchaus gut leisten kann, dann, so meine ich, ist es allerdings erforderlich, daß die notwendige Menschenkenntnis, die Lebenserfahrung und das notwendige Standvermögen gegenüber dem Parlament, dem Ministerium und der Öffentlichkeit nachgewiesen wird. Das, meine Damen und Herren, ist einem oder einer 18jährigen oder 20jährigen gar nicht zuzumuten.

(Zuruf von der SPD: Das kriegt der Ausschuß schon hin!)

Ich denke, meine Damen und Herren, daß es notwendig ist, über diesen Punkt intensiv miteinander zu reden. Herr Kollege Heistermann, ich habe Ihren Beitrag auch so verstanden, daß wir dies im Verteidigungsausschuß tun sollen. Ich habe verstanden, daß dies für Sie keine Conditio sine qua non ist.
Ich denke, meine Damen und Herren, daß die Frage Frau oder Mann in der heutigen Debatte keine Rolle gespielt hat. Das heißt, wir stimmen da vollkommen überein. Im übrigen soll die Formulierung im Antrag der SPD „jeder oder jede Deutsche " dies besonders zum Ausdruck bringen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein absolutes „essential" ! )

Ich glaube auch — dabei denke ich nur an die Formulierungen des Grundgesetzes, wo wir immer geschlechtsneutrale Formulierungen haben — , daß das Grundgesetz zum Ausdruck bringt, daß geschlechtsneutral gewählt wird. Dies ist also nicht notwendig. Die Fragestellung Mann oder Frau ist in diesem Zusammenhang keine Frage. Ich halte die Frage des Lebensalters für wesentlich wichtiger und halte die Frage — das möchte ich zum Schluß sagen — der längeren Befassung mit der Bundeswehr, mit Soldaten, die Möglichkeit, sich in die Lage der Soldaten hineinzuversetzen, für das Entscheidende. Das sollten die Dinge sein, die unsere Diskussion im Verteidigungsausschuß wie aber auch im Rechtsausschuß bestimmen.



Breuer
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der Überweisung an die Ausschüsse zu.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119436500
Ich schließe die Aussprache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 11/6317 und 11/6367 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neununddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 10 Abs. 2, Artikel 19 Abs. 4)

