Protokoll:
11182

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 182

  • date_rangeDatum: 7. Dezember 1989

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:40 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/182 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 182. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Inhalt: Verzicht des Abg. Weirich auf die Mitglied- schaft im Deutschen Bundestag 13985 A Eintritt der Abg. Frau Augustin in den Deutschen Bundestag 13985 A Erweiterung der Tagesordnung 13985 A Abwicklung der Tagesordnung 13985 B Begrüßung des Präsidenten des Parlaments des Königreichs Nepal und seiner Delegation 13985 C Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Die Bundeswehr in den 90er Jahren Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . 13985 D Horn SPD 13991 D Wilz CDU/CSU 13993 D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 13995 D Ronneburger FDP 13999 B Dr. von Bülow SPD 14002 D Biehle CDU/CSU 14006 B Gerster (Worms) SPD 14008 D Breuer CDU/CSU 14011 C Frau Fuchs (Verl) SPD 14015 A Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Gerster (Worms), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit (Drucksache 11/3918) Gerster (Worms) SPD 14018B Lamers CDU/CSU 14021 A Frau Beer GRÜNE 14022 C Dr. Feldmann FDP 14023 D Lowack CDU/CSU 14025 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 14026B Tagesordnungspunkt 6: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Hüsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Kleinert (Hannover), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze (Drucksachen 11/4415, 11/5423) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 11/4931, 11/5659) c—e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses — Sammelübersichten 138, 139 und 140 zu Petitionen — (Drucksachen 11/5605, 11/5606, 11/5694) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 30 05 Titel 683 15 — Risikobeteiligungen des Bundes im Bereich der Kernenergie — (Drucksachen 11/5144, 11/5356) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02 (Internationale Entwicklungsorganisation — IDA —) (Drucksachen 11/5361, 11/5661) h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 03 — Asiatische Entwicklungsbank — (Drucksachen 11/5387, 11/5717) i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 2302 Titel 896 03 — Bilaterale Technische Zuammenarbeit — (Drucksachen 11/5398, 11/5718) j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Ingolstadt, Bruckner-, Hindemith- und Schubertstraße (Drucksachen 11/5162, 11/5616) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über züchterische und genealogische Bedingungen für die Vermarktung reinrassiger Tiere (Drucksachen 11/3703 Nr. 2.20, 11/5612) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Mastkälbern in Intensivhaltungen (Drucksachen 11/5051 Nr. 35, 11/5644) m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen in Intensivhaltungen (Drucksachen 11/5051 Nr. 36, 11/5645) n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestanforderungen an Schiffe, die in Seehäfen der Gemeinschaft einlaufen oder aus ihnen auslaufen und gefährliche oder schädliche Versandstücke befördern (Drucksachen 11/5051 Nr. 43, 11/5583) o) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1188/81 des Rates zur Gewährung angepaßter Erstattungen für in Form bestimmter alkoholischer Getränke ausgeführtes Getreide auch für spanischen Whisky (Drucksachen 11/5145 Nr. 3.31, 11/5643) p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (Drucksachen 11/4161 Nr. 2.2, 11/5735, 11/5946) Dr. Hüsch CDU/CSU 14051 D Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOV-Strukturgesetz 1990) (Drucksache 11/5831) Dr. Blüm, Bundesminister BMA 14054 A Hasenfratz SPD 14054 D Heinrich FDP 14056 C Hoss GRÜNE 14057 C Frau Unruh fraktionslos 14058 B Louven CDU/CSU 14058 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 III Tagesordnungspunkt 8: a) Weitere zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Steuerreformgesetzes 1990 (Drucksache 11/2157) und zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude (WoBauFG) (Drucksachen 11/5680, 11/5970, 11/5971) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Vosen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Fortführung der Steuerbegünstigung für Erfinder (Drucksachen 11/3101, 11/5970) Glos CDU/CSU 14060 B Poß SPD 14061 D Gattermann FDP 14064 A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 14065 C Dr. Faltlhauser CDU/CSU 14066 C Reschke SPD 14067 D Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 14069 D Hüser GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 14071 A Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksachen 11/4610, 11/5949) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des Abgeordneten Roth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht (Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen) (Drucksachen 11/2017, 11/5630) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN: Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur 5. GWB Novelle (Drucksachen 11/4069, 11/5629) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN: Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft (Drucksachen 11/4070, 11/5631) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des Abgeordneten Roth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung (Drucksachen 11/4378, 11/5628) Wissmann CDU/CSU 14072 C Dr. Jens SPD 14075 C Funke FDP 14079 A Frau Saibold GRÜNE 14080 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 14083 A Dr. Pinger CDU/CSU 14085 B Pfuhl SPD 14086 C Hinsken CDU/CSU 14089 B Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (Druck sachen 11/5700, 11/5979) 14091 D Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tierzuchtgesetzes (Druck sachen 11/4868, 11/5931) 14092A Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe (Drucksachen 11/1673, 11/3924) 14092 D Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Auswirkungen der Privatisierung von Reinigungsdiensten und zu den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen im Bereich der Bundesverwaltung, der Bundesgerichte, der in bundeseigener Verwaltung geführten Einrichtungen sowie in den bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (Drucksachen 11/2366, 11/4129) IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung von Arbeitsbedingungen von Frauen bei der Deutschen Bundespost (Drucksache 11/3997) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung (Drucksache 11/5689) Frau Faße SPD 14093 D Dr. Kappes CDU/CSU 14095 D Frau Walz FDP 14097 B Frau Weiler SPD 14098 D Frau Schätzle CDU/CSU 14098 D Tagesordnungspunkt 14: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei (Drucksache 11/5228) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäre Hilfsmöglichkeiten für irakisch-kurdische Flüchtlinge in der Türkei (Drucksache 11/5229) Dr. Osswald SPD 14100A Dr. Hirsch FDP 14100D Frau Beer GRÜNE 14101 C Lummer CDU/CSU 14102B Becker (Nienberge) SPD (zur GO) . . . 14103 C Frau Beer GRÜNE (zur GO) 14103 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beratung der zweiten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Probleme hochverdichteter Neubausiedlungen aus den 60er und 70er Jahren b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Die Situation der Mieterinnen und Mieter in den Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre zu dem Antrag des Abgeordneten Conradi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weiterentwicklung und Verbesserung der nach 1950 erbauten Großsiedlungen (Drucksachen 11/813, 11/2241, 11/1186, 11/4702) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Austermann, Börnsen (Bönstrup) und Genossen und der Fraktionen der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hitschler, Gattermann, Grünbeck, Zywietz und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz — WoBauErlG — ) (Drucksache 11/5972) Dörflinger CDU/CSU 14104 C Conradi SPD 14106D Dr. Hitschler FDP 14109 C Frau Teubner GRÜNE 14112 A Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 14113D Großmann SPD 14115D Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 14119A Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder-und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz — KJHG) (Drucksache 11/5948) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD : Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern (Drucksache 11/4882) . . 14122A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : Fragestunde — Drucksache 11/5951 vom 1. 12. 1989 — Einleitung von Strafverfahren nach §.§. 17 a und 27 des Versammlungsgesetzes wegen Vermummung und passiver Bewaffnung anläßlich der Krawalle in Göttingen am 27. November 1989 MdlAnfr 54, 55 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Spranger BMI 14027 D ZusFr Dr. Hirsch FDP . . . . 14027D, 14029 D ZusFr Dr. Nöbel SPD 14028 C ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 14028 D ZusFr Dr. Langner CDU/CSU 14028 D ZusFr Richter FDP 14029A, 14030 C ZusFr Dr. Penner SPD . . . 14029A, 14030 A ZusFr Frau Unruh fraktionslos 14029B, 14030 B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 V Zahl und Bestrafung vermummter Personen bei der Demonstration in Göttingen im November 1989 MdlAnfr 56, 57 Dr. Nöbel SPD Antw PStSekr Spranger BMI 14030 D ZusFr Dr. Nöbel SPD 14030D, 14032 A ZusFr Dr. Penner SPD 14031A, 14031D, 14032 C ZusFr Dr. Hirsch FDP . . . . 14031B, 14032 B ZusFr Frau Unruh fraktionslos . 14031C, 14033A ZusFr Frau Wollny GRÜNE 14031 C ZusFr Eylmann CDU/CSU 14032 D ZusFr Dr. Langner CDU/CSU 14032 D Bau eigener U-Boote in Südafrika MdlAnfr 8 Frau Wollny GRÜNE Antw StMin Dr. Stavenhagen BK . . . 14033 B ZusFr Frau Wollny GRÜNE 14033 B ZusFr Dr. Hüsch CDU/CSU 14033 C ZusFr Gansel SPD 14033 C ZusFr Stobbe SPD 14033 D ZusFr Bohl CDU/CSU 14034 A Reaktion auf die UNO-Resolution zur Strafverfolgung der Firmen HDW und IKL im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika MdlAnfr 32, 33 Frau Beer GRÜNE Antw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14034 B ZusFr Frau Beer GRÜNE . . . 14034B, 14037A ZusFr Bohl CDU/CSU 14035 A ZusFr Gansel SPD 14035B, 14037 B ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . 14035 C ZusFr Hiller (Lübeck) SPD 14035 D ZusFr Dr. Penner SPD 14036 A ZusFr Frau Unruh (fraktionslos) 14036 B ZusFr Stobbe SPD 14036 C ZusFr Frau Rust GRÜNE 14037 D Kontakte mit UN-Mitgliedstaaten vor der Verabschiedung der UNO-Resolution über die U-Boot-Geschäfte mit Südafrika MdlAnfr 34 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE Antw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14038A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 14038 B ZusFr Gansel SPD 14038 C Hüser GRÜNE (zur GO) 14039 A Aktuelle Stunde Frau Beer GRÜNE 14039B, 14048A Bohl CDU/CSU 14040B Stobbe SPD 14041 C Richter FDP 14042 C Gansel SPD 14043B, 14050A Eylmann CDU/CSU 14044 C Verheugen SPD 14045D Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 14047 A Irmer FDP 14048D Lowack CDU/CSU 14049B Genscher, Bundesminister AA 14050 D Vizepräsident Cronenberg 14041 C Vizepräsidentin Renger 14051 C Nächste Sitzung 14122D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . 14123' A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 10 der Tagesordnung (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts) 14123*C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 11 der Tagesordnung (Entwurf eines Tierzuchtgesetzes) 14126*C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 12 der Tagesordnung (Antrag der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe) 14128* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede der Abgeordneten Frau Weiler (SPD) zu Tagesordnungspunkt 13 (Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen) 14131*B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede des Staatsministers Schäfer zu Tagesordnungspunkt 14 (Irakisch-kurdische Flüchtlinge in der Türkei) 14132* D VI Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Kinder- und Jugendhilfegesetz; Integrationsprobleme von Kindern und jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern) 14133* D Anlage 8 Versuch der Streichung des Abschnitts über die Strafverfolgung durch die bundesdeutsche Vertretung MdlAnfr 35 — Drs 11/5951 —Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14141* A Anlage 9 Haltung der Bundesregierung zur internationalen Kritik am deutschen U-Boot-Geschäft mit Südafrika MdlAnfr 36, 37 — Drs 11/5951 — Frau Rust GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-SchwaetzerAA 14141*B Anlage 10 U-Boot-Bau in Südafrika mit deutscher Hilfe laut Fernsehsendung MONITOR MdlAnfr 38 — Drs 11/5951 — Frau Wollny GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14141* D Anlage 11 Südafrikanisches Strategiepapier über eine Desinformationskampagne zum U-Boot-Geschäft; letzte Kontakte der Bundesregierung mit Südafrika im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft MdlAnfr 39, 40 — Drs 11/5951 — Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14142* A Anlage 12 Ausschluß der Weitergabe von Know-how an Südafrika im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft mit Israel MdlAnfr 41 — Drs 11/5951 — Frau Dr. Vollmer GRÜNE SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14142* B Anlage 13 Information der Staatsanwaltschaft Kiel über die Verurteilung der „militärischen Zusammenarbeit" deutscher Firmen mit Südafrika durch die Vereinten Nationen MdlAnfr 42, 43 — Drs 11/5951 — Gansel SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14142* C Anlage 14 Unterschiedliche Bewertung der Störung der auswärtigen Beziehungen durch die Straftaten im Zusammenhang mit dem Bau einer CWaffenanlage in Libyen und dem U-BootGeschäft mit Südafrika MdlAnfr 44 — Drs 11/5951 — Wischnewski SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14142* D Anlage 15 Verurteilung der militärischen Zusammenarbeit deutscher Firmen mit Südafrika durch die Vereinten Nationen; Haltung des Bundeskanzleramtes zum Antrag der 33 UNMitgliedstaaten betr. militärische Zusammenarbeit deutscher Firmen mit Südafrika MdlAnfr 45, 9 — Drs 11/5951 — Stobbe SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14143*A Anlage 16 Änderung von Formulierungen in der UNOResolution über die Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika MdlAnfr 46, 47 — Drs 11/5951 — Jungmann (Wittmoldt) SPD SchrAntw StMin Frau Dr. Adam-Schwaetzer AA 14143*B Anlage 17 Zurücknahme des U-Boot-Geschäfts mit Südafrika MdlAnfr 58, 59 — Drs 11/5951 — Brauer GRÜNE SchrAntw PStSekr Carstens BMF . . . . 14143* C Anlage 18 Verjährung der mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika verbundenen Straftaten im Dezember 1989 MdlAnfr 60 — Drs 11/5951 — Wischnewski SPD SchrAntw PStSekr Carstens BMF . . . . 14143* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 VII Anlage 19 Zustimmung des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel zur Verschiebung der Schließung des italienischen Stahlwerks Bagnoli auf Dezember 1990 MdlAnfr 61, 62 — Drs 11/5951 — Urbaniak SPD SchrAntw PStSekr Dr. Riedl BMWi . . . 14144* A Anlage 20 Durchsetzbarkeit raumordnungspolitischer Belange angesichts der Streichung von Raumordnungspolitik und regionaler Strukturpolitik aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" MdlAnfr 63, 64 — Drs 11/5951 — Menzel SPD SchrAntw PStSekr Dr. Riedl BMWi . . . 14144* C Anlage 21 Umfang der von Berufsrückkehrerinnen genutzten Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nach § 46 Abs. i Ziff. 1 AFG MdlAnfr 65 — Drs 11/5951 — Frau Schmidt (Nürnberg) SPD SchrAntw PStSekr Seehofer BMA . . . . 14145* A Anlage 22 Nachschulungsprogramme in überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks für Aus- und Übersiedler MdlAnfr 66, 67 — Drs 11/5951 — Hinsken CDU/CSU SchrAntw PStSekr Seehofer BMA . . . . 14145* A Anlage 23 Beseitigung der Probleme im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Sonderprogramms zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen MdlAnfr 68, 69 — Drs 11/5951 — Dr. Hitschler FDP SchrAntw PStSekr Seehofer BMA . . . . 14145* C Anlage 24 Mehraufwendungen des Bundesministeriums der Verteidigung wegen fehlenden Wohnungsangebots an den Standorten MdlAnfr 72 — Drs 11/5951 — Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 14146* A Anlage 25 Modernisierung der strategischen Kernwaffen der Sowjetunion MdlAnfr 73 — Drs 11/5951 — Lowack CDU/CSU SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 14146* B Anlage 26 Einhaltung der bundesdeutschen Vorschriften zum Schutz von Grund- und Trinkwasser auf militärisch genutzten Flächen MdlAnfr 74 — Drs 11/5951 — Dr. Kübler SPD SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 14146* C Anlage 27 Truppenreduzierungen auf den US-Truppenübungsplätzen Grafenwöhr und Hohenfels MdlAnfr 75 — Drs 11/5951 — Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE SchrAntw PStSekr Wimmer BMVg . . . 14146* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 13985 182. Sitzung Bonn, den 7. Dezember 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 7 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 08. 12. 89 Dr. Ahrens SPD 08. 12. 89 ** Antretter SPD 08. 12. 89 * * Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 08. 12. 89 Frau Becker-Inglau SPD 08. 12. 89 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 08. 12. 89 Bindig SPD 08. 12. 89 ** Frau Blunck SPD 08. 12. 89 ** Dr. Bötsch CDU/CSU 08. 12. 89 Büchner (Speyer) SPD 08. 12. 89** Duve SPD 08. 12.89 Ehrbar CDU/CSU 08.12.89 Eich GRÜNE 08. 12. 89** Frau Eid GRÜNE 08. 12. 89 Frau Fischer CDU/CSU 7. 12. 89 ** Frau Frieß GRÜNE 8. 12. 89 Frau Ganseforth SPD 08. 12. 89 Dr. Gautier SPD 08. 12. 89 Dr. von Geldern CDU/CSU 08. 12. 89 Heimann SPD 08.12.89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 08. 12. 89 * Höffkes CDU/CSU 7. 12. 89 ** Jaunich SPD 8. 12.89 Jung (Düsseldorf) SPD 7. 12. 89 Kittelmann CDU/CSU 8. 12. 89 * Kißlinger SPD 08. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 08. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 08. 12. 89 ** Dr. Laufs CDU/CSU 08. 12. 89 Frau Luuk SPD 08. 12. 89 ** Meyer SPD 08.12.89 Dr. Müller CDU/CSU 08. 12. 89 ** Niegel CDU/CSU 08. 12. 89 ** Petersen CDU/CSU 08. 12. 89** Rawe CDU/CSU 08. 12.89 Reddemann CDU/CSU 08. 12. 89 ** Frau Rock GRÜNE 08. 12. 89 Frau Rost (Berlin) CDU/CSU 08. 12. 89 Schartz (Trier) CDU/CSU 7. 12. 89 Dr. Scheer SPD 8. 12. 89 ** Frau Schilling GRÜNE 08. 12. 89 Schmidt (München) SPD 08. 12. 89 ** Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 08. 12. 89 Dr. Schmude SPD 7. 12. 89 von Schmude CDU/CSU 8. 12. 89 ** Schröer (Mülheim) SPD 08. 12. 89 Dr. Soell SPD 08. 12. 89 ** Steiner SPD 08. 12. 89 ** Frau Trenz GRÜNE 08. 12. 89 Dr. Unland CDU/CSU 08. 12. 89 ** Dr. Vondran CDU/CSU 08. 12. 89 Dr. Waigel CDU/CSU 08. 12. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 08. 12. 89 Wischnewski SPD 08.12.89 Zierer CDU/CSU 08. 12. 89** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 10 der Tagesordnung (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts) Dr. Voigt (Northeim) (CDU/CSU): Am 1. Januar 1990 endet die Übergangsfrist für die Anmeldung zur Nachzulassung von Fertigarzneimitteln, die bereits vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes im Jahre 1976 im Verkehr waren. Es war die Absicht der Bundesregierung und der Fraktionen CDU/CSU und FDP, die vierte Novelle zum Arzneimittelgesetz so fristgerecht zu verabschieden, daß diese Novelle am 1. Januar 1990 hätte in Kraft treten können, in der die Frage der Nachzulassung geregelt wird. Die Auswertung der öffentlichen Anhörung, die der federführende Ausschuß während der Beratung der vierten Novelle zum Arzneimittelgesetz durchgeführt hat, verlangt eine detaillierte und sorgfältige Auswertung. Die Koalitionsfraktionen haben verschiedene Änderungsanträge eingebracht, die in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden müssen. In diesem Zusammenhang sind folgende Vorschläge besonders hervorzuheben: Zukünftig sollen auch die medizinischen Erfahrungen mit den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen in der Zulassung und Nachzulassung berücksichtigt werden; damit werden bestehende Hemmnisse für Naturheilmittel beseitigt. Bei der Beurteilung von Kombinationspräparaten soll den Besonderheiten der jeweiligen Arzneimittel durch eine risikogestufte Bewertung Rechnung getragen werden. Eine Erleichterung bei der Bearbeitung der Zulassungsanträge soll dadurch erreicht werden, daß die Qualität der eingereichten Zulassungsunterlagen durch externe Sachverständige einer Prüfung unterzogen wird. Es wird neu eingeführt der Begriff „traditionell angewendete Arzneimittel", die eine erleichterte Zulassung bedingen. Um für diese Beratungen genügend Zeit zur Verfügung zu haben, haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen, durch den ihnen vorliegenden Gesetzesentwurf eine Fristverlängerung für die entsprechend Art. 3 § 7 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes notwendige Beantragung einer Nachzulassung um drei Monate zu erreichen. Wittich (SPD): Das heute zur zweiten und dritten Beratung anstehende Gesetz, gemeinsam eingebracht von Koalitionsfraktionen und SPD, beinhaltet ein besonders dringliches Anliegen. Es verschiebt den Ablauf der Nachzulassungsfrist für Altarzneimittel um vier Monate, genauer gesagt vom 31. Dezember 1989 auf den 30. April des nächsten Jahres. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelwesens im Jahre 1976 und seinem Inkrafttreten im Jahre 1978 war zugleich die Auf- 14124* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 lage verbunden, daß sich alle zum damaligen Zeitpunkt in Verkehr befindlichen Arzneimittel ebenfalls einem Zulassungsverfahren zu unterwerfen haben, das den neuen und mehr Arzneimittelsicherheit bedeutenden Bestimmungen entsprach. Seit nunmehr knapp zwölf Jahren war bekannt, daß die Frist für diese sogenannte Nachzulassung Ende dieses Jahres auslaufen würde. Ausschließlich unter diesem Aspekt betrachtet ist es schon ein peinlicher Vorgang, wenn das Parlament angesichts der großen Vorlaufzeit eine Verlängerung der Frist vornehmen muß. Für uns Sozialdemokraten war allerdings dieser Schritt unausweichlich. Die Versäumnisse in der Vergangenheit, die sowohl der Gesetzgeber als auch vor allem die Exekutive, sei es das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, sei es die ihm nachgeordnete Oberbehörde „Bundesgesundheitsamt", zu verantworten haben, machen einen solchen Schritt zwingend. Verläßlichkeit und Rechtssicherheit sind in einem demokratischen Rechtsstaat hohe Güter, sie zu beachten ist daher unser aller Pflicht. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, daß ein gemeinsames Handeln von Koalition und Opposition in dieser Frage möglich war. Wir begrüßen es auch, daß sich die Unionsfraktion den parallel laufenden Überlegungen in der SPD-Fraktion und bei den Kolleginnen und Kollegen der FDP angeschlossen hat. Die ungelösten Probleme, die nach unserer übereinstimmenden Auffassung diese Gesetzesnovelle notwendig gemacht haben, sind von erheblicher Bedeutung. Zum einen gilt es, den Zulassungsstau von Arzneimitteln beim Bundesgesundheitsamt abzubauen, zum anderen gilt es, dem Wunsch des Deutschen Bundestages, die Naturheilmittel zu sichern und fair und gleichberechtigt zu behandeln, nachdrücklich Geltung zu verschaffen. Die Bundesregierung hat hierzu eine Vierte Novelle des Arzneimittelgesetzes eingebracht. Diese Novelle wird derzeit in den Ausschüssen beraten und kann zeitgerecht nicht fertiggestellt werden. Sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die SPD-Fraktion haben zum Teil erheblichen Änderungsbedarf hierzu angekündigt. Zeitgerecht fertiggestellt werden heißt, daß es vor Ablauf der ursprünglichen Nachzulassungsfrist am 31. Dezember 1989 hätte in Kraft treten und zugleich den Herstellern von Arzneimitteln die Chance bieten müssen, sich darauf einzustellen. Dies alles war nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang äußere ich für meine Fraktion die nachdrückliche Bitte an die Bundesregierung, in ihre Kalkulation für die Zeitabläufe der Gesetzesarbeit zukünftig ausreichend Spielraum für die Beratungen des Deutschen Bundestages einzustellen. Ich wiederhole den bereits bei anderer Gelegenheit geäußerten Hinweis, daß der Deutsche Bundestag nicht das Vollzugsorgan der Zeitpläne der Bundesregierung ist, sondern in eigener Verantwortung die zeitlichen Abläufe für seine Arbeit festlegt. Es kann nicht sein, daß sich die Bundesregierung für die Erstellung eines Gesetzentwurfes mehrere Monate, ja fast ein Jahr Zeit nimmt und dann dem Deutschen Bundestag zumutet, binnen weniger Sitzungstage — und hier wären es genau drei Sitzungen gewesen — seine Beratungen abzuschließen. Die Fälle, in denen in dieser Art und Weise das Parlament unter Zeitdruck gesetzt wird, häufen sich. Das schlimmste Beispiel dieser Art war das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz. Damit muß jetzt endlich Schluß sein. Wir haben nun vier Monate Zeit gewonnen, durch die eine intensivere Beratung der Vierten Novelle des Arzneimittelgesetzes möglich wird. Wir werden diese Zeit nutzen und prüfen, wie das Anliegen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, das wir ausdrücklich unterstützen, auch wirklich erfüllt werden kann. In einer Reihe von Fragen werden wir Alternativen zu erwägen haben, wie der Zulassungsstau beim Arzneimittelinstitut des Bundesgesundheitsamtes abgebaut werden kann. Ich halte es für unerträglich, wenn Arzneimittelhersteller zum Teil Jahre auf die Zulassung von Arzneimitteln warten müssen. Das Arzneimittelgesetz läßt eine solche Wartezeit nicht zu, und auch die Rechtsprechung hat bereits mehrfach bestätigt, daß zumutbar und angemessen für die Erteilung der Zulassung ein Zeitraum zwischen drei und fünf Monaten ist. Die Vierte Novelle zum Arzneimittelgesetz hat hierzu, vor allen Dingen was die Beiziehung externen Sachverstandes angeht, einen Vorschlag unterbreitet, der vom Grundsatz her erwägenswert ist, über dessen genauere Ausgestaltung wir allerdings noch reden müssen. Der zweite, in der öffentlichen Diskussion besonders herausgehobene Gesichtspunkt ist der der Sicherung und Gleichberechtigung der Naturheilmittel. Hier kann die Arzneimittelgesetzgebung nicht isoliert gesehen werden, hier müssen die Bemühungen des Bundesarbeitsministeriums im Hinblick auf eine sogenannte Negativliste mit einbezogen werden. Und trotz aller verbalen Bekundungen, vor allen Dingen aus der Unionsfraktion, Naturheilmittel zu sichern und auch weiterhin für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, haben wir Sozialdemokraten den Eindruck, natürliche Arzneimittel und Naturheilmittel, gleich welcher Richtung, haben bei dieser Bundesregierung keine guten Karten. Schon im Zusammenhang mit den Beratungen des Gesundheits-Reformgesetzes stand in diesem Hause eine Entschließung meiner Fraktion zur Abstimmung, mit der der grundlegende Wille des Bundestages bekundet werden sollte, Naturheilmitteln eine faire Chance einzuräumen und den im Arzneimittelgesetz verankerten therapeutischen Pluralismus noch einmal ausdrücklich zu bestätigen. Sie wissen, daß die Entschließung der SPD-Fraktion in diesem Hause eine Mehrheit gefunden hat, Sie wissen aber auch, daß die Union als einzige Fraktion dieses Hauses sich nicht dazu entschließen konnte, einem solchen Antrag zuzustimmen. Das wirft in der Tat kein gutes Licht auf die wortreichen Erklärungen der Union, in Sachen Naturheilmittel etwas zu tun. Und dies macht auch den ursprünglichen Entwurf der Negativliste des Bundesarbeitsministeriums erklärlich, in der Naturheilmittel ja geradezu abgestraft werden sollten. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14125* Es kann nicht so sein, daß der Gesetzgeber in einen Streit medizinischer Lehrmeinungen, hier Schulmedizin — dort natürliche Heilweisen, mit einem Gesetz wertend, parteinehmend eingreift. Wir alle haben die Pflicht, beiden medizinischen Lehrmeinungen zu ihrem Recht zu verhelfen. Wir alle haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die jeweilige medizinische Lehrmeinung nur mit solchen Methoden bewertet wird, die ihr angemessen sind. Ich will noch einen Gesichtspunkt hinzufügen. Wer das Verwaltungshandeln des Bundesgesundheitsamtes in der Vergangenheit kritisch würdigt und dabei prüft, ob die Naturheilmittel fair behandelt worden sind, der kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß in vielen Fällen die notwendige Objektivität nicht gegeben war. Der Deutsche Bundestag kann dies nicht hinnehmen. Er kann nicht akzeptieren, daß entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch im Vollzug seiner Gesetze bzw. der Verordnungen, die auf Grund seiner Gesetze erlassen worden sind, im Verwaltungshandeln etwas anderes bewirkt wird, als er will. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, dem Anspruch des Deutschen Bundestages und vieler Millionen Bürgerinnen und Bürger im Bundesgesundheitsamt endlich Respekt zu verschaffen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird mit großer Sorgsamkeit die Politik der Bundesregierung in dieser Frage beobachten. Wir tun dies — und ich wiederhole es — im Auftrag vieler Millionen Bürgerinnen und Bürger, die die Naturheilmittel gesichert sehen wollen. Die Beratungen zur Vierten Novelle des AMG werden sich auch auf diese Frage besonders konzentrieren müssen. Dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Vorschaltgesetz, das meine Fraktion mit initiiert hat, werden wir unsere Zustimmung geben. Wir verbinden diese Zustimmung mit dem Dank an die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im Ausschuß für die schnelle und konstruktive Zusammenarbeit. Frau Würfel (FDP): Das Gesetz, das wir heute abschließend beraten, ist zweifellos das kürzeste aller bisherigen sozialpolitischen Gesetze in dieser Legislaturperiode. Die Kürze des Gesetzes steht in umgekehrtem Verhältnis zu seiner Bedeutung. Das vorliegende Gesetz leistet einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt der Naturheilmittel in der Bundesrepublik Deutschland und damit für die Pluralität der Therapierichtungen, der sich die FDP in zunehmendem Maße verbunden fühlt. Dieses Gesetz sichert das Nebeneinander von Schulmedizin und Erfahrungsmedizin, wie ich die Naturheilkunde einmal bezeichnen möchte. Ich freue mich, daß wir in diesem so wichtigen Punkt einen Konsens zwischen allen Fraktionen dieses Hauses feststellen können. Wir Abgeordneten haben uns bereits im Verlauf der Beratungen mit dem GRG intensiv mit gesundheitspolitischen Fragestellungen auseinandergesetzt und nun bei der Beschäftigung mit etlichen Berufsgesetzen aus diesem Bereich sowie dem Arzneimittelgesetz bis hin zu dem Flop mit der Negativliste neue Erkenntnisse gewonnen. Gemeinsam sollten wir aus Verantwortung für das Wohl der Bevölkerung die gewonnenen Einsichten in politisches Handeln umsetzen. Trotz steigender finanzieller Aufwendungen im Gesundheitswesen — im Jahre 1987 lagen die Kosten bei 261 Milliarden DM — haben die Bürger nicht den Eindruck, daß sie heute gesünder sind als ihre Eltern und Großeltern. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Beschwerden und Krankheitsbildern, die im Alter zunehmen, und bei einer immer älter werdenden Bevölkerung steigen somit auch die Kosten für in Anspruch genommene Leistung. Davon will ich jetzt jedoch nicht sprechen. Offensichtlich nehmen chronische Erkrankungen in unserer Bevölkerung immer mehr zu. Experten sagen uns, daß gerade bei den chronischen Erkrankungen oft mehrere Ursachen für das Krankheitsbild verantwortlich seien, die zudem noch stark vom Verhalten des Patienten selbst und seinen Lebensumständen bestimmt würden. Neuere Studien aus den USA geben dies auch für Krebs an. Werden diese Zusammenhänge wie Lebensweise, Lebensumstände, psychische Belastbarkeit usw. in unserer Medizin genügend berücksichtigt oder versäumt man in vielen Fällen, den kranken Menschen in seiner Einheit als Körper, Seele, Geist anzusehen und danach zu handeln? Wird nicht überwiegend nur versucht, Symptome zu kurieren, während die eigentlichen Ursachen gar nicht erkannt werden? Nicht umsonst hat der Volksmund Redewendungen geprägt wie: ihm ist eine Laus über die Leber gelaufen, es ist ihm an die Nieren gegangen, es hat ihm das Herz gebrochen, die Galle läuft ihm über usf. Diese Beispiele zeigen, daß seelische oder geistige Einflüsse Rückwirkungen auf den Organismus haben und daß dies tief im Volksbewußtsein verankert ist. Immer mehr Menschen erkennen, daß ihr Körper nicht nur eine Maschine ist, die wie ein Auto repariert werden kann. Sie werden sich bewußt, daß ihre geistige Einstellung ihr körperliches Wohlbefinden beeinflussen kann, und wollen aktiv bei der Bewältigung einer Erkrankung mithelfen. Sie verlangen einen ganzheitlich therapeutischen Ansatz in der Medizin und sehen diesen in der Naturheilkunde am ehesten gewährleistet. So kann auch das Ergebnis der neuesten Allensbacher Umfrage vom September 1989 nicht verwundern. Danach stieg der Gebrauch von Naturheilmitteln in den letzten 60 Jahren von 30 auf 40 % . Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nämlich 58 %, verwendet Naturheilmittel. Diese Zahlen machen deutlich, daß es der Wille weiter Teile der Bevölkerung ist, Erfahrungsmedizin in Anspruch zu nehmen. Der Gesetzgeber trägt dem Rechnung. Wenn wir diesen Weg heute mit einem Vorschaltgesetz gehen, so geschieht dies einerseits vor dem Hintergrund der Verantwortung für den Erhalt der Naturheilmittel, andererseits aber auch, um als Gesetzgeber die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Vorschriften der 4. AMG-Novelle reibungslos umgesetzt werden können. Diese Absicht richtet sich an zwei Adressen: Erstens richtet sie sich an die Hersteller, die genügend Zeit haben müssen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Diese sollen in die Lage versetzt werden, 14126* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 die Unterlagen zur Nachzulassung so zusammenzustellen, daß beim Bundesgesundheitsamt keine überflüssige Mehrarbeit anfällt. Ich appelliere daher von dieser Stelle eindringlich an die Unternehmer, alles zu tun, damit die einzureichenden Unterlagen vollständig und aussagekräftig sind. Zweitens richtet sich dieses Gesetz an das Bundesgesundheitsamt. Es hat nun Zeit, sich auf die hohe Zahl der zu erwartenden Anträge einzurichten und die organisatorischen Voraussetzungen sicherzustellen. Pfeifer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Die Bundesregierung begrüßt die Initiative der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP zur Einbringung eines Gesetzentwurfs, mit dem die Frist zur Einreichung von Anträgen auf Nachzulassung von Arzneimitteln des Altmarktes von Ende Dezember 1989 auf den 30. April 1990 hinausgeschoben werden soll. Den Hauptzweck dieses Gesetzentwurfes sehe ich darin, daß mit der Verschiebung der Antragsfrist die Chance der Umsetzung wesentlicher auf die Nachzulassung bezogener Vorschriften des vierten Änderungsgesetzes zum Arzneimittelgesetz, dessen Inkrafttretenstermin noch nicht feststeht, vor Antragstellung ermöglicht wird. Wie Sie wissen, sollen mit der vierten AMG-Novelle vor allem Anpassungen an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch Änderungsanzeige und eine besondere Kennzeichnung von Vorbeugungs- und Stärkungsmitteln ermöglicht werden, die für die Arzneimittel, insbesondere auch für die Naturheilmittel, die Nachzulassung erleichtern sollen. Die mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf beabsichtigte Verschiebung der Antragsfrist läßt es zu, daß zusammen mit dem Antrag auch gleich die Änderungsanzeige eingereicht werden kann. Hierdurch wird dem Bundesgesundheitsamt doppelte Arbeit erspart, was bei der gegenwärtigen Belastung des Amtes von großer Bedeutung ist. Für die Antragsteller bleibt zusätzlich Zeit, vor Antragstellung die Unterlagen für die Nachzulassung zu vervollständigen und sich gegebenenfalls auf weitere im Gesetzgebungsverfahren zur vierten AMG -Novelle noch ergänzte Anpassungsmöglichkeiten für ihre Arzneimittel vorzubereiten. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft eine weitere günstige Voraussetzung für die Nachzulassung. Er wird vor allem den Antragstellern von Naturheilmitteln zugute kommen, denen das Instrumentarium der vierten AMG-Novelle in erster Linie hilfreich sein soll. Der enge Zusammenhang zwischen der Verschiebung der Antragsfrist durch den vorliegenden Gesetzentwurf und den vorgesehenen Vorschriften der vierten AMG-Novelle läßt jedoch deutlich werden, daß die Gesetzgebungsarbeit an der vierten AMG-Novelle zügig vorangetrieben werden muß, wenn die beabsichtigten Ziele mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht gefährdet werden sollen. Ich appelliere an alle Betroffenen, sich in diesem Sinne für eine rasche Verabschiedung der vierten AMG -Novelle einzusetzen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 11 der Tagesordnung (Entwurf eines Tierzuchtgesetzes) Oostergetelo (SPD): Das heute hier zu verabschiedende neue Tierzuchtgesetz wurde im Zuge der Harmonisierung des EG-Tierzuchtrechts erforderlich. Außerdem wurde die Neuregelung auf Grund der rapiden Entwicklungen im züchterischen Bereich insbesondere dem Embryotransfer, notwendig. Im wesentlichen werden das Anbieten und Abgeben von Zuchttieren, Samen, Eizellen und Embryonen, die Durchführung von Leistungsprüfungen und die Auswertung ihrer Ergebnisse, die Sicherung der gewachsenen Zuchtstrukturen durch Anerkennung von Zuchtorganisationen, das Besamungswesen und die Vorschriften zum Embryotransfer neu geregelt. Die herausragende Neuerung gegenüber dem alten Tierzuchtgesetz ist der Wegfall der staatlichen Körung als Voraussetzung für die Verwendung männlicher Zuchttiere zur Zucht. Das Tierzuchtgesetz wird statt dessen für eine Verbesserung der Markttransparenz sorgen, indem es Entscheidungshilfen durch die Veröffentlichung der Ergebnisse der Leistungsprüfungen und deren Zuchtwerte garantiert. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Liberalisierung eines bedeutenden Teils des Landwirtschaftsrechts, wobei wir bedauern, daß es während der Beratungen im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht gelungen ist, eine volle Liberalisierung durchzusetzen und überkommene regionale Hoheitsrechte endgültig abzuschaffen. In sieben Änderungsanträgen haben wir versucht, ein Höchstmaß an Liberalität in der Tierzucht durch dieses Gesetz zu verwirklichen. Dies ist uns auch erfreulicherweise in guter Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition gelungen, wofür ich allen meinen Kolleginnen und Kollegen meinen Dank aussprechen möchte. So wird das Tierzuchtgesetz nicht wie das alte lediglich auf züchterischen Fortschritt und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sein, sondern auch die Vitalität der Rasse, d. h. die Langlebigkeit und die Gesundung der Tiere berücksichtigen. Darüber hinaus ist auf Grund unseres Antrages die Zielsetzung Erhaltung der genetischen Vielfalt in das Gesetz aufgenommen worden. Dieser Zusatz war aus unserer Sicht unbedingt erforderlich, weil die Vergangenheit bewiesen hat, daß künstliche Besamung, einseitiger züchterischer Fortschritt in Richtung Leistungssteigerung und der Embryotransfer die Vielzahl der Rassen auf ein Minimum abgesenkt haben. So spielen heute lediglich noch eine Handvoll Rinderrassen eine wirtschaftlich bedeutende Rolle, alle anderen sind total oder nahezu ausgestorben oder werden nur noch von Idealisten am Leben erhalten. Wir haben auch sichergestellt, daß die erweiterten Zielsetzungen, also z. B. die Erhaltung alter Landrassen, mit öffentlichen Mitteln gefördert werden können. Ferner garantiert das Gesetz, daß sowohl Besamungstechniker, als auch Tierärzte und Fachagrarwirte die Besamung vornehmen dürfen. Hierdurch ist Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14127* sichergestellt, daß nicht eine Akademisierung stattfindet, sondern erfahrene und erfolgreiche Praktiker gleiche Chancen haben. Besamungsbeauftragte dürfen den Samen zur künstlichen Besamung nur im Auftrag der Besamungsstationen in Tierbeständen der Auftraggeber verwenden. Durch diesen Zusatz ist sichergestellt, daß die Besamungsstationen ihrer vom Gesetzgeber auferlegten Prüfpflicht langfristig Genüge leisten können. Für Embryotransfereinrichtungen ist auf Grund unserer Initiative im Gesetz festgeschrieben worden, daß sowohl Tierärzte, Fachagrarwirte und speziell für diese Aufgabe geschulte Besamungsbeauftragte als auch Besamungstechniker die Übertragung von Eizellen und Embryonen auf Trägertiere durchführen dürfen. Somit haben wir auf den sehr guten Erfahrungen der Landwirtschaft mit gerade dieser Berufsgruppe der Besamungstechniker aufgebaut. Leider konnte das Kernstück der von uns geforderten Liberalität, der Antrag, den § 6 Abs. 2 Nr. 1 ersatzlos zu streichen, im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten keine Mehrheit finden. Hier werden die Länderregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, daß männliche Tiere zur Erzeugung von Nachkommen nur verwendet werden, wenn sie Zuchttiere sind. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben somit zum wiederholten Male bewiesen, daß Sie an einem Abbau administrativer Vorschriften in der Landwirtschaft nicht interessiert sind. Anscheinend fürchten Sie zu sehr den Groll der betroffenen Nutznießer dieser Privilegien. Wenn die Länderregierungen es wollen, wird der Landwirt sich weiterhin im rechtswidrigen Umfeld bewegen, wenn er zur betriebseigenen Nachzucht eigene männliche Tiere — ohne Zuchtwertschätzung — einsetzt. Selbst wenn dies keine kriminelle Handlung ist, handelt sich der Landwirt eine von Staats wegen beschlossene Ordnungswidrigkeit ein. Nun werden Sie sagen, wo kein Kläger, da kein Richter. Das sollte aber nicht unser Motto sein. Ich habe während der gesamten Beratungen meine Enttäuschung über Ihre ablehnende Haltung zu diesem Sachverhalt zum Ausdruck gebracht und möchte dies hier nochmals unterstreichen. Eine Bevormundung freier Bauern, auch wenn sie regional beschränkt ist, darf nicht Ziel dieses Gesetzes sein. Ich hoffe sehr, daß die Länder von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Das wäre nicht zeitgemäß und widerspricht dem eigentlichen Sinn dieses Gesetzes. Den sogenannten Gemeindebullen kann es ja weiterhin geben, aber, Herr Susset, bitte ohne Zwang und Kriminalisierung derer, die nicht mitmachen wollen. Wir werden dem Gesetz zustimmen, weil wir der Meinung sind, hier auf dem richtigen Weg zu sein. Das Gesetz bringt grundsätzlich mehr freie Eigenverantwortung der Bauern und damit mehr Nischen für die Genvielfalt und für die Erhaltung der Rassen. Gleichzeitig fördert das Gesetz die Leistungsfähigkeit und ist den modernen Anforderungen der heutigen Gegebenheiten angepaßt. Wir werden jedoch alles daransetzen, in der Zukunft die Bevormundung der Landwirte weiter abzubauen, und den Einsatz des Embryo-Transfers in der Landwirtschaft mit wachem Auge beobachten. Sollte sich herausstellen, daß diese neue Technik der Züchtung die Vitalität der Rassen bedroht, sind weitere gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz der Rassen erforderlich. Ich wünsche den Züchtern und deren Vereinigungen viel Phantasie und viel Erfolg und den Bauern viel Freude mit ihren Tieren. Heinrich (FDP): Das neue Tierzuchtgesetz verbessert die Situation der bäuerlichen Tierhalter, fördert ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer tierischen Erzeugung im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt. Deshalb begrüßt die FDP-Fraktion dieses Ablösungsgesetz ausdrücklich. Der weit überwiegende Teil des landwirtschaftlichen Produktionswertes entfällt auf die tierische Erzeugung. Weil dies so ist und weil die Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig zu den größten Zuchtviehexporteuren der Welt gehört, liegt es in unserem Interesse, neue Entwicklungen im züchterischen Bereich umzusetzen, die bewährten Elemente, wie z. B. Leistungsprüfungen und Besamungsregelungen, den neuen Anforderungen anzupassen und den innergemeinschaftlichen Handel mit Zuchttieren zu erleichtern. Das neue Tierzuchtgesetz schafft hierzu die rechtlichen Voraussetzungen: Sinnvolle Neuerungen werden eingefügt, und gleichzeitig erfolgt die notwendige EG-Rechtsharmonisierung. Für unsere deutsche Tierzucht heißt es aber auch, die Herausforderung anzunehmen. Das Eindringen von ausländischen Zuchtorganisationen und die verstärkte Einfuhr von Zuchttieren werden bei uns den Wettbewerb wesentlich verschärfen. Ich bin sicher, daß unsere Tierzucht diese Herausforderung erfolgreich bestehen wird. Die rechtlichen Grundlagen hierzu haben wir geschaffen. Züchterisches Können und unternehmerischen Weitblick kann ich voraussetzen, so daß mir vor dem EG-Binnenmarkt überhaupt nicht bange ist. Das Gesetz hält fest an den bewährten Elementen des Tierzuchtrechts wie Anerkennung von ZüchterVereinigungen und Zuchtunternehmen, Durchführung von Leistungsprüfungen und Zuchtwertfeststellungen, Zulassung von Besamungsstationen und der Erteilung einer Besamungserlaubnis. Neu hinzugekommen sind Regelungen über das Inverkehrbringen von Zuchttieren, Samen und Eizellen sowie über die Veröffentlichung züchterischer Ergebnisse und neue Bestimmungen auf dem Gebiet des Embryonentransfers. Die staatliche Körung entfällt. Dies begrüße ich nachdrücklich. Das war nicht nur ein bedeutsamer Schritt zur europäischen Rechtsangleichung; gleichermaßen wichtig ist, daß dadurch die bäuerliche Handlungsfreiheit erhöht und staatliche Bevormundung zurückgedrängt wird. Denn dem gleichen Zweck der staatlichen Körung — die Förderung der Tierzucht — wird jetzt mit den Bestimmungen über das Anbieten und Abgeben von Zuchttieren, Eizellen 14128* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 oder Embryonen weniger verwaltungsintensiv Rechnung getragen. Mit der Weiterführung der Bestimmung, daß Tiersamen nur von Besamungsstationen angeboten und abgegeben werden darf, soll erreicht werden, daß der für die künstliche Besamung vorgesehene Tiersamen lückenlos nachweisbar ist und nur im Rahmen züchterischer Zwecke verwendet werden darf. Dies ist eine wichtige züchterische und tierseuchenrechtliche Sicherung. Der Vorteil für die bäuerliche Landwirtschaft liegt darin, daß es jedem Tierhalter nun freisteht, Tiersamen europaweit — also Freizügigkeit auch in diesem Bereich — zu den Preisen zu beschaffen, die auch die Besamungsstationen zu bezahlen hätten. Dies stärkt die Position der bäuerlichen Tierhalter, weil effizienter und kostengünstiger gezüchtet werden kann. Die umstrittene Abgrenzung der Züchter-Vereinigungen von den Zuchtunternehmen hinsichtlich Reinzucht und Kreuzungszucht betrifft hauptsächlich die Schweinezucht. Im Kompromißweg wurde erreicht, daß die Zuchtunternehmen auch Beinzuchttiere verkaufen können und dafür die Besamungserlaubnis erhalten, genauso wie bei Reinzuchttieren. Um unterschiedlichen regionalen Verhältnissen in den Bundesländern — trotz aller Bestrebungen zur EG-Rechtsangleichung — Rechnung zu tragen, ist es gelungen, spezifische Länderermächtigungen in dem Gesetz zu verankern: Durch Rechtsverordnung kann bestimmt werden, daß z. B. das Landesgestüt Marbach weiterhin die Möglichkeit hat, Zuchtbücher zu führen. Landesregierungen können durch Rechtsverordnungen festlegen, daß das Mitwirkungsrecht der Gemeinden bei der Vatertierhaltung und bei der Durchführung der Besamung erhalten bleibt. Gerade diese letzte Festlegung unterstreicht den für die bäuerliche Tierhaltung positiven Charakter dieser Gesetzesnovellierung. Kreuzeder (GRÜNE): Eine Novellierung des Tierzuchtgesetzes muß sich an den Bedürfnissen der bäuerlichen Landwirtschaft orientieren. Erhalt und Förderung einer großen genetischen Vielfalt der Nutztierrassen haben hier großes Gewicht. Eine Novellierung darf nicht die Abhängigkeit der Bauern von Zucht- und Vermehrungsfirmen vorantreiben und damit zugunsten dieser Firmen die Industrialisierung der Tierhaltung fördern. Ein neues Tierzuchtgesetz muß sich — wie es auch der Deutsche Tierschutzbund fordert — an der Tiergesundheit und der Lebensmittelqualität ausrichten. Hierzu müssen die Begriffe „Leistung" und „Produktivität" neu definiert werden. Darüber hinaus ist eine Dezentralisierung in der Tierzucht dringend geboten, um eine Weiterentwicklung in die Richtung von kranken Hochleistungstieren zu unterbinden. Fortpflanzungstechnische und genetische Manipulationen müssen unterlassen statt gefördert werden, da sie der Tiergesundheit und der Lebensmittelqualität abträglich sind. Durch die Weiterentwicklung der Zucht durch künstliche Besamung und Gefrierkonservierung von Embryonen wurde die einseitige Selektion auf Hochleistung entscheidend beschleunigt. Heute stehen in der Bundesrepublik 5,3 Millionen Kühen nur 5 000 Besamungsbullen gegenüber. Diese Entwicklung führt zu einer entscheidenden Verarmung der genetischen Vielfalt; sie wird durch den Embryotransfer noch weiter gesteigert. Von ehemals 28 Rinderrassen sind ganze drei übriggeblieben. Die Zucht alter und vom Aussterben bedrohter Rassen müßte längst gefördert und weiterentwickelt werden. Doch: Fehlanzeige! Die bisher eingesetzten Mittel wurden vor allem zur Leistungssteigerung, z. B. in der Milchproduktion, eingesetzt. Der Erfolg? Der Abkalbeschnitt sank unter 3 Kälber pro Kuh, die Lebensdauer der Tiere wird immer kürzer. Und wenn eine Hochleistungskuh von 6 0001 Milch nur 2 2001 aus dem Grundfutter erzeugt, den Rest jedoch aus Kraftfutter, dann ist das kein Zuchterfolg, schon gar nicht für den Bauern, höchstens für Pharmakonzerne und Tierärzte, wie die steil ansteigenden Tierarztkosten pro Tier beweisen. Ein Tierzuchtgesetz, das dieser Entwicklung nicht den Riegel vorschiebt und gewährleistet, daß Tierzucht die Tiergesundheit zum obersten Gebot bestimmt, öffnet der Pharmaindustrie Tür und Tor im Stall. Eine solche Entwicklung ist weder unter dem Gesichtspunkt des ethischen Tierschutzgedankens noch unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes hinzunehmen. Wenn bei Schweinefleisch der Handelsklasse „Extra" der Anteil von PSE-Fleisch über 50 % beträgt, ist das Zuchtziel wohl eindeutig verfehlt. Das Tierschutzgesetz verbietet es, Tieren Leistungen abzuverlangen, die über ihre Kräfte gehen. Das Prinzip der Leistungsmaximierung durch Zuchtauswahl und Einsatz von biotechnologischen Methoden führt dazu, daß die Tiere unter lebenslanger Qual Leistungen erbringen, denen ihr Organismus nicht gewachsen ist. Die derzeitige Entwicklung in der Tierzucht und Ihr neues Tierzuchtgesetz zeigen in die falsche Richtung — wir lehnen beides ab. Die Bedenken des Deutschen Tierschutzbundes gegen das neue Tierzuchtgesetz werden von uns geteilt, und die von uns geforderten Änderungen tragen dem Rechnung. Mit Tierzucht in bäuerlicher Hand hat Ihr Gesetzentwurf wenig im Sinn. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 12 der Tagesordnung (Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheitsund Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe) Dr. Kübler (SPD): Perchloräthylen, der Stoff, der in über 5 000 chemischen Reinigungen verwendet wird Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14129* und über den wir heute diskutieren, wird in Römpps Chemie-Lexikon zusammen mit solch fragwürdig bekanntgewordenen und gefährlichen Stoffen wie PCB (Polychlorierte Biphenyle) und Dioxinen aufgeführt. Meine Damen und Herren, dies müssen doch Alarmzeichen sein. Sie, Herr Bundesminister Töpfer, halten bei PER trotzdem nach wie vor einen Grenzwert von 5 Milligramm pro Kubikmeter Luft für verantwortbar und vertretbar. Das Bundesgesundheitsamt dagegen fordert seit 1987 einen 50fach niedrigeren Grenzwert von 0,1 Milligramm pro Kubikmeter Luft. Herr Minister, dies hätte Sie längst zum Handeln zwingen müssen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Ihren Satz auf dem CDU-Parteitag im September 1989: Jeder Monat früher ist ein gewonnener Monat. Dies ist aber auch eine Niederlage Ihrer Politik der Kooperation mit der Industrie. Heute wissen wir, daß in chemischen Reinigungen und deren Nachbarschaft auch diese Grenzwerte teilweise stark überschritten werden. Die Konzentration von PER im Blut von Anwohnern in unmittelbarer Nähe von chemischen Reinigungen beträgt das Fünf-bis Achtzigfache der durchschnittlichen PER-Blutkonzentration der Bevölkerung. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Reinigungen sind sie noch einmal um das Zwei- bis Zehnfache erhöht; wir müssen also in bestimmten Fällen auch mit einer bis zu 800fachen Mehrbelastung gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt rechnen. Meine Damen und Herren, diese alarmierenden Zeichen müßten Anlaß genug sein, gemeinsam zu drastischen und unverzüglich wirksamen Maßnahmen zu kommen. Deshalb hatte die SPD in der Ausschußsitzung am 18. Mai 1988 einen entsprechenden konsequenten Antrag dazu eingebracht. Statt dessen machen Sie, Herr Minister Töpfer, und die Koalition wieder einmal mehr nur halbherzige und halbe Schritte. Deshalb lehnen wir die von der Koalition mehrheitlich gefaßte Beschlußempfehlung des Umweltausschusses ab. Herr Minister, bei PER haben wir keine Zeit mehr zu verlieren! PER muß schnell aus der Luft und aus Wohngebieten verschwinden. Ich sage zu Ihnen, der erste Schritt muß jetzt sein, daß PER als krebserzeugend eingestuft wird. Dies ist in den USA bereits der Fall. Noch unüberschaubarer als die mögliche krebserzeugende Wirkung ist die Gefahr von PER als Nervengift. Auch unterhalb des zulässigen Grenzwertes zeigen sich Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, verringerte Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit sowie andere Anzeichen einer Nervenvergiftung. Diese beängstigenden Symptome wurden nicht nur bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von chemischen Reinigungen beobachtet, sondern auch bei Bürgerinnen und Bürgern, die in denselben Häusern oder in Nachbarhäusern von chemischen Reinigungen wohnen. In Lebensmittelgeschäften, die in unmittelbarer Nähe von chemischen Reinigungen liegen, wurden erhebliche Mengen an PER in den Lebensmitteln gefunden. Die Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen haben, sind eindeutig: Die Einstufung von PER als krebserzeugende Substanz mit allen daraus folgenden Sicherheitsvorschriften; eine drastische Herabsetzung der Grenzwerte für PER; das Verbot des Einsatzes von PER in anderen als geschlossenen Anlagen, also z. B. in Selbstbedienungsreinigungen; das Verbot des Einsatzes von PER in chemischen Reinigungen, die in der Nähe von Lebensmittelgeschäften liegen. Herr Minister, PER ist in den USA verboten. Und was machen Sie als zweiter Bundesumweltminister für die Deutschen? Der erste, Walter Wallmann, war der Mann für die Beruhigung des Publikums. Sicher ist Klaus Töpfer von anderem Kaliber. Als Mensch und als Universitätsprofessor hat er den Ehrgeiz, die Materie, über die er spricht, wissenschaftlich zu beherrschen. Aber er mutet seiner Partei — leider! — politisch nicht mehr zu, als sie verkraftet. Sie allerdings mutet ihm mehr zu, als er guten Gewissens verkraften kann. Frei nachempfunden einem Artikel in „DIE ZEIT" vom 15. September 1989. Frau Garbe (GRÜNE): Unser Antrag — Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgef ah-ren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe — wurde immerhin in sieben Sitzungen des Umweltausschusses behandelt. Dies zeugt von einer ernsthaften Behandlung der aufgeworfenen Fragestellungen. Hierfür mein Dank! Der Handlungsbedarf wurde von allen Seiten anerkannt. Wir können heute also Bilanz ziehen, bis zu welchem Punkt die Koalitionsparteien bereit waren, auf die von uns gestellten Forderungen einzugehen. Und wir müssen auch Bilanz ziehen, wo die Vorsorge hintangestellt wurde. In einer Reihe von Punkten greift der vorliegende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, die von uns geforderten Maßnahmen auf, natürlich in abgemilderter Form, so z. B. die Forderung nach einer Höchstmengen-Verordnung für Lebensmittel oder die Unterbindung von chemischen Reinigungsanlagen in Lebensmittelmärkten. Die gefundenen Werte von PER in Lebensmitteln in den anliegenden Geschäften oder in darüberliegenden Wohnungen waren dann doch auch für die Koalitionsfraktionen zu skandalös. Damit aber, meine Damen und Herren, und mit den weiteren sanften Formulierungen, die Sie in der Entschließung anbieten, mogeln Sie sich aus der Verantwortung für weitergehende Schritte heraus: Erstens. Sie wissen, daß der Stoff in der Bundesrepublik immer noch zu mehr als 50 000 t pro anno verbraucht wird. Und irgendwo bleibt das Zeug — in unserer Umwelt, in Gewässern, in der Nahrung, in der Luft. Es landet zum Teil in uns, durch Inhalation und Ingestion. Zweitens. Sie wissen, meine Herren und Damen, daß PER gesundheitsschädlich ist. PER ist offiziell als krebsverdächtig eingestuft worden. Ich denke, Sie können sich sicherlich noch an das Gerangel erinnern, das dazu führte, daß auf politische Weisung Perchloräthylen das Verdammungsurteil als carcinogen erspart blieb. Das läßt PER aber nur auf dem Papier ungefährlicher werden. Das heißt, das dicke Ende kommt noch auf uns zu. 14130* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Drittens. Sie wissen, und zwar schon seit geraumer Zeit, verehrte Kollegen und Kolleginnen der SPDFraktion, daß PER auf das Nervensystem wirkt, und wir wissen welche komplexen Schadwirkungen immun- und nervenschädigende Substanzen ausüben, und wie gefährlich deren sich chronisch entfaltende Toxizität ist. Viertens. Sie wissen, daß jetzt der Verdacht auf die chemischen Reinigungen gefallen ist, weil mit dem PER offensichtlich auch Dioxinspuren in den Kleidungsstücken verbleiben. Lassen Sie mich zitieren: Im Rahmen eines vom BMFT geförderten Forschungsvorhabens sind in den PER-haltigen Destillationsrückständen aus chemischen Reinigungen erhebliche Gehalte an Dioxinen und Furanen festgestellt worden.... Die Bildungsmechanismen bzw. die Herkunft der Dioxine und Furane sind noch ungeklärt. Dies ist ein Zitat aus einem Schreiben von Minister Töpfer vom 20. Oktober 1989; der Umweltminister schlägt ein schnelles abgestimmtes Untersuchungsprogramm zur Entstehung und dem Verbleiben der Dioxine in den chemischen Reinigungen vor. In Hamburg wurden die Dioxingifte in Anzügen gemessen. Damit, meine Herren und Damen, zeigt sich, daß Ihr zahmer Entschließungsantrag zwar niemandem weh tut, aber ungeeignet ist, die von PER ausgehenden Gesundheitsgefährdungen vorsorgend auszuschalten. Darum möchte ich abschließend noch einmal benennen, worin unsere Fraktion vordringlich weitergehenden Handlungsbedarf sieht: 1. Die Einordnung von PER als carcinogen mit entsprechenden Konsequenzen; 2. die Orientierung der CKW-Höchstmengen-Verordnung an dem Grenzwert der Trinkwasser-Verordnung, d. h. einem Achtzigstel des inzwischen beschlossenen Grenzwerts; 3. Verwendungsbeschränkungen für PER in Anlagen der Kleidungspflege auf solche, in denen maximale Rückhaltung von PER und Lüftung der Kleidungsstücke erfolgt; 4. Beschränkung des Einsatzes von PER auf geschlossene Kreisläufe und 5. Entwicklung eines Ausstiegsszenarios aus der Verwendung von PER, natürlich gekoppelt mit den notwendigen Ersatzstofforschungen. Ich würde mich freuen, wenn wir eines Tages an PER noch die Silbe FEKT hängen können und dieses Kapitel als der Vergangenheit zugehörig beschließen könnten. Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Bundesregierung hat eine Reihe wirkungsvoller Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers, zum Schutz derer, die mit Perchloräthylen gewerblich umgehen müssen, und zum Schutz der Umwelt vor einer Belastung durch Perchloräthylen ergriffen. Durch die Einstufung von Perchloräthylen als krebsverdächtig und durch die Pflicht zur Kennzeichnung wird der gewerbliche Verwender PER-haltiger Zubereitungen nachdrücklich auf deren mögliche Gesundheitsgefahren hingewiesen. Dies wird durch die Ergänzung der Gefahrstoff-Verordnung geregelt, was im übrigen auch im Einklang mit den EG-Vorschriften steht. Für den privaten Verbraucher soll die Verwendung von PER vollständig untersagt werden. Hierzu werden von uns zwei Verordnungen zur Beschränkung bestimmter chlorierter Kohlenwasserstoffe vorgelegt. Eine Anhörung der Länder und der einschlägigen Verbände hat bereits stattgefunden. Auch zum Schutz der Lebensmittel hat die Bundesregierung gehandelt: Am 1. Januar 1990 wird die Lösungsmittel-Höchstmengenverordnung in Kraft treten, die den Gehalt an PER, Trichloräthylen und Chloroform in Lebensmitteln auf insgesamt 0,2 ppm (mg/kg) bzw. für jedes einzelne der genannten Lösungsmittel auf 0,1 ppm begrenzt. Des weiteren hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine Rechtsverordnung zur sachgerechten Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösungsmittel beschlossen, die ebenfalls zum 1. Januar 1990 in Kraft treten wird. Nicht in allen Bereichen stehen gegenwärtig unbedenkliche Ersatzstoffe für PER zur Verfügung. Dies gilt insbesondere für gewerbliche Chemischreinigungsanlagen. Ein vollständiges Verwendungsverbot ist in diesem Bereich daher derzeit nicht angezeigt. Mit der Novelle zur 2. BImSchV, die die Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen regelt, wird für die Chemischreinigungs-, Ob erflächenbehandlungs- und Extraktionsanlagen ein fortgeschrittener Stand der Emissionsminderungstechnik vorgeschrieben werden. Die verschärften Anforderungen an Chemischreinigungsanlagen beziehen sich auf drei Bereiche: 1. werden die von den Maschinen selbst herrührenden Emissionen reduziert; 2. wird die offene Verwendung von PER in den Betriebsräumen nicht mehr zugelassen; 3. wird vorgeschrieben, daß die Betriebsräume mit diffusionshemmenden Materialien auszukleiden sind, damit die nicht ganz vermeidbaren PER-Emissionen nicht von den Betriebsräumen über Wände und Dekken in Nachbarräume gelangen können. Diese Anforderungen gelten für Neuanlagen. Altanlagen erhalten nach dem Verordnungsentwurf eine Übergangsfrist bis Ende 1994, wenn eine bestimmte Gefährdungsschwelle nicht überschritten wird. Andernfalls müssen die Betreiber von Altanlagen unverzüglich Sanierungsmaßnahmen einleiten. Für Oberflächenbehandlungs- und Extraktionsanlagen werden entsprechende Anforderungen wie für Chemischreinigungsanlagen bestimmt. Insgesamt entspricht die Novelle den in der Beschlußempfehlung genannten Zielen. Daß auch in den Ländern bereits gehandelt wurde, zeigt eine Pressemitteilung des „Münchener Merkur" , vom 5. Dezember, nach der im Landkreis Bad Tölz alle chemischen Reinigungsanlagen mit geschlossenen Systemen aus- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14131* gerüstet wurden, und das mit zum Teil hohen Kosten. Meine Damen und Herren, der risikofreie Umgang mit Gefahrstoffen setzt eine entsprechende Sachkunde des Verwenders voraus. Die Textil- und Bekleidungsberufsgenossenschaft hat in Zusammenarbeit mit BMA und BMU einen Nachtrag zur Unfallverhütungsvorschrift „Chemisch Reinigung" erlassen, die seit dem 1. April 1989 in Kraft ist. Danach hat der Unternehmer dafür Sorge zu tragen, daß ChemischReinigungsanlagen nur von Personen bedient und gewartet werden, die die erforderliche Sachkunde besitzen. Entsprechende Ausbildungslehrgänge werden durchgeführt. Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Bundesregierung hat auch in diesem Detailbereich der Umweltpolitik entsprechend den uns verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen gehandelt, sie hat das Ordnungsrecht entsprechend dem Vorsorgegrundsatz verschärft, um Mensch und Umwelt vor Schaden zu bewahren, und gleichzeitig die Industrie angeregt, Umweltschutztechnik fortzuentwickeln und umweltverträgliche Ersatzstoffe einzusetzen. Ich danke Ihnen, daß Sie durch Ihre Arbeit diese Politik tatkräftig unterstützen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede der Abgeordneten Frau Weiler (SPD) zu Tagesordnungspunkt 13 (Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen) Frau Weiler (SPD): Ziel sozialdemokratischer Politik ist es, die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen zu verbessern, und niemand wird ernsthaft bezweifeln, daß es in dieser Hinsicht dringenden Handlungsbedarf gibt. Einer der vielfältigen Gründe für die Benachteiligung von Frauen sind die sozialversicherungsfreien oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, im Volksmund 450-DM-Verträge genannt. Im Jahr 1977 wurde bei der Reform des Sozialgesetzbuchs der jetzige § 8 geschaffen. Mit ihm sollten die Tatbestände der Nebentätigkeit und Nebenbeschäftigung vereinfacht in einem Gesetz zusammengefaßt werden. Bei der Befreiung von der Versicherungspflicht ging man davon aus, daß die geringfügige Beschäftigung oder Tätigkeit eben nicht die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Beschäftigten ist und daher ein Versicherungsschutz nicht notwendig ist. Dies war jedoch im Gegensatz zu der alten Regelung nicht mehr Voraussetzung für die Befreiung. Damit entstand eine fatale Verschlechterung der Situation insbesondere für Frauen, die nach der alten Regelung auf einer Sozialversicherung in den Fällen bestehen konnten, in denen sie zwar nur gering verdienten, daneben jedoch keine Hauptbeschäftigung ausübten. Mit dieser Regelung sollte ein dem jetzigen Mißbrauch genau entgegengesetzter verhindert werden, nämlich z. B. der Mißbrauch, daß ein Beamter durch geringfügige Beschäftigung billig an eine Krankenversicherung für sich und seine Familie kommen konnte. Der Gesetzgeber hatte sicher nicht damit gerechnet, daß diese Beschäftigungsverhältnisse und auch der Mißbrauch in solch starkem Maße zunehmen. Auch darum muß endlich etwas passieren. Durch das geringe Arbeitsplatzangebot, die hohe Arbeitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit haben sich Probleme verschärft. Menschen befinden sich durch die heutige Situation in sozialer Not, ja Armut. Der im Auftrag des Arbeitsministeriums erstellte und 1989 veröffentlichte Forschungsbericht kommt zu folgendem Ergebnis. Von den insgesamt ca. 2,82 Millionen sozialversicherungsfrei Beschäftigten sind nur 0,54 Millionen geringfügig Nebentätige. Das bedeutet, daß in der Bundesrepublik Deutschland ungefähr 2,28 Millionen Menschen eine geringfügige Beschäftigung ausüben, ohne einen Haupterwerb zu haben. Den größten Anteil an diesen Beschäftigten machen mit 40 % Hausfrauen aus, die diese Tätigkeit ausüben müssen, weil sie auf diesen Verdienst — zum Teil existentiell — angewiesen sind. Was bedeutet diese Geringfügigkeitsgrenze ganz konkret für die Betroffenen? Es bedeutet, daß sie aus dem Netz der sozialen Vorsorge völlig herausfallen. Sie haben im Alter keine Rentenversicherungsansprüche. Und hierbei ist ganz besonders an die schon bestehende Altersarmut der Frauen zu denken. Fast die Hälfte aller sozialversicherungsfrei Beschäftigten — es sind fast ausschließlich Frauen — sind nicht verheiratet. Das heißt, sie haben im Alter weder eigene noch abgeleitete Rentenansprüche. Die Frauen, die nach eigenen Angaben hinzuverdienen, um die Existenz zu sichern, haben es unwesentlich besser. Sie sind auf 60 % der niedrigen Rentenansprüche ihrer Männer angewiesen, ohne einen eigenen Rentenanspruch zu haben. Weiter bedeutet es, daß keine Krankenversicherungspflicht besteht. Besonders untragbar ist die Geringfügigkeitsgrenze im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes. Danach haben Arbeiter und Arbeiterinnen — eigentlich sollte ich nur von Arbeiterinnen sprechen, denn sie machen 89 % dieser Gruppe aus — , die nur zehn Stunden im Monat arbeiten, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Wozu dies führt, liegt auf der Hand: Krankheiten kann die Frau sich nicht leisten. Der Europäische Gerichtshof hat im Juli 1989 diese Diskriminierung als einen Verstoß gegen die im EWG-Vertrag festgelegte Zielsetzung der Lohngleichheit bezeichnet. Ich will hier auch einmal den Bundeswirtschaftsminister zitieren, der die Meinung vertreten hat, diese Beschäftigten seien nicht in den Betrieben eingegliedert, daher habe der Arbeitgeber ihnen gegenüber auch keine Fürsorgepflicht im Krankheitsfalle. Hoffentlich erkennen die Sozialpolitiker der Regierungskoalition, daß endlich gesetzgeberische Schritte erfolgen müssen. 14132* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß für die geringfügig Beschäftigten auch keine Urlaubsansprüche bestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in verschiedenen Anhörungen der letzten Zeit, z. B. zum sogenannten Gesundheits-Reformgesetz, der Rente und zum Sozialversicherungsausweis, sind die Probleme um die geringfügige Beschäftigung erörtert worden. Dabei gab es meiner Meinung nach eine Stellungnahme, die heute bei der Aussprache um den vorliegenden Antrag von besonderer Bedeutung ist. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks hat in seiner Stellungnahme zur Einführung des Sozialversicherungsausweises ausgeführt: Der Verband bedauert es, daß die Bundesregierung an der sozialversicherungsfreien Beschäftigung festhalten will. Ein konsequentes Vorgehen gegen den Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigung kann nur in der generellen Sozialversicherungspflicht für alle Beschäftigten gesehen werden. " Neben dieser erfreulichen Stellungnahme hat es leider — und dies ist weniger verwunderlich — Stellungnahmen der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände gegeben, die deutlich machten, daß eine überwiegende Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze nicht im Interesse der Arbeitgeber läge. Natürlich, denn wer will sich schon gern billige Arbeitskräfte nehmen lassen? In einer Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben sie sogar behauptet, nach einer eventuellen Abschaffung würden sie eben für diese Tätigkeiten keine Leute mehr einstellen. Solche Drohungen grenzen für mich in der Tat schon an Nötigung. Die Vertreter aller Gewerkschaften haben deutlich gemacht, daß es notwendig ist, die Geringfügigkeitsgrenze bis auf einen Bagatellbetrag zu senken. Dies ist notwendig, um den Mißbrauch mit der Beitragsfreiheit der geringfügig Beschäftigten zu verhindern und den sozialen Schutz der Betroffenen zu verbessern. Und ich kann nur die Meinung der HBV-Chefs Schwegler unterstützen, wenn er sagt, daß zwei Millionen ungeschützte Arbeitsverhältnisse ein sozialpolitischer Skandal ersten Ranges sind. In der Bundesrepublik wird in letzter Zeit diese Form der Beschäftigung immer häufiger kritisiert. Auch die Koalitionsfraktionen haben die Mißbrauchstatbestände kritisiert. Reagiert haben sie darauf mit der Einführung des Sozialversicherungsausweises. Wir würden es begrüßen, wenn durch die Einführung die erhoffte Signalwirkung eintreten würde, daß auch Arbeitgeber gezwungen werden, andere sozial gesicherte Beschäftigungsverhältnisse anzubieten. Wir sind jedoch skeptisch. Den Gesetzesentwurf haben wir u. a. deshalb abgelehnt, weil — und dies ist für Gesetzesvorhaben dieser Regierung typisch — ausschließlich der Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze durch die Arbeitnehmer bekämpft wird, während das Interesse von Auftraggebern und Arbeitgebern an der Beschäftigung billiger Arbeitskräfte völlig außer Betracht bleibt. Konkret bedeutet dies, daß zwar durch die Meldepflicht in gewissem Umfang ein Mißbrauch eingegrenzt werden kann, jedoch Arbeitgeber ungestört durch den Sozialversicherungsausweis illegal handeln können, indem sie z. B. die Meldepflicht umgehen und die die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Einkommensbestandteile als Honorar oder Provision deklarieren. Mir sind die Klagen von Frauen bekannt, die sich zu solchen Manipulationen erpreßt fühlen. Ich möchte zum Abschluß noch auf ein positives Beispiel im Öffentlichen Dienst kommen. Das Landratsamt im Main-Kinzig-Kreis in Hessen vergibt nur noch Aufträge an Reinigungsfirmen, die ihre Mitarbeiterinnen sozialversicherungspflichtig beschäftigt haben. Dies ist eine hervorragende Entscheidung, aber es reicht natürlich nicht. Jetzt muß der Gesetzgeber aktiv werden. Wir meinen, daß es zwingende Gründe gibt, die Geringfügigkeitsgrenze bis auf Bagatellfälle abzuschaffen. Ich will einige Gründe nennen: die Bekämpfung der Altersarmut, die Notwendigkeit einer eigenständigen sozialen Sicherung für Frauen, die hohen Einnahmeverluste der Sozialversicherungen — 3 Milliarden DM gehen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen verloren! — , Wettbewerbsverzerrungen und damit erhebliche Nachteile für verantwortungsbewußte Arbeitgeber und Verlagerung der Kosten für den Unterhalt auf die öffentliche Hand. Wir dürfen auch nicht übersehen, daß es Frauen gibt, denen die heutige Regelung angenehm ist, weil der Verdienst brutto gleich netto ist. Aber die meisten Frauen in unserer Gesellschaft wissen, daß die Altersarmut, die ja überwiegend eine Frauenarmut ist, natürlich auch durch die 450-DM-Verträge entsteht. Verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker müssen dafür sorgen, daß die soziale Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland, auf die wir mit Recht stolz sein können, auch für die über zwei Millionen Menschen gilt, die zur Zeit noch ausgegrenzt sind. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede des Staatsministers Schäfer zu Tagesordnungspunkt 14 (Irakisch-kurdische Flüchtlinge in der Türkei) Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Die Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei ist ein Thema, das der Bundesregierung Sorge bereitet. Lassen Sie mich zunächst nüchtern den Sachstand referieren: Im Spätsommer 1988 floh eine große Zahl irakischer Kurden in die Türkei. Über die schlimmen Ursachen haben wir hier wiederholt gesprochen. Die türkische Regierung hat sich seinerzeit aus humanitären Gründen zur vorübergehenden Aufnahme der irakischen Kurden bereit erklärt. Die Zahl der Flüchtlinge stabilisierte sich bei etwa 37 000. Zur Zeit befinden sich noch etwa 32 000 Flüchtlinge in den drei Lagern Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14133* Diayarbakir, Mardin und Mus. Etwa 13 000 halten sich im Lager Mardin, 12 000 im Lager Diayarbakir und 7 000 im Lager Mus auf. Einige Tausend Flüchtlinge sind vorwiegend in den Iran übergesiedelt. Eine kleinere Zahl hat Aufnahme in europäischen Drittländern gefunden. Damit ist die Lage der Flüchtlinge, die die Bundesregierung aufmerksam beobachtet, aber kaum einfacher geworden. In allen Lagern ist die Situation trotz unbestreitbarer großer finanzieller und organisatorischer Aufwendungen durch die türkische Regierung auf Grund der immer noch vorhandenen Überbelegung vor allem hygienisch und sanitär unzureichend. Diese Mängel der sanitären Infrastruktur können auf Dauer zu weiteren gesundheitlichen Belastungen der Lagerbewohner führen. Besonders in den Sommermonaten sind endemische Krankheiten nicht auszuschließen. Die ärztliche Versorgung ist, auch gemessen an den gewöhnlichen Lebensumständen in der Region, vergleichsweise gut. Schwerer aber als die geschilderten Probleme wiegt die Perspektivlosigkeit, die das Leben der Lagerbewohner bestimmt. Für die meisten Lagerbewohner gibt es keine sinnvolle Beschäftigung. Es gibt kaum Begegnungszentren, kaum die Möglichkeit, ein Handwerk auszuüben oder landwirtschaftlich tätig zu werden. Lediglich im Lager Mus gibt es Lehrwerkstätten und eine Teppichknüpferei. Ein großes Problem stellt auch der vergleichsweise hohe Anteil an Kindern dar, die keinen systematischen Schulunterricht erhalten. Derzeit wird die Hauptlast der Flüchtlingsbetreuung von der Türkei getragen. Die Bundesregierung hat immer wieder versucht, darauf hinzuwirken, daß der VN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) in den Lagern tätig werden kann. Dies ist inzwischen der Fall. Vertreter des UNHCR haben Zugang zu allen drei Flüchtlingslagern. Von seiner Seite sind der türkischen Regierung Vorschläge für die Verbesserung der Situation in allen Lagern unterbreitet worden. Im Rahmen der geplanten Maßnahmen soll außerdem ein neues Barackenlager in Mardin eingerichtet werden, das einen Teil der Flüchtlinge der überfüllten Lager in Diayarbakir und Mardin aufnehmen soll. Die gesamte Maßnahme würde sich nach derzeitigen Schätzungen auf etwa 13 Millionen US-Dollar belaufen. Sie könnte nicht aus dem regulären Haushalt des UNHCR bezahlt werden. Ein entsprechender Aufruf des UNHCR zur Leistung von Sonderzahlungen ist noch nicht ergangen. Sobald dies der Fall ist, wird die Bundesregierung alle Möglichkeiten prüfen, neben ihrer bilateralen Hilfe, auf die ich noch zurückkomme, auch in diesem Rahmen einen Beitrag zu leisten. Unabhängig von diesen Maßnahmen ist eine politische Lösung dieses Flüchtlingsproblems dringlich. Es geht vor allem darum, daß die Flüchtlinge in ihre angestammten Siedlungsgebiete zurückkehren können und auch zur Rückkehr auf freiwilliger Basis bereit sind. Das werden sie aber nur tun, wenn dazu Voraussetzungen geschaffen werden. Deshalb hat die Bundesregierung bilateral wie auch zusammen mit ihren europäischen Partnern wiederholt an die irakische Regierung appelliert, diese Voraussetzungen zu schaffen. Ich erinnere an dieser Stelle auch an das, was ich hierzu bereits in der Aktuellen Stunde am 22. Juni d. J. gesagt habe. In der Zwischenzeit dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Es kommt jetzt darauf an, tatkräftig an der Verbesserung der Situation in den Lagern mitzuwirken. Dies hat die Bundesregierung getan. Zur Verbesserung der Lage wurden bereits Ende 1988 2 Millionen DM über das Deutsche Rote Kreuz und den türkischen Roten Halbmond zur Verfügung gestellt. Im Hinblick auf den herannahenden Winter wurden außerdem 1 Million DM für die Ausstattung des Lagers Mardin mit Winterzelten aufgewandt. Die 2 500 Zelte sind inzwischen sämtlich aufgebaut. Sie haben — so kann man mit allem Ernst sagen — vielen Flüchtlingen das Überleben bei dem jetzt hereinbrechenden Winter gesichert. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich damit in ganz besonderer Weise des Problems der irakischkurdischen Flüchtlinge angenommen. Insgesamt, d. h. auch unter Einschluß privater Spenden an das Deutsche Rote Kreuz und einen Beitrag des Landes Niedersachsen, sind aus unserem Land 3,4 Millionen DM abgeflossen, die den bedrängten Menschen dort unmittelbar geholfen haben. Es wäre vermessen, zu glauben, wir könnten allein die Situation in der Region so beeinflussen, daß alle Ursachen für den Konflikt, der diesem Flüchtlingsstrom zugrunde liegt, schnell beseitigt werden. Was wir aber können, ist tatkräftig dort Hilfe zu leisten, wo es am dringendsten not tut. Dies haben wir getan und werden es auch in Zukunft nach besten Kräften tun. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Kinder- und Jugendhilfegesetz; Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern) Link (CDU/CSU): Seit Jahrzehnten fordert die Fachöffentlichkeit eine Neuordnung des aus dem Jahr 1922 stammenden Jugendwohlfahrtsgesetzes. Nach vielen vergeblichen Anläufen seit 1969 wird mit der Entscheidung des Bundeskabinetts am 27. September 1989 ein wichtiges jugend- und familienpolitisches Vorhaben, das Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 angekündigt hat, in die Tat umgesetzt. Nach der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, der Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung und der Wiedereinführung des dualen Systems des Familienlastenausgleichs in der vergangenen Legislaturperiode unternimmt die Bundesregierung damit den zweiten wichtigen Schritt mit dem Ziel, jungen Menschen eine bessere Perspektive für ihre künftige Lebensgestaltung zu eröffnen und ihre Integration in die Gesellschaft zu erleichtern und Mütter und Väter bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen. 14134* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Das Jugendwohlfahrtsgesetz ist längst von der gesellschaftlichen Entwicklung überrollt worden. Die Lebenslagen der Familien haben sich geändert. Sie sind gekennzeichnet durch eine steigende Zahl von Kindern, die als Einzelkinder aufwachsen, durch eine steigende Zahl von Kindern, die bei einem Elternteil aufwachsen, durch hohe Trennungs- und Scheidungsraten der Eltern sowie durch einen Wandel der Rollen der Familienmitglieder — insbesondere der Frauen —, der sich u. a. an dem Wunsch orientiert, Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander verbinden zu können. Struktur und Sichtweise des Jugendwohlfahrtsgesetzes sind noch einem stark ordnungsrechtlichen Denken verhaftet. Die Aufgabe der Erziehung wird nach geltendem Recht als alleinige Aufgabe der Familie angesehen. Staatliche Maßnahmen beschränken sich weitgehend auf Kontrollen und Eingriffe in den Fällen, in denen Erziehungsschwierigkeiten ein erhebliches Ausmaß angenommen haben und eine Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus der Familie unumgänglich wird. Familienunterstützende und entlastende Hilfen fehlen im Jugendwohlfahrtsgesetz ganz. Die familiale Realität ist gekennzeichnet von unterschiedlichen Familienformen und Lebenssituationen, in denen junge Menschen aufwachsen. Im Gesetzentwurf sind für typische Lebenslagen spezifische Formen von Beratung und Hilfe vorgesehen. Sie sind in erster Linie, aber nicht ausschließlich, auf Lebenssituationen zugeschnitten, von denen alleinerziehende Elternteile betroffen sind. Dazu zählt insbesondere die Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung. Mütter und Väter sollen in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung beraten werden. Ihnen soll dabei geholfen werden, Krisen in der Familie zu bewältigen. Im Falle der Trennung der Eltern soll gemeinsam eine Lösung gefunden werden, wie die verantwortliche Elternschaft beider Elternteile für das Kind erhalten bleibt und wie die Entscheidung über das Sorgerecht und das Umgangsrecht mit dem Kind im einzelnen gestaltet werden soll. Der Gesetzentwurf geht von der Gleichwertigkeit aller Hilfearten aus. Er sieht neben den klassischen Formen der Erziehungshilfe in einer Einrichtung (Heimerziehung) und in einer Pflegefamilie folgende Formen ambulanter Erziehungshilfen vor: die allgemeine Beratung und Unterstützung der Familie in Fragen der Erziehung (Betreuung durch den allgemeinen Sozialdienst), die Erziehungsberatung, die soziale Gruppenarbeit und Erziehungsbeistand sowie Erziehung in der Tagesgruppe einer Einrichtung und die sozialpädagogische Familienhilfe. Als Ergänzung der klassischen Heimerziehung wird die Unterbringung in sonstigen betreuten Wohnformen (betreutes Einzelwohnen, pädagogisch betreute Wohngemeinschaften) sowie die individuelle sozialpädagogische Intensivbetreuung für besonders gefährdete Jugendliche besonders hervorgehoben. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, die Aufgaben der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit in einem eigenen Kapitel zu regeln und damit ihren besonderen Stellenwert, aber auch ihre präventive Wirkung für die Entwicklung junger Menschen zu verdeutlichen. Die Verpflichtung zur Förderung der Jugendverbandsarbeit wird bekräftigt. Im Gesetzentwurf wird die Weiterführung einer Hilfe zur Erziehung für junge Volljährige nicht mehr von der Fortführung einer Maßnahme zur schulischen oder beruflichen Bildung einschließlich der Berufsvorbereitung abhängig gemacht. An die Stelle der bisherigen „Kann-Leistung" tritt darüber hinaus eine Verpflichtung (Soll-Vorschrift) zur Fortführung der Hilfe bis zum 21. Lebensjahr. Die Hilfe soll in begründeten Einzelfällen auch darüber hinaus weitergeführt werden. Insbesondere im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit hat der Bereich der Jugendsozialarbeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. In die Neuregelung wird auch das Angebot geeigneter Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Bereich der Jugendhilfe einbezogen, sofern junge Menschen nicht von anderen Maßnahmen und Programmen erreicht werden. Eine eigene Vorschrift ist darüber hinaus dem erzieherischen Jugendschutz gewidmet, der nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Medien zunehmende Bedeutung erhält. Wesentliche Ziele des neuen Gesetzentwurfes sind die Verbesserung der Angebote der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit, die Verbesserung der Hilfen für Familien in besonderen Lebenssituationen (Alleinerziehende, Trennungs- und Scheidungssituationen), die Verbesserung der Angebote der Tagesbetreuung für Kinder. Um diesen Erfordernissen gerecht zu werden, ist der bedarfsgerechte Ausbau der Tageseinrichtungen, nämlich Kindergärten, Horte und andere Einrichtungen, die für einen Teil des Tages oder ganztags der Förderung von Kindern dienen, sowie die Ausweitung der Tagespflege erforderlich. Die bundesrechtliche Rahmenverpflichtung wird durch die Länder konkretisiert. Ich weiß, daß einige Organisationen und Institutionen an diesem Entwurf kritisieren, daß es keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt. Die gefundene Formulierung in diesem Entwurf kommt einem Rechtsanspruch jedoch sehr nahe. Bleibt an dieser Stelle zu erwähnen, daß ausgerechnet die SPD-Länder vor 14 Tagen im Finanzausschuß des Bundesrates diesen Entwurf aus finanziellen Gründen abgelehnt haben. Eine merkwürdige Situation, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie kritisieren den fehlenden Rechtsanspruch, und Ihre Ministerpräsidenten aus den SPDgeführten Ländern lehnen den Entwurf aus finanziellen Gründen ab und führen damit Ihre Forderungen ad absurdum. Ich bin sehr stolz darauf, daß mein Heimatland Niedersachsen bereits positive Konsequenzen gezogen hat und schon jetzt Ganztagsschulen als Modellversuch eingerichtet hat; wahrlich ein richtiger Beitrag zur Ganztagsbetreuung von Kindern und Jugendlichen dort, wo von den Eltern gewünscht und erforderlich. Insbesondere im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit hat der Bereich der Jugendsozialarbeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. In die Neuregelung wird auch das Angebot geeigneter Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Bereich der Jugend- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14135* hilfe einbezogen, sofern junge Menschen nicht von anderen Maßnahmen und Programmen erreicht werden. Eine eigene Vorschrift ist darüber hinaus dem erzieherischen Jugendschutz gewidmet, der nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Medien zunehmende Bedeutung erhält. Heute steht nicht mehr die Konkurrenz verschiedener Träger im Vordergrund, sondern die finanzielle Absicherung der einzelnen Maßnahmen. Auch freie Träger sind zur Realisierung ihrer Vorhaben in hohem Maße auf öffentliche Zuwendungen angewiesen. Angesichts der auch vom Bundesverfassungsgericht den öffentlichen Trägern zuerkannten Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung in der Jugendhilfe stehen im Mittelpunkt der partnerschaftlichen Zusammenarbeit folgende Aspekte: die frühzeitige Beteiligung freier Träger an der Planung der Jugendämter, ihre Mitwirkung an den grundlegenden Entscheidungen der Jugendhilfe im Jugendhilfeausschuß und die finanzielle Absicherung der freien Jugendhilfe. Heute hat der Deutsche Jugendhilfetag seine Bundesvorstandssitzung in Düsseldorf abgehalten, auf der auch der Gesetzentwurf Jugendhilferecht zur Diskussion stand. Leider konnte ich an dieser Sitzung — ich gehöre dem Bundesvorstand an — wegen der Parlamentsdebatte nicht teilnehmen. Der Vorstand hat mir nochmals folgende Punkte ans Herz gelegt, die in der Anhörung mitbesprochen werden müssen: a) Erhalt der Zweigliedrigkeit des Jugendamtes, b) Rechtsanspruch der Finanzierung der schulischen und beruflichen Ausbildung für Volljährige, c) Beteiligung der Verbände am Wohlfahrtsgesetz, d) Trägerbegriff — im geltenden Recht: Träger der freien Jugendhilfe und Träger der öffentlichen Jugendhilfe, e) Aufnahme einer Formulierung zur Ausgestaltung von Spielplätzen, die bisher im Gesetz fehlt. Abschließend möchte ich zum TO-Punkt 16b, Beratung des Antrages der Fraktion der SPD „Integrationsprobleme von jugendlichen Auswanderern und Obersiedlern", Stellung nehmen: In den letzten zwei Jahren sind Eingliederungsprogramme für junge Aus-und Obersiedler finanziell erheblich aufgestockt worden. Die erforderlichen Bundesmittel für den Garantiefonds, über den u. a. die Teilnahme an Sprachkursen, der Besuch von Förderschulen und -klassen, Nachhilfeunterricht und andere Ausbildungen gefördert werden, wurden von 310 Millionen DM im laufenden Jahr auf 490 Millionen DM angehoben. In diesem Jahr wird aus diesem Fonds etwa 33 000 jungen Aus- und Übersiedlern geholfen, im kommenden Jahr werden es 50 000 sein. Im Eingliederungsprogramm für die Beratung und Betreuung junger Aus- und Obersiedler wurden die für die Verdichtung des bundesweiten Netzes der 200 Beratungs- und Betreuungsdienste (Jugendgemeinschaftswerke) notwendigen Bundesmittel stark angehoben; von 16 Millionen DM 1988 auf 47 Millionen DM 1989 und auf 80 Millionen DM für 1990. Diese Beratungsdienste, deren Personalbestand durch den vervielfachten Zugang weithin überfordert wird, können damit personell angemessen ausgestattet, und es können notwendige neue Einrichtungen eingerichtet werden. Für 1990 sind 50 weitere Beratungsdienste und ein erheblicher Ausbau der mobilen Beratungsmöglichkeiten geplant, so daß ein flächendeckendes Netz mit 800 hauptamtlichen Mitarbeitern zur Beratung und Betreuung der jungen Aus- und Übersiedler zur Verfügung steht. 80 000 bis 100 000 junge Aus- und Übersiedler werden im kommenden Jahr voraussichtlich diese Hilfe erfahren. Die Beratung und Hilfe für die jungen Menschen kommt der ganzen Familie zugute, da Eltern, die in der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem ExistenzAufbau beschäftigt sind, hinsichtlich der Eingliederung und Weiterbildung ihrer Kinder entlastet werden. Für diese außergewöhnlichen Leistungen, die für unsere jungen Aussiedler und Zuwanderer in den letzten Jahren gemacht worden sind, möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, sehr herzlich danken. Gilges (SPD): Nach nunmehr sieben Jahren und einem unerträglichen Hickhack innerhalb von CDU und CSU ist es der Bundesregierung endlich gelungen, einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts im Deutschen Bundestag vorzulegen. Daß wichtige jugendpolitische Debatten in diesem Hause zwischen Tagesschau und Geisterstunde stattfinden, hat fast schon Tradition. Trotzdem ist es nach der Vorgeschichte bemerkenswert, daß wir heute zum zweitenmal die Reform eines fast 70 Jahre alten Gesetzes beraten können. Ein weiterer Aufschub wäre angesichts des Zustandes, in dem sich die Jugendhilfe befindet, auch nicht verantwortbar gewesen: Zigtausende fehlende Kindergartenplätze, erheblicher Mangel an Kinderkrippen, kaum Hortplätze kennzeichnen die Situation in der Bundesrepublik. 1989 werden wir das Jahr mit der höchsten Todesquote von drogenabhängigen jungen Menschen haben. Zigtausende Jugendliche befinden sich in Erziehungseinrichtungen, die in den meisten Fällen den modernen Erfordernissen von Pädagogik und Erziehung nicht entsprechen. Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen leben in zerrütteten Familien, leben in unvollständigen Familien und leben mit alleinerziehenden Müttern oder Vätern zusammen. Kinder und Jugendliche werden vor allem Opfer von Arbeitslosigkeit und neuer Armut. All das erfordert endlich ein neues Jugendhilferecht. 1980, als die Lage noch nicht so katastrophal wie heute war, gelang es der sozialliberalen Koalition, ein modernes, den Erfordernissen entsprechendes Jugendhilferecht im Bundestag in dritter Lesung zu verabschieden, das dann aus ideologischen und finanziellen Gründen an der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat scheiterte. Ich weiß nicht, ob wir uns ohne den Druck und das hartnäckige Bohren der Jugend- und Wohlfahrtsverbände, der Kirchen, der Jugendbehörden und einzel- 14136* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 ner Persönlichkeiten, wie beispielsweise meines Freundes Professor Peter Weiß heute mit diesem Thema beschäftigen würden. All den Genannten gilt unser Dank, in den ich ausdrücklich die Fachleute des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, von Otto Fichtner über Christian Steiniger bis zu Dr. Wiesner einschließe. Es ist endlich an der Zeit, daß das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922 grundlegend modernisiert wird. Dieses Gesetz war von seinem Charakter her ein Ordnungs- und Fürsorgegesetz. Es geht nun darum, endlich ein Hilfe- und Unterstützungsgesetz zu verabschieden. Für uns Sozialdemokraten sind folgende Grundsätze einer Reform unverzichtbar: 1. Das Kinder- und Jugendhilferecht ist in erster Linie für Kinder und Jugendliche da und nicht für Jugendämter, Wohlfahrtsverbände und Familien. 2. Das Gesetz muß allen Kindern und Jugendlichen dienen, unabhängig von ihrer kulturellen und nationalen Identität. 3. Das Gesetz muß allen Kindern und Jugendlichen gleiche Lebenschancen ermöglichen unabhängig davon, ob sie nun zufälligerweise im Bayerischen Wald, in Frankfurt oder in Ostfriesland ihre Kindheit und Jugend verbringen. Gleiche Angebote an Erziehungshilfen und Kindertageseinrichtungen sind eine unabänderliche Forderung. Zentraler Punkt dabei ist der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle drei- bis sechsjährigen Kinder. 4. Das Gesetz muß die Benachteiligungen des einzelnen Kindes und Jugendlichen, die durch Elternhaus, unvollständige Familie, seelische oder geistige Behinderung entstanden sind, ausgleichen. 5. Das Gesetz muß die freie Entwicklung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen garantieren. Nach ersten Analysen fällt der heutige Entwurf in weiten Teilen hinter das Gesetz von 1980 zurück, und dies nicht nur, weil der Oberbremser Albrecht die Aufnahme des im 80er Gesetz noch verankerten Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz im vorliegenden Entwurf verhindert hat. Bei diesem Rechtsanspruch geht es nicht nur um die Erziehungschancen von Kindern, sondern auch um die Frage, ob das Bekenntnis der Bundesregierung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ernst gemeint ist. Auch die Regelung über die Jugendarbeit und ihre Förderung ist keinesfalls befriedigend. Hier muß nachgebessert werden. Es bleibt auch unerklärlich, weshalb die Bundesregierung aus Angst vor den CDU-regierten Bundesländern eine Regelung über Spielplätze ausgelassen hat. Bei den Paragraphen, die sich mit der Zusammensetzung der Jugendhilfeausschüsse beschäftigen, ist nicht ein Mehr an Demokratie festzustellen. Ganz im Gegenteil: Die Mitwirkungsmöglichkeiten von Jugendverbänden sind zurückgeschnitten worden. Auch wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß Organisationen und Gruppen der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt werden müssen, die nicht den bestehenden Verbänden angehören. Aber das Ausspielen von Jugendverbandsarbeit gegenüber Selbsthilfe geht uns mittlerweile auf die Nerven. Auch die Einbeziehung junger volljähriger Menschen hätten wir uns gewünscht, denn durch die Veränderung der Ausbildungszeiträume ist gerade hier eine verstärkte Hilfe notwendig geworden. Wir Sozialdemokraten bleiben dabei, daß Erziehungsberatung und Familienberatung nach wie vor notwendige Einrichtungen sind, um Kindern und Jugendlichen und ihren Familien bzw. deren Erziehern in Krisensituationen zu helfen. Vorbeugende Hilfe ist dabei allemal besser als nachträgliches Heilen, und nebenbei ist es auch kostengünstiger. Die Gleichstellung von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Nationalität begrüßen wir. Aber wir haben gehört, daß die Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen einen Ausweisungsgrund liefern könnte. Ich hoffe, daß diese Informationen nicht zutreffend sind. Sie würden die Ziele dieses Gesetzes konterkarieren. Ich fasse zusammen: Wir fordern ein modernes Kinder- und Jugendhilferecht, das den heutigen Erfordernissen entspricht. Die Konzentration und die Zielrichtung dieses Gesetzes dürfen aber nicht über die Familie zum Kind und zum Jugendlichen gehen, sondern müssen respektieren, daß Kinder und Jugendliche eigenständige Rechtssubjekte sind. Wir brauchen keine Veränderung des Jugendwohlfahrtsgesetzes zu einem Familiengesetz, sondern ein Kinder- und Jugendhilferecht, das Kindern und Jugendlichen ein glückliches und sorgenfreies Heranwachsen ermöglicht. All dies kostet natürlich Geld. Es ist eine traurige Diskussion, die da stattfindet. Zig Milliarden werden in unserem Land nach wie vor in Rüstung investiert. 1990, im Zeichen der weltweiten Entspannung und der friedlichen Revolutionen im Herzen Europas hat die Bundesregierung den höchsten Verteidigungshaushalt in ihrer Geschichte. Statt hier den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, mußten wir ein kleinliches und peinliches Gezänk über Monate hinweg wegen der Finanzierung einer längst überfälligen Reform erleben. Ich gestehe ein, daß es auch für mich peinlich ist, daß sich sozialdemokratische Länder daran beteiligt haben. Wir sind uns aber in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darüber einig, daß Länder und Gemeinden über den Finanzausgleich für die Zusatzkosten, die ein neues Jugendhilferecht auslöst, einen Ausgleich erhalten. Am Ende eines 20jährigen Reformbemühens darf die Jugendhilfe nicht erneut an angeblichen Finanzschwierigkeiten scheitern. Die Verantwortung gegenüber den betroffenen Kindern und Jugendlichen und ihren Familien wäre für uns alle zu schwer zu tragen. Wir Sozialdemokraten haben schon anläßlich der Haushaltsberatungen des letzten Jahres unsere konstruktive Mitarbeit angeboten. Die setzt aber voraus, daß CDU/CSU und FDP uns eine faire Chance geben, das Gesetz sorgfältig zu beraten. Jeder Versuch dieses Gesetz im Eiltempo durch den Ausschuß zu treiben, wird zu Lasten seiner Qualität gehen und damit Kindern und Jugendlichen Schaden zufügen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14137* Wir hoffen auf Ihre Einsicht, damit am Ende der Beratungen ein Entwurf zur Verabschiedung vorliegt, der die Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen tatsächlich und nachdrücklich und zukunftsweisend verbessert. Schmidt (Salzgitter) (SPD) : Zur Einbringung des Kinder- und Jugendhilferechts möchte ich noch bemerken, daß die Ergänzung der Gesetzesbezeichnung um die „Kinder" sich auch inhaltlich substantiell zeigen muß. Als Kinderbeauftragter meiner Fraktion künde ich eine entsprechende diesbezügliche Initiative an, die sicher — mindestens weitgehend — auch von den übrigen Mitgliedern der Bundestags-Kinderkommission getragen werden wird. Dabei wird auch die am 20. November 1989 von der UNO beschlossene Konvention über die Rechte des Kindes eine wichtige Rolle spielen. Schon jetzt lassen sich einige Aspekte unschwer erkennen, die bei ernsthafter Würdigung in das KJHG einfließen müssen. Zu dem hiermit vorgelegten Antrag meiner Fraktion über die Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern stelle ich zunächst fest, daß die in dem Antrag angebenen Zuwanderungszahlen seit Juni 1989 noch weitaus drastischer gestiegen sind, als dies vorhersehbar war. Wenn wir in diesem Antrag nur einen umfassenden Situationsbericht verlangen, ist dies eigentlich schon fast zuwenig. Darum sage ich schon hier: Die Bundesregierung muß einerseits den Bericht erarbeiten, damit das Parlament seine entsprechenden Beratungen und Maßnahmebeschlüsse vornehmen kann, zum anderen müssen aber Sofortmaßnahmen der Regierung verstärkt werden. Es kann nicht angehen, daß die Kommunen, die Länder und die Wohlfahrtsorganisationen mit der Aufnahme der Aus- und Übersiedler und den sich daraus ergebenden Problemen weitgehend alleingelassen werden. Ich empfehle der Regierung bei der Themenerarbeitung die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „Jugendwohl" der Caritas, die in hervorragender Weise die Thematik aufarbeitet und die schlüssig nachweist, daß Kinder und Jugendliche die Phase des Verlassens der bisherigen Heimat und des Einlebens in unseren Städten ganz anders als Erwachsene erleben. Immerhin sind 28 % der Zuwanderer unter 18 Jahre alt, bei 700 000 in diesem Jahr eine beachtenswerte Größenordnung, die auch entsprechenden sozialen Zündstoff beeinhaltet, wenn man nicht verantwortungsbewußt bei der Eingliederung in unsere komplizierte Welt hilft. Eimer (Fürth) (FDP): Das alte Jugendwohlfahrtsgesetz ist 68 Jahre alt. Bereits 1980 wurde im Bundestag ein neues Jugendhilferecht verabschiedet. Es scheiterte aber damals am Einspruch des Bundesrates. Die damalige Opposition stimmte auch im Bundestag dagegen. Ideologische Gründe wurden vorgeschoben. Wir wissen aber alle, daß es damals nicht ideologische Gründe waren, die das Gesetz im Bundesrat scheitern ließen, sondern finanzielle. Heute wagen wir mit veränderten Fronten einen neuen Anlauf. Auch heute gibt es wieder Widerstände aus den Ländern, gleich ob die Länder SPD- oder unionsregiert sind. Der Finanzausschuß des Bundesrates hat bis zuletzt versucht, das Gesetz dadurch zu torpedieren, daß die Kosten dafür völlig unrealistisch hoch geschätzt wurden. Der Bundesrat insgesamt hat aber Gott sei Dank dem Gesetz zugestimmt. So besteht diesmal die Hoffnung, daß das Gesetz zu einem guten Abschluß kommt. Auch die Vorarbeiten zu diesem Gesetz sind diesmal recht zügig abgelaufen: 1987 die Ankündigung in der Regierungserklärung durch Bundeskanzler Kohl, 1988 der erste Referentenentwurf, ein Jahr später Regierungsentwurf und Verabschiedung durch das Kabinett — dann wieder der Versuch von Länderseite, das Gesetz zu verhindern — und heute die erste Lesung im Bundestag. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand der Streit um den Anspruch auf einen Kindengartenplatz. Die Versorgung mit Kindergartenplätzen in der Bundesrepublik ist von Bundesland zu Bundesland und auch innerhalb der Bundesländer recht unterschiedlich. Die ersten Regierungsentwürfe sahen deshalb auch einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz vor. Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat sich der Meinung des Ministeriums angeschlossen und einen solchen Anspruch für notwendig gehalten. Auch die zuständigen Gremien in der FDP — der Arbeitskreis III — haben sich ausdrücklich für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingesetzt. Nun ist Politik die Kunst des Möglichen, und wenn ein neues, modernes Kinder- und Jugendhilferecht am Bundesrat scheitern kann, müssen wir uns nach der Decke strecken, d. h. nach dem Bundesrat. Ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist im Bundesrat nicht durchsetzbar. Auch die SPD-regierten Länder sind dazu nicht bereit. Durch diese Auseinandersetzungen wurde das Einbringen des Gesetzes in das Verfahren der Gesetzgebung verzögert. Die FDP wollte mehr, als die Bundesländer zu geben bereit waren. Das war Anlaß für die SPD, uns Verzögerung vorzuwerfen, aber Unterstützung durch SPDregierte Länder bekamen wir nicht. Dennoch haben wir eine wesentliche Verbesserung durchsetzen können. Der § 23, der diese Frage regeln soll, lautet zum Schluß: „Die Länder regeln die Verwirklichung dieses Grundsatzes durch Landesrecht" — und durch uns ergänzt — „und tragen für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge ". Das heißt, den notwendigen Kindergartenplatz haben wir durch eine andere Formulierung erreicht. Dies war auch deswegen so notwendig, weil in den letzten Monaten eine große Zahl von DDR-Bürgern zu uns in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, und diese Zahlen werden noch größer werden. Sie sind aus der DDR gewöhnt, daß beide Eltern, Väter und Mütter, berufstätig und deswegen auf Kindergartenplätze besonders angewiesen sind. Ich will deswegen die Länder und Kommunen von dieser Stelle nochmals aufrufen, sich dieses Problems anzunehmen. Wir können nicht warten, bis neue Kindergärten gebaut sind. Es ist notwendig, daß man hier schnelle Lösungen findet und notfalls Räume anmietet, die untertags nicht genutzt werden, wie z. B. Vereinsheime, um dort die Kinder für eine Übergangszeit 14138* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 betreuen zu können, bis das Kindergartenangebot ausreichend ist. Der Kindergartenzank vermittelt aber fast den Eindruck, das neue Kinder- und Jugendhilferecht bestehe nur aus Regelungen für den Kindergarten. So ist es nicht. Der unter schweren Geburtswehen als Kompromiß gefundene § 23 ist nur einer von 94 Paragraphen. Er ist zwar der finanzintensivste und berührt fast alle jungen Ehen, aber es gibt viele andere Bereiche, wo dieses Gesetz Verbesserungen in der Kinder-und Jugendhilfe bringen wird. So ist die Kontrollfunktion des alten Gesetzes abgelöst worden durch familienunterstützende und -entlastende Hilfe bei der Erziehungstätigkeit. Hilfe zur Selbsthilfe wird damit verwirklicht. Der präventive Charakter der Jugendhilfe wird in diesem Gesetz verwirklicht. Wir wollen nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dieses Sprichwort hat hier eine fast wortwörtliche Bedeutung beibehalten und ist nicht nur im übertragenen Sinne gültig. Die wichtigen Grundwerte und Grundprinzipien bleiben bei diesem Gesetz erhalten. Da ist zunächst das Elternrecht. Elternrecht ist für Liberale nicht das Recht der Eltern über ihre Kinder wie über eine Sache. Elternrecht ist der Schutzzaun um die Familie vor Beeinflussung durch die Gesellschaft. Niemand anderer setzt Erziehungsziele als die Eltern. Aber die Kinder sind auch Träger eigener Grundrechte. Das Elternrecht endet dort, wo die Grundrechte der Kinder beeinträchtigt werden, denn der Staat hat ja die Grundrechte aller Bürger zu schützen. Weiter ist sichergestellt, daß freie Träger Vorrang vor öffentlichen Trägern haben. Aber ein Grundsatz, der in den ursprünglichen Referentenentwürfen enthalten war, ist bei der jetzigen Fassung entfallen. Jugendarbeit soll nach unseren Vorstellungen durch die Vieffalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen wirken. Durch diese Pluralität haben Eltern und Erzieher die Möglichkeit, jene Angebote anzunehmen, die ihren Erziehungszielen am besten entsprechen. Wir werden den § 4 des Entwurfes um diesen Gedanken ergänzen. Diese Ideen sollten im Gesetzentwurf weiter vorne als wichtige Grundsätze verankert werden. Das heißt also, daß das, was im § 8 über die Grundrichtung der Erziehung steht, gleich am Anfang bei § 1 eingearbeitet werden sollte. Auch die Frage nach der besseren gesellschaftlichen Integration junger Ausländer wird von uns im Laufe der Beratungen eingebracht werden. Hier wollen wir die Anregungen des Bundesrates überdenken. Neben vielen anderen Punkten halte ich einen für so wichtig, daß ich ihn hier in der 1. Lesung erwähnen will. Wir wollen, daß dann, wenn beide Elternteile für die Erziehung der Kinder ausfallen — z. B. insbesondere durch Tod —, sichergestellt wird, daß eine Betreuung der Kinder im Elternhaus wenn irgend möglich weiterhin gefördert werden kann. Dies ist nicht nur dem Wohl der Kinder förderlich, sondern es ist darüber hinaus in den meisten Fällen auch finanziell billiger. Das Gesetz im einzelnen zu kommentieren und zu allen Paragraphen Anregungen zu geben, ist angesichts der kurzen Zeit nicht möglich. Ich möchte deswegen etwas zum Stil der Verhandlungen sagen, der für dieses Gesetz notwendig ist. Das Jugendhilfegesetz 1980 wurde mit großer Euphorie angegangen. Es ist gescheitert. Heute sind die Hoffnungen etwas gedämpft. Ich bin überzeugt, daß wir ein gutes Gesetz schaffen können. Aber dieses Gesetz wird nur kommen, wenn wir mit Augenmaß an diese Aufgabe herangehen, wenn wir die Länder nicht finanziell überfordern und deren Schmerzgrenzen nicht überschreiten. Wir haben im Bundestag für die Gestaltung des Gesetzes um so mehr Spielraum, wir können die Schmerzgrenze der Länder um so weiter hinausschieben, je mehr wir uns hier über alle Parteiengrenzen einig sind, je kompromißfähiger wir uns bei der Beratung des Gesetzes erweisen. Ich appelliere deswegen an alle, die an diesem Gesetz mitarbeiten, daß wir uns nicht mit parteipolitischen Forderungen versuchen zu profilieren, mit Forderungen, die im Bundesrat selbst bei eigenen Freunden realistischerweise nicht durchzusetzen sind. Die Koalition trägt Verantwortung, nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die Durchsetzung. Wir können nichts ins Gesetz schreiben, was wir zwar gerne hätten, aber was wir nicht durch den Bundesrat bringen. Die Opposition kann das sogar gegen eigene Überzeugung. Sie sollte aber dieser Versuchung nicht erliegen. Wenn wir gemeinsam das Gesetz mit großer Mehrheit hier im Bundestag verabschieden, wenn wir uns als kompromißfähig erweisen, dann steigen die Chancen, das Gesetz auch durch den Bundesrat zu bringen, und das sollte uns alle Anstrengungen wert sein. Ich bitte um diese Gemeinsamkeit, damit wir nicht wieder eine Situation wie 1980 erleben. Frau Schoppe (GRÜNE): Wir begrüßen die Neuregelung in einem Kinder- und Jugendhilferecht, damit den gewandelten Anforderungen an die Jugendhilfe endlich Rechnung getragen werden kann. Nach unserer Auffassung sind folgende Regelungen dringend erforderlich: eine Stärkung der Rechte der Kinder durch eigene Leistungs-, Mitwirkungs-, Antrags- und Einspruchsmöglichkeiten; eine Erweiterung der Hilfen für Volljährige; die Verbesserung der Hilfen für Familien auch in der Scheidungssituation; die Stärkung ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen vor den klassischen Formen der Familienpflege und Heimerziehung; die Hilfe besonders für alleinerziehende Mütter und Väter. Neu zu überlegen sind auch die Regelungen im Pflegekindwesen und in der Heimaufsicht. Inwieweit das Gesetz den heutigen Anforderungen gerecht wird, muß in den Beratungen und durch die geplanten Anhörungen geprüft werden. Wir GRÜNEN treten nach wie vor für den Rechtsanspruch auf Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14139* einen Kindergartenplatz ein und befinden uns damit in Übereinstimmung mit der Kinderkommission. Ich möchte an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, wie außerordentlich scheinheilig ich die Diskussion um das Recht auf einen Kindergartenplatz gefunden habe. Da haben sich SPD und CDU gegenseitig beschuldigt, diese Forderung gekippt zu haben, und dabei war klar; sowohl CDU- als auch SPD-Länder wollen diese Regelung nicht, weil sie die Kosten für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen scheuen. Nach meiner Meinung wird es unmöglich sein, diesen Rechtsanspruch aufzunehmen, und der Ausbau der vielfältigen Betreuungsmöglichkjeiten, der ja als Aufforderung an die Länder im KJHG-Entwurf formuliert ist, wird nur mit Mühe durchzusetzen sein. An diesem Punkt ist die Solidarität aller Frauen, egal welcher Partei oder Gruppe sie angehören, gefordert. Alle Parlamente sind noch mehrheitlich mit Männern besetzt. Leider ist ihnen das Problem der Kinderbetreuung bisher noch ziemlich fern, denn nach wie vor ist Kinderbetreuung Frauensache. Ich kann ihnen nur sagen, wenn Kinderbetreuung Männersache wäre, dann wäre die außerhäusliche Kinderbetreuung ein Sakrileg, und die Gelder dafür würden in Strömen fließen. Ein Grund mehr, endlich in den Parlamenten aufzuräumen und den Frauen die ihnen zustehenden Plätze, nämlich genau die Hälfte, zukommen zu lassen. Über die Diskussion um die Quantität der Plätze dürfen wir allerdings die Qualität nicht aus den Augen verlieren. Unsere Kinder leben heute in einer multikulturellen Gesellschaft, auch wenn manchen dabei das kalte Grausen über den Rücken kreucht. Sie leben in einer Gesellschaft mit großen ökologischen Zerstörungen. Sie leben in einer Zeit großer Umbrüche im Osten, die uns herausfordern, die demokratischen Rechte in unserer Gesellschaft auszubauen und dahin gehend zu überprüfen, ob auch alle Bürgerinnen und Bürger tatsächlich diese in Anspruch nehmen können oder zu den Ausgegrenzten und Vergessenen gehören. Heute wird von Teilen der Regierung und der dazugehörenden Fraktionen hier im Parlament mit Häme und in Siegerpose der endgültige Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften gefeiert. Sicher, auch ich bin der Meinung, der real existierende Sozialismus ist gescheitert. Aber — damit ist das Recht der Menschen auf einen eigenständigen Weg zum Aufbau ihrer Gesellschaften nicht außer Kraft gesetzt. Und vor allem hat — unser Kapitalismus, der eine demokratische Grundstruktur hat und vielen Menschen Wohlstand oder ausreichende materielle Absicherung gebracht hat, auch seine Schattenseiten. 3 Millionen Sozialhilfeempfänger und noch einmal so viele, die unter dieser Grenze leben, sprechen eine deutliche Sprache. Preisen ist bei uns nicht angesagt, sondern ehrliche Bestandsaufnahme und eine Politik, die parteilich für die Schwachen ist. Ich habe diesen Schlenker gemacht, um zu dokumentieren, welche Aufgaben auf unsere Kinder zukommen. Unsere Kinder brauchen dafür Kompetenzen, die sie sich auch in außerhäuslicher Betreuung aneignen müssen. Dafür brauchen wir vor allem Kinderbetreuung, die die sozialen Kompetenzen der Kinder stärken und entwickeln. Meine Damen und Herren maßgebend für die Hilfen durch das Jugendhilferecht soll der erzieherische Bedarf sein. Ich möchte zitieren aus der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend: Die in § 5 KJHG vorgenommenen Leistungseinschränkungen und in Art. 9 des Entwurfes enthaltenen Ausweisungstatbestände für junge Ausländer sind ersatzlos zu streichen. Diese Regelungen widersprechen nicht nur der gängigen Jugendhilfepraxis und den Intentionen der Jugendhilfe (Erziehung und Integration). Sie sind auch mit dem christlichen Menschenbild und unserem Verständnis von Jugendarbeit unvereinbar. Wenn ein Kind Hilfe braucht, dann muß es diese bekommen, egal, aus welcher Kultur es zu uns gekommen ist, egal, wie lange es seinen Lebensmittelpunkt bei uns hat und welche Hautfarbe es hat, und egal, welcher Religion es angehört. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, muß sich erweisen, wie ernst wir es mit der Demokratie nehmen. An dieser Stelle geht es um die Fürsorgepflicht für alle Kinder. Hier ist mit uns nicht zu verhandeln. Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Mit der heutigen ersten Lesung im Deutschen Bundestag tritt das Gesetzgebungsverfahren zu einem neuen Kinder- und Jugendhilferecht in seine entscheidende Phase ein. Für die Bundesregierung ist ein neues Kinder- und Jugendhilfegesetz das wichtigste jugend- und familienpolitische Vorhaben für das letzte Jahr dieser Legislaturperiode. Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Dies ist gewissermaßen das Motto dieses Gesetzes, das in § 1 Abs. 1 vorangestellt wird und in seiner Bedeutung über die Kinder- und Jugendhilfe hinausreicht. In erster Linie ist es nach dem Willen unserer Verfassung nämlich Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu erziehen. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" . So sieht es Art. 6 Abs. 2 Satz 1 unseres Grundgesetzes vor. Diese Maxime der Verfassung ist auch Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des Kinder- und Jugendhilferechts. Heutzutage sind manche Eltern mit den Erziehungsaufgaben überfordert, zumal Kinder und Jugendliche heute unter einer Fülle von Einwirkungen und Einflüssen stehen, die nicht immer ihrer Entwicklung förderlich sind. Auch durch andere Faktoren fühlt sich heutzutage manche Familie überfordert und in der Erfüllung ihrer Aufgaben eingeschränkt. Ziel aller Bemühungen des Staates muß es deshalb in erster Linie sein, Eltern durch Rat und Hilfe in ihrer Erziehungsverantwortung und -kraft zu unterstützen und zu stärken. Das heißt nicht, daß wir die Rechte des Kindes zugunsten der Rechte der Eltern zurückstel- 14140* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 len. Nach unserer Verfassung beinhaltet das Elternrecht vor allem und zuerst die Verantwortung für die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes. Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht sind auf jene Fälle zu beschränken, in denen im Interesse des Kindeswohls solche Maßnahmen unumgänglich sind. Wir wollen die Erziehungskraft der Eltern stärken und nicht erst eingreifen, wenn sie bereits versagt haben. Auch hier gilt: Vorbeugen ist besser als heilen. Wer wie wir auf die Erziehungskraft von Müttern und Vätern vertraut, für den ist Kinder- und Jugendhilfe immer zugleich auch Familienhilfe. Viele der im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelten Leistungen haben deshalb das Ziel, Kindern, Jugendlichen und Eltern in schwierigen Lebenssituationen Rat und Unterstützung anzubieten. Zu nennen ist hier das erstmals in einem Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelte Angebot einer Beratung in Fragen der Partnerschaft, der Trennung und Scheidung — um dem Kind auch nach der Trennung der Eltern ein Höchstmaß an gemeinsamer Elternverantwortung zu erhalten. Hinzuweisen ist auch auf die Sicherstellung einer Betreuung des Kindes in Notsituationen beim Ausfall des haushaltsführenden Elternteils. — Die Familienstrukturen haben einen Wandel erfahren, den wir zur Kenntnis zu nehmen haben, auch dort, wo er uns nicht gefällt: wir haben eine Steigerung der Scheidungszahlen, wir haben eine Zunahme von Einelternfamilien, und wir haben eine überaus hohe Zahl von Einzelkindern. Und Kinder brauchen Kinder! Wir sollten die Notwendigkeit von Kindergartenplätzen nicht primär unter dem Aspekt der Entlastung der Mütter, der Eltern diskutieren, sondern unter dem Aspekt einer möglichst optimalen Entwicklung der Kinder. So ist die Verbesserung der Tagesbetreuung von großer Bedeutung für die Entwicklung vieler Kinder. Der Gesetzentwurf sieht dafür eine Rahmenverpflichtung zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebots vor, die sich an die kommunalen Gebietskörperschaften und die Länder richtet. Die im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf geführte intensive Diskussion zur Situation der Kinderbetreuung zeigt, wie sehr der Mangel an Betreuungsangeboten unsere jungen Familien bewegt und bedrückt und wie sehr wir — als Politiker — hier zum Handeln aufgerufen sind. Sie mögen in den Oppositionsparteien an den Formulierungen zum Ausbau der Kindergärten noch so viel herumkritisieren — eines hat dieser Gesetzentwurf bereits mit dieser Vorlage erreicht: überall wird heute wieder über die Notwendigkeit des Ausbaus der Kindergärten politisch diskutiert. Der Ausbau des Kindergartenwesens ist wieder ein politisches Thema geworden, und die Rahmenverpflichtung dieses Gesetzentwurfs zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebots hat heute schon seine Wirkung. Die Länder und kommunalen Gebietskörperschaften haben diesem Anliegen bisher auf sehr unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Ich gehe davon aus, daß die Rahmenverpflichtung zum bedarfsgerechten Ausbau der verschiedenen Formen der Tagesbetreuung, wie sie jetzt im Gesetzentwurf enthalten ist, dafür sorgen wird, daß das gegenwärtige Gefälle im Betreuungsangebot zwischen den verschiedenen Regionen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgeglichen wird. Der Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder ist eine der wesentlichen Aufgaben der kommenden Jahre. Zu den weiteren Veränderungen, die die Wirksamkeit der Kinder- und Jugendhilfe verbessern, gehören: die Zusammenfassung aller Erziehungshilfen bei den örtlichen Jugendämtern: damit hat der häufige Zuständigkeitsstreit, der in Wahrheit ein Kostenstreit ist, zwischen Jugendämtern und Landesjugendämtern ein Ende; die Stärkung der sozialpädagogischen Funktion der Jugendhilfe in gerichtlichen Verfahren; die bessere Verzahnung der Jugendhilfeleistungen mit den Ansätzen der jugendrichterlichen Praxis zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen; die Schaffung eigenständiger Vorschriften für die Heranziehung der Eltern oder des jungen Volljährigen zu den Kosten der Leistungen; die grundsätzliche Beibehaltung der Zuständigkeit des „Heimatjugendamtes" auch bei einem Wechsel des Kindes in ein anderes Heim oder eine andere Pflegestelle; die Neuordnung der Kinder- und Jugendhilfestatistik zur Sicherung einer bedarfsgerechten Jugendhilfeplanung und Jugendhilfepolitik. Wir brauchen dieses Gesetz aus einer Vielzahl von Gründen: Wir brauchen das Gesetz, um die Erziehungskraft der Familien zu stärken, wenn sie durch belastende Situationen beeinträchtigt sind. Wir brauchen das Gesetz, um junge Menschen auf den Weg in die Selbständigkeit zu unterstützen; längere Ausbildungszeiten und andere Faktoren verlängern und erschweren diesen Weg. Wir brauchen das Gesetz, um Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Feldern der Jugendarbeit und Jugendbegegnung ein Feld sozialen Lernens und gesellschaftlicher Mitverantwortung zu ermöglichen. Wir brauchen das Gesetz, um Kindern und Jugendlichen, die nicht bei ihren Eltern leben können, optimale Möglichkeiten der Entwicklung zu bieten und Benachteiligungen auszugleichen. Ein wichtiges Merkmal unserer Politik im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit des Staates und der Kommunen mit allen gesellschaftlichen Kräften, die um die Förderung von Kindern und Jugendlichen bemüht sind. Bis heute erbringen freie Träger in ihren Einrichtungen einen wesentlichen Teil der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Das Engagement freier Träger ist auch künftig unverzichtbar für ein vielfältiges, den verschiedenen Wertorientierungen von jungen Menschen und Eltern entsprechendes Leistungsangebot. Partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern heißt nicht nur Achtung der Autonomie gesellschaftlicher Kräfte, sondern vor al- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14141' lem auch Unterstützung und Förderung gesellschaftlichen Engagements, um Pluralität zu sichern. Dieser Gesetzentwurf kann sich auf ein hohes Maß an fachlicher Zustimmung stützen. Dies war nicht bei allen Gesetzentwürfen zum Jugendhilferecht in der Vergangenheit der Fall. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, daß er die Grundkonzeption dieses Gesetzentwurfes unterstützt. Ich bitte Sie um eine baldige Beratung und Verabschiedung. Wir brauchen dieses Gesetz, das den Interessen von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern Rechnung trägt und die Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung unserer jungen Generation schafft. Anlage 8 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover) (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Frage 35): Warum hat die bundesdeutsche UNO-Vertretung während der UNO-Vollversammlung versucht, den Passus zur Aufforderung an die Bundesregierung, die Firmen strafverfolgen zu lassen, die U-Boot-Pläne an Südafrika geliefert haben, aus der Resolution A/44/L.34/Rev. 1 streichen zu lassen, und wie wertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Streichung der Passage von der Vollversammlung der Vereinten Nationen abgelehnt wurde? Die Bundesregierung steht wie die Regierungen einer zunehmenden Zahl von VN-Mitgliedstaaten Namensnennungen in VN-Resolutionen grundsätzlich kritisch gegenüber. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß die Strafverfolgung Sache der deutschen Behörden ist und sich die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Waffenembargo nicht hierauf, sondern auf die Verhinderung des Exports von Waffen nach Südafrika beziehen. Die Bundesregierung betrachtet die Beibehaltung der Namensnennung daher als nicht gerechtfertigt. Im übrigen hat sich in getrennter Abstimmung zur Namensnennung nur eine Minderheit von einem Drittel der VN-Mitgliedstaaten für deren Beibehaltung ausgesprochen. Anlage 9 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Rust (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Fragen 36 und 37): Welche internationalen Reaktionen auf das U-Boot-Geschäft der Firmen IKL und HDW mit Südafrika hat es seit dem Gutachten des Auswärtigen Amtes vom 19. Mai 1987 gegeben, wie bewertet die Bundesregierung diese internationalen Reaktionen, insbesondere die in einem taz-Interview vom 3. Mai 1989 vom jetzigen Vorsitzenden der UNO-Generalversammlung, Garba, gegen die Bundesregierung erhobenen Vorwürfe sowie die in einem Brief von Friedensnobelpreisträger Bischof Tutu an Bundesaußenminister Genscher und in einer Presseerklärung des südafrikanischen Kirchenrates vom 31. August 1989 zum Ausdruck kommende Kritik am Verhalten der Bundesregierung bei der Behandlung der U-Boot-Affäre? Betrachtet die Bundesregierung die Aufforderung der UNOVollversammlung an die Bundesregierung, die beiden Unternehmen, die U-Boot-Pläne nach Südafrika geliefert haben, gerichtlich verfolgen zu lassen als Finmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland oder als legitimen Aufruf der UNO nach sichtbaren Konsequenzen aus dem Bruch des UNO-Rüstungsembargos gegen Südafrika durch die Firmen IKL und HDW, und erklärt sich die Bundesregierung diese Aufforderung aus der Tatsache, daß der Mehrheit der UNO-Generalversammlung sehr wohl bekannt ist, daß gegen die Firmen bisher noch nicht einmal ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist? Zu Frage 36: Seit Mai 1987 ist der U-Boot-Blaupausen-Vorgang wiederholt Gegenstand von bilateralen und multilateralen Kontakten sowie von Gesprächen mit Vertretern nichtstaatlicher Organisationen gewesen. Die Bundesregierung hat dabei darauf verwiesen, daß sie in dieser Angelegenheit ihre Verpflichtungen aus dem verbindlichen Waffenembargo gegen Südafrika erfüllt hat, und ihre Entschlossenheit bekräftigt, dies auch weiterhin zu tun. Zu Frage 37: Die Bundesregierung steht Namensnennungen in VN-Resolutionen grundsätzlich kritisch gegenüber. Wie ich schon ausgeführt habe, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Strafverfolgung Sache der deutschen Behörden ist und sich die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Waffenembargo nicht hierauf, sondern auf die Verhinderung des Exports von Waffen nach Südafrika beziehen. Die Strafverfolgung richtet sich nach den bestehenden deutschen Gesetzen und liegt in der Hand der dafür zuständigen Behörden und Gerichte. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage der Abgeordneten Frau Wollny (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Frage 38): Wie bewertet die Bundesregierung die in der Fernsehsendung MONITOR vom 15. August 1989 vorgestellten Zeugenaussagen, nach denen in Südafrika der U-Boot-Bau mit deutscher Hilfe und unter Leitung des ehemaligen HDW-Oberingenieurs Gerd Rademann bereits weit vorangeschritten sein soll? Der Bundesregierung ist lediglich die offizielle Stellungnahme des Chefs der südafrikanischen Marine, Vizeadmiral Dries Putter, bekannt, nach der bereits im Juli 1988 das Projekt, eigene U-Boote zu bauen, im Zusammenhang mit der Modernisierung dreier 1969 bis 1970 von Frankreich gelieferter U-Boote auf unbestimmte Zeit verschoben worden sei. Darüber hinausliegende Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. 14142' Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Anlage 11 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Schmidt (Hamburg) (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Fragen 39 und 40): Ist der Bundesregierung ein Strategiepapier des Südafrikaners Willem Venter vom 22. Oktober 1984 bekannt, das eine Desinformationskampagne zum U-Boot-Geschäft vorschlägt, die nach diesem Papier u. a. vorsieht, daß ausgewählte Personen der Bundesregierung in eine geheime Fortsetzung des U-Boot-Geschäfts eingeweiht werden sollen, und ist die Bundesregierung inzwischen an der von Willem Venter vorgeschlagenen Desinformationskampagne beteiligt worden? Wann hat die Bundesregierung zum letzten Mal mit der südafrikanischen Regierung oder mit den südafrikanischen U-BootBauern auf das U-Boot-Geschäft der Firmen HDW und IKL bezogene Kontakte aufgenommen, und was war gegebenenfalls der Inhalt diesbezüglicher Gespräche? Zu Frage 39: Der Bundesregierung ist ein derartiges Strategiepapier nicht bekannt. Zu Frage 40: Im Frühjahr 1987, zuletzt am 22. April 1987, hat die Bundesregierung Gespräche mit der hiesigen südafrikanischen Botschaft über die ungeklärte Frage, auf welchem Wege die in Frage kommenden Teile von U-Boot-Konstruktionsunterlagen nach Südafrika gebracht worden sind, geführt. Die Gespräche verliefen ergebnislos. Anlage 12 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Frage 41): Kann die Bundesregierung ausschließen, daß beim jetzt vom Bundessicherheitsrat genehmigten Israel-U-Boot-Geschäft UBoot-Know-how und U-Boot-Teile über den Umweg Israel in die Hände Südafrikas gelangen, und ist der Bundesregierung in diesem Zusammenhang bekannt, daß Israel und Südafrika bereits im Jahre 1980 anläßlich eines Besuchs des damaligen israelischen Verteidigungsministers Eza Weizmann in Südafrika die gemeinsame Produktion eines U-Bootes in Südafrika beschlossen haben? Entsprechend den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden Lieferungen von Kriegswaffen, wie zum Beispiel U-Booten, nur bei Vorliegen von amtlichen Endverbleibserldärungen genehmigt. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß sich die betroffenen Regierungen an die von ihnen abgegebenen Endverbleibserklärungen halten. Über einen Beschluß Israels und Südafrikas zur gemeinsamen Produktion eines U-Bootes ist der Bundesregierung nichts bekannt. Anlage 13 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 11/5951 Fragen 42 und 43): Wann hat das Auswärtige Amt die Staatsanwaltschaft Kiel vom Beschluß der Vereinten Nationen zur "militärischen Zusammenarbeit mit Südafrika" vom 21. November 1989 informiert, und wann ist dieser Beschluß der Staatsanwaltschaft Kiel zugestellt worden? Hält sich die Bundesregierung für verpflichtet, ihr Gutachten vom 26. September 1989 gegenüber der Staatsanwaltschaft Kiel, in dem sie eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland durch das U-Boot-Geschäft mit Südafrika verneint hat, nach dem Beschluß der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 21. November 1989 zu korrigieren? Zu Frage 42: Der Leitende Oberstaatsanwalt in Kiel hat das Auswärtige Amt mit Schreiben vom 24. November 1989 um ergänzende Stellungnahme gebeten, ob nunmehr — d. h. nach dem genannten Beschluß der VN-Generalversammlung — eine „erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen" der BR Deutschland i. S. von § 34 AWG vorliege. Der Beschluß der VN-Generalversammlung war der Staatsanwaltschaft bereits bekannt. Zu Frage 43: Ich verweise auf die Antwort an die Frau Kollegin Beer auf Frage Nr. 32.*) Anlage 14 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Frage des Abgeordneten Wischnewski (SPD) (Drucksache 11/5951 Frage 44): Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Bau einer C-Waffenanlage in Libyen eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland bejaht und eine solche Störung beim U-Boot-Geschäft mit Südafrika verneint? Die Bundesregierung ist nach eingehender Prüfung aller Tatsachen in beiden Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Im Fall der Blaupausen wird im übrigen — wie ich schon sagte — die Frage der erheblichen Störung erneut geprüft. Was Rabta anbelangt, wurde u. a. berücksichtigt, daß es sich beim Bau einer C-Waffenanlage in Libyen um eine besonders sensitive Materie handelte und die deutsche Mitwirkung in Rabta zu außergewöhnlich schwerwiegenden ausländischen Reaktionen, insbesondere bei wichtigen Verbündeten führte. *) Seite 14034 B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14143* Anlage 15 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen des Abgeordneten Stobbe (SPD) (Drucksache 11/5951 Fragen 45 und 9): Welche Anweisungen hat das Auswärtige Amt der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen im Zusammenhang mit der beantragten und schließlich beschlossenen Verurteilung des U-Boot-Geschäftes von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland mit Südafrika durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen erteilt? Ist das Bundeskanzleramt vom Antrag der 33 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur militärischen Zusammenarbeit mit Südafrika in der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. November 1989 durch das Auswärtige Amt informiert worden, und hat es dazu Stellung genommen? Zu Frage 45: Ich möchte zunächst klarstellen, daß die am 22. November 1989 von der 44. VN-GV verabschiedete Res. 44/27 I über militärische Zusammenarbeit mit Südafrika keine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Bundesregierung enthält. Was die in der Resolution enthaltene Aufforderung an die Bundesrepublik Deutschland angeht, eine Strafverfolgung gegen zwei deutsche Firmen einzuleiten, so verweise ich auf meine Antworten zu Fragen 39 und 41. Danach ist die Strafverfolgung Sache der deutschen Behörden und beziehen sich die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Waffenembargo nicht hierauf, sondern auf die Verhinderung des Exports von Waffen nach Südafrika. Das Auswärtige Amt hat daher die VN-Vertretung New York angewiesen, sich in ihren Kontakten mit den VN-Missionen vor Ort dafür einzusetzen, daß die Namensnennung entfällt. Zu Frage 9: Das Bundeskanzleramt ist vor der Abstimmung über den Res.-Entwurf über militärische Zusammenarbeit mit Südafrika am 22. November 1989 vom Auswärtigen Amt über den genannten Vorgang nicht unterrichtet worden. Hierzu bestand auch kein Anlaß. Anlage 16 Antwort des Staatsministers Frau Dr. Adam-Schwaetzer auf die Fragen des Abgeordneten Jungmann (Wittmoldt) (SPD) (Drucksache 11/5951 Fragen 46 und 47): Trifft es zu, daß 33 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen am 9. November 1989 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen beantragt haben, „. . . die Aktionen solcher Staaten und Organisationen aufs tiefste zu beklagen, die direkt oder indirekt das Rüstungsembargo fortgesetzt verletzen ... insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, die die Lieferung von Blaupausen für den Bau von U-Booten durch zwei Unternehmen von ihrem Staatsgebiet an Südafrika erlaubt hat ..."? Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, den Antrag vom 9. November 1989 dahin gehend zu ändern, daß es statt der zitierten Formulierung heißt: „... die Aktionen solcher Staaten und Organisationen aufs tiefste zu beklagen, die direkt oder indirekt das Rüstungsembargo fortgesetzt verletzen ... insbesondere ... zwei Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland wegen der Lieferung von Blaupausen für den Bau von U-Booten ... ", und den Antrag mit dem Zusatz zu ergänzen „... und fordert die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf, ihre Verpflichtungen gemäß Resolution 421 zu erfüllen, indem sie gegen die erwähnten Unternehmen strafrechtliche Ermittlungen einleitet"? Zu Frage 46: 34 Mitgliedstaaten der VN haben am 9. November 1989 einen Res.-Entwurf zum Thema „Militärische Zusammenarbeit mit Südafrika" vorgelegt. In diesem jährlich wiederkehrenden Entwurf war diesmal auch der zitierte Passus zum Blaupausen-Vorgang enthalten. Die Miteinbringer haben diese Formulierung jedoch selbst zurückgezogen. Damit wurde der Vorwurf fallengelassen, die Bundesregierung habe die Lieferung von U-Boot-Blaupausen durch 2 Unternehmen erlaubt. Zu Frage 47: Die Bundesregierung hat sich nicht für die in der Frage zitierte Neuformulierung eingesetzt. Ihre Bemühungen und Kontakte konzentrierten sich vielmehr erfolgreich darauf, die in der ursprünglichen Fassung der Resolution enthaltene unrichtige Behauptung zu entfernen, die Bundesregierung habe die Ausfuhr der Blaupausen erlaubt. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Carstens auf die Fragen des Abgeordneten Brauer (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Fragen 58 und 59) : Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß das bundeseigene Unternehmen HDW noch immer ca. 30 Mio. DM aus dem U-Boot-Geschäft auf einem Sperrkonto hält und eine Rückabwicklung des U-Boot-Geschäfts mit Südafrika noch immer nicht stattgefunden hat? Ist der U-Boot-Vertrag zwischen HDW/IKL und Südafrika nach Kenntnis der Bundesregierung noch immer in Kraft, und wann wurde er gegebenenfalls in beiderseitigem Einverständnis der Vertragsparteien außer Kraft gesetzt? Zu Frage 58: Die Bundesregierung muß im Hinblick auf die in dieser Angelegenheit laufenden Verfahren von einer Bewertung der in der Frage angesprochenen geschäftlichen Vorgänge absehen. Zu Frage 59: Die Bundesregierung verfügt nicht über ausreichende Informationen für eine Beurteilung, ob der Vertrag noch in Kraft ist. Von einer Rückfrage bei den Unternehmen hat sie mit Rücksicht auf das laufende Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß abgesehen. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Carstens auf die Frage des Abgeordneten Wischnewski (SPD) (Drucksache 11/5951 Frage 60): Trifft es zu, daß die mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika verbundenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1989 verjähren können, und wenn nein, wann ist nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung mit einer Verjährung zu rechnen? 14144* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 Mit der Frage wird unterstellt, daß die beiden genannten Unternehmen straf- oder bußgeldrechtlich relevante Tatbestände erfüllt hätten. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Oberfinanzdirektion Kiel im Ordnungswidrigkeitenverfahren erfüllt das sogenannte „U-Boot-Blaupausengeschäft" jedoch keinen außenwirtschaftsrechtlichen Tatbestand, weil keine der außenwirtschaftlichen Genehmigungspflicht unterliegenden Unterlagen ausgeführt worden sind. Insoweit stellt sich die Frage der Verjährung nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung nicht. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Urbaniak (SPD) (Drucksache 11/5951 Fragen 61 und 62): Mit welcher Begründung hat der Bundesminister für Wirtschaft in Brüssel zugestimmt, daß die vor einem Jahr vereinbarte Schließung des italienischen Stahlwerkes Bagnoli erneut um ein Jahr auf den 31. Dezember 1990 verschoben worden ist? Ist dieses Nachgeben ein einmaliger Vorgang, oder wird sich die Bundesregierung weiter daran beteiligen, die offensichtliche Mißachtung der Beschlüsse des Ministerrates durch die italienische Regierung mit ihrer Zustimmung zu unterstützen? Zu Frage 61: Der EG-Ministerrat hat auf seiner Tagung am 14. November 1989 grundsätzlich akzeptiert, daß die EG-Kommission eine erste Tranche der im Dezember 1988 generell genehmigten Beihilfen an das staatliche italienische Stahlunternehmen Finsider/Ilva freigibt unter der Bedingung, daß die Stillegungen in Bagnoli spätestens bis zum 31. Dezember 1990 erfolgen. Die Bundesregierung hat dieser Lösung letztlich unter Vorbehalt zugestimmt, weil alle anderen Mitgliedstaaten und die Kommission sie mittrugen und auch Italien sie schließlich nach langen Verhandlungen akzeptierte. Ohne eine solche Entscheidung bestünde die Gefahr, daß Italien die Stillegung — wenn überhaupt — wesentlich später durchführen würde. Die Bundesregierung hat dabei auch folgende Gesichtspunkte berücksichtigt: — Das Umstrukturierungskonzept des italienischen Stahlunternehmens sah außer den Stillegungen des Hochofenwerkes und des Stahlwerkes in Bagnoli eine Reihe weiterer Stillegungen und Veräußerungen vor. Alle diese Maßnahmen werden bzw. wurden zu den von der EG-Kommission festgelegten Terminen durchgeführt. Die grundsätzliche Bereitschaft Italiens, das staatliche Stahlunternehmen umzustrukturieren, kann daher nicht bestritten werden. — Der Stahlmarkt ist weiterhin in einer guten Verfassung. Die Verschiebung der Schließung hat daher bis jetzt und voraussichtlich auch bis zu dem jetzt vorgesehenen Stillegungstermin keine nachteiligen Auswirkungen auf andere Unternehmen. Zu Frage 62: Die Zustimmung im Ministerrat erfolgte erst, nachdem Italien zu Protokoll des Rates erklärt hatte, daß keine weiteren Verlängerungsanträge gestellt werden. Mit Rücksicht auf die bisherigen Erfahrungen in dieser Angelegenheit haben mehrere Delegationen — auch die deutsche — auf dieser ausdrücklichen Zusicherung der italienischen Regierung bestanden. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Menzel (SPD) (Drucksache 11/5951 Fragen 63 und 64): Aus welchen Gründen erfolgte im Achtzehnten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (Drucksache 11/5099) die Streichung des Kapitels 8 mit den raumordnungspolitischen wichtigen Abschnitten "Städtebaupolitik", "Behördenstandorte" und "Raumordnung", und erfolgte dies in Abstimmung mit dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau? Wie gedenkt der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, nachdem die bislang in den Rahmenplänen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" verankerte Verzahnung von Raumordnungspolitik und regionaler Strukturpolitik aufgegeben worden ist, raumordnungspolitische Belange in der nationalen und EG-Regionalpolitik durchzusetzen? Der 18. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ist grundlegend überarbeitet, aktualisiert und in der Darstellung gestrafft worden. Bei dieser Überarbeitung hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau als Mitglied der Unterausschusses für regionale Wirtschaftsstruktur mitgewirkt. Insbesondere wurde versucht, den Teil I „Allgemeines", der beschreibender Natur ist, auf zentrale und aktuell besonders bedeutsame Informationen zu konzentrieren. Auf die Ziele der Raumordnung wird in Teil I, Ziffer 2.2 hingewiesen und auf § 2 Abs. 1 ROG Bezug genommen. Entsprechend der Zuständigkeit der Länder für die Durchführung der Regionalförderung wird auch auf dieser Ebene die Verzahnung der genannten Politikbereiche vorgenommen. Die Darstellung der Zusammenarbeit der Regionalpolitik mit anderen raumwirksamen Politiken soll deshalb in den regionalen Förderprogrammen der Länder des Teils III des Rahmenplans erfolgen. Hier bietet sich die Möglichkeit für jedes Land, ein auf sein gesamtes Fördergebiet abgestimmtes Entwicklungskonzept darzulegen. Insbesondere sind dort in Abschnitt B 2 sonstige Entwicklungsmaßnahmen dargestellt. Rheinland-Pfalz und Saarland haben in ihren regionalen Förderprogrammen beispielhaft auf Raumordnung und Landesplanung Bezug genommen. Bei den anderen Ländern ist dieser Punkt noch verbesserungsfähig, sowie es auch in Teil I des Rahmenplanes noch weiterer Nachbesserungen bedarf. Die Förderregeln der Gemeinschaftsaufgabe in bezug auf andere raumwirksame Politiken, Teil II, Ziffer 1.6, sind im 18. Rahmenplan materiell unverändert aus dem 17. Rahmenplan übernommen worden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14145* Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Frage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) (Drucksache 11/5951 Frage 65): Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Berufsrückkehrerinnen die erweiterte Rahmenfrist nach § 46 Abs. 1 Ziffer 1 AFG für Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung genutzt haben? Berufsrückkehrerinnen, bei denen sich die Rahmenfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz um bis zu 5 Jahren verlängert, werden nicht gesondert statistisch erfaßt. Entsprechende Daten zur Beteiligung dieses Personenkreises an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen liegen daher bisher nicht vor. Ab 1. Januar 1990 wird dieser Personenkreis jedoch gesondert erfaßt werden. Ich bin gern bereit, Ihnen zu gegebener Zeit die Zahl der geförderten Berufsrückkehrer zu nennen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Fragen des Abgeordneten Hinsken (CDU/CSU) (Drucksache 11/5951 Fragen 66 und 67): Hat die Bundesregierung bereits Überlegungen angestellt, Nachschulungsprogramme in den überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks für Über- und Aussiedler durchzuführen, um den Kenntnisstand dieses Personenkreises theoretisch und praktisch an die technische Entwicklung des hohen Niveaus unserer Wirtschaft anzugleichen? Hat die Bundesregierung bereits entsprechende Kontakte mit den einschlägigen zuständigen Behörden aufgenommen, um mit solchen Maßnahmen u. a. die Facharbeiterlücke zu schlieBen und die Beschäftigungschancen für Über- und Aussiedler zu erhöhen? Aus- und Übersiedlern steht das umfangreiche Förderungsinstrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes in vollem Umfange zur Verfügung. Da ihre Tätigkeit im Herkunftsland nach der bisher geltenden Vorschrift des § 107 Arbeitsförderungsgesetz einer Tätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes gleichgestellt ist, besteht in der Regel auch Anspruch auf individuelle Förderung. Vom 1. Januar 1990 an werden diese Personen Leistungen nach dem Gesetz über die Anpassung von Eingliederungsleistungen an Aussiedler und Übersiedler erhalten. Aus- und Übersiedler, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht sind, erhalten Eingliederungsgeld auch dann, wenn zur beruflichen Eingliederung die Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme notwendig ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Anpassung der beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten an moderne Techniken oder die Vermittlung der Kenntnis von hier geltenden Sicherheitsvorschriften notwendig ist. Die durch Teilnahme entstehenden Kosten werden nach den für hiesige Arbeitnehmer geltenden Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes erstattet. Da unter den Aus- und Übersiedlern sehr viele Arbeitnehmer sind, die in der Lage sind, nach entsprechenden Bildungsmaßnahmen einen Beitrag zur Schließung der Facharbeiterlücke zu leisten, bemühen sich die Dienststellen der Bundesanstalt intensiv darum, die Vielzahl der angebotenen Bildungsmaßnahmen zu nutzen, um die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten dieses Personenkreises schnellstmöglich anzupassen. Hierbei arbeiten sie eng mit den Facharbeiter suchenden Betrieben zusammen. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Seehofer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hitschler (FDP) (Drucksache 11/5951 Fragen 68 und 69): Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen das Sonderprogramm der Bundesregierung zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen wegen unvereinbarer Vorstellungen über die Arbeitszeit (vor allem bei Teilzeit-Arbeitnehmern), beispielsweise wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen, bei vielen Bewerbern von einstellungsbereiten Unternehmern nicht wie beabsichtigt in wirklich bedeutsamen Umfange genutzt werden kann, und sind ihr noch weitere Hinderungsgründe bekannt? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die sich bereits heute abzeichnenden Probleme bei der Inanspruchnahme des Sonderprogramms zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen umgehend zu beseitigen, um das allseits begrüßte Programm auch in der Praxis erfolgversprechend umsetzen zu können? Die „Aktion Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose" der Bundesregierung ist — nach Anfangsschwierigkeiten wegen der Ferienzeit — durchaus zufriedenstellend angelaufen. Von Juli bis November 1989 wurden insgesamt rund 12 500 Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose bewilligt. Über weitere rund 2 200 Anträge war noch nicht abschließend entschieden. Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet bis zum Jahresende mit insgesamt rund 16 000 Bewilligungen. Im übrigen unterliegt die Vermittlung mit Beschäftigungshilfen den allgemeinen Vermittlungsgrundsätzen. Für die angebotenen Stellen dürfen insbesondere nur geeignete Bewerber vorgeschlagen werden. Auch Bewerber mit gesundheitlichen Einschränkungen können für eine Tätigkeit geeignet sein. Eine erfolgreiche Vermittlung in Arbeit hängt nicht nur von den Bewerbern, sondern auch von der Art der angebotenen Stellen ab. Soweit Sie Einschränkungen hinsichtlich der Arbeitszeit ansprechen, sei darauf hingewiesen, daß der weitaus überwiegende Teil, nämlich 87,5 % der Langzeitarbeitslosen, eine Vollzeitbeschäftigung wünscht. Die Vermittlung in Teilzeitarbeit dürfte daher bei der Inanspruchnahme des Programms keine besondere Rolle spielen. Probleme wegen der Arbeitszeit sind der Bundesanstalt für Arbeit nicht bekannt. Hemmnisse bei der Inanspruchnahme der Beschäftigungshilfen liegen nach bisherigen Beobachtungen vielmehr in einer Zurückhaltung der Arbeitgeber, insbesondere im Bereich größerer Betriebe und des öffentlichen Dienstes. Bundesregierung und Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände haben appelliert, noch 14146* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 mehr Bereitschaft als bisher bei der Einstellung Langzeitarbeitslosen zu zeigen. Eine direkte Einflußnahme auf Entscheidungen der Betriebe über Einstellung oder Nichteinstellung von Bewerbern ist der Bundesregierung nicht möglich. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage der Abgeordneten Frau Hoffmann (Soltau) (CDU/CSU) (Drucksache 11/5951 Frage 72): Wie hoch sind die durch ein mangelndes Wohnungsangebot an den Standorten bedingten Mehraufwendungen des Bundesministers der Verteidigung für Trennungsgeld? Die Ausgaben für Trennungsgeld haben sich vom 1. Januar bis 30. November 1989 gegenüber den Vergleichszahlen des Vorjahres kaum verändert. Sie betragen jeweils etwa 15,5 Millionen DM. Trennungsgeld wird nach einer Versetzung — wie in den Vorjahren — im Schnitt für einen Zeitraum von drei Monaten gezahlt, weil in dieser Frist regelmäßig eine Wohnung — Bundesdarlehenswohnung oder freie Wohnung — gemietet werden kann. Allerdings ist an einigen Standorten die Wohnraumbeschaffung wesentlich schwieriger geworden, insbesondere in München. Dort hat sich vor allem wegen des für Soldaten vielfach unzumutbaren hohen Mietpreisniveaus auch der Bezugszeitraum für Trennungsgeld deutlich verlängert. Deshalb dürften im Raum München 1989 etwa 700 000 DM mehr Trennungsgeld, dafür weniger Umzugskosten gezahlt werden. Eine bessere Versorgung der Bw-Angehörigen mit Wohnungen ist eingeleitet. So ist z. B. der Grundstein für 80 Wohnungen in München gelegt, weitere 50 Wohnungen sind in München geplant. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Lowack (CSU/CSU) (Drucksache 11/5951 Frage 73): Treffen Mitteilungen zu (vgl. Europäische Wehrkunde, Heft Nr. 11/89), daß die Sowjetunion ihre strategischen Kernwaffen modernisiert, und gibt es hierfür von seiten der sowjetischen Führung eine Erklärung? Nach vorliegenden Erkenntnissen wird die Modernisierung bei den sowjetischen land- und seegestützten Interkontinentalsystemen sowie bei den global-strategischen Luftstreitkräften unter Beachtung der SALT-Obergrenzen kontinuierlich fortgesetzt. Von sowjetischer Seite liegen keine Erklärungen zu diesen Modernisierungsmaßnahmen vor. Diese Maßnahmen zielen vermutlich darauf ab, sich auch nach einem möglichen START-Vertrag die Grundoption einer nuklearen Zweitschlagfähigkeit d. h. die nukleare Einwirkungsmöglichkeit auf die USA als Voraussetzung für die Erhaltung des Weltmachtstatus zu bewahren. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache 11/5951 Frage 74): Wie stellt die Bundesregierung sicher, daß auf von der Bundeswehr oder von alliierten Streitkräften militärisch genutzten Geländen die bundesdeutschen Vorschriften zum Schutz von Grund- und Trinkwasser angewendet werden, und werden die Öffentlichkeit und die zuständigen unteren Behörden umfassend von eventuellen Verstößen in Kenntnis gesetzt? Die zum Schutz von Grundwasser und Trinkwasser erlassenen Gesetze und Verordnungen des Bundes und der Länder werden auf dem von der Bundeswehr genutzten Gelände beachtet. Durch Dienst- und Fachaufsicht ist sichergestellt, daß die entsprechenden Anordnungen und Weisungen eingehalten werden. Erkannte Schwachstellen werden sofort beseitigt. Sofern durch ein unvorhersehbares Ereignis eine Beeinträchtigung von Grund- und Trinkwasser zu besorgen ist, werden unverzüglich die zuständigen zivilen Behörden unterrichtet, damit gemeinsam eine Schadensbegrenzung/-behebung vorgenommen werden kann. Die in der Bundesrepublik stationierten alliierten Streitkräfte sind durch das NATO-Truppenstatut gehalten, die Deutschen Gesetze zu beachten. Hierzu zählen auch die normierten Regelungen zum Schutz des Grund- und Trinkwassers, insbesondere das Wasserhaushaltsgesetz, die Wassergesetze der Länder und die auf dieser Grundlage ergangenen Rechtsverordnungen. Der Rechtsvollzug liegt bei den Behörden der Länder. Etwaige Rechtsverstöße werden von den nach Landesrecht zuständigen Behörden aufgegriffen. Bundeswehr und Bundesvermögensverwaltung sind angewiesen, darauf zu achten, daß die alliierten Streitkräfte als Benutzer der ihnen überlassenen Liegenschaften ihrer völkerrechtlichen Pflicht zur Achtung des deutschen Rechts auch nachkommen. Die Bundeswehrverwaltung ist für die von Bundeswehr und NATO, die Bundesvermögensverwaltung für die von den alliierten Streitkräften national genutzten Anlagen zuständig. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) (GRÜNE) (Drucksache 11/5951 Frage 75): Welche Auswirkungen haben die Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministers über geplante Truppenreduzierungen auf die Truppenübungsplätze Grafenwöhr und Hohen- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14147* fels, und bis wann wird auch auf Grund der Lärmbelästigungen und Umweltbelastungen der Übungsumfang auf diesen Plätzen reduziert? Die Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministers über Planungen zur Reduzierung des Verteidigungshaushalts, die auch eine Reduzierung von Streitkräften beinhalten, sind Überlegungen für den Planungszeitraum 1991-1994. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß Reduzierungen vor dem erfolgreichen Abschluß eines Abkommens über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) in Wien, mit dem frühestens in der zweiten Hälfte nächsten Jahres gerechnet werden kann, beabsichtigt sind. Erst danach können Schlußfolgerungen für den Übungsbetrieb der US-Streitkräfte in Europa im allgemeinen und — entsprechend später — speziell bezogen auf den Truppenübungsplatz Grafenwöhr gezogen werden.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118200000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege und Abgeordnete Weirich hat am 5. Dezember 1989 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat Abgeordnete Frau Augustin am 6. Dezember 1989 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die bereits aus der 10. Wahlperiode bekannte Kollegin recht herzlich in unserer Mitte.