— Drucksache 11/3046 —Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Das Haus ist auch damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Such.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119436600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während alle anderen Fraktionen in diesen Tagen von Wiedervereinigung reden, schlagen die GRÜNEN zunächst die Wiederherstellung eines elementaren Grundrechts der Bürgerinnen und Bürger in Ost und West vor. Vor dem Abbau der Grenzkontrollen empfehlen wir die Abschaffung der Postkontrollen. Wir sind also ganz bescheiden. Erstens. Nicht unser Müll und Mief sollten ungehindert über die Grenzen geliefert werden, sondern — andersherum — wenigstens ein Brief. Zweitens. Statt Unfreiheit im DDR-Anschluß würde uns schon die Freiheit am Telefonanschluß reichen.
All das ist nicht gewährleistet, solange der Grundgesetzartikel 10 Abs. 2 sowohl gezielte Individualkontrollen als auch schleppnetzartige Massenkontrollen von Fernmeldeanschlüssen und Postsendungen der Menschen möglich macht. Das gilt auch weiter nach den am Montag von der Bundesregierung angekündigten halbherzigen Einschränkungen. Soweit sich diese nämlich allein auf Privatpersonen aus der DDR beziehen, müssen diese weiterhin befürchten, daß ihre Briefe in den Briefsäcken erst einmal beim BND landen; denn der soll nach dem Willen der Bundesregierung weiter etwa nachsehen dürfen, wem die Regierungsmitglieder des Runden Tisches, also Amtspersonen, schreiben oder was sie z. B. mit hiesigen Umweltschützern und Umweltschützerinnen telefonieren. Absurd!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ebenso haarsträubend ist das Beharren der Bundesregierung auf ihrer Befugnis, weiterhin in vollem Umfange private und Regierungskontakte einschließlich Bonner Botschaften von Länder wie Ungarn, Polen oder der ČSSR kontrollieren zu können, also Überwachung von Staaten, die als erste die Ausreise von DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürgern zuließen, da, wo heute Solidarnosc regiert oder deren erster Mann Vaclav Havel heißt. Daß der BND auch mit Hilfe all dieser Überwachungsinstrumente die Entwicklung im Ostblock nicht nur nicht früher, sondern auch nicht zutreffend erkennen konnte, ist ja inzwischen bekannt. Deshalb kann um so leichter auf solche Arbeit verzichtet werden. Was soll das überhaupt!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das gleiche gilt übrigens für den BND selbst, zumal wenn sich die Hinweise auf dessen Zusammenarbeit mit Stasi-Leuten noch verstärken sollten. Ich sage nur: Schalck-Golodkowski. Daß wir auch auf die Individualüberwachung nach G 10 ohne weiteres verzichten können, ja müssen, zeigen schon Anwendungsfälle wie Traube, Wallraff oder die Gorleben-Bürgerinitiative, also die bekanntgewordene Spitze eines mutmaßlichen Eisberges von Bespitzelungen. Daß diese auch nicht vor Parlamentariern halt macht, verdeutlicht die aktuell bekanntgewordene Postkontrolle zu Lasten unseres Kollegen Tietjen. Hieran zeigt sich im übrigen auch die völlige Wirkungslosigkeit der Kontrollgremien, deren Bedeutung die Bundesregierung so gern herausstreicht, insbesondere wenn es um die Unterscheidung zu den Stasi-Methoden der DDR geht.
Neben anderen Mitgliedern dieser Kontrollgremien hat vor einigen Jahren auch Herr Minister Dr. Zimmermann schon eingeräumt, daß diese sogenannten Kontrollkommissionen in Wirklichkeit gar nichts kontrollieren können, sondern nur anhören können, was die Bundesregierung ihnen sagt. Im Falle Tietjen hat diese es nach Presseberichten offenbar vorgezogen, statt Parlamentarischer Kontrollkommission und G-10-Gremien einzelnen Abgeordneten davon zu berichten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119436700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gerster, Herr Kollege?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119436800
Bitte schön.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1119436900
Herr Kollege Such, finden Sie es nicht merkwürdig, daß der Innenausschuß des Bundestages in dieser Woche mit Ihrer Teilnahme festgestellt hat, daß es im Fall Tietjen überhaupt nichts zu beanstanden gibt und hier die Behörden ordnungsgemäß gehandelt haben? Wie können Sie dann heute den Eindruck erwecken, daß hier etwas falsch gelaufen wäre? Können Sie mir das einmal erklären?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119437000
Sie wollen doch nicht bestreiten, Kollege, daß im Fall Tietjen eine Postkontrolle stattgefunden hat, und auch Sie haben gehört, daß die Kontrollgremien darüber nicht unterrichtet worden sind, so wie es vorgesehen ist.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Die SPD-Fraktion ist unterrichtet worden!)




Such
— Die SPD-Fraktion, einzelne Abgeordnete, aber nicht die Kontrollgremien. Das ist doch wohl ein Unterschied.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119437100
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Bitte.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1119437200
Herr Such, ich stelle noch einmal die Frage, wie Sie, nachdem der Innenausschuß diese Woche einstimmig festgestellt hat, daß es nichts zu beanstanden gibt, dazu kommen können, hier heute einen anderen Eindruck zu erwecken.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119437300
Es ist dort nicht einstimmig gesagt worden, daß das nicht zu beanstanden ist.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Aber natürlich!)

Es ist zur Kenntnis genommen worden, aber es ist nicht beanstandet worden.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Es ist nichts beanstandet worden, auch von Ihnen nicht!)

— Es ist nur zur Kenntnis genommen worden, Kollege Gerster. —

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)

Damit wurde dem Informationsanspruch des Parlaments — nur das Parlament, nicht die Fraktionen sollten die Gremien repräsentieren, sonst säßen wir GRÜNEN nämlich auch in diesen Gremien — nicht einmal formal Genüge getan. Was die Bundesregierung gestern im Innenausschuß darüber unter „Vertraulich" berichtet hat und was ich hier leider nicht wiedergeben kann, macht die Sache nur noch haarsträubender.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was denn?)