(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Austermann, Börnsen (Bönstrup) und Genossen und der Fraktionen der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hitschler, Gattermann, Grünbeck, Zywietz und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz — WoBauErlG) — Drucksache 11/5972 —Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortprogramm für Heroinabhängige — Drucksache 11/5966 —Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers Mr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über die Rauschgiftsituation und die Grundzüge eines Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans und Bericht des Bundesministers der Justiz zur Umsetzung der Drogenkonvention, zur Novellierung der Vorschriften über Verfall und Einziehung und anderer Vorschriften des Strafgesetzbuches sowie zu Maßnahmen zum Aufspüren von Drogengewinnen — Drucksache 11/5525 —
Zugleich soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 20 vorzuziehen. Er soll bereits nach Tagesordnungspunkt 18 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist so. Dann ist es so beschlossen.
Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, zu Punkt 4 der Tagesordnung, Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung, die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD, Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, auf Drucksache 11/5988 in verbundener Debatte vorzusehen. Sind Sie 1 damit einverstanden? — Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Auf der Tribüne hat der Präsident des Parlaments des Königreichs Nepal, Herr Nava Raj Subedi, mit seiner Delegation Platz genommen. Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall)

Ihr Besuch unterstreicht die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten und Völkern. Ich danke Ihnen, daß Sie während Ihres Aufenthalts in unserem Lande auch Berlin einen Besuch abgestattet haben und, wie Sie mir gestern berichteten, unmittelbar einen positiven Eindruck von der außerordentlichen politischen Entwicklung in diesen Wochen im geteilten Deutschland gewinnen konnten und uns in unserer gegenwärtigen Situation unterstützen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Die Bundeswehr in den 90er Jahren
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5974 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1118200100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir in diesen Tagen über die Lage und den Auftrag der Bundeswehr in den 90er Jahren sprechen, so geschieht dies unter dem Vorzeichen des stärksten Umbruchs in der Weltpolitik seit 1945. Europa ist in Bewegung geraten, in Osteuropa führen große freiheitliche Bewegungen zu tiefgreifenden politischen Veränderungen. Es zeigt sich heute, daß die großen Leitlinien unserer westlichen Staatengemeinschaft, freiheitliche Demokratie, Menschenrechte und auch Marktwirtschaft, ihre Gültigkeit bewiesen haben. Sie üben eine sich verstärkende Anziehungskraft auf die Völker Osteuropas aus. Die von vielen bekämpfte Politik der Integration unseres Staates in die Gemeinschaften und in das Bündnis der westlichen Demokra-
13986 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Stoltenberg
tien verfestigte nicht die Teilung unseres Kontinents, sondern ist eine Grundlage zur Renaissance der Demokratieidee in Osteuropa und damit zur friedlichen Überwindung der auf Teilung beruhenden europäischen Nachkriegsordnung geworden. Konrad Adenauers 1961 formulierte Perspektive vom „Haus der Freiheit für alle Europäer" zeigt heute, daß schon damals die europäische Integration, die Gemeinschaft, von Anfang an nicht exklusiv angelegt war. Im Gegenteil, sie verwies auf ein Europa jenseits von Mauer und Stacheldraht

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

und auf die Überwindung der totalitären kommunistischen Systeme.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir erleben es heute: Die Menschen in Osteuropa sind nicht mehr länger gewillt, die Einschränkung ihrer elementaren Rechte und die sehr kritische wirtschaftliche Lage widerspruchslos hinzunehmen. Sozialismus in der östlichen Ausgestaltung ist zu einem abschreckenden Wort geworden. Die Bürger wissen ganz genau, welche staatlichen und wirtschaftlichen Modelle sie nicht mehr haben wollen — im Gegensatz zu manchen hier, die ihre ideologischen Träume noch immer nicht ausgeträumt haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Rückblickend gilt: Standfestigkeit auch in Krisen — und wir haben in den letzten dreißig Jahren Krisen erlebt — , Augenmaß, die Sicherheits- und Außenpolitik des westlichen Bündnisses haben die derzeitigen Veränderungen und die Selbstwiderlegung des Kommunismus maßgeblich gefördert. Die Demokratie ist nicht, wie Jean François Revel noch 1983 schrieb, „in der Geschichte nur ein Zwischenspiel, eine kurze Episode", gewesen, unfähig, sich ihrer Gegner zu erwehren. Die Demokratie übt eine wachsende Anziehungskraft aus, und ihr gehört die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Berechtigung unseres Widerstandes und die militärischen Vorkehrungen gegen die expansive Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik unter Stalin, Chruschtschow und Breschnew werden heute von der sowjetischen Führung selbst ausdrücklich bestätigt. Diese notwendigen Maßnahmen waren häufig umstritten, auch innenpolitisch, gerade auch in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratischen Partei über eine lange Wegstrecke.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich erinnere nur an die Diskussion um den von dieser Koalition durchgesetzten Doppelbeschluß, die Stationierung von Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Als ein wesentlicher Faktor zur Stabilität diente und dient unser deutscher Verteidigungsbeitrag im Bündnis. Deshalb hat die westliche Sicherheitspolitik, deshalb haben die Soldaten unserer Bundeswehr maßgeblichen Anteil an den weltpolitischen Wandlungen und an der Bereitschaft des Ostens zur Abrüstung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Standfestigkeit hat sich ausgezahlt. Gerade auf dem Feld der Rüstungskontrolle bringen wir jetzt die Ernte ein, die das westliche Bündnis mit seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik in vier Jahrzehnten politischer Solidarität gesät hat.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Jahrelang galt es in manchen Kreisen, vor allem auch in der Sozialdemokratie,

(Zuruf von der SPD: Ach!)

als fortschrittlich, unsere Warnungen bezüglich der massiven sowjetischen Überrüstung als unbegründete Schwarzmalerei abzutun. Die Zeit reicht nicht aus, meine Damen und Herren, der SPD diese schriftlichen Zeugnisse ihres Irrtums hier im einzelnen vorzutragen.

(Zurufe von der SPD)

Im Gegensatz zu ihren Behauptungen vor wenigen Jahren gesteht die sowjetische Führung heute selbst ein, daß sie eine massive militärische Überlegenheit in Europa aufgebaut hat.

(Zuruf von der SPD: Bundeswehrplanung! — Bohl [CDU/CSU]: Freiheit statt Sozialismus!)

Darüber hinaus war und ist unser fester Wille zur Selbstbehauptung und Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung ein stetiges und ermutigendes Signal für die Staaten Osteuropas und ganz besonders für unsere Landsleute in der DDR. Die NATO und die Bundeswehr haben seit ihrer Gründung niemanden bedroht. Sie waren und sie sind Grundlage für den Aufbau einer stabilen dauerhaften und gerechteren Friedensordnung in Europa.
In einer Zeit der weltpolitischen Veränderungen und des Umbruchs ist es jedoch natürlich, daß vermehrt Fragen nach dem Auftrag und der Zukunft unserer Streitkräfte gestellt werden. Weniger sind es Fragen nach der Existenz der Bundeswehr als solcher und ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation; denn unverändert drückt sich in unseren Streitkräften der grundgesetzlich verankerte Wille aus, unser Selbstbestimmungsrecht, unsere freiheitliche Ordnung,

(Horn [SPD]: So ist es!)

Grund- und Menschenrechte gegen jeden Druck von außen und die Anwendung von Gewalt zu wahren. Weiterhin können wir dies nur im Bündnis leisten. Es geht heute aber um die Aufgabe, Auftrag, Umfang und Rolle der Bundeswehr in einem sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfeld neu zu formulieren.
In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik Deutschland mit der Bundeswehr einen entscheidenden Beitrag im Bündnis zur Sicherung von Freiheit und Stabilität geleistet und damit für die längste Friedensperiode der neueren europäischen Geschichte mitverantwortlich gezeichnet. In der Gegenwart ist die Bundeswehr gemeinsam mit den Armeen unserer Bündnispartner eine wichtige Voraussetzung für die angestrebte Dauerhaftigkeit der gesamteuropäischen Veränderungen. Für die Zukunft bleibt die Bundeswehr eine Garantie und Rückversicherung gegen unkalkulierbare Risiken und so ein wichtiges Fundament unserer Politik zur friedlichen Neugestaltung
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 13987
Bundesminister Dr. Stoltenberg
Europas, zur Überwindung der Teilung unseres Kontinents.
Wir sind hier entscheidende Schritte vorangekommen, aber noch ist das Ziel nicht erreicht. Eine intakte Bundeswehr in einem intakten Bündnis verhindert nicht die Neugestaltung Europas, sondern fördert sie;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

denn ohne Stabilität und ohne Berechenbarkeit kann die neue Sicherheitsarchitektur Europas nicht verwirklicht werden.
Die Chancen zu nutzen und überkommene oder neue Risiken einzubeziehen, ist die Aufgabe der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gestaltungskraft und Wachsamkeit sind dabei gleichermaßen erforderlich.
Wir begrüßen die in Osteuropa eingeleiteten Veränderungsprozesse ganz entschieden. Wir wünschen die volle Verwirklichung der östlichen Reformen. Wir sind — das ist immer wieder deutlich geworden — zur Zusammenarbeit und Unterstützung der reformfreudigen Staaten Osteuropas bereit. Es wäre fatal, wenn wir die historische Chance für einen grundlegenden Ausgleich in Europa, für Freiheit, Menschenrechte und menschenwürdige Lebensverhältnisse nicht nutzen würden.
In diesem Sinne haben die Staats- und Regierungschefs der NATO auf ihrem Gipfeltreffen vom Mai nicht nur unsere Politik für Stabilität und Sicherheit bekräftigt, sondern ebenso gestalterisch auf echte Entspannung und Überwindung der Teilung unseres Kontinents hingewirkt. Wir haben in Fortsetzung des Harmel-Berichts mit dem Gesamtkonzept einen Rahmen für eine europäische Ordnung des Wandels in Stabilität geliefert.
Das Gipfeltreffen von Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow am Wochenende in Malta hat diese Politik bekräftigt und ihr neue Impulse verliehen.
Heute gilt es, diesen Rahmen mit konkreten politischen Inhalten und Zielsetzung zu füllen. Das gilt auch im Blick auf die Situation in Deutschland, ausgehend von unserem Ziel, die Teilung unseres Vaterlandes Schritt für Schritt in einem gesamteuropäischen Prozeß zu überwinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sollte sich in der DDR nach freien Wahlen eine demokratisch legitimierte Regierung bilden, so kann der Bereich der Verteidigungspolitik nicht aus dem intensiveren deutsch-deutschen Dialog ausgeschlossen werden.

(Horn [SPD]: Aha!)

Im Rahmen der bestehenden Bündnisse sind wir zu einer umfassenderen Diskussion über sicherheitspolitische Fragen bereit.
Es wäre aber verhängnisvoll, Bündnis und Bundeswehr als Schlüsselelemente zum Frieden in Frage zu stellen. Noch bestehen weithin in Osteuropa alte politische und wirtschaftliche Strukturen, ideologische Widersprüche und auch entgegengesetzte
Machtinteressen fort. Noch bestehen — so sagten es die Regierungschefs im Frühjahr; ich zitiere —
ernsthafte Besorgnisse. Es wird viele Jahre dauern, bis das ehrgeizige sowjetische Reformprogramm, daß die Bündnispartner begrüßen, abgeschlossen ist. Angesichts des Ausmaßes der Probleme, mit denen dieses Programm konfrontiert ist, und des durch das Programm hervorgerufenen Widerstandes kann sein Erfolg nicht als selbstverständlich angesehen werden.
Meine Damen und Herren, Gorbatschow selbst sprach vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der wachsenden inneren Spannungen in seinem Land vor wenigen Wochen von dem „Damoklesschwert", das über der Perestroika hinge.
In dieser und vielen anderen Äußerungen der sowjetischen Führung kommt das aktuelle, beträchtliche Risiko für die Entwicklungen in Osteuropa klar zum Ausdruck: Die politische Öffnung und Umgestaltung zu freiheitlichen Systemen könnte durch die Entwicklung verschärfter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Krisen in Frage gestellt werden. Auch deshalb ist die verstärkte Zusammenarbeit von Ost und West jetzt vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaft von so großer Bedeutung. Deshalb muß aber auch unsere Politik neben dem Willen zum Wandel einen Kurs des politischen Realismus steuern, der zwischen Illusionen und überzogenem Mißtrauen hindurchführt. Wir wollen die Chancen nutzen, ohne die Risiken zu vernachlässigen.
Darauf hat übrigens auch unser Bundespräsident am 17. Oktober deutlich hingewiesen. Ich zitiere:
Wir dürfen nicht unter dem visionären Einfluß einer erhofften Friedensordnung die unbequemen Anstrengungen unterlassen, die wir brauchen, um gewaltsame Übergriffe oder erpresserische Einflüsse heute und morgen zu verhindern.
Dies bleibt von Bedeutung — dies darf niemand vergessen — auch mit Blick auf Rüstungskontrolle und Streitkräftefragen. Was Sie, meine Damen und Herren der SPD, in den letzten Tagen zur künftigen Struktur, zum künftigen Umfang der Bundeswehr und zu ihrer Rolle gesagt haben, knüpft an die alten Illusionen an, die Sie in den letzten Jahren verbreitet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jahn [Marburg] [SPD]: Was hat das mit der Regierungserklärung zu tun? — Weitere Zurufe von der SPD)

Wir wissen, daß eine verantwortungsbewußte Sicherheitspolitik weiterhin auf militärische Vorsorgemaßnahmen zur Kriegsverhinderung und Konflikteindämmung angewiesen ist. Sicherheitspolitik ist immer auch Verteidigungspolitik; beides gehört untrennbar zusammen. Wir dürfen niemals vergessen, daß eine neue europäische Ordnung nur möglich ist auf der Grundlage weiterhin gesicherter Verteidigungsfähigkeit in einem handlungsfähigen Bündnis.
Meine Damen und Herren, es macht deshalb auch keinen Sinn, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Vogel, jetzt von der angeblich bevorstehen-
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
den Auflösung der Atlantischen Allianz redet. Wir brauchen sie langfristig, wir brauchen sie auch in Zukunft. Vorstellbar ist natürlich, daß sie ihre Strukturen grundlegend verändert,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Na also!)

daß sie das Gewicht ihrer Aufgaben neu bestimmt. Ohne das vertraglich gesicherte enge Zusammenwirken zwischen den Demokratien Westeuropas und Nordamerikas können wir aber die großen Herausforderungen und Aufgaben der Weltpolitik und übrigens auch der Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten überhaupt nicht meistern. Das gilt für die Sicherheit eines neu gestalteten Europas ebenso wie für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Osteuropa. Das gilt für den KSZE-Prozeß wie für die Partnerschaft mit den unterentwickelten Ländern, den von Krisen geschüttelten Ländern der Dritten und Vierten Welt. Es gilt für neue Bedrohungen wie etwa den internationalen Drogenhandel und neue globale Aufgaben der Umweltpolitik. Wer anders als die dynamischen Demokratien des Westens, Westeuropas und Nordamerikas, soll denn eine gemeinsame, besondere Verantwortung für diese Zukunftsaufgaben übernehmen?
Verteidigungspolitisch gibt es in der vor uns liegenden Zeit keine Alternative zur integrierten Bündnisstruktur auch mit einer weiterhin beträchtlichen Präsenz amerikanischer Verbände in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gerster [Worms] [SPD]: Hoffentlich wissen das auch die Amerikaner!)

Gewaltandrohung und kriegerische Auseinandersetzungen sind keine akute Gefahr; aber sie können nicht grundsätzlich und für alle Zukunft ausgeschlossen werden. Es wäre daher unaufrichtig, unseren Bürgern eine ideale oder konfliktfreie politische Welt von morgen zu versprechen. Auch eine europäische Friedensordnung kann kein Machtvakuum sein. Wir haben zu berücksichtigen, daß die Sowjetunion nach ihren eigenen Erklärungen weiterhin europäische Großmacht und Weltmacht sein will.
Die von uns mit aller Kraft angestrebte bessere Welt von morgen bedeutet also nicht, daß der Faktor und vor allem die Möglichkeit des negativen Gebrauchs von Macht gleichsam aus der internationalen Politik verschwindet. Der große Theologe Reinhold Niebuhr hat diese Realität deutlich beschrieben, als er formulierte :
Politik wird bis ans Ende der Geschichte ein Gebiet sein, in welchem Bewußtsein und Macht einander begegnen, wo sich die ethischen und Zwangsfaktoren des menschlichen Lebens gegenseitig durchdringen und unbeständige und unsichere Kompromisse hervorbringen.
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß eine verantwortungsbewußte Sicherheitspolitik nicht ohne Mittel zur Verhinderung von Machtmißbrauch auskommt. Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt hat es im Vorwort zum Weißbuch 1970 folgendermaßen beschrieben — ich glaube, das ist auch heute richtig —:
Der Frieden wird niemandem geschenkt. In der Welt, in der wir leben, reicht der Wille zum Frieden allein nicht aus. Nur wenn wir bereit und in der Lage sind, für seine Bewahrung einzutreten, können unsere Kinder in eine bessere Welt hineinwachsen.
Das findet sich ja im Grunde in der Kontinuität der Grundprobleme auch in der erwähnten NATO-Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom Mai dieses Jahres. „Die Erfahrung lehrt, daß wir wachsam bleiben müssen" , ist der Kernsatz. In diesem Sinne ist die Bundeswehr ein defensives Mittel zur Kriegsverhinderung einer demokratisch legitimierten und ethisch verantwortbaren Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr dient damit sowohl unserer internationalen Bündnisfähigkeit als auch unserer nationalen Politikfähigkeit zur selbstbestimmten Ausgestaltung unserer auswärtigen Beziehungen.
Wir wissen, daß der Soldatendienst ganz besondere Anforderungen an die Menschen stellt. Unsere Soldaten sind dem Spannungsverhältnis ausgesetzt, den Ernstfall üben zu müssen, um den Ernstfall zu verhindern. Die Lösung liegt im sittlichen und verfassungsrechtlich legitimierten Wert der Verteidigung. Es ist hierbei die Aufgabe aller Staatsbürger, insbesondere aber der verantwortlichen Politiker aller demokratischen Parteien und der gesellschaftlichen Gruppen, immer wieder deutlich zu machen, daß der soldatische Dienst in unserem Staat durch den höheren Zweck, durch Würde und Ethos unserer Demokratie gerechtfertigt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Georg Leber hat dies vor kurzem, auch in manchen Turbulenzen um das Frankfurter Urteil und anderes, deutlich ausgesprochen. Ich zitiere:
Der freiheitlich verfaßte Rechtsstaat kann nicht von Bestand sein, wenn das Recht, das er sich gibt, nicht geachtet oder umgangen wird und wenn Freiheit nicht auch als sittliche Pflicht des Bürgers aufgefaßt wird, sich schützend vor den Staat zu stellen, vor einen Staat, in dem man in Freiheit und in seiner Menschenwürde geachtet leben kann.
Meine Damen und Herren, der Staat, der für Menschenwürde und für freiheitliche Lebensordnung verantwortlich ist, ist ja kein abstraktes Gebilde, keine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern das sind wir, das ist die Gemeinschaft unserer Bürger. Wir alle müssen unseren Beitrag dazu leisten, daß er erhalten bleibt, daß bleibt, was unser Leben lebenswert macht. Freiheit erhält sich nicht von selbst.
Dies verkörpert sich vor allem auch in unserer Bundeswehr. Es findet seinen angemessenen Ausdruck in der allgemeinen Wehrpflicht, die wir weiterhin brauchen. Vor allem die Demokratie ist darauf angewiesen, daß ihre Bürger die Anerkennung der grundgesetzlichen Pflichten nicht als beliebige Rechtspflicht, sondern als eine anzuerkennende Leistung, als Bürgertugend erbringen.
So gilt die verfassungsrechtliche und ethische Legitimation unserer Streitkräfte unverändert. Ihre Rolle für unsere Sicherheitspolitik in einem sich wandelnden Umfeld ist eindeutig. Allerdings werden die
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
Streitkräfte, die diesen Auftrag ausführen, sich auch verändern.
Die Entwicklung beim Personal und die Begrenzung unserer Ressourcen machen eine Veränderung der Bundeswehr und ihres Friedensumfangs erforderlich.

(Gerster [Worms] [SPD]: Jetzt kommen Sie zum Thema!)

— Nein, Sie haben es überhaupt nicht begriffen, Herr Kollege Gerster. Es geht hier einmal um eine grundsätzliche Darstellung,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

was die Bundeswehr auf dem Hintergrund der Sicherheitspolitik leistet. Es geht nicht um die Zahlenspielereien, die Sie pausenlos betreiben, nämlich von 250 000 rauf und runter. Es geht wirklich darum, daß wir die konkrete Bundeswehrplanung in einen außen-und sicherheitspolitischen und auch in einen staatspolitischen Zusammenhang stellen. Das habe ich heute hier ansprechen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor dem Hintergrund absehbarer Fortschritte im Bereich der Rüstungskontrolle und Veränderungen der gesamtpolitischen Lage lassen sich die jetzt beschlossenen Maßnahmen verantworten. Wir werden in Zukunft eine Bundeswehr haben, die den Veränderungen im West-Ost-Verhältnis entspricht und auch auf weitere Fortschritte in der Rüstungskontrolle flexibel reagieren kann. Diese Bundeswehr wird zugleich unserer demographischen Entwicklung, dem Verteidigungsauftrag und den Bündnisverpflichtungen angemessen sein.
Die Strukturplanung der Streitkräfte beruhte bis gestern auf einem Beschluß des Bundeskabinetts vom 17. Oktober 1984, der noch in einer ganz anderen politischen Lage gefaßt wurde. Die Aussichten, in absehbarer Zeit bei Rüstungskontrollverhandlungen zu Erfolgen zu kommen, waren damals mehr als zweifelhaft. Die Sowjetunion verfolgte eine politisch und militärisch offensive Außenpolitik. Die Schlagkraft ihrer Streitkräfte wurde kontinuierlich verbessert. In dieser Situation war es geboten, alles zu tun, um die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Die im Frühjahr dieses Jahres begonnenen Verhandlungen in Wien über konventionelle Abrüstung in Europa haben in acht Monaten eine bemerkenswerte Dynamik und auch beachtliche Fortschritte gebracht. Wir halten einen Vertragsabschluß im nächsten Jahr für wahrscheinlich, wenn auch noch eine Reihe recht schwieriger Einzelfragen zwischen West und Ost geklärt werden müssen. Der Malta-Gipfel vom Wochenende hat die Entschlossenheit der USA und der Sowjetunion verdeutlicht, einen Vertragsabschluß zu erreichen. Auch die Gespräche zur Halbierung der Zahlen der Interkontinentalraketen und die weltweite Beseitigung und Ächtung der chemischen Waffen zu beschleunigen, ist ein Erfolg dieser Politik. Das ist auch eine Leistung des Friedensdienstes unserer Streitkräfte. Ich sage unseren Soldaten und den Soldaten unserer Verbündeten hierfür ausdrücklich Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Frühjahr dieses Jahres habe ich nach einer ersten Bestandsaufnahme eine grundlegende Fortschreibung der Bundeswehrplanung hier im Deutschen Bundestag angekündigt. Ausschlaggebend war, daß wir eine Neubewertung der Ressourcen, vor allem im Personalbereich, vorzunehmen hatten. Das Personalaufkommen wird längerfristig unter den 1984 angenommenen Größenordnungen liegen.

(Gerster [Worms] [SPD]: Was heißt das?)

Das gilt vor allem für den Bereich der Grundwehrdienstleistenden. Zwar ist die Personallage heute noch zufriedenstellend, aber insbesondere auf Grund der demographischen Entwicklung ist für den langfristigen Zeitraum eine Korrektur notwendig. Auch die Entwicklung des Verteidigungshaushalts hat Konsequenzen für eine neue Planung. Wir müssen mehr Mittel, als 1984 unterstellt, für den Personalbereich und hier vor allem für die Zeit- und die Berufssoldaten ausgeben. Der sehr erfreuliche Anstieg der Beschäftigtenzahlen in unserer Volkswirtschaft, vor allem seit Anfang letzten Jahres, hat den Wettbewerb um tüchtige junge Männer verstärkt. Er macht zusätzliche attraktivitätssteigernde Maßnahmen für den Bereich der Bundeswehr erforderlich, die Geld kosten.

(Gerster [Worms] [SPD]: Nur der Wettbewerb?)

Aber auch im Entwicklungs- und Beschaffungsbereich sind bei einigen Projekten die Kosten teilweise stärker angestiegen, als ursprünglich geplant. Die neue große Aufgabe nach einem Vertragsabschluß in Wien, die Verifikation der Vereinbarungen, wird viele Soldaten in Anspruch nehmen und auch Geld kosten.
Vor diesem Hintergrund ist unser neues Konzept zu sehen. Nach mehrmonatiger sorgfältiger Untersuchung durch den Generalinspekteur, die Führungsstäbe und die zuständigen leitenden Beamten habe ich dem Kabinett die Planung vorgelegt, die gestern Zustimmung fand.
Der Friedensumfang der Bundeswehr soll 1995 470 000 Soldaten betragen. Wir sehen in dieser Planung 420 000 aktive Soldaten vor, 10 000 Reservisten üben ständig bei der Truppe. Die sehr kurzfristig einzuberufende Verfügungsbereitschaft wird von bisher knapp 30 000 auf 40 000 erhöht.
Bei einem von uns erwarteten erfolgreichen Abschluß der Wiener VKSE-Verhandlung werden wir die vorgesehene Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate aufheben und 15 Monate über 1992 hinaus beibehalten.

(Gerster [Worms] [SPD]: Was soll denn das?)

— Was das soll? Das ist, glaube ich, eine richtige Weichenstellung, Herr Kollege Gerster.

(Gerster [Worms] [SPD]: Sie wissen doch genau, was kommt!)

— Nein. Wir sind keine Propheten. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Weil Sie beanspruchen, Pro-
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
pheten zu sein, sind Sie ständig falsche Propheten. Das ist Ihr Problem, nicht unseres.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Wir rechnen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit. Aber erst wollen wir die Verträge haben — auch das ist klar —, ehe wir fest darauf bauen können.

(Gerster [Worms] [SPD]: Es ist zu klein! Das wissen Sie jetzt schon!)

Wenn eine solche Vereinbarung vorliegt, ist zu entscheiden, in welchem Umfang eine begrenzte Korrektur des Personalumfangs bis zu einer Größenordnung von 400 000 aktiven Soldaten möglich ist. Das hätte dann entsprechende Auswirkungen auf den Friedensumfang der Streitkräfte. In Verbindung mit der längerfristigen Entwicklung der West-Ost-Beziehungen und den Ergebnissen der von uns angestrebten Folgeverhandlungen nach VKSE I, also dem ersten Vertragsabschluß in Wien, ist zu entscheiden, ob eine weitergehende Verringerung des Friedensumfangs der Bundeswehr erfolgen kann.
Die Verringerung der Zahl der Soldaten erfolgt im wesentlichen bei den Grundwehrdienstleistenden. Bei den Berufs- und Zeitsoldaten sind nur geringfügige Veränderungen gegenüber den bisherigen Planungszielen vorgesehen. So wird die Zahl der Berufsoffiziere und Unteroffiziere lediglich von knapp 96 000 auf 92 500 zurückgehen, die der Soldaten auf Zeit von 158 000 auf knapp 148 000 einschließlich 6 600 Stellen für Frauen im Sanitätsdienst und zivilen Mitarbeitern auf Wechselstellen.
Ich hebe das hervor. Wir sind weiterhin darauf angewiesen, daß jedes Jahr viele Tausende, ja Zehntausende vor allem tüchtiger junger Männer bereit sind, ihren Berufsweg ganz oder für eine lange Zeit mit der Bundeswehr zu verbinden. Wir brauchen sie weiterhin, und sie haben bei der jetzt vorgelegten Planung auch in Zukunft gute Chancen für eine wichtige, eine interessante und erfüllte berufliche Aufgabe. Eine der unerwünschten Nebenwirkungen der Zahlenspiele der SPD ist nämlich, daß sie uns in der Gewinnung des notwendigen Nachwuchses schaden können. Deswegen ist es wichtig, daß das Kabinett gestern klar und eindeutig entschieden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Sind wir schuld?)

Die Aufgabe lautet, junge und leistungsbereite Menschen auszubilden, zu erziehen, zu führen und für ihren Dienst zu motivieren. Es kommt heute in der Bundeswehr besonders auf eine durchdacht geplante und zielgerichtete Ausbildung an, die die Bereitschaft zur Leistung und zur Mitarbeit fördert. Deswegen werden sich die Anstrengungen der Streitkräfte vor allem auch auf stete Verbesserung der Ausbildungsbedingungen konzentrieren.
Menschenführung und Ausbildung sind die wichtigsten Aufgaben, die den Kommandeuren und Einheitsführern, den Offizieren und Unteroffizieren aufgetragen sind. Die Kommandeure und Einheitsführer tragen die Gesamtverantwortung für die Einsatzbereitschaft ihrer Verbände und Einheiten, für das Klima dort und damit für die Soldaten, die ihnen anvertraut sind. Die Unteroffiziere sind die wesentlichen Träger der Ausbildung. Wir müssen sie für diese wichtige Aufgabe bestmöglich vorbereiten. Sie widmen sich im Alltag des Dienstes mit großem persönlichen Einsatz dieser Aufgabe.
Aber die Anforderungen sind größer geworden. Deshalb geht es besonders um die Verbesserung der Ausbildung der Ausbilder. Ihr Rüstzeug für die schwierige Aufgabe der Menschenführung muß weiterentwickelt werden. Deswegen haben wir für alle Teilstreitkräfte die Unteroffiziersschulen eingeführt. Die Ausbilder brauchen auch genügend Zeit, um die ihnen anvertrauten Wehrpflichtigen gut auszubilden. Sie müssen sich um den einzelnen intensiver kümmern können. Das wollen wir durch eine Erhöhung der Führerdichte und eine Verbesserung der Lebensfähigkeit in den Einheiten in einer veränderten Struktur erreichen. Das gilt auch für Reservisten, die Vorgesetzte sind. Sie müssen für ihre zunehmend wichtiger werdende Ausbildungs- und Führungsaufgabe besonders gefördert werden.
Unsere fast 150 000 Unteroffiziere sind heute für die Einsatzbereitschaft der Truppe noch wichtiger als früher. Früher waren sie nur Gehilfen der Offiziere. Heute sind sie selbstverantwortliche Führer und Fachmänner. Viele Unteroffiziere nehmen heute Aufgaben wahr, die früher nur von Offizieren erfüllt wurden. Bei den Kampftruppen des Heeres beispielsweise sind zwei Drittel der Zugführer Unteroffiziere. Die Lösung technischer Spezialaufgaben ist geradezu eine Domäne der Unteroffiziere. Sie garantieren mit ihren Fachkenntnissen die Einsatzbereitschaft der technischen Systeme und tragen entscheidend zur Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bei.
Im täglichen Dienst sind die Unteroffiziere die wichtigsten Bezugspersonen für die jungen Soldaten und die Wehrübenden. In ihrer Verantwortung liegt in erster Linie die Aufgabe, den Dienst abwechslungsreich und fordernd zu gestalten. Sie bestimmen entscheidend das Vertrauensverhältnis zwischen Führern und Geführten. Sie gestalten das Klima in der Truppe, das die entscheidende Bedingung für die Dienstzufriedenheit unserer Soldaten ist.
Es ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe, selbstbewußte junge Bürger in Uniform zu führen. Sie fordert den Einsatz der gesamten Persönlichkeit der militärischen Führer. Der militärische Führer braucht persönliche Glaubwürdigkeit und Menschenkenntnis, Überzeugungskraft und Geduld und nicht zuletzt erhebliche Fachkenntnisse.
Wir werden, wie gesagt, dafür sorgen, daß vor allem die Unteroffiziere künftig noch besser ausgebildet werden, damit sie den berechtigten Erwartungen und Ansprüchen von Saldaten im Grundwehrdienst und von Reservisten noch mehr entsprechen können. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, wenn wir über bestimmte gesetzliche Maßnahmen und Haushaltsgestaltung sprechen, gerade in diesen Punkten um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit der Verringerung des aktiven Umfangs wird in allen Teilstreitkräften eine Verringerung der Zahl der Verbände einhergehen. Das steht im Einklang mit
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
unserer Erwartung, daß es in Wien insbesondere zu einer Reduzierung bei bestimmten Hauptwaffensystemen der Land- und Luftstreitkräfte kommen wird.
Das Heer wird die Heeresstruktur 2000 weiterentwickeln, zwölf Divisionen beibehalten, jedoch weniger Verbände haben und das Schwergewicht noch mehr auf defensive Sperrfähigkeit legen. Die Großverbände und Verbände werden darüber hinaus hinsichtlich ihrer Ausstattung und Präsenz stärker differenziert sein, als dies bisher beabsichtigt war. Der Umfang der Kaderung nimmt in vielen Verbänden zu. Die Luftwaffe wird bei ihren Planungen noch stärker die Luftverteidigung berücksichtigen. Die Marine schließlich wird die Zahl ihrer schwimmenden Einheiten langfristig deutlich verringern müssen, dabei aber über modernere Schiffe verfügen, die die Ausgewogenheit ihrer Fähigkeiten vor allem im Nordflankenraum erhalten.
Nachdem wir durch unsere Bundeswehrplanung für die 90er Jahre neue Eckdaten geschaffen haben, können wir nunmehr mit genaueren Untersuchungen und der Umsetzung beginnen. Wir tun das gemeinsam und in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten. Zwar ist bis 1996, wenn die neuen Strukturen im wesentlichen eingenommen sein sollen, noch Zeit. Aber die planerischen Vorarbeiten, Erprobungen sowie die Vorbereitung und Durchführung der Umgliederungen nehmen diese Zeit auch voll in Anspruch.
Es wird um Umstellungen in einer Größenordnung gehen, wie sie bisher in der Geschichte der Bundeswehr einmalig sind. Das bedeutet ja in der Tat, daß wir gegenüber der Situation jetzt in der zweiten Hälfte der 90er Jahre 70 000, möglicherweise 90 000 aktive Soldaten weniger haben werden als in der aktuellen Momentaufnahme. Ich sage das zu allen denen, die nachher erklären werden, das sei alles ängstlich und zögerlich. Ich kann das nur als einen Ausdruck des mangelnden Verständnisses für die Tiefe der Eingriffe und die damit auch verbundenen politischen und menschlichen Probleme verstehen, wenn Sie so daherreden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird sich auch nicht vermeiden lassen, daß militärische Einrichtungen an heutigen Standorten der Bundeswehr anders belegt, verkleinert und in manchen Fällen ganz aufgegeben werden. Die Planungsentscheidungen sind auch deshalb jetzt notwendig, damit dies ohne extremen Zeitdruck in einer für die Betroffenen zumutbaren und sozial verträglichen Form umgesetzt werden kann.
Nach dem gestrigen Kabinettsbeschluß und der heutigen Debatte werden wir eine Reihe von Folge-und Einzeluntersuchungen einleiten. Dazu gehören insbesondere die Auswirkungen auf die Bundeswehrverwaltungen mit ihren rund 200 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern. Auch hier sind besonders die sozialen Auswirkungen zu beachten. Wir brauchen eine lange Zeit, um diese Umstrukturierungen vorzunehmen.
Zwischen den Koalitionsfraktionen und mir besteht Einvernehmen, daß wir für mehrere langfristige Fragestellungen eine unabhängige Kommission berufen wollen, die vor dem Hintergrund der neuen Bundeswehrplanung wichtige Aufgaben untersuchen wird. Wir haben übrigens vor sechs Wochen mit den Gesprächen darüber begonnen — um einigen Legenden, die ich in der Presse lese, hier kurz zu begegnen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß unterstreichen: Der Schutz des Friedens und unserer demokratischen Verfassung, die Bewahrung unserer politischen Handlungsfreiheit bleiben grundlegende Aufgaben für uns alle. Unsere Soldaten brauchen eine Öffentlichkeit, die deutlich macht, daß sie ihren Dienst für diese Aufgabe nicht nur will und anerkennt, sondern daß sie auch bestimmte Belastungen, die mit dem Dienst verbunden sind, mitträgt. Hier ist jeder Bürger gefordert. Unsere Soldaten erwarten zu Recht uneingeschränkte Solidarität und auch Unterstützung zur Erfüllung ihres Dienstes.
Dies gilt vor allem jetzt, in einer Zeit, in der auf die Streitkräfte und damit auf jeden Soldaten Änderungen und Umstellungen zukommen, die eigentlich nur mit der Aufbauphase der Bundeswehr vergleichbar sind. Die Aufgaben und Herausforderungen sind nicht alleine durch die Soldaten und zivilen Mitarbeiter zu lösen. Es sind Herausforderungen an uns alle, an die Bürger unseres Landes. Wir können sie nur gemeinsam meistern, indem wir zu unseren Streitkräften stehen, ihnen Hilfe und Rückhalt geben. In diesem Sinne trägt jeder in diesem Hohen Haus und jeder Bürger eine ganz besondere Verantwortung für die Bundeswehr, für die äußere Sicherheit, den Schutz und den Fortbestand unserer freiheitlichen Demokratie.
Ich bitte Sie alle — bei allem, was uns trennt — : Lassen Sie uns diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118200200
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1118200300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig, Herr Minister: Die Soldaten der Bundeswehr bedürfen der Solidarität. Sie bedürfen aber vor allen Dingen der klaren politischen Führung. An ihr mangelt es; sie fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Der Vergleich zwischen dem ersten Bundeswehrplan vor fünf Jahren und seiner hektischen Verabschiedung durch die Koalitionsmehrheit im Verteidigungsausschuß und der jetzigen Vorlage zeigt: Die parlamentarische Situation hat sich doch schon grundlegend geändert. Der Parteivorsitzende der FDP, Graf Lambsdorff — er ist heute leider nicht da —, erinnerte in einer Pressekonferenz in Bonn daran, daß der Kleine Parteitag der FDP am letzten Samstag beschlossen habe, die FDP solle sich zunächst auf keine Zahlen festlegen. Er sagte, es sei durchaus erwägenswert, die künftige Truppenstärke der Bundeswehr jetzt noch nicht festzulegen, weil man sonst in wenigen Wochen oder Monaten vor der Notwendigkeit stehe, sie wieder revidieren zu müssen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

13992 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Horn
Es gebe zu dem Konzept Stoltenbergs „noch erheblichen Erörterungsbedarf" . Der Vorsitzende der FDP riet, den für Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluß über die Bundeswehr zu verschieben.
Der Kabinettskollege Dr. Stoltenbergs, Bundesminister Möllemann, forderte sogar, die Stärke der Streitkräfte von 495 000 auf 350 000 und die Wehrdienstzeit von 15 Monaten auf 12 Monate zu reduzieren.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

Wenn die Presse es richtig wiedergegeben hat, hat sogar der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Dregger, davor gewarnt, absolute Zahlen als Richtmaß vorzugeben, weil sie in dieser Zeit des dramatischen Wandels schnell überholt seien.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Es könnte zwar reizvoll sein, den Kompetenzstreit zwischen dem Kollegen Ronneburger und seinem langjährigen Vorgänger als Obmann der FDP im Verteidigungsausschuß, Möllemann, weiter auszumalen.

(Rühe [CDU/CSU]: Das ist nicht so wichtig!)

Es wäre auch reizvoll, die dreitägige Metamorphose der FDP von den Parteitagslöwen zu den parlamentarischen Mickymäusen darzustellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Ronneburger [FDP]: Wie lange haben Sie darüber nachgedacht? — Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Doch das Thema ist zu ernst; denn es geht nicht nur um abstrakte Reduzierungen und Strukturen, sondern um die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und ganz besonders um die betroffenen Menschen.
Fünf Jahre, die Sie als Planungszeit hätten nutzen können, haben Sie verschludert und verplempert.

(Beifall bei der SPD)

Fünf Jahre lang wurde eine Fiktion aufrechterhalten, den Verbündeten, der Bevölkerung und den Soldaten der Bundeswehr eine nicht realisierbare Planung vorgelegt und konzeptionslos weitergewurstelt. Die Schuld daran trifft weder die Soldaten noch die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr. Sie geht ausschließlich auf das Konto einer Bundesregierung, die den Menschen als Manipulationsmasse behandelt.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch von der CDU/CSU)

Gerade wir als Politiker bestehen immer wieder auf dem Primat der Politik. Hier fehlten die angemessenen politischen Vorgaben. Die Soldaten, auch die Planer im Bundesministerium der Verteidigung, sind nicht die Täter, sie sind die Opfer einer verfehlten Politik.

(Widerspruch von der CDU/CSU)

Auch hier bin ich bereit zu differenzieren; denn der jetzige Bundesminister der Verteidigung hat diese Erblast von seinen Vorgängern übernommen. Vor allem der gegenwärtige Generalsekretär der NATO, der frühere Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Wörner, hat seinen Nachfolgern eine katastrophale Erbschaft hinterlassen.

(Beifall bei der SPD)

Versagt hat allerdings auch die Koalition im Verteidigungsausschuß und im Parlament.

(Beifall bei der SPD)

Aber auch der Minister Stoltenberg reagiert mit seiner Vorlage lediglich auf interne Zwänge, die sich auch ohne die Veränderung der außenpolitischen Rahmendaten ergeben hätten.
Eine Reduzierung der Bundeswehr um 20 Prozent ihres Personalbestandes in nur wenigen Jahren wirft schwerwiegende Fragen auf, die von der Bundeswehr nicht beantwortet werden. Die Bundeswehrplanung kommt verspätet. Nun muß sie überhastet vollzogen werden. Sie wird deshalb auf dem Rücken der betroffenen Soldaten und der zivilen Mitarbeiter ausgetragen.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Wenn Sie ein bißchen davon verstünden, würden Sie diese Zwischenrufe nicht machen. — Die Umsetzung der Heeresstruktur 4 — eine vergleichsweise kleine Operation — nahm zwölf Jahre in Anspruch, was immerhin auch mit menschlichen, sozialen und familiären Problemen verbunden war. Die jetzige Strukturänderung — 20 % Reduzierung, ungleich einschneidender und tiefgreifender — soll in fünf Jahren durchgeführt werden.

(Rühe [CDU/CSU]: Aber Sie wollen doch auch weniger Soldaten!)

Wir fragen: Welche Standorte werden aufgelöst oder verkleinert? Nach welchen Kriterien soll dabei vorgegangen werden? Jede Firma in vergleichbarer Lage ist genötigt, einen Sozialplan aufzustellen. Wir fragen: Liegen Pläne für eine begleitende regionale Strukturpolitik vor, um die wirtschaftlichen Folgen für bundeswehrabhängige Gemeinden aufzufangen? Wie hoch ist der Anteil der notwendigen Versetzungen, die sich vor allem im Bereich der Unterführer und der zivilen Mitarbeiter in der Bundeswehr mit allen daraus resultierenden Problemen ergeben?
Der vor einer Woche verabschiedete Verteidigungshaushalt widerspricht diametral den Zielsetzungen dieser Bundeswehrplanung und ist nicht mit ihr in Einklang zu bringen. Diese Planung ist genauso schlampig wie der Dienstzeitausgleich, der dem Wehrbeauftragten bisher schon mehr als 1 100 Eingaben und dem Verteidigungsminister gerichtliche Klagen eingebracht hat.

(Beifall bei der SPD)

In seiner Haushaltsrede vor diesem Parlament hat der Bundesminister der Verteidigung von einem Glaubenssatz der Konservativen Abschied genommen. Eine moderne Bundeswehr — so führte er aus — behält ihren Auftrag, Frieden und Freiheit für das deutsche Volk zu sichern. Das ist unabhängig von Strukturveränderungen gültig, und das ist nicht von sich verändernden sogenannten Bedrohungsanalysen abhängig.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 13993
Horn
Sehr richtig, Herr Minister. Dann müssen Sie aber auch der deutschen Öffentlichkeit, der Bundeswehr und darüber hinaus dem Bündnis die Bedingungen, die Kriterien und Zielvorstellungen eindeutig definieren und darlegen. Jahrelang hat diese Regierung an unhaltbaren Planungen festgehalten. Jahrelang wurden von der Koalition immer wieder neue Zahlen in die Öffentlichkeit gestreut, ohne daraus ein schlüssiges Konzept zu bündeln. Der Minister reagiert jetzt auch nur auf innenpolitische Zwänge. Die Bundeswehr wird von ihm nicht geführt, sondern nur verwaltet, und das schlecht.

(Zustimmung bei der SPD)

Es werden keine längerfristigen Perspektiven eröffnet, keine außenpolitischen Signale gesetzt. Der Minister lebt von Anpassungen an politische Bedingungen, die andere schaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben nicht zugehört!)

Ihm ist das Gesetz des Handelns entglitten.

(Beifall bei der SPD)

Wir kritisieren nicht die Reduzierung der Bundeswehr — wir haben sie ja immer gefordert — , aber sie hätte frühzeitiger kommen müssen. Sie ist aus innenpolitischen Zwängen notwendig, aber sie ist in noch stärkerer Weise notwendig als Antwort auf die dramatischen Veränderungen der außenpolitischen Umstände. Wir kritisieren, daß fünf Jahre Zeit verplempert wurden. Wir kritisieren, daß die Bundeswehrplanung und Abrüstungsverhandlungen nicht in einem geschlossenen Konzept zusammengeführt wurden. Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte, hat Gorbatschow zu Recht gesagt. Sie kommen zu spät, Herr Minister.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Da seid Ihr Spezialisten!)

Wir üben Kritik daran, daß unsere Forderung nach einer Rüstungsklausur abgebügelt wurde, daß unser Antrag auf Einrichtung einer Wehrstrukturkommission erst ablehnend, dann bis zum heutigen Tage hinhaltend behandelt wurde. Jetzt wollen Sie das Pferd vom Schwanz her aufzäumen, indem Sie zunächst Ihre Planung vorlegen und dann eine angeblich unabhängige Regierungskommission einsetzen, die die zukünftige Aufgabenstellung und Entwicklung der Bundeswehr untersuchen soll. Sachlich geboten wäre das umgekehrte Vorgehen: Zuerst müssen die Aufgaben und Strukturen festgelegt werden, dann erfolgt die Ausplanung. Im Korsett einer abgeschlossenen Planung ist die Strukturkommission ein reines Alibiunternehmen und Augenwischerei zur Beruhigung des Publikums.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hoyer [FDP]: Die Lernfähigkeit der Koalition scheint Sie ja ganz schön aufzuregen!)

Die von der SPD seit Jahren geforderte integrierte Rüstungs- und Abrüstungsplanung ist dringender denn je. Der Minister steht vor der Frage, die sozialdemokratischen Forderungen in die Planung einzubeziehen und zu übernehmen, oder — wie es ein Bonner Journalist zutreffend formulierte — die Bundeswehr schlittert jetzt von der Akzeptanz- in die Existenzkrise.
Besonnene Kollegen aus der Koalition weisen zu Recht darauf hin, daß auch Ihre jetzige Vorlage nur ein Torso ist, Herr Minister; ich habe die Stimmen schon zitiert. Ich verweise auf die Dissonanzen der unterschiedlichen Kommentare und Vorschläge aus Ihrer eigenen Koalition. Spätestens beim Strategieseminar im Rahmen der Wiener Verhandlungen wird sich zeigen, daß das Problem viel grundsätzlicher angegangen werden muß.
Erstens. Abrüstungsverhandlungen, die mit dem Willen zum Erfolg geführt werden, und autonome Rüstungsplanung schließen einander aus.
Zweitens. Das von der SPD, insbesondere von meinem Freund Egon Bahr, entwickelte und von der Palme-Kommission übernommene Konzept der gemeinsamen Sicherheit ist inzwischen die Grundlage des Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozesses in Ost und West.

(Rühe [CDU/CSU]: Hat er das mit Honecker ausgehandelt?)

Drittens. Jahrzehntelang existierende Feindbilder werden überwunden. Eine Angleichung der Doktrinen und Militärstrategien ist erklärtes Ziel in Ost und West.
Viertens. Operative Führungs- und Verbandsstrukturen müssen auf das Ziel struktureller Angriffsunfähigkeit ausgerichtet werden.
Fünftens. Die Militärbündnisse in Ost und West müssen aus ihrer einseitigen militärischen Rollenzuweisung heraus- und einer neuen politischen Aufgabenstellung zugeführt werden. Die Art. 2 des NATOVertrages und des Warschauer-Pakt-Vertrages übrigens, die bisher von den jeweiligen Bündnissen nicht ausgefüllt waren, erhalten eine besondere Bedeutung und können eine recht tragfähige Grundlage für einen solchen Prozeß sein.
Sechstens. Die Streitkräfte der Zukunft haben für hinlängliche Verteidigungsfähigkeit zu sorgen. Darüber hinaus wird den Soldaten eine neue Aufgabe zuteil. Auf der Grundlage des Helsinki-Prozesses und der zu erwartenden Abrüstung wird ihm die Aufgabe der aktiven Friedensgestaltung zuteil: bei Manöverbeobachtungen, bei Kontrollen, bei Inspektionen, in der Verifikation und auf weiteren Betätigungsfeldern.
Neue Aufgaben, neue Chancen befreien den Soldaten von der zunehmend belastenden einseitigen Abschreckungsfunktion. Die Bundeswehrplanung muß auch diese Möglichkeit entschlossen aufgreifen. Nur so kann die Akzeptanz der Sicherheitspolitik, die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft zukünftig wieder erhöht werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118200400
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wilz.

Bernd Wilz (CDU):
Rede ID: ID1118200500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der amerikanische Präsident Bush und
13994 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Wilz
der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow erklärten anläßlich des Gipfels von Malta übereinstimmend: Die Welt steht am Vorabend eines neuen Aufbruchs, einer neuen Ära. Die Epoche des Kalten Krieges ist nunmehr überwunden. Die CDU/CSU teilt diese Auffassung uneingeschränkt. Das West-OstVerhältnis ist in der Tat so gut wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die verbesserten Beziehungen der Supermächte liegen insbesondere auch im Interesse von uns Deutschen. Sie eröffnen der deutschen Politik neue Perspektiven. Dies gilt für unser Verhältnis zur Sowjetunion, zu den Staaten Osteuropas, vor allem aber für die innerdeutschen Beziehungen. Der Wandel im Osten bietet neue Chancen, die Zusammenarbeit im Interesse der Menschen weiter auszubauen. Bundesregierung und Koalition haben dazu schon in der Vergangenheit entscheidende Beiträge geleistet. Von diesem erfolgreichen Weg werden wir uns auch nicht abbringen lassen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Vor dem Hintergrund der durch die NATO-Initiativen mit Gorbatschow in den letzten vier Jahren geschaffenen Realitäten — ich nenne beispielhaft den Abzug aus Afghanistan, den INF-Vertrag, die Verbesserung bei den Menschenrechten und mehr Rechte der WP-Staaten gegenüber der UdSSR — ist davon auszugehen, daß Gorbatschow es ernst meint, daß seine Absichten glaubwürdig und — im Gegensatz zu früher — nicht nur reine Propaganda sind.
Aber ich gebe dennoch zu bedenken: Wer von uns kann hier und heute mit Sicherheit ausschließen, daß Gorbatschow im eigenen Land nicht doch scheitert, daß er vielleicht doch gestürzt wird? Eine solche Entwicklung — ich betone ausdrücklich: sie wäre schlimm für die Menschen in der Sowjetunion und in den osteuropäischen Staaten — hätte auch für uns unabsehbare Nachteile. Eine Abkühlung der Außenbeziehungen wäre eine Folge, mit der wir zu rechnen hätten. Schon das allein sollte Grund genug sein, in den Bemühungen, die eigene Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit zu erhalten, nicht nachzulassen.
Bürger unseres Landes einschließlich mancher Abgeordneter dieses Hauses nehmen den offensichtlichen Friedenswillen Gorbatschows zum Anlaß, die Notwendigkeit von Streitkräften in Frage zu stellen. Ich sage dazu mit aller Deutlichkeit: Das ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch gefährlich. Es wäre der sichere Weg, der günstigen Entwicklung der West-OstBeziehungen den Boden zu entziehen. Eine solche Politik würde auch gegen den Willen derjenigen, die eine solche Politik betreiben, dazu führen, daß sie zu Totengräbern der Hoffnungen von Millionen von Menschen in Mitteldeutschland und in Osteuropa werden könnten. Das wird die CDU/CSU jedenfalls nicht zulassen.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Wir auch nicht!)

Wir wissen vielmehr, daß eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit des Westens und damit auch der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist, um den von allen Bürgern gewünschten Abrüstungsprozeß abzusichern. Wir halten deshalb an unserer Politik des Augenmaßes fest; denn Rüstungskontrolle und Abrüstung allein bedeuten nicht automatisch ein Mehr an Sicherheit. Rüstungskontrolle und Abrüstung können jedoch zum Abbau des Bedrohungspotentials beitragen. Heute ist festzustellen, daß der Warschauer Pakt immer noch über weitgehende militärische Fähigkeiten verfügt, gegenüber denen der Westen nach wie vor deutlich unterlegen ist.
Abrüstung verändert auch Struktur und Umfänge von Streitkräften. Dies gilt für den Warschauer Pakt und natürlich auch für die NATO. Darüber hinaus machen es die kommenden geburtenschwachen Jahrgänge in den 90er Jahren erforderlich, die Bundeswehr konzeptionell zu verändern. Ich danke deshalb Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg ausdrücklich dafür, daß er bereits im Juli diesen Jahres den Auftrag für eine flexible, in die Zukunft gerichtete Streitkräfteplanung gegeben hat.
Sie basiert auf der Grundeinsicht, die Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Rede vor dem Deutschen Bundeswehr-Verband am 26. Oktober 1989 in Bonn aussprach: Abrüstung und Rüstungskontrolle sind kein Ersatz für gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Wer heute für einseitige Vorleistungen des Westens eintritt — dazu zählt auch die Überlegung, die Bundeswehr in einem unverantwortlichen Maß zu reduzieren, wie es die Opposition gerne hätte;

(Heistermann [SPD]: Meinen Sie den Kollegen Möllemann?)

wir haben soeben wieder ein Beispiel dafür bekommen — , der unterläuft in Wirklichkeit nur die Verhandlungen und vermindert die Aussicht auf deren Erfolg. Unser Ziel ist eben eine Politik des realen Erfolges und keine Politik der populistischen Träumereien.
Das höchste Ziel der Allianz ist es, eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa mit geeigneten Sicherheitsgarantien zu schaffen. Dies klingt frisch und aktuell, es steht jedoch im Harmel-Bericht der NATO und ist schon 22 Jahre alt.

(Heistermann [SPD]: Den hätten Sie mal öfter lesen sollen!)

Ich frage Sie: Liegt es nicht im Interesse aller Europäer und insbesondere der Deutschen, daß die NATO für die Überwindung der Teilung Europas und damit der Teilung Deutschlands eintritt? Die atemberaubende Entwicklung der letzten Tage, Wochen und Monate hat uns eines noch einmal deutlich vor Augen geführt: Die Lösung der deutschen Frage ist von der Sicherheitspolitik nicht zu trennen. Das gilt auch umgekehrt. Auf dem diesjährigen NATO-Gipfel in Brüssel wurden diese Grundsätze in ihrer Substanz durch das Gesamtkonzept aktualisiert und konkretisiert.
Ich wundere mich sehr, daß es politische Kräfte gibt, die das Zehn-Punkte-Deutschlandprogramm des Bundeskanzlers mit der Behauptung in Frage stellen, es sei national und international nicht abgestimmt. All den Zweiflern und Bedenkenträgern empfehle ich einen Blick in die politische Erklärung der 16 Staats-und Regierungschefs, die sie anläßlich des NATOGipfels Ende Mai unterzeichnet haben. Sie werden
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 13995
Wilz
überrascht sein, daß bis hin zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen in dieser Erklärung nahezu alles vorgezeichnet ist.

(Biehle [CDU/CSU]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, Abrüstung und Rüstungskontrolle im Sinne von Streitkräftereduzierungen — und darum geht es auch bei der Bundeswehrplanung für die 90er Jahre — werfen vor allem strukturelle und konzeptionelle Fragen auf. Für die NATO bedeutet dies u. a. die Frage, wie das Prinzip der Vorneverteidigung auch künftig gewährleistet werden kann, wenn Reduzierungen nach VKSE durchgeführt werden. Noch gilt für uns das Prinzip der integrierten Vorneverteidigung. Dazu haben sich alle Bündnispartner verpflichtet und wir werden daran festhalten, solange ein Bedrohungspotential auf der anderen Seite existiert und der Ost-West-Gegensatz besteht. Wenn auch die Bedrohung auf der anderen Seite geringer wird, sinken zwar die Anforderungen im eigenen Bereich. Aber es ist noch lange nicht abzusehen, daß schon deshalb das Prinzip der Vorneverteidigung aufgegeben werden könnte.

(Horn [SPD]: Richtig!)

Daraus, aber auch aus dem Tatbestand der geburtenschwachen Jahrgänge und der begrenzten Haushaltsmittel folgt, daß der Friedensumfang der Bundeswehr in den 90er Jahren zurückzunehmen ist. Die neuen Planungzahlen des Bundesministeriums der Verteidigung orientieren sich zwar an der Gesetzeslage, wonach die Wehrpflichtdauer ab 1992 auf 18 Monate erhöht wird. Allerdings setzen wir in Wien auf Erfolg. Danach werden wir die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß es endgültig bei W 15 bleibt.
Ich füge hinzu: Ergebnisse bei den Folgeverhandlungen in Wien werden noch weiterreichende Entscheidungen möglich machen. Wir befinden uns ohnehin in einer Zeit der Momentaufnahmen. Wie wir bei der Deutschlandpolitik erleben, ist der Fluß der Zeit so schnell wie nie zuvor. In wenigen Monaten könnten bereits neue Ufer in Sicht sein.
Deshalb erwarten wir auch und gerade in dieser Zeit von der militärischen Führung, vorausschauend flexible Strukturen für die Teilstreitkräfte zu entwikkeln. Sie müssen einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit ebenso gerecht werden wie der von uns erhofften Gesamtentwicklung. In welchem Umfang dabei verstärkt Kaderungen vorgenommen, Verbände und Standorte aufgelöst werden müssen, darf nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müssen die durch Wien erwarteten und möglicherweise weitere Truppenreduzierungen auch der US-Streitkräfte in Mitteleuropa mit berücksichtigt werden. Dies gilt gleichermaßen für Reformschritte im Bereich der Großorganisation Bundesministerium der Verteidigung sowie der gesamten Bundeswehrverwaltung. Schließlich kommt es darauf an, auch die Interessen der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr sozial, vernünftig und ausgewogen zu berücksichtigen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Eine Strukturveränderung muß das Ziel haben, die Armee zwar kleiner, aber feiner, also effizienter zu gestalten. Nur eine attraktive Bundeswehr wird dem Soldaten als Mensch gerecht und kann den Wettbewerb mit der Wirtschaft erfolgreich bestehen. Dies gilt auch für unsere Reservisten, die zunehmend an Bedeutung für die Bundeswehr und für unsere Gesellschaft insgesamt gewinnen werden.
Meine Damen und Herren: Wir werden eine unabhängige Kommission einsetzen, die vorausschauend und, wie ich glaube, überzeugend die Bundeswehr auf ihrem Weg der Zukunft begleiten wird.
Gestatten Sie mir zum Abschluß ein Wort zum Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft. Es wird zunehmend darauf ankommen, das Selbstverständnis der Streitkräfte herauszuarbeiten und zu betonen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß ein souveräner Staat wie die Bundesrepublik Deutschland nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht hat, Streitkräfte zu unterhalten. Diese dienen ausschließlich der Kriegsverhinderung. Sie sichern damit die außenpolitische Handlungsfreiheit unseres Gemeinwesens in seiner besonderen, nämlich geographischen wie politischen Mittellage in Europa.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU bekennt sich uneingeschränkt zu einer wehrhaften Demokratie nach innen und nach außen. Wir werden nicht zulassen, daß Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jemals — sei es von innen oder von außen — zerschlagen werden können. Auf uns war, ist und bleibt Verlaß.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118200600
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118200700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Chance nicht genutzt, aus der Bundeswehrplanung eine Abrüstungsplanung zu machen. Was wie Abrüstung aussieht, ist bei näherem Besehen eine Anpassung an den Rückgang der Wehrpflichtigenjahrgänge. Der Verteidigungsminister schreibt selbst — er hat es heute wiederholt — :
Die Verringerung der Zahl der Soldaten erfolgt im wesentlichen bei den Grundwehrdienstleistenden. Bei den Berufs- und Zeitsoldaten sind nur geringfügige Veränderungen gegenüber den bisherigen Planungszielen vorgesehen.
Das heißt, daß es im wesentlichen lediglich darum geht, den Gammeldienst zu verringern. Das ist aber etwas anderes als Abrüstung. Man weiß ja, wieviel in der Armee unnütz herumgelungert wird.
Die angekündigten Maßnahmen sollen — das darf nicht übersehen werden — erst im Jahre 1996 abgeschlossen sein. Das heißt, daß bis zu diesem Zeitpunkt hin ein Rückgang von nur rund 1 bis 2 To jährlich — das kommt auf die Bemessungsgrundlage an — eintreten wird. Das ist natürlich etwas anderes, als hier im allgemeinen behauptet wird. Im übrigen wird ein Erfolg der Verhandlungen in Wien durch Herrn Stoltenberg ebenfalls nur mit einer Reduzierung des Streitkräfteumfangs von rund 1 % — jährlich berechnet — beantwortet. Das sind keine nennenswerten
13996 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Mechtersheimer
Beiträge zu dem, was weltweit erwartet wird und was auch die eigene Bevölkerung erwartet.
Die Bundesregierung wird im nächsten Jahr mehr Geld für die Rüstung ausgeben, als das jemals in der Geschichte der Republik der Fall war. Das ist wichtiger als diese minimalen Personalkorrekturen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist ja ein Wahnsinn!)

Ich bin übrigens der Auffassung, daß diese Entscheidungen nicht nur der Bundeswehr schaden, sondern insgesamt einen Beitrag zur Staatsverdrossenheit leisten werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger werden — davon sind wir überzeugt — auch eine zwölfmonatige Wehrpflicht und einen Umfang von 350 000 Mann, wie Herr Möllemann in die Debatte geworfen hat, bald nicht mehr akzeptieren können. Hätte man heute eine zwölfmonatige Wehrdienstzeit zugrunde gelegt, dann würde es mit großer Wahrscheinlichkeit schon nötig sein, die Planungen auf neun Monate hin, zumindest als Option, auszulegen.
Eines hatte allerdings diese Diskussion in der Koalition sehr positiv gezeigt: Es gibt offenkundig keine verläßlichen Maßstäbe zur Beantwortung der Frage: Wieviel braucht man im militärischen Bereich eigentlich wirklich? Da wird immer wieder von einem operationellen Minimum gesprochen. Das ist abhängig von sehr vielen Faktoren, die außerhalb des Militärischen liegen; das muß man wissen. Das bedeutet auch, daß es nach unten keine so deutlichen Grenzen gibt, wie das bisher gesagt worden ist. Das halte ich für einen relativen Fortschritt, und das zeigt uns, daß Bewegung nötig ist, ohne daß man dann in Panik ausbrechen muß.
Es kann niemand dafür verantwortlich gemacht werden, natürlich auch diese Regierung nicht, daß sie diese atemberaubenden Entwicklungen im Warschauer Pakt nicht hat voraussehen können; sie sind unvorhersehbar gewesen. Aber die Regierung muß dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie jetzt noch so weiterrüstet, als sei in den letzten Monaten nichts geschehen. Alle Redner der Koalition, auch der Minister, haben sehr deutlich auf die dramatischen Veränderungen hingewiesen. Aber an der Planung kann man das nicht erkennen. Es wäre kein Schade gewesen, wenn ein Unterschied zwischen den Beschlüssen des Bundessicherheitsrates und der heutigen Vorlage festzustellen gewesen wäre.
Die Menschen in Polen, in Ungarn und vor allem in der DDR haben nicht nur stalinistische Regime beseitigt, sie haben es auch der NATO sehr schwer gemacht, die bisherige Politik fortzusetzen. Die Milliarden, die in den 70er und 80er Jahren für die vermeintliche Bedrohung von heute und morgen ausgegeben worden sind, sind nutzlos vertan. Jetzt stellt sich die Frage, ob man dieses Verfahren fortsetzen darf. Die Vergeudung ist eindeutig, wenn der Jäger 90 nicht gestrichen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man kann natürlich nie ausschließen, daß es Rückfälle gibt. Aber dazu wäre einiges anzumerken. Da wird immer sehr allgemein, mehr ideologiehaft gesagt: Ja, wenn in der Sowjetunion Unruhen bestehen, wenn die Armee einen Befehl zum Einsatz bekommen sollte. — Es wird aber nie weitergedacht, zumindest wird das nicht artikuliert. Was heißt denn das praktisch? Wie kann die NATO durch mehr oder weniger Rüstung diesen Prozeß beeinflussen? Ich kann es nicht nachvollziehen.
Ernster noch ist der Hinweis — das ist in der Bevölkerung sicherlich weit verbreitet — , diese phantastische Entwicklung in den sozialistischen Staaten könnte scheitern, sogar umkippen. Aber was heißt das konkret? Sollte die Gefahr bestehen, daß das Militär die Macht ergreifen möchte — es gibt da ja so Kolportagen über Telefongespräche zwischen der Sowjetunion und Paris — , dann wäre westliches Weiterrüsten doch möglicherweise ein willkommener Vorwand. Wenn die sowjetische Reformpolitik bedroht ist, dann nicht durch westliche Abrüstung, sondern durch westliche Nichtabrüstung, d. h. durch fehlende Antworten auf in der Tat schmerzhafte Zugeständnisse des sowjetischen Militärs.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich meine, daß diese hier vorgelegte Bundeswehrplanung keine Erleichterung für den Reformprozeß in der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen Staaten ist. Sie ist eher sogar eine Hypothek. Es besteht doch jetzt, bevor sich dort drüben in diesem phantastischen Prozeß etwas verändert, die Chance, abzurüsten, mehr zu tun. Aber die Regierung bringt das nicht fertig.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Fehlanzeige!)

Das müßte noch besser begründet werden. Vielleicht sind es in der Tat ungerechtfertigte Rücksichtnahmen auf die Vereinigten Staaten — das hat man bisher auch so getan — , aber die sind nun in dem Punkt plötzlich auch für uns zum Vorbild geworden.
Man nennt auch so oft die Kategorie der Stabilität, um zu begründen, daß man nicht abrüsten dürfe. Ich warne davor, diesen Begriff so sehr zu strapazieren. Wir alle haben das möglicherweise in der Vergangenheit viel zu hoch gehängt. Wenn uns jemand vor einiger Zeit gesagt hätte, daß das geschieht, was jetzt eingetreten ist, nämlich Veränderungen in all den sozialistischen Staaten bis auf Rumänien, dann hätte man wahrscheinlich gesagt: Das darf nicht sein. Das bringt die europäische Sicherheitsordnung durcheinander. Das ist sehr gefährlich. Macht das langsamer! Seid vorsichtiger!

(Ronneburger [FDP]: Ganz falsch!)

Ich glaube, daß diese Hypertrophierung des Begriffs der Stabilität zu falschen analytischen Ergebnissen führt. Es hat etwas sehr Ideologisches. Es kann sehr, sehr viel geschehen, ohne daß irgendeine Gefährdung eintritt. Niemand fühlt sich durch die Veränderungen in der Sowjetunion in seiner Sicherheit bedroht, ganz im Gegenteil.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das müssen Sie der SPD sagen!)

— Es hört ja jeder zu, denke ich.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 13997
Dr. Mechtersheimer
Wir stehen vor der Auflösung der Blöcke. Es ist nur die Frage, wie man sich zu diesem Prozeß verhält. Die Bundesregierung bemüht sich offenkundig um Fortsetzung von Integration. Die deutsch-französischen Militärprojekte, die militärische Zusammenarbeit mit Paris ist ein Beispiel dafür. Darüber wird heute nachmittag hier diskutiert werden. Meine Kollegin Beer wird dazu mehr sagen. Man will jetzt sogar noch eine zusätzliche neue integrierte Division aufbauen. Wie paßt das eigentlich in die Landschaft? Denn militärische Verbesserungen, Effizienzverbesserungen müßten doch eigentlich gerechtfertigt sein durch militärische Bedrohung, es sei denn, man verwendet Militär als Symbol, als Ausdruck von supranationalen Verständigungsprozessen. Ich würde ganz grundsätzlich Bedenken dagegen anmelden, Militär in diesem Sinne zu verwenden.
Es ist in vielen Details nachzuweisen, daß sich die NATO gegen die für sie drohende Abrüstung wappnet. Vor allem in Baden-Württemberg gibt es eine Fülle von Projekten. Wir haben eine Zusammenstellung von 100 Standorten gemacht. Daraus geht eindeutig hervor, daß dort geradezu angsttriebhaft weitergerüstet wird — angsttriebhaft! —,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

weil die Gefahr gesehen wird: Wenn wir das nicht schnell realisieren, dann haben wir keine Möglichkeit mehr, das zu verwirklichen. — Es wäre dann ja auch ein Hoffnungszeichen, wenn das Angsttriebe wären, obwohl das Bild im ökologischen Zusammenhang nicht überstrapaziert werden darf.
Ich meine, daß die Bevölkerung in diesen Gemeinden in Baden-Württemberg zu Recht fragt: Was könnte man mit diesem Geld vernünftig tun, z. B. in Wohnungsbauprogrammen?

(Beifall bei den GRÜNEN — Breuer [CDU/CSU]: Das ist Blödsinn, was Sie hier erzählen!)

Das ist eine Frage, die völlig parteiübergreifend allgemein von der Bevölkerung gestellt wird. Das sind Maßnahmen, für die es keine Rechtfertigung gibt außer der: Das ist halt alles schon fest geplant und schon vergeben. — Sonst gibt es dafür keine Legitimation.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Nur Altplanungen sind das! — Dr. Hoyer [FDP]: Billige Effekthascherei ist das, nichts anderes!)

— Das finde ich nicht.
Wir müssen Konsequenzen ziehen aus den Veränderungen, aus dem Demokratisierungsprozeß vor allem in der DDR, und die lauten für uns: Desintegration der NATO, Bundeswehrabbau, Truppenrückzug und Entmilitarisierung. Das wäre die Hilfe, die wir neben der finanziellen Seite der Bewegung in der DDR und den Veränderungen im politischen System leisten könnten.

(Breuer [CDU/CSU]: Zwischen allen Stühlen!)

Wir brauchen das Geld auch so dringend. Ich hoffe, daß wenigstens dann, wenn die Finanzierungsprobleme für die Hilfsprogramme noch deutlicher zutage treten, die Regierung eine veränderte Bundeswehrplanung vorlegen wird. Ich gehe davon aus, daß dabei
Herr Möllemann einen besseren Standpunkt als andere haben wird, die ihm leider nicht gefolgt sind.
Die Entmilitarisierung bedeutet, daß wir auch im Bereich der Rüstungsindustrie Konversionsprogramme brauchen. Ich begrüße ausdrücklich, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, um die sich abzeichnenden Folgen von Truppenreduzierungen, im Bereich der US-Streitkräfte vor allem, zu untersuchen. Es ist bedauerlich, daß die Bundesregierung das nicht auch für die Rüstungsindustrie insgesamt ganz generell tut.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen eine Abrüstungsplanung, die diesen Sektor mit erfaßt. Meine Fraktion hat seit langem darauf hingewiesen, daß dies notwendig ist,

(Frau Dr. Götte [SPD]: Wir haben auch seit Jahren darauf hingewiesen!)

und zwar nicht, um hier Zwischenrufe, wie sie vorhin beim Kollegen Horn zu hören waren, zu provozieren: Wollen Sie eigentlich Abrüstung oder nicht? Wer wirklich Abrüstung will und sich darauf einstellt, daß sie kommt, der muß verantwortungsbewußt dafür sorgen, daß Gemeinden, die in der Tat außerordentlich stark von der jeweiligen Garnison abhängen, nicht alleingelassen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das gilt auch für die GRÜNEN!)

Wir brauchen hier ein sehr aufwendiges, gründliches Programm. Warum ist das bisher nicht besser angepackt worden?
Im übrigen wäre an dieser Planung auch zu kritisieren, daß sie im Hinblick auf zumindest eine jeweilige Teilstreitkraft sehr linear vorgeht. Warum hat man hier nicht schon stärker wichtige Ansätze der Qualität von Rüstung berücksichtigt, warum hat man nicht diese Ansätze der strukturellen Unfähigkeiten stärker mit einbezogen? Ich verstehe das nicht, dann das wäre eine Möglichkeit gewesen, ohne daß Sie deswegen Ihr politisches Gesicht verloren hätten.
Ich meine, daß sich die Entmilitarisierung auch auf andere Gebiete erstrecken muß. Ich denke z. B. an sehr verdrängte Realitäten in diesem Land, z. B. die Tatsache, daß die NSA, die National Security Agency, eine Mammutorganisation zur Feindaufklärung, aber auch zur Freundaufklärung, in der Bundesrepublik ein böses Leben treibt. Hier werden täglich, permanent Grundrechte verletzt. Das ist eine Einrichtung, die in der Tat ein Relikt aus der Besatzungszeit und dem Kalten Krieg ist. Da besteht ein Handlungsauftrag für uns, auch als Reaktion und Konsequenz auf die Veränderungen in der DDR und den anderen Staaten des Warschauer Paktes hier das Thema aufzugreifen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN wird am kommenden Samstag in München dazu eine Tagung durchführen. Das ist die erste ; das ist sehr riskant, da reagieren viele wichtige und mächtige Organisationen sehr merkwürdig. Aber wir werden das Thema nicht vernachlässigen. Hier gibt es einen Sumpf von Unrecht und illegalen Aktivitäten, die einfach damit nichts zu tun
13998 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Mechtersheimer
haben, daß ein Land beispielsweise seine Grundrechte selbst zu schützen hat. Wir brauchen auch Aktivitäten zum Schutz der Menschenrechte in diesem Land, nicht nur im anderen Teil Deutschlands.
Die Hardthöhe kann Geld verschwenden, aber sie wird den Zerfall der Nachkriegsordnung nicht aufhalten können. Es gibt nun die Sorge — insbesondere auch im kritischen intellektuellen Teil des Landes, bei uns, in der DDR vielleicht noch mehr — , daß mit dem Abbau der Militärblöcke eine alte nationalstaatliche Struktur entstehen könnte. Ich räume hier ganz klar ein, daß das ein ernstes Thema ist, weil natürlich bei aller Kritikwürdigkeit von NATO und Warschauer Pakt diese Bündnisse zur Befriedung, zumindest zur Eliminierung von Konflikten in den jeweiligen Teilen Europas eine Menge beigetragen haben. Sie haben Konflikte gar nicht entstehen lassen. Das ist weniger ein Problem für Westeuropa als für Osteuropa, aber nach den Ängsten vieler um uns herum offenkundig ein Problem für die Mitte, für die Entwicklung der deutschen Frage. Ich meine, daß wir darauf Antworten finden müssen. Es geht vor allem darum, die alten nationalstaatlichen Attribute von Macht, die diese Ängste nicht nur ausgelöst, sondern die auch böse gewirkt haben, in Frage zu stellen, d. h. die Militärpotentiale so zu verändern, daß diese Ängste unbegründet sind. Aber auch unbegründete Ängste sind politische Faktoren. Man muß hier versuchen, etwas zu lösen, und das heißt: radikale Verkleinerungen. Radikale Verkleinerungen können teilweise sogar mehr bewirken als strukturelle Veränderungen. Gleichzeitig aber ist es notwendig, besonders angriffstaugliche Waffensysteme innerhalb dieses europaweiten Prozesses besonders zu berücksichtigen. Ich meine, das sollte leicht fallen; denn wir haben längst in der Bundesrepublik einen Zustand der strukturellen NichtKriegführbarkeit.
Ich weiß, wie schwer es den Menschen fällt, vor allem denen in den Apparaten, das wahrzunehmen. Aber ich möchte appellieren, doch einmal zu prüfen, wieso es eigentlich kommt, daß man die Übungen der NATO, auch der Bundeswehr, immer unter künstlichen Bedingungen durchführen muß. Das bedeutet, man kann für eine Lage, z. B. in WINTEX-Übungen, nicht ein Land zugrunde legen, wie es hier existiert. Man muß die nuklearen Kraftwerke wegdefinieren, man muß die Chemieanlagen wegdefinieren, man muß die Infrastruktur wegdefinieren, vor allem die Straßenverkehrsbedingungen.

(Zuruf von der SPD: Und den Gegenschlag!)

— Sowieso. Aber ich gehe einmal nur von dem traditionellen Denken aus, daß der Gegenschlag kein Problem ist, von dem Denken vieler Heeresgenerale, die sagen: „Das machen wir schon. " Sie werden sich innerhalb kürzester Zeit so verhalten müssen, als wenn sie in einem Sumpf steckengeblieben wären. Zum Glück gilt das auch für die Angriffsseite.

(Zuruf des Abg. Gerster [Worms] [SPD])

— Entschuldigung, es geht mir nicht um die Generale; wenn Sie das stört, Herr Gerster. Ich weiß nicht, warum. Es geht um diejenigen, die das nicht begriffen
haben. Da möchte ich hier keine Dienstgradpräferenzen vorführen.
Es geht um die Zivilisationsverträglichkeit von Rüstung heute generell. Das ist ja auch in der Bundeswehr nicht neu. Man verdrängt es zwar teilweise. Man weiß es aber. Deswegen versucht man immer stärker, eine andere Rechtfertigung für Militär zu finden. Das wird allerdings sehr schwer; denn unsere Verfassung läßt es nicht zu, eine Bundeswehr zu unterhalten, nur weil sie zu einem souveränen — sogenannten souveränen — Staat gehört. Das ist verfassungsmäßig nicht legitimiert. Sie ist nur im Zusammenhang mit der aus dem Kalten Krieg heraus entstandenen Bedrohungskonstellation zu legitimieren. Da muß man sich etwas anderes einfallen lassen. Man kann nicht sagen: Wehrpflicht gehört zum Staatsbürger dazu, zum männlichen zumindest. Das reicht nicht aus. Hier stellen sich große Schwierigkeiten, wenn die Bedrohung nicht mehr da ist.
Man kann natürlich immer sagen: Die Zwänge sind groß, man kann die Verträge nicht kündigen, und dann können wir nicht die Stabilität, wie das vorhin schon kommentiert wurde, so sehr gefährden. — Das möchte ich mehr als Frage stellen und in keiner Weise als politischen Angriff.
Das reicht allerdings nicht aus, um die Ängste vor einer Wiederherstellung nationalstaatlicher Strukturen alter Art in Europa zu bändigen. Wir müssen natürlich die supranationalen Wirtschaftsstrukturen, die Wirtschaftsintegration fortsetzen und auf Gesamteuropa ausdehnen. Das bedeutet allerdings für mich auch eine Entmilitarisierung von all dem, was bisher im westeuropäischen Integrationsprozeß versucht worden ist.
Es fragt sich allerdings: Was macht man mit dem militärischen Restpotential? Ich meine, daß es an der Zeit ist, die Vision zu entwickeln, eine gesamteuropäische Umwelt- und Solidaritätstruppe zu schaffen. Das wäre eine multinationale Organisation für die ökologischen Sicherheitsprobleme,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die GRÜNENWehr!)

auch für den Schutz bei Katastrophen. Ich bin sicher, daß diese Überraschung bald in Zustimmung umschlägt.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Das ist ja wirklich eine Aufgabe, die zu bewältigen ist und wo man vorhandenes Gerät nutzen kann. Warum sollte es beispielsweise — das ist eine ganz ernste Sache — , wenn in den nächsten Wintermonaten in Polen, in der Sowjetunion, in anderen Teilen des Warschauer Paktes ernste Versorgungsprobleme auftauchen und es darum geht, Hunger zu bewältigen, nicht möglich sein, zu sagen: Teile anderer Armeen, Transportkapazitäten, werden eingesetzt, um dort zu helfen?

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Warum nicht das Rote Kreuz?)

Ist denn das nicht eine Überlegung, die vielleicht neu
ist, aber die wir doch anstellen sollten, wenn eine
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Dr. Mechtersheimer
gesamteuropäische Verantwortung vorliegt? Ich bitte das kritisch zu diskutieren, zu überlegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da gibt es schon Pläne!)

In dieser historischen Phase sollten wir historisch denken. Wir sollten nicht vergessen, daß die Deutschen in beiden deutschen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg zwangsbewaffnet wurden. Deswegen finde ich es interessant, daß ein Landesverband der GRÜNEN davon gesprochen hat, sich eine selbstbestimmte Wiederentwaffnung zum Ziel zu setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein interessanter Gedanke.

(Zuruf des Abg. Gerster [Worms] [SPD])

— Lassen Sie mich doch das hier sagen. — Diese Zwangsbewaffnung, die durch die Sieger- und Befreiungsmächte erfolgte, macht es natürlich leichter, unter Umständen Utopien für eine ganz andere Art von Sicherheitspolitik in Europa zu entwickeln.
Ich fordere den Verteidigungsminister auf, auch zwischen den beiden deutschen Staaten mehr für die militärische Entspannung zu tun. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Einladung an seinen Kollegen, wie immer er auch heißen mag, nicht schon längst konkret ausgesprochen ist. Aber Herr Kohl hat seine Reise auch nicht abgesagt, nicht wahr? Das ist also kein Argument.
Im übrigen sollte Herr Kohl auch die militärischen Fragen behandeln, wenn er, wie geplant, in der DDR sein wird. Warum keine Vereinbarung über Einstellung der Tiefflüge in beiden deutschen Staaten, wie das übrigens aus der NVA vorgeschlagen wurde?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Warum keine gleichmäßige Verringerung von Bundeswehr, von NVA? Das ist kein deutscher Sonderweg. Es ist dann ein deutscher Sonderweg, wenn es nicht gemacht wird; denn die Supermächte werden das hoffentlich in Kürze vorexerzieren.
Ich muß abschließen und möchte sagen: Wer jetzt nicht abrüstet, den bestraft der Wähler.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118200800
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118200900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist viel Zeit vergangen, seit das Plenum des Deutschen Bundestages sich das letzte Mal grundsätzlich mit Fragen der Bundeswehr und der Verteidigung befaßt hat, wie es heute geschieht. Ich bin dankbar dafür, daß wir diese Gelegenheit im Zusammenhang mit der vom Bundesverteidigungsminister vorgelegten Planung heute haben.
Gerade weil es so lange her ist, werden sich natürlich einige Kontroversen ergeben. Sie haben sich zum Teil schon ergeben: Kontroversen zwischen Koalition und Opposition, aber, Herr Dr. Lippelt, ganz offenbar auch innerhalb der Opposition, wenn ich gewisse Vorgänge eben richtig beobachtet habe.

(Dr. Lippelt [GRÜNE]: Genau wie die Pirouetten der FDP! Das scheint es überall zu geben! — Gerster [Worms] [SPD]: Und was ist in der Koalition passiert?)

— Das bestreite ich überhaupt nicht. Ich habe auch in der Öffentlichkeit kein Hehl daraus gemacht, daß es natürlich auch bei uns voneinander abweichende Meinungen gibt.

(Horn [SPD]: Das ist doch auch legitim!)

Lassen Sie mich gerade nach diesem langen Zeitraum einmal einige rückblickende Bemerkungen machen. Ich sage: Die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie der Bundesrepublik Deutschland garantiert seit ihrer Gründung im Innern die verbürgten Menschenrechte und die freiheitliche Chance der individuellen Entfaltung jedes Bürgers. Das heißt, diese Ordnung hat in diesen zurückliegenden Jahren seit ihrer Gründung eine Attraktivität entwickelt, die sich nicht zuletzt auch in ihrer Wirkung im deutsch-deutschen Verhältnis in bezug auf die Einheit der unteilbaren einen deutschen Nation ausdrückt. Auch dies gehört an dieser Stelle mit in den Gesamtzusammenhang.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Darüber hinaus ist festzustellen, daß im Verbund mit unseren Partnern im Bündnis unsere Bundeswehr jetzt über 30 Jahre diese Freiheit im attraktivsten Staat, den es auf deutschem Boden je gegeben hat, gesichert hat. Deswegen meine ich, daß am Anfang einer Aussage zu Fragen der Bundeswehr an dieser Stelle Dank und Anerkennung für die Soldaten stehen sollte und die nochmalige und nachdrückliche Aussage unserer Bereitschaft, sie gegen jede Diffamierung in Schutz zu nehmen, woher auch immer sie kommt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage als ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, der parlamentarischen Vertretung dieses Staates: Ohne Überheblichkeit, aber mit Selbstbewußtsein der Demokraten sollten wir die Bereitschaft zum Schutz dieser Ordnung gegen militärische wie politische Erpressung auch in Zukunft aufrechterhalten.
In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 findet sich die Einleitung — ich zitiere — :
Deutsche Außenpolitik heißt vor allem: Bewahrung der Freiheit und Festigung des Friedens in Europa und in der Welt. Für uns ist aktive Friedenspolitik eine politische Notwendigkeit und eine sittliche Pflicht.
Als Ziel dieser Friedenspolitik war damals formuliert, einen bewaffneten Konflikt zu verhüten, gleiche Sicherheit für alle europäischen Länder auf möglichst niedrigem Rüstungsstand durch nachprüfbare Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu erreichen und die Zusammenarbeit mit den Staaten des Ostens zum gemeinsamen Vorteil zu entwickeln, wo immer solche Zusammenarbeit möglich ist.
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Ronneburger
Meine Damen und Herren, ich glaube, die damals geäußerten Ziele gelten unverändert auch heute. Die Aufgabe der Bundeswehr, den Frieden zu sichern und diese Ordnung nach außen zu schützen, ist genauso unverändert, wenn auch in veränderten Rahmenbedingungen im Ost-West-Verhältnis.
Die NATO war und ist ein Bündnis freier Staaten zum Schutz gemeinsamer Werte mit vom Beginn an deutlicher politischer Komponente, die ganz zweifellos an Bedeutung gewinnen wird gegenüber der militärischen Komponente dieses Bündnisses — wie übrigens auch des Warschauer Paktes. Die NATO ist darüber hinaus immer ein Bündnis ohne eine zentrale Koordinierung durch eine hegemoniale Führungsmacht gewesen, eine Macht, die der Warschauer Pakt hatte, muß man wohl sagen — man kann nicht mehr sagen: hat — , aber ein Bündnis, das trotz des Fehlens einer solchen zentralen Koordinierung gemeinsame Lösungen und Entscheidungen zu finden vermochte.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu, Gorbatschow hätte seine Politik wohl nicht einleiten können, wenn das Bündnis NATO auch nur annähernd die Kriegslüsternheit besessen hätte, die ihm von der sowjetischen und ehemals gleichgeschalteten Propaganda, aber auch von manchen heimischen Politikern angedichtet wurde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Allein das Wissen um die tatsächlichen Kräfteverhältnisse sowie die Gewißheit über eine rein defensive Absicht der NATO haben Gorbatschow eine Politik von Perestroika und Glasnost mit allen immer noch riskanten Unwägbarkeiten ermöglicht.
Sicherlich ist es so, daß die revolutionäre Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten noch nicht abgeschlossen ist. Über endgültige militärische Dispositionen kann man noch keine verläßlichen Aussagen treffen. Dennoch ermöglicht und erfordert diese Entwicklung eigene Reaktionen auf unserer Seite und auch Berücksichtigung in den Planungen des Bündnisses und im eigenen Land. Beides, meine Damen und Herren, ist wichtig: Abstimmung mit den Partnern und Einbettung und Verständlichmachung der Bundeswehrplanung in die innenpolitischen Gegebenheiten auch der Bundesrepublik Deutschland.
Ein tragfähiges Konzept für unsere Bundeswehr als eine integrierte Bündnisstreitkraft kann sich nicht nur auf höhere Motivation und Ausbildung des Personals und modernen Standard der Ausrüstung, sondern muß sich eben auch auf Einsatzpläne in Szenarien stützen, die von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Das ist eine wichtige Aufgabe auch der Weiterentwicklung in der Zukunft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Horn [SPD]: Richtig! Sehr gut!)

Unsere Bundeswehr ist auf Verteidigung ausgerichtet und ist Teil von Bündnisstreitkräften, die ebenfalls nur zur Verteidigung aufgestellt sind. Ihre Stärke bestimmt sich ausschließlich an der potentiellen Gefahr politischer und/oder militärischer Erpreßbarkeit.
Wenn Herr Mechtersheimer meint sagen zu müssen, daß die Kosten für die Rüstung vertanes Geld gewesen seien, dann frage ich ihn an dieser Stelle allerdings, ob auch die Kosten, die wir seinerzeit innerhalb der NATO für die Stationierung der Mittelstreckenraketen Pershing und Cruise Missiles aufbringen mußten, mit ihrer Wirkung im Rückblick vertanes Geld waren. Ohne diesen Einsatz wäre eine Beseitigung der Mittelstreckenraketen, wie wir sie heute erreicht haben, nicht zu erreichen gewesen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das war Gorbatschow, nicht die Auswirkung Ihrer Politik! Ohne Gorbatschow wäre das nicht geschehen, und das wissen Sie!)

— Glauben Sie, daß Gorbatschow im eigenen Lager die Beseitigung einer eben entwickelten und neu stationierten Waffengattung hätte durchsetzen können, wenn nicht auf westlicher Seite die Entschlossenheit sichtbar geworden wäre, dem mit einer klaren und eindeutigen Haltung entgegenzutreten?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber ich will jetzt keine Diskussion mit Ihnen führen. Wir können sie an anderer Stelle weiterführen.
Für mich ergeben sich aus alledem zwei in der zeitlichen Dimension nacheinander zu lösende Aufgaben:
Es geht um eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen im Ost-West-Verhältnis. Es geht um eine schnelle Reaktion auf das, was sich hier so nachdrücklich und deutlich verändert hat.

(Zuruf von der FDP: Eine historische Chance nutzen!)

Es geht um eine Berücksichtigung der abnehmenden Spannung und der verminderten Kriegsgefahr zwischen Ost und West, und es geht auch um eine Berücksichtigung der Ergebnisse der Wiener Verhandlungen und übrigens auch der Genfer Verhandlungen. Es geht ferner um eine Berücksichtigung — aber sozusagen als eine Folgewirkung — der zur Verfügung stehenden Ressourcen in bezug auf Umfang und Ausrüstung der Bundeswehr. Der Ausgangspunkt ist für mich die veränderte welt- und ost-west-politische Lage. Die Friedenssicherung muß aber weiter Aufgabe der Bundeswehr bleiben. Wir müssen Umfang und Ausrüstung so festsetzen, daß diese Aufgabe auch in Zukunft erfüllt werden kann.
Vor allen Dingen müssen wir in allen unseren Maßnahmen, meine Damen und Herren, dafür sorgen, daß der Soldat der Bundeswehr selbstbewußt und gleichberechtigt mit jedem anderen Bürger dieses Staates seinen Dienst zu leisten in der Lage ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In der Ausrüstung wird es gewiß darum gehen — ich will jetzt keine Einzelheiten nennen — , eine weiter zunehmende Betonung der defensiven Komponente der Rüstung vorzunehmen.
Es geht auch um eine Verlagerung der Ausgaben von der Beschaffung hin zur Verbesserung der Situation des Menschen in der Bundeswehr. Es geht um die Fragen der Attraktivität mit einem Blick auf die Kon-
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Ronneburger
kurrenz in der Personalfrage, in der sich die Bundeswehr in Zukunft auch mit den Kräften und Unternehmungen im Bereich der freien Wirtschaft und der öffentlichen Wirtschaft wird auseinandersetzen müssen.
Aber auch eines müssen wir mit aller Sorgfalt verfolgen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung muß erhalten bleiben, und wo sie in Gefahr sein sollte, muß sie wieder erreicht werden. Dabei bitte ich Sie, folgendes zu bedenken: Ein unkontrollierter, populistischer Umgang mit Umfangszahlen der Bundeswehr vermittelt den Eindruck mangelnder Ernsthaftigkeit. Wirkliche Kenntnisse der Realitäten sowie Verantwortungsbewußtsein sind eine Voraussetzung für jede Planung in diesem Bereich.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das müßten Sie Möllemann auch einmal sagen!)

Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren, ist keine Tagespolitik, sondern sie muß verantwortungsvoll entwickelt, geplant und gedacht werden, nicht für ein Jahr und nicht in Legislaturperioden, sondern weit über Legislaturperioden hinaus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es geht um eine Berechenbarkeit für die Bündnispartner; es geht aber auch um Berechenbarkeit für die Innenpolitik, und es geht um Berechenbarkeit unserer Planungen und Absichten, unserer friedlichen Absichten, auch auf der anderen Seite der heute noch vorhandenen Grenze quer durch Europa und einer auch noch in Deutschland vorhandenen Grenze, auch wenn sie in diesem Augenblick, in dem wir hier zusammen sind, von beiden Seiten her durchlässig geworden ist. Das ist eine Tatsache, die zu berücksichtigen uns sicherlich alle Veranlassung gegeben ist.
Ich meine aber auch, daß Freiwillige und Wehrpflichtige, Zeit- und Berufssoldaten auf absehbare Zeit glaubhaft und berechenbar erkennen können müssen, welche Funktionen Streitkräfte haben und mit welcher Motivation sie in Zukunft ihren Dienst in der Bundeswehr werden tun können, damit sie eine Perspektive haben.
Diesen Aufgaben widmet sich die jetzt vorgelegte Bundeswehrplanung. Sie bedeutet also eine Anpassung an reale Veränderungen. Ich bin dem Bundesverteidigungsminister dafür dankbar, daß er unmittelbar nach seinem Amtsantritt auf der Hardthöhe eine solche Überprüfung der Bundeswehrplanung in Auftrag gegeben und heute dem Deutschen Bundestag vorgelegt hat.
Aus dieser Bundeswehrplanung hebe ich einige wenige mir wichtig erscheinende Punkte hervor:
Der erste Punkt, der mir wichtig erscheint — Herr Kollege Horn, das sage ich nach dem, was Sie heute morgen hier gesagt haben, gerade Ihnen — : Diese Bundeswehrplanung enthält einen Verzicht auf die absolute Festschreibung von Umfangszahlen der Bundeswehr. Sie läßt für künftige Entscheidungen jeden Weg offen.

(Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich halte dies für eine der ganz entscheidenden Verbesserungen.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Denn — warum sollten wir das verschweigen — , was für gedankliche Schwierigkeiten haben wir in den Jahren seit 1984 mit einer sich immer wieder als Resultat einer Addition sich ergebenden Zahl von 495 000 gehabt! Das war eine hinsichtlich der Planungssicherheit schwierige Zeit.
Ich bin sehr froh, daß die Formulierungen, die in der Bundeswehrplanung stehen, uns jetzt in bezug auf die Fragen der Grundwehrdienstzeit, der Berücksichtigung der Haushaltssituation und auch der Vorneverteidigung in die Lage versetzen, flexibel auf Entwicklungen zu reagieren, die wir wollen und die wir erhoffen und die uns die Möglichkeit geben sollen, den Umfang der Rüstung und der Bundeswehr auch in Zukunft weiter zu reduzieren. Das soll auf unserer Seite aber keine Vorleistung sein. Ich erinnere noch einmal an das, was wir bei den Mittelstreckenraketen als eine wichtige Erfahrung mitgenommen haben.
Das gilt übrigens, Herr Kollege Mechtersheimer, auch für die Frage des „Jägers 90". Sie werden auch hier sagen: vertanes Geld. Ich sage Ihnen: In Wien resultiert eine der Hauptschwierigkeiten, die es dort noch gibt, daraus, daß die Sowjetunion ihre strategischen Abfangjäger — wie Sie exakt formulieren — aus der Zählung einer Obergrenze für Kampfflugzeuge heraushalten will. Solange auf der anderen Seite diese hochmodernen und gerade entwickelten und eingeführten Jäger außerhalb der Zählung bleiben sollen, können wir auf unserer Seite ja wohl nicht auf die Entwicklung eines Systems verzichten, das die Freihaltung und Sicherheit unseres Luftraums erreichen soll.

(Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Verl] [SPD])

— Frau Kollegin, Sie werden sicher nachher Gelegenheit haben, mich zu widerlegen, wenn es Ihnen gelingen sollte; aber ich glaube das nicht.
Über diese aktuelle und akute Aufgabe für die unmittelbar vor uns liegenden Jahre hinaus gibt es eine zweite Aufgabe, die ich folgendermaßen beschreiben möchte. Weil Streitkräfte im Konzert und Gewicht der Staaten weiterhin eine bedeutende, wenn auch sicher und hoffentlich abnehmende Rolle spielen werden, ist uns daran gelegen, diesem Element von Souveränität und Selbstbehauptungswillen auch in einer Gemeinschaft und in zukünftigen übergreifenden Sicherheitsstrukturen seine notwendige Bedeutung zu erhalten.
Wir wollen die Akzeptanz für sachgerechte Sicherheitspolitik erhalten. Wir wollen auch die Motivation derer erhalten, die die äußere Sicherheit bewahren. Wir wollen die Akzeptanz in der Gesamtgesellschaft für Sicherheits- und Verteidigungspolitik in einer sich wundersam verändernden Welt.
Deswegen halten wir es für wichtig, über die akuten Probleme der nächsten Jahre und über den Anfang der 90er Jahre hinaus durch eine unabhängige Kommission eine Langzeitperspektive weit in die Zukunft hinein zu entwickeln, um die Rolle der Bundeswehr, die Rolle von Streitkräften überhaupt in dieser verän-
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Ronneburger
derten Welt abzutasten und als Entscheidungsgrundlage erklärbar zu machen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich mache hier noch einmal einen Rückblick in eine relativ weit zurückliegende Vergangenheit.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Meine Damen und Herren von der SPD, ich greife auf den Mai 1982 zurück, als meine Fraktion damals in der sozialliberalen Koalition das erste Mal den Antrag gestellt hat, eine solche Kommission für eine langfristig angelegte Verteidigungs- und verteidigungspolitische Planung ins Leben zu rufen.

(Gerster [Worms] [SPD]: Sie hätten es doch durchsetzen können! Wenn Sie es wirklich gewollt hätten, hätten Sie es durchgesetzt! Es gibt genug andere Beispiele!)

— Verehrter Kollege Gerster, wir wollen uns nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß in dem letzten halben Jahr der sozialliberalen Koalition weder von Ihrer Seite eine Bereitschaft bestand, auf unsere Vorschläge einzugehen — —

(Gerster [Worms] [SPD]: Aber danach!)

— Darauf komme ich gleich. — Ich möchte nur festgehalten haben, daß in der Zusammenarbeit mit Ihnen jedenfalls in diesem halben Jahr eine solche Kommission nicht zustande kam.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Personalstrukturkommission, die im Jahre 1971 ihren Bericht vorgelegt hat, und eine Wehrstrukturkommission, die am 28. November 1972 ihren Bericht vorgelegt hat, die Enttäuschung haben erleben müssen, daß das von ihnen Vorgeschlagene von den Verteidigungsministern, die von der SPD gestellt worden sind, nicht umgesetzt und verwirklicht worden ist.

(Zurufe von der FDP: Hört! Hört! — So ist es!)

Ich hoffe sehr, daß die Kommission, die wir jetzt ins Leben rufen wollen, dieses Schicksal nicht wird erleiden müssen. Wir werden tun, was wir können, damit das nicht geschieht.
Ich will hier aber auch die Jahre ab 1982 überhaupt nicht aus der Betrachtung herauslassen, Herr Kollege Gerster.

(Horn [SPD]: Es gab doch in der sozialliberalen Koalition gar keinen Antrag!)

— Es gab unseren Vorstoß in der sozialliberalen Koalition im Mai 1982. Das läßt sich dokumentarisch nachweisen, Herr Kollege Horn. Ich füge aber hinzu: In den Jahren, die auf 1982 folgten, war unter den Verteidigungsministern Dr. Wörner und Professor Scholz ein Vorstoß in dieser Richtung ohne Erfolg.

(Gerster [Worms] [SPD]: Aha! Danke für die Offenheit!)

Auch hier habe ich dem Verteidigungsminister Dr. Stoltenberg einen Dank dafür auszusprechen, daß er auf unsere Anregungen eingegangen ist und in gewiß nicht einfachen Diskussionen, in einem Ringen um gemeinsame Lösungen, und in langen Gesprächen, die an der einen oder anderen Stelle natürlich
auch zum Kompromiß geführt haben — wer wollte das leugnen — , uns den Weg geöffnet hat, der heute mit dem Entschließungsantrag, der dem Deutschen Bundestag vorliegt begangen wird.
Über die akuten Probleme hinaus geht es um die langfristigen Probleme in der Veränderung der weltpolitischen Rahmenbedingungen, abzulesen aus der positiven Entwicklung im Ost-West-Verhältnis und den erkennbaren Fortschritten bei den Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen. Dynamik in der Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik sowie der enorme Wandel der gesellschaftlichen, technologischen und finanziellen Rahmenbedingungen bundesdeutscher Verteidigungspolitik machen eine Überprüfung der Verteidigungsstrukturen auf nationaler, aber auch auf europäischer Bündnisebene notwendig. Ich hoffe, daß wir uns den damit gestellten und skizzierten Herausforderungen in Gemeinsamkeit im Interesse der Soldaten unserer Bundeswehr, im Interesse des Friedens in Europa und im Interesse einer friedlichen Überwindung der Teilung nicht nur Europas, sondern auch unseres Landes stellen und unserer Verantwortung gerecht werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118201000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID1118201100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gestern vom Kabinett ohne Kabinettsvorlage — offensichtlich, weil keinerlei Vorlage zwischen den Häusern, insbesondere mit dem Finanzministerium abgestimmt war —

(Widerspruch bei der FDP) verabschiedete Bundeswehrstruktur kann — —


(Nolting [FDP]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? Das stimmt doch überhaupt nicht!)

— Ich habe im Parlaments- und Kabinettsreferat angerufen. Da hieß es: Der Minister geht ohne jede Vorlage ins Kabinett; es ist keine Möglichkeit gegeben, eine schriftliche Unterlage einzusehen.

(Lachen bei der FDP — Nolting [FDP]: Der Anfang war schon mal schlecht!)

Auf die Frage „Wie geht er denn in den Ausschuß?" hieß es auch:

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Zu Fuß!)

Er geht zu Fuß und macht das mündlich. — Von daher nehme ich an, daß dies so gewesen ist.

(Breuer [CDU/CSU]: Es war nicht so!)

Gleichwohl, selbst wenn es schriftlich vorgelegen hat
— und wir haben hier heute eine Redevorlage, in der bis Seite 13 Lyrik enthalten ist und es ab Seite 14 einigermaßen konkret wird — , die ganze — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118201200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14003

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID1118201300
Wenn es auf meine Redezeit nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118201400
Bitte schön, Herr Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1118201500
Herr Kollege von Bülow, darf ich Sie erstens darauf hinweisen, daß die Kabinettsvorlage acht Tage vor der

(Gerster [Worms] [SPD]: Fragen!)

— „Darf ich Sie darauf hinweisen ... " ist eine Frage —

(Zuruf von der CDU/CSU: Zuhören!)

Kabinettssitzung in der üblichen Stückzahl allen Ressorts zugegangen ist, und darf ich Sie zweitens darauf hinweisen, daß Sie offensichtlich die Mitarbeiterin des Kabinetts- und Parlamentsreferats, wie sie mir sagt, falsch verstanden haben?

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID1118201600
Ich weiß nicht, was meiner Mitarbeiterin gesagt worden ist.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Der Mitarbeiterin?)

Nur, uns Parlamentariern ist die schriftliche Unterlage nicht zugestellt worden. Wir konnten deshalb nicht in den Details, wie es notwendig ist, in diese Vorlage eindringen.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist so schwach, das müssen Sie auf die Redezeit anrechnen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten sich einmal ernsthaft mit den Sachen beschäftigen!)

Wie auch immer, diese neue Bundeswehrstruktur beschränkt sich auf Flickschusterei, ein bißchen Heldenklau hier, ein bißchen mehr Mängelverwaltung da. Ein Wurf aus einem Guß ist nicht zustande gekommen. Die wichtigsten Fragen werden nicht beantwortet. Dies konnte ja auch nicht anders sein, weil Ihr Vorgänger Wörner eine finanziell und personell inzwischen völlig zusammengebrochene Hochglanzplanung hinterlassen hatte.

(Horn [SPD]: So ist es!)

Sein Nachfolger Scholz wagte sich schon gar nicht an die Grundlagen dieser Fehlplanung heran. Und nun beschränken Sie sich auf die Nachlaßverwaltung der beiden Herren.
Das Maßnahmenbündel, das Sie jetzt vorlegen, löst keine der anstehenden Aufgaben. Sie gehen den Problemen nicht auf den Grund. Sie verhindern eine saubere Analyse der heutigen Verteidigung mit allen ihren ganz offensichtlichen Mängeln. Sie stellen sich den Alternativen nicht.
Sie sind noch nicht einmal in der Lage, den angestrebten Friedensumfang der Bundeswehr exakt zu benennen. Sie legen Ihren Planungen eine 18monatige Wehrpflicht zugrunde. Nur so sind die 420 000 Mann jenseits von 1995 überhaupt im Zahlenwerk zu halten.

(Zuruf von der FDP: Das ist doch richtig!)

Zugleich versprechen Sie das Verbleiben bei 15 Monaten, falls es zu positiven Abrüstungsergebnissen in Wien kommen sollte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch logisch!)

Nur, so schlau, in Wien auch gleich die entsprechenden personellen Abrüstungsvorschläge einzubringen, waren Sie nicht.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das ist wahr!)

Dabei versuchen die östlichen Staaten, die zunächst allein und gegen die westlichen Vorstellungen auf einen massiven Personalabbau drängten, sogar, Ihnen entgegenzukommen. Hätte nicht Präsident Bush nach massiver Kritik an der Phantasielosigkeit der NATOVorschläge mit seinem „30 000 GI's gegen 150 000 Rotarmisten" im letzten Moment und ohne Konsultation mit den Verbündeten die westliche Presselandschaft zu beeindrucken versucht, die NATO stünde ohne jedes personelle Angebot im Wiener Ring. Die Bundesregierung hat die Chance schlicht verschlafen, die Lösung der Personalprobleme mit der Abrüstung zu verbinden.

(Beifall bei der SPD)

Der Staat darf keine Stunde Freizeit seiner Soldaten und keine müde Mark des Steuerzahlers in Anspruch nehmen, es sei denn, dies sei von der Aufgabe der Sicherheit her zwingend erforderlich. Ausgaben für Sicherheit verdrängen andere wichtige Aufgaben des Umweltschutzes, des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs, der Entwicklungshilfe, des Umbaus der östlichen Volkswirtschaften. Und es gibt auch noch Not in unserem eigenen Land. Allein die Weltrüstungsausgaben eines Jahres reichen aus, den Schuldenberg sämtlicher Entwicklungsländer abzutragen.
Nachdem schon die Bundeswehrstruktur 1984 so kläglich scheiterte, hätte es ihnen gut angestanden, mit der ganzen Planungskapazität Ihres Hauses das System Bundeswehr bis in die Grundfesten zu überprüfen und entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen.
Das gilt z. B. für die militärisch nutzbare Vorwarnzeit. Sie ist eine der Schlüsselgrößen für die Zahl der Soldaten, die wir von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen in den Kasernen nicht nur ausbilden, sondern nach der Ausbildung auch ausrückfähig festhalten. Diese Vorwarnzeit wird von der NATO mit 48 Stunden angegeben.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Lächerlich!)

Wir Sozialdemokraten sind schon seit langem sehr sicher, daß diese Vorwarnzeit ein schlichtes Märchen ist.

(Beifall des Abg. Horn [SPD] — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Und der Minister hat das gestern noch einmal bestätigt!)

Doch wie eine Monstranz haben die drei CDU-Verteidigungsminister die Vorwarnzeit von 48 Stunden vor sich hergetragen. In den letzten Wochen haben nun die Geheimdienste der Vereinigten Staaten in voller Übereinstimmung mit den Stabschefs der Teilstreitkräfte erklärt, daß die Vorwarnzeit unberührt von den Gorbatschowschen einseitigen Truppenverminderun-
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Dr. von Bülow
gen in Osteuropa schon immer mindestens drei bis vier Wochen betragen habe.

(Horn [SPD]: So ist es! — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Weil man es jetzt braucht!)

Es wäre honorig gewesen, Herr Stoltenberg, wenn auch Sie einmal Ihren Fehler und den des Apparates hätten zugeben können.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr! Kann er nicht!)

Für die Bundeswehrplanung heißt dies, daß den von den amerikanischen Geheimdiensten angenommenen drei bis vier Wochen Vorwarnzeit die sich aus den militärischen und politischen Vorgängen in Osteuropa ergebenden Veränderungen noch hinzugerechnet werden müssen. Muß dies nicht weitere Auswirkungen auf Ihre Bundeswehrplanung haben?
Gegenüber den Abrüstungsofferten der östlichen Seite zeigen sich der Chef der Hardthöhe und sein Generalinspekteur stets von der professionell skeptischen Seite. Um so eifriger verbreiten Sie, Herr Stoltenberg, Meldungen, wonach die Sowjetunion den Westen in Sachen Abrüstung hintergehe, indem sie beispielsweise ihre Panzerproduktion massiv erhöht und nicht abgesenkt habe. Geht man einer solchen Behauptung nach, stellt man als erstes fest, daß sie amerikanischen Quellen und nicht eigenen Erkenntnissen entstammt. Fragt man dann amerikanische Kongreßkollegen nach den Hintergründen der Meldung, so stellt sich heraus, daß die Behauptung von einer untergeordneten Geheimdienststelle in den USA ohne Gegenprüfung und Billigung durch andere Geheimdienststellen in Umlauf gegeben wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit — so der Vorsitzende des amerikanischen Streitkräfte-Ausschusses — seien die von den Sowjets genannten wesentlich niedrigeren Zahlen korrekt.
Ähnlich verhält es sich übrigens mit der angeblich unveränderten Raketenproduktion der Sowjetunion. Auf Nachprüfung stellte sich heraus, daß zwar die Raketenprogramme der Sowjetunion weitergeführt werden, daß jedoch innerhalb der Programme die Stückzahlen drastisch gesenkt wurden.
Sie tun der Bundeswehr und dem Bündnis keinen Gefallen, wenn Sie immer wieder ganz offensichtlich manipulierte, falsche Angaben über die Gegenseite vorlegen und dann auch noch auf der Grundlage dieser Fehlannahmen Ihre Planungen vorantreiben.
In den vergangenen Monaten hat sich Polen von der Vorherrschaft der kommunistischen Partei befreit. Das gleiche gilt für Ungarn. Inzwischen sind die kommunistischen Regime in der DDR und in der CSSR vom Volkszorn hinweggefegt worden. Der Warschauer Pakt ist nur noch begrenzt handlungsfähig. In die Kasernen der Bundeswehr ziehen schon Reservisten der NVA ein, wenn auch nur als Übersiedler in Notunterkünften.

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU] : Billig! — Weitere Zurufe von der CDU: Ha, ha, ha!)

Die Feldwebel eines Bataillions im Bayerischen sollen kürzlich nach Dienstschluß durch die zweckentfremdeten Kasernen gezogen sein und nach ehemaligen NVA-Soldaten gefragt haben. Zögerlich seien die
Hände hochgegangen, noch zögerlicher bei der Frage nach NVA-Unteroffizieren. Die sich meldeten, habe man dann ins Unteroffiziersheim mitgenommen und zum großen gemeinsamen Besäufnis zusammengeführt. Dann, Herr Stoltenberg, sollen diese Unteroffiziere ihre Kollegen auch noch über die Mangelhaftigkeit östlichen Gerätes gebrieft haben.
Was folgt eigentlich aus alledem für Ihre Bundeswehrplanung, Herr Stoltenberg? Glauben Sie immer noch, uns Westdeutschen Angst vor 15 polnischen Divisionen, vor den CSSR-Divisionen und den sechs NVA-Divisionen machen zu können, deren Soldaten wegen des großen Personalmangels in der DDR-Wirtschaft inzwischen zivil eingesetzt werden? Die NVA soll nur noch mit 50 % ihrer Soll-Stärke präsent sein. Glauben Sie wirklich, daß eine Sowjetunion, die mit den Unabhängigkeitsbewegungen der baltischen Staaten, der Ukraine und Armeniens zu ringen hat, so mir nichts, dir nichts zum Weltkrieg in Europa aufbrechen kann, und das auch noch aus dem Stand?
Wir Sozialdemokraten verlangen ja nichts Unbilliges von Ihnen. Sie sollen die Sicherheit unseres Landes im Bündnis auf der sicheren Seite halten. Doch es ist in diesem so chancenreichen Aufbruch der Völker Europas zur Beendigung ihrer Trennung, zum Bau und Bezug des gemeinsamen Hauses die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland, eine Verteidigungskonzeption zu erarbeiten, die es erlaubt, die sich bietenden Chancen der Abrüstung zügig wahrzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Doch mit der Struktur, die das Kabinett verabschiedet hat, sind Sie auf nichts vorbereitet. Sie müssen bei einer ehrgeizigen Abrüstungspolitik, die auch die Mannschaftsstände um mehr als die 20 000 Mann einbezieht, Ihre Struktur erneut verändern. Was machen Sie, wenn Gorbatschow in den nächsten Jahren etwa die Hälfte oder noch mehr seiner in der DDR stationierten Truppen abziehen oder gar auflösen wird?

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Dann bricht das Chaos aus!)

Was machen Sie, wenn der amerikanische Haushalt endlich saniert wird und die US-Boys bis auf 100 000 Mann unser Land verlassen? Wollen Sie dann eigentlich die Vorneverteidigung aufgeben, oder sind Sie bereit, die militärfachlichen Vorstellungen vom operativen Minimum aufzugeben? Oder bleibt die Bundeswehr hochgerüstet an der innerdeutschen Grenze als Generalausputzer, wenn alle anderen NATOStaaten ihre Streitkräfte vermindern, wie es der CDUKollege Lamers vorschlägt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen schon ganz genau, wie alles läuft? — Zuruf von der FDP: Dann brauchen wir keine Strukturkommission mehr!)

Die entscheidende Frage an eine Bundeswehrstruktur, deren Verfallsdatum über den Tag der nächsten Bundestagswahl hinausreichen soll, lautet: Wie können wir die Bundeswehr so umbauen, daß sie uns in und mit dem Bündnis die Sicherheit gewährleistet, in entspannten ebenso wie vielleicht auch in etwas tur-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14005
Dr. von Bülow
bulenter werdenden Zeiten zugleich jedoch den Abrüstungschancen, die sich auf der Waffen- und auf der personellen Seite ergeben, nicht im Wege steht?
Gorbatschow ist dabei, die militärische Konfrontation in Europa einzureißen. Er braucht die Rüstungskapazität für die Herstellung ziviler Güter. Warum ergreifen wir nicht sehr viel schneller und zügiger die Angebote der östlichen Seite? Was brauchen wir auf beiden Seiten noch 20 000 Panzer, mit denen jeder beim anderen mit Blitzkriegtechnik eindringen könnte?

(Zustimmung bei der SPD — Lowack [CDU/CSU]: Sie sollten froh sein, daß der Ostblock bereit ist, auf 20 000 herunterzugehen!)

— Der ist sogar bereit, noch weiterzugehen. Das Problem liegt bei der NATO, die dazu nicht in der Lage ist.
Die östliche Seite bietet den Übergang zur strukturellen Angriffsunfähigkeit an. Warum schlagen wir nicht schon jetzt ein? Wir sollten nun auch unsererseits die Aufrüstungsspirale, an der auch wir und unsere Industrien kräftig drehen, anhalten. Es darf nicht mehr gefragt werden, was wir denn westlicherseits noch alles an Waffensystemen zurüsten müssen, um der anderen Seite im Rüstungswettlauf zuvorzukommen. Nein, es müssen Forderungen an die andere Seite entwickelt werden, die dort aus den Arsenalen das wegnehmen, was uns noch gefährden könnte. Was muß weg, so lautet die Frage an beide Seiten, an eindringfähigem Gerät, an Nachschubeinrichtungen, amphibischem Gerät, operativen Manövergruppen, Kampfflugzeugen und Hubschraubern, und was sind wir im Gegenzug bereit zu leisten?
Militärisch herauskommen muß eine vereinbarte, sich in Bewaffnung und Struktur widerspiegelnde strukturelle Unfähigkeit zum Angriff beider Seiten.
Was muß, so müßte man fragen, aus den östlichen Bewaffnungen und Strukturen herausgenommen werden, um auf die tiefflugabhängige Eindringfähigkeit unserer Flugzeuge schlicht verzichten zu können? Gibt es keine zweiten und dritten offensivfähigen Wälle aus der Tiefe der Sowjetunion mehr zu bekämpfen, dann werden unsere extrem teuren Waffensysteme entbehrlich, die wir zu deren Bekämpfung vorgesehen haben. Ist dieser Zustand in Wahrheit nicht heute bereits erreicht?
Oder mit noch anderem Bezug gefragt: Ab wann glaubt eigentlich die NATO auf den Ersteinsatz von Massenvernichtungswaffen kurzer Reichweite verzichten zu können, die gegen unsere demokratischen Nachbarn und auch Landsleute gerichtet sind? Noch heute kann man allenthalben in Dresden, Leipzig und Berlin die Folgen der Feuerstürme des letzten Weltkrieges erkennen, in denen die Wohnbevölkerung ohne jeden militärischen Sinn schlicht verbrannt wurde. Die von der NATO immer noch angestrebte Lance-Modernisierung steht in der Tradition dieser Massenbombardements.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)

Ihre Beschaffung nach der Bundestagswahl ist in dem sich abzeichnenden Gesamteuropa undenkbar geworden.

(Lowack [CDU/CSU]: Reden Sie einmal von den vielen tausend Kurzstreckenraketen der Sowjets!)

— Die Sowjets sind ja zum Abzug bereit.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Müssen wir uns nicht als Deutsche im deutschen Interesse und gerade durch die Anlage unseres Bundeswehrbeitrages im westlichen Bündnis von Nuklearwaffen unabhängig machen? Ist es nicht richtig, daß die NATO, wie es den Worten ihres ersten Generalsekretärs, Lord Ismay, zu entnehmen war, drei Aufgaben hat, nämlich die Russen fern, die Amerikaner drin und die Deutschen unter Kontrolle zu halten? Ist das bedingungslose Festhalten der NATO an Nuklearwaffen nicht das entscheidende Mittel, auch unserer westlichen Freunde, die Deutschen auf Dauer unter Kontrolle zu halten?
Was hat die Bundesregierung eigentlich einzuwenden gegen die östliche Vorstellung eines durch Abrüstung und Umrüstung auch konventionell unmöglich gemachten Krieges? Was könnte man besser für die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung tun, als sie aus der abenteuerlichen Nuklearabhängigkeit der westlichen Verteidigung zu befreien und ihr einen Auftrag zu geben, den sie angesichts einer strukturell zum Angriff nicht mehr befähigten östlichen Seite mit Sicherheit erfüllen kann.
Doch all diesen Gedankengängen und Gestaltungsoptionen hat sich die Hardthöhe mit Fleiß nicht gestellt. Der Bundeswehrstruktur merkt man an, daß Alternativüberlegungen in sie kaum eingegangen sind. Kein Wunder, das Nachdenken über und Erforschen von alternativen Ansätzen wurde durch die drei Verteidigungsminister der CDU mit allem Nachdruck und zu allen Zeiten unterbunden. Könnten doch derartige Studien sehr schnell ergeben, daß man mit weniger Geld, weniger Personal und weniger Offensivität ein Mehr an wirksamer Verteidigung erreichen könnte.
Wir haben uns in den letzten Jahren als Opposition mit alternativen Überlegungen große Mühe gemacht. Wir haben nicht nur die östlichen Strategie-, Abrüstungs- und Strukturvorstellungen im konventionellen Bereich sehr nachhaltig beeinflußt, wir haben auch mit den Freunden im amerikanischen Kongreß zusammengearbeitet und Vorschläge unterbreitet.
So sind wir uns eigentlich recht sicher, daß wir auch gegen Ihren Widerstand, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl, das Ziel einer gemeinsamen Sicherheit in Europa erreichen werden; daß wir den Umfang der Streitkräfte um rund die Hälfte, quer durch die Last, auf beiden Seiten vermindern können; daß die offensivfähigen Waffensysteme auf gemeinsame Obergrenzen und die Hälfte des derzeitigen NATO-Umfangs herabgerüstet werden und daß wir im Zuge dieser Maßnahmen auch die Wehrpflicht auf zwölf Monate herabsetzen können. Etwas anderes wird dem Volk in Kürze auch kaum noch zu vermitteln sein.
14006 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. von Bülow
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118201700
Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID1118201800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach dieser ersten Obleuterunde auf den Kollegen Ronneburger zurückkommen, der richtigerweise festgestellt hat, daß es lange her ist, daß man hier umfassend über die Bundeswehr diskutiert hat; ich würde gerne hinzufügen: endlich auch einmal bei Tag und nicht bei Nacht und Nebel, wie das bei den Haushaltsberatungen immer der Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Der Kollege Dr. Mechtersheimer meint, daß die Begründung für die Existenz der Bundeswehr nicht aus der Souveränität abzuleiten sei; denn das Grundgesetz lasse die Bundeswehr nur als Folgerung aus dem kalten Krieg zu. Nun, Sie sollten das Grundgesetz besser lesen. Denn das Grundgesetz spricht vom Schutz seiner Bürger und der Freiheit und nicht vom kalten Krieg. Ich glaube, das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.
Zu den Ausführungen des Kollegen Dr. von Bülow. Er ist im übrigen stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuß, und ich würde seine Anwesenheit öfter wünschen, damit er sich dort informieren kann. Er hätte auch gestern abend in der zweistündigen Abendsitzung viele Dinge klären können, die er heute kritisiert hat;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

auch das muß dazu einmal gesagt werden. Zu Ihren Ausführungen ist festzuhalten, daß im übrigen selbst die Sowjets dem widersprochen haben, was Sie als Lagebild geboten haben. Denn sie haben das — von Ihnen bestrittene — Übergewicht wiederholt bestätigt. Da werden die Zeitungsmeldungen, die Sie sammeln, den Gegebenheiten nicht mehr gerecht. Ihre Rasenmähertheorie ist nicht solide.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118201900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bülow?

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID1118202000
Wenn es nicht angerechnet wird. — Bitte sehr.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID1118202100
Herr Vorsitzender, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich gestern an einer Podiumsdiskussion teilnehmen konnte und deshalb die plötzlich auf 8 Uhr abends anberaumte Sitzung des Verteidigungsausschusses nicht wahrnehmen konnte?

(Breuer [CDU/CSU]: Sie wären auch um 4 Uhr nicht gekommen! — Nolting [FDP]: Der kommt doch sonst auch nicht!)


Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID1118202200
Ich nehme das gern zur Kenntnis. Nur muß man dann mit seiner Kritik zurückhaltender sein, wenn man aus diesen Gründen nicht teilnehmen kann.

(Widerspruch bei der SPD — Dr. Briefs [GRÜNE]: Wieso das denn?)

Nun zur Sache: Die von Verteidigungsminister Dr. Stoltenberg vorgelegte Bundeswehrplanung ist die Antwort auf positive Signale der Abrüstungsverhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa sowie auf vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen in Wien, aber auch auf die tiefgreifenden und ermutigenden Veränderungen in Osteuropa, zugleich aber auch ein Weg, wie ich meine, um der in den 90er Jahren zu erwartenden Personalenge bei Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten zu begegnen.
Der Zeitpunkt, zu dem die Planungen nun vorgelegt werden, ist richtig, aber auch zwingend. Denn die Entscheidung bringt auch tiefe Einschnitte in den Personalbereich, in die Standortfrage, in Bereiche der Standorte, die aufgelöst oder eingeschränkt werden. Planung und Umsetzung verlangen einen längeren Zeitraum. Sowohl die Bundeswehr insgesamt als auch jeder einzelne Soldat soll rechtzeitig wissen, wo es langgeht. Jetzt müssen die Rahmenbedingungen dafür festgelegt werden, wie die Bundeswehr in der Mitte der 90er Jahre aussehen soll.
Die Sowjetunion und die anderen Lander des Warschauer Pakts befinden sich in einer Phase des Umbruchs, in der sie schwierige innenpolitische und ökonomische Probleme lösen müssen. Der Weg zur Erlangung von Freiheit und Selbstbestimmung und zur Gesundung der zerrütteten Volkswirtschaften dort erweist sich als außerordentlich schwierig. Dabei sind diese Länder auf unsere Unterstützung angewiesen.
Sicher ist ein militärischer Konflikt heute weniger denn je aktuell. Dennoch können wir, so meine ich, auf ausreichende Sicherheitsvorkehrungen und auf ein starkes Bündnis nicht verzichten. Zeiten des Umbruchs sind immer auch Zeiten besonderer Gefahren. Sie sind mit vielfältigen Risiken behaftet. Es wird auch die Frage nach dem politischen Überleben Gorbatschows, nach Perestroika und vielem anderen mehr gestellt. Es ist daher die Absicht des Bundesverteidigungsministers, trotz eines reduzierten Umfangs aktiver Soldaten zunächst einmal den seitherigen Verteidigungsumfang der Bundeswehr beizubehalten, aber auch diesen zu überprüfen.
Jetzt geht es vor allem aber auch darum, eine Streitkräfteplanung für die Bundeswehr vorzulegen, die langfristig Bestand hat. Sicher werden sich auch in den 90er Jahren die Rahmenbedingungen für unsere Sicherheit weiter verändern. Es ist deshalb wichtig, daß die neue Bundeswehrstruktur so flexibel gestaltet wird, daß sie auch auf künftig veränderte außen- und sicherheitspolitische Bedingungen reagieren kann, ohne daß es neuer Umstellungen bedarf. Weder das Atlantische Bündnis noch unsere eigenen Soldaten dürfen den Wechselbädern ständig neuer Strukturen ausgesetzt werden.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Dennoch müssen die Zahlen immer wieder auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft werden.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14007
Biehle
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat damit überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, wir sind aufgeschlossen, wenn Fakten und verifizierbare Abrüstungsvereinbarungen auf dem Tisch liegen. Da gibt es für uns gar keine starren Grenzen für die Zukunft. Nichts ist tabu, wenn es um den Frieden und um mehr Sicherheit geht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Wunschdenken und Indianerspiele im Stadtpark ersetzen allerdings keine Politik,

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Wer macht die denn? — Weitere Zurufe von der SPD)

die auch in Zukunft Freiheit, Sicherheit und Souveränität sichern soll, zumal in den Bereichen der sowjetischen Armee bisher keinerlei gravierende Veränderungen feststellbar sind.
Für die Planungsumsetzungen in der Bundeswehr gilt es allerdings auch einige Kriterien aufzuzeigen. Bei der Realisierung der jetzt vom Kabinett beschlossenen Struktur muß der Schwerpunkt auf einer auch an den Bedürfnissen der einzelnen Soldaten und Zivilbediensteten orientierten Personalplanung liegen. Soziale Härten müssen so weit wie irgend möglich vermieden werden. Die Umstrukturierungen dürfen nicht auf dem Rücken der Soldaten und ihrer Familien ausgetragen werden. Versetzungen großen Stils mit Umzügen und vermehrtem Schulwechsel der Kinder darf es nicht geben. Eine Planungshektik, die die Belange der Betroffenen unbeachtet läßt, muß vermieden werden.
Zusammen mit der neuen Bundeswehrplanung ist über die Dauer des Wehrdienstes zu entscheiden. Wir wollen den 15monatigen Wehrdienst. Unsere Vorstellungen nach Beibehaltung der 15monatigen Wehrdienstzeit werden im Zusammenhang mit Wien realisiert werden.
Daß wir auch in unserer Arbeitsgruppe fortschrittlich sind und schnell auf neue Lagen reagieren können, mag auch darin zu sehen sein, daß wir uns in unserer Arbeitsgruppe gegen nur eine Stimme für W 15 ausgesprochen haben. Es ist keine Frage, wer sich dabei durchgesetzt oder nicht durchgesetzt hat. Ich bin dankbar, daß auch der Kollege und Minister Möllemann die Gegebenheiten beachtet hat und im Kabinett nun auch nach dem Grundsatz mitgestimmt hat: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

(Nolting [FDP]: Na!)

Wenn die Verhandlungen über die Abrüstung konventioneller Waffen in Wien weiterhin so positiv verlaufen wie bisher, reicht jedenfalls ein 15monatiger Wehrdienst aus, um den erforderlichen Personalumfang der Bundeswehr sicherzustellen. Wir sollten uns in unseren Entscheidungen aber nicht auf Trends und Stimmungen stützen, sondern auf Fakten.
Ich persönlich freue mich auf diese Gesamtentwicklung. Als ich im Dezember vergangenen Jahres auf die Beibehaltung von W 15 hinwies und mich für eine
Reduzierung des Umfangs der Bundeswehr ausgesprochen habe, gab es viel Kritik.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Aus Ihrer eigenen Partei!)

Aber, wie angekündigt, kam das Thema jetzt wie das Echo des Trompeters am Königssee zurück.

(Gerster [Worms] [SPD]: Das passiert auch mit anderen Themen!)

Wir werden darauf dringen — lassen Sie mich auch das sagen — , daß die Früchte des Abrüstungsprozesses auch uns, der Bundesrepublik, der Bundeswehr, zugute kommen, denn unsere Politik — auch das wurde schon gesagt — hat wesentlich zu den Erfolgen im Abrüstungsbereich beigetragen. Ich meine damit konkret, daß die Vereinbarungen zur Personalkürzung nicht nur für die beiden Großmächte greifen dürfen. Sicherlich ist die Überlegung richtig, daß die Westeuropäer mehr Verantwortung übernehmen sollen, denn die USA werden auf die Dauer sicher nicht die Hebamme Europas sein. Eine friedenserhaltende Präsenz der US-Streitkräfte bleibt dennoch zwingend notwendig. Das Bündnis, zu dem wir stehen, bildet die feste Grundlage zu dieser atlantischen Partnerschaft. Andererseits würde bei uns niemand Verständnis dafür aufbringen, wenn wir bei einem erfolgreichen Abschluß von Abrüstungsverhandlungen Stellvertreterposten übernehmen müßten, ohne an Reduzierungen der Potentiale beteiligt zu werden. Da müssen wir hellwach bleiben.
Reduzierungen werden aber auch Auswirkungen auf die Zivilbediensteten der Bundeswehr, auf den Rüstungsbereich und auf das Verteidigungsministerium selbst haben. Hier ist das Verteidigungsministerium gefordert, Antworten darauf zu liefern, wie sich die Reduzierung der Zahl der Soldaten und die gesamte Abrüstung auswirken. Eines steht sicher fest: daß die Wehrverwaltung erst nach Klärung der Reduzierung des militärischen Umfangs als zweiter Schritt folgen kann.
Aber auch die Auswirkungen auf den gesamten Rüstungsbereich sind von gravierender Bedeutung und müssen analysiert werden. Hier sind Wirtschaft, Kommunen, Dienstleistungsbereiche, Arbeitsplätze und viele Familien betroffen.
Die Reservisten gewinnen zunehmend an Bedeutung. Von drei Heeressoldaten werden im Verteidigungsfall zwei Reservisten sein. Ausbildung und Führung durch Reservisten gilt deshalb besondere Aufmerksamkeit. Das Einberufungssystem muß flexibler werden. Statt 40 % eines wehrpflichtigen Jahrgangs müssen künftig 80 % aller Reservisten eingeplant werden.
Selbstverständlich sollte sein, daß auch die persönlichen Belange der Zivilbediensteten bei der Realisierung des neuen Bundeswehrplans in gleicher Weise berücksichtigt werden wie die Soldaten, wie das auch sehr deutlich der Herr Verteidigungsminister gesagt hat.
Es wird auch zu Eingriffen in die bestehenden Führungsstrukturen und in die Zahl der Verbände und Dienststellen kommen. Die Frage, ob tatsächlich so viele Kommandoebenen und Stäbe gebraucht wer-
14008 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Biehle
den, wie gegenwärtig vorhanden sind, stellt sich mit neuer Dringlichkeit.
Ein Trugschluß wäre es aber, wenn man glaubte, daß es größere finanzielle Entlastungen durch die Abrüstung gibt. Deswegen ist es illusorisch, riesige Summen — bis zu 3 Milliarden DM — zu nennen, die gestrichen werden sollen. Auch Abrüstung kostet Geld, wenn man an die neu aufzubauenden Überwachungsorgane für den Abrüstungsprozeß und deren technische Ausstattung denkt, die zur Verifikation gebraucht werden.
Auch der Umweltbereich stellt der Bundeswehr neue Aufgaben. Die Sowjets weisen schon heute in Wien auf die hohen Kosten z. B. der Abrüstung von Panzern hin. Dazu sollen 320 Mannstunden notwendig sein. Dabei ist ganz zu schweigen von der großen Zahl Soldaten, die auf den zivilen Arbeitsmarkt drängen und zum sozialen Sprengstoff in der Sowjetunion werden können.
Auch für uns gilt: Eine kleinere Bundeswehr ist nicht unbedingt billiger, denn sie muß genauso modern sein wie eine größere. Wenn die Zahl aktiver Verbände abnimmt, werden die Aufwendungen für die Betreuung und Ausbildung der Reservisten und die Kosten für die Mobilmachungsvorbereitungen zwangsläufig größer.
Zu Recht wird gesagt, daß die neue Entwicklung in den 90er Jahren die Bundeswehr von einer Präsenzarmee zu einer Mobilmachungs- und Ausbildungsarmee umformt. Das Heer wird dabei besonders reservistenabhängig werden.
Für die Bundeswehr bedeutet neue Planung aber auch eine große Chance. Sie gibt die Möglichkeit, Ballast abzuwerfen und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wieder zu verbessern. Bedrohungslagen können sich ändern, sie können sich abschwächen oder überraschend auch wieder größer werden. Die künftige Struktur der Bundeswehr muß daher so angelegt sein, daß die Wiener VKSE-Ergebnisse implementiert werden können, ohne daß es deswegen erneut immer wieder zu Strukturänderungen kommt.
Dies bedeutet harte und schwere Arbeit für die Militärs, damit ab 1992 der Friedensumfang reduziert und etwa 1996 die neuen Strukturen realisiert werden können. Gerade in der Sicherheitspolitik brauchen wir Kontinuität und Berechenbarkeit.
Dem Hause liegt nun auch noch eine Entschließung der Koalitionsfraktionen vor, die die Bundesregierung auffordert, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die die längerfristigen Aufgabenstellungen, Entwicklungen und Probleme der Bundeswehr auf Grund der neuen Planung untersuchen soll. Damit soll ein ergänzender Beitrag geleistet werden, der als einer der Schwerpunkte die Auswirkungen der Veränderungen sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen auf die Weiterentwicklung der Verteidigungskonzepte in der Struktur der Gesamtverteidigung untersuchen und Alternativen skizzieren soll. Dies alles unterstreicht die Flexibilität dieser neuen Planung.
Diese Debatte soll jedoch nicht vorübergehen, ohne auch parlamentarisch unseren Soldaten für ihren nicht immer leichten Dienst als Friedensarmee Lob und Dank zu zollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die zivilen Bediensteten, aber auch die Familien sind hier einzubeziehen. Dank gebührt auch Ihnen, Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg, dem Generalinspekteur und allen, die mitgeholfen haben, zeitgerecht die Planungen auf den Tisch des Parlaments zu legen.
Abrüstungsberichte, Ergebnisse der Wiener Verhandlungen und der politische Alltag mit dem fast stündlichen Jagen neuer Nachrichten werden auch künftig Grundlage für das Parlament sein, jeweils geeignete, aber auch realistische Entscheidungen zu treffen.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selbst nicht! — Dr. Briefs [GRÜNE]: Da macht sich einer Mut! Das ist das Pfeifen im Walde, Herr Kollege!)

In einem ersten Schritt haben wir federführend im Bündnis die Abrüstungsvorstellungen auf die Schiene gebracht und Weichen auf dem Weg in die 90er Jahre gestellt. So wie die Bahn Fahrpläne wechselt, ohne die Streckenführung, Personal, Zugpaare oder gar den Sicherheitsstandard zu ändern, muß die Politik im Rahmen des aktuellen, aber vor allem realen Abrüstungsgeschehens auch in der Bundeswehrplanung stets Flexibilität demonstrieren, wenn im WarschauerPakt-Bereich die vielen Ankündigungen und Vorschläge in die Tat umgesetzt werden, was wir alle erhoffen. Die Standhaftigkeit unserer Sicherheitspolitik im Bündnis war jedenfalls bisher Garant für die Entwicklung in der Abrüstung. Dies läßt auch für die Zukunft hoffen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118202300
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster (Worms).

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1118202400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß nicht in Ausschußsitzungen gehen, um etwas zu erfahren, was so wahnsinnig neu sein soll. Man muß nur manchmal Papiere lesen, die dann als inoffiziell und nicht ernst zu nehmen abgetan werden, z. B. der Antwortentwurf des IP-Stabes im Bundesministerium der Verteidigung, der damals bei der Entscheidung, auf W 18 zunächst zu verzichten, formuliert wurde. Damals hat der IP-Stab auf kritische Journalistenfragen Antwortvorschläge gemacht. Zu der Frage, wie es in der Bundeswehr in den 90er Jahren konkret weitergehen werde, stand dort, daß die Mannschaftsstärke der Bundeswehr, wenn W 15 beibehalten werde, auf 380 000 Soldaten sinken werde und daß sie, wenn W 18 wieder eingeführt würde, auf 405 000 Soldaten absinken werde. Das hat der IP-Stab damals vorgerechnet.
Meine Damen und Herren, verehrter Herr Minister Stoltenberg, wenn man Ihre Regierungserklärung genau liest, und zwar auch zwischen den Zeilen, dann erkennt man, daß die Datenlage unverändert ist.
Es gibt natürlich noch ein paar, die W 18 hochhalten, nicht nur ein Aktiver in der Arbeitsgruppe Vertei-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14009
Gerster (Worms)

digung der Union, sondern auch andere. Ich möchte einen Leserbrief aus der „Süddeutschen Zeitung" von einem Dr. Manfred Wörner, Wäscherhof, 7321 Wäschenbeuren, erwähnen. In diesem Leserbrief des Lesers Wörner steht: Die Wehrdienstverlängerung erhielt Gesetzeskraft und war damit als Planungsgrundlage wohl nicht unrealistisch. — Also Wörner hält W 18 weiterhin hoch. Lieber Kollege Lowack, Sie stehen mit Ihrer Auffassung nicht allein.

(Breuer [CDU/CSU]: Lieber Florian, das ist doch unter deinem Niveau!)

Die Ungereimtheiten in der Koalition sind Ungereimtheiten, die nicht nur die Hardthöhe und das politische Bonn beschäftigen, es sind auch Ungereimtheiten, die tief in das Leben der betroffenen jungen Männer eingreifen, nämlich dort, wo es um die Einberufungspraxis der Bundeswehr geht.
Hier haben wir ein Thema — ich will ein anderes zusätzlich nennen — , das in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt: Es ist die sogenannte Dritte-Söhne-Regelung. Die Koalition ist hin- und hergeeiert und hat sich schließlich unter dem erheblichen Druck von Betroffenen, aber auch von uns dazu durchgerungen, zu entscheiden: Wenn zwei Söhne bereits Wehr- oder Zivildienst abgeleistet haben, werden weitere künftig nicht einberufen. Es ist aber völlig offen, ob die armen jungen Staatsbürger, die seit ein paar Monaten ihren Dienst leisten, die ebenfalls dritte Söhne sind und nur in dieser kurzen Zwischenphase einberufen werden konnten — denn auch vorher galt die Dritte-Söhne-Regelung — , ob diese armen Schweine — lassen Sie es mich so offen sagen — nun freigelassen werden, zurückgestellt werden und ihren Dienst quittieren können.
Deswegen haben wir heute einen Entschließungsantrag eingebracht, der es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleichtern soll, zu Potte zu kommen. Sie haben heute mit Datum 7. Dezember einen Entschließungsantrag nachgeschoben, wo Sie wiederum keine Entscheidung für diese Fälle treffen wollen, sondern vom Bundesministerium der Verteidigung eine Prüfung erwarten. Was soll denn das? Wozu einen Entschließungsantrag, wenn es um eine Prüfung geht? Ringen Sie sich doch einmal dazu durch, einem Entschließungsantrag von uns zuzustimmen, wenn Sie in der Sache einverstanden sind. Dann haben wir eine klare Situation.
Es gibt noch eine andere Personengruppe, die in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt, wenn es um die Ungereimtheiten der Einberufungspraxis geht. Das sind die sogenannten lebensälteren Wehrpflichtigen, und zwar diejenigen, die sich nie auf eigenen Antrag haben zurückstellen lassen, zum Teil wegen Tauglichkeitsstufe 3 vor zehn Jahren nicht einberufen worden sind und nun mit 27 Jahren zum Teil geholt werden, aus einem, ich sage: fast zynischen, technokratischen Betrachten dieses Überhangs, den man von oben abschmelzen will, damit man immer noch schön Reserven von Wehrpflichtigen hat, die man in den Folgejahren einberufen kann. Wenn man Männer, die mit 18, 19 Jahren gemustert worden sind, die dann wegen einer geringen Tauglichkeitsstufe nicht einberufen worden sind, die gar nicht mehr damit rechnen konnten, einberufen zu werden, die sich auch selbst nie um Zurückstellung bemüht haben, nun nach zehn Jahren plötzlich greift, dann ist das ein schlimmer Umgang mit der Lebensplanung junger Menschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf die Einberufung dieser lebensälteren — wie das so schön heißt — jungen Männer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Eiern in der Koalition betrifft nicht nur die Einberufungspraxis, sondern auch die Wehrstrukturkommission. Ich will nicht alle Stationen aufzählen — das wäre zu unerfreulich und auch nicht ergiebig — , aber ich will doch zumindest erwähnen, mit welcher Begründung Sie, Herr Kollege Ronneburger, in der Verteidigungsausschußsitzung vor wenigen Wochen unseren Antrag abgelehnt haben. Sie haben gesagt: Wir, die FDP — damals war es noch nicht Koalitionsmeinung, eine wie auch immer geartete Kommission einzuberufen — , wollen keine Wehrstrukturkommission, sondern eine Verteidigungsstrukturkommission; und das ist ja etwas völlig anderes.

(Zuruf von der SPD: Das sind die Mickymäuse!)

Gestern lag zu nächtlicher Stunde plötzlich eine Vorlage auf dem Tisch des Verteidigungsausschusses. Wir waren gespannt, was uns da zur Strukturkommission vorgelegt werden würde. Wenn man diese Vorlage genau liest, dann entnimmt man daraus folgendes: Es geht um die Überprüfung der Bundeswehrplanung. Diese ist durch den Bundesminister der Verteidigung vorgenommen worden. Die Überprüfung der Bundeswehrplanung ist von der Bundesregierung billigend zur Kenntnis genommen worden. Diese neue Streitkräftestruktur soll die Verteidigungsfähigkeit langfristig sichern. Das ist der Teil des politischen Handelns, der aus Ihrer Sicht stattgefunden hat. Nun fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die längerfristige Aufgabenstellungen, Entwicklungen und Probleme der Bundeswehr — wohlgemerkt: auf Grund der neuen Bundeswehrplanung — untersuchen soll.
Mit anderen Worten: Die Struktur steht fest; und jetzt reden wir einmal über Themen, die man z. B. im staatsbürgerlichen Unterricht behandelt, wie „Bundeswehr in Staat und Gesellschaft" , „Motivation und Attraktivität des Dienstes" und anderes mehr. Es geht in dieser sogenannten unabhängigen Kommission um alles; es geht nur nicht um die Struktur der Bundeswehr. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, mag ein Kompromiß sein, der von den beiden Fraktionen in der Koalition getragen wird, aber er ist, wenn man genau hinschaut, schlicht lächerlich. Sie können nicht den Anspruch erheben, daß das von uns ernst genommen wird.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118202500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
14010 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1118202600
Wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, ja.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1118202700
Herr Kollege Gerster, da Sie dem Bundesverteidigungsminister heute morgen offenbar nicht sehr aufmerksam zugehört haben,

(Gerster [Worms] [SPD]: Doch!)

frage ich Sie, ob Sie bemerkt haben, daß der Bundesverteidigungsminister gesagt hat „Probleme der Bundeswehr vor dem Hintergrund der neuen Bundeswehrplanung" — so wörtlich in seiner Rede heute morgen? Ich frage Sie im übrigen: Auf Grund oder vor welchem Hintergrund, wenn nicht dem der gegenwärtigen Bundeswehrplanung soll eigentlich eine solche Kommission arbeiten?

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1118202800
Verehrter Kollege Ronneburger, ob Sie jetzt sagen „auf Grund" oder „vor dem Hintergrund", in beiden Fällen ist die Konstante die Bundeswehrplanung,

(Zuruf von der SPD: So ist es! — Ronneburger [FDP]: Von der auszugehen ist!)

und die Variable ist das, was hier beraten werden soll, nämlich Akzeptanz des Wehrdienstes und Aufgabe der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft und ähnliches mehr. Es geht also nicht mehr um die Struktur. Das haben Sie nicht widerlegt, und das können Sie auch nicht widerlegen.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie müssen auch dem Beirat „innere Führung" klarmachen, wofür er eigentlich noch da ist, wenn Sie eine Kommission einberufen, die genau diese Aufgaben hat.
Wir bedauern aufs tiefste, daß Sie heute in der Regierungserklärung über vieles gesprochen haben, was mit der Struktur der Bundeswehr zu tun hat, daß Sie aber sehr wenig auf die Auswirkungen der Bundeswehr dort eingegangen sind, wo sie in das Leben der Menschen eingreift, und das ist der Wehrdienst, den wir als Pflichtwehrdienst unseren jungen Männern zumuten und von ihnen verlangen.
Herr Kollege und Verteidigungsminister Stoltenberg, Sie haben die Akzeptanzprobleme der Bundeswehr in einer, wie ich finde, bezeichnenden Weise verkürzt, indem Sie von den Wettbewerbsproblemen gesprochen haben, davon, daß auf Grund der erfreulichen Konjunktur der Wettbewerb um die jungen Menschen zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst uns dazu zwingt, zusätzliche Attraktivitätssteigerungen für den Wehrdienst einzubauen, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können.
Ich meine, wenn wir uns z. B. in dieser Kommission mit der staatsbürgerlichen Seite des Wehrdienstes befassen wollen, mit der ethischen Seite, dann müssen wir über den Akzeptanzverlust des Wehrdienstes sprechen, der weit mehr und weit größere Dimensionen hat, als das nur für die Personalrekrutierung der Bundeswehr aufgezeigt werden kann.
Unverändert sagen alle empirischen Daten, daß junge Männer, die unwillig zur Bundeswehr kommen — es sind auf eigenen Entschluß auch weniger als vorher, die Verweigererquote steigt weiter, und sie war noch nie so hoch wie zur Zeit, wie in Ihrer Regierungs zeit — , dann, wenn sie den Wehrdienst hinter sich haben, noch enttäuschter sind als zu Beginn ihres Wehrdienstes.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das stimmt, Herr Kollege!)

Unverändert belegen empirische, sozialwissenschaftliche Untersuchungen, daß sich die jungen Männer über unsinnige Befehle, über Herumkommandieren, über Langeweile, über sinnloses Vertun der Zeit und anderes mehr beklagen. Das zeigt, daß das, was wir eine sinnvolle, fordernde Dienstgestaltung nennen und was Sie heute in der Debatte auch erwähnt haben, tatsächlich nur sehr unzureichend stattfindet und daß vor allen Dingen die militärischen Vorgesetzten dafür sehr wenig Führungshilfen seitens der Hardthöhe bekommen.
Meine Damen und Herren, ob wir nun verfassungsrechtlich damit einverstanden sind oder nicht, es gibt auf Grund der Ausfüllung des Grundgesetzes, wie wir sie seit Jahren kennen, ein De-facto-Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Zivildienst. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns damit abfinden wollen — wir müssen das, und wir bejahen das —, dann muß die Bundeswehr um junge Männer werben. Ich gehe so weit, zu sagen: Die Bundeswehr muß so attraktiv werden, nicht daß es Spaß macht, Soldat zu sein — das sage ich nicht — , sondern daß junge Männer, die prinzipiell ja zur Landesverteidigung sagen — das ist immer noch die überwiegende Mehrheit — , in ihrem persönlichen Beitrag zur Landesverteidigung einen Sinn sehen und diesen Sinn im täglichen Dienst erleben können. Genau da fehlt es in der Alltagserfahrung der Wehrpflichtigen in der Bundeswehr.

(Zumkley [SPD]: Sehr richtig!)

Zu dieser Sinnerfüllung trägt auch nicht bei, was Sie durch die Einberufungspraxis mit der Lebensplanung junger Menschen anrichten. Allein durch das ständige Hin und Her zwischen W 18 und W 15 und durch das ständige Hin und Her der Einberufung bestimmter Personengruppen machen Sie hier sehr viel Vertrauen kaputt, daß Sie gar nicht mehr reparieren können.
Wir müssen uns angewöhnen, unabhängig von einer Bedrohungssituation, die immer nur politisch und militärstrategisch beurteilt werden kann, es zum Prinzip zu machen, daß wir im Rahmen der Wehrpflicht junge Männer nur noch so lange in der Bundeswehr festhalten, wie wir sinnvoll mit ihnen umgehen können, wie wir ihnen einen sinnvollen Auftrag geben können. Das würde bedeuten, eine Wehrstrukturkommission auch mit Aufgaben zu betrauen, die ein bißchen weitergehen als nur die Status-quo-Fortschreibung. Zum Beispiel dort, wo wir junge Wehrpflichtige nicht qualitativ hochwertig technisch ausbilden können, wo wir also mit der Ausbildung relativ schnell fertig sind, in der Infanterie, bei den Sperrbrigaden, bei den Sicherungssoldaten im rückwärtigen Raum, aber z. B. auch bei Panzergrenadieren, sollten wir prüfen, ob wir nicht im Rahmen einer gespaltenen Wehrpflicht diese jungen Männer nach einigen Monaten nach Hause schicken und sie dann in Form einer
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Gerster (Worms)

milizähnlichen längerfristigen Verpflichtung jährlich ein-, zweimal in die Truppe zurückholen.

(Zurufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Ich sage nicht, daß wir das so machen können und daß das sozusagen mit einem Federstrich organisiert werden kann, aber diese Empfehlung, die damals 1972 eine Wehrstrukturkommission bereits gegeben hat, nämlich Truppenversuche zu machen, auszuprobieren, ob es wirklich geht, ist bis heute nicht auf gegriffen worden. Sie könnte und müßte heute aufgegriffen werden. Es wäre ein Beitrag zur sinnvollen Dienstgestaltung und zur Sinnerfüllung im Wehrdienst, daß wir den Wehrdienst so verkürzen, daß er nur dort 12 oder 15 Monate dauert — wir sind auf längere Sicht für 12 Monate —, wo wir diese 12 Monate sinnvoll ausfüllen können. Wo das nicht geht, soll man die Leute nach Hause schicken und regelmäßig zurückholen,

(Beifall bei der SPD)

aber dafür im Gegenzug auf die als Reservisten verzichten, denen wir jetzt zumuten wollen, zusätzlich zu einer relativ langen Grundwehrdienstdauer von 15 oder — das ist immer noch nicht ausgeschlossen —18 Monaten, jahrelang in zweiwöchigen Wehrübungen zur Truppe zurückzukehren. Sie wissen genau, wie hoch die Ausfallquote ist, und Sie wissen genau, wie hoch die Unzufriedenheit bei den Betroffenen ist. Die werden wir damit nicht zu Multiplikatoren der Bundeswehr und der Landesverteidigung machen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns angewöhnen, in einem Zeitalter, wo sich so viel verändert und wo so sehr viel neu gedacht werden muß, umzudenken. Was denken wir z. B. im Rahmen einer Konföderation oder eines Deutschen Bundes über die Vorneverteidigung? Soll auf Dauer die Vorneverteidigung mitten durch den Deutschen Bund gehen? Soll auf Dauer die NATO den Feind sozusagen innerhalb dieses Deutschen Bundes definieren? Wie soll das alles weitergehen? Hier ist doch sehr viel offen.
Wir müssen uns diese Offenheit auch angewöhnen, wo es um die Wehrstruktur geht. Ich bin verblüfft zu sehen und zu lesen — wie viele von Ihnen auch —, daß hochkarätige Bundeswehrgenerale, meistens erst, wenn sie pensioniert sind, wie z. B. Günther Kießling, sehr viel mehr Fähigkeit zum Querdenken haben als all die Planer auf der Hardthöhe. Günther Kießling hat eine gesamtdeutsche Armee von 300 000 Soldaten vorgeschlagen,

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Viel zu viel!)

die nur diejenigen zwölf Monate festhält, mit denen sie etwas anfangen kann,

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Was sollen die denn machen?)

und die anderen Soldaten nach einem Grundwehrdienst nach Hause schickt und dann als Miliz mit der heimatnahen Landesverteidigung betraut.

(Breuer [CDU/CSU]: Und welche Meinung haben Sie dazu?)

— Ich halte das für sehr interessant. Ich wäre für eine
Wehrstrukturkommission, lieber Paul Breuer, in der
das genau untersucht wird. Da sind wir ergebnisoffen, und das möchten wir gerne mitmachen.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Was sollen die 300 000 denn machen? — Lowack [CDU/CSU]: Das ist doch eine Sache, die wir Politiker entscheiden müssen! Dazu brauchen wir keine Wehrstruktur-Kommission!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, den jungen Menschen in unserem Land — auch den Frauen übrigens — , die Multiplikatoren in der öffentlichen Meinung sind, wird immer schwieriger zu vermitteln sein, daß zur Kriegsverhinderung eine Präsenzarmee notwendig ist, für die wir unseren jungen Männern in den besten Jahren ihres Lebens einen Dienst abfordern, dessen Sinnhaftigkeit schwer zu erkennen ist. Deswegen arbeiten wir mit und arbeiten wir zusammen an einem Umbau der Bundeswehr, der über unvermeidliche Anpassungen deutlich hinausgeht und die Zukunft der Friedenssicherung in einem Europa der Zukunft erkennen läßt.

(Beifall bei der SPD — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Was ist Ihre Meinung?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118202900
Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118203000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute diskutieren wir über die — ohne jeden Zweifel — größte Veränderung der Bundeswehr seit ihrem Bestehen.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das hätten wir vor vier Jahren anfangen sollen!)

Die Bundeswehr wird im kommenden Jahrzehnt ihr Gesicht stärker verändern als in den vergangenen drei Jahrzehnten. Meine Damen und Herren, es sind klare Vorgaben, die hier vom Bundesverteidigungsministerium gegeben werden,

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Klar, aber falsch!)

klare Vorgaben, die einerseits deutlich machen, wohin die Reise gehen soll, die andererseits aber Zahlen nicht zum Dogma erklären, sondern nach wie vor Flexibilität offenbaren, um internationalen Entwicklungsprozessen Rechnung tragen zu können. Was mehr kann man eigentlich verlangen?
Ich denke, wenn man die Art und Weise beobachtet, wie die Opposition, insbesondere die SPD-Opposition, nicht nur heute morgen, sondern in den letzten Wochen damit umgeht, kann man das Ganze nur als kümmerlich und hilflos bezeichen. Herr Kollege Gerster hat hier von Ungereimtheiten gesprochen. Ich möchte ihn einmal fragen, welche Ungereimtheiten eigentlich in der SPD seit Wochen, ja seit Monaten diesbezüglich vorhanden sind. Da fordert Frau Matthäus-Maier im Zusammenhang mit ihrem Programm „Fortschritt 90" — oder „Rückschritt 50" —, zehn Milliarden DM bei der Bundeswehr zu sparen. Da sagt Herr Kollege Horn, das sei nicht möglich, das sei Quatsch. Er hat es in der öffentlichen Diskussion gesagt. Das gehe überhaupt nicht.
Heute stellt er sich hier hin und sagt, einerseits sei das, was gemacht werde, zu wenig, andererseits für die Soldaten zu viel. Da kommt Herr Kollege von Bü-
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Breuer
low hierher, erzählt von der Offensivkraft der Bundeswehr. Ich frage mich, wo der überhaupt in der Vergangenheit Verantwortung getragen hat. Es ist alles völlig verworren. Der letzte Redner war Kollege Gerster. Wir haben bis jetzt nicht gehört, welche Stärke nach Ihrer Meinung die Bundeswehr haben soll und was sie denn auf Dauer kosten darf.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118203100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118203200
Bitte schön.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1118203300
Herr Kollege Breuer, würden Sie mir zugeben, daß ich dies in einer differenzierteren Weise dargelegt habe, daß nämlich der Bundeswehrhaushalt kein Steinbruch ist, daß man die Ausgaben nur einmal tätigen kann und die Abrüstungsgewinne nicht beliebig verteilt werden können? Ich habe dieses Sammelsurium als Quatsch bezeichnet.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118203400
Herr Kollege Horn, es ist richtig, daß Sie das Sammelsurium als Quatsch bezeichnet haben. Es ist aber auch richtig, daß Sie die Vorstellungen, in einer derartigen Weise in den Verteidigungshaushalt einzugreifen, als unsinnig bezeichnet haben. Insofern bedanke ich mich für die Fragestellung, die es mir ermöglicht, das differenzierter darzustellen.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: „Vorlage" heißt das!)

Zu Herrn Kollegen Horn möchte ich dann noch etwas nachlegen. Wenn ich Ihre Rede noch einmal verfolge, dann meine ich: Es ist eine ausgesprochene Doppelstrategie, die Sie verfolgen.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Eine Doppelstrategie ist eigentlich gut!)

Sie wollen einerseits die Sympathie der Soldaten behalten, die natürlich hinsichtlich der großen Veränderungen die im kommenden Jahrzehnt auf sie zukommen, Befürchtungen haben. Sie wollen andererseits aber die Sympathie in der Öffentlichkeit behalten, in einer Öffentlichkeit, die große Abrüstungserwartungen hat.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Zu Recht!)

Sie wollen einerseits den Soldaten Sicherheit geben, obwohl heute Ihre Kollegen fordern, die Bundeswehr fast bis auf die Hälfte zusammenzustreichen, und das ohne Daten und Fakten im internationalen Abrüstungsprozeß. Sie wollen andererseits der Öffentlichkeit sagen: Wir wissen genau, wie sich das entwickelt. Eure Abrüstungserwartungen können in vollem Umfange erfüllt werden. — Das ist nicht seriös, Herr Kollege Horn.

(Abg. Horn [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte sehr.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118203500
Sie gestatten ihm noch eine Zwischenfrage? — Bitte schön.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1118203600
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Breuer, würden Sie zugeben, daß ich vorhin sehr klar ausgeführt habe: Wir kritisieren nicht die Reduzierungen; wir kritisieren aber, daß fünf Jahre an Planungszeit verplempert wurden und damit die Betroffenen in erhebliche Schwierigkeiten kommen?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118203700
Herr Kollege Horn, das ist auch nicht logisch, was Sie hier sagen.
Sie machen einerseits den Vorwurf, daß das, was jetzt gemacht werden müsse, noch sehr viel konsequenter, noch sehr viel schneller gemacht werden muß, als es eigentlich vorgeschlagen wird. Anders kann ich die Rede des Herrn Kollegen von Bülow gar nicht verstehen.
Andererseits machen Sie den Vorwurf, daß man über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg auf der Basis alter Fakten weitergeplant hat.
Es geht entweder das eine oder das andere.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: In der Politik nie! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Erst hattet ihr Verstopfung, jetzt habt ihr Durchfall!)

Entweder muß man versuchen, auf der Basis der jeweils gültigen und geltenden Fakten Planungssicherheit zu schaffen, oder man muß sich in einen Prozeß begeben, der sich dann selbst überholt.
Um auf den Vorschlag des Bundesverteidigungsministers zurückzukommen: Ich bin davon überzeugt, daß er einerseits die Möglichkeit der Planungssicherheit auf der Basis seriöser Zahlen bietet, daß er andererseits aber so viel Dynamik in sich trägt — weil wir uns nicht auf eine klare Zahl über den ersten oder den zweiten Schritt des Abrüstungsprozesses hinaus festlegen — , daß wir der internationalen Lage gerecht werden.
Die Zielrichtung ist klar. Es geht darum, die Kooperation zwischen Ost und West zu verbessern.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Dann man los!)

Das bestreitet niemand hier im Hause. Es geht darum, diese Kooperation zu verbessern, um die Teilung Europas und die deutsche Teilung zu überwinden. Es geht darum, Kräfte freizusetzen, um den Menschen in Ost- und Mitteleuorpa Entwicklungschancen und Wohlstand zu ermöglichen. Um das hier zu sagen: Das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West ist nicht sicherheitsdienlich gewesen; es ist ein Sicherheitsrisiko. Es geht darum, dieses Sicherheitsrisiko auf Dauer auszuschließen.
Es geht darum, meine Damen und Herren, Kräfte und Mittel freizusetzen, um in Entwicklungsländern und weltweit die drängenden Probleme der Menschheit zu lösen.

(Zustimmung des Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE])

Es geht nicht nur darum, meine Damen und Herren, Mittel aus dem Verteidigungshaushalt direkt in andere Haushalte umzuleiten. Es geht vor allen Dingen auch darum, auf der Basis einer neugewonnenen Friedensordnung in Europa Mittel, Kräfte in den Menschen freizusetzen, die dazu in der Lage sind, mit einer erhöhten Produktivität an die eigenen Probleme,
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Breuer
aber auch an die Probleme anderer Menschen in der Welt heranzugehen.
Das, was in Wien verhandelt wird, ist nur vordergründig eine Verhandlung über die Zahl der Panzer, die Zahl der Flugzeuge oder die Zahl der Artilleriesysteme, es ist im Hintergrund die Verhandlung über eine neue Friedensordnung in Europa, die so viel Kreativität, so viel Rentabilität freisetzen kann, daß nicht nur Europa seine Probleme meistern kann, sondern die Europäer mit dazu beitragen können, die drängenden Probleme in der Welt zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht darum, danach zu fragen, welchen Beitrag wir Deutschen zu welchem Zeitpunkt leisten können. Wie groß wird er sein und zu welchem Zeitpunkt richtig?
Ich denke, daß der Vorschlag des Bundesverteidigungsministers genau in die Landschaft paßt. Einerseits entspricht er den allgemeinen Abrüstungserwartungen. Hier muß eingeräumt werden, daß sie natürlich zum Teil über das hinausgehen, was vorgeschlagen ist; aber wir sagen ganz klar, daß mehr möglich ist, wenn der internationale Entwicklungsprozeß es zuläßt. Wir binden die Abrüstungsverhandlungen in Wien ausdrücklich mit ein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht zum zweiten darum, daß die finanziellen und personellen Ressourcen unserer Volkswirtschaft berücksichtigt werden. Es geht nicht nur, meine Damen und Herren, um die finanziellen und personellen Ressourcen eines Bundeshaushaltes, es geht um die finanziellen und personellen Ressourcen unserer gesamten Volkswirtschaft. Es geht darum, die Antwort darauf zu geben: Wieviel Finanzmittel sind notwendig, um Verteidigungsbereitschaft zu sichern, um die Moral, die vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, mit einer kontrollierten Macht im Äußeren auszustatten?
Die Legitimation der Bundeswehr ist dadurch gegeben, daß sie einerseits die Souveränität, die äußere Sicherheit unseres Landes sichert, andererseits aber die Bundesrepublik Deutschland zu einem international anerkannten Verhandlungspartner im westlichen Bündnis und darüber hinaus macht.
Ich weiß nicht, von wem das Wort stammt, das ich jetzt zitiere, aber es ist ein kluges Wort: „Macht ohne Moral ist verbrecherisch, Moral ohne Macht ist hilflos." Es geht darum, der Moral des Grundgesetzes, der Moral der westlichen Demokratien die angemessene Macht zu schaffen, die notwendig ist, um Sicherheit für uns, aber auch für die anderen Beteiligten um uns herum, für die Nachbarn und darüber hinaus, zu sichern und zu beschützen.
Meine Damen und Herren, wer für die Zukunft sorgen will, so sagte der französische Moralist Joseph Joubert, muß die Vergangenheit mit Ehrfurcht und die Gegenwart mit Mißtrauen aufnehmen. Ich denke, daß es darum geht, das richtige Maß des Mißtrauens in die Gegenwart zu finden. Es muß darum gehen, sich davor zu schützen, in Euphorie zu verfallen. Es muß aber auch darum gehen, so flexibel im eigenen Denken und im Erkennen der Zukunft zu sein, daß Zukunftschancen gewahrt werden. Dies muß in der Sicherheitspolitik so gemacht werden, daß möglichst wenige Risiken übernommen werden.
Sicherheitspolitik — der Bundesverteidigungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg hat dies in seiner Rede deutlich gemacht — ist kein tagespolitisches Klein-Klein. Sicherheitspolitik hat sich an langfristigen Möglichkeiten und Perspektiven zu orientieren. Sie muß Chancen und Risiken ausloten. Zielsetzung der Sicherheitspolitik ist es, Risiken so weit wie nur irgend möglich zu verhindern, auszuschließen.
Niemand von uns hätte den schnellen Entwicklungsprozeß im Verfall des Machtanspruchs der kommunistischen Parteien in Ost- und Mitteleuropa als so drastisch vorausgeahnt, weder Sie noch irgend jemand sonst in der Bundesrepublik Deutschland. Wir, die CDU/CSU, waren davon überzeugt — auch andere waren davon überzeugt — , daß dieser Machtanspruch auf Dauer verfallen würde, daß der Kommunismus sich selbst kaputtmacht. Aber niemand hat geglaubt, daß dies in derart schneller, rasanter und drastischer Art und Weise gehen würde.

(Lowack [CDU/CSU]: Was heißt hier niemand? — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Außer Lowack!)

Niemand kann aber heute vorausahnen, meine Damen und Herren, in welcher Art und Weise der Entwicklungsprozeß in Europa, in Ost- und Mitteleuropa, weitergeht. Daß Destabilisierungen vorhanden sind, das ist offensichtlich. Es sind zum Teil Machtvakuen entstanden. Wir alle hoffen, daß in diese Machtvakuen die Kräfte der Demokratie, die Kräfte einer verfaßten Demokratie mit Gewaltenteilung und mit Rechtsstaatlichkeit, hineinstoßen können; aber garantieren, meine Damen und Herren, kann das niemand von uns. Wenn wir es ehrlich zugeben: Die Art und die Größe der Machtmittel, die wir dafür besitzen, ist begrenzt.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Das ist sehr gut so!)

— Es ist auch gut, daß sie begrenzt sind; da stimme ich Ihnen zu.
Im übrigen wollen wir ja dort nicht einwirken. Natürlich wollen wir durch die Kraft der Rede, durch die Kraft der Überzeugung, durch die Beteiligung am Diskussionsprozeß oder auch am Abrüstungsprozeß einwirken.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Hoffentlich!)

Aber jetzt aus der Hüfte heraus in diesem Abrüstungsprozeß zu Entwicklungen zu kommen, die Unsicherheiten schaffen und die der Bundesrepublik Deutschland die Berechenbarkeit nehmen, das wäre mit Sicherheit verkehrt.

(Beifall des Abg. Scharrenbroich [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, um die Abrüstung noch einmal von ihrem Initialpunkt aus genau zu kennzeichnen: Versuchen wir, uns einmal vorzustellen, die Bundesrepublik Deutschland hätte ihre bereits durch Helmut Schmidt eingegangene Verpflichtung zur
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Breuer
Einlösung des zweiten Teils des NATO-Doppelbeschlusses nicht erfüllt!

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Aber Herr Breuer!)

— Ich weiß, daß Ihnen diese Fragestellung unangenehm ist;

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Nein, überhaupt nicht!)

aber ich kann sie Ihnen trotzdem nicht ersparen.
Wenn der zweite Teil des NATO-Doppelbeschlusses durch die Bundesrepublik Deutschland nicht eingelöst worden wäre,

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Dann hätten wir Gorbatschow nicht gekriegt!)

dann würde die Bundesrepublik Deutschland heute nicht nur im westlichen Bündnis, sondern auch darüber hinaus als unberechenbarer Partner, wenn überhaupt noch als Partner, gelten,

(Gerster [Worms] [SPD]: Thema verfehlt!)

und wir hätten keine Chancen, beispielsweise die Frage der Herbeiführung der deutschen Einheit so zu diskutieren, wie wir es heute können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Sozialdemokratie hat damals, hochgeschätzter Kollege Florian Gerster, versagt. Sie hat die historischen Chancen nicht erkannt. Aber mir geht es nicht darum, hier aufzurechnen.

(Gerster [Worms] [SPD]: Worum denn?)

Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß wir uns auch heute um Berechenbarkeit sowohl bei unseren Partnern im Bündnis, als auch bei den neuen Partnern bemühen müssen, mit denen wir in Ost- und Mitteleuropa zusammen mit unseren Bündnispartnern verhandeln wollen und in eine neue Form der Kooperation eintreten wollen.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Aber doch nicht mit den Vorstellungen!)

— Ich bin davon überzeugt, Frau Kollegin, daß diese Vorstellungen wie in der Vergangenheit, weil berechenbar, klar, aber auch flexibel, auch die Zukunft bestimmen werden. Nicht die Unberechenbarkeit der Hüftschüsse wird uns zum Erfolg bringen, sondern eine berechenbare Politik, die im Bündnis abgestimmt ist. Es hat überhaupt noch niemand danach gefragt, wie denn die anderen Bündnispartner hinsichtlich des zahlenmäßigen Zuschnitts ihrer Streitkräfte in den kommenden Jahren verfahren werden. Was wissen wir heute darüber?

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das wollen wir doch auch anregen!)

Eines steht fest, meine Damen und Herren: Im westlichen Bündnis ist die Bundesrepublik Deutschland das erste Partnerland, das klar sagt, wohin in den kommenden zehn Jahren die Reise gehen soll.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Mit welchem Ziel?)

Der Bundesverteidigungsminister ist der erste Verteidigungsminister, der in einer derartigen Art und Weise Vorschläge macht. Wenn man Ihre Debattenbeiträge hier verfolgt, hat man fast den Eindruck, er sei der letzte Verteidigungsminister,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Allerdings: der letzte! — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Der letzte der CDU/CSU!)

der den Vorschlag hier einbringt. Er ist der erste, der ihn einbringt.

(Weitere Zurufe von der SPD)

— Ja, Ihre Zwischenrufe allerdings, die sind das allerletzte. Das stelle ich fest. Das allerletzte!

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Aber, aber, Breuer!)

— Das ist ein Niveau, das dem Gewicht dessen, was zu debattieren ist, nicht gerecht wird.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Bei diesem ansteigenden Niveau sind die letzten Zwischenrufe die besten!)

Ein zweiter Gedanke dazu. Wenn der amerikanische Verteidigungsminister heute nicht ausschließt, daß die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte in Europa in einer Größenordnung von 200 000, also zwei Dritteln des heutigen Bestands, zurückgefahren wird, dann ist für uns nicht absehbar, in welcher Größenordnung der Beitrag der Europäer zur europäischen Sicherheit innerhalb des westlichen Bündnisses sein muß. Wir können unseren Beitrag, den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, heute noch nicht quantifizieren. Ich denke, daß auch das dazu veranlaßt, vernünftig zu sein und Entwicklungsprozesse genau auszuloten, um dann die richtigen Antworten geben zu können.

(Abg. Frau Schulte [Hameln] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118203800
Herr Abgeordneter, Sie haben nur noch sehr wenig Zeit.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118203900
Bevor ich zum Schluß komme, will ich die Zwischenfrage gern noch zulassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118204000
Es ist so, daß ich es eigentlich abstoppen müßte. Wissen Sie, Sie haben nur noch sehr, sehr kurze Zeit, und Sie haben schon eine im Verhältnis zu anderen Kollegen ganz schöne Redezeit gehabt. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1118204100
Gut. — Ich bin der Meinung, wir sind auf dem richtigen Weg.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Nein!)

Auf diesem Weg werden wir gewährleisten können, daß die Bundesrepublik Deutschland und unsere Bundeswehr ihren Beitrag im Abrüstungsprozeß in Europa, in der Sicherung des Friedens und in der Schaffung neuer Kooperationsmöglichkeiten in Europa über die Bündnisgrenzen hinweg leisten können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14015

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118204200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs (Verl).

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1118204300
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Vor unseren Augen vollzieht sich in atemraubender Geschwindigkeit ein welthistorischer Umbruch. Die beiden Supermächte haben ein neues Verhältnis der Kooperation gefunden. Sie bereiten bahnbrechende Abrüstungsvorschläge und -verträge vor und denken sogar daran, ihre Truppen um Hunderttausende zu reduzieren und aus Europa abzuziehen. Die Rüstungsausgaben sollen allein in den Vereinigten Staaten um 180 Milliarden in den nächsten Jahren gesenkt werden. Wir sind Zeugen einer friedlichen und demokratischen Revolution in der DDR und in Osteuropa, die jahrzehntealte Feindbilder in Wochen entwertet.

(Lowack [CDU/CSU]: Dank unserer Politik, der Regierungspolitik!)

Es ist wahr, was Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow in Malta gemeinsam festgestellt haben: Der Kalte Krieg ist vorbei.
In dieser Zeit legt die Bundesregierung ein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr vor, das keine eigenen Ziele hat, keine Perspektive für die europäische Abrüstung aufweist, sondern allein Reaktion auf die blanke Not ist.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

Weil das Geld fehlt und die Wehrpflichtigen fehlen und weil inzwischen auch in der Union der letzte eingesehen hat — vielleicht mit Ihrer Ausnahme, Herr Lowack — , daß 18 Monate Wehrdienst unter den heutigen Bedingungen lächerlich sind, soll der Bundeswehr-Umfang auf 420 000 sinken. Nach dem Motto „Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern" wird dabei alles vergessen,

(Biehle [CDU/CSU]: Das bleibt alles gesagt!)

was noch vor einem halben Jahr, Herr Biehle, zu den geheiligten Dogmen der Bundesregierung gehörte.

(Beifall bei der SPD)

Noch im Frühjahr dieses Jahres hieß es: Unterhalb von 450 000 Soldaten, dem sogenannten operativen Minimum — wir haben Erfahrung mit dem Begriff „operatives Minimum" bei diesen Verteidigungsministern; auch in anderen Zusammenhängen —,

(Biehle [CDU/CSU]: „Operatives Minimum" wird abgelegt, vergessen!)

würden die Verteidigung und die NATO-Strategie der „Flexiblen Antwort" zusammenbrechen.
Mittlerweile gilt das nicht mehr. Aber nicht neues Denken, sondern die Not, „Ressourcen" genannt, stand hier Pate. Weil nicht grundsätzlich umgedacht wird, sind auch die nächsten Fehlleistungen programmiert.
Der Verteidigungsminister erklärte dem Ausschuß in der ersten Unterrichtung — in der wir unter „Vertraulich" über das unterrichtet wurden, was schon viel ausführlicher in der Zeitung gestanden hatte — wörtlich, er wolle die Strukturen so anlegen, daß sie an
VKSE anpaßbar seien, ohne die Strukturen völlig ändern zu müssen.

(Beifall des Abg. Ronneburger [FDP])

Wer so etwas sagt, Herr Ronneburger, der betrügt sich selbst und der betrügt die Öffentlichkeit.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Vielleicht weiß er es ja nicht besser!)

Er gibt den Soldaten und der Bundeswehr einen Auftrag, den sie nicht erfüllen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drastische Reduzierungen der Streitkräfte in Europa, wie sie jetzt möglich werden, und erst recht eine Beseitigung der Angriffsfähigkeit verlangen eine neue Strategie und eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Verteidigungsstrukturen.

(Beifall bei der SPD)

Wer das nicht begreift, wer damit nicht schon heute beginnt, der legt schon jetzt den Keim für die Bundeswehrkrise der 90er Jahre. Wer heute immer noch zögert, der ist der welthistorischen neuen Situation einfach nicht gewachsen. Jetzt kommt es darauf an, weitreichende Ziele abzustecken, eine Perspektive für das Jahr 2000, anstatt sich aus Geldmangel und Personalnot von einer Halbheit zur anderen durchzuwursteln.
In Wien wird es im nächsten Jahr ein erstes Ergebnis geben. Danach muß so schnell wie möglich weiterverhandelt werden, ohne Vorwände für Verzögerungen. Wo, Herr Minister, ist Ihr Konzept für die zweite Phase?
Wir Sozialdemokraten wollen, daß sich Wien II die 50%ige Reduzierung aller Streitkräfte in Europa zum Ziel setzt. Das heißt, am Ende wird die Bundeswehr nur noch etwa 240 000 — nach dem heutigen Stand die Hälfte — Soldaten haben. So selbständig wie Herr Stoltenberg, der den Umfang der Bundeswehr um ca. 50 000 Soldaten senkt, ohne die Verbündeten zu fragen und ohne daß dies in Wien Gegenstand von Verhandlungen wäre, so selbständig sind wir auch. Wie die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion können auch wir einseitige Schritte machen und die Abrüstung beschleunigen. Wir wollen die Dauer des Grundwehrdienstes sofort auf zwölf Monate absenken

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Immer noch zuviel!)

und dann eine vernünftige Ausgestaltung des Wehrdienstes haben, wie das mein Kollege eben schon gesagt hat.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Immer noch zuviel!)

Wir wollen einen Stufenplan, um parallel zum Wiener Prozeß gegen Ende des kommenden Jahrzehnts ungefähr 240 000 Soldaten zu erreichen. Ich kann mir sogar vorstellen — denn die Entwicklungen, die jetzt laufen, sind nicht vorhersehbar —, daß es nach dem Jahre 2000 noch weniger sein werden.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wochenendübung! — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sehr gut! Neun Monate!)

14016 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Fuchs (Verl)

Damit markieren wir ein Ziel, für das wir schon heute die Strukturen vorbereiten müssen. Diese Struktur muß nicht nur an den Abrüstungsprozeß anpaßbar sein, sie muß ihn beschleunigen, und sie muß auch dann noch Bestand haben, wenn alliierte Truppen schneller als erwartet abziehen. Wir bereiten das vor.

(Beifall bei der SPD)

Ich kenne Überlegungen auf der Hardthöhe, für die Zukunft eine kleine, bewegliche High-tech-Truppe mit hoher Schlagkraft zu haben. Das ist der falsche Weg. Wir wollen weg von den beweglichen Verbänden und hin zu mehr statischen Strukturen, die zwar sperren und halten, aber nicht weiträumig angreifen können. Das ist kein Abstrich an der Vorneverteidigung oder der Verteidigungsfähigkeit, im Gegenteil. Wir werden bündnisintegrierte Strukturen schaffen, die den Namen Vorneverteidigung erst wirklich verdienen, allerdings strikt defensive.

(Horn [SPD]: Das ist der Punkt!)

Weitreichende Offensivsysteme haben in dieser Struktur keinen Platz. Das gilt für das Heer. Das gilt aber auch für die Marine und die Luftwaffe. Keine Raketen mit Reichweiten von über 40 km, keine Jagdbomber, keine weitreichenden Abstandswaffen! So utopisch das heute in manchen Ohren klingen mag: Zur Erlangung von Angriffsunfähigkeit ist das logisch notwendig.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Überhaupt keine Raketen! Wie wäre es damit?)

Etwas muß ich doch einmal ansprechen. Wenn sich die westlichen Vorschläge durchsetzen — die Wahrscheinlichkeit spricht sehr dafür — , dann wird es nach dem ersten Wiener Abkommen eine zweite Staffel des Warschauer Vertrages im heutigen Sinne nicht mehr geben. Damit entfällt die Begründung für alle Varianten von tiefeindringenden Waffensystemen.

(Lowack [CDU/CSU]: Warten Sie erst einmal ab, Frau Kollegin!)

Damit entfällt die Begründung von FOFA. Damit können dann auch die dafür bestimmten Jagdbomber und Raketen abgebaut werden.
Ich kann nur davor warnen, jetzt, weil FOFA der Boden entzogen wird, Ersatzbegründungen dafür zu erfinden, um sozusagen an liebgewordenen tiefgreifenden Angriffsoptionen festhalten zu können. Ich weiß: Daran wird schon wieder gebastelt.
Wenn man aber keine Jagdbomber mehr braucht, die tief in Feindesland eindringen, weil sie Radar unterfliegen sollen, dann ist auch kein Tiefflug mehr notwendig, nicht einmal nach Ihrer Logik. Wir Sozialdemokraten wollen, daß die Luftwaffe ihre Tiefflüge über der Bundesrepublik schon jetzt einstellt

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und die Alliierten von der Bundesregierung nachdrücklich aufgefordert werden, diesem Schritt zu folgen. Niemand in unserem Volk versteht doch, warum so viele Menschen Tag für Tag die Belästigung und Gefährdung durch Tiefflug ertragen müssen, wo jeder und jede weiß, daß der Friede heute sicherer ist denn
je und die Chancen für Abrüstung so groß wie noch nie sind.
Und nun ein Wort zum Jäger 90: Es gibt ja Leute, die in der Öffentlichkeit viel reden, und dann, wenn man zu der Sache spricht, nicht erscheinen. Das gilt für den Kollegen Möllemann, der hier sein sollte. Also, zu Herrn Möllemann möchte ich sagen: Ich freue mich, daß er in Interviews gegen dieses Wahnsinnsprojekt öffentlich zu Felde zieht.

(Dr. Feldmann [FDP]: Wir sind doch alle da!)

— „Möllemann" ! Sie heißen nicht Möllemann, oder?
Dem Möllemann hätte ich also gerne gesagt: Ich freue mich, daß er in Interviews sozusagen gegen dieses Wahnsinnsprojekt öffentlich zu Felde zieht. Nur kann ich ihm natürlich den Vorwurf der Doppelzüngigkeit und des Populismus nicht ersparen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP: Das müssen Sie gerade sagen!)