— Darüber kann ich hier nicht berichten.
Das Bundesverfassungsgericht hat die ganze G-10- Überwachung mit Ausschluß jeglicher Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger nur in Erwartung einer effektiven Kontrolle durch diese Gremien und die Datenschutzbeauftragten für verfassungsrechtlich erträglich gehalten. Wenn es nun hinten und vorne an diesen Voraussetzungen fehlt, müssen die G-10-Befugnisse ohne Wenn und Aber vom Tisch. Da brauchen wir nicht mehr abzuwarten, bis die Bundesregierung mit ihrem bereits vorliegenden Gesetzentwurf die Datenschützerkompetenzen im G-10-Bereich auch formal ganz abschafft.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind ein unverantwortlicher Schwätzer! — Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] und Abg. Dr. Hirsch [FDP] melden sich zu Zwischenfragen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119437400
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119437500
Ich bin am Ende meiner Rede, aber ich gestatte eine Zwischenfrage.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119437600
Ich weiß jetzt nicht, wer von Ihnen beiden zuerst dran war.

(Dr. Hirsch [FDP]: Wenn der Herr am Ende ist, dann reicht eine Frage!)

— Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1119437700
Herr Kollege, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Postkontrolle eines Abgeordneten als ein Eingriff einzuschätzen ist, den das Parlament nicht so ohne weiteres hinnehmen darf?

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119437800
Darin stimme ich mit Ihnen überein, ja.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie verhalten sich im Ausschuß anders, als Sie hier reden!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119437900
Jetzt hat Herr Abgeordneter Dr. Olderog das Wort.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1119438000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN behaupten in der Begründung ihres Antrags, die Geschichte der Geheimdienste in der Bundesrepublik „ist geprägt durch eine Vielzahl von Grundrechtsverletzungen". Diese Behauptung ist durch nichts zu rechtfertigen. Natürlich gibt es Fälle, bei denen sich der Verdacht des Verfassungsschutzes letztlich als nicht begründet erweist, aber es waren zunächst gleichwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Handeln des Verfassungsschutzes gegeben,

(Such [GRÜNE]: Das wird auch nicht bestritten!)

z. B. im Fall des Atomwissenschaftlers Klaus Traube oder des Schriftstellers Günter Wallraff. Ihre Behauptung, Volkszählungsgegner oder AIDS-Verdächtige seien in den Dateien der Geheimdienste gespeichert, ist eine grobe Unwahrheit.

(Such [GRÜNE]: Wo habe ich das hier behauptet?)

Wenn ein vom Verfassungsschutz beobachteter Extremist zugleich Volkszählungsgegner ist, so rechtfertigt das doch nicht eine solche, wie ich finde, unverantwortliche Aussage.

(Such [GRÜNE]: Ich habe das hier gar nicht ausgesagt! Wo waren Sie denn?)

Was Sie zum Fall des Herrn Tietjen gesagt haben, empfinde ich ebenfalls als abenteuerlich. Die von Ihnen aufgestellten Behauptungen — ich weiß, was ich sage — sind frei erfunden.
Meine Damen und Herren, in der Abwehr von Spionage, Terrorismus und Extremismus können wir ebenso wie bei der Gewährleistung der äußeren Sicherheit auf unsere Dienste nicht verzichten. Dabei muß in den gesetzlich genau umschriebenen Ausnahmesituationen das Öffnen von Post- und Briefsendungen und das Mithören von Telefonaten leider hingenommen werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119438100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
14992 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 194. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den ô. Februar 1990

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1119438200
Ja, bitte schön, wenn das nicht von meiner Zeit abgeht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119438300
Nein, nein. — Herr Abgeordneter Such.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119438400
Herr Kollege, stimmen Sie mit mir darüber ein, daß eine Postkontrolle bei dem Abgeordneten Tietjen stattgefunden hat, und stimmen Sie mit mir weiter darin überein, daß die zuständigen Gremien darüber nicht informiert worden sind?

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Eine Kontrolle bei dem Abgeordneten hat nicht stattgefunden!)


Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1119438500
Es hat eine Kontrolle bei dem Angehörigen einer Institution stattgefunden, bei dem nachgewiesenermaßen eine Spionagetätigkeit gegeben war.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Aber die Post war vom Abgeordneten Tietjen!)

Unterrichtet wurde der Sicherheitsbeauftragte der betreffenden Fraktion.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119438600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1119438700
Ja, gern.

Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1119438800
Ist es richtig, daß Sie bestreiten, daß bei dem Abgeordneten Tietjen eine Postkontrolle vorgenommen wurde?