In der Presse das eine sagen, im Parlament genau das Gegenteil tun, das ist keine Politik. Wenn er wirklich meint, was er gesagt hat, hätte er unserem Antrag gegen den Jäger 90 zustimmen müssen. Aber genau das Gegenteil hat er getan — wie die übrige FDP übrigens auch.

(Dr. von Bülow [SPD]: Aber das ist Pressearbeit!)

Dem Verteidigungshaushalt hat er — und die FDP — auch zugestimmt. Der verschlingt mehr Finanzmittel denn je; denn unsere Vorschläge, über 3 Milliarden DM zu kürzen, wurden von allen abgelehnt. Auch Sie werden eines Tages begreifen, daß Geld anders eingesetzt für unsere Sicherheit sehr viel wirksamer sein kann.

(Zuruf von der FDP: Das wissen wir jetzt schon!)

Meine Herren und Damen, militärische Abrüstung verlangt zivile Alternativen. Menschen, Branchen, Regionen, die von der Rüstungsindustrie und von Standorten leben, dürfen nicht Opfer der Abrüstung werden.

(Lowack [CDU/CSU]: Jetzt auf einmal? — Zurufe von der SPD)

— Stimmt!
Der Staat, der als Haupt- oder sogar als Monopolabnehmer bestimmter Rüstungsgüter auftritt, kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, auch nicht gegenüber den Kommunen und Regionen, für die die Bundeswehrstandorte eine wichtige und oft zentrale Quelle ihrer Einnahmen sind.

(Lowack [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber ein Zickzackkurs, den Sie da fahren!)

Diese Lasten der Absenkung und Umstrukturierung zu übernehmen, kann nicht allein Kommunen und Ländern aufgeladen werden. Hier ist der Bund gefordert.

(Lowack [CDU/CSU]: Wir schaffen die Bundeswehr ab, aber nicht die Kasernen?)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14017
Frau Fuchs (Verl)

Wenn Ihnen die Ideen fehlen, wie das wirkungsvoll umgesetzt werden kann — ich finde es bedauerlich, daß Sie noch warten wollen, um da erst noch Konzepte zu entwickeln —, dann will ich nachhelfen. Wenn Sie die Verantwortung für die Menschen wahrnehmen wollen — und Sie haben gesagt, daß Sie das tun wollen, Herr Minister — , dann richten Sie doch eine Kommission ein von Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Arbeitgebern, Berufsverbänden und Gewerkschaften, die sich zur Aufgabe macht, ein nationales Konversionsprogramm zu entwickeln. Das wäre dringend nötig. Das gäbe den Betroffenen Sicherheit und nähme ihnen Existenzängste.
Kollegen und Kolleginnen, zu einer neuen Sicherheitsstruktur in Europa gehört natürlich auch die Beseitigung der taktischen Atomwaffen. Wir sind und doch in diesem Hause hoffentlich einig, daß alle Überlegungen zur atomaren Aufrüstung in den Papierkorb gehören. Eine Bundesregierung, die das noch weiterverfolgt, wird vom Volk hinweggefegt werden — um einmal Herrn Modrow zu zitieren.

(Breuer [CDU/CSU]: Völlig verfehlt, dieser Vergleich! — Lowack [CDU/CSU]: Liebe Frau Fuchs, wir lassen Sie in dieser Illusion!)

Das gilt nicht nur für alle landgestützten Atomwaffen, sondern auch für alle luftgestützten.
Nun hörte ich gestern abend von Minister Stoltenberg im Ausschuß, daß die F-15-E-Flugzeuge, die mit Atomraketen ausgestattet werden sollten, als Teil des sogenannten Modernisierungspaketes in der Bundesrepublik nicht stationiert werden sollen.

(Biehle [CDU/CSU]: Das ist aber nichts Neues! War nie geplant!)

Das möchte ich hier im Plenum des Bundestages ausdrücklich festhalten.
Herr Minister, ich bitte Sie um eine verbindliche Auskunft darüber, ob das heißt, daß in der Bundesrepublik überhaupt keine Flugzeuge mit Atomraketen stationiert werden. Das wäre heute die erste gute Nachricht.
Wir bestehen darauf, daß noch im nächsten Jahr Verhandlungen über die Beseitigung aller taktischen Atomwaffen beginnen.
Meine Herren und Damen, der Bundeskanzler wird noch in diesem Jahr in die DDR fahren. Ein Mangel unter vielen an dem sogenannten Kohl-Plan ist, daß bei der Bildung gemeinsamer Regierungskommissionen das Thema Frieden und Sicherheit völlig ausgespart ist. Aber gerade hier liegt doch das besondere Interesse der beiden deutschen Staaten. Darüber könnte der Kanzler doch mit Herrn Modrow reden.
Ich schlage deswegen vor, eine gemeinsame Kommission der Bundesregierung und der DDR-Regierung zu Fragen der Sicherheit und Abrüstung in Europa einzurichten. Diese Kommission könnte sich mit folgenden Schwerpunkten beschäftigen: das Ziel für eine zweite Phase der Wiener Verhandlungen zu definieren, unter anderem eine 50%ige Reduzierung der Streitkräfte in Europa, und das in den jeweiligen Bündnissen zu vertreten, Wege zu finden zur Beseitigung aller atomaren und chemischen Waffen von den Territorien der beiden deutschen Staaten,

(Sehr richtig! bei der SPD)

die Einrichtung von Bereichen entlang der Grenzen, in denen keine schweren Waffen stationiert werden dürfen, abgestimmte defensive Strukturmodelle für Bundeswehr und NVA und die Einstellung aller Tiefflüge in beiden deutschen Staaten. Das wäre ein Signal an die Welt, daß die Deutschen ihre neue Gemeinsamkeit zu konstruktiven Abrüstungsimpulsen nutzen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Im übrigen, Herr Minister Stoltenberg: Wann hört endlich dieser lächerliche Unsinn auf, daß Angehörige der Bundeswehr nicht in die DDR fahren dürfen? Wann werden wir denn endlich so liberal wie die DDR?

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — Biehle [CDU/CSU]: Frau Kollegin, Sie leben auf dem Mond!)

Kollegen und Kolleginnen, Zaghaftigkeit hat keine Perspektive. Mutige Ziele sind heute gefordert. Mut ist leichter und auch nötiger geworden. Den wünsche ich Ihnen, und den brauchen Sie.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118204400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, die zur Regierungserklärung vorliegen. Ich werde diese Entschließungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung bringen.
Zunächst geht es um einen Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5974. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP. Zunächst rufe ich den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/5989 auf. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zum zweiten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 11/5992. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen — bei Enthaltung des Abgeordneten Lowack — angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/5988. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD betr. Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, Drucksache 11/2865, abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung zu stim-
14018 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —

(Zuruf von der SPD: Das ist doch bekloppt! Und dann einen eigenen Antrag stellen!)

Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster (Worms), Dr. Ahrens, Bahr, Brandt, Brück, Büchler (Hof), Dr. von Bülow, Duve, Dr. Ehmke (Bonn), Erler, Fuchs (Verl), Gansel, Dr. Glotz, Dr. Götte, Heimann, Heistermann, Huonker, Horn, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Leonhart, Luuk, Nagel, Opel, Renger, Dr. Scheer, Dr. Schmude, Dr. Soell, Steiner, Stobbe, Terborg, Dr. Timm, Toetemeyer, Traupe, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Walther, Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, Wischnewski, Würtz, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der deutsch-französischen
sicherheitspolitischen Zusammenarbeit
— Drucksache 11/3918 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für diesen Tagesordnungspunkt eine Beratungszeit von einer Stunde vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch; damit ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster (Worms).

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1118204500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen die sicherheitspolitische Kooperation mit Frankreich weiterentwickeln, und zwar vor allen Dingen durch die Ausweitung über die militärische Zusammenarbeit hinaus auf Friedens-, Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Wir wollen die Schritte überprüfen, die derzeit in der Umsetzungsphase getroffen worden sind, um diese Zusammenarbeit mit Leben zu erfüllen, und die, wie man jetzt sehen kann, sehr demonstrativ symbolisch angekündigt wurden, aber bei Licht besehen doch zur Schaffung sehr unzureichender Instrumente geführt haben. Das gilt auch und gerade für die deutschfranzösische Brigade.
Wir wollen die deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit um gemeinsame friedenspolitische Initiativen erweitern, die auch die Ablösung der Strategie atomarer Abschreckung durch ein Konzept gemeinsamer Sicherheit möglich machen und vertrauensbildende Verteidigungsstrukturen zum Inhalt und zum Ziel haben sollen. Wir wollen den europäischen Pfeiler der atlantischen Allianz so ausbauen, daß er für die Beteiligung anderer westeuropäischer Partner offen ist, sich aber strikt auf die konventionelle Verteidigung beschränkt. Wir wollen eine Zusammenarbeit in der strategischen Planung, die die offenen und verdeckten Widersprüche der strategischen und verteidigungspolitischen Konzepte nicht verkleistert oder verdrängt, sondern diese Widersprüche zu klären versucht. Das hat konkrete Konsequenzen, die wir in unserem Antrag formulieren.
Wir erwarten von Frankreich im Zuge einer solchen Weiterentwicklung der Zusammenarbeit einen Verzicht auf prästrategische Nuklearwaffen, auf chemische Waffen und Neutronenwaffen. Schließlich wollen wir in diese Zusammenarbeit auch die Option einer stärkeren Beteiligung an der gemeinsamen Vorneverteidigung in der Bundesrepublik Deutschland mit einführen.
Aber ich gebe zu, daß wir alle über solche Punkte der vertieften Zusammenarbeit sicherheitspolitischer Art nicht mehr so selbstverständlich sprechen können, wie das vielleicht vor einem Jahr noch möglich gewesen wäre. Unser Antrag ist eben älter als ein Jahr. Hier stimmen wir ausdrücklich dem Minister zu — er ist leider nicht anwesend —, der bei einer Gelegenheit vor wenigen Wochen in Frankreich sagte: Gerade in einer Zeit, in der in Europa vieles in Bewegung geraten ist, muß der Aufrechterhaltung und Festigung bewährter Bindungen unsere volle Aufmerksamkeit gelten. Wir stimmen beidem zu. Zum einen ist sehr vieles in Bewegung geraten. Aber wir dürfen jetzt nicht das, was sich wirklich bewährt hat, in Frage stellen, müssen jedoch überprüfen, was im Lichte dieser Entwicklung tatsächlich langfristig angelegt werden kann und was vorläufigen Charakter haben muß.
Ich will noch einmal sagen: In einem deutschen Bund oder in einer Konföderation können wir nicht auf Dauer eine alliierte Vorneverteidigung mitten durch diese beiden deutschen Staaten durchziehen, die ihren Charakter, als geostrategische Vormächte dieser Bündnisse verlieren müssen. Da müssen wir eben alles, was derzeit für richtig gehalten wird, mit einer Änderungsklausel, mit einer Option versehen, die dies dann zum gegebenen Zeitpunkt wieder in Frage stellt.
Wir wollen aber deutlich machen, und wir müssen deutlich machen, gerade auch um unsere westeuropäischen Verbündeten nicht zu verunsichern, daß die europäische Einigung aus deutscher Sicht jetzt nicht zurückgestellt werden darf und daß sie nicht in Konkurrenz mit der deutschen Frage treten darf.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN)

Im Gegenteil, die europäische Einigung muß beschleunigt werden.
Wir müssen aber sehr genau überprüfen, in welchen Formen, in welchen Institutionen dies geschieht. Wir wollen ganz dezidiert — ich glaube, das ist ein konsensfähiger Grundsatz — die Europäische Gemeinschaft freihalten

(Zuruf von den GRÜNEN: Von wem?)

— das war einmal vor Jahren anders gedacht — von sicherheitspolitischen Perspektiven der Zusammenarbeit.

(Zuruf von der FDP: Das gehört in die WEU!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14019
Gerster (Worms)

Sie muß völlig freigehalten werden von Sicherheitspolitik, von Militärpolitik, im engeren Sinne von Bündnisüberlegungen. Im Gegenteil, sie muß geöffnet werden und fähig gemacht werden zum bündnisübergreifenden europäischen Einigungsfaktor. Wir wollen, wenn wir denn Institutionen brauchen, für diesen europäischen Pfeiler der Allianz die WEU benutzen.
Aber dies hat sicherlich auch vorläufigen Charakter; denn dies findet eben vor dem Hintergrund einer so dramatischen Veränderung des West-Ost-Verhältnisses statt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Genauso wie wir keine ewige Bestandsgarantie für Bündnisse geben wollen und können, wollen wir sicherlich auch keine ewige Bestandsgarantie für diese westeuropäischen Formen der militärpolitischen Zusammenarbeit geben.
Aber, verehrter Kollege Mechtersheimer, wir möchten uns auch sehr deutlich von dem absetzen, was aus fundamentalistisch-grüner Richtung gegen die deutsch-französische sicherheitspolitische Kooperation vorgebracht wird.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Es ist nicht nur überzeichnet, sondern eine groteske Verirrung, wenn sie die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik als eine Militärachse bezeichnen, deren Waffen sich zweifellos auf einen gemeinsamen Feind richten müssen; sonst hätte sie keinen Sinn.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Gucken Sie es sich doch an, wie es ist!)

— Wenn Sie als Oberstleutnant a. D. mit solchen Argumenten etwa die Schweizer oder schwedische Verteidigung beurteilen wollen, so frage ich Sie: Gegen welchen Feind richten sich denn dort die Waffen? Halten wir diese Staaten nicht für zutiefst friedlich? Genauso friedlich ist die deutsch-französische Sicherheitskooperation angelegt.
Herr Kollege Mechtersheimer, Sie haben in der Bundestagsdebatte vor einem Jahr gesagt, die Franzosen seien wirtschaftspolitisch lediglich in der Rüstungsindustrie wettbewerbsfähig, ansonsten könnten sie mit uns überhaupt nicht mithalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist typisch!)

Dies ist ein Akzent, den ich nur noch Wohlstandschauvinismus nennen kann,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ein Akzent, der hier überhaupt nicht hineinpaßt.

Meine Damen und Herren, natürlich geht es um Interessen.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sie sollten sich mit dem Inhalt auseinandersetzen!)

Eine Zusammenarbeit politischer Art wird immer von Interessen getragen. Diese Interessen müssen auf beiden Seiten nicht immer identisch sein. Im politischen Überbau ist die deutsch-französische Sicherheitskooperation ohne Zweifel von dem Primärinteresse der Franzosen getragen, die Deutschen fest auf dem Boden westlicher Realpolitik zu verankern.
Auf unserer Seite gibt es sicherlich ein elementares Interesse, die Franzosen zu einer Vorreiterrolle in der Abrüstungspolitik zu bringen, sie davon zu überzeugen und ihnen auch das Glacis-Denken, das es bei Militärstrategen und Verteidigungspolitikern da und dort sicherlich gibt, abzugewöhnen, daß diese hochgerüstete Bundesrepublik, Frankreich in östlicher Richtung vorgelagert, eben doch ein ganz bequemes Vorland ist, das man sich recht gern erhalten möchte, daß diese Bundesrepublik auch ein Vorland ist, daß es hinnimmt, daß die Nuklearwaffen kürzerer Reichweite, die sogenannten prästrategischen Waffen, eine eindeutig „deutsche Reichweite" haben. Das ist etwas, was wir auf Dauer nicht hinnehmen können und worüber wir mit den Franzosen sprechen müssen.

(Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Wie sehen das Ihre sozialistischen Freunde in Frankreich?)

— Es gibt hier Meinungsverschiedenheiten, natürlich
— auch zwischen den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien auf beiden Seiten; das ist unbestreitbar —, aber es bewegt sich etwas, auch bei den Franzosen; das ist erkennbar.
Wir müssen auch über die aktuellen Entwicklungen reden, ob wir z. B. akzeptieren können, daß die Streichungen im Verteidigungshaushalt der Französischen Republik ausschließlich zu Lasten der konventionellen Streitkräfte und damit auch der gemeinsamen Verteidigungsinstrumente gehen, während die Nuklearstreitkräfte überhaupt nicht in Frage gestellt werden. Das ist eine Prioritätensetzung, die wir — aus deutscher Sicht zumindest — bilateral zum Thema machen müssen.

(Frau Beer [GRÜNE]: Da haben Sie aber inzwischen einiges verschlafen!)

Und wenn dieser Verteidigungsrat einen Sinn haben soll, muß in diesem Verteidigungsrat über so etwas gesprochen werden.
Die deutsch-französische Brigade war von vornherein als ein gemeinsamer symbolträchtiger Akt angelegt. Vielleicht hätte man, bevor dieser symbolträchtige Akt verkündet und dann mit großen Mühen ansatzweise umgesetzt wurde, auch einmal die Ratgeber auf der Hardthöhe und im Bündnis fragen sollen, ob es wirklich Sinn macht, einen gemischten militärischen Verband zu schaffen. Das ist ja etwas, was die NATO in Jahrzehnten der gemeinsamen alliierten Verteidigung nie gemacht hat. Sie hat es nicht einmal in Gefechtsstreifen gemacht. Vielmehr hat sie ganz klar abgegrenzte Gefechtsstreifen organisiert, in denen es eben einen jeweiligen nationalen Korpsbefehl gibt, dem sich alle unterzuordnen haben. Hier haben wir plötzlich etwas völlig Neues gemacht — Mitterrand und Kohl haben das ausgehandelt — , das zweifellos einen gewissen appellativen Charakter hat, das aber in seiner Umsetzung doch so fragwürdig ist, daß man dieses Pilotprojekt, wenn es schiefgeht, auch abbrechen und nicht ohne Not aufrechterhalten sollte, nur damit hier vordergründig eine Position gewahrt wird, die man ohne Gesichtsverlust nicht wieder räumen kann.
Die Militärs, auch die beteiligten Militärs, räumen inzwischen ein, daß dieser gemischte militärische
14020 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Gerster (Worms)

Verband eine außerordentlich schwierige Konstruktion ist. Im übrigen hat die französische Seite — das müssen wir deutlich sagen — , zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, die Ankündigungen nicht alle eingehalten, daß nämlich die französischen Einheiten und Verbände, die dieser Brigade zugeführt werden sollen, aus Frankreich abgezogen werden. Inzwischen ist immer noch offen, ob es auch Einheiten und Verbände gibt, die aus Deutschland zugeführt werden und die somit eben keine Verstärkung des französischen Engagements auf deutschem Boden sind.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Interessen offen sprechen, dann müssen wir auch die Widersprüche zwischen der politischen Bündniszugehörigkeit der Franzosen einerseits, der deutsch-französischen Verteidigungskooperation andererseits und schließlich der weitgehend oder fast ausschließlich nationalen Definition von Sicherheitsinteressen und Verteidigungsoptionen auf französischer Seite aufzeigen. Unbezweifelbar ist
— das gilt zumindest für die Vergangenheit — , daß Frankreich an der konventionellen Streitmacht der Bundeswehr und an dem sogenannten amerikanischen Atomschirm in hohem Maße interessiert war und ist — das soll erhalten bleiben — , daß aber die eigenen konventionellen Verteidigungsbemühungen dem gegenüber deutlich abfallen.
Nun gibt es Vordenker, auch sozialdemokratische Vordenker, die etwas formulieren, was man sich noch vor einiger Zeit gar nicht vorstellen konnte, etwa Egon Bahr in dem „Friedensgutachten 1989", daß wir nämlich darüber reden müssen, ob die amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden ersatzlos abgezogen werden zu dem Zeitpunkt, in dem wir auf Grund einer konventionellen Disparität nicht mehr glauben, konventionelle Unterlegenheit auf diese Weise ausgleichen zu müssen, und daß dann dieses Weniger an atomarer Abschreckung, wenn man einen Rest an minimaler nuklearer Abschreckung erhalten will
— wohlgemerkt: einen Rest und nicht die flexible response mit der Leiter von oben bis unten —, sozusagen durch die strategischen Waffen der Franzosen und der Briten in Europa gewährleistet werden könnte. Dies ist eine Überlegung, die von Egon Bahr und anderen formuliert worden ist.
Vielleicht weiß die Bundesregierung mehr, Herr Kollege Wimmer. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer Rede auch auf solche Fragen eingehen könnten oder wenn Sie zumindest zu einem späteren Zeitpunkt, wenn Sie das Protokoll nachgelesen haben, im Ausschuß etwas dazu sagen könnten.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Er hört nicht zu!)

— Ja, eben, deswegen sage ich: wenn er das Protokoll nachgelesen hat. — Vielleicht kann die Bundesregierung etwas dazu sagen, ob der Standpunkt der Franzosen unverändert geblieben ist.
Die Franzosen denken gar nicht daran — sie sagen dies fast brüsk —, den westeuropäischen Partnern ihre Nuklearstreitmacht als einen quasi-europäischen Atomschirm zur Verfügung zu stellen. Wie ernst man das nehmen muß, wie sehr man dabei auch an Reste atomarer Abschreckung glauben mag oder nicht, ist ja zum Teil fast eine Frage der Denkschulen und auch der emotionalen Attitüden. Ich glaube, wir müssen die Frage, ob die Franzosen bei dem Standpunkt geblieben sind, daß sie elementar an einem Verbleiben amerikanischer Atomwaffen in Europa interessiert sind, damit sie ihre Optionen weiterhin ausschließlich national definieren können, im Verteidigungsrat und in der Kooperation zum Thema machen.
Wir meinen, die deutsch-französische Zusammenarbeit muß auch in der Sicherheitspolitik ergebnisoffen sein. Sie muß die Bündnisstrategien weiterentwickeln, im übrigen auch dann, wenn uns vorgehalten wird: Eure sozialistischen Freunde in Paris sind doch viel mehr als ihr für die nukleare Abschreckung und anderes mehr. Dann reden wir einmal darüber, inwieweit die Nuklearstrategie der Franzosen mit der offiziellen Nuklearstrategie des Bündnisses überhaupt noch vereinbar ist oder inwieweit sie es jemals war.
Die Franzosen haben sich in faszinierender Konsequenz von Anfang an dagegen ausgesprochen, Atomwaffen im Zuge der flexible response zu Waffen zu machen, die operative Funktionen haben. Sie haben gesagt: Es bleiben strategische Waffen. Sie haben dann zwar auch kürzere Reichweiten eingeführt und haben diese Waffen dann prästrategische Waffen genannt. Klammern wir das einmal als Schönheitsfehler aus. Aber prinzipiell sagen sie: Atomwaffen sind politische Waffen, sie sind Abschreckungswaffen und keine Kriegsführungswaffen. Die NATO ist 1967 genau den umgekehrten Weg gegangen. Bitte halten Sie uns nicht vor, wir hätten Differenzen mit den eigenen sozialistischen Parteifreunden in Paris,

(Lamers [CDU/CSU]: Darum geht es nicht, Kollege Gerster!)

wenn die NATO mit dem französischen politischen Partner immer größte Differenzen in der Nuklearstrategie hatte und weiterhin hat.
Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik zwischen Deutschland und Frankreich muß ergebnisoffen sein, und sie muß auch vorläufigen Charakter haben, vor allen Dingen dort, wo Institutionen geschaffen werden, die noch vor Jahren auf lange Sicht angelegt zu sein schienen, die aber jetzt, da alles in Fluß gekommen ist, auch überprüft werden müssen.
Wir sagen unverändert ja zur deutsch-französischen Freundschaft und zur deutsch-französischen Sicherheitskooperation. Wir könnten uns vorstellen, daß auch dieser restliche militärpolitische Kernbestand eine Grundlage für eine europäische Friedensordnung sein könnte, die sich im Rahmen eines Konzepts gemeinsamer Sicherheit nicht mehr auf Abschrekkung, sondern in einem Europa der Zukunft auf rein verteidigungsfähige und nicht mehr angriffsfähige Bündnisse stützen müßte. Ein solches Europa der Zukunft braucht im übrigen keine französische Führung, wie bedeutende Politiker es vorgeschlagen haben, auch Politiker aus meiner Partei; ein solches Europa der Zukunft braucht auch keine deutsche Führung. Am besten wäre es, wenn ein solches Europa der Zukunft in Ost und West gar keine Führungsmacht bräuchte.

(Beifall bei der SPD)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14021

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118204600
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1118204700
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man ist geneigt, mit Konrad Adenauer zu sagen: Es gibt immer noch vernünftige Sozialdemokraten. Aber, Herr Kollege Gerster, ich frage mich wirklich, was wohl Ihre Kollegin Fuchs zu dem sagen würde, was Sie hier gerade gesagt haben.

(Zuruf von der FDP: Gute Frage!)

Die militärische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich ist, wie wir alle wissen, die entscheidende Voraussetzung für eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Westeuropas. Angesichts der radikalen Veränderungen im anderen Teil unseres Kontinents muß die Frage gestellt werden — die Sie, Kollege Gerster, auch zu Recht gestellt haben — , welchen Stellenwert diese westeuropäische militärische Zusammenarbeit in den zukünftigen gesamteuropäischen Sicherheitsstrukturen haben könnte. Die künftige politische Ordnung in Europa haben wir noch nicht, und der Übergang von der alten zur neuen Ordnung ist — wie jede Krise — voller Gefahren. Deswegen müssen die westlichen Verteidigungsanstrengungen intakt bleiben.
Aber so leichtfertig es wäre, den Weg schon für das Ziel zu nehmen, die Hoffnung für die Wirklichkeit zu halten, so leichtfertig wäre es angesichts der radikalen und schnellen Veränderungen in nunmehr fast allen Ländern im anderen Teil unseres Kontinents, die Hoffnung als eine Illusion zu diskreditieren und das Ziel einer friedlichen, vom Einverständnis der Völker getragenen neuen Ordnung in Europa zu einer Fata Morgana zu erklären. Deswegen müssen wir uns konkrete Gedanken über die künftige Struktur dieser Ordnung in Europa machen.
Wie immer diese aussehen wird, meine Damen und Herren: Sie wird einen sukzessiven und schließlich einen völligen Rückzug der sowjetischen Streitkräfte hinter die Grenzen der Sowjetunion sowohl zur Voraussetzung als auch zur Folge haben müssen. Das aber bedeutet notwendigerweise und unvermeidlicherweise entsprechende amerikanische Reduktionen. Wenn wir den Rückzug der Sowjets wollen, müssen wir auch einen Rückzug amerikanischer Streitkräfte wollen.
Allerdings will ich gleich der Klarheit wegen hinzufügen: Auch im theoretischen Endpunkt einer neuen und stabilen Ordnung müßten die USA hier eine militärische Restpräsenz behalten, da natürlich auch die Russen auf diesem Kontinent blieben und weil die Europäer, und zwar alle Europäer, auch für die fernere Zukunft ein Bündnis mit den USA wollen und diese umgekehrt ebenfalls. Aber es wird in jedem Fall amerikanische Rückzüge geben. In welchem Umfang und wie schnell das sein könnte, das haben wir in der vergangenen Woche vor dem NATO-Treffen gesehen.
Die Europäer müssen also mehr und auf Dauer sogar die entscheidende Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Die Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses macht diese Perspektive auch realistisch.
Wenn die Kompetenz nicht nur für Wirtschaft und Währung, sondern auch für die Verteidigung in europäischen Händen läge, wäre das für Frankreich zugleich die beste Versicherung sowohl gegen la dérive allemande als auch gegen eine dominierende deutsche Position. Das gilt übrigens auch für ein, in welcher Form auch immer, wieder geeintes Deutschland; denn dieses — das will ich deutlich sagen — müßte selbstverständlich der Europäischen Gemeinschaft angehören und damit auch dem westlichen Sicherheitsverbund. Dies ist auch genau das, was die Menschen in der DDR wollen.
Die schwierige Frage, die sich hiermit natürlich stellt, wie denn in diesem Fall die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion berücksichtigt werden könnten, kann und will ich hier nicht erörtern. Ich will sie nur als ausdrücklich legitim bezeichnen und meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß sie lösbar ist, wofür u. a. die vorgestrige TASS-Erklärung spricht. Es ist eine Frage des Wie und des Wann.
Dieses Problem stellt sich übrigens für ein wiederhergestelltes Deutschland zwar in besonderer Schärfe, aber im Prinzip natürlich für alle Länder des Warschauer Pakts, die ihre Zukunft in der Europäischen Gemeinschaft sehen, und zwar in dieser konkret existierenden und nicht in irgendeiner nebulösen, fernen Europäischen Gemeinschaft.
Kurzum: Das westliche Bündnis muß auch in fernerer Zukunft erhalten bleiben, aber es muß zu eben diesem Zweck auch umgebaut werden.
Dieses Erfordernis gilt in noch viel höherem Maße für den Warschauer Pakt. Es ist heute vielleicht noch zu früh, zu sagen, was von ihm nach der Zeit des Übergangs, in welcher der Warschauer Pakt natürlich ebenso wie die NATO eine wichtige stabilisierende Rolle spielen müßte, übrig bleibt.
Die sicherheitspolitische Gesamtstruktur der Zukunft in Europa stelle ich mir im Bild dreier sich überschneidender Ellipsen vor. Die eine Ellipse wird durch das europäisch-amerikanische Verhältnis mit den Brennpunkten Washington und, sagen wir einmal kühn, Brüssel gebildet. Die andere Ellipse wird durch die gesamteuropäische Struktur von Sicherheit und Zusammenarbeit mit den Brennpunkten Brüssel und Moskau gebildet. In ihr sind die kleineren Mitgliedsländer des Warschauer Paktes wirtschaftlich auf die EG zugeordnet. Sicherheitspolitisch berücksichtigen sie die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion in besonderer und in anderer Weise, als es die heutigen Mitgliedsländer der Gemeinschaft tun werden.
Die dritte Ellipse mit den Brennpunkten Washington und Moskau wird durch die globale und zunehmend kooperative Beziehung der beiden Supermächte gebildet.
Ich jedenfalls sehe zu dieser Entwicklung einer realen europäischen Sicherheitsidentität und damit auch zu der Einordnung Deutschlands und seiner Einbindung in westeuropäischen Sicherheitsstrukturen keine Alternative.
Die bisherige Lage — auch von der haben Sie gesprochen, Kollege Gerster — , in der die USA mit der Verantwortung für die Sicherheit Europas auch die
14022 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Lamers
Kontrolle der Deutschen übernahmen und zugleich durch ihre nukleare und konventionelle Rolle in Europa zusammen mit der konventionellen Stärke der Bundeswehr unerläßliche Voraussetzungen für die insofern nur scheinbar unabhängige Sicherheitspolitik Frankreichs schufen, diese Lage wird keinen Bestand haben.
Die Aufgabe nationaler Eigenständigkeiten dort, wo sie für die Herausbildung einer europäischen Sicherheitsidentität erforderlich ist, ist auch für Frankreich unausweichlich. Nationale Unabhängigkeit, besser gesagt: ein größtmögliches Maß an nationaler Unabhängigkeit, ist heute nur noch europäisch zu definieren. Das erfordert vor allem eine Reorientierung der französischen Nuklearstrategie. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Überlegungen, die der führende RPR-Abgeordnete Séguin vorgestern hierzu angestellt hat.
Im übrigen — auch dessen müssen wir uns klar sein, Kollege Gerster: Eine Beschränkung der militärischen Zusammenarbeit auf das Konventionelle ist letztlich nicht möglich, da konventionelle und nukleare Waffen natürlich aufeinander bezogen sind. Die französischen und natürlich auch die britischen Nuklearwaffen müssen eine europäische Funktion erhalten.

(Gerster [Worms] [SPD]: Politisch, ja; politisch!)

Frankreich muß stärker als bislang sehen — auch da stimme ich zu — , daß Abrüstung ein integraler Bestandteil der Sicherheitspolitik ist. Aber auch die Bundesrepublik Deutschland muß ihre Haltung vor allem zur Zukunft des Nuklearen deutlicher machen als bislang, und das muß vor allen Dingen Ihre Partei, Kollege Gerster.

(Beifall des Abg. Dr. Rüttgers [CDU/CSU])

Ich sehe hier Linien der Konvergenz mit Frankreich, wenn die Bundesrepublik durch ihre weitere Mitwirkung bei der nuklearen Rolle der USA für Europa nach einem erfolgreichen Abschluß in Wien die politische Funktion der Nuklearwaffen als reine Kriegsverhinderungsmittel durch die konkrete Ausformung der Nuklearstruktur in Europa und durch Vereinbarungen mit der Sowjetunion wiederherzustellen hilft und damit die Nuklearwaffen Symbol und Kernelement letzter gemeinsamer Sicherheit werden, d. h. Ausdruck der historisch neuartigen Situation, wobei die Alternative lautet: gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen.
Es wird ein zweites notwendig sein: Wir werden als Bundesrepublik Deutschland auch anerkennen müssen, daß es europäische und damit deutsche Sicherheitsinteressen nicht nur im Ost-West-Kontext, sondern auch im Nord-Süd-Kontext gibt. Die Haltung hierzulande zu dieser Frage ist, wie die Diskussion über die Beteiligung der Bundeswehr an UN-Friedensaktionen zeigt, reichlich verengt, ja, geradezu eskapistisch.
Meine Damen und Herren, es ist meine feste Überzeugung, daß die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit als Bestandteil der politischen Zusammenarbeit und als Voraussetzung für die Schaffung einer westeuropäischen Sicherheitsidentität durch die Entwicklungen im anderen Teil unseres Kontinents nicht nur nicht an Bedeutung verloren hat, sondern daß sie im Gegenteil gewonnen hat, weil sie eine Grundvoraussetzung für den Bau einer neuen, einer friedlichen Ordnung in ganz Europa ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118204800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118204900
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! An der deutsch-deutschen Grenze hilft die Nationale Volksarmee der DDR zur Zeit, Löcher in den Zaun zu schneiden, den sie vor kurzem noch selber zu bewachen hatte. Erschien vor 1987 ein Vertrag über einen Abzug der Mittelstreckenraketen aus Europa unglaublich, so sind wir heute Zeugen revolutionärer Veränderungen in Osteuropa, die in ihrer Dimension das damals Unvorstellbare noch weit übertreffen.
Und was passiert bei uns im Westen? Bis zum Besuch Gorbatschows im Sommer dieses Jahres hatten die Bundesregierung und die NATO Zeit genug, endlich eine angemessene abrüstungspolitische Antwort auf Gorbatschow und seine Initiativen zu finden. Statt dessen aber gab es: Im Westen nichts Neues. Nicht nur die Rüstungsmodernisierungsprogramme der Bundeswehr und der NATO insgesamt werden fortgesetzt. Ganz besonderes Gewicht legt die Bundesregierung auf eine verstärkte Militärkumpanei mit Frankreich, und wie wir hören, tun das auch die Sozialdemokraten. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wir begrüßen selbstverständlich ausdrücklich eine Zusammenarbeit zwischen den Menschen der Bundesrepublik und Frankreich, und wir begrüßen auch ganz ausdrücklich die Gespräche über militärische Angelegenheiten zwischen beiden Ländern,

(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Es ist aber schlimm, daß sie das extra betonen muß!)

wenn sie die schrittweise Abschaffung der beiden Armeen zum Ziel haben. Das wäre ein richtiger Schritt zu einer wirklich friedensliftenden Initiative und Sicherheitspartnerschaft.
Wenn die Presseerklärung des Kollegen Opel von gestern dahin gehend zu interpretieren wäre, daß die SPD Vereinbarungen zwischen beiden Ländern jetzt, auf Grund der aktuellen Entwicklungen, für richtig hält, um eine sofortige 50prozentige Reduzierung beider Armeen zu erreichen, so würden wir diese Erklärung unterstützen.
Die Realität sieht aber leider anders aus. Auch die Militärpartnerschaft Bundesrepublik/Frankreich

(Dr. Feldmann [FDP]: Das ist eine Sicherheitspartnerschaft, nicht eine Militärpartnerschaft!)

sieht sich nach wie vor von einem imaginären Feind im Osten bedroht, und nach wie vor zeichnet sie sich durch immer umfassendere militärische Kooperation aus. Im Herbst 1987 gab es das erste gemeinsame Manöver — „Kecker Spatz" — mit mehreren zehntausend Soldaten. 1988 wurde ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat eingerichtet, der eine Kooperation auch im atomaren Bereich vorsieht und
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14023
Frau Beer
dem auch die SPD-Fraktion geschlossen zugestimmt hat. Gleichzeitig wurde quasi als Pilotprojekt eine gemeinsame Brigade beschlossen, die nach einem Jahr Vorbereitungszeit seit Oktober dieses Jahres aufgestellt wird. Ebenfalls in diesem Jahr fand auf französischem Boden ein weiteres gemeinsames Manöver — „Champagne" — statt, von den bestehenden gemeinsamen Rüstungsprojekten einmal ganz abgesehen.
Ziel der beharrlichen Bemühungen von bundesdeutscher Seite ist es, die Franzosen, die 1966 aus der militärischen Kooperation der NATO ausgetreten sind, jetzt auch militärisch wieder in das westliche Bündnis zu integrieren und die NATO um einen westeuropäischen militärischen Pfeiler mit atomaren und konventionellen Waffen zu stärken. Die Bundesrepublik hat aber neben dem bündnispolitischen auch ein ganz eigenes Interesse an dieser Militärkumpanei mit Frankreich;

(Dr. Feldmann [FDP]: Ein böses Wort!)

denn auch heute noch beklagen unsere herrschenden Sicherheitsstrategen den Widerspruch, daß zwar das Festhalten an der Strategie der atomaren Abschrekkung zur Staatsräson gehört, die BRD selber aber nicht über eigene Atomwaffen verfügen kann. Der Weg zur Mitverfügung über Atomwaffen führt aber über eine europäische Union mit gemeinsamen guBen- und sicherheitspolitischen Strategien. Die erste Station auf diesem Weg ist die atomare Kooperation mit Frankreich.
Da ist es schon absurd, was in dem heute vorliegenden Antrag der SPD zur Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit erklärt wird. Darin ist die Rede davon — ich zitiere —: Gegenstand der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist die konventionelle Verteidigung. — Meine Damen und Herren von der SPD, wenige Wochen, bevor Sie dies formuliert haben, haben Sie hier noch für eine atomare deutsch-französische Abschreckungsstrategie die Hände gehoben. Was haben Sie eigentlich aus den letzten Wochen gelernt? Was haben Sie aus dieser Diskussion gelernt?

(Gerster [Worms] [SPD]: Was meinen Sie denn? — Zuruf von der SPD: Blanker Unfug! — Weitere Zurufe)

— Ich zitiere wieder: Sie wollen gemischte Arbeitsstäbe, gemeinsame Übungen und Koordination der Streitkräfteplanung,

(Zuruf von der SPD: Ja!)

und das in einer Situation, in der der Warschauer Pakt auseinanderbricht.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das wollen wir dann auch mit den anderen machen!)

Statt auch die NATO abzurüsten und aufzulösen, wird ein neues Militärbündnis strukturiert und geschaffen.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Das machen wir dann auch mit den anderen, wenn die Demokratien sind!)

Nein, meine Damen und Herren,

(Roth [SPD]: Doch!)

auf die derzeitige politische Entwicklung in Europa müssen andere Antworten gegeben werden, auch andere Antworten als der angebliche und sogenannte Zehn-Punkte-Plan des Bundeskanzlers Kohl, den Sie an ganz falscher Stelle kritisieren, nachdem Sie ihn laut Karsten Voigt begrüßt haben, peinlicherweise, und dann noch nicht einmal erwähnt haben, daß die eigentliche Kritik sein muß, daß diese 10 Punkte nicht eine einzige Note von Souveränität für die DDR beinhalten. Das ist der Punkt, und das ist genau der Punkt, der auch von Ihnen zu verantworten ist.
Dieser Ausverkauf Osteuropas, der geplant wird, ist eine Kolonialisierung. Das steckt hinter dieser Strategie. Aber nicht einmal die SPD hat dem etwas entgegenzusetzen. Kohls Absicht ist völlig klar: Die Kolonialisierung Osteuropas durch NATO und EG soll sich unter dem Vorzeichen deutscher Wiedervereinigung vollziehen,

(Zuruf von der CDU/CSU)

damit Deutschland in einem integrierten Europa wieder das ökonomische und militärische neue Machtzentrum — das wollen Sie durch diesen Vertrag mit Frankreich bilden — darstellt.

(Lachen bei der CDU/CSU — Gerster [Worms] [SPD]: Das ist doch grotesk!)

Will die Sicherheitspolitik wirklich alles daran setzen, das Bild vom häßlichen Deutschen, das dabei ist zu verschwinden, unbedingt wiederzubeleben?

(Lamers [CDU/CSU]: Zu ergänzen durch den „häßlichen Franzosen"?)

Wir halten unsere Antwort dagegen: friedliche Partnerschaft zu allen und unseren Europanachbarn und Verhinderung des Ausverkaufs Osteuropas durch BRD und EG, die sofortige Abschaffung aller Atomwaffen, keine Bündnisse und keine Kungelei genau dorthin, Verhinderung aller Atommachtsbestrebungen, die Auflösung von NATO und WEU — das Ziel ist kein neuer Militärblock — und natürlich der schrittweise Abbau der Militärpotentiale und nicht das krampfhafte Festhalten an einer 400 000-Mann-Armee, die sowieso nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118205000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1118205100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD ist ein Jahr alt.

(Frau Beer [GRÜNE]: Und überholt!)

— Anstöße zum Nachdenken sind nie überholt.
Er ist vor zehn Monaten eingebracht worden, und in diesen zehn Monaten hat sich natürlich das Gesicht Europas völlig verändert: Der Warschauer Pakt ist kein Block mehr — da haben Sie recht — , die militärische Bedrohung hat sich wesentlich verringert, und die sozialistischen Staaten sind mit Ausnahme Rumäniens auf dem Weg zur Demokratie. Dies muß natür-
14024 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Feldmann
lich Berücksichtigung in der Sicherheitspolitik finden.
Dies ist die Stunde der Selbstbestimmung Europas. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen, denn wir haben jetzt die realistische Chance, die Spaltung unseres europäischen Kontinents zu überwinden.
Europas Zukunft ist aber ohne eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich auf allen Feldern der Politik nicht vorstellbar.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Das gilt gerade jetzt, und das ist keine Kumpanei. Die deutsch-französische Partnerschaft ist die unverzichtbare Voraussetzung für den Prozeß der westeuropäischen Integration, sie ist gewissermaßen das Herzstück dieser Integration, so Bundesaußenminister Genscher. Sie ist auch das Fundament einer europäischen, einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Die deutsch-französische Sicherheitspartnerschaft ist mehr als die deutsch-französische Brigade in Böblingen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118205200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1118205300
Ja, bitte.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118205400
Herr Kollege Feldmann, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie damit ausdrücken wollen, daß die Angst, die gerade in Frankreich besteht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland eine Gefahr für dieses Europa ist, durch ein festeres Bündnis zwischen der Bundesrepublik und Frankreich minimiert wird, und können Sie mir dann bitte erklären, warum dieses Bündnis militärisch sein muß, und warum es nicht auf anderem Wege zustande zu bringen ist?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1118205500
Dieses Bündnis ist ein Gesamtbündnis, und dieses Bündnis ist eine Sicherheitspartnerschaft. Auf diesem Kontinent tragen wir alle Verantwortung, die Deutschen, die Franzosen, alle Europäer. Wir wollen eine gemeinsame Sicherheit und wir wollen eine gemeinsame Zukunft auf diesem europäischen Kontinent.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Falsch! Auch mit den Reformbedingungen im Osten, Herr Feldmann!)

Dabei haben natürlich die Deutschen und Franzosen eine besondere Schlüsselrolle. Giscard d'Estaing hat mit Recht — ich habe ihn hier schon einmal zitiert — gesagt: „Europa macht nur Fortschritte, wo immer Deutsche und Franzosen vereint sind."

(Beifall bei der FDP)

Er hat nicht unterschieden zwischen wirtschaftlicher Zusammenarbeit und militärischer Zusammenarbeit. „Wo immer sie getrennt sind", so Giscard d'Estaing, „stagniert Europa."

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Das geht aber doch gegen die Reformbewegungen in Osteuropa!)

— Nein, dies gilt auch für Gesamteuropa.
Für die Bundesrepublik ist jetzt Vertrauensbildung und noch einmal Vertrauensbildung das Gebot der Stunde.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir wissen, daß die Perspektiven, die die Entwicklungen in den osteuropäischen Staaten für uns Deutsche bieten — Frau Beer, vielleicht wollen Sie jetzt zuhören —, nicht nur in der Sowjetunion, in Polen und Israel, sondern auch bei unseren alliierten Verbündeten Sorgen auslösen.
Wir wissen, daß in Frankreich ein europäischer Abwehrplan gefordert wurde, um die Gefahr der Wiedervereinigung — das meinten Sie wahrscheinlich eben mit Ihrer Frage — zu bannen. Wenn das bei unserem engsten westeuropäischen Partner gefordert wird, dann müssen natürlich bei uns alle Alarmglocken läuten. Deswegen ist von uns Klarheit gefordert. Klarheit nicht nur in bezug auf Europa, sondern auch vor allem in der Frage der Westgrenze Polens.

(Beifall bei der FDP — Dr. Briefs [GRÜNE]: Das zeigt, wie insensibel Sie in der Vergangenheit gewesen sind!)

Die FDP hat hierzu auf der Tagung ihres Bundeshauptausschusses am letzten Wochenende in Celle noch einmal bekräftigt — ich darf dies vorlesen — :
Die FDP erkennt ohne Einschränkung das Recht des polnischen Volkes an, in sicheren Grenzen zu leben, die weder jetzt noch in Zukunft von uns Deutschen durch Gebietsansprüche in Frage gestellt werden dürfen.
Ohne die verbindliche Garantie dieser Grenzen werden wir kein Vertrauen und keine Unterstützung in Europa finden, weder im Osten noch im Westen. Und beides brauchen wir heute mehr denn je.

(Beifall bei der FDP — Frau Beer [GRÜNE]: Dann trennen Sie sich von der Abschrekkungstheorie!)

Viele unserer Partner und Nachbarn haben aber auch die Sorge, daß sich die Bundesrepublik von ihnen, von den westeuropäischen Partnern, abwendet und nur die deutsch-deutschen Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Hierzu hat der Außenminister erklärt, daß die Bundesrepublik ohne jedes Wenn und Aber konsequent am Kurs der europäischen Einigung festhält, nationale Alleingänge ausschließt und aus den Entwicklungen in den sozialistischen Staaten kein Kapital schlagen wird. Das müßte Sie doch zufriedenstellen. Wenn das keine Garantie ist, Frau Kollegin! Das ist eine Garantie, die wir unseren europäischen Nachbarn schulden.
Sowohl die französische als auch die deutsche Regierung hat wiederholt erklärt, daß sie ihre Zusammenarbeit in den Dienst Europas und der gesamteuropäischen Zusammenarbeit stellen. Frankreich und die Bundesrepublik müssen daher gemeinsam einen Europaplan zur Unterstützung der Reformen in Osteuropa durchsetzen. Denn wirtschaftliche Hilfe ist unabdingbar. Nichts bedroht den revolutionären politischen Prozeß in Mittel- und Osteuropa mehr, als die Gefahr eines wirtschaftlichen Scheiterns. Dann können alle bisher erreichten Fortschritte verlorengehen, auch das Selbstbestimmungsrecht, das die Menschen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14025
Dr. Feldmann
in Polen, Ungarn, der DDR, der CSSR und Bulgarien in diesen Monaten erkämpft haben. Damit wäre die Chance einer neuen gesamteuropäischen Friedensordnung vertan.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Ein Hilfsprogramm für unsere osteuropäischen Nachbarn ist nicht nur wirtschaftspolitisch vernünftig, sondern ist auch eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. Meine Damen und Herren, eine neue Sicherheitspolitik ist jetzt gefordert, die nicht mehr auf Abschreckung und Rüsten, sondern auf Abrüsten und breiter Zusammenarbeit beruht. Nur so kommen wir von der Konfrontation zur Kooperation.
Hier ist die Europäische Gemeinschaft, hier sind vor allem Frankreich und die Bundesrepublik als Schrittmacher der Gemeinschaft gefordert. Ein einzelner Staat ist dabei überfordert. Wir wollen auch keine deutsche Ostpolitik, sondern eine gemeinsame Ostpolitik der Europäischen Gemeinschaft.

(Beifall bei der FDP)

Zu einer dynamischen Ostpolitik gehört auch eine dynamische westeuropäische Integrationspolitik. Sie ist die unverzichtbare Voraussetzung für eine aktive Ostpolitik.
Dazu ist erforderlich, daß die Gemeinschaft ihre selbstgesteckten Ziele konsequent realisiert und auf dem Straßburg-Gipfel einen verbindlichen Zeitplan für die Realisierung der angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion beschließt.

(Beifall bei der FDP)

Für die Stärke des europäischen Pfeilers in der Allianz ist nicht mehr die Höhe des Verteidigungsbeitrages entscheidend, sondern unser Wille und unsere Fähigkeit, wirtschaftlich und politisch gesamteuropäische Verantwortung zu tragen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118205600
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1118205700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Anmerkung vorweg, weil ich den Kollegen Amling hier sehe. Wir haben uns vor kuzem noch sehr intensiv darüber unterhalten. Lieber Kollege Amling, auch wir werden die Lücke nicht füllen können, die der Austritt Frankreichs aus der militärischen Integration hinterlassen hat. Aber wir können mit viel Behutsamkeit und Verständnis unseren französischen Partnern klarmachen, daß ein Angriff auf Deutschland zugleich ein Angriff auf die Lebensinteressen Frankreichs wäre.
Das übrige lassen Sie mich bitte in einem Satz sagen. Der Antrag der Sozialdemokraten zur Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit verdient diesen edlen Titel leider nicht, obwohl ich dem ersten Satz im Antrag gern zustimmen würde, wonach
Europas Zukunft ... ohne eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bundesrepublik
Deutschland und Frankreichs auf allen Feldern
der Politik, Wirtschaft und Kultur nicht vorstellbar
sei, wenn dieser Satz nicht gar so fürchterlich pathetisch wäre und den Antragstellern nicht als Podest für eine Reihe von Platitüden, unfairen Angriffen gegenüber dem französischen Partner und Besserwisserei dienen würde,

(Gerster [Worms] [SPD]: Heute!)

noch dazu, wenn es so dramatisch im Antrag heißt, daß die — ich zitiere —
Stärkung des europäischen Pfeilers des westlichen Bündnisses ... die Friedens-, Abrüstungsund Rüstungskontrollpolitik mehr als bisher einbeziehen
müsse,

(Gerster [Worms] [SPD]: Das ist doch völlig richtig!)

was ja wohl nur bedeuten kann, daß in Frankreich, außerhalb deutscher — oder sagen wir: sozialdemokratischer — Kontrolle ein paar „kalte Krieger" herumgeistern, die es zu zähmen gelte, weil sie sich bislang nicht in kühne sozialdemokratische Patentrezepte hätten einbinden lassen wollen, lieber Herr Kollege Gerster. Die Bundesregierung hat hierfür nichts Ausreichendes bzw. nur demonstrativ Symbolisches getan, obwohl gerade die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit Hervorragendes leistet.

(Frau Beer [GRÜNE]: Sie wissen doch, daß sie gar nicht funktioniert!)

Gerade die von den Sozialdemokraten als „demonstrativ symbolisch" kritisierte gemischte Brigade stellt eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, die Zusammenarbeit auf Verbands- und Einheitsebene zwischen verschiedenen Nationen mit unterschiedlichen Sprachen, Verteidigungsstrukturen und -auffassungen erfolgreich zu erproben und damit ein Modell für eine engere europäische Zusammenarbeit zu entwickeln.
Es macht auch die Einbindung Frankreichs, das nicht Bestandteil der militärischen Integration der NATO ist, in das deutsche, wenn nicht sogar in ein westeuropäisches Verteidigungskonzept deutlich, bei der der Bundesrepublik Deutschland die Rolle eines wichtigen Bindeglieds zukommt. Die weitgehende Selbständigkeit Frankreichs, die übrigens mit höheren Kosten erkauft wird, als es unserem eigenen Verteidigungsetat entspricht, stellt durchaus einen erhöhten Unsicherheitsfaktor für einen möglichen Angreifer dar, wofür wir unseren französischen Partnern einmal offen danken sollten.
In der großen Rede Präsident Mitterrands, die er am 20. Januar 1983 vor diesem Parlament hielt — Herr Kollege Gerster, Sie wären damals, jedenfalls nach Ihren Ausführungen hier, sicher auch sehr beeindruckt gewesen — und in der es u. a. heißt, Frankreich sei sich seiner — ich zitiere —
Solidarität zu den freien Völkern bewußt, wenn es in der Bundesrepublik Deutschland einen großen Teil der ersten französischen Armee stationiert habe, zu seinen Verpflichtungen in Berlin stehe und bekräftige, daß es loyaler Partner des Atlantischen Bündnisses bleibe und im Bewußt-
14026 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Lowack
sein dieser Verpflichtung der getreue Freund der Bundesrepublik Deutschland
sei.
Gegenüber dieser Verpflichtung erscheint der Antrag der SPD etwas kleinkariert und provinziell, zumal der deutsch-französische Vertrag die engste ständige militärische Kooperation und Konsultation vorsieht, die zwischen souveränen Staaten bislang praktiziert wird, und Frankreich gerade bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Sicherheit in Europa eine außergewöhnlich kooperative Rolle spielt. Das heißt, daß sich Frankreich voll in die 16 westlichen Verhandlungspartner — für Abrüstung und Rüstungskontrolle, für Frieden und Sicherheit — eingereiht hat.
Ich kann zusammenfassend sagen: Auch wenn wir uns mancher Formulierung im Antrag der SPD nicht verschließen wollten, hätten wir bessere Vorschläge, z. B. für die sprachliche Ausbildung unserer Soldaten, und eine intensivere Zusammenarbeit unserer Parlamente, auch des Verteidigungsausschusses erwartet, dagegen weniger Überheblichkeit im Ton des Antrags, dessen besserwisserischer Akzent in einem so sensiblen außen- und sicherheitspolitischen Bereich im Gegensatz zu den tatsächlichen politischen Erfolgen der Antragsteller steht.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118205800
Das Wort hat die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Frau Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1118205900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende SPD-Antrag, über den wir debattieren, ist vielleicht angesichts der dynamischen Entwicklungen in Europa etwas alt, aber er ist nach wie vor aktuell; denn die deutsch-französische Partnerschaft auf der Grundlage des Elysee-Vertrages ist nach wie vor Kern und Grundlage einer zukunftsorientierten Zusammenarbeit aller freien und demokratischen Kräfte Europas.

(Gerster [Worms] [SPD]: Richtig!)

Das Ziel all unserer Politik ist nach wie vor, wie wir das im Harmel-Bericht formuliert haben, eine europäische Friedensordnung vom Atlantik bis zum Ural. Bei der Schaffung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates haben wir uns von der Überzeugung leiten lassen, gemeinsame Einsichten in konzertiertes politisches Handeln umzusetzen.
Der Rat trat unter Leitung von Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl am 20. April 1989 zu seiner konstituierenden Sitzung in Paris und am 3. November 1989 zu seiner zweiten Sitzung in Bonn zusammen. Ihm arbeiten hochrangige gemischte Gremien zu. Ein ständiges deutsch-französisches Sekretariat mit Sitz in Paris hat Mitte des Jahres seine Arbeit aufgenommen.
Dieser Zeitplan macht schon deutlich, daß es sich hier um ein Projekt handelt, das sicherlich noch weiter entwicklungsfähig ist. Es beginnt derzeit. Dennoch kann man heute schon sagen, daß die fortlaufende politische und persönliche Abstimmung auch in sicherheitspolitischen Fragen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

(Sehr gut! bei der FDP)

Die institutionalisierte deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit entwickelt sich im Rahmen der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Atlantischen Bündnis und zur Westeuropäischen Union sowie im Einklang mit dem europäischen Einigungswerk. Sie folgt aus der Erkenntnis, daß eine Stärkung des europäischen Pfeilers des Bündnisses nach wie vor wichtig ist für eine reife und ausgewogene transatlantische Partnerschaft. Sie ist auch deshalb wichtig, weil natürlich wir Europäer besondere Sicherheitsinteressen haben, die wir aber im Rahmen des Atlantischen Bündnisses verwirklichen wollen. Sie stellt eines der Fundamente für Europas künftige Struktur dar.
Aus dem Ziel der gesamteuropäischen Friedensordnung erfährt die deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit ihre politische Legitimation. Sie ist daher nicht exklusiv, sondern eine unumkehrbare Partnerschaft für Europa.

(Dr. Feldmann [FDP]: Kern der europäischen Friedensordnung!)

Auch unsere europäischen Nachbarn empfinden einen engen Schulterschluß zwischen Paris und Bonn als Chance für ganz Europa.
Die sicherheitspolitische Kooperation beider Staaten zielt vor allen Dingen darauf ab, die Auffassungen der beiden Länder in allen die Verteidigung und Sicherheit Euopas berührenden Fragen einander anzunähern, um zu gemeinsamen Konzeptionen zu gelangen. Das heißt konkret: Beide Staaten stimmen ständig ihre Analyse der West-Ost-Beziehungen ab. Sie messen diesem Aspekt gerade im Zeitpunkt rapider Veränderungen in Mittel- und Osteuropa besondere Bedeutung bei.
Verteidigungsminister Chevènement hat vorgestern in seiner Rede vor der WEU-Versammlung zu Recht zu Überlegungen über eine europäische Identität im Bereich der Sicherheitspolitik aufgefordert. Dies ist kein Gegensatz zur NATO und zur Beteiligung der USA und Kanadas an dem Verteidigungsbündnis der westlichen demokratischen Staaten. Die Gremien der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit haben inzwischen auch das Thema der europäischen Identität aufgegriffen.
Die beiden Staaten arbeiten eng in allen Abrilstungs- und Rüstungskontrollforen zusammen, insbesondere bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa und den Verhandlungen über sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa. Es gilt dabei sicherzustellen, daß der zentrale Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle mit den politischen Entwicklungen in ganz Europa Schritt hält. Dabei sind wir uns, glaube ich, auch in diesem Haus einig — zumindest weitgehend einig — : Die Herstellung konventioneller Stabilität ist das Kernproblem europäischer Sicherheit. Wir messen einem substantiellen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14027
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Verhandlungsergebnis bei den Wiener Verhandlungen bis Mitte 1990 hohe Priorität bei.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind froh, daß der NATO-Gipfel am Montag dieses Ziel noch einmal unterstrichen hat. Präsident Mitterrand hat dies in seiner Erklärung zum Gipfel von Malta ebenfalls erneut bekräftigt.
Der europäische Pfeiler innerhalb der NATO ist immer wieder in der Diskussion. Die Europäische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, die auch in sicherheitspolitischen Fragen zusammenarbeitet; denn Sicherheit hat, wie wir alle wissen, auch politische Dimensionen. Das wird einerseits deutlich in der Zusammenarbeit der zwölf EG-Partner im Rahmen der KSZE, andererseits aber natürlich auch darin, daß die militärischen Fragen der europäischen Sicherheit im Rahmen der Westeuropäischen Union und der NATO behandelt werden. Ich denke, daß dies eine Verteilung der Arbeiten und Aufgaben ist, wie sie auch dem Ziel der Europäischen Gemeinschaft als einer Gemeinschaft demokratischer Staaten mit einer Öffnung für andere demokratische europäische Staaten Rechnung trägt.
Praktische Fortschritte bei der militärischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich tragen zur Stärkung des europäischen Pfeilers des Atlantischen Bündnisses bei. Beispiele sind gemeinsame Übungen und Manöver, um eine bessere Effizienz im Bereich der Strategie und der operativen Zusammenarbeit zu gewährleisten. Beide Seiten unterrichten sich über ihre künftigen Streitkräfteplanungen und prüfen gemeinsame Rüstungsprojekte mit dem Ziel, die Kosten zu senken.
Anfang Oktober 1989 wurde der Großteil der deutschen und französischen Truppenteile planmäßig dem Kommandeur der deutsch-französischen Brigade im Raum Stuttgart unterstellt. Im Herbst 1990 soll die Brigade ihre volle Stärke von etwa 4 200 Mann erreichen. Sie ist ein Experiment, das für die Zukunft richtungweisend sein kann. Allen Skeptikern im Hause möchte ich sagen, daß sich derzeit mehr Rekruten für den Dienst in der Brigade bewerben, als die Brigade aufnehmen kann.

(Gerster [Worms] [SPD]: Als Sprachkurs!)

Dies zeigt, daß die Jugend diesem Experiment positiv gegenübersteht.

(Gerster [Worms] [SPD]: Interessant ist das schon, das bestreiten wir nicht!)

Die deutsch-französische Zusammenarbeit bleibt in allen ihren Aspekten gerade in Zeiten eines rapiden Wandels in Europa eine feste Konstante der europäischen Politik. Für unsere Außenpolitik besitzt sie zentrale Bedeutung auf dem Weg zu einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in ganz Europa.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118206000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Die Überweisung ist so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.07 bis 14.00 Uhr)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118206100
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir beginnen mit der Fortsetzung des Punkts 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
— Drucksache 11/5951 —
Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Wie hat sich der neue Straftatbestand der §§ 17a, 27 VersG der Vermummung und der passiven Bewaffnung, der diese Taten immerhin mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr bedroht, angesichts der Krawalle vom 27. November 1989 in Göttingen ausgewirkt, an denen zahlreiche Personen vermummt und behelmt teilgenommen haben?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1118206200
Herr Kollege Dr. Hirsch, die Beantwortung der Frage fällt in die Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Auf meine Anfrage hat der niedersächsische Minister des Innern folgende Stellungnahme übermittelt:
Die geänderten Rechtsnormen haben bei diesem Einsatz nicht dazu geführt, daß eine Vermummung unterblieben ist. Eine erhebliche Anzahl von Autonomen, ca. 2 500 Personen, hatte sich vermummt. Gleichwohl entschloß sich der Einsatzleiter nach einer sorgfältigen Rechtsgüter-und Pflichtabwägung, zunächst nicht gegen die Vermummten einzuschreiten, da auf Grund des vorangegangenen tödlichen Verkehrsunfalles einer Studentin die gegen die Polizei gerichtete Stimmung unter den Demonstrationsteilnehmern sehr von Emotionen geprägt war. Darüber hinaus war neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die räumliche Enge in der Innenstadt Göttingen, ferner die hohe Anzahl von unbeteiligten Dritten zu berücksichtigen. Ein sofortiges Einschreiten hätte insbesondere angesichts der Örtlichkeit und der Stärke des straff organisierten Gewalttäterpotentials zu einer tätlichen Auseinandersetzung geführt, deren Verlauf und Ausgang nicht kalkulierbar waren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118206300
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118206400
Herr Staatssekretär, indem ich vorausschicke, daß ich keine Sympathien für Vermummte, wohl aber eine tief sitzende Antipathie gegen unwirksame Gesetze habe,

(Dr. Nöbel [SPD]: Sehr gut!)

14028 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Hirsch
und indem ich weiter vorausschicke, daß die Zuständigkeit über die Wirksamkeit von Strafvorschriften bundesrechtlicher Art natürlich die Bundesregierung und nicht das Land Niedersachsen betrifft, frage ich Sie zunächst, ob Sie denn glauben, daß dem Rechtsstaat dann gedient wird, wenn der Deutsche Bundestag — gegen alle Warnungen — eine Strafvorschrift einführt, die für Vermummungen ein Jahr Gefängnis auswirft

(Dr. Penner [SPD]: Höchststrafe!)

— immerhin, bis zu einem Jahr Gefängnis — , und die Polizei eines Landes sich dann entschließt, nichts zu tun, also das Begehen einer solchen Straftat sehenden Auges, vor ihren Augen nichts tuend zu dulden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte nochmals zum Ausdruck bringen, daß es nicht Sache der Bundesregierung ist,

(Frau Unruh [fraktionslos]: Hören Sie doch mit dem Quatsch auf!)

die Entscheidungen der Polizei in Niedersachsen zu bewerten. Das liegt allein in der Verantwortung der dort Zuständigen. Ich meine, daß aus dem Verlauf dieser gewalttätigen Aktion nicht der Schluß gezogen werden kann, das Gesetz sei überflüssig oder unwirksam. Vielmehr ist das eine Frage, die vor Ort unter dem Gesichtspunkt entschieden worden ist, inwieweit dem Gesetz Geltung verschafft werden kann oder nicht.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118206500
Herr Staatssekretär, sind Sie denn der Meinung, daß wir in einem Rechtsstaat leben, wenn es bei der Polizei liegt zu entscheiden, ob dem Gesetz entsprochen wird oder nicht?

(Dr. Penner [SPD]: Strafgesetz!)

Ist es nicht vielmehr so, daß das Legalitätsprinzip auch unabhängig von dem von Ihnen soeben genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt, d. h. verpflichtet das Legalitätsprinzip nicht die Polizei, auf jeden Fall zumindest die Personalien von Tätern festzustellen, um sie dann verfolgen zu können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, zu dem Problem des Legalitätsprinzips und auch des Opportunitätsprinzips, das beim polizeilichen Einsatz natürlich auch eine Rolle spielt, darf ich folgendes ganz allgemein ausführen. Auch nach Einführung der Straftatbestände der Vermummung und der passiven Bewaffnung für den polizeilichen Aufgabenbereich der Gefahrenabwehr, die ebenso wie die Strafverfolgung Ziel des polizeilichen Einsatzes ist, bleibt das Opportunitätsprinzip gültig. Soweit ein hiernach angezeigtes Verhalten der Polizei mit ihrer Pflicht zur Strafverfolgung im Einzelfall kollidiert, hat sie nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung neu zu entscheiden, ob der Aufgabe der Gefahrenabwehr oder der der Strafverfolgung zunächst Vorrang einzuräumen ist.
Im übrigen ist die Ermittlungsverpflichtung der Polizei nach § 163 Abs. 1 StPO nicht so auszulegen, daß die Einsatzkräfte ohne Rücksicht auf die Situation und die in ihr gefährdeten Rechtsgüter verpflichtet ist, in jedem Fall sofort und ohne Rücksicht auf taktische Gesichtspunkte einzuschreiten. Sie kann die Ermittlungen und etwa mögliche Festnahmen auf einen Zeitpunkt verschieben, der eine Minderung der konkreten Rechtsgütergefährdung erwarten läßt.

(Dr. Hirsch [FDP]: Auf welchen Zeitpunkt hat sie es hier verschoben?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118206600
Herr Abgeordneter Hirsch, Sie haben bei Ihrer nächsten Frage noch zwei Zusatzfragen.
Nunmehr hat Herr Dr. Nöbel die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1118206700
Herr Staatssekretär, nachdem am 21. April dieses Jahres die sogenannten Sicherheitsgesetze verabschiedet worden sind und jetzt erstmals im größeren Rahmen zur Bewährung anstanden — und sich nicht bewährt haben, wie Sie selber zugegeben haben — : Hat die Bundesregierung jetzt die Absicht, Konsequenzen auf gesetzgeberischem Gebiet zu ziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, um es klarzustellen: Ich habe keine Bewertung dergestalt abgegeben, daß sich dieses Gesetz nicht bewährt hat. Ich habe vielmehr die Entscheidung der Polizei beschrieben, die nach den Rechtsgrundlagen, die wir alle haben und die ich jetzt noch einmal erläutert habe, im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip als rechtlich nicht zu beanstanden anzusehen ist. Es steht mir nicht an, unter anderen Gesichtspunkten eine Wertung der Entscheidung der Polizei vorzunehmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118206800
Herr Dr. Lippelt, bitte sehr, eine Zusatzfrage.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118206900
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben auf den schrecklichen Unfall und auf das, was danach passierte, Bezug genommen haben: War es nicht so, daß dieser entsetzliche Unfall gerade auf Grund des Räumungseingreifens der Polizei zustande gekommen ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, jetzt keine Analyse dieses Unfalls im einzelnen vorzunehmen. Ich habe mich mit der Demonstration und dem Auftreten von 2 500 Vermummten und der Entscheidung der Polizei zu befassen. Das habe ich getan. Ich habe lediglich die Stimmungslage beschrieben, die die Polizei bei ihrem Einsatz auch zu berücksichtigen hatte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207000
Herr Langner, bitte sehr, eine Zusatzfrage.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1118207100
Herr Staatssekretär, bei aller Zurückhaltung bei der Bewertung des Einsatzes einer Landespolizei: Haben nicht gerade die Göttinger Ereignisse und das Vorgehen der niedersächsischen Landespolizei die Unkenrufe derer Lügen gestraft, die bei Einführung des Vermummungstatbestandes vorausgesagt haben, daß durch das Legalitätsprinzip die polizeiliche Opportunität in einem solchen Falle unverhältnismäßig eingeschränkt werde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist zutreffend, Herr Kollege Langner. Die Ereignisse in Göttingen
Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14029
Parl. Staatssekretär Spranger
haben insbesondere auch gezeigt, welches Gefährdungspotential von den Vermummten ausgeht. Es ist eine Aktion gewesen, in deren Verlauf über 97 Polizeibeamte verletzt worden sind. Das zeigt das Gewaltpotential, das sich hinter Vermummten verbirgt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207200
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Richter.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1118207300
Teilen Sie meine Einschätzung, Herr Staatssekretär, daß sich die Erwartungen derjenigen Befürworter der Sicherheitsgesetze nicht erfüllt haben, die sich davon erhofften, daß die von uns allen abgelehnte Vermummung aufhören würde?

(Dr. Nöbel [SPD]: Sehr gut! So ist es!)

Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß bei dem Tätertyp, der hier Grundlage einer Gesetzesänderung war, jemand realistischerweise bei dieser Strafbestimmung von einer solchen Abschreckungswirkung ausgehen konnte, daß eine solche Straftat praktisch verschwinden würde.

(Lachen bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207400
Herr Abgeordneter Penner, eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118207500
Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen des sehr geschätzten Dr. Langner fragen: Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr so, daß das Beispiel Göttingen beweist, wie leicht das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip überlagert werden kann mit dem Ergebnis, daß diejenigen Recht behalten, die immer dem Opportunitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Vermummungsverbot das Wort geredet haben?

(Sehr gut! bei der SPD — Sehr wahr! bei der FDP)

Spranger, Pari. Staatsekretär: Herr Kollege Dr. Penner, ich möchte jetzt nicht Bewertungen, ob es leicht ist, das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip zu überlagern, abgeben, sondern ich habe auf die Zusammenhänge hingewiesen und deutlich gemacht — das ist der allgemeine Grundsatz, den auch alle anerkennen — , daß das Legalitätsprinzip das Opportunitätsprinzip nicht ausschließt und daß hier immer Abwägungen stattzufinden haben, die in dem Fall zu diesem Ergebnis geführt haben. Das kann man beklagen, das kann man kritisieren. Das kann man durchaus auch anders bewerten, als es die polizeiliche Einsatzleitung dort getan hat.

(Dr. Penner [SPD]: Also, Dr. Langner muß da mal als Chefsyndikus für Klarstellung sorgen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207600
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir neben dem Opportunitätsund Legalitätsprinzip das Prinzip haben, möglichst keine Dreiecksfragen zuzulassen. Ich wäre dankbar, wenn das ein wenig berücksichtigt würde.
Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118207700
Meinen Sie nicht, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß den Menschen draußen die ganzen Prinzipien, die Sie jetzt angeführt haben, eigentlich egal sind und daß, wenn so etwas vorkommt, wie es jetzt vorgekommen ist, möglicherweise gerade das gezüchtet wird, was Sie mit dem Vermummungsverbot in den Griff zu kriegen gedacht haben, daß dadurch also die Radikalität gewisser Jugendlicher nicht nur zunimmt, sondern die Reps einen enormen Anstieg der Zahl ihrer Wähler und Wählerinnen bekommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Solche Zusammenhänge, wie Sie sie konstruieren, kann ich nicht sehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207800
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
In wie vielen Fällen hat die Polizei die scharenweise herumlaufenden Straftäter festgenommen oder ihre Personalien festgestellt, und in wie vielen Fällen sind dementsprechend Strafverfahren eingeleitet worden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, zu Ihrer Frage hat sich der niedersächsische Minister des Innern wie folgt geäußert:
Straftäter sind nicht scharenweise herumgelaufen, sondern bewegten sich straff organisiert in abgeschotteten Blöcken.

(Lachen bei der SPD)

Ich gebe die Information des niedersächsischen Ministers des Innern wieder.
Nach dem Stand vom 1. 12. 1989 sind 99 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, davon 62 gegen bekannte Täter, die hinreichend verdächtig sind, gegen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes verstoßen zu haben. Im übrigen war es aus Zeitgründen nicht möglich, die Antwort mit der Justiz abzustimmen. Das gilt auch für die vorangegangene Frage.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118207900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118208000
Nur, damit Sie erst einmal auf die Frage antworten, die ich gestellt habe: Würden Sie mir bitte mitteilen, gegen wie viele der 2 500 vermummten Straftäter, die ja nach unseren hier beschlossenen Gesetzen ein Vergehen begangen haben, von der Polizei in Niedersachsen oder der Staatsanwaltschaft wegen dieses Tatbestandes, der Vermummung, ein Verfahren eingeleitet worden ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte schon: Nach dem jetzigen Stand sind 99 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

(Dr. Hirsch [FDP]: Wegen Vermummung?)

— Mir ist nicht mitgeteilt worden, was der Anlaß der Einleitung dieser Ermittlungsverfahren ist. Das kann der Tatbestand der Vermummung sein, es können auch andere Tatbestände sein, deretwegen Ermittlungsverfahren laufen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118208100
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118208200
Herr Staatssekretär, da Sie nicht für den niedersächsischen Innenminister, sondern für die gesamte Bundesregierung antworten und da sich
14030 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Hirsch
ein Polizeibeamter, der das Legalitätsprinzip verletzt, der Strafvereitelung im Amt schuldig, also strafbar macht, bitte ich Sie, uns jetzt für die Bundesregierung zu sagen, wo Sie die Grenze ziehen, ab der ein Polizeibeamter nach Meinung der Bundesregierung nicht mehr verpflichtet ist, das Gesetz zu vollziehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, diese abstrakte Frage

(Zuruf von der SPD: Das war eine sehr konkrete Frage!)

läßt sich konkret überhaupt nicht beantworten. Das hängt jeweils vom Einzelfall ab. Ich habe Ihnen bereits bei der Darlegung der Rechtslage die Probleme der Abgrenzung zwischen dem Legalitätsprinzip und dem Opportunitätsprinzip klar dargestellt. Diese sind auf den jeweiligen Einzelfall zu übertragen. Das läßt sich abstrakt überhaupt nicht beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118208300
Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118208400
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie im Anschluß an eine Frage des Kollegen Dr. Hirsch Zweifel daran angemeldet, daß die Strafandrohung von höchstens einem Jahr abschreckend wirken könne. Denken Sie daran, den Straftatbestand der Vermummung als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentziehung einzustufen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Penner, hier haben Sie meine Antwort offenkundig mißverstanden. Insbesondere ist überhaupt nicht daran gedacht, in der von Ihnen erwähnten Richtung erneut eine Gesetzesänderung anzustreben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118208500
Ich muß den Abgeordneten Penner darauf aufmerksam machen, daß dies sicherlich eine Zusatzfrage zur Frage 54, nicht aber zur Frage 55 war. Insoweit hätte der Herr Staatssekretär nicht darauf zu antworten brauchen.

(Penner [SPD]: Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident!)

Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118208600
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben vorhin die Frage des Herrn Dr. Hirsch als abstrakt abgewertet. Wie würden Sie es z. B. bewerten, wenn Ihre Tochter nicht mehr lebte? Wie würden Sie dann die Verantwortung der Bundesregierung einschätzen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Frage des Herrn Dr. Hirsch nicht abgewertet, sondern ich habe sie nach meiner Auffassung zutreffend beschrieben. Im übrigen beabsichtige ich nicht, diese von Ihnen konstruierte Frage in irgendeiner Form zu beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118208700
Da offensichtlich den ehrenwerten Damen und Herren Abgeordneten nicht mehr bewußt ist, daß die Frage lautete: „In wie vielen Fällen hat die Polizei die scharenweise herumlaufenden Straftäter festgenommen oder ihre Personalien festgestellt, und in wie vielen Fällen sind dementsprechend Strafverfahren eingeleitet worden?", bitte ich die Zusatzfrager, darauf zu achten, daß der sachliche Zusammenhang hergestellt wird, da ich anderenfalls hier oben doch in Teufels Küche komme. — Herr Abgeordneter Richter.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1118208800
Herr Staatssekretär, ich möchte an Ihre eben gegebene Antwort anknüpfen und Sie fragen, ob Sie die Befürchtung teilen, daß bei einer solchen Einschätzung, wie Sie sie eben gegeben haben, die Verantwortung letztendlich auf den einzelnen Polizeibeamten zurückfällt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Meinung teile ich nicht. Der Einsatzleiter, die polizeiliche Führung in Göttingen hat so entschieden. Sie trägt dafür auch die Verantwortung und nicht der einzelne Polizeibeamte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118208900
Nun kommen wir zu den Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Dr. Nöbel, bei denen ich nicht sicher bin, ob sie nicht eben schon zum Teil mitbeantwortet worden sind. Aber wenn Herr Dr. Nöbel nicht den Eindruck hat, wollen wir dem Herrn Staatssekretär die Möglichkeit geben, noch einmal eine Antwort zu geben. Ich rufe zunächst die Frage 56 auf:
Wie viele vermummte Personen hat die Polizei bei der Demonstration am 25. November 1989 in Göttingen festgenommen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, die Beantwortung der Frage liegt ebenfalls wieder in der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Der niedersächsische Minister des Innern hat sich auf meine Anfrage wie folgt geäußert: Keine.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118209000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1118209100
Herr Staatssekretär, nachdem wir uns in diesem Hause über ein Jahrzehnt lang gestritten haben, was das sogenannte Sicherheitsgesetz angeht, und es hier erstmals zur Bewährung stand, sind Sie mit mir der Meinung, daß es sich nicht bewährt hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, ich würde aus der Handlungsweise der Polizei in Göttingen nicht den Schluß ziehen, daß damit das Gesetz bereits als nicht bewährt betrachtet werden könne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118209200
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Nöbel, bitte.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1118209300
Da es zwei aktuelle Sachverhalte gibt, nämlich Göttingen und leider auch Herrhausen, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß in beiden Fällen — in dem letzten von mir angesprochenen Fall geht es um die Kronzeugenregelung, in dem anderen um die Regelung des Vermummungsverbots — das Gesetz eklatant versagt hat, wo es sich hätte bewähren müssen.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Der Zusammenhang, Herr Präsident, ist nicht mehr zu sehen!)

Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, ich möchte hier eine Verknüpfung beider Fälle
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14031
Parl. Staatssekretär Spranger
strikt ablehnen. Ich beschränke mich auf den aktuellen Fall, den wir hier in der Fragestunde zu behandeln haben. Dazu habe ich mich schon geäußert.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118209400
Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen — ich meine das jetzt sehr ernst — , daß auf den Inhalt der Frage Rücksicht genommen werden muß.
Herr Dr. Nöbel, Ihre beiden Zusatzfragen für diese Frage sind verbraucht. Nun hat der Abgeordnete Penner das Wort zu einer Zusatzfrage.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118209500
Ich hoffe, Herr Präsident, daß ich Ihren Vorgaben genüge; denn ich habe Sie vorhin überstrapaziert.
Herr Staatssekretär, es war davon die Rede, daß 2 500 Vermummte gegen den Straftatbestand der Vermummng verstoßen haben. Denkt die Bundesregierung angesichts dieser Zahl darüber nach, zusätzliche Haftplätze zu schaffen, weil sie doch nicht immer damit rechnen kann, daß die überwiegende Zahl einer solch großen Gruppe unerkannt entkommt?

(Heiterkeit bei der SPD)

Dr. Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Penner, nachdem der Herr Präsident wiederholt auf das Erfordernis des Sachzusammenhangs zwischen den Zusatzfragen und der Hauptfrage hingewiesen hat und meine Antwort klar war, daß nämlich keine Festnahmen erfolgt sind, möchte ich hier sagen, daß ich keinen Zusammenhang zwischen Ihrer Zusatzfrage und der ursprünglichen Frage sehe.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118209600
Herr Abgeordneter Penner, zu der Frage: Wie viele vermummte Personen hat die Polizei bei der Demonstration am 25. November 1989 in Göttingen festgenommen? besteht in der Tat kein Zusammenhang. Aber bei der Frage 57, die gleich folgt, würde ich Ihre Frage wohl zulassen müssen.
Herr Dr. Hirsch, nun haben Sie das Wort zu einer Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118209700
Herr Staatssekretär, da es nach Ihrer Antwort, die Sie dem Kollegen Richter gegeben haben, von der Entscheidung des Einsatzleiters abhängt, wie viele Personen er festnehmen läßt, ob er also vorgehen läßt oder nicht, frage ich Sie: Sind Sie denn tatsächlich der Meinung, daß der Einsatzleiter frei ist, zu entscheiden, ob er ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz vollziehen, das Legalitätsprinzip also befolgen will, oder soll er nach Ihrer Meinung auf seine eigene Mütze entscheiden, ob er handeln will oder ob er sich der Strafvereitelung im Amt strafbar macht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich muß hier korrigieren. Ich habe nicht gesagt, es ist dem Einsatzleiter überlassen, zu entscheiden, wieviel Personen festgenommen werden sollen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Wem denn?)

Vielmehr ist es ihm überlassen, in welcher Form er in
einer Situation, wie er sie in Göttingen vorgefunden
hat, den Einsatz der Polizei organisiert, um Gefahren
für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Wie er nun in Abwägung der beiden Prinzipien entscheidet, kann ich erstens hier im Bundestag nicht beurteilen, weil das Sache der Länderpolizeien ist, und zusätzlich muß ich das dem verantwortlichen Polizeiführer überlassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118209800
Jetzt hat die Abgeordnete Frau Unruh das Wort.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118209900
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie viele Tote ist die Bundesregierung bereit in Kauf zu nehmen, bis dieses Gesetz wieder wegkommt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe bei dieser Fragestellung keinen Zusammenhang.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Die Frage muß zurückgewiesen werden! Das ist eine Unverschämtheit!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118210000
Dann hat die Abgeordnete Frau Wollny das Wort zu einer Zusatzfrage.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118210100
Ich hätte gerne gewußt, wie groß die Zahl der Polizisten sein müßte, um bei einer Anzahl von 2 500 Vermummten dem Gesetz Genüge tun zu können.

(Zuruf von der SPD: Sehr gute Frage!)

Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte hier sehr um Verständnis, daß ich mich nicht in der Lage sehe, dazu eine allgemeingültige Antwort zu geben, weil natürlich auch immer die jeweilige Situation vor Ort ganz entscheidend bei den Überlegungen der in der Polizei für die Einsätze Verantwortlichen mitbestimmend ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118210200
Nun kommen wir zur Beantwortung — —

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118210300
Herr Präsident, Sie hatten meine Frage gestrichen. Dann habe ich eigentlich noch eine.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wir sind aber noch nicht bei Frage 57.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118210400
Ich wollte eine andere Frage stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118210500
Das ist eine recht beachtliche Auslegung der Geschäftsordnung, aber mit Anstand kann ich mich dagegen wohl nicht wehren. — Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118210600
Sie beschämen mich.
Herr Staatssekretär, würden Sie sich, nachdem Sie festgestellt haben, daß es in Göttingen nicht zu Festnahmen gekommen ist, wenigstens für den Vorgang in Göttingen so äußern können, daß der Straftatbestand der Vermummung jedenfalls insoweit an diesem Ort ins Leere gelaufen ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich würde diesen Begriff nicht verwenden wollen, sondern sagen: Es ist eine Entscheidung der Polizei vor Ort getroffen wor-
14032 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Spranger
I den, die eine Umsetzung der Gesetzeslage nicht möglich machte.

(Bindig [SPD]: Nur Herumgeeire!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118210700
So, nun kommen wir zur Beantwortung der Frage 57 des Abgeordneten Dr. Nöbel:
Wie viele der ca. 2 500 vermummten Personen, die an dieser Demonstration teilgenommen haben, müssen mit einer Bestrafung rechnen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Hier hat sich, Herr Kollege Dr. Nöbel, der niedersächsische Minister des Innern wie folgt geäußert: „Eine definitive Aussage ist zur Zeit nicht möglich. Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an. Im übrigen war es aus Zeitgründen nicht möglich, die Antwort mit der Justiz abzustimmen. "

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118210800
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1118210900
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Mehrheit dieses Hauses, die am 21. April die sogenannten Sicherheitsgesetze beschlossen hat, nach dem, was Sie hier geantwortet haben, eingestehen müßte, daß es ein absurdes Gesetz gewesen ist, das dort verabschiedet wurde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, dieser Meinung bin ich nicht.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1118211000
Sind Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nicht meiner Meinung,

(Bohl [CDU/CSU]: Nein!)

daß Gesetze, wenn sie einen Sinn haben sollen, auch anwendbar sein müssen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Nöbel, vom Grundsatz her haben Sie recht. Wenn Sie aber die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland jährlich begangenen Straftaten betrachten, dann werden Sie sehen, daß das in die Größenordnung von Millionen geht. Das heißt, daß diese Gesetze, die ja doch Straftatbestände festlegen, die wir alle akzeptieren — von Ihrer Seite das Vermummungsverbot vielleicht nicht — , nicht in der Form umgesetzt werden, wie wir es uns alle wünschen würden.

(Bindig [SPD]: Da sprangen doch die Täter vor der Polizei herum!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118211100
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118211200
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich noch einmal in aller Ruhe

(Parl. Staatssekretär Spranger: Immer!)

— das zeichnet Sie ja so aus — das Verhältnis von 2 500 offen auf der Straße — ob nun im Block oder nicht, wie auch immer, jedenfalls vor den Augen der Polizei — herumlaufenden Straftätern auf der einen Seite zu den Verfolgungstatbeständen auf der anderen Seite, die nach Ihrer oder des niedersächsischen Innenministers Auskunft null sind, vergegenwärtigen: Finden Sie nicht, daß Sie uns dann viel überzeugendere, auch für Sie leichtere, richtigere Antworten hätten geben können, indem Sie einfach sagen, daß sich das Gesetz nicht bewährt hat, wie es vorausgesagt wurde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, das wäre sicherlich eine ganz einfache Antwort, und Sie würden diese Antwort sicherlich auch sehr begrüßen. Aber ich bitte sehr um Verständnis, daß ich diese Antwort nicht gebe.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Bindig [SPD]: Daß nicht sein kann, was nicht sein darf!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118211300
Herr Abgeordneter Penner hat nun die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zur Frage 57 zu stellen.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118211400
Jetzt komme ich auf meine Frage von vorhin zurück, bei der der Präsident zu Recht darauf hingewiesen hat, daß da nichts benamt war. Also, die Frage lautete: Da in Göttingen 2 500 Vermummte gegen den Straftatbestand der Vermummung verstoßen haben, frage ich Sie, ob die Bundesregierung angesichts dieser Menge zusätzliche Haftplätze schaffen muß, weil sie ja nicht immer damit rechnen kann, daß alle diese Straftäter entkommen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Penner, die Zahl der Festnahmen in Göttingen macht deutlich, daß Ihre Überlegungen nicht ganz sinnvoll erscheinen.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118211500
Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118211600
Halten Sie es, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nicht für absurd, ein Gesetz auf Grund eines einzigen Beispiels einer gewaltsamen Demonstration bereits für absurd zu erklären?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe das schon in mehreren Antworten sinngemäß zum Ausdruck gebracht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118211700
Bitte sehr, Herr Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1118211800
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung es angesichts der in verschiedenen Fragen der Oppositionskollegen zum Ausdruck gekommenen großen Sorge, daß die Polizei hier nicht ausreichend zugegriffen und verhaftet hat, begrüßen, wenn die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag Anträge zur Vermehrung der Zahl der Stellen bei der Polizei stellen würden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das würde die Polizeiführung, die in Göttingen entscheiden mußte, sicherlich ebenso positiv sehen, wie Sie es angeregt haben.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14033

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118211900
Herr Dr. Langner, die Antwort verdanken Sie nur der Großzügigkeit des Staatssekretärs. Der direkte Bezug war auch hier nicht gegeben.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Das ist mir sehr wohl bewußt, Herr Präsident!)

Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118212000
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß Sie sich überall lächerlich gemacht hätten, wenn es — nach dem Gesetz — zu Massenverhaftungen von 2 500 Personen in Hannover gekommen wäre, zumal das Thema DDR und die Übersiedlerfrage ja ganz oben auf der Tagesordnung standen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich habe hier wiederholt erklärt, daß ich es ablehne, hypothetische Antworten zu hypothetischen Fällen zu geben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118212100
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Auskunftsbereitschaft.
Wir kommen sodann zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht uns zur Beantwortung der einzigen Frage zu diesem Geschäftsbereich zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Verfügt der Bundesnachrichtendienst über Erkenntnisse, nach denen der Bau eigener U-Boote in Südafrika bereits begonnen hat bzw. daß entsprechende Vorbereitungen hierfür bereits getroffen wurden, z. B. in der Form, daß die Anlagen südafrikanischer Werften entsprechend verändert wurden?
Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen, Sie haben das Wort.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID1118212200
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat aus keiner der ihr zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne Ihrer Fragestellung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118212300
Frau Abgeordnete, Sie haben zwei Zusatzfragen.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118212400
Herr Staatssekretär, hat es von seiten der amerikanischen Regierung oder des amerikanischen Geheimdienstes — ähnlich wie im Fall Rabta/Libyen — irgendwelche Anfragen oder Hinweise bezüglich des U-Boot-Baus in Südafrika an den Bundesnachrichtendienst oder an die Bundesregierung gegeben?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung gibt im Parlament nur in der dafür vorgesehenen Parlamentarischen Kontrollkommission Auskunft über die Tätigkeit und die Informationen der Dienste im einzelnen. Wenn Sie aber meine eingangs gegebene Antwort, die allgemein und umfassend gehalten war, bewerten, dann können Sie daraus Ihre Schlüsse ziehen. Ich habe gesagt, daß uns aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne Ihrer Frage vorliegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118212500
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118212600
Gibt es denn die Bereitschaft der Bundesregierung, sich Luftaufnahmen des Werftgeländes der Firma Austral Sandock in Durban/Südafrika zu besorgen, um zu überprüfen, ob dort in den letzten Jahren bauliche Veränderungen vorgenommen worden sind, die auf die Absicht schließen lassen, dort U-Boote zu bauen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Frau Kollegin, ich wüßte nicht, wie wir uns solche Luftaufnahmen besorgen könnten. Da ich eingangs schon sagte, daß wir keine Erkenntnisse haben, aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen, liegen uns auch keine Luftaufnahmen vor.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118212700
Bitte sehr, Herr Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1118212800
Herr Staatssekretär, wollen Sie Frau Kollegin Wollny nicht fragen, ob sie nicht selbst in der Lage ist, die Luftaufnahmen, die sie vermißt, zu beschaffen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118212900
Herr Abgeordneter, Dreiecksfragen sind nicht zugelassen.

(Bohl [CDU/CSU]: Der Zweck ist erreicht!) Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.


Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118213000
Wertet der Bundesnachrichtendienst bei seiner Arbeit nicht auch Pressemeldungen aus, und trifft es zu, daß in der deutschen Presse berichtet worden ist, daß sich Experten deutscher Kriegsschiffswerften zur Modernisierung der U-Boot-Werft Austral Sandock in Südafrika aufgehalten haben, und trifft es weiter zu, daß die südafrikanische Presse darüber berichtet hat, daß der südafrikanische Premierminister erklärt hat: Wir haben inzwischen die Kapazitäten zum U-Boot-Bau? Sind dem Bundesnachrichtendienst solche Pressemeldungen unbekannt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich sehe mich nicht in der Lage, eine vollständige Presseübersicht über das von Ihnen angesprochene Thema zu haben, sondern ich weise noch einmal darauf hin, daß wir aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung haben. Ich kann aber nicht jede Pressemeldung, die Sie angesprochen haben, hier würdigen, weil sie mir nicht vorliegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118213100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stobbe.

Dietrich Stobbe (SPD):
Rede ID: ID1118213200
Herr Staatsminister, müssen diese Pressemeldungen die Bundesregierung nicht alarmieren, nachdem sie ansonsten bestreitet, daß das UBoot-Geschäft zum Bau von U-Booten führen kann, und sind Sie beim Auftauchen solcher Pressemeldungen und Erklärungen der südafrikanischen Regierung nicht von sich aus als Regierung tätig geworden, um diesen Berichten nachzugehen?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, ich darf noch einmal auf das hinweisen, was ich auf die, wie ich glaube, erste Zusatzfrage geantwortet habe, nämlich daß wir über die Tätigkeit der Dienste im ein-
14034 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Staatsminister Dr. Stavenhagen
zelnen hier nicht Auskunft geben können. Dies tun wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Ich wiederhole noch einmal, daß uns Erkenntnisse im Sinne der Frage der Frau Kollegin nicht vorliegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118213300
Zusatzfrage des Abgeordneten Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118213400
Herr Staatsminister, ist Ihrer Feststellung, daß dem Bundesnachrichtendienst insoweit keine Erkenntnisse vorliegen, in der Parlamentarischen Kontrollkommission widersprochen worden?

(Dr. Penner [SPD]: Das darf er aber nicht sagen! — Heiterkeit)

Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Kollege, der mir die Antwort erlaubt, daß die Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission und die Inhalte geheim sind.

(Bohl [CDU/CSU]: Der Zweck meiner Frage ist aber erfüllt! Danke schön!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118213500
Die Wortmeldung des Abgeordneten Lippelt hat sich offensichtlich erübrigt. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen, ich bedanke mich im Namen des Hauses für Ihre Auskunftsbereitschaft.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Verfügung steht uns Frau Staatsminister Dr. Adam-Schwaetzer.
Zunächst einmal kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, Frau Staatsminister, daß die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Reuter sowie die Fragen 30 und 31 der Abgeordneten Frau Dr. Timm zurückgezogen sind.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Hält die Bundesregierung die in insgesamt vier Gutachten des Auswärtigen Amtes für die Oberfinanzdirektion Kiel und die Staatsanwaltschaft Kiel geäußerte Auffassung, das U-Boot-Geschäft der Firmen HDW und IKL mit Südafrika habe keine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland verursacht, auch nach der Verabschiedung der UNO-Resolution A/44/L.34/Rev. 1 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen für zutreffend, und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die genannte Resolution mit großer Mehrheit, d. h. mit 106 gegen 17 Stimmen bei 26 Enthaltungen, verabschiedet wurde?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1118213600
Frau Abgeordnete, die Frage der erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen wird auf Bitten des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kiel vom Auswärtigen Amt erneut geprüft. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118213700
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118213800
Haben Sie eben die beiden Fragen 32 und 33 zusammen beantwortet?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Das war die Frage 32, Frau Abgeordnete.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118213900
Ich möchte von Ihnen gern wissen, ob der Bundesregierung ein vergleichbarer Fall bekannt ist, daß die UNO-Vollversammlung die
Regierung eines Landes aufgefordert hat, ihren Verpflichtungen nach dem UNO-Rüstungsembargo gegen Südafrika nachzukommen, indem sie zwei Firmen gerichtlich verfolgen lassen soll, weil diese das genannte Embargo verletzt haben.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, Sie greifen hier auf Fragen vor, die im Zuge der Fragestunde behandelt werden. Aber ich bin gern bereit, Ihnen schon jetzt darauf zu antworten. Ihre Kollegen werden es ihnen vielleicht danken.
Die Bundesregierung hat ihre Verpflichtungen aus dem UN-Rüstungsembargo erfüllt, indem sie die Vorschriften dieses mandatorischen Rüstungsembargos in innerstaatliches Recht umgesetzt hat, indem sie Gesetze und Verordnungen entsprechend angepaßt hat, indem sie die Kontrolle in der erwarteten Weise ausgestaltet hat.
Die Verfolgung von möglichen Straftaten ist nicht eine Aufgabe der Bundesregierung, sondern liegt nach unserer innerstaatlichen Ordnung in den Händen der dafür zuständigen Staatsanwaltschaften.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118214000
Herr Präsident, entschuldigen Sie, das war nicht meine Frage. Ich habe gefragt — ich wiederhole es — , ob der Bundesregierung ein vergleichbarer Fall bekannt ist, in dem die UNO-Vollversammlung die Regierung eines Landes aufgefordert hat, in dieser Form aktiv zu werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118214100
Die Frau Staatsministerin hat die Frage verstanden und auch indirekt beantwortet, Frau Abgeordnete.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118214200
Ich habe nicht hinsichtlich dieses Falles gefragt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118214300
Ich lasse mich auf keinen Streit ein. Frau Staatsminister, wollen Sie noch einmal irgendeine Bemerkung dazu machen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, ich denke, ich habe Ihre Frage hinreichend beantwortet. Es liegt eine Resolution der UNOVollversammlung vor. Dieses hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Jede Resolution ist in einer gewissen Weise anders, wenngleich wir bei dieser Resolution sagen müssen: Sie stellt eigentlich nur eine Variation dessen dar, was in den vergangenen Jahren innerhalb der Vereinten Nationen immer wieder auf den Tisch gekommen ist. In den vergangenen Jahren sind diese Resolutionen in der einen oder anderen Form ebenfalls verabschiedet worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118214400
Da Sie das eben als eine Wiederholung betrachtet haben, gestatte ich Ihnen Ihre zweite Zusatzfrage. Bitte sehr.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118214500
Ich würde gerne die Auffassung der Bundesregierung wissen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit man durch ein ungenehmigtes Außenwirtschaftsgeschäft mit Südafrika die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland als erheblich gestört bezeichnen kann, und trifft es vielleicht nicht zu, daß in der internatio-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14035
Frau Beer
nalen Debatte auch das Handeln einzelner Firmen zu einer solchen Störung führen kann, insbesondere, wenn es sich wie im Falle von HDW um eine staatseigene Firma handelt?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, die Bundesregierung wendet für die Bewertung der Frage, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen gegeben ist, allgemein gültige Erwägungen an, die sich nicht nur auf ein einziges Land beziehen. Diese Erwägungen kann man dahin gehend formulieren, daß man sagt: Insgesamt ist abzuwägen, ob die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das internationale Echo durch die in Frage stehenden außenwirtschaftlichen Handlungen in eine Lage gebracht wird, die es ihr unmöglich macht oder zumindest ernsthaft erschwert, ihre außenpolitischen Interessen zur Geltung zu bringen und glaubhaft zu vertreten. Durch die Formulierung „die in Frage stehenden außenwirtschaftlichen Handlungen" wird, glaube ich, hinreichend deutlich, worauf sich dies alles beziehen kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118214600
Jetzt hat der Abgeordnete Bohl die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118214700
Frau Staatsministerin, die Ursprungsfrage lautete ja, wie die Bundesregierung die Frage beurteilt, ob es hier eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik gibt. Sie antworteten, daß das noch geprüft werde.
Dazu meine Frage: Wird bei dieser Prüfung auch eine Rolle spielen, daß der eigentliche Vorgang über vier Jahre zurückliegt, seit mindestens drei Jahren bekannt ist und diese öffentliche Bekanntmachung nicht dazu geführt hat, daß innerhalb der UNO eine solche Resolution verabschiedet worden ist, daß wohl aber eine solche Resolution unmittelbar nach dem Besuch des Abgeordneten Gansel bei der UNO verabschiedet wurde, vor der der Abgeordnete Gansel wahrheitswidrige Behauptungen über Sachverhalt und den Stand des Verfahrens aufgestellt hat?

(Gansel [SPD]: 106 Staaten stehen hinter mir!)

Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird bei ihrer erneuten Bewertung, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, alle bisher in diese Überlegungen einbezogenen bekannten Dinge, aber auch die Entwicklungen der letzten Woche mit einbeziehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118214800
Dann hat zunächst einmal der Abgeordnete Gansel das Wort zu einer Zusatzfrage.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118214900
Trifft es zu, Frau Staatsministerin, daß Sie auf die Frage der Kollegin Beer eben geantwortet haben, die Verfolgung von Straftaten stehe in der Unabhängigkeit der Justiz und, wenn ja, haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Bundesregierung erstens durch eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers vom Sommer dieses Jahres staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in dem Rüstungsgeschäft verhindert hat

(Bohl [CDU/CSU]: Anderer Sachverhalt!)

und — nächster Punkt — warum die Bundesregierung weiterhin das Eintreten einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik bestreitet mit dem Ziel, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und eine gerichtliche Entscheidung nicht zuzulassen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie Jurist. Das heißt, schon von Ihrer Ausbildung her müssen Sie sehr genau die innerstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland kennen und deshalb wissen, wer für die Verfolgung von Straftaten, wer für die Einleitung der Verfolgung zuständig ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118215000
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118215100
Frau Staatsminister, nachdem Sie meiner Kollegin soeben geantwortet haben, Resolutionen solcher Art gebe es halt gelegentlich, hin und wieder einmal, frage ich: Können Sie mir einen Fall nennen, in dem die Bundesregierung, in dem die Bundesrepublik Deutschland schon einmal von einer so gewichtigen Resolution betroffen worden ist, und können Sie den Fall dann auch genau nennen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, aus dem Gedächtnis ist mir kein solcher Fall bekannt. Der Kollege Bohl hat ja bereits darauf hingewiesen, daß die Frage des Blaupausenexports nach Südafrika bereits seit vielen Jahren bekannt ist und daß es zu einer solchen Resolution nicht gekommen ist.

(Zurufe von der SPD)

Dies unterstützt die Bewertung der Bundesregierung, daß es auch in diesem Falle ungerechtfertigt gewesen ist, daß eine solche Nennung erfolgt ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118215200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1118215300
Frau Staatsminister, nachdem vier Jahre lang versucht wurde, diese Angelegenheiten zu vertuschen, frage ich: Trifft es zu, daß die mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika verbundenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1989 verjähren können, und, wenn nein, wann ist nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung mit einer Verjährung zu rechnen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich sehe mich nicht in der Lage, auf Fragen der Verjährung zu antworten — dafür wäre ja auch der Kollege vom Justizministerium zuständig —, möchte allerdings darauf hinweisen, daß hier nichts vertuscht worden ist und auch nichts vertuscht werden konnte, schon deshalb nicht, weil es zu der gesamten Frage des Exports von Blaupausen für den UBoot-Bau nach Südafrika einen parlamentarischen
14036 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzer Untersuchungsausschuß gegeben hat, sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch in dieser Legislaturperiode.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118215400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1118215500
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, trifft es denn zu, daß die staatsanwaltschaftliche Überprüfung in der Sache gar nicht stattfinden kann, weil die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung überhaupt nicht gegeben hat?

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist ein anderer Sachverhalt!)

Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn ich das recht sehe, bewegen wir uns derzeit in der Beantwortung der Frage 32. Darin hat die Kollegin danach gefragt, ob die Bundesregierung die Bewertung der erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen verändert hat, nachdem die Resolution verabschiedet worden ist. Ich sehe keinen direkten Zusammenhang. Aber wenn Sie noch etwas warten und Ihre Zusatzfragen nicht schon bei der falschen Frage anbringen, können Sie vielleicht noch eine Antwort bekommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118215600
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. — Frau Abgeordnete Unruh!

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118215700
Frau Staatsministerin, Herr Genscher hat in der Presse irgendein Rechenexempel gemacht; deshalb möchte ich von Ihnen lediglich eine Bestätigung haben. Stimmt es, daß die UNO-Resolution so verabschiedet worden ist, wie das auch hier steht, nämlich mit großer Mehrheit, d. h. mit 106 gegen 17 Stimmen bei 26 Enthaltungen? Ist das so? Ich frage das, weil Herr Genscher der Bevölkerung irgend etwas anderes mitgeteilt hat; ich glaube, es war sogar in der „Bild"-Zeitung.

(Heiterkeit)

Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, ich werde im Zuge einer anderen Frage, deren Nummer mir im Moment gerade nicht geläufig ist, die Zahlen noch konkret nennen. In der UNO hat es ja zwei Abstimmungen zu diesem Komplex gegeben. Bei einer Abstimmung ging es darum, ob die Bundesrepublik überhaupt namentlich erwähnt werden soll. Dieser Antrag ist mit 56 gegen 43 Stimmen — wenn ich das richtig im Kopf habe — bei sehr, sehr vielen Enthaltungen mit knapper Mehrheit angenommen worden.
Bei der Abstimmung über die endgültige Resolution gab es — —

(Frau Beer [GRÜNE]: Beeinflussung seitens des Auswärtigen Amtes! Genau!)

Ich kann Ihnen jetzt die genauen Zahlen für die erste Abstimmung sagen: 53 Ja-Stimmen, 45 NeinStimmen, 38 Enthaltungen. Das heißt: Eine Minderheit der Vereinten Nationen hat dafür gestimmt, die Bundesrepublik hier namentlich zu erwähnen. Die
Bundesrepublik ist ja nicht verurteilt worden, sondern sie ist namentlich erwähnt worden.
Was die Endabstimmung angeht, so sind die Zahlen korrekt, wie sie in der Frage 32 aufgeführt worden sind.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist wie beim Abstimmungsverhalten der SPD beim Vereinsförderungsgesetz!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118215800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stobbe.

Dietrich Stobbe (SPD):
Rede ID: ID1118215900
Frau Staatsministerin, spielt bei der Beurteilung des politischen Gewichts dieser Resolution der Vereinten Nationen und der Abwägung darüber, ob ein außenpolitischer Schaden eingetreten ist oder nicht, nicht in besonderer Weise eine Rolle, daß die Bundesregierung in den Vereinten Nationen in den vergangenen drei Jahren darauf hingewiesen hat, dieser Vorgang werde in der Bundesrepublik untersucht, und muß nicht aus dem Umstand, daß jetzt eine solche Resolution kommt, geschlossen werden, daß die Staatengemeinschaft darüber verärgert ist, daß diese Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht vorankommen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen — der Kollege Bohl hat ebenfalls darauf hingewiesen —, daß es bestimmte Aktivitäten in den vergangenen Wochen gegeben hat, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie auch eine Auswirkung gehabt haben. All dies wird im Zusammenhang noch einmal bei der Beurteilung der Frage bewertet werden, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen vorliegt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216000
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wollny,

(Frau Wollny [GRÜNE]: Ich verzichte, weil Herr Stobbe die Frage schon gestellt hat!)

— Dann rufe ich Frage 33 der Abgeordneten Frau Beer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, daß die U-Boot-Pläne-Lieferungen der Firmen HDW und IKL nach Südafrika einen Bruch des UNO-Rüstungsembargos darstellen, und welche Antwort wird die Bundesregierung der UNO auf die Forderung der UNOGeneralversammlung geben, die Bundesregierung möge die beiden U-Boot-Firmen gerichtlich verfolgen lassen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Ich kann es nicht ändern, aber ich werde jetzt natürlich auf Fragen noch einmal antworten müssen, die bereits als Zusatzfragen gestellt worden sind. Aber ich tue das gerne.
Frau Abgeordnete, das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen richtet sich an Staaten und nicht direkt an einzelne Firmen. Die Bundesregierung hat ihre Verpflichtungen aus dem Rüstungsembargo der Vereinten Nationen innerstaatlich voll umgesetzt und diese strikt eingehalten. Die Resolution erfordert keine Antwort der Bundesregierung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216100
Eine Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14037

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118216200
Diese Antwort, wenn ich sie richtig verstanden habe, entspricht der Äußerung von Außenminister Genscher, der jetzt leider nicht da ist, während der Haushaltsdebatte in der vergangenen Woche. Gerade weil dieser Bereich angesprochen ist, nämlich die Tatsache, daß seitens der Bundesregierung kein Handlungsbedarf in bezug auf ein Strafverfahren gesehen wird, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß zumindest im April ein Ermittlungsverfahren anhängig war. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen bekannt ist, daß zur Zeit ein Strafverfahren läuft, das nicht mehr nur das Geheimschutzabkommen, sondern den gesamten Vorgang betrifft.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß der Bundesminister des Auswärtigen derzeit an einer Personalversammlung des Auswärtigen Amts teilnimmt. Diese Personalversammlung ist seit Monaten geplant. Sie alle wissen, wie wichtig es für die Mitarbeiter des Hauses sein kann, mit dem Minister zu diskutieren. Selbstverständlich ist der Minister gern bereit, auch hier dabeizusein, und ich bin sicher, daß die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes viel Verständnis für diesen Wunsch der Opposition hätten.
Auf Ihre weitere Frage kann ich Ihnen nur sagen: Es ist mir bekannt, daß es Untersuchungen gegeben hat und daß ein Strafverfahren wegen einer Verletzung des Geheimschutzes eingeleitet worden ist.

(Frau Beer [GRÜNE]: Das bezog sich nur auf das Geheimschutzabkommen?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216300
Eine weitere Zusatzfrage.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118216400
Ich möchte zu dem nachfragen, was Sie eben sagten. Sie sagten als Antwort, daß nur. ein Verfahren bezüglich des Geheimschutzabkommens eingeleitet worden ist. Ich habe Sie gefragt, ob bekannt ist, daß eine Js-Strafsache läuft, die jetzt den ganzen Skandal betrifft. Ich beziehe mich dabei auf die Auskunft von Oberstaatsanwalt Straube vom heutigen Tage.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, in der Tat gibt es ein weiteres Verfahren, das in Kiel anhängig ist.

(Frau Beer [GRÜNE]: Ein Strafverfahren?)

— Ein Ermittlungsverfahren bezüglich einer möglichen Strafsache ist eingeleitet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118216600
Trifft es zu, daß die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die von 116 — in Worten: einhundertundsechzehn — Mitgliedstaaten beschlossen worden ist und die zutiefst mißbilligt hat, daß Firmen aus der Bundesrepublik Konstruktionsunterlagen für den Bau von U-Booten nach Südafrika geliefert haben, und die die Bundesregierung aufgefordert hat, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungen stattfinden können, auch den Beschluß enthält, daß in der nächsten Generalversammlung der
UNO darüber zu berichten ist? Und gedenkt die Bundesregierung an ihrer Haltung, die Sie eben deutlich gemacht haben, festzuhalten, der Generalversammlung keinen Bericht zu geben, d. h. nicht zu reagieren? Wollen Sie damit die Mißachtung der Vereinten Nationen durch die Bundesregierung in dieser Angelegenheit noch weiter erhöhen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216700
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß sich dies mit der Frage 33 so nicht deckt. Dort wird lediglich danach gefragt, ob die beiden Firmen gerichtlich verfolgt werden sollen. Ihre Frage geht weit über das hinaus.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Beer [GRÜNE]: Wir wollen die Antwort darauf haben, wie sich die Bundesregierung dazu verhält! — Weitere Zurufe)

Ich stelle der Staatsministerin frei, darauf zu antworten oder nicht. Denn alles, was Ihre Frage zum Inhalt hat, steht in späteren Fragen noch einmal zur Diskussion.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Präsident, in seinem letzten Schlenker hat der Abgeordnete Gansel noch den Anschluß an die Frage 33 bekommen.
Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in der Resolution der Vereinten Nationen nicht aufgefordert wird, die Voraussetzungen für die Strafverfolgung zu schaffen, sondern sie wird aufgefordert, die Strafverfolgung vorzunehmen.

(Frau Beer [GRÜNE]: Ja, tut sie das? — Mischnick [FDP]: Das kann sie doch gar nicht!)

Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß nach unserem innerstaatlichen Recht dafür nicht die Bundesregierung zuständig ist, sondern die dafür vorgesehenen Behörden.

(Mischnick [FDP]: Richtig!)

Des weiteren möchte ich den Kollegen Gansel doch noch einmal bitten, sich die Resolution wirklich genau durchzulesen. Da wird nämlich nicht die Bundesrepublik zu einem Bericht aufgefordert, sondern das Special Committee on Apartheid. Ich bin ganz sicher, daß das Special Committee on Apartheid diesen Bericht auch geben wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118216800
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr, Frau Rust.

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118216900
Frau Staatsministerin, ist Ihnen bekannt, daß die Oberfinanzdirektion Kiel aufgefordert wurde, alle Akten an die Staatsanwaltschaft Kiel abzugeben? Sind Sie nicht der Meinung, daß es hier nur noch einer Initialzündung seitens der Bundesregierung bedarf, in der sie ihrer Einschätzung Ausdruck gibt, daß nach dieser UNO-Resolution tatsächlich davon auszugehen ist, daß es zu erheblichen Störungen in den außenpolitischen Beziehungen gekommen ist, so daß die Staatsanwaltschaft Kiel in vollem Umfang ermitteln kann?
14038 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Frau Abgeordnete, ich habe bereits mehrfach ausgeführt, daß die Bundesregierung prüft, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen vorliegt, und daß wir selber daran interessiert sind, diese Prüfung so früh wie möglich abzuschließen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217000
Weitere Wortmeldungen liegen mir zu dieser Frage nicht vor. Dann rufe ich die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Lippelt auf:
Mit welchen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vor der Verabschiedung der UNO-Resolution A/44/L.34/Rev. 1 diesbezügliche Gespräche geführt, und kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, daß die Länder Antigua und Barbuda, Benin, Burundi, Komoren, Djibouti, Gambia, Kenia, Liberia und Niger ihre Unterschrift unter die genannte Resolution auf Grund der Gespräche mit den bundesdeutschen Vertretungen zurückgezogen haben?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich vor Verabschiedung der genannten Resolution mit den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in geeigneter Weise in Verbindung gesetzt, um sie über den Sachverhalt zu unterrichten und auf die Streichung der aus der Sicht der Bundesregierung nicht gerechtfertigten namentlichen Nennung der Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken. Es trifft zu, daß die von Ihnen genannten Länder ihre Miteinbringerschaft vor der Verabschiedung des Resolutionsentwurfs in seiner geänderten Fassung zurückgezogen haben. Der Resolutionsentwurf wurde daraufhin nur noch von 26 Staaten eingebracht. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die in den erwähnten Kontakten vorgetragenen Sachargumente dazu beigetragen haben, viele Länder davon zu überzeugen, daß die Namensnennung ungerechtfertigt war.