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1119438900
Ich bestreite das, ja.
Meine Damen und Herren, wie viele Spione wären ohne diese Kontrolle nicht überführt worden?

(Such [GRÜNE]: Das ist die Unwahrheit! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Bei einem Abgeordneten ist keine Kontrolle durchgeführt worden!)

Wir müssen leider in Ausnahmesituationen das Öffnen von Post- und Briefsendungen und das Mithören von Telefonaten hinnehmen. Denken Sie an den Fall Guillaume, an den Fall Höke, an den Fall Scheffler. Wie oft war es nur durch Telefonkontrolle möglich, bestimmte Terroristen festzunehmen und zu überführen? Wieviel Mordanschläge sind dadurch verhindert worden? Als Beispiel nenne ich nur den Fall Dalkamoni.
Natürlich wiegen Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis im Rechtsstaat besonders schwer. Sie sind Ultima ratio, wenn die Aufklärung des Sachverhaltes auf andere Weise nicht möglich oder nicht vertretbar wäre. Hier gilt in besonderer Weise der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Meine Damen und Herren, ich räume ein: Die rechtsstaatliche Kontrolle der geheimdienstlichen Tätigkeit ist natürlich ein heikler Punkt. Es ist völlig klar, daß die Post- und Fernmeldeüberwachung ihren Sinn verliert, wenn etwa bei der Individualkontrolle die Betroffenen darüber unterrichtet werden. Diese Unterrichtung verbietet sich — abgesehen von den im Gesetz anders geregelten Fällen — von selbst.
Da die Betroffenen davon nichts wissen, können sie dagegen auch nicht vor Gericht klagen. Aber als Ausgleich dafür gibt es eine insgesamt hochwirksame parlamentarische Kontrolle durch eine Vielzahl von Gremien: G-10-Gremium, G-10-Kommission, Parlamentarische Kontrollkommission, Innenausschuß, Haushaltsgremien und andere. Die Behauptung der GRÜNEN, daß diese Kontrolle wirkungslos, ungeeignet und unfähig sei, weise ich mit Nachdruck zurück. Diese Kontrolle —

(Such [GRÜNE]: Findet im Innenausschuß nicht statt! Sie soll ja auch gar nicht stattfinden!)

darauf hat Herr Arndt immer wieder hingewiesen — geht weiter als die eines Gerichts. Die Mitglieder der G-10-Kommission besitzen richterliche Unabhängigkeit. Sie haben das Recht, alle staatlichen Stellen laufend und jederzeit zu überwachen. Sie haben im Gegensatz zu Ihren Ausführungen ungehinderten Zugang zu allen Dienststellen, Einrichtungen und Anlagen — auch bei der Post.

(Such [GRÜNE]: Dann sagen Sie, daß Herr Dr. Zimmermann die Unwahrheit sagt!)

Sie kontrollieren nicht nur etwaige Rechtsverletzungen, sondern auch die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit jeder Maßnahme.

(Such [GRÜNE]: Dann sagen Sie auch, daß Herr Jahn die Unwahrheit sagt!)

Keine Behörde, kein Mitarbeiter darf sich weigern, gewünschte Akten und Unterlagen vorzulegen. Es gibt keine Dienstverschwiegenheit gegenüber der Kommission. Es dient auch der Kontrolle, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz die Pflicht zur Information der jeweiligen Landesämter hat. Insofern wird das Prinzip der parteipolitischen Konkurrenz auch für die Kontrolle der Dienste des Verfassungsschutzes wirksam gemacht. Die Kontrolle durch die Kommission — auch in Verbindung mit den anderen parlamentarischen Gremien —

(Such [GRÜNE]: Findet nicht statt!)

ist daher intensiver, als jede gerichtliche Kontrolle sein kann.
Hat nicht der bekannte Jurist Walter Seuffert recht, wenn er sagt, „daß gerade die Geschichte der deutschen Justiz keineswegs eine Garantie dafür bietet, daß bei ihr die Rechte der Bürger und die Rechtsstaatlichkeit besser aufgehoben sind als bei den (freien) Parlamenten und ihren Gremien"? Radikale und Extremisten von links und rechts versuchen immer wieder, das Ansehen unseres frei gewählten Parlaments und seiner Gremien herabzusetzen. Wir können sicher in unserer Arbeit noch manches verbessern. Aber aus eigener Mitarbeit in der PKK habe ich die Oberzeugung gewonnen: Unsere parlamentarischen Gremien verdienen Vertrauen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119439000
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefelspütz.




Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1119439100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um ca. 22 Uhr reden wir im Plenum des Deutschen Bundestages in sage und schreibe jeweils maximal fünfminütigen Redebeiträgen über eine beantragte Verfassungsänderung. Es stellt sich da die naheliegende Frage, ob man unter diesen Umständen nicht besser schweigen sollte,

(Dr. Hirsch [FDP]: Das bleibt Ihnen unbenommen, Herr Kollege!)

zumal uns dieser Gesetzentwurf am Dienstag mittag auf die Schreibtische gelegt wurde und eine sachgerechte Beratung in den Fraktionsgremien natürlich nicht mehr möglich war.
Gleichwohl, aus Respekt vor den Antragstellern — —

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist gerade der Fehler!)

— Ich denke, Respekt genießt doch jedes Mitglied dieses Hauses und jede Fraktion. Das meine ich schon.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ich würde schon gewisse Abstufungen hinnehmen!)

— Sie mögen Abstufungen machen, aber ich denke, das ist doch unter Parlamentariern, unter Kolleginnen und Kollegen, eine Selbstverständlichkeit.
Aus Respekt vor den Antragstellern will ich einige Bemerkungen machen. Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich ja keineswegs um eine Kleinigkeit. Der Art. 10 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes, der nach dem Willen der GRÜNEN ersatzlos gestrichen werden soll, ist der vielleicht umstrittenste Rechtssatz unseres Grundgesetzes.
In der Rechtswissenschaft, die längst nicht immer Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts ist
— vorsichtig ausgedrückt —, wird diese Vorschrift überwiegend als verfassungswidrig kritisiert, noch heute.

(Such [GRÜNE]: Hört! Hört!)

In die deutsche Rechtsgeschichte ist das Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1970 eingegangen. Mit 5 gegen 3 Richterstimmen erklärte damals das Gericht Art. 10 Abs. 2 Satz 2 für verfassungsmäßig. Eine heftige Urteilskritik stand im Urteil selber bei den abweichenden Richterstimmen, und eine heftige Urteilskritik folgte damals im juristischen Fachschrifttum unmittelbar nach der Entscheidung.
Ich will das gar nicht kommentieren; das war damals, im Jahre 1970. Der Gesetzgeber hat sicherlich — das ist meine persönliche Überzeugung — eine nicht ganz geringe Gestaltungsfreiheit zu Verfassungsänderungen im Bereich des Art. 10 des Grundgesetzes. Wir sollten uns im Innenausschuß und im Rechtsausschuß die Zeit nehmen, um gegebenenfalls über Alternativen zum Art. 10 Abs. 2 Satz 2 nachzudenken.

(Such [GRÜNE]: Da gibt es keine Alternative!)

Sollten verfassungsändernde Mehrheiten nicht erreichbar sein, was ich wohl auch so sehe, wäre immer noch eine angemessene Änderung des G-10-Gesetzes möglich und denkbar. Ich weiß von dem einen oder anderen Kollegen, daß er sich sehr wohl auch Änderungen im Bereich des G-10-Gesetzes vorstellen kann. Zumindest dies, denke ich, sollte möglich sein.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119439200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1119439300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wiefelspütz, so schlecht ist das G-10-Gesetz nicht. Der Europäische Gerichtshof hat das Gesetz in mehreren Entscheidungen als vorbildlich dargestellt.

(Such [GRÜNE]: Nur die Handhabung ist nicht vorbildlich!)