(Lachen bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig! So wird es gewesen sein!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118217200
Frau Staatsministerin, ich hatte gefragt, mit welchen Mitgliedstaaten gesprochen wurde. Sie haben das eben sehr pauschal beantwortet, ohne sie zu nennen. Deshalb frage ich ganz spezifisch, weil das vielleicht auch ganz interessant ist: Gehört zu diesen Staaten auch die DDR?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen sagen, daß die Bundesregierung allen Staaten der Vereinten Nationen ihre Sicht der Dinge auch schriftlich übermittelt hat.

(Bindig [SPD]: Können wir dieses Papier einmal sehen?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217300
Zusatzfragen? — Erst einmal Herr Dr. Lippelt, dann Herr Gansel, und dann ist die Zeit abgelaufen.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118217400
Frau Staatsministerin, wären Sie bereit, dem Auswärtigen Ausschuß dieses Papier, das Sie allen Mitgliedstaaten zugeschickt haben, zugänglich zu machen?
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, selbstverständlich sind wir bereit, im Auswärtigen Ausschuß noch einmal unsere Sicht der Dinge vorzutragen.

(Zurufe der Abg. Bindig [SPD] und Frau Beer [GRÜNE]: Das Papier!)

— Herr Abgeordneter, da es sich dabei um die Aufzeichnung der Sicht der Bundesregierung handelt, können wir selbstverständlich über diese Sicht der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß reden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118217600
Frau Staatsminister, können Sie glaubwürdig die Gerüchte widerlegen, daß von seiten der Bundesregierung in schwarzafrikanischen Hauptstädten — es handelt sich bei den Staaten, die ihre Unterschrift zurückgezogen haben, zum Teil um die ärmsten Staaten Schwarzafrikas — eine Verbindung zwischen Gewährung von Entwicklungshilfe und Schuldenerlaß und dem Abstimmungsverhalten dieser schwarzafrikanischen Staaten über das Rüstungsgeschäft mit Südafrika in den Vereinten Nationen hergestellt worden ist?

(Abg. Frau Rust [GRÜNE] meldet sich zu einer Zusatzfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217700
Frau Staatsminister, ehe Sie antworten, möchte ich der Abgeordneten Rust sagen: Sie können Ihre Mühe einstellen. Wir haben die Zeit der Fragestunde überschritten.
Frau Staatsminister!
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist bei einer ganzen Reihe von schwarzafrikanischen Staaten vor der Abstimmung der Resolution demarchiert.

(Gansel [SPD] : In Afrika oder bei den Vereinten Nationen?)

— In den Hauptstädten.

(Gansel [SPD]: Ach nein! Das ist ja interessant!)

Ich dachte, ich hätte darauf hingewiesen. Sie ist in den Hauptstädten demarchiert.
Ihre Frage enthält einen Begriff, der schon sehr deutlich macht, daß ich hier ausführen kann, was immer ich will; Sie werden es nicht glauben. Ich möchte für die Glaubwürdigkeit meiner Behauptung, daß wir keinerlei Verbindung in dem von Ihnen unterstellten Sinne hergestellt haben, die Tatsache anführen, daß einen Tag nach der Abstimmung in den Vereinten Nationen die Bundesregierung bei Ghana und Sambia, die beide gegen uns gestimmt haben, einen Schuldenerlaß vorgenommen hat.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118217800
Danke schön, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. *)
*) Die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Kirschner wurden vom Fragesteller zurückgezogen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14039
Vizepräsident Cronenberg
Der Abgeordnete Hüser hat die Absicht, nach § 106 der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Wollen Sie das noch begründen? — Bitte sehr.

Uwe Hüser (GRÜNE):
Rede ID: ID1118217900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, alle, die an dieser Fragestunde teilgenommen haben, werden meiner Feststellung folgen müssen, daß die Antworten nicht ausreichend waren, daß sie nicht diesem Thema entsprochen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall! Präzise, klar und deutlich! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das trifft nicht zu!)

Gerade dieses Thema erlaubt es nicht, in einem Frage-Antwort-Spiel abgehandelt zu werden. Deshalb beantragen wir nach § 106 diese akzessorische Aktuelle Stunde.
Ich möchte dies gleichzeitig damit verbinden, nach § 42 unserer Geschäftsordnung den Antrag zu stellen, daß an dieser Aktuellen Stunde der Bundesaußenminister Genscher teilnimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118218000
Herr Abgeordneter Hüser, ich gehe einmal davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, daß der Bundesaußenminister sofort von Ihrem Wunsch unterrichtet wird und daß wir trotzdem mit der Aktuellen Stunde, die Sie entsprechend unserer Geschäftsordnung nach Anlage 5I Nr. 1 Buchstabe b beantragt haben, beginnen können.

(Hüser [GRÜNE]: Da ich heute Spätdienst habe, bin ich einverstanden!)

— Danke schön.
Dann, meine Damen und Herren, erteile ich das Wort Frau Beer.
Ich bitte die Geschäftsführer, zu veranlassen, daß die weiteren Wortmeldungen vorgelegt werden. Anderenfalls ist die Aktuelle Stunde relativ schnell zu Ende.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118218100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Diese Fragestunde hat gezeigt, daß die Bundesregierung auch heute, zwei Wochen nach der UNO-Resolution, die der Bundesregierung nicht nur vorwirft, dieses Embargo gegen Südafrika zu verletzen, sondern sie auch auffordert, dafür zu sorgen, daß gegen die beiden Firmen, die diese Verträge ausgeführt haben, Strafverfahren aufgenommen werden, daraus noch keine Schlüsse gezogen hat.
Man muß dazu noch einmal ganz deutlich sagen: Es gibt einen Untersuchungsausschuß, diesen angeblichen U-Boot- „Untersuchungsausschuß", der seit fast drei Jahren durch die Regierungskoalition gelähmt wird, die versucht, jede vernünftige Sitzung zu blockieren, die versucht, Zeugenanhörungen zu vereiteln usw.

(Zurufe von der CDU/CSU: Alles Quatsch!)

Wir haben durch die Entscheidung der UNO-Vollversammlung zum erstenmal die Situation, daß dieser Dilettantismus der Regierungskoalition aufhört. Er ist überflüssig geworden, weil die Schädigung im Ausland vorhanden ist und wir nicht mehr auf dieses Spiel, auf dieses Theater in diesem Ausschuß angewiesen sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie kam es denn dazu?)

Die entscheidenden Fragen sind heute nicht beantwortet worden,

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!) Frau Staatssekretärin, sie sind offengeblieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sogar hervorragend beantwortet!)

Warum verweigert das Auswärtige Amt so hartnäckig, den erheblichen Schaden in den auswärtigen Beziehungen durch das U-Boot-Geschäft klipp und klar zuzugeben? Was soll denn noch passieren? Was kann man denn noch mehr machen, als Mordinstrumente in ein rassistisches Regime zu schicken und zuzusehen, wie dort damit umgegangen wird? Muß es dazu kommen, daß das Auswärtige Amt während und am Rande der UNO-Vollversammlung versucht, die Staaten zu beeinflussen, zu erpressen

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich!)

und dadurch — Gott sei Dank — nur zu erreichen, daß die Schärfe der Resolution etwas zurückgenommen wird?
Es gibt eine zweite Verurteilung der UNO auf der gleichen Sitzung, wo die Bundesregierung auch namentlich gerügt wird, nämlich dafür, daß genau sie zu den intensivsten Handelspartnern dieses Regimes in Südafrika gehört.
Sie haben gesagt: Was gehört denn schon dazu, wo soll denn überhaupt der Schaden sein! Ich kann Ihnen das sagen. Gucken Sie sich das Rheinmetall-Urteil des Landgerichts Düsseldorf an. Dort ist gesagt worden: Es handelt sich ganz eindeutig um einen Schaden, wenn irgendwelche Beteiligten in der Bundesrepublik — das heißt, nicht nur die Bundesregierung selber, sondern auch irgendwelche Firmen, auch wenn sie nicht im Auftrag der Bundesregierung gehandelt haben — in einer solchen Form gegen ein Embargo verstoßen. Das bedeutet nämlich im Ergebnis, daß die Bundesregierung nicht mehr glaubhaft machen kann, daß sie sich in Zukunft an die internationalen Verträge halten wird.

(Zustimmung der Abg. Frau Rust [GRÜNE])

Ich frage Sie wirklich: Wie kann man denn hier von Frieden, Abrüstung, Zusammenarbeit und allem möglichen sprechen und auf der anderen Seite an ein Land wie Südafrika Waffen liefern? Wie kann man das machen und gleichzeitig Giftgas in den Irak und weiteres liefern? Das ist doch der Skandal, auch wenn Sie im-
14040 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Beer
mer wieder versuchen, davon abzulenken; das ist der politische Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen auch noch einmal bedenken: HDW ist nicht irgendein Unternehmen, es ist zu 75 % im Besitz der Bundesregierung und zu 25 °A) im Besitz der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Das heißt, daß diese beiden die Verantwortung für die Ausführung tragen. Ich möchte auch dem Auswärtigen Amt, dem Außenminister Genscher, der leider immer noch nicht da ist, noch einmal sagen: Das, was hier fabriziert wurde und verdeckt und vertuscht wird und immer wieder unter den Teppich zu kehren versucht wird, geht auf seine Verantwortung. Die Weltöffentlichkeit spricht längst nicht mehr nur davon, daß diese Exporte erfolgt sind — das weiß inzwischen jeder, auch die Regierung — , sondern auch davon, daß sehr wohl Genscher, Kohl, Strauß, Stoltenberg und alle andern davon wußten — das ist der Skandal — und daß Sie nicht in der Lage sind, das zuzugeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staatssekretärin, ein Letztes möchte ich dazu noch sagen.

(Zuruf von der FDP: „Frau Staatsminister" heißt die Dame!)

— Ja, Staatsministerin. Das macht den Sachverhalt leider nicht einfacher und auch nicht harmloser.
Es gibt dieses Verfahren in Kiel, und es gibt auswärtige Störungen. Die Akten der Firmen sind heute beim Landgericht eingegangen. Das heißt, es ist nicht mehr eine OFD-Sache, es ist ein staatsanwaltschaftliches Verfahren. Es geht genau darum, daß die Bundesregierung hier zu ihrer Verantwortung stehen muß; sonst kann sie sich nämlich gleich verabschieden. So eine Bundesregierung brauchen wir nicht!

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

Wenn internationale Beziehungen gestört worden sind, geben Sie es zu, sonst können Sie gehen. Andererseits: Haben Sie die Kritikfähigkeit und geben Sie die Sache zu. Dann hat dieser U-Boot-Ausschuß, der drei Jahre versumpft ist, endlich wieder einen Sinn; dann haben nämlich die Herren Genscher, Kohl, Stoltenberg und andere endlich die Pflicht auszusagen.

(Bohl [CDU/CSU]: Die haben doch schon ausgesagt!)

Dann wird auch das Strafverfahren, die Strafanzeige gegen Herrn Kohl wieder laufen. Das ist der Sinn eines Untersuchungsausschusses.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118218200
Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1118218300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja nicht überraschend, daß diese Debatte kommt. Sie hatten sie ja geplant. Das pfiffen die Spatzen schon vom Dach. Es ist ja keineswegs so, daß die Fragen nicht beantwortet wären,

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

sondern das gehört zu dem Szenarium, das Sie auch im Hinblick auf die in der nächsten Woche stattfindende Debatte in der UNO beabsichtigt hatten. Deshalb empören Sie sich hier nicht künstlich,

(Frau Beer [GRÜNE]: Ein Skandal ist es, keine künstliche Empörung!)

sondern geben Sie zu, daß es Ihnen nur darum geht, einen außenpolitischen Schaden herbeizureden. Das ist Ihr politisches Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei den GRÜNEN)

Wenn Sie die Frechheit besitzen, hier zu behaupten, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hätten vor diesem Untersuchungsausschuß noch nicht ausgesagt,

(Frau Beer [GRÜNE]: Weil Sie es verhindern! Das ist es doch!)

dann wirft das ein bezeichnendes Licht darauf, wie Sie es mit der Glaubwürdigkeit halten. Der Bundesaußenminister und der Bundeskanzler haben im Februar 1987 vor diesem Untersuchungsausschuß ausgesagt. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie ständig mit der Wahrheit umgehen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

— Es ist die Wahrheit; anscheinend waren Sie nicht da. Der Untersuchungsausschuß der letzten Wahlperiode hat im Februar 1987 Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl und Herrn Bundesaußenminister Genscher gehört. Das ist die Wahrheit. Verdrehen Sie sie doch bitte nicht!
Hier wird ständig behauptet — ich finde, das ist eine bodenlose Unverschämtheit — , wir würden vertuschen und verharmlosen. Was bilden Sie sich überhaupt ein, Frau Beer? Ich verbitte mir das!

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Lebhafte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin seit 19 Jahren Abgeordneter. Ich bin von Beruf Rechtsanwalt und Notar. Was fällt Ihnen überhaupt ein, mir zu unterstellen, ich wollte etwas vertuschen, was strafbar ist? Ich verwahre mich dagegen! Das ist ehrabschneiderisch; das lassen wir nicht länger mit uns machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist die reine Wahrheit.
Nun will ich Ihnen noch etwas sagen. Bisher ist bei der UNO dieser Sachverhalt nicht zum Anlaß genommen worden, eine Verurteilung oder sonstige Resolutionen zu verabschieden. Wie ist der Sachverhalt? Herr Gansel ist vor wenigen Wochen dort gewesen und hat wahrheitswidrig — jawohl, Herr Gansel, wahrheitswidrig! — vor den Gremien der UNO ausgesagt.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Beer [GRÜNE]: Was ist denn daran wahrheitswidrig?)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14041
Bohl
Die Folge war dann, daß in Unkenntnis des Sachverhaltes Mitglieder der UNO diese Resolution verabschiedet haben.

(Frau Beer [GRÜNE]: Weil Sie die Wahrheit nicht hören können und die Konsequenzen nicht sehen wollen!)

Es ist schäbig, Herr Gansel, daß Sie sich zu so etwas hergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN — Bindig [SPD]: Gansel, der mächtigste Mann der Welt!)

Meine Damen und Herren, nun will ich hier ein Weiteres sagen. Die bisherige Arbeit des Untersuchungsausschusses hat ergeben, daß bisher keine rechtliche Beanstandung vorzunehmen ist

(Gansel [SPD]: Ihrer Meinung nach!)

und daß — was Sie hauptsächlich interessiert — auch der Bundesregierung nichts vorzuwerfen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! — Frau Beer [GRÜNE]: Wissen Sie, was mich interessiert? Das Wort „Menschenrechte"!)

— Nun hören Sie doch mal einen Moment zu; Sie können ja nicht zuhören.
Herr Gansel, in Ihrem Bericht schreiben Sie, daß die Bundesregierung keine Genehmigung für dieses Blaupausengeschäft erteilt hat; das steht in Ihrem Bericht. Nun frage ich mich: Was werfen Sie denn der Bundesregierung vor, wenn Sie gleichzeitig feststellen, daß es keine Genehmigung gegeben hat?

(Gansel [SPD]: Daß sie es geduldet hat! — Frau Beer [GRÜNE]: Sie hat es gewußt!)

Das, was Sie sich hier erlauben, ist doch schizophren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! — Bindig [SPD]: Müssen wir uns von dem Kerl da oben so beschimpfen lassen?)

— Herr Bindig, wenn Sie hier wahrheitswidrige Dinge vortragen, müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß ich Ihnen das hier auch einmal entsprechend repliziere.
Was nun das Augenzwinkern betrifft — das war Ihr Zwischenruf, Herr Lippelt — : Wissen Sie, ich muß Ihnen einmal ganz ehrlich sagen: Wir haben hier einen Untersuchungsausschuß, der öffentliche Gewalt ausübt. Wir haben Sie davor gewarnt. Dieser Untersuchungsausschuß ist von dem zuständigen deutschen Gericht, von dem hiesigen Bonner Gericht, als verfassungswidrig bezeichnet worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Nun bitte ich Sie, nun bitte ich Sie wirklich: Wenn Sie als Untersuchungsausschuß und ich als Mitglied bescheinigt bekommen und das zuständige Gericht feststellt —

(Verheugen [SPD]: Amtsgericht!)

— aber das ist doch zuständig; werten Sie das nicht ab; Sie kommen doch ebenfalls aus irgendeinem Amtsgerichtsbezirk, Herr Verheugen, seit einiger Zeit in Bayern —, unser Auftrag sei verfassungswidrig,
dann frage ich Sie einmal: Was erwarten Sie eigentlich von uns? Daß wir uns darüber hinwegsetzen und in verfassungswidriger Weise Zeugen laden, Beschlagnahmen durchführen, Vernehmungen durchführen und dergleichen mehr? Mit uns nicht, mit uns auf keinen Fall! Deshalb ist das alles zurückzuweisen, was Sie hier vortragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118218400
Bevor ich dem Abgeordneten Stobbe das Wort gebe, erteile ich dem Abgeordneten Gansel einen Ordnungsruf. Herr Abgeordneter, ich wäre wirklich dankbar, wenn Sie sich solcher Äußerungen enthalten würden.

(Gansel [SPD]: Was hat Herr Bohl denn gesagt? — Frau Beer [GRÜNE]: Was hat er denn gesagt?)

Herr Abgeordneter Stobbe, Sie haben das Wort.

Dietrich Stobbe (SPD):
Rede ID: ID1118218500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was steht politisch fest? Politisch steht fest, daß eine Mehrheit der Staatengemeinschaft in der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen politischen Beschluß gefaßt hat, der die Bundesrepublik Deutschland belastet, in dem Aufforderungen an unser Land gerichtet werden.
Jetzt möchte ich erstens zu dem Stellung nehmen, was Herr Bohl hier über die Aussage meines Kollegen Gansel vor der Unterkommission des UN-Sicherheitsrats gesagt hat, die sich mit dem Embargo befaßt, und was zu meinem politischen Entsetzen die Frau Staatsministerin in Beantwortung einer der Fragen in dieser Fragestunde aufgenommen hat.
Ich war damals mit in New York. Herr Gansel hat dort im Rahmen einer Anhörung, in der es viele andere Zeugen vor diesem Unterausschuß gab, seine Auffassung dargelegt.

(Lowack [CDU/CSU]: Die Korrespondenz hatte er, der Kollege Gansel!)

Diese Rechtsauffassung ist dem Herrn Vertreter der Bundesrepublik Deutschland

(Lowack [CDU/CSU]: Sie sagen die Unwahrheit!)

bei den Vereinten Nationen auch übergeben worden, genauso wie dem Auswärtigen Amt. Wir haben negative Stellungnahmen dazu seitdem nie gehört.
Die Vorstellung, daß ein einziger Abgeordneter des Deutschen Bundestags nach New York geht und durch eine Aussage vor einem Subcommittee eine Mehrheit der Staatengemeinschaft dieser Welt durch seine Aussage hinter sich bringt, zeigt, wie einfach es sich diese Bundesregierung mit diesem Thema macht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Denn man darf wohl unterstellen, daß souveräne Staaten sich selber eine Meinung zu dem Thema bilden und mit Sicherheit gebildet haben. Das drückt sich in der Mehrheitsentscheidung der Vereinten Nationen aus; nichts anderes.
Herr Abgeordneter Bohl, es ist zwar richtig, daß der Bundeskanzler und der Herr Außenminister vor dem
14042 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Stobbe
Untersuchungsausschuß der vorigen Wahlperiode ausgesagt haben. Aber wir führen über drei Jahre einen Kampf in dem Untersuchungsausschuß dieser Legislaturperiode, um diese Zeugen zu laden. Daran wird deutlich, mit welchem Konflikt wir da seit drei Jahren ringen, nämlich mit dem Konflikt, daß ein durch das Grundgesetz garantiertes Minderheitenrecht durch die Praktizierung der Geschäftsordnung und die Nutzung der Geschäftsordnungsmöglichkeiten durch die Mehrheit praktisch außer Kraft gesetzt wird. Denn sonst hätten wir die verantwortlichen Minister dieser Regierung schon längst vor dem Untersuchungsausschuß haben müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lowack [CDU/CSU]: Das ist doch glatter Unfug, was Sie da sagen! — Dr. Solms [FDP]: Ohne diese Aktuelle Stunde hätte keiner mehr etwas von dem Untersuchungsausschuß gehört! Sie wollen das nur wieder aufblasen! — Lowack [CDU/CSU]: Weil sich nichts herausgestellt hat!)

— Herr Kollege, wenn Sie ernsthaft dieser Auffassung sind, dann zeigt das eine gefährliche Einstellung zu dem, was die Vereinten Nationen auch für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten und bedeuten müssen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

wenn wir alle unsere Worte über internationale Politik ernst nehmen wollen.

(Dr. Solms [FDP]: Das ist doch nur eine Selbstdarstellung von Herrn Gansel!)

Jetzt noch ein Wort zu den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Denn das ist der Kernpunkt dessen, was wir in dem Untersuchungsausschuß die ganze Zeit über gesehen haben. Diese Bundesregierung hat eine Untersuchung durch eine regierungsabhängige Behörde angestellt. Die Koalitionsmehrheit inhibiert die Untersuchungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dort, wo es ernst wird oder ernst werden könnte, nämlich bei der unabhängigen Justiz und bei der Frage der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, hat sie alles, aber auch alles getan, um ein Tätigwerden hier zu verhindern. Das haben wir im Ausschuß von Anfang an erlebt. Genau das ist unser Vorwurf.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Koalition hat das getan, weil es in diesem Fall darum geht, daß auch die Bundesregierung politisch in diesen Rüstungsexportfall von Anfang an verwikkelt war. Es geht ihr um Selbstschutz. Haben Sie wenigstens den Mut, öffentlich zu bekennen, daß Sie die Dinge so sehen und ihre Regierung schützen wollen! Aber tun Sie nicht so, als wäre das Ganze eine Frage, für die man das deutsche Recht sozusagen ausklammern könnte. Das wird Ihnen politisch schwer auf die Füße fallen, auch wenn die Öffentlichkeit von unserer Arbeit jetzt nicht so viel Kenntnis nimmt wie vielleicht am Beginn unserer Arbeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118218600
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (FDP):
Rede ID: ID1118218700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vergießt die Opposition Krokodilstränen über angeblich entstandenen außenpolitischen Schaden.

(Frau Beer [GRÜNE]: „Angeblich"?)

Sie vergießt Krokodilstränen, nachdem sie über Wochen und Monate nichts anderes getan hat, als eben diesen außenpolitischen Schaden herbeizureden. Aber es ist ihr nicht gelungen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie wollten alles unter den Teppich kehren! — Verheugen [SPD]: Ungeheuerlich!)

Es ist nun einmal so, meine Damen und Herren: Für die Strafverfolgung nach dem Außenwirtschaftsrecht ist der Umfang der Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland als Folge des Verstoßes gegen deutsches Außenwirtschaftsrecht maßgeblich. Herr Gansel und die SPD scheinen dabei der Maxime zu folgen: Wenn kein außenpolitischer Schaden durch Unternehmensaktivitäten eingetreten ist, dann stellen wir ihn notfalls selber her.

(Gansel [SPD]: Unverschämtheit!)

Das, meine Damen und Herren, ist eine empörende und auch beschämende Handhabung der Rechte eines Abgeordneten dieses Hauses.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gansel [SPD]: Unverschämtheit!)

Als der Versuch der SPD, die Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland herbeizureden, nicht gelang, mußte schließlich der Kollege Gansel den objektiven Sachverständigen spielen und vor dem Sonderausschuß des UNO-Sicherheitsrats auftreten, ohne deutlich zu machen, daß seine Sicht die eines Oppositionspolitikers ist. Er ist nur an der Kritisierung der Bundesregierung interessiert, nicht aber an der Darstellung eines objektiven Sachverhalts.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Man braucht nur seine Statements zu lesen, um die einseitige, unvollständige und lückenhafte Darstellung zu erkennen. Gesichtspunkte, die für die Bundesregierung sprechen, werden verschwiegen, werden unterdrückt.

(Bindig [SPD]: Eine Schande für einen Liberalen ist diese Rede! — Frau Beer [GRÜNE]: Eine Verdrehung der Tatsachen, was hier passiert!)

Noch am 1. Dezember 1989 erklärte Herr Gansel:
Der Bundesaußenminister bemühte sich seinerseits in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages, den Beschluß der Vereinten Nationen herunterzuspielen. Da er selbst in die Affäre verwickelt ist, kann an seiner Befangenheit kein Zweifel bestehen.

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Unerhört!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14043
Richter
Das ist eine Unverschämtheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Gelinde ausgedrückt!)

Weder ist der Bundesaußenminister in eine Affäre verwickelt, noch ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Bundesregierung oder einzelner Mitglieder der Bundesregierung. Zu keinem Zeitpunkt war es eine Affäre der Bundesregierung. Aber lange schon ist es eine Affäre Gansel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Bindig [SPD]: Da lachen ja die Hühner!)

In Wahrheit hat die Bundesregierung keine Genehmigung für den Blaupausenexport erteilt.

(Frau Weyel [SPD]: Das behaupten wir auch nicht!)

In Wahrheit hat sie nach dem Bekanntwerden der Lieferungen die gebotenen Schritte zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ergriffen.

(Frau Beer [GRÜNE]: Sie hat vor der Lieferung Bescheid gewußt!)

Die Opposition wird nicht müde, auch durch die Vielzahl von Fragen in der heutigen Fragestunde und schließlich durch diese Aktuelle Stunde zu versuchen, den Eindruck des außenpolitischen Schadens zu erwecken. Aber es ist doch nur ein Herbeireden.
Im übrigen nimmt man es mit der Wahrheit nicht immer genau. Immer und immer wieder wird der Eindruck erweckt, als wäre die Bundesrepublik durch die UNO verurteilt worden. Das ist schlicht falsch. Es wird der Bundesrepublik Deutschland in der Resolution keineswegs eine Verletzung des Waffenembargos des UN-Sicherheitsrats über Südafrika vorgeworfen. Die Rede ist lediglich von tiefem Bedauern gegenüber zwei Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland.

(Grünbeck [FDP]: Das ist ein großer Unterschied! — Frau Beer [GRÜNE]: Was sind es für welche?)

Daß Herr Gansel und andere mit Hilfe von Strafanzeigen und Strafverfahren Politik zu machen versuchen, daran haben wir uns beinahe schon gewöhnt. Daß er aber nun dazu übergeht, zu versuchen, durch Auftritte im Ausland außenpolitischen Schaden für die Bundesrepublik herbeizuführen, das ist beschämend. Diesen Herrn Gansel hier in der Pose des Anklägers zu erleben, das heißt den Bock zum Gärtner gemacht zu haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118218800
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118218900
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Nachdem nun auch der Bundesaußenminister hier erschienen ist, können wir vielleicht zum Punkt kommen. Am 28. September hat Außenminister Genscher in der UNO-Generalversammlung in einer — wie die Presse schrieb — großen Rede folgendes ausgeführt:
Regionale Krisenherde werden durch einen zügellosen Waffenhandel verschärft. Der Waffenhandel muß für die internationale Öffentlichkeit transparenter gemacht werden. Eine solche Transparenz bringt sowohl Importeure als auch Exporteure in einen Begründungs- und Rechtfertigungszwang, der allein schon eine mäßigende Wirkung ausübt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dies sagte Herr Genscher öffentlich in der ersten Etage des Gebäudes der UNO-Generalversammlung zur gleichen Zeit, als ich im Erdgeschoß desselben Hauses in einer vertraulichen Sitzung eines Unterausschusses des UN-Sicherheitsrats über den zügellosen Waffenhandel mit Südafrika gehört wurde. Der Importeur, der dort unter Rechtfertigungszwang gesetzt werden sollte, ist Südafrika. Und der Exporteur ist die Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Solms [FDP]: Wer ist auf die wahnsinnige Idee gekommen, Sie als Zeugen zu hören?)

— Wenn Sie, Herr Kollege, fragen: wer ist auf die wahnsinnige Idee gekommen?, dann sage ich Ihnen: Es war der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Und ich empfinde es als deutscher Abgeordneter als eine Auszeichnung, von ihm eingeladen zu werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe übrigens mein Statement aus der vertraulichen Sitzung unmittelbar nach der Sitzung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der UNO in New York zur Verfügung gestellt, wozu ich nicht verpflichtet war.

(Lowack [CDU/CSU]: Legen Sie mal die Korrespondenz vor, die Sie mit dem Ausschuß geführt haben! Dann wird einiges klar!)

Ich wollte aber nicht, daß die Bundesregierung auf die Weitergabe durch andere Staaten angewiesen sein würde.
Ich habe weiter, drei oder vier Tage danach, in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses dem Herrn Außenminister persönlich oder seiner Vertreterin im Amt dieses Statement überreicht, das bis dahin vertraulich war. Zu meiner großen Überraschung ist damit dann zwei Tage später in einer Pressekonferenz der FDP-und der CDU/CSU-Fraktion herumgewinkt worden; aber den Mut, es der Presse auf den Tisch zu legen, haben Sie nicht gehabt.

(Hört! Hört! bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Wir fotokopieren Ihr Zeug nicht noch!)

Man hätte nämlich erkennen können, daß ich versucht habe, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland deutlich zu machen, daß das, was bei dem illegalen Geschäft mit Südafrika passiert ist, nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme ist. Es ist allerdings eine schlimme Ausnahme. Denn worum geht es?
Es geht darum, daß Firmen aus der Bundesrepublik Pläne zum Bau von U-Booten und zum Bau von U-Boot-Werften an das Rassistenregime Südafrika liefern sollten, obwohl es nach dem UN-Waffen-
14044 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Gansel
embargo, das völkerrechtliche Qualität hat und dem wir zugestimmt haben, verboten ist,

(Lowack [CDU/CSU]: Das sind aber keine Blaupausen! Schon wieder eine Fälschung!)

und daß über dieses Vorhaben Mitglieder der Bundesregierung schon im Herbst 1983 informiert waren. Dies ist sozusagen gerichtsnotarisch und durch Dokumente belegbar.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist auch belegbar, daß über dieses Vorhaben der Herr Bundesaußenminister persönlich mit dem Bundeskanzler gesprochen hat, z. B. am 15. Januar 1985, Herr Bundesaußenminister. Es ist auch bekannt, daß der Bundeskanzler ausgerechnet mit dem südafrikanischen Premierminister Botha über das beabsichtigte U-Boot-Geschäft gesprochen hat.

(Stobbe [SPD]: „Wohlwollende Prüfung"!)

Die Bundesregierung hat gewußt, daß es ein Papier gab, in dem der unglaubliche Satz stand:
Die Unterlagen für die U-Boote sollen auf Mikrofilm über die Grenze gebracht werden, im Diplomatengepäck.
Eine solche mafiotische Sprache in den Schreibtischen der Bundesregierung, ohne daß schon da Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden ist, das ist und bleibt ein Skandal,

(Frau Beer [GRÜNE]: Da gibt es noch ganz andere Sachen!)

vor allen Dingen deshalb, weil diese Lieferungen dann tatsächlich erfolgt sind

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und weil bis heute keine Mark von den vereinnahmten 45 Millionen DM zurückgezahlt worden ist. Es ist ein Skandal, weil in diese Affäre der ehemalige CSU-und FDP-Abgeordnete Zoglmann als Vermittler verwickelt war, der bei dem Geschäft eine Provision in Höhe einer zwei- bis dreistelligen Millionensumme erhalten sollte. Das sind Summen, die sich ein normaler Sterblicher nicht vorstellen kann, wenn von Provision die Rede ist.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das sind die Schalcks in der Bundesrepublik! — Bohl [CDU/CSU]: Nur Lappas erreicht das sonst noch!)

Und es ist ein Skandal, daß bis heute noch keine Bestrafung erfolgt ist.
Herr Bundesaußenminister, Sie müssen schon erklären, wie es kommt, daß Sie z. B. dem jetzigen Präsidenten der Generalversammlung der UNO — ich komme zum Schluß, Herr Präsident —

(Lowack [CDU/CSU]: Sehr gut!)

im Frühjahr 1987 erklärt haben, Sie könnten in der Angelegenheit nichts machen, denn das sei Aufgabe der unabhängigen Justiz, und warum gleichzeitig bis heute das Auswärtige Amt durch die Anfertigung von Gutachten, die eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland verneinen, die Staatsanwaltschaft in Kiel daran hin-
dert, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Weil Ihnen die UNO dieses Doppelspiel, diese Heuchelei, nicht länger abgenommen hat, deshalb sind Sie verurteilt worden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lowack [CDU/CSU]: Der Herr hat Schaum vor dem Mund!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118219000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1118219100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition mißbraucht den 1. Untersuchungsausschuß für Zwecke der Strafverfolgung, und sie agitiert vor der UNO gegen das eigene Land, um die Voraussetzungen für die Strafverfolgung zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stobbe [SPD]: Hören Sie doch auf! Das ist doch unmöglich!)

— Ich will Ihnen das in aller Ruhe belegen. Hören Sie doch bitte zu!
Auf Seite 105 Ihres Zwischenberichtentwurfs, Herr Gansel, heißt es wörtlich:

(Gansel [SPD]: Den kennt die UNO gar nicht!)

„Die Verantwortlichen der Firmen haben sich einer Straftat schuldig gemacht." Gemeint ist § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes.

(Bohl [CDU/CSU]: Wer spielt sich denn hier zum Richter auf?)

Sie treffen in einem Zwischenbericht die Feststellung, jemand habe sich strafbar gemacht, obwohl Sie doch wissen, daß dies nach unserem Grundgesetz allein den Gerichten obliegt. Sie treffen diese Feststellung als ein bei der UNO ja sehr versierter Herr, obwohl nach Art. 11 der UN-Menschenrechtsdeklaration jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, so lange als unschuldig anzusehen ist, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist. Trotzdem scheuen Sie sich nicht im geringsten, hier schon von vornherein den Stab über Personen zu brechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie berufen sich nur auf UN-Deklarationen, wenn es Ihnen in den Kram paßt. Sonst sind Ihnen solche Deklarationen, wenn es Ihnen um Ihre politischen Ziele geht, nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind.
§ 34 AWG setzt neben anderen Voraussetzungen voraus, daß eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik vorliegt. Ob das der Fall ist, haben — das wird auch bewußt vertuscht; hören Sie doch bitte einmal zu! — Staatsanwaltschaften und Gerichte zu entscheiden.

(Gansel [SPD]: Die hindern Sie ja daran!)

Bei der Staatsanwaltschaft in Kiel ist ja extra ein Generalstaatsanwalt ausgetauscht worden, um den nöti-
Deutscher Bundestag -- 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14045
Eylmann
gen Druck zu machen, was die Strafverfolgung angeht.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Gansel [SPD]: Das ist doch unglaublich!)

Nachdem Sie nun merkten, Herr Kollege Gansel, daß da nichts kam — die Bundesregierung hat sich nur gutachtlich geäußert —,

(Gansel [SPD]: Was heißt „nur"?)

haben Sie beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie sind zu dem Unterausschuß des Sicherheitsrats gefahren und haben dort am 27. September Halb- und Unwahrheiten ausgebreitet. Sie haben sogar ab und zu die Bundesregierung etwas gelobt und damit das alte Rezept des Marc Antonius befolgt, der ja die Wut der Römer über den Mörder Caesars mit der immer wiederholten Feststellung angestachelt hat: „Aber Brutus ist ein ehrenwerter Mann."
Herr Kollege Gansel, jetzt kommt es: Sie haben ausführlich dargelegt, daß es die Bundesregierung sei, die eine Strafverfolgung blockiere. Sie haben dann
— ich könnte es Ihnen wörtlich vorhalten — auf Seite 12 dargelegt

(Stobbe [SPD]: Was sagen Sie denn zu der Entscheidung von Herrn Haussmann?)

— meine Damen und Herren, hören Sie jetzt einmal zu —, daß es von der Reaktion dieses Unterausschusses und des Sicherheitsrats abhängen werde, ob in Zukunft die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung in der Bundesrepublik gegeben seien.

(Gansel [SPD]: So ist es doch auch!)

Das heißt auf deutsch: Sie haben die UN-Gremien aufgefordert, etwas gegen die Bundesrepublik zu unternehmen, damit endlich eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen eintritt. Das haben Sie getan.

(Lowack [CDU/CSU]: Eine Riesensauerei ist das! — Widerspruch des Abg. Bindig [SPD])

— Das steht doch wörtlich darin. (Gansel [SPD]: Ist das denn falsch?)

Wenn Sie das für richtig halten und wenn es in Zukunft die Methode der Oppositionsparteien sein soll, Ihre Abgeordneten, wenn sie hier im Bundestag nicht zu Rande kommen, nach New York zu schicken, damit sie dort gegen die Bundesregierung und die Bundesrepublik agitieren und unser Land selbst denunzieren, dann sagen Sie es bitte. Ich glaube, die Fraktionsführung der SPD muß einmal für Klarheit sorgen, ob das beabsichtigt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gansel [SPD]: Herr Präsident, ist „denunzieren" ein parlamentarischer Ausdruck?)

Herr Kollege Gansel, ein Letztes: Das Ungewöhnliche Ihres Vorgehens war Ihnen durchaus bewußt; denn Sie haben ausweislich Ihres Manuskripts selbst die Frage gestellt, ob man es nicht als ungewöhnlich empfinde, daß ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages dort die eigene Bundesregierung kritisiert.

(Gansel [SPD]: Das war auch ungewöhnlich!)

Mit der von Ihnen selbst gegebenen Antwort haben Sie eigentlich das I-Tüpfelchen noch daraufgesetzt.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben nämlich gesagt, das täten Sie mit Rücksicht auf die jüngere deutsche Geschichte; denn es dürften von deutschem Boden nie wieder Krieg und Diktatur ausgehen.

(Zuruf von der SPD)

Dies hieß auf deutsch: Sie wollen der Bundesregierung unterstellen, daß sie etwas mit Krieg und Diktatur am Hut hat!

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Gansel, mir scheint es wirklich an der Zeit zu sein, daß sich die Fraktionsführung der SPD zu diesem Vorgehen einzelner Mitglieder äußert. Wenn es Übung werden soll, daß sozusagen die Oppositionstätigkeit nach New York verlegt wird und Sie dort mit unwahren Behauptungen gegen unser Land agitieren, dann gehen wir einer schlimmen Entwicklung entgegen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei den GRÜNEN — Zuruf von der SPD: Wie kann ein einzelner Mensch so viel Unsinn reden?!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118219200
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

(Gansel [SPD]: Wann antwortet denn der Bundesaußenminister?)


Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1118219300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bohl, Herr Eylmann und Herr Richter, es wird Ihnen nicht gelingen, aus der Debatte, die hier geführt werden muß und in der es um das Verhalten der Bundesregierung geht, eine Debatte gegen meinen Kollegen Gansel zu machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Das ist sie doch!)

Das Verhalten des Kollegen Gansel im Ausschuß der Vereinten Nationen entspricht der Verantwortung eines Mitglieds dieses Hauses.

(Lowack [CDU/CSU]: Er hat es gar nicht verdient, daß wir seinetwegen eine Debatte abhalten!)

Meine Damen und Herren, Sie hätten im Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit gehabt, sich gegenüber dem Präsidenten des Special Committee on Apartheid zu äußern, als er eigens nach Bonn gekommen war, um mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages über die Frage zu reden, wie das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen hier eingehalten wird oder nicht eingehalten wird. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und leider auch von der FDP, haben dieses Gespräch mit dem jetzigen Präsidenten der
14046 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Verheugen
Generalversammlung der Vereinten Nationen abgelehnt.

(Widerspruch der CDU/CSU)

— Sie haben es abgelehnt! Sie hätten da Ihre Auffassung darlegen können.
Kollege Eylmann, ich muß mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, daß Sie hier den Eindruck erweckt haben, ein bisher dem Deutschen Bundestag noch nicht einmal bekannter Entwurf eines Zwischenberichts für den Untersuchungsausschuß wäre den Vereinten Nationen bekannt gewesen. Das, was Sie Herrn Gansel vorgeworfen haben, die Beurteilung in diesem Zwischenberichtsentwurf, daß es sich um strafbare Handlungen handelt, ist nicht etwa die Beurteilung des Kollegen Gansel allein, sondern die Beurteilung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Ich wiederhole sie hier: Hier liegen strafbare Handlungen vor.

(Bohl [CDU/CSU]: Erstaunlich! Das können Sie feststellen! Das ist aber doll!)

Wir bemühen uns seit drei Jahren darum, daß die Bundesregierung ihre Blockadepolitik aufgibt, damit diese strafbaren Handlungen verfolgt und aufgeklärt werden können; darum geht es hier.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Die SPD stellt fest, ob sich jemand strafbar verhält oder nicht! Das ist doch nicht zu fassen!)

Es kann doch überhaupt kein Zweifel daran bestehen, Herr Bohl, nachdem wir Ihren Auftritt hier erlebt haben und nachdem wir wissen, wie Sie sich im Untersuchungsausschuß verhalten, daß Sie etwas ganz Ungeheuerliches zu verbergen trachten. Ich frage mich schon seit Jahren, was dieses Ungeheuerliche sein mag, das Sie zu verbergen trachten; denn das, was Sie uns seit drei Jahren vorführen, ist in der Geschichte dieses Parlaments einmalig. Es war noch nie da, daß eine Mehrheit das verfassungsmäßig gesicherte Recht, eine Untersuchung ordentlich durchzuführen, mit allen nur denkbaren Tricks sabotiert. Sie haben gesagt, Sie wollen nichts vertuschen. Ich sage Ihnen, Herr Bohl: Sie sind der Chefsaboteur in dieser Angelegenheit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

Ich frage mich ja, von wem Sie da möglicherweise gesteuert sind und wen Sie mit Ihrer Handlungsweise zu decken versuchen.
Denken Sie aber nicht, es ginge hier lediglich um ein paar Kleinigkeiten. Hier geht es inzwischen um mehr als nur diesen U-Boot-Skandal.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie sind der wahre Wendehals!)

Herr Bohl, hier geht es auch darum, wie die Mehrheit dieses Hauses mit verfassungsmäßigen Rechten umgeht.
Ich habe übrigens nichts gegen Zuständigkeiten von Amtsgerichten, weder in Nordrhein-Westfalen noch in Bayern. Aber die Frage, ob sich der Deutsche Bundestag verfassungsmäßig verhält oder nicht, lassen wir doch bitte vom Bundesverfassungsgericht entscheiden. Sie wissen, daß das Verfahren dort anhängig ist und daß noch nicht entschieden ist. Tun Sie also doch nicht so, als wäre der Spruch eines Bonner Amtsrichters über die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Untersuchungsausschusses das letzte und verbindliche Wort. Wenn Sie wirklich dieser Meinung wären, dann hätten Sie ihre Mitarbeit am verfassungswidrigen Tun dieses Untersuchungsausschusses ja auch längst einstellen müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Das habe ich auch!)

Meine Damen und Herren, der außenpolitische Schaden, der hier entstanden ist, kann doch nicht wegdiskutiert werden. Die Frage des Umgangs mit dem Apartheidsystem in Südafrika, die Frage der Unterstützung und Stabilisierung dieses Systems durch Lieferungen von Technologie und Waffen ist eine der sensibelsten außenpolitischen Fragen überhaupt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich ansehen, daß mehr als 100 Staaten dieser Welt — wenn Sie sich die Resolution der Vereinten Nationen ansehen, sind es 150 — Jahr für Jahr mit überwältigenden Mehrheiten dieses System verurteilen und es in den Mittelpunkt großer Debatten stellen, dann wissen Sie, für wieviel Länder, gerade der Dritten Welt, die Frage, wie man mit Südafrika umgeht, eine ganz entscheidende außenpolitische Frage ist.
Diese Sensibilität fehlt eben. Dadurch ist der Schaden entstanden. Schaden ist dadurch entstanden, daß die Mehrheit der Staatengemeinschaft zu der Auffassung gekommen ist, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland es mit der Einhaltung des Rüstungsembargos nicht so genau nimmt, weil sie eben große deutsche Unternehmen nicht daran hindern will, ihre Geschäfte mit der Apartheid weiter zu betreiben. Das ist der Kern der Sache, um die es hier geht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Das darf so nicht weitergehen.
Sie haben auch versäumt, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Waffengeschäfte übrigens selber sagt, daß es sie gibt. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Frühjahr dieses Jahres nach den Wirtschaftsbeziehungen mit Südafrika wird ja ausdrücklich zugegeben, daß Waren nach Teil A, B und C der Ausfuhrliste nach Südafrika geliefert werden, und Teil A ist mit dem Wort „Waffen" überschrieben, meine Damen und Herren. Aber niemals ist die Bundesregierung bereit gewesen, uns aufzuklären, was für Genehmigungen sie da eigentlich erteilt hat.
Sie sehen also: Hier ist eine ganze Menge aufzuklären. Hier ist nicht aufzuklären, was der Kollege Gansel vor den Vereinten Nationen gemacht hat, sondern hier ist aufzuklären, warum Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Auftrag des Untersuchungsausschusses blockieren und warum die Bundesregierung nicht bereit ist, die Strafverfolgung zuzulassen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14047

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118219400
Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen.

Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1118219500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Der Bonner U-Boot-Untersuchungsausschuß hat alles, was möglich war, zutage gefördert.

(Gansel [SPD]: Das könnte Ihnen so passen! — Frau Beer [GRÜNE]: Das hat Engholm auch gesagt!)

— Das kommt gleich noch. Warten Sie einen Augenblick! —
Und wenn der Außenminister der Meinung ist, durch diese Affäre sei kein außenwirtschaftlicher Schaden entstanden, dann handelt es sich hier nicht um eine leichtfertige Äußerung.
Das ist genau das Zitat.
Ich gebe das wieder, meine Damen und Herren, was der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein den „Kieler Nachrichten" gegenüber am 17. August 1989 wörtlich erklärt hat. Er hat gesagt — ich zitiere, wenn der Präsident einverstanden ist — :

(Zuruf von der SPD: Das ist er immer!)

Angesprochen auf die Kieler U-Boot-Affäre winkte Engholm ab. Wenn es neue Erkenntnisse gebe, dann offenbar nicht in Kiel. Die Landesregierung werde der Kieler Staatsanwaltschaft keine Weisung geben, doch noch Ermittlungen aufzunehmen. Er glaube, der Bonner Untersuchungsausschuß habe alles, was jetzt möglich sei, schon zutage gefördert. Die Auffassung des Außenministeriums, durch die Affäre sei kein .. . Schaden entstanden, hält Engholm nicht für leichtfertig. Außerdem müsse man auch die Sorgen der Arbeiter bei Howaldt und beim Ingenieurkontor Lübeck sehen.
Ende des Zitats.
Ja, auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Howaldt, Herr Gansel, wird dieser Betrieb seit drei Jahren ins Gerede gebracht, verleumdet, diffamiert und zum Teil sogar verketzert, wenn man an die Hetzveranstaltung zum 17. Juni dieses Jahres denkt, Frau Beer, die Sie mit einem bekannten „Festredner" organisiert haben.

(Frau Beer [GRÜNE]: Mit wem?)

Ein Howaldt-Arbeiter hat mir damals geschrieben:
Die Unternehmensleitung hat den Fehler gemacht, mit Südafrika Geschäfte abschließen zu wollen. Sicher, damals,
— hat er geschrieben —
als sie es versuchten, galoppierte die Arbeitslosigkeit hier — —

(Frau Beer [GRÜNE]: Meinen Sie Leute, die seit 20 Jahren wegen Marxismus-Leninismus im Gefängnis sitzen? Haben Sie Herrn Goldberg gemeint? Das ist eine Diffamierung ohnegleichen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118219600
Frau Abgeordnete Beer, es ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß der Abgeordnete Börnsen das Wort hat und nicht Sie.

(Frau Beer [GRÜNE]: Dann soll er seine Anschuldigungen mit Namen machen und nicht irgendwelche Personen, die jahrelang gelitten haben, diffamieren!)


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1118219700
Danke schön, Herr Präsident. — Der Howaldt-Arbeiter hat sich heftig dagegen gewehrt, daß sein Betrieb immer wieder ins Gerede gebracht wird und die Arbeiter oft noch als „Kriegsanheizer" diffamiert werden. Er hat geschrieben, daß Schluß damit sein muß. Und wenn der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein das noch einmal verdeutlicht, dann sollte man auch bei Ihnen langsam zu der Einsicht kommen, daß irgendwann einmal Ende der Fahnenstange ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, daß dieser Sache eine völlig andere Problematik zugrunde liegt, eine Problematik, die vor allen Dingen mit dem Namen Gansel verbunden ist — denn es ist ein Skandal, der hier aufgedeckt wird —

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

von dem seine Genossen in Kiel sagen: Das ist der Feldzug eines verschmähten Kieler Ministerkandidaten, der hier stattfindet, weil immer wieder auch Engholm von der Seite angegriffen werden soll.
Weder der Generalbundesanwalt noch die Staatsanwaltschaft in Kiel noch die Oberfinanzdirektion haben irgendeinen Anlaß zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gesehen. Niemand hat bisher einen Anlaß dafür gesehen.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Es ist nicht gegen die UN-Resolution verstoßen worden. Nur, Sie mißbrauchen ein wichtiges Kontrollinstrument, nämlich den Untersuchungsausschuß, als Wahlkampfinstrument, als Kampfinstrument. Ich denke, daß Sie hier eine Strategie fahren, die ganz deutlich macht, daß der Untersuchungsausschuß für Sie ein solches Instrument ist.
Erst wird die Regierung wegen angeblicher Mitwisserschaft angegangen. Als sich dieser Vorwurf als ein Schuß in den Ofen erweist, werden die Firmen angegangen. Nachdem man auch hier das Ende der Fahnenstange erreicht hat, bemüht man die Vereinten Nationen, um das Feuer heiß zu machen. Das ist die Strategie, die hier gefahren wird und die dazu führt, immer wieder Vermutungen, Verdachtsmomente und Befürchtungen zu äußern, um ja wieder einen Anlaß zu haben, zu neuen Gesprächen, zu neuen Bemühungen im Untersuchungsausschuß zu kommen.
Es läßt sich feststellen: Das Verhalten der Bundesregierung war einwandfrei. Es ist rechtlich und politisch nicht zu beanstanden. Zusagen für die Billigung eines Geschäfts hat es nie gegeben.

(Zurufe von der SPD) Das sind die Tatsachen.

14048 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Börnsen (Bönstrup)

Ein letztes Wort. Ich glaube, daß mein Kollege Fritz Bohl im Untersuchungsausschuß sehr wohl ausgesprochen fair und respektabel

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das haben wir erlebt!)

und mit großer Sachkenntnis agiert hat, um — wie wir alle gemeinsam — der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Nur, eines ist doch deutlich geworden: Bereits nachdem die Arbeit des ersten U-Boot-Untersuchungsausschusses beendet war, war der Brunnen ausgeschöpft. Es gab nichts mehr zu bohren, Sie sind auf Sand gestoßen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118219800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118219900
Ich glaube, es ist an der Zeit, noch einmal zu sagen, worum es hier eigentlich geht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da sind wir aber gespannt!)

Ich zitiere den Text der UNO-Vollversammlung, der ins Deutsche übersetzt ist. Dort steht, daß die Vollversammlung „das Verhalten derjenigen Staaten und Organisationen zutiefst bedauert, die nach wie vor systematisch das UNO-Embargo verletzen". Dann wird Israel, dann Chile genannt. Das soll kein außenpolitischer Schaden sein? Ich frage Sie: was denn sonst?

(Eylmann [CDU/CSU]: Sie zitieren falsch!)

Sie dürfen eines nicht übersehen: Wir sind inzwischen einen Schritt weiter. Es geht nicht mehr darum, hier irgend jemanden noch beeinflussen oder diffamieren zu können. Das ist jetzt auf einer anderen Ebene anzusiedeln, nämlich auf der internationalen Ebene. Diese Ebene betrifft nicht nur irgendwelche Parteien, die gerade einmal an der Regierung sind, sondern es betrifft jeden Bürger dieses Staates,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

weil nämlich jeder Bürger in der Bundesrepublik durch die Resolution der 106 Staaten betroffen ist. Jede Bürgerin und jeder Bürger wird dieses auch deutlich äußern.
Wenn Sie noch einmal solche Diffamierungen vornehmen, dann nennen Sie die Namen. Sagen Sie, ob Sie Abdul Minty, ob Sie David Goldberg, ob Sie Leute meinen, die 20 Jahre in Südafrika eingesperrt waren und die sich hier, endlich in Freiheit, in der angeblichen Demokratie endlich trauen, den Mund aufzumachen. So etwas vorgesetzt zu bekommen, ist ein Skandal für sich, entschuldigen Sie!

(Zustimmung bei den GRÜNEN) Das als persönliche Anmerkung.

Lassen Sie mich zu zwei Punkten noch etwas sagen.
Ich denke, man sollte noch einmal sagen: Das Auswärtige Amt hat vier Gutachten für die bisherigen Verfahren erstellen lassen. Alle Gutachten besagten, daß es keinen außenpolitischen Schaden gibt. Die
Staatsanwaltschaft wird ein fünftes Gutachten beantragen. Ich bin neugierig, was in diesem fünften Gutachten stehen wird, und ich bin neugierig, welche neuen Ausreden Ihnen dann noch einfallen werden, wenn Sie die geltende Rechtsprechung darin berücksichtigen werden.
Ein letztes Wort zu Schleswig-Holstein. Dazu hat ein Kollege soeben schon viel gesagt. Auch die Bundesregierung antwortet heute: Sie kann nicht sagen, ob dieser Vertrag mit diesem Regime, auf dessen Grundlage Waffen und Rüstung nach Südafrika geliefert werden, überhaupt noch in Kraft ist oder nicht. Das heißt: Diese Bundesregierung ist nicht mal in der Lage, vor diesem Gremium zu sagen, ob dieser Skandal zumindest beendet wurde und ob er noch weiter durchgeführt wird oder ob diese Waffen dort unter der Verantwortung dieser Bundesregierung noch immer hergestellt werden. Das ist der weitere Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Außenminister Genscher, es ist natürlich peinlich, daß sich auch die Landesregierung nicht dafür einsetzt, daß 30 Millionen DM — das ist der Ertrag aus diesem Abkommen — , die dort gesperrt worden sind, zurückgezahlt werden. Aber es ist genauso peinlich, daß Sie in der Haushaltsdebatte in der letzten Woche, in der Sie viermal auf die UNO-Resolution angesprochen worden sind, nicht einmal in der Lage waren, Stellung zu nehmen, und dann auch noch falsche Zahlen nannten. Noch dazu verdrehen Sie eine Sache schlichtweg und werfen uns auch da schon wieder vor, Ihnen etwas unterstellt zu haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN) Das ist nachzulesen.

Ich fordere Sie letztmalig auf: Äußern Sie sich zu dem entstandenen außenpolitischen Schaden, und berücksichtigen Sie endlich auch den innenpolitischen Schaden, der zur Zeit gerade entsteht.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118220000
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

(Zuruf von den GRÜNEN: Mein Gott!)


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1118220100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das „mein Gott" will ich überhört haben.
Der Abgeordnete des Deutschen Bundestages Norbert Gansel fährt nach New York und hetzt dort Mitglieder der Vereinten Nationen auf,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

einen Beschluß mitzutragen, aus dem er nachher ableiten will, es sei für die Bundesrepublik Deutschland außenpolitischer Schaden angerichtet worden.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich will einmal ganz kurz und sachlich daran erinnern, wie denn das Außenwirtschaftsrecht vor 1976 ausgesehen hat. Da waren nämlich die Voraussetzungen für die Strafbarkeit von Embargoverstößen noch nicht im Gesetz verankert, die man heute dortselbst findet, nämlich die Voraussetzungen, daß entweder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist oder das friedliche Zusammenleben der Völker
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14049
Irmer
gestört ist oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden. Es fehlt, daß die empfindliche Störung der Nachtruhe des Papstes auch noch verankert worden wäre.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wer hat diese Änderungen damals betrieben? Gegen den Widerstand des damaligen Bundeswirtschaftsministers war es niemand anderes als der damalige Bundesjustizminister Vogel, der sich für diese einschränkenden Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes eingesetzt hat.

(Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

In dieses Bild paßt natürlich auch, daß im Ordnungswidrigkeitenbereich damals bei formellen Verstößen lediglich 20 000 DM Bußgeld, bei materiellen Verstößen lediglich 100 000 DM Bußgeld vorgesehen waren und daß das Bundeswirtschaftsministerium damals verlangt hat, das Bußgeld bei materiellen Verstößen auf 1 Million DM zu erhöhen. Es war der damalige Bundesjustizminister Vogel, der dafür gesorgt hat, daß das Bußgeld in diesen Fällen nur auf 500 000 DM erhöht wurde.

(Brauer [GRÜNE]: Geht es um Ordnungswidrigkeiten oder um andere Dinge?)

— Ich wollte nur einmal ein bißchen Rechtsgeschichte betreiben.
Herr Gansel, ich finde Ihr Verhalten ausgesprochen empörend, und zwar vor allem deshalb, weil Ihre Fraktion normalerweise durchaus ehrlich und anständig zusammen mit dem Bundesaußenminister HansDietrich Genscher dafür kämpft, daß sich die Verhältnisse in Südafrika nachhaltig verbessern. Was haben dieser Außenminister und diese Fraktion nicht alles getan, um zu einer Überwindung dieser extrem schwierigen und menschenverachtenden Situation in Südafrika beizutragen!

(Beifall bei der FDP)

Erste Erfolge zeichnen sich doch ab. Wir erleben den Unabhängigkeitsprozeß in Namibia, wir erleben den Abzug der Kubaner aus Angola. Wir erleben im südafrikanischen Regime selbst Aufweichungserscheinungen, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, daß wir uns hier beharrlich und seit Jahren immer wieder für die Wahrung der Menschenrechte und für vernünftige Reformen in Südafrika einsetzen, wobei wir auch immer gesagt haben: Apartheid ist nicht reformierbar, sie muß abgeschafft werden.
Wenn Sie jetzt hier in dieser Weise aus einzelnen Verstößen, die zugleich Gesetzesverstöße sind, ableiten, daß die Bundesrepublik Deutschland selbst und diese Bundesregierung das Apartheidsregime unterstützen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Um dieses glaubhaft darzustellen, sind Sie zu klein. Sie sind allenfalls ein Westentaschendemagoge.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118220200
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1118220300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kampagne, die hier gegen Firmen und ihre Mitarbeiter, gegen Angehörige der Justizbehörden, gegen das Auswärtige Amt, das Wirtschaftsministerium und führende Politiker der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird, hat offensichtlich pathologische, um nicht zu sagen: hysterische Züge angenommen. Kollege Gansel, beim besten Bemühen, Ihre Profilsucht und Ihre Neurotik insoweit zu verstehen: was Sie hier machen, sollte Ihnen nicht den Eindruck vermitteln, daß es etwa um Ihre großartige Persönlichkeit geht, der diese Aktuelle Stunde gewidmet ist. Vielmehr wollen wir uns darüber unterhalten, in welcher Art die Auseinandersetzung im Parlament stattfinden kann, und ob der Weg, den Sie beschreiten, der richtige Weg ist. Als „Gröbaz", als „größter Bundestagsabgeordneter aller Zeiten" , der Sie sein wollen, können Sie von uns vielleicht anerkannt werden.
Daß Sie in den „Kieler Nachrichten" ein willfähriges Instrument haben, eine Plattform, die Ihnen immer wieder Bestätigung gibt, ist ein trauriges Beispiel einer nicht ausreichenden journalistischen Arbeit, vor allen Dingen Aufklärungsarbeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, wir haben völlig vergessen, worum es hier eigentlich geht: Es geht um die Frage, ob der ermittelte Sachverhalt, daß Blaupausen, also Konstruktionspläne, über U-Boote nach Südafrika gegangen sind, einen Verstoß gegen deutsches Recht darstellt und ob an diesem Verstoß Bundesbehörden mitgewirkt haben.

(Frau Beer [GRÜNE]: Ich sage ja; Sie haben überhaupt nicht zugehört!)

Gerade zu diesem Ergebnis hat der Untersuchungsausschuß nicht geführt.
Ich bin dankbar, daß darauf hingewiesen wurde, daß unser Außenwirtschaftsrecht in der Verantwortung eines sozialdemokratischen Justizministers neu definiert und formuliert wurde. Denn gerade diese Lücke hat sich im Untersuchungsausschuß herausgestellt, nämlich daß keine Strafbarkeit vorgelegen hat.
Dann hat der Kollege Gansel gemeint, jetzt müsse er einen neuen Trick finden, um an die Sache heranzukommen, und daraufhin kam das Geheimschutzabkommen mit Indien. Hier hat man versucht, Dinge hineinzubringen, die ursprünglich im Untersuchungsauftrag überhaupt nicht erschienen waren. Es war im Grunde genommen eine Ausweitung, und letztlich ging es um einen völlig unterschiedlichen Untersuchungsgegenstand.
Es ist ein unglaublicher Skandal, daß eine Regierung in einem Bundesland einen Generalstaatsanwalt entläßt, der eine objektive, ausgewogene Entscheidung getroffen hat, und ihn durch einen anderen Generalstaatsanwalt ersetzt, damit dort das gemacht wird, was man als eine politische Entscheidung gegen eine objektive Entscheidung der Justiz durchsetzen will.
Kollege Gansel, Sie sind nicht der liebe Gott, auch wenn Sie das sein wollen. Sie sollten auch respektieren, daß wir ein Prinzip der Gewaltenteilung haben, nach dem nicht der Abgeordnete alles bestimmen kann, auch wenn er einen Teil der Presse auf seiner
14050 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Lowack
Seite hat. — Nicht nur Ihre Diskussion in New York, sondern auch der Inhalt der Korrespondenz, die uns teilweise bekannt ist, sollte einmal an die Öffentlichkeit kommen. — Wir haben eine Justiz, die Gott sei Dank nicht darauf reagiert, ob eine Bundesregierung ihr irgendwelche Anordnungen, notfalls über einen Beschluß, den Sie herbeiführen wollten, erteilt. Wir haben eine unabhängige Justiz, und so soll es auch in Zukunft bleiben. Auch Sie haben sich daran zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118220400
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1118220500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich belasse es jetzt bei wenigen Sätzen. Es geht einmal um ein schlimmes Rüstungsgeschäft mit dem Rassistenregime in Südafrika, es geht zweitens um eine mögliche Korruptionsaffäre, es geht drittens um eine Bundesregierung, die staatsanwaltschaftliche Ermittlungen verhindert und sich dadurch selber schützt,

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch wieder die Unwahrheit!)

es geht viertens darum, daß man die Autorität der Vereinten Nationen im Eigeninteresse kaputtmacht, es geht fünftens um den parlamentarischen Stil in einem Untersuchungsausschuß, und es geht sechstens auch um den parlamentarischen Stil in diesem Bundestag.
Wenn ein Bundesaußenminister in eine Bundestagssitzung zitiert wird, wenn er sich Kritik und Fragen anzuhören hat und wenn er dann die Chance nutzt, von seinem Recht als Regierungsmitglied erst dann Gebrauch zu machen und zu sprechen, wenn kein Abgeordneter ihm mehr antworten kann,

(Bohl [CDU/CSU]: Ich kann noch! Unsere Redezeit ist noch nicht ausgeschöpft!)

dann zeigt das, Herr Bundesaußenminister, daß auch Sie nicht in der Lage sind, über unsere Fragen und über Ihre Verwicklung in die Affäre zu sprechen und hier im Parlament Rede und Antwort zu stehen.

(Irmer [FDP]: Das ist sogar unter Ihrem Niveau, Herr Gansel, und dazu gehört was!)

Ich weiß, daß Herr Stoltenberg, ich weiß, daß Herr Wörner durch diese Affäre sehr viel stärker belastet sind als Sie. Aber wenn selbst Sie noch nicht einmal den Mut haben, im Parlament auf Fragen zu antworten, dann erinnere ich an die Frage von Günter Verheugen: Was haben Sie alles in dieser Affäre zu verbergen, daß Sie sich so aufführen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der FDP: Schämen Sie sich! — Weitere Zurufe)

Es ist fast ziemlich genau drei Jahre her, daß der Deutsche Bundestag das erstemal über diese Affäre diskutiert hat. Die ganze Affäre, die ja schon eine Oberfinanzdirektion seit Monaten vor sich hergeschoben hatte, wurde damals erst durch eine Pressemeldung bekannt.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie wollten doch nur wenige Sätze sprechen! Es stimmt nie, was Sie sagen!)

Erst aufgrund der Pressemeldung haben Sie, Herr Bundesaußenminister, den Embargoausschuß der Vereinten Nationen informiert. Die Presse hat Sie dazu gezwungen.
Als wir hier in der Haushaltsdebatte am 26. November 1986 die Affäre das erstemal ansprachen, gab es Entsetzen — ich entsinne mich noch daran —, übrigens auf beiden Seiten des Hauses; denn weder Sie noch erst recht Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, haben sich damals vorstellen können, daß nach vorheriger Information von Mitgliedern der Bundesregierung Rüstungsmaterial nach Südafrika hätte geliefert werden können. Ich erinnere mich noch deutlich an das Entsetzen in diesem Raum. Da eilte der Bundesaußenminister nach vorn ans Rednerpult und sprach — ich zitiere — von der Erforderlichkeit der „Untersuchung eines strafwürdigen Tatbestandes". Das war eine Vorverurteilung, Herr Bundesaußenminister, als es opportun war. Jetzt, nachdem wir uns über Jahre auch das Wissen angeeignet haben, können wir ein Urteil sprechen.

(Zuruf des Abg. Lowack [CDU/CSU])

Jetzt versuchen Sie, sich vor den Konsequenzen zu drücken. Das ist ein schäbiger parlamentarischer Stil und ein schlimmer politischer Vorfall.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Grünbeck [FDP]: Schäbig sind Sie! — Neuhausen [FDP]: Pseudomoral! — Dr. Solms [FDP]: Das ist ein Stinktier! — Frau Beer [GRÜNE]: Da gibt es keinen Ordnungsruf?!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1118220600
Das Wort hat der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID1118220700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament gehört, daß sich derjenige, der für die Bundesregierung spricht, die Argumente des Parlaments anhört. Das habe ich getan.
Zweitens möchte ich feststellen: Ich habe heute mittag in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses angekündigt, daß ich heute an einer Personalversammlung teilnehme, die seit Monaten angesetzt war. Das war der Grund dafür, daß ich erst später gekommen bin. Ich habe als Innenminister ein fortschrittliches Personalvertretungsgesetz vorgelegt und nehme meine Anwesenheit in diesen Sitzungen ernst.
Drittens. Herr Kollege Gansel, ich habe nicht die Absicht, in Kurzschrift die Untersuchungen des Untersuchungsausschusses hier in irgendeiner Weise zu präjudizieren, fortzusetzen oder zu ergänzen.

(Frau Beer [GRÜNE]: Darum geht es doch gar nicht!)

Das ist Sache des Untersuchungsausschusses. Ich möchte folgendes feststellen:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14051
Bundesminister Genscher
Erstens. Die hier in Frage stehende Resolution der Vereinten Nationen enthält keine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland.

(Frau Beer [GRÜNE]: Sie reden sich doch heraus!)

Sie, Herr Abgeordneter Gansel, haben Ihren ersten Diskussionsbeitrag heute mit den Worten beendet: Und deshalb sind Sie verurteilt worden. — Das ist in der Sache nicht zutreffend.

(Gansel [SPD]: Ist eine scharfe Mißbilligung keine politische Verurteilung?)

— Sie wissen genau, daß die Vereinten Nationen zwischen Bedauern und Verurteilungen unterscheiden. Aber wenn Sie nun schon darauf abstellen, dann muß ich sagen, daß sich selbst das Bedauern gegen andere Staaten richtet, in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland aber nur gegen zwei Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland gelegen sind.

(Frau Beer [GRÜNE]: Spitzfindigkeiten sind das! Ausreden!)

Insofern ist die Erwähnung der Bundesrepublik Deutschland in der Resolution von anderer Qualität als die anderer Staaten.
Zweitens. Die Resolution wurde von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht wegen des uns betreffenden Absatzes verabschiedet, sondern wegen des übrigen Inhalts. Bei der getrennten Abstimmung über unsere Namensnennung haben lediglich 53 Staaten,

(Frau Beer [GRÜNE]: Das haben wir schon diskutiert!)

d. h. nur ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen, für die Namensnennung gestimmt. 45 stimmten dagegen. 38 enthielten sich der Stimme.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das war heute schon! — Frau Beer [GRÜNE]: Erpreßt waren die; das wissen wir doch!)

Der Rest nahm an der Abstimmung nicht teil. Diese Gesamtabstimmung und die Mehrheit, die dabei festgestellt wurde, Frau Kollegin Beer, bezog sich also in der großen Mehrheit nicht auf die Bundesrepublik Deutschland. Im übrigen haben von den 50 afrikanischen Staaten nur 22 für die Namensnennung gestimmt, die restlichen enthielten sich der Stimme.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Frau Beer [GRÜNE]: Weil keiner mehr den Mut hat, gegen diese verdammte Bundesrepublik etwas zu sagen!)

Meine Damen und Herren, das möchte ich der Ordnung halber hier mal feststellen: Es ist nicht so, daß die Bundesrepublik Deutschland verurteilt wurde; es wurde das Verhalten zweier Unternehmen bedauert, die in der Bundesrepublik Deutschland gelegen sind.

(Frau Beer [GRÜNE]: Und ihr zufällig zu 75 % gehören!)

Das ist der Sachverhalt, über den wir hier reden.
Über die Frage, ob darin eine Ordnungswidrigkeit zu sehen ist oder ob ein Strafverfahren einzuleiten ist, entscheiden die zuständigen Behörden dieses Landes. Weder das Parlament noch die Bundesregierung sollten sich in dieses Verfahren einmischen oder hier gar Vorgaben machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gansel [SPD]: Aber Sie tun das doch, Sie beurteilen es doch!)

Die Frage, die zu beantworten ist, ist die Frage, ob die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört sind, und nicht, wie hier gesagt wird, ob sie gestört sind. Ich habe den Unterschied schon im Untersuchungsausschuß dargelegt. Ob das der Fall ist oder nicht, wie die Lage jetzt zu beurteilen ist, dazu Stellung zu nehmen sind wir von den Strafverfolgungsbehörden aufgefordert worden. Das Auswärtige Amt wird diese Stellungnahme abgeben, nach bestem Wissen und Gewissen, aber nicht nach politischer Opportunität.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118220800
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Solms einen Ordnungsruf für eine persönlich verletzende Bemerkung gegenüber dem Abgeordneten Gansel.

(Gansel [SPD]: Eins zu eins, Frau Präsidentin! — Unruhe)

— Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß die Sitzung nicht beendet ist. Ich bitte, Platz zu nehmen. Wir haben eine Reihe von Abstimmungen und Beratungen vorzunehmen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hüsch, Dr. Wittmann, Buschbom, Eylmann, Geis, Helmrich, Hörster, Dr. Langner, Marschewski, Dr. Kreile, Seesing, Dr. Stark (Nürtingen) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer, Baum, Gries, Lüder, Richter, Frau Dr. Segall, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze
— Drucksache 11/4415 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/5423 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hüsch Stiegler

(Erste Beratung 146. Sitzung)

Der Herr Abgeordnete Dr. Hüsch hat als Berichterstatter das Wort für eine Korrektur.

Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1118220900
Frau Präsidentin! In der Drucksache 11/5423 empfiehlt der Rechtsausschuß einstimmig die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 11/4415. Als Datum für das Inkrafttreten
14052 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Hasch
ist der 1. Januar 1990 eingesetzt. Dies erfolgte im Juni dieses Jahres mit einer anderen Zeitperspektive. Um die Beratung des Bundesrates und auch eine ordnungsgemäße Veröffentlichung des Gesetzes ermöglichen zu können, bittet der Rechtsausschuß, das Datum nunmehr durch 1. Juli 1990 zu ersetzen. Die Beschlußfassung im Rechtsausschuß in der gestrigen Sitzung war einstimmig. Auch haben die Fraktionen erklärt, daß sie mit der dritten Lesung sofort einverstanden sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118221000
Danke schön, Herr Berichterstatter.
Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf, mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Änderung des Datums in 1. Juli 1990. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist in der zweiten Lesung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 6 b:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 11/4931 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5659 —
Berichterstatter: Abgeordneter Poß

(Erste Beratung 158. Sitzung)

Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN ist das Gesetz angenommen.

(Bohl [CDU/CSU]: Die GRÜNEN sind gegen Besteuerung!)

Tagesordnungspunkte 6 c bis 6 e:
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 138 zu Petitionen
— Drucksache 11/5605 —
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 139 zu Petitionen
— Drucksache 11/5606 — e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 140 zu Petitionen
— Drucksache 11/5694 —
Meine Damen und Herren, wer stimmt den Beschlußempfehlungen zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkte 6f bis 6i:
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 30 05 Titel 683 15 — Risikobeteiligungen des Bundes im Bereich der Kernenergie —— Drucksachen 11/5144, 11/5356 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Rust Austermann
Zander
Zywietz
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02 (Internationale Entwicklungsorganisation — IDA —)

— Drucksachen 11/5361, 11/5661 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Neuling
Frau Seiler-Albring Frau Rust
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 03 — Asiatische Entwicklungsbank —— Drucksachen 11/5387, 11/5717 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Neuling
Frau Seiler-Albring Frau Rust
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 896 03 — Bilaterale Technische Zusammenarbeit —— Drucksachen 11/5398, 11/5718 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Neuling
Frau Seiler-Albring Frau Rust
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14053
Vizepräsidentin Renger
Ich lasse auch hier über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Wer diesen Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN sind die Beschlußempfehlungen mit großer Mehrheit angenommen.
Tagesordnungpunkt 6j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Ingolstadt, Bruckner-, Hindemith- und Schubertstraße
— Drucksachen 11/5162, 11/5616 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Diederich (Berlin) Roth (Gießen)
Zywietz
Frau Vennegerts
Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir haben jetzt die Tagesordnungspunkte 6k bis 6p:
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über züchterische und genealogische Bedingungen für die Vermarktung reinrassiger Tiere
— Drucksachen 11/3703 Nr. 2.20, 11/5612 —
Berichterstatter: Abgeordneter Eigen
l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Mastkälbern in Intensivhaltungen
— Drucksachen 11/5051 Nr. 35, 11/5644 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Sauter (Epfendorf)

m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen in Intensivhaltungen
— Drucksachen 11/5051 Nr. 36, 11/5645 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Freiherr von Schorlemer
n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestanforderungen an Schiffe, die in Seehäfen der Gemeinschaft einlaufen oder aus ihnen auslaufen und gefährliche oder schädliche Versandstücke befördern
— Drucksachen 11/5051 Nr. 43, 11/5583 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Weiss (München)

o) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1188/81 des Rates zur Gewährung angepaßter Erstattungen für in Form bestimmter alkoholischer Getränke ausgeführtes Getreide auch für spanischen Whisky
— Drucksachen 11/5145 Nr. 3.31, 11/5643 —
Berichterstatter: Abgeordneter Koltzsch
p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG
— Drucksachen 11/4161 Nr. 2.2, 11/5735, 11/5946 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Faltlhauser
Ich lasse auch hier gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 11/5612, 11/5644, 11/5645, 11/5583, 11/5643 und 11/5735? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Ich danke Ihnen. Diesen Komplex haben wir erledigt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOVStrukturgesetz 1990)

— Drucksache 11/5831 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm.
14054 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1118221100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist das Kernstück unserer Maßnahmen zur Verbesserung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. 170 Millionen DM im Jahr sollen nach diesem Vorschlag für die Verbesserungen aufgewandt werden. Das bedeutet für 440 000 Versorgungsberechtigte eine Verbesserung ihrer laufenden Leistungen.
Wir erfüllen damit auch die Ankündigung aus der Regierungserklärung vom 18. März 1987, noch in dieser Legislaturperiode das Recht der Kriegsopferversorgung strukturell zu verbessern. Wir halten, was wir versprochen haben.
Diesem Gesetz ist bereits eine Änderung der Orthopädieverordnung vorausgegangen. Sie wird am 1. Januar 1990 in Kraft treten. Gleichzeitig werden in der Kriegsopferfürsorge verbesserte Richtlinien zur Kraftfahrzeughilfe für besonders schwer Kriegsbeschädigte wirksam.
Weitere Maßnahmen werden bald folgen und das Gesamtvorhaben abrunden. Die Änderungsverordnung zur Ausgleichsrentenverordnung hat in der vorigen Woche den Bundesrat mit einigen Änderungsvorschlägen passiert. Verbesserungen in der Auslandsversorgung für Deutsche in Ost- und Südosteuropa werden in dem Entwurf für das Anpassungsgesetz 1990 enthalten sein.
Es ist also ein ganzes Bündel von Verbesserungen der Kriegsopferversorgung. Mit einem finanziellen Mehraufwand von jährlich 170 Millionen DM ist dieses Bündel von Verbesserungen seit vielen Jahren das größte Vorhaben zur Fortentwicklung in der Kriegsopferversorgung. Dabei sollten wir allerdings nicht vergessen: Zum 1. Januar 1989 gab es Verbesserungen im Umfang von 26 Millionen DM; 70 Millionen DM ab 1. Januar 1987. Wir haben die Kriegsopferversorgung in vielen — das gebe ich auch zu — kleinen Schritten verbessert. Ich finde es viel besser, in kleinen Schritten vorwärts zu kommen, als große Schritte anzukündigen und sie nicht durchzuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit dem Strukturgesetz wird die Reihe der großen Änderungsgesetze zum Kriegsopferrecht fortgesetzt. Ich freue mich, daß es im Laufe der Vorbereitungen des Gesamtkonzeptes dabei gelungen ist, durch den gemeinsamen Willen der Koalitionsfraktion den ursprünglichen Ansatz wesentlich zu verbessern. Wir legen ein Konzept vor, das wir auch mit den Kriegsopferverbänden besprochen haben. Wir sind auf ihre Erfahrungen angewiesen. Ich will dabei ausdrücklich den verstorbenen Präsidenten Weishäupl erwähnen, der an der Vorbereitung dieses Gesetzes wesentlich beteiligt war.
Der Entwurf hat folgende Schwerpunkte: Berufsschadensausgleich für Beschädigte, Schadensausgleich für Witwen, Pflegezulage für Beschädigte sowie Ausgleichsrente für Witwen und Elternrente.
Mit der Einführung einer nettoorientierten Mindestklausel beim Berufsschadensausgleich und beim Schadensausgleich für Witwen wollen wir dem Entschädigungsgesetz verstärkt Rechnung tragen. Wir wollen durch diese Änderung bewirken, daß Beschädigte und Witwen, die heute noch keine volle Abgeltung ihres beruflichen oder wirtschaftlichen Schadens erhalten, im Rahmen des pauschalierten Systems eine volle Entschädigung bekommen.
Bei der Pflegezulage kümmern wir uns besonders um die Beschädigten, deren Ehefrauen älter werden und die deshalb die Pflege nicht mehr in vollem Umfang erbringen können. Ihnen und ihren Ehefrauen soll der Entschluß, eine bezahlte Pflegekraft einzustellen, erleichtert werden. Zwar konnten nach dem Bundesversorgungsgesetz schon bisher die vollen Kosten einer fremden Pflegekraft von der Versorgungsverwaltung übernommen werden. Die Übernahme der Kosten war jedoch mit dem Verlust der pauschalen Pflegezulage verbunden. Dem wollen wir abhelfen. Ich denke, daß dies auch ein Gebot der praktischen Hilfe ist. Soll eine Frau, die ihren Mann ein Leben lang gepflegt hat und deren Kräfte im Alter abnehmen, die deshalb jetzt eine fremde Pflegekraft braucht, auf jede staatliche Unterstützung verzichten? Sie wird ja, auch wenn sie eine fremde Pflegekraft in Anspruch nimmt, dennoch für ihren Mann da sein. Und deshalb soll die Zulage nicht völlig entfallen.
Das ist ein Gesetz, das aus einer neuen Situation geboren wurde. Denn jetzt kommen zu den Kriegsfolgen, zu den Kriegsschäden die Altersbeschwerden hinzu. Insofern liegt in diesem Anpassungsgesetz auch die Antwort auf veränderte Bedingungen unter den Kriegsopfern, deren Schaden weit zurückliegt, und die heute noch ihren Dienst erbringen. Ich sehe in dem, was wir hier vorlegen, nicht nur eine materielle Verbesserung, sondern auch die Bestätigung, daß nach vielen Jahrzehnten nach dem Krieg das Opfer derjenigen, die Kriegsfolgen tragen, nicht vergessen ist. Wir zeigen ihnen mit der Hilfe, die wir ihnen schulden, daß wir sie nicht vergessen haben. Das ist ein Rechtsanspruch, es sind keine Almosen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir verbessern auch die Witwenausgleichsrente. Das ist zum erstenmal seit längerem wieder eine Leistungsverbesserung für eine größere Zahl von Witwen, und zwar, wie ich meine, eine beachtliche. Für rund 300 000 Witwen werden die Renten um mindestens 12 DM monatlich verbessert. Der Personenkreis, dem es weniger gut geht, bekommt 58 DM im Monat mehr. Das ist, wie ich glaube, nicht die Lösung aller Probleme, aber das Zeichen dafür, daß wir die Kriegsopfer nicht vergessen. Das Beste, das wir tun können, ist eine Politik, die nie mehr Kriegsopfer entstehen läßt: Friedenspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In dieser Pflicht stehen wir auch gegenüber der Generation, deren Leiden und Opfer wir mit diesem Gesetz anerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118221200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hasenfratz.

Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1118221300
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir heute in erster Lesung beraten, fällt, wenn ich das einmal so sagen darf, etwas aus
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14055
Hasenfratz
dem Rahmen. Wir sind es gewohnt, hier in der Kriegsopferversorgung alljährlich nachzuvollziehen, was sich in der Rentenversorgung an Rentenanpassung ergeben hat. Dementsprechend wurden dann auch die Leistungen für die Kriegsopfer — Beschädigte wie Hinterbliebene — dynamisiert. Bei dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist das anders. Er enthält keine allgemeine Dynamisierungsregelung, sondern Vorschläge zu einer strukturellen Verbesserung der Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, das insbesondere für Kriegsopfer maßgeblich ist.
Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten in den letzten Jahren bereits mehrfach die strukturelle Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung gefordert und auch entsprechende Regelungsvorschläge zur Abstimmung gestellt haben. Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der dieses Ziel ebenfalls verfolgt. Dies will ich hier auch ganz deutlich sagen. Ich muß auch deutlich sagen, daß es keinen zwingenden Grund dafür gab, die Kriegsopfer so lange — ich würde sagen, es war zu lange — auf strukturelle Verbesserung ihrer Entschädigungsleistungen warten zu lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Hinzu kommt, daß das Inkrafttreten der wesentlichen Leistungsverbesserungen nicht mit dem nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgen, sondern auf den 1. Juli hinausgezögert werden soll. Dies ist dann allerdings schon untragbar.

(Louven [CDU/CSU]: Aber nicht alle, Herr Kollege!)

— Nicht alle. Ich habe ja gesagt: die wesentlichen Leistungsverbesserungen.
Ich darf uns allen anläßlich der Beratung in Erinnerung rufen, daß heute, nahezu 45 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch etwa 1,4 Millionen Kriegsopfer Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten. Die Zahl derer, die heute noch die Auswirkungen der schrecklichen Kriegsereignisse durch großes persönliches Leid und vielfältige Entbehrungen tragen müssen, ist also immer noch sehr groß. Bei den verschiedensten Gelegenheiten ist schon vielfach darauf hingewiesen worden, daß niemand den Beschädigten, den Hinterbliebenen oder den Kriegereltern das große Opfer, das sie für die Allgemeinheit erbringen mußten, abnehmen kann. Das ist alles richtig, aber wir tragen die Verantwortung dafür, daß die Kriegsopferversorgung in ihrer Entwicklung nicht stehen bleibt und auch in Zukunft diesem Sonderopfer gerecht wird. Dafür müssen wir sorgen. Diesem Anspruch muß auch das Gesetz, das am Ende der parlamentarischen Beratung stehen soll, gerecht werden.
Der Entwurf, den die Bundesregierung dazu vorgelegt hat, wird diesem Anspruch jedenfalls noch nicht gerecht. Er muß in diesem Sinne noch wesentlich verbessert werden, wobei wir der Tatsache besondere Bedeutung beimessen müssen, daß die anspruchsberechtigten Beschädigten zwischenzeitlich ein Durchschnittsalter von 70 und die Hinterbliebenen gar von 76 Jahren erreicht haben. Infolge dieses Älterwerdens haben sich die Lebensbedingungen der Kriegsopfer in besonderer Weise verschlechtert. Zu den schädigungsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen treten häufig altersbedingte Erkrankungen und Beschwernisse hinzu, so daß heute vielfach auch dort gesellschaftliche Leistungen erforderlich werden, wo früher noch Eigenhilfe möglich war.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte. Besonders rühmlich für die Bundesregierung ist diese Geschichte allerdings nicht. Schon im März 1987 hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dargelegt, daß das Leistungssystem der Kriegsopferversorgung durch strukturelle Verbesserungen weiterentwickelt werde. Jene, die für unser Land vielfach schwere Opfer gebracht haben, sollten nach des Kanzlers Worten von uns allen Solidarität erwarten können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte also auch die Bundesregierung erkannt, daß eine strukturelle Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung notwendig ist. Nur, mit der Umsetzung dieser Versprechungen hat sie sich dann allerdings viel Zeit gelassen. Über Jahre hinweg hat sich, von Minimalverbesserungen abgesehen, in Richtung bedarfsgerechter Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung nichts getan. Dabei hat es an entsprechenden Forderungen und Regelungsvorschlägen wahrlich nicht gemangelt. Schon im Mai 1987 ist uns anläßlich der Ausschußanhörung von den Kriegsopferverbänden übereinstimmend dargelegt worden, daß die altersbedingte besondere Situation in der Kriegsopferversorgung sofortiges Handeln notwendig mache.

(Beifall bei der SPD)

Heute nun liegt uns das Ergebnis des Handelns der Bundesregierung vor. Man hätte sich wirklich gewünscht, sie hätte sich früher und auch großzügiger zu Leistungsverbesserungen durchringen können. Ich bedauere, daß sie das nicht getan hat. Innerlich können wir Sozialdemokraten mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf einen Teil der Forderungen aufgreift, die wir Sozialdemokraten zur strukturellen Verbesserung der Kriegsopferversorgung bereits mehrfach in die Beratungen zu den vorausgegangenen Kriegsopferversorgungsanpassungsgesetzen eingebracht haben.

(Frau Steinhauer [SPD]: Immer wurden wir abgeschmiert!)

Insbesondere gilt dies für die Verbesserung der Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, die Verbesserung des Berufsschadensausgleichs für Beschädigte und des Schadensausgleichs für Witwen, die Anhebung der Alterszulage zur Grundrente für Schwerbeschädigte, die Schonung der Pflegezulage vor Auszehrung in besonderen Fällen sowie die Anhebung der Elternrenten.
Nur nebenbei sei bemerkt, daß dies in ihrer Zielsetzung genau jene Vorschläge von uns Sozialdemokraten sind, die die Koalitionsfraktionen noch im Frühjahr dieses Jahres in diesem Hause in Bausch und Bogen abgelehnt haben. Weil wir aber nicht nachtragend sind, machen wir Ihnen dies auch nicht zum Vorwurf und sind vielmehr bereit, im Zuge der weiteren Gesetzesberatungen an der Verfeinerung und in dem
14056 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Hasenfratz
einen oder anderen Fall auch an der gerechteren Ausgestaltung der vorgelegten Regelungsvorschläge konstruktiv mitzuarbeiten.

(Andres [SPD]: Nachbessern nennt man das!)

Daß ich dies nicht ohne Grund sage, wird deutlich, wenn ich als Beispiel die Frage der Verbesserung des Berufsschadensausgleichs für Beschädigte sowie des Schadensausgleichs für Witwen herausgreife. Wir wissen alle, daß dies ein sehr schwierig zu regelnder Bereich ist und daß der im Gesetzentwurf enthaltene Regelungsvorschlag sicherlich noch verbesserungsfähig ist. Ich meine, wir sollten gemeinsame Überlegungen anstellen, wie wir den Personengruppen, die noch immer unterversorgt sind, gerecht werden und gleichzeitig einer möglichen Überversorgung vorbeugen können.
Nach dem Bericht, den die Bundesregierung selbst dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages vorgelegt hat, stellt sich in diesem Zusammenhang die Entschädigung bei den noch erwerbstätigen Beschädigten als besonders ungerecht dar. Diese Personengruppe nicht in die neue Regelung des Berufsschadensausgleichs einzubeziehen, weil man noch kein tragfähiges und gerechtes Lösungsmodell gefunden hat, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Der Kreis der anspruchsberechtigten Beschädigten im erwerbsfähigen Alter ist jetzt schon sehr klein und wird in den nächsten Jahren rapide abnehmen. Ich denke nicht, daß man in dieser Situation noch weiter abwarten kann, bis man eine optimale Lösung gefunden hat.
Im Bundesrat sind im Zusammenhang mit dem ersten Durchgang des Gesetzentwurfs dazu bereits Lösungsvorschläge diskutiert worden. Auf der Grundlage dieser Vorschläge müßte es im Zuge der Ausschußberatungen möglich sein, bereits mit diesem Gesetz zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Dieses Problem weiter vor uns herzuschieben wäre sicherlich ein großer Fehler.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Regelungsbereich aus dem Gesetzentwurf herausgreifen, der mir besonders am Herzen liegt und für den wir sicherlich noch eine bessere Lösung finden können. Ich meine die Verbesserung der Pflegezulage. Hier haben wir die Situation, daß die Ehegatten von pflegebedürftigen Beschädigten, die eine Pflegezulage erhalten, zwischenzeitlich ebenfalls ein Alter erreicht haben, das in zahlreichen Fällen die Fortführung der Pflege in dem erforderlichen Umfang erschwert oder gar unmöglich macht. Der Beschädigte ist dann gezwungen, die Pflege einer bezahlten fremden Pflegeperson ganz oder teilweise zu übertragen.
Auch die Bundesregierung hat das Problem jetzt aufgegriffen und einen Verbesserungsvorschlag unterbreitet. Dies reicht unseres Erachtens aber für die besonders schweren Pflegefälle, in denen die Ehegatten neben der bezahlten Pflegekraft in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Pflegeleistungen erbringen, nicht aus.
Keine Regelungsvorschläge enthält der vorliegende Gesetzentwurf allerdings zu so wichtigen Fragen wie etwa zur Verbesserung der Gesundheitssicherung von Pflegepersonen oder zur Verbesserung von Witwen- und Waisenbeihilfen. Auch diese Bereiche müssen in die weiteren Gesetzesberatungen mit einbezogen werden.
Herr Bundesarbeitsminister Blüm hat in seiner Rede vor dem Bundesrat dargelegt, daß es sich bei dem vorgelegten Gesetzentwurf um einen weiteren Schritt zur Verbesserung der Kriegsopferfürsorge handle. Auch wenn dies richtig ist, so meine ich doch, daß uns nicht zuletzt das zwischenzeitlich sehr hohe Durchschnittsalter der Beschädigten und der Hinterbliebenen dazu zwingt, nicht mehr schrittweise vorzugehen, sondern alle Anstrengungen zu unternehmen, jetzt zu einem umfassenden, insgesamt zufriedenstellenden und gerechten Leistungssystem in der Kriegsopferversorgung zu kommen.

(Beifall bei der SPD)

Zu dieser konstruktiven Mitarbeit in diesem Sinne sind wir Sozialdemokraten bereit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118221400
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1118221500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hasenfratz, Sie haben einiges am Zeitpunkt gerügt, weil Sie schon in diesem Frühjahr entsprechende Vorschläge gemacht haben. Inhaltlich habe ich diesen Vorschlägen schon im Frühjahr zugestimmt. Ich habe gesagt: Wir werden die Anregungen aufnehmen und, wenn es finanziell möglich ist, umsetzen. Daran sind wir heute. Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der den soliden Ausbau zugunsten der Kriegs- und Wehrdienstopfer und deren Witwen fortsetzt. Für diese Zielgruppe setzt sich die Koalition in besonderer Weise ein.
Der Sozialhaushaltsplan sieht für das Jahr 1990 insgesamt Ausgaben in Höhe von 70,4 Milliarden DM vor. Das ist der höchste Einzelposten im Gesamthaushalt. Davon werden 11,9 Milliarden DM für die Kriegsopferversorgung für ca. 1,4 Millionen Berechtigte bereitgestellt. Das entspricht fast 17 % des Gesamtvolumens des Sozialhaushalts.
Dieses hohe Niveau kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nach wie vor zu kurz Gekommene unter den Berechtigten gibt. Deshalb war es auch mein Anliegen, gezielt Leistungen in der Weise einzusetzen, daß auch denjenigen Kriegsopfern und Witwen, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden, jetzt besonderes Augenmerk geschenkt wird.
In Zusammenarbeit mit den betroffenen Verbänden haben wir eine differenzierte Neuregelung erarbeitet, die einem konsequenten Ausbau der Kriegsopferversorgung Rechnung trägt. Eine halbe Million Menschen kommen nach unseren Vorschlägen ab April 1990 in den Genuß der angestrebten Verbesserungen.
Die Leistungen im einzelnen haben im wesentlichen folgende Punkte zum Inhalt:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14057
Heinrich
Erstens. Eine besonders bedeutsame Leistungsverbesserung ist die Anhebung der Ausgleichsrente. 300 000 Witwen, die wegen der geringen Höhe ihres sonstigen Einkommens eine Ausgleichsrente beziehen, werden ab April monatlich bis zu 58 DM mehr erhalten.
Zweitens. Weiterhin ergänzt die neue Regelung den geltenden Leistungsplan im Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich für Beschädigte und Witwen. Auch bei dieser Regelung ließen wir uns von dem Gedanken leiten, daß Unterversorgung im Leistungssystem besser ausgeglichen werden muß. Wir erreichen mit dieser Ergänzung eine volle Schadensabgeltung für den Berufsschadens- und Schadensausgleich. 21 000 Beschädigten und Witwen kommen dabei zum Teil erhebliche Verbesserungen von bis zu mehreren hundert Mark zugute.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Drittens. Für 125 000 Schwerbeschädigte sollen 19 Millionen DM als Alterszulage zur Grundrente bereitgestellt werden. Herr Kollege Hasenfratz, Sie haben auf das hohe Alter der Betroffenen hingewiesen. Das war der Grund dafür, daß wir hier entsprechende Verbesserungen vornehmen. Auf Grund des hohen Alters und des starken Verschleißes ihrer Kräfte ist es höchste Zeit, die Grundrente für die Schwerbeschädigten anzuheben. Auch hier haben wir durch eine differenzierte Anhebung der Alterszulage, gestaffelt nach der Minderung der Erwerbstätigkeit, der unterschiedlichen physischen Belastung dieser Personen Rechnung getragen.
Viertens. Neu geregelt wird auch die Auszahlung der Pflegezulage. Bisher erhielten Beschädigte, die infolge der Schädigung so hilflos sind, daß sie fremder Hilfe bedürfen, Mehraufwendungen für eine Pflegehilfe erstattet. Doch die mitpflegende Ehefrau ging leer aus. Die neue Regelung im Sinn einer pauschalierten Lösung fördert die Pflege im privaten Bereich und die Weiterführung dieser Pflege nach Entlassung aus dem stationären Bereich. Im Sinne einer humanen, familienfreundlichen Politik können nun mitpflegende Familienangehörige Aufwendungen aus der pauschalen Pflegezulage in Anspruch nehmen. Die häusliche Pflege wird dadurch weiter gestärkt.
Fünftens. Lassen Sie mich zu dem Schadensausgleich für Witwen von Pflegezulageempfängern und zu den Forderungen der Kriegsblinden folgendes sagen: Die mir bis jetzt vorliegenden Unterlagen für eine einkommensunabhängige Gewährung dieser Leistungen sind so widersprüchlich, daß ich mir erst im Lauf der Beratungen und nach der Anhörung eine endgültige Meinung bilden kann. Wir werden also hier im Rahmen der Beratungen sehen, wie weit wir auf diesem Gebiet kommen können.
Sechstens. Um die wirtschaftliche Lage der Eltern zu verbessern, werden die Beträge der Elternrente entsprechend der Regelung bei der Witwenausgleichsrente bis zu 64 DM bei Elternpaaren erhöht.
Des weiteren wird der Unfallschutz differenziert auf pflegende Familienangehörige und sonstige pflegende Personen ausgedehnt. So kommen auch Begleitpersonen blinder Menschen bei Unfällen, die sich im Zusammenhang mit der Pflege ereignen, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zugute.
Zählt man alle Leistungsverbesserungen zusammen, so kommt man auf die stolze Summe von 170 Millionen DM, eine Größenordnung, die nur deshalb möglich war, weil eine vernünftige Wirtschafts-und Finanzpolitik des Bundes die Basis für weitere sozialpolitische Verbesserungen in diesem Bereich ermöglicht hat.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118221600
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Willi Hoss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118221700
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei dem von der Regierungskoalition vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über strukturelle Veränderungen in der Kriegsopferversorgung

(Louven [CDU/CSU]: Verbesserungen, Herr Hoss! Verbesserungen!)

gibt es zwischen den Fraktionen bei den weiteren Beratungen wahrscheinlich keine allzu großen Differenzen. An dieser Stelle ist es aber angebracht, an etwas zu erinnern. Jedes Mal, wenn es darum geht, die Kriegsopferversorgung zu verändern, sollte man kurz innehalten und darüber nachdenken, daß die Tatsache, daß 44 Jahre nach Beendigung des letzten Krieges noch Opfer dieses Krieges unter uns leben, die versorgt werden, Grund und Mahnung für uns sein muß, eine Sicherheitspolitik zu betreiben, die in Richtung einer friedlichen Lösung geht, und in Richtung Abrüstung zu arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das betrifft auch die Frage, die wir heute morgen in diesem Hause behandelt haben, als es um die Sollstärke der Bundeswehr ging. Selbst in diesem Punkt gibt es Differenzen. Obwohl Sie bereit sind, jetzt mehr für die Kriegsopfer zu tun, sind Sie doch sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, im jetzigen Abrüstungsprozeß in Europa einen echten bundesrepublikanischen Beitrag mit einer Absenkung der Sollstärke der Bundeswehr einzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die strukturellen Verbesserungen im Bereich der Kriegsopferversorgung haben mit der Erhöhung der Ausgleichsrente für Witwen, mit Verbesserungen beim Berufsschadensausgleich, mit einer Erhöhung der Alterszulage für Schwerbeschädigte, mit Pflegezulagen für Familienangehörige, wenn fremde Pflege vorhanden ist, zu tun. Gegen diese Verbesserungen haben wir überhaupt nichts einzuwenden. Das finden wir okay.
In den Beratungen werden wir einen Punkt aufgreifen, den man unserer Meinung nach hineinbringen muß. Das ist der Umstand, daß beim Tod eines anerkannten kriegsversehrten Schwerbehinderten die Beweislast darüber, ob er an den Folgen seiner Kriegsverletzung gestorben ist, bei der hinterbliebenen Witwe liegt. Ich denke, wir sollten einen Passus
14058 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Hoss
einfügen, daß der Tod automatisch als Folge der Verletzung gewertet wird. Wenn es Gründe gibt — es gibt solche Gründe — , die dafür sprechen, daß er nicht an den Folgen dieser Kriegsverletzung gestorben ist, sollte die Beweislast bei den Behörden liegen und nicht bei der hinterbliebenen Witwe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist eine Sache, die unbedingt da hineingebracht werden muß.
Es bleibt noch das Problem, daß Sie in den Jahren 1982 und 1983 die Kriegsopfer, die Sie heute so beschwören, bei der Verkürzung von Rentenanpassungen einbezogen haben, um bestimmte Mittel lockerzumachen, die im Etat anderweitig verwendet wurden. Erst zu Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie in einer Regierungserklärung versprochen, die strukturellen Änderungen einzubringen. Ich kann nicht verstehen — ich sage das, damit sich die Bürger darüber ein Bild machen können — , daß Sie das erst jetzt, zwei Jahre später, tun.

(Hasenfratz [SPD]: Die Bundestagswahlen kommen auch nächstes Jahr!)

Daß Sie das Gesetz mit Wirkung vom 1. April in Kraft treten lassen, hat den Geschmack eines Wahlgeschenks.

(Hasenfratz [SPD]: So ist es! — Frau Weiler [SPD]: Nicht nur Geschmack!)

Immerhin hat Kollege Heinrich gesagt, daß eine halbe Million Menschen davon profitieren. Sie sollten darüber nachdenken, daß hier vielleicht wieder Politik gemacht worden ist.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118221800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1118221900
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Sehr geehrter Herr Minister! Dagegen, daß nun die vom Krieg Betroffenen nach 44 Jahren etwas mehr bekommen, kann niemand sein.
Man muß sich vor Augen führen, daß 98 To dieser Menschen, die Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten, Opfer des Zweiten Weltkrieges sind. Daß Sie die 40 Millionen DM, die der Vorschlag des Bundesrates an Verbesserungen bringen sollte, nicht locker gemacht haben, Herr Minister, verstehe ich nicht. Man muß sich überlegen, daß es um einen minimalen Betrag von 40 Millionen DM geht, wenn wir im Vergleich dazu zur Kenntnis nehmen müssen, daß über Nacht Hunderte von Millionen DM da sind, um anderen armen Menschen Geld zu geben. Ich, die ich Teilnehmerin des Zweiten Weltkrieges war, kann überhaupt nicht kapieren, daß Sie nicht die vom Bundesrat vorgeschlagenen 40 Millionen DM diesen Menschen, die ja im Durchschnitt über 70 Jahre alt sind, als eine der wenigen Verbesserungen für ihr persönliches Altersleben geben. Ich kann solch einen Finanzminister nicht verstehen. Ich kann die ganze Bundesregierung nicht verstehen.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sie verstehen überhaupt nichts!)

Auf der einen Seite sagt die Bundesregierung immer: Wir helfen unseren Brüdern und Schwestern in der DDR, wir helfen den deutschstämmigen Aussiedlern und und und, aber hier vernachlässigt sie Menschen, die weit über 70 sind, z. B. Witwen, Herr Minister, die unter 600 DM Rente haben. Darüber wird sorglos weggegangen, aber nach draußen wird getönt, was für ein sozialer Staat wir sind.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sind wir doch!)

Die Ärmsten der Armen, die Hinterbliebenen des letzten Weltkrieges, die Betroffenen des letzten Weltkrieges, die vergessen wir selbst dann, wenn es um kleinste finanzielle Aufbesserungen geht, schamlos.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer tönt hier? — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Na so was!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118222000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Louven.

Julius Louven (CDU):
Rede ID: ID1118222100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hasenfratz, am 18. März 1987 hat Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung strukturelle Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung für die zweite Hälfte der Legislaturperiode versprochen.

(Frau Weiler [SPD]: Das war uns schon klar!)

Ich muß immer wieder sagen, weil Sie es offensichtlich vergessen haben, daß er bewußt gesagt hat: für die zweite Hälfte.

(Hasenfratz [SPD]: Fünf Monate vor der Wahl!)

Nun liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor. Entgegen allen Unkenrufen von Ihrer Seite hat die Bundesregierung Wort gehalten.

(Frau Steinhauer [SPD]: Ist doch klar: drei Landtagswahlen!)

Ich habe mir Ihre starken Sprüche, die Sie in der Vergangenheit, auch Sie, Frau Weiler, zu dieser Problematik hier gemacht haben, noch einmal herausgeschrieben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen wir hören!)

Ich erspare es mir, sie hier zu wiederholen, weil sich Herr Kollege Hasenfratz und Herr Kollege Hoss heute sehr moderat geäußert haben. Herr Kollege Hasenfratz, dafür, daß sie die Bundesregierung nicht noch mehr loben konnten, habe ich Verständnis; denn seit dem vorigen Dienstag ist es ja gefährlich, von ihrer Seite die Bundesregierung zu loben.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Frau Weiler [SPD]: So ein Quatsch!)

Bei der Beratung des Anpassungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahres haben wir bereits angekündigt, daß
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14059
Louven
es einen eigenen Gesetzentwurf über strukturelle Verbesserungen geben werde. Damals habe ich von diesem Platz von 100 Millionen DM gesprochen.

(Frau Steinhauer [SPD]: Als ob es schlimm wäre, mal der Opposition zu folgen!)

— Nunmehr betragen die Verbesserungen, Frau Steinhauer, 170 Millionen DM. Dieser für die Kriegsopfer bedeutungsvolle Erfolg ist durch ein gutes Zusammenwirken zwischen dem Bundesarbeitsminister, den Koalitionsfraktionen und den Kriegsopferverbänden erzielt worden,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

die den Bundesfinanzminister von der Notwendigkeit zusätzlicher struktureller Verbesserungen überzeugen konnten.
Das Inkrafttreten des Gesetzes verzögert sich leider in der Tat etwas. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die Vorschriften über den Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich umfangreiche Vorbereitungen der Versorgungsämter in der elektronischen Datenverarbeitung erfordern. Vorrangiges Ziel des Gesetzentwurfes ist es, auch im Hinblick auf die mit zunehmendem Alter wachsenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Probleme der Beschädigten und Hinterbliebenen strukturelle Leistungsverbesserungen für solche zu schaffen, die nach dem derzeitigen Leistungssystem noch nicht ausreichend versorgt sind. Das heißt, es soll schwergewichtig den Kriegsopfern geholfen werden, die es aus sozialen Gründen besonders notwendig haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Gesetzentwurf hat drei Schwerpunkte. Darauf ist hier hingewiesen worden; ich muß sie nicht noch einmal erläutern. Wir begrüßen es, daß die Kriegsopferverbände diese strukturellen Verbesserungen überwiegend gutheißen. Natürlich wissen wir auch, daß es weitergehende Forderungen gibt, insbesondere vom Bund der Kriegsblinden. Diese weitergehenden Forderungen betreffen die Einführung einer Pflegeleistungszulage für Witwen von Pflegezulagenempfängern der Stufen 3 und 4 sowie die Zahlung der pauschalierten Pflegezulage auch neben den Kosten für eine fremde Pflegekraft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe schon auf dem Bundeskongreß der Kriegsblinden am 28. September in Dortmund darauf hingewiesen, daß wir uns mit diesen Argumenten im Ausschuß noch auseinandersetzen wollen. In der Sachverständigenanhörung, die wir ja wohl beschließen werden, werden wir dann die Kriegsopferverbände nach diesen Realisierungsmöglichkeiten noch befragen.
Meine Damen und Herren, das nun bald zu Ende gehende Jahr, in dem auch 40 Jahre Sozialstaat gefeiert wurden, veranlaßt mich abschließend noch zu einem kurzen Rückblick auf die Enwicklung der Kriegsopferversorgung. Das Gesetz vom 20. Dezember 1950 über die Versorgung der Opfer des Krieges wird in diesen Tagen zwar erst 39 Jahren alt; aber es war das erste große sozialpolitische Gesetzeswerk der 1. Wahlperiode. Durch zahlreiche Änderungen im strukturellen und im Leistungsbereich — ich habe 39 Änderungs- und Neuordnungsgesetze gezählt — ist das im Bundesversorgungsgesetz verankerte soziale Entschädigungsrecht als ein fester Bestandteil des sozialen Sicherungssystems in unserem Sozialstaat schrittweise ausgebaut und verbessert worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Kriegsopferrecht gilt im internationalen Bereich als vorbildlich.
Meine Damen und Herren, mit der Vorlage des Gesetzentwurfes haben wir wiederum deutlich gemacht, daß wir Wort halten und daß sich die deutschen Kriegsopfer auf uns verlassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118222200
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/5831 an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse zu überweisen. Ist jemand dagegen? — Das ist dann so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
a) Weitere zweite und dritte Beratung des Ent-
wurfs eines Steuerreformgesetzes 1990
— aus Drucksache 11/2157 — und
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude (WoBauFG)

— Drucksache 11/5680 —
aa) Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5970 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos
Huonker
Reschke
Dr. Solms
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/5970 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos
Huonker
Reschke
Dr. Solms

(Erste Beratung 176. Sitzung)

cc) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/5971 —
14060 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Vizepräsidentin Renger
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth (Gießen) Dr. Weng (Gerlingen)
Dr. Struck
Frau Vennegerts

(Erste Beratung 148. Sitzung)

b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Vosen, Bulmahn, Catenhusen, Fischer (Homburg), Ganseforth, Grunenberg, Lohmann (Witten), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Börnsen (Ritterhude), Dr. Hauchler, Huonker, Dr. Jens, Kastning, Lennartz, Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Oesinghaus, Opel, Poß, Reschke, Stahl (Kempen), Westphal, Dr. Wieczorek, Zander, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Fortführung der Steuerbegünstigung für Erfinder
— Drucksachen 11/3101, 11/5970 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos
Huonker
Reschke
Dr. Solms
Zu Tagesordnungspunkt 8 a) liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5975 und 11/5990 vor.
Der Ältestenrat schlägt vor, für eine gemeinsame Beratung eine Stunde vorzusehen. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1118222300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Weihnachtsfest und damit die dritte Stufe der Steuerreform stehen vor der Tür. Zum Fest wird es Geschenke geben, die Freude bereiten. Eine ganz besonders große Freude für die Lohn- und Einkommensteuerzahler ist die massive Steuersenkung zum 1. Januar 1990.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Entgegen den ständigen Behauptungen der SPD verteilt diese Reform keine Steuergeschenke, schon gar nicht für die „Reichen". Der neue Steuertarif bringt dauerhafte Steuerentlastungen für alle Lohn- und Einkommensteuerzahler.
Millionen Steuerzahler können sich freuen über die Abschaffung einer Steuerstrafe auf das Ergebnis von beruflicher Leistung und von unternehmerischer Initiative.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Im Vergleich zum SPD-Tarif, der bis 1985 galt, ist 1990 — bei gleichem Einkommen — im Durchschnitt ein Viertel weniger an Lohn- und Einkommensteuer zu zahlen. Bei 500 000 Kleinverdienern entfällt die Steuerpflicht zu 100 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Ganz besonders freuen wir uns über das Zusammenwirken von Grundfreibetragserhöhung, Tarifsenkung und Erhöhung der Kinderfreibeträge; denn Eltern, deren Portemonnaie durch Kindesunterhalt belastet ist, können nicht in gleicher Weise besteuert werden wie Ledige. Dies gebietet der Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, den die SPD in den 70er Jahren und in den frühen 80er Jahren sträflich mißachtet hat.
Mit der Verabschiedung des Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurfs schließen wir die Steuerreform 86/88/90 ab. Auch nach der Ergänzung der Steuerreform durch das vorliegende Gesetzesvorhaben ändert sich nichts an der steuerlichen Vorfahrt für die Familie. Im Gegenteil: Das Gesetz bringt zahlreiche zusätzliche Verbesserungen für Selbständige und Arbeitnehmer, die selbstverständlich auch den Familien zugute kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich greife stellvertretend einige Rechtsänderungen heraus. Der geldwerte Vorteil von Fahrtkostenzuschüssen des Arbeitgebers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seines Arbeitnehmers wären nach den Lohnsteuerrichtlinien 1990 künftig als sogenannter geldwerter Vorteil voll steuer- und sozialversicherungspflichtig. Dies entspricht nicht dem Willen der Koalition. Wir wollen nicht, daß die Senkung der tariflichen Lohnsteuer 1990 in dieser Weise geschmälert wird. Deshalb wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt, die Lohnsteuer für Fahrtkostenzuschüsse mit 15 % pauschal zu besteuern. Da die Pauschalsteuer Betriebsausgabe ist, ergibt sich eine vertretbare Zusatzbelastung beim Arbeitgeber; beim Arbeitnehmer fällt dann weder Lohnsteuer noch Sozialversicherung an.
Nach dem Steuerreformgesetz 1990 sind Zuschläge, die Arbeitnehmer für Nachtarbeit erhalten, grundsätzlich bis zu 25 % des Grundlohns steuerfrei. Für Nachtarbeit von 0 bis 4 Uhr gilt ein erhöhter Zuschlagssatz von 40 % , wenn der Arbeitnehmer überwiegend nachts arbeitet. Diese Voraussetzungen sollen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf entfallen, so daß der steuerfreie Zuschlagsatz von 40 % künftig für alle Arbeitnehmer greift, welche die Nachtarbeit betriebsbedingt vor 0 Uhr aufnehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber keine Erfindung der SPD! — Zuruf von der SPD: Das haben wir damals schon gesagt! Sie waren unvernünftig!)

— Wir sind immer vernünftig, Herr Kollege. Ich freue mich, wenn Sie das anerkennen.
Ich möchte noch drei weitere Verbesserungen herausheben: In erster Lesung haben wir gestern — das ist hier nicht ausdrücklich gesagt worden, und ich freue mich über die Gelegenheit, dies zu sagen — eine weitere dringende Verbesserung eingebracht. Sie betrifft den gewerblichen Kraftfahrzeughandel, aber auch die Autokäufer. In dem Gesetzentwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ist vorgesehen,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14061
Glos
für den gewerblichen Gebrauchtwagenhandel ab 1. Juli 1990 die sogenannte Differenzbesteuerung einzuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP: Faltlhauser [CDU/CSU]: Längst überfällig!)

Bei dieser Besteuerung wird die Umsatzsteuer künftig nur noch nach dem Unterschied zwischen dem Verkaufspreis und dem Einkaufspreis beim Händler bemessen.

(Poß [SPD]: Sehr vernünftig!)

Ich bin überzeugt, daß wir da alle zustimmen werden. Damit wird ein langjähriges steuerpolitisches Ärgernis beseitigt, nämlich die Benachteiligung des gewerblichen Kraftfahrzeughandels bei der Umsatzbesteuerung im Vergleich zum Pkw-Verkauf von Privat an Privat, bei dem keine Umsatzsteuer anfällt. Insofern können auch keine großen Steuermindereinnahmen entstehen.
In § 6 b des Einkommensteuergesetzes wird die Frist für die steuerfreie Wiederanlage des Erlöses aus der Veräußerung von Grund und Boden sowie von Gebäuden von zwei auf vier sowie von vier auf sechs Jahre verlängert. Damit leisten wir vor allem einen Beitrag zur notwendigen Mobilisierung von Grund und Boden für den Wohnungsbau und für Strukturverbesserungen in der Landwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mein Kollege Faltlhauser wird auf diesen Teil dann noch näher eingehen.
Die Wertgrenze für den Betriebsausgabenabzug von Werbegeschenken wird von 50 auf 75 DM angehoben. Dadurch tragen wir der Preisentwicklung seit Beginn der 70er Jahre Rechnung. Die Anhebung der Wertgrenze verbessert die Wettbewerbssituation der deutschen Werbemittelhersteller entscheidend, die ja auch in Bayern zu Hause sind.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Nicht nur in Bayern!)

— Ich hatte gesagt, verehrter Herr Kollege: „auch in Bayern". — Ich denke dabei insbesondere an die Schneidwaren- und Lederwarenhersteller, und die Schneidwarenhersteller sind meines Wissens in Westfalen. Deswegen freue ich mich über Ihre Zustimmung. Wir werden denen also damit die Möglichkeit geben, ihre hochwertigen Produkte zu verkaufen, und drängen damit die billigen Importprodukte aus Fernost im Werbeartikelsektor zunehmend zurück.
Zum Schluß möchte ich eine Steuerrechtsänderung ansprechen, die nach wie vor wünschenswert ist, aber im Zuge dieses Gesetzgebungsvorhabens leider nicht zu verwirklichen war. Ich meine die Regelung des Problems der sogenannten Gesellschafter-Fremdfinanzierung. Auch hierbei handelt es sich um ein Relikt aus SPD-Zeiten. Seit der Körperschaftsteuerreform 1977 zeigt sich, daß Anteilseigner deutscher Kapitalgesellschaften aus steuerlichen Gründen verstärkt von der Eigenfinanzierung zur Fremdfinanzierung ihrer Gesellschaft übergehen. Es handelt sich vor allem um solche Anteilseigner, die nach diesem Körperschaftsteuersystem nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer auf ihre persönliche Steuerschuld berechtigt sind.
Mit dieser sogenannten Fremdfinanzierung entgehen dem Fiskus Steuereinnahmen in nicht bezifferbarer Höhe. Der Steuertrick besteht darin, daß Aufwendungen für Fremdkapital fingiert werden, die — anders als Gewinnausschüttungen auf das Eigenkapital — Betriebsausgaben bei der Gesellschaft sind.
Der Finanzausschuß hat eine Anhörung zu dem Problem der Gesellschafter-Fremdfinanzierung durchgeführt, der eine Formulierungshilfe des Bundesministers der Finanzen zugrunde lag. Die Anhörung hat überwiegend Ablehnung der vorgesehenen gesetzlichen Regelung ergeben. Im Kern wurde die Auffassung vertreten, daß der sachliche Gehalt einer Regelung von Mißbrauchsfällen, wie sie zur Zeit in einem Verwaltungserlaß enthalten ist, in das Gesetz übernommen werden sollte.
Es ist dann nicht möglich gewesen, diese Formulierungshilfe umzuwandeln, weil sich in diesem Hearing zu starke Bedenken ergeben haben und es sich gezeigt hat, daß es so, wie vorgeschlagen, nicht zu praktizieren gewesen wäre. Wir sind der Meinung, dieses Problem bedarf nach wie vor einer Lösung.

(Poß [SPD]: Richtig!)

Wir müssen sie aber, da wir das Steuerreformgesetz abschließen mußten, leider in die nächste Stufe der Steuerreform verschieben, die wir uns für die nächste Legislaturperiode zum Ziel gesetzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Die werden wir auch machen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, weniger Steuern auf das Ergebnis von mehr Leistung und mehr Investitionen sind das wirksamste Instrument zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes. Die dritte Stufe der Steuerreform, einschließlich der jetzt zu beschließenden Ergänzungen, wird unserer Wirtschaft zugute kommen; sie wird unsere Wirtschaft weiter voranbringen. Sie wird zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Sie wird das Wirtschaftswachstum stärken und damit unseren Sozialstaat sicherer machen.
Wir brauchen diese Leistungsfähigkeit auch, um dem anderen Teil unseres Vaterlandes helfen zu können, um den Ländern helfen zu können, die bisher unter kommunistisch-sozialistischer Zwangsherrschaft gestanden sind und die jetzt unserer Hilfe bedürfen.
Ich bin überzeugt, daß es Ihnen leicht fallen wird, diesem Gesetz zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118222400
Das Wort hat der Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118222500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz wird der vorläufige Schlußpunkt unter das Steuerreformpaket 1990 gesetzt.
14062 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Poß
Zurückschauend muß man feststellen: Noch nie hat es eine so konfuse Gesetzgebung im deutschen Steuerrecht gegeben wie bei der Steuerreform 1990.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Mit einer vorausschauenden und geradlinigen Finanzpolitik hat dies alles nichts zu tun.
Begonnen hat dies schon im Bundestagswahlkampf 1986/87 mit den sich ständig überbietenden Steuersenkungsversprechen der Koalitionsparteien. Eine Steuersenkung von 1 000 DM für jeden wurde damals versprochen. Heute wissen wir, daß dies nicht stimmt. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Bürger erhält eine weit geringere Entlastung.
Nach der Bundestagswahl begann das Gerangel um die konkrete Ausgestaltung der Steuerreform. Die Senkung des Spitzensteuersatzes war für Norbert Blüm „ein Faustschlag ins Gesicht der Malocher". Er und die Sozialpolitiker der Union waren die Verlierer bei diesem Gerangel. Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt, und die unsoziale Steuerreform wurde damit festgeschrieben.
Es gibt heute auch keinen Streit mehr darüber, meine Damen und Herren, daß es ein großer politischer Fehler von Herrn Stoltenberg war, den Bürgern zunächst nur die Speckseite der Steuerreform, die Entlastungsseite, zu präsentieren, und die zur Finanzierung erforderlichen Steuererhöhungen zu verschweigen. Monatelang wurden den Bürgern riesige Entlastungszahlen vorgegaukelt. Um so größer war die Enttäuschung, als im Herbst 1987 der Finanzierungsteil bekannt wurde: Streichung des Weihnachtsund Arbeitnehmerfreibetrages, Besteuerung der Schichtarbeitszuschläge, der Personalrabatte und des Essensfreibetrages, um nur einige der Steuererhöhungsmaßnahmen zu nennen. Damals wurde auch die Quellensteuer für Zinseinkünfte beschlossen, die wir von Anfang an als den falschen Weg zur Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit abgelehnt haben.
Während der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs zur Steuerreform wurde im Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen eine Vielzahl von Einzeländerungen vorgenommen, die erkennbar nur einem Ziel dienten: Der ursprünglich vorgesehene und ohnehin zu geringe Finanzierungsbeitrag der Unternehmen wurde deutlich zurückgeführt, und neue Steuervergünstigungen für Unternehmen wurden geschaffen. Ich nenne z. B. die Lifo-Bewertungsmethode, die allein zu Steuerausfällen bis zu 2 Milliarden DM jährlich führen wird.
Die Beratungen des vor der Sommerpause 1988 verabschiedeten Steuerreformgesetzes wurden unter einen enormen zeitlichen Druck gestellt, wie Sie ja noch wissen, meine Herren von der Koalition, obwohl es hierfür — rund eineinhalb Jahre vor seinem Inkrafttreten — keinen sachlichen Grund gab. Die auf Grund dieser Hektik, Herr Solms, bei den vielen Änderungen zwangsläufig entstehenden Fehler mußten später in mehreren Reparaturgesetzen mühsam korrigiert werden. Überschattet wurde die Verabschiedung des Steuerreformgesetzes von dem mit der kurzerhand eingeführten Steuerbefreiung für Hobby- und Privatflieger geschaffenen Flugbenzinskandal. Dieser Flugbenzinskandal wurde in einem ersten Reparaturgesetz zur Steuerreform im Herbst 1988 teilweise zurückgenommen. Er ist aber immer noch nicht vollständig beseitigt. Das ist die Chronik eines steuerpolitischen Skandals, die ich hier vorgeführt habe, meine Damen und Herren!

(Zustimmung bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Da die Steuererhöhungen für Arbeitnehmer zur Finanzierung der Steuerreform nicht ausreichten, wurde — ebenfalls im Herbst 1988 — die Erhöhung der Verbrauchsteuern beschlossen. Die bereits seit Beginn dieses Jahres wirksamen Verbrauchsteuererhöhungen führen dazu, daß die Arbeitnehmer einen großen Teil ihrer Lohnsteuersenkung vorfinanzieren müssen. Für viele Verbraucher, die — wie z. B. die Rentner oder die Arbeitslosen — keine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer erhalten, wirken sich die Verbrauchsteuererhöhungen auf Dauer sogar als eine Minderung ihres verfügbaren Einkommens aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118222600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Faltlhauser?

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118222700
Gerne.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1118222800
Herr Kollege Poß, sind denn die Verbrauchsteuererhöhungen — insbesondere die Erhöhung der Mineralölsteuer — nicht ein zentraler Bestandteil Ihres Programms Fortschritt '90, das Sie noch in diesem Jahr verabschieden wollen, und gehen diese Erhöhungen nicht wesentlich über die von uns in der Vergangenheit vorgenommenen maßvollen Erhöhungen hinaus?

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118222900
Sie haben die Verbrauchsteuern erhöht, um die Kriegskasse zu füllen

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das war ja nicht meine Frage! — Dr. Möller [CDU/CSU]: „Kriegskasse"! Das sollte die Präsidentin rügen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

und um Entlastungen bei den Unternehmenssteuern vornehmen zu können. Wir entwickeln ein zukunftsgerichtetes ökologisches Konzept, wobei die Mineralölsteuer eine gewisse Rolle spielt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie erhöhen Steuern nur um eines Entlastungseffekts willen — Sie entlasten an der falschen Stelle ; ich erinnere an den Spitzensteuersatz — , während wir das in zukunftsgerichtete Konzepte einbetten. Herr Faltlhauser, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.

(Zustimmung bei der SPD)

Im Frühjahr dieses Jahres legten Sie das nächste große Reparaturgesetz zum Steuerreformgesetz vor. Der neue Bundesfinanzminister Waigel strich die von seinem Vorgänger eingeführte und hartnäckig verteidigte Quellensteuer. Da aber gleichzeitig der gesetzliche Schutz der großen Steuerhinterzieher unangetastet blieb, haben wir jetzt den verfassungswidrigen Zustand, daß die Besteuerung von Zinseinkünften zu einer Dummensteuer degradiert wird, wie sogar von maßgebenden Professoren formuliert wurde. Auch
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14063
Poß
mit diesem Steuerreform-Änderungsgesetz wurde der Finanzierungsbeitrag der Unternehmen durch die Rückführung der Besteuerung von betrieblichen Veräußerungsgewinnen weiter gemindert. Darüber hinaus wurden mit dem Dienstmädchenprivileg weitere Steuervergünstigungen für Betuchte eingeführt.
Bei den speziellen Steuererhöhungsmaßnahmen für Arbeitnehmer blieb hingegen alles beim alten. Ausgerechnet bei der Abschaffung des Weihnachtsfreibetrags will Bundesfinanzminister Waigel Beständigkeit demonstrieren. Hier setzt sich der CSU-Vorsitzende über das Steuerkonzept seiner eigenen Partei hinweg, Herr Faltlhauser, das eine Wiedereinführung des Weihnachtsfreibetrags vorsieht.
Mit den von der Bundesregierung im Oktober beschlossenen Lohnsteuerrichtlinien wurde die arbeitnehmerfeindliche Steuerpolitik sogar noch verschärft. Nun wurden auf leisem Weg und ohne Beteiligung des Parlaments in kleinlicher Weise zahlreiche Vereinfachungsmaßnahmen wie die steuerfreie Erstattung von Kontoführungsgebühren oder die pauschale Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen gestrichen.
Auch hierbei wurde noch einmal die Grundphilosophie der Steuerpolitik der Bundesregierung deutlich: Den Großen wird reichlich gegeben, bei den Kleinen holt man sich, was man nur kriegen kann.
Das heute hier vorliegende sogenannte Restantengesetz ist nun das dritte große Reparaturgesetz zum Steuerreformgesetz, Herr Glos. Auch mit diesem Gesetz werden neue Steuergeschenke an Unternehmen und Betuchte verteilt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118223000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118223100
Es wird ja nicht angerechnet? Vizepräsidentin Renger: Nein.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1118223200
Herr Kollege, da ich schon eine ganze Weile im Finanzausschuß bin und es immer noch nicht kapiert habe, frage ich Sie, wie das gehen soll, daß bei der Steuer gegeben wird. Ich denke immer, bei der Steuer wird genommen. Jedenfalls ist das bei mir so. Mache ich irgend etwas falsch bei meiner Steuererklärung? Können Sie mir einen Tip geben, daß mir auch etwas gegeben wird?

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118223300
Worauf bezieht sich das?

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1118223400
Sie haben gesagt: Den Großen wird gegeben. Darauf bezieht es sich.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Wer viel hat, dem wird gegeben!)

Ich bin 1,86 m groß. Vielleicht kriege ich auch mal was.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1118223500
Herr Glos, wenn Sie sich die Steuerentlastung des Einkommensmillionärs mit 30 000 bis 40 000 DM im Verhältnis zum Einkommen des Durchschnittsverdieners vor Augen führen, dann sehen Sie, wem gegeben wird und wem weniger gegeben wird. Das ist der Unterschied.

(Dr. Fell [CDU/CSU]: Der zahlt fast 600 000 DM Steuern!)

Die Zahlen sind doch nicht zu bestreiten. Im übrigen brauchen wir hier nicht herumzufilibustern. Sie wissen ganz genau, was los ist. Sie sind an dieser Stelle angreifbar und versuchen nun, mit großen Broschüren, mit Äpfeln, deren Wurmstichigkeit man von außen nicht erkennt, die Bevölkerung einzulullen. Das ist Ihre Strategie.

(Beifall bei der SPD)

So wird die Grenze für die steuerliche Berücksichtigung von Geschenken der Unternehmen an Geschäftsfreunde von 50 DM auf 75 DM je Geschenk erhöht. Die Unternehmer können damit im nächsten Jahr ihren Geschäftspartnern zu Weihnachten größere Geschenke machen. Die Arbeitnehmer jedoch, denen der Weihnachtsfreibetrag gestrichen wird, haben im nächsten Jahr weniger für Geschenke an ihre Kinder zur Verfügung. Für sie fällt Weihnachten etwas kleiner aus. Dieses Beispiel ist symbolisch für die unsoziale Grundstruktur Ihrer Steuerpolitik.
Das zeigt sich auch am Beispiel der steuerlichen Behandlung von Unterhaltsleistungen bei geschiedenen Ehegatten. Der Abzugsbetrag wird von 18 000 DM auf 27 000 DM erhöht und erreicht damit eine Größenordnung, die in keinem Verhältnis mehr zu anderen steuerlichen Freibeträgen steht. Der höchstmögliche Steuervorteil steigt um 2 700 DM.

(Zuruf von der FDP)

— Das ist klar. Das ist auch jetzt schon so.
Die den normalen Familien gewährten Leistungen für den Unterhalt und die Erziehung von Kindern nehmen sich demgegenüber mehr als bescheiden aus.
Nach Auskunft der Bundesregierung, von mir erfragt, werden von der Erhöhung rund 10 000 Fälle betroffen. Es handelt sich hier um eine ganz gezielte Vergünstigung für eine verschwindend kleine Zahl von gut und sehr gut verdienenden Personen, die wegen ihres hohen Einkommens hohe Unterhaltsleistungen zu zahlen haben. Das ist reine FDP-Klientel-Politik, die hier betrieben wird, mehr nicht.
Die Rechtsstellung der unterhaltsberechtigten Personen — meist geschiedene Ehefrauen — wird drastisch verschlechtert und deutlich geschwächt. Dies ist eine ausgesprochen frauenfeindliche Regelung.
Die gestern durchgeführte Anhörung zur Unternehmensbesteuerung hat u. a. gezeigt, daß es sinnvoll sein kann, liebe Kollegen von der Koalition, über einen Abbau von Sonderregelungen, also über eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nachzudenken, die den finanziellen Spielraum für eine Änderung oder Neukonstruktion der Steuersätze schaffen würde. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf gehen Sie jedoch genau den entgegengesetzten Weg: Sie schaffen noch mehr Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände und verengen damit die Bemessungsgrundlage immer mehr. Das verbirgt sich in Einzelregelungen wie z. B. der Übernahme des Importwarenabschlags für die Lifo-Bewertungsmethode,
14064 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Poß
Ausdehnung des § 6 b und die Schaffung einer neuen Steuerbefreiung für die Entnahme von Grundstücken aus dem Betriebsvermögen.
Die vielen Einzelregelungen zeigen auch, daß die Bundesregierung an dem selbstgesteckten Ziel, das Steuerrecht zu vereinfachen, kläglich gescheitert ist. Es hat keine Phase in der deutschen Steuergesetzgebung gegeben, in der das Steuerrecht so verkompliziert wurde wie in den letzten beiden Jahren. Seit der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes, das erst in einigen Wochen in Kraft treten soll, ist das Einkommensteuergesetz durch zehn andere Gesetze geändert worden. Allein durch das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz wird das Einkommensteuergesetz um sieben neue Paragraphen verlängert.
Ihr in der Öffentlichkeit propagiertes Ziel, lieber niedrige Steuersätze und wenige Ausnahmen statt hoher Steuersätze und vieler Ausnahmen, haben Sie inzwischen selber aufgegeben. Sie verfahren jetzt nach dem Motto: lieber niedrige Steuersätze und viele Ausnahmen statt eines einfachen und gerechten Steuersystems. Das ist Ihre Steuerpolitik, und damit können wir uns überhaupt nicht einverstanden erklären.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118223600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID1118223700
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Glos, wenn ich Ihnen die Frage beantworten darf, die Ihnen der Kollege Poß nicht beantwortet hat: Sie machen nichts falsch.

(Reschke [SPD]: Ich schenke Ihnen eine Rechenmaschine; da können Sie es nachrechnen!)

Es wird ihnen nämlich nichts gegeben. Dahinter steht schlicht und ergreifend die Philosophie, daß alles, was die Bürger verdienen, dem Staat gehört und daß das Nettoeinkommen dasjenige ist, das dem Bürger vom Staat gegeben wird. Folgerichtig wird ihnen mehr gegeben, wenn weniger Steuern abgezogen werden. Das ist die Philosophie, das ist die Erklärung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Poß [SPD]: Das ist lediglich Semantik, nicht einmal Philosophie!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei ganz unterschiedliche Absichten werden hier in einem Gesetz zusammengeführt, in dem so viele Einzelvorschriften enthalten sind. Es ist übrigens das zweitumfangreichste Steuergesetz dieser Legislaturperiode. Wir werden kaum Gelegenheit haben, in einer sehr unzulänglichen Debattenzeit die vielen günstigen Regelungen für Bürger und Unternehmen im einzelnen darzustellen. Deswegen wird es sicherlich notwendig sein, daß die Bundesregierung hier sehr schnell und sehr gute Aufklärungsarbeit leistet.
Was die Ergänzungs- und Abschlußarbeiten zur Steuerreform 1990 betrifft, ist hier schon einiges gesagt worden; ich will diese Nachhutgefechte nicht verlängern. Nur zwei Anmerkungen — der Kollege Glos hat schon darauf hingewiesen — : Wir haben vor der Aufgabe kapitulieren müssen, die wir uns mit einem Entschließungsantrag selber gestellt hatten, nämlich die verdeckte Gewinnausschüttung durch Gesellschafterfremdfinanzierung gesetzgeberisch zu lösen. Wir sind übrigens bei dieser Kapitulation nicht allein; das ergeht auch anderen Steuergesetzgebern so, u. a. dem in den Vereinigten Staaten. Es geht darum, zwischen mißbräuchlicher Finanzierungsgestaltung und vernünftiger Fremdfinanzierung abzugrenzen. Hier das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten ist gesetzestechnisch ungeheuer schwierig.
Aber damit sich niemand aufgefordert fühlt, hier nun neue Steuerumgehung zu praktizieren oder bisher praktizierte zu erweitern, will ich in aller Klarheit sagen, daß wir die Bundesregierung mit allem Nachdruck aufgefordert haben, dafür zu sorgen, daß die Finanzverwaltung vermehrt Mißbrauchsfälle aufgreift, um sie einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zuzuführen.

(Poß [SPD]: Auf Initiative der Opposition!)

Das zweite, was ich aus diesem Bereich noch sagen will, ist das von Ihnen angesprochene Realsplitting. Das bedeutet, wir haben den Höchstabzugsbetrag — Sie haben es gesagt — auf 27 000 DM erhöht, und wir haben die jährliche Zustimmungserklärung in eine Dauerzustimmungserklärung bis zum Widerruf geändert. Das bedeutet für einen Kreis von geschiedenen Unterhaltspflichtigen eine deutliche materielle Verbesserung. Das bedeutet für alle geschiedenen Unterhaltsberechtigten weniger Bürokratie und weniger nachwirkenden familiären Ärger.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Poß [SPD]: Ein Kreis von 10 000 Leuten!)

Vor allen Dingen haben wir in der Dauerauseinandersetzung über das Ehegattensplitting in der Tat ein Datum gesetzt, Herr Kollege Poß. Wer immer mit verteilungspolitischer Polemik in Zukunft am Ehegattensplitting drehen will, der muß über die Hürde hinweg, die wir für die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten, nachwirkend zu einer gescheiterten Partnerschaft, gesetzt haben. Diese Hürde wird von dem genommen werden müssen, der hier etwas ändern will.
Neben den Nachhutgefechten zur Steuerreform, die längst geschlagen sind, machen wir heute Ernst mit weitreichenden Steuerrechtsänderungen mit wohnungsbaupolitischer Zielsetzung. Wir haben hierbei in der Tat eine Menge steuersystematischer Bedenken zurückgestellt. Es dient auch nicht der Vereinfachung, Herr Kollege Poß; Sie haben völlig recht. Deshalb handelt es sich ja auch durchweg um befristete Maßnahmen; denn wir müssen in der aktuellen Situation einfach unkonventionell reagieren.
Es ist ja nach wie vor richtig, daß wir eigentlich genügend Wohnraum hätten, wenn er denn nur gerecht verteilt wäre.

(Hüser [GRÜNE]: Wenn das Geld gerecht genug verteilt wäre!)

Wir haben aber einen mörderischen Wettbewerb am unteren Ende der Schlange der Nachfrager. Dieser Wettbewerb wird natürlich um so mörderischer, je mehr Neubürger als Nachfrager noch hinzukommen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14065
Gattermann
Wir müssen schnell handeln. Wir haben im Frühjahr gehandelt, was den allgemeinen Wohnungsbau betrifft. Wir haben jetzt gehandelt, bezogen auf bezahlbaren Wohnraum für die letzten in der Schlange.
Dazu gibt es die Superabschreibung des § 7 k. Dafür gibt es die Megaabschreibung des § 7 c, alles mit Sozialbindungen für — —

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

— Entschuldigung. Der § 7 c zunächst nicht, aber im zweiten Gang sehr wohl mit Sozialbindung, was die steuerfreie Entnahme des Grund und Bodens und der Gebäude betrifft.

(Reschke [SPD]: Die Windmühle kann sozial genutzt werden!)

Wir sind sicher, daß hiermit Instrumente angeboten worden sind, die wirken. Wir haben auch Unsicherheiten für die Investoren herausgenommen, was den Bereich der Stadtsanierung und was den Bereich des Denkmalschutzes betrifft. Wir haben hier auch Dauerrecht geschaffen, damit man sich langfristig auf diese Regelungen verlassen kann.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das alles ist ein Bündel von Maßnahmen, von dem wir sicher sind, daß es das Wohnungsangebot schnell erhöht.
Last but not least: Wir haben den Präferenzvorsprung für Berlin gewahrt. Wir haben mehr getan, als der rot-grüne Senat haben wollte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir gehen davon aus, daß die Berlinerinnen und Berliner mit ihrem berühmten wachen Instinkt und mit ihrem hellen Köpfchen sehr schnell merken werden, wer ihre wahren Freunde sind. Wir lassen jedenfalls die aus parteipolitischem Revanchismus erfolgte Beschimpfung, nicht das Notwendige für Berlin zu tun, nicht auf uns sitzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Momper!)

In der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages ist durch die Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich geworden, daß wir über die Direktförderung eine ganze Menge tun wollen. Heute verabschieden wir die steuerrechtlichen Instrumente, die schnell und wirksam — davon bin ich überzeugt — greifen werden. Heute noch wird über das Maßnahmengesetz zum Baurecht, Bodenrecht und Mietrecht diskutiert.

(Hüser [GRÜNE]: Das kann auch morgen früh werden!)

Auch das wird schnell verabschiedet werden.
Diese Regierung, meine Damen und Herren, hat die wohnungspolitische Herausforderung angenommen. Sie hat ein intelligentes Konzept entwickelt. Sie hat es schon teilweise umgesetzt und wird es schnellstens umsetzen. Und es wird wirken. Eines ist natürlich sicher: Wohnungen bauen, selbst aus dem Bestand, dauert seine Zeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118223800
Das Wort hat Frau Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118223900
Kolleginnen und Kollegen! GRÜNE haben nur sieben Minuten Redezeit. GRÜNE müssen sich auf das Wesentliche beschränken.

(Gattermann [FDP]: Wir haben nur acht Minuten! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Gehen Sie doch in den Finanzausschuß!)

Deswegen spreche ich zu dem Gesetzentwurf der Regierung zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus.
Zum wiederholten Male versucht die Bundesregierung, den Wohnungsbau dadurch anzukurbeln, daß sie Steuergeschenke verteilt. Sie will private Investoren dazu animieren, Wohnungen zu bauen. Private Investoren sind aber keine geeigneten Träger für einen sozialen und ökologischen Wohnungsbau.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Vielmehr haben sie Interesse daran, ihre Wohnungen teuer zu vermieten. Das kann man ihnen in dem System, in dem wir leben, überhaupt nicht verübeln.

(Glos [CDU/CSU]: Neue Heimat!)

Es gibt aber auch überhaupt keinen Grund dafür, das staatlich zu fördern; denn was nicht sozial ist, ist auch nicht ökologisch.
Zum Teil werden die steuerlichen Förderungen, die Sie vorschlagen, nur nichts nützen — sie sind deswegen relativ harmlos —, zu einem anderen Teil sind sie jedoch ausgesprochen schädlich und dazu geeignet, die bestehende Wohnungsnot auch noch zu verschärfen.
Ich will auf Ihre Vorschläge im einzelnen eingehen. Die erhöhte Absetzung für Baumaßnahmen an Gebäuden zur Schaffung neuer Mietwohnungen, § 7 c, ist absolut kein taugliches Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Die so hergestellten Wohnungen werden entweder gar nicht vermietet — denn einen Vermietungsnachweis gibt es in diesem Gesetz nicht; es können also auch Zweitwohnungen oder Ferienwohnungen davon gebaut werden — oder sie werden teuer vermietet; denn es gibt keine Mietobergrenzen, und die Wohnungen sind nicht für die Berechtigten des sozialen Wohnungsbaus reserviert.
Wenn man sich jetzt auch noch Ihre Änderungen der mietrechtlichen Vorschriften ansieht, die Sie heute so ganz nebenbei auch noch unter der Hand einbringen wollen, dann wird klar: Wenn die so entstandenen Wohnungen überhaupt vermietet werden, genießen die Personen, die sie dann mieten, keinen Kündigungsschutz mehr und können jederzeit aus diesen Wohnungen wieder rausgeschmissen werden.
Zusammengenommen sehen beide Gesetzentwürfe im Klartext so aus: Besitzer von Zweifamilienhäusern, die in ihrem Haus eine zusätzliche Wohnung einbauen, bekommen vom Staat ohne jede Gegenleistung bis zu 30 000 DM geschenkt. Den Mietern und Mieterinnen dieser Wohnungen schenkt der Staat den gelockerten Kündigungsschutz, die absolute Unsicherheit und Ungewißheit darüber, wie lange sie in
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Frau Oesterle-Schwerin
diesen hoch subventionierten Wohnungen bleiben können.

(Hüser [GRÜNE]: Sozialer Wohnungsbau à la CDU/CSU!)

Bei Ihrer nächsten Maßnahme, der erhöhten Absetzung bei Gebäuden in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsgebieten — § 7 h — , handelt es sich um die Festschreibung der Förderung von Luxusmodernisierungen, die schon in der Vergangenheit zur Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen aus den ihnen angestammten Gebieten geführt haben. Diese steuerliche Förderung, die mit der Steuerreform 1990 eigentlich zu Recht abgeschafft werden sollte, ist eine der Ursachen für die heutige Wohnungsnot. Sie festzuschreiben heißt die Zerstörung von preiswertem Wohnraum weiterhin zu subventionieren. Für diejenigen, die es nicht wissen: Es handelt sich um die Förderung von Modernisierungsmaßnahmen ohne jede Kostenobergrenze — deswegen spreche ich hier von Luxusmodernisierungen — und um Wohnungen, die keinerlei sozialen Bindungen unterliegen.
Als neuer Vorschlag kommt die Steuerabschreibung für Wohnungen mit zehnjähriger Sozialbindung, § 7 k. Die Abschreibungsbedingungen sind extrem günstig, die Bindungsdauer dafür extrem kurz. Innerhalb der ersten zehn Jahre können 85 To der Baukosten steuerlich abgeschrieben werden. Bei einer angenommenen Bausumme von 200 000 DM und einem Steuersatz von 50 % bedeutet das eine Steuerersparnis, d. h. ein Steuergeschenk von 85 000 DM. Zum Vergleich: Der Subventionswert einer normalen sozialen Mietwohnung, die 30 Jahre lang gebunden ist, beträgt 100 000 DM. Jetzt werden 85 000 DM für eine Bindungsdauer von nur zehn Jahren verschenkt.

(Zuruf von der FDP: So ein Unsinn!)

Ärgerlich an der ganzen Geschichte ist die Tatsache, daß der gesamte Maßnahmenkatalog für die Nicht-Fachfrau und für den Laien relativ unübersichtlich ist, was viele Leute glauben läßt, die Regierung täte wirklich etwas gegen die Wohnungsnot. Diesen Leuten muß gesagt werden: Die Regierung tut nicht nur zu wenig, sie tut auch noch das Falsche. Wolfgang Neuss hat einmal gesagt: „Es genügt nicht, keine Ideen zu haben, man muß auch unfähig sein, sie auszuführen. " Ich sage Ihnen: Es genügt der Regierung offensichtlich nicht, die Wohnungsnot nicht zu bekämpfen, sie muß auch noch viel Geld dafür aus dem Fenster rausschmeißen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das wohnungspolitische Konzept der GRÜNEN sieht anders aus. Es baut auf konsequente Bestanderhaltung und auf Neubau ausschließlich nach sozialen und ökologischen Kriterien. Wenn Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen, machen Sie bestimmt keinen Fehler. Wir können Ihrem Entwurf und dem Entschließungsantrag der SPD leider nicht zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118224000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1118224100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind es ja gewohnt, ein wöchentliches Wechselbad zu genießen zwischen unserer Arbeit in Bonn und dem Wahlkreis. In der letzten Woche habe ich nach Abschluß der Beratungen im Finanzausschuß dafür wieder ein besonderes Beispiel erlebt. In Bonn haben wir nach, wie ich meine, fachlich hervorragender Debatte im Ausschuß das Wohnungsbauförderungsgesetz verabschiedet. Dabei haben wir gemeinsam gedacht, daß hier eigentlich ein ganz großartiges Gesamtpaket verabschiedet wird.

(Zuruf von der SPD: Wir nicht!)

Erstens erleichtern und beschleunigen wir die Durchführung des Planungs- und Baurechts.
Zweitens halten wir mit 66 Millionen DM die Förderung für den Städtebau auf hohem Niveau. Drittens stocken wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 2 Milliarden DM auf. Viertens schaffen wir massive steuerliche Anreize, damit privates Kapital schnell in den Wohnungsbau fließt.

(Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Hier wird also von der Bundesregierung nicht geklekkert, sondern geklotzt. Es wird rundum schnell und entschlossen gehandelt. Die Wohnungsbauministerin Gerda Hasselfeldt

(Reschke [SPD]: Wo ist sie denn?)

und der Finanzminister werden einer außergewöhnlichen Situation durch außergewöhnliche Maßnahmen gerecht.
Und dann kommt man in den Wahlkreis. Da sieht man dann im Münchener Wahlkreis, in dem ich meine politische Arbeit verrichte, wieder die üblichen Beschwerden auf dem Tisch. Da liegen Beschwerdebriefe von Bürgern, daß ihre ordentlichen Baugesuche von der Münchener Stadtverwaltung nicht in den angemessenen drei Monaten bearbeitet werden, sondern einfach bis zu zwei Jahren liegenbleiben und verschlampt werden. Oder: Da liegen fertige Wohnungsbaupläne von Baufirmen vor, die nur deshalb nicht realisiert werden können, weil der Münchener Oberbürgermeister eine Baugenehmigung aus unerfindlichen Gründen nicht will. Der will viele Baugenehmigungen nicht. Aber er kommt zu einer Anhörung nach Bonn und sagt, die Bonner seien es.

(Zuruf von der SPD: Wer ist der Baubürgermeister?)

Nein, daran sieht man wieder einmal, wie die Realitäten in unserem Lande. sind.

(Conradi [SPD]: Sie reden zum falschen Thema!)

Diese Bundesregierung tut in hervorragender Weise ihre Pflicht. Aber unten an der kommunalpolitischen Basis wird aus ideologischen Gründen oder aus schlichter Unfähigkeit und Verschlafenheit dafür gesorgt, daß dieses Angebot nicht angenommen werden kann. Wir können in Bonn tun und beschließen, was wir wollen. Wenn z. B. ein Oberbürgermeister Kronawitter in München in seiner erschütternden Handlungs- und Gestaltungsunfähigkeit nichts bewegt,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14067
Dr. Faltlhauser
dann sind unsere Bemühungen in Bonn völlig für die Katz'.

(Conradi [SPD]: Ihr müßt hier keinen Kommunalwahlkampf führen! Das liest eh keiner!)

Warum ergänzen wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau durch steuerliche Anreize? Wir haben zwei Gründe. Zum einen wollen wir zusätzlich zu den öffentlichen Mitteln vor allem privates Kapital mobilisieren. Wir haben einen wachsenden Stock von Geldvermögen in diesem Lande. Wir können einen wesentlichen Teil dieses Geldvermögens nur durch steuerliche Anreize zum Wohnungsbau hinlenken, da der Wohnungsbau in der Konkurrenz mit anderen Anlagemöglichkeiten ansonsten nicht rentabel genug ist.
Wir wollen weiter — das ist vielleicht noch wichtiger —, daß besonders angesichts der Über- und Aussiedler schnell gebaut wird. Durch steuerliche Maßnahmen können wir Baumaßnahmen viel schneller vorantreiben als etwa durch komplizierte, bürokratisch überlastete Wege der öffentlichen Mittelvergabe. Die steuerliche Förderung ist insofern eine ideale Ergänzung der 2 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau. Sie ist ein richtiges Instrument.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das vorliegende Wohnungsbauförderungsgesetz sieht insgesamt zehn — ich wiederhole: zehn — Einzelmaßnahmen zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus vor. Da sind die Berliner Sondermaßnahmen noch gar nicht mitgezählt.

(Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich will nur die drei wesentlichen Maßnahmen herausgreifen. Das ist zum einen § 6 des Einkommensteuergesetzes, in dem wir die steuerfreie Entnahme von Gebäuden aus Betriebsvermögen schaffen, wenn anstelle dieser Gebäude Wohnungen gebaut werden und diese zehn Jahre lang zu einer sozialverträglichen Miete an Personen mit einem Wohnberechtigungsschein vermietet werden.
Was heißt das praktisch? Wir kennen alle in kleinen und großen Gemeinden alte Fabrikgebäude, die vor sich hin schimmeln, unrentabel sind. Oder stellen Sie sich ein altes Gebäude neben einem Bauernhof vor. Bei einem Verkauf dieser alten Gebäude müßten die stillen Reserven normalerweise realisiert und versteuert werden. Nun bieten wir — zeitlich befristet bis Ende 1992 — die steuerfreie Entnahme ins Privatvermögen als Anreiz, wenn dafür Wohnungen mit Sozialbindung gebaut werden.
Natürlich ist dies — der Vorsitzende des Finanzausschusses hat das schon gesagt — ein steuersystematisch ungewöhnlicher Weg. Natürlich ist das auch ein massiver Anreiz. Aber ich sage Ihnen: Das wird draußen auf dem Land ebenso wie in den Städten wirken. Dadurch werden schnell Wohnungen gebaut werden. Ich freue mich, daß auch Kollegen der SPD — insbesondere im Bauausschuß, wie mir berichtet wurde — genau dies fachlich so gesehen haben.
Zweitens. Wir haben verstärkte Abschreibungsmöglichkeiten für Wohnungsbauten geschaffen, für die nach dem 28. Februar 1989 ein Bauantrag gestellt wurde und die bis zum 31. Dezember 1992 fertiggestellt werden. Derartige Wohnungen, die bei der Vermietung wiederum einer stringenten Sozialbindung unterliegen,

(Zuruf von der SPD: Wie war das: stringente Sozialbindung?)

können in nur zehn Jahren bis zu 85 % — 85 % ! — abgeschrieben werden.
Im Bericht des Finanzausschusses steht ein interessanter Satz. Da steht drin, daß die SPD meint, daß diese Abschreibung von 85 % zu gering ist.

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Was, zu gering?)

Aber der eigentlich verwirrende Punkt ist dabei ja dies: Sie polemisieren immer dagegen, daß man Abschreibungen überhaupt möglich macht, weil das so unsozial sei, weil das eine soziale Schräglage verursache. Und dann sind Abschreibungen zur Baumobilisierung plötzlich zu gering. Ja, meine Damen und Herren von der SPD, was gilt nun?

(Conradi [SPD]: Was heißt denn „stringent"?)

Wollen Sie Abschreibungen oder wollen Sie sie nicht?
Die dritte Maßnahme scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein: die erhöhte Absetzung nach § 7 c des Einkommensteuergesetzes. Mit diesem Paragraphen ermöglichen wir es, innerhalb von fünf Jahren Bauinvestitionen an vorhandenen Gebäuden bis zu 60 000 DM abzusetzen. Das sind also jährlich bis zu 20 % Abschreibung

(Gattermann [FDP]: Das ist die Megaabschreibung!)

— das ist die Megaabschreibung — , wenn dabei in bestehenden Gebäuden zusätzliche Mietwohnungen gebaut werden. Wir fördern also z. B. Dachgeschoßausbau nicht nur durch die Lockerung im Baurecht, nur durch die Flexibilisierung im Mietrecht, sondern wir schieben das auch noch mit dem Steuerrecht an. Das wird sehr schnell sehr viele neue Wohnungen bringen, es sei denn, irgendein intransigenter Bürgermeister oder Oberbürgermeister verhindert das durch wohnungspolitischen Bummelstreik.
Meine Damen und Herren, wir haben ein steuerpolitisches Paket vorgelegt, dessen Kosten wir bis 1993 etwa auf 2,1 Milliarden DM veranschlagen. Wir haben steuersystematische Bedenken zurückgestellt, damit wir schnell und wirksam Wohnungen bekommen. Ich fordere Sie, liebe Kollegen von der SPD, auf: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten und stimmen Sie diesem Gesetz zu. Diejenigen, die draußen im Land jetzt Wohnungen suchen, und diejenigen, die in den nächsten Jahren dringend Wohnungen brauchen, werden es Ihnen dann danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118224200
Das Wort hat der Abgeordnete Reschke.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1118224300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich zuerst mit
14068 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Reschke
dem Intelligenzquotienten — dem IQ, wie Herr Gattermann sagte — der Regierung beschäftigen. Im Gesetzentwurf führen Sie ja selbst aus, daß die Wohnungsnachfrage kräftig gestiegen ist. Als Grund führen Sie in vielen Bereichen die Übersiedler an. Dabei haben Sie allerdings vergessen aufzuführen, daß die Talfahrt im Wohnungsbau in der Bundesrepublik in den letzten sechs Jahren von dieser Regierung planmäßig herbeigeführt worden ist. Ich füge hinzu: Die Wohnungsnot ist sicherlich auch mit großer Intelligenz herbeigeführt worden.

(Beifall bei der SPD)

Der Intelligenzquotient — sprich: die Wohnungspolitik — der Regierung Kohl verfolgte von Anfang an zwei Grundlinien: erstens Abbau des öffentlichen Engagements im Wohnungsbau und Einsparung der Mittel zur Haushaltssanierung — das war Ihre Zielrichtung — , zweitens Umverteilung der Förderung von unten nach oben, d. h. weg von der Hilfe für Einkommensschwache hin zu den Einkommensstarken.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Ich sage Ihnen da gleich etwas aus der Anhörung. Fragen Sie mal Ihren Kollegen Möller.
Die Schleifspuren sind ja deutlich sichtbar: Streichung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau, Ausstieg des Bundes aus der Förderung des Mietwohnungsbaus, Einstellung der direkten Mietförderung und der Modernisierungsförderung, Kürzung beim Bausparen und Anhebung der Grundsteuerbefreiung. Schon 1983 fingen Sie im Grunde damit an, als Sie die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und für Eigenheimbauten gestrichen haben.
Die Aufhebung der Wohungsgemeinnützigkeit ab 1. Januar 1990 wird ein Weiteres tun. Uns wird dann in vielen Bereichen noch Hören und Sehen vergehen.
Mietpreisexplosionen sind die Folge Ihrer Politik. Preiswerter Wohnraum steht schon nicht mehr für Durchschnittseinkommen zur Verfügung. Früher sprachen wir immer von unteren und mittleren Einkommensgruppen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118224400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann? — Herr Gattermann, bitte.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID1118224500
Herr Kollege, da Sie die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und auch den mangelnden Neubau an Mietwohnungen in den letzten Jahren beklagt haben: Können Sie mir sagen, in welchem Umfang die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in den letzten Jahren Mietwohnungen gebaut hat?

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1118224600
Ich werde Ihnen gleich sagen, welche Bedeutung der Bestand in der Wohnraumversorgung hat, Herr Kollege Gattermann. Dann beantworte ich Ihnen auch Ihre Frage.
Der von der Koalition eingebrachte Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude ist völlig unzureichend und wird den sich weiter verschärfenden Problemen am Wohnungsmarkt nicht gerecht werden.
Die neue Wohnungsnot ist im Kern im Grunde genommen die alte, nämlich das Problem der unteren Einkommensgruppen. Jetzt sind, wie ich eben schon ausführte, zunehmend Durchschnittseinkommen betroffen. Mittlerweile — so rechnen Experten — ist ein gutes Drittel der Bevölkerung von akuter Wohnungsnot am Markt bedroht und kann sich mit seinen Wohnungswünschen nicht mehr durchsetzen.

(Dr. Hitschler [FDP]: Wie viele sind das?)

— Mittlerweile schon ein gutes Drittel mittlerer Einkommen. Sie wissen ja gar nicht, was in den Städten los ist, Kollege Hitschler.
Hinzu kommt, daß die Obdachlosenzahl rasch steigt. Im Durchschnitt wird 1 % der Gebäude einer Stadt pro Jahr umgebaut oder erweitert, und das auch ohne ein Steuerförderungsmodell, wie es die Regierung bzw. die Koalition jetzt vorschlägt. Im Klartext, Herr Kollege Gattermann, heißt das — und jetzt komme ich zu Ihrer Frage — : Wohnungspolitik ist im wesentlichen Bestandspolitik. Dafür tun Sie nichts. Im Gegenteil: Sie halten noch nicht einmal den sozialen Bestand.
Es ist also notwendig, sowohl das Angebot an preiswertem Wohnraum im Bestand zu sichern als auch gleichzeitig durch Neubau auszuweiten. Genau das Gegenteil tut mittlerweile diese Regierung. Statt sich der vom Wohnungsmarkt besonders Betroffenen durch eine sozial ausgerichtete Wohnungspolitik anzunehmen mit dem Ziel, kurzfristig zusätzlichen und bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen, bietet die Koalition ein Steuersparmodell für Investoren an und meint, damit Wohnungen bauen zu können. Die Regierung nimmt damit endgültig Abschied vom sozialen Wohnungsbau.
Soziale Bindung geht nur über vorgezogene Abschreibung, für wenige Jahre erkauft. Die Selbstvernichtung für die heute zu beschließenden Sozialwohnungen ist gleich in Ihrem Gesetzentwurf mit eingebaut: nach spätestens zehn Jahren, in anderen Fällen früher. Mieterhöhungssprünge sind damit auch vorprogrammiert. Mit ihren Auswirkungen auf die Mietwertspiegel werden sie allgemeine, erhöhende Wirkung haben. Was Sie heute beschließen und an öffentlichen Mitteln für den sozialen Wohnungsbau nicht zur Verfügung stellen, bedeutet nichts anderes als die planmäßige Ausräumung der Staatskasse über das Wohngeld.
In der Eigentumsförderung wird wieder mit zweierlei Maß gemessen. Die einen — das sind die meisten Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen, die preiswert bauen müssen — können schon jetzt die Höchstbeträge bei der Eigentumsförderung gar nicht ausschöpfen. Die erhalten wieder nichts. Für die Großverdiener wird in Zukunft eine neue Eigentumsförderung kreiert, nämlich das Wohneigentum in denkmalgeschützten Gebäuden, umgebaut und gefördert nach Kriterien, die in naher Zukunft alles in den Schatten stellen und erblassen lassen.
Da wird auf der einen Seite eine Eigentumswohnung mühsam mit hoher Verschuldung erspart, über
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14069
Reschke
neun Jahre mit einer Barförderung vom Staat zwischen 30 000 und 40 000 DM bedacht, nach § 10 e EStG abgeschrieben. Auf der anderen Seite bekommen diejenigen, die in Zukunft Schloß oder Mühle zu selbst genutztem Wohneigentum umbauen, Millionenbeträge, die dann steuerlich in vielen Bereichen geltend gemacht werden können.
Die von der Koalition vorgeschlagenen steuerlichen Lösungen haben nun einmal den großen Nachteil, daß sie in starkem Maße anfällig sind durch Mitnahmeeffekte und Umgehungsmaßnahmen, daß sie erst mit zeitlicher Verzögerung wirken und daß sie verteilungspolitisch negative Wirkung haben, und daß sie die Gründung sogenannter Bauherrengemeinschaften nach sich ziehen werden. Ich sagen Ihnen jetzt schon voraus: Es entstehen Modellgemeinschaften zur Förderung und Pflege von denkmalgeschützten Gebäuden, natürlich in selbst genutzter Form, als Zweit- oder Drittwohnung, steuerlich voll abgeschrieben, in vielen Bereichen ohne Mehrwertsteuerabzug, wie sich natürlich versteht. Daß die Befristung der steuerlichen Regelung zu einer konjunkturellen Verstetigung in der Bauwirtschaft nicht beiträgt, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, Kollege Faltlhauser.
Baupreissteigerungen und höhere Mieten sowie ein höheres Zinsniveau sind für die kommenden Jahre angesagt. Und das alles zahlt ja nicht der Investor, sondern entweder der Staat durch Steuerverzichte, der Mieter oder der Bund und die Länder über das Wohngeld.
Die Steuerverwaltung wird durch die neuen Vorschriften stark belastet. Der hohe Verwaltungsaufwand ist erforderlich, weil Sachverhalte ermittelt werden müssen und Angaben der Überprüfung bedürfen. Außerdem ist es ein Skandal, daß viele Bürger das, was Sie an Förderung anbieten, mittlerweile gar nicht mehr überschauen können.
Hinzu kommt, daß in einigen Bereichen sogar die Verfassungsfrage zu stellen ist. Nicht wir, sondern Sie eröffnen ja die Überschußrechnung ab 1998, sofern die Maßnahmen im Bereich der denkmalgeschützten Gebäude oder Gebäudeteile das Betriebsvermögen betreffen.

(Dr. Solms [FDP]: Was hat das mit der Verfassung zu tun?)

— Das hat insofern etwas mit der Verfassung zu tun, als mittlerweile selbst genutztes Eigentum ungleich behandelt wird. Es muß doch dieser Regierung eine Mahnung sein, daß die Eigentumsquote bei hohen Einkommen in den letzten Jahren gestiegen und bei durchschnittlichen Einkommen drastisch gesunken ist.
Wir sagen Ihnen schon jetzt voraus — das hat die SPD veranlaßt, einem solchen Vorhaben nicht zuzustimmen — , daß der tatsächliche Wohnungseffekt dieses Gesetzentwurfes gleich Null sein wird. Herr Faltlhauser, jetzt komme ich zu Ihnen. Die freie Wohnungswirtschaft und die Investorengruppen, die anwesend waren, haben uns gestern in einer Anhörung bestätigt — das kann Ihnen auch der Kollege Möller sagen — , daß die bloße Verminderung der Steuerschuld bei 10 % Abschreibung Sie nicht veranlassen werde, soziale Bindungen einzugehen; ihnen genüge die siebenprozentige Abschreibung. Sie wollen keine zehnprozentige Abschreibung. Insofern ist Ihre Behauptung, die von uns geäußerte Befürchtung werde dazu führen, daß wir keine Sozialwohnungen mehr haben würden, unsinnig.
Die Verlängerung der steuerlichen Förderung von Baudenkmälern und von Gebäuden in Sanierungsgebieten nach der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist aus Gründen des Städtebaus und des Denkmalschutzes sicherlich geboten. Diese Verlängerung steht jedoch in keinem direkten Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel des Gesetzentwurf es, nämlich der Schaffung von neuen und preiswerten Wohnungen, da die Regelung erst 1991 ausläuft. Wir würden lieber den Bericht der Bundesregierung in dieser Frage abwarten, der seit 1986 aussteht, und dann entscheiden, wie der Fördermodus sein sollte.
Die geplante Neuregelung der steuerlichen Förderung kommt vor allem besser Verdienenden zugute, da die Anschaffungskosten mit in den Förderbereich aufgenommen wurden und zur unbegrenzten Absetzung der Kosten führen kann. Es ist deshalb gerade in diesem Bereich nicht sinnvoll, durch zusätzliche Regelungen spekulative Investitionen in Baudenkmäler anzureizen. Das führt nicht zum Schutz, sondern zur Verwertung von Baudenkmälern. Dagegen sollten wir uns in vielen Bereichen wehren.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU und der FDP macht erneut deutlich, wie krampfhaft die Bundesregierung immer noch versucht, den Neubau langfristig gebundener Sozialwohnungen zu unterlaufen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb einen Entschließungsantrag vorgelegt, der aufzeigt, welche Wege zu gehen sind, um im kommenden Jahrzehnt den Wohnungsmarkt zu entspannen. Was Sie tun, ist eine vorprogrammierte Vertreibung von Sozialmietern und sozialer Wohnungsbau mit eingebauter Selbstvernichtung. Unsere Städte und Gemeinden benötigen Wohnungen, über die sie verfügen können und die für Mieter erschwinglich sind.
Die Zusage des Bundeskanzlers vor wenigen Wochen, die Wohnungspolitik zur Chefsache zu machen, hat sich als wertlos erwiesen. Das von Ihnen vorgelegte Wohnungsbauprogramm ist enttäuschend und bleibt nach Qualität und Quantität weit hinter den Forderungen aller Experten zurück. Es weckt unerfüllbare Erwartungen, täuscht die Öffentlichkeit und schafft kaum neuen Wohnraum für die, die versorgt werden müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118224700
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID1118224800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf verknüpft den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Wohnungsbauförderungsgesetzes mit dem noch ausstehenden Teil des Steuerreformgesetzes. Der Kollege Gattermann hat bereits darauf hingewiesen. Dieser Gesetzentwurf soll noch in diesem Monat vom Bundesrat beraten werden, damit die einzelnen Rege-
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Parl. Staatssekretär Dr. Voss
Lungen zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten können.
Der wohnungspolitische Teil des Gesetzes enthält ein Bündel einzelner Maßnahmen, das geeignet ist, neben dem deutlich verbesserten Instrumentarium des sozialen Wohnungsbaus einen wirksamen Beitrag zur Milderung des in diesem Umfang nicht vorhersehbaren akuten Wohnungsmangels zu leisten. Die Koalititonsfraktionen haben sich für steuerliche Anreize entschieden

(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das war richtig!)

— ganz zu Recht, Herr Kollege Faltlhauser — , weil es jetzt in erster Linie darauf ankommt, zusätzlich schnell wirkende Maßnahmen anzubieten.
Erhöhte Absetzungen von 5 x 20 v. H. für Baumaßnahmen, durch die zusätzliche Mietwohnungen in bereits bestehenden Gebäuden geschaffen werden, sollen Anreiz insbesondere für den Ausbau bisher nicht zu Wohnzwecken genutzter Dachgeschosse bieten. Die begünstigten Aufwendungen sind auf 60 000 DM je Wohnung begrenzt. Es wird zudem durch einen weiteren Schritt des Gesetzgebers angestrebt, Hindernisse zu beseitigen, die aus bauordnungsrechtlichen Gründen einer nachhaltigen Entfaltung der Bautätigkeit entgegenstehen. Auch das hat Herr Kollege Gattermann bereits soeben erwähnt.
Für die Neuerrichtung von Mietwohnungen, die einer zehnjährigen Belegungs- und Mietpreisbindung unterliegen sollen, werden erhöhte Absetzungen von 5 x 10 v. H. und 5 x 7 v. H. in den ersten Jahren nach Bezugsfertigkeit ermöglicht. Dieser Vorschlag wird um die Möglichkeit ergänzt, steuerneutral Grundstücke mit Gebäuden, die erst durch Umbau Wohnzwecken dienen können, aus dem Betriebsvermögen zu entnehmen. Aus Gründen der Gleichbehandlung sind in diese Neuregelung nicht nur Grundstücke des landwirtschaftlichen Betriebsvermögens, sondern auch Grundstücke des gewerblichen und des freiberuflichen Betriebsvermögens einbezogen worden. Die Regelung stellt auf Grundstücke des Betriebsvermögens mit aufstehenden Gebäuden ab. Dem Vorschlag einer umfassenden Begünstigung aller unbebauten Flächen ist der Finanzausschuß nicht gefolgt.
Die Abschreibungsvergünstigungen sind zeitlich befristet. Sie kommen nur für Wohnungen in Betracht, die bis zum Ende des Jahres 1992 fertiggestellt werden.
Die eingeführte Belegungs- und Mietpreisbindung ist ein Novum unseres Steuerrechts. Wir haben zusammen mit den Ländern Lösungen gesucht, die die Bewertungen der wohnungspolitischen Voraussetzungen den örtlichen Wohnungsämtern überlassen. Sie erteilen nach Prüfung dem Steuerpflichtigen entsprechende Bestätigungen, die ohne zusätzliche Prüfung dem Besteuerungsverfahren zugrunde gelegt werden.
Die verstärkten steuerlichen Anreize zur Schaffung von Wohnraum können auch in Berlin wirksam werden. Der in Berlin ohnehin zu knappe Wohnungsbestand reicht nicht aus, um alle Übersiedler aufnehmen zu können, die in Berlin bleiben wollen. Mit den im
Berlinförderungsgesetz getroffenen Neuregelungen kann auch dort verstärkt Kapital zu attraktiven steuerlichen Bedingungen in den Wohnungsbau fließen.
Die Regelungen von Steuervergünstigungen für Baudenkmale und Gebäude in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsbereichen verstetigen die einkommensteuerliche Förderung der Sanierung von Altbausubstanz, die unter städtebaulichen, wohnungs- und kulturpolitischen Aspekten für die Entwicklung eines menschenwürdigen Umfelds unverzichtbar ist.
Das Steuerreformgesetz 1990 ist im Juli 1988 nicht in allen Teilen abgeschlossen worden. Die dritte Stufe der Steuerreform, an der wir trotz aller Gegenvorschläge der Opposition auch unter den heutigen Verhältnissen festhalten, verwirklicht den arbeitnehmerund mittelstandsfreundlichen linear-progressiven Einkommensteuertarif. Ab 1. Januar 1990 werden die Entlastungen erstmals „amtlich" auf den jeweiligen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen ausgewiesen. Der positive Einfluß dieses Reformschrittes auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist inzwischen unbestritten. Das sollten auch Sie, Herr Kollege Poß, zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn fast täglich berichten die Medien über vorhandene Kaufkraftzuwächse gegenüber dem Vorjahr. Die Erwartungen, daß das siebenjährige Wachstum der Volkswirtschaft auch 1990 anhält, werden immer gefestigter.

(Hüser [GRÜNE]: Die sieben fetten Jahre! Jetzt kommen die sieben mageren Jahre!)

Die dritte Stufe der Steuerreform mit einem Bruttoentlastungsvolumen von 38 Milliarden DM war aus der Sicht der öffentlichen Haushalte damals nur durch eine Gegenfinanzierung zu verwirklichen. Die nähere Ausgestaltung einzelner Maßnahmen, mit denen Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen zurückgeführt werden sollten, hat nachträglich gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich werden lassen. Wir haben deshalb einige Verbesserungen im Arbeitnehmerbereich neu in den Katalog der offen gebliebenen Fragen aufgenommen. Der Begriff der Nachtarbeit ist nunmehr günstiger als bisher bestimmt worden. Auch das hat Herr Kollege Glos bereits ausgeführt. Außerdem kann der Arbeitgeber Fahrkostenzuschüsse, die er an den Arbeitnehmer für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte leistet, pauschal mit 15 v. H. versteuern. Diese Möglichkeit der pauschalen Versteuerung besteht auch für Beiträge zu Gruppenunfallversicherungen für Arbeitnehmer bis zu 120 DM jährlich. Die positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate hat dazu beigetragen, diese Lösungen zu ermöglichen.
Eine im ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Regelung zur Begrenzung der Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften durch ihre Gesellschafter ist nicht Gesetz geworden. Die vom Finanzausschuß durchgeführte Anhörung hat Zweifel daran aufkommen lassen, daß die vorgeschlagenen Lösungsansätze das erstrebte Ziel erreichen lassen. Die Landesfinanzbehörden sollten daher in den nächsten Jahren die bestehenden Verwaltungsanweisungen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14071
Parl. Staatssekretär Dr. Voss
ausschöpfen, um Fälle der Fremdfinanzierung, besonders bei mißbräuchlichen Gestaltungen, aufzugreifen, wie der Herr Kollege Gattermann das eben nochmals gefordert hat. Ich gehe davon aus, daß die dabei zu gewinnenden Erfahrungen bessere Lösungsvorschläge in der nächsten Legislaturperiode ermöglichen.
Für heute, meine Damen und Herren, bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
D anke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118224900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung über den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und zur Ergänzung des Steuerreformgesetzes 1990 in der Ausschußfassung. Das sind die Drucksachen 11/2157, 11/2226, 11/5680 und 11/5970. Die Fraktion der SPD hat hierzu getrennte Abstimmung verlangt.
Das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (GRÜNE):
Rede ID: ID1118225000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht unnötig verlängern. Aber da Einzelabstimmung beantragt worden ist und, wie auch Herr Gattermann schon gesagt hat, eine Unzahl von Artikeln unterschiedlicher Inhalte zur Abstimmung steht, muß ich zu zwei Sachen noch kurz etwas sagen.
Wir werden den Nrn. 1 und 2 des Art. 1 natürlich zustimmen, weil hier Regelungen getroffen werden, die die Vorschläge der Opposition aus der ersten Lesung enthalten, zumindest zum Teil. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß wir dem zustimmen.
Art. 4, Änderung des Berlinförderungsgesetzes, können wir — ich weiß, daß das Geschrei auch nachher kommen wird; es kam schon im Ausschuß — , auch wenn der Berliner Senat dem zugestimmt hat, nicht zustimmen — wir sind nicht in einem Koalitionszwang — , weil das Berlinförderungsgesetz in dieser Fassung, wie vorhin von meiner Kollegin dargestellt, auf dem schlechten Gesetz zur Wohnungsbauförderung fußt. Von daher können wir dem Berlinförderungsgesetz nicht zustimmen.

(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das werden wir denen erzählen! — Uldall [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! Wir machen, was Ihr Senat will, und Sie lehnen ab!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1118225100
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Art. 1 Nr. 1 und 2 auf. Wer stimmt für diese beiden Abschnitte? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Sie sind einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 bis 22 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 23 und 24 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 25 bis 27 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Damit ist Art. 1 angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 4 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe die Art. 5 bis 15 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 16 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der GRÜNEN ist diese Vorschrift angenommen.
Ich rufe Art. 17 auf. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen.
Es ist noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit sind Einleitung und Überschrift angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Mit der großen Mehrheit!)

— Nein mit der Mehrheit. (Heiterkeit)

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Meine Damen und Herren, wer stimmt für den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5975?
— Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5990? — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt. Die SPD hat sich dabei enthalten.
Tagesordnungspunkt 8b: Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5970 ab.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion der SPD zur Fortführung der Steuerbegünstigung für Erfinder auf Drucksache 11/3101 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
14072 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Vizepräsidentin Renger
Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
— Drucksache 11/4610 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 11/5949 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Pinger Dr. Jens

(Erste Beratung 153. Sitzung)

b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Pfuhl, Stiegler, Dr. Hauchler, Dr. Gautier, Jung (Düsseldorf), Dr. Martiny, Dr. Ehrenberg, Meyer, Dr. Mitzscherling, Müller (Pleisweiler), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Stärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht (Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen)

— Drucksachen 11/2017, 11/5630 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Saibold
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN
Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur 5. GWB Novelle
— Drucksachen 11/4069, 11/5629 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN
Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft
— Drucksachen 11/4070, 11/5631 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Pinger
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. Gautier, Dr. Ehrenberg, Dr. Hauchler, Jung (Düsseldorf), Meyer, Müller (Pleisweiler), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Für eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung
— Drucksachen 11/4378, 11/5628 — Berichterstatter: Abgeordneter Grünbeck
Zu Tagesordnungspunkt 9 a liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5976 (neu) und 11/5978 vor.
Der Ältestenrat empfiehlt eine gemeinsame Beratung von zwei Stunden. Das Haus ist damit einverstanden. — Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte um einen Moment Geduld. Der Herr Vizepräsident Stücklen wird die Verhandlungen weiterführen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118225200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1118225300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte über die vorgelegte fünfte Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen schließen wir eine dreijährige intensive Beratungszeit in Politik,

(Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Wirtschaft und Wissenschaft ab und ergänzen das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, um wichtige Bestimmungen, die insbesondere der dramatischen Konzentrationsentwicklung im Handel wirksam begegnen sollen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits am 12. November 1986 die Grundzüge dieser Novelle zur Diskussion gestellt. Wir sind froh, daß es nach einem ernsthaften und manche Schwierigkeiten überwindenden Diskussionsprozeß auch innerhalb der Koalition nun gelungen ist, einen überzeugenden Entwurf einer Novelle zur abschließenden Beratung im Bundestag vorzulegen.
Was sind die Gründe, warum wir diesen Entwurf hier vorlegen? In den letzten Jahren hat sich der Konzentrationsprozeß insbesondere im Handel in einer besorgniserregenden Weise beschleunigt. Anfang der 70er Jahre hatten wir noch etwa 170 000 Lebensmittelgeschäfte in der Bundesrepublik Deutschland. Heute sind es noch etwa 60 000 Betriebe.

(Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!)

Aber nicht nur im Lebensmittelhandel, auch im Möbelhandel, im Drogeriebereich, im Rundfunk- und Phonobereich, in vielen sogenannten Non-Food-Sektoren hat der Konzentrationsprozeß erheblich zugenommen. Die Gefahr ist groß, wie Professor Kartte es einmal gesagt hat, daß nicht mehr nur die ganz Kleinen abgeräumt werden, sondern auch die sogenannte Mitte. Im Lebensmittelhandel geht es um die Frage, ob Unternehmen mit einem Umsatz von 600 Millionen DM bis 3 Milliarden DM mittelfristig noch eine Chance haben zu überleben.
Mit Größe ist in den letzten Jahren nicht selten auch eine Art des Mißbrauchs von wirtschaftlicher Macht zum Ausdruck gekommen, die jeden überzeugten Marktwirtschaftler zum Nachdenken bringen muß. Da wird, um nur ein Beispiel zu nehmen, von einem
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14073
Wissmann
großen Handelsunternehmen nach Abschluß aller Verhandlungen mit einem mittelständischen Hersteller über Rabatte und Preise kurzerhand eine zusätzliche Forderung von sage und schreibe 2 Millionen DM als sogenanntes Eintrittsgeld

(Hinsken [CDU/CSU]: Unglaublich!)

als Bedingung für einen Abschluß überhaupt gestellt. Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: Da findet die Fusion zweier Handelsriesen statt, und unmittelbar danach lädt der neue Riese alle Lieferanten, auch die kleinen und mittleren, in ein Frankfurter Hotel ein, um ihnen Verträge zu präsentieren, wonach ein Prozent des gemeinsam getätigten Umsatzes in Zukunft sozusagen als Morgengabe zusätzlich zu allen Rabatten und Preisen abgeliefert werden soll.

(Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, wir diskutieren in diesen Tagen das Thema Coop. Der Riese Coop hat gerade zu denen gehört, die bei solchen Wild-West-Methoden gegenüber kleinen und mittleren Lieferanten, die am Ende ja auch zum Nachteil des kleinen und mittleren Händlers geworden sind, eine unrühmliche federführende Rolle gespielt haben. Ich finde, es ist ganz gut, einmal darauf hinzuweisen, daß derjenige, der von Marktwirtschaft überzeugt ist, sozusagen die Verwirklichung der Marktwirtschaft nicht in dem Mißbrauch von Nachfragemacht einiger großer Riesen sieht, sondern im Erhalt eines fairen Leistungswettbewerbs,

(Beifall bei der CDU/CSU)

der doch eigentlich ein Grundelement der Sozialen Marktwirtschaft ist.
Ich sage das auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von GRÜNEN und SPD, auch im Hinblick auf ihre Anträge, die hier vorliegen. Wenn wir von Wettbewerbsrecht auf nationaler und europäischer Ebene reden,

(Frau Saibold [GRÜNE]: Dann sind das Luftblasen!)

reden wir von der Erhaltung des fairen Leistungswettbewerbs. Wir reden nicht von einem Schutzzaun um einzelne Unternehmen oder um den Mittelstand. Wenn wir von europäischem oder nationalem Kartellrecht reden, dann reden wir von dem Kriterium der Marktbeherrschung. Wenn das entsteht, dann muß untersagt werden.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Was ist denn Marktbeherrschung?)

Wir reden nicht von regionalpolitischen, sozialpolitischen oder anderen Gründen, die zu einem Verbot führen dürfen. Das unterscheidet uns, Frau Saibold, von Ihrem Antrag zur Demokratisierung der Wirtschaft, der sehr stark den Stempel trägt, neue Interventionsformen zu finden, um sich als Staat in wirtschaftliches Verhalten einzumischen. Wir wollen uns nicht durch Intervention in die Einzelentscheidung von Unternehmen einmischen, sondern wir wollen dafür sorgen, daß der Mißbrauch von Macht unterbleibt, damit nicht Konzentration durch die Verhinderung fairen Leistungswettbewerbs entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist der Grundunterschied zwischen unseren Positionen.
Wir haben in der fünften Kartellgesetznovelle folgende Punkte angegangen:
Erstens. Durch Erweiterung der Kriterien zur Feststellung einer überragenden Marktstellung — § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB — soll die Nachfragemacht bei der Fusionskontrolle im Handel besser erfaßt werden. Ziel ist, daß die Größten im Handel miteinander nicht mehr Hochzeit halten können.
Zweitens. Die Belieferungspflicht marktstarker, aber nicht marktbeherrschender Unternehmen —§ 26 Abs. 2 Satz 2 GWB — wird auf das Verhältnis zu kleinen und mittleren Unternehmen beschränkt. Insofern soll vermieden werden, daß beispielsweise Markenartikelhersteller durch Ausräumtendenzen großer Händler in eine Lage gebracht werden, in der das Markenprodukt zu Lasten des Mittelstandes, zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen kaputtgemacht werden kann.
Drittens. Wir wissen ja genau, daß sich kleine und mittlere Unternehmen vor allem dadurch wehren können, daß sie sich in Einkaufskooperationen zusammenschließen, damit sie ähnliche Bedingungen beim Einkauf wie Große haben, damit sie gemeinsame Marketing- und Franchise- Systeme absprechen können. Wir sichern jetzt im neuen GWB diese Einkaufskooperationen langfristig ab und machen sie von heutigen oder künftigen gerichtlichen Auseinandersetzungen in ihrer Existenz unabhängig.
Viertens. Wir führen die Zivilklage gegen unbillige Behinderungen im GWB ein, wo sie bisher nicht vorhanden war,

(Zuruf von der SPD: Das ist euch aber schwergefallen!)

etwa durch eine Entschlackung der Voraussetzungen des alten Untersagungstatbestandes in § 37 a Abs. 3 und seine Umwandlung in eine neue Verbotsnorm. Wir wollen damit erreichen, daß sich Kleine und Mittlere oder ihre Verbände wehren können, beispielsweise gegen den systematischen Verkauf unter Einkaufspreis zu Lasten der Existenz derer, die sich mit fairen Mitteln im Wettbewerb zu behaupten suchen. Meine Damen und Herren, damit erreichen wir einen besseren Schutz eines fairen Leistungswettbewerbs.
Ich bin froh, Ihnen sagen zu können, daß es uns in den letzten Beratungen in der Koalition nach der ersten Lesung gelungen ist, noch zwei wesentliche Verbesserungen durchzusetzen. Wir haben zum einen bei den Einkaufskooperationen gegenüber dem Regierungsentwurf klargestellt, daß der heute praktizierte Tätigkeitsbereich der Einkaufskooperationen umfassend gesichert und auf eine feste Rechtsgrundlage gestellt wird. Wir sind der Meinung, entsprechend der bisherigen Praxis des Bundeskartellamtes sollten auch zentral gesteuerte Vermarktungsaktivitäten von Einkaufskooperationen freigestellt werden, die zur Realisierung neuer Produktlinien oder innovativer Vertriebslinien führen, den Wettbewerb beleben und keine Preisbindungs- oder Preisbindungsersatzstrategien enthalten.
14074 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Wissmann
Wir wollen auch noch einmal klarstellen, daß von dem Verbot eines generellen Bezugszwangs im neuen § 5 c GWB Ausnahmen erlaubt sein müssen, etwa ein zeitlich befristeter Bezugszwang im Rahmen der Unterstützung durch eine Kooperation für neu in den Markt eintretende Existenzgründer oder im Rahmen eines Franchising. Der wichtigste Fortschritt, den wir hier gegenüber dem Regierungsentwurf erzielt haben, ist folgender: Wir haben das ursprünglich vorgesehene Anmeldeverfahren, das möglicherweise zu einem großen Bürokratieaufwand für viele kleine Einkaufskooperationen und Genossenschaften geführt hätte, nach sorgfältiger Beratung in den Koalitionsfraktionen im endgültigen Entwurf beseitigt und haben damit den guten Argumenten gegen zuviel Bürokratie, meine ich, in der sorgfältigen Beratung Raum gegeben. Wir wollen nicht mehr Bürokratie. Wir wollen eine Absicherung der Einkaufskooperationen für die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben eine zweite wesentliche Verbesserung gegenüber der ersten Lesung in den Beratungen erreicht. Wir haben sichergestellt, daß durch einen zusätzlichen Abs. 5 eine Beweiserleichterung für den Kläger bei der Ausgestaltung der Vorschrift gegen unbillige Behinderungspraktiken gesichert wird. Nach unserer Auffassung wird nur so das zukünftig mögliche zivilrechtliche Verfahren zu einem wirklich scharfen Schwert für behinderte Wettbewerber oder deren Verbände; denn wir wissen ja, gerade in den hier erfaßten Fällen liegen anspruchsbegründende Umstände regelmäßig in der Wissenssphäre des behindernden Unternehmens und können vom Kläger, also dem Kleinen und Mittleren, oftmals gar nicht nachgewiesen werden.
Sofern konkrete Umstände den Anschein der Verwirklichung des neuen Verbotstatbestandes in § 26 Abs. 4 ergeben, hat das behindernde Unternehmen zukünftig diesen Anschein zu widerlegen und im Rahmen der Zumutbarkeit anspruchsbegründende Umstände aufzuklären, soweit dies dem betroffenen Wettbewerber selbst nicht möglich ist. Wir wollen damit eindeutig klarstellen, daß der Gesetzgeber dem im Wettbewerb behinderten Unternehmen auch verfahrensrechtlich alle Instrumente an die Hand geben will, um dessen Position im fairen Leistungswettbewerb zu sichern.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben eine Novelle erreicht, durch die wichtigen Mißbrauchsfällen in Zukunft wirksamer entgegengetreten werden kann. Ich verspreche mir von der Einführung der Zivilklage auch, wie Herr Kartte sagt, eine Vorfeldwirkung. Das heißt, mancher Riese wird sich in Zukunft genauer überlegen müssen, ob er seine WildWest-Methoden noch aufrechterhält, weil er immer mit der Klage rechnen muß. Diese zivilrechtliche Klagemöglichkeit ist wahrscheinlich die schärfste Waffe, die wir in das GWB neu einführen und die wir in der zweiten und dritten Lesung jetzt auch mit den notwendigen Instrumenten ausgestattet haben.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einen letzten Hinweis im Zusammenhang mit den Einkaufskooperationen. Wir haben ja das Problem, daß von einigen versucht werden könnte, ihre Nachfragemacht gegenüber der Marktgegenseite, also vielfach ebenfalls mittelständischen Lieferanten, mißbräuchlich einzusetzen. Dies könnte z. B. — ich gehe auf aktuelle Fälle ein — dann der Fall sein, wenn Handelskonzerne einer Einkaufskooperation beitreten und dies bei der Zentralregulierung und dem Delkrederegeschäft — beides ist durch die jetzige Formulierung des § 5 c GWB ausdrücklich als eine der Betätigungsformen einer Einkaufskooperation legalisiert — für den Konzern, der der Einkaufskooperation beitritt, eine sachlich und wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Umsatzvergütung oder Delkredereübernahme bewirkt. Daher muß, meine ich, auch noch einmal klargestellt werden, daß durch die Mißbrauchsaufsicht gemäß § 12 GWB sicherzustellen ist, daß von der Freistellung in § 5 c GWB nicht in einer zu mißbilligenden Weise Gebrauch gemacht wird — ein praktisches Problem, auf das ich uns hinweise. Es spielt gerade in diesen Wochen und Monaten eine große Rolle.
Wir haben aber neben der Novellierung, die vor allem den Handelsbereich betrifft, einen erheblichen Fortschritt, einen ordnungspolitischen Fortschritt auch in den Ausnahmebereichen des GWB vorgesehen. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die Banken und Versicherungen bisher gegenüber normalen Unternehmen haben, deutlich abgebaut werden. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die die Versorgungswirtschaft gegenüber anderen hat, deutlich reduziert werden. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die es im Verkehrsbereich immer noch in Fülle gibt, deutlich reduziert werden. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Mir sind — statt einer plakativen Diskussion über die Bankenmacht an sich — konkrete Gesetze wie hier, die mehr frischen Wind des Wettbewerbs in den Banken-, Versicherungs-, aber auch in den Versorgungsbereich hineinbringen, lieber. Und, Herr Kollege Jens: Ich würde mir einmal wünschen, daß die Sozialdemokraten nicht nur plakative Formeln zu dem Thema äußern, sondern daß sie einem konkreten Gesetz mit einer Minderung der Kartellprivilegien große Unterstützung zuteil werden lassen und heute zustimmen, statt dem Gesetzentwurf politisch zu widersprechen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend, weil ja Anträge von SPD und GRÜNEN auch zum europäischen Kartellrecht vorliegen — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118225400
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie erst noch eine Zwischenfrage?

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1118225500
Ja, gerne.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118225600
Bitte schön, Herr Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1118225700
Herr Wissmann, weil Sie das Thema gerade angesprochen haben: Sind Sie denn bereit, unserem Entschließungsantrag, der vorsieht, die Privilegien bei den Versicherungen und im Kreditwesen wesentlich stärker zu beschränken als Ihr Vorschlag, zuzustimmen? Denn das wäre sinnvoll.

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1118225800
Also, Herr Kollege Jens, wir sind zu weitergehenden, sorgfältigen Überlegungen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14075
Wissmann
auch zum Banken- und Versicherungsbereich bereit. Sie wissen, wir werden — wohl noch im kommenden Jahr — Vorschläge zur besseren Transparenz gerade im Banken- und Versicherungsbereich vorlegen. Wir machen uns die Sache nur nicht so einfach wie Sie. Sie formulieren fünf Sätze auf ein Blatt, machen aber keinen Gesetzentwurf, der konkret ausgearbeitet ist. Wir dagegen legen hier einen ganz konkreten Gesetzentwurf vor, über den heute abgestimmt wird. Wenn Sie mitgehen, tritt er am 1. Januar 1990 in Kraft. Also, gehen Sie doch den Schritt mit uns mit und lassen Sie uns im nächsten Jahr über weitere Schritte reden! Aber machen Sie es sich nicht so einfach, wie Sie es jetzt tun: eine große Resolution zu machen, die ohne Wirkung ist, und sich damit dem zu verweigern, was wir hier konkret vorgeschlagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Also, machen Sie mit, seien Sie konstruktiv!

Im übrigen, Herr Kollege Jens — Herr Roth ist ja heute leider nicht da — : Wolfgang Roth hatte mir noch in Podiumsdiskussionen der Jahre 1988 und 1989 gesagt, er werde Vorschlägen zu einer „Entschlackung" in den Ausnahmebereichen und zur Verbesserung der Mißbrauchsaufsicht im Bereich Handel zustimmen. Ich bedaure sehr, daß er seine ursprünglichen Zusagen für die SPD-Fraktion nicht einlöst. Überlegen Sie es sich also noch einmal. Machen Sie mit! Sie leisten damit einen Beitrag zur Verbesserung des fairen Leistungswettbewerbs.
Ich komme zum letzten Punkt meiner Ausführungen. Wir alle sind gegenwärtig mit der Frage beschäftigt, wie die künftige Gestaltung des europäischen Wettbewerbsrechts aussehen soll. Der Bundeswirtschaftsminister befindet sich in abschließenden Verhandlungen zu dem Thema der europäischen Fusionskontrolle. Am 21. Dezember soll der Binnenmarktrat tagen. Deswegen, so glaube ich, muß in einer Debatte über Wettbewerbsrecht heute ein Wort dazu gesagt werden, denn es geht um die Frage: Wird dieses europäische Wettbewerbsrecht unseren Vorstellungen von Wettbewerbsorientierung entsprechen, oder wird es ein Einfallstor für Industriepolitik, Regionalpolitik und Sozialpolitik?
Es geht dabei um drei Punkte, erstens um die Einführung eines präventiven Fusionskontrollverfahrens, zweitens um wettbewerbsorientierte Eingriffskriterien und drittens um den zweifelsfreien Ausschluß von Marktbeherrschung im Inland, auch bekannt unter der Bezeichnung „nationale Restkontrolle".
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir danken Ihnen für Ihr Bemühen in dieser Frage und anerkennen es. Aber Sie stehen — zusammen mit dem gesamten Kabinett — jetzt vor schwierigen Entscheidungen, beispielsweise vor der Frage, ob Sie akzeptieren wollen, daß der technische und wirtschaftliche Fortschritt auch Eingang in die Beantwortung der Frage findet, ob man eine Fusion in Europa erlauben kann oder ob man sie zu untersagen hat, und daß es andere, ziemlich vage formulierte Gründe gibt, die nicht sehr scharf wettbewerbspolitisch bestimmt sind.
Unsere Bitte ist: Gehen Sie weiter auf diesem Weg einer klaren wettbewerblichen Orientierung. Lassen Sie sich nicht unter Zeitdruck Aspekte abhandeln, die unser Ordnungsbild marktwirtschaftlicher Prägung in Gefahr bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie bei dieser klaren Linie bleiben. Wir bitten Sie: Opfern Sie nicht Vorstellungen der Marktwirtschaft auf dem Altar der Europäischen Gemeinschaft. Wir unterstützen Sie bei diesem Bemühen. Wir wissen, wie entscheidend dieses künftige europäische Kartellrecht für die Gestaltung der Wettbewerbsordnung in der gesamten Europäischen Gemeinschaft ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118225900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1118226000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wissmann hat hier den Eindruck erweckt, als bringe diese Kartellgesetznovelle Entlastungen für die kleinen und mittleren Unternehmen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist aber so, Herr Dr. Jens!)

Dies ist ein völlig falscher Eindruck, und Sie sollten keine falschen Hoffnungen wecken. Sie haben es schon einmal getan, und zwar im Zusammenhang mit der Novellierung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb. Mittlerweile merken die kleinen und mittleren Unternehmen, wie sie von Ihnen aufs Glatteis gelockt worden sind und welch falsche Versprechungen damals gemacht worden sind.

(Sehr wahr! bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]: Keine Versprechungen, aber es müssen Korrekturen vorgenommen werden!)

Bei diesem Gesetz wird es ähnlich sein. Wir stimmen dem vorgelegten Entwurf ja in einigen Punkten zu, aber insgesamt stimmt die Tendenz dieser Novelle nicht mehr. Ich glaube, die CDU/CSU hat mit dieser fünften Novelle zur Änderung des GWB den Pfad der gemeinsamen Wettbewerbspolitik verlassen. Die Interessen bestimmter Wirtschaftskreise dominieren in der Regierungskoalition gegenüber den ordnungspolitischen Grundsätzen, die einmal allgemein anerkannt waren. Viele von Ihnen wissen das nicht mehr, aber Ludwig Erhard konnte das Verbotsprinzip 1957 im GWB nur mit sozialdemokratischer Hilfe durchsetzen. Wir sind jetzt nicht bereit, die Hand dafür zu heben, daß diese bewährten Grundsätze des Wettbewerbs aufgelockert und beseitigt werden.
Diese Veränderung bewährter Prinzipien erfolgt bekanntlich nicht etwa durch einen plötzlichen Glokkenschlag, aber dieses Gesetz ist ein Beispiel dafür, wie Grundsätze in der Politik peu à peu, Schritt für Schritt, an Bedeutung verlieren. Es geht hier — das kann man an dem Beispiel dieses Gesetzes hervorragend sehen — um die schleichende Erosion bewährter Prinzipien. Dies bringt unsere Politik insgesamt in Verruf. Der Einfluß der Lobby in der Wirtschaftspolitik nimmt immer mehr zu. Hier macht er sich besonders bemerkbar. Immer stärker setzen sich partikulare In-
14076 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Jens
teressen durch. Immer deutlicher wird der Verlust der Fähigkeit, ordnungspolitisch zu denken.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Saibold [GRÜNE])

Dieser Entwicklung gilt es entgegenzutreten.
Mir hat vor kurzem ein junger Mann gesagt, DTA sei die neue Formulierung, die in den Kreisen der Jugend gebraucht wird: don't trust anybody. Man wird immer mißtrauischer. Wir sollten einmal überlegen, ob wir Politiker nicht auch ein bißchen Schuld an diesem DTA haben, was offenbar verstärkt der Spruch unter jungen Leuten geworden ist.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Ein bißchen?)

Ich will auf die einzelnen Punkte eingehen. Die Forderung, § 37 a zu einem § 26 Abs. 4 umzugestalten und damit die horizontale Diskriminierung verstärkt in den Griff zu bekommen, stammt von den Sozialdemokraten. Hier laufen Sie also offene Türen ein. Diesen Schritt können wir durchaus gemeinsam tun. Die Regierung braucht jedoch in diesem Fall erneut sozialdemokratische Hilfe, Herr Haussmann, nämlich zur Abwehr übertriebener Forderungen aus der CDU/CSU.
Wenn die CDU/CSU z. B. versucht, mit § 26 Abs. 5 eine völlige Umkehr der Beweislast über die bisherige Rechtsprechung hinaus einzuführen, so verläßt sie wiederum den Boden der Gemeinsamkeiten. Fragen Sie einmal Ihren Herrn Geberth, der hinter Ihnen sitzt.
Die notwendige Beweislasterleichterung hängt von der Zumutbarkeit und von einem deutlichen Anschein für eine unbillige Behinderung ab. Es geht nicht, daß ein Unternehmer vor Gericht einfach behauptet, er werde unbillig behindert, und dann hat der Beschuldigte sofort nachzuweisen, daß das nicht der Fall ist. So weit geht das nicht! Hier hört die Zumutbarkeit auf — und auch die Verfassungsmäßigkeit. Kreise der CDU/CSU wollen diese Grenze überschreiten.

(Bohl [CDU/CSU]: Was verstehen Sie unter „Kreisen" der Union?)

Es geht für uns auch nicht an, daß wir ein generelles Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen etablieren. Das kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Das ist in Kreisen der CDU/CSU immer wieder diskutiert worden.

(Hinsken [CDU/CSU]: Sie sagen doch immer, Sie wollten für die kleinen und mittleren Betriebe mehr tun! Das ist doch ein Widerspruch!)

Wenn ein Großunternehmen lange Zeit unter Einstandspreisen verkauft, und zwar gezielt und systematisch, um den Wettbewerb zu zerstören, dann kann das sehr wohl eine unbillige Behinderung sein. Das gebe ich gern zu. Aber grundsätzlich ist ein Verkauf unter Einstandspreis keine unbillige Behinderung. Grundsätzlich gehört zur marktwirtschaftlichen Ordnung die freie Preisbildung eines jeden einzelnen Unternehmers.
Es wäre wirklich an der Zeit, daß auch die CDU/CSU den Interessenvertretern der Wirtschaft einmal ihre Grenzen aufzeigt, die es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung gibt.

(Hinsken [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, wie Sie die Kleinen und Mittleren schützen wollen!)

Hier hört also wieder unsere Gemeinsamkeit auf.
Reine Interessenvertretung jenseits jeder ordnungspolitischen Akzeptanz ist deshalb die vorgesehene Novellierung des § 26 Abs. 2, auf die ich jetzt zu sprechen komme.

(Wissmann [CDU/CSU]: Warum hat Herr Roth dem dann zugestimmt?)

— Passen Sie doch auf; werfen Sie doch nicht immer alles durcheinander.
Zu § 26 Abs. 2 haben wir von vornherein gesagt: Das machen wir nicht mit.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sie!)

— Auch Herr Roth hat das gesagt. Er hat entsprechende Anträge mit uns gemeinsam unterschrieben. Fragen Sie ihn doch mal!

(Wissmann [CDU/CSU]: Warum hat er es ursprünglich anders gesagt? Das kann doch keine Interessenvertretung sein!)

Hierdurch wird die Preisbindung der zweiten Hand, die wir einmal gemeinsam 1973 abgeschafft hatten, für die Markenwarenindustrie gewissermaßen durch die Hintertür wieder eingeführt.

(Zuruf von der SPD: Genauso ist es!)

Für marktstarke Unternehmen soll die Belieferungspflicht, die es zur Zeit gibt, gegenüber größeren Unternehmen aufgehoben werden; gegenüber kleinen und mittleren soll sie weitergelten. Hierdurch werden die Größeren, wer auch immer es ist — keiner kann das genau definieren; das sind häufig die Tüchtigeren — , diskriminiert. Das ist deshalb völlig verfehlt. Lesen Sie einmal im Bericht, von Herrn Pinger und mir geschrieben, nach.

(Wissmann [CDU/CSU]: Das ist ein guter Bericht!)

Wenn es z. B. um Informationen für die Monopolkommission über Großunternehmen geht, ist nach Ansicht der Regierungsmehrheit eine Differenzierung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits nicht möglich. Mehr Informationen über marktstarke Unternehmen sind jedoch dringend angebracht. Wir unterstützen deshalb nach wie vor die berechtigten Interessen der Monopolkommission.
Das Diskriminierungsverbot wird dagegen mir nichts, dir nichts aufgehoben. Hieran wird sonnenklar, welche Interessen die CDU/CSU und die Regierungskoalition wirklich vertreten. Informationen sollen die marktbeherrschenden, marktstarken Unternehmen nicht liefern müssen. Aber ihre Pflicht zur Belieferung gegenüber anderen großen Unternehmen wird aufgehoben. Das alles wird dann noch den klei-
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Dr. Jens
nen und mittleren Unternehmen als Mittelstandspolitik verkauft.

(Wissmann [CDU/CSU]: Jens schützt die großen Händler! — Hinsken [CDU/CSU]: Dr. Jens, Sie sind doch sonst ein kluger Mann, aber was die Leute sagen, kann ich nicht mehr nachvollziehen!)

In Wirklichkeit sind es ausschließlich Maßnahmen zugunsten marktstarker Markenwarenhersteller. Aber die Kleinen und Mittleren sind nicht so blöd, wie Sie manchmal glauben; die werden das schon erkennen und durchschauen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie einmal, was Sie für die Kleinen und Mittleren tun wollen! Was denn konkret? Ich möchte etwas für die Kleinen und Mittleren hören!)

Ich komme zur Fusionskontrolle; das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Die Regierung versucht mit zwei neuen Begriffen eine schärfere Definition der marktstarken Unternehmen. Sie will verhindern, daß die sechs großen Konzerne im Handel miteinander fusionieren. Das würden sie sowieso nicht tun. Die Novellierung in diesem Punkte können Sie sich also getrost schenken. Das hat übrigens auch das Kartellamt festgestellt.
Seit 1983, seitdem die konservative Regierung an der Macht ist, verzeichnen wir in der Bundesrepublik eine ständig steigende Konzentrationswelle in der Wirtschaft.

(Wissmann [CDU/CSU]: Und vorher? Wie war es im Handel?)

— Vorher war es wesentlich besser, gucken Sie sich einmal die Daten im Kartellbericht an, Herr Wissmann. — Eine entscheidende Bekämpfung dieser Konzentration würde nur mit unseren Vorschlägen, die wir auf den Tisch gelegt haben, möglich sein.
In unserem Antrag „Stärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht" verlangen wir erstens die Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen schon dann, wenn es zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt — man nennt das Abkoppelung —, nicht erst bei Marktbeherrschung, sondern schon dann, wenn der Wettbewerb stark gefährdet ist; zweitens ein Verbot von Größtfusionen, sofern die an der Fusion beteiligten Unternehmen einen Umsatz von etwa 1 °A° des Bruttoinlandsprodukts haben — damit würde eine Fusion Daimler-Benz/MBB in Zukunft nicht mehr möglich sein —,

(Frau Saibold [GRÜNE]: Sehr schön!)

und drittens schließlich die Einführung einer stringenten Entflechtungsregelung. Hier ist eine Lücke im Wettbewerbsrecht, und diese Lücke gilt es in der Tat zu schließen. Wir müssen in der Lage sein, ganz große Konglomerate einmal zu entflechten. Ich wäre froh, wenn auch die CDU/CSU diesen Gedanken überprüfen könnte. Nur auf diese Weise werden wir, mit Walter Eucken gesprochen, einen starken Staat und eine dezentrale Ordnung auf Dauer erhalten.
Die Neufassung des § 102 — wir hatten darüber eben schon ein kleines Techtelmechtel betreffend
Kreditwesen und Versicherungen — bringt in der Form, wie sie von der Regierung vorgeschlagen worden ist, keine substantielle Veränderung. Die Versicherungen haben dem auch zugestimmt. Warum wohl?

(Wissmann [CDU/CSU]: Zugestimmt?)

Weil ihre Privilegien erhalten bleiben. Die Umänderung des Mißbrauchsprinzips in ein Verbotsprinzip mit einer Fülle von Ausnahmen ist nur eine graduelle Veränderung. Im Grundsatz bleibt hier alles beim alten. Die Versicherungen und Banken sind deshalb dafür,

(Wissmann [CDU/CSU]: Sie haben wohl falsch gelesen!)

und das Wirtschaftsministerium hat dies alles akzeptiert.
Wer wirklich substantiell etwas ändern will, muß unseren Entschließungsantrag für die dritte Lesung akzeptieren. Hierin ist festgehalten, daß der § 102 völlig gestrichen werden soll. Ich hoffe sehr, daß auch die FDP, die immer so gerne lautstark von Deregulierung spricht, diesen Antrag akzeptiert. Auf alle Fälle müssen wir in Zukunft mehr denn je erkennen, daß unser Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kein Schutz für die Wirtschaft ist. Vielmehr ist es ein Schutzgesetz für den Wettbewerb.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kann man auch keine Politik für den Mittelstand betreiben, Herr Hinsken; das wäre völlig verfehlt. Wir wollen den Wettbewerb sichern, aber nicht die kleinen und mittleren Unternehmen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Sowohl als auch! Die Kleinen und Mittleren schützen und den Wettbewerb gewährleisten!)

Belasten wir doch dieses Gesetz nicht immer mit falschen Zielsetzungen! Wir verfolgen doch alle gemeinsam die gleichen Ziele: Wir wollen eine bessere Politik, eine stärkere Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Dafür haben wir Vorschläge gemacht.
Ich sage erst einmal: Es war ein elementarer Fehler dieser Bundesregierung, das Eigenkapitalhilfeprogramm und die Lohnkostenzuschüsse für kleine und mittlere Unternehmen so zusammenzustreichen — ein elementarer Fehler! Wir würden diesen Fehler sofort wieder beseitigen.

(Beifall bei der SPD)

Nach unserer Überzeugung müssen vor allem auch die Mittel für Forschung und Technologie stärker für kleine und mittlere Unternehmen eingesetzt werden.
Wir Sozialdemokraten halten es für unerträglich, daß Großunternehmen vor dem Zusammenbruch geradezu geschützt sind und dem Staat in die Tasche greifen können, während kleine und mittlere Unternehmen immer wieder in Konkurs gehen, zum Teil völlig unberechtigt. Wir müssen deshalb, so glauben wir, darüber nachdenken, ob wir nicht eine sogenannte Konkursauffanggesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen gründen müßten, um diese un-
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Dr. Jens
gerechtfertigten Unternehmenszusammenbrüche zu verhindern.
Aber vor allem wursteln wir uns doch seit Jahren gewissermaßen so durch, wenn es um Mittelstandspolitik geht, um Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Es fehlt an einem geschlossenen Konzept. Zur Zeit herrscht Tohuwabohu. Der Bund fördert, die Länder fördern, die EG-Kommission fördert. Keiner weiß so recht, was eigentlich wo gemacht wird. Man arbeitet zum Teil sogar gegeneinander. Zunächst bräuchten wir also ein Konzept für die Mittelstandspolitik, das mehr Rationalität zum Inhalt hat, das dafür sorgt, daß endlich eine geschlossene, in sich kongruente Politik für diesen Bereich betrieben wird.
Eine abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren, zum Kapitel „Einführung einer EG-Fusionskontrolle"; Herr Wissmann hat auch etwas dazu gesagt. Hier versucht Ihr Haus, Herr Bundeswirtschaftsminister, offenbar krampfhaft, seine schwache Interessenvertretung in Brüssel zu vertuschen. Bisher war sie sehr schwach. Das haben wir zumindest im Wirtschaftsausschuß gestern einvernehmlich festgestellt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Herr Bangemann ist nicht so schwach! Der will etwas anderes!)

Alles, was an Informationen zu diesem Thema aus Ihrem Hause gekommen ist, war — gelinde gesagt — geschönt. Ich sage Ihnen: Sie entpuppen sich immer mehr als ein Anti-Erhard, nicht etwa als ein neuer, sondern als ein Anti-Erhard.

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist unfair! — Der macht es im großen und ganzen gesehen nicht schlecht!)

Sie sind dabei, ordnungspolitische Grundsätze, die wir gemeinsam hochgehalten haben, zu zerstören.

(Gerstein [CDU/CSU]: Das geht nun wirklich zu weit!)

Zunächst haben Sie die Mammutfusion zwischen Daimler-Benz und MBB genehmigt. Das war eine gravierende Fehlentscheidung.

(Wissmann [CDU/CSU]: Mit Unterstützung von Wedemeier und Voscherau! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Und von Helmut Schmidt!)

Jetzt sind Ihr Haus und Sie offenbar bereit — Herr Schlecht ist ja auch da; ich habe seine Philippika gestern so verstanden —,

(Hinsken [CDU/CSU]: Die erste Garnitur ist zur Stelle, wenn Sie sprechen!)

durch die Einführung der europäischen Fusionskontrolle die deutsche Fusionskontrolle zu zerstören. In der Tat wird unsere Fusionskontrolle, die wir 1973 eingeführt haben, überflüssig, wenn Sie diese europäische Fusionskontrolle, die zur Zeit auf dem Tisch liegt, akzeptieren.

(Hinsken [CDU/CSU]: Herr Jens, wo ist denn Herr Roth?)

Nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen über die Einführung der EG-Fusionskontrolle ist keiner der drei Grundsätze, die wir im Wirtschaftsausschuß aufgestellt haben, erfüllt. Es gibt keine präventive, keine vorbeugende Fusionskontrolle, sondern im allgemeinen werden die Großfusionen vollzogen werden, um nachher kontrolliert zu werden — ein unmögliches Unterfangen! Es gibt keine Entscheidung nach rein wettbewerblichen Kriterien, wie sie dringend notwendig erscheint; im Gegenteil: Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe, die in der jetzigen Verordnung vorgesehen sind, lassen gewissermaßen jede Entscheidung der Kommission nach freiem Gutdünken zu. Die Kompetenzen werden eindeutig nach Brüssel verlagert, und das Berliner Kartellamt kann selbst dann nicht wirksam eingreifen, wenn auf deutschem Boden eine marktbeherrschende Stellung entstehen sollte.
Wenn wir uns nicht in die Tasche lügen, müssen wir sehen, daß es in Wirklichkeit so ist, daß die deutsche Fusionskontrolle am Ende kaputt ist. Diese Fusionskontrolle wurde 1973 von Sozialdemokraten und Liberalen eingeführt, und sie wird jetzt von der konservativen Regierung wieder abgeschafft. Ein Zweiklassenrecht bei der Fusionskontrolle kann es nämlich ein für allemal nicht geben. Es geht nicht an, daß etwa die Großfusionen in Brüssel leicht, oberflächlich, einfach geprüft und genehmigt werden und daß alle Zusammenschlüsse von kleinen und mittleren Unternehmen in Berlin nach einem strengen Fusionsrecht möglicherweise verboten werden. Nein, wenn Sie das machen, was Sie jetzt vorhaben, müssen Sie sofort eine nächste Novelle zum GWB einbringen, die vorsieht, die deutsche Fusionskontrolle abzuschaffen.

(Wissmann [CDU/CSU]: Haben Sie das mit Herrn Roth abgestimmt, Herr Jens? — Hinsken [CDU/CSU]: Der ist nicht da!)

Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Es gibt ja auch in anderen Bereichen so etwas wie ein Verfahren der zwei Geschwindigkeiten. Denken Sie einmal darüber nach! Am EWS sind auch nicht alle beteiligt. Warum wollen wir eigentlich nicht darauf pochen, daß unsere Fusionskontrolle für eine bestimmte Zeit erhalten bleibt und daß die schwache, die Sie jetzt in Brüssel ausgearbeitet haben, zunächst einmal für die eingeführt wird, die überhaupt noch keine Fusionskontrolle haben? Das wäre im Grunde ein sinnvoller Weg, finde ich wenigstens.
Es ist für mich purer Hohn, wenn Herr Wissmann behauptet und wenn überhaupt behauptet wird, mit der Novelle, die heute hier in erster Linie zur Diskussion steht, würde unsere Wettbewerbsordnung ausgebaut. Einzig und allein sinnvoll wäre es, die Beratungen in Brüssel abzuwarten und die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen heute zu vertagen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Ach Gott, ach Gott! So etwas hätte ich aus Ihrem Munde nicht erwartet!)

Wir Sozialdemokraten können deshalb der vorgesehenen Novellierung unsere Zustimmung nicht geben. Der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mangelt es an Übersicht, an Koordination und ordnungspolitischer Logik. Die ordnungspolitischen Fehler dieser Regierung häufen sich — MBB, Abschaffung der deutschen Fusionskontrolle — , und sie wer-
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Dr. Jens
den auch immer schlimmer. Wer jedoch wie die CDU/CSU seine Grundsätze — die Sie einmal so hochgehalten haben —

(Hinsken [CDU/CSU]: Die halten wir weiterhin hoch!)

über Bord wirft, der hat wirklich kein Recht, weiterhin an Bord zu bleiben.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118226100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1118226200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Jens, es ist schon ein bißchen putzig, daß sich gerade die Sozialdemokraten auf Walter Eukken berufen. Ich kann nur anregen, daß sie das auch weiterhin tun, aber dann auch in ihren Programmen.

(Zuruf von der FDP: Erst einmal lesen und verstehen!)

Dann werden sie sicherlich eine bessere Wirtschaftspolitik festschreiben,

(Wissmann [CDU/CSU]: Fortschritt '90!) als im „Fortschritt '90" bislang steht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Ich glaube, wir brauchen keine Belehrung von Ihnen, solange Sie solche Programme schreiben. Ich denke, daß wir liberale Wirtschaftspolitik besser vertreten können als Sie als Sozialdemokraten.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, mit der vorliegenden 5. Kartellnovelle kommt die Koalition ihrer Zusage nach, im Bereich des Handels Instrumente der Fusions- und Verhaltenskontrolle wirksamer zu gestalten. Gleichzeitig werden die bisherigen Ausnahmebereiche Verkehr, Banken, Versicherungen und Versorgungswirtschaft beseitigt. Außerdem wird es möglich gemacht, daß die Monopolkommission ihre Datenbasis verbessert.
Es ist eine ganz natürliche Angelegenheit, daß gerade das Kartellrecht ständigen Überprüfungen und damit Novellen unterliegt. Schließlich muß sich das Kartellgesetz den Marktverhältnissen anpassen. Es ist einmal zu Recht gesagt worden, daß das Kartellrecht das Grundgesetz der Marktwirtschaft darstellt. Es ist aber genauso richtig, daß die Marktteilnehmer immer mit großer Phantasie danach streben, Markt- und Mitwettbewerber auszuschalten. Diesen natürlichen Bestrebungen muß der Gesetzgeber entgegenwirken, um den Wettbewerb im Interesse der Verbraucher, aber auch im Interesse der Wirtschaft zu erhalten. Ich wage daher die Prognose, daß diese 5. Kartellnovelle nicht die letzte gewesen ist, sondern daß sich das Kartellrecht an zukünftige Entwicklungen anzupassen hat.
Ich sage dies auch bewußt im Hinblick auf die Bestrebungen, am 21. Dezember 1989 im Ministerrat eine europäische Fusionskontrolle zu beschließen.
Ich erinnere daran, daß es einer der drei Essentials der Bundesregierung ist, daß eine nationale Restkompetenz gegeben sein muß. Wir haben unser Kartellrecht wettbewerbsorientiert ausgestaltet. Hiermit sind wir auch immer gut gefahren, und zwar sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher. Industriepolitische Erwägungen haben in der Vergangenheit mit wenigen Ausnahmen, Herr Minister, die dann auch publizistisch natürlich mit großem Getöse begleitet wurden — wir haben das vor kurzem gerade bei den Sozialdemokraten in diesem Hause erlebt; in Hamburg und Bremen ist das wieder ganz anders gewesen — , kaum eine Rolle gespielt.

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Die Bundesregierung sollte daher gegenüber der Kommission und im Ministerrat an ihren im Kabinett beschlossenen Grundsätzen festhalten. Insbesondere sollte sie die wettbewerbspolitische Komponente bei der europäischen Fusionskontrolle sowie eine klare Regelung hinsichtlich der Restkompetenzen für die Fusionskontrolle sowie eine wirksame Prävention für Fusionen fordern. Ein Scheitern der Verhandlungen am 21. Dezember sollte und darf nicht ausgeschlossen werden, dann nämlich, wenn die Essentials der Bundesregierung, wie wir sie im übrigen auch gemeinsam im Wirtschaftsausschuß festgelegt haben, nicht durchgesetzt werden können.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir Liberalen begrüßen die vorliegende Kartellnovelle, die — was nicht immer selbstverständlich ist — gründlich in den Ausschüssen beraten worden ist.

(Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Herr Kollege Wissmann hat ja an die dreijährigen Beratungen erinnert. Darüber hinaus ist eine intensive Anhörung erfolgt, bei der die Wissenschaft und die interessierten Verbände gehört wurden.
Wir wissen auch auf Grund weiterer Eingaben, daß nicht jedermann mit dieser Kartellnovelle zufrieden ist. Zu unterschiedlich sind nun einmal die Interessen. Aber auch hier sage ich, daß wir bereit sind, diese Kartellnovelle erneut zu überdenken, wenn sich herausstellen sollte, daß einzelne Bestimmungen nicht praktikabel sind oder sich der angestrebte Zweck nicht umsetzen läßt.

(Zuruf von der SPD: Das ist lobenswert!)

— Das ist nicht nur lobenswert, sondern ein Gebot der Vernunft.
Das gleiche gilt für die Aufgabe der Ausnahmeregelungen, wenn sich dort herausstellen sollte, daß z. B. internationale Wettbewerbsnachteile entstehen. Wir machen Gesetze nicht gegen den Markt, sondern für den Markt. Wenn Nachteile entstehen, müssen sie nachgewiesen werden; und dann werden solche Überlegungen in die nächste Kartellnovelle Eingang finden.
Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt für diese Kartellnovelle sind zweifelsohne die Wettbewerbsprobleme im Handel gewesen. Diese Kartellnovelle soll dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit dienen. Der Wettbewerb ist so weit wie möglich durch-
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Funke
zusetzen. Der Staat gewährleistet den dynamischen Leistungswettbewerb.
Im Hinblick auf den Handel sieht der Gesetzentwurf vor allen Dingen folgende Änderungen vor: erstens eine bessere Erfassung der Nachfragemacht insbesondere bei der Fusionskontrolle durch Erweiterung der im Gesetz genannten Kriterien, die bei der Feststellung einer überragenden Marktstellung zu berücksichtigen sind,

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist gut so!)

um zusätzliche nachfragebezogene Elemente im § 22 Abs. 1 Nr. 2 wie z. B. die Umstellungsfähigkeit und die Ausweichmöglichkeiten. Dabei halten wir an dem bislang bewährten System des Kartellrechts fest, nehmen also keine sektorspezifische Regelung für den Handelsbereich vor.
Zweitens: Eine wirksamere Gestaltung der Vorschrift gegen unbillige Behinderung kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht ist ein ganz entscheidender Punkt dieser Kartellnovelle.

(Zustimmung des Abg. Hinsken [CDU/CSU])

Die Vorschrift des § 26 Abs. 4 wird als Verbotsnorm ausgestaltet und schafft zivilrechtliche Klagemöglichkeiten. Herr Wissmann hat darauf hingewiesen, daß dieses Damoklesschwert für die starken Unternehmen am Markt nun da ist. Das kann echt ins Geld gehen, wenn Mißbrauch ausgeübt wird.

(Hinsken [CDU/CSU]: Und es war oft der Fall, daß Mißbrauch getrieben wurde!)

In § 26 Abs. 5 ist eine Beweiserleichterung — ich sage bewußt „Beweiserleichterung", weil es ja keine Beweislastumkehr ist — durch die Kodifizierung der Grundsätze für den Anscheinsbeweis vorgenommen worden. Mit anderen Worten, diese Beweiserleichterung begründet eine Aufklärungspflicht für in Anspruch genommene Unternehmen, wenn der Anschein besteht oder entsteht, daß die Marktmacht ausgenutzt wurde und dem betroffenen Wettbewerber eine Aufklärung nicht möglich ist, was allzu häufig vorkommt. Ziel dieser Bestimmung ist der Schutz des Leistungswettbewerbs gegen aggressive Preisstrategien von Großunternehmen, z. B. durch systematische Verkäufe unter Einstandspreis. Andererseits ist von einem generellen Verbot des Verkaufs unter Einkaufspreis Abstand genommen worden.
Drittens. In § 26 Abs. 2 Satz 2 ist für relativ marktstarke Unternehmen eine Einschränkung des Diskriminierungsverbots insbesondere im Hinblick auf die Belieferungspflicht vorgenommen worden. Schließlich haben sich auch dort die Marktrealitäten verändert. Große Unternehmen brauchen relativ marktstarken Unternehmen gegenüber den Schutz des Diskriminierungsverbots nicht, da preisaktive Großunternehmen auf den immer größer werdenden EG- und sogar Weltmärkten hinreichend Ausweichmöglichkeiten haben. Es besteht also keine Gefahr von Preisbindungsersatzstrategien und Preissteigerungen zu Lasten des Verbrauchers.

(Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Viertens. Da durch die Koalitionsfraktionen die Einkaufskooperationen positiv beurteilt werden und wir uns bewußt sind, daß ohne gemeinsamen Einkauf häufig kleine und mittlere Unternehmen keine Überlebenschance haben, ist in § 5 c ein Freistellungstatbestand für Einkaufskooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen vorgesehen worden, wenn hierdurch deren Wettbewerbsfähigkeit verbessert wird. Das Freistellungsverfahren — darauf hat auch der Kollege Wissmann ausführlich hingewiesen — ist unbürokratisch geregelt.
Die Änderungen in den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen für die Sektoren Verkehr, Banken, Versicherung und Versorgungswirtschaft sind u. a. auch bedingt durch die extensive Anwendungspraxis der Wettbewerbsregeln durch den EuGH. Wir werden hier darauf achten müssen, daß durch die Änderungen keine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsbedingungen dieser Dienstleistungsbereiche eintritt. Dies gilt insbesondere für den Bereich Seeschiffahrt und für den Bereich der Banken.
Wir begrüßen, daß die Monopolkommission durch § 24 c einen vernünftigen Datenkranz erhält, um für die Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration bessere Grundlagen zu haben. Mit dem Gesetz ist aber auch sichergestellt, daß die so erlangten Daten dem erforderlichen Schutz unterliegen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß das Kartellrecht im Bereich des Handels behutsam fortentwickelt worden ist und sich die neuen Vorschriften im bisherigen Bewertungsrahmen halten. Es bleibt beim primären Schutz der Wettbewerbsfreiheit. Das Kartellrecht ist sicherlich ein Beitrag zur Sicherung des dynamischen Leistungswettbewerbs. Dies ist die Aufgabe des Kartellrechts. Mehr kann es nicht und soll es auch nicht leisten. Eine Schutzzaunpolitik zugunsten bestimmter Wirtschaftsbereiche und Unternehmensgruppen ist nicht die Aufgabe des Kartellrechts.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dieses Recht muß jetzt angewandt und beobachtet werden. Die nächste Novelle wird als Mittelpunkt die Angleichung an das EG-Kartellrecht haben. Mit anderen Worten: Die Arbeit an der nächsten Novelle könnte alsbald beginnen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118226300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.