Man muß den GRÜNEN sagen: Wenn Sie eine Ausdehnung der gerichtlichen Kontrolle haben wollen, dann können Sie das ohne eine Änderung der Verfassung tun; denn der Art. 10 verbietet ja nicht, sondern ermöglicht eine Einschränkung der richterlichen Kontrolle. Er verbietet sie nicht. Das könnten Sie tun; wenn Sie entsprechende Vorschläge nicht machen, geht es Ihnen in Wirklichkeit darum, eine Debatte zu führen, nicht um die Annahme Ihres Antrags.
Nun muß man sagen: Es ist richtig, daß der Begriff „innere Sicherheit" nicht dazu mißbraucht werden darf, die innere Freiheit einer Gesellschaft auszuhöhlen und die staatlichen Kontrollmechanismen so weit auszudehnen, bis der Staat den Bürger und nicht mehr der Bürger die staatliche Gewalt kontrolliert.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Such [GRÜNE])

Es ist völlig richtig, daß es eine absolute Sicherheit nicht geben kann und daß das Streben nach einem Höchstmaß von Sicherheit eben in einer totalen Kontrolle endet. Es kommt also auf das richtige Maß an. Es kommt darauf an, zu begreifen, daß es in Wirklichkeit nicht um innere Sicherheit, sondern um den inneren Frieden einer Gesellschaft geht, also um den Zustand, in dem der Bürger das, was man normalerweise als Schicksal bezeichnet, als sein Risiko akzeptiert.
Aber es ist in der Tat richtig, daß der Begriff, „innere Sicherheit" mißbraucht werden kann, bei unbedachter Handlungsweise den Staat zu verändern, also den Zustand zu erreichen, in dem der Verfassungsschutz z. B. mehr Angst erzeugt als Bürgersinn oder eben mit dem Rücken mehr einreißt, als er mit den Händen aufbauen kann.
Daß es eine Telefonkontrolle überhaupt gibt, überschreitet diese Grenze nicht. Das Gesetz ist nicht eingeführt worden, um irgendein Teufelswerk zu erreichen, sondern um die alliierten Vorbehaltsrechte nach Art. 5 des Deutschlandvertrages ablösen zu können, die den Alliierten die Kontrolle des Brief- und Telefonverkehrs gestatteten.

(Such [GRÜNE]: Sie sind auf dem Teufelsberg in Berlin!)

Es hat in der Tat erst eine Entscheidung des Verfassungsgerichts bedurft, bis unserer Forderung entsprochen wurde, daß der Betroffene im Anschluß an das Abhören nach Möglichkeit informiert werden muß



Dr. Hirsch
und dann auch eine normale verwaltungsgerichtliche Kontrolle in Anspruch nehmen kann.
Übrigens kann der Kollege Tietjen selbstverständlich gegen das Offnen seines Briefes auch nach geltendem Recht Verwaltungsklage erheben, wenn er ihr Erfolg beimißt.

(Such [GRÜNE]: Es ist ja bestritten worden, daß ein Brief geöffnet wurde! — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Es geht doch um die Frage, gegen wen sich die Maßnahme richtet! — Such [GRÜNE]: Es ist sein Brief geöffnet worden! Das richtet sich gegen den Briefschreiber!)

— Na ja, das sind also Zwischenrufe, die Sie vielleicht als Fragen formulieren könnten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119439400
Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1119439500
Herr Kollege, mich interessiert einfach einmal Ihre Auffassung zu der Frage, ob Sie denn überhaupt keine Probleme im Bereich des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 und im G-10-Gesetz sehen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1119439600
Wenn Sie einen Augenblick zuhören würden; ich will gerade die Probleme schildern, die ich natürlich damit habe.
Ich will sagen, daß wir gar nicht freiwillig und übrigens auch zunächst gegen Ihren Widerstand erreicht haben, daß eine nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen erfolgt, daß wir erreicht haben, daß eine Kommission eingesetzt worden ist, die vor einer Telefonkontrolle zustimmen muß, so daß eine parlamentarische Kontrolle in dieser Weise stattfindet.
Wenn man den Vergleich zwischen Kontrollmaßnahmen nach G-10 und richterlichen Entscheidungen nach § 100 a StPO zieht, dann hat man allerdings Zweifel, welche der beiden Kontrollmechanismen wirksamer ist. Ich traue manchem nordrhein-westfälischen Polizeipräsidenten in dieser Frage mehr zu als manchem Amtsrichter, der teilweise geradezu hilflos den Argumenten von Kriminalbeamten ausgeliefert ist, die ihm mit blühenden Farben schildern, was passiert, wenn er einer Telefonkontrolle nicht zustimmt.