Hannelore Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118226400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unternehmenslandschaft in der Bundesrepublik war in der Vergangenheit bereits durch eine von Jahr zu Jahr steigende Anzahl von Unternehmenszusammenschlüssen gekennzeichnet. Mit 1 159 Zusammenschlüssen von Unternehmen ist 1988 in der Bundesrepublik eine Rekordmarke erreicht worden. Mehrheitlich handelt es sich dabei eben nicht um eine Verbindung mehr oder minder gleichstarker kleinerer Unternehmen, sondern um den Zukauf von kleinen und mittleren Unternehmen durch große Konzerne mit einem Umsatz von mehr als
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14081
Frau Saibold
2 Milliarden DM. Herr Wissmann hat das ja auch angesprochen.
Eine besonders aktive Rolle spielen dabei die Spitzenunternehmen. Die 100 größten Gesellschaften waren 1986/87 an 539 der 1 986 Zusammenschlüsse, d. h. also an fast einem Drittel der angezeigten Fusionen beteiligt. Ganze Industriezweige werden von einigen wenigen Großunternehmen beherrscht.
Besonders eklatant ist die Entwicklung im Handel. Nur zehn Unternehmen beherrschen fast den gesamten Lebensmittelhandel.
Die Novellierung kommt viel zu spät. Es ist praktisch schon alles gelaufen. Das gesamte marktwirtschaftliche System wird immer weiter ausgehöhlt und letztlich ad absurdum geführt.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, kann man wirklich von Systemveränderung sprechen, bloß — das ist ja das Pikante daran — handelt es sich dabei nicht um einen politischen Angriff von den vielgescholtenen linken Systemveränderern, sondern um einen aus diesem Wirtschaftssystem sich selbst ergebenden Zerstörungsprozeß. Beim Menschen nennt man so etwas Krebs. Die Bundesregierung bekämpft ihn aber nicht, sondern bestärkt und ¡fördert diesen Prozeß. Die wirklichen Systemveränderer sitzen auf der Regierungsbank und in den Vorstandsetagen von Banken und Großunternehmen, nicht auf den Oppositionsbänken.

(Beifall bei den GRÜNEN — Hinsken [CDU/CSU]: Das ist billig!)

Die zwischenzeitlich vollzogene Fusion von Daimler und MBB sowie die geplante Übernahme der bundeseigenen Salzgitter AG durch den Preussag-Konzern haben zu kritischen Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt. Es werden verstärkt Fragen nach der Notwendigkeit und den wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und politischen Folgen zunehmender Unternehmensgröße und der Ballung privater Wirtschaftsmacht gestellt. Das Gewicht einzelner Konzerne, ihre Arbeitsplätze und die Steuerzahlungen für Städte und Gemeinden, zum Teil sogar für einzelne Bundesländer, schaffen Abhängigkeiten bis hin zur Erpreßbarkeit.
Eine bedeutende Rolle spielt auch die Frage der Konzentration im Bankensektor und der Bankenmacht. Die Gewinne konzentrieren sich immer mehr bei den drei großen Banken. Ihr Anteil an den Jahresüberschüssen aller Kreditbanken, der 1981 noch bei gut einem Drittel gelegen hatte, stieg bis 1988 auf über die Hälfte. Während die Gewinne der drei Großbanken um 42 % stiegen, wuchsen die Gewinne der restlichen 304 Kreditbanken nur um 1,2 %. Diese Gewinnkonzentration ist weder durch das Kreditgeschäft noch durch das Geschäftsvolumen insgesamt zu erklären.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Seit wann ist das Ihre Sorge?)

Sie ist Ausdruck von Machtpositionen, die die Großbanken auf Grund von Unternehmungsbesitz, Kontrolleinflüssen in Aufsichtsräten sowie durch das Depotstimmrecht ausüben. Durch diese Verflechtungen der Banken mit Industrie und Handel können die
Großbanken heute in erheblichem Maße, ohne dafür von irgend jemand legitimiert zu sein, Industrie- und Strukturpolitik betreiben.
Nicht nur die Vorgänge um den Daimler-MBB-Konzern, sondern auch bei Feldmühle-Nobel-AG beweisen dies deutlich. Entgegen den Aussagen der Konsortialbanken unter Führung der Deutschen Bank, für eine breite Streuung der Feldmühle-Nobel-Aktien zu sorgen, erfolgte schon nach kurzer Zeit eine Rekonzentration und eine Eingliederung in die VEBA.
Die Zweifel wachsen, ob das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt einen ausreichenden Schutz gegen das Entstehen und mißbräuchliche Ausnutzen privater Wirtschaftsmacht bietet. Aber selbst dieser unzureichende Schutz droht wegzufallen, wenn es zu Kompetenzverlagerungen an die EGKommission kommt. Das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen im EG-Ministerrat ist genauso ausgefallen, wie man es nach der Genehmigung des DaimlerMBB-Zusammenschlusses durch Minister Haussmann erwarten konnte. Ich habe manchmal den Eindruck, Herr Haussmann, daß Ihnen die Regelungen, die jetzt in der EG-Kommission vorliegen, insgeheim gar nicht so ungelegen kommen.
Tatsache ist: Wenn die EG-Fusionskontrolle in der vorliegenden Fassung am 21. Dezember verabschiedet wird, werden EG-weite Unternehmenszusammenschlüsse in nahezu jeder Größenordnung möglich sein. Wolfgang Kartte, Präsident des Bundeskartellamts, findet hierfür eindeutige Worte. Ich zitiere:
Wozu haben wir die Fürsten abgeschafft, wenn wir uns jetzt — in Europa — einer neuen Aristokratie von Unternehmensführern ausliefern sollen?
Und weiter:
Wer wird die Multis kontrollieren, wer kann sie abwählen?
Das sind Fragen, auf die Sie natürlich keine Antwort geben.

(Frau Dr. Skarpelis-Sperk [SPD]: Sehr wahr!)

Vor diesem Hintergrund haben die GRÜNEN zwei Anträge eingebracht. Auf EG-Ebene soll danach die Gesetzgebungs- und Entscheidungskompetenz vorrangig bei den jeweiligen Mitgliedsländern verbleiben. Die EG-Behörde soll sich mit Großfusionen nur befassen, soweit die fusionierenden Unternehmen mindestens einen Umsatz von 10 Milliarden ECU auf sich vereinigen. Die Entscheidungskompetenz des Bundeskartellamts bleibt damit für die meisten Fusionen erhalten.
Unternehmenszusammenschlüsse sind zu untersagen, wenn sie EG-weit zu einem Marktanteil von über 5 % führen. Zum Schutz der wirtschaftlich kleineren Mitgliedsländer wird eine Quotierungsregel eingeführt, die jedem Mitgliedsland bestimmte Marktanteile sichert.
Auf nationaler Ebene verlangen wir eine deutliche Herabsetzung der Marktanteile, ab denen Marktbeherrschung vermutet wird. Marktbeherrschung soll bei einem Unternehmen bereits bei einem Marktanteil von 25 % statt bisher 33 % vermutet werden, bei
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Frau Saibold
einem bis drei Unternehmen bei 33 % statt bisher bei 50 % und bei einem bis fünf Unternehmen bei 50 % statt wie bisher bei 66 %.
Um die rasante Konzentration im Handel zu stoppen und um den wesensgemäßen Unterschieden zwischen Industrie und Handel gerecht zu werden, sollen im Handelsbereich die Grenzen für die Vermutung einer Marktbeherrschung noch drastischer gesenkt werden. Wenn ein Unternehmen über mehr als 5 %, ein bis drei Unternehmen über mehr als 12 % oder ein bis fünf Unternehmen über mehr als 20 % Marktanteil verfügen, soll dies der unwiderlegbare Beweis für Marktbeherrschung sein. Nur auf diese Weise wird der Nachfragemacht des Handels wirksam begegnet werden können. Damit wird auch gleichzeitig der Tatsache Rechnung getragen, daß der Handel im Vergleich zum Hersteller eine wesentlich höhere Flexibilität in der Umstellung seines Produktangebots aufweist.
Einmal abgesehen von den wettbewerbspolitischen Aspekten bergen Zentralisierung und Konzentration im Handel erhebliche Probleme für die Verbraucherschaft, aber auch für die Umwelt. Zentralisierte Großstrukturen im Handel machen Produktstandardisierung auf der landwirtschaftlichen Erzeugerebene notwendig. Produktstandardisierung z. B. im Hinblick auf Größe, Farbe, Maserung und Verarbeitbarkeit sind aber nur mit einem massiven Einsatz von Agrochemikalien erreichbar, deren vielfältige schädliche Auswirkungen auch auf die Umwelt selbst Ihnen hinlänglich bekannt sein sollten.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Aber das ist ihnen egal!)

Des weiteren fördern Zentralisierung und Konzentration im Handel den Trend zu verarbeitungs- und handelsfreundlichen Nahrungsmitteln. Das heißt also, ernährungsphysiologische Qualitätskriterien treten in den Hintergrund gegenüber Aspekten wie Haltbarkeit, Absetzbarkeit und Transportfähigkeit. Mithin ist der Lebensmittelbereich ein Wirtschaftssektor, in dem sich ein direkter negativer Zusammenhang zwischen Unternehmenskonzentration und Produktqualität sowie Umweltbeeinträchtigungen nachweisen läßt.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Das kapieren sie nicht!)

Wer diese Zusammenhänge nicht sieht und berücksichtigt, wie es z. B. bei Herrn Wissmann vorhin der Fall war, zeigt, daß er nicht fähig ist, eine zukunftsträchtige Politik zu gestalten.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Skarpelis-Sperk [SPD]: Der muß jetzt ratschen!)

— Für neue Ideen ist man natürlich bei der CDU/CSU meist nicht empfänglich.

(Dr. Voigt [Northeim] [CDU/CSU]: „Meist" haben Sie gesagt!)

— Es gibt Unterschiede.
Meine Damen und Herren, einer der zentralen Punkte, um die es bei der Neuregelung geht, ist die Frage nach dem Verhältnis von Wettbewerbs- und Industriepolitik. Soll und darf der Staat in bestehende Märkte intervenieren? Soll und darf der Staat unternehmerische Entscheidungen korrigieren, wo diese nicht im Einklang mit den politischen Vorgaben stehen?
Herr Haussmann, Sie haben dazu erklärt, Ordnungspolitik heißt für Sie in erster Linie, marktwirtschaftliches Bekenntnis und tagespolitisches Tun in Einklang zu bringen.

(Widerspruch des Bundesministers Dr. Haussmann)

— Wissen Sie das gar nicht mehr?
Doch wer will den öffentlichen Lippenbekenntnissen zur Marktwirtschaft eigentlich noch glauben, wenn sich die Bundesregierung wie im Fall des schon oft zitierten Daimler-MBB-Konzerns als Konzernschmied betätigt? Mit einer Vielzahl von Scheinargumenten, die man schon gar nicht mehr hören kann, wird versucht, diese staatskapitalistische Veranstaltung zu rechtfertigen. Was im Osten gerade abgeschafft wird, wird bei uns hier eingeführt.

(Hinsken [CDU/CSU]: Gibt es denn im Osten überhaupt einen Privatbesitz in dieser Größenordnung?)

— Die Wahrheit wollen Sie wohl wieder nicht hören.
Wir meinen, daß es darauf ankommt, Wettbewerbs-und Industriepolitik zu verzahnen. Marktwirtschaftliche Instrumente haben ihre volle Berechtigung, solange sie sich zur Lösung der wichtigsten Zukunftsfragen eignen. Das sind heute zweifelsohne die ökologischen Probleme.
Denn in den Industrieländern geht es doch nicht mehr darum, Menschen mit kurzfristigen Konsumgütern zu versorgen und die Haushalte mit Pkws, Fernsehern, Waschmaschinen und anderen Gütern weiterhin vollzustopfen. Gerade im Bereich des Konsums ist es überdeutlich, daß die Grenzen dessen, was vernünftig und verantwortbar ist, längst erreicht sind.
Was wir brauchen, ist eine Konzeption für den 3. Weg in der Wirtschaftspolitik, d. h. eine staatliche Rahmenplanung, in die das Wettbewerbssystem integriert ist.
Eine solche Politik, die wirklich Wert auf Wettbewerb legt, aber auch andere Auswirkungen, z. B. im sozialen und im ökologischen Bereich, berücksichtigt, muß den Mut aufbringen, Großunternehmen zu entflechten.
Dies gilt insbesondere dort, wo Marktmacht offensichtlich mißbraucht wird. Die Politik müßte solche für Wirtschaft und Gesellschaft fatalen Auswüchse korrigieren. Das Gegenteil ist aber bei dieser Regierung der Fall.
Eine generelle Verschärfung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften und gezielte industriepolitische Eingriffe sind jedoch notwendig, um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft durchzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist dringend erforderlich, wenn wir in der Zukunft weiterhin bestehen wollen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14083
Frau Saibold Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD — Frau Teubner [GRÜNE]: Eine kluge Rede!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118226500
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1118226600
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider sind wir in der Tagesordnung etwas nach hinten gerückt. Es wäre eigentlich gut, wenn wir für diese zentralen wettbewerbs- und ordnungspolitischen Themen einmal mehr Zeit vor größerem Publikum hätten.

(Hinsken [CDU/CSU]: Das ist richtig, Herr Minister!)

Das ist eine komische Debatte. Wir erleben ja in diesen Wochen, daß von vielen Ländern in Osteuropa, bei Verhandlungen in der OECD und bei Gesprächen in den USA oder Japan die Bundesrepublik Deutschland als eine der führenden marktwirtschaftlichen Nationen beteiligt wird.

(Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Wachstum an Arbeitsplätzen, Beschäftigung und Umsatz hat in der Bundesrepublik vor allem in kleinen und mittleren Betrieben stattgefunden. Natürlich verkenne ich nicht, daß es einzelne Märkte gibt, wo Konzentration zunimmt. Aber in einer Welt, wo Forschung und Entwicklung immer intensiver werden und die Globalisierung der Märkte zunimmt, ist es dringend erforderlich, daß wir auch unser Wettbewerbsdenken zunehmend internationalisieren. Die Ordnungspolitik braucht eine europäische Dimension, wenn wir in der internationalen Diskussion weiter Geltung behalten wollen.
Deshalb bleibt es dabei: Wettbewerb ist die Grundlage unserer Ordnung. Er ist die Grundlage für die überlegene Wirtschaftskraft und damit für unsere finanziellen Möglichkeiten zu einer Verbesserung der Sozialpolitik und der Umweltpolitik.
Dort, wo Wettbewerb fehlt, zeigt sich sehr schnell, daß die finanziellen Möglichkeiten für eine gerechte Sozialpolitik und eine fortschrittliche Umweltpolitik nicht vorhanden sind.
Mit dem Kartellrecht garantiert unser Staat die Funktionsfähigkeit dieses überlegenen Wirtschaftssystems. Dabei darf und muß die zunehmende Bedeutung der europäischen und der internationalen Wettbewerbspolitik nicht außer acht gelassen werden. Sie ergibt sich zwangsläufig aus dem von uns auch politisch gewollten fortschreitenden Zusammenwachsen der Märkte. Wir müssen heute europäische Antworten geben. Das heißt, eine unter rein nationalem Blickwinkel geführte ordnungspolitische Diskussion reicht nicht mehr hin.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung den Entwurf einer fünften Kartellgesetznovelle vorgelegt. Ich würdige ausdrücklich, daß dabei die Unionsfraktion, insbesonders Sie, Herr Kollege Wissmann, eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat.

(Dr. Jens [SPD]: Aber keine positive!)

Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung packen sowohl die Unionsparteien als auch die FDP vor allem die Wettbewerbsprobleme im Handel an. Diese Novelle ist keine Gefälligkeitsreform für den Handel, sondern eine aus unserer Sicht vernünftige Vorsorge gegen eine denkbare und leider zu befürchtende weitere Gefährdung des Wettbewerbs im Handelsbereich.
In Zukunft wird es dem Kartellamt leichter fallen, unter dem Gesichtspunkt der Nachfragemacht gegen weitere Machtzusammenballung in der Spitzengruppe des Lebensmittelhandels vorzugehen.

(Dr. Jens [SPD]: Das glauben Sie selbst nicht!)

Wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen können in Zukunft wirksamer bekämpft werden. Das nützt kleinen und mittleren Unternehmen, wenn sie sich den Verdrängungsstrategien von Branchenriesen ausgesetzt sehen.
Die 5. GWB-Novelle stärkt die Dynamik des Wettbewerbs. Ich betone: Trotz einiger Unkenrufe aus dem Kreis der Verbände dämpft, meine verehrten Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, auch der neue § 26 Abs. 5 die Intensität des Wettbewerbs nicht. Mit dieser Vorschrift wird die bestehende Rechtsprechung über Beweiserleichterungen in eine gesetzliche Form gegossen. Im Kern stellt der neue § 26 Abs. 5 klar, daß die Grundsätze über den Anscheinsbeweis auch in einem Zivilprozeß wegen unbilliger Behinderung zur Anwendung kommen. Eine Beweislastumkehr ist damit nicht verbunden. Wie nach der bisherigen Rechtsprechung enden Beweislasterleichterungen zugunsten des Klägers dort, wo dem Beklagten eine Aufklärung nicht zumutbar ist. Damit bleibt der grundsätzliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen unangetastet, und der wettbewerbspolitisch wichtige Geheimwettbewerb bleibt gewahrt.
Ich gebe zu: Vor überzogenen Erwartungen an die 5. GWB-Novelle muß gewarnt werden. Ich sage ganz offen: Wir sind durch das Wettbewerbsrecht nicht in der Lage, einen Schutzzaun zu bauen, der das Ausscheiden solcher Betriebe verhindert, deren Größe und Umsatz bei den heutigen Verbrauchererwartungen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ziel des Wettbewerbsrechts kann es nicht sein — das ist wiederholt gesagt worden — , ganz bestimmte Strukturen zu konservieren. Hier stimme ich mit Herrn Jens und Herrn Wissmann überein.
Ich habe immer wieder darauf hingewiesen: Für den Markterfolg mittelständischer Unternehmen sind neben dem Kartellrecht natürlich eine ganze Anzahl anderer Faktoren von großer Bedeutung. Mit ihrer konsequenten Neuorientierung der Wirtschaftspolitik an marktwirtschaftlichen Grundsätzen, der leistungsfördernden Ausgestaltung staatlicher Regelungen von der Steuergesetzgebung bis hin zu Fördermaßnahmen schafft die Bundesregierung Voraussetzungen, damit
14084 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Bundesminister Dr. Haussmann
sich mittelständische Betriebe besser als bisher entfalten können.
Meine Damen und Herren, sicher wäre manche tarifpolitische Diskussion, manche Arbeitszeitdiskussion im Hinblick auf ihre Rückwirkung auf die Konzentration im Handel hier vertieft zu führen. Mein heutiges Gespräch mit der Monopolkommission hat gezeigt, daß sich diese in Zukunft vertieft mit den grundlegenden Ursachen der Konzentration beschäftigen wird. Wir werden einige wichtige Konzentrationsursachen in der Sozialpolitik, in der Tarifpolitik und in der Arbeitszeitpolitik finden.
Der zweite wichtige Schwerpunkt dieser Novelle sind wettbewerbliche Auflockerungen in Ausnahmebereichen: Banken und Versicherungen, Verkehr und Energieversorgung. Ich empfinde es als wettbewerbspolitisch ermutigend — ich möchte mich dafür bei den Kollegen bedanken —, daß in den Ausschüssen des Bundestages kein Versuch unternommen wurde, hier etwas zu verwässern. Ich hoffe, daß sich der Bundesrat beim zweiten Durchgang nicht anders verhält und insbesondere seine Zurückhaltung im Bereich von Strom und Gas aufgibt. Damit könnte auch in der Versorgungswirtschaft wenigstens eine kleine Bresche für mehr wettbewerbliche Dynamik geschlagen werden.
Meine Damen und Herren, mit Blick auf Europa sind Auflockerungen in den Ausnahmebereichen angezeigt, genauso wie die Klarstellung der Befugnisse unseres Kartellamtes in EG-Sachen. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, aus meiner Sicht etwas zum Thema der europäischen Wettbewerbspolitik zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich stehe bei den Verhandlungen nicht unter Zeitdruck. 16 Jahre ist versucht worden, eine europäische Fusionskontrolle zu verwirklichen. Ich habe mich von Beginn meiner Amtszeit an persönlich in die Verhandlungen in Brüssel eingeschaltet. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen: Ich würde mich freuen, wenn mehr Kollegen aus den nationalen Parlamenten eine Möglichkeit hätten, sich an solchen europäischen Abstimmungsgesprächen zu beteiligen. Mancher Sozialdemokrat, sogar mancher Christdemokrat, sollte deshalb verstärkt das Gespräch mit anderen Regierungen suchen, mit sozialdemokratischen, sozialistischen oder manchmal auch christdemokratischen Industrieministern in Italien, Frankreich oder anderen Ländern. Wir müssen hier europäischer denken.

(Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Natürlich kann ich im nationalen Bereich Absolutheitsforderungen aufstellen. Aber wir wollen aus deutscher Sicht etwas im europäischen Rahmen verändern. Wir wollen aus deutscher Sicht eben nicht, daß es beim jetzigen Rechtszustand in Brüssel bleibt, daß die Kommission allein nach Art. 85, 86 weiter agieren kann.
Ich als deutscher Wirtschaftsminister will nicht, daß sich mittlere Unternehmen in Italien, England, Frankreich verstärkt betätigen, während gleichzeitig ohne europäische Fusionskontrolle die Vermachtung dieser Märkte ständig vorangeht. Das ist die Ausgangssituation, verehrte Kollegen. Vor diesem Hintergrund will ich vor diesen wichtigen Entscheidungen noch einmal folgendes festhalten:
Bei den Verhandlungen im Binnenmarktrat, zuletzt am 23. November, konnte ich zusammen mit Herrn Schlecht wichtige deutsche Wettbewerbsinteressen gegenüber dem bisherigen Zustand durchsetzen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Na, na, na!)

— Die Belehrung von GRÜNEN und Sozialdemokraten in Sachen Ordnungspolitik ist zumindest wirtschaftshistorisch eine wichtige Erfahrung für mich, aber ich nehme das mit, ich nehme das sehr ernst.

(Wissmann [CDU/CSU]: Und eine neue Erfahrung!)

Ein ganz wichtiges Ergebnis ist, daß der Eingriffstatbestand für Fusionsuntersagungen in der EG die Marktbeherrschung sein wird. Frau Saibold, wir haben dafür gesorgt, daß die quantitative Schwelle bei 10 Milliarden DM liegt. Das war eine ganz erbitterte Diskussion. Und darunter wird weiter nach nationalem Kartellrecht verfahren.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Für vier Jahre!)

Ich werde auch in der Öffentlichkeit sehr deutlich machen: Die „Zweiklassendiskussion" ist in diesem Punkt keine faire Diskussion. Wir haben für eine sehr, sehr hohe Aufgreifschwelle gesorgt. Das halte ich für eine wichtigen Erfolg der deutschen Verhandlungsführung. Die industriepolitisch interpretierbaren Wertungsgründe des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts müssen klar wettbewerblich eingebunden sein.
Außerdem, Herr Jens, konnte für die europäische Fusionskontrolle wenigstens der Einstieg, schwierig genug, aber wenigstens der Einstieg in die Prävention durchgesetzt werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Jens [SPD])

— Ja, das heißt, Fusionen dürfen nicht vor Anmeldung und erster Prüfung vollzogen werden.
Für die nächste Ministerratssitzung am 21. Dezember ist es ganz wichtig, die entscheidende Frage der nationalen Restkompetenz weiter in unserem Sinne zu klären. Der Kompromiß zur europäischen Fusionskontrolle muß das deutsche Interesse anerkennen,

(Frau Saibold [GRÜNE]: Anerkennen, aber anders entscheiden!)

auf nationalen Märkten in der Bundesrepublik marktbeherrschende Stellungen zu verhindern. Das ist eine sehr schwierige Sache, weil eine Großzahl von EGMitgliedsländern keinerlei nationale Fusionskontrolle kennt und daher diese Forderung der Deutschen kategorisch als nationalistisch ablehnt. — Ich gebe hier nur einmal die Diskussion wieder.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118226700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jens?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1118226800
Im Interesse der nachfolgenden Redner, nein. Ich pflege
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14085
Dr. Haussmann
das Gespräch im Ausschuß. Ich bitte um Verständnis. Ich möchte zu Ende kommen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Wenn er mal da ist! — Dr. Jens [SPD]: Sie waren voriges Mal nicht im Ausschuß!)

— Tut mir leid.

(Dr. Jens [SPD]: Uns auch!)

— Sie kennen den Grund, der ein sehr trauriger Grund war.
Ich sehe daher noch in diesem Jahr die Chance, einen aus unserer Sicht zufriedenstellenden Kompromiß zu erzielen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Also doch Zeitdruck!)

Dabei werde ich mich, auch entsprechend der jüngsten Beratung im Wirtschaftsausschuß, bemühen, daß unsere essentiellen Punkte in der Substanz gewahrt bleiben. Aber aus langen Erfahrungen mit der EG wissen wir, daß alle Verhandlungspartner aufeinander zugehen müssen, wenn eine Einigung erzielt werden soll.
Dabei wird für unsere abschließende Bewertung von besonderer Bedeutung sein, daß bei einem Scheitern der Fusionskontrollverordnung auf absehbare Zeit jede Chance vertan sein wird, den Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt wirksam vor wettbewerbsschädlicher Konfrontation zu schützen.
Meine Damen und Herren, das heißt, daß alle Forderungen, die dazu führen, daß die Fusionskontrolle scheitert, bedeuten — das ist die politische Realität —, daß der Binnenmarkt ohne europäische Fusionskontrolle vollendet wird. Vor 1993 gibt es keine Chance. Alle Länder haben angekündigt: entweder einen Kompromiß unter französischer Präsidentschaft oder ein Zurückfallen in die alten nationalen Positionen. Damit ist das Thema Fusionskontrolle bis zur Vollendung des Binnenmarktes abgeschlossen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Also stehen Sie doch unter Zeitdruck!)

Das sollte man vorher wissen. Ich schließe ja ein Scheitern nicht aus. Aber ich fühle mich verpflichtet, dem nationalen Parlament vorher die langfristigen Konsequenzen vorzulegen.
Meine Damen und Herren, nach den Wandlungen in den osteuropäischen Staaten wird auch in diesen Ländern die Marktwirtschaft zunehmend ihre Chance erhalten. Wenn der Deutsche Bundestag der fünften Kartellgesetznovelle zustimmt, dann kommen wir hier wieder ein sicherlich kleines, aber wichtiges Stück in Richtung Marktwirtschaft voran. Ich bitte daher um Zustimmung zu dieser Novelle.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118226900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pinger.

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1118227000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft, daß sich alle Unternehmen einem harten Ausleseprozeß im Ringen um die bessere Leistung stellen müssen. Es kann für kleine und mittlere Unternehmen nichts anderes als für große Konkurrenten gelten. Skandalös aber ist es, wenn diese mittelständischen Unternehmen einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sind, in dem Großunternehmen allein auf Grund ihrer Finanzkraft und ihrer Marktmacht mit leistungswidrigen Praktiken relativ kleinere Unternehmen vom Markt verdrängen. Zu keiner Zeit in der Wirtschaftsgeschichte und in keinem Land der westlichen Wirtschaftsnationen — so stellte Professor Harms fest — war es möglich, so wie heute in der Bundesrepublik Marktmacht einzusetzen, um allein durch sie und unter Verletzung des Leistungswettbewerbs mittelständische Betriebe an die Wand zu drücken. Unter zehn von ihm untersuchten Wirtschaftsnationen gibt es in den USA die besten Regeln zur Sicherung des Leistungswettbewerbs. Am anderen Ende der Skala, nämlich da, wo Verstöße auf Grund eines übertriebenen liberalistischen Systems am leichtesten möglich sind, steht heute noch die Bundesrepublik.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Gegen diesen unerträglichen Zustand versucht die fünfte Kartellnovelle vorzugehen. Durch die Beschränkung der Belieferungspflicht in § 26 Abs. 2 Satz 2 auf abhängige kleine und mittlere Unternehmen erhalten nicht marktbeherrschende Hersteller wieder eine größere Freiheit in der Entscheidung über ihre Vertriebswege. Damit wird sichergestellt, daß Markenartikelproduzenten nicht wie bisher wehrlos zusehen müssen, wie große Handelsunternehmen ihre Markenwaren als Lockmittel verramschen.
Die Neuregelung eröffnet auch die Möglichkeit, den Vertrieb auf den beratungsqualifizierten Fachhandel zu beschränken. Dadurch wird ausgeschlossen, daß der Verbraucher sich in mittelständischen Fachgeschäften qualifiziert beraten läßt, dann aber in erheblich billigeren Großdiscountern einkauft.
Ich komme zu § 26 Abs. 4. Die neue Verbotsnorm ist eine der zentralen Regelungen der fünften GWB-Novelle, nicht etwa weil ihr Ansatz so neu wäre. Die hier bestehende Schutzlücke wollte der Deutsche Bundestag bereits im Rahmen der vierten GWB-Novelle mit gleicher Zielrichtung durch § 37 a Abs. 3 schließen. Dieser Paragraph wird inzwischen allgemein als völlig verfehlt angesehen. Ein Wissenschaftler und Experte des Wettbewerbsrechts bezeichnete diesen Paragraphen vor einiger Zeit als das Produkt eines heruntergekommenen Gesetzgebers. Mit einem dreifach gestaffelten unbestimmten Rechtsbegriff wurde diese Vorschrift damals mit so vielen Anwendungshindernissen befrachtet, daß sie in der Praxis nicht angewendet werden konnte, ein Ergebnis, das allerdings von manchen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten so gewollt war. Mit der Neuregelung des § 26 Abs. 4 beseitigen wir diesen alten § 37 a und leisten mit einer Entschlackung der Vorschrift, mit einer Umwandlung in eine Verbotsnorm und einer Neuinterpretation des Begriffs der unbilligen Behinderung einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Leistungswettbewerbs.
Allerdings sind wir auf eine Mitwirkung der Rechtsprechung angewiesen, da wir auf unbestimmte, d. h. interpretationsbedürftige Rechtsbegriffe im Wettbe-
14086 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Pinger
werbsrecht nicht verzichten können, z. B. den Begriff der unbilligen Behinderung.
Wir müssen ein hohes Vertrauen in die Rechtsprechung setzen, obwohl wir gerade in letzter Zeit — ich denke an die §.§ 6 d und 6 e UWG — als Gesetzgeber schwer enttäuscht worden sind. § 26 Abs. 4 legt Unternehmen mit überlegener Marktmacht im Machtgefälle gegenüber Meinen und mittleren Unternehmen erhöhte Rücksichtspflichten auf, sobald die marktmächtigen Unternehmen den Bereich des Leistungswettbewerbs verlassen. Dies bedeutet, daß bei der Interpretation des Begriffs der unbilligen Behinderung nicht einfach die Maßstäbe, die die Rechtsprechung bisher z. B. bei der Bewertung von Unter-Einstandspreis-Verkäufen im Rahmen des UWG aufgestellt hat, übertragen werden können. Eine solche Rechtspraxis würde die Novelle ad absurdum führen, weil geregelt würde, was unter geringeren Voraussetzungen bereits im UWG, nämlich in § 1, geregelt ist.
Anhaltspunkt für verbotene leistungswidrige Praktiken ist die fortgeschriebene Gemeinsame Erklärung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft. Dies gilt insbesondere für die Rabattspreizung und systematische, sachlich nicht gerechtfertigte Unter-Einstandspreis-Verkäufe. Dabei ist der Unter-Einstandspreis-Verkauf nicht erst dann eine unbillige Behinderung, wenn die Existenz kleiner und mittlerer Wettbewerber vernichtet oder konkret gefährdet wird, sondern bereits dann, wenn das Wettbewerbsverhalten generell geeignet ist, die Wettbewerbssituation zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen zu verzerren,

(Pfuhl [SPD]: Sehr richtig!)

d. h. also auch dann, wenn der Unter-EinstandspreisVerkauf systematisch, planmäßig durchgeführt wird. Die Durchsetzung hoher Rabatte ist im Horizontalverhältnis als mittelbare Behinderung unbillig, wenn sie nichtleistungsgerecht ist, sondern auf überlegener Marktmacht beruht.
§ 26 Abs. 5 soll eine Beweiserleichterung sein, was nur Sinn gibt, wenn nicht nur die Rechtsprechung festgeschrieben wird, sondern darüber hinausgegangen wird. Die jetzt vorhandene Regelung ist keine generelle Beweislastumkehr, aber partiell eine Beweislastumkehr, d. h. an bestimmte Begriffe und Voraussetzungen gebunden, die im Gesetz festgelegt sind. Der Wortlaut gibt das klar so her.
Der Gesetzgeber hat nun seine Hausaufgaben auf einem wichtigen Feld erledigt. Es liegt jetzt an der Rechtsprechung, den Leistungswettbewerb mit ihren Entscheidungen besser abzusichern.
Abschließend möchte auch ich feststellen: Die Menschen im bankrotten Sozialismus des Ostens suchen hoffnungsvoll nach besseren Lösungen. Um so mehr ergibt sich daraus für uns die Verpflichtung, das erfolgreiche Modell der Sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und von Fehlern und Schwächen zu befreien. Dies gilt in besonderem Maße für das Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Wir leisten — wie ich meine — hierzu mit der fünften Kartellnovelle einen wichtigen Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118227100
Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1118227200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Pinger, im Hinblick auf die Analyse, die Sie zuerst gegeben haben, stimme ich Ihnen voll zu. Aber die hier zur Beratung anstehende fünfte Kartellnovelle ist nach meiner Meinung kein Ruhmesblatt in der Geschichte dieses Gesetzes und auch dieses Hauses. Eine ganze Legislaturperiode haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien gebraucht, um einen Entwurf vorzulegen, der nach übereinstimmender Auffassung nahezu aller Experten — das hat ja auch die Befragung bewiesen — nicht geeignet ist, den zunehmenden Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft und die damit verbundene Gefahr einer wachsenden Beschränkung des Wettbewerbs zu verhindern.

(Frau Saibold [GRÜNE]: So ist es! — Gegenruf des Abg. Wissmann [CDU/CSU]: Haben Sie die Anhörung überhaupt verfolgt?)

Mehr als 2 000 Unternehmenszusammenschlüsse gab es allein in den Jahren 1987/88. Allein 550 Handelsunternehmen sind in dieser Zeit von anderen Unternehmen geschluckt worden. 94 Zusammenschlüsse mit einem Umsatz von 28 Milliarden DM betrafen dabei den Lebensmittelhandel. Nur 1 % der Einzelhandelsunternehmen in diesem Bereich vereinigt heute mehr als 65 % des Umsatzes auf sich. 1962 waren es lediglich 30 %.
Statt dieser Entwicklung wirksam entgegenzutreten und eine grundsätzliche Überarbeitung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorzunehmen, die den Problemen wirklich gerecht geworden wäre, hat die Bundesregierung eine „kleine Reparaturnovelle" vorgelegt,

(Hinsken [CDU/CSU]: Nein, das ist schon mehr, Herr Kollege Pfuhl!)

die im Bereich der Fusionskontrolle nicht greifen wird, ja, von der, wie dies ein Experte anläßlich der Anhörung ausdrückte, „noch nicht einmal ein Signal ausgehen wird".
Daß das so ist, kann niemanden verwundern, der sich die Entstehungsgeschichte dieser Novellierung noch einmal vor Augen führt. Wir alle wissen doch, daß die Bundesregierung — genauer: der Bundeswirtschaftsminister — überhaupt kein Interesse an einer Verschärfung des Wettbewerbsrechtes hatte. Aus einem Wahlversprechen der CDU wurde ein „Prüfungsauftrag", der dann aus kosmetischen Gründen in dieser Vorlage endete. Es dürfte auch in den Reihen der Regierungskoalition doch wohl niemand ernsthaft daran geglaubt haben, daß diese Bundesregierung mit ihrer fünften Kartellnovelle in aller Schärfe gegen Machtkonzentration und Machtmißbrauch in der Wirtschaft vorgehen würde.
Zur gleichen Zeit, als im Bundeswirtschaftsministerium eine „Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht" mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt war, tagte einige
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14087
Pfuhl
Türen weiter die „Arbeitsgruppe Industriepolitik" . Und was tat sie? Unter Federführung des damaligen Bundeswirtschaftsministers Bangemann und seines Parlamentarischen Staatssekretärs Riedl hat sie den größten Konzentrationsfall in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich Daimler-Benz/MBB, vorbereitet. Dies zeigt die wahre Interessenlage dieser Regierung. Und es verwundert demzufolge auch nicht, daß die Arbeitsgruppe Daimler-Benz/MBB sehr viel schneller zu Ergebnissen kam als die in diesem Zusammenhang geradezu zur Statistenrolle degradierte „Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht" .

(Wissmann [CDU/CSU]: Warum stimmt denn die norddeutsche SPD bei Daimler/MBB zu?)

— Entschuldigung, verehrter Herr Wissmann. Da müssen Sie die fragen und nicht mich. Ich bin ja nicht von Norddeutschland.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist aber doch dieselbe SPD, oder?)

Aber die Interessenlage von Hamburg und Bremen ist wahrscheinlich eine andere als die, die wir als Bundestagsfraktion hier zu vertreten haben, wenn es um die Eigeninteressen dieser Städte und die Arbeitsplätze geht, die dort vorhanden sind und gehalten werden müssen, die aber nur gehalten werden können, wenn sie zustimmen. Wir alle kennen die Situation, in die Sie Hamburg und Bremen mit Ihren Fusionsmaßnahmen gebracht haben.

(Beifall bei der SPD)

Mein Kollege Dr. Jens hat unsere Grundsatzpositionen noch einmal verdeutlicht: Wir halten es für notwendig — und sehen uns durch die Sachverständigenanhörung auch bestätigt — , daß zur wirkungsvollen Verhinderung von wettbewerbsschädlichen Fusionen eine deutliche Herabsetzung der Anteilsgrenze und vor allem die Abkoppelung vom Kriterium der Marktbeherrschung bei den Untersagungen von Unternehmenszusammenschlüssen erfolgen. Zusammen mit dem von uns gleichfalls geforderten Verbot von Größtfusionen wäre dies das geeignete Instrument, um auch die dramatische Konzentration im Einzelhandel besser als bisher bekämpfen zu können. Wir haben dies in unserem Antrag in der Drucksache 11/2017 bereits im März 1988 ausdrücklich gefordert.
Gerade mit Blick auf den Handel, in dem bereits heute sechs Gruppen über die Hälfte des Umsatzes auf sich vereinigen, muß eine weitere Konzentration verhindert werden. Die Mittel der Verhaltenskontrolle allein reichen nicht aus, um die bekannten Mißstände hier zu unterbinden. Ich denke hier insbesondere an die nicht leistungsgerechten, von marktmächtigen Handelsunternehmen erzwungenen Rabatte und Konditionen. — Herr Kollege Wissmann hat ja in seiner Rede soeben einiges zu dem Thema Mißbrauch gesagt. Ich glaube, diese erzwungenen, nicht leistungsgerechten Konditionen sind eine wichtige Ursache für den besonders scharfen Verdrängungswettbewerb im Handel.
Um diese Wettbewerbsverzerrungen besser als bisher bekämpfen zu können, müssen die Bestimmungen über die unbillige Behinderung in § 37 a GWB verschärft und muß vor allem eine Beweislasterleichterung bzw. -umkehr eingeführt werden. Ich begrüße es ausdrücklich, daß die Regierungskoalition wenigstens in dieser Frage lernfähig war und unseren Vorstellungen, die wir in unserem Antrag konkret erläutert hatten, zumindest tendenziell gefolgt ist. Dies gilt ganz besonders für die von uns geforderte Beweiserleichterung für Fälle der unbilligen Behinderung, die wohl gegen den Willen der Bundesregierung in das Gesetz aufgenommen wurden, weil Sie, meine Herren von der CDU/CSU, darauf gedrängt hatten.
Die Regierungskoalition wäre aber gut beraten, wenn sie auch die anderen von mir bereits erwähnten Forderungen übernommen hätte und Änderungen unterlassen hätte. Ich meine beispielsweise die vorgesehene Einschränkung der Belieferungsverpflichtung nach § 26 Abs. 2 GWB, die nach unserer Auffassung dazu führen wird, daß die Preisbindung der zweiten Hand durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Mit diesem Rückfall in die 60er Jahre führt diese Koalition Wettbewerbsbeschränkungen in ein Gesetz ein, dessen Aufgabe aber darin bestehen sollte, den Wettbewerb zu sichern und ihn zu fördern. Wer auch immer der Nutznießer einer solchen Regelung sein mag, Verbraucher und kleine Einzelhändler werden es sicher nicht sein.

(Sehr gut! bei der SPD)

Dies gibt die Bundesregierung im übrigen unumwunden zu, wenn sie in der Begründung zu dieser Gesetzesänderung klipp und klar feststellt, daß sich an den Marktrealitäten in Zukunft nichts Wesentliches ändern wird, wenn die gesetzliche Verpflichtung zur Belieferung entfällt. Mit anderen Worten: Für den kleinen Einzelhändler bringt dies nichts. Ich wundere mich, daß einige von Ihnen, lieber Kollege Hinsken, die — wie auch ich — aus dem Bereich der kleinen Einzelhändlerschaft kommen, einer solchen Regelung zustimmen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach!)

— Nur, wenn der Spatz schon die Federn verloren hat und auf dem letzten Loch pfeift, dann nutzt er mir auch nichts mehr.
Eine wichtige Frage in den Ausschußberatungen war die kartellrechtliche Behandlung von Einkaufsvereinigungen im Handel. Wir sind der Auffassung, daß Kooperationen auf der Einkaufsseite als Instrument der gegengewichtigen Marktmacht für kleine und mittlere Unternehmen unentbehrlich sind. Dabei muß aus unserer Sicht selbstverständlich sichergestellt sein, daß diese Einkaufsvereinigungen auch tatsächlich die Interessen der kleinen und mittleren Einzelhändler wahrnehmen und nicht dazu mißbraucht werden, die Einkaufsmacht von Großunternehmen des Handels noch zu stärken.
Die Bundesregierung will die Einkaufskooperationen nunmehr mit einem neuen § 5 c kartellrechtlich regeln. Alle betroffenen Verbände — vom Zentralverband des genossenschaftlichen Großhandels über den Deutschen Industrie- und Handelstag, den Zentralverband des Deutschen Handwerks bis hin zur Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels — haben
14088 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Pfuhl
sich entschieden gegen eine solche gesetzliche Normierung ausgesprochen, weil sie die Tätigkeit von Einkaufsvereinigungen eher behindern als fördern würde.

(Sehr richtig! bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118227300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1118227400
Ja, bitte schön.

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1118227500
Herr Kollege Pfuhl, darf ich Sie nur darauf hinweisen, daß sich die Kritik der beteiligten Wirtschaft auf den ursprünglichen Entwurf richtete und daß wir große Teile der Bedenken — etwa zum Anmeldeverfahren — aufgenommen haben und daß jetzt in der zweiten und dritten Lesung ein anderer Entwurf die Grundlage ist?

Albert Pfuhl (SPD):
Rede ID: ID1118227600
Herr Kollege Wissmann, das, was bei der Anhörung herausgekommen ist, habe ich vorgetragen. Aber sollte sich in der Zwischenzeit aus Paulus ein Saulus entwickelt haben, dann könnte ich mir das nicht vorstellen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Es ist aber so!)

Lassen Sie mich fortfahren. Ich glaube, wir wären gut beraten, keine neuen gesetzlichen Regelungen festzuschreiben, die nach Auffassung aller Betroffenen überflüssig, wenn nicht sogar kontraproduktiv sind und darüber hinaus auch zu mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand führen.
Meine Damen und Herren, die vorliegende fünfte Kartellnovelle trägt nicht dazu bei, wettbewerbsrechtliche Strukturen wirksam zu sichern. Sie ist in manchen Punkten schädlich, in anderen überflüssig. Der eigentliche Zweck dieses unzulänglichen Gesetzentwurfs scheint mir darin zu liegen, mit großem, scheinbar mittelstandsfreundlichem Getöse davon abzulenken, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien in nur wenigen Jahren die von der sozialliberalen Koalition entwickelte und ausgebaute Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen sang- und klanglos beerdigt haben.
Wer sich die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung anschaut, glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Von den 1,1 Milliarden DM im Jahre 1987 kürzt die Bundesregierung nach den Vorstellungen die Finanz-Mittelstandsförderung auf 550 Millionen DM im Jahre 1993. Das ist Ihre Vorausplanung.
Dieser einzigartige Kahlschlag führt zu einer substantiellen Auszehrung der bisher sehr wirksamen Programme zum Nachteilsausgleich für kleine und mittlere Unternehmen. Betroffen sind vor allem mittelstandsbezogene Programme zur Förderung von Forschung und Entwicklung, die noch unter sozialdemokratisch geführten Regierungen eingeführt bzw. weiterentwickelt wurden.
Das Personalkostenzuschußprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums zur Förderung des Forschungs- und Entwicklungspersonals in kleinen und mittleren Betrieben ist bereits 1987 eingestellt worden. Das Personalzuwachsprogramm des Bundesministers für Forschung und Technologie zur Förderung zusätzlicher Personaleinstellungen im Forschungs-und Entwicklungsbereich ist 1989 eingestellt worden. Die Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie wird nur halbherzig weitergeführt. Die Mittel werden von 50 Millionen DM in 1981 auf nur 25 Millionen DM im Jahre 1993 — so Ihre Planung — reduziert. Dabei sind die ursprünglichen Absichten der Regierung, dieses Programm sogar schon Anfang 1990 auslaufen zu lassen, noch nicht vom Tisch.
Die Mittel für die Auftragsforschung im Zusammenhang mit der Entwicklung von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft im Bundesministerium für Forschung und Technologie werden ebenfalls drastisch gekürzt: von 58 Millionen DM in diesem Jahr auf planungsgemäß 21 Millionen DM im Jahre 1993.
Zusätzlich zu diesem Programmkahlschlag werden die Sonderabschreibungen und Investitionszulagen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen im Zuge der Steuerreform abgeschafft.
Neben diesen Kürzungen wird auch die Existenzgründungsförderung weiter eingeschränkt. Das Eigenkapitalhilfeprogramm soll 1991 eingestellt werden.
Wir halten diesen Kahlschlag — ich sage es deutlich — und auch diese Programmkürzungen für verhängnisvoll. Alle Programme haben unbürokratisch und wirkungsvoll in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen zu steigern, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen und die Existenzgründung zu erleichtern.
Völlig unzureichend ist auch die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen für den EG-Binnenmarkt. Von den dazu 1990 bereitgestellten 28 Millionen DM entfallen allein 13 Millionen DM auf sogenannte Informationsmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums. Wie diese Information im Wahljahr 1990 aussehen wird, läßt sich leicht ausmalen. Herr Minister, diese öffentliche Finanzierung von Wahlpropaganda Ihrerseits kann unsere Billigung nicht finden. Sie muß verhindert werden. Statt dessen sollten zusätzliche finanzielle Mittel für qualifizierte Maßnahmen zur Beratung und Information im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt bereitgestellt werden. Dies kann man nicht durch Propaganda des Ministeriums.

(Beifall bei der SPD — Dr. Sprung [CDU/CSU]: Was hat das mit dem GWB zu tun, Herr Pfuhl?)

— Weil sich hier zeigt, wie Sie wirklich zu den kleinen und mittleren Unternehmen stehen. Genau das ist es.
Dasselbe gilt für die Fortführung der Programme zur Förderung von Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen und auch zur Gründung selbständiger Existenzen. Diese Anträge sind durchweg von der Regierungskoalition abgelehnt worden. Wir haben versucht, sie ihnen klarzumachen. Gleiches gilt für unsere Forderung, endlich auch für kleine und mittlere Unternehmen die steuer-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14089
Pfuhl
freie Investitionsrücklage einzuführen. Viele von Ihnen haben mir persönlich gesagt: Jawohl, richtig wäre es, aber der Finanzminister blockiert. Die entscheidende Möglichkeit dabei wäre, Liquidität und Kapitalgrundlage der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken und so auch die Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen zu erleichtern. Das ergäbe sich durch diese steuerfreie Investitionsrücklage.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Sie reden immer von den Kleinen und handeln für die Großen!)

Ich glaube, hier zeigt sich das wahre Gesicht Ihrer Mittelstandspolitik. Ich bedaure diejenigen, die als Mittelständler solche Politik mit unterstützen müssen.
Meine Damen und Herren, diese konkreten Beispiele zeigen, daß diese Bundesregierung ganz bewußt die gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zerstört. Die hier in der zweiten und dritten Lesung zu behandelnde, sachlich völlig unzureichende fünfte Kartellnovelle ist nichts anderes als ein Deckmäntelchen, unter dem die Bundesregierung ihren Ausverkauf der Mittelstandspolitik zu verbergen versucht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118227700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1118227800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich, wenn ich auch mit den Ausführungen meines Vorredners Pfuhl nicht übereinstimme, doch die Möglichkeit nutzen, ihm zu seinem 60. Geburtstag vor wenigen Tagen auf das herzlichste zu gratulieren.

(Beifall)

Diese Gratulation kommt über Fraktionsgrenzen hinweg, weil wir wissen, daß er in den Ausschüssen immer ein sehr netter, aufgeschlossener Kollege ist.

(Beifall)

Ich meine aber — um diese Geburtstagsfreude gleich ein bißchen zu dämpfen — , lieber Kollege Pfuhl: Selten hat eine Regierung so viel für den Mittelstand getan wie die momentane Regierung, in der Dr. Waigel Finanzminister und Helmut Haussmann Wirtschaftsminister ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, auch in Erinnerung bringen zu müssen, daß gerade in der Zeit der sozialliberalen Koalition die meisten kleinen und mittelständischen Betriebe von der Bildfläche verschwunden sind. Auch dies wurde jetzt umgedreht. Wir können etwa feststellen, daß der Drang in die Selbständigkeit wieder vermehrt eingesetzt hat.
Jetzt aber zum konkret gestellten Thema, das wir heute abhandeln sollen. Es geht schließlich um die
Novellierung des Kartellrechts, und zwar um die sofortige Novellierung. Wir können nicht zunächst eine europäische Regelung abwarten. Hier muß sich die SPD durch die harte Sprache der Tatsachen belehren lassen, lieber Kollege Dr. Jens. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, was Sie meinten uns heute vortragen zu müssen.
Allein für die Jahre 1987/88 meldet das Bundeskartellamt eine Rekordhöhe an Unternehmenszusammenschlüssen. 550 Handelsunternehmen sind von anderen Unternehmen übernommen worden.

(Dr. Jens [SPD]: Das ist euer Werk!)

Dabei liegt der Schwerpunkt im Lebensmittelhandel mit 94 Zusammenschlüssen und 28 Milliarden DM Umsatzvolumen. Ein Ende dieses Konzentrationsprozesses ist nicht in Sicht, und der Mißbrauch von Marktmacht nimmt zu.
Wir können nicht mehr ausschließen, daß schon Mitte der 90er Jahre nur 50 Unternehmen zwei Drittel des Umsatzes im europäischen Lebensmittelhandel auf sich vereinigen werden. Wir greifen der Europäischen Gemeinschaft nicht vor, Herr Kollege Jens, wenn wir in der Bundesrepublik unsere Hausaufgaben machen. Der Hauptteil der Unternehmenszusammenschlüsse im Handelsbereich wird auch künftig unter der europäischen Eingriffsschwelle von 5 Milliarden ECU liegen und in nationaler Verantwortung bleiben.
Die Wettbewerbspolitik in unserem Lande steht in der Kontinuität der Sozialen Marktwirtschaft. Sie dient dem Ziel, die Selbständigkeit und Handlungsfreiheit einer Vielzahl von Unternehmen zu sichern. Das erfordert Machtkontrolle und Schutz des Leistungswettbewerbs. In dieser Zielsetzung ist die Wettbewerbspolitik nicht zuletzt auch Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Daran orientiert sich unsere Haltung zur Reform des Kartellrechts.
Besonders möchte ich den neuen § 5 c hervorheben, der heute schon mehrmals apostrophiert wurde. Er wurde zunächst vielfach mißverstanden. Künftig sollen kleine und mittlere Unternehmen ihr Einkaufsvolumen kooperativ bündeln können, ohne gegen das Kartellverbot zu verstoßen.

(Dr. Jens [SPD]: Das machen sie doch schon lange!)

Die SPD irrt sich, wenn sie diese Regelung für überflüssig hält. Denn der § 5 c ermöglicht es den kleinen und mittleren Unternehmen, im Verhältnis zu Großbetrieben eine Gegenmachtposition aufzubauen, die schon das Entstehen von Nachfragemacht erschwert. Wettbewerbspolitisch positive Einkaufskooperationen erhalten so eine sichere Rechtsgrundlage für ihre Arbeit.
Wir haben für eine Ausgestaltung des § 5 c gesorgt, die in der praktischen Durchführung zu wettbewerblich tragbaren Ergebnissen führen wird, wie dies bei anderen mittelstandsfreundlichen Kartellausnahmen auch gelungen ist:
Erstens. Der Freistellungsbereich für mittelständische Kooperationen wurde über den Einkauf hinaus auf alle damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten erweitert.
14090 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Hinsken
Zweitens. Ein genereller Bezugszwang wird im Rahmen der Kooperationsvereinbarungen unzulässig sein. Der Ausschußbericht stellt jedoch klar, daß vertikale Bindungen der Kooperationszentrale mit einzelnen Mitgliedern, z. B. bei Kreditvergaben anläßlich der Existenzgründung neuer Mitglieder möglich bleiben.
Drittens. Jede unnötige Bürokratie wird vermieden; das ist auch ein wesentlicher Gesichtspunkt, der hier angesprochen werden muß. Das Anmeldeverfahren ist entfallen. Wir gehen davon aus, daß Einkaufskooperationen in wettbewerbsrechtlich relevanter Größenordnung den Kartellbehörden nicht verborgen bleiben.
Eine Verbesserung sehe ich auch bei der Fusionskontrolle. Hier werden zwei nachfragebezogene Elemente in den Kriterienkatalog des § 22 Abs. 1 Nr. 2 zur Bestimmung der Marktstärke eines Unternehmens einbezogen, nämlich die Fähigkeit eines Unternehmens, sein Angebot oder seine Nachfrage umzustellen, und die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen. Damit sollen der Rechtsprechung ein Signal und die Möglichkeit der Fortentwicklung der bisherigen Rechtsanwendung gegeben werden.
Auf jeden Fall muß eine Fusion von zwei der sechs größten Unternehmen verhindert werden. Darin sind sich doch Regierung und Gesetzgeber, insgesamt gesehen, einig.

(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

— Gerade von Ihrer Seite wurde auch das heute angesprochen, Herr Dr. Jens. Eine wettbewerbsschädliche Konzentration von Nachfragemacht muß unmöglich gemacht werden. Entscheidend ist, daß auch die Gerichte diese Auffassung nachvollziehen.
Sollten die jetzt beschlossenen Kriterien zur Fusionskontrolle nicht ausreichen, werden wir, so meine ich, auf den bayerischen Vorschlag einer eigenständigen Definition der Nachfragemacht und daran anschließender gesetzlicher Vermutungen zurückkommen müssen. Ich bitte vor allem Sie, meine Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, das zur Kenntnis zu nehmen und dann eben das Augenmerk darauf zu richten, ob dringendster Handlungsbedarf gegeben ist.
Entsprechendes gilt für die Frage der systematischen Verlustpreisverkäufe, die wir gern als Beispielfall unbilliger Behinderung in das Gesetz und nicht nur in die Begründung des Gesetzes aufgenommen hätten. Uns allen geht es darum, die Möglichkeiten zu verbessern, gegen unbillige Behinderungen kleiner und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht vorzugehen.
Ein Schritt in diese Richtung ist mit der Umwandlung und Vereinfachung der ursprünglich in § 37 Abs. 3 nur den Kartellbehörden eingeräumten Untersagungsbefugnis in ein Verbot zweifellos getan. Betroffene Unternehmer können sich nunmehr selbständig auf dem Zivilrechtsweg gegen unbillige Behinderungen durch überlegene Wettbewerber zur Wehr setzen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dieses Klagerecht durch Beweiserleichterungen in § 26 für den Kläger effizient auszugestalten; denn die den Anspruch begründenden Tatsachen liegen oft im Geschäftsbereich des überlegenen Wettbewerbers, von dem die unbillige Behinderung ausgeht.
In der Praxis wird sich nun zeigen müssen, ob die zivilrechtliche Klagemöglichkeit in Verbindung mit der verbesserten Beweislastregelung auch dazu beitragen kann, das Kernproblem des Machtmißbrauchs, nämlich das Gewähren oder Fordern ungerechtfertigter Vorzugskonditionen, in den Griff zu bekommen. Das Problem ist hier, daß die unbillig behinderten Unternehmen vielfach den Gang zur Kartellbehörde oder zum Gericht und die Offenlegung ihres Konditionensystems scheuen, weil sie weitergehende Behinderungen durch den Nachfrager befürchten.
Es bleibt zu hoffen, daß mit den zivilrechtlichen Beweiserleichterungen die Erfolgsaussichten in der Verteidigung gegen mißbräuchliche Ausübung von Nachfragemacht wachsen und das Problem der Konditionenspreizung dadurch zumindest deutlich abgemildert wird. Anderenfalls müßte auch hier auf den bayerischen Vorschlag, den ich vorhin schon besonders erwähnt habe, nämlich eine Auskunftsbefugnis für die Kartellbehörde, zurückgegriffen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Gerade aus dem Land Bayern kommen immer gute Vorschläge, Herr Kollege Oswald.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man wäre gut beraten, hierauf mehr Augenmerk zu richten

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

und sich das eine oder andere sagen zu lassen und auch das eine oder andere von dem umzusetzen, was hier gerade von München an Vorschlägen und an Aussagen kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Von den Ausnahmebereichen möchte ich in der Kürze der Zeit nur die Energieversorgungsunternehmen, den § 103, ansprechen. Bayern hatte hier im Bundesrat eine Mehrheit für seinen Vorschlag für eine einzelfallbezogene Synchronisierungsregelung von Demarkations- und Konzessionsverträgen und zur Präzisierung der Mißbrauchsaufsicht gefunden. Der Bundesrat war der Ansicht, daß eine generelle relative Unwirksamkeit von Demarkationsverträgen beim Auslaufen eines Konzessionsvertrages das Demarkationsprivileg in seinem Kern berührt, so daß es in Flächenstaaten zu einem Auszehren von Versorgungsgebieten kommt und gerade kleinere Abnehmer dafür mit höheren Preisen bezahlen müssen.
Die Lage hat sich seither allerdings verändert. Durch die neue Bundestarifordnung Elektrizität wurde die Preisaufsicht erweitert. Der Abgabepreis der Erzeugerunternehmen an Verteilerunternehmen ist jetzt der Preisaufsicht unterworfen worden. Mit Rücksicht auf diese veränderte Situation erscheint der Regierungsvorschlag auch aus Sicht meiner Kollegen jetzt akzeptabel. Nach den mir vorliegenden Informationen — das ist für die Kollegen meiner Fraktion wichtig — wird Bayern im Bundesrat wegen dieser Frage nicht die Anrufung des Vermittlungsausschusses beantragen. Ihre diesbezüglichen Sorgen, Herr
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14091
Hinsken
Bundeswirtschaftsminister, sind unbegründet. Damit wird die Kartellgesetznovelle zum 1. Januar 1990 in Kraft treten können.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die CDU/CSUFraktion, insbesondere die Kollegen Wissmann, Hauser, Professor Pinger und vor allen Dingen meine Freunde aus der CSU, haben sich in besonderem Maß für eine Novellierung des Kartellrechts eingesetzt, um die Instrumente gegen den Mißbrauch und die Entstehung von Nachfragemacht wirksamer auszugestalten und nicht mehr gerechtfertigte Ausnahmen vom allgemeinen Kartellrecht zu beseitigen. In einer Koalition muß man bereit sein, Kompromisse zu schließen. Die Zeit drängt. Wir haben nicht alle unsere Wünsche durchsetzen können — wir von der CSU wollten natürlich mehr, Herr Bundeswirtschaftsminister — , aber wir haben viel erreicht. Deshalb stimmen wir der Novelle zu. Sie bringt Verbesserungen, deren Tragweite es nunmehr auszuloten gilt. Kartellbehörden, Kartellgerichte und vor allem die Unternehmen selbst sind aufgerufen, im Interesse des Wettbewerbs der Novelle zum Erfolg zu verhelfen.
Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118227900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Drucksachen 11/4610 und 11/5949.
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist das angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5976? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5978? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5630 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD zur Stärkung des Wettbewerbs und der Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht auf Drucksache 11/2017 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit ist dieser Antrag auf Ablehnung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5629. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4069 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit ist der Ausschußempfehlung zugestimmt worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5631 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4070 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit großer Mehrheit ist der Ausschußempfehlung zugestimmt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5628. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4378 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts
— Drucksache 11/5700 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 11/5979 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wilms-Kegel

(Erste Beratung 176. Sitzung)

Meine Damen und Herren, es ist der Vorschlag gemacht worden, die Beiträge zur Aussprache zu Protokoll zu geben. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. *) Damit haben wir die Chance, daß wir ungefähr gegen Mitternacht fertig werden.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts, Drucksache 11/5700 und 11/5979. Ich rufe Art. 1 bis 3, 4 Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift sind mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
*) Anlage 2
14092 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Vizepräsident Stücklen
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltung? — Eine Enthaltung. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tierzuchtgesetzes
— Drucksache 11/4868 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

— Drucksache 11/5931 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Göhner Oostergetelo

(Erste Beratung 158. Sitzung)

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5991 vor.
Meine Damen und Herren, es soll genau wie beim vorigen Tagesordnungspunkt verfahren werden, daß also die Beiträge zu Protokoll gegeben werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. *)
Wir kommen dann zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Tierzuchtgesetzes in der Ausschußfassung.
Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über § 1 in der Ausschußfassung ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist § 1 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für § 2 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit großer Mehrheit ist § 2 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe den § 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsan-
*) Anlage 3. Die Rede des Abgeordneten Göhner wird als Anlage im Plenarprotokoll 11/183 abgedruckt.
trag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen über den § 3 in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist der § 3 mit großer Mehrheit in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 4 bis 13 auf. Wer für diese Paragraphen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. — Mit großer Mehrheit sind die §§ 4 bis 13 angenommen.
Ich rufe den § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 4 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer für den § 14 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der § 14 ist mit großer Mehrheit in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 15 bis 20 auf. Wer für diese Paragraphen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. — Die §§ 15 bis 20 sind mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 21 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 5 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer ist für diesen Änderungsantrag? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer für den § 21 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der § 21 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich darf einmal sagen, daß immer, wenn bei diesem Gesetz Gegenstimmen waren, diese aus der Fraktion DIE GRÜNEN kamen.
Ich rufe die §§ 22 und 23, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen liegen keine vor. Mit großer Mehrheit sind diese Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14093
Vizepräsident Stücklen
Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe
— Drucksachen 11/1673, 11/3924 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Lippold (Offenbach)

Müller (Düsseldorf)

Frau Garbe
Meine Damen und Herren, hier soll genauso verfahren werden wie bei Tagesordnungspunkt 11: die Beiträge sollen zu Protokoll genommen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. *) Herr Dr. Göhner wünscht das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1118228000
Herr Präsident, die CDU/CSU-Fraktion beantragt die Rücküberweisung der Drucksachen 11/1673 und 11/3924 an den Ausschuß.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1118228100
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Rücküberweisung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe? — Die Rücküberweisung ist einstimmig beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schmidt (Nürnberg), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Dobberthien, Egert, Faße, Fuchs (Köln), Fuchs (Verl), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kuhlwein, Koschnick, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Dr. Niehuis, Odendahl, Peter (Kassel), Renger, Seuster, Simonis, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Kretkowski, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Auswirkungen der Privatisierung von Reinigungsdiensten und zu den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen im Bereich der Bundesverwaltung, der Bundesgerichte, der in bundeseigener Verwaltung geführten Einrichtungen sowie in den bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts
— Drucksachen 11/2366, 11/4129 —
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Faße, Schmidt (Nürnberg), Dr. Penner, Roth, Dreßler, Dr. Däubler-Gmelin, Adler, Bachmaier, Bekker-Inglau, Bernrath, Blunck, Börnsen (Ritterhude), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Egert, Fuchs (Köln), Fuchs (Verl), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kretkowski, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Dr. Niehuis, Odendahl, Paterna, Peter (Kassel), Renger, Schröer (Mülheim), Seuster, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe,
*) Anlage 4. Die Reden der Abgeordneten Göhner und Baum werden als Anlagen im Plenarprotokoll 11/183 abgedruckt.
Walther, Weiler, Dr. Wegner, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verbesserung der Arbeitsbedingungen von
Frauen bei der Deutschen Bundespost
— Drucksache 11/3997 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Faße, Schmidt (Nürnberg), Dr. Penner, Roth, Dreßler, Matthäus-Maier, Dr. Däubler-Gmelin, Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Bernrath, Blunck, Dr. Böhme (Unna), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Egert, Fuchs (Köln), Fuchs (Verl), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kastner, Kolbow, Kretkowski, Kuhlwein, Leidinger, Luuk, Müller (Düsseldorf), Dr. Niehuis, Odendahl, Opel, Peter (Kassel), Renger, Schulte (Hameln), Seidenthal, Seuster, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Dr. Wegner, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung
— Drucksache 11/5689 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Im Ältestenrat wurde für die Aussprache über die beiden Tagesordnungspunkte eine Redezeit von einer Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Faße.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Renger)


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1118228200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei passenden und unpassenden Gelegenheiten umgibt sich der Bundesminister für Post und Telekommunikation gerne mit dem Mäntelchen, ein frauenfreundlicher Arbeitgeber zu sein. Seine öffentlichkeitswirksamen Klänge stehen aber einmal mehr im krassen Gegensatz zur betrieblichen Wirklichkeit, zur Situation der allermeisten Frauen bei der Deutschen Bundespost. „Senkung der internen Produktionskosten", „betriebsangepaßte Dienstplangestaltung" sind nur zwei Stichworte für die unterm Strich eher als frauenfeindlich zu bezeichnende Politik von Dr. Schwarz-Schilling. Urlaubsrückstände, steigende Krankenzahlen und Frühverrentungen sowie Überstundenberge sind nur einige der Auswirkungen dieser unsozialen Politik.
Ein dazu genutztes Instrument ist die Teilzeitbeschäftigung, sie betrifft in erster Linie Frauen. Die Postfrauen bilden innerhalb der Teilzeitbeschäftigten bei der Deutschen Bundespost die absolute Mehrheit.
14094 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Faße
Von 98 000 Teilzeitbeschäftigten sind über 90 000 Frauen. Der Frauenanteil nimmt weiter zu.
Diese teilzeitbeschäftigten Postfrauen werden arbeits- und tarifrechtlich vielfach diskriminiert. So z. B. besitzen sie oftmals keinen Anspruch auf Zusatzversorgung, sind ihre Kündigungsschutzfristen kürzer, sind sie vom Schutz gegen Rationalisierungsmaßnahmen weitestgehend ausgenommen und dienen demzufolge nicht selten als Rationalisierungspuffer und werden hinsichtlich der Gewährung von Erschwerniszulagen und deren Sicherung — z. B. nach Arbeitsunfällen — schlechtergestellt. Meines Erachtens liegt hier eindeutig — auch im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes — eine unzulässige Diskriminierung von Frauen vor.
Immer mehr Vollzeitarbeitsplätze werden bei der Bundespost zugunsten von Teilzeitarbeit gesplittet. Viele Frauen stehen in „Mini-Arbeitsverhältnissen" mit Wochenarbeitszeiten von z. B. 12 oder 14 Stunden. Das Einkommen reicht nicht einmal aus, um die eigene Existenz zu sichern, geschweige denn, Kinder davon mitzuversorgen.
Auf der sozial nächstniedrigen Stufe rangieren Frauen in sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Da ihre Arbeitszeit unter der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze liegt, existiert für sie faktisch kein arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Schutz mehr.
Enorm zugenommen hat bei der Post die sogenannte Abrufarbeit. Wegen der extrem ungeschützten Lage dieser Abrufkräfte werden selbst noch die minimalsten Arbeitnehmerschutzvorschriften unterlaufen. Mit bis zu 300 Abrufen, also Arbeitseinsätzen, im Jahr werden Versicherungspflichtgrenzen umgangen, Arbeitnehmerschutzrechte ad absurdum geführt und die Rechte der Personalräte unterlaufen.
Folgende Beispiele werden die diskriminierende Behandlung der Betroffenen erläutern. Wie der Parlamentarische Staatssekretär Rawe 1988 auf meine Frage selber festgestellt hat, machen es die betrieblichen Erfordernisse bei der Deutschen Bundespost nötig, „einen hohen Arbeitsaufwand in oft sehr kurzen Zeiträumen zu erbringen" . Angesichts der sich verschärfenden Arbeitsbelastung ist es nicht verwunderlich, daß der Krankenstand bei der Bundespost sehr hoch ist. Es stellt sich die Frage des direkten Zusammenhangs zwischen Arbeitsbelastung und Krankheitsfall. Diese Frage will sich offenbar der Bundesminister aber nicht stellen.
Ihm assistiert dabei der Bundesrechnungshof. Anstatt die Ursachen des hohen Krankenstandes bei der Arbeitsbelastung zu suchen, um dann entsprechend nicht an Symptomen zu kurieren, sondern die Ursachen zu beseitigen, werden die Gründe offenbar im sozialen Umfeld der Betroffenen gesucht. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn der Bundesrechnungshof bei einer Erfassung der erkrankten Beschäftigten neben Namen und Vornamen auch die Nationalität, den Familienstand und die Anzahl der nach dem 31. Dezember 1979 geborenen Kinder festgehalten hat.
Auf die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen dieses Verfahren will ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Aber die Vermutung liegt doch nahe, daß beabsichtigt war — man hat es mir ja nicht zugestanden — , aus diesen Daten Schlußfolgerungen zu ziehen — wozu würden sie sonst erhoben werden? — , Schlußfolgerungen, die die Ursachen bei den Betroffenen selbst und nicht bei der zu hohen Arbeitsbelastung suchen.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die Arbeitssituation der Frauen im ländlichen Raum. Die Deutsche Bundespost ist dort oft neben dem eventuell noch vorhandenen TanteEmma-Laden und einem Spielkreis für Kinder der einzige Arbeitgeber. Das liegt unter anderem daran, daß die Männer mit dem Auto zur Arbeit fahren und die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs bekanntermaßen schlecht sind.
Den Frauen werden nun durch die neuen Bemessungszahlen die geringen Arbeitsmöglichkeiten nochmals eingeschränkt. Die Folge ist wiederum der zuvor erwähnte Konzentrierungseffekt zum finanziellen und gesundheitlichen Nachteil der Frauen.
Der Bundesminister für Post und Telekommunikation ist aufgefordert, mit Hilfe eines offensiven Dienstleistungskonzepts für die Poststellen die ländliche Infrastruktur zu stärken und die Arbeitssituation der dort Beschäftigten zu verbessern.
Diese Personalpolitik der maximierten Effizienz gegenüber dem minimalsten Einsatz läßt die Statistiken allerdings aufblühen. Nur Frauen halten dafür ihren Kopf hin. Durch den Trick des Köpfezählens erscheinen die beiden Personen, die sich einen Arbeitsplatz teilen, als Verdoppelung des Personaleinsatzes. Das ist der blanke Hohn, wenn man bedenkt, daß damit zwei Frauen die Möglichkeit der arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung genommen wird.
Es zeigt sich auch die Tendenz, Arbeiterinnen und Angestellte schlechter als Beamtinnen zu stellen. Während letztere das Recht haben, im Rahmen von Sonderurlaub bis zu neun Jahre lang Angehörige und Kinder zu betreuen, wird dieses Recht Angestellten nur eingeschränkt auf sechs Jahre und dann lediglich zur Kinderbetreuung gewährt.
Es geht doch wohl nicht an, daß sich die Deutsche Bundespost als größter Arbeitgeber ihrer arbeitspolitischen Verantwortung entzieht. Aus diesem Grunde wird die Bundesregierung aufgefordert, folgende Forderungen im Bereich der Bundespost sicherzustellen:
Alle ungeschützten Arbeitsverhältnisse müssen schrittweise abgebaut werden und müssen in der Regel in Zukunft unterbleiben.
Die Tendenz, über das Absenken von Wochenarbeitszeit geringfügige Beschäftigungsverhältnisse herbeizuführen, muß gestoppt werden. Das heißt im Klartext, daß Teilzeitarbeitsverträge mit mindestens der Hälfte der Wochenarbeitszeit abgeschlossen werden müssen. Bestehende Verträge, die weniger als die Hälfte der Wochenarbeitszeit beinhalten, sind entsprechend umzuwandeln. Natürlich bedeutet dies auch, daß Rationalisierungsmaßnahmen keine Minderung der Wochenarbeitszeit unter deren Hälfte zur Folge haben dürfen. Teilzeitbeschäftigung ist rechtlich und tatsächlich mit Vollzeitbeschäftigung gleich-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14095
Frau Faße
zustellen. Gleichzeitig sind teilzeitbeschäftigte Frauen, die eine Vollzeitbeschäftigung wünschen, bei der Vergabe von freiwerdenden Arbeitsplätzen zu bevorzugen.
Angestellte und Arbeiterinnen müssen bei der Gewährung von familienbedingtem Sonderurlaub Beamtinnen gleichgestellt werden. Ersteren muß die Möglichkeit der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen genauso gegeben werden wie ihren beamteten Kolleginnen. Der Wiedereinstieg in das Berufsleben muß für diese Frauen erleichtert werden. Das heißt, daß die Möglichkeit zum beruflichen Kontakthalten durch Fortbildung, durch Aushilfen oder Urlaubsvertretungen und durch Auffrischungskurse gegeben sein muß.
Es müssen für Frauen bei der Deutschen Bundespost Rahmenbedingungen geschaffen werden, die verbesserte Arbeitsmöglichkeiten nach sich ziehen. Dazu gehört, daß die Vorschläge der Postgewerkschaft zur humanen Gestaltung des Arbeitsablaufs umzusetzen sind. In diesem Zusammenhang sind Forschungsprojekte, die die Arbeitsbelastung von Frauen zum Inhalt haben, in Auftrag zu geben. Gleichzeitig muß die Arbeit von Frauenbeauftragten — ich spreche im Plural — bei der Deutschen Bundespost verbessert werden. Hierzu gehören feste Planstellen für Frauenbeauftragte und das Einrichten von Planstellen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ein Frauenförderungsplan für die Post ist auf jeden Fall erforderlich.
Aber nicht nur die Post ist ein frauenfeindlicher Arbeitgeber. Unsere Große Anfrage zu Frauen im Reinigungsdienst bei der Bundesverwaltung und ihr unterstellten Bereichen zeigt eindeutig, daß bei Verträgen mit Privaten in der Regel die Frauen große Nachteile haben. Auf rund 60 Seiten versucht die Bundesregierung in ihrer Antwort zu rechtfertigen, daß und warum in der überwiegenden Mehrzahl der Bundesbehörden und der Einrichtungen des Bundes, der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts geringfügige Beschäftigung insbesondere von Hausfrauen üblich ist, sei es über private Reinigungsfirmen, sei es durch die Bundesbehörden selbst.
Über solch eine kurzsichtige und auf unmittelbar betriebswirtschaftliche Aspekte eingeengte Sichtweise kann man nur noch den Kopf schütteln. Sicher muß unser derzeitiges Haushaltsrecht dazu verleiten, in voneinander getrennten Titeln und Haushaltstöpfen zu denken. Von der Bundesregierung erwarten wir jedoch, daß sie in der Lage ist, auch die mittel- und langfristigen gesellschaftlichen Kosten zu berücksichtigen und in Rechnung zu stellen.
Es dürfte bekannt sein, daß eine Folge der geringfügigen Beschäftigung die Armut von Frauen im Alter ist. Im Juli 1987 belief sich die Durchschnittsrente einer Arbeiterin auf 491,10 DM, die eines Arbeiters auf 1 316,40 DM. Keine oder unzureichende Rentenansprüche als Folge früherer geringfügiger Beschäftigung müssen also über die Sozialhilfe aufgefangen werden. Die Bundesregierung „spart" hier ganz bewußt auf Kosten der Gemeinden.
Trotz der Ankündigungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom Januar 1987, also vor der letzten Bundestagswahl, in der 11. Legislaturperiode die geringfügige Beschäftigung abzuschaffen, sieht die Bundesregierung darin keinerlei unsoziale Personalpolitik.
Trotz erwiesener erheblicher Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Frauen im Reinigungsdienst durch Privatisierung, z. B. höhere Leistungsanforderungen, Zunahme der gesundheitlichen Belastungen durch Akkordarbeit und isoliertes Arbeiten, Nachtarbeit und vor allem Arbeitsplatzverluste insbesondere von Vollzeitarbeitsplätzen, vermag die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen Privatisierung von Reinigungsarbeiten und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten nicht zu erkennen. Gleichzeitig bestätigt sie die Tatsache, daß die Sozialversicherungsuntergrenze in der Praxis häufig mißbraucht wird.
Ich fordere als ersten Schritt, daß alle erwähnten Einrichtungen die Pflicht zur Sozialversicherung als Auflage bei Vergabe an Private machen. Dies geschieht in einigen Ministerien, in einigen aber überhaupt nicht. Das ist natürlich im Gesamtzusammenhang wirklich nur ein erster minimaler Schritt. Aber da das in einigen Ministerien schon möglich ist, fragt man sich, warum diese Einsicht eigentlich nicht in allen Ministerien vorhanden ist.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Teubner [GRÜNE])

Dieser Eiertanz bestätigt die Richtigkeit der SPDForderung nach Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten- und Krankenversicherung,

(Beifall bei den GRÜNEN)

wie sie die SPD-Bundestagsfraktion zuletzt in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung von Mann und Frau im Berufsleben vorgebracht hat.
Alle Fraktionen haben im Zusammenhang mit der Vereinbarung zur Rentenreform Handlungsbedarf erkannt. Die Regierung muß, um glaubwürdig zu sein, erst einmal bei sich anfangen und in ihrem Bereich diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abschaffen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118228300
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Kappes.

Dr. Franz-Hermann Kappes (CDU):
Rede ID: ID1118228400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche hier zu den Punkten 13 a und 13 c der Tagesordnung, Frau Kollegin Schätzle anschließend zum Punkt 13 b.
Meine Damen und Herren, eigentliches Ziel sowohl der Großen Anfrage der SPD zu den Auswirkungen der Privatisierung von Reinigungsdiensten und zu den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen in der Bundesverwaltung als auch des Antrags der SPD zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch — wie es dort heißt — Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung ist es, wie wir eben noch einmal von Frau Kollegin Faße gehört
14096 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Kappes
haben, die Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu beseitigen oder, wie es unter II Ihres Antrags unklar und, wie ich denke, offenkundig auch etwas unsicher heißt, „die weitgehende Abschaffung" dieser Grenzen zu betreiben.
Dieses Wörtchen „weitgehend" läßt bereits erkennen, daß Sie selbst daran zweifeln, ob eine völlige Abschaffung den Erfordernissen unserer Gesellschaft gerecht würde. In der Tat kommen wir heute in vielen Lebensbereichen ohne solche kurzfristigen Beschäftigungen gar nicht aus.

(Frau Weiler [SPD]: Aber keine 2,3 Millionen!)

In den öffentlichen Verwaltungen gilt dies wegen der dortigen Besonderheiten im wesentlichen für die Bundespost und für die Bundesbahn, im übrigen aber, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung vor allem für die vielfältigen Erfordernisse des Gebäudereinigungsdienstes.

(Frau Dr. Niehuis [SPD]: Finden Sie das in Ordnung?)

Nun kann allerdings leider nicht bestritten werden, daß es auf dem Gebiet der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse zu verschiedenerlei Mißständen gekommen ist und auch noch kommt.

(Frau Dr. Niehuis [SPD] und Becker [Nienberge] [SPD]: Zu Auswüchsen!)

Manches hat sich da schon gebessert,

(Frau Weiler [SPD]: Mißbrauch!)

aber einiges bleibt auch noch zu tun, wie ich durchaus anerkenne.

(Frau Dr. Niehuis [SPD]: Nicht nur einiges! Viel!)

Dem dienen, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, vor allem die Anhebung der Pauschalsteuersätze bei Teilzeitbeschäftigten zum 1. Januar 1990 zur Minderung von Wettbewerbsverzerrungen,

(Frau Odendahl [SPD]: Ach so heißt das!)

die Anfang dieses Jahres in Kraft getretene Neuregelung über die Meldepflicht in der Sozialversicherung und insbesondere die bereits beschlossene Einführung eines Sozialversicherungsausweises als voraussichtlich sehr wirksames Mittel gegen den Mißbrauch der Sozialversicherungsuntergrenze.
Unser gemeinsames Ziel muß es bleiben, jeglichen Mißbrauch auf diesem Gebiet zu unterbinden. Ich sage das ausdrücklich und sehr betont.

(Beifall des Abg. Becker [Nienberge] [SPD])

Was die SPD nun allerdings möchte, ist: statt einer intelligenten Bekämpfung des Mißbrauchs einer an sich guten Sache,

(Frau Odendahl [SPD]: Beseitigen Sie doch, dann brauchen wir nicht mehr zu bekämpfen!)

diese als solche kurzerhand abzuschaffen, nach dem
Motto: Wenn es keine sozialversicherungsfreien
Kurzzeitbeschäftigungsverhältnisse mehr gibt, kann man sie auch nicht mehr mißbrauchen.

(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So einfach ist das!
In Wahrheit muß das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis, also die sozial abgesicherte Teilzeitarbeit, zwar unbedingt der Regelfall und dürfen geringfügige Beschäftigungen nur die Ausnahme sein, aber sinnvoll oder gar notwendig sind sie nun einmal in einer so stark entwickelten Dienstleistungsgesellschaft mit flexiblen Arbeitszeiten wie der unseren allemal.

(Frau Dr. Niehuis [SPD]: Jetzt wissen wir, was flexible Arbeitszeiten sind!)

Dabei wird für den Regelfall zu Recht davon ausgegangen, daß der Beschäftigte oder — hier meistens — die Beschäftigte in diesen Fällen ihre Existenz auf andere Weise sichert und deshalb ein zusätzlicher solidarischer Schutz in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nicht erforderlich ist.

(Frau Faße [SPD]: Das ist ein Fehlschluß!)

Insoweit stimmen wir der Antwort der Bundesregierung — die Sie, Frau Kollegin Faße, nach meiner Beobachtung nicht mit beiden Augen, sondern sorgfältig nur mit dem linken gelesen haben — auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion ausdrücklich zu.
Was bleibt, ist also die Notwendigkeit einer wirksamen Bekämpfung des Mißbrauchs. Das gilt zweifellos in besonderem Maße für den großen Wirtschaftssektor Gebäudereinigung. Hier sind allerdings die Arbeitsverhältnisse von Arbeitskräften mit geringfügiger Beschäftigung durchaus tarifvertraglich abgesichert. Außerdem ist, soweit die öffentliche Hand Reinigungsaufträge erteilt, nach der Verdingungsordnung für Leistungen, also der VOL, Teil B, der Auftragnehmer nicht nur für die Erfüllung der gesetzlichen, polizeilichen und berufsgenossenschaftlichen Verpflichtungen verantwortlich, sondern er hat auch sein Verhältnis zu den Arbeitnehmern, wie es dort heißt — sicher auslegungsfähig — unter Beachtung bestehender Tarifverträge zu regeln. Es ist daher eigentlich nicht unbedingt erforderlich, zusätzlich noch einzelvertragliche Vereinbarungen hierzu zu treffen. Die Bundesregierung empfiehlt daher in ihrer Antwort lediglich eine besonders sorgfältige Prüfung der Zuverlässigkeit der Auftragnehmer auch in der Frage der Erfüllung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen.
Persönlich meine ich allerdings, meine Damen und Herren, insoweit nicht ganz in Übereinstimmung mit der hier zurückhaltenderen Stellungnahme in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD, daß man zumindest beim Abschluß künftiger Verträge, insbesondere eben im Bereich der Gebäudereinigung, durchaus auch einzelvertragliche Regelungen gegen den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenzen vereinbaren sollte. Die öffentliche Verwaltung könnte so ihrer Vorbildfunktion demonstrativer als rechtlich eigentlich nötig gerecht werden. Mehrere Bundesministerien haben ja auch bereits gewisse Bedenken zurückgestellt und sind hier den Vorstellungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gefolgt, so übrigens auch das Bundeskanzleramt und der Bun-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14097
Dr. Kappes
desminister des Innern. Hier wäre Einheitlichkeit in der Bundesverwaltung und in den Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und sonstigen Einrichtungen des Bundes auch nach meiner Auffassung wünschenswert.
In diesem Sinne lehnen wir also die Abschaffung der Geringsfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung ab, wenden uns aber ebenso entschieden gegen jeden Mißbrauch.
Der Überweisung des Antrages auf Drucksache 11/5689 in die Ausschüsse stimmen wir zu. Dabei bin ich jedoch der Auffassung, daß auch der Innenausschuß des Bundestages — Sie werden mir das nicht verdenken — zumindest mitberatend, zu Punkt I des Antrages eigentlich sogar federführend, beteiligt werden müßte.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Mitberatend!)

Ich möchte Ihnen, Frau Kollegin Faße, allerdings empfehlen, doch die Antwort der Bundesregierung auch unter dem Gesichtspunkt der Abrufkräfte der Bundespost noch einmal sehr sorgfältig zu lesen. Sie haben selbst von Aushilfenotwendigkeiten gesprochen. Das werden halt häufig Kräfte sein, die sozialversicherungsfrei kurzzeitig zu beschäftigen sind. Es wird dort auch nur im Notfall davon Gebrauch gemacht.

(Frau Faße [SPD]: Bei Studenten zum Beispiel!)

— Das ist eine gute Sache, wenn die Studenten diese Chance haben.
Sie sollten sich die Zahlen noch einmal genau ansehen.
Im übrigen stimmen wir der Überweisung zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Frau Faße [SPD]: Klatschen vergessen? Keiner da!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118228500
Nach der Reihenfolge käme jetzt Herr Abgeordneter Herr Hoss. Aber er ist nicht anwesend.

(Frau Hillerich [GRÜNE]: Wir hoffen, daß er noch kommt! — Kraus [CDU/CSU]: Das erspart uns die Zeit!)

— Gut.
Dann setze ich fort mit Frau Walz.

Ingrid Walz (FDP):
Rede ID: ID1118228600
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte mich grundsätzlich mit der Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen beschäftigen und nicht auf die einzelnen Aspekte der Vorlagen eingehen. Wir meinen, wir sollten uns davor hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten, d. h. die sozialversicherungsfreie Beschäftigung so zu erschweren, daß davon nur noch wenige Gebrauch machen; denn dies wäre angesichts der Ergebnisse des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gegebenen Gutachtens ein Schwabenstreich. Das Gutachten kommt nämlich zu zwei wichtigen Ergebnissen:
Erstens. Die überwiegende Mehrzahl der geringfügig Beschäftigten ist offenbar zumindest durch die gesetzliche Krankenversicherung abgesichert. Es sind dies 85 %.
Zweitens. Nur insgesamt 11 % sind daran interessiert, Rentenversicherungsbeiträge abzuführen. Sie sollten sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Das Gutachten sagt auch aus — und das würde das eben von mir Gesagte erklären — , daß die Mehrzahl, also die rund 55 % Frauen, offensichtlich durch andere Beschäftigungsverhältnisse oder durch Ehepartner abgesichert sind.

(Frau Odendahl [SPD]: Was?)

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß der Anteil der Arbeitnehmer die länger als fünf Jahre regelmäßig sozialversicherungsfrei beschäftigt sind, verhältnismäßig gering ist. Er liegt nämlich bei 8 %. Der Anteil der mehr als zehn Jahre sozialversicherungsfrei Beschäftigten beträgt dagegen nur noch 3 %. Aus diesen Zahlen kann sehr viel über den Charakter dieser Beschäftigung herausgelesen werden.
Ich möchte es einfach einmal so deuten: 450 DM bar auf die Hand stellen nicht die Lebensgrundlage sicher, sondern ergänzen ein anderweitig vorhandenes Einkommen. Dabei will ich nicht untersuchen, ob es sich bei diesem Zubrot um die Butter auf dem Brot, um ein klein wenig Luxus oder um die Chance für Ältere handelt, unter Menschen zu sein und durch Arbeiten zu beweisen, daß man noch gebraucht wird.

(Zuruf von der SPD: Oder um das Brot!)

Die Motivationen für die Arbeit in diesem geringen Umfang sind also vielfältig. Sie werden speziell nachgefragt und im allgemeinen grundsätzlich positiv beurteilt. Ich glaube, diese positive Beurteilung können Sie auch aus Ihrem nächsten Kreis beziehen. Meine Mitarbeiterinnen sind restlos dagegen, daß solche Arbeitsverhältnisse abgeschafft werden.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118228700
Frau Abgeordnete Walz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Odendahl?

Ingrid Walz (FDP):
Rede ID: ID1118228800
Ich habe nicht viel Zeit; vielleicht später.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118228900
Die Zwischenfrage wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.

Ingrid Walz (FDP):
Rede ID: ID1118229000
Zu diesem Ergebnis kommt auch das Gutachten. Allerdings läßt die Mißbrauchsrate von 20 % aufhorchen. Dies war auch der Grund, warum die Bundesregierung gehandelt hat. In drei Punkten wird versucht, den Mißbrauch einzudämmen. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Wir halten deshalb nach wie vor die geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigungen im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für richtig, allerdings nicht als Regel, sondern als begründete Ausnahme, weil wir meinen, es ist ein Arbeitsmarkt für Menschen entstanden, die etwas zuverdienen möchten, die über ein kleines eigenes Einkommen etwa auch unabhängig vom Ehepartner verfügen möchten. Schüler und Studenten wollen mehr haben als nur die gelegentlich
14098 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Walz
kargen Zuwendungen von Eltern oder aus der BAföGKasse. Rentner und Pensionäre bessern schlichtweg ihr Einkommen auf und erleben Selbstbestätigung.
Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse haben zudem eine arbeitsmarktpolitische Pufferfunktion,

(Frau Faße [SPD]: Das finden Sie gut? Das darf ja nicht wahr sein!)

weil sie sowohl auf der Arbeitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite flexibler gehandhabt werden können.
Meine Damen und Herren, viele Einrichtungen im Sozialbereich könnten ihre Dienste ohne die geringfügig Beschäftigten überhaupt nicht mehr anbieten;

(Beifall bei der FDP)

denn die Lust an der Arbeit um Gotteslohn hat doch erheblich abgenommen. Viele ausländische Arbeitnehmerinnen finanzieren damit nicht nur einen besseren Lebensstandard hier in der Bundesrepublik, sondern häufig auch Haus und Hof in ihren Heimatgemeinden.
Geringfügige Beschäftigungen dämmen Schwarzarbeit ein und erweitern den Dispositionsspielraum der Unternehmen bei Bedarfsspitzen und bei der Beseitigung von Engpässen. Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe diesen Punkt als letzten erwähnt, weil er mir in der Rangfolge als nicht so wichtig wie die vorhergehenden Punkte erscheint.
Aus diesen Gründen halten wir die Bemühungen der Sozialdemokraten zwar für höchst ehrenwert, aber in ihren Intentionen, Gutes zu tun, für kontraproduktiv, weil an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und auch an den Bedürfnissen vieler untypischer Arbeitnehmer vorbeigedacht wird. Wir meinen deshalb, daß die Forderung nach weitgehender Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung kein gangbarer Weg ist. Als Folgen befürchten wir die Reduzierung solcher Beschäftigungsmöglichkeiten. Wir halten diesen Weg auch deshalb im Ansatz für nicht geeignet, weil versicherungspolitisch nicht nötig, sozialpolitisch zu teuer und wirtschaftspolitisch ineffizient. Darüber hinaus meinen wir, daß die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Maßnahmen, die wir gegen den Mißbrauch beschlossen haben, abgewartet werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Noch ein Wort zur sozialpolitischen Notwendigkeit! Wir halten die von Ihnen vorgeschlagene Regelung für zu teuer. Selbst wenn ein Schutzbedürfnis anerkannt wird, ist dieser Weg eindeutig zu teuer, weil das Ergebnis Minirenten wären.

(Frau Odendahl [SPD]: Aber so kriegen sie gar nichts!)

Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß nur acht Prozent der geringfügig Beschäftigten circa fünf Jahre arbeiten, drei Prozent bis zu etwa zehn Jahren.

(Zuruf von der SPD)

In der Bewertung würde dies so aussehen — jetzt
hören Sie wirklich einmal gut zu und maulen Sie nicht
herum — : Geringfügig Beschäftigte erhielten einen
vergleichsweise hohen Schutz bei einem geringen Beitrag. Es würde ein Leistungsanspruch entstehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch Beitragszahlung gedeckt wäre. Dies, meine Damen und Herren, wäre eine Ungleichbehandlung anderen Arbeitnehmern gegenüber.
In der Krankenversicherung wären Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen, und bei der Arbeitslosenversicherung würden geringe Beiträge zu Anspruchsleistungen führen und zudem zu einer Aufblähung beziehungsweise Verfälschung der Statistik beitragen.

(Zuruf der Abg. Frau Hillerich [GRÜNE]: Damit haben Sie doch sonst keine Probleme!)

Bei den geringfügigen Beschäftigungen, meine Damen und Herren, handelt es sich — wie auch das Gutachten ausweist — eben nicht um Dauerarbeitsplätze, sondern um vorübergehende Beschäftigungen. Aus den genannten Gründen halten wir an den geringfügigen Beschäftigungen fest und meinen, daß die Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Arbeitsplätze den tatsächlichen Bedürfnissen der Arbeitnehmer in einer bestimmten Lebenssituation oder in einem bestimmten Lebensabschnitt, aber auch den veränderten Strukturen in der Wirtschaft und im Dienstleistungssektor besser entspricht.
Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt muß ich Ihnen halt auch etwas sagen: Gelegentlich ist ein angeblicher Fortschritt in Wirklichkeit ein Rückschritt.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118229100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weiler.

Barbara Weiler (SPD):
Rede ID: ID1118229200
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte aus Krankheitsgründen auf meine Rede verzichten und gebe sie zu Protokoll.*)

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118229300
Als nächste hat die Abgeordnete Frau Schätzle das Wort.

Ortrun Schätzle (CDU):
Rede ID: ID1118229400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage, ob die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitnehmern, insbesondere von Frauen, durch die Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung verbessert werden können, wird häufig sehr kontrovers diskutiert, übrigens auch im Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Bundesregierung hat bewiesen, daß sie das Problem der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam verfolgt. Ich darf auf das im Januar 1987 erstellte Forschungsprojekt „Sozialversicherungsfreie Beschäftigung" verweisen, das zum erstenmal eine Erhellung der Datenlage brachte. Ich erinnere auch an die Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 21. Juni dieses Jahres zum gleichen Thema oder an die Initiative der CDU/CSU-Frauengruppe vom Mai 1986, in allen Bundesministerien die arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen mit den Gebäudereinigungsunternehmen zu erfragen, eine Initiative, die im
*) Anlage 5
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14099
Frau Schätzle
die ressorteinheitliche Regelung eines Mustervertrages mit tarif- und versicherungsrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen mündete.
Kernpunkt allen Ringens um ein Ja oder Nein zur Beitragsfreiheit bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sind die Mißbrauchsmöglichkeiten und die unerwünschten Ausuferungen, die in den vorhergehenden Redebeiträgen schon genannt wurden. Trotz der Mißbrauchsmöglichkeit lehnt meine Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt eine generelle Beseitigung der Versicherungsfreiheit für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ab. In Ergänzung der Vorbemerkung zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD in der Drucksache 11/4129 möchte ich die Entscheidung meiner Fraktion vom Grundsätzlichen her noch einmal begründen.
Erstens. Der Regelfall ist für uns das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis, auch die sozial abgesicherte Teilzeitarbeit.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der SPD — Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Zweitens. Geringfügige Beschäftigungen sollten auf das notwendige Maß beschränkt werden.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber nicht so!)

Hier ist die Verantwortung aller Beteiligten, insbesondere der Sozialpartner, gefordert. Die vom BMA in Auftrag gegebene Studie über sozialversicherungsfreie Beschäftigungen bestätigt die weiterhin vorhandenen außerordentlich vielfältigen Beweggründe und Schutzbedürfnisse der Personen, die ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis eingehen. Ihnen würde die undifferenzierte, generelle Streichung der Geringfügigkeitsgrenze nicht gerecht werden.
Zum dritten. Klein- und Mittelbetriebe, Saisonbeschäftigungen, Vereine, karitative Verbände und anderes mehr können auf die geringfügige Beschäftigung, vor allem auf die ehrenamtlich Tätigen nicht verzichten.

(Zuruf von der SPD: Es geht alles durcheinander!)

Ihre Sorge um Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung gipfelt in dem Ausruf eines Caritas-Vertreters: Wenn das kommt, bricht es uns das Genick.
Es ist abzusehen, daß die gänzliche Abschaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse eine Reduzierung von Dienstleistungen, Rationalisierungsmaßnahmen und eine Zunahme von Schwarzarbeit auslösen würde. In dieser Situation hat die Mißbrauchsbekämpfung Vorrang. Deshalb sind auf Initiative der Bundesregierung die Maßnahmen beschlossen worden, die mein Kollege vorhin schon erwähnt hat.
Es ist einmal die Pflicht, seit 1. Januar 1989 auch für die geringfügig Beschäftigten Lohnunterlagen zu führen. Es sind außerdem die Meldepflicht für geringfügig Beschäftigte ab 1. Januar 1990 und die Einführung des Sozialversicherungsausweises.
Unsere Fraktion wird selbstverständlich über weitere Maßnahmen entscheiden, wenn mit den jetzt bestehenden Regelungen Erfahrungen gesammelt sind. Die gänzliche Abschaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse kann nicht die Lösung des Problems bedeuten.

(Zuruf von der SPD: Das wollen wir doch auch nicht!)

Sie würde meinen Erfahrungen nach vor allem den Interessen vieler Frauen widersprechen, die versuchen, den Kontakt zur Arbeitswelt zu halten, die den Hinzuverdienst zum Familieneinkommen brauchen oder die an die Berufs- und Lebenswelt im Verlauf verschiedener Lebensphasen unterschiedliche Ansprüche stellen wollen.

(Abg. Frau Faße [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Auch wenn Freiheit mißbraucht wird, darf sie nicht abgeschafft werden. Deshalb kann ich dem Ansinnen der SPD nicht zustimmen.
Vielen Dank.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118229500
Frau Schätzle, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Sie hätten noch Redezeit. Sind Sie fertig? — Tut mir leid. Sie hat ihre Rede früher als notwendig beendet.

(Frau Faße [SPD]: Ich hätte gern etwas zur Post gehört, da hätten Sie Ihre Zeit nutzen können! Aber scheinbar kennen Sie keine Sorgen der Post-Frauen! — Frau Schätzle [CDU/CSU]: Doch, die kennen wir!)

Meine Damen und Herren, wir sind bereits am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/3997 und 11/5689 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor ich nun den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe: Gute Besserung für Sie, Frau Weiler!

(Frau Weiler [SPD]: Danke! — Kraus [CDU/CSU]: Dem schließen wir uns an!)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei
— Drucksache 11/5228 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Humanitäre Hilfsmöglichkeiten für irakischkurdische Flüchtlinge in der Türkei
— Drucksache 11/5229 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß
Im Ältestenrat ist für diesen Tagesordnungspunkt ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion ver-
14100 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
I einbart worden. *) — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Als erster hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Osswald.

Dr. Klaus-Dieter Osswald (SPD):
Rede ID: ID1118229600
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einer der besten Gradmesser für Demokratie, Freiheit und Liberalität eines Landes ist seit jeher der Umgang eines Landes mit seinen Minderheiten. Hierbei steht die Türkei sicher nicht besonders gut da, um es gleich ganz klar zu sagen.
Der Umgang mit der kurdischen Minderheit in der Türkei gehört seit Jahrzehnten zu den Dauerbrennern unter den Menschenrechtsproblemen. Dieser beklagenswerte Umstand kann auch nicht durch noch so viele Beschwichtigungen türkischer Politiker hinwegdiskutiert werden. Auch die begrüßenswerte Tatsache, daß die Türkei nach den irakischen Giftgasangriffen auf kurdische Dörfer Tausenden von Kurden aus dem Irak Aufnahme gewährt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die türkische Haltung gegenüber der kurdischen Minderheit im Prinzip unverändert ist.
Die Zustände in den verschiedenen Gefangenenlagern, in denen nun seit etwa eineinhalb Jahren die irakischen Kurden leben, können nur als menschenunwürdig bezeichnet werden. Die Flüchtlinge leben unter strengster Bewachung, praktisch wie in Gefangenenlagern. Nach wie vor erkennt die Türkei diese irakischen Kurden nicht offiziell als Flüchtlinge an, sondern gewährt ihnen nur den Status von displaced persons, der keinerlei Schutz bietet. Sie haben also nicht den Status von refugees, sondern von displaced persons.
Die beiden Anträge der GRÜNEN greifen damit zu Recht ein Problem auf, zu dem auch die deutsche Politik deutlich Stellung nehmen muß. Das um so mehr, als die Türkei selbst mehrfach vorgeschlagen hat, daß die europäischen Länder kurdische Flüchtlinge aufnehmen, und zudem für die Versorgung der Flüchtlinge enorme Geldmittel gefordert hat.
Ich möchte die Position meiner Fraktion zu den vorliegenden Anträgen ganz deutlich machen. Erstens. Die Türkei möchte Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden. Die EG ihrerseits verlangt als Vorbedingung die Einhaltung gewisser Mindeststandards bei den Menschenrechten. Diese werden in der Türkei nachweislich weder gegenüber den Kurden noch gegenüber Armeniern und anderen christlichen Minderheiten eingehalten, von der Behandlung der politischen Opposition und der Frage der Folterung in Gefängnissen einmal ganz abgesehen.
Zweitens. Dies bedeutet für uns, unseren türkischen Partnern auf allen Ebenen klarzumachen, daß die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte insbesondere auch für die Minderheiten sehr ernst gemeint ist und als Kondition für das Entgegenkommen in allen anderen Fragen gewertet werden muß.
*) Die zu Protokoll gegebene Rede des Staatsministers Schäfer ist als Anlage 6 abgedruckt.
Drittens — das ist der entscheidende Punkt — : Wir fordern von der Türkei die offizielle Anerkennung der irakischen Kurden als Flüchtlinge und die Zulassung von Hilfsmaßnahmen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, UNHCR. Die inzwischen gewährte Möglichkeit, daß UNHCRBeamte die Lager besuchen dürfen, reicht nicht aus. Volle Arbeitsmöglichkeiten für den UNHCR sind für uns die Vorbedingung für finanzielles Engagement zugunsten humanitärer Arbeit in der Türkei.
Ich möchte zwei Forderungen noch einmal ganz deutlich machen. Die erste Forderung: Wir erwarten, daß die aus dem Irak in die Türkei geflohenen Kurden als Flüchtlinge behandelt werden. Die zweite Forderung: Wir erwarten, daß der UNHCR die Möglichkeit hat, diese Flüchtlinge zu betreuen.
Wir halten den Antrag der GRÜNEN, daß die Bundesregierung aufgefordert werden soll, möglichst vielen der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, für nicht angemessen. Wir sind der Meinung, daß ein Antrag auf Asyl in Einzelfällen positiv beschieden werden sollte. Aber die Aufforderung an die Bundesregierung, von sich aus tätig zu werden, halten wir nicht für den richtigen Weg.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118229700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

(Frau Hillerich [GRÜNE]: Frau Beer ist leider noch nicht hier!)

— Ich muß darauf aufmerksam machen, daß wir über einen Antrag Ihrer Fraktion beraten.
Dann erteile ich dem Abgeordneten Herrn Lummer das Wort.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Der ist auch nicht hier!)

Dann erteile ich dem Abgeordneten Herrn Dr. Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118229800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja, wie man schon an dem Aufruf gemerkt hat, eine etwas kuriose Debatte. Der Deutsche Bundestag hat sich wiederholt mit den Problemen der in der Türkei lebenden Kurden beschäftigt. Aber nicht nur mit den Kurden in der Türkei, sondern auch mit denen im Iran, im Irak, in Syrien, in der UdSSR und im Libanon. In der letzten Debatte am 22. Juni 1989 hat Frau Hamm-Brücher unsere Meinung ausführlich dargestellt, nämlich daß die Verfolgung der Kurden insbesondere im Irak allmählich die Form eines Völkermordes angenommen hat, der nicht hingenommen werden kann und den die Völkergemeinschaft auch nicht hingenommen hat.
Der Antrag der GRÜNEN bezieht sich zunächst einmal auf die irakisch-kurdischen Flüchtlinge in den Lagern Diyarbakir, Mardin und Mus. Der Kollege Vogel und ich haben insbesondere das Lager Diyarbakir im vergangenen Jahr unmittelbar nach seiner Bildung besucht. Wir haben uns damals ohne großes öffentliches Theater und Aufsehen daran beteiligt, fi-
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Dr. Hirsch
nanzielle und sachliche Hilfen im Wert von allein 2 Millionen DM in Gang zu bringen, um die dort lebenden Menschen vor dem hereinbrechenden Winter zu retten. Es sind noch weitere Mittel geflossen, und zwar 1 Million DM nach Mardin. Aus der Bundesrepublik sind Spenden im Wert von insgesamt etwa 3,5 Millionen DM in diese Lager gegangen.
Ich muß die Haltung der türkischen Regierung positiv würdigen, die trotz der beträchtlichen eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und trotz der erheblichen politischen Probleme, die sie mit der kurdischen Minderheit hat, das ihr Mögliche getan hat und über manchen innenpolitischen Schatten gesprungen ist, um den humanitären Anforderungen gerecht zu werden. Es ist auch unbestreitbar, daß sich die Lage in den Lagern verbessert hat, so problematisch sie auch ist und sein muß, wenn viele tausend Menschen ohne konkrete Perspektive in einem Lager zusammengedrängt sind.
Wir billigen damit nicht die Art und die Methoden, mit denen die türkische Regierung mit der in ihrem Land lebenden kurdischen Minderheit umgeht. Es fehlt in der türkischen Innenpolitik an überzeugenden Initiativen, der kurdischen Minderheit wenigstens eine kulturelle Autonomie einzuräumen. Es ist ganz klar, daß die militärisch-polizeilichen Maßnahmen das Problem nicht nur nicht lösen können, sondern zu immer weiteren Eskalationen führen müssen.
Aber die Lage der Kurden, auch der irakischen Flüchtlinge, muß in der Region verbessert werden. Es wird sich überhaupt nichts daran ändern, wenn wir zu den 300 000 in der Bundesrepublik lebenden Kurden weitere aufnehmen, und zwar diejenigen, die uns die GRÜNEN bezeichnen. Damit ändern wir an dem Schicksal der Zurückbleibenden überhaupt nichts.
Was geschehen muß, ist klar: Wir müssen uns in jeder erdenklichen Weise darum bemühen, durch humanitäre Hilfe finanzieller und sachlicher Art die tatsächlichen Lebensverhältnisse in den drei genannten Lagern wesentlich zu verbessern. Wir müssen außerdem zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft insbesondere auf den Irak einwirken, die Verfolgung der ethnischen Minderheit einzustellen. Wir müssen in geduldiger und mühsamer Weise auf die Türkei einwirken, um ihr klarzumachen, daß sie ihren eigenen Weg nach Europa gefährdet, wenn sie die 10 Millionen in der Türkei lebenden Kurden in eine latente Fluchtsituation hineindrängt.
Wir glauben nicht, daß es einen besonderen politischen Sinn macht, über die Fragen alle drei oder vier Monate im Bundestag zu debattieren. Aber wir werden uns darum bemühen, die humanitären Leistungen und die konkreten Hilfen, die in den Lagern geleistet werden können und müssen, spürbar zu verbessern.
Wir werden uns auch nicht mit lauten Debatten, sondern in der dafür erforderlichen Weise darum bemühen, die Türkei zu einem etwas verständigeren Verhalten gegenüber der kurdischen Minderheit zu bewegen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Osswald [SPD]: Und wie, Herr Hirsch?)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118229900
Das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118230000
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Flüchtlinge aus Irakisch-Kurdistan verbringen bald den zweiten Winter in ihren provisorischen Lagern in der Südosttürkei. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat Ihnen dazu zwei Anträge vorgelegt, die rein humanitären Charakter tragen. Wir möchten Sie um Ihre Zustimmung zu diesen Anträgen heute bitten. Ich werde nachher noch etwas dazu sagen.
Die irakisch-kurdischen Flüchtlinge sind vor den Giftgasangriffen ihrer eigenen Regierung über die Grenzen in die Türkei geflohen. Es ging bei ihnen um Leben und Tod. Jedes Gerede von Wirtschaftsflüchtlingen — das wurde heute auch noch nicht vorgebracht — , wie das sonst so oft der Fall ist, verbietet sich hier von selbst. Ich erinnere daran, daß die irakischen Giftgaseinsätze nicht möglich gewesen wären, wenn nicht Firmen aus der Bundesrepublik durch entsprechende Zulieferungen Beihilfe geleistet hätten.

(Lummer [CDU/CSU]: Nun ist es aber gut! Das ist eine nackte Unterstellung!)

— Es ist erwiesen. Daran ändert sich nichts. Sie können gern Zwischenfragen stellen.
Es gibt daher eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung der Bundesrepublik, die Opfer dieser Giftgasangriffe nicht einfach zu ignorieren, sondern jede denkbare Form der Unterstützung zu leisten, Herr Kollege.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich erinnere auch daran, daß das Leiden der irakisch-kurdischen Flüchtlinge nicht endete, als sie die Grenze zur Türkei überschritten. Sosehr die Aufnahme der Flüchtlinge durch die Türkei zu begrüßen war und ist — da stimmen wir überein — , so elend und unerträglich sind die Lebensbedingungen, unter denen sie heute leben müssen. In militärisch gesicherten Lagern, hinter Stacheldraht — wie ich mich selber vergewissern konnte — eingesperrt, werden ihnen jede Art von Menschenrechten verweigert. Selbst der Flüchtlingsstatus ist ihnen nicht gegeben. Freizügigkeit und Arbeitsmöglichkeiten fehlen. Die sanitären und medizinischen Bedingungen sind katastrophal. Die Kindersterblichkeit, die Zahl der Krankheiten und der Todesfälle sind entsetzlich hoch. Die Zahl wird in diesem Winter, aber auch im nächsten Sommer weiter steigen.
Angesichts des bevorstehenden Winters sind diese Flüchtlinge in einer akuten Notsituation. Sie brauchen internationale Hilfe, und zwar sofort. Ein Beispiel sollte für uns die Bereitschaft Frankreichs sein, ohne große Probleme 300, 400 Flüchtlinge — die Angaben unterscheiden sich — aufzunehmen und so zumindest einen Ansatz von Bereitschaft zu zeigen.
Dabei sollte die erste Priorität darin bestehen, ein gesichertes menschenwürdiges Leben in ihrer eigenen Heimat zu garantieren, ein Leben, das die gülti-
14102 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Frau Beer
gen Menschenrechte in ihrer ganzen Breite einschließt.
In zweiter Linie muß es darum gehen, die gegenwärtigen Lebensverhältnisse der Flüchtlinge in der Türkei erträglicher zu gestalten, also den Flüchtlingsstatus zuzugestehen. Ich glaube, auch hier gibt es Konsens. Freizügigkeit und Arbeitsmöglichkeiten zu gewährleisten und die sonstigen materiellen, medizinischen und sozialen Voraussetzungen für menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen, das sollte unser aller Anliegen sein.
Diese beiden Punkte bedeuten ein aktives Einwirken der Bundesrepublik auf die Regierungen in der Türkei und im Irak, um jede Diskriminierung und anderweitige menschenunwürdige Behandlungen der Kurden auszuschließen. Es bedeutet ein höheres Maß an Engagement der Bundesrepublik im humanitären Bereich, als bisher geschehen, wobei diese Unterstützung unserer Meinung nach allerdings über NGOs erfolgen sollte, um das Ankommen auch zu gewährleisten.
Drittens ist allerdings erforderlich, als humanitäre Notmaßnahme eine Reihe der kurdischen Flüchtlinge in den Lagern hier aufzunehmen, insbesondere die Flüchtlinge — da setze ich durchaus Prioritäten — aus dem Zeltlager Mardin; die Situation dort ist besonders schlimm.
Wir sind uns dessen bewußt, daß das Problem der Flüchtlinge durch dieses positive Zeichen der humanitären Bereitschaft zu helfen nicht gelöst werden kann. Aber wir stehen in der direkten Verantwortung. Gerade deshalb appellieren wir heute an Sie, über diese Anträge — ich weiß sehr wohl: man kann das nicht durch Paragraphen untermauern, man kann wirklich nur durch die humanitäre Art an diese Probleme herangehen — heute zu entscheiden. Um es noch deutlicher zu sagen: Wir stellen den Antrag
— auch wenn das der Geschäftsordnung nicht ganz entspricht —, über unsere Anträge heute abzustimmen und sie nicht an die Ausschüsse zu überweisen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118230100
Als nächster hat der Abgeordnete Herr Lummer das Wort.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118230200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder so, daß die Beiträge von Vertretern der GRÜNEN ein bißchen provozieren.
Zunächst darf ich folgende Bemerkung machen, weil der Antrag auch von Frau Oesterle-Schwerin unterschrieben ist.

(Frau Hillerich [GRÜNE]: Das ist die Vorstandssprecherin!)

— Sie hat die Anträge mit unterschrieben; das habe ich gesagt. — Das ist die Dame, die in der vergangenen Woche von dieser Stelle aus die Bundesrepublik Deutschland so madig gemacht hat, indem sie sagte: Wenn die Leute aus der DDR hierherkommen, kommen sie vom Regen in die Traufe. Sie hat gesagt: Bei uns müssen die alten Leute Hundefutter essen. Das hat sie im Plenum gesagt. Und diese Frau unterschreibt einen Antrag, wonach die Kurden aus der
Türkei nach Deutschland kommen sollen. Das reimt sich doch alles nicht, was Sie vor dem Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit für einen Quatsch erzählen. Das vorweg.
Jetzt zu den Flüchtlingslagern: Natürlich ist das schlimm. Wir haben uns ja nicht zum erstenmal damit beschäftigt; darauf hat der Kollege Hirsch hingewiesen. Es ist zutiefst bedauerlich und wirklich das Ergebnis einer inhumanen irakischen Politik, daß gegenwärtig in den Lagern in der Türkei noch etwa 35 000 Leute sind und in den zweiten Winter gehen müssen.
Aber von daher gesehen muß der erste Appell natürlich an den Irak gehen. Davon ist in den Anträgen der GRÜNEN überhaupt nicht die Rede. Unsere Adresse ist die irakische Regierung. Ich kann die Bundesregierung wirklich nur mit Intensität bitten, dort tätig zu werden; denn es bleibt richtig, daß die Probleme vor Ort dadurch gelöst werden müssen, daß den Kurden Volksgruppenrechte gegeben werden, wenn es schon nicht möglich ist — das bezweifle ich eben — , für sie eine eigene Staatlichkeit zu finden. Aber das steht ihnen zu, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.
Was die Verhältnisse in den Lagern anbetrifft, folgendes: Die Lager werden permanent beobachtet, auch von der Bundesregierung, vom Roten Kreuz der Bundesrepublik Deutschland, aber inzwischen auch vom UNHCR, der die Möglichkeit hat, dort zu beobachten, obwohl er nicht — —

(Dr. Osswald [SPD]: Beobachtung, nicht Betreuung!)

— Ja, natürlich geht es um die Beobachtung. Die Frage ist: Was ist das Ergebnis der Beobachtung? Die letzte Beobachtung ist im August gewesen. Da war Herr Gröhnke vom Deutschen Roten Kreuz dort, der von einem Legationsrat des Auswärtigen Amtes begleitet worden ist. Das Ergebnis ist jedenfalls, daß sich die Situation in den Lagern nicht verschlechtert, sondern verbessert hat. Das Ergebnis ist z. B. — das sage ich, weil Sie von einer erschreckenden — —

(Frau Beer [GRÜNE]: Nennen Sie all die Toten eine Verbesserung? Ist es eine Verbesserung, wenn die Kranken und Schwachen sterben?)

— Monatlich werden in dem einen Lager 40 Geburten verzeichnet und 27 Todesfälle. In diesem Lager sind 7 Ärzte, 10 Krankenschwestern, 20 Hilfskräfte, Apotheke und ein Krankenwagen. Das trifft strukturell auf jedes dieser drei Lager zu. Wenn ein Vertreter des Roten Kreuzes und ein Vertreter des Auswärtigen Amtes zu dem Ergebnis kommen, daß sich die Verhältnisse nicht nur gebessert haben, sondern zufriedenstellend sind, dann glaube ich dem mehr, als wenn Sie solche Horrorbilder malen.
Natürlich ist es eine schlimme Geschichte — das wissen wir alle — , aber im Ergebnis bleibt es doch dabei, daß wir die Probleme nicht dadurch lösen können, daß wir die Arme aufmachen nach dem Motto „Kommt alle mit Asyl in die Bundesrepublik Deutschland", sondern wir müssen vor Ort tätig werden. Das gilt für die Leute in der DDR, in Osteuropa, aber natür-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14103
Lummer
lich auch bezogen auf die irakischen Flüchtlinge in der Türkei.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118230300
Herr Abgeordneter Lummer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118230400
Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1118230500
Herr Kollege Lummer, können Sie mir darin zustimmen, daß die Bundesrepublik allein in diesem Jahr für das Lager Mardin 1 Million DM für die Unterbringung der Leute in vernünftigen Unterkünften ausgegeben hat?

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118230600
Das ist sicherlich keine Frage der Zustimmung, sondern der Bestätigung. Ich kann es Ihnen bestätigen. Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr 2 Millionen DM gegeben, in diesem Jahr 1 Million DM. Ich finde es auch selbstverständlich und richtig, daß dies geschieht. Vielleicht kann man das sogar noch etwas verstärken. Dagegen habe ich nichts. Ich habe nur etwas dagegen, wenn die GRÜNEN immer sagen, daß alle Probleme in Deutschland gelöst werden sollen nach dem Motto: Kommt alle her, die ihr mühselig und beladen seid; am deutschen Wesen könnt ihr genesen. Das ist nicht richtig.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118230700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Osswald?

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118230800
Bitte schön.

Dr. Klaus-Dieter Osswald (SPD):
Rede ID: ID1118230900
Herr Kollege Lummer, es geht doch im wesentlichen darum, daß die Türkei die aus dem Irak gekommenen Kurden nicht als Flüchtlinge anerkennt, sondern als displaced persons ansieht. Sind Sie der Meinung, wir könnten über unsere Bundesregierung den Versuch unternehmen zu erreichen, daß hier tatsächlich eine Behandlung stattfindet, wie sie Flüchtlingen angemessen ist, d. h. eben kein Aufenthalt in Gefangenenlagern?

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1118231000
Dieser gegenwärtige Zustand, wonach es den regionalen Vorbehalt gibt, ist unbefriedigend. Aber dieser Vorbehalt berechtigt die Türken zu sagen: Es sind keine Flüchtlinge. Das finde ich nicht in Ordnung. Ich habe schon Verständnis dafür, daß wir uns gemeinsam darum bemühen sollten, daß dieser regionale Vorbehalt geändert wird.

(Zustimmung des Abg. Dr. Osswald [SPD])

So weit, so gut.
Ich meine, das ist auch der richtige Weg, den wir gemeinsam beschreiten sollten. Insofern verspreche ich natürlich, daß wir wegen der Menschen, um die es geht, die Anträge mit Anstand und in Fairneß beraten. Aber was den Inhalt angeht, so bin ich nach wie vor der Meinung — das kann ich nur sagen — , daß dies nicht der richtige Weg ist und daß ich insofern zunächst einmal für Ablehnung plädiere.
Danke.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118231100
Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung Herrn Becker.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1118231200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beer hat soeben in ihrem Redebeitrag vorgetragen, daß sie darum bittet, daß über die beiden Anträge sofort abgestimmt wird. Wir haben uns in den Vorberatungen und insbesondere auch im Ältestenrat mit diesem Thema beschäftigt und sind übereinstimmend zu der Meinung gekommen, daß wir die Anträge an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse überweisen sollten, nämlich den Antrag zur Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie den Antrag zu den humanitären Hilfsmöglichkeiten zur federführenden Beratung ebenfalls an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß.
Ich bitte doch sehr darum, daß wir dabei bleiben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118231300
Frau Beer, Sie haben noch einmal das Wort zur Geschäftsordnung.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1118231400
Frau Präsidentin! Es ist eine Tatsache, daß dieses Parlament in der nächsten Woche in die Weihnachtsferien geht und frühestens im nächsten Jahr dazu kommt, diese Anträge zu beraten und irgendwann zu entscheiden. Das ist zu spät, sehr geehrte Herren Kollegen. Das ist die Verantwortung, die auf uns liegt. Der Winter ist jetzt, und er ist sehr kalt.
Ich war vor zwei Wochen im Irak. Ich habe mit Rückkehrern gesprochen. Ihre Angaben, die Sie eben und auch das Deutsche Rote Kreuz gemacht haben wurden nicht bestätigt. Die neuen Zelte, die Schnellhilfe für den Winter, sind noch nicht aufgestellt. Die Flüchtlinge waren gerade zwei Tage zurück. Die Hilfe ist ganz offensichtlich nicht so, wie sie vom Schreibtisch her aussieht.
Ich appelliere wirklich an Sie: Entscheiden Sie heute positiv oder negativ, und behalten Sie — egal, wie Sie entscheiden — die Freiheit dazu. Sagen Sie dann bitte auch ja. Fahren Sie in die Lager, gucken Sie sich das an, damit wir uns einig sein können und nicht diesen bürokratischen Kram vor uns her schieben müssen und nachher womöglich den Vorwurf auf uns lasten haben, daß wir durch Unflexibilität und Schreibtischarbeit Menschenleben dort gefährden. Das ist meine Bitte an Sie: Wenn Sie unsere Anträge heute ablehnen — und sei es durch Überweisung —, dann überwinden Sie sich wenigstens und fahren dort hin. Gucken Sie es sich an. Das ist das mindeste.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Die Bundesregierung hat diese Debatte gehört! Die kann jederzeit handeln!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118231500
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, sogleich über die Anträge auf den Drucksachen 11/5228 und 11/5229 abzustimmen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP beantragen demgegenüber Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Über diesen weitergehenden Antrag ist zuerst abzustimmen.
14104 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
Wer ist also für den weitergehenden Antrag, d. h. für die Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Überweisung gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
15. a) Beratung der zweiten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Frau Rönsch (Wiesbaden), Dr. Daniels (Bonn), Dörflinger, Niegel, Dr. Friedrich, Geis, Link (Frankfurt), Magin, Dr. Möller, Oswald, Pech, Ruf, Dr. Schroeder (Freiburg), Seesing, Weiß (Kaiserslautern), Sauer (Stuttgart) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Nolting, Zywietz, Frau Dr. Segall, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDP
Probleme hochverdichteter Neubausiedlungen aus den 60er und 70er Jahren
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Die Situation der Mieterinnen und Mieter in den Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre
zu dem Antrag der Abgeordneten Conradi, Müntefering, Erler, Großmann, Menzel, Dr. Niese, Oesinghaus, Reschke, Scherrer, Tietjen, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung und Verbesserung der nach 1950 erbauten Großsiedlungen
— Drucksachen 11/813, 11/2241, 11/1186, 11/4702 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Conradi Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Oesterle-Schwerin
ZP6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Austermann, Börnsen (Bönstrup) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hitschler, Gattermann, Grünbeck, Zywietz und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs-und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz — WoBauErlG —)
— Drucksache 11/5972 — Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordete Herr Dörflinger.

Werner Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1118231600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich das Plenum des Deutschen Bundestages gleichzeitig mit dem Problem hoch verdichteter Neubausiedlungen und dem baurechtlichen und mietrechtlichen Flankenschutz für unsere wohnungsbaupolitische Offensive befaßt, dann setzen wir, gewollt oder ungewollt, ein Zeichen für den dramatischen Wandel in den Schwerpunkten der wohnungsbaupolitischen Diskussion.
Die Aufgabe, die es zu lösen gilt, hat der Bundeskanzler in seiner im deutschlandpolitischen Teil historischen Rede am 28. November 1989 auf die griffige Formel gebracht: Wer kurzfristig mehr Wohnraum schaffen will, muß jetzt auch bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen. Die Union ist bereit, diesen Weg zu gehen. Sie läßt sich dabei von folgenden Erkenntnissen und Notwendigkeiten leiten.
Erstens. Die Mobilisierung aus dem Bestand allein löst die Probleme nicht. Vielmehr brauchen wir Neubau, und deshalb brauchen wir auch zusätzliche Bauflächen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Zweitens. Es sind alle politischen Ebenen gefordert, vom Bund bis hinunter zu den Gemeinden.
Drittens. Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, sich insbesondere den Personengruppen in der Versorgung zu widmen, die sich am Markt schwertun. Gleichzeitig ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, für attraktive und verläßliche Rahmenbedingungen für private Investitionen, für die Mobilisierung privaten Kapitals im Wohnungsbau zu sorgen.
Viertens. Wo sich die Praxis des Baurechtes, des Planungsrechtes und des Mietrechtes als Bremsklötze erweisen, muß die Politik zumindest temporär diese Bremsen lockern.
Was die Ziffern eins und drei des von mir Vorgetragenen angeht, hat der Bund bereits umfassend gehandelt.

(Müntefering [SPD]: Na!)

— Herr Kollege Müntefering, das zeigt sich z. B. darin, daß das MW-Programm, das 1,5-Milliarden-Programm bereits ausgebucht ist.

(Müntefering [SPD]: Um Gottes Willen!)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14105
Dörflinger
Was das Baurecht, das Planungsrecht und das Mietrecht angeht, haben wir bereits erste Schritte mit der Novellierung der Baunutzungsverordnung getan. Heute legten Ihnen die Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen diesen Gesetzentwurf zügig und zugleich gründlich beraten. Wir sind — wie immer in diesem Ausschuß — zu konstruktivem, sachlichem Dialog mit den anderen Fraktionen bereit. Wir wollen auch Sachverstand von außen einbeziehen, z. B. in einem internen Hearing mit den kommunalen Spitzenverbänden und auch mit den Vertretern der Bundesländer.
Wir haben auch vor — das sage ich ganz offen —, weitere Präzisierungen und Klarstellungen in — zugegeben — hochsensiblen Bereichen vorzunehmen wie z. B. die von uns vorgesehenen Erleichterungen im Außenbereich.

(Müntefering [SPD]: Heiße Nadel?)

— Das hat nichts mit heißer Nadel zu tun, das hat etwas mit Verstand zu tun.

(Müntefering [SPD]: Ja, das ist ja das Problem!)

Aber wir brauchen bald Signale. Deswegen streben wir an, dieses Gesetz am 1. April 1990 in Kraft zu setzen. Das müßte auch möglich sein; denn die vorgeschlagenen Maßnahmen stellen weder den Geist noch den Inhalt des Baugesetzbuches auf den Kopf.
Das Baugesetzbuch hat sich im wesentlichen bewährt. Das war auch, wenn ich es richtig gehört habe, Bestandteil des Hearings gestern. Wir brauchen also die Schlachten von gestern nicht noch einmal zu schlagen. Die damaligen Angriffe gingen ins Leere. Meine Erwartung ist: Sie werden auch diesmal weitgehend ins Leere gehen, vor allem deswegen, weil die Grundphilosophie des Baugesetzbuches, wie sie vor allem sehr extrem von der Opposition formuliert war — nämlich die totale Konzentration auf den Innenbereich — , angesichts der dramatisch veränderten Lage auf dem Wohnungsmarkt aus sachlichen Notwendigkeiten nicht zu halten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es bleibt trotzdem die Notwendigkeit, etwa flächensparend zu bauen, auch die Chance kostensparenden Bauens zu nutzen.
Nun zu den Maßnahmen im einzelnen. Vor dem Hintergrund vielfach überholter Prämissen — allein schon was die Bevölkerungsentwicklung angeht — und der allgemein gestiegenen Wohnungsnachfrage sind Ergänzungen in der Bauleitplanung notwendig. Dringender Wohnungsbedarf muß als ein zentrales Kriterium beim Abwägen der Planungsgrundsätze in der Bauleitplanung aufgewertet werden. Das hat Konsequenzen. Wir wollen deswegen die Möglichkeit schaffen, vorzeitig einen Bebauungsplan auch dann anzuwenden, wenn der zugrunde liegende Flächennutzungsplan noch nicht geändert und noch nicht ergänzt worden ist. Wir wollen ferner die Möglichkeit schaffen, Verfahren zu beschleunigen und diese Verfahren im Ablauf zu konzentrieren, auch in der Kombination bestimmter Verfahrensteile zueinander.
Wir wollen die vereinfachte Änderung von Bebauungsplänen auch dann ermöglichen, wenn Grundzüge der Planung berührt sind. Ich füge hinzu: Ich habe manchmal den Eindruck, draußen ist ohnehin nur selten das gemacht worden, was wir als Gesetzgeber damals bei der Verabschiedung des Baugesetzbuches wollten.
Bei bauleitplanerischen Initiativen dieser Art steht natürlich auch zu befürchten, daß sie mit übergreifenden Rahmenplänen, etwa mit Landschaftsplänen kollidieren. Wir müssen im Laufe der Beratungen überlegen, wie wir Mechanismen schaffen, um diese Konflikte einigermaßen vernünftig und schnell aufzulösen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

In den Kontext der Bauleitplanung gehören gemeindliche Satzungen nach § 34 des Baugesetzbuches. Wir haben deren Anwendungsbereich bereits bei der Verabschiedung des Baugesetzbuches ausgeweitet, wollen dieses Instrument jetzt dynamisch weiterentwickeln, insbesondere durch den Verzicht auf die Voraussetzung, daß entsprechende Gelände im Flächennutzungsplan als Bauflächen dargestellt sind. Die Notwendigkeit geordneter Versorgung und Entsorgung bleibt. Wir haben bisher Vertrauen in die Fähigkeit der Gemeinden, verantwortungsbewußt zu handeln und verantwortungsbewußte Festsetzungen zu treffen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Umweltschutz bleibt auch!)

Das gleiche gilt für die Erweiterung des Vorkaufsrechtes für die Gemeinden bei Verkehrswert-Zugrundelegung im Außenbereich, wovon wir uns eine preisdämpfende Wirkung versprechen. Dasselbe gilt auch für die zeitlich befristete Wiedereinführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen unter aktualisierter Aufgabenstellung, z. B. für die Mobilisierung von Brachflächen.
Ein wichtiges Anliegen, daß wir mit dem Gesetzentwurf verfolgen, ist die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren bei Einzelvorhaben. Das gilt auch für die Initiativen der Länder. Umgekehrt erwarten wir, daß die vom Bund gesetzten Impulse von den Ländern nicht konterkariert werden, sondern etwa durch eine kritische Überarbeitung der Landesbauordnungen positiv begleitet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ziel der Beschleunigung soll es sein, eine Verkürzung der Zeit, in der über Teilungsgenehmigungen entschieden werden muß, von drei auf einen Monat herbeizuführen, die Frist für das Einvernehmen der Gemeinde grundsätzlich von zwei auf einen Monat zu verkürzen. Wenn der Bauantrag für ein Wohnbauvorhaben nicht innerhalb von drei Monaten abgelehnt ist, soll nach den §§ 30 und 31 des Baugesetzbuches nicht mehr abgelehnt werden dürfen.
Nun zu dem Teil unseres Gesetzentwurfes, der wohl die heißesten Kämpfe entfachen dürfte, der sicherlich auch Anlaß für Polemik ist — das sind wir gewohnt —, nämlich der Erweiterung der Zulässigkeit von Vorhaben insbesondere im Außenbereich — Stichwort: § 35. Ich warne vor Horrorgemälden über Zersiedelung oder städtebauliches Chaos und fordere zu einer nüchternen Analyse darüber auf, welche Probleme
14106 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dörflinger
vorhanden sind und welche Probleme angepackt werden müsen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erstes Problem: Wir brauchen so schnell als möglich zusätzlichen Wohnraum unter Nutzung bereits vorhandener Gebäudesubstanz.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ohne Flächengebrauch!)

Zweitens. Wir stehen vor einem Strukturwandel im ländlichen Raum einschließlich der Notwendigkeit zusätzlicher außerlandwirtschaftlicher Einkommen.
Meine Damen und Herren, sicher sind unsere Vorschläge kritikwürdig, sie sind auch sicher noch verbesserungsfähig.

(Conradi [SPD]: Wohl wahr!)

Aber wer unserem Vorschlag, bei weitgehender Wahrung des Gebäudeäußeren und unter dem Erfordernis geordneter Erschließung in aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäuden künftig höchstens vier, unter bestimmten Voraussetzungen auch mehr Wohnungen zuzulassen, blind begegnet, dem stelle ich folgende zwei Fragen: Was ist Ihnen lieber, der drohende Verfall oder die sinnvolle Nutzung mit positiven Effekten für den ländlichen Raum?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und ich frage Sie zweitens: Was ist Ihnen lieber, Wohnungen in vorhandene Gebäude einzubauen oder auf der grünen Wiese neu zu planen und zu bauen?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wo ist der Flächenbedarf größer? — Er ist es ganz bestimmt, wenn Sie auf der grünen Wiese bauen.
Dabei sind wir uns über Schwierigkeiten im klaren, klare baurechtliche Bestimmungen zu schaffen, die den spezifischen strukturellen Gegebenheiten des ländlichen Raumes genauso entsprechen wie z. B. der Problematik im Nahbereich von Ballungszentren wie Stuttgart, München oder anderen Großstädten. Wir sehen auch die Problematik der Notwendigkeit, junge Leute als Bestandteil der Gemeinschaft im Dorf zu behalten, ebenso zu entsprechen, wie z. B. der Gefahr zu begegnen, daß in diesen aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäuden zusätzlich Ferienwohnungen entstehen.
Unproblematisch dagegen wird es wieder, wenn wir z. B. dringenden Wohnbedarf als Grund der Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes installieren wollen, wenn wir die Bestimmung des § 34 Abs. 3 — bisher ausschließlich für Gewerbe gedacht — nun auch auf wohnungsbaupolitische Vorhaben erweitern.

(Müntefering [SPD]: Konsequent, Ihre Entwicklung! Das hat der Schneider schon immer gesagt!)

— Ja, natürlich.

(Conradi [SPD]: Und die Kinder fahren mit dem Tretroller in den Kindergarten!)

— Wir können uns ja zu später Stunde noch einen Spaß machen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Er nähert sich dem Karneval!)

Aber wir sollten vielleicht ein ernstes Thema einigermaßen vernünftig miteinander diskutieren.
Ich will abschließend noch einige wenige Bemerkungen zum mietrechtlichen Teil des Gesetzentwurfes machen. Das Ziel ist klar. Wir wollen die Grundlage dafür schaffen, daß Ferienhäuser und Ferienwohnungen vorübergehend vermietet werden können. Meine Damen und Herren, der Generalangriff auf uns, wir wollten wesentliche Bestandteile des Mietrechts aushebeln, ist schlicht Blödsinn. Die Frage ist: Sind Aussiedler auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren in Hotels oder in Behelfsunterkünften unterzubringen, oder schaffen wir die Möglichkeit, wenigstens einen Teil in nicht genutzten Wohnungen unterzubringen? Wir wollen sozialverträgliche Rahmenbedingungen für das Anmieten von Wohnräumen durch Gemeinden, wobei sie praktisch in der Mittlerfunktion zwischen dem Vermieter und dem Mieter auftreten. Wir wollen eine vereinfachte Kündigung für die dritte Wohnung im selbstgenutzten Eigentum ermöglichen. Wir wollen die Teilkündigung für Räume, die Mietern als Nebenräume bisher zur Verfügung gestellt worden sind, aber für den Ausbau von Dachgeschossen gebraucht werden, erleichtern.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Ein altes Sprichwort sagt: „Wer schnell hilft, hilft doppelt." An diesem Wort, an dieser Maxime sollten wir uns auch bei den weiteren Beratungen orientieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118231700
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1118231800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Weisheit unserer Parlamentarischen Geschäftsführer verdanken wir, daß wir in dieser nächtlichen Debatte hier den Rückblick auf die Großwohnanlagen der 50er Jahre mit dem Ausblick auf das, was nach dem Willen der Bundesregierung gebaut werden soll, auf das schönste miteinander verbinden können.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir müßten den Ältestenrat damit befassen!)

— Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu.
Über die Mängel der Großsiedlungen der 50er Jahre sind wir unter uns nicht im Streit. Wir haben ja diese Großsiedlungen im großen und ganzen gemeinsam gebaut. Wir sollten die Menschen dort nicht diskriminieren und diese Siedlungen nicht herunterreden, sondern uns gemeinsam darum bemühen, diese Großsiedlungen weiterzuentwickeln und zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Da gibt es viele Möglichkeiten, z. B. durch die Erhaltung der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit
— das wollen Sie nicht —,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das hat damit aber überhaupt nichts zu tun!)

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Conradi
durch die Beteiligung des Bundes an der Sozialhilfe, damit den armen Städten geholfen wird — das wollen Sie auch nicht — , oder durch gezielte Förderung der baulichen Verbesserung dieser Großsiedlungen
— wollen Sie natürlich auch nicht — oder durch Beteiligung des Bundes an der Nachsubventionierung der Mieten — wollen Sie auch nicht — oder durch Verlängerung der Mietpreis- und der Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau; das wollen Sie auch nicht. Kurz und schlecht, Sie analysieren die Mängel, aber Sie sind nicht bereit, aus diesen Sünden zu lernen, sondern Sie machen jetzt noch schlimmere wohnungspolitische Sünden. Die Frau Ministerin, die leider heute nicht hier sein kann, weil sie krank ist, deren Ministerium ja als „Ministerium für Panik und Chaos" bezeichnet wird — so die „Frankfurter Rundschau" —, wird sich nicht mehr lange auf die Sünden ihres Vorgängers und auf ihre eigene wohnungspolitische Unschuld berufen können; denn das, was sie jetzt anrichtet, sind die wohnungs- und planungspolitischen Sünden der 90er Jahre; die werden jetzt in diesen Wochen, in diesen Monaten hier beschlossen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich will zwei Beispiele nennen. In allen Entschließungsanträgen ist die Rede vom monotonen Erscheinungsbild, von der langweiligen Architektur dieser Großsiedlungen, von den großen, schlecht gestalteten Freiflächen und von den bedrohlich wirkenden Baukörpern.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Erstaunlich! Da waren immer Architekten beteiligt!)

— Da waren immer Architekten beteiligt, Herr Kollege, selbstverständlich. Aber wenn wir uns darüber einig sind, daß wir das nicht mehr wollen, dann muß doch die Bundesregierung jetzt bei den Tausenden von Wohnungen, die gebaut werden sollen, bei diesem großen Programm auch einmal ein Wort sagen über die städtebauliche, über die architektonische, über die ökologische Qualität dessen, was da gebaut werden soll. Sie redet aber nur vom Geld und von den Zahlen, nicht von der Qualität.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Absoluter Unsinn! Das ist reine Polemik heute! Das ist kein Sachbeitrag! Stehen Sie zur Wiederaufstellung an, oder was ist?)

— Herr Kollege Kansy, reizen Sie mich nicht, sonst kriegen Sie eine böse Antwort. Ich bin jetzt noch ganz friedlich. Ich will Ihnen noch ein Beispiel für Ihre abgrundtiefe Lernunfähigkeit sagen. Einer der schweren Fehler der früheren Wohnungsbauförderung war die Förderung mit den degressiven Zinszuschüssen. Dabei sind dann Mietsteigerungen herausgekommen, die immer schneller waren als die Einkommenssteigerungen, und viele Mieter mußten aus den Wohnungen ausziehen, weil sie sie nicht mehr bezahlen konnten, es sei denn, die Städte und die Länder haben mit Nachsubventionierungen geholfen.
Nun, dieses System, von dem heute alle Welt weiß, daß es nichts taugt, setzen Sie jetzt mit Ihrem unsäglichen dritten Förderungsweg fort, und Sie verschlimmern das System noch; denn wenn dann in fünf oder sieben oder in zehn Jahren die Förderung ausläuft, kann man nicht mehr nachsubventionieren, weil Ihre Investorenbauherren, für die Sie ja Ihre Programme konzipieren, dann aus sämtlichen Bindungen entlassen sind.
Ich frage mich: Sind Sie eigentlich bereit, Herr Staatssekretär, und sind Sie bereit, Kollegen von der Union und von der FDP, den Familien, die jetzt in diese Wohnungen einziehen, weil sie nichts anderes finden, zu sagen, was ihnen in fünf oder sieben oder zehn Jahren blüht?

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Oder in 20 Jahren!)

— Was heißt 20 Jahre? Nicht einmal zehn Jahre sind die Bindungsfristen, die Sie vorschlagen. Sie fangen doch schon hier an, die Leute zu belügen. In Wirklichkeit bereiten Sie die wohnungspolitische Misere der zweiten Hälfte der 90er Jahre vor. Das heißt, Sie fahren die Wohnungspolitik wie der Kapitän der Titanic auf den Eisberg zu.

(Beifall bei der SPD)

Das ganze ist eine Verschleuderung von Steuergeldern, wie es sie seit 1945 in diesem Maße nicht gegeben hat. Sie werfen massenhaft Geld hinaus, ohne langfristige Bindungen dafür zu bekommen.

(Zuruf von der SPD: Das sagt sogar Rommel!)

— Richtig, das sagt sogar der Herr Rommel, und er sagt es noch härter und noch deutlicher, als ich es hier an diesem freundlichen Abend sage.
Nun zu den geplanten Erleichterungen. Wir haben Sie vor Monaten davor gewarnt, daß es, wenn jetzt im Wohnungsbau nach jahrelangem „stop" auf „go" geschaltet werden soll, zu großen städtebaulichen und ökologischen Problemen kommen wird. Sie haben das weggewischt, und dann haben Sie monatelang auf den Gemeinden herumgehackt und ihnen vorgeworfen, sie würden ja kein Bauland ausweisen, und sie würden mit ihrer Bürokratie das Bauen verhindern.
Meine Damen und Herren, das ist ein dreister Vorwurf. Denn was die Gemeinden anwenden, sind die Gesetze, die wir hier beschlossen haben, und was die Gemeinden anwenden, sind die Verordnungen

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Und die Länderverordnungen wohlgemerkt!)

und Erlasse und Einführungserlasse und Richtlinien und Bestimmungen und die Tonnen von Papier, die die Bundesregierung und die Länderregierungen den Gemeinden vor die Füße knallen. Dafür müssen sich diese jetzt noch anhören, sie würden das auch noch ernstlich anwenden. So kann man nicht mit den Gemeinden umgehen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das hat doch niemand gesagt!)

Sie wollen — das ist der Unterschied; den wollen wir hier deutlich herausarbeiten — vor allem neues Bauland ausweisen, und wir wollen vor allem vorhandenes Bauland bebauen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie wollen Ihre Wohnungen in der Luft aufhängen!)

14108 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Conradi
Das ist billiger, das ist ökologisch vernünftiger, und das geht schneller. Es gibt in diesem Land jede Menge erschlossenes baureifes Bauland.

(Beifall bei der SPD)

Fahren Sie einmal mit offenen Augen durch unsere Städte und schauen Sie sich die Baulücken, die unbebauten Flächen, an, die die Gemeinden nicht zur Bebauung bringen können, weil sie dafür keine Instrumente haben! Die Grundbesitzer wissen, daß mit jedem Jahr Zuwarten die Bodenpreise steigen. Das bißchen Grund- und Vermögensteuer, das ein Grundbesitzer zahlen muß, ist ja lächerlich gegenüber dem, was er jährlich an Wertsteigerung erwarten kann.
Ich finde es absurd, daß der Grundbesitzer, der sein Grundstück vom Markt zurückhält, steuerlich dafür belohnt wird, während der Grundbesitzer, der sein Grundstück bebaut, steuerlich dafür bestraft wird. Dies ist absurd.
Weil die Gemeinden an die Grundstücke nicht herankommen und auch die Bebauung nicht durchsetzen können, werden sie — so befürchten wir — im Außenbereich bauen. Das heißt, sie werden neues Bauland am Stadtrand ausweisen, dort, wo es ökologisch unvernünftig ist. Die Bodenpreise sind vielleicht niedriger; aber die Erschließung kostet mehr; die Infrastruktur ist nicht da; öffentlicher Nahverkehr ist nicht da; da müssen neue Straßen gebaut werden; da entsteht neuer Autoverkehr. Das Ganze ist ökologisch und ökonomisch ein verdammter Unsinn.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine Scheinalternative, was Sie aufbauen! Das gibt es gar nicht!)

Was Sie nun vorschlagen, die Verkürzung von Fristen im Planungs- und Genehmigungsverfahren, das mag ja gut und schön sein; es bringt vielleicht ein paar Wochen. Aber in Wirklichkeit ist es weiße Salbe. Genausogut können Sie dem Patienten Wohnungsmarkt Rizinus auf die wunden Stellen gießen; das wird nicht helfen.
Schon sehr viel schwieriger ist die Verkürzung der Bürgerbeteiligung. Wenn Sie sagen, Bebauungspläne sollen zukünftig nicht deswegen angefochten werden können, weil die Bürgerbeteiligung unterlassen wird, ist es ein Freibrief an die Gemeinde, die Bürgerbeteiligung weglassen. Das widerspricht eigentlich dem gewachsenen ökologischen Bewußtsein der Bürger; es widerspricht auch dem gewachsenen Interesse der Bürger an dem, was in ihrer Stadt geschieht.

(Müntefering [SPD]: Das dauert auch länger ohne Bürgerbeteiligung!)

— Es dauert länger ohne Bürgerbeteiligung, weil die Bürger natürlich hinterher zum Gericht springen.
Die weitere Öffnung für das Bauen im Außenbereich halten wir für ökologisch falsch. Wenn Sie beispielsweise die Weiler und die Splittersiedlungen, die im schönen Land Bayern das Bild der Kulturlandschaft prägen, jetzt zur Bebauung freigeben, dann geht damit nicht nur die Zersiedlung der Landschaft unaufhaltsam weiter, sondern dann wird die Kulturlandschaft, die in Jahrhunderten entstanden ist, Stück um Stück geopfert.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie wollen sie verfallen lassen!)

Ihre Kinder und ihre Enkel werden Ihnen einst diesen Ausverkauf deutscher Landschaft vorhalten. Ich finde es schlimm: Sonntags redet ihr mit Tränen in den Augen von Deutschland, und von Montag bis Freitag wird die deutsche Kulturlandschaft dem Gewinnstreben geopfert. Das ist der Widerspruch.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir schlagen statt dessen vor: Das Baugebot soll verstärkt werden, auch für die Fälle, in denen innerstädtische Baugrundstücke dichter bebaut werden können. Es soll nicht nur in Bebauungsplangebieten, es soll auch im unbeplanten Innenbereich des § 34 angeordnet werden können. Das Baugebot soll auch aus Wohnungsversorgungsgründen, nicht nur aus städtebaulichen Gründen angeordnet werden können.
Wir schlagen vor, das Vorkaufsrecht der Gemeinden für alle Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes schon nach dem Aufstellungsbeschluß festzulegen. Wir würden das Vorkaufsrecht gerne auf alle unbeplanten Innengebiete des § 34 ausdehnen.
Was Sie wollen, das Vorkaufsrecht im Außenbereich, hat sicher einen interessanten Aspekt. Wenn die Gemeinde im Außenbereich frühzeitig kaufen kann, hat sie die Möglichkeit, preisdämpfend auf die Bodenpreise einzuwirken.

(Dörflinger [CDU/CSU]: Das ist doch gut!) Soweit stimme ich zu; das ist vernünftig.

Aber an sich wird daran genau deutlich, was Sie wollen. Sie wollen nämlich in den Außenbereich hineingehen. Nur dort wollen Sie den Gemeinden das Vorkaufsrecht geben. Das heißt, Sie sehen die zukünftige Stadtentwicklung schwerpunktmäßig im Außenbereich, und genau das halten wir ökologisch für falsch.
Herr Kollege Dörflinger.

Werner Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1118231900
Herr Kollege Conradi, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß in den Innenbereichen, in denen beispielsweise Stadt- und Dorferneuerung betrieben wird, den Gemeinden automatisch ein Vorkaufsrecht zusteht?

(Dr. Osswald [SPD]: Und wann wird es wahrgenommen? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Eben! Da sind wir beim Thema!)


Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1118232000
Aber doch nur dort, wo eine entsprechende Maßnahme planerisch beschlossen ist. Im allgemeinen 34er Bereich hat doch die Gemeinde kein Vorkaufsrecht.

Werner Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1118232100
Geplant werden muß ja in jedem Fall werden. Aber jeder Verkaufsvorgang innerhalb eines Sanierungsgebiets bedarf der Genehmigung durch die Gemeinde, einschließlich der Vermietung und Verpachtung!
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14109

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1118232200
Herr Kollege, ein Sanierungsgebiet muß erst mal genehmigt werden, und und und. Ich rede hier von einem ganz normalen 34er Gebiet; kein Bebauungsplan; größere Baulücken; die Grundeigentümer sagen: Warum sollen wir denn verkaufen? Warum sollen wir denn bebauen? Wir gewinnen ja nur an Wert! — Ich meine, hier sollte ein Vorkaufsrecht konstituiert werden. Sie schildern doch einen Sonderfall, nämlich den, wo in einem Sanierungsgebiet örtliche Erneuerungs- und Modernisierungsmaßnahmen beschlossen sind.

(Müntefering [SPD]: So was dürft ihr den Conradi nicht fragen; der weiß das! — Gegenruf Dörflinger [CDU/CSU]: Er weiß es eben nicht; er hätte es hinzufügen müssen!)

— Also, was den Sachverstand betrifft, können wir uns gern streiten. Aber da bin ich der Meinung des Herrn Bundeskanzlers, was den Sachverstand Ihrer Koalition betrifft. Er hätte ja sonst nicht jemanden, der bisher mit Wohnungs- und Baupolitik überhaupt nichts zu tun hatte, zur Bauministerin gemacht.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Also, also! Jetzt ist aber die Gürtellinie unterschritten!)

— Ich habe Ihnen ja gesagt: Sie sollen mich nicht ärgern; sonst kriegen Sie eine böse Antwort.
Die Gemeinden sollen das Recht haben, durch Satzungen Gebiete zu bestimmen, in denen unbebaute baureife Grundstücke mit einer Baulandsteuer belegt werden, damit dieser Boden nicht länger vom Markt zurückgehalten wird.
Ich will Ihnen ein Letztes sagen, wie wir ganz schnell zu Bauland kommen könnten. Wenn Sie den Mut hätten — wir haben ihn; wir würden das mit Ihnen zusammen tragen —, zu sagen: „Ab 1992 werden die steuerlichen Einheitswerte der Grundstücke auf den Verkehrswert angehoben, und ab 1992 werden die Wertzuwächse bei Bodenverkäufen in den ersten zehn Jahren voll, danach degressiv besteuert", dann gäbe es eine Verkaufswelle am Bodenmarkt, daß wir jeder Familie in dieser Bundesrepublik zu einer guten Wohnung auf einem vernünftigen Grundstück verhelfen könnten. Nur, dazu haben Sie nicht den Mut. Das lassen Ihre Spekulantenfreunde und das läßt vor allem natürlich die FDP nicht zu.

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Sozialisten wollen immer Steuererhöhungen! — Dr. Hitschler [FDP]: Richtig vermutet!)

— Das habe ich richtig vermutet. Ich weiß, wo die Spekulation hier ihre Vertreter hat.
In der Wohnungspolitik ist ein Aufbruch notwendig. Ihnen geht es bei diesem wohnungspolitischen Aufbruch nur ums Geld. Wir wollen die Chance für einen erneuerten sozialen Wohnungsbau, der diesen Namen verdient, für eine ökologisch und wirtschaftlich vernünftige Entwicklung der Stadt, für eine bessere städtebauliche und architektonische Qualität des Wohnungsbaus.
Sie sind dieser Herausforderung leider nicht gewachsen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118232300
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1118232400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich, Herr Conradi, wollte ich Ihnen zu Ihrer Fähigkeit gratulieren, in so eloquenter Weise Dinge in Zusammenhang zu bringen, die nichts miteinander zu tun haben.

(Conradi [SPD]: Vielen Dank, Herr Kollege!)

Aber nach den etwas unverschämten Nebenbemerkungen, die Sie eingeflochten haben,

(Müntefering [SPD]: Was hat er denn gesagt?)

will ich mir das verkneifen. Sie waren — nebenbei bemerkt — nicht nur unverschämt, sondern auch un-charmant, was eigentlich gar nicht zu Ihnen paßt.

(Dr. Osswald [SPD]: Charme hat bei Ihnen noch nie angeschlagen!)

Wir sind auch nicht bereit, all die Fehlschlüsse, die Sie hier aufgelistet haben und die Sie uns als Rezeptur andienen, zu übernehmen.
Mit dem Entwurf eines Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes legt die Bundesregierung nunmehr das letzte Teilstück eines umfassenden Programms zur Förderung des Wohnungsbaus zur Entscheidung und Beratung vor. Dabei werden Änderungen im Baurecht vorgeschlagen, die in erster Linie der Beschleunigung der Bauleitplanung und der Baugenehmigungspraxis dienen, aber auch substantielle Änderungen für die Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und im Außenbereich bewirken und darüber hinaus begrenzte Mietrechtsänderungen in Spezialfällen vorsehen, ohne daß das soziale Mietrecht in seinem Grundtatbestand tangiert wird.

(Müntefering [SPD]: Wie eben die FDP das so sieht!)

In den Koalitionsgesprächen über diese bau- und mietrechtlichen Änderungen wurden lediglich Grundlinien festgelegt, die von der Verwaltung nunmehr materiell ausgefüllt vorgelegt wurden.
Da dieses Verfahren selbst sozusagen beschleunigt durchgeführt wurde, wird es in den Ausschußberatungen darauf ankommen, die Details der Bestimmungen einer genauen Prüfung zu unterziehen, damit in der Eile nicht die gebotene Solidität verlorengeht und damit das, was hier beschlossen werden soll, in der Praxis Bestand hat, auch wenn die Maßnahmen des Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes nur befristet angelegt sind.
Von besonderer Bedeutung ist für uns von der FDP die Änderung des § 35 des Baugesetzbuches in zweifacher Hinsicht. Zum einen meinen wir, daß wir landwirtschaftlichen Betrieben eine zusätzliche Möglichkeit zur Einkommenserzielung eröffnen müssen, wenn wir andererseits mit staatlichen Hilfen den Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Produktion fördern und die Strukturverbesserung erleichtern wollen.

(Müntefering [SPD]: Das ist das Motiv überall! — Conradi [SPD]: Es geht nur ums Geld!)

14110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr. Hitschler
— Ihnen doch wohl auch, Herr Conradi.

(Conradi [SPD]: Nein, uns geht es um Wohnungen!)

Wir möchten dazu beitragen, daß vorhandene Gebäulichkeiten vor dem Verfall bewahrt und zum anderen für Wohnzwecke genutzt werden können.

(Müntefering [SPD]: Ein starkes Argument!)

Das bedeutet, daß ein Neubau im Außenbereich verhindert wird, damit Siedlungszersplitterung vermieden wird und, da gleichzeitig die Erschließung als Voraussetzung gesichert sein muß, die Belange des Umweltschutzes gewahrt bleiben und darüber hinaus ein Beitrag zur Beseitigung der Wohnungsnot geleistet werden kann.
Ich befürchte nur, daß uns da unter Umständen das Bauministerium bei der Detailformulierung ein Kukkucksei ins Nest gelegt hat, worüber wir im Ausschuß noch etwas nachbrüten dürfen.

(Müntefering [SPD]: Welchen Paragraphen meinen Sie denn?)

— § 35. Hier wird es in der Tat darauf ankommen, die Detailregelung wasserdicht zu machen, daß kein Mißbrauch möglich ist, daß aber andererseits die bisherige Handhabung des § 35 nicht weiterhin als heilige Kuh angesehen wird. Denn schließlich muß es möglich sein, aufgegebene, bisher landwirtschaftlich genutzte Gebäulichkeiten einer sinnvollen Wohnnutzung zuzuführen.
§ 4 des Gesetzentwurfes sieht ferner in Abs. 4 vor, Satzungen für bebaute Bereiche im Außenbereich auch dann erlassen zu können, wenn diese bebauten Bereiche im Flächennutzungsplan nicht als Bauflächen dargestellt sind. Da dieses Petitum in den Koalitionsgesprächen nicht detailliert behandelt wurde, gebe ich hier für meine Fraktion zu bedenken, sich dem Abwägungsprozeß hierüber mit besonderer Hingabe in den Ausschußberatungen zu widmen.

(Conradi [SPD]: Wir sollen uns hingeben?)

Daß im übrigen die Möglichkeiten zur Genehmigung von Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich für Zwecke des dringenden Wohnbedarfs gemäß § 34 Abs. 3 erweitert werden sollen, halten wir nachgerade für erforderlich und besonders sinnvoll.
Für besonders bedeutsam, da kurzfristig wirksam im Sinne einer Mobilisierung von zusätzlichem Wohnraum aus vorhandenem Bestand, halten wir die vorgesehenen mietrechtlichen Änderungen. Durch die beiden Zusätze, die § 564 b BGB angefügt werden, wird es künftig möglich sein, Zeitmietverträge für Ferienhäuser und Ferienwohnungen in Ferienhausgebieten abzuschließen,

(Zuruf von der SPD: Das war bis jetzt schon möglich!)

ohne die geradezu fallenhaft angelegte Prozedur des Kündigungsverfahrens und die Kündigungsvoraussetzungen einhalten zu müssen, wie sie in § 564 c BGB für bisherige befristete Mietverhältnisse vorgesehen sind. Das kann die vorläufige Unterbringung auf mittlere Sicht gerade von Aus- und Übersiedlern, von denen gegenwärtig noch über 200 000 in Übergangsheimen untergebracht sind, erheblich erleichtern. Es ist dabei zu bedenken, daß die Ferienwohnungen in der Regel über eine ausgezeichnete Ausstattung verfügen, daß die Ver- und Entsorgung in den Ferienhaus-gebieten gesichert ist und daß auf diese Weise diejenigen, die teils unter unwürdigen Umständen in Turnhallen und anderen Massenquartieren untergebracht sind, in geordnete Wohnverhältnisse gebracht werden können

(Müntefering [SPD]: Warten Sie auf die erste Schließung!)

und keine Angst vor dem kommenden Winter zu haben brauchen.

(Dr. Osswald [SPD]: Wie?)

— Herr Kollege Müntefering, Sie sollten sich einmal bei Ihrem Kollegen Müller (Pleisweiler) erkundigen, der in einem konkreten Fall in einer Gemeinde in der Vorderpfalz, in Gossersweiler-Stein, an der Basis dafür gesorgt hat, daß eine Anmietung solcher Ferienhäuser verhindert wird. Sie wollen die Unterbringung dieser Leute in solchen Ferienwohnungen gar nicht. Sie wollen sie lieber in den Turnhallen halten. Das ist Ihnen lieber. Denn dann tritt die Wohnungsnot nach außen eklatanter zutage.

(Müntefering [SPD]: Wir werden sehen, wenn wir das erste schließen!)

Das ist Ihre Absicht und Ihre Methode, diese Frage zu behandeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer in dieser Frage mangelnden Mieterschutz reklamiert, muß sich fragen lassen, ob sein Pochen auf Kündigungsschutzbestimmungen noch das geringste mit sozialer Einstellung und Verantwortung zu tun hat. Zeitmietverträge sind nicht auf dauerhaftes Wohnen angelegt. Sie gelten für die befristete Dauer des Vertrages, und sie erfüllen damit einen ganz bestimmten und beabsichtigten Zweck, nämlich der befristeten Unterbringung von Menschen, die ansonsten in unzuträglichen Massenquartieren hausen müßten. Die befristete Wohnungsversorgung in Ferienwohnungen erleichtert diesem Personenkreis die Zeit, bis eine auf dauerhaftes Wohnen angelegte endgültige Wohnraumversorgung gefunden ist oder gefunden werden kann.
Die zweite mietrechtliche Änderung im Sinne einer erleichterten Kündigung betrifft die befristete Anmietung von Wohnungen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts — damit sind Träger öffentlicher Aufgaben wie Gemeinden, Gemeindeverbände, Landkreise, aber auch kirchliche Organisationen und Studentenwerke, nicht dagegen kommunale Wohnungsunternehmen gemeint — zur Weitervermietung an Personen mit dringendem Wohnbedarf oder in Ausbildung befindliche Personen.
Mit dieser Regelung wird den Gemeinden zum erstenmal Gelegenheit gegeben, sich in größerem Maße befristete Belegbindungen für Wohnungsnotfälle zu verschaffen. Die Vermieter von Einliegerwohnungen beispielsweise, die ihre Wohnungen dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stellen wollen, weil sie in einer überschaubaren Zeit über die Wohnung wieder selbst verfügen möchten, können nun-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14111
Dr. Hitschler
mehr unbeschadet ihre Wohnungen befristet den Gemeinden vermieten. Mit dem eigentlichen Mieter stehen sie in keinem vertraglichen Verhältnis. Dadurch, daß der Vermieter darauf vertrauen kann, über die Wohnung nach Ablauf des befristeten Mietverhältnisses wieder verfügen zu können und vor allen Dingen mit der Prozedur der Räumung nicht belastet zu werden, dürfte es möglich gemacht werden, leerstehende Wohnungen, z. B. Einliegerwohnungen, dem Wohnungsmarkt zuzuführen.

(Müntefering [SPD]: Wer soll denn räumen? Was meinen Sie denn?)

— Die Gemeinden, der eigentliche Mieter, sicher.
In vielen Fällen, z. B. in Scheidungsnotfällen, wird es auch in der Lebenswirklichkeit so sein, daß Wohnungen nur vorübergehend benötigt werden. Insofern bietet der Einstieg über Belegbindungen, über den Abschluß befristeter Mietverhältnisse mit Trägern öffentlicher Aufgaben ein flexibles Instrument zur Bekämpfung des Wohnungsmangels in Dringlichkeitsfällen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118232500
Herr Abgeordneter Hitschler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1118232600
Bitte sehr.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1118232700
Wollen Sie im Ernst den Kommunen ein Räumungsrecht für Wohnungen geben, und können Sie mir mal sagen, wer das in der Praxis durchführen soll, wer die Leute aus den Wohnungen herausholen soll?

(Conradi [SPD]: Ohne Gerichte?)


Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1118232800
Herr Müntefering, wenn ein befristeter Mietvertrag abgeschlossen wird, dann muß die Wohnung logischerweise vom Mieter nach Ablauf der Frist geräumt werden. Die Kommune kann ja durch Abschluß anderer Verträge dafür sorgen, daß unter Umständen der Mieter dann in eine andere angemietete Wohnung einziehen muß.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Richtig! — Müntefering [SPD]: Das kann doch wohl nicht wahr sein! — Conradi [SPD]: Und das Ganze ohne Gerichte? Das ist Hitschlers Recht! Hire and fire, rein und raus!)

— Ich habe Ihnen ja Fälle gesagt, wo solche befristeten Mietverhältnisse eben sinnvoll sein können. Das ist immerhin besser, als wenn die Leute in einer Turnhalle sitzen.

(Mischnick [FDP]: Sehr richtig!)

Das ist die Alternative, Herr Conradi, für die Sie dann die Verantwortung übernehmen müssen.

(Conradi [SPD]: Es ist verständlich, daß Sie in vielen Kommunen nicht mehr in die Räte gewählt werden!)

— Entschuldigen Sie bitte, Herr Conradi, wir haben doch gegenwärtig den Fall, daß die Leute in Massenquartieren untergebracht werden, während andererseits noch Wohnungen und die Ferienhäuser Leerstehen, weil rechtliche Hemmnisse dafür bestehen, daß
die Leute die zur Verfügung stellen. Die wollen wir mit dieser gesetzlichen Regelung beseitigen. Das ist der Sinn der ganzen Geschichte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit werden zusätzliche Wohnungen dem Markt zugeführt. Ich nehme doch an, daß das begreifbar ist.
Bei den Bestimmungen des Gesetzentwurfs über die Beschleunigung der Bauleitplanung werden wir im Ausschuß sorgfältig zu prüfen haben, ob die Einbeziehung der vorgezogenen Bürgerbeteiligung in das Auslegungsverfahren eine ausreichende Absicherung der Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung für die Bürger darstellt. Ansonsten sind die vorgesehenen Regelungen zu begrüßen.
Die gestrige Anhörung im Raumordnungsausschuß hat ergeben, daß auch überprüft und gegebenenfalls noch Erleichterungen eingeführt werden sollen, die das Verhältnis der verschiedenen Planungsebenen zueinander betreffen. Ziele der Landesplanung, des Landesschutzes und der Raumordnung hemmen nicht selten die Bebauungsplanung insbesondere in den Randzonen städtischer Entwicklung. Hier müssen unter Umständen Ziele der Landesplanung gelockert werden, weil selbst bei aller Ausnutzung von Nachverdichtungen im innerstädtischen Bereich auf die zusätzliche Ausweisung von Baugebieten nicht verzichtet werden kann. Hier hat der Städte- und Gemeindebund interessante Vorschläge gemacht, die es zu prüfen gilt.
Nachdem nun auch klar ist, daß die Baunutzungsverordnung, in der vorgesehenen Form vom Bundesrat akzeptiert werden wird, was ja doch erhebliche Erleichterungen für den Dachgeschoßausbau bringen wird, muß festgestellt werden: Der Bund hat seine Pflicht getan. Nun sind die anderen Partner, die Verantwortung für die Wohnraumversorgung der Bevölkerung tragen, nämlich die Länder und die Kommunen, gefordert, ihrerseits alles zu tun, bürokratische Hemmnisse, die in ihrer Verantwortung liegen, abzubauen. Wenn es um Forderungen an den Bund ging, haben sich Länder und diverse Oberbürgermeister auffallend lautstark zu Wort gemeldet. Wenn es beispielsweise um die befristete Aussetzung der Stellplatzverpflichtung geht, um den Dachgeschoßausbau zu fördern, verhalten sich dieselben geradezu merkwürdig schweigsam.

(Mischnick [FDP]: Sehr richtig!)

Wir möchten auch die Medien bitten, ihr Augenmerk nunmehr besonders darauf zu richten, was Länder und Gemeinden ihrerseits nicht nur an finanziellen Mitteln einbringen, sondern auch an Anstrengungen, ihre bisher sehr restriktive Baugenehmigungspraxis zu ändern und ihre Bemühungen um Baulanderschließung zu forcieren. Nun müssen die Bauämter, die örtlichen Satzungen und Bebauungspläne sowie die Landesbauordnungen zum TÜV. Die Öffentlichkeit, unsere Bürger, möchte den Prüfstand für die Bereitschaft von Kommunen und Ländern bilden, den Wohnungsbau ihrerseits zu fördern. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

14112 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118232900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.

Maria Luise Teubner (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1118233000
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe noch verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Die Öffentlichkeit ist um diese Stunde nicht mehr beteiligt, wenn man von den Fernsehmenschen einmal absieht. Guten Abend!
Sie erinnern sich an Christiane F., die die Geschichte der „Kinder vom Bahnhof Zoo" geschrieben hat, eine Geschichte, die damals, als sie erschien, ziemlich aufgerüttelt hat. Es ist eine authentische Geschichte, wie man so sagt, eine wahre Geschichte. Die Geschichte der Kinder vom Bahnhof Zoo und der Christiane F. hat aber nicht am Bahnhof Zoo begonnen, sondern da geendet. Begonnen hat sie in einer Trabantenstadt.
Sie erinnern sich vielleicht, wenn Sie damals das Buch gelesen oder den Film gesehen haben, daß es da sehr beeindruckende Szenen aus dem Märkischen Viertel gibt, aus dem Christiane F. kam.

(Conradi [SPD]: Ja!)

Sie berichtet von den Kindern, die zum Klo müssen, nicht an die Klingel kommen und dann dafür verprügelt werden, daß sie sich die Hosen naß machen. Die Kinder müssen nachher einen Kochlöffelstiel nehmen, um an die Klingel zu kommen, und sich dann immer dagegen wehren, daß ihnen die größeren Kinder den Kochlöffel wegnehmen.
Das sind Szenen gewesen, die, wie gesagt, sehr beeindruckt haben, beeindruckt auch insofern, als durch die Geschichte der Christiane F. nicht nur das Thema „Drogenproblematik" einer breiten Öffentlichkeit in seiner Brisanz zu Bewußtsein gekommen ist, sondern auch die Problematik des Lebens in sogenannten Großwohnsiedlungen oder Trabantenstädten. Vielen Menschen, die mit diesen Siedlungen nicht selbst konfrontiert waren, weil sie nicht darin leben mußten, ist bis dahin nicht so bewußt gewesen, was es für die Menschen bedeutet, in Großwohnsiedlungen, in Trabantenstädten, in Wohngebirgen wohnen und leben zu müssen, nicht nur schlafen zu müssen wie diejenigen, die anderswo eine Arbeitsstelle haben.
Wir haben uns im Ausschuß mit dieser Problematik beschäftigt. Wir haben auch solche Siedlungen besucht und gemeinsam festgestellt, daß die Lebens-und Wohnbedingungen dort nicht als menschlich, nicht als human bezeichnet werden können,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Chorweiler war schon ganz gut!)

daß großer Verbesserungsbedarf besteht. Manche sprechen von „Nachbesserungen". In einigen dieser Siedlungen hat dies auch begonnen. Man kann darüber streiten, wie weit es nur Kosmetik ist oder wie weit es grundsätzliche Verbesserungen sind, wenn man in der Infrastruktur, etwa bei der verkehrlichen Erreichbarkeit, etwas verbessert oder nur buchstäblich Fassadenmalerei betreibt. Diese Verbesserungen finden statt. Sie müssen weiterhin gefördert werden. Was wir aber auf jeden Fall — wohl auch übereinstimmend — aus dieser Geschichte der städtebaulichen Fehlplanungen in den 60er und 70er Jahren gelernt
haben, ist, daß solche „Lösungsmöglichkeiten" für Wohnungsprobleme nicht wieder aufgelegt werden dürfen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Beifall des Abg. Conradi [SPD] — Dr. Möller [CDU/CSU]: Da kann man zustimmen!)

Das ist auch im Zusammenhang mit der Wohnungsbaudiskussion dieses Jahres in den letzten Monaten immer wieder von allen Seiten betont worden. Die Frage ist natürlich, wie man die vielen Leute dann unterbringt, wenn man das nicht will. Die Ministerin hat im Oktober — sie hat viele Termine mit verschiedenen Verbänden angesetzt — ein ganz großes Treffen mit allen nur denkbaren am Wohnungsbaugeschehen Beteiligten durchgeführt, zu dem auch die Obleute der Fraktionen eingeladen waren. Dort sollte es darum gehen, gemeinsam darüber nachzudenken und zu beraten, wie man Maßnahmen im Bau- und Planungsrecht ergreifen kann, um Hindernisse zu beseitigen. Ursprünglich war vorgesehen, sich dreimal zu treffen und drei Vormittage lang zu diskutieren.

(Conradi [SPD]: So ist es! Es war schnell vorbei! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie waren ja als erster weg, Herr Conradi!)

Es hat sich dann auf dieses eine Treffen beschränkt.

(Conradi [SPD]: So ist es!)

Ich möchte einmal Herrn Pflaumer — er kommt gerade — mit dem Fazit zitieren, das er nach diesem Vormittag aus der Beratung gezogen hat. Herr Pflaumer, ich habe mir das extra aufgeschrieben, weil mir das doch bemerkenswert erschien, Herr Pflaumer hat in Zusammenfassung dessen, was die meisten Gemeinde- und Verbandsvertreter zu der Frage „Muß man am Baurecht grundsätzlich oder auch nur vorübergehend etwas ändern?" am Vormittag gesagt hatten, ausgeführt: In der Ausschöpfung des geltenden Rechts ist noch sehr viel Luft. Es fehlt allerdings oft an Informationen auf allen Ebenen. — Mit Bezug auf die neue Baunutzungsverordnung, die demnächst kommt, sagte er dann: Es steckt auch da eine ganze Menge an Erleichterungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten drin. Also, die bestehenden gesetzlichen Grundlagen reichen aus; man müßte sie besser nutzen. Das wäre eine Möglichkeit, auf die unbestritten problematische, besonders in Großstädten und Ballungsgebieten unbestritten problematische Situation in bezug auf die Zurverfügungstellung von Grundstücken zu reagieren.
Es gibt generell zwei Wege, wie man damit umgeht. Die eine Möglichkeit — Herr Conradi hat schon darauf hingewiesen — wäre der Zugriff auf vorhandenes Bauland, auf Flächen, die bereits ausgewiesen sind, die aber aus verschiedensten Gründen nicht bebaut werden, die zum Teil überplant sind oder die nicht überplant sind, die man aber relativ geschwind überplanen könnte. Möglich wäre auch der Zugriff auf Wohnungen, auf Gebäude, die schon da sind, die aber nicht als Wohngebäude genutzt werden.
Es gibt reichlich Vorschläge, die in der letzten Woche auf dem Städtetag in Köln gemacht worden sind. Herr Kansy, ich habe leider erst im Protokoll nachlesen können, daß Sie bei meiner letzten Rede zweimal
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14113
Frau Teubner
dazwischengerufen haben, ich sei ja gar nicht dagewesen. Ich war sehr wohl da, ich habe mich nur nicht in die erste Reihe gesetzt. Deshalb haben Sie mich vielleicht nicht wahrgenommen. Ich habe aber sehr aufmerksam zugehört, was beim Städtetag geäußert wurde. Da war eine der ganz betont vorgetragenen Forderungen, wir mögen doch bitte eine Verschärfung des Baugebots in Betracht ziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das fehlt jetzt in dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben. Wir mögen eine Verschärfung des Zweckentfremdungsverbots in Betracht ziehen. Wir mögen in Betracht ziehen, daß man mit verschärften Sanktionen auf vorsätzlichen Wohnungsleerstand reagiert. Was es jetzt, wenn überhaupt reagiert wird, an Sanktionen oder Bußgeldern gibt, ist ein Witz gegenüber dem, was spekulationsbedingt nach einigen Jahren dann dabei herausgeholt werden kann. Es geht einfach nicht, daß hier Leute Eigentum besitzen und es nicht für sozial- und wohnungspolitisch im Moment außerordentlich wichtige Zwecke verwerten und verwenden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt noch Möglichkeiten zur Verdichtung im Innenraum; sie sind allerdings zum Teil beschränkt. Das hat die gestrige Anhörung erwiesen, und das hat auch eine Anhörung erwiesen, die unsere Fraktion, die grüne Fraktion, am Montag durchgeführt hat. Dies ist natürlich immer einer der Hauptkonflikte. Die Frage ist, wie schnell verfügbar die Flächen im Innenraum sind. Da können wir als Ergebnis feststellen: Es ist schon sehr viel nutzbar gemacht worden. Aber das, was gemacht worden ist, reicht nicht aus. Man kann aber noch mehr Zugriff auf Flächen im Innenbereich nehmen. Man kann das tun; das wird allerdings nicht genügen, um den großen Wohnungsbedarf zu befriedigen. Das heißt aber noch lange nicht, daß man jetzt ganz in die Fläche geht und die totale Bauerleichterung und Baubeschleunigung praktiziert.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wer will denn das?)

— Das wollen Sie durchaus! Sie wollen nicht den Weg mit den Maßnahmen gehen, die ich eben genannt habe. Sie wollen nicht diesen verschärften Zugriff auf das Bauland und auf die Gebäude und Wohnungen, die jetzt da sind. Der Hintergrund ist natürlich klar: Sie würden sich ganz schön Ärger mit denen einhandeln, die auf diesen Flächen sitzen, die über dieses Eigentum verfügen. Es würde dann schnell geschrien: Das ist ein Eingriff in das Eigentum! Davor haben Sie Angst, diesen Mut haben Sie nicht, obwohl sie natürlich auch wissen, daß Eigentum verpflichtet, auch in diesem unserem Staate.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wenn Sie wollen, daß sie ihr Geld auf Mallorca verjubeln, dann müssen Sie ihnen nur weiter Angst machen!)

Deswegen versuchen Sie jetzt, einen grundsätzlich anderen Weg zu gehen. Unseres Erachtens ist das ein Eingriff in die Grundsätze des Baurechts, wie sie im Baugesetzbuch und in anderen Regelungen festgelegt sind. Wenn Sie hergehen und sagen, das sei nur vorübergehend bis zum Jahre 1995, dann frage ich Sie: Was machen Sie mit den Gebäuden, mit dem, was dann im Vorgriff oder vorübergehend errichtet sein wird? Wollen Sie das 1995 alles wieder rückgängig machen, nur weil dann diese Gesetzesänderung nicht mehr gilt? Dann sind Fakten geschaffen, dann sind Tatsachen da, dann ist einiges zerstört, und das müssen Sie eben jetzt verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Nun zur Frage der Qualität dieser neuen Wohnungen: Sie haben soeben gesagt: Ja, das ist uns die ganze Zeit bewußt gewesen, und wir haben schon immer davon geredet, daß man auch aufpassen muß, wie gebaut wird. Warum, frage ich Sie, meldet sich die Ministerin dann erst gestern, also mit Datum vom 6. Dezember, bei den Architekten mit einer Presseerklärung, über der steht „Qualitätsappell"? Jetzt geht sie endlich auch einmal darauf ein, daß man Qualitätsstandards beachten muß, wenn man menschlich bauen und eine urbane Lebensweise, wie das immer so schön heißt, über die gegenwärtigen Notsituationen hinaus retten will. Warum sagt sie erst jetzt, sie appelliere an die Gemeinden und an die Länder, daß sie, wenn sie jetzt ihre Förderprogramme initiieren, auch Qualitätsstandards hineinbringen? Warum hat sie das nicht bei ihrem eigenen Förderprogramm gemacht?

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Hat sie doch! Was reden Sie denn?)

— Das ist eben nicht geschehen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie haben es nicht gelesen, Frau Teubner, Sie haben es wirklich nicht gelesen! Oder, was noch schlimmer ist: Sie haben es nicht verstanden!)

Und ich kann nur immer wieder darauf verweisen, daß zu Qualitätsstandards eben auch ökologische und energietechnische Standards gehören. Ich habe Herrn Echternach gestern wieder gefragt: Wie ist das mit der Verschärfung der Wärmeschutzverordnung? — Ja, man prüft, man überlegt noch — als ob man nicht wüßte, was im Moment an Notwendigkeiten angesagt ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden uns sehr detailliert — das versteht sich — , wie wir das immer machen, mit diesem Gesetzentwurf auseinandersetzen. Wir werden Gegenvorschläge einbringen, nämlich in der Richtung, wie wir uns vorstellen, wie man auf das Bauland zugreifen kann. Und wenn wir — das als letzter Satz, und das auch noch einmal im Zusammenhang mit der Großsiedlungs-Debatte — schon nicht wissen, was für die Zukunft richtig ist, dann müssen wir auf jeden Fall das vermeiden, von dem wir wissen, daß es mit Sicherheit falsch ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1118233100
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Kansy.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1118233200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der letzten Wohnungsbaudebatte — es ist erst eine Woche her — darauf verzichtet, meine eigenen
14114 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Dr.-Ing. Kansy
Gedanken vorzutragen, um mich nur mit den Argumenten der Opposition auseinanderzusetzen. Deswegen möchte ich heute einige meiner eigenen Gedanken äußern.

(Müntefering [SPD]: Gedanken sind immer gut!)

Aber vorher, Herr Conradi, möchte ich Ihnen doch drei Dinge sagen. Warum ausgerechnet Sie, die Sie vor 10 und 20 Jahren Arm in Arm mit Herrn Lappas und Co. die Welt zubetoniert haben

(Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

— die Wohnungen sind dann anschließend verscherbelt worden —, sich hier zum Kritiker dieser Regierung mit ihrem Programm machen, das leuchtet mir auch eine Woche später noch nicht ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Möller [CDU/CSU]: Herr Lappas ist doch verhaftet worden! — Conradi [SPD]: Das war der Herr Späth, Sie verwechseln das! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Kommt er aus dem Gefängnis eigentlich wieder heraus?)

Und was die Damen und Herren Architekten betrifft: Wer hat denn die Trennung von Wohnen und Arbeiten erfunden? Wer hat denn mit der sozialistischen Heckenschere die Ideologie „Wir müssen Kasten auf Kasten aufschichten, damit wir keine Unterschiede mehr erkennen" entwickelt? Das waren doch Sie, als Politiker und Architekt, Sie, Peter Conradi, ganz vorneweg! Wenn es in diesem Hause überhaupt einen einzigen gibt, der kein Recht hat, zu kritisieren, dann sind Sie das höchstpersönlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Der hat die Neue Heimat verschuldet!)

Meine Damen und Herren, wir kommen gerade mit einigen Kollegen von der Bundesarchitektenkammer von einem sehr interessanten Fachgespräch. Herr Conradi, Sie waren nicht dabei; ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf.

(Conradi [SPD]: Ich war beim BDA! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Die GRÜNEN waren auch nicht da!)

In diesem Gespräch ist breite Übereinstimmung mit dem Programm der Bundesregierung, sind aber auch einige Konflikte festgestellt worden, über die wir noch reden müssen. Das Bild, das Sie hier suggerieren, ist genauso falsch wie das vom Ergebnis der gestrigen fünfstündigen Anhörung des Ausschusses im Langen Eugen, in der der Haupttenor war: Jawohl, das ist ein in jeder Beziehung ausgewogenes Programm, ein Programm, das hauptsächlich kein Finanzierungsprogramm ist, sondern über Finanzierung hinausgeht und auch Fragen der Baukapazitäten, des Baulandes, des Baurechts, des Mietrechts usw. behandelt. Insofern ist Ihr Vorwurf geradezu absurd. „Falsch" wäre ein zu gelinder Ausdruck.

( V o r s i t z: Vizepräsident Westphal)

Nun, meine Damen und Herren, doch noch einige Worte zu den Großsiedlungen; Frau Kollegin Teubner hat das angesprochen. Wir haben ja, als wir diese Probleme aufgegriffen haben — das ist schon einige
Jahre her —, Besuche in vielen Städten gemacht. Wer
sich noch daran erinnert und das nicht verdrängt
— ich nenne z. B. Chorweiler, das Märkische Viertel und erinnere an die Situation in Hamburg — , der weiß, daß dort viele Wohnungen leerstanden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Und Zöpel wollte abreißen! Sprengen!)

— Ja, aber wir wollen ehrlich miteinander umgehen: Es war nicht nur Herr Zöpel, der sich Gedanken darüber gemacht hat, was wir mit diesen überflüssigen Wohnungen machen sollen, ob wir sie eventuell abreißen sollen. Die Architekten haben das dann vornehm Rückbau genannt.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren diese Situation jetzt vor einem offensichtlich anderen Hintergrund.

(Gilges [SPD]: CDU-Funktionäre wie der Herr Schäfer haben das gefordert! — Gegenruf von der CDU/CSU: An Ihrer Stelle wäre ich ruhig!)

— Herr Präsident, ich habe eine ziemlich kräftige Stimme, und ich fahre fort, nicht?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118233300
Ich finde, Sie sollten das tun. Ich muß mich erst an den Tonfall gewöhnen, denn ich bin gerade erst gekommen.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1118233400
Wir sollten besonders in Zeiten der Wohnungsverknappung nicht verdrängen und vergessen — insofern bin ich mit Ihnen, Frau Kollegin Teubner, einer Meinung — , was wir im Ausschuß und die Bundesregierung in ihrem Bericht über diese Siedlungen über viele Jahre hinweg erarbeitet haben. Während andere immer noch Kritik an diesen Siedlungen übten, war sich der Ausschuß eigentlich darüber im klaren, daß die Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre einen wichtigen Beitrag zur Wohnungsversorgung der Bevölkerung darstellten und auch heute noch darstellen. Es kann deswegen heute nicht darum gehen, die zweifellos vorhandenen Mängel zum Anlaß zu nehmen, einen Totalabriß im weitesten Sinne des Wortes zu fordern.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Wir haben zur Kenntnis genommen, daß eine beträchtliche Anzahl von Menschen, die dort wohnen, trotz mancher Mängel mit ihrem Wohnquartier zufrieden waren und sich auch zunehmend damit identifizierten. Wenn wir die Mängel in unserer Beschlußempfehlung benennen, dann geschieht das nicht, um das Image dieser Siedlungsform zu beeinträchtigen oder die dortigen Bewohner zu verunsichern, sondern in der Absicht, die Bemühungen um eine Verbesserung der Wohnsituation dort zu stärken.
Meine Damen und Herren, wir haben bei unseren Besichtigungen und Gesprächen festgestellt, daß dort massiv Kritik geäußert wird, wo bauliche und städtebauliche Mängel wie Monotonie und Uniformität mit anderen Defiziten in der Infrastruktur, im Nahverkehr, in der Nahversorgung u. ä. zusammenkommen. Diese Mängel beziehen sich, was die bauliche Seite betrifft, teils zwar auf relativ belanglose Dinge wie Eingangsbereiche — das Beispiel mit den Klingeln, das hier soeben genannt wurde, war sehr schön —,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14115
Dr.-Ing. Kansy
Treppenhäuser usw. ; aber ich glaube, es wäre falsch, nur auf die Verbesserung des Erscheinungsbildes der Gebäude oder der Freiflächen hinzuwirken. Wir haben mit Unterstützung des Bundesbauministeriums im Rahmen des Programms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" sogenannte integrative städtebauliche Konzepte entwickelt, die auf eine umfassende Verbesserung der Großsiedlungen abzielen, und zwar sowohl im baulichen als auch im sozialen, im städtebaulichen, im wirtschaftlichen Bereich usw.
Wir erkennen an, daß im Zusammenwirken von Eigentümern, Bewohnern und öffentlicher Hand zwischenzeitlich eine ganze Menge erfolgversprechende Lösungen gefunden worden sind. Ich glaube, es ist besonders erfreulich, daß dort, wo die Bewohner aktiv an der Verbesserung ihres Wohnquartiers mitgearbeitet haben oder noch mitarbeiten und Eigeninitiative entwickeln, diese Maßnahmen zu einem sichtbaren Erfolg geführt haben.
Lassen Sie mich jetzt doch noch einmal kurz auf den vorhin schon angesprochenen Zielkonflikt eingehen, bei dem Sie, Herr Conradi, es sich trotz Ihres zweifelsohne vorhandenen Fachwissens zu einfach gemacht haben, indem Sie diesen Zielkonflikt verdrängt haben. Es war wohltuend, die Rede der Kollegin Teubner zu hören, obwohl wir oft unterschiedlicher Meinung sind. Wenn wir uns nicht der Mühe unterziehen, diesen Zielkonflikt seriös auszutragen, sondern vielmehr nur Ihre Luftballonpolitik machen — Sie fordern 500 000 Wohnungen jährlich, sagen aber: Wir wollen dafür kein Bauland zur Verfügung stellen — , dann werden wir die Probleme nicht lösen.
Herr Conradi, wir alle sind bei der Beratung des Baugesetzbuches von einer Philosophie ausgegangen, die sinngemäß lautete: Das Land ist aufgebaut, die Bevölkerungszahl stagniert. Laßt uns den Blick nach innen wenden. Laßt uns eine menschlichere Stadt gestalten und nicht unbedingt neue Flächen ausweisen. Meine Damen und Herren, heute ist aus den bekannten Gründen absehbar, daß wir über viele, viele Jahre hinweg wenigstens 400 000 Wohnungen pro Jahr bauen müssen. Natürlich gibt es noch Baulücken. Wer streitet das denn ab? Natürlich gibt es noch unausgebaute Dachgeschosse. Es gibt auch ungenutzte Bausubstanz, die man, wenn man vernünftige Paragraphen macht, nutzen kann.
Aber seien wir doch ehrlich: All dies wird nicht ausreichen, Millionen von Wohnungen in den nächsten Jahren zu erstellen. Ohne unsere städtebaulichen und landesplanerischen Konzepte über den Haufen zu werfen, ohne die Probleme der Zersiedlung zu verniedlichen, ohne die Fragen des Wohnumfelds und der Ökologie plötzlich unter den Tisch fallen zu lassen: Der Zielkonflikt muß seriös ausgetragen werden, wenn wir als Politiker in einer so schwierigen Situation noch ernst genommen werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, soll der zusätzliche Flächenverbrauch minimiert werden, müssen wir, aufbauend auf unseren positiven und auch negativen städtebaulichen Erfahrungen, Konzepte entwickeln, die eine verdichtete Bauweise attraktiver machen als in der Vergangenheit, ohne allerdings wieder in die
Aufstapelei von Wohnungen à la 1960/70 zu kommen.
Während der Beratung des Wohnungsbauprogramms der Koalition sind Forderungen zur Reduzierung oder Aussetzung der Städtebauförderung erhoben worden. Ich möchte hier klar sagen: Im Namen der CDU/CSU-Fraktion erteile ich dieser scheinbaren Alternative, Geld lockerzumachen, eine klare Absage. Es wäre verhängnisvoll,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Ja!)

würden wir die notwendigen Maßnahmen zur Überwindung der derzeitigen Wohnungsengpässe dazu benutzen, unser Langzeitziel aus den Augen zu verlieren: eine ständige innere Erneuerung unserer Städte und Dörfer, auch unserer Großsiedlungen, um sie menschengerechter, umweltgerechter und deswegen zukunftsgerechter zu gestalten.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Annahme unserer Beschlußempfehlung zu diesem Thema.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118233500
Das Wort hat der Abgeordnete Großmann.

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1118233600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute abend einen weiteren Akt des Trauerspiels mit dem Titel „Die halbherzige Bekämpfung der Wohnungsnot".

(Zuruf von der SPD: So ist es! — Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU])

— Herr Kansy, man hat mir, als ich in den Bundestag kam, gesagt: Je länger ein Abgeordneter im Bundestag ist, desto klüger sind seine Zwischenrufe. Ich stelle bei Ihnen nur das Gegenteil fest.

(Zustimmung bei der SPD)

Wie viele Akte das Stück schließlich einmal hat, wagt selbst bei der Theaterleitung, der Bundesregierung, heute noch keiner vorauszusagen. Man ist vorsichtig geworden. Einerseits hat man noch während der Vorstellung den Regisseur ausgewechselt — erst Schneider, jetzt Hasselfeldt —; andererseits hat man bereits häufiger den letzten Akt angekündigt, bis heute aber weder ein schlüssiges Finale noch gar ein Happy-End gefunden.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Die schreiben doch immer noch am Drehbuch!)

So haben die Autoren jetzt auf Schubladenmaterial zurückgreifen müssen, das man zunächst mangels erforderlicher Qualität gar nicht veröffentlichen wollte. Herausgekommen ist ein Sammelsurium von Vorschlägen, von denen wenige als durchdacht, die meisten als undurchdacht bis untauglich zu bewerten sind.

(Zustimmung bei der SPD — Geis [CDU/CSU]: Maßlos übertrieben, Herr Großmann!)

Dabei ist in dem Gesetzentwurf — wir haben ja gemerkt: Wir wissen gar nicht genau, über welchen Gesetzentwurf wir heute reden; denn die FDP hat
14116 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Großmann
heute schon jede zweite Passage dieses Gesetzentwurfs in Frage gestellt — vielleicht manches Interessante nachzulesen. Noch interessanter ist es aber, festzustellen, was man gar nicht erst hineingeschrieben hat. Schon die Bezeichnung des Gesetzes ist ein blanker Euphemismus. Statt „Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz" hätte dieser Text auch „Gesetz zur Zersiedlung der Landschaft" oder „Mietrechtsabbaugesetz" genannt werden können.

(Geis [CDU/CSU]: Herr Großmann, das glauben Sie doch selber nicht!)

Weitere mögliche Bezeichnungen möchte ich nur aus Zeitmangel weglassen.
Noch gestern haben wir bei der Anhörung bestätigt bekommen, wo ein Teil der Ursachen dafür liegt, daß es immer weniger preiswerten Wohnraum gibt. Zahlen aus Frankfurt zeigen, daß in den letzten acht Jahren die Mieten dort um 109 % gestiegen sind.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dort ist aber auch die Zahl der Wohnungssuchenden zurückgegangen!)

Bei Neuvermietungen sind teilweise enorme Mietpreissprünge festzustellen. Die Mietspiegel sind nicht genügend am Bestand orientiert und wirken daher eher preistreibend.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen nimmt ständig zu. Das Problem leerstehenden Wohnraums ist offensichtlich so brisant, daß Herr Oberbürgermeister Rommel noch vor etwa einer Woche erklärt hat, er halte es für zumutbar, daß derjenige, der eine abgetrennte Wohnung hat und nicht vermietet, den erzielbaren Mietertrag als Einkommen versteuern solle.
Schließlich: Immer mehr Wohnungen fallen aus der sozialen Bindung, aus der Mietpreis- und Belegungsbindung heraus.

(Geis [CDU/CSU]: Und neue kommen hinein!)

Dies sind einige der zentralen Probleme, die dazu geführt haben, daß — ich nehme wiederum das Beispiel Frankfurt, weil die Zahlen gestern genannt worden sind — in Ballungsräumen etwa 30 % der Bevölkerung Probleme haben, sich überhaupt am Wohnungsmarkt zu behaupten.
Wer nun geglaubt hat, der Gesetzentwurf enthalte Lösungsvorschläge zu diesen Problemen, sieht sich getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall: Die geplante Änderung der mietrechtlichen Vorschriften läßt eine weitere Aushöhlung des Mietrechts befürchten. Ich will das an wenigen Beispielen aufzeigen; sicherlich werden wir im Ausschuß darüber zu diskutieren haben.
Erstes Beispiel: Durch die Neueinfügung des § 564b Abs. 3 Nr. 4 BGB soll die Teilkündigung von nicht bewohnten Nebenräumen eines Gebäudes ermöglicht werden. Der Härtegesichtspunkt soll lediglich in der sogenannten Sozialklausel berücksichtigt werden. Die Erfahrungen zeigen — ich denke jetzt an die letzten Prozesse und Gerichtsentscheidungen, die es gegeben hat —, daß dies nicht ausreichend ist. Hier besteht die Gefahr, daß Teilkündigungen ermöglicht werden, ohne daß das Vorliegen einer unzumutbaren Härte wirklich geprüft würde,

(Geis [CDU/CSU]: Wo denn? — Kraus [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal ein praktisches Beispiel! — Geis [CDU/CSU]: Sie lesen etwas, was dort gar nicht steht!)

— Sie können es doch nachlesen; Sie kennen doch hoffentlich Ihren eigenen Gesetzentwurf.

(Zuruf von der SPD: Ja, das ist schon richtig!)

Zweites Beispiel: Im Abs. 4 Satz 1 desselben Paragraphen soll die vereinfachte Kündigung unter bestimmten Bedingungen für Dreifamilienhäuser gültig werden. Damit werden für den gleichen Tatbestand, vom Eigentümer bewohnte Dreifamilienhäuser, zwei unterschiedliche Kündigungsrechte geschaffen. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, daß dies in erster Linie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unsere Gerichte wird.

(Beifall bei der SPD — Geis [CDU/CSU]: Für die Anwälte!)

— Für die Anwälte auch, Herr Geis; wenn Sie einmal nicht wiedergewählt werden, wartet viel Arbeit auf Sie.

(Geis [CDU/CSU]: Da besteht keine Gefahr!)

Drittes Beispiel: Im § 564b, also im gleichen Paragraphen, diesmal Abs. 7 Nr. 4, geht es um eine neue Ausnahme vom Kündigungsschutz in Ferienwohnungen und Ferienhäusern. Herr Hitschler, daß es bei solchen Objekten die Möglichkeit zu befristeten Mietverträgen geben muß, sieht wohl jeder ein. Aber bei der Neuaufnahme geht es darum, unbefristete Mietverhältnisse möglich zu machen. Der Mieter muß sich in diesem Fall völlig in die Hände des Vermieters begeben. Er kann ohne Angabe von Gründen gekündigt werden,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie wollen die Wohnungen lieber leerstehen lassen?)

er kann sich nicht auf eine Sozialklausel berufen, und er kann keine Räumungsfrist beantragen. Das steht im Gesetzentwurf.

(Zuruf von der SPD: Mieterfeindlich ist das!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118233700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1118233800
Gerne.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1118233900
Herr Großmann, würden Sie einen Unterschied machen zwischen der Vermietung von Ferienhäusern, wie wir es vorhaben, und der bereits bestehenden gesetzlichen Regelung im Mietrecht, nämlich der Vermietung von normalen Wohnungen, wie wir sie seit eh und je auf dem Mietmarkt haben? Würden Sie da einen Unterschied machen?

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1118234000
Der Unterschied existiert bereits jetzt, aber mit der Neufassung wollen Sie es ermögli-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14117
Großmann
chen, daß in Ferienwohnungen unbefristete Mietverhältnisse ohne Kündigungsschutz geschaffen werden können. Darüber müssen wir diskutieren. Wir lehnen das ab; denn damit machen wir die Mieter, die dort wohnen, zu Freiwild.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Also Leerstand! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie lassen also die Leute vor der Tür einer leerstehenden Wohnung?)

— Das ist doch nicht die Alternative.

(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich, Herr Großmann!)

— Das ist doch nicht wahr. Wenn Sie vor zwei Jahren angefangen hätten, mehr Sozialwohnungen zu bauen, dann bräuchten wir über diese Frage nicht zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD — Abg. Geis [CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Es ist schon spät; ich möchte jetzt fortfahren. Wir haben nächste Woche im Ausschuß reichlich Gelegenheit, diese kontroverse Frage zu diskutieren.
Außerdem halte ich es für unmöglich, eine saubere Trennschärfe für Ferienhausgebiete zu formulieren.
— Auch das ist ein Hinweis darauf, daß die Gerichte erneut viel Arbeit bekommen werden.
Diese drei Beispiele machen klar, wie groß die Gefahr des weiteren Abbaus von Mietrecht ist. Aber selbst wenn diese Probleme gelöst werden könnten, so bleibt doch die feste Einschätzung: Diese Änderungen des BGB bringen unter dem Strich so gut wie nichts. Wer glaubt, mit diesen Maßnahmen den Ausbau von Wohnungen forcieren zu können, der muß von den Realitäten schon weit weg sein.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Also, wenn es nichts bringt, warum machen Sie dann so einen Zirkus?)

Ich habe Ihnen anfangs aufgelistet, wo die Probleme wirklich liegen. In keinem dieser Bereiche wollen Sie wirklich helfen.
Ich will Ihnen an dieser Stelle noch einmal die Forderungen nennen, die wir als Sozialdemokraten für geeignet halten, diesem Problemkreis — es geht um die Erhaltung preiswerten Wohnraums — tatsächlich gerecht zu werden:
Um die Mietenexplosion zu bremsen, muß für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete wieder der gesamte Wohnungsbestand zugrunde gelegt werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Die höchstzulässige Erhöhung der Miete im Bestand
— heute sind in drei Jahren bis zu 30 % möglich — muß reduziert werden. Entsprechend müssen Mietpreiserhöhungen im Falle von Neuvermietungen gesetzlich begrenzt werden. Die Kommunen müssen die Möglichkeit erhalten, in Problemgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Alte Mietpreis- und Belegungsbindungen müssen gesichert, neue müssen erworben werden. Vorzeitige Rückzahlung öffentlicher Mittel darf nicht zum vorzeitigen Wegfall der Bindungen führen.
Schließlich: Die Schutzfrist gegen die Eigenbedarfskündigung nach der Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung muß von drei auf sieben Jahre verlängert werden. Herr Geis, das fordert sogar die bayerische Staatsregierung.

(Geis [CDU/CSU]: Da stimmen wir mit Ihnen überein! Da haben wir keine Differenz!)

— Danke schön. Wir werden sehen, was daraus wird.
Auch bei dem zeitlich befristeten Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch muß Kritik zunächst grundsätzlich geäußert werden und grundsätzlich ansetzen. Hier wie bei den Änderungen im Mietrecht entsteht nach einer ersten Einschätzung der Eindruck, man habe Unwesentliches aufgenommen, dafür Wesentliches weggelassen. Kaum jemand wird sich gegen eine Entbürokratisierung oder Beschleunigung von Bebauungsplanverfahren sträuben, wenn sie sinnvoll ist.
Aber bringt die vorgesehene Kürzung von Fristen wirklich einen zeitlichen Vorteil? Wieviel Verfahren werden in Wirklichkeit nicht durch zu lange Fristen, sondern durch zu lange Entscheidungsabläufe in den parlamentarischen Gremien und durch eine hohe Arbeitsbelastung bei den Kommunen verschleppt? Wie oft sind wirklich schwierige Auseinandersetzungen zwischen den Behörden und den Trägern öffentlicher Belange auszutragen, die man oft nicht künstlich verkürzen kann, ohne zu starken Qualitätsverlusten bei der Planung zu kommen? Führt nicht die Beschneidung der Bürgerbeteiligung zu einer Vielzahl von Petitionen und Rechtsstreitigkeiten und damit zu einer Verlängerung des Verfahrens? Werden nicht eine umfassende Abwägung und eine angemessene Bürgerbeteiligung unmöglich gemacht? Selbst wenn alle diese Bedenken zerstreut werden könnten, wäre doch die Frage: Liegt das Hauptproblem bei den Fristen? Die meisten Sachverständigen haben uns gestern erzählt: Nein.
Schlimm finde ich in diesem Zusammenhang zwei Ihrer Ansätze, die das Bauen im Außenbereich erleichtern sollen. Aufgegebene landwirtschaftliche Betriebsgebäude sollen mit vier oder mehr Wohnungen ausgebaut werden können, und Weiler und Splittersiedlungen sollen als grundsätzlich bebaubares Gebiet bestimmt werden. Diese Lockerungen im Außenbereich stoßen auf unsere massiven Bedenken. Wir sind hier — wie wir gestern gehört haben — nicht allein. Viele Fachleute teilen diese Ablehnung.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Aber viele waren dafür!)

Städtebauliche Fehlentwicklungen werden damit vorprogrammiert. Es werden Flächen bebaut, die zu erheblichen Folgekosten für alle führen,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wo werden keine Flächen in Anspruch genommen? Das lohnt fast keinen Zwischenruf!)

14118 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Großmann
und dies alles in Bereichen, in denen „Wohnungsnot" fast ein Fremdwort ist, und für Gebäude, bei denen die Umbaukosten höher liegen als die Neubaukosten.

(Geis [CDU/CSU]: Sollen wir wieder Hochhäuser bauen? — Zuruf von der CDU/CSU: Der weiß nicht, was er will!)

Nach den Erfahrungen der letzten Monate kann man sich schon vorstellen, wie sich die vier neuen Mieter mit dem Vermieter anlegen müssen, weil der Hahn zu früh und zu laut kräht.

(Geis [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Hahn zu tun?)

Wir haben ja Erfahrungen damit gemacht, wie Gerichte in solchen Fällen urteilen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Der Hahn Hugo kräht! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Vielleicht singt auch der Vogel zu laut!)

— Ich erzähle Ihnen noch einmal etwas vom Hahn! — Nach dieser geplanten Maßnahme des Baugesetzbuchs würde vielleicht kein Hahn krähen, wenn hiermit nicht alles über Bord geworfen würde, was wir in den letzten Jahren gegen Bodenverbrauch, für Freiflächen und für Naturschutz beschlossen haben.

(Beifall bei der SPD — Geis [CDU/CSU]: Wollen Sie Wohnungen, oder wollen Sie keine?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118234100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler?

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1118234200
Gern.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1118234300
Herr Kollege Großmann, sind Sie wirklich der Auffassung, daß wir alle Menschen in Wohnsilos, in Kästen des gemeinnützigen Wohnungsbaus unterbringen müssen, oder können sie sich auch vorstellen, daß es einige Leute gibt, die gern auf dem Land wohnen würden, in architektonisch interessant umgebauten Gebäuden, die vorher anders genutzt worden sind? Können Sie sich nicht vorstellen, daß das unter Umständen auch auf eine interessierte Nachfrage stößt?

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1118234400
Ich kann mir das sehr gut vorstellen, aber das ist ja auch schon jetzt möglich. Dazu brauchen wir das Baugesetzbuch nicht zu ändern. Hier geht es darum, daß Sie im Außenbereich auflokkern wollen. Das halten wir aus den Gründen, die ich gerade dargestellt habe, für ökologisch nicht vertretb ar.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen nicht, was Sie wollen! — Geis [CDU/CSU]: Sagen Sie was Sie wollen!)

Außerdem bringt es — das haben uns alle Fachleute gesagt — unter dem Strich nichts. Es bringt uns nichts!

(Kraus [CDU/CSU]: Eine ausgesprochen menschenfeindliche Haltung!)

— Sie scheinen sich noch recht wenig mit dem Thema beschäftigt zu haben, Herr Kollege.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wahrscheinlich mehr als Sie!)

Wenn es um Grundsätzliches geht, etwa beim Raumordnungsgesetz oder bei Herrn Töpfers großen Worten, dann werden hehre Grundsätze verkündet. Wenn es um konkrete Maßnahmen geht, werden diese Grundsätze schnell wieder abkassiert. Dabei sind diese geplanten Lockerungen völlig überflüssig.
Aber auch insgesamt muß das Bauen im Außenbereich problematisiert werden. Immer wieder haben kommunale und wissenschaftliche Datenerhebungen ergeben, daß im Siedlungsbestand große Flächenreserven vorhanden sind.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie gut zu!

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Mann weiß nicht, was er will!)

Bauen im Außenbereich sollte daher abhängig gemacht werden von der Entwicklung im Innenbereich. Hierzu enthält der Gesetzentwurf nur wenige Vorschläge. So stellen sich die Fragen: Warum wird das Instrument des Baugebots nicht angewandt? Warum wird nicht wieder ein qualifiziertes Vorkaufsrecht im Innenbereich eingeführt? Warum werden die Vorschläge nicht aufgegriffen, eine Art Baulandsteuer auf unbebaute, aber bebaubare Grundstücke zu erheben? Erst wenn durch solche und weitere Maßnahmen alle Anstrengungen unternommen werden, die nicht genutzten Innenbereiche zu entwickeln, sollten neue Wohngebiete in Außenbereichen ausgewiesen werden, denn erst dann kann man die ökologischen und ökonomischen Bedenken gegen neuen Bodenverbrauch umwandeln in die Akzeptanz derartiger neuer Ausweisungen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber auch dies nutzt wenig, wenn die Ballungsgebiete — Herr Geis, ich gucke Sie nocheinmal an — keinen Freiraum mehr haben, die Vorortstädte wie die von München aber keine neuen Bebauungspläne aufstellen wollen, weil sie den Zuzug verhindern wollen.

(Geis [CDU/CSU]: München stellt überhaupt nichts mehr auf!)

— Sie haben ja gehört, warum.

(Geis [CDU/CSU]: Das ist nicht klargeworden!)

Der Gesetzentwurf läßt mehr Fragen offen, als er beantwortet. Viele unwesentliche Maßnahmen werden vorgeschlagen, wenige davon erscheinen brauchbar. An den wesentlichen Fragen geht dieser Gesetzentwurf jedenfalls vorbei. Aber Kollege Dörflinger hat Änderungen ja schon in Aussicht gestellt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14119

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118234500
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

(Conradi [SPD]: Jetzt kommt der Totengräber des sozialen Mietwohnungsbaus!)


Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1118234600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute genau vor einem Monat hat die Koalition ihr umfangreiches Maßnahmenpaket für den Wohnungsbau beschlossen, mit dem Ziel, den sozialen Wohnungsbau zu verstärken, mit dem Ziel, mehr privates Kapital in den Wohnungsbau zu leiten, mit dem Ziel, den vorhandenen Gebäudebestand für Wohnraumzwecke zu mobilisieren, und schließlich mit dem Ziel, die baurechtlichen Erleichterungen für den Wohnungsbau zu schaffen.
In der letzten Woche haben wir bereits die notwendigen Haushaltsbeschlüsse gefaßt. Ebenfalls in der letzten Woche haben wir uns mit den Ländern über die Verwaltungsvereinbarung geeinigt. Heute nachmittag haben wir das Wohnungsbauförderungsgesetz verabschiedet, d. h. den steuerrechtlichen Teil des Maßnahmenpakets, und nunmehr bringen die Koalitionsfraktionen das Wohnungsbauerleichterungsgesetz zur bau- und mietrechtlichen Flankierung ein.
Über diesem Gesetz könnte der lateinische Satz als Leitwort stehen: Bis dat, qui cito dat. — Doppelt gibt, wer schnell gibt. — Das gilt für das parlamentarische Verfahren genauso wie für seinen Inhalt. Er greift damit auf, was Praktiker und bauwillige Bürger dringend fordern. Auf fünf Jahre befristet, sollen im Planungs- und Baurecht des Baugesetzbuchs Erleichterungen für Wohnungsbauvorhaben geschaffen werden; sie werden ergänzt durch eingegrenzte Mietrechtsänderungen.
Nahezu 700 000 Aus- und Übersiedler sind bisher in diesem Jahr zu uns gekommen. Über 200 000 sind nur notdürftig in Übergangseinrichtungen untergebracht. Für sie, aber auch für alle anderen Wohnungssuchenden brauchen wir dringend mehr Wohnraum.

(Müntefering [SPD]: Ende des Jahres wird die Regierung wach!)

Von unserem Planungs- und Baurecht erfordert dies mehr Flexibilität, ohne daß wir an den materiellen Planungsgrundsätzen, Herr Müntefering, Abstriche machen, denn wir streben nicht nur quantitative Ziele in der Wohnraumversorgung an, sondern wollen auch qualitativ und städtebaulich überzeugende Lösungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wohnungspolitisch am dringendsten ist zur Zeit die Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern in Übergangswohnungen. Der hereingebrochene Winter hat dieses Problem noch verschärft.

(Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir müssen zunächst menschenwürdige Unterkünfte schaffen, damit vor allem Familien mit Kindern nicht länger in Turnhallen oder ähnlichen Einrichtungen wohnen müssen. Ich denke dabei z. B. an die vorübergehende Aufstellung von Mobile Homes oder anderen behelfsmäßigen Häusern.
Wir haben uns deswegen an die Länderbauminister genauso wie an den Bundesfinanzminister gewandt, damit geeignete Grundstücke bereitgestellt werden. Bei dem großen Bedarf wird man auch auf Grundstücke zurückgreifen müssen, für die nach den Bauvorschriften eine Wohnnutzung nicht vorgesehen ist. Hiergegen wird es sicherlich hier und dort Vorbehalte geben. Aber lassen Sie mich deutlich sagen: Es sollen keine Wohnungen auf Dauer und keine Schlichtwohnungen errichtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in den Vereinigten Staaten einmal Mobile Homes gesehen hat, weiß, wie komfortabel sie sind. All diese Unterkünfte werden auch in dem Augenblick wieder abgebaut, in dem sie nicht mehr benötigt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf leistet zum Problem der übergangsweisen Unterbringung wichtige Beiträge. In der Befreiungsvorschrift des § 31 des Baugesetzbuchs wird klargestellt, daß dringender Wohnbedarf besonders zur vorübergehenden Unterbringung eine Befreiung rechtfertigt. Diese Befreiungsmöglichkeit braucht nicht auf Einzelfälle beschränkt zu sein. So kann z. B. ein Ferienhausgebiet insgesamt zur vorübergehenden Unterbringung zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mietrechtlich wird es dadurch abgesichert, daß bei solchen Mietverhältnissen eine Ausnahme vom Kündigungsschutz möglich ist. Denn die Ferienhausgebiete sollen nur zur vorübergehenden Unterbringung genutzt werden können. Es sollen keine Dauerwohnverhältnisse entstehen; denn dies würde den Charakter dieser Gebiete verändern. Und das kann niemand wollen.

(Müntefering [SPD]: Wenn wir keine Wohnungen haben, was machen wir dann? — Zurufe von der CDU/CSU)

Leerstehende Wohnungen wollen wir auch dadurch mobilisieren, daß wir Gemeinden als Zwischenmieter einschalten. Oft lassen Vermieter Wohnungen nur deshalb leer stehen, weil sie befürchten, diese Wohnungen dann nicht freizubekommen, wenn sie sie für Kinder oder anderweitig benötigen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt, jetzt können sie sicher sein, daß sie bei einer Vermietung an die Gemeinde nicht nur pünktlich die Miete erhalten, sondern daß auch die rechtzeitige Rückgabe der Wohnung zum vereinbarten Zeitraum garantiert ist. In der Zwischenzeit hat dann die Gemeinde die Möglichkeit oder an Uni-Standorten etwa das Studentenwerk, diese Wohnungen, die bisher leergestanden haben, dringlich Wohnungssuchenden zukommen zu lassen.

(Geis [CDU/CSU]: Dafür muß man dankbar sein!)

Die vorübergehende Unterbringung muß möglichst bald durch eine Unterbringung in normalen Wohnungen abgelöst werden. Die Bundesregierung setzt deswegen zunächst auf zusätzlichen Wohnraum im Bestand, weil dort am schnellsten Wohnraum geschaffen werden kann. Die Stichworte sind Dachgeschoßaus-
14120 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Echternach
bau, Anbau, Umbau und Umnutzung zu Wohnzwekken.
Über die Kreditanstalten für Wiederaufbau und im Wohnungsbauförderungsgesetz geben wir hierzu beachtliche finanzielle und steuerrechtliche Anreize.

(Dr.-Ing Kansy [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Programm der KfW ist in ganz kurzer Zeit zum Publikumsrenner geworden. Dafür waren ursprünglich für drei Jahre zusammen 1,5 Milliarden DM vorgesehen. Inzwischen sind die gesamten Mittel in nur wenigen Wochen nahezu vollständig belegt.

(Geis [CDU/CSU]: Das beweist, daß sie greifen!)

Die steuerlichen Anreize dürften ein genau so starkes Echo finden.
Angesichts der großen Bereitschaft der Eigentümer zu investieren, aber auch angesichts des großen Problemdrucks fordere ich alle Baugenehmigungsbehörden auf, die Flexibilität unseres Baurechts voll zu nutzen. Dieses Baurecht ist bereits jetzt flexibler, als viele es wahrhaben wollen.
Ein Beispiel ist die Stellplatzverpflichtung beim nachträglichen Dachgeschoßausbau. Dieser Fall ist in fast allen Landesbauordnungen geregelt. Bei solchen Vorhaben sind nach der Musterbauordnung Ausnahmen von den materiellen baurechtlichen Anforderungen wie der Stellplatzverpflichtung zulässig. Der dringende Wohnbedarf der Bevölkerung rechtfertigt auch in vielen Fällen eine solche Ausnahme.
Wird aber eine Ausnahme erteilt, dann fallen auch keine Ablösebeträge an. Denn Ablösebeträge in fünfstelliger Höhe gefährden den Dachgeschoßausbau, der doch den großen Vorteil hat, daß er nicht nur preiswert ist, sondern schnell Wohnraum schafft, ohne einen Quadratmeter zusätzlichen Grund und Boden zu beanspruchen.
Deshalb stellen wir dafür nicht nur finanzielle Fördermittel bereit. Dafür ermöglichen wir auch eine Teilkündigung der Dachgeschosse, wo immer dies sozial vertretbar ist.

(Müntefering [SPD]: Wo ist das denn soziale Förderung?)

Dafür ändern wir auch die Baunutzungsverordnung. Deshalb bitte ich alle, dies es angeht, den breiten Ausbau der Dachgeschosse jetzt nicht an einer zu kleinlichen Genehmigungspraxis vor Ort scheitern zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf der anderen Seite muß aber auch gesagt werden: Die augenblickliche Engpaßsituation auf dem Wohnungsmarkt darf nicht das Vehikel für Bausünden und städtebauliche Fehlentwicklungen sein. Die Genehmigungsbehörden müssen in jedem Einzelfall prüfen, was städtebaulich noch vertretbar ist. Unvertretbares darf auch weiterhin nicht genehmigt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf erhöht die Flexibilität unseres Baurechts. Notwendige Planänderungen können in dafür geeigneten Fällen — vor allem in den vielen einfach gelagerten Fällen — wesentlich schneller durchgeführt werden.

(Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Sie müssen nicht die ganze Rede halten, die Ihnen aufgeschrieben ist!)

— Frau Schulte, wenn Sie andere Verpflichtungen haben, habe ich dafür Verständnis, wenn Sie dann der Rede nicht mehr folgen wollen.

(Müntefering [SPD]: Wir haben alle stramm gekürzt!)

Ich will hier keine Zahlenbehauptungen aufstellen, um wieviel kürzer in Zukunft Bebauungsplanänderungen möglich sind. Das wäre unredlich, weil Bebauungspläne in komplizierten städtebaulichen Situationen auch weiterhin ihre Zeit brauchen, und zwar nicht, weil es das Recht so will, sondern weil es die Probleme erfordern.
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche vom Sachverhalt her einfach gelagerte Bebauungspläne, deren Aufstellung nur deshalb so lange dauert, weil es eben das Recht so vorschreibt. Diese Bebauungspläne haben wir mit diesem Gesetz im Auge. Es läßt die materiellen Planungsgrundsätze unberührt, schafft aber die Möglichkeit, die Fristen deutlich zu verkürzen.

(Geis [CDU/CSU]: Es gibt aber auch Kommunen, die sich dahinterklemmen!)

— Das erkenne ich sehr an, Herr Kollege Geis.
Der Gesetzentwurf enthält auch materielle Erleichterungen für Wohnbauvorhaben im Innen- und Außenbereich.
Mit den Vorschriften zum Bauen im Außenbereich, die hier eben von den Vertretern der Opposition kritisch angesprochen worden sind, leisten wir einen Beitrag zur Wohnraumversorgung, zum Strukturwandel in der Landwirtschaft und zur Stärkung des ländlichen Raums.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist den Bürgern draußen im Lande eben nicht begreiflich zu machen, daß wir einerseits dringend Wohnraum brauchen und andererseits ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude verfallen lassen, nur weil sie im Außenbereich liegen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig! Das ist genau der Punkt!)

Natürlich muß dabei die Abwasserbeseitigung gesichert und die Wohnnutzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein. Beides sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor.
Zu den möglichen Maßnahmen im Bestand gehören auch die Neubausiedlungen der 60er und 70er Jahre. In der heutigen Debatte sollten sie nicht nur, wie das vorhin geschehen ist, als Beispiele dafür dienen, wie wir die vor uns liegenden Bauaufgaben gerade nicht bewältigen sollen. Die Bundesregierung hat mit dem städtebaulichen Bericht über Großsiedlungen und Modellmaßnahmen Wege für die städtebauliche Entwicklung dieser Gebiete gewiesen. Mir geht es dabei um den Beitrag, den auch diese Siedlungen zur Bewältigung der augenblicklichen Wohnungsengpässe leisten können.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989 14121
Parl. Staatssekretär Echternach
Wir wissen, daß diese Siedlungen über eine vollständige Infrastrukturausstattung verfügen, daß es an ihren Rändern noch umfangreiche planungsrechtliche Möglichkeiten gibt und daß diese Siedlungen der städtebaulichen Arrondierung bedürfen. Insofern sind sie auch eine Chance. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die Architektur an den Wünschen der Menschen orientiert und dafür keine weiteren Hochhäuser, sondern nur niedriggeschossige Bauten städtebaulich vorgesehen werden.
Die Gemeinden werden aber auch neues Bauland ausweisen müssen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Dafür gibt der Gesetzentwurf den Gemeinden Hilfestellungen. Die Verfahren für Bebauungspläne werden zeitlich schneller durchgeführt.
Außerdem geben wir den Gemeinden zusätzliche Instrumente an die Hand, damit sie diese Flächen schnell und gezielt mit Wohnhäusern bebauen können:

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

zum einen mit dem vorgesehenen Vorkaufsrecht zum Verkehrswert für alle Wohngrundstücke im Außenbereich und dann mit der fortentwickelten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme. Sie ermöglicht großangelegte, zusammenhängende Planung. Sie eröffnet die Möglichkeit, Baugelände auch tatsächlich der Bebauung zuzuführen, und sie schöpft den entstehenden Entwicklungsgewinn ab, um damit Erschließungskosten zu finanzieren. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme kann auch dazu eingesetzt werden, großflächige innerstädtische Brachflächen von den Altlasten zu befreien und mit Wohnhäusern zu bebauen. Wir hellen den Gemeinden dabei mit unserem Aufschließungsprogramm auch gleichzeitig finanziell.
Der vorliegende Gesetzentwurf leistet einen wichtigen Beitrag zur Ankurbelung des Wohnungsbaus. Er enthält sofort wirksame Erleichterungen und mittelfristige Maßnahmen. Die Länder sind aufgerufen, auch ihrerseits entsprechende Maßnahmen zur Erleichterung und Beschleunigung des Wohnungsbaus vor allem im Bauordnungsrecht zu ergreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein gutes Beispiel dafür könnte die Bestimmung des Entwurfs sein, wonach bestimmte Wohnungsbauvorhaben städtebaulich als zulässig gelten, wenn über die Genehmigung nicht innerhalb von drei Monaten entschieden wird. Dies könnte ein Beispiel auch für eine entsprechende Gestaltung des Bauordnungsrechts der Länder sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Einige Länder gehen auch bereits mit gutem Beispiel voran. Baden-Württemberg hat mit der Freistellungsvereinbarung sogar für bestimmte Wohnbauvorhaben innerhalb von Bauplangebieten, wenn dafür keine Befreiung und Ausnahme erforderlich sind, generell auf eine Baugenehmigung verzichtet.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr vernünftig!)

Rheinland-Pfalz deutet Ähnliches an. Jetzt gibt es die Chance für alle Länder, die Landesbauordnung schon deswegen neu zu fassen, weil die Bauproduktenrichtlinie dies im nächsten Jahr erzwingt. Dies sollte ein Anlaß sein, auch die Landesbauordnung für Wohnbauten insofern zu verbessern.
Bei allen Bemühungen um Erleichterung und Flexibilität darf aber die bauliche und städtebauliche Qualität keinen Schaden erleiden. Dies ist eine große Aufgabe für Bund, Länder und Gemeinden, aber natürlich auch für alle Bauherren und auch für die Architekten. Wer heute unzulänglich plant und baut, schafft damit die Leerstände von morgen, schadet sich damit letzten Endes selbst.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Jeder wirtschaftlich denkende Investor hat ein Interesse an der langfristigen Rendite des Objektes. Dies erfordert eben qualitativ hochwertige Lösungen, erfordert auch eine hochwertige Gestalt des Gebäudes und des Wohnumfeldes.

(Anhaltende Unruhe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118234700
Herr Staatssekretär, lassen Sie mich Sie einmal einen Moment unterbrechen.
Meine Damen und Herren, Sie sind im Verhältnis zur Tageszeit umgekehrt proportional lebendig.

(Heiterkeit)

Da wir wirklich nur noch kurze Zeit haben, wäre ich dankbar, wenn Sie dem Redner zuhören würden.

(Conradi [SPD]: Das ist ein Leser, kein Redner!)


Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1118234800
Insofern ist das Neubauprogramm auch eine Chance, die vielen Erkenntnisse umzusetzen, die wir im experimentellen Wohnungs- und Städtebau gesammelt haben, in Beispielen der Fachöffentlichkeit vorgestellt haben, z. B. im kosten- und flächensparenden Bauen, z. B. im ökologischen Bauen, im Bereich der Wärmedämmung, die Frau Teubner angesprochen hat, aber auch im Bereich der kinder- und umweltfreundlichen Wohnumfeldgestaltung. Insofern geht es der Bundesregierung um eine größere Quantität bei der Zahl der Wohnungen, um mehr Flexibilität im Baurecht, aber auch um eine gesteigerte Qualität und bessere städtebauliche Lösungen.
Das sind die Ziele, die wir anstreben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leisten wir dafür einen entscheidenden Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1118234900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die zweite Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf der Drucksache 11/4702. Wer stimmt für die Nummern I und II der Beschlußfassung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
14122 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 11/4702 unter III, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1186 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltung? — Bei einer Enthaltung ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus auf Drucksache 11/4702, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2241 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz — KJHG)

— Drucksache 11/5948 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern
— Drucksache 11/4882 —
Interfraktionell, meine Damen und Herren, ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.

(Beifall)

— Ja, ja, nicht nur klatschen; ich muß jetzt feststellen, ob Sie mit dieser Abweichung von der Tagesordnung einverstanden sind. — Ich sehe keinen Widerspruch.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Schweren Herzens! — Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Weil die Kinder schon schlafen!)

Dann haben wir dafür die ausreichende Mehrheit. Dies ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. *)
Das bedeutet, daß wir nur noch zu überweisen und über eine Sache abzustimmen haben. Zunächst einmal wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf den Drucksachen 11/5948 und 11/6002 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD über Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern auf Drucksache 11/4882. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. Dezember 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.