(Zustimmung des Abg. Such [GRÜNE])

— Sie nicken. Das ist eben nicht die G-10-Kommission, sondern das ist die richterliche Kontrolle, die Sie ausdehnen wollen. Natürlich kann man das nach englischem Vorbild tun, und natürlich ist es richtig, daß wir an einer Novellierung des G-10-Gesetzes arbeiten.
Man muß einmal daran denken, daß die Entwicklung der modernen Telefon- und Kommunikationstechnik die Möglichkeiten der G-10-Kontrolle drastisch ausgeweitet hat. Wir denken daran, daß es nach den Überlegungen des Verfassungsgerichts wünschenswert ist, den Bundesdatenschutzbeauftragten stärker an der Kontrolle zu beteiligen. Wir sagen außerdem in aller Klarheit, daß für uns die Kontrolle des vertraulichen, in einer Wohnung gesprochenen Wortes durch weitergehende technische Mittel,
wie z. B. durch Wanzen, nicht in Betracht kommt. Hier ist eine Grenze erreicht, die, wenn man sie überschreitet, unsere Gesellschaft verändern würde. Das werden wir nicht akzeptieren.
Wir sind eigentlich bereit, diesen Antrag, der hier zur Verfassungsänderung gestellt ist, in erster Lesung abzulehnen, weil er keinerlei Aussicht auf Erfolg haben kann. Wenn verabredet ist, ihn zu überweisen, dann können wir das tun. Wir haben sicherlich Gelegenheit, im Innenausschuß dann etwas länger darüber zu reden, welche Art der Kontrolle für Fragen dieser Art angemessen ist und wie im übrigen die Frage der Immunität eines Abgeordneten im Rahmen der Briefkontrolle beachtet werden sollte. Da stimme ich Ihnen zu, daß in dieser Frage die geltende Auslegung des Gesetzes auch unseren Vorstellungen nicht entspricht.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119439700
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1119439800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN gibt vor, die Rechtsweggarantie wiederherstellen zu wollen. Letzten Endes läuft er aber auf eine Abschaffung der gesetzlichen Grundlage nachrichtendienstlicher Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs hinaus. Diese Grundlage, das G-10-Gesetz, wurde im Zuge der Ablösung alliierter Vorbehaltsrechte geschaffen — Herr Dr. Hirsch hat das schon erwähnt — und diente insoweit auch der Rückgewinnung der Souveränität. Weil eine verfassungsmäßige Verantwortung des Staates für die innere und äußere Sicherheit besteht, geben alle westlichen Demokratien nicht nur ihren Strafverfolgungsbehörden, sondern auch ihren Nachrichtendiensten die Möglichkeit zur Post- und Telefonüberwachung.
Das G-10-Gesetz knüpft derartige Eingriffe an besonders enge Voraussetzungen und enthält ins einzelne gehende Vorschriften für eine rechtsstaatliche Kontrolle. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deckt der Gesetzesvorbehalt des Art. 10 des Grundgesetzes insbesondere ein Gesetz, das aus Gründen des Staatsschutzes Einschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zur Abwehr von Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Staates vorsieht. Die Ersetzung des Rechtsweges durch die Kontrolle des G-10-Gremiums und der G-10-Kommission hat einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht und auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte standgehalten.
Die in der Begründung des Gesetzentwurfs enthaltene Behauptung, die im Grundgesetz vorgeschriebene Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe oder Hilfsorgane führe in der Regel nicht zu einer Einzelfallprüfung, trifft nicht zu und wird durch die schon erwähnten gerichtlichen Entscheidungen widerlegt.



Parl. Staatssekretär Spranger
Das G-10-Gesetz, insbesondere seine Notwendigkeit, ist erst vor kurzem durch die Novellierung im Rahmen des Poststrukturgesetzes vom 8. Juni 1989 parlamentarisch bestätigt worden. Wer — wie die GRÜNEN — den Verfassungsschutz und damit eine wichtige Säule für den Schutz unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung abschaffen will, der wird natürlich konsequenterweise auch für die Abschaffung des G-10-Gesetzes eintreten. Aus der Sicht der Bundesregierung sprechen jedoch die mit diesem G-10-Gesetz gemachten Erfahrungen, seine Bestätigung durch höchstrichterliche Entscheidungen und auch die Schutzinteressen des Staates entschieden für die Beibehaltung des Gesetzes und damit auch die grundgesetzlichen Bestimmungen, die dieses Gesetz möglich gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1119439900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 11/3046 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Februar 1990, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